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Dissertation

Dissertation

DISSERTATION

Titel der Dissertation „Interaktion und Dialog in Quellen des Frühmittelalters“

verfasst von Maga. Doris-Andrea Zeitler

angestrebter akademischer Grad Doktorin der Philosophie (Dr.phil.)

Wien, Mai 2014

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A >092 312< Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Geschichte Betreut von: Univ. Prof. Mag. Dr. Walter Pohl

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 5 1. Einleitung ...... 7 1.1 Der Dialog, Bemerkungen zum Forschungsstand...... 9 2. Zugänge zum Dialog und Einsatzbereiche des Dialogs in der Gegenüberstellung zum modernen, bewusst gestalteten Dialog ...... 39 2.1 Die Wurzeln des Dialogs ...... 39 2.2 Die philosophische Erörterung - beschrieben in den Pseudo-Clementinen ...... 46 2.3 Das Streitgedicht – ein Zugang zum Dialog ...... 51 2.4 Der Dialog im alten Griechenland – über Socrates ...... 55 2.5 Der Dialog im alten Griechenland - über Platon ...... 62 2.6 Ein Zugang zum Dialog – über Aristoteles und Cicero ...... 65 2.7 Dialogformen und Dialoggattungen ...... 71 2.8 Dialog - Mimesis ...... 77 2.9 Dialog in anderen Kulturen ...... 87 2.10 Verschiedene Dialoge in der frühchristlichen Literatur ...... 90 2.10.1 Der Dialog bei Justin ...... 90 2.10.2 Der Dialog bei Minucius Felix ...... 91 2.10.3. Der Dialog bei Gregor von Nyssa ...... 93 2.10.4. Der Dialog bei Augustin ...... 96 2.10.5. Der Dialog bei Johannes Chrysostomos ...... 99 2.11 Dialogtypen ...... 102 3 Moderne Zugänge und Ansätze zum Dialog / zur sprachlichen Interaktion ...... 106 3.1 Ein dialogischer Ansatz nach Martin Buber ...... 106 3.2 Ein dialogischer Ansatz nach David Bohm ...... 112 4 Heutige Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion ...... 115 4.1 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach Peter Senge ...... 115 4.2 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach William Isaac ...... 119 4.3 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach Marta und Johannes Hartkemeyer, L. Freeman Dhority ...... 122 5.Kommunikation/Dialog im Frühmittelalter anhand der Dialoge von Gregor dem Großen 125 5.1 Historisches Umfeld zu Gregor dem Großen ...... 125 5.2 Das Leben Gregors des Großen ...... 136 5.3 Die Bücher der Dialoge Gregors des Großen ...... 143 5.4 Entstehungskontext und Schreibanlass der Dialoge von Gregor dem Großen ...... 151 5.5 Zielsetzung und Zweck der Dialoge von Gregor dem Großen ...... 159 5.6 Modelle für die Dialogi ...... 165 5.6.1 Die Vita Martini des Sulpicius Severus ...... 165 5.6.2. Die Vita Antonii des Athanasius ...... 169 5.7 Der Aufbau und der Inhalt der Dialoge Gregors des Großen...... 172 5.8 Die literarische Form der Dialoge Gregors des Großen ...... 203 6. Muster der Dialoge Gregors des Großen ...... 209 7. Vorbilder für Dialoge ...... 213 8. Kontinuität des Dialogs ...... 215 9 Ausblick ...... 219 Literaturverzeichnis ...... 228 Publikationen/Literatur ...... 228 Quellenverzeichnis: ...... 245 3

Internet Quellen / Online Quellen ...... 248 Abstract (deutsch) ...... 254 Abstract (english) ...... 255 Lebenslauf ...... 256

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Vorwort

Mein Weg zum Dialog: Schon in meiner Diplomarbeit ging es um Sprache und deren Verschriftlichung und Bildhaftigkeit, beispielsweise das Exemplum. Auch durch meine berufliche Tätigkeit in meinem Institut für Sprachen und Kommunikation habe ich mich bei der Vorbereitung zu meinen Dialogseminaren immer mit Fragen der menschlichen Interaktion, in erster Linie sprachlicher Art, auseinandergesetzt. Es stellt sich für mich nun einerseits die Frage nach der Geschichte des Dialogs, wann und wo er entstanden ist und warum; hat er überdauert, oder ist er wiedergekehrt, und wenn ja, in welcher Form, und zu welchem Zweck. Andererseits ist der Dialog ein vielversprechendes Mittel, um Inalte zu hinterfragen, um Menschen beim Sprechen oder beim Lesen von Texten, zum Mitdenken anzuregen, und um gewisse Gesprächskulturen oder Sprachmuster und Denkmuster offenzulegen. Daher stellt sich weiters die Frage, wie der Dialog damals eingesetzt worden ist, und wie der Dialog heute verwendet wird. Auch die Frage der Vorzüge oder der Qualitäten des Dialogs soll behandelt werden.

Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit der Frage der menschlichen Interaktion. Das Ziel der Arbeit ist eine exemplarische Untersuchung an frühmittelalterlichen Quellen, vor allem aus dem Bereich der Historiographie und der Hagiographie, zu Fragen der menschlichen Interaktion, in erster Linie sprachlicher Art. Dabei dienten vor allem die Dialodi Papst Gregors des Großen als Beispiel. Es wird versucht, vor allem der Frage nachzugehen, wie im frühen Mittelalter kommuniziert beziehungsweise wie sprachliche Kommunikation in den Quellen beschrieben oder in direkter respektive indirekter Rede wiedergegeben wurde. Aber nicht nur die linguistische Form sondern auch die philosophische und literaturwissenschaftliche Untersuchung der Gattung des Dialoges ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Dabei sollen sowohl ältere als auch neuere theoretische Ansätze herangezogen und miteinander verglichen werden, um die Analyse methodisch zu unterstützen. Unter anderem wird versucht Ansätze des philosophisch-dialogischen Verstehens (Martin Buber, David Bohm, William Isaac, M&J Hartkemeyer und L. Freeman Dhorithy) und der Diskurstheorie (Roland Barthes, Peter Senge) sowie der Diskursanalyse (Michael Foucault,

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Pierre Bourdieu, und Jaques Derrida) auf ihre Anwendbarkeit und Verständlichkeit zu diesem Thema zu überprüfen. Des Weiteren wird gefragt, ob sich zum Beispiel die Wiedergabe von Dialogen und Kommunikation in direkter Rede in frühmittelalterlichen Quellen von den in heutiger sprachlicher Interaktion entstandenen Modellen unterscheidet. Das direkte Sprechen der Akteure in vergangener Zeit ist natürlich nur in rhetorischer und literarischer Stilisierung greifbar, doch werden auch dabei bestimmte Muster und Anwendungen deutlich. Literarische und philosophische Modelle seit dem Sokratischen Dialog prägten spätere Formen dialogischer Literatur; sie schufen aber auch den Spielraum für unterschiedliche Darstellungen und Stilisierungen von Dialogen in schriftlich überlieferten Texten. Vor diesem Hintergrund sollen nun bestimmte Grundmuster der menschlichen Interaktion, insbesondere des Dialogs herausgearbeitet werden, in denen sprachliche Kommunikation innerhalb der Gesellschaft ablief. So sollen Aufschlüsse über die verschiedenen Möglichkeiten, und Variationen sowie Regelmäßigkeiten dialogischer Interaktion im frühen Mittelalter und der Gegenwart gewonnen werden.

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1. Einleitung

Im ersten Kapitel werden Aspekte des Forschungsstandes aufgezeigt. Der Begriff Dialog wird sehr vielfältig verwendet, und dementsprechend gibt es zu dazu auch die unterschiedlichsten Ansichten. Dialog soll nicht als Unterhaltung gesehen werden, sondern als eine Methode oder ein Instrumentarium der menschlichen Interaktion oder Kommunikation. Es geht einerseits um den Dialog als gezielt geführte mündliche Erörterung, andererseits geht es etwa um die schriftliche Wiedergabe eines solchen Gesprächs oder um den fiktiv geführten, wiedergegebenen Dialog. Im zweiten Kapitel werden verschiedene Zugänge zum Dialog und Einsatzbereiche des Dialogs dargestellt, von den Wurzeln dialogischer Kommunikation -wo man zurückgehen kann bis zu den Anfängen, als sich Sprache und Kultur entwickelte- über die philosophische Erörterung zur Antike und so zum Sokratischen Dialog. Es werden in der Folge Platons Dialoge, Aristoteles und die Dialoge Ciceros erwähnt, um dann zur Dialogform nach älterer Theorie überzugehen. Dabei wird auch auf die Mimesis eingegangen.Vielfach findet sich in der Forschungsliteratur die Auffassung, mit dem Ende des Weströmischen Reiches sei auch die antike Form des Dialogs verschwunden. Das mag seine Berechtigung haben, wenn man von einer sehr engen Definition des ‚Klassischen‘ Dialogs ausgeht. Es klammert aber aus, wie verbreitet und reichhaltig Formen des Dialogs in spätantiken und frühmittelalterlichen Texten sind, etwa in Hagiographie, Historiographie oder der christlichen Katechese. Deshalb werden in dieser Arbeit auch verschiedene Dialoge der frühchristlichen Literatur, etwa der Dialog bei Justin, bei Minucius Felix, bei Gregor von Nyssa, bei Augustin und der Dialog bei Johannes Chrysostomos behandelt. Das Christentum greift auf antike philosophische und rhetorische Muster zurück, modifiziert sie aber auch. Am Ende des zweiten Kapitels werden noch die Dialogtypen dargestellt. Im dritten Kapitel werden moderne Zugänge oder Ansätze zum Dialog und zur sprachlichen Interaktion behandelt. Es werden die Ansätze nach Martin Buber und nach David Bohm beschrieben um dann in Kapitel vier zu heutigen Modellen des Dialogs überzugehen. Dabei werden die Modelle nach Peter Senge, William Isaac, Marta und Johannes Hartkemeyer und L. Freeman Dorothy aufgezeigt. Im fünften Kapitel werden die Kommunikation respektive der Dialog im frühen Mittelalter vorwiegend anhand der Dialoge von Gregor dem Großen behandelt. Es wird das historische Umfeld von Gregor beschrieben, wobei besonderes Augenmerk auf die

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Langobardengeschichte gelegt wird, da Langobarden in den Dialogen Gregors des Großen äußerst grausam beschrieben werden, und sich die Frage stellte, woher denn diese Barbaren kamen und welche Funktion sie in seinen Dialogen hatten. Nach einem Kapitel über das Leben Gregors des Großen werden die vier Bücher der Dialoge, die Diaogi de vita et miraculis patrum Italicorum behandelt. Es folgt eine Darstellung über den Entstehungskontext und den Schreibanlass der Dialoge von Gregor dem Großen, wobei immer eine Gegenüberstellung oder Parallele zum modernen Dialog aufgezeigt oder gezogen wird. Danach werden die Zielsetzung und der Zweck Gregors Dialoge nachvollzogen. Sulpicius Severus, der die Wundertaten des heiligen Martinus in Gallien erzählte, war offenbar ein Vorbild von Gregor dem Großen, und so werden im fünften Kapitel auch Gregors Modellviten, nämlich die des Sulpicius Severus und die Vita Antonii des Athanasius angeführt. Anschließend geht es um den Aufbau und um die Sprache der Dialoge von Gregor, aber auch um ihre literarische Form. Im letzten Kapitel werden die Muster in Gregors Dialogen behandelt.

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1.1 Der Dialog, Bemerkungen zum Forschungsstand.

Vielfach wird der Dialog als eine natürliche, einfache Art der menschlichen Kommunikation gesehen und es wird zunehmend davon ausgegangen, dass es nicht notwendig sei, diesen näher zu betrachten oder darüber zu sprechen. Der Begriff Dialog wird sehr vielfältig verwendet und dementsprechend gibt es die unterschiedlichsten Ansichten dazu. Dialog ist nicht grundsätzlich als Unterhaltung zu sehen, sondern vielmehr als ein Instrumentarium, eine Methode der menschlichen Kommunikation und Interaktion. Dialog meint entweder die gezielt geführte mündliche Erörterung oder die schriftliche Wiedergabe eines solchen Gesprächs, respektive den fiktiv geführten, wiedergegebenen Dialog. Jürgen Mittelstrass schreibt dazu in ‚Das Gespräch, Versuch über den Sokratischen Dialog‘: „Im Unterschied zur Unterhaltung, die der gegenseitigen Darstellung dessen, was man ist, und was man meint, und der gegenseitigen Mitteilung dessen dient, was der Fall ist und was der Fall sein soll, folgt der philosophische Dialog als eine von dieser und anderen Formen des Gesprächs abgehobene Form sprachlicher Verständigung dem Zweck der (philosophischen) Wissensbildung.“1 Der moderne, bewusst gestaltete Dialog folgt im Unterschied zur Unterhaltung und als abgehobene Form sprachlicher Kommunikation einem Zweck, nämlich dem des lauten gemeinsamen Denkens mit dem Ziel einerseits die tief verwurzelten Überzeugungen an die Oberfläche zu bringen, und andererseits in der Folge durch Zuhören und in Frage stellen der eigenen Überzeugungen ein gemeinsames Bild, ein gemeinsames Neues zu schaffen. Was ist nun der ideale Dialog, beziehungsweise was macht den idealen Dialog aus? Es soll Perspektiven erweitern und ein gemeinsames, von allen Gesprächspartnern getragenes und geteiltes Neues, entwickeln und immer den prozessualen Charakter hervorheben. Es geht nicht zwingend um ein endgültiges Ergebnis. Im Vordergrund steht die Entwicklung des Dialogs selbst, die Weiterentwicklung des Gesprächs und nicht ein Ergebnis, sondern eine gemeinsame von allen geteilte Erkenntnis. Wolfgang Iser schreibt in ‚Das Gespräch, Zur Phänomenologie der Dialogregeln‘: „In Abhebung vom Gespräch, das in seinen Handlungszusammenhängen aufgeht, sah man im

1 MITTELSTRASS Jürgen, Versuch über den sokratischen Dialog, In: Das Gespräch, Herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer, München 1984,S. 11-27, S. 11. 9

‚idealen Dialog‘ die Unendlichkeit des Weiterredens, in der die situationsbedingte Finalität der Gespräche überstiegen ist.“2 Der Dialog bedeutet in der vorliegenden Arbeit auf der einen Seite eine bestimmte Art des miteinander Sprechens und einander Zuhörens, um fremde und eigene Gedankenfelder zu erkunden, um Gespräche mit mehr Bewusstsein zu führen. Auf der anderen Seite, geht es auch um die schriftliche Wiedergabe dieses Prozesses. Es ist jedoch fraglich ob jede schriftliche Wiedergabe eines Gesprächs als Dialog zu sehen ist, „[…] wobei Gespräch verstanden wird als mündlicher Gedankenaustausch zwischen Partnern, die einander unmittelbar gegenüberstehen. Darüber hinaus ist die Vorstellung, die mit dem Begriff Dialog bezeichnet wird, orientiert am Bild eines Dialogs als einer literarischen Kunstform eigener Art. Demnach ist nicht jede schriftliche Wiedergabe eines Gesprächs als Dialog anzusehen.“3 Peter von Moos unterscheidet in seinem Werk ‚Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II‘ vier Begriffe oder Abstufungen, die mit dem Dialog in Zusammenhang gebracht werden können: mündliches Gespräch, Dialogform, dialogische Gattung sowie den Begriff des ‚Dialogischen‘ oder auch das ‚ideale Gespräch‘. Letzteres entstammt dem sokratischen Modell („dem Mythos von der Ursymbiose oder der Utopie vom ‚herrschaftsfreien Diskurs‘) und hat eine normative Wirkung auf die anderen drei genannten Gattungen. Es erlaubt eine Abstufung der dialogischen Unterarten in mehr oder weniger echt beziehungsweise mehr oder weniger dialogisch. Weiters wird das Dialogische auch zur Beschreibung von Phänomenen verwendet, die nicht zu Formen der Wechselrede gezählt werden können, jedoch unmittelbar damit in Verbindung stehen. Dazu gehören zum Beispiel die ‚Dialogizität‘ von Bachtin, die eine ‚literarische Intertextualität‘ beschreibt, diese wurde früher als ‚Tradition‘ bezeichnet, sowie das ‚Gespräch mit dem Text‘ von Gadamer, das heute als literarische Hermeneutik bekannt ist oder der platonische Dialog der Platoforschung4. Moos weist jedoch auch darauf hin, dass moderne Dialogforschung vor allem versucht, den Begriff der ‚Dialogik‘ abzugrenzen, indem sie genau diesen letzten metaphorischen Ast des Dialogs abkoppelt und die Dialogik rein auf das Gespräch an sich (mündlich und synchron unter Bildung einer ‚Wir-Bindung‘) beschränkt. Diese Art der Kommunikation in ihrer Urform ist die Grundlage von Sprache und Literatur.5

2 ISER Wolfgang, Zur Phänomenologie der Dialogregel, In: Das Gespräch, Herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer, München 1984, S. 183-190, S. 183. 3 VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 13. 4 Vgl. dazu: TODOROV Tzevetan, Mikhail Bakhtine, le pricncipe dialogique, Paris (Seuil) 1981, S. 95ff. 5 Vgl. dazu: „Auf den ersten Blick scheint es einfach, zwischen dem realen mündlichen Gespräch, der ‚face-to- face‘-Kommunikation, und einer in Dialogform verfassten Schrift zu unterscheiden. […] Den wissenschaftlichen 10

Bernd Reiner Voss wiederum verwischt die Grenzen von Dialog und Gespräch. Er behauptet, dass gerade in jüngster Vergangenheit diese Begriffe im übertragenen Sinn auf geistige Begegnungen jeder Art ausgeweitet werden und zeigt damit eine Tendenz auf, die genau in die verkehrte Richtung zur vorher genannten Abgrenzung der ‚Dialogik‘ weist.6 Er verweist dabei auf Hirzel, der meint: „Dialog entsteht beinahe zwangsläufig, sobald eine geistige Bewegung den Menschen ergreift und - in der Wirklichkeit - zur Mitteilung im Gespräch führt.“7 Wenn wir die verschiedenen Formen des Dialogs genauer (auch in ihren geschichtlichen Kontext eingebettet) betrachten, werden Unterschiede, Gemeinsamkeiten sowie mögliche Einsatzbereiche deutlich. Wenden wir uns zunächst dem mündlichen, gezielt geführten Dialog zu, um später eine Gegenüberstellung mit dem frühchristlichen, schriftlich dargestellten Gespräch durchzuführen. Dieser moderne Dialog will über die klassische Auffassung von mündlichem Gespräch hinausgehen, er soll als Prozess gesehen werden zum Erkunden unserer Gesprächsmuster und Denkprozesse. Ein klassischer Vertreter dieses gezielt geführten Dialogs ist David Bohm. „Der Dialog, wie Bohm ihn versteht, ist ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung von Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. In diesem Prozess wird eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrung erkundet: unsere tief sitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung tradierter kultureller Mythen und die Art und

Diskurs erschwert jedoch ein vierter, meist nicht bestimmter Begriff: das ‚Dialogische‘. […] Das ‚ideale Gespräch‘, wie es etwa mit dem sokratischen Modell, dem Mythos von der Ursymbiose oder der Utopie vom ‚herrschaftsfreien Diskurs‘ assoziiert zu werden pflegt, wirkt als normatives Kriterium hinter der einfachen Dreiheit: mündliches Gespräch, Dialogform und dialogische Gattung. Man misst daran echte und unechte, mehr oder weniger dialogische Unterarten. Das Dialogische wird überdies in metaphorischer Weise auf Erscheinungen ausgedehnt, die weder empirisch noch alltagssprachlich etwas mit einer Wechselrede zu tun haben. So steht Bachtins ‚Dialogizität‘ für die literarische Intertextualität (oder das, was früher Tradition hieß), Gadamers ‚Gespräch mit dem Text‘ für die literarische Hermeneutik oder in der Platoforschung das ‚seine Buchhaftigkeit überwindende und seinen Gesprächspartner suchende Buch‘ für den platonischen Dialog. […] In Klammern sei dennoch angemerkt, dass die fortgeschrittenste Dialogphilosophie, […] einen dezidiert nicht-metaphorischen Weg geht, um gegen die monadologisch-solipsistische Subjektphilosophie das neue erkenntnistheoretische Paradigma einer ‚Dialogik‘ zu etablieren, die sich ausschließlich am konkreten Gespräch, an der nur mündlich, gegenseitig und synchron möglichen Wir-Bildung orientiert. Denn das Gespräch gilt hier nicht als irgendeine soziologische oder linguistische Spezialität, sondern als die Grundwirklichkeit der Sprache selbst, die jeweils einmalige ‚parole‘ eines ‚Wir‘-Subjekts, die noch vor aller systematischen ‚langue‘ und erst recht vor aller Literatur gegeben ist.“, MOOS von Peter, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 205. 6 „Die Begriffe Dialog und Gespräch sind in letzter Zeit vielfach in übertragener Bedeutung verwendet worden als Bezeichnungen für geistige Begegnungen im weitesten Sinn.“, VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 13. 7 VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 15, vgl. dazu auch: HIERZEL, Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, 1895, S. 366-380. 11

Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert. Am wichtigsten aber ist vielleicht die Auslotung der Art und Weise, in der das Denken […] nicht als objektives Abbild der Wirklichkeit, auf der kollektiven Ebene hervorgebracht und erhalten wird.“8 In einer Weise neigen wir doch alle dazu, unsere Wahrheit zur allgemeinen Wahrheit machen zu wollen. In Gesprächen kommt es dann oft vor, dass wir als Wissende auftreten, und anderen unsere Meinung, unsere Wahrheiten aufdrängen wollen. Wir treten nicht als Lernende auf, denn dies legt uns unsere kulturelle Konditionierung nahe. Die Haltung des Lernens zu verkörpern bedeutet oder erfordert Offenheit, und die Bereitschaft, zuzugeben, dass wir nichts wirklich wissen. Dieses Nicht-Wissen ist in unserer heutigen Gesellschaft verpönt. Unter Zuhilfenahme des modernen Dialogs wird jedoch klar, dass unsere Wahrheiten eigentlich nur Annahmen sind. Viele Verhaltensmuster sind in der frühen Jugend gewissermaßen programmiert worden, uns sozusagen in die Wiege gelegt worden, weswegen wir die gegenwärtige Welt durch ein Muster aus alten, vielleicht veralteten Daten interpretieren. Das tun wir meist unbewusst. Laut Bohm sind es nicht diese Annahmen an sich, die schädlich sind, denn gerade sie sind es, die uns helfen, die Welt um uns herum zu ordnen, damit wir uns zurechtfinden. Gefährlich wird es nur, wenn wir aus den Augen verlieren, dass es eben doch nur Annahmen sind, „subjektive Interpretationsfolien von Situationen, Ereignissen“. Ist dieses Detail nicht gut genug in unserem Bewusstsein verankert, können diese durch Erziehung, Kultur und Umfeld bestimmten Abbilder der Wirklichkeit zu Missverständnissen und Konflikten aller Art führen. „Aus diesem Grund schlug Bohm vor, wir sollten im Dialog üben, unsere Annahmen offen zu legen und sie zu suspendieren, in der Schwebe halten, sozusagen sichtbar machen.“9 Charles Olson drückte es so aus: „Was immer Du zu sagen hast, lass die Wurzeln daran, lass sie hängen. Mitsamt der Erde, um klarzumachen, woher sie kommen.“10 Es erfordert einerseits sehr viel Selbstbewusstsein, im Sinne von ‚sich seiner selbst bewusst zu werden‘, um offenzulegen, woher unsere Annahmen und unser Wissen kommen, also den Werdegang unserer Annahmen, Bewertungen und unserer Schlussfolgerungen offenzulegen.

8 LEE Nicol: Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussion, 6. Auflage, Stuttgart 2011, S. 7f. 9 Vgl. dazu: „Annahmen über die Welt sind notwendig und nützlich, sie ermöglichen es uns, zu handeln und unsere Handlungen mit anderen abzustimmen. Wenn wir jedoch die Tatsache aus den Augen verlieren, dass unsere Annahmen subjektive Interpretationsfolien von Situationen, Ereignissen aus dem Universum als Ganzem sind, werden sie problematisch. Unsere individuell unterschiedlichen Glaubenssätze, Interpretationen und Annahmen liefern den Zündstoff für endlose Missverständnisse und Konflikte.“; HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 84f 10 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 91. 12

Andererseits erfordert es auch sehr viel Einfühlungsvermögen, unsere Verschleierungen und die Verschleierung der Gesprächspartner zu erkunden, und an die Oberfläche zu bringen. Wenn wir bei der Beobachtung überlegen, welche Daten wir auswählen, so könnte man dies mit den Sprossen der Leiter der Schlussfolgerung veranschaulichen. Die mittleren Sprossen der Leiter werden nicht wirklich genützt, sondern hauptsächlich die ersten, die den Daten der Beobachtung entsprechen und die letzten Sprossen, die wir quasi mit einem Sprung erreichen. Die letzten Sprossen entsprechen unseren Handlungen.11 Wir gehen bei unserem Sprechen und Handeln davon aus, dass unsere Gesprächspartner die gleiche Sicht der Dinge, die gleichen Vorkenntnisse und den gleichen Wissensstand haben und wundern uns oft über Missverständnisse, über die Tatsache, dass sie unsere ‚Gedankensprünge‘ nicht nachvollziehen können. Unsere Erwartungen können etwa nicht erfüllt werden, weil sie auf mentalen Modellen, oder Vorurteilen beruhen, die nur wir kennen, und nur wir wissen was wir bewirken wollen. Wir sollen uns im Dialog jedoch darauf einlassen, offen miteinander zu sprechen, und nicht versuchen, entweder Macht auszuüben, oder soziale Anerkennung zu bekommen. Wir sollen also sozusagen unsere Erwartungen ‚in der Schwebe halten‘, aber auch versuchen, frei zu sein davon, den Erwartungen der anderen zu entsprechen, da es um einen gemeinsamen Zweck, um einen gemeinsamen Sinn gehen soll. Dazu müssen wir uns bewusst sein, dass wir uns in einem sozialen Gefüge, in der Gesellschaft, bestimmter Regeln oder Muster bedienen, die es offenzulegen gilt, damit wir uns nicht in Erwartungen, Berechnungen und Missverständnissen verstricken. Pierre Bourdieu schreibt in seinem Buch ‚Sozialer Sinn‘: „Eine theoretische Konstruktion, die rückblickend die Gegengabe in die Gebensabsicht hineinverlegt, verwandelt nicht nur die zugleich riskante und unvermeidliche Improvisation der Strategien des Alltags, die deswegen so unendlich komplex sind, weil die stille Berechnung des Schenkers mit der stillen Berechnung des Beschenkten rechnen, also dessen Ansprüche erfüllen und dabei so tun muss, als kenne sie diese nicht, in mechanische Verkettung von Pflichthandlungen.“12

11 Vgl. dazu: „Wie wir Daten auswählen - was wir weglassen, und genauso, was wir hinzufügen - hat eine enorme Bedeutung dafür, wie wir ein Ereignis oder Umstände bewerten und wie wir im Endeffekt handeln. […] Wenn wir die Leiter der Schlussfolgerungen hochklettern […] wir können die Sprossen der Leiter als Sprünge verstehen: von Daten und Fakten zu Annahmen, über Meinungen und Bewertungen und Schlüssen zu Handlungen. Symbolisieren die Sprossen abstrahierende Entwicklungsschritte, können wir die Seitenteile der Leiter als Grenzen unseres Weltbildes sehen. Die Grenzen unseres mentalen Modells halten die Leiter in unserem Kopf zusammen und machen uns die Weltsicht, die wir entwickelt haben, plausibel.“; HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 90. 12 BOURDIEU Pierre, Sozialer Sinn, Kritik der theoretischen Vernunft, übersetzt von Günther Seib, Frankfurt am Main, 1987, S.205. 13

So ist es also ein Ziel, im Dialog die rasch hintereinander ablaufenden Reaktionen, die aus unseren unbewusst gespeicherten Mustern entstanden sind, abzubrechen und dies gelingt durch Innehalten oder Verlangsamung, durch Achtsamkeit, und durch das Offenlegen der unterschiedlichen Meinungen, Erwartungen und Berechnungen, die gewissermaßen in den Unterschieden des kulturellen und symbolischen Kapitals liegen. Wir können so im Dialog, im Gespräch nicht davon ausgehen, dass ein-und-dieselbe Berufsausbildung oder Schulausbildung auch ein-und-dasselbe Wissen mit sich bringt, und demzufolge können wir nicht vom gleichen Wissensstand ausgehen, nicht von der gleichen Bedeutung. Je mehr wir also unser Gegenüber daran teilhaben lassen, wie wir zu unserem Wissen gekommen sind und wie der Stand unseres Wissens ist, desto eher können Missverständnisse vermieden werden. Pierre Bourdieu grenzt von dem geerbten Kapital das ‚kulturelle Kapital‘ folgendermaßen ab. „Die durch den Rekurs auf Bildungskapital nicht zu erklärenden Geschmacksunterschiede, die sich hauptsächlich in Verbindung mit der sozialen Herkunft manifestieren, können mithin aus Unterschieden im Erwerb des aktuell in Besitz befindlichen kulturellen Kapitals herrühren; können aber auch auf Unterschiede im Grad der Anerkennung und Absicherung dieses Kapitals durch einen schulischen Abschluss beruhen: durchaus möglich, dass ein mehr oder minder beträchtlicher Teil des unmittelbar von der Familie geerbten oder auch schulmäßig erworbenen Kapitals von keinem Abschluss gekrönt wurde. Bedingt durch den fortwirkenden Einfluss des Aneignungsmodus kann ein-und-derselbe Schulabschluss oder Hochschultitel höchst unterschiedliche Beziehungen zu Kultur und Bildung implizieren.“13 Diese (falsche) Erwartungshaltung der Gesprächspartner kann durch wahrhaftes Zuhören relativiert werden. Wenn kein wahrhaftes Zuhören gegeben ist kommt es oft nur noch zu Interpretationen von Denk- oder Sprechmustern und der gemeinsame Zweck oder das gemeinsame Thema des Gesprächs geht verloren. Der Zweck jedoch sollte über das Gespräch hinausgehen, um ein gemeinsames Neues zu schaffen. „Ein Dialog hat ein – notfalls abstrakt formulierbares – Thema, das über die Gesprächssituation hinausweist.“14 Damit bleibt das Hauptaugenmerk während des Dialogs auf dem Prozess, der stattfindet. Wenn wir uns unserer Vorurteile, unserer ‚mentalen Modelle‘ bewusst sind, gelingt es uns eher, im Dialog ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen. Es kann so gewissermaßen ein Wandlungsprozess entstehen und wir können so zu neuen Einsichten gelangen. Es geht im bewusst gestalteten, modernen Dialog nicht darum, Zustimmung zu

13 BOURDIEU Pierre, Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, übersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer, Frankfurt am Main 1982, S. 143. 14 VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 13. 14 erreichen, sondern um ein neues Verständnis, um eine neue Art des Denkens und des Handelns im Einklang mit unseren Werten.15 Martin Buber, auf den ich später noch genauer eingehen werde, schreibt: „Im echten Gespräch geschieht die Hinwendung zum Partner in aller Wahrheit, als Hinwendung des Wesens also. […] das dem Sprecher in diesem Augenblick mögliche Maß der Vergegenwärtigung üben. Die erfahrenden Sinne und die Realfantasie, die das von ihnen Befundene ergänzt, wirken zusammen, um den anderen als ganze und einzige, als eben diese Person gegenwärtig zu machen.“16 Wie schon erwähnt, ist es in der Folge einerseits notwendig, die eigenen Wahrheiten und das eigene Wissen in der Schwebe zu halten, es ist jedoch auch erforderlich, den Wunsch, Macht ausüben zu wollen, hinten anzustellen; sei es mit der Sprache, der Mimik und der Gestik oder mit der eigenen Position oder dem Rang in der Gesellschaft. In Dialogrunden haben alle Teilnehmer den gleichen Rang und den gleichen Status. Es geht darum, die Funktion und den Status sozusagen in der Schwebe zu halten, eine gewisse Symmetrie unter den Gesprächspartnern zu schaffen. Linda Ellinor und Glenna Gerard, die den Dialog im Unternehmen einsetzen, schreiben dazu: „Die Funktion im Unternehmen und der Status spielen eine gewichtige Rolle bei der Art, wie wir Menschen sehen und mit ihnen interagieren. Sie können es fast unmöglich machen, ein nivelliertes ‚Spielfeld‘ zu schaffen, auf dem Unterschiede respektiert werden und Gesprächsbeiträge nicht aufgrund von mit Funktionen und Autorität assoziierten Erwartungen eingeschränkt werden. Selbst in Gruppen von Gleichgestellten gibt es unausgesprochene Regeln und Autoritätsbeziehungen. Es ist schwer für uns, das einfach als unwesentlich abzutun oder ‚an der Garderobe abzugeben‘.“17 Diese unausgesprochenen Regeln sind

15 Vgl. dazu: „Ein Dialog erfüllt weit tiefere und verbreitetere Bedürfnisse als das schlichte ‚Erreichen von Zustimmung’ […] Im Dialog geht es um ein neues Verständnis, d.h. um die Entwicklung einer ganz neuen Basis des Denkens und Handelns. Im Dialog werden Probleme nicht nur gelöst, sondern aufgelöst. […] Und wir wollen ein gemeinsames Bedeutungsfundament freilegen, das uns hilft, unser Handeln mit unseren Werten zu koordinieren und in Einklang zu bringen.“; ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur in Organisationen,2. Auflage, Berlin 2011, S.29. 16 BUBER Martin, Das dialogische Prinzip, Ich und Du Zwiesprache, die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 293 17 ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 135 „Dialog und Macht: Manöver-Dialog: Funkstation 1:‘Bitte ändern sie ihren Kurs um 15° nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden.‘ Funkstation 2: ‚Empfehle, sie ändern ihren Kurs um 15° nach Süden.‘ Funkstation 1: ‚Hier spricht der Kommandant eines US-Kriegsschiffes. Ich wiederhole: Ändern sie ihren Kurs!‘ Funkstation 2: ‚Nein. Sie ändern den Kurs!‘ Funkstation 1: ‚Dies ist der Flugzeugträger Enterprise. Wir sind ein sehr großes Kriegsschiff der US-Navy. Ändern Sie den Kurs - und zwar jetzt.‘ Funkstation 2: ‚Wir sind ein Leuchtturm. Over to you.‘ (Von der US-Kriegsmarine 1995 frei gegebenes Sprechprotokoll des Flugzeugträgers USS Enterprise).“ 15 gewissermaßen Rituale und wie die meisten anderen Rituale oder Gewohnheiten in unserem Leben sehr schwer zu erkennen und noch schwerer aufzugeben. Zum Thema Dialog und Macht stellen sich Martina & Johannes Hartkemeyer und Dhorithy L. Freeman die Frage: „Wie kann ein Dialog beginnen, an dessen Anfang ja die aufrichtige Infragestellung aller Gewissheiten, die ich als festes Bild in mir trage, stehen sollte? Wie kann ein Dialog in einer Situation eingeführt werden, die völlig verhärtet ist?“18 Im Dialog, im echten Gespräch, geht es darum, radikalen Respekt zu üben, also nicht nur die Gesprächspartner als die Personen, die sie sind, zu akzeptieren, sondern auch zu versuchen, die Welt aus ihrer Perspektive zu sehen, und dies erfordert ein gewisses Quantum an Aufgabe der eigenen Macht. Indem ich mich auf die Gesprächspartner einlasse, mir also ihre Geschichte, ihr Leben vergegenwärtige, muss ich meine Sicht der Dinge zurückstellen und damit gewissermaßen auf Macht verzichten. In vielen Gesprächen geht es nicht um den Zweck sondern um Macht, das war früher so und ich denke das ist es auch jetzt noch. schreibt in seinem Buch ‚Die Macht der Rituale‘: „Weit mehr als Historiker haben Soziologen Begriff und Inhalt der Macht seziert und herausgearbeitet, in welchen Formen Macht von Menschen über Menschen begegnet, wie sie etabliert, stabilisiert und nicht zuletzt legitimiert wird.“19 Laut Heinrich Popitz ist ‚Macht‘ in einem anthropologischen Sinn das, was der Mensch vermag, quasi das Vermögen, sich gegen fremde Mächte durchzusetzen. Er unterscheidet vier Grundformen oder Durchsetzungsformen der Machtausübung: ‚Aktionsmacht‘, ‚instrumentelle‘, ‚autoritative‘ und ‚datensetzende Macht‘. ‚Aktionsmacht’ ist die Fähigkeit, sich mit Gewalt durchzusetzen. ‚Instrumentelle Macht’ ist die Möglichkeit, schon durch die latente Drohung der Anwendung von Gewalt, durch die Bereitschaft, notfalls Gewalt zu gebrauchen, das gleiche Ziel zu erreichen. ‚Autoritative Macht‘ meint jenes Prestige, das Gehorsam und Gefolgschaft aus den unterschiedlichsten Gründen erreicht, entweder durch eine übernatürlich-sakrale Legitimierung, oder durch die Attraktivität der Belohnungen, die dem Gehorsam auf dem Fuße folgen.20

18HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 23. 19 ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S. 10. 20 Vgl dazu: POPITZ, Heinrich, Phänomene der Macht, Tübingen 1992, S. 22-32, „Macht haben Menschen über andere Menschen aufgrund ihrer technischen Handlungsfähigkeit, ihrer herstellenden Intelligenz. Machtbetroffen durch technisches Handeln werden wir auf Grund unserer Gebundenheit an eine artifiziell veränderte Objektwelt, die ganz oder teilweise immer schon von anderen hergestellt ist. So wie es unabdingbar ist, dass das ‚tool making animal’die Bedingung seiner Existenz künstlich herstellt, so ist es unabdingbar, dass der Mensch Machtentscheidungen in die Dinge einbaut. (Datensetzende Macht).“ Die Datensetzende Macht ist allerdings für das Mittelalter nicht relevant. Vgl. dazu auch: ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S. 10f. 16

In gewisser Weise treffen einander die Begriffe Ritual und Macht auch im Dialog. Zum einen, da Rituale in einer gewissen Weise auf mentalen Modellen21 beruhen, und etwa eine Reflexion über Worte und Handlungen oder gar Gesten ausschließen weil der Begriff Ritual Reflexion zwar nicht notwendigerweise ausschließt, jedoch wird der Begriff vielfach im Sinn eines eher unreflektierten Vorgangs verstanden.22 Zum anderen ist auch die Form, oder die Art und Weise, wie wir einen Dialog führen, gewissermaßen ein Ritual, denn bei jeder Dialogrunde, letztlich bei jedem gezielt geführten Gespräch, geht es immer und immer wieder darum, bestimmte Vorkehrungen zu treffen, auf die ich später noch näher eingehen werde. Wenn ich meine, dass die Art und Weise wie wir einen Dialog führen sozusagen eine Art Ritual ist, stellt sich freilich die Frage nach der Definition von Ritual. Die Verwendung des Begriffs ist vorwiegend im Bereich von Religion und Kult zu finden. Die Rituale hatten einen magisch-geheimnisvollen Charakter und sie wurden in einem mimetischen Verhältnis zur kosmischen Schöpfung gesehen, wobei sich die Verwendung des Begriffs ‚Ritual‘ nicht nur für religiös, kultische Handlungen hält.23 Bereits Sigmund Freud24 verwendet den Begriff ‚Ritual‘, er beschrieb damit zwanghafte Handlungen seiner Patienten. In weiterer Folge wurden Rituale als ‚leere Rituale‘ bezeichnet, wenn sie der Abwehr tief liegender Konflikte dienen sollten. Von da an wurde der Ritualbegriff erweitert auf alle Formen von Verhalten, das mehr oder weniger unbewusst wiederholt, oft weit verbreitet zur Anwendung kommt. „Man wird viel mehr akzeptieren müssen, dass unter der Bezeichnung ‚Ritual‘ durchaus unterschiedliche Phänomene versammelt werden. Gemeinsam ist ihnen in erster Linie, dass es sich um Ketten von Handlungen, Gesten und auch Worten handelt, die Mustern verpflichtet sind, sich wiederholen und so einen Wiedererkennungseffekt erzielen.“25

21 Mentale Modelle sind tief verwurzelte Annahmen, Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln. Sehr häufig sind wir uns diese mentalen Modelle oder ihre Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst. […] Mentale Modelle über mögliche Handlungsalternativen in unterschiedlichen Managementsituationen sind nicht weniger fest verwurzelt. Viele Erkenntnisse über neue Marktmöglichkeiten oder über veraltete Organisation werde nicht praktisch umgesetzt, weil sie im Widerspruch zu stummen, aber machtvollen mentalen Modell stehen.“ SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 17. 22 Vgl. Dazu: LUHMANN Niklas, Soziale Systeme, Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main, 1984, S. 613, vgl. dazu auch: POHL Walter, Staat und Herrschaft im Frühmittelalter: Überlegungen zum Forschungsstand, S. 17. 23 Vgl. dazu: ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S. 12. 24 Vgl. dazu: ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S.12, dazu auch: HEINE Susanne, Grundlagen der Religionspsychologie. Göttingen, 2005. 25 ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S.12f. 17

In der Kommunikation und Interaktion geht es im Gegensatz zum Dialog oft oder meist um Macht, wo es um Rangordnung geht und darum, seinen Willen durchzusetzen, wobei es oft darauf ankommt sich auf ein komplexes rituelles Szenario einzulassen, das mit allen Beteiligten abgesprochen, und mehr oder wenigen angenommen werden muss. Walter Pohl schreibt in ‚Staat und Herrschaft im Frühmittelalter: Überlegungen zum Forschungsstand‘ über Macht und Ritual: „Bedient sich die Macht des Rituals, eröffnet sie damit zugleich ein Spannungsfeld zwischen der primordialen Aura und der Gemachtheit der Rituale. Die Rituale sind dann nicht mehr rein typologisch oder gar in ihrem Wesen zu erfassen, sondern, entsprechend der methodischen Forderung von Catherine Bell26, nur mehr in ihrem sozialen Umfeld historisch zu interpretieren.“27 Darüber, was Macht ist, hat Gilles Deleuze in seinem Buch ‚Foucault‘ folgende Definition anzubieten: „Macht ist ein Kräfteverhältnis, oder vielmehr, jedes Kräfteverhältnis ist ein Machtverhältnis.“28

Wie schon erwähnt, ist der moderne, gezielt geführte Dialog eine besondere Art, miteinander zu sprechen, es geht nicht um Macht und nicht um Überzeugen, sondern um ein gemeinschaftliches Erkunden der Gesprächs- und Denkmuster. Im bewusst gestalteten Dialog, der in Gesprächs- bzw. Dialogrunden geführt wird, gilt es gewisse Rahmenbedingungen oder Spielregeln einzuhalten. Diese Spielregeln sind sozusagen ein rituelles Szenario, auf das sich die Gruppenteilnehmer einlassen (daher meine vorherige Bezeichnung des Dialogs selbst als Ritual). Auch in der sozialen Umgebung, in dem System und in der Gesellschaft, in der oder dem wir leben, lassen wir uns in gewisser Weise auf die Regeln und Rituale dieser Gesellschaft oder dieses Systems ein. Es gilt im praktischen Dialog zuerst, einen Vertrauensraum, den ‚Container‘29 zu schaffen, wo es von allen anerkannte Regeln und Rituale einzuhalten gilt. Dies geschieht mit der

26 Vgl. dazu: BELL Catherine, Ritual Theory, Ritual Practice, New York 1992. 27 POHL Walter, Staat und Herrschaft im Frühmittelalter: Überlegungen zum Forschungsstand, S.21, In: Staat im frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie, Walter Pohl, Helmut Reimitz, Wien 2006, S.9-38. 28 „[…] Weiterhin tritt die Kraft niemals im Sinn auf; zu ihren Wesen gehört es , dass sie mit anderen Kräften in Beziehung steht, so dass jede Kraft bereits in einer Beziehung steht, d.h. Macht ist: die Kraft besitzt kein anderes Objekt, kein anderes Subjekt als die Kraft. Man darf hierin keine Rückkehr zum Naturrecht sehen, weil das Recht seinerseits eine Ausdrucksform, die Natur eine Form der Sichtbarkeit und die Gewalt eine Begleiterscheinung oder eine Folge, nicht aber ein Konstituens der Kraft darstellt. […] Die Gewalt zielt auf die Körper, auf Gegenstände oder bestimmte Entitäten, deren Form sie zerstört oder verändert, während die Kraft kein anderes Objekt besitzt als andere Kräfte, kein anderes Sein hat als das eines Verhältnisses: Sie ist eine Handlung (action), die auf andere Handlungen, auf mögliche oder wirkliche, künftige oder gegenwärtige Handlungen einwirkt, eine Gesamtheit von Handlungen, die auf potentielle Handlungen einwirkt.“, DELEUZE Gilles, Foucault, übersetzt von Hermann Kocyba, Frankfurt am Main 1992, S. 99. Vgl. dazu: FOUCAULT Michael, Analytik der Macht, Frankfurt am Main, 2005. 18

Einführung in die dialogischen Kernelemente durch den Dialogbegleiter und freilich mit der Übernahme der Verantwortung aller Gruppenmitglieder für den gemeinsamen Prozess. Weiters ist es die Aufgabe des Dialogbegleiters, diesen ‚Container‘ in der Folge aufrechtzuerhalten. Dies erfolgt durch eine gemeinsame Vertrauensbasis und durch die Einhaltung der zehn Kernfähigkeiten im Dialog.30 Allen Gruppenmitgliedern muss während des gesamten Dialogs die Klarheit des Zwecks31 im Hinterkopf bleiben. Letztlich geht es im Dialog um ein Verlangsamen, was in der heutigen Zeit oft gar nicht so einfach ist. Denn oft stellt man sich die Frage: „Können wir es uns heutzutage überhaupt leisten, Prozesse und Gespräche bewusst zu verlangsamen, während uns unsere Alltagserfahrung lehrt, dass nur gewinnt, wer als erster am Ziel ist? Oder müssen wir die Frage anders stellen: Können wir es uns leisten, uns durch den Alltag hetzen zu lassen, ohne innezuhalten und unser Ziel zu überprüfen?“32 So geht es im Dialog um ein Hinterfragen des Handelns und des Sprechens, und in der Folge um ein Hinterfragen und um ein Verändern der Art des Denkens. Aus diesem Denken resultieren ja unsere Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Handlungen. In diesem Sinne ist der Dialog sozusagen als eine Disziplin oder Methode des ‚mit-einander‘ Denkens und Redens, des gemeinschaftlichen Erkundens, des gemeinsamen Verstehens zu sehen. Es soll versucht werden, den Kontakt zu den verborgenen Quellen unseres Denkens herzustellen, um die Grundlagen wahrzunehmen, und die Folgen zu verändern. Hartkemeyer Martina & Johannes F. und Dhorithy L. Freeman beschreiben in ihrem Buch ‚Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs‘ eine so genannte ‚kollektive Intellligenz‘, die für sie als Ziel des Dialogs gilt und sich aus den individuellen Möglichkeiten eines jeden einzelnen ergibt, sobald sie auf einer Ebene zusammengeführt werden. Als Beispiel werden

29 „Die Schaffung eines gemeinsamen Behälters oder ‚Containers‘, als sicherer Vertrauensraum für die Mitglieder einer Dialogrunde, ist Voraussetzung für das Gelingen des Prozesses. Dieses Ziel ist eine permanente Herausforderung an alle Beteiligten“. HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 44. 30 Zehn Kernfähigkeiten im Dialog: Die Haltung des Lernens verkörpern, radikaler Respekt, Offenheit, von Herzen sprechen, wahrhaftes Zuhören, Verlangsamung, Annahmen und Bewertungen suspendieren, eine erkundende Haltung üben, und den Beobachter beobachten. All dies verlangt, sich von der Haltung zu distanzieren, Macht ausüben zu wollen. 31„Die Gruppe muss sich im klaren darüber sein, dass es der Zweck ihres Zusammenseins ist, einen Dialog miteinander zu führen, d.h. die Kernfähigkeiten des Dialogs zu üben, bzw. zu lernen – und eben keine Diskussion zu haben, kein spezifisches Problem zu lösen und keine Entscheidung zu treffen und noch nicht einmal einen Konsens zu erreichen.“ HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 46. 32 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 18. 19 die Indianer genannt, die in ihren Tipis beisammen saßen und auf ihre Art und Weise Dialog praktizierten, indem sie einfach so lange redeten, „bis jeder wusste, was zu tun war.“ 33 Um den Dialog noch besser darzustellen, hilft vielleicht eine Gegenüberstellung der Begriffe Dialog und Diskussion beziehungsweise Debatte. Bei der Diskussion und der Debatte, geht es darum, die Unterschiede zwischen den Teilen bzw. den Meinungen der Gesprächspartner aufzuzeigen. Es werden die eigenen Meinungen oder eigenen Wahrheiten und Überzeugungen vehement verteidigt, und das Verteidigen dieser Meinungen und das Überreden und Überzeugen der anderen ist vorrangig. Die Diskussion und die Debatte wollen zu einer Lösung, zu einem Konsens führen, es ist gewissermaßen kein gemeinsames Erkunden mit Worten, sondern ein Widerlegen der Worte der Dialogpartner. Jürgen Mittelstrass schreibt: „Auch der Sokratische Weg der Dialektik kennt den ‚Streit mit Worten‘ und die ‚Widerlegung‘ des Dialogpartners, doch werden im Sokratischen Dialog eristische Elemente, die der faktischen Durchsetzung der eigenen Meinung und des eigenen Willens dienen, durch elenktische Elemente ersetzt. Diese charakterisieren denjenigen Argumentationsteil, der Scheinwissen als solches erkennbar werden lässt. Darin ist auch das elenktische Verfahren nicht, wie das eristische Verfahren, durch den ‚Betrug mit Worten‘, sondern durch die Befolgung eines Wahrhaftigkeitspostulats bzw. eines expliziten Betrugsverzichts charakterisiert. Sein Ziel ist die begründete Übereinstimmung (Homologie), nicht die bloße Durchsetzung partikulare Positionen.“34 Bei der dialektischen Intention gibt es also zum einen die Sophistische (eristische) Intention, und zum anderen die Sokratische (elenktische) Intention, diese ist wiederum in Verständnisintention (‚praktische Intention‘) und in die Begründungsintention (‚theoretische Intention‘) eingeteilt. Im modernen, bewusst geführten Dialog also, anders als in der Debatte oder in der Diskussion und ähnlich dem Sokratischen Dialog, gilt es eine vertraute Gesprächskultur aufzubauen und zu erhalten, zur Erzielung einer gemeinsamen, untereinander geteilten Bedeutung. Es soll das Ganze unter den Teilen gesehen werden und eine Beziehung zwischen den Teilen hergestellt werden. Es besteht kein Druck zur Übereinstimmung oder zu einem einzigen abschließenden Ergebnis, es geht eher darum, die Perspektiven zu erweitern und ein gemeinsames Bild statt einer Lösung zu schaffen.35 Denn in einem solchen Bild können

33ZOHAR Danah in: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 75. 34 MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 15. 35 Vgl. dazu: „Die Hauptfrage, die sie sich stellen sollten, wenn sie überlegen, ob das Gespräch eher dialogisch oder eher diskussionsorientiert ist, lautet, ob die Hauptintention der Teilnehmer ist, auf ein Ergebnis zu drängen und eine einzige Perspektive auszuwählen, oder aber die, voneinander zu lernen und eine untereinander geteilte 20 unterschiedliche Meinungen und Annahmen durchaus nebeneinander existieren, was bei einer durch Diskussion und Debatte zwanghaft herbeigeführten Lösung nicht der Fall ist. Wir treten im Dialog sozusagen nicht als Wissende auf, die ihr Wissen, ihre Wahrheiten verteidigen, worauf wir durch unsere Erziehung beziehungsweise von der Gesellschaft konditioniert wurden, sondern als Lernende. 36 Wenn wir also aufeinander bezogen sind, kann unser Wissen, unsere Position nicht mehr eindeutig sein, wir müssen uns daher von den eigenen Gewissheiten lösen. Im modernen, bewusst geführten Dialog ist die Haltung jene, so könnte man sagen: ‚Ich weiß nicht, aber ich will wissen‘. Es geht um den wechselseitigen Austausch von Wissen, im ‚aufeinander bezogen sein‘, und in weiterer Folge darum, auf das Ganze bezogen zu sein. Dies entspricht auch in einer Weise dem ‚Hermeneutischen Zirkel‘37. Man könnte den Hermeneutischen Zirkel als eine Bewegung des Verstehens sehen. Das Verstehen geht in einer Runde von Gesprächspartnern, oder (etwas abstrakter) zwischen einem Text und dem Leser oder einem Kunstwerk und seinem Betrachter, von einem zum anderen aber auch wieder zurück, quasi in einer Wechselwirkung, wodurch das Verständnis sozusagen erweitert wird. Das bedeutet, etwas zu verstehen heißt, einem Gesprächspartner einem Text oder einem Kunstwerk vorerst mit einer konkreten Erwartung oder Vorstellung entgegenzutreten, um diese dann während des Eindringens in den Sinn, oder während des ‚Sicheinlassens‘ auf den Sinn des Gegenübers beständig zu hinterfragen und gegebenenfalls auch zu revidieren. Diese Erwartung ist zu sehen als eine Vormeinung oder auch ein Vorurteil zum jeweiligen Inhalt oder Thema. Um das Gegenüber zu verstehen, genügt es nicht, dessen Sinn quasi in die eigene Vormeinung zu integrieren, man muss vielmehr den Willen aufbringen, die Geltung und Herkunft der eigenen Vormeinung oder des Vorurteils zu überprüfen und in Beziehung zum Sinn des Gegenüber zu setzen. Es entwickelt sich dann gewissermaßen eine umfassende Wahrheit, im Sinne einer Perspektiven- oder Horizonterweiterung, wie es eben auch im modernen, bewusst gestalteten Dialog geschieht.

Bedeutung aufzubauen, die alle Perspektiven einschließt.“ ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 28. 36Vgl. dazu: „Unsere kulturelle Konditionierung legt uns nahe, als Wissende aufzutreten. Die Haltung des Lernens dagegen erfordert Offenheit von uns, Anfängergeist und die Bereitschaft, sich einzugestehen, dass ich nichts wirklich weiß. HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 78. 37 Wilhelm Dilthey nannte den hermeneutischen Zirkel: „The problem inherent in the (surely correct) observation that the whole of a cultural product (be it a literary or philosophical opus, or the entire work of a thinker of a period) can only be understood, if one understands its component parts, while these parts in their turn can be understood only by understanding the whole.” RESCHER Nicholas, Methodological pragmatism: a systems-theoretic approach to the theory of knowledge, S. 103, vgl.dazu: DILTHEY Wilhelm, Gesammelte Schriften, Band VIII, Stuttgart und Göttingen 1960. 21

Diese Erweiterung ist gewissermaßen ein ‚Lernen‘. Jeder Mensch ist unser Lehrmeister, zwar ist niemand perfekt und vollkommen, aber die Neugierde, der Wunsch, das Wissen zu erweitern, quasi über sich hinauszuwachsen, ist ein mögliches Ziel. Der Zen Meister Suzuki meint dazu: „Wo immer ihr seid, da ist Erleuchtung. Nichts von dem, was wir hören oder sehen, ist vollkommen. Aber da, mitten in der Unvollkommenheit, ist die vollkommene Wirklichkeit. […] Übung und Erleuchtung sind eins. Übung ist etwas, das ihr bewusst macht, etwas, das ihr mit Bemühung macht. Da! Genau da ist Erleuchtung.“38 Wenn wir im modernen, bewusst geführten Dialog voneinander und miteinander lernen wollen, und das ist Zweck des Dialogs, dann ist es notwendig, dass es keine hervorgehobenen Protagonisten, keine Meister, keine Wissenden gibt, sondern ebenbürtige Gesprächspartner, es soll sozusagen ein ‚herrschaftsfreier Diskurs oder Dialog‘ quasi ein ‚ideales Gespräch‘ geführt werden. Dialog kann so auch als Lehrgespräch gesehen werden, oder vielmehr das Lehrgespräch kann zum Dialog werden, wenn die Asymmetrie zwischen den Gesprächspartnern in Richtung Symmetrie geht. Günther Buck schreibt über das Lehrgespräch und den ‚herrschaftsfreien‘ Dialog: „[…] So verstanden erfüllte das Lehrgespräch in der Tat die Norm, ‚herrschaftsfreier‘ Dialog zu sein: herrschaftsfrei insofern, als es der Sinn vernünftiger Lehre und aller ‚Bildung‘ ist, die Differenz zwischen Wissen und Noch-nicht-Wissen, zwischen Können und Noch-nicht- Können in der totalen Mitteilung (Mit-teilung) zum Verschwinden zu bringen. […] Das Lehrgespräch steht unter dem Anspruch, ein Dialog zu werden, als eine Wechselrede sich gegenseitig akzeptierender Mündiger wenigstens zu enden. Das aber setzt voraus, dass es von Anfang an irgendwie ein Dialog, eine Wechselrede Mündiger schon ist! Denn wie sollte es möglich sein, herrschaftsfreie Mitteilung mittels einer Verständigung zu erzeugen, die auf der Überlegenheit des Lehrmeisters beruht?“39 Das bedeutet sozusagen, dass im Dialog, oder wenn man so möchte, im ‚Lehrdialog‘ oder ‚Lehrgespräch‘ alle Gesprächsteilnehmer bezüglich ihres Wissensstandes dort abgeholt werden, wo sie stehen zum einen, und dass alle im Dialog den gleichen Rang haben. Es besteht so eine Symmetrie zwischen den Gesprächspartnern. Die Gesprächspartner vertrauen einander und akzeptieren einander. Die Differenz des Wissens soll verringert werden, durch ein Miteinander, durch geteilte Meinung (die aber nicht dieselbe sein muss). Zum Thema Lehrgespräch schreibt Günther Buck über Aristoteles` ‚Logos didaskalikos‘.

38 SUZUKI Shunryu, Seid wie reine Seide und scharfer Stahl, Das geistige Vermächtnis des großen Zen- Meisters, 2. Auflage, München, 2006, S. 187ff. 39 BUCK Günther, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 192. 22

Er arbeitet dabei heraus, wie Aristoteles sich das Lehren der Wissenschaft vorstellt. Ein immer wiederkehrender Begriff ist hierbei die ‚Apodeixis‘, die eine absteigende Ordnung der wissenschaftlichen Inhalte bezeichnet, wobei das Besondere dem Allgemeinen der jeweiligen Wissenschaft untergeordnet ist und dieses wiederum unter allgemeinen Gesetzmäßigkeiten steht. Das Lehren der Wissenschaft beruht nun darauf, Verbindungen und Zusammenhänge zwischen diesen Stufen herzustellen, um auf diese Art und Weise neues und unbekanntes Wissen an bereits vorhandenes anzuknüpfen (‚didaskalischer Logos‘). Dabei sollte pädagogisch, nach einem ‚peirastischen‘ Verfahren vorgegangen werden, sodass auf den Gesprächspartner eingegangen wird, um herauszufinden, wo er in seinem Wissen beziehungsweise seiner Meinung und auch in seinen Fähigkeiten, Zusammenhänge zu verstehen, steht, damit man ihn genau dort abholen kann. 40

Die Parallele zum modernen, gezielt geführten Dialog ist das Lernen. Ellinor Linda und Gerard Glenna drücken es so aus: „[…], dass es im Dialog vor allem darum geht, voneinander und miteinander zu lernen und unsere Fähigkeit zu verbessern, kreativ auf unsere Umwelt zu reagieren. Wenn wir uns ein umfassenderes Bild der Lage machen, indem wir die unterschiedlichsten Perspektiven mit einbeziehen, erhalten wir Zugang zu einer kollektiven Weisheit, die weit größer ist als die jedes einzelnen. Das aber setzt voraus, dass wir lernen, das Feld unserer Wahrnehmung zu erweitern und alle unsere Rezeptoren auf Maximum einzustellen.“41

40 Vgl. dazu: BUCK Günther, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 195 „Das Lehren der Wissenschaft bestimmt Aristoteles hier wie anderwärts als ‚Apodeixis‘, d.h. als syllogistische Ableitung des je Besonderen aus Allgemeinem und zuletzt aus allgemeinsten Prinzipien, die einer Wissenschaft eigentümlich sind. Der didaskalische Logos befolgt diese wissenschaftsimmanente Deduktionsordnung der Inhalte, d.h. er ist daraufhin ausgelegt, den Begründungszusammenhang, der das eigentlich Wissenschaftliche einer Wissenschaft ausmacht, zu demonstrieren. […] Aristoteles begründet zwar gelegentlich seine Auffassung, die Apodeixis sei eine Weise des Lehrens, durch die formale Bestimmung, alles Lehren und Lernen sei die Darlegung und Aneignung von Neuem und bisher Unbekanntem aufgrund eines schon vorhandenen Wissens. Da der Syllogismus nun aus zwei bekannten Sätzen einen Dritten, neuen und bisher unbekannten Satz erschließt und so einen Wissenszuwachs herbeiführt, bewirkt er ein Lernen. […] Es gibt eben Disziplinen und Wissensbestände (Diaskalien), die durch pädagogische Transformation korrumpiert werden können. Eine Grundform solcher pädagogischer Transformation ist das Eingehen auf die Vormeinung des Mitunterredners. Alle didaktische Kunst bedient sich, wie Aristoteles an vielen Stellen seiner Schriften […] solche Anknüpfung an das, was dem Lehrling schon geläufig und vertraut ist, um von da aus das Neue und noch Unvertraute einzuführen. Aristoteles schließt nicht aus, dass auch das Lehren der Wissenschaft solches Anknüpfen an die mitgebrachte subjektive Meinung des Lehrlings nutzt, um diesen aller erst in die Prinzipienerkenntnis einzuführen (Epagoge). Dieses ‚peirastische‘, d.h. probierende Verfahren ist sogar das eigentlich pädagogische. Es geht auf den anderen ein, d.h. es geht ein auf das, was er an Verstehensmöglichkeiten für die Sache, die in Rede steht, schon mitbringt.“ 41 ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 132. 23

Es geht im Dialog also zum einen darum, an das vorhandene Wissen anzuknüpfen, um das Neue zu erkunden und zum anderen um die kollektive Intelligenz oder um das kollektive Denken und um ein gemeinsames Bild, zwei Aspekte, die, wenn man sie genauer betrachtet eigentlich sehr eng zusammen spielen. Denn um ein gemeinsames Bild zu schaffen, gilt es zunächst, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und aus dem Neuen, das gemeinsam erkundet wird, kann, wenn dies im Sinne des Dialogs geschieht nur eine kollektive Intelligenz werden. Es gilt, die gemeinsame beziehungsweise die geteilte Bedeutung und das Lernen ins Zentrum zu stellen. Es erfordert eine gewisse Übung, beim Gespräch immer wieder die gemeinsame Bedeutung und das Lernen ins Zentrum zu stellen, doch unter anderem machen diese Leitprinzipien ja gerade einen Dialog aus, und dieser will geübt und wiederholt werden, denn in der Wiederholung liegt die Kraft. Nach dem Motto, der Weg ist das Ziel, oder wie die Zen- Meister sagen, mache deine Übung, geht es nicht darum einen perfekten Dialog zu führen, sondern darum, diesen einfach zu praktizieren, denn dann haben wir die Möglichkeit gleichzeitig Wissen weiterzugeben und Wissen anzunehmen, quasi zu lehren und zu lernen. Es erfolgt dann gewissermaßen ein Lern- und Lehrgespräch. Günther Buck schreibt zum Lehrgespräch nach Aristoteles weiter noch: „Die aristotelische Bestimmung der Struktur des Lehrgesprächs ist umso eindrucksvoller, als Aristoteles selbst zum ersten Mal auch diejenige Struktur analysiert hat, die uns befähigen könnte, das Lehrgespräch in seinem möglichen dialogischen Charakter zu beschreiben. Das ist die dem Lehren und Lernen eigene Struktur der Anknüpfung an das vom Gesprächspartner mitgebrachte Vorverständnis, die Struktur der Epagoge. […] Unterricht, Lehre überhaupt muss möglich sein als Moment einer vernünftigen, herrschaftsfreien Form menschlicher Lebenspraxis, die als Praxis dialogisch, eine in gegenseitiger Anerkennung, Mitteilung und Verständigung sich vollziehendes Handeln ist. Die Einführung in das dialogische Handeln und Reden muss selbst den Charakter des Dialogs haben; denn die rechte Praxis des Wissens und Sich-Verstehens kann nur dadurch gelernt und eingeübt werden, dass sie ausgeübt wird.“42 Da der Dialog hilft, den Fokus auf den Prozess anstatt auf das Ziel zu lenken, ist es nur naheliegend, dass für das Erlernen des Dialogs genau dasselbe gilt. Um den Dialog zu praktizieren muss man quasi einmal damit anfangen und nie wieder aufhören und somit mit und an der Sache wachsen.

42 BUCK Günther, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 196 24

Der Dialog erfordert das aufrichtige einander zuhören, und daraus resultierend das aufeinander bezogen sein, da sonst jeder dazu tendiert einen Monolog zu führen. Denn das aufeinander bezogen sein, auf den Gesprächspartner eingehen, das Zuhören unterscheidet ja den Dialog vom Monolog, oder vom Selbstgespräch oder vom Dialog mit der Seele, wie ihn Platon nennt. Laut Peter von Moos kann ein nichtliterarischer Monolog einerseits sowohl mit sich selbst als auch mit einem abwesenden Partner geführt werden und andererseits laut oder auch stumm, imaginär sozusagen sein. Peter von Moos meint: „Im eigentlichen Sinn spricht einen Monolog, wer in der mündlichen Kommunikation, passiven Anwesenden gegenüber allein aktiv ist, der Redner, der das Wort hat, weil er es sich genommen, d.h. notwendigerweise einem anderen weggenommen hat.“ In dieser Beschreibung wird deutlich, dass ein Monolog schon allein dadurch zustande kommt, dass ein Gesprächsführer das Wort-Monopol besitzt (sei es nun, weil er es sich genommen hat oder weil das Gegenüber es ihm lässt, indem es ihn nicht unterbricht), was in der alten Rhetorik auch oratio continua (oder perpetua) genannt wurde. Der Monolog im Sinne der Gedankenführung bildet die Grundlage aller Schriftlichkeit, geht doch jedem Schreiben ein Denkvorgang, in dem die gewünschten Sätze formuliert werden, voraus. Darüber hinaus kann auch die Form des Textes als Monolog gestaltet sein, wie es bei nicht dialogischer und nicht dramaturgischer Literatur der Fall ist (so bei der Epik und Lyrik, um nur zwei Beispiele zu nennen). „[…] so lässt sich der Monolog, als fortlaufende Rede und als literarischer Aussagemodus der Autorsprache und der Dialog als Wechselrede und Personensprache verstehen.“43 Also ist eben eine wesentliche Voraussetzung, um den Dialog praktizieren zu können, die Bereitschaft zuzuhören, nämlich vorbehaltlos zuzuhören, das bedeutet nicht nur ‚außen‘ still zu sein und dem Gesagten der Gesprächspartner zuhören, sondern auch im ‚Inneren‘ still zu sein und nach innen zu hören, quasi auf die inneren Geräusche und Stimmen.

43 Vgl. dazu: „Einen nichtliterarischen Monolog hält einerseits, wer Selbstgespräche führt, sei es hörbar, indem er laut denkt, sei es stumm, indem er sich imaginär an einen abwesenden Partner oder an sich selbst wendet. Dies ist jedoch ein Gespräch zweiten Grades. Platon hatte das einsame Geschäft des Denkens nicht einen Monolog, sondern ‚einen Dialog der Seele mit sich selbst‘ genannt. […]Man kann Monolog aber auch ganz wertneutral jede adressierte oder nichtadressierte Rede nennen, die von keinem Gegenüber unterbrochen wird, d.h. schlicht die fortlaufende Rede, oratio continua (perpetua) der alten Rhetorik im Unterschied zur oratio concisa oder Wechselrede. Im Raum der Schriftlichkeit ist der Monolog entsprechend das nicht ‚rückgekoppelte‘ Wort, die verschriftete oratio continua und somit, textextern betrachtet, die mediale Grundbedingung aller Literatur, auch der Dialogliteratur. […] Textintern betrachtet, ist der literarische Monolog schließlich die gemeinsame Darbietungsform aller nicht dialogischen, nicht dramatischen Literatur vom Traktat und Lehrbuch bis zur Lyrik und Epik.“; MOOS von Peter, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Band 15, Berlin 2006, S. 207f. 25

Anselm Grün schreibt in seinem Buch, ‚Der Anspruch des Schweigens‘: „Man kann das Schweigen von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, als passives Nichtreden, als innere Haltung der Sammlung, als Kampf gegen Fehlhaltungen und als ein positives Tun, als den Akt des Loslassens. […] Es geht im Schweigen letztlich um einen inneren Thronwechsel. Nicht nur ich selbst soll auf dem Thron sitzen Immer wieder muss ich Gewohnheiten und Vertrautes loslassen, um gegenwärtig sein zu können, um für Neues offen zu sein.“44

William Isaacs, zu dem ich später noch schreibe, berichtet über ‚zuhören‘ in seinem Buch ‚Dialog als Kunst, gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur‘ Auch er stellt das Zuhören in das Zentrum des Dialogs und knüpft es an die Bedingung des inneren Schweigens. Erst dann kann die Wahrnehmung geschärft und der Dialog als solcher praktiziert werden.45 Der kirgisische Dichter Tschingis Aitmatow hat die Grundlage der Kommunikation so formuliert: „Das Wort stirbt, wenn es nicht geteilt wird“46 Das Wort, die Sprache verbindet einerseits und bringt Nähe, sie trennt aber auch und bringt Distanz und zwar dann, wenn wir uns einerseits unserer mentalen Modelle nicht bewusst sind und andererseits unserer Beziehungen zueinander und der Wechselbeziehungen im System etwa in der Gesellschaft oder im Universum, wenn man so möchte. Es geht darum diese Wechselbeziehungen der Kommunikation, der Handlungen, der Ereignisse im System zu erkennen, und diese auf einender oder auf das Ganze zu beziehen und nicht zu fragmentieren. Peter Senge beschreibt es in seinem Buch ‚Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation‘ so: „[…] All diese Ereignisse sind räumlich und zeitlich voneinander getrennt, und doch gehören sie alle zu demselben Muster. Die Ereignisse beeinflussen sich gegenseitig, auch wenn wir dieses Wechselspiel normalerweise nicht wahrnehmen. Man kann das System eines heftigen Regens nur verstehen, wenn man über die Einzelteile hinausblickt und das Ganze betrachtet.“47 Wenn ich einen Dialog führe, so muss ich meine Gesprächspartner also dort abholen wo sie stehen, ich muss mich also in sie hineindenken, um die Verbindung zu ihnen herzustellen. Es ist ein Wechselspiel von hören und sprechen. Wer also hört in mir, was genau höre ich, wen höre ich und wozu höre ich? Genauso soll ich mich fragen, wer in meinem Gegenüber spricht,

44 GRÜN Anselm, Der Anspruch des Schweigens, neunte Auflage, Münster Schwarzach, 2000, S. 35 – 42. 45 Vgl. dazu: ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 85. 46AITMATOW Tschingis / IKEDA Daisaku, Begegnungen am Fudschijama, Ein Dialog, Zürich 1991 Zitat nach: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 29. 47 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 15. 26 was mein Gegenüber sagen will, wie mein Gegenüber spricht, um ein gemeinsames, von allen Gesprächspartnern geteiltes Bild oder Ganzes zu entwickeln. Buber meint, als er davon schreibt, wie ein Lehrer einem Schüler helfen kann, damit dieser sich verwirklichen kann: „[…] er muss ihn nicht als eine bloße Summe von Eigenschaften, Strebungen und Hemmungen kennen, er muss sich seiner als Ganzheit innewerden und ihn in dieser seiner Ganzheit bejahen.“48 Das Gegenüber soll so nicht nur als die Summe seiner Einzelteile, sondern als ‚System‘ und als solches wieder in der Gesellschaft, einem weiteren System, gesehen werden. Um die Gesellschaft auch als System zu sehen, ist es erforderlich, ständig zu reflektieren, sich zu fragen, wo befinde ich mich bei meinem Denken und Sprechen im Verhältnis zu meinem Ziel und im Verhältnis meinen Gesprächspartnern, im Verhältnis zur Gesellschaft zum System. Voraussetzung für dieses Reflektieren ist das Zuhören und damit einhergehend eine Verlangsamung des Sprechens. Roland Barthes schreibt in seinem Buch, ‚Am Nullpunkt der Literatur‘ im Kapitel ‚Die Schreibweise und das Wort‘: „[…] Auf diese Weise beginnt die Literatur die Gesellschaft zu kennen als ein Wesen, dessen Phänomene sie vielleicht reproduzieren könnte. Während dieser Augenblicke, in denen der Schriftsteller den tatsächlich gesprochenen Sprachen folgt, nicht weil sie pittoresk sind, sondern weil sie die wesentlichen Objekte darstellen, die den ganzen Gehalt der Gesellschaft ausschöpfen, macht die Schreibweise die tatsächliche Rede der Menschen zum Ort für Ihre Reflexe; die Literatur ist nicht mehr Stolz oder Zuflucht, […] sie weist sich als Aufgabe zu, unmittelbar, noch vor jeder anderen Botschaft, zu berichten von der Situation der Menschen, die eingemauert sind in die Sprache ihrer Klasse, ihrer Provinz, ihres Berufes, ihres Erbes oder ihrer Geschichte. […] Denn die Universalität einer Sprache ist - im augenblicklichen Zustand der Gesellschaft - eine Erscheinung des Hörens und keineswegs des Sprechens […]“49 Ob wir nun Gesprochenes oder Geschriebenes zu verstehen, deuten oder interpretieren versuchen, immer sollte das Augenmerk auf die Wechselbeziehung, auf den Kontext, gewissermaßen auf das Ganze gelegt werden. So wollen wir bezüglich des Geschriebenen zum Beispiel den Satz betrachten, der linguistisch auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden kann beispielsweise phonetisch, phonologisch, grammatikalisch, oder kontextuell. Diese Ebenen können für sich stehend betrachtet und

48 BUBER Martin, Das dialogische Prinzip, Ich und Du Zwiesprache, die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 131. 49 BARTHES Roland, Am Nullpunkt der Literatur, Literatur oder Geschichte, Kritik und Wahrheit, aus dem Französischen von Helmut Scheffel, erste Auflage, Frankfurt am Main 2006, S.64f. 27 bearbeitet werden, können aber in dieser Form keinen Sinn ergeben. Dafür müssen sie gemeinsam betrachtet, aufeinander bezogen und ineinander integriert werden. Es soll also immer das Ganze, das System betrachtet werden und damit auch das ‚Zwischen‘, etwa die Wechselbeziehungen zwischen den Teilen. Roland Barthes meint: „Ein Phonem an sich, obgleich es vollständig beschreibbar ist, sagt nichts aus: es hat erst am Sinn teil, wenn es in ein Wort integriert ist; und das Wort selbst muss sich in den Satz integrieren.“50 Es geht in der Kommunikation also stets um die Wechselwirkung, sei es zwischen Sender und Empfänger oder zwischen den Komponenten der Sprache, um das aufeinander bezogen sein, darum einen gemeinsamen Sinn zu finden. Für ein geordnetes und produktives Zusammenspiel bedarf es auch gewisser Regeln, in der Sprache zum Beispiel der Grammatik, die einzuhalten sind, die jedoch zuvor vereinbart werden müssen.

Umberto Eco schreibt in seinem Buch ‚Einführung in die Semiotik‘ über ‚Codes‘, die Umberto Eco als notwendige Voraussetzung sieht, für Kommunikationsprozesse und für das Verständnis untereinander. Ein Code kann als ein konventionalisiertes System von Regeln definiert werden, das einem Zeichen eine Bedeutung zuordnet. Daraus entsteht Ecos These, „dass alle Kommunikationsformen als Sendung von Botschaften auf der Grundlage von zu Grunde liegenden Codes funktionieren, d.h. dass jeder Akt von kommunikativer ‚performance‘ sich auf eine schon bestehende ‚competence‘ stützt.“51 Es bedarf also einer ‚competence‘, eines Wissens oder Wissensstandes, also genaugenommen einer von allen Gesprächspartnern geteilten, gemeinsamen ‚competence‘, um Missverständnisse zu vermeiden. Das jedoch erfordert wiederum, dass zum Beispiel mehrere Gesprächspartner aufeinander bezogen sind und notwendigerweise die Gesprächspartner einander dort abholen, wo sie stehen, um in der Folge ein gemeinsames Ganzes zu entwickeln. Karlheinz Stierle bemerkt in ‚Text als Handlung und Text als Werk‘: „Ein ideales Modell der elementaren Kommunikation ist das des Gesprächs unter einer Mehrzahl von Beteiligten. Was hier als ein Ganzes zusammenkommt, ist eine Vielzahl offen ineinandergreifender Sprechakte bei denen die Verteilung der Sprechchancen immer nur zu elementaren Diskursen führen kann. […] Der Übergang von der elementaren Form sprachlicher Interaktion und dem gebrochenen, polyphonen Diskurs des Dialogs zum Zusammenhang einer geordneten Rede

50 BARTHES Roland, Das semiologische Abenteuer 1441, Bd. 441,1. Aufl., Frankfurt am Main, 1988, S. 106f 51 ECO Umberto, Einführung in die Semiotik, autorisierte deutsche Ausgabe von Jürgen Trabant, München 1994, S.19. 28 als dem komplexen Vollzug einer symbolischen Handlung ist an Voraussetzungen gebunden, die sich nur mit den Mitteln einer Handlungstheorie genauer beschreiben lassen.“52 Also ohne, von allen geteilte, Regeln oder Rituale ist ein gezielt geführtes Gespräch, wie der Dialog, unmöglich. Es bedarf einer Klärung oder Erstellung gemeinsamer Regeln, Rituale oder Theorien um die verschiedenen Sprechakte zusammenzuführen. Diese gemeinsamen Regeln, oder diese von allen geteilte Theorie erfordert von allen Beteiligten Offenheit und den Wunsch zu lernen. Oft basieren Missverständnisse eben auf mentalen Modellen, Gewissheiten und festen Vorstellungen. Es ist für Menschen etwa schwierig, neue Ideen zuzulassen, weil diese den tief verwurzelten Vorstellungen, Werten oder Bildern widersprechen. Diese sind meist an vertraute Denkweisen oder Handlungsweisen, aus der Kindheit, der Klasse, des Berufs usw. gebunden. Wenn wir diese Denkmodelle im Dialog an die Oberfläche bringen können wir sie hinterfragen und in der Folge optimieren.53 Denn nicht selten hindern uns unsere Denkmuster und vorgefassten Meinungen daran, unsere Sichtweise der Welt mit jener der anderen nahezu zu vereinen. Peter Senge schreibt: „[…]was wir in unseren Köpfen haben, sind Bilder, Annahmen und Geschichten. Philosophen diskutieren seit Jahrhunderten über mentale Modelle, zumindest seit Platons Höhlengleichnis. ‚Des Kaisers neue Kleider‘ ist ein klassisches Märchen, das nicht von törichten Menschen handelt, sondern von Menschen, die in mentalen Modellen gefangen waren. Ihre feste Vorstellung von der Würde des Monarchen hinderte sie daran, den nackten Mann als das zu sehen, was er war.“54 In der Regel sind es unsere Vorurteile und unsere Schlussfolgerungen, die uns vom ‚wahren‘, gemeinsamen Inhalt der direkten oder indirekten Rede entfernen. Es geht in einer Weise um die Frage nach der Bedeutung der Subjektivität. Auch die Geschichte mit dem Hammer von Paul Watzlawick zeigt dies.55 In der Folge sollte man in der Kommunikation mit der Bewertung vorsichtig sein. Ein möglicher Ansatz wäre,

52 STIERLE Karlheinz, in: Text und Applikation, Poetik und Hermeneutik IX, Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch, herausgegeben von Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß und Wolfhart Pannenberg, München 1981, S.540. 53 Vgl. dazu: „[…] neue Einsichten werden nicht in die Praxis umgesetzt, weil sie tief verwurzelten inneren Vorstellungen vom Wesen der Dinge widersprechen – Vorstellungen die uns an vertraute Denk- und Handlungsweisen binden. […] dass wir lernen, unsere inneren Bilder vom Wesen der Dinge an die Oberfläche zu holen, zu überprüfen und zu verbessern.“ SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 212f. 54 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 213. 55 WATZLAWICK Paul, Anleitung zum unglücklich Sein, München 1983, S.37 : „Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer 29 die Gewissheiten, Meinungen und Urteile in der Schwebe zu halten, das bedeutet, nicht gleich zu urteilen, sondern die Dinge gewissermaßen vor sich aufzuhängen und im Raum stehen lassen, um zu lernen, und um das ganze Bild zu erkennen. Ellinor Linda und Gerard Glenna beschreiben das ‚schweben lassen‘ so: „Beim ‚Schwebenlassen‘ von Urteilen geht es darum, die Fähigkeit zu entwickeln, Urteile, unsere eigenen und die von anderen, von einer neutralen Position aus zu beobachten, unvoreingenommen zu bleiben und alle Reaktionen erst einmal auszusetzen. […] Urteile unterminieren eben die Offenheit, die erforderlich ist, um von Zusammenarbeit geprägte Partnerschaften zu schaffen und zu erhalten. Und dennoch haben wir keine Wahl; es ist unmöglich für uns, nicht zu urteilen. Es ist unerlässlich und nützlich für uns. Aber es kann auch unsere Fähigkeit einschränken, das ganze Bild zu erkennen, es kann verhindern, dass wir richtig zuhören, und unsere Kreativität und unser Lernen ersticken.“56 Im modernen, gezielt geführten Dialog geht es auch gleichzeitig und besonders um das Erkunden der Beziehungen und der Kommunikation. Eine der notwendigen Voraussetzung dafür ist eben, wie schon erwähnt, das wahrhaftige Zuhören. Nicol Lee zitiert zum Thema ‚Zuhören’ David Bohm aus seinem Buch ‚Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende einer Diskussion‘ folgendermaßen: „Das ‚Zuhören‘ im Dialog wird oft als gründliche, sorgsame, empathische Sensibilität gegenüber den Worten und Sinnsetzungen der Gruppenmitglieder begriffen. Zwar ist das tatsächlich ein Teil des Dialogs, aber Bohm skizziert hier ein Zuhören einer anderen Ordnung, ein Zuhören, bei dem gerade das ‚Miss-verstehen‘ der geäußerten Absicht zu einer neuen Bedeutung führen kann, […]“57 Wenn wir Gesprächspartnern zuhören, müssen wir uns in sie hineindenken und versuchen die Dinge aus ihrer Sicht zu sehen. Durch ständiges Fragen und Antworten kann ein gemeinsames Bild, ein gemeinsamer Sinn entstehen.

Wir entfernen uns nun zwar vom klassischen Dialog oder von der Wechselrede, wenn wir annehmen, dass auch beim Lesen oder Verstehen eines Textes ein ähnlicher Ablauf wie im Dialog stattfindet, und doch will es erwähnt sein. Gadamer meint, das Lesen eines Textes sei wie ein Dialog zwischen dem Text und dem Leser.58 nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, […] Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ 56ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 65. 57 BOHM David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussion, herausgegeben von Lee Nicol, 6. Auflage, Stuttgart 2011, S. 15. 58 „Der Dialog zwischen Interpret und Text setzt also die Aktivität des Interpreten voraus, welcher nicht nur seine Vorurteile auf einen Text anzuwenden versucht, sondern umgekehrt das im Text Gesagte auf seine 30

„Gadamers Hermeneutik sieht in dem Prozess des Verstehens, der sich vollzieht, wenn jemand einen Text liest und verstehen will, den gleichen Ablauf, wie er im Dialog der Frage der Antwort zukommt. Gadamer spricht daher von einem Dialog zwischen Leser und Text. Dem Leser eröffnet sich durch den Text eine Frage, welche der Text dem Leser stellt. Diese Frage will beantwortet sein, und so soll sich der Leser gegenüber dem Text öffnen, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Diese Antwort ist nicht weniger, als wiederum die Frage zu erlangen, auf welche der Text eine Antwort sein will. Der Leser ist also in einen Dialog mit dem Text getreten. Er fragt zuerst nach dem Sinn, welcher sich durch das Gelesene eröffnet. Ist dieser Sinn gefunden, so befindet sich der Leser zusammen mit dem Text in einem gemeinsamen Fragehorizont, welche in einen Richtungssinn weist. Durch den Richtungssinn ist das Fragen nun bestimmt und kann sich eben in diesem Richtungssinn entfalten, ohne an der gefragten Sache vorüber zu gehen Das ist ein Merkmal, das sich auch in Platons Dialogen wieder findet. Auch dort ist der Dialog um der Sache willen zu führen.“59 Wenn es darum geht, einen gemeinsamen Zweck, eine gemeinsame Sache zu verfolgen, so sind wir wieder beim klassischen Dialog. Gadamer schreibt: „Ein Gespräch führen heißt, sich unter die Führung der Sache stellen, auf die die Gesprächspartner gerichtet sind.“60 Und das führt uns wieder zum klassischen Dialog wo es jedoch nicht nur die gemeinsame Sache oder der gemeinsame Zweck einer der Grundgedanken des Dialogs ist, es geht auch um den gemeinsamen Sinn, als Fundament des Sprechens und sozialer Verhaltensweisen und Handlungen. Ellinor Linda und Gerard Glenna drücken es in ihrem Buch ‚Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung‘ so aus: „Von allen geteilte Sinnsetzungen bilden das Fundament sozialer Verhaltensweisen, zu denen etwa spirituelle Praktiken, Gebrauchsgegenstände, Architektur, Kunst, Symbole und natürlich die Art und Weise gehören, wie wir miteinander sprechen.“61 Die Sprache, der Sprachstil und genaugenommen auch wie wir miteinander reden, beeinflussen wie wir leben und in welcher Gesellschaft wir leben. Nach dem Motto ‚wie du

Vorurteile und seine historische Situation des Verstehens anzuwenden versucht. […]“ GAGAMER Hans-Georg, Wahrheit und Methode, herausgegeben von Günter Figal, S. 121. http://books.google.at/books?hl=de&id=setOu_eX7G8C&q=dialog+zwischen+text+und+leser#v=snippet&q=dia log%20zwischen%20text%20und%20leser&f=false, Zugriff am 10.2.2014. 59 ABE Jarron, Dialektik von Frage und Antwort in Platons Dialogen und in Gadarmers Hermeneutik, Die Bedeutung der Subjektivität, 1. Auflage, Norderstedt 2007, in: Organisationen, 2. Auflage, Berlin 2011, S.2. 60GADAMER Hans-Georg, Wahrheit und Methode, Tübingen, 1975, S. 349. 61 ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 34. 31 sprichst, so lebst du‘ formen wir durch unsere Sprachkultur unsere Lebenskultur, oder den Sinn. Niklas Luhmann meint, dass Sprache das grundlegende Medium ist, durch das Sinn transportiert wird.62 Die Kommunikationsmöglichkeiten und Medien ändern und entwickeln sich natürlich im Laufe der Zeit, und die Verbreitungsmedien, wie beispielsweise Schrift, Buchdruck, elektronische Medien respektive die Reichweite dieser Medien hat die Gesellschaft und die Kommunikation verändert. Die Art der Kommunikation prägt uns sozusagen, und damit auch die Gesellschaft. Allerdings bleibt Sprache das Medium schlechthin.

Gerd Althoff schreibt zur Veränderung der Kommunikation oder der Kommunikationsmöglichkeiten: „Gerade in der Gegenwart erleben wir eindrücklich, dass neue Kommunikationsmöglichkeiten Gesellschaften verändern, auch wenn in diesem Zusammenhang manchmal etwas vorschnell von neuen Galaxien die Rede ist und übersehen wird, wie viele der menschlichen Kommunikationsgewohnheiten überdauern oder sogar wiederkehren.“63 Da stellt sich die Frage, wurde der Dialog etwa seit der Antike durgehend verwendet, oder ist er wiedergekehrt? Der praxisbezogene, moderne Dialog, ist natürlich kein philosophischer Dialog, doch geht er auf diesen zurück. Dieser moderne Dialog ist kein schriftlich wiedergegebenes Gespräch und kein fiktives Gespräch, er findet wahrhaft statt, und doch wurzelt er im sokratischen Dialog, da er gewissermaßen auch philosophisch ist einerseits und in jedem Fall ein Lernen bewirkt andererseits. Jürgen Mittelstrass schreibt über den ‚philosophischen Dialog‘ in seinem Buch ‚Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik‘: „Der philosophische Dialog ist seiner Idee nach diejenige Form des Gesprächs, zu dessen Wirkungen von vornherein die Bildung oder

62„[…] Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien; Luhmann unterscheidet innerhalb seiner Theorie der Kommunikationsmedien zwischen Verbreitungsmedien und Erfolgsmedien. Innerhalb dieser Medien wird die Auswahl von sinnhafter Kommunikation ermöglicht. Durch die Entwicklung der Reichweite solcher Medien hat die Gesellschaft im Laufe der Geschichte bereits zahlreiche Entwicklungsschübe erfahren. Verbreitungsmedien sind Schrift, elektronische Medien, Buchdruck, usw. Das grundlegende Medium, durch das Sinn transportiert wird, ist aber weiterhin die Sprache. Erfolgsmedien sind symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien. Sie ermöglichen den Anschluss von Kommunikation unabhängig von Ort, Zeit und Personen über große Distanzen hinweg. Die Funktion symbolisch generalisierter Medien ist es, den Systemen in der Umwelt eines in einem bestimmten Medium operierenden Systems in Form von Personen oder Organisationen die Teilnahme an der Kommunikation zu ermöglichen.“ de/index.php?title=Gesellschaftstheorien_1:_Systemtheorie, Zugriff am 28.6.2013.

63 ALTHOFF Gerd, Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt, 2003, S.18. 32

Beförderung von philosophischem Wissen und philosophischer Orientierung sowie die Bildung oder Beförderung eines autonomen (philosophischen) Subjekts gehören sollen. Insofern treten im philosophischen Dialog neben die allen Formen des Gesprächs gemeinsamen ‚theoretischen‘ Elemente Frage und Antwort, Behauptung und Bestreitung der Elemente, Beweis und Widerlegung und neben die wiederum allen Formen des Gesprächs gemeinsamen ‚praktischen‘ Elemente Streit und Verständigung das Element der (in ihren Wirkungen aufsuchenden) Reziprozität von Lehren und Lernen oder die Bildung eines gemeinsamen (philosophischen) Subjekts der Wissensbildung. Diese Idee des philosophischen Dialogs ist eine Sokratische, der sokratischen Gesprächspraxis entnommene Idee, und sie ist, weil von Platon um ihre ‚theoretische‘ Darstellung in literarischen Dialogen ergänzt, auch eine Platonische Idee.“64 Es geht auch beim praktischen, modernen Dialog in einer Form um Bildung, denn jeder Mensch, ist unser Lehrmeister und wenn wir miteinander dialogisieren, und unsere sogenannten Gewissheiten oder Wahrheiten in Frage stellen und den Gesprächspartnern wahrhaft zuhören, so lernen wir, es entsteht etwas Neues und letztlich ist das eine Form von Bildung. So könnte man den Dialog gewissermaßen auch Lehrgespräch nennen. Günther Buck schreibt über das Lehrgespräch, es sei augenscheinlich eine in der Absicht der Unterrichtung oder auch Unterweisung bezüglich einer bestimmten Sache geführte quasi mehr oder weniger wechselseitige Unterredung oder Unterhaltung zwischen einem, der gewissermaßen weiß und sich sozusagen auf die Sache versteht, und einem oder auch mehreren anderen, die bezüglich der Sache noch nicht in derselben Weise wissen oder anders formuliert, sich auf die Sache verstehen.65 „[…] Die Intention dieser wechselseitigen Unterhaltung ist nicht nur als die Absicht des Begehrens zu verstehen, d.h. als die Absicht dessen, der ein solches Gespräch beginnt, ‚führt‘ und ans Ziel bringt, sondern ebenso die Absicht des Sich- belehren-Lassens, und diese doppelte Intention ist nicht verknüpft mit einer definitiven Rollenzuweisung an die teilnehmenden Subjekte, so dass einer oder einige der Mitunterredner ausschließlich an die Rolle des Lehrenden fixiert wären und andere an die Rolle des Lernenden. Belehren und Sich-belehren-Lassen werden hier vielmehr gern als Funktionen verstanden, in die ein und dasselbe Subjekt im Verlauf des Gesprächs sukzessiv oder gleichzeitig eintritt, ohne dass die Kontinuität des Lehr-und Lernprozesses dadurch beeinträchtigt würde. […] Die wechselseitige Unterhaltung wird also in der Regel verstanden

64 MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 13. 65 Vgl. dazu: BUCK Günther, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 190. 33 als eine Praxis, die, im Unterschied zu manch anderen Formen der Wechselrede, den Charakter des uneingeschränkten Miteinander und Füreinander sich gegenseitig anerkennender Subjekte hat. Sie wird verstanden als Dialog. Der Dialog ist nicht bloß Rede; er ist wahrhaft Praxis, d.h. ein Handeln, das keinen hervorgehobenen Protagonisten, keinen Anführer der Handlung, kennt, sondern nur Miteinander-Handelnde.“66 Es geht quasi darum, in der Beziehung zu stehen, sozusagen zwischen gleichwertigen Gesprächspartnern (zwischen einem ich und einem du), sich selbst gewissermaßen wechselseitig hingeben und selbst entfalten, zu einem Ganzen, zu einem Wesen verschmelzen. Dieses Verschmelzen geschieht gemeinsam, es ist ein Wachsen aneinander. Das ‚sich auf einen Dialog Einlassen‘, das Innehalten, die Verlangsamung im Dialog, führen zu einer Unterbrechung in unserem Denken und so auch in unserem Handeln. Im modernen, bewusst geführten Dialog versuchen die Dialogpartner durch ständiges Hinterfragen und Antworten hinter die Annahmen, hinter die Denkmuster, die eigenen und die der anderen Dialogpartner zu blicken, und sie können so Schicht für Schicht die mentalen Modelle abtragen und die zugrunde liegenden Muster an die Oberfläche bringen. Daher gehen die Grundideen bis ins klassische Griechenland zurück. Diese Methode des Dialogisierens war vielleicht zuerst mündlich, durch Sokrates und dann schriftlich in den Dialogen Platons weitergegeben worden. Warum Sokrates die lebendige, beseelte Rede pflegte und keine philosophischen Schriften verfasste, kommt nicht heraus; vielleicht deshalb, weil vernünftige Praxis nicht über eine monologische Rede, die quasi vom Leben abgelöst ist, vermittelbar ist, und weil die Leserschaft eventuell die Lehre und die Schriften falsch interpretieren könnte. Platon zweifelte jedenfalls daran, dass die Adressaten eine schriftlich verfasste Lehre falsch verstehen oder deuten könnten. Nach Jarron Abe vermerkt Platon im Phaidros, „[…] dass die Mängel der Schrift darin zu suchen seien, dass ein jeder sie zu lesen bekomme, ganz gleich, ob er in der Lage sei, sie zu verstehen oder nicht, und dass die Schrift auf Fragen schweige und sich nicht gegen falsche Auslegungen verteidigen könne. […] Der Vorzug der lebendigen und beseelten Rede, also auch der Dialog, besteht in der Fähigkeit, sich so zu vermitteln, wie es der Zuhörer oder Gesprächspartner verlangt, eventuell zu schweigen, wenn der Gesprächspartner nicht

66 BUCK Günther, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 190. 34 aufnahmefähig ist (in intellektueller wie in moralischer Hinsicht), und auf Fragen zu antworten. Diese drei Punkte erfüllt die Schrift nicht.’67 Roland Barthes schreibt in ‚Das semiologische Abenteuer‘: „[…] Kein Mensch kann eine Idee, einen Glauben oder eine Methode repräsentieren, erst recht niemand, der schreibt, dessen Wahlpraxis weder das Wort noch die Schriftstellerei ist, sondern das Schreiben.“68 Shunryu Suzuki meint dazu: „Neben der Welt, die wir beschreiben können, gibt es noch eine andere Art von Welt. Alle Beschreibungen der Wirklichkeit sind begrenzte Ausdrucksformen der Welt der Leere. Und doch halten wir an den Beschreibungen fest, und halten sie für die Wirklichkeit.“69

Gerade der schriftliche Dialog ist eine gelungene Form des Transportierens von Inhalten, der den Leser dazu anregt mitzudenken und kritisch oder skeptisch mit dem Text umzugehen, was den Leser geradezu animiert, mitzuentscheiden was wahr oder unwahr ist, oder eine gemeinsame neue Möglichkeit oder ein gemeinsames Richtiges oder Wahres zu entwickeln. Walter Pohl schreibt in der Einleitung ‚Vom Nutzen des Schreibens‘: „Dabei geht es um zwei Gesichtspunkte: Zum einen ist ein im engeren Sinn pragmatischer, instrumenteller Gebrauch des Schreibens gemeint, also das schriftliche Festhalten und der Austausch handlungsrelevanter Informationen. Zum anderen ist jenes weite Feld von Texten angesprochen, die dadurch handlungsleitend wirken, dass sie Sinn stiften, Bedeutungen produzieren und Identitäten entwerfen. Das sind jene Texte, die gemäß dem Modell von Michael Foucault einen ‚herrschenden Diskurs‘ festschreiben, der es erlauben soll, zwischen richtig und falsch, möglich und unmöglich, wichtig und unwichtig, gut und böse zu unterscheiden.“70 Der lebendige Dialog also, hat den Vorzug, dass einerseits auf die Gesprächspartner, die Zuhörer eingegangen werden kann, dass andererseits auch Fragen gestellt werden können, jedoch auch schweigen ist möglich. Beim schriftlich widergegebenen Dialog fällt dies weg. Jedenfalls regt er die Leser, je nach Dialogform, mehr oder weniger an, mitzudenken, weil durch die Dialogpartner eben ein Hinterfragen oder ein Nachfragen vorgeführt wird, das etwa zum Nachmachen oder zur Nachahmung führt. So ist ein in Dialogform geschriebener Text

67 ABE Jarron, Dialektik von Frage und Antwort in Platons Dialogen und in Gadermers Hermeneutik, Die Bedeutung der Subjektivität, 1. Auflage, Norderstedt 2007, S. 5. 68 BARTHES Roland, Das semiologische Abenteuer , Bd. 441,1. Aufl., Frankfurt am Main, 1988, S. 7f. 69 SUZUKI Shunryu, Seid wie reine Seide und scharfer Stahl, Das geistig Vermächtnis des großen Zen-Meisters, 2. Auflage, München, 2006, S. 61. 70 POHL Walter, Vom Nutzen des Schreibens, Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz im Mittelalter, herausgegeben von Pohl Walter und Paul Herold, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters Bd 5, Wien 2002, S. 15. 35 einerseits vielleicht unterhaltsamer und andererseits auch lehrreicher als andere Texte, weil nicht bloß der Inhalt des Textes lehrt, sondern die eigenen Ideen noch dazu kommen. Auch wird vielleicht das Vertrauen geweckt, dass Wissen nicht nur von außen kommt, sondern auch in den Menschen steckt, im Sinne von selbständigem Lernen. Damit ist gemeint, dass durch den Dialog Perspektiven dargelegt und erweitert werden, und etwas Neues entsteht. In den sokratischen Dialogen kommt die Methode der Mäeutik zum Tragen, wobei diese Methode unter anderem in literarisch gestalteten Dialogen, in fiktiven Gesprächen von Platon schriftlich, in literarischer Eleganz, in verschiedenen Darstellungsformen dargeboten wird. Wo es um die Erläuterung der Wissensbildung geht, geht es nicht um das Modell des Anfangs der Vernunft, es ist das Modell der ‚Wiedererinnerung‘.71 Jürgen Mittelstrass schreibt dazu: „Im Gegensatz zum ‚dialektischen‘ Modell erfolgt der Anfang der Vernunft im ‚anamnetischen‘ Modell nicht ‚in der Rede‘ und nicht agonal, sondern ‚in der Seele‘ und kontemplativ. Nicht wer ‚zu Fragen und Antworten weiß‘, wäre auf dem richtigen Wege, sondern derjenige, der über die bessere Erinnerung verfügt. Die ‚erkenntnistheoretischen‘ Würfel sind, so scheint es, schon gefallen, bevor sich die philosophischen Subjekte um eine vernünftige Orientierung und Wissensbildung ‚dialektisch‘ bemühen. […]“72

Nach Jürgen Mittelstrass geht es Platon bei dem Platonischen Anamnesis-Theorem um drei systematische Dinge, die für Platon wohl gleichwertig sind. Erstens, um die Lösung eines konkret geometrischen Problems, was mathematikhistorisch relevant ist. Zweitens um die Darstellung theoretischer Zusammenhänge und theoretischer Gegenstände am Beispiel empirischer Zusammenhänge und theoretischer Gegenstände, was für die Ausbildung der Platonischen Ideenlehre von Bedeutung ist. Es sind die Ideen, als ‚Urbilder‘ der Gegenstände gemeint. Und drittens, die Idee des selbständigen Lernens, was für die Bildung der Idee eines philosophischen Subjekts als des Subjekts der Wissensbildung bedeutsam ist.73

71 Vgl. dazu: „Der Leser Platonischer Dialoge, insbesondere der so genannten ‚Sokratischen‘ Dialoge, stößt im Zusammenhang mit Erläuterungen der Wissensbildung auch auf ein ganz anderes Modell des Anfangs der Vernunft: das Modell der ‚Wiedererinnerung‘.“ MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 17. 72 MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 17. 73 Vgl. dazu: „In Wahrheit geht es bei dem Platonischen Anamnesis-Theorem gar nicht um beibehaltene archaische Wiedergeburtsvorstellungen in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen, sondern um drei (für Platon wohl gleichwertige) systematische Dinge: (1) Die Lösung eines konkreten geometrischen Problems - dieser Teil ist mathematikhistorisch relevant. (2) Die Darstellung theoretische Zusammenhänge und theoretische Gegenstände anhand empirischer Zusammenhänge und empirischer Gegenstände - dieser Teil ist für die Ausbildung der Platonischen Ideenlehre (die Rede von den Ideen als den ‚Urbildern‘ empirischer Gegenstände) und damit wissenschaftstheoretisch für die Ergänzung des Begriffs des theoretischen Satzes durch den Begriff 36

„Alle drei Teile sind darin aber nicht Gegensatz, sondern Korrelat einer ‚dialektischen‘ Vorstellung des Zusammenhangs von Produktion und Reproduktion des Wissens.“74 Diese Dialoge, die Platons Philosophie darlegen, waren für eine breite Leserschaft bestimmt, die für die Philosophie gewonnen werden sollte. Ist der moderne, praxisbezogene Dialog nicht letztlich auch heute wieder da, um die Menschen zum Philosophieren anzuregen, denn was ist philosophieren denn anderes, als ein Nachdenken über den Prozess in dem wir uns befinden oder ein Hinterfragen unserer Überzeugungen. Arno Anzenbacher schreibt in seiner ‚Einführung in die Philosophie‘: „Philosophie beginnt mit Fragen, die sich stellen, wenn die vertraute, alltägliche Welt plötzlich ihre Selbstverständlichkeit verliert und zum Problem wird.“75 Genau dann hält man inne, man verlangsamt, man hinterfragt das Ziel und vielleicht die Werte und die vermeintliche Wirklichkeit oder Wahrheit, man denkt nach, man grübelt, man hält die Fragen und Antworten in der Schwebe und erweitert seine Perspektiven, in Form eines inneren Dialogs oder im Dialog mit anderen, und es entsteht etwas Neues. Gewissheiten in Frage zu stellen, ist in einer Weise eine Art des Philosophierens. Karl Jaspers schreibt in seiner ‚Einführung in die Philosophie‘ folgendes: „Was Philosophie sei und was sie wert sei, ist umstritten. Man erwartet von ihr außerordentliche Aufschlüsse oder lässt sie als gegenstandsloses Denken gleichgültig beiseite. Man sieht sie mit Scheu als das bedeutende Bemühen ungewöhnlicher Menschen oder verachtet sie als überflüssiges Grübeln von Träumern. Man hält sie für eine Sache, die jedermann angeht und daher im Grunde einfach und verstehbar sein müsste, oder man hält sie für so schwierig, dass es hoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschäftigen. Was unter dem Namen der Philosophie auftritt, liefert in der Tat Beispiele für so entgegengesetzte Beurteilungen.“76 Wenn man im Dialog verlangsamt und innehält, weil das ‚für selbstverständlich gehaltene‘ plötzlich völlig entrückt zu sein scheint, und man erkundet die Ursachen und die Wirkungen, das Denken, das Sprechen und das Handeln, so erfordert das Zeit, Zeit für Muße und Kreativität. Damit stellt sich jedoch die Frage: „Können wir es uns heutzutage überhaupt leisten, Prozesse und Gespräche bewusst zu verlangsamen, während uns unsere Alltagserfahrung lehrt, dass nur gewinnt, wer als erster am Ziel ist? Oder müssen wir die des theoretischen Gegenstandes relevant. (3) Die Vorstellung der Idee eines selbständigen Lernens - dieser Teil ist für die Bildung der Idee eines philosophischen Subjekts als des Subjekts der Wissensbildung relevant.“ MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 17. 74 MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 17. 75 ANZENBACHER Arno, Einführung in die Philosophie, Linz 1981, S15. 76 JASPERS Karl, Einführung in die Philosophie, 1977, S. 9. 37

Frage anders stellen: Können wir uns es leisten, uns durch den Alltag hetzen zu lassen, ohne innezuhalten und unser Ziel zu überprüfen?“77 Der gezielt geführte, moderne Dialog und auch der klassische Dialog erfordern allerdings ein Innehalten, ein Überprüfen der eigenen Wahrheiten, der Gewissheiten, der Selbstverständlichkeiten. Auch die Sokratische Ironie etwa, die auf das für richtig und selbstverständlich Gehaltene eingeht, um es dialogweise zu befragen dient quasi der Selbsterkenntnis und sie ist damit ein Teil des Dialoges. Gemeint ist jener Dialog, wie Jürgen Mittelstrass meint, „[…] der die intellektuelle Autonomie des Lernenden durch gemeinsame Wahrheitssuche erzeugt und so den Lehrer zuletzt überflüssig macht “78. Auch im modernen, bewusst gestalteten Dialog ist der Dialogbegleiter schließlich überflüssig, wenn sich ein ‚stabiler Container‘ gebildet hat, und eine gewisse Übung oder sogar Sicherheit im ‚Dialogisieren‘ gegeben ist. Es sollen durch ständiges Hinterfragen und folglich durch ein Erneuern der Annahmen, der Behauptungen, der eigenen Wahrheiten, neue Erkenntnisse entstehen, die allerdings, in dem Moment, wo sie (von allen Gesprächsteilnehmern) benannt oder bezeichnet werden oder ausgedrückt werden, nicht für jeden dasselbe bedeuten. Oft verwischt die Sprache die Reinheit der Dinge. Fritjof Capra meint in seinem Buch, ‚Das neue Denken‘ in dem Kapitel ‚Ein Netzwerk von Beziehungen’ zu diesem Thema: „Als Physiker zu Beginn unseres Jahrhunderts atomare Phänomene zu erforschen begannen, wurden sie sich schmerzlich der Tatsache bewusst, dass alle Begriffe und Theorien, mit denen wir die Natur beschreiben, nur begrenzt gültig sind. Als Folge der wesentlichen Begrenzungen unseres rationalen Verstandes müssen wir eine Tatsache anerkennen, die Heisenberg formuliert hat, dass nämlich jedes Wort oder jeder Begriff, so klar er auch scheinen mag, doch nur einen begrenzten Anwendungsbereich hat.“79 Wir sind damit wieder an dem Punkt angelangt, wo Sprache nicht nur näher bringt, sondern auch trennt, wenn wir nicht, um Missverständnisse zu vermeiden, Schicht für Schicht hinter die Muster unserer Denkmodelle und damit auch Sprachmodelle blicken.

77 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 18. 78 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd 2, herausgegeben von Gert Melville, In: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S.3, vgl. auch: MITTELSTRASS Jürgen, in: Das Gespräch, Poetik und Hermeneutik, herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München 1984, S. 11ff. 79 CAPRA Fritjof, Das neue Denken, Ein ganzheitliches Weltbild im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Mystik Begegnungen und Reflexionen, aus dem Amerikanischen von Erwin Schumacher, zweite Auflage, München 1992, S. 71. 38

Jacques Derrida schreibt: „Die Sprache, sowohl ihre grammatischen Strukturen und Begriffe als auch die auf diesen aufbauenden Denksysteme, erscheint hier nicht mehr als Erkenntnis oder Abbild der Welt, sondern als eine Art Schirm oder Filter, der zwischen uns und den Dingen steht, der den Zugang zur Welt also gleichermaßen bahnt wie verstellt.“80 Dieser Filter ist etwa mit den verschiedenen Sichtweisen und ihrer Darstellung in Form von Sprache gleichzusetzen, die es im Dialog transparent zu machen gilt.

2. Zugänge zum Dialog und Einsatzbereiche des Dialogs in der Gegenüberstellung zum modernen, bewusst gestalteten Dialog

2.1 Die Wurzeln des Dialogs

Überlegt man, seit wann es eine Dialogische Kommunikation gibt respektive auf welche Zeit sie zurückgeführt werden kann, so könnte man bis zu den Anfängen zurückgehen, wo sich Sprache und Kultur entwickelte.81 Roland Barthes sieht die Sprache im Zusammenhang mit sozialen Konflikten, die zwangsläufig innerhalb der Gesellschaft entstehen. Macht und Machtausübung sind in der Kommunikation immer wieder ein Thema und werden durch diese zum Ausdruck gebracht: „Es ist durchaus amüsant festzustellen, dass die Redekunst ursprünglich mit einer Einforderung von Besitz zusammenhängt, […] Man hat - bei uns - über die Sprache nachzudenken begonnen, um sein Hab und Gut zu schützen. Der erste theoretische Entwurf des fingierten Sprechens (im Unterschied zum fiktiven Sprechen der Dichter: Die Dichtung war damals die einzige Literatur, die Prosa erwarb den Status erst später) entstand also auf der Ebene des sozialen Konflikts.“82 Dennoch muss festgestellt werden, dass die Kommunikation, wie Barthes sie sieht und beschreibt, mehr oder weniger ein Mittel zum Zweck darstellt. Kommunikation, die insbesondere ein Ziel vor Augen hat, das es gilt zu erreichen. Barthes meint nicht den

80 LÜDEMANN Susanne, Jacques Derrida zur Einführung, Hamburg, 2011, S.41. 81Vgl.dazu: „Eine dialogische Kommunikation in irgendeiner Form existiert seit den frühesten Anfängen der Menschheit. Sonst hätten Sprache und Kultur sich nicht entwickeln können.“ ELLINOR Linda, GERARD Glenna, Der Dialog im Unternehmen, Inspiration, Kreativität, Verantwortung, Stuttgart 2000, S. 34. 82 BARTHES Roland, Das semiologische Abenteuer 1441, Bd. 441,1. Aufl., Frankfurt am Main, 1988, S.20. 39 klassischen Dialog, sondern die Kommunikation, die auf Grund sozialer Konflikte im menschlichen Miteinander und Nebeneinander entsteht.

Will man den Begriff ‚Dialog‘ begreifen und verstehen, so hat man die Möglichkeit diesen etymologisch zurückzuverfolgen. Mit Hilfe der Etymologie, die sowohl der Grundbedeutung, der Geschichte als auch der Herkunft der Wörter auf den Grund geht, wird die sinnhafte Bedeutung einzelner Begriffe begründet und erläutert. Die Herkunft des Begriffs wird auf das altgriechischen Substantiv ‚dialogos‘ zurückgeführt, was so viel bedeutet wie ‚Unterredung’ oder ‚Gespräch‘. „Demnach sind die griechischen Wortwurzeln des Dialogs diá‚(hin-)durch‘ und lógos ‚Wort‘, ‚Rede‘ ‚Verhältnis‘, also diá- lógos meint dann etwa das ‚Fließen von Worten‘.83 „Dialog bedeutet hier also nicht ‚Zwiegespräch’, sondern: der ‚Fluss von Bedeutung’ (mit und durch das Wort zwischen den Menschen).“ 84 Das Zwischenmenschliche im Gespräch kommt damit besonders zum Ausdruck und wird im Dialog explizit hervorgehoben. Die etymologische Herleitung von Wörtern hat demnach eine wichtige Funktion um das Verständnis und die Zusammenhänge begreifbar zu machen. Je mehr Information und Bildhaftigkeit zu dem Gesagten vermittelt werden, desto eher kann ein gemeinsames Bild des Begriffs entstehen. Für den Begriff Dialog ist das etymologische Verständnis sehr aufschlussreich. Der Dialog, der das gemeinsame Bild von Wörtern und Begriffen oder Ideen zu bilden sucht, ist eine gute Möglichkeit, Missverständnisse innerhalb der Gesellschaft zu verringern.

Die Sprache, die Begriffe definiert, bezeichnet einerseits Inhalte, um diese dem Gegenüber offen zu legen, andererseits beschränken sie sich auch dadurch. Die Beschränkung meint in diesem Zusammenhang, dass unter Umständen verschiedene Individuen unterschiedliche Bilder von ein und demselben Gegenstand haben, was zu unterschiedlichem Verständnis oder eben Missverständnis führen kann. „In der griechischen Philosophie war das Problem der Begriffe in der Sprache eines der wichtigsten Themen seit Sokrates, dessen Leben, wenn wir Platos künstlerischer Darstellung in seinen Dialogen folgen können, eine ständige Diskussion über den Inhalt der sprachlichen Begriffe und über die Grenzen unserer Ausdrucksmittel. Um eine feste Grundlage für das

83 KLUGE Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Auflage, bearbeitet von Elmar Seebold, Berlin, de Gruyter 1995, unter ‚Dialog‘. 84 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 98. 40 wissenschaftliche Denken zu schaffen, hat es Aristoteles in seiner ‚Logik‘ unternommen, die Form der Sprache zu analysieren, die formale Struktur von Schlüssen und Ableitungen unabhängig von ihrem Inhalt zu untersuchen. […] zur Aufrichtung einer gewissen Ordnung in unserer Methode des Denkens. Er hat tatsächlich die Grundlage für die wissenschaftliche Sprache geschaffen.“85 Diese Möglichkeit bietet sich auch im Dialog.

Betrachtet man nun den Begriff Dialog von der formalen Seite, nämlich der schriftlichen Widergabe entweder tatsächlich geführter oder fiktiv geführter Gespräche, so geht es in der Folge um die Form des Dialogs. Die Form bezieht sich hier insbesondere auf die schriftliche Wiedergabe des Dialogs.

Der Dialog ist in der Literatur und Philosophie zu sehen als eine Unterredung, in Frage und Antwort, also als ein Gespräch, das in Rede und Gegenrede geführt wird. Im Gegensatz dazu steht der Monolog. Der Dialog wird auch als Kunstmittel verwendet zum Beispiel im Roman, quasi im Dialogroman, im Epos, im Essay und im Drama, dafür ist er gewissermaßen formbestimmend. Und als selbständige literarische Form tritt der Dialog in der philosophischen Literatur wie beispielsweise bei Platon, Augustinus, Boethius und anderen auf. Die schriftliche Widergabe von Gesprächen in Dialogform dient zum einen der Unterhaltung des Lesers und zum anderen ermöglicht sie dem Leser sich kritisch und (hinter-)fragend mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Dialogs spielten die Sophisten zu. Sie waren die ersten, die den Dialog bewusst als Gestaltungsmittel einsetzten. Nach der klassischen Dialektik verwendeten die Sophisten den Dialog im Sinne der These und Antithese. Die Sophisten waren angesehene Lehrer und gelten gewissermaßen als die Begründer der Erziehungswissenschaften und der Rhetorik.86

85 HEISENBERG Werner, Physik und Philosophie, 8. Auflage, Stuttgart 2011, S. 240. 86 Vgl dazu: „Es besteht kein Zweifel, dass die ersten Sophisten hoch angesehene Lehrer waren. Sie gelten mit Recht als Begründer der Erziehungswissenschaften und der Rhetorik, ja für W. Jaeger sind sie ‚die Schöpfer des Kulturbewusstseins‘ und durch ihre pädagogischen Aktivitäten die ersten Vertreter des Humanismus.“ WUCHTERL Kurt, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S.48, vgl. dazu auch: PLÜCKER Falk, Sophistik und Sophisten und Platons Dialog „Protagoras“, München 2013 S. 4.

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Im Dialog treten These und Antithese eines Sachverhaltes, also quasi die Gegenüberstellung von zwei Behauptungen, in Wechselwirkung und gestalten somit den selbstreflexiven Ablauf des Dialogs.

Nach der Ablösung der Adelsherrschaft durch die Demokratie vollzog sich in Griechenland der Weg zu politischem Einfluss und Erfolg über die Rhetorik. „Die Bedeutung der Bildung war in Griechenland immer größer geworden und die Bestimmung der Sophisten lag in der Lehre.“87 Die Sophisten wollten etwa eine höhere Bildung vermitteln, welche politisches Handeln ermöglichte. War zuvor die Berufung auf die Sitten und Traditionen der Väter als ausreichende Legitimation gerechtfertigt, so trat nun das Denken in den Mittelpunkt, und dazu kam nun Vernunft als zunehmendes rationalistisches Element. Das Handeln sollte sich durch die Sprache vorwiegend mit dem Zulassen vielfältiger Meinungen und Ansichten generieren. Mit Hilfe der Selbstreflexion sollte die größtmögliche Wertschöpfung herausgeholt werden. Im sophistischen Denken gab es sozusagen nicht nur die eine einzige Wahrheit sondern viele Wahrheiten. Ihre Weltoffenheit wurde durch ihre Bildungswanderungen noch vervielfältigt und an die Gesellschaft weitergetragen. Somit gelang es, dass die Menschen ihre Perspektiven zunehmend erweitern und ihre Wahrheiten und Ansprüche relativieren konnten. Der selbstreflexive Denkanspruch, den die Sophisten an sich selbst erhoben führte schließlich zur Spezialisierung in vielen Bereichen. Der Begriff Sophist bezeichnete früher einen Spezialisten88, der sich durch besonderes Wissen und Können von anderen abhob, jedoch später wandelte sich dieser in eine Art ‚Wortverdreher‘89, offenbar ging es den Sophisten nicht mehr darum, Erkenntnisse weiter zu geben oder den Wunsch zu wecken, diese zu erlangen, sondern lediglich um die Überredung.90 Das entspricht dann allerdings eher einer Debatte oder einer Diskussion und keinem Dialog, wo es nicht darum geht, andere zu überzeugen, sondern darum, prozesshaft zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

87 PLÜCKER Falk, Sophistik und Sophisten und Platons Dialog „Protagoras“, München 2013, S. 4. 88 Vgl. dazu: KORENJAK Martin, Publikum und Redner, Ihre Interaktion in der Sophistischen Rhetorik, München 2000, S. 61ff. 89 Platon meinte: "Sophisten sind Wortverdreher", Protagoras, 318e. 90 Vgl. dazu: WUCHTERL Kurt, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S. 48, dazu auch: MUGERAUER Roland, Sokratische Pädagogik, Ein Beitrag zur Frage nach dem Proprium des Platonisch-Sokratischen Dialogs, Heidelberg 1992, S. 94. 42

Spezialisten, Wortverdreher oder Sophisten, wie auch immer sie bezeichnet wurden, schließlich sprach man auch von einer Art Indoktrination, die von den Sophisten betrieben wurde. Vermeintlich gaben sie auf ihren Bildungswanderungen nicht mehr nur ihr Spezial- oder Fachwissen weiter, sondern versuchten zunehmend durch Überredung ihre eigenen Meinungen und persönlichen Interessen weiterzugeben. Sophist bezeichnete ursprünglich einen Fachmann, der sich durch besonderes Wissen und Können auf praktischem und theoretischem Gebiet auszeichnete. Später allerdings erhielt dieser Ausdruck den auch heute noch oft üblichen negativen Sinn des Wortverdrehers, da es den Sophisten nicht mehr etwa um die Weitergabe von Erkenntnissen ging, sondern meist nur noch um Überredung.91 Das stand jedoch vollkommen im Widerspruch zur Philosophie von Sokrates und Platon, die ihrerseits eher Bildung, Weiterentwicklung, kritische Betrachtungsweise sowie Perspektivenerweiterung der Gesellschaft und Fragen nach der altehrwürdigen Wahrheit als Aufgabe wahrnahmen. Platon und Sokrates ging es in ihrer Philosophie eher um die Überwindung des von der Sophistik dargestellten ethischen und erkenntnistheoretischen Relativismus, das auch oft das negative Bild der Sophisten ausgemachte. „An die Stelle von Fragen nach altehrwürdigen Wahrheiten92 traten persönliche Interessen, politische Karriere und egoistische Bereicherung. Die sophistische Rhetorik stellte alle Mittel zur Erreichung solch eigennütziger Ziele zur Verfügung. Und gegen eben diese praktische Selbstsicherheit, die auf ethische Rechtfertigung und auf Begründung durch Wahrheit glaubt verzichten zu können, richtet sich Sokrates.“93

Durch die Verschriftlichung war die Verbreitung von Inhalten leichter möglich. Bei der schriftlichen Wiedergabe eines Gesprächs, eines Dialogs als einer literarischen Kunstform bestehen gewisse Kriterien. Zunächst hat ein Dialog ein Thema, ein Ziel, das über die Gesprächssituation hinausweist. Die Herangehensweise an dieses Thema an dieses Ziel,

91Vgl. dazu: WUCHTERL Kurt, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S. 48f, vgl. dazu: MUGERAUER Roland, Sokratische Pädagogik, Ein Beitrag zur Frage nach dem Proprium des Platonisch-Sokratischen Dialogs, Heidelberg 1992, S. 94. 92 Vgl. dazu: KORENJAK Martin, Publikum und Redner, Ihre Interaktion in der Sophistischen Rhetorik, München 2000, S. 40, dazu auch: BACHMAIER Peter, Gnothi sauton: Philosophiegeschichtlicher Abriss zum Problem der Selbsterkenntnis = Erkenne dich selbst! Teil I: Von den sieben Weisen bis Aristoteles, München 1998, S.109ff. 93 WUCHTERL Kurt, Lehrbuch der Philosophie, Probleme – Grundbegriffe – Einsichten, 3. Auflage, Bern; Stuttgart 1989, S. 225, vgl. dazu auch: KORENJAK Martin, Publikum und Redner, Ihre Interaktion in der Sophistischen Rhetorik, München 2000, S. 66f. 43 vollzieht sich nach Kriterien, die von der Gesprächssituation, von der Zeit und vom Ort unabhängig sind. Die Kriterien sind in der Regel jene der Vernunft. Eine Wechselrede läuft auf eine allgemein gültige, von allen Gesprächspartnern geteilte Aussage oder Wahrheit hin, diese soll sich im Gespräch entstehen und sich im Sinne von Argumentation entwickeln, dem gegenüber stehen Offenbarungsgespräche oder die Offenbarungswahrheit. Laut Bernd Rainer Voss gilt bezüglich der Kriterien, die in der Regel jene der Vernunft sind: „Zu ihnen kann in Einzelfällen als Ergänzung oder Beschränkung eine anders begründete Autorität treten, sofern sie kanonische Geltung hat, bei Christen die Bibel.“94 Voss berücksichtigt diese Merkmale bei seiner Behandlung der frühchristlichen Dialoge. Es scheiden so bei der Behandlung von Bernd Reiner Voss die Wiedergabe von Gesprächen aus, wo diese Merkmale nicht vorhanden sind. „Das Verdikt der Situationsgebundenheit trifft beispielsweise den so genannten Dialog zwischen Kaiser Constantinus und dem Bischof Liberius von Rom, in dem der Kaiser versuchte, den Bischof zur Verurteilung des Athanasios zu gewinnen. Es gilt im Wesentlichen auch für die Verhöre der Märtyrerakten und Martyrien. Das Fehlen verbindlicher Kriterien schließt die Offenbarungsgespräche aus. […] Nicht behandelt werden außerdem die bisweilen als Dialog bezeichneten Gesprächspartien der Evangelien, der kanonischen wie außerkanonischen. Die knappen Wechselreden, die sie enthalten, sind situationsgebunden. Aus ihnen könnte sich ein Dialog entwickeln. Die allgemein gültige Aussage, auf die die Wechselrede zuläuft und zu deren Vorbereitung sie da ist, wird jedoch gerade nicht im Gespräch entwickelt, sondern ohne Argumentation als Offenbarungswahrheit gegeben. Andererseits werden Disputationsaufzeichnungen behandelt, obwohl sie nur in verschwindend seltenen Ausnahmefällen literarischen Charakter tragen. Außerdem sind sie später, gewissermaßen sekundär, zu einer Untergattung des literarischen Dialogs geworden.“95 Bei Johannes Chrystostomos und bei Sulpicius Severus etwa ist der Dialog nur ein Rahmen, und die wiedergegebenen Gespräche entsprechen laut Voss nicht dem Charakter eines Dialogs. Ein Grund dafür ist ihre Abhängigkeit von traditionellen Bestandteilen des literarischen Dialogs.96

94 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.13. 95 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.14f. 96 Vgl. dazu: „[…] Die Behandlung der dialogischen Schriften von Johannes Chrysostomos und Sulpicius Severs, bei denen der Dialog nur Rahmen ist und die wiedergegebenen Gespräche dem Charakter des Dialogs kaum gerecht werden, erklärt sich aus ihrer Abhängigkeit von traditionellen, wenn auch nicht wesentlichen Bestandteilen des literarischen Dialogs.“ VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.14. 44

Es stellt sich die Frage, wann nun die Formen und Ausprägungen des christlichen Dialogs weitgehend entwickelt waren. Dazu meint Bernd Rainer Voss: „Die zeitliche Grenze bildet grundsätzlich das Jahr 400. Zu dieser Zeit waren alle Formen und Ausprägungen des Dialogs bei den Christen im Wesentlichen entwickelt. Was später kommt, ist im Grunde Wiederholung. Über das Jahr 400 führt mit Sicherheit hinaus die Behandlung des Dialogus contra Pelagianos des Hieronymus, mit Wahrscheinlichkeit die der Martins - Dialoge des Sculpicius Severus. Die innere Rechtfertigung liegt in dem Umstand, dass beide Werke als eigentümliche Ausprägungen des Dialogs anzusehen sind.“97 Auf die Martins - Dialoge von Sulpicius Severus werde ich später noch eingehen.

Es geht in der Folge um den Rang der Gesprächspartner im Dialog oder um die Asymmetrie oder um die Symmetrie der Gesprächspartner bei der Wiedergabe von Dialogen, denn das führt zu einer Wende des Dialogs. Platon trat selbst im Dialog nie auf, der literarische Gehalt bei Platon ist vorbildlich, sein Maskenspiel und die abgrundtiefe Ironie des Platonischen Sokrates lassen oft nicht erkennen, ob der Dialog in einer Aporie endet oder nicht. So ein Autor selbst auftritt, wie zum Beispiel Cicero, Augustinus oder Boethius, dann ist ein Maskenspiel schwer möglich.98

Peter von Moos schreibt: „Nach der Lehre der Dichtungsarten, diesem typischen Grammatiker- Gewächs, war also nicht die im Gefolge Ciceros, Augustinus oder Boethius überaus verbreitete Selbstinszenierung der persona auctoris das Kriterium, das einen Dialog dem genus dramaticum zuweisen ließ, sondern allein das linguistisch-technische der direkten Rede ohne jegliche einrahmende Erzählrede.“99

Was also ist der Dialog in Literatur und Philosophie, oder der Dialog als selbständige literarische Form, worin liegen sein literarischer Wert, sein Wesen und seine Form geistiger Auseinandersetzungen? Bernd Rainer Voss beschreibt Dialog vorerst mit Rudolf Hirzel. „Dialog entsteht für ihn beinahe zwangsläufig, sobald eine geistige Bewegung die Menschen ergreift und- in der

97 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.14f. 98 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 91. 99 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 217. 45

Wirklichkeit - zur Mitteilung im Gespräch führt.100 […] Der nächste Versuch stammt von H. Jordan, der in seiner Geschichte der altchristlichen Literatur nach Gattungen auch dem Dialog ein Kapitel gewidmet hat. […] Der christliche Dialog ist ihm ‚ein Gewächs auf dem Boden der griechischen und lateinischen Literatur, in seinen Arten, Formen, seinem Stile usw. von dorther völlig bestimmt. Je geringer der Abstand - wie bei Minucius Felix und Augustin - umso größer der literarische Wert.“101 Der literarische Wert zeichnet sich offenbar in der Anlehnung an den Platonischen Dialog aus. Augustin etwa fühlte sich der Tradition des platonischen Dialogs etwa so stark verpflichtet, dass dort, wo die Vernunft quasi außer Kraft gesetzt wurde, es für ihn keinen Dialog mehr gab.102

2.2 Die philosophische Erörterung - beschrieben in den Pseudo- Clementinen

Bezüglich der Form des christlichen Dialogs finden sich Ausführungen dazu in den Pseudo- Clementinen. „Wichtiger als die Disputationen selbst sind für die Geschichte des christlichen Dialogs die in den Pseudo-Clementinen enthaltenen Aussagen über Wesen und Form geistiger Auseinandersetzung. Am Anfang steht in beiden Fassungen starkes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Menschen, durch vernunftmäßige Überlegungen zur Kenntnis zu gelangen.“103

Bernd Rainer Voss gibt uns im Kapitel der Pseudo-Clementinen ‚Die theoretischen Äußerungen‘ in einem Dialog zwischen Clemens, Petrus und Faustus Einblick in die philosophische Erörterung beziehungsweise in das griechische Disputierverfahren.

Clemens meint, er habe folgende langjährige Erfahrung gemacht, das Ergebnis einer philosophischen Erörterung sei nicht bestimmt von den Gegebenheiten des Sachverhalts sondern es sei abhängig von der Auffassung und der Überzeugungskraft des jeweiligen Sprechers. Die Wahrheit werde also nicht zweifelsfrei erreicht. Petrus sieht eine Möglichkeit, die Wahrheit zu erlangen, allerdings nur eine einzige. Diese bestehe in der Annahme der Lehren des wahren Propheten, der durch das Eintreffen seiner

100 HIERZEL, Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, 1895, S. 366-380. 101 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.15f, vgl. dazu: JORDAN Hermann, Geschichte der altchristlichen Literatur, Leipzig 1911, S. 243. 102 Vgl. dazu: VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.291. 103 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.68. 46

Prophezeiungen ausgewiesen sei. Wenn man seine Autorität anerkenne, bedürfe es keines eigenen Suchens und keiner kritischen Prüfung mehr, nur noch gläubiger Hinnahme der Verkündigung. Faustus ist zuversichtlich, dass sich die Wahrheit durch ordnungsgemäße, vernunftbestimmte Erörterung gewinnen lasse, nämlich in gegenseitiger Prüfung unterschiedlicher Auffassungen. Jeder Partner müsse allerdings zuvor seine These formulieren, dadurch solle gesichert sein, dass in dem Streitgespräch die Anschauungen selbst geprüft werden und nicht die Disputierfähigkeit der Teilnehmer. Ausgeschlossen werden solle, dass größere dialektische Gewandtheit einer schwächer begründeten Sache zum Sieg verhelfe.104 Es steht hier also die Idee von Clemens, bei dem es um die Auffassung und die Überzeugungskraft des Sprechers geht, der Idee von Petrus, der eine einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu erlangen darin sieht, in der Annahme der Lehren des wahren Propheten bezeugt durch das Eintreffen der Prophezeiungen. Faustus ist allerdings überzeugt, dass Wahrheit durch ordnungsgemäße, vernunftbestimmte Erörterung zu gewinnen sei, was quasi dem Dialog entspricht. Das griechische Disputationsverfahren, ehemals heidnischer Geschwätzigkeit zugewiesen, wird dem fraglosen Wissen des Petrus untergeordnet. literarisch gesehen, wird Petrus als Schiedsrichter eingesetzt. Er soll das Streitgespräch überwachen, indem er sein Wissen in die Waagschale wirft, wenn die Erörterung durch ein menschliches Wesen keinen Ausweg findet. „[…] Das prophetische Wissen besitzt also eine unangefochtene Vorrangstellung. Der vernunftsmäßigen Erörterung wird jedoch relativer Wert zuerkannt. Sie hat ihre Berechtigung, wie Petrus in korrigierender Erläuterung früherer Worte ausführt im Bereich der von Menschen gelehrten und gelernten Disziplinen. Unmöglich sei es jedoch, Plan und Willen Gottes - und das bedeutet, Hintergrund und Ablauf des Weltgeschehens - durch menschliche

104 Vgl. dazu: „Clemens hat während seiner langjährigen Wahrheitssuche die Erfahrung gemacht, dass das Ergebnis philosophischer Erörterung nicht von den Gegebenheiten des Sachverhalts bestimmt wurde, sondern abhängig war von der Auffassung und der Überzeugungskraft des jeweiligen Sprechers. Die Wahrheit wird also nicht zweifelsfrei erreicht. Und doch gibt es eine Möglichkeit, sie zu erlangen, wie Clemens später von Petrus erfährt, allerdings nur eine einzige. Sie besteht in der Annahme der Lehren des wahren Propheten, der durch das Eintreffen seiner Prophezeiungen ausgewiesen ist. Habe man seine Bedeutung erkannt und ihn als Autorität anerkannt, so bedürfe es keines eigenen Suchens und keiner kritischen Prüfung mehr, nur noch gläubiger Hinnahme der Verkündigung. Dieser Haltung entgegengesetzt ist die von Faustus vertretene Zuversicht, die Wahrheit lasse sich durch ordnungsgemäße, vernunftbestimmte Erörterung gewinnen, und zwar in gegenseitiger Prüfung unterschiedlicher Auffassungen. Voraussetzung sei, dass jeder der Partner zu Beginn seine These formuliere. Es genüge nicht, die Ansicht des Disputationsgegners als unhaltbar zu erweisen, hinzukommen müsse die kritisch gesicherte Darlegung einer anderen Auffassung. Durch die vorherige Formulierung der Thesen soll gesichert werden, dass in dem Streitgespräch die Anschauungen selbst geprüft werden und nicht die Disputierfähigkeit der Teilnehmer. Ausgeschlossen werden soll, was Clemens zu sehr geklagt hatte, dass größere dialektische Gewandtheit einer schwächer begründeten Sache zum Sieg verhilft. […]“ VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.68f, vgl. dazu: WEHNERT Jürgen, Pseudoclementinische Homilien,Einführung und Übersetzung, Göttingen 2012. 47

Erwägung zu erfassen. […] Die Lehre des wahren Propheten ist als absolut wahr und widerspruchsfrei, wie bereits erwähnt, glaubensvoll hinzunehmen und bedarf weder der Begründung noch des Beweises[…].“105 Augustinus hat ja beispielsweise, wo sich Widersprüche in der Heiligen Schrift ergaben, und wo nicht mehr nur durch vernunftorientiertes Erörtern ein Weg zur Wahrheit zu finden war, den Dialog abgelehnt, allerdings das was bereits im Glauben quasi angenommen ist, kann in der Form des Dialogs, also durch vernunftmäßige Erörterung, gefestigt werden.

Nach Voss geht es in den Pseudo-Clementinen geht es weiter: „Diese scheinbaren Widersprüche zu erklären und als tatsächlich nicht bestehend zu erweisen, ist Aufgabe vernunftmäßiger Behandlung von Schriftstellern. […] Und noch eine Aufgabe wird der Vernunft zugewiesen. Sie soll nachträglich durchdringen, was bereits im Glauben angenommen ist, und auf diese Weise den Glaubensinhalt zu festem geistigem Besitz werden lassen. Darin spricht sich eine Haltung aus, die später in eindringlicher Form bei Augustin zum Ausdruck kommt und die Erörterung in De libero arbitrio hervorgerufen hat, die jedoch auch bei Gregor von Nyssa treibende Kraft für dialogische Erörterung ist.“106 Im Gegensatz zum modernen, bewusst gestalteten Dialog wird in den Grundlagen der Pseudo- Clementinen ein starkes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit des Menschen, durch vernunftmäßige Überlegungen zur Erkenntnis zu gelangen, zum Ausdruck gebracht. Es werde also zum einen, die Wahrheit nicht zweifelsfrei erreicht, hingegen werde eine andere Autorität anerkannt, die des wahren Propheten wodurch es keiner eigenen Suche und keiner kritischen Prüfung mehr bedürfe, daraus folge die gläubige Hinnahme der Verkündigung. Da fehlt es jedoch der Erörterung und damit dem Prozess. Zum anderen jedoch kommt doch auch zum Ausdruck, dass sich die Wahrheit durch ordnungsgemäße, vernunftbestimmte Erörterung gewinnen lasse und zwar in gegenseitiger Prüfung unterschiedlicher Auffassungen. Dies wiederum entspricht dem modernen, bewusst gestalteten Dialog. Besonders der Passus in den Pseudo-Clementinen wo es darum geht, dass es nicht genüge die Ansicht des Disputationsgegners als unhaltbar zu erweisen, sondern, dass eine kritisch gesicherte Darlegung anderer Auffassungen hinzukommen müsse, entpricht der Debatte und der Diskussion einerseits, wo es auch eher um Überredung oder um Überzeugung geht. Andererseits ist die Darstellung der kritisch gesicherten Darlegung anderer

105 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 68. 106 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.68f, vgl. dazu: WEHNERT Jürgen, Pseudoclementinische Homilien,Einführung und Übersetzung, Göttingen 2012. 48

Auffassungen Teil des modernen Dialogs, so dass eine von allen Gesprächspartnern geteilte neue Idee entstehen kann. Die Erwähnung in den Pseudo-Clementinen, dass im Streitgespräch die Anschauung selbst geprüft werden müsse und nicht die Disputation der Teilnehmer bzw. die größere dialektische Gewandtheit einer schwächer begründeten Sache zum Sieg verhelfe, ist dem modernen Dialog insofern ähnlich, wo zum einen die Selbstverständlichkeiten und Gewissheiten hinterfragt und geprüft werden und zum anderen es nicht um den Rang oder den Status der Gesprächsteilnehmer oder um deren Redegewandtheit geht, sondern und die Sache selbst. Allerdings ist der moderne, bewusst geführte Dialog nicht explizit als Streitgespräch zu sehen, das wäre eher die Debatte oder die Diskussion. Der Dialog wurzelt jedoch im Streitgedicht oder Streitgespräch beziehungsweise, wie schon erwähnt kann sich aus dem Streitgespräch ein Dialog entwickeln. In den Bemerkungen zur Durchführung einer Disputation in den Pseudo-Clementinen fragt Petrus seinen Gegner bezüglich der Stellung in Disputation, ob er seine Frage als Lernender, als Lehrender oder als Disputationsgegner gestellt habe, und nun geht es um das rechte Fragen: „Fragt jemand als Lernender, so muss es sich zunächst belehren lassen, in welcher Reihenfolge er seine Fragen zu stellen hat. Fragt er dagegen als Disputant, so müssen beide Partner ihre Thesen formulieren. […]“107 In der Folge wird ein Bild der idealen Disputation entworfen. „Die Partner sollen ihr Gespräch in Ruhe und Geduld fühlen. Sie sollen einander nicht ins Wort fallen. Jede Form des Streites wird abgelehnt. Was nicht deutlich geworden ist, darf wieder aufgenommen und klarer formuliert werden, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Wird sie gegen eine falsche Auffassung erarbeitet, so ist nicht der betreffende Disputant der Besiegte, sondern der Irrtum.“108 Bezüglich der Rolle der Gesprächspartner, ob Lehrender, Lernender oder Disputationsgegner, so gibt es im modernen Dialog keine Rollen keine Asymmetrie, jeder hat im bewusst gestalteten Dialog den gleichen Rang.109 Wo es in den Pseudo-Clementinen darum geht, dass die Partner ihr Gespräch in Ruhe und Geduld führen sollen, einander nicht ins Wort fallen mögen und jede Form des Streites

107 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.71f, vgl. dazu auch: WEHNERT Jürgen, Pseudoclementinische Homilien,Einführung und Übersetzung, Göttingen 2012, S. 66. 108 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.71f, vgl. dazu auch: WEHNERT Jürgen, Pseudoclementinische Homilien,Einführung und Übersetzung, Göttingen 2012, S. 66f. 109„Doch werden wir dies häufig in den mittelalterlichen Gedichten wieder finden; es liegt in der Natur der Sache begründet,da in den streng gebauten Disputation in der alle Beteiligten gleich oft zum Reden kommen und der Sieger meist das letzte Wort behalten muss. […] Der moderne Mensch verlegt den Widerstreit der Empfindungen in die eigene Brust, der antike und mittelalterliche Mensch projiziert ihn nach außen.“ WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S 6. 49 abgelehnt werden solle, da finden sich Parallelen zum modernen bewusst gestalteten Dialog, nämlich in den sogenannten Regeln des Dialogs, wo ein Redestein sichern soll, dass die Gesprächspartner einander nicht ins Wort fallen. Eine Verlangsamung findet statt um Geduld und Ruhe für das Gespräch zu bewahren und ein Dialogbegleiter hält den Container, also den Vertrauensraum stabil, um Unstimmigkeiten im Raum stehen lassen zu können.

In den Pseudo-Clementinen geht es bei den Bemerkungen zur Durchführung einer Disputation darum, dass die Wahrheit ans Licht komme, und darum, dass sie gegen eine falsche Auffassung erarbeitet werde, und dass nicht der betreffende Disputant der Besiegte sei, sondern der Irrtum.Hier gibt es eine Ähnlichkeit zum modernen Dialog, in dem es ja um den Zweck geht, der über der Gesprächssituation steht, und nicht um den Sieg oder das Verlieren der Gesprächsteilnehmer.

Es gehört, laut Voss, zum Wesen dieser Disputationen etwa der Charakter der Öffentlichkeit, wobei den Zuhörern das Urteil über den Ausgang des Streitgesprächs obliegt. „Ihre Kompetenz beruht auf ihrer Gotterfülltheit. Daneben wird betont, dass die Zuhörer durch die Disputation gefördert werden sollen. Im Grunde finden die Streitgespräche um ihretwillen statt. Die Exklusivität des klassischen Dialogs ist infolgedessen verpönt. […] Die Erörterung soll nicht im Verborgenen von statten gehen, sondern im Beisein von Zuhörern und deren Nutzen. Wenn Petrus hier auch von den Herolden der Wahrheit spricht und nicht direkt von den Disputanten, so lässt doch die Einschaltung seiner Worte an dieser Stelle keinen Zweifel daran, dass hier das Streitgespräch als möglicherweise fruchtbar angesehen wird. Ist das aber der Fall, so muss es entsprechend dem Christus-Wort möglichst vielen zugänglich gemacht werden. Die Exklusivität einer Gesellschaftsklasse oder Schicht ist damit ausgeschlossen. […] Der mehr literarisch interessierte Homilist hat sich von dieser Anschauung nicht bestimmen lassen. Er hat das offenbar ursprüngliche Motiv des Rückzugs aus der Öffentlichkeit bewahrt; in der szenischen Ausgestaltung ist er eigene Wege gegangen.110 Der moderne, bewusst gestaltete Dialog ist dem klassischen Dialog bezüglich der Exklusivität ähnlich, denn die Öffentlichkeit ist im modernen Dialog insofern ausgeschlossen, als die Dialogrunden nicht als Lehrgespräch für Zuhörer gedacht sind, sondern eher dafür, um in der geschlossenen Runde Denkmuster an die Oberfläche zu bringen und durch ein gemeinschaftliches Erkunden neue Einsichten gewonnen werden sollen. Allerdings ist die Öffentlichkeit nicht explizit ausgeschlossen. Im Sinne der Vertrauensbasis innerhalb der

110 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 72f. 50

Gesprächsrunde aber, ist es vielleicht sinnvoller diese ohne Zugang der Öffentlichkeit durchzuführen.

2.3 Das Streitgedicht – ein Zugang zum Dialog

Der Dialog wurzelt auch in den Streitgedichten. Was ist ein Sreitgedicht? Carmen Cardelle de Hartmann schreibt zum Thema Streitgedichte: „Streitgedichte inszenieren den Disput von zwei Figuren (Personen, Tieren, Personifizierungen), die sich als Gegensätze präsentieren. Ihre Auseinandersetzung findet manchmal in der Präsenz eines Richters oder Tribunals eine Lösung.“111 Hans Walther schreibt zum Begriff des Streitgedichtes: „Ich nenne hier Streitgedichte im eigentlichen Sinne Gedichte, in denen zwei oder seltener mehrere Personen, personifizierte Gegenstände oder Abstraktionen zu irgendeinem Zweck Streitreden führen, sei es um den eigenen Vorzug darzutun und die Eigenschaften des Gegners herabzusetzen oder um eine aufgeworfene Frage zu entscheiden.“112 Die Idee des Streitgedichts entspricht zwar nicht dem klassischen Dialog, wo es prozesshaft, durch Erklärung und Begründung der Aussagen, der Begriffe, zur Bildung einer gemeinsamen neuen Idee, einer gemeinsamen Einsicht kommt, doch soll das Streitgedicht erwähnt sein, weil in ihm auch der Dialog in einer Weise wurzelt. Ob nun mittelalterliche Verfasser zwischen Streitgedicht und Prosadialogen als verschiedene Textsorten unterschieden haben, ist fraglich. Es gibt allerdings viele Bezeichnungen oder Titel für solche Gedichte, wie conflictus, altercatio, vereinzelt iudicium, certamen, contentio, iurgia, discussio litis, dialogus. Außer dialogus bezeichnen dies Wörter, die einen inszenieten Streit und den inszenierten Text bezeichnen. Genaugenommen tragen in den Handschriften nur wenige den Titel dialogus, oft wurde dieser erst später hinzugefügt. Manche Gedichte sind dem Prosadialog im Aufbau, in Themen und in Personenwahl ähnlich, aber sie tragen nicht den Titel dialogus, demnach lässt sich vermuten, dass Streitgedichte, Versdialoge und Prosadialoge anders bezeichnet wurden.113

111 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S.51. 112 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.3. 113 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 52. 51

Hans Walther meint, dass der Wettkampf bei den Hellenen quasi der Lebensnerv ist, und dieser bietet viele Ansätze für das Streitgedicht.114 Er behandelt in seinem Buch ‚Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters‘ verschiedene Beispiele: „Als ältestes Beispiel für eine ausgebildete Synkrisis115 werden allgemein eine Äsopische Fabel und die Erzählung des Prodikos von Herakles am Scheideweg angeführt.“116 Auch im Drama und in der Komödie finden sich Anregungen für die Synkrisis.117 Es finden sich auch Beispiele in der Rhetorik, wo Themen durch Rede und Gegenrede erörtert wurden. Auch in die Rhetorenschulen fand sich die die Synkrisis. 118 „In den Progymnasmata der Rhetorik spielte die Synkrisis als Schulübung eine große Rolle. Die feste Organisation des Unterrichts an den römischen Rhetorenschulen, die sich später allmählich christianisierten, ging zum Teil auf die Klosterschulen über, deren Bedeutung für die Entwicklung unserer Gattung sehr groß ist.“119 Es gab auch Stücke, in denen Dichter oder berühmte Männer ihren Witz erprobten, wo die Aussprüche des einen oder des anderen Schriftstellers abwechselnd einander gegenübergestellt wurden.120 Aus dem alten Dialog entwickelte sich die Schuldeklamation der Diatribe, in denen der Deklamator anstelle der alten Personen sich selbst und eine fingierte Person oder eine

114 Vgl. dazu: „[…] Da, wie oft betont worden ist, der Wettkampf der eigentliche Lebensnerv aller hellenischen Sinnesart ist, so ist es nur natürlich, dass sich gerade bei den Hellenen viele Ansätze zur Gattung des Streitgedichts finden lassen.“ WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.3. 115 „H. beschränkt den Begriff der Synkrisis (= messen, vergleichen, gegenüberstellen nach Aristoteles, Streitrede erst seit Meleagros von Gadara) auf solche Stücke, in denen eine oder mehrere allegorische Personen oder Gestalten der Fabel wie Tiere, Pflanzen, Körperteile, Gegenstände beteiligt sind.“ WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim, Zürich, New York, 1984, S. 5. 116 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.3. 117 Vgl. dazu: „Wir finden die Synkrisis auch in der alten wie neuen Komödie vertreten. […] Diese Beispiele für das Drama ließen sich häufen, und vom Drama sind dann auch mannigfache Anregungen für die Synkrisis ausgegangen.“ WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.6. 118 Vgl. dazu: „[…]Reiche Beispiele bietet die Rhetorik, in der besonders später die Neigung aufkam, die Themen durch Rede und Gegenrede zu erörtern, und hier ist auch einer der Fäden zu suchen, die das Mittelalter mit dem Altertum verknüpfen.“ WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.7. 119 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.7. 120 Vgl. dazu: WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.8. 52 personifizierte Sache setzte.121 „Diese Diatribe, meist moralischen Inhalts, wurde gern von den herumziehenden Moralphilosophen in ihren Mahnreden verwendet und wurde, […] als die gegebene Form der parenätisch-doktrinären Predigt von den Christen übernommen. Die Form der Diatribe wurde später von den Byzantinern reichlich gepflegt; […] gleichfalls bei den Byzantinern erhielten sich die streitgedichtähnlichen Dialoge Lukians im Mittelalter lebendig; […]“122 In diesen Dialogen stehen sich im Traum die Bildhauerei und Redekunst streitend gegenüber, es geht um Bilder wie körperliche und geistige Schönheit, oder um das sehr beliebte Thema im Mittelalter, dem Gegensatz von Weiber- und Knabenliebe. Lukian behandelt auch die im Mittelalter beliebte Form des Gerichtshandels in dem Dialog der Doppeltverklagten, wo vor Zeus (als Richter) Streitigkeiten ausgetragen werden.123 Laut Hans Walther tragen die Platonischen Dialoge teilweise ja auch einen ähnlichen Charakter. „Doch schon bei Aristoteles ging die ursprüngliche Frische und Lebendigkeit in Trockenheit über, bis der Dialog zur Form des Katechismus entartete, in der er den dogmatisch gesinnten Römern besonders kongenial sein musste, die im Mittelalter außerordentlich beliebt wurde und ihren Stempel auch verschiedenen Altercationes aufgedrückt hat.“124

Die Fabel und die Ekloge bieten in sich ausgeprägte Beispiele für Streitgedichte, der Stoff des ältesten mittelalterlichen Streits, der zwischen Sommer und Winter, war bereits in einer Äsopischen Fabel behandelt worden. Sowohl Fabel als auch Dialog tragen ein stark ethisch- dialektisches Gepräge und weisen insofern Beziehungen zueinander auf.125

Es bestand ein gewisser Einfluss der Rhetoren- und Klosterschulen des Mittelalters auf das Streitgedicht und auf den Dialog. Nun kommt es allerdings zu einer Veränderung des Platonischen Dialogs. Es entwickelten sich sogenannte „Problemsammlungen“. Daraus

121 Vgl. dazuWALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.10. 122 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.10f, vgl. dazu: UTHEMANN Karl-Heinz, Christus, Kosmos, Diatribe: Themen der frühen Kirche als Beitrag zu einer historischen Theologie (Arbeiten zur Kirchengeschichte), Hg. Christian Albrecht und Christoph Markschies, Berlin 2005, S.382-385. 123 Vgl. dazu: WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.11. 124 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.11. 125 Vgl: dazu: WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.13. 53 wurden den Schülern die Probleme sozusagen fertig gestellt. Die Diskussion, die daraus hervorging hatte selbstverständlich einen ganz anderen Charakter als die Sokratischen Dialoge Platons.126 „[…] wie aus Plutarchs Tischgesprächen hervorgeht, wo einer nach dem anderen seine Meinung vorträgt. Während der Sokratische Dialog mehr ein lautes gemeinsames Denken darstellt, lässt jene Art nur die Frucht desselben genießen; es wird nur ein Scheingefecht mit schon vorher gewonnenen Resultaten aufgeführt.“127 Dieser Prozess des gemeinsamen lauten Denkens, der auch das Wesen im modernen, bewusst gestalteten, lebendigen Dialog ist, geht eben nun etwa mit Aristoteles und Cicero verloren.

Hans Walther schreibt dazu, dass die von Aristoteles behandelten Fragen zum Inventar der Schulen gehörten, und dass sich Cicero in diesem Punkt Aristoteles zum Vorbild genommen habe. Es bestehe gewissermaßen ein Absterben des lebendigen Dialogs128. „[…] Während Galen noch medizinische Dialoge schrieb, begnügt sich Caelius Aurelianus mit dem Abriss der Medizin in Frage und Antwort, indem er die Form in einleitenden Worten an Lucrez motiviert; ebenso Chirius Fortunatianus für die Rhetorik und noch dürftiger Baccheios für die Musik. Der Neuplatoniker Porphyrius brachte im dritten Jahrhundert die Kategorien des Aristoteles in diese Form; er wirkte auf Boethius und durch dieses Medium auf das ganze Mittelalter. Die Dialogform ist hier nur noch Mittel zum gedächtnismäßigen Lernen.“129

Beim Dialog im Sinne von verschriftetem Gespräch ist die Darbietungsform der Dialogschrift laut Carmen Cardelle De Hartmann die Personensprache. „Dies wird durch die weitverbreitete Erklärung von dialogus als (verschriftetes) Gespräch sowie die Beschreibung der Form als Fragen und Antworten durch fiktive Personen belegt. Textformen wie Predigt oder Diatribe, werden nicht Dialoge genannt. Ältere Werke, die als Dialoge gelesen oder kommentiert wurden (Gregors Dialogi, Boethius‘ Consolatio, Ciceros De amicitia), werden teils dem genus activum (reine Personensprache), teils dem genus mixtum (Verknüpfung von Autor- und Personensprache) zugerechnet. D.h., das Vorkommen von narrativen Elementen wurde in Werken, die eine Modellfunktion einnehmen konnten, beobachtet. Die Autorsprache galt

126 Vgl. dazu: WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.19. 127 WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.19. 128 „Der Ursprung des Dialogs aus dem lebendigen Gespräch, der den Sokratikern noch sehr bewusst war, ist Aristoteles ferngerückt – die Unterredung in der Schule hat sich von hat sich von der Konversation im Gymnasium oder auf der Agora abgesöst. […]“HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92. 129WALTHER Hans, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters, Mit einem Vorwort, Nachträgen und Registern von Paul Gerhard Schmidt, Hildesheim-Zürich-New York, 1984, S.18. 54 jedoch offensichtlich als sekundär. Die antike Unterscheidung zwischen mimetischen und diegetischen Dialogen130 findet sich allerdings nicht mehr, es sei denn, ähnliche Kriterien hätten Wilhelm von Conches zu seiner Differenzierung zwischen dem genus dramaticum und dem genus didascalicum der Dialoge geführt.“131 Dialogus soll nicht nur als Zwiegespräch gesehen werden, denn oftmals können es auch mehr Teilnehmer sein. Die Fragen und Antworten in den Dialogen müssen also gewissermaßen Personen zugewiesen werden, oder sie müssen Personen auftreten lassen. Man könnte sagen, dass mit dialogus sozusagen der Prosadialog bezeichnet wird. Gedichte werden nur dann dialogus genannt, so sie inhaltlich den Prosadialigen nahe stehen. Auch der modernen Dialog isteher ein Gruppengespräch in einer Runde wobei auch ein gezielt geführter Dialog zwischen nur zwei Personen stattfinden kann.

Von der Funktion her dient der Dialog meist der Unterhaltung, oft wird er gewählt um die Aussagen zu autorisieren und zu bestärken, er dient der Auflockerung und er fordert auch die Leser auf, mitzudenken und eine kritische Haltung zu üben. Carmen Cardelle de Hartmann schreibt, dass immer wieder auf den didaktischen Inhalt der Dialoge hingewiesen wird: „Bereits Isidor versteht den Dialog als Textsorte der Gebrauchsliteratur, und zwar im Zusammenhang mit didaktischen Schriften. Willhelm von Conches, Willhelm von Aragon und Paulus von Burgos sehen das Lehrer-Schüler-Gespräch als Äußerungsform der didaktischen (didaskalischen) Rede. Auch die Beschreibung der Texte als interrogationes et responsiones setzt sie in Beziehung zur Schulliteratur.“132

2.4 Der Dialog im alten Griechenland – über Socrates

Die Lieblingsbeschäftigung von Sokrates war der Müßiggang133, er verwickelte jeden in den Straßen, auf der Agora, in den Werkstätten oder in den Gymnasien ins Gespräch, um sie dann

130 Mimetischer Dialog oder Mimesis entspricht, laut Platon, der nachahmenden Rede, quasi der heutigen direkten Rede und demnach ist der diegetische Dialog oder die Diegesis die Erzählung. 131 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S.55. 132 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S.56. 133 Vgl. dazu: LASAULX Ernst von, Des Sokrates Leben, Lehre und Tod: Nach den Zeugnissen der Alten dargestellt, München 1857, S. 25. 55 oft in Verwirrung zurückzulassen. Sokrates war jedem ein Vorbild der Klugheit, wenngleich er immer wieder meinte, dass er nichts wisse.134 Das Gespräch war ihm überaus wichtig. Da liegt die Parallele zum modernen Dialog, wo das wahrhaft geführte Gespräch, das innerhalb eines vereinbarten Zeitraumes stattfindet, und wo es um Zuhören, Verlangsamen und vertiefen geht. Sokrates führte seine Gespräche mit seinen aristokratischen Freunden sowie mit den einfachen Bürgern. Er knüpfte in seinen Gesprächen an die persönliche Situation seines Gegenübers an und befragte die Gesprächspartner nach ihren Problemen. Dabei übernahm er zunächst ironisch die Rolle derer, die sich belehren ließen, um danach durch hartnäckiges Weiterfragen die Standpunkte der anderen zu verunsichern oder prinzipiell in Frage zu stellen. Dies ist die sogenannte ‚sokratische Ironie‘.135 Sokrates übte Kritik an der sophistischen Methode der Wissensvermittlung aus, da es den Sophisten mehr um Überredung ging, wie es in einer Diskussion oder Debatte der Fall ist, und weniger um lautes gemeinsames Denken, wie es im Dialog geschieht. Er kritisierte auch, dass ihre Lehren weniger auf ein begründetes Wissen und Handeln fokussiert seien, sondern eher auf die Kunst rhetorischer geschickter oder gezielter Überredung. Er meinte, dass das begründete Wissen des Guten sozusagen das Rechte Handel nach sich ziehe136, allerdings bedürfe dieses Wissen, um der Selbsttäuschung zu entgehen, des geistigen Austausches also des Gesprächs, genau genommen des philosophischen Gesprächs, wo gedachtes oder vermeintliches Wissen als unbegründete Meinung aufgedeckt werde, und klar werde, dass niemand wirklich weiß, sondern nur vermutet zu wissen.137 Da liegt die Parallele zum modernen Dialog, wo das Rechte Handeln, im gemeinsamen, lauten Denken hinterfragt wird und der kollektiven Intelligenz untergeordnet, um eben der Selbsttäuschung oder der ‚Selbstüberzeugung‘ also der eigenen Gewissheiten, zu entgehen.

Gregor dem Großen beispielsweise geht es auch um das Rechte Handeln, und in seinen Dialogen hinterfragt er Sichtweisen oder Darstellungen der Heiligen Schrift teilweise

134 Vgl. dazu: WUCHTERL Kurt, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S. 52, vgl. dazu:PREIßHOFEN Felix, Sokrates im Gespräch mit Parrhasios und Kleiton, In: Studia Platonika, Festschrift für Hermann Gundert S.21-39, herausgegeben von DÖRING Klaus, KULLMANN Wolfgang, Amsterdam 1974 S. 27. 135 Vgl. dazu: WUCHTERL Kurt, Lehrbuch der Philosophie, Probleme – Grundbegriffe – Einsichten, 3. Auflage, Bern; Stuttgart 1989, S.224f. 136 Vgl. dazu: Diogenes L. II, 31, zitiert nach: LASAULX Ernst von, Des Sokrates Leben, Lehre und Tod: Nach den Zeugnissen der Alten dargestellt, München 1857, S. 40. 137 „[…]Denen die sich auf ihr Wissen etwas einbildeten, zeigte er, dass sie nichts wissen. Weise in Wahrheit ist, so wiederholte er stets, nur Gott; unter den Menschen aber ist jener der weiseste, der weiss, dass er nichts wisse.“Platons Phaedrus p.104, 20, zitiert nach: LASAULX Ernst von, Des Sokrates Leben, Lehre und Tod: Nach den Zeugnissen der Alten dargestellt, München 1857, S. 47. 56 dialogmäßig oder stellt sie in Frage, allerdings steht in den Dialogen Gregors letztlich nicht die vernunftmäßige Erörterung im Vordergrund, sondern der Dialog ist gewissermaßen nur ein Rahmen, denn das Rechte Handeln steht für Gregor von Anfang an fest, nämlich in der Offenbarung der heiligen Schrift, die durch die Wunder und die Exempla der Vorbilder nur unterstrichen werden.Allerdings steht für Gregor wie auch für Sokrates das tugendhafte Leben im Vordergrund,138. Und mit seinen Dialogi löst Gregor bei den Lesern ein Hinterfagen der eigenen Tugenden aus, und fordert in der Figur des Petrus den Leser zur gedanklichen Erörterung heraus.

Sokrates‘ Aussage über sein Nichtwissen bewegte im modernen Dialog die Theoretiker über die Offenheit oder über das Lernen nachzudenken. Fritjof Capra schreibt: „ […] Sokrates sprach den berühmten Satz: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß‘ und der Chinese Lao- Tze sagte: „Am besten ist es, nicht zu wissen, dass man weiß.“139 Diesen berühmten Satz von Sokrates, finden wir in abgewandelter Form bei den Kernfähigkeiten des Dialogs, der von David Bohm, Martin Buber und William Isaac inspirierten Form des Dialogs und bei M&J F. Hartkemeyer u L. Freeman Dhorty wieder140, wo eine der Kernfähigkeiten des Dialogs jene ist, eine lernende Haltung einzunehmen, die eine Einstellung voraussetzt, die man als ‚ich weiß nicht, aber ich will wissen’ beschreiben könnte.

Die Kritik Sokrates‘ an den Sophisten gilt deren Verwendung der Rhetorik für einen falschen Zweck. Generell ist es, so auch laut Aristoteles nicht die Aufgabe der Rhetorik, zu überreden, sondern, zu untersuchen, um herauszufinden, was an einer Sache Glaubwürdiges vorhanden ist. Aristoteles schreibt: „Hinzukommt, dass es ihr Geschäft ist, das Glaubwürdige wie das scheinbar glaubwürdige zu erkennen, wie bei der Dialektik die echte (Syllogismus) und die scheinbare Schlussfolgerung [zu unterscheiden]. Denn das sophistische Schlussverfahren gründet nicht in der Begabung sondern in der Absicht. Indessen wird hier der eine gemäß seines Wissens, der andere gemäß seiner Absicht ein Redner, dort aber jemand Sophist gemäß

138 „[…] er aber, Sokrates, habe die Aufgabe seines Lebens erfüllt, wenn es ihm gelungen sei, die Menschen anzufeuern zur Erkenntnis und Ausübung der Tugend: denn wer so weit gekommen sei, dass er in Wahrheit nichts lieber sein wolle als ein tugendhafter Mann, für den sei jede andere Wissenschaft leicht.“ Cicero De orat.I, 47, 204, zitiert nach: LASAULX Ernst von, Des Sokrates Leben, Lehre und Tod: Nach den Zeugnissen der Alten dargestellt, München 1857, S. 41 139 CAPRA Fritjof, Das Tao der Physik, Die Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie, München 2010, S.24. 140 „[…] Die Haltung des Lernens dagegen erfordert Offenheit von uns, Anfängergeist und die Bereitschaft, sich einzugestehen, dass ich nichts wirklich weiß.“ HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S.78. 57 seiner Absicht, Dialektiker aber nicht gemäß seiner Absicht, sondern nach seiner Begabung.“141 Platon geht es in der Rhetorik um die Unterscheidung der Wahrscheinlichkeit und der Wahrheit. Roland Barthes beschreibt es so: „Platon behandelt zwei Rhetoriken, eine gute und eine schlechte: 1. Die tatsächliche Rhetorik ist die Logographie; sie besteht darin, jeglichen Diskurs zu schreiben (es handelt sich nicht mehr bloß um gerichtliche Rhetorik; die Verabsolutierung des Begriffs ist entscheidend); ihr Gegenstand ist die Wahrscheinlichkeit, die Illusion; sie ist die Rhetorik der Rhetoren, der Schulen, des Gorgias und der Sophisten; die rechtmäßige oder wahre Rhetorik ist die philosophische oder auch didaktische Rhetorik; ihr Gegenstand ist die Wahrheit. Platon bezeichnet sie als Psychagogie (Ausbildung der Seelen durch das Wort).“142 Die gute und die schlechte Rhetorik sind vielleicht auch mit der Gegenüberstellung der modernen Begriffe Dialog, Diskussion und Debatte zu vergleichen, wobei es in der Diskussion und in der Debatte um das Überzeugen geht, etwa um Behauptungen, von vermeintlichen Wahrheit durchzusetzen. Im Dialog allerdings geht es darum, die Perspektiven zu erweitern. Es geht um ein lautes, gemeinsames Denken im Sinne von Sokrates, und es geht um von allen geteilte Einsichten und darum, verfestigte eigene Wahrheiten in Frage zu stellen und eine Basis für eine gemeinsame Wahrheit oder Sache zu bilden. Martin Buber drückt es so aus: „Wo aber das Gespräch sich in seinem Wesen erfüllt, zwischen Partnern, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom Scheinwollen frei sind, vollzieht sich eine denkwürdige, nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche Fruchtbarkeit.“143 Das Anliegen von Sokrates war also das direkte Gespräch, in dem es darum ging, das Wissen des Gesprächspartners an die Oberfläche zu holen (Mäeutik). „Sokrates verstand sich mit der Methode nicht als Sophist, sondern als deren radikalster Gegner. Im Gegensatz zu jenen Volksverführern glaubte er an das Gute und an das Wahre. Das ironische Infragestellen der selbstsicheren Behauptungen seiner Dialogpartner sollte nicht den Skeptizismus, den

141 ARISTOTELES, Rhetorik, Übersetzt mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von Franz G. Sieveke, München 1993, S.11f. 142 BARTHES Roland, Das semiologische Abenteuer 1441, Bd. 441,1. Aufl., Frankfurt am Main, 1988, S. 22, Barthes meint dazu weiter: ‚Die Opposition zwischen der guten und der schlechten, der platonischen und der sophistischen Rhetorik gehört in ein umfassenderes Paradigma: auf der einen Seite die Schmeicheleien, das sklavische Anbiedern, die Nachahmungen; auf der anderen die Ablehnung jeder Gefälligkeit, die Schroffheit; auf der einen Seite die Empirien, die Routinen, auf der anderen die Künste: das Vergnügenbereiten ist eine verachtenswerte Nachahmung der Künste des Guten: die Rhetorik ist eine Nachahmung der Gerechtigkeit, die Sophistik der Gesetzgebung, das Kochen der Medizin, die Körperpflege der Gymnastik: die Rhetorik (die der Logographen, Rhetoren und Sophisten) ist also keine Kunst.’ 143 BUBER Martin, Das dialogische Prinzip, Ich und Du Zwiesprache, die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 295. 58

Relativismus oder gar den Nihilismus fördern, sondern die verfestigten und unkritisch hingenommenen Meinungen aufbrechen und den Weg bereiten zur echten Einsicht und damit zum rechten Tun.“144 Vielleicht könnte man sagen, er wollte die Leute ‚dort abholen wo sie stehen’, quasi frei von Vorurteilen und Annahmen, auch frei von der gesellschaftlichen Erwartung von Vorbildung oder Ausbildung. Dies funktioniert durch ein wertfreies Zuhören, was meint den Gesprächspartnern zuzuhören in Form eines gleichermaßen ‚in sie hineinhören‘, quasi ein Versuch, die Dinge aus ihrer Perspektive zu sehen, und durch Nachfragen hinter die Denkmuster der Gesprächspartner zu gelangen, um so ein gemeinsames Denken und ein gemeinsames Wahres oder Neues entstehen zu lassen. Und hier sind sozusagen die Wurzeln des modernen, bewusst gestalteten Dialogs zu finden.

Der sokratische Dialog war mündlich und wurde in den Dialogen Platons weitergegeben. Das mündliche Gespräch zu verschriftlichen, oder ein fiktives Gespräch schriftlich darzustellen, bedarf gewisser literarischer und rhetorischer Fertigkeiten, und die Fragestellungen und Intentionen des Dialogs dann wiederum schriftlich festzuhalten ist eine delikate Angelegenheit. William Isaacs meint: „Ein Buch über den Dialog ist in gewisser Hinsicht ein Widerspruch in sich. In meiner Definition bedeutet Dialog gemeinsames ergründen, gemeinsames Denken und Nachdenken. Es geht nicht darum, jemandem etwas beizubringen, sondern etwas gemeinsam mit anderen zu tun.“145 Im modernen, gezielt gestalteten Dialog also geht es um ein lautes, gemeinsames Denken im Sinne von Sokrates. Es ist gewissermaßen ein gemeinsames Erkunden der ‚Wahrheit‘ und des Denkens, ein gemeinsames Philosophieren, ein ‚Bewusst machen‘ der eigenen Denkschemata. Ein philosophisches Gespräch ist in einer Weise eine Wissensprüfung, es geht allerdings nicht nur um Gegenstandswissen, sondern auch um uns selbst, um unsere Gewissheiten. Somit ist Philosophie auch Selbsterkenntnis, und sie legt offen, was in der Vernunft des Menschen schon vorhanden ist und den Gesprächspartnern, im Sinne von Sokrats‘ Mäeutik, zuvor nicht

144 WUCHTERL Kurt, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S. 53 vgl. dazu „[…]der mentalen Modelle, dass wir lernen, unsere inneren Bilder vom Wesen der Dinge an die Oberfläche zu holen, zu überprüfen und zu verbessern … was wir in unseren Köpfen haben, sind Bilder, Annahmen und Geschichten. Philosophen diskutieren seit Jahrhunderten über mentale Modelle, zumindest seit Platons Höhlengleichnis. […]“ SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart 1996, S. 213. 145 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur in Organisationen,2. Auflage, Berlin 2011, S.21. 59 bewusst gewesen ist. Laut Platons Wiedererinnerungslehre geht es gewissermaßen um eine Wiedererinnerung quasi als ein Produkt des Denkens.146 Also die sokratische Ironie war sozusagen ein weiteres Hilfsmittel von Sokrates, er verstellte sich bewusst und benahm sich so, als hätte er nicht verstanden, was sein Gesprächspartner gemeint hatte. Die Folge war, dass sie sich selbst widersprachen, und am Ende erkennen mussten, dass ihre vorher vertretene Meinung nicht die vollkommen richtige gewesen ist. Die Gesprächsführung von Sokrates ist gewissermaßen eine Art pädagogischen Verfahren, so wie es meist in den frühen Dialogen Platons zum Ausdruck kommt, um scheinbares Wissen zu entlarven und so den Gesprächspartner zur Erkenntnis zu führen. Es geht also darum, herauszufinden, dass das Eingeständnis des eigenen Nichtwissens die grundsätzliche Voraussetzung für die Suche nach echtem oder wahrem Wissen ist, und meist enden daher die Dialoge in einer Aporie.

Hier besteht eine Parallele zum modernen Dialog wo es etwa auch darum geht, sich von den eigenen Gewissheiten zu lösen, um so durch gemeinsames Lernen im Denkprozess zu bleiben. Sokrates beschreibt ‚die eigenen Gewissheiten‘ als Selbstverblendung. „Seine (des Sokrates) pädagogische Größe liegt darin, dass er, […] die Schüler auf diesen Weg des Selbstdenkens weist und durch den Austausch der Gedanken eine Kontrolle einführt, die der Selbstverblendung entgegenwirkt.“147

Schon im Epos und in der Lyrik gab es dialogische Partien, doch mit Sokrates entstand ein neues Genre. Vittorio Hösle stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Sokrates zum Geburtshelfer des neuen Genres wurde: „Vereinfacht kann man sagen, dass jene das griechische Drama auf eine noch unreflektiertere Weise charakterisierende Fähigkeit, die eigene Sittlichkeit kritisch zu hinterfragen, in Sokrates zu vollem Selbstbewusstsein erhoben wurde. In ihm hat schon die antike Tradition den Begründer der praktischen Philosophie erkannt, in der die Griechen noch origineller gewesen sind als in der theoretischen Philosophie.“148

146 Vgl. dazu: SNELL Bruno, Der Weg zum Denken und zur Wahrheit, Studien zur frühgriechischen Sprache, Göttingen 1978, S. 26-32. 147 WAGENSTEIN Martin, Verstehen lehren, genetisch – Sokratisch – Exemplarisch, mit einer Einführung von Hartmut von Hentig, Bd. 1, Weinheim, Basel 1989, S.133. 148 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 83. 60

Auch die Inder kannten bedeutende metaphysische Spekulationen, allerdings versuchten sie laut Hösle nicht, die Normen, welche sozusagen das Verhalten leiten, ausschließlich in der Vernunft zu begründen. Dieses Bedürfnis beginnt mit den Sophisten, jedoch Sokrates gibt, durch sein Leben und Sterben und mehr noch durch sein Philosophieren, zum ersten Mal der Frage der Vernunft, der moralischen Überzeugungen, die Möglichkeit einer positiven Antwort. Die eigentliche moralische Forderung des geschichtlichen Sokrates besteht darin, den Üblichkeiten der eigenen Kultur nicht unreflektiert zu folgen, man soll hingegen seine Sache auf die Vernunft stellen, was allerdings eine praktische Vernunft voraussetzt, quasi eine rationale Antwort auf die Frage unserer eigentlichen oder letzten Ziele.149 Der Dialog fordert Gesprächsteilnehmer oder Leser gewissermaßen dazu auf, Verantwortung für die eigenen moralischen Pflichten oder Werte zu übernehmen. Sich den moralischen Pflichten zu stellen, und diese eventuell zu hinterfragen, erfordert allerdings einen ‚Raum‘ wo dies geschehen kann, und wo dies auch eingefordert werden kann und wird, und da bietet sich der Dialog nahezu an, denn er zwingt etwa die Teilnehmer ihre moralischen Einstellungen zu reflektieren. Vittorio Hösle drückt es so aus: „Die rationale Klärung der eigenen moralischen Pflichten ist die erste Pflicht, und da die praktische Vernunft allgemein gilt, d.h. sowohl für jeden als auch allen gegenüber, muss jeder Mensch dazu angeregt werden, rational die eigenen Pflichten zu bestimmen. Diese können ihm nicht aufoktroyiert werden; er muss sie mit seinem Logos selbst einsehen. Aber zu diesem Akt der Autonomie müssen Menschen angestoßen werden; und der einzige Rahmen, in dem dies geschehen kann, ist ein Gespräch, in dem sie zu einer solchen Auseinandersetzung dadurch motiviert werden, dass sie begreifen lernen, wie wenig sie eigentlich wissen (was keineswegs impliziert, für Sokrates habe der Weisheit letzter Schluss darin bestanden, dass wir nichts wissen können). Es ist die existenzielle Dimension, die das Sokratische Gespräch von den öffentlichen Disputationen und den intellektuellen Schaukämpfen der Sophisten unterscheidet.“150

So wie im modernen, bewusst gestalteten Dialog es darum geht, durch gemeinsames Denken das vermeintliche Selbstverständnis von Wissen und Wahrheit in Frage zu stellen und die Kreativität zu fördern, und vorhandene Gewissheiten an die Oberfläche zu bringen und zu den Wurzeln des Denkens vorzudringen, so geht es auch Sokrates darum, durch ständiges Fragen

149 Vgl.dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 84. 150 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 84. 61 unter die Oberfläche der Denkschemata zu gelangen, um zu einer gemeinsamen Idee von Wahrheit und wahrem Wissen und damit zu vernünftigem Denken und sittlichem Handeln zu gelangen.

2.5 Der Dialog im alten Griechenland - über Platon

Da Platon der bedeutendste Schüler von Sokrates war151, muss seine Philosophie auch aus der sokratischen Problemstellung heraus gesehen werden. So ging es Platon, wie Sokrates, in erster Linie um die sittliche Bildung der Menschen. Seine Fragestellung war jene, wie man zur Arete, also zur Tüchtigkeit in moralischem und gesellschaftlichem Sinne kommt.152 „In den Dialogen Platons begegnet uns Philosophie zum ersten Mal in der ganzen Breite ihrer Fragestellungen, und auch zum ersten Mal spezifisch unter dem Namen ‚Philosophie’.“153 In seinen literarisch gestalteten Dialogen legt also Platon seine Philosophie, und quasi die von Sokrates in Form von Rede und Gegenrede dar. Platons Dialoge berichten über Gespräche von meist zwei oder vielleicht drei Personen, oder sie stellen das Gespräch dar. Platon selbst tritt nicht als Gesprächspartner auf, daher wissen wir nicht ob sich Platon mit den Ansichten seiner literarischen Figuren identifiziert hat. In jedem Fall werden in diesen Unterredungen eine Reihe philosophischer Fragen dargestellt.154 Platon sah Mängel in der Schrift, er war in Sorge, dass schriftliche Texte in die falschen Hände kommen könnten, da die Schrift ja nicht in der Lage wäre, sich selbst weiter erläuternd zu helfen. Platon schreibt im Phaidros über die Mängel der Schrift, er meint sie seien darin zu suchen, dass ein jeder sie zu lesen erhalte, ganz gleich, ob er fähig sei, sie zu verstehen oder nicht, und dass die Schrift auf Fragen quasi schweige und sich nicht gegen falsche Interpretation wehren könne.155

151Vgl. dazu: „(…) Platon scheint sich mit Sokrates zu identifizieren; er verbreitet dessen Lehren und übernimmt sie in seine Philosophie, […]“SCHMIDT Gerhard, Der platonische Sokrates: gesammelte Abhandlungen 1976 – 2002, Würzburg 2006, S. 12. 152 Vgl. dazu: WUCHTERL, Grundkurs: Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Bern; Stuttgart, 1990, S. 55. 153 ERLER Michael, GRAESER Andreas, die großen Philosophen, Bd. 1, Darmstadt 2010, S. 35. 154 vgl. dazu: ERLER Michael, GRAESER Andreas, die großen Philosophen, Bd. 1, Darmstadt 2010, S.35. 155 vgl. PLATON, Phaidros, 275c – 276a, In: Platon, Die großen Dialoge, Aus dem griechischen übertragen von Rudolf Rufener, Einführung, Erläuterungen und Literaturhinweise von Thomas A. Szlezák, München / Zürich 1991, S. 589, vgl auch: ABE Jarron, Dialektik von Frage und Antwort in Platons Dialogen und in Gadamers Hermeneutik, Die Bedeutung der Subjektivität, 1. Auflage, Norderstedt, 2007, S. 5. 62

Im Unterschied zum modernen, praktischen Dialog, berichte der schriftlicher Dialog über eine Unterredung oder er stellt diese dar, ohne selbst eine solche zu sein, da er ja in der Regel das Werk einer Person ist. Platon sieht in der geschriebenen Rede nur ein Abbild der lebendigen, also beseelten Rede.156 In seinen frühen Dialogen stellt Platon die Personen und Meinungen sehr lebendig und künstlerisch attraktiv dar, und seine Sprache ist sehr bildhaft, während in den späten Dialogen der Stil eher trocken ist. Karl Vorländer schreibt über die Dialoge Platons, dass er, als echt hellenistische Künstlernatur seine Dialoge mit den in ihm vollgestaltigen lebenden Gedanken, farbenfrisch ausgestaltete. Platon hatte eine poetische Anlage, und dazu hatte er noch die komplette wissenschaftliche und politische sowie die literarische und künstlerische Bildung seiner Zeit in sich aufgenommen, und er war befruchtet von Homer und auch von den großen Tragikern.157 Platons Werke sind durchgehend als Dialoge geschrieben, allerdings sind innerhalb dieser Gespräche auch längere Monologe enthalten. Platons Gespräche finden an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit statt und die in den Dialogen beteiligten Gesprächspartner, meist historische Personen, sind anschaulich dargestellt. In Platons späteren Dialogen hat der Gesprächsführer oft andere Namen, und steht nicht mehr so wie Sokrates im Mittelpunkt. Platon kündigt in der Einleitung zum Theäted bezüglich der dialogischen Kompositionsweise Vereinfachungen an, „die ihren Grund in dem Streben haben der wissenschaftlichen Klarheit und Direktheit des Ausdrucks mehr zu ihrem Recht zu verhelfen.“158 Platons Dialoge finden meist nur zwischen zwei Gesprächspartnern statt, wenn mehrere Gesprächspartner anwesend sind, dann zergliedern sich die Dialoge in verschiedene Gesprächsabschnitte. Manchmal kommen Dreiergespräche vor, diese sind jedoch sehr kurz. Wenn der reale Gesprächspartner nicht mehr reden möchte, oder um Erläuterungen bittet, dann spricht der Gesprächsführer mit einem imaginären Partner.159 Für Platon war die Bildung der Menschen, im Sinne der moralischen und sittlichen Tüchtigkeit, ein Anliegen, und dies war auch die Idee von Sokrates.

156 Vgl. dazu: PLATON, Phaidros, 276 a-d, . In: Platon, Die großen Dialoge, Aus dem griechischen übertragen von Rudolf Rufener, Einführung, Erläuterungen und Literaturhinweise von Thomas A. Szlezák, München / Zürich 1991, S. 599, vgl. dazu auch: ABE Jarron, Dialektik von Frage und Antwort in Platons Dialogen und in Gadamers Hermeneutik, Die Bedeutung der Subjektivität, 1. Auflage, Norderstedt, 2007, S. 5. 157Vgl. dazu: VORLÄNDER Karl, Geschichte der Philosophie, Bd. 1, Leipzig 1919, S. 92f. 158 JAEGER Werner, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S. 25. 159 Vgl. PLATON, Gorgias, 505 d – 507 c, In: Platon, Die großen Dialoge, aus dem Griechischen übersetzt von R. Rufener, München, Zürich, 1991, S. 294ff Vgl. FRIES Carl, Das philosophische Gespräch von Hiob bis Platon, Tübingen 1904. , S. 294ff, vgl. dazu auch: ABE Jarron, Dialektik von Frage und Antwort in Platons Dialogen und in Gadamers Hermeneutik, Die Bedeutung der Subjektivität, 1. Auflage, Norderstedt, 2007, S. 3. 63

Platon schrieb also philosophische Dialoge und im Besonderen Sokratische Dialoge. Ob Platon der Gründer der sokratischen Dialogform war, also nicht der philosophischen Dialogform generell, darüber schreibt Carl Fries folgendes: „Wilamowitz tritt den Beweis an, dass Platon der Erfinder des sokratischen Dialogs war, nicht der philosophischen Dialogform überhaupt, die bei Aischines, Antisthenes, Euldeides, vor Sokrates aber bei dem Eleaten Zenon u. a. vertreten gewesen sein soll. In meinem Buch 'Das philosophische Gespräch von Hiob bis Platon' bin ich solchen Spuren nachgegangen und glaube damals schon gesehen zu haben, dass von einer autochthonen genera aequivoca hier keine Rede sein könne. So lang das Nachleben der platonischen Dialogform ist, das sich über viele Jahrhunderte ausdehnt, dürfte auch seine Vorgeschichte sein. Dialogisch-philosophische Ansätze bietet der alte Orient mehrfach, ganz besonders aber darf man für die Propädeutik auf diesem Gebiet wohl Indien in Anspruch nehmen.“160 Sowohl Platon, als auch Aristoteles bezogen sich in ihren Schriften auf Zenon,161 der zum einen, das einzelne für eine einzige undifferenzierte Substanz hielt, die zum anderen in den Sinnen jedoch als Vielfalt erschien. Er versuchte mit einer Kette von Argumenten oder Paradoxa zu den Themen Zeit und Raum, auf Täuschung der Sinne aufmerksam zu machen.162 Platons Dialoge sind quasi als System, als ein Ganzes zu sehen und zu lesen, denn viele Dialoge verweisen auf spätere und lassen etwas offen, was etwa erst in späteren Dialogen geklärt wird.163 Vittorio Hösle schreibt dazu: „Bei keinem anderen Dialogschriftsteller ist es daher so unabdingbar, das Gesamtwerk im Auge zu haben, wenn man auch nur einen

160 FRIES Carl, Das philosophische Gespräch von Hiob bis Platon, Tübingen 1904, vgl dazu: Zur Vorgeschichte der platonischen Dialogform, http://www.rhm.uni-koeln.de/082/Fries.pdf, Zugriff am 21.6. 2012. 161 Zenon lebte 490 v. Chr. und war ein Schüler des Parmenides war. 162 Vgl dazu: „Nur wenige Fragmente von Zenons Werk blieben der Nachwelt erhalten, doch beziehen sich Platon und Aristoteles in ihren Schriften zum Teil auf Zenons Texte. Aus den verschiedenen Quellen lässt sich ableiten, dass Zenon wie Parmenides das einzelne für eine einzige undifferenzierte Substanz hielt, die den Sinnen jedoch als Vielfalt erscheint. Der Philosoph versuchte daher mit einer ausgezeichneten Kette von Argumenten oder Paradoxa zu Zeit und Raum auf die Täuschung durch die Sinne aufmerksam zu machen. Ein typisches Beispiel für Zenons Paradoxa ist das Beispiel des Wettlaufes Achills mit der Schildkröte (auf das wir später noch weiter eingehen werden), der, wenn er nur die Hälfte des Weges der Schildkröte liefe, diese nicht einholen könne, weil er immer an dem Ort ankomme, den die Schildkröte schon verlassen habe. Mit diesem Beispiel versuchte Zenon, die logische Unmöglichkeit der Bewegung zu erbringen. Die Sinne, so meinte er, machen uns glauben, dass Bewegung existiere. In Wirklichkeit handele es sich dabei um eine Illusion, die auch die Theorie des Parmenides unlogisch erscheinen ließe, obgleich sie es nicht sei.“; Laclasse.la.funpic.de/downloads/ph/parmenides_und_zenon.doc, Zugriff am 22.6.2013. 163 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 88. 64 einzelnen Dialog interpretieren will, wie bei Platon. Der Mann hatte einen langen Atem und verlangt ihn auch von seinen intelligenten Lesern.“164

2.6 Ein Zugang zum Dialog – über Aristoteles und Cicero

Die Dialoge von Platon waren Meisterwerke und sie wurden demnach oft später von Autoren philosophischer Dialoge zur Vorlage genommen. Laut Hösle waren Platons Werke von einer Vollkommenheit, und man könnte meinen, dass es nahezu unmöglich wäre dem Genre noch etwas zu geben, und dennoch existierte es fort. „Mit dem fünften Jahrhundert ist die überlieferungswürdige griechische Tragödie erloschen; und es bedurfte eines anderen kulturellen Bodens, des römischen, um sie wiederzubeleben, ja fast zweier Jahrtausende, um eine ästhetisch gleichrangige hervorzubringen.“165 Werner Jaeger schreibt dazu: „Dass Platons Dialog auf seine klassischen Höhe etwas schlechthin Unwiederholbares, ein aus dem nie wiederkehrenden Zusammenwirken persönlicher Gestaltungskraft […] entsprossenes Gewächs ist, war ihnen noch nicht klar, zumal da den Griechen alles einmal ‚Gefundene‘ zur Nachahmung lockte.“166

Aristoteles, der im Alter von 17 Jahren in die Akademie von Platon in Athen eintrat, bildete zunächst den Dialog fort. Werner Jaeger meint: „Das spezifisch platonische Wesen lebte für ihn offenbar im Dialog stärker, objektiver als in irgendeiner anderen Form. Aus den erhaltenen Trümmern seiner Gespräche, den Imitationen der Späteren, von denen besonders Cicero lebendig an ihn anknüpft, und den Berichten des Altertums schließen wir, dass Aristoteles der Schöpfer einer neuen Art des literarischen Gesprächs war, des wissenschaftlichen Diskussionsdialogs.“167 Allerding machte Aristoteles der Scheinexistenz des mäeutischen Frage- und Antwort-Spiel, wie es in den späteren Dialogen Platons der Fall war, ein Ende, „da es seinen echten,

164 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 89. 165 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 89, vl. Dazu auch: JAEGER Werner, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S.21. 166 JAEGER Werner, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S. 27. 167 JAEGER Werner, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S. 27f, vgl. dazu auch: FLASHAR Hellmut, Aristoteles: Lehrer des Abendlandes, Kapitel: Dialoge, München 2012. 65 organischen Sinn verloren hatte, seit dem sich nur noch ‚lange Reden‘ dahinter verbargen. Während aber beim alten Platon alles dahin trieb, anstelle des Gesprächs den dogmatischen Einzelvortrag zu setzen, ließ Aristoteles Rede gegen Rede halten wie es der Wirklichkeit des wissenschaftlichen Lebens in der späteren Akademie entsprach.“168

Wie bei Platon sind die Schriften von Aristoteles für den internen oder für den externen Gebrauch gestaltet. „Aber anders als bei Platon ist bei Aristoteles der interne Teil erhalten, die zur Publikation bestimmten Dialoge hingegen nicht. […] Bis ins 1. Jh. waren nur die heute verschollenen exoterischen, zur Publikation berechneten Schriften bekannt und zitiert, z.B. von Cicero.“169 Cicero und Quintilian priesen die stilistischen Qualitäten der Dialoge Aristoteles, deren lange Reden den rhetorischen Normen eher entsprachen und mieden die von Platon, da der schnelle Schlagabtausch der frühen Dialoge Platons eben nicht den rhetorischen Normen entsprach.170 „Aber die wahren Vorzüge eines Dialogs hängen nur zu geringem Grad an seinen rhetorischen Qualitäten.“171 Die Dialoge von Aristoteles unterscheiden sich von Platons Dialogen, zumal sie oft im Titel und thematisch mit ihnen wetteifern, dadurch, dass Aristoteles selbst als Gesprächspartner im Dialog vorkam172. In manchen Dialogen hatte er sogar die Hauptrolle.173 „Ja, mehr noch: Aristoteles verfasste, wie später der ihm folgende Cicero, auch Proömien174, in denen er als Autor zum Leser sprach, also Vorreden.“175 Da die exoterischen Schriften von Aristoteles sehr fragmentarisch erhalten sind, ist die Dialogführung schwer zu erschließen, weil der Austausch zweier Personen nur in wenigen Fragmenten vorhanden ist. Oft begrenzt sich der Beitrag eines Gesprächspartners nur auf Zustimmungsfloskeln, wie das auch in den meisten Spätdialogen Platons der Fall ist.176 „Allgemein kann sich niemand, der die Fragmente studiert, dem Eindruck entziehen, dass der entscheidende Zug der Aristotelischen Dialoge der Verlust der Indirektheit der Mitteilung

168 JAEGER Werner, Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923, S.28f. 169 ERLER Michael, GRAESER Andreas, die großen Philosophen, Bd. 1, Darmstadt 2010,S. 66, Vgl. dazu auch: FENSKE Hans/NERTENS Dieter/REINHARD Wolfgang/ROSEN Klaus, Geschichte der politischen Ideen, von Homer bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main, 1999, S.81. 170 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 89. 171 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 89. 172 Vgl. dazu: HIERZEL, Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, S. 292. 173 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 90. 174 Unter Prooemium versteht man den Redeanfang, quasi wenn der Redner dem Publikum entgegentritt, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu wecken, oder um den folgenden Redeteil etwa inhaltlich vorzubereiten und um die Zuhörer in Bezug auf Rede und den Redner positiv einzustimmen. 175 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 90. 176 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 89. 66 war. Aristoteles wollte auch in den Dialogen unmittelbar verstanden werden; und da sie sich an ein größeres Publikum wandten, bemühte er sich darum, weniger allusiv und technisch zu verfahren als in den Lehrschriften.“177

Weiters unterscheiden sich die Aristotelischen Dialoge von Platons Dialogen insofern, als Platons Maskenspiel und die Ironie des Platonischen Sokrates oft schwer erkennen lassen, ob die Dialoge in einer Aporie178 enden oder nicht. Aristoteles war ein Maskenspiel schwer möglich, da er sich selbst auftreten ließ. In den Dialogen von Aristoteles fehlen die szenischen Vorspiele, wie in den Platonischen Dialogen, dadurch fehlt die Möglichkeit, wie Vittorio Hösle schreibt, „[…] ästhetisch faszinierende Beziehungen zwischen den Handlungen, die der philosophischen Unterredung extern sind, etwa Begegnungen und Begrüßungen, und dem eigentlichen Sachgespräch aufzuzeigen; statt eine organische Einheit von Vorspiel und Unterredung anzubieten, fällt bei Aristoteles das Werk auseinander in Vorrede und eigentlichen Dialog. […] Der Ursprung des Dialogs aus dem lebendigen Gespräch, der den Sokratikern noch sehr bewusst war, ist Aristoteles ferngerückt – die Unterredung in der Schule hat sich von der Konversation im Gymnasium oder auf der Agora abgelöst.“179

Da Aristoteles selbst im Dialog auftritt, lebt bei ihm die klassische griechische Tragödie nicht mehr weiter, da sich eher im Genre Komödie die möglichkeit bietet, dass sich ein Autor selbst darstellt. Allerdings gibt es einen Aspekt der Dialoge von Aristoteles der zukunftsweisend war, nämlich die Asymmetrie, die seinen Dialogen fehlte, und die fast alle frühen philosophischen Dialoge Griechenlands kennzeichnete.180 Im modernen Dialog besteht vergleichsweise eine Symmetrie zwischen den Gesprächspartnern. Die Asymmetrie zwischen Sokrates und seinen Mitunterrednern ist viel größer als die zwischen einem Professor, wie etwa Aristoteles, und seinen Schülern oder Kollegen, „Denn auch der klügste Professor ist eben nur ein Professor; Sokrates aber ist anderes und mehr gewesen.“181

177 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 91. 178 Sokrates sieht in der Aporie eine unauflösbare theoretische Problemstellung, die gewissermaßen die paradoxe Erkenntnis des eigenen Nichtwissens möglich macht. Aristoteles sieht in der Aporie eine anzugehende Aufgabe, die am Anfang einer Untersuchung steht und das Ergebnis von Argumenten, die einerseits in gleicher Weise überzeugen, andererseits mit sich widersprechenden Schlussfolgerungen. Aporetik ist für Aristoteles etwa die Kunst, unlösbare oder schwer zu lösende Probleme zu durchdenken und zu erörtern. 179 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92. 180 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92. 181 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92f. 67

Platon machte ja Sokrates, und eigentlich damit auch sich, zum Allwissenden, zu einer nahezu göttlichen Größe, quasi zum Urbild aller Tugenden, der den Lesern der Dialoge lediglich einen Teil seines Wissens preisgibt. Dies führt zu dieser ungeheuren Asymmetrie, und die ist es auch, gegen die sich die Entwicklung des philosophischen Dialogs nach Platon wendet, und die dann auch nicht wiederkehrt.182 Die Lehrer-Schülergespräche des Mittelalters haben natürlich auch eine gewisse Asymmetrie, jedoch nicht in dem Ausmaß wie bei Platon. „Wer nach etwas analogem sucht, muss auf die Evangelien zurückgreifen; denn nur in der Religion, nicht in der Philosophie ist eine derartige Asymmetrie zu ertragen.“183 Die hellenistische Philosophie hatte quasi etwas Neues entstehen lassen, wenngleich sie geistig nicht auf derselben Höhe war, wie die klassische griechische Philosophie. „[…] erst der Hellenismus bereitet den ethischen Universalismus vor, der Platon und Aristoteles noch fremd ist und der die moderne Ethik wesentlich kennzeichnet. Der Bemühung um universalistische Inhalte in der Ethik etwa der Stoa entspricht aber die Symmetrisierung der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern im philosophischen Dialog.“184 Diese Symmetrie passt auch oder führt zur Tendenz zum Privaten, vom Philosophieren auf der Agora zwischen dem einzigartigen Sokrates und dem einfachen Menschen kommt es zu sogenannten „Villendialogen“ zwischen gleichrangigen Geistern in privater Zurückgezogenheit auf ihren Landsitzen. Dem Peripatetiker Praxiphanes verdanken wir solch einen Villendialog, und damit hat er wohl ein Subgenre des philosophischen Dialogs für die Zukunft geschaffen.185 Die nächste große Figur in der Geschichte des Genres war Cicero, der durch die Villendialoge beeinflusst war.

Cidero verwendete für die Mehrzahl seiner Abhandlungen die Form des Dialogs, quasi einen Großteil der rhetorischen und philosophischen Schriften. Dies kam seinem Ziel, das von der skeptischen Haltung der neuen Akademie geprägt war, entgegen, dogmatische Lehrmeinungen einer kritischen Prüfung, einer Erörterung zu unterziehen, und, wie Stephanie Kurczyk es ausdrückt, „mit der Methode des in utramque partem disserere die Suche nach der Wahrheit zu betreiben.“186

182 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 93. 183 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 93. 184 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 93. 185 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 94. 186 KURCZYK Stephanie, Cicero und die Inszenierung der eigenen Vergangenheit, autobiographisches Schreiben in der späten Römischen Republik, Köln 2006, S. 298. 68

Ciceros Vorbild bei seinen Dialogen war zunächst Platon.187 Stephanie Kurczyk schreibt dazu: „Die Übernahme der griechischen Dialogformen war dabei keine bloße Imitation, sondern ein kreativer Akt der Übertragung und der Anpassung an römische Erfordernisse.“188 Cicero ließ allerdings im Vergleich zu Platon Politiker, quasi Männer aus der politischen Praxis, miteinander sprechen und Platon gab etwa Philosophen oder Theoretikern die Hauptrollen seiner Dialoge.189 Es kommt bei Cicero aber die Symmetrie der Gesprächspartner zum Ausdruck, die Platon sicherlich nicht gut geheißen hätte. Auch finden sämtliche Dialoge Ciceros auf Landgütern statt, wo die führenden römischen Politiker einander in privaten Räumen besuchten. Cicero war stolz darauf, dass er es bis zum Konsulat geschafft hatte.190 Es fehlt also die Asymmetrie in den Dialogen Ciceros, es gab zwar innerhalb der Eliten Rangunterschiede, jedoch wenn Cicero selbst auftritt, so stellt er aber nicht explizit jemand Anderen dar, wie es beispielsweise Sokrates tut. Diese Symmetrie in Ciceros Dialogen entspricht jedoch eher dem modernen, bewusst geführten Dialog, wo alle Dialogteilnehmer für die Zeit des Dialogs gleichen Rang haben, und so sind Wurzeln des modernen Dialogs auch bei Cicero zu finden.

Ciceros Verfahren entspricht dem Geist des Skeptizismus, wo Gesprächspartner lange pro und contra Reden abhielten. Dieses Stilmittel der langen Reden ist laut Hösle von Aristoteles, und die Entgegensetzung zweier Positionen ist etwa von Karneades beeinflusst, dies geht auf die Sophistik, auf Protagoras zurück.191

187 „Ciceros intime Vertrautheit mit jenen Vorbildern, zumal mit Platon, von dem er manches übersetzt hat, ist augenscheinlich“ HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 94. 188 KURCZYK Stephanie, Cicero und die Inszenierung der eigenen Vergangenheit, autobiographisches Schreiben in der späten Römischen Republik, Köln 2006, S. 300. 189 Vgl. dazu: „Es war eine Grundbedingung für den Erfolg seines Bestrebens, den Römern Philosophie nahezubringen, dass es ihm gelang aufzuzeigen, dass die Beschäftigung mit Philosophie römischen Werten, vor allem dem Primat der vita aktiva, nicht widersprach. […] Diesem Zweck dient das römische Kolorit, mit dem er seine Dialoge erfüllt: Sie sind in Ort und Zeit, Personenwahl und sogar im herrschenden Umgangston, im ‚urbanen‘ Verhalten der Gesprächsteilnehmer ganz in der Welt einer idealisierten römischen Aristokratie angesiedelt, und zeigen einen ‚Ausschnitt aus dem geistigen Leben der gebildeten Römer‘. Die philosophischen Gespräche finden nicht in der Stadt, sondern zumeist auf dem Land statt, was nicht nur als Zeichen des aristokratischen Milieus zu werten ist, sondern auch der zeitlichen Umstände, denn die Beschäftigung mit der Philosophie ist der Zeit der Muße vorbehalten, wenn keine anderen Aufgaben anstehen.“ KURCZYK Stephanie, Cicero und die Inszenierung der eigenen Vergangenheit, autobiographisches Schreiben in der späten Römischen Republik, Köln 2006, S. 301. 190 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 94f. 191 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 97. 69

Als Schriftsteller war Cicero allerdings für die Antike ein Vorbild in stilistischer Hinsicht.192 Man könnte Cicero keinen kreativer Denker in dem Sinne nennen, dass er eigene Theorien oder philosophische Ideen entwickelte, es war ihm vielmehr ein Anliegen den Römern die Philosophie, etwa die griechische Philosophie nahezubringen und zugänglich zu machen.193 „Cicero hat, […] eine sehr hohe literarische Innovativität an den Tag gelegt, mit der sich seine eigentlich philosophische Leistung nicht messen kann.“194 Die großartige Sprache und der Stil von Cicero blieben auch in der Spätantike Vorbild und auch Maßstab.195 Allerdings hatten die gebildeten lateinischen Kirchenväter der Spätantike ein zwiespältiges Verhältnis zu Cicero, größtenteils galt ihr Interesse nicht dem Politiker und Redner Cicero sondern vielmehr dem Philosophen. Auch Augustinus, der als Jugendlicher Rhetorik studierte, war von Cicero sehr beeindruckt.196 Ciceros Dialog Hortensius, der eine Aufforderung zur Philosophie ist, weckte in Augustinus die Liebe zur Philosophie, für ihn war Cicero quasi ein Vorläufer des Christentums.197

192 Vgl. dazu: „Vorbildhaft wirkten im griechischen Sprachgebiet Platon, insbesondere der Szenenreichtum seines Protagoras, im lateinischen Cicero.“ VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 353. 193 Vgl. dazu: KURCZYK Stephanie, Cicero und die Inszenierung der eigenen Vergangenheit, autobiographisches Schreiben in der späten Römischen Republik, Köln 2006, S. 301f. 194 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 94. 195 Vgl. dazu: KYTZLER Bernhard, Ciceros literarische Leistung, WdF 240, Darmstadt 1973, S. 155, http://books.google.at/books?hl=de&id=TplLAAAAMAAJ&q=augustinus#search_anchor, Zugriff am 20.7.2013 196 KRÄMER Torsten, Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge: literarische Tätigkeit als Selbstfindung, Essen 2007, S. 187. 197 Augustinus (354-430) - Bekenntnisse (Confessiones) Drittes Buch, 4. Ciceros Hortensius erweckt in ihm die Liebe zur Philosophie. „Unter solchen Freunden studierte ich damals, in meiner leicht verführbaren Jugend, die Lehrbücher der Beredsamkeit, in der ich glänzen wollte, verlockt von dem tadelnswerten und verwerflichen Ziele, menschlicher Eitelkeit zu frönen. So kam ich denn auch nach der üblichen Studienordnung an ein Buch eines gewissen Cicero, dessen glänzenden Stil so ziemlich alle bewundern, weniger seinen Geist. Diese seine Schrift aber enthält eine Aufforderung zur Philosophie und heißt Hortensius. Dieses Buch gab meiner ganzen Sinnesart eine andere Richtung, lenkte meine Gebete hin zu dir, o Herr, und änderte meines Wünschens und Sehnens Inhalt. Plötzlich sanken mir alle eitlen Hoffnungen in nichts zusammen; mit unglaublicher innerer Glut verlangte ich nach unsterblicher Weisheit, und schon begann ich mich zu erheben, um zu dir zurückzukehren. Nicht um auf Kosten meiner Mutter meine Gewandtheit im Stile zu schärfen - ich war neunzehn Jahre alt, der Vater mir vor zwei Jahren gestorben -, also nicht um meine Sprachfertigkeit zu vervollkommnen, las ich immer und immer dieses Buch; nicht seine Form, sondern sein Inhalt fesselte mich derartig. Wie brannte ich, o mein Gott, wie inbrünstig verlangte ich, von dieser Erde mich aufzuschwingen zu dir, und ich wußte nicht, was du mit mir vorhattest. Denn die Weisheit ist bei dir; die Liebe zur Weisheit aber ist's, was die Griechen Philosophie nennen, und diese entzündete jene Schrift in mir. Er und manche verführen auch durch das Wort Philosophie, indem sie mit diesem hehren, verlockenden und ehrbaren Namen ihre Irrtümer schön färben und vertuschen; und fast alle Philosophen aus Ciceros Zeiten und aus früheren sind in diesem Buche aufgeführt und beurteilt. Dort offenbart sich die heilsame Mahnung deines Geistes durch den Mund deines guten und getreuen Knechtes: ,Sehet zu, daß niemand euch täusche durch Philosophie und durch nichtigen Trug nach den Überlieferungen der Menschen und nach den Satzungen dieser Welt anstatt nach Christus; denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig‘ Noch waren mir zu jener Zeit - du weißt es, Licht meines Herzens -jene apostolischen Worte nicht bekannt; doch ich fand deshalb an der Mahnung jenes Buches Gefallen, weil es mich durch seinen Stil antrieb und bis zur Glut entflammte, nicht diese oder jene Philosophenschule sondern die Weisheit selbst, wie immer sie auch beschaffen war, zu lieben, zu suchen, ihr zu folgen, sie zu ergreifen und mit aller Kraft festzuhalten; nur der Umstand dämpfte meine große Glut, daß der Name Christi darin nicht vorkam. Denn nach deiner Erbarmung, o Herr, hatte mein junges Herz diesen Namen meines Erlösers, deines Sohnes, schon im 70

Laut Fürst empfand der Kirchenvater Hieronymus, der seine literarische Ausbildung in Rom erhalten hatte, ein eigenartiges Verhältnis zu Cicero, er hatte eine ambivalente Stellung zur antiken Kultur und Literatur und eher eine Abkehr von ihr, die bis hin zur Beschäftigung mit der Bibel führte. Hieronymus hatte im Fieber eine schreckliche Traumvision, er stand im Traum vor dem Richterstuhl Gottes und wurde beschuldigt, kein Christ zu sein, er sei ein Ciceronianer. Nun versprach Hieronymus, sich von der Literatur Ciceros zu trennen, und die Bibel sollte nun an erster Stelle stehen, die heidnische Literatur an zweiter.198 Allerdings kannte er angeblich Texte aus diesen Werken schon auswendig und musste erkennen, dass er das bereits vorhandene Wissen nicht aus seinem Gedächtnis löschen konnte, was ihn in schwere Gewissensnot brachte, weil er die Beschäftigung mit solch einem Schrifttum als sündhaft erachtete. Die Werke von Hieronymus waren jedenfalls vom Einfluss Ciceros geprägt.

2.7 Dialogformen und Dialoggattungen

Was nun die Verbreitung des Dialogs auf der Textebene angeht, so besteht ein Zusammenhang mit der bewussten Pflege des literarischen Dialogs, der etwa nicht nur die Verteilung der Rollen aus dem Mündlichen übernimmt, sondern auch schriftlich den mündlichen Austausch nachzuahmen versucht, und er steht nach Peter von Moos in paradoxem Verhältnis zur Dialogform .199 „Er ist der Oberbegriff einer Reihe geschichtlich bedingter Gattungen (philosophischer Dialog, Streitgespräch, Lehrgespräch, Nachrufdialog und historiographisches Zeugengespräch, Totengespräch, selbstbetrachtendes Gespräch, Gebetsdialog usw.), die wie alle Gattungen dank erster Modellwerke entstehen, sich durch Nachahmung und Innovation als ein konventionalisiertes Ensemble erhalten, verändern, und gelegentlich wieder untergehen.“200

Voraus mit der Muttermilch eingesogen und hielt ihn tief fest; und nie konnte mich eine Schrift, die diesen Namen nicht enthielt, mochte sie sonst noch so wissenschaftlich, so fein, so wahr sein, völlig hinreißen.“ http://www.unifr.ch/bkv/kapitel65-3.htm., Zugriff am 26.7.2013. 198 Vgl. dazu: FÜRST Alfons, Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus: Studien zur antiken Theologiegeschichte, Berlin/Boston 2011,S. 27. 199 Vgl. Dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 210. 200 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 210f. 71

Die Abgrenzung oder Definition der verschiedenen Gattungen ist nicht immer absolut klar, so zum Beispiel beim philosophischen Dialog. Von der inhaltlichen Seite her ist die Abgrenzung des Typs ‚philosophischer Dialog‘ schwierig, da philosophische Themen in der Dialogliteratur wie De Hartmann es ausdrückt, allgegenwärtig sind. Es sind daher andere Merkmale oder Kriterien zu suchen, die philosophische Dialoge etwa von Lehrdialogen, selbstbetrachtenden Dialogen und Streitgesprächen unterscheiden. Laut De Hartmann gibt es keine Werke, die als leitende Vorbilder gesehen wurden und der Gruppe eine gewisse Einheitlichkeit gegeben hätten. Nach De Hartmann dürften zwar Augustinus und Boethius die mittelalterlichen philosophischen Dialoge mit ihrer Art der Argumentation beeinflusst haben, allerdings nicht in der formalen Ausgestaltung.201 Beispielsweise bezüglich der Beziehung der Dialogpartner zueinander, lassen sich Dialogtypen wie Lehrdialog, selbstbetrachtender Dialog oder Streitgespräch näher beschreiben, und damit vom philosophischen Dialog abgrenzen. Während in den Lehrdialogen und den selbstbetrachtenden Dialogen die Beziehung der Dialogpartner asymmetrisch ist, weil ein Dialogpartner die führende Funktion hat, zur Vermittlung von Wissen oder zur Seelenführung, so kann in den Streitgesprächen die Beziehung symmetrisch oder asymmetrisch sein. Die Basis der Streitgespräche ist die gegensätzliche Meinung, welche von den beteiligten Figuren vertreten und gelegentlich auch verkörpert wird. Eine asymmetrische Beziehung liegt vor, wenn eine Meinung besonders hervorgehoben wird, eine symmetrische Beziehung besteht dann, wenn die Dialogpartner versuchen sich der Gleichberechtigung anzunähern. Dies ist auch der Fall bei den philosophischen Dialogen, wo von Anfang an eine Gleichberechtigung angestrebt wird, obwohl die philosophischen Dialoge oft dem Modell der Lehrdialoge folgen, und die Figuren als Schüler und Lehrer charakterisieren.202 Es besteht jedoch wohl eine Abgrenzung zu den Lehrdialogen, wenn nicht nur die Beziehung sondern auch weitere Merkmale betrachte oder berücksichtigt werden. In den Lehrdialogen strukturieren quasi die Fragen der Schüler das vermittelte Wissen, in den philosophischen Dialogen hingegen beteiligen sich die Schüler meist an der Argumentation und sind dadurch wesentlich aktiver. Vom Inhalt her geht es in den philosophischen Dialogen nicht um die

201 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 210. 202 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 210. 72

Weitergabe von Wissen, sondern um die Erörterung oder Diskussion von Problemen, es werden gewissermaßen verschiedene Lösungsansätze untersucht und Perspektiven erweitert. Auch die Strategie, die der Autor verfolgt, um aus verschiedenen Themen ein einheitliches Werk zu verfassen, ist bei den beiden Dialogtypen unterschiedlich. In den Lehrdialogen führt die Figur des Schülers mit den Fragen neue Themen ein, und sorgt so für eine Einheitlichkeit des Textes. In den philosophischen Dialogen ergeben sich die Wechsel der Themen einerseits aus dem Gespräch selbst andererseits werden sie einer Erzählung, die von einem der beiden oder beiden Gesprächspartner vorgetragen wird, entnommen.203 Da liegt eine Parallele zum modernen Dialog vor, wo sich die Themen auch aus dem Gespräch oder den Erzählungen ergeben, und den Dialog prozesshaft weiterfühen. Streitgespräche zwischen Lehrer und Schüler sind schwieriger abzugrenzen, da sie Anleihen aus verschiedenen Dialogtypen nehmen. 204 So entspricht der moderne Dialog etwa dem Philosophischen Dialog, da in beiden eine Gleichberechtigung der Gesprächspartner angestrebt wird einerseits und weil es in beiden weniger um die Weitergabe von Wissen sondern vielmehr um die Erörterung von Problemen geht, es werden so augenscheinlich verschiedene Lösungsansätze untersucht.

In der Antike bestand der Dialog gewissermaßen als Gattung etwa als philosophisches Genus, in der Literatur ist der Dialog allerdings eher eine Randerscheinung.

Jedoch ist die Dialogform von universeller Bedeutung, da der Verfasser einer Schrift die Form wählen kann. Peter von Moos meint: „[…] sie ist eine der zwei formalen Möglichkeiten, zwischen denen jeder Autor so wählen muss wie der ‚Bourgeois Gentilhomme‘ zwischen Vers und Prosa.“205 Bernd Reiner Voss bemerkt, dass der christliche Dialog hingegen eher aus der anspruchslosen Erzählliteratur entstanden ist.206 Er schreibt über den christlichen Dialog: „Die Form des Gesprächs ist auf die jüdischen Diskussionen über die Auslegung der Thora zurückzuführen.

203 Vgl. dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 211f. 204 Vgl. dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 212. 205 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 211. 206 Vgl. dazu: „Der christliche Dialog ist allem Anschein nach ohne Fühlung mit der gehobenen Literatur der Antike entstanden - wie es nach der gesellschaftlichen Stellung der frühen Christen zu erwarten war. Das vermutlich früheste - nicht erhaltene - Beispiel der Gattung ist am ehesten als Verselbständigung eines Bestandteils der volkstümlichen, künstlerisch, anspruchslosen Erzählliteratur zu verstehen. VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.347f. 73

In dem frühesten erhaltenen Werk, dem Dialogus Justins, ist das Auslegungsgespräch jüdischer Provenienz durch Elemente des klassischen Dialogs der Antike in die Tradition der kunstmäßigen Literatur eingefügt und, zumindest der Intention nach, in den Rang der gehobenen Literatur gerückt. Das Auslegungsgespräch, erst von den Christen in die literarische Form des Dialogs gebracht und somit trotz seiner jüdischen Herkunft als christlich zu bezeichnen, bleibt das wichtigste und dauerndste Kennzeichen der christlichen Dialogliteratur im Gegensatz zu außerchristlichen Tradition.“207

Das Auslegungsgespräch war eher polemisch gehalten. Diese Methode wurde allerdings, als neutrales Hilfsmittel der Wissenschaft, in der Dialektik eingesetzt und ausgebaut.208 Bernd Reiner Voss schreibt: „Neben dem in der Regel polemisch gehaltenen Auslegungsgespräch kommt allmählich die philosophische Erörterung von mit der christlichen Lehre gegebenen Problemen auf, vorwiegend in der Form des Lehrgesprächs, in dem ein Wissender auf Fragen und Einwände antwortet. Die hier erscheinende Rolle des Lehrers ist aus der christlichen Wirklichkeit in die Literatur übernommen und erst später von Fall zu Fall unter Einfluss der platonischen Dialoge und durch das Bild des Sokrates modifiziert worden.“209

Methodios zum Beispiel versuchte, in Anlehnung an Platons Dialoge den klassischen Dialog zu verändern. Er war vom Prinzip des Dialogs als einem gemeinschaftlichen Gespräch angetan, wo beide Seiten des Gesprächs aktiv um der Sache und um der Sprecher willen beigetragen haben. Er wollte dem Dialog deswegen auch zu literarischer Gestaltung von Rang im christlichen Raum verhelfen.210 „Die Übernahme von Literatur- und Argumentationsformen bedeutete von da an nicht mehr Übernahme von etwas grundsätzlich Fremdem und Unchristlichem, sondern von etwas neutral Außerchristlichem. Die Entscheidung für oder gegen den Anschluss an die antike Tradition war zu einer Entscheidung für oder gegen Kunst und Wissenschaft geworden. Was zuvor eine Frage des Glaubens gewesen war, stellte sich nun als eine Frage des geistigen Niveaus dar. Und wo es Widerstand und Ablehnung gab, richteten sie sich gegen die Kunst und nicht

207 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348. 208 Vgl. dazu: „ Die Methode der Auslegung in Verbindung und Abwägung verschiedener Schriftzeugnisse wird unter Einbeziehung der außerchristlichen, als neutrales Hilfsmittel eingesetzten Wissenschaft, insbesondere der Dialektik, ausgebaut. […]“VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348. 209 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348. 210 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348. 74 gegen die Wissenschaft, konkreter: gegen literarische Ausgestaltung und nicht gegen dialektische Erörterung. […] doch wo die Entgegensetzung von gläubiger Hinnahme und kritischer Erörterung in der Dialogliteratur erscheint, handelt es sich fast ausschließlich um unsachliche Argumentation im Dienst der Polemik.“211

Peter L. Schmidt sieht im philosophischen Dialog die partnerschaftliche Beziehung der Dialogteilnehmer und deren gemeinsame Suche nach der Lösung eines Problems. Schmidt sieht auch den Einfluss des ciceronischen Dialogs und beobachtet die Wichtigkeit der Methode der Diskussion per se. „Den Dialogpartnern als Vor-Bild des Publikums soll nicht einfach Information weitergegeben werden, sondern in der gemeinsamen Erarbeitung des Problems werden sie für die Entscheidung engagiert; mehr als auf den Ausgang kommt es auf den Gang des Diskurses an.“212 Wo es weniger um den Ausgang als auf den Gang des Diskurses geht, da liegen Parallelen zum modernen, bewusst gestalteten Dialog wo es auch mehr um den Prozess als um das Ergebnis geht.

De Hartmann berichtet über die philosophischen Dialoge im Frühmittelalter: „Im Frühmittelalter waren die philosophischen Dialoge rar. […] Allerdings formiert sich nun eine Gruppe, die zwei Merkmale der spätantiken philosophischen Dialoge – ciceronischen Einfluss und partnerschaftliche Diskussion – beibehält, nämlich die biographischen Dialoge, die das ciceronische Modell über den Dialog des Sulpicius Severus rezipierten.“213 Sulpicius Severus gehört zu jenen Autoren, die den christlichen Dialog nach einer längeren Pause wieder zur Blüte brachten. Bernd Reiner Voss führt folgendes aus: „Nach einer Pause von etwa einem halben Jahrhundert, aus dem wir den Dialog nur als gesunkenes Kulturgut im subliterarischen, außerkünstlerischen Bereich kennen, kommt es in den ersten Jahrzehnten nach der julianischen Reaktion zu Blüte. Diese Blüte ist für den Dialog als literarische Kunstform kurz, die Zahl der Autoren ist gering. Gregor von Nyssa und Augustin, Johannes Chrysostomus und

211 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348. 212 SCHMIDT Peter Lebrecht, Zur Typologie und Literarisierung des frühchristlichen Dialogs, in: Fuhrmann Manfred, Christianisme et formeslittéraires de l’Antiquté tardive en Occident, Gènevè 1976, S. 101-190, München 1929, vgl. dazu auch: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 215. 213 „In ihnen diskutiert eine Gesprächsrunde die Lebensleistung einer (in der Regel umstrittenen) Persönlichkeit, wobei die Erzählung Anlass zur Diskussion einer Fülle von Themen gibt, moralische, philosophische und theologische Fragen eingeschlossen.“ HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 215. 75

Sulpicius Severus, vorher vielleicht Diodor von Tarsos: diese Autoren repräsentieren den Höhepunkt des christlichen Dialogs.“214 Die Disputation, das Streitgespräch, das weniger künstlerisch sondern eher sachlich geführt wurde, war in eher nüchternen Schriften wiedergegeben, und entsprach eher der Wirklichkeit. Der literarische Dialog ändert sich, es fand die Übertragung des Dialogs in die mönchisch- hagiographische Literatur durch Sulpicius Severus statt. Es gab eine Nachfolge in den Collationes Cassians, „denen allein von modernen Autoren in merkwürdige Inkonsequenz der Dialogcharakter abgesprochen wird, und in den als solche bekannten und anerkannten Dialogen Gregor des Großen. Dort ist das ohnehin nur schwach entwickelte dialogische Element nur zur Auflockerung der Erzählung da.“215

Was nun die Absichtserklärungen für Dialoge betrifft, so sind diese spärlich. Weder in der Antike noch im Mittelalter finden sich solche, „für das Mittelalter ist man auf spärliche Motive der Dialogschreiber in Prologen und Epilogen und auf literaturgeschichtliche Bemerkungen in den accessus und anderen Schultexten angewiesen.“216 Bezüglich der Theorie des Gesprächs gibt es beiläufige Bemerkungen von Cicero „auch der sermo oder die Konversation verdiene eine Kunstlehre, so wie die Rede oder contentio ihre Rhetorik habe, gibt es keine nennenswerte antike Anleitung dieser Art. […] Antike und Mittelalter hatten freilich hoch differenzierte artes für besondere Arten der Mündlichkeit: die Dialektik – insbesondere das 8. Buch der aristotelischen Topik – regelte die wissenschaftliche Auseinandersetzung oder disputatio, und die Rhetorik lehrte bestimmte Formen der dialogischen Vergegenwärtigung wie Ethopoiie, ficta interlocutio und sermocinatio.“217

214 „Sieht man im Dialog mehr als eine beliebige Darbietungsform künstlerischer Literatur, verlangt man, wie die Sache es erfordert, innere Beziehung zwischen Kunstform und Anlage des Werkes, bleiben Gregor und Augustin als die einzigen. Ist schließlich wirkliche Erfüllung der Dialogform erst dort als vorhanden anzuerkennen, wo sie Ausdruck geistigen Ringens ist, dessen Ergebnis erst am Ende feststeht, so fällt der Höhepunkt der Gattung mit dem geologischen Werk Augustins zusammen. Wer im Dialog die Fülle des Lebens wiedergeben wünscht, hat die Cassiciacum-Dialoge mit ihrem szenischen Reichtum; wem es auf die bewegende Dynamik des Denkprozesses ankommt, kann De quantitate animae nennen.“ VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348f. 215 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348ff. 216 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348ff. 217 „Aber weder das eine noch das andre verdient evidenterweise das prädikat Gesprächskunst .Der mündliche Umgang wird im Mittelalter gelegentlich als Teil der Ethik oder der Anstandslehre in der entsprechenden didaktischen Literatur behandelt, meist im Sinne der ‚Zungenbeherrschung‘; er bleibt jedoch marginal im Vergleich etwa zu den Tafelsitten.“ MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 211f. 76

2.8 Dialog - Mimesis

Mimesis kommt aus dem Altgriechischen, und bedeutet Nachahmung oder Abbildung, dieser Begriff entstand in der griechischen Antike. Auerbach beispielsweise geht es in seiner Mimesis um die Interpretation des Wirklichen durch die literarische Darstellung oder ‚Nachahmung.218 Er fragt nach den Formen literarischer Wirklichkeitsdarstellung.219 Sein Interesse liegt einerseits darin, die Ursprünge des neuzeitlichen Realismus in der abendländischen Literatur aufzuspüren, andererseits geht es ihm um die Analyse der Art und Weise, wie in den von ihm untersuchten Texten die Realität ästhetisch überhöht wird, wodurch seine Studie die Züge einer Art Sozialhistorie des Abendlandes gewinnt.220 „Auerbach gibt in seiner Darstellung der Darstellung der Wirklichkeit, in diesem Prisma der Literatur von Homer und der Bibel, von Odysseus und Abraham bis hin zu Stendhal, Zola […] keine Erklärung und nähere Bestimmung dessen, was präzise unter Mimesis verstanden werden soll, […] Wir entdecken bei der Suche nach der begrifflichen Klärung, dass er den Begriff Mimesis selten benützt; er ersetzt ihn gewissermaßen durch die konkrete Stilanalyse des jeweiligen literarischen Mediums, in dem sich die Wirklichkeits-Mimesis realisiert und darstellt. Der Stilbegriff seinerseits ist transperent und deutlich bestimmt, denn er wird nach der Anleitung der antiken Rhetorik differenziert in das genus humile, medium und sublime und dann unter den speziellen Gesichtspunkten der Stiltrennung und Stilmischung behandelt.“221

Der Begriff Mimesis scheint zur Zeit Platons gebräuchlich gewesen zu sein, er sieht darin die nachahmende Rede. Christoph Wulf schreibt: „Mimesis dient Platon als Merkmal für die Entwicklung einer Typologie der Dichtung.“222 Ausgehend von der Bedeutung der Dichter in der griechischen

218 AUERBACH Erich, Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen 2001, S.494. 219 AUERBACH Erich, Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen 2001, S.515. 220 Vgl. dazu:LÜCKING Stefan, Mimesis der Verachteten, Eine Studie zur Erzählweise von MK 14, 1-11, (Stuttgarter Bibelstudien; 192), Stuttgart 1992, S. 7, http://www.stefanluecking.de/lit/mimesis-leseprobe.pdf, Zugriff am 14.2.2014. 221 BUSCH Walter, PICKERODT Gerhard, Wahrnehmen, Lesen, Deuten: Erich Auerbachs Lektüre der Moderne, Frankfurt a. M. 1998, S. 176. 222 WULF Christoph, S. 90, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am. 15.2.2014. 77

Erziehung, die nach Platon allmählich durch Philosophen ersetzt würden, stelle sich nach Christoph Wulf die Frage nach der Wirkung der Mimesis in der Erziehung. Für Platon ist Mimesis, so Wulf, eine ‚conditio humana‘, die quasi die Möglichkeit der Erziehung bedingt ja mit deren Hilfe Erziehung stattfindet. Wenn sich, nach Platon, Mimesis, aufgrund ihres vorethischen Charakters, auf etwas Negatives beziehe, sei sie eine Gefahr, die den Menschen schwächt, und ihn von der Erfüllung seiner gesellschaftlichen Aufgaben abhalte. Daher solle die Auswahl der Inhalte, die für mimetische Auseinandersetzungen freigegeben würden, kontrolliert werden, allerdings seien die Darstellungen erwünschter Handlungen durchaus sinnvoll. Diese forderten ja zur Nachahmung beziehungsweise zum Nacheifern geradezu heraus.223 „Ziel des mimetischen Prozesses ist es, den vorbildlichen Handlungen bzw. Menschen nachzustreben, ihnen ähnlich zu werden und sich ihnen anzugleichen. […] Mimesis bekommt hier eine ethische Komponente. Mit Hilfe der mimetischen Fähigkeiten soll etwas Vorbildliches nachgeahmt und dadurch Teil des Eigenen werden.“224 Allerdings spricht Platon der Kunst und der Dichtung die Fähigkeit ab die Ideen quasi zur Darstellung zu bringen, da diese es mit Mimesis und nicht mit Methexis, also dem ontologischen Abhängigkeitsverhältnis der konkreten Gegenstände von Ideen, zu tun haben, was zu einer Abwertung der Mimesis bezüglich den Ansprüchen der Philosophie betreffend der Ideenschau und der Erkenntnis des Wahren, Guten und Schönen.225 Christoph Wulf bemerkt: „Andererseits ist die platonische Philosophie von der Erkenntnis der Bedeutung der Mimesis für Erziehung, Politik und Ästhetik fasziniert. Auf diese Seite gehört auch der mimetische Charakter der platonischen Philosophie selbst, die schließlich darin besteht, Sokrates und seine Gesprächspartner zur Darstellung zu bringen, und zu zeigen, wie Erkenntnis in Gesprächen gesucht wird und Annäherungen an das Wahre, Gute und Schöne erfolgen. Somit bleibt das Verhältnis von Platon zur Mimesis widersprüchlich und enigmatisch.“226

223 Vgl. dazu: WULF Christoph, S. 90, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am 15.2.2014. 224WULF Christoph, S. 90, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am 15.2.2014. 225 Vgl dazu: WULF Christoph, S. 92, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am 15.2.2014. 226 WULF Christoph, S. 93, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am 15.2.2014. 78

Für Platon bedeutete Mimesis unter anderem die nachahmende oder nachgeahmte Rede, heute würden wir sie als direkte Rede bezeichnen, quasi der Dialog. Dem gegenüber steht die Erzählung oder wie sie in der Antike bezeichnet wurde, die Diegesis.227

Sokrates verglich Mimesis laut Platon mit dem logischen Schlussverfahren der Induktion, also vom Besonderen wird etwa nachahmend auf ein Allgemeines geschlossen. Platon kennt allerdings nicht nur eine Mimesis, die sich nach schon empirisch Vorhandenem richtet, sondern auch jene, die Menschen darstellen kann, die es etwa nicht nur nicht gibt, sondern die sogar nur schwer realisiebar sind, womit die schönsten Charaktäre gemeint sind. Hier wird die Differenz zwischen dem Geschichtsschreiber, der Geschehenes mit all seinen Kontingenzen berichtet, und dem Dichter, der bescchreibt, was alles geschehen könnte, aufgezeigt.228

Aristoteles sieht in der Kunst auch Nachahmung. Für Aristoteles steht im Mittelpunkt der Poetik die Tragödie, quasi als Mimesis handelnder Menschen. „Mimesis meint bei Aristoteles nicht die Kopie eines Wirklichen, bei der der Unterschied zwischen Vorbild und Nachbild nach Möglichkeit verschwinden soll. Mimesis ist Nachschaffen und Verändern in einem, zielt auf eine ‚Verschönerung‘ und ‚Verbesserung‘, eine ‚gestaltende Nachahmung‘.229

Für Aristoteles nun soll etwas zur Darstellung gebracht werden, das nicht dem wahren Bild entspricht, sondern dem Bild, das der Künstler in sich trägt. Nachahmen bedeutet für ihn nicht die Erstellung eines Abbildes, sondern die Erstellung eines neuen Bildes, das zwar auf das Urbild oder auf das Vorbild bezogen ist, es jedoch modifiziert.und nicht kopiert.

Platon meint in der Politeia230, dass die Künste sich lediglich an der Erscheinung orientiern, was bedeutet, dass sie sich etwa nicht nach den Ideen, sondern nach den sinnlichen Erscheinungen richten, welche aber wiederum unvollkommene Abbilder der Ideen sind. Wenn nun die Kunst gewissermaßen sinnliche Dinge zu ihrem Gegenstand hat, so bezieht sie sich mimetisch quasi auf etwas bereits zu Hinterfragendes oder Mangelhaftes und entfernt

227Vgl. dazu. HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 215. 228 Vgl. dazu: SCHÖNERT Jörg, ZEUCH Ulrike, Mimesis – Repräsentation – Imagination, Literaturtheoretische Positionen bis Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 2004, S. 45f. 229 „Homers Acill-Darstellung ist dafür ein Beispiel; in ihr wird Achill als jähzorniger, leichtsinniger Mann gezeigt, der insgesamt jedoch als rechtschaffener Mensch in Erscheinung tritt.“ WULF Christoph, Mimesis: Kultur, Kunst, Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 1992. S. 92. 230 PLATON, Der Staat (Politeia), Übersetzung Karl von Prantl, Hamburg, S. 397 79 sich somit von den Ideen.Und wenn die Dinge etwa das bloße Abbild von Ideen bilden, produziert Kunst so nur noch das Abbild vom Abbild, disbezüglich war Platons Einstellung zur Mimesis gewissermaßen widersprüchlich.231 Peter von Moos schreibt, dass Platon im 3. Buch seines Staates quasi den Ausschluss der Dichter u.a. mit dem Vorwurf begründet, dass sich die Dichter durch Nachahmung, also Mimesis, der Verantwortung für das Gesagte entziehen. „Alle Dichtung gilt ihm als Erzählung oder ‚Vortrag‘ von Ereignissen. Ereignisse lassen sich auf drei Arten erzählen, bzw. ‚vortragen‘ […] entweder in einfachem (nicht mimetischem) Bericht, so dass der Dichter im eigenen Namen spricht, oder mimetisch, indem ‚der Dichter so tut, als spräche ein anderer als er‘, d.h. durch Rollen wie in der Komödie oder Tragödie, und drittens in einer Mischung aus narrativer und mimetischer Darstellung, Bericht und direkter Rede wie im homerischen Epos. Die Verwendung der Dialogform ist hier also das entscheidende Einteilungskriterium, wie dies aus Platons Definition des Dramas hervorgeht, nämlich als eine Darstellung, ‚aus der man zwischen den Reden den Bericht des Dichters herausgenommen‘ habe, so dass ‚nur die Wechselreden übrig bleiben‘.“232

Laut Peter von Moos ist also nach Platon und nach Aristoteles die reine Personenrede quasi der Dialog, das Höchsmaß an Mimesis oder Fiktion.

Carlo Sigoni233, ein Historiker Italiens, nahm sich in seinem ‚Del Dialogo‘ der Gattung des Dialogs annahm.

„Als Definition diente ihm ein Zitat aus der Plato-Vita des Diogenes Laertios, der Dialog sei ‚eine in Frage und Antwort sich abspielende Ausführung eines philosophischen und politischen Themas unter angemessener Charakteristik der eingeführten Personen und gehöriger Rücksicht auf die sprachlichen Anforderungen‘234, womit er alle scherzhaften oder parodistischen Arten des Genus von der Art Lukians ausschließen wollte.“235

231 Vgl. dazu: SCHÖNERT Jörg, ZEUCH Ulrike, Mimesis – Repräsentation – Imagination, Literaturtheoretische Positionen bis Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 2004, S. 45f, vgl. dazu auch: WULF Christoph, S. 94, http://www.ewi-psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf, Zugriff am 15.2.2014, vgl. dazu auch: LÜCKING Stefan, Mimesis der Verachteten, Eine Studie zur Erzählweise von MK 14, 1-11, (Stuttgarter Bibelstudien; 192), Stuttgart 1992, S. 7, http://www.stefanluecking.de/lit/mimesis-leseprobe.pdf, Zugriff am 14.2.2014. 232 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 215. 233 PIGNATTI Franco, Carlo Sigonio, Del Dialogo, Rom, 1993 234 Vgl. dazu: PIGNATTI Franco, Carlo Sigonio, Del Dialogo, Rom, 1993, S. 144f. 235 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222. 80

Es stellte sich nun die Frage, wo der Dialog hingehört, ob er etwa zur Mimesis gehöre, und wie er sich einerseits von der Lehrschrift und andererseits vom Drama unterscheide.236

Peter von Moos schreibt: „Sigonio sieht darin eine echte Fiktion und einen Gegenstand der Politik, weil er nicht nur wie die scholastische Disputation abstrakt These gegen These stellt, sondern fremde Personen mit eigener Redeweise in einem szenischen Kontext als Träger der Argumente auftreten lässt. Doch auf der anderen Seite ist auch die Dialektik dafür zuständig, weil gebildete Personen - keine lukianischen Dirnen - darin in Prosa über ernsthafte Gegenstände diskutieren.“237 Der Dialog war offenbar für Sigonio einerseits fiktional andererseits fließt auch die Dialektik in ihn ein, er vereint sozusagen beide Gattungen.238

Sigonio war es offenbar wichtig, den Dialog, der aufgrund seiner Prosaform oft nicht poetisch gesehen wurde, diesen als poetisch hervorzuheben.

Peter von Moos meint über Sigonio: „Seine Sorge war vielmehr der Nachweis der Fiktionalität gegen klassische Puristen, die wie Castelvetro den Dialog als Prosa aus dem Olymp verbannt hatten. Große Autoritäten stehen ihm bei: Cicero habe Plato für poetischer befunden als alle in Versform dichtenden Komödienschreiber. […] Das Didaktische der Gattung lag auf der Hand. Sigonio illustrierte es vor allem an Aristoteles, der im inneren Kreis seiner Schüler den esoterischen Modus der monologischen Autosprache und des demonstrativen Beweises, d.h. die Traktatform benützte, vor der Öffentlichkeit jedoch die dialogische Personensprache und die topische Argumentation durch Pro- und Contra- Meinungen als exoterischen Modus. Nach Cicero, der ihm darin folgte, soll Aristoteles beide Verfahren kombiniert haben, so dass ein Thema zuerst in utramque partem durch verschiedene Rollen beleuchtet und abschließend ein Lehrervortrag den Weg aus der Meinungsvielfalt zur Wahrheit wies.“239

Sigonio sah eine Struktur, die quasi aus zwei Teilen bestand, aus einer poetisch-szenischen sozusagen einführenden Konversation, und dem Hauptteil oder Hauptstück einer dialektisch- rhetorischen Auseinandersetzung.

236Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 221. 237MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222. 238 Vgl. dazu: „Das Zwitterhafte dieser halb fiktionalen, halb didaktischen Gattung, ein Unding für alle Ästhetik der Kunstautonomie, scheint Sigonio nicht gestört zu haben.“ MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 221. 239 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 221. 81

„Dies veranlasste Sigonio, die aristotelisch- ciceronische Struktur zur Dispositionsnorm des Dialogs zu machen, der demnach stets aus zwei Teilen zu bestehen habe, aus einer poetisch- szenischen praeparatio oder einführenden Konversation, eine Art captatio benevolentiae, und dem Hauptstück einer stringenten dialektisch-rhetorischen contentio oder Auseinandersetzung. Schließlich teilt Sigonio die Gattung in Unterarten ein: Merkwürdigerweise ist sein Kriterium dabei dasselbe, das in der auf Plato zurückgehenden Tradition der drei genera poetarum den Dialog von anderen Gattungen unterscheiden ließ: die Rolle des Autors in seinem Werk. Es gibt dramatische, narrativer und gemischte Dialoge, je nachdem ob das Gespräch direkt wiedergegeben (wieder platonische Phaidros oder Ciceros Laelius), ob es erzählt wird (wie Ciceros De oratore), oder ob es teils berichtet (narrativ) und teils inszeniert (mimisch) wird (wie der Phaidon und der Protagoras).“240

Sigonio sah Mimesis offenbar im Sinne von Nachschaffen, Verändern oder Verschönern, so wie Aristoteles und nicht wie Platon im Sinne von nachgeahmter Rede quasi der heutigen direkten Rede.

Peter von Moos schreibt über die Arten Unterarten der Dialoge von Sigonio„ Diese Einteilung wäre selbstwidersprüchlich, hätte Sigonio Mimesis im platonischen und nicht im aristotelischen Sinne verstanden; sie bedeutet ihm nicht bloß Anwendung der Personensprache, sondern Fiktion in einem umfassenderen und emphatischen Sinne, über den es sich freilich nicht genauer ausspricht.241

Torquato Tasso vergleicht Dialog und Drama. In seinem Werk ‚Discorso dell’arte del dialogo‘ (1586 veröffentlicht) schreibt er laut Peter von Moos, dass Aristoteles sozusagen unter dramatischer Mimesis die Nachahmung menschlicher Handlung auf des Bühne sehe. „Um den Dialog als ein ‚Mittleres zwischen Dichtung und Dialektik‘ für die Mimesis zu retten, postuliert er darum zwei Arten von Handlung: die Ereignishandlung und die geistige Handlung oder Gedankenführung.“242

240 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222. 241 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 223. 242MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222f. 82

Die geistige Handlung bestimmt dann quasi den Dialog im Sinne einer Nachahmung einer dialektischen Argumentation, allerdings eher für die Lektüre und nicht für die Bühne, und die Ereignishandlung entspricht sozusagen der Handlung oder dem Inhalt des Dramas.243

Ein weiterer Dialogtheoretiker, Sperone Speroni brachte 1575 eine ‚Apologia die dialogi‘ heraus und fügte den bereits erwähnten Aspekten eine Pragmatik der Gattung bei. Das Werk ist gewissermaßen, wie der Titel andeutet, hauptsächlich eine Rechtfertigung seiner eigenen Dialoge über die Liebe, die von der Inquisition bedroht wurden. So versucht Speroni den Grund für die Wahl dieser Gattung zu erörtern.244

Laut Peter von Moos versucht Speroni in der theoretischen Literatur die Motivation zur Wahl dieser, wie Speroni meint, ‚poesienahen‘ Prosagattung zu erklären: „Er sieht darin die Dramatisierung einer wissenschaftlichen Diskussion nach Art der Komödie. Wie der Komödiendichter seinen Rollen verschiedene, u.a. anstößige und lächerliche Ansichten zuteilt, mit denen er sich nicht identifiziert, so hält auch der Dialogautor seine persönliche Meinung hinter der dramatisch inszenierten Meinungsvielfalt zurück, damit die ‚varietà‘ und ‚novità‘ der sich kreuzenden Gedanken den ‚diletto‘ eines verständigen Lesers erzeuge, der sich selbst aus alledem ein abschließendes Urteil bilden könne.“245

Beate Lintzen und Roswitha Simons, Norm und Poesie meinen, dass bei der Charakterisierung des Austausches unterschiedlicher Meinungen und Ansichten im Dialog Speroni darin neben dem Nutzen für eine nicht so im philosophieren geübte Leserschaft auch eine Quelle der Freude oder des Vergnügens sieht.246

243 Vgl. dazu: “Während erstere als ‘plot’ im Drama vorherrsche und unersetzlich sei, bestimme die zweite den Dialog, der primär Nachahmung eines ‚ragionamento‘, einer dialektischen Argumentation nicht für die Bühne, sondern für die Lektüre sei und nur sekundär oder akzidentell auch einen Ereignisrahmen haben könne. Ein Bild Sigonios wieder aufnehmend sagt er, die ‚quistione‘, d.h. die quaestio, das Problem sei für den Dialog, das was die fabula für andere Dichtungen sei, nämlich die Seele des Werks. Der Dialog wird eine Art Gedankendrama.“ MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222f. 244 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 222. dazu auch: LINTZEN Beate, SIMONS Roswitha, Norm und Poesie: Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, S. 32. 245 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 223. 246 Vgl. dazu: LINTZEN Beate, SIMONS Roswitha, Norm und Poesie: Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, S. 33. 83

„Während ein Traktat auf anstrengende und entbehrungsreiche Weise aber letztlich geradewegs zur Wahrheit führe, realisiere der Dialog einen zwar über Umwege verlaufenden insgesamt jedoch angenehmeren und spielerischen Pfad zur Erkenntnis.“247

Der Dialog sei, so Speroni, ein ergötzlicher Garten oder Lustgarten, in dem alle möglichen, verschiedenen und neuartigen Kräuter oder Pflanzen wachsen und jeder Besucher könne sich daraus seinen eigenen Strauß pflücken und zusammenstellen. So entsprechen die bekannten und neuen Pflanzen im Garten Speronis den bekannten und neuen Meinungen im Dialog, und jeder kann ‚Perspektiven pflücken‘ oder erweitern um zu einer neuen Idee zu gelangen.248

Peter von Moos meint dazu: „ Dieses Motiv der Unparteilichkeit und Offenheit, in Wirklichkeit, d.h. textextern meist ein strategisches Tarnungsmotiv gegen die Zensur, dürfte tatsächlich einen großen Teil der Dialogautoren aller Zeiten bestimmt haben. Doch es war zweifellos nicht das einzige. Von einer Gattungstheorie erwartet man u.a. auch Aufschluss über die Autorintentionen. Doch die mittelalterliche und sogar die humanistischen Theoretiker des Dialogs lassen uns in dieser Hinsicht weit gehend im Stich. Es bleibt unser eigenen künftigen Arbeit überlassen, aus der bestehenden Dialogliteratur empirisch eine Typologie der Motivationen abzuschalten.“249

Man könnte annehmen, dass, wie bereits Platon und Aristoteles meinten, kulturelles Lernen gewissermaßen mimetisches Lernen ist. Der philosophische Dialog, oder der Lehrdialog aber auch der literarische Dialog möchten nicht nur unterhalten, sondern auch den Leser oder Zuhörer zum Mitdenken anregen, in dem Sinne, dass Nachahmung nicht bedingungslos erfolgen soll, sondern dass Menschen, Bilder und Modelle kritisch betrachtet und hinterfragt werden sollen. Es erfolgt sozusagen eine Annäherung an das Vorbild an das ‚Andere‘. Laut Christoph Wulf sprach Platon von einer mimetischen Dynamik, der man sich nicht entziehen kann. In diesen mimetischen Prozessen soll jedoch nicht etwa eine Kopie hergestellt werden, im mimetischen Prozess ist eine Aktivität der Menschen vorhanden, die sich auf ein Außen bezieht, dieses assimiliert und diesem ähnlich wird. Menschen brauchen dieses Vorbild, um

247 LINTZEN Beate, SIMONS Roswitha, Norm und Poesie: Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, S. 33f, vgl. dazu auch: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 223. 248. LINTZEN Beate, SIMONS Roswitha, Norm und Poesie: Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, S. 34, vgl. dazu auch: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 223. 249 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 223f, vgl. dazu auch: LINTZEN Beate, SIMONS Roswitha, Norm und Poesie: Zur expliziten und impliziten Poetik in der lateinischen Literatur der frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013, S. 32-42. 84 sich auf dieses beziehen zu können, dann können sie bestimmte Züge entwickeln und sich so zum Ausdruck bringen, wie sie sein möchten.250

Mimesis spielt allerdings nicht nur in der Dichtung und in der Kunst eine Rolle, sondern auch im Gesellschaftssystem.

Christoph Wulf schreibt: „Aus der sprachlichen Untersuchung des Mimesisbegriffes wurde deutlich: Anfangs gab es keine Unterscheidung zwischen der Mimesis in sozialen und ästhetischen Zusammenhängen. Erst bei Platon bildet sich dies heraus; jedoch werden auch hier noch beide Dimensionen der Mimesis im engen Bezug zueinander gedacht. Allmählich wird Mimesis zu einem zentralen Begriff der Kunst- und Dichtungstheorie der Ästhetik. Die Bedeutung mimetischer Prozesse für die gesellschaftliche und soziale Organisation der Menschen scheint in Vergessenheit geraten zu sein.“251

Dem französischen Philosophen Paul Ricoeur geht es im Zusammenhang mit Mimesis um Erzählung und Zeit, in seinem Werk ‚Zeit und Erzählung‘ erzeugt für ihn erzählte Zeit quasi selbst das Erleben von Zeit.

In ‚Zeit und Erzählung‘ wird für Paul Ricoeur die Texthermeneutik Gegenstand der Untersuchung. Er versteht unter ‚Symbolen‘ Ausdrücke mit doppelter Bedeutung, sie sind sozusagen entweder durch Kulturen tradiert oder erscheinen im Werk eines einzelnen Denkers. Mit seiner Symbolhermeneutik versucht er den sprachlichen Charakter einer Erfahrung zu erfassen, dieser Ansatz scheint ihm später begrenzt.252

Laut Frank Fuch ist bei Paul Ricoeur für jegliche Art des Verstehens Mimesis von Bedeutung. Für Ricoeur „[…] ist das Ziel der Mimesis eine Zusammenstimmung der Handlungen, die deutlich macht, dass die Handlungsfolge verallgemeinerbar und damit als möglich oder sogar wahrscheinlich erscheint. Das Ziel der Mimesis ist also die dissonante Konsonanz. Dabei impliziert der Begriff Mimesis aber nicht nur eine Zusammenstimmung, sondern auch einen

250 Vgl. dazu: http://www.christophwulf.de/, Zugriff am 20.6.2013; dazu auch: psy.fu- berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/antewi/media/buecher_historische_anthropologie/historische_anthropolo gie/historische_anthropologie_04.pdf 251 WULF Christoph, Mimesis: Kultur, Kunst, Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 1992. S. 113. 252 Vgl. dazu: RICOEUR Paul, Zeit und Erzählung, Band I-III, München 1988, vgl. dazu auch: FUCHS Frank, Konkretionen des Narrativen, am Beipiel von Eberhard Jüngels Theologie und Predigten unter Einbeziehung der Hermeneutik Paul Ricoeurs sowie der Textlinguistik Klaus Brinkers, Münster 2004, S. 87 85

Bruch.“253 Demnach ist Mimesis einmal als Nachahmung, im Sinne einer neuen, schöpferischen Wirklichkeit, oder zu anderen als Darstellung, also als Bruch mit der Wirklichkeit, der quasi den Raum der Fiktion eröffnet, zu verstehen. Die Nachahmung bezieht sich auf die Praxis, wobei die Ethik den Bereich der Wirklichkeit behandelt, und die Poetik den Bereich des Imaginären. Auf diesem Weg gelangt Ricoeur zur Lehre von der dreifachen Mimesis, die als Prozess des narrativen Verstehens zu sehen ist. Bezüglich des Vorher der dichterischen Komposition wäre Mimesis I der Bereich des Imaginären der an das Wirkliche anknüpft, also die Vorbildung, die sich von Mimesis II also der Bildung unterscheidet. Das Nachher der dichterischen Komposition wäre dann Mimesis III, also die Umbildung. Der Sprung des Imaginären gründet somit auf einem Vorher und einem Nachher. Im mimetischen Prozess einer Fabelkonstruktion erfolgt oder spielgelt sich quasi dieselbe Struktur, wie in der Erzählung. Verstehen ist demnach ein Nachahmen der Komposition eines Werkes. 254

Ricoeur sieht in der Mimesis also drei Komponenten, die Mimesis I oder Präfiguration, die Mimesis II oder Konfiguration und die Mimesis III oder Refiguration. Mimesis I setzt ein grundlegendes Verstehen, also ein Verständnis vor dem Handeln, voraus. Mimesis II ist das Herzstück der Mimesis und bedeutet sozusagen eine Vermittlungsfunktion255, wo eine Geschichte quasi zu einem Ganzen zusammengefügt wird.

Paul Ricoeur schreibt: „Es ist ein Merkmal der Fabelkomposition, dass sie innere Zusammenhänge zwischen den einzelnen Handlungselementen schafft und diese in ein umfassendes Ganzes einordnet.“256

Mit Mimesis III erlangt die Geschichte erst ihren Sinn, Gadamer nannte es die ‚Anwendung‘, Mimesis III oder Refiguration bezieht sich auf die Zwischenwelten zwischen den Erfahrungen des Lesers und dem Gelesenen, es ist quasi der Schnittpunkt zwischen der Welt des Textes und der Welt des Lesers, damit ist der Text mimetisch mit der Welt des Wirklichen verbunden

253Ricoeur Paul, Erzählung Methapher und Interpretationstheorie, S. 249 zitiert nach: FUCHS Frank, Konkretionen des Narrativen, am Beipiel von Eberhard Jüngels Theologie und Predigten unter Einbeziehung der Hermeneutik Paul Ricoeurs sowie der Textlinguistik Klaus Brinkers, Münster 2004, S. 87. 254 Vgl. dazu: : FUCHS Frank, Konkretionen des Narrativen, am Beipiel von Eberhard Jüngels Theologie und Predigten unter Einbeziehung der Hermeneutik Paul Ricoeurs sowie der Textlinguistik Klaus Brinkers, Münster 2004, S. 87. 255 „Die Vermittlungsposition vollzieht sich in dreifacher Hinsicht: 1. Einzelne Ereignisse werden in den Gesamtsinn einer Geschichte integriert. 2. Die Vermittlung heterogener Faktoren, die Ricoeur auch als dissonante Konsonanz bezeichent, führt sazu, dass die Handlungsabfolge als wahrscheinlich oder notwendig erscheint, womit ihre Referenz intendiert ist. 3. Episodische und chronologische Zeit werden miteinander vermittelt.“ FUCHS Frank, Konkretionen des Narrativen, am Beipiel von Eberhard Jüngels Theologie und Predigten unter Einbeziehung der Hermeneutik Paul Ricoeurs sowie der Textlinguistik Klaus Brinkers, Münster 2004, S. 118. 256 RICOEUR Paul, Zeit und Erzählung, Band 1: Zeit und historische Erzählung, München 1999. S. 180. 86 oder verknüpft.257 Die Wirklichkeit jedoch ist gewissermaßen auch nicht eindeutig, denn die Sprache, Zeichen oder Symbole oder geschriebene Sprache verwischen mit ihrer doppelten oder vielschichtigen Bedeutung die Reinheit der Dinge, und so wie die Literatur so hält auch die Wirklichkeit Dinge in der Schwebe um sie vor Deutungen zu schützen.

Die Sprachproblematik gab es immer und gibt sie auch heute. Beispielsweise vollzog sich laut Foucault vom 16. zum17. Jahrhundert eine Veränderung in der sprachlichen Vorstellungswelt der Menschen. Das „Zeitalter der Ähnlichkeiten“ wie Foucault den historischen Abschnitt nennt, der zu diesem Zeitpunkt für ihn zu Ende geht, ist gekennzeichnet durch eine grundsätzlich andere Vorstellung von Sprache.258 Er drückt es so aus: „In ihrem rohen und historischem Sein des 16. Jahrhunderts ist die Sprache kein willkürliches System; sie ist in der Welt niedergelegt und gehört zu ihr, weil die Dinge selbst ihr Rätsel wie die Sprache verbergen und gleichzeitig manifestieren und weil die Wörter sie den Menschen als zu entziffernde Dinge anbieten“259

2.9 Dialog in anderen Kulturen

Nach Vittorio Hösle, ist der philosophische Dialog keine Schöpfung der Griechen. „Das ‚Gespräch der Lebensmüden mit der Seele‘ (wenn man es denn ‚philosophisch nennen will), die sogenannte ‚Babylonische Theodizee‘, die Upanischaden, etwa die berühmte Unterredung zwischen Uddálaka Aruni und seinem Sohne Svetaketu im sechsten Kapitel der ‚Chandogya- Upanisad‘, die Kung-fu-tses Gespräche wiedergebenden ‚Lun Yü‘, der zentrale Teil des Buches ‚Hiob‘(3-42.6), das ‚Suttapitaka‘ im ‚Tipitaka‘, das neben Lehrreden auch Gespräche Buddahs wiedergibt, kommen einem als Beispiele aus Ägypten, aus Mesopotamien, aus dem brahamanischen Indien, aus Chima, aus Israel und aus dem buddhistischen Indien in den Sinn.

257 Vgl. dazu auch: FUCHS Frank, Konkretionen des Narrativen, am Beipiel von Eberhard Jüngels Theologie und Predigten unter Einbeziehung der Hermeneutik Paul Ricoeurs sowie der Textlinguistik Klaus Brinkers, Münster 2004, S. 135. 258 Vgl. dazu: EHLERS Katrin, Mimesis und Theatralität: dramatische Reflexionen des modernen Theaters im ‚Theater auf dem Theater‘ (1988 – 1941), Münster, 1997, S. 57. 259 FOUCAULT Michael, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1974 /Paris 1966, S. 66. 87

[…] In all den genannten Kulturen hat der Dialog, auch und gerade der philosophische Dialog, lange Zeit bestanden.“260 Es stellt sich nun die Frage, ob vielleicht auch Platon mit seinen Sokratischen Dialogen, in Anlehnung an vorangegangene Muster gearbeitet hat. Cristoph Wulf schreibt dazu: „[…], so sollte gesunde Logik zu der Mutmaßung einer Anlehnung an vorgängige Muster führen. Solche bieten die Buddhagespräche nun reichlich. […] Man glaubt mutatis mutandis eine platonische Dialogeinleitung zu lesen.“261 Es findet sich auch eine Art des Dialogs im antiken indischen Theater, wo die Tänzer eine Geschichte mimten, während die Sänger den Dialog sangen.262

Vittorio Hösle erwähnt einige Beispiele des Dialogs, genaugenommen des Philosophischen Dialogs anderer Kulturen. „Die chinesische Auseinandersetzung mit dem Buddismus etwa bedient sich gelegentlich der dialogischen Form – man denke nur an den philosophisch außerordentlich dichten, die Argumente für und gegen die Identität von Körper und Geist auf verblüffend hohem Niveau diskutierenden antibuddistischen Text ‚Shenmie lun‘ (über das Erlöschen des Geistes) Fan Zhens aus der Qi-Dynastie (um 500 n. Chr.). Einer der wichtigsten nicht zum Tipitaka gehörigen, aber doch halbkanonischen Texte des Theravada-Buddhismus sind die ‚Milindapanha‘ (‚Menanders Fragen), ein Dialog auf Pali zwischen dem buddhistischen Mönch Nagasena und dem gräkoindischen König Milinda/Meander von Baktrien, einer geschichtlichen Figur aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, der vielleicht wirklich zum Buddhismus konvertierte. Der Dialog stammt wohl aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert und mag ursprünglich auf Sanskrit verfasst worden sein. Die Form eines (unselbständigen, da in das sechste Buch des ‚Mahabharata‘ eingefügten, und indirekten) Dialogs hat die ‚Bhagavadgita‘, einer der bedeutendsten und einflussreichsten

260 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 79f, „Auch wenn deren genaue Datierung in einigen Fällen umstritten ist, handelt es sich um Texte, die teilweise mit denen der klassischen griechischen Zeit gleichaltrig, teilweise viel älter sind.“ HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 80. 261 http://www.christophwulf.de/, Zugriff am 20.6.2013, S. 10; „So lang das Nachleben der platonischen Dialogform ist, das sich über viele Jahrhunderte ausdehnt, dürfte auch seine Vorgeschichte sein. Dialogisch philosophische Ansätze bietet der alte Orient mehrfach, ganz besonders aber darf man für die Propädeutik auf diesem Gebiet wohl Indien in Anspruch nehmen. Wir wissen heut, dass die Wege des Denkens im Altertum trotz verkehrstechnischer Unwegsamkeiten gebahnt und weitaus gangbar waren. Die ionischen Weisen erscheinen uns vielfach als handelskundige Weltwanderer, die die damalige Oikumene nach Kulturgütern absuchten und das Eingeheimste ins Mutterland einfuhren. Dass dergleichen eindruckslos geblieben sei, wäre eine recht abwegige Annahme. Im Gegenteil straft die hellenische Kunst und Kultur mit ihren zahllosen fremdkörperlichen Bestandteilen eine solche unwissenschaftliche Behauptung Lügen. Es ist Zeit, mit so törichtem Dilettantismus aufzuräumen. Ein längeres Verweilen bei den buddhistischen Dialogen führte mich seinerzeit zu dem Eindruck, dass, so absurd es zunächst scheinen wollte, hier eine mehr oder weniger gerade Linie zu Platon führe.“ 262 „In the old days of the theatre, the dancers would mime the story while the singers would sing the dialogue.” http://chandrakantha.com/articles/indian_musik/nritya.html, accessed 10.12.2012. 88

Texte des Hinduismus (vermutlich ebenfalls aus einem der ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderte). […]“263

Es gab also eine allgemeine Verbreitung des philosophischen Dialogs bei den Hochkulturen, die etwa philosophische Texte hervorbrachten, was den Dialog als naheliegende Form dafür bezeichnet. Der Dialog bietet sich ja besonders für das Philosophieren, da philosophieren ja im Gespräch erfolgt, und auch im Zusammenhang mit dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, eignet sich der Dialog gut, da er diese soziale Realität einzufangen vermag. Es kam in der ‚Achsenzeit‘264 in vielen Gegenden das Bedürfnis, sozial geltende Traditionen gewissermaßen durch autonome Vernunft zu legitimieren. Dafür bot sich die Dialogform natürlich an, weil sie den Lesern oder Adressaten des Textes nicht einfach die Autorität des Autors überstülpte, sondern diesen teilhaben ließ, etwa an den Fragen der Gesprächspartner.265

Es gab also zwar viele Dialoge in anderen Kulturen, jedoch kann man dennoch behaupten, dass es den Griechen augenscheinlich gelungen ist, dieses Genre auf ein neues Niveau zu heben. Selbst wenn außergriechische Texte Einfluss ausgeübt haben mögen, ändert dies nichts an der Innovation der Griechen und deren Leistung, im Sinne der literarischen und der philosophischen Neuerungen.266

Bezüglich des Unterschieds des indischen und des griechischen Drama meint Vittorio Hösle, dass sich das klassische griechische Drama des fünften Jahrhunderts, nämlich die Tragödie wie die Komödie, von dem indischen etwa durch die einzigartige Intensität der moralischen Suche unterscheide und durch die Vertiefung des Individuums durch die Infragestellung der geltenden moralischen Normen. „[…] Ebenso ist unter formalen Gesichtspunkten klar, dass der dramatische Dialog im allgemeinen und die Stichomythie im Besonderen die hohe Schule des philosophischen Dialogs gewesen ist – Charakterzeichnung durch den Austausch unterschiedlicher Weltsichten, manchmal auch der sie tragenden Argumente, in der Stichomythie in bündigster Form, bereitet den philosophischen Dialog vor.“267

263 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 80f. 264 Karl Jaspers bezeichnet als Achsenzeit Karl Jaspers die Zeitspanne von 800 bis 200 v. Chr. In jener Zeitspanne machten die Gesellschaften von vier quasivoneinander unabhängigen Kulturräumen zur selben Zeit bedeutende philosophische und technische Fortschritte, was wiederum einen prägenden Einfluss auf alle nachfolgenden Zivilisationen hatte. Laut Jaspers erfolgte in der Achsenzeit daher die geistige Grundlegung unserer gegenwärtigen Menschheit, welch die Grundkategorien hervorbrachte, in denen der Mensch gewissermaßen noch heute denkt., www.chairete.de/Beitrag/TA/jaspers_achsenzeit.pdf, Zugriff am 20.8.2013, S. 192-211. 265 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 81f. 266 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 80f. 267 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 82. 89

Laut Rudolf Hierzel gibt es dialogische Strukturen schon im Epos, in der Lyrik und in der Chorlyrik, etwa im ‚Wettstreit Hesiods und Homers‘, in der sizilischen Komödie Epicharms und im Mimos des Sophron. Diese dürften auf Platon Einfluss ausgeübt haben.268

„Aber so nahe die literarische Entwicklung an den Dialog führte, sosehr scheint seine schließliche Geburt sich einem Phänomen zu verdanken, das gerade nicht literarischer Natur war,- der einzigartigen Persönlichkeit des Sokrates. Soweit wir wissen hat kein Philosoph vor ihm Dialoge geschrieben, obzwar in philosophischen Traktaten dialogische Momente durchaus vorkamen.“269

2.10 Verschiedene Dialoge in der frühchristlichen Literatur

2.10.1 Der Dialog bei Justin

Der Dialog Justins270 ist der älteste erhaltene Dialog, er gibt ein Gespräch wieder, das zur Zeit des Barkochba-Krieges zwischen dem Verfasser und dem Juden Tryphon geführt sein will. Bernd Reiner Voss sieht das Werk als einen direkt erzählten Dialog, eingefügt in den Rahmen eines Widmungsbriefes. In der Einleitung, die dem eigentlichen Gespräch vorausgeht, ist die Szenerie gegeben, und die Hauptunterredner werden vorgestellt. Justin wird von Tryphon, den er beim Spazierengehen in einem Säulengang des Gymnasiums trifft, zu einem Gespräch bezüglich seiner Philosophie aufgefordert, und er beschreibt seinen Weg über die verschiedenen Philosophenschulen zur jetzigen Philosophie, nämlich dem Christentum. Bernd Reiner Voss beschreibt das Hauptgespräch so: „Das Hauptgespräch hat sich über zwei Tage hingezogen, wie sich trotz des Textverlustes, dem die Schilderung der Unterbrechung der Erörterung zum Opfer gefallen ist, sicher erschließen lässt.“271 Es wirkt in der Anlage gewissermaßen die Tradition des klassischen philosophischen Dialogs, die durch Platon bestimmt ist, nach, es wird Justin in der Öffentlichkeit angesprochen sowie das oft bei Sokrates in Platons Dialogen der Fall war. Es zeigt sich auch eine Anlehnung an Cicero, wo

268 Vgl. dazu: HIERZEL, Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, 1895, S. 11-67, vgl. dazu auch, HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 82f 269 HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 82. 270 Vgl. dazu:GOODSPEED Edgar Johnson, die öltesten Apologeten, Göttingen 1914, S. 90 – 265, vgl. dazu auch: HÄUSER Phillip, Des heiligen Philosophen und Martyrers Justinus Dialog mit dem Juden Tryphon, BKV 33, Kempten 1917. 271 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 26. 90 in der Einleitung zum Lucullus eine Annäherung vorliegt, und Ähnlichkeiten im Schluss, da in beiden Dialogen der Grund für die Beendigung des Gesprächs der Termin einer bevorstehenden Seefahrt ist. Bernd Reiner Voss meint, dass es sich hier nicht um eine Abhängigkeit, sondern um einen Anschluss an die literarische Tradition handelt, die sich offenbar zur Zeit Platons herausgebildet haben muss.272 Diese Nachwirkung der Dialogtradition beschränkt sich allerdings ausschließlich auf Teile des Werks, die nicht im Kern liegen, sondern außerhalb, also auf das Szenische und auf die Gesprächsführung. Es entspricht also die äußere Form, quasi die Einkleidung schon der Tradition, jedoch nicht die Erörterung selbst. Im Kern des Gesprächs etwa ist der Dialog seines ursprünglichen Sinns beraubt worden. „Die neue Lehre, die Justin im Dialogus behandelt, ist Offenbarung, diese kann verkündet, nicht aber in gemeinsamem, vernunftgeleiteten Gespräch von Menschen entwickelt werden.273 Die Form der Verkündigung aber ist grundsätzlich jedoch nicht die des Dialoges, sondern die der Mitteilung in Form belehrender Rede oder des Vortrages. Die Träger der Offenbarung verkünden gewissermaßen indem sie in Abschnitten auf Fragen hin Inhalte darlegen. Es entwickelte sich also eine Sonderform des Dialogs oder eine Abart des Dialogs, die Gemeinsamkeit liegt im Gegenüber zweier Sprecher. Es handelt sich nun offenbar mehr um einen Lehrvortrag, und der Autor entscheidet, ob er diesen durch Fragen unterbrechen will oder nicht, im Grunde ändert sich jedoch nichts. Damit ist der Dialog, als sinnerfüllte Form, überholt.274

2.10.2 Der Dialog bei Minucius Felix

Der früheste christliche Dialog in lateinischer Sprache ist der Octavius des Minucius Felix275. In seiner Gestaltung ist er sehr von klassischen Vorbildern beeinflusst, und die Merkmale des christlichen Dialogs lassen sich erst bei genauerer Betrachtung erkennen. Der Octavius ist als Redestreit angelegt, die Gegner tragen ihre Aussagen in zusammenhängenden Darlegungen vor. Die Auseinandersetzung ist mit ihrer Folge von Klage und Gegenklage und mit einem Schiedsrichter, einem Streit vor dem Gericht ähnlich oder

272 Vgl. Dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 27. 273 Vgl. Dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 27. 274 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 27. 275 MINUNCIUS FELIX, Apologeten, Frühchristliche M. Minucius Felix, Octavius Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ursula Schultheiß, Frühchristliche Apologeten Band II. Aus dem Griechischen übersetzt von J.Leitl (Autolycus). Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Alfons Müller - Kaplan in Stuttgart (Octavius) (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 14) München 1913. 91 angenähert. Es gibt einen Hauptredner und der Rahmen ist mit einer reichen Szenerie ausgestattet, damit entspricht er der Tradition des klassischen Dialogs. Der Autor ist der Erzähler, der mit seinen Freunden Caecilius und Octavius einen Spaziergang an den Strand von Ostia276 macht, wo sie das Problem des Götterglaubens erörtern. Die geplante Erörterung, wird jedoch letztlich in einer Auseinandersetzung ausgetragen.277 Dieser Auseinandersetzung geht eine eher persönliche Einleitung voraus, nach dem Vorbild Ciceros. Minucius zeigt auch mit der Verbindung von Dialoggespräch und Nachruf eine Anlehnung an Cicero. „Am Ende des Octavius heißt es wie in De natura deorum, man müsse abbrechen, da es Abend werde. […] Minucius hat diesen Dialog Ciceros in großem Umfang auch für den Inhalt der Reden herangezogen. Bei Cicero folgt auf die – stoische – Lehre von der göttlichen providentia die akademisch-skeptische Widerlegung, bei Minucius ist die Reihenfolge umgekehrt: die zuerst vorgetragene skeptische Auffassung wird mit Hilfe stoischer Argumente widerlegt. Währen bei Minucius die Existenz Gottes und der von ihm bestimmten vernünftig-fürsorglichen Weltordnung als Ergebnis des Gesprächs gesichert ist, soll bei Cicero grade dieser Komplex noch einmal behandelt werden. Minucius, der sein Gespräch in Abweichung zu Cicero, an den Strand von Ostia verlegt, hat offenbar noch eine literarische Vorlage, nämlich Gellius, der von einem Streitgespräch zwischen einem Peripatetiker und einem Stoiker am Strand von Ostia berichtet, wo ein Schlichter, der Schiedsrichter auftritt.“278 Im Dialog von Minucius erscheint erstmals in der Literatur die Rolle des Schiedsrichters.279 Bei Cicero zeigen sich allerdings bereits Ansätze zur Schiedsrichterrolle in De natura deorum.280 „Zwar bezeichnet Cicero sich nur als Zuhörer, er nimmt jedoch für sich die

276 „Bereits hatten wir nun einige Tage lang bei häufigem Zusammensein unsere heiße Sehnsucht befriedigt und gegenseitige Erfahrungen während unserer Trennung miteinander ausgetauscht, da faßten wir den Entschluß, die entzückende Stadt Ostial aufzusuchen. Die Seebäder gaben ein gutes und zuträgliches Kurmittel ab, um aus meinem Körper schädliche Säfte zu beseitigen. Zudem hatten auch die Weinleseferien meine gegerichtlichen Arbeiten erleichtert; es war nämlich gerade die Zeit, wo Herbstwetter nach den heißen Tagen die Sommerhitze gemildert hatte. “ MINUNCIUS FELIX, Apologeten, Frühchristliche M. Minucius Felix, Octavius Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ursula Schultheiß, Frühchristliche Apologeten Band II. Aus dem Griechischen übersetzt von J.Leitl (Autolycus). Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Alfons Müller - Kaplan in Stuttgart (Octavius) (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 14) München 1913; S. 2f. 277 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 36f. 278 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 42. 279 „Auf sein Wort hin nahmen wir Platz; die Gegner setzten sich zu beiden Seiten und nahmen mich als Dritten in die Mitte. Das geschah nicht etwa aus Höflichkeit noch mit Rücksicht auf Rang und Ehrenstellung -- denn Freundschaft setzt Gleichheit der Personen voraus oder schafft sie -- sondern ich sollte auf diese Weise als Schiedsrichter beiden gleich nahe zuhören können und in der Mitte sitzend das streitende Paar voneinander trennen.“ MINUNCIUS FELIX, Apologeten, Frühchristliche M. Minucius Felix, Octavius Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ursula Schultheiß, Frühchristliche Apologeten Band II. Aus dem Griechischen übersetzt von J.Leitl (Autolycus). Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Alfons Müller - Kaplan in Stuttgart (Octavius) (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 14) München 1913; S. 4. 280 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 42. 92

Eigenschaften in Anspruch, die ein guter Schiedsrichter haben muss, und fällt zum Schluss sogar etwas wie eine Entscheidung, mag sie auch nicht autoritativ sein und nur für ihn selbst gelten.“281 Laut Voss ist ab und zu ist auch ein Einwirken des Protagoras von Platon festzustelllen. „Ob Minucius das Original oder Ciceros Übersetzung herangezogen hat, bleibt offen. Dort erscheint kurioserweise auch das Motiv des Schiedsrichters, so eine Rolle sieht Sokrates etwa aber als unangebracht, und lehnt sie ab.“282 In der Ausgestaltung der Rollen allerdings, kommen von Minucius eigene Ideen. „Caecilius, der als Vertreter der Tradition für sich die Bildung in Anspruch nimmt, schlägt vor, das Problem in einer Diputation zu behandeln. Er nimmt mit der philosophischen Form der Erörterung die Philosophie selbst für sich in Anspruch, die er seinem Gegner abspricht. Es ist kein Zufall, dass er im Gegensatz zu seiner Selbsteinschätzung vom Verfasser grade nicht als Philosoph, sondern als Sophist und Rhetor geschildert ist.“283 Er zeigt sich nicht in der zurückhaltenden Würde eines Philosophen, dies äußert sich in seinem Schimpfen.284 Octavius zeigt nicht die Schwächen seines Gegners auf, er ist auf die Rolle eines Philosophen stilisiert.285 Zur Bedeutung des Dialogs von Minucius Felix meint Bernd Reiner Voss unter anderem, dass der Octavius der erste und für lange Zeit der einzige Dialog sei, wo die geistige Tradition der griechisch-römischen Antike und das Christentum einander begegnen.286

2.10.3. Der Dialog bei Gregor von Nyssa

Gregor von Nyssa287 hat sich zweimal der Darstellungsform des künstlerischen Dialogs bedient. Einmal ist es die antiastrologische Schrift ‚Gegen das Schicksal‘, die den Rahmen

281 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 43. 282 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 43. 283 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 44. 284 „Also sprach Caecilius und mit einem triumphierenden Lächeln -- der ungestüme Redefluß hatte seiner überschäumenden Entrüstung Luft gemacht -- sagte er: ‚Nun, wagt hierauf Octavius, der Mann von der Sippe des Plautus, unter den Mühlknechten zwar der erste, aber unter den Philosophen der letzte, eine Entgegnung? ‘Da fiel ich ein: ‚Unterlaß es, gegen ihn zu höhnen; es würde gegen die kunstgerechte Form deiner Rede verstoßen, wolltest du eher triumphieren, bevor beide Teile gründlich sich ausgesprochen haben. Zudem wollt ihr ja mit eurem Streit nicht Ruhm, sondern die Wahrheit erstreben.‘ “Apologeten, Frühchristliche M. Minucius Felix, Octavius Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ursula Schultheiß, Frühchristliche Apologeten Band II. Aus dem Griechischen übersetzt von J.Leitl (Autolycus). Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Alfons Müller - Kaplan in Stuttgart (Octavius) (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 14) München 1913; S. 10f. 285 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 45. 286 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 46. 93 eines Briefes hat, und darin die Wiedergabe einer Auseinandersetzung mit einem sozusagen nichtchristlichen Philosophen enthält, diese hat sogar vielleicht tatsächlich stattgefunden. Das zweite Werk ist der Dialog über die Unsterblichkeit der Seele288, der als Gespräch Gregors von Nyssa mit seiner Schwester Makrina angelegt ist, und höchstwahrscheinlich auf ein wirkliches Gespräch zurück geht. Dieser Dialog ist also ein erzählter Dialog in dem Gregor von Nyssa selbst der Erzähler ist. Die Eröffnung des Gesprächs zeigt sich als ein Weg von einer unbeherrschten Erregung zur vernunftgeleiteten Erörterung. Makrina, die zunächst dem Schmerzausbruch von Gregor von Nyssa das Apostelwort, nicht über den Verstorbenen zu trauern, entgegenhält, beschließt mit Gregor von Nyssa eine Untersuchung über das Fortbestehen der Seele nach dem Tode durchzuführen, wobei Gregor die Vertretung der Gegenargumente nur zum Zwecke der Erörterung übernimmt.289 Die Erörterung ist einem Streitgespräch ähnlich, jedoch die Auseinandersetzung, die in einem Streitgespräch ernst ist, ist hier nur Methode. Makrina entspricht nicht der Gegnerin sondern der Lehrerin. Obendrauf ist durch die Worte von Gregor von Nyssa zu Beginn klargestellt, „[…] dass er nicht recht behalten möchte, dass seine Einwände vielmehr nur dazu dienen, die wahre Lehre besser begründen und dadurch überzeugender werden zu lassen.“290 Über die Bedeutung dieser Dialogform schreibt Bernd Reiner Voss, dass das Gespräch zunächst von Gregors Einwänden bestimmt sei, und dass im weiteren Verlauf die Intensität der Auseinandersetzung, die kritische Wachsamkeit von Gregor nachlasse, Makrinas Ausführungen nehmen demnach an Umfang zu.291 Es kommen nun statt Gegenargumenten292 etwa Bitten um Fortsetzung293, ja es wird sogar um zusätzliche Sicherung der Ergebnisse durch Schriftzugnisse ersucht, da die Ergebnisse ja

287 Vgl. dazu: MAY Gerhard, Gregor von Nyssa (ca. 329/330-390) S. 91 In: Klassiker der Theologie, 1. Band, von Irenäus bis Martin Luther, herausgegeben von Heinrich Fries und Georg Kretschmar, München 1981. 288 GREGOR v. NYSSA, Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung (Dialogus de anima et resurrectione), P. Jos. Stiglmayr S. J., Allgemeine Einleitung. In: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften / aus dem Griechischen übers. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 56) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1927. 289 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 177. 290 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 177 291 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 178 292 Einleitung. 3., P. Jos. Stiglmayr S. J Allgemeine Einleitung: „ Die Lehrerin wendete zwar ein: „Warum scheint dir der Tod an und für sich schon so unendlich traurig? Das Verhalten der Unverständigen berechtigt nicht, solche Klagen zu erheben.“ ― Ich aber erwiderte: „Wie? liegt kein Grund zur Trauer vor, wenn wir den noch eben Lebenden und Sprechenden plötzlich leblos, sprachlos und regungslos sehen? wenn wir sehen, wie alle natürlichen Sinneswerkzeuge außer Dienst gestellt sind, wie weder Auge noch Ohr mehr in Tätigkeit treten können noch sonst ein Organ, das zur Sinnesempfindung bestimmt ist. Selbst wenn du ihm Feuer oder Eisen nahebringst oder mit einem Schwerte den Leib öffnest oder ihn ins Grab legest ― gegen all das verhält sich der Daliegende ganz teilnahmslos.“ GREGOR v. NYSSA, Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung (Dialogus de anima et resurrectione),. In: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften / aus dem Griechischen übers. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 56) Kempten; München:J. Kösel: F. Pustet, 1927. 94 spekulativ und mit Hilfe der Vernunft gewonnen wurden. Es kommt in der Folge bei der Behandlung des Problems der Auferstehung zum Wendepunkt. Dies war zunächst Nebenergebnis der Ausführungen über die Seele, und nun wurde es zum Thema der Erörterung. Die Schwierigkeiten die Gregor bezüglich der Erörterung vorbringt, werden nicht wirklich ernst genommen, dem Verfasser ist es im Grunde genommen viel wichtiger, die spiritualistische Auffassung der Auferstehung und die Vereinbarkeit mit den Schriftzeugnissen nachzuweisen.294 Es kommt nun zwangsläufig, wie Bernd Reiner Voss meint, zu einer Veränderung des Charakters der Erörterung, „[…]mögen auch die theoretisch-programmatischen Äußerungen zum Prinzip der Erörterung in erster Linie in den frühen Abschnitten erscheinen. Die vergleichsweise stärkere Dialogisierung der ersten Hälfte mag auch damit zusammenhängen, dass dort ein allgemein menschliches Problem besprochen wird, das in der philosophischen Erörterung seinen festen Platz und eine lange Tradition hatte, zudem bereits in Dialogen behandelt wurde. Diese Tatsache führt andrerseits zur Notwendigkeit einer Abgrenzung gegen die Philosophie.“295 Im Grunde genommen geht es am Anfang nur um die Ablehnung bestimmter Lehren, besonders um die (beispielsweise bei den Stoikern und bei den Epikureern) Leugnung der Unsterblichkeit der Seelen. Manche Lehren der Philosophie werden gebilligt. 296„Schließlich kommt es zur grundsätzlichen Erklärung, anzuerkennen sei, was sich als mit dem Dogma übereinstimmend erweisen lasse; Ausgangspunkt aber sei die Heilige Schrift.“297 Also die Disputationsform hat nur die Bedeutung einer Methode, das inhaltliche Ergebnis hat ja bereits vor dem Gespräch festgestanden. Das Gespräch nach der Wende, dient so gewissermaßen der Sicherung der wahren Lehre gegen eventuelle Gegner. Gregor geht es nicht darum, das Dogma zu bestreiten, sondern er will seine bereits angenommene

29316. Schriftbeweise für die Auferstehung.1. „Da nun nach diesen Ausführungen der Lehrerin ihre Darlegung nach Ansicht der meisten Anwesenden zu einem passenden Abschluß gekommen schien, ich aber fürchtete, es möchte, wenn die Krankheit einen Ausgang für die Leidende nehme, wie sie ihn dann wirklich genommen, niemand mehr vorhanden sein, der die Einwürfe der Ungläubigen gegen die Auferstehung zurückweisen könnte, so sagte ich: „Gerade den Hauptpunkt in der Erörterung über unseren Glaubenssatz hat deine Rede noch nicht berührt. Die Heilige Schrift erklärt sowohl in der alten als auch in der neuen Unterweisung, jedenfalls werde einmal, […]“.“ GREGOR v. NYSSA, Gespräch mit Makrina über Seele und Auferstehung (Dialogus de anima et resurrectione), P. Jos. Stiglmayr S. J., Allgemeine Einleitung. In: Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa Schriften / aus dem Griechischen übers. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 56) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1927. 294 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 178f. 295 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 179. 296 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 179. 297 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 179. 95

Glaubenswahrheit rational erklärt und nach Möglichkeit bewiesen haben. Infolgedessen weist der Dialog ab und an Züge des Lehrgesprächs auf.“298 Der Teil des Dialogs nach der Wende dient sozusagen ausschließlich der Sicherung der wahren Lehre, und mit den Bitten um Fortsetzung und mit den Fragen zur Sicherung der spekulativ und quasi mit Hilfe der Vernunft erhaltenen Ergebnissen durch Schriftzeugnisse, steht der Dialog nicht mehr in der platonischen Tradition, sondern in der christlichen Dialogtradition.299

2.10.4. Der Dialog bei Augustin

Augustinus pflegte den Kontakt zu gebildeten Zeitgenossen und diese legten großen Wert auf eine ansprechende Gestaltung ihrer Gedanken, und darauf ist die Wahl der Dialogform zurückzuführen.300 Bernd Reiner Voss schreibt über den Dialog bei Augustin: „Bei Augustin erscheint der Dialog in einer Vielfalt und Reichhaltigkeit, der sich in der christlichen Literatur nichts an die Seite stellen lässt.“301 Augustins Dialoge zeigen die Dramatik seines geistigen Ringens und die wechselseitige Durchdringung oder gar Vermischung der Formen. Es kann in der vorliegenden Arbeit nicht auf die vielen Dialoge des Augustin eingegangen werden, es soll nur eine Übersicht über die Dialoge gegeben werden. Zu den literarischen, szenischen Dialogen zählen Contra Academicos302, De beata vita303 und De ordine.304 Zu den literarischen, nichtszenischen Dialogen gehören Soliloquia, De quantitate animae, De libero arbitrio, De musica und De magistro. Dann finden sich in der Hinterlassenschaft von Augustin noch mehrere Aufzeichnungen öffentlicher Diaputationen, wobei die früheste aus dem Jahre 392 stammt.

298 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 180. 299 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 180. 300 Vgl. dazu: KRÄMER Torsten, Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge: literarische Tätigkeit als Selbstfindung, Essen 2007, S. 75, vgl. dazu auch: DOIGNON Jean, Augustinus in Cassiciacum und die Kultur seiner Zeit Verbundenheit und Ablösung! 1990, S. 51f, Darauf, dass mit der Dialogform eine Begrenzung des Publikums auf eine gebildete Schicht erfolgt, verweist auch FOLEY Michael, Cicero, Augustine, and the philosophical roots of the Cassiciacum Dialogues, Revue des Etudes Augustiniennes 45, S.51-77, Paris 1999, S. 53 „First, a philosophical dialogue hides one’s own opinion. […] The second and third reasos for preferring the dialogue are that it relieves others from error and that it seeks in every duscussion the most probable truth.“ 301 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 197. 302 Vgl. dazu: CSEL 63, S.1-81. 303 Vgl. dazu: CSEL 63, S.89-116. 304 Vgl. dazu:CSEL 63, S.121-187, vgl. dazu auch: KRÄMER Torsten, Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge: literarische Tätigkeit als Selbstfindung, Essen 2007. 96

Voss teilt die Dialoge Augustins in szenische und nichtszenische Dialoge. „[…] In den nichtszenischen Dialogen sprechen jeweils zwei Partner; das Gespräch ist durch ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Lehrer-Schüler-Verhältnis bestimmt. Eine Zwischenstellung nehmen zeitlich wie sachlich die Soliloquien ein. Sie enthalten ,,wenn auch in verschwindend geringem Ausmaß, erzählerische und szenische Elemente, eröffnen jedoch andererseits die Reihe der Lehrgespräche.“305 Die szenischen Dialoge, also Contra Academicos, De beata vita, und De ordine stehen laut Voss am Anfang der Reihe der erhaltenen Schriften Augustins, in denen sich das Interesse der Philologie zugewandt hat. Die szenische Ausgestaltung und die inhaltliche Abhängigkeit stellten sie offensichtlich in die klassische Tradition wobei autobiographische Elemente das Interesse weiter anregten. Bezüglich der Geschichtlichkeit der Dialoge meint Bernd Reiner Voss, dass sie aus tatsächlich geführten Gesprächen entstanden sind, und um sie als Werke für die Literatur zu übernehmen, wurden sie unter Verwendung der traditionellen Mittel zum philosophischen Dialog umgeformt.306 Die szenischen Dialoge Augustins haben Vorreden307 und sind mit einer reichen Szenerie gestaltet, was es einfacher macht die Wiedergabe eines Gesprächs zu relativieren einerseits und den Rahmen, in dem der Dialog entstanden ist wahrzunehmen308, und das hebt sie auch von den anderen Dialogen Augustins ab. Im nichtszenischen Dialog, der von Augustin später geschaffen wird, kommt eine andere Auffassung von Sinn und Werk des Dialogs zum Ausdruck. Es steht in der Folge mehr die Sache im Vordergrund.309 „Zugegeben ist, dass die stärkere Konzentration auf die Sache im nichtszenischen Dialog mit einem Mangel an künstlerisch-literarischem Reiz einhergeht.“310 Es verschwinden gewissermaßen das Lebensnahe und die Komödie weitgehend. In den Soliloquien, die ja in die nichtszenischen Dialoge eingereiht sind, ist das szenische Element fast völlig aufgegeben. „Der an Cicero anknüpfende Einleitungssatz macht das Werk formal zu einem erzählten Dialog, der sich in seinem weiteren Verlauf von einem dramatischen nicht mehr unterscheidet.“311

305 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 179. 306 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 215. 307 In der Vorrede zu de ordine beispielsweise, erzählt Augustinus über sich, er zählt sich zu den optima ingenia, welche sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, warum Gott das Leid unter den Menschen zulässt. De ordine, Buch1 Kapitel 1,1., vgl. dazu auch: KRÄMER Torsten, Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge: literarische Tätigkeit als Selbstfindung, Essen 2007, S. 72. 308 Die Schrift de ordine ist im Rahmen eines kulturellen Milieus entstanden, darüber berichtet auch KRÄMER Torsten, Augustinus zwischen Wahrheit und Lüge: literarische Tätigkeit als Selbstfindung, Essen 2007, S. 72. 309 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 215. 310 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 215f. 311 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 233. 97

Es begann also eine Abkehr Augustins vom szenisch reichen, individuell charakterisierenden Dialog, was sich in De quantitate animae fortsetzte. Bernd Reiner Voss schreibt: „Die Soliloquien erhielten noch eine kleine erzählerische Einleitung, in De quantitate animae werden zu Beginn wenigstens noch einige Topoi der klassischen Dialogtradition eingesetzt, De liber arbitrio und De magistro beginnen ohne Vorbereitung mit einer Frage, die unmittelbar zur Erörterung gehört. De musica nimmt infolge der Anlehnung an das isagogische Lehrgespräch eine Sonderstellung ein.“312 Es sind ferner die Namen der Unterredner nicht mehr genannt, wobei jedoch aus einer Erwähnung in einem Brief an den Bischof Euodius von Uzula hervorgeht, dass er mit diesem das Thema im Gespräch behandelt hat. Die Zeit und der Ort des Gesprächs oder der Abfassung des Dialogs ist Rom im Jahr 388. Die nichtszenischen Dialoge Augustins haben kein Vorwort mehr, keinen erzählerischen Rahmen und die Gespräche finden nicht mehr unter bestimmten Sprechern statt. „In den Soliloquien, dem einzigen Dialog dieser Gruppe, der nicht rein dramatisch ist, ist als Gesprächspartner, der dem Ich des Autors gegenübersteht, die Ratio genannt. Im Grunde reproduzieren alle nichtszenischen Dialoge Augustins ein Gespräch mit der Ratio313, das Zwiegespräch der Seele mit sich selbst.“314 Bezüglich der Methode und der Erkenntnislehre zeigt sich, dass besonders in den nichtszenischen Dialogen Augustins, das dialektische Verfahren als Mittel gesehen wird. „Das Frage-Antwort Verfahren nach den Kriterien der Vernunft führt – innerhalb gewisser Grenzen – zu sicheren Ergebnissen.“315 Augustin hat in den Soliloquien und in De quantitate animae schon Hinweise zur Erkenntnislehre, welche hinter dieser Auffassung liegt, gegeben. „[…] wo er das Verfahren nach Platon, der Anamnesislehre, begründet und gerechtfertigt sieht, wo die Aufgabe des

312 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 245f. 313 „Dem in quälenden Gedanken und peinigenden Zweifeln stehenden Augustin tritt ‚eine keusche Freundin, ‚die Ratio‘, läuternd und stärkend zur Seite.“, ALFRED, ENDTER Wilhelm, König Alfreds des Großen Bearbeitung der Soliloquien des Augustinus, 1964, S. xi, http://books.google.at/books?hl=de&id=uH- Aw_0TiFkC&focus=searchwithinvolume&q=ratio, Zugriff am 25.2.2014. 314 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 277, vgl. dazu auch: Augustinus warnt sich selbst in den Sololoquia davor, den Vorstellungen und Gedanken, die in seiner Seele auftauchen, voreilig zuzustimmen, vgl. dazu: Soliloquia I, 1.2, Ausgabe: Aurelius Augustinus: Selbstgespräche über die unsterblichkeit der Seele, FUCHS Harald, Einführung MÜLLER Hans Peter, München Zürich 1986 „Das Selbstgespräch und seine Verschriftlichung dienen der Disziplinierung des eigenen Denkens, sie sollen die Gefahr abwehren, dass das Indivituum seine Einfälle ohne Nachprüfung für wahr hält.“ MOSER Christian, Buchgestützte Subjektivität: Literarische Formen der Selbstsorge und der ..., http://books.google.at/books?id=notLMNFwwUsC&pg=PA671&lpg=PA671&dq=augustinus+heitmann&source =bl&ots=4defeqh84l&sig=HGI1En8mScUq4nTRpCUsO63- _SQ&hl=de&sa=X&ei=KvFMU9mKMeuc4wTd1YCAAg&ved=0CCwQ6AEwAA#v=onepage&q=augustinus %20soliloquien&f=false, Zugriff am 25.2.2014. 315 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 289. 98 führenden Partners darin besteht, stoffliches Wissen nicht nur zu vermitteln, sondern durch geschicktes Fragen verborgene oder verschüttete Erinnerungen im Schüler quasi wieder wachzurufen. Allerdings deuten Bemerkungen in den szenischen Dialogen darauf hin, […] dass wesentliche Erkenntnisse nach Augustins Auffassung nicht durch diskursives Denken gewonnen werden, sondern durch göttliche Eingebung, und zwar, wie aus einer Äußerung hervorzugehen scheint, ausschließlich auf diese Weise vermittelt werden. Diese Tatsache ist als unausgesprochene Absage an die Anamnesislehre aufgefasst worden.“316 Augustin hat augenscheinlich den Dialog, der als literarische Kunstform zur schönen Literaturform gehört, aufgegeben, da er seit er Presbyter geworden ist, schöne Literatur nicht mehr geschrieben hat. Dieses Spiel verboten ihm strengeres Erfassen des Christentums und vor allem die Pflichten seines Amtes.317 Augustin wählte für bestimmte Bereiche der christlichen Lehre nicht den Dialog, da sie dem dialektischen Gespräch, so Augustin, nicht zugänglich sind. „Mehr zufällig ist die Schwierigkeit, wenn es nicht gelingt, einander widersprechende Sätze der Schrift, in ein System zu bringen: eine Schwierigkeit, die Augustin in De liber arbitrio zum Abbruch der Dialogisierung veranlasst hat, […] Der Tradition platonischen Dialogs fühlte er sich offenbar so starkverpflichtet, dass es dort, wo die Vernunft außer Kraft gesetzt wurde, wo ihre Regeln Ausnahmen erlitten, für ihn keinen Dialog mehr gab. […] Ihn lediglich als literarische Einkleidung anzuwenden, hat er sich nicht herabgelassen.“318

2.10.5. Der Dialog bei Johannes Chrysostomos

Den einzigen Dialog den Johannes Chrysostomos in seinen umfangreichen literarischen Werken verfasst hat, ist die ‚Schrift über das Priestertum.319 De sacerdociuo ist als Gespräch zwischen Johannes und seinem lieben Freund Basileios320 gestaltet. Beiden war das Amt zum

316 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 290. 317 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 177. 318 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 291. 319 Vgl. dazu: CHRYSOSTOMUS, Über das Priestertum (De sacerdotio libri I-VI) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ottmar Strüber / Heinz Rothenpieler Text ohne Gewähr Text aus: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus / aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 4; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 27) Kempten; München 1916. 320 Vgl. dazu: „Wohl hatte ich das Glück, viele echte und wahre Freunde zu besitzen, welche die Gesetze der Freundschaft genau kannten und sie auch getreu befolgten. Einer jedoch unter ihnen übertraf an Liebe zu mir alle übrigen, indem er es sich angelegen sein ließ, die anderen ebenso sehr zu überflügeln, als diese wieder jene, die gar nicht in näherer Beziehung zu mir standen. Man kann von ihm sagen, daß er eigentlich zu keiner Zeit von 99

Priester oder Bischof vorgeschlagen. Basileios wird zum Bischof geweiht und Johannes flieht, was Basileios als Missbrauch des Vertrauens, ja sogar als Verrat ansieht. Johannes erklärt nun im Gespräch, dass er sich dem Amt nicht gewachsen fühlte. „Der Gegenstand der Schrift wird weder in didaktischer Untersuchung noch im Lehrgespräch behandelt. Johannes entwickelt seine Gedanken in zusammenhängendem Vortrag. Die Unterbrechungen durch Basileios sind weniger sachliche Einwände als persönliche Bemerkungen. Der Dialog ist nur Einkleidung. Sie bot dem Autor die Möglichkeit, seinen Ausführungen, trotz ihrer Allgemeingültigkeit einen persönlichen, eindringlichen Ton zu verleihen.“321 Obendrauf stellte der Anlass, auf den sich die Behandlung des Themas zurückführen lässt, etwa einen Bezug zur Wirklichkeit her, der erklärt, warum das Thema aufgegriffen wurde, wobei nicht wesentlich ist, ob der Anlass fingiert oder tatsächlich ist, es scheint der Bericht als Ganzes eine Fiktion zu sein, der Name Basileios kann als Freund des Johannes nicht gefunden werden. Bernd Reiner Voss sieht im Motiv der Flucht, das ja Rechtfertigung im Gespräch auslöst, das kompositionell wichtigste Element also ein literarisches Gut. Es ist allerdings die Flucht von Gregor von Nazianz vor der Übernahme eines kirchlichen Amtes bekannt. Dieser hat nach seiner Rückkehr eine Rede gehalten, die der Rechtfertigung diente, und diese Rede war Johannes bekannt. Hier liegt augenscheinlich eine literarische Beeinflussung vor.322 „Die bedeutend umfangreichere Schrift des Johannes ist offenbar in wetteifernder Auseinandersetzung mit der Rede entstanden, […] Eine ähnliche Rede zu fingieren, verbot der literarische Takt; ein erdachtes Gespräch, zumal ohne Zeugen, musste überzeugender wirken. Außerdem war es zweckmäßiger; der Ausführlichkeit waren keine Grenzen gesetzt; was in der tatsächlichen Rede nur kurz berührt werden konnte, ließ sich hier eingehend behandeln.“323

meiner Seite wich. Denn wir widmeten uns denselben Wissenschaften und genossen den Unterricht derselben Lehrer. Dabei zeigten wir auch den nämlichen Fleiß und Eifer für die Wissensgebiete, um die wir uns be- mühten; unser ganzes Streben war eines und dasselbe, herausgewachsen aus den gleichen Verhältnissen. Denn nicht bloß solange wir zusammen die Schulen besuchten, auch als wir, von da ausgetreten, uns zu entschließen hatten, welchen Lebensweg wir nunmehr am besten einschlagen sollten, zeigte sich hinwiederum Übereinstimmung unserer Neigungen.“ Buch I, Kapitel 1, CHRYSOSTOMUS, Über das Priestertum (De sacerdotio libri I-VI) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ottmar Strüber / Heinz Rothenpieler Text ohne Gewähr Text aus: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus / aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 4; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 27) Kempten; München 1916. 321 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 304. 322 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 305. 323 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306. 100

Der Dialog oder die Gesprächsform ist allerdings nur noch Rahmen, wobei dieser jedoch die Argumentationsform nicht beeinflusst hat. In den Rahmen dieses Gesprächs, hat Johannes einen Preis seiner Mutter eingefügt. Dies wäre bei einer Rede nicht möglich gewesen, und bei einer Einleitung hätte es etwa befremdend gewirkt.324 Bernd Reiner Voss schreibt: „Mit seinen zarten Tönen gehört er zu den liebenswertesten antiker Literatur und ist Ausdruck des feinen Einfühlungsvermögens, das Johannes so wohltuend von rigoristischen Sittenpredigern unterscheidet. Dieser Preis ist als Rede der Mutter325 in die Erzählung eingesetzt und fügt sich unaufdringlich in die Dialog- Einleitung ein.“326 Der Dialog von Johannes Crysostomos ist nur in äußerlichem Sinn als Dialog anzusehen, allerdings ist das Werk durchaus für die Geschichte des Dialogs von Bedeutung. „Zunächst ist seine Einleitung in der Tradition des erzählenden Dialogs verfasst. Außerdem hat das Werk die Bedeutung eines Symptoms. Der Dialog als literarische Gattung hat um diese Zeit in der christlichen Literatur so fest Fuß gefasst, dass er sich als Einkleidung für Abhandlungen und – wenig später – für Berichte anbietet. Das Schicksal des Johannes ist wenige Jahrzehnte weiter zum Gegenstand eines Dialogs gemacht worden.“327 Der Dialog einst als Literaturform oder als literarisches Kunstwerk mit der Szenerie und der indirekten Charakterisierung der Sprecher hat sich geändert. Der Dialog, die Gesprächsführung ist nur noch Rahmen, es sind zwar Berührungen mit der klassischen Tradition vorhanden, sie beziehen sich jedoch lediglich auf die Szenerie und die Gesprächsführung. Der Dialog ist nun gewissermaßen ein in Gesprächsform dargebotener

324 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306. 325 „Allein die fortwährenden Zusprüche meiner Mutter hinderten mich, ihm diesen Gefallen zu erweisen oder vielmehr aus seiner Hand dieses Geschenk anzunehmen. Denn als sie mein Vorhaben merkte, da ergriff sie mich bei der Rechten und führte mich in das ihr vorbehaltene Gemach. Nachdem sie Platz genommen neben dem Lager, auf dem sie mich mit Schmerzen geboren, vergoss sie Ströme von Tränen und fügte Worte hinzu, die noch innigeres Mitleid erregten als die Tränen. Unter Weinen und Klagen sprach sie folgendes zu mir: Nicht lange, mein Kind, war es mir nach dem Willen Gottes vergönnt, mich deines trefflichen Vaters zu freuen. Auf die Geburtswehen, die ich um dich erduldet habe, folgte bald sein Tod, der frühe dich zur Waise, mich zur Witwe gemacht und mir damit zugleich die Leiden des Witwenstandes beschert hat, für die nur jene ein richtiges Verständnis haben können, welche selbst sie ertragen mußten.[…]“ Buch I, Kapitel 4, CHRYSOSTOMUS, Über das Priestertum (De sacerdotio libri I-VI) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Ottmar Strüber / Heinz Rothenpieler Text ohne Gewähr Text aus: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus / aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 4; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 27) Kempten; München 1916. 326 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306 „Nach ihrer Stellung im Gesamtwerk erinnert diese Rede ein wenig an das Vorgespräch in Platons Protagoras. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass Johannes auf dem Bett seiner Mutter sitzt wie Hippokrates auf dem Lager des Sokrates.“ VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306. 327 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306. 101

Bericht, wie beispielsweise der Dialog des Palladios von Helenopolis, dessen Gegenstand die „Tragödie“ des Crysostomos ist.328

2.11 Dialogtypen

Es gibt sehr unterschiedliche Einteilungen oder Kriterien für den Dialog, denen Autoren oder Verfasser gefolgt sind. Man könnte vielleicht das Buch ‚Der Dialog. Ein literarischer Versuch‘ von Rudolf Hirzel329 nennen, in dem er sich größtenteils mit antiken und spätantiken Dialogen befasst hat, aber auch mit mittelalterlichen und neuzeitlichen, die er in einem zweiten Kapitel nachfügt, dort kommt es zu einer Typisierung der Dialoge. Hirzel unterscheidet zwischen Streitgedichten, Katechismen oder didaktischen Dialogen, Soliloquien nach dem Vorbild Augustinus, Dialogen zwischen Allegorien und Personifizierungen und Schriften, in denen der Dialog als Vehikel für Erzählungen dient. Hirzel hat damit die Diskussion um den mittelalterlichen Dialog befördert.330 Die am häufigsten verwendete Einteilung war die Typisierung der spätantiken christlichen Dialoge von Peter. L. Schmidt. Es wird dabei meist von einer ununterbrochenen Kontinuität zwischen spätantiker und mittellateinischer Dialogliteratur ausgegangen. Bei Peter von Moos allerdings geht eher von einer Wiederaufnahme des philosophischen Dialogs im Hochmittelalter aus.331 Nach Peter L. Schmidt gibt es folgende Dialogtypen: Der didaktische Dialog, der Frage-und Antwort- Dialog, der hagiographische Dialog, Streitgespräche, der philosophische Dialog, der selbstbetrachtende Dialog, und Trostbücher. Didaktische Dialoge werden nach Hirzel auch Katechismen genannt, nach Peter von Moos Lehrgespräche332 oder Unterweisungsgespräche 333 und nach Ronquist334 meinen sie

328 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 306. 329 HIERZEL Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, 1895. 330 Vgl. dazu: HIRZEL Rudolf, Der Dialog. Ein literarischer Versuch, Bd. 1, Leipzig 1885, Nachdruck Hildesheim 1963, 1895, S. 5, vgl. dazu auch, HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium,Leiden 2007, S. 2. 331 Vgl dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007. 332 MOOS Peter von, Gespräch, Dialogform und Dialog nach älterer Theorie, in: Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit (SkriptOralia 99), herausgegeben von B. FRANK /Th.HAYE/ D.TOPHINKE, Tübingen 1998, S. 211. 333 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Consolatio, Studien zur mittelalterlischen Tostliteratur…4 Bde., Münsterische Mittelalterschriften iii 1-4, München 1971/72, Bd. 1, S. 83. 102

‚Gespräche zwischen Lehrer und Schüler‘. Carmen Cardelle De Hartmann schreibt über Hilsenbeck, dass er ebenfalls von der Gesprächssituation ausgehe und sich vor allem auf die Lehrmethoden der karolingischen Zeit beziehe.335 Laut Hösle ist der didaktische Dialog, aufgrund seiner Asymmetrie zwischen den Unterrednern der Urtyp des philosophischen Dialogs, wobei es auch didaktische Dialoge gibt, die nicht philosophisch sind. Es geht also beim didaktischen Dialog um die Beziehung der Dialogfiguren.336

Aufgrund des formalen Merkmals der Abfolge von Frage und Antwort, ergibt sich quasi der Dialogtyp Frage-und- Antwort-Dialog. Damit sind Texte gemeint, die entweder Fragen und Antworten auflisten oder Figuren in Szene setzen. „Daly wirft in seinem Werk ‚The Altercatio‘ zwar die Frage auf, ob Texte ohne Figurenbezug Dialoge genannt werden dürfen, stellt sie aber dann doch beiseite, um sich ganz auf die Beschreibung der Texte zu konzentrieren.“337 Für Friedlein fehlen zwei der von ihm definierten Merkmale des mittelalterlichen Dialogs, nämlich der situative Kontext und die Argumentativität.338

Die hagiographischen Dialoge betreffen laut Schmidt hauptsächlich die spätantike christliche Literatur. „In eine neue Perspektive wurde die Problematik von Fontaine gerückt: Für den spätantiken Typ sei nicht der hagiographische Inhalt prägend, sondern seine vielfältigen Beziehungen zur monastischen Bewegung.“339

In Dialogschriften im Sinne von Streitgesprächen werden im Allgemeinen ein Gegensatz oder eine Kontroverse inszeniert. „Repräsentativ für dieses weite Verständnis ist Edmund Reiss‘ Ansatz, dem alle (auch Streitgedichte), zu den ‚Streitdialogen‘ gehören. Innerhalb dieser Gruppe haben bisher vor allem jene Werke Aufmerksamkeit erregt, die die Auseinandersetzung zwischen Vertretern verschiedener Religionen inszenieren. Allerdings

334 RONQUIST Eyvind C., Learning and Teaching in the twelfth-century dialogues, In: Res Publica Litterarum Bd.13, S. 239-256, 1990, S. 240-243. 335 Vgl. dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 4. 336 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92ff dazu auch, HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007,S.5. 337 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.5. 338 Vgl. dazu: FRIEDLEIN Roger, Der Dialog bei Ramon Lull. Literarische Gestaltung als apologetische Strategie, Tübingen 2004, S. 22-25. 339 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.6. 103 wurde vor allem der Inhalt dieser Diskussionen analysiert. Forscher, die sich auf diese Gruppe konzentrieren, bevorzugen Begriffe wie ‚Religionsgespräche‘, ‚Religionsdialoge‘ und ‚apologetische- polemische Dialoge‘.“340 Die Begriffe ‚Religionsgespräche‘ und ‚Religionsdialoge‘ sind allerdings vieldeutig. Theologen und Philosophen meinen damit etwa den Austausch zwischen religiösen Gruppen, wobei die Form und das Medium nicht ausschlaggebend sind.341

Edmund Reiss sieht sogar den ‚Konflikt‘ als Voraussetzung dafür, eine Schrift in Dialogform zu verfassen. „Sämtliche anderen Dialoge (nicht nur Lehrdialoge, sondern auch die Werke von Gregor dem Großen, Boethius, Augustinus, Anselmus und vielen anderen) sind für ihn „school debates“ deren Wert vor allem darin bestehe, den Gebrauch der Dialogform erhalten und vorexerziert zu haben.“342 Für den Typ philosophischer Dialog gibt es keine einheitliche Definition. „Ronquist vermeidet den Terminus und bezieht sich lediglich auf den Einfluss von Plato oder Cicero als Vorbilder bestimmter Texte.“343

Für Hösle ist ein literarischer Dialog „ein literarisches Genre, das eine Unterredung über philosophische Fragen darstellt.“344

Der selbstbetrachtende Dialog ist in der christlichen Dialogliteratur der Spätantike zu finden, etwa die Soliloquien des Augustinus, die Consolatio Philosophiae des Boethius und die Synonyma von Isidor von Sevilla. „In ihnen redet ein Rollen-Ich mit einer Personifikation (einer allegorischen Figur wie Ratio oder Philosophia) in einer Krisensituation; allerdings

340 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.7. 341 Vgl. dazu: „Hösle sieht ‚interreligiöse Dialoge‘ als eine der zwei Untergruppen der philosophischen Dialoge im Mittelalter an. Es bleibt im Unklaren, ob die restlichen eine andere Gattung oder einfach misslungene philosophische Dialoge darstellen. Eine weitere Untergruppe besteht aus Dialogen, in denen ein Mönch und ein Kanoniker oder Mönche verschiedener Kongregationen die bessere Lebensführung oder die richtige Befolgung der Regel diskutieren.“ HÖSLE Vittorio, Der Philosophische Dialog, Eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 293, dazu auch, HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.7. 342 REISS Edmund, Conflict and its Resolution in medieval Dialogues, in: Arts libéraux et philosophie au Moyen Age: Actes du quatrième congres international de philosophie médiévale. Montreal/Paris 1969, S. 864,.Vgl. dazu auch: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 7. 343 RONQUIST Eyvind C., Learning and Teaching in the twelfth-century dialogues, In: Res publica litterarum Bd. 13, 1990, S. 243-245 und 247-249, zitiert in: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.8. 344 HÖSLE Vittorio, Der Philosophische Dialog, Eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 54 104 stellt diese zweite Figur einen Teil seines Selbst dar, sodass es sich um dialogisierte Selbstgespräche handelt.“345

Die Trostbücher sind schwer zu einer Gruppe zusammenzuordnen. Albert Auer listet in einer Gruppe Werke auf, und unterteilt sie in zwei Gruppen, einmal in ‚Trostbücher in Dialogform‘, diese Werke sind allerdings sehr unterschiedlich und laut Peter von Moos346 sind viele davon selbstbetrachtende Dialoge.347 Das Merkmal des Trostes, das sie quasi zu einer Gruppe macht, wird von Albert Auer sehr allgemein gesehen. Friedlein spricht eher von „Tröstungsdialogen in der boethianischen Tradition“, allerdings definiert er wiederum nicht die Begriffe Tröstung und boethianische Tradition, und erwähnt keine Vertreter dieser Gruppe.348

Es wurde in der Dialogforschung der didaktische Charakter der mittelalterlichen Dialogliteratur sehr stark betont, einige Forscher sehen im Dialog eine Form, die in enger Verbindung mit der Schule steht. Diese Beziehung zwischen Schule und Dialog ist auch bei Hannes Kästner von Bedeutung. Kästner versucht in seinem Kapitel, Lehrgespräch und mittelalterliche Pädagogik, aufzuzeigen, wie die mittellateinischen Dialoge, von ihrer Form her, vom echten oder realen Lehrbetrieb beeinflusst wurden.349

Es zeigt sich also, dass sich Probleme ergeben, wenn man den Dialog versucht zu typisieren, und oft bleibt die Zuweisung eines Werkes, oder dessen Kriterien, zu einem bestimmten Typ offen.

345 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.9. 346 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 219. 347 AUER Albert, Johannes von Dambach und die Trostbücher des Mittelalters, Münster 1928, S. 233-253, dazu auch, HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.10. 348 Vgl. dazu: FRIEDLEIN Roger, Der Dialog bei Ramon Llull. Literarische Gestaltung als apologetische Strategie, Tübingen 2004, 166-169, zitiert nach: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.10, vgl. dazu auch: AUER Albert, Johannes von Dambach und die Trostbücher des Mittelalters, Münster 1928. 349 Vgl. dazu: KÄSTNER Hannes, Mittelalterliche Lehrgespräche, Textlinguistische Analysen, Studien zur poetischen Funktion und pädagogischen Intention, Berlin 1978, S. 246-273. 105

3 Moderne Zugänge und Ansätze zum Dialog / zur sprachlichen Interaktion

3.1 Ein dialogischer Ansatz nach Martin Buber

Der Religionsphilosoph Martin Buber wurde 1878 in Wien geboren und starb 1965 in Jerusalem. Er lehrte an der Universität Frankfurt jüdische Religionswissenschaft und jüdische Ethik. 1933, mit dem Machtantritt der Nazis, legte Buber seine Professur nieder und es wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen. Danach gründete er die ‚Mittelstelle für Jüdische Erwachsenenbildung‘ und sorgte für die Neueröffnung des Freien Jüdischen Lehrhauses. 1935 erhielt er Redeverbot. Im März 1938.wanderte er mit seiner Frau und zwei Enkelinnen nach Palästina aus.350 Buber war von 1938 bis 1951 Professor für Sozialphilosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er leitete von 1949 bis 1953 das von ihm gegründete ‚Seminar für Erwachsenenbildner‘, die ‚Hochschule für Lehrer des Volkes‘. Buber erhielt 1953 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Sein Werk umfasst unter anderem die Bibelübersetzung mit Franz Rosenzweig. Die Frage des Zwischenmenschlichen, also der Dialog, stand immer im Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Schriften Bubers zum Dialogischen lassen den Menschen begreifen, als den Ort des Zusammenwirkens von Distanz und Nähe und Beziehung. Zu den Kernschriften des Dialogischen Prinzips gehören: Ich und Du (1923), Zwiesprache (1929), Die Frage an den Einzelnen (1936) und Elemente des Zwischenmenschlichen (1936). Die Bubersche Dialogphilosophie: In ‚Ich und Du‘ wird das Dialogische, das Aufeinander bezogen sein, also die Beziehung, das ‚Zwischen‘ herausgearbeitet. Martin Buber schreibt: „Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung.“351 Es gibt daher zwei Haltungen, so Buber, die der Mensch einnehmen kann. Die eine Haltung wird durch das Grundwort Ich-Du ausgedrückt, die andere durch das Grundwort Ich-Es. „Das

350 Vgl. dazu: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 47. 351 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 7. 106

Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Das Grundwort Ich- Es kann nie mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.“352 Das Ich jeweils nicht isoliert gedacht, sondern als ein Ich, welches es nur in einer der beiden angeführten Beziehungen gibt. Insofern gibt es also kein Ich für sich, also das was ich bin, ist immer schon bestimmt durch die Haltung, mit der oder in der ich der Welt begegne. Es stellt sich nun die Frage nach dem Zweck, also was ich mit dem Gespräch erreichen möchte, daraus ergibt sich die Haltung, mit der ich in das Gespräch gehe. Also ist für Buber die Ich-Du- Beziehung, die eigentliche, und demnach soll die Ich-Es-Beziehung immer überwunden werden. Denn es geht in der Ich-Du-Beziehung darum, mein Gegenüber als Du, als Wesen mit einer eigenen Würde, wirklich ernst zu nehmen und ihm offen und in Akzeptanz zu begegnen. Die Ich-Du-Beziehung ist, nach Buber, daher durch und durch personal bestimmt, ihr Wesen ist, so könnte man sagen, Liebe. Man hat in ihr also das Gefühl, präsent zu sein, zum einen ganz beim anderen zu sein und zum anderen und gleichzeitig bei einem selbst zu sein. Eine Beziehung, die sich dadurch auszeichnet, dass man wahrhaftig in der Beziehung steht, also zwischen dem eigenen Ich und dem anderen Du. Eine Beziehung, in der sich Selbsthingabe und Selbstentfaltung wechselseitig bedingen, jedoch kein Gegensatz sind. „Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du.“353 Weiter schreibt Buber: „Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie; […] Zwischen ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; […] Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung.“354 Über die Ich-Es-Beziehung meint Buber, dass sie überwunden werden muss, da sie von ihrer Grundstruktur her eine apersonale, objektive Beziehung ist, und so eine distanzierte

352 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 7. 353 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 15. 354 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 15f. 107

Beziehung ist. „Das Grundwort Ich-Es kann nie mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.“355 In der Ich-Es-Beziehung ist keine Selbstentfaltung oder Selbstverwirklichung möglich. „In bloßer Gegenwart lässt sich nicht leben, sie würde einen aufzehren, wenn da nicht vorgesorgt wäre, dass sie rasch und gründlich überwunden wird. […] Und in allem Ernst er Wahrheit, du: ohne es kann der Mensch nicht leben. Aber wer mit ihm allein lebt, ist nicht der Mensch.“356 „Wie auch das eifrigste Aufeinanderzu-Reden kein Gespräch ausmacht […] So bedarf es hinwieder zu einem Gespräch keines Lauts, nicht einmal einer Gebärde. Sprache kann sich in aller Sinnenfälligkeit begeben und bleibt Sprache.“357 Buber erweitert hier die Begriffe des Gesprächs und der Sprache zu Mitteln der Begegnung, die über das Austauschen von Zeichen hinausgehen. „Aber eigentlich aufzeigen kann ich, was ich im Sinn habe, nur an Begebenheiten, die in einer echten Wandlung aus der Kommunikation zur Kommunion, also in einer Verleiblichung des dialogischen Wortes münden.“358 In ‚Zwiesprache‘ geht es Buber um die Begegnung, nicht um das Austauschen von Inhalten. Bei Themen wie Meinungen, Weltanschauungen oder beim Religionsgespräch wird dies sichtbar. „[…] Wo es um wesentliche ‚weltanschauliche‘ Ansichten geht, […] so dass beide gemeinsam das Schicksal unserer Bedingtheit erleiden und einander in ihm begegnen. […] Keiner jener beiden braucht seine Ansichten aufzugeben, nur eben betreten sie, indem sie unversehens etwas tun und ihnen unversehens etwas widerfährt, das Bund heißt, ein Reich, in dem das Gesetz der Ansicht nicht mehr gilt.“359 Weiters mein Buber: „Das Dialogische ist nicht auf den Verkehr der Menschen miteinander beschränkt: es ist, so hat es sich uns gezeigt, ein Verhalten der Menschen zueinander, das sich in ihrem Verkehr nur eben darstellt.“360 Es geht sozusagen um das Bild des Menschen, das

355 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 7. 356 BUBER Martin, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 38. 357 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 141f. 358 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 144f. 359 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 146f. 360 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 149. 108 durch die Annahme des Anderen gewissermaßen als Anderer verwirklicht werden soll. Buber meint weiter: „Es gibt drei Arten zu unterscheiden, auf die wir einen Menschen […] wahrzunehmen vermögen.“361 Das Beobachten ist ein gespanntes Einprägen, quasi Notieren, Absuchen von ‚Zügen‘. Das Betrachten zeichnet sich durch eine entspannte Haltung, durch eine unbefangene Erwartung aus, wobei nicht alles im Gedächtnis gespeichert wird. Dem Beobachter und dem Betrachter geht es also um den Wunsch wahrzunehmen, jedoch einen von ihnen abgetrennten Gegenstand, der aus diesem Grund nur ‚richtig‘ wahrgenommen werden kann. Das Innewerden schließlich, das Gegenüber wird nicht gegenständlich erfasst. „Dieser Mensch ist nicht mein Gegenstand; ich habe mit ihm zu tun bekommen. […] aber vielleicht habe ich nur etwas zu lernen, und es kommt nur darauf an, dass ich es ‚annehme‘. […] Immer aber ist mir ein Wort geschehen, das eine Antwort heischt. Diese Wahrnehmungsweise sei Innewerden genannt.“362 In Zwiesprache geht es Buber auch um die Zeichen. Wie können wir diese erkennen? „Jeder von uns steckt in einem Panzer, dessen Aufgabe es ist, die Zeichen abzuwehren. Zeichen geschehen uns unablässig, leben heißt angeredet werden, wir brauchten nur uns zu stellen, nur zu vernehmen.“363 Buber schreibt, dass wir den Panzer, das Korsett bald vor Gewöhnung nicht mehr spüren. „Nur Augenblicke gibt es, die ihn durchdringen und die Seele zur Empfänglichkeit aufrühren […] und uns fragen: Was hat sich denn da Besondres ereignet? Wars nicht von der Art wie es mir alle Tage begegnet? […] Freilich nichts Besondres, so ist es alle Tage, nur wir sind alle Tage nicht da.“364 Buber meint, denke ich, dass wir den Augenblick leben sollen, ab und zu innehalten um uns zu vergegenwärtigen, wo wir stehen, im Verhältnis zu unserem Ziel. Er befürwortet ein bewusstes Leben in jedem Moment des Alltags. Dazu ist eine Haltung der Achtsamkeit, der Aufmerksamkeit notwendig. Dies wiederum lässt keine gewohnte Routine des Erledigens von Situationen zu, sondern erfordert ein einmaliges, kreatives Antworten auf diese Anrede, ein

361 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 150. 362 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 152f. 363 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 153. 364 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 153f. 109

‚sich Einlassen‘. Es fordert sozusagen ein Moralverständnis und es fordert dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. „Und wenn es nichts gibt, das uns so das Antlitz des Menschen verstellen kann wie die Moral, kann die Religion uns, wie nichts andre das Antlitz Gottes verstellen. Prinzip dort, Dogma hier, ich weiß die ‚objektive‘ Dichtigkeit des Dogmas zu schätzen, aber hinter beiden lauert der - profane oder heilige – Krieg gegen die dialogische Gewalt der Situation, lauert das Ein-für-alle-mal, das dem unvorhersehbaren Augenblick widersteht.“365 In Zwiesprache erwähnt Buber auf dreierlei Arten den Dialog: „ […] den echten – gleichviel, geredeten oder geschwiegenen – wo jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in ihrer Intention zuwendet, […]“366 Quasi wo sich durch Hinwendung lebendige Gegenseitigkeit ergibt, es findet sozusagen ein Innewerden statt und findet in der Du-Welt statt. Der ‚Technische Dialog‘ ist lediglich durch Notdurft der sachlichen Verständigung intendiert und findet in der Es-Welt statt. Er macht jedoch Durchbrüche zum echten Dialog möglich. Drittens nennt Buber den dialogisch verkleideten Monolog. „[…] in dem zwei oder mehrere im Raum zusammenkommende Menschen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit sich selber reden und sich dort der Pein des Aufsichangewiesenseins entrückt dünken.“367 Als Beispiel nennt er die Debatte, wo es nicht darum geht, etwas mitzuteilen, sondern die Selbstdarstellung im Vordergrund steht. In ‚Elemente des Zwischenmenschlichen‘ schneidet Buber, was sich zwischen den Menschen begibt, aus dem ‚sozialen‘ was ihn in der Gruppe meint, heraus. Er nennt es gleichermaßen die Dimension des Zwischenmenschlichen, dessen Kennzeichnung es quasi ist, nicht Objekt zu sein. „Man pflegt das, was sich zwischen Menschen begibt, dem Gebiet des ‚Sozialen‘ zuzurechnen und verwischt damit eine grundwichtige Trennungslinie zwischen zwei wesensverschiedenen Bereichen der Menschenwelt.“368 Egal welche Bekanntschaft es auch ist. „Es kommt auf nichts anderes an, als dass jedem von zwei Menschen der andere als dieser bestimmte andere widerfährt, jeder von beiden des

365 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 164f. 366 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 166. 367 BUBER Martin, Zwiesprache, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 166. 368 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 171. 110 anderen ebenso gewahr wird und eben daher sich zu ihm verhält, wobei er den anderen nicht als sein Objekt betrachtet und behandelt, sondern als seinen Partner in einem Lebensvorgang, sei es auch nur in einem Boxkampf.“369 Der soziologische Beziehungsbegriff ist für Buber ein andauerndes Verhältnis zwischen Individuen, und auch davon unterscheidet er das Zwischenmenschliche, das er auf den Moment des aktuellen Ereignisses zwischen Menschen bezieht. ‚Er‘ bezeichnet das Zwischenmenschliche als die Sphäre in der sich die Personen befinden und nennt diese Entfaltung das Dialogische. „Die Sphäre des Zwischenmenschlichen ist die des Einander- gegenüber; ihre Entfaltung nennen wir das Dialogische.“370 Bezüglich des menschlichen Daseins meint Buber: „Die eigentliche Problematik im Bereich des Zwischenmenschlichen ist die Zwiefalt von Sein und Scheinen.“371 Buber sieht zwei Arten von menschlichem Dasein, nämlich ‚Leben vom Wesen aus‘, welches bestimmt ist, von dem was einer ist. ‚Es‘ macht das Zwischenmenschliche möglich, und ‚Leben vom Bilde aus‘, also wie einer erscheinen will. Dies hindert sozusagen die zwischenmenschliche Begegnung, weil Es existentiell belügt. Es gibt laut Buber allerdings eine Sonderform, wo das Scheinen gewissermaßen nicht auf einer Lüge beruht, insofern, als es ein Nachahmen, quasi auf ein Werden oder Wollen bezieht und er sieht dies dann nicht als eine Hinderung der zwischenmenschlichen Begegnung an. Im wahrhaftigen Leben sind jene Seinsweisen vermischt und es ist vielmehr zu unterscheiden, welche der beiden im gegebenen Verhalten vorherrscht. Also wenn sich Menschen nicht als das darstellen oder zeigen, was sie sind, können sie einander auch nicht begegnen. Der wesentliche Faktor ist Authentizität. Daher wer nicht authentisch ist, kann sozusagen in seinem realen Sein nicht bestätigt werden und fürchtet daher immer dieses ‚Nicht-Bestätigtwerden‘ und wird in der Folge immer mehr von der Bestätigung des Bildes, also des Scheins abhängig. Es wird jedoch nicht er bestätigt, sondern seine Bilder, seine Schemen, wenn man so möchte seine Gespenster. Und die Grundlage ist auch hier die Ich – Du Beziehung, also den Anderen als wesenhaft Anderen

369 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 274. 370 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 276. 371 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 277. 111 anzunehmen, quasi als einen So – Seienden. Martin Buber bezeichnet es auch des Anderen innewerden.372 „Eines Dings oder Wesens innewerden heißt ganz allgemein: es als Ganzheit und doch zugleich ohne verkürzende Abstraktionen, in aller Konkretheit erfahren.“373 Buber nennt Den Schein und die Unzulänglichkeit der Wahrnehmung, die das Wachstum des Zwischenmenschlichen hemmen. Weiters meint er, dass zwei Grundweisen auf den Menschen einwirken, nämlich die Erziehung und die Propaganda, und diese beiden Grundweisen vermischen sich im realen Leben. Buber macht im Folgenden deutlich: „Der Mensch ist nicht in seiner Isolierung, sondern in der Vollständigkeit der Beziehung zwischen dem einen und dem anderen anthropologisch existent: erst die Wechselwirkung ermöglicht, das Menschentum zulänglich zu erfassen.“374

3.2 Ein dialogischer Ansatz nach David Bohm

David Bohm lebte von 1917 bis 1992. Er wuchs als Sohn eines Holzhändlers im jüdischen Viertel von Wilkes-Barre in Pennsylvania auf. 1943 erhielt er den Doktorgrad in Physik an der University of California in Berkley. Bohm wurde während der berüchtigten McCarthy – Ära von der Princeton University verstoßen und zu einem Verhör vor das sogenannte Komitee für Unamerikanischen Aktivitäten des US-Senats gebracht.375 Zu seinen veröffentlichten Werken zählen: Die implizite Ordnung: Grundlagen eines dynamischen Holismus376, The Undivided Universe (mit Basil Hiley), Causality and Chance in Modern Physics, Das neue Weltbild: Naturwissenschaft, Ordnung und Kreativität (mit F. David Peat), Die verborgene Ordnung des Lebens und Thought as a System. Bohm und Einstein diskutierten über die Probleme der grundsätzlich von der Fachwelt akzeptierten Quantenmechanik, welche von ihren theoretischen Grundlagen nicht mit der

372 Vgl. BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 283f. 373 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 284. 374 BUBER Martin, Elemente des Zwischenmenschlichen, in: Das dialogische Prinzip, Ich und Du, Zwiesprache, Die Frage an den Einzelnen, Elemente des Zwischenmenschlichen, zur Geschichte des dialogischen Prinzips, 12. Auflage, München 2012, S. 290. 375 Vgl. dazu: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 51. 376 BOHM David, Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus. München 1987. 112

Relativitätstheorie übereinstimmte. Bohm war in keinster Weise bereit, sich mit den sich aus der Quantentheorie ergebenden unerklärlichen Paradoxien abzufinden, was ihn zu der Idee führte, dass die Welt auf atomarer Ebene ein untrennbares Netz oder eine Welt miteinander verwobener Zusammenhänge sei. David Bohm arbeitete als Quanten-Physiker zuletzt am Birkbeck College der Universität London und verfasste mehrere Standardwerke der Quantentheorie. Gerade durch seine Arbeit in der modernen Physik wurde er zur Weiterentwicklung des Dialogs angeregt. Er fragte sich, inwiefern von der Untersuchung subatomarer Vorgänge neue Ideen und Lösungsvorschläge für unsere heutigen gesellschaftlichen Fragen abgeleitet werden könnten, und glaubte, bei der Suche nach den grundlegenden physikalischen Strukturen etwa Parallelen zwischen seinen quantenphysikalischen Beobachtungen und spirituellen Weisheiten gefunden zu haben.377 „Der Dialog, wie Bohm in versteht, ist ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung vom Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. In diesem Prozess wird eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrung erkundet: Unsere tief sitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung traktierter kultureller Mythen und die Art und Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert. Am wichtigsten aber ist vielleicht die Ausrottung der Art und Weise, in der das Denken - von Bohm als inhärent begrenztes Medium gesehen, nicht als objektives Abbild der Wirklichkeit - auf der kollektiven Ebene hervorgebracht unterhalten wird.“378 Oft verteidigen wir unsere Annahmen so, als würden wir uns selbst verteidigen. „Es steckt eine Menge Gewalttätigkeit in den Meinungen, die wir verteidigen. Sie sind nicht lediglich Meinungen, nicht lediglich Annahmen; sie sind Annahmen, mit denen wir uns identifizieren und die wir daher verteidigen, weil es ist, als würden wir uns selbst verteidigen. […] Und in einem Dialog werden wir uns dessen auf kollektive Weise bewusst. Solange wir diese defensive Haltung beibehalten - abblocken, an Annahmen festhalten und erklären: ‚Ich muss recht haben‘ -, ist unsere Intelligenz sehr eingeschränkt, denn die Intelligenz erfordert, dass man eine Meinung nicht verteidigt. Es gibt keinerlei Grund, an einer Annahme festzuhalten, wenn es Hinweise darauf gibt, dass sie falsch sein könnte.“379

377 Vgl. dazu: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 51. 378 LEE Nicole, Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S.7f. 379 LEE Nicole, Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S. 79f. 113

Es ist jedoch nicht gemeint, dass den einzelnen Teilnehmern die Gruppenmeinung aufgezwungen wird, denn in diesem Fall kann das Kollektiv Schwierigkeiten bereiten. Es kann und darf jeder Gruppenteilnehmer eine andere Meinung haben und es ist nicht wichtig, dass jeder überzeugt wird bzw. zu einer gleichen Meinung bekehrt wird. Genau genommen geht es um den gemeinsamen Geist, um das gemeinsame Bewusstsein, welches wichtiger ist als der Inhalt der Meinungen. Nicht durch unsere Meinungen kommen wir der Wahrheit näher vielmehr liegt sie im stillschweigenden Geist. Es geht darum, unsere Zielsetzungen kohärent zu machen, wenn wir sie erkennen oder an ihr teilhaben wollen. Wenn eine Partei am Dialog interessiert ist, die andere jedoch nicht, können wir dennoch einen Dialog führen, nämlich einen zwischen ihrem Denken und unserem Denken. „Wir können zumindest unter uns einen Dialog führen, so gut es geht, oder auch nur für uns selbst. Das ist der dialogische Geist. Und der Versuch, diesen Geist in die Gesellschaft hineinzutragen, wäre sicherlich relevant dafür, eine kreative und harmonische Ordnung in der Welt herbeiführen zu helfen. Wenn wir wirklich etwas Kreatives tun könnten, würde es die anderen vielleicht auf einer stillschweigenden Ebene beeinflussen. Es würde sich auf der stillschweigenden Ebene mitteilen, sowohl verbal als auch non verbal. Aber wenn wir weiter nur dieselbe alte Leier wiederholen, wird nichts geschehen. […] Das wird die Frustration des Dialogs aushalten kann eine weit größere Bedeutung haben, als es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich könnten wir sagen, das wird dadurch nicht mehr Teil des Problems sind, sondern zu einem Teil der Lösung werden. Mit anderen Worten: die Bewegung in unserem Geist hat die Eigenart der Lösung, sie ist ein Teil der Lösung.“380 David Bohm erzählt zur Veranschaulichung über Albert Einstein und Niels Bohr. Die beiden diskutierten oft angeregt über Physik, jeder von beiden hatte unterschiedliche Annahmen oder Meinungen und es stellt sich die Frage nach dem richtigen Weg zur Wahrheit. „Bohrs Beurteilungen basierten auf einer Sichtweise der Quantentheorie, die von Einstein auf einer Sichtweise der Relativität. Sie besprachen das Thema wieder und wieder, sehr geduldig und in allem Wohlwollen. Die fruchtlosen Debatten zogen sich über Jahre hin, und keiner der beiden gab nach. Beide wiederholten lediglich die bekannten Standpunkte. Schließlich stellten sie fest, dass sie so nicht weiterkamen, und allmählich tat sich eine tiefe Kluft zwischen ihnen auf. Danach sahen sie einander sehr lange nicht mehr. […] Sie konnten nicht zusammenkommen, weil es nichts gab, worüber sie noch hätten reden können. Eine

380 LEE Nicole, Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S. 81f. 114 gemeinsame Bedeutung zu finden war unmöglich, denn jeder war von der Wahrheit seiner Bedeutung überzeugt.“381 Bohm meint, dass man sich vor der Wahrheit, die ja eigentlich nur die eigene Wahrheit ist, hüten solle. Im Dialog jedoch geht es im Grunde genommen um den gemeinsamen Sinn oder Zweck, wobei man im Dialog auch zur ‚Wahrheit‘ gelangen kann. Ist jedoch der Sinn inkohärent, so wird man nie zur ‚Wahrheit‘ gelangen. „Wenn es also notwendig ist, zu einer gemeinsamen Sinnsetzung und einer gemeinsamen Wahrheit zu gelangen, müssen wir einen anderen Weg gehen. Bohr und Einstein hätten wahrscheinlich einen Dialog führen sollen. […] Und möglicherweise hätten beide ihre Ansichten aktiv in der Schwebe halten können, was ihnen ermöglicht hätte, über Relativität und Quantentheorie hinaus zu etwas Neuem vorzustoßen, das ihre Standpunkte verband. Theoretisch hätten sie das tun können, aber ich glaube nicht, dass diese Vorstellung vom Dialog den Naturwissenschaftlern damals schon in den Sinn gekommen wäre.“382

4 Heutige Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion

4.1 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach Peter Senge

Peter M. Senge ist Leiter des Systems Thinking and Organizational Learning Program an der Sloan School of Management des Masachusetts Institute of Technology und Gründungsmitglied von Innovation Associates. In Seminaren hat er tausende von Führungskräften in die Disziplin der lernenden Organisation eingeführt. Es ist ihm gelungen, diese Sicht- und Vorgangsweise so darzustellen, dass sie sich in der Praxis der Unternehmen

381 BOHM David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, herausgegeben von Lee Nichol, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S. 83f. 382 BOHM David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, herausgegeben von Lee Nichol, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S. 74f. 115 nutzbringend anwenden lässt. In seinem Buch, ‘Die Fünfte Disziplin’, geht er zunächst darauf ein, wie unser Handeln unsere Wirklichkeit erzeugt, und wie wir sie verändern können. Die Fünfte Disziplin, wenn man so will, das Systemdenken, ist so wie der Dialog, eine der fünf Eckpfeiler einer lernenden Organisation. Weitere Eckpfeiler sind ‘Personal Mastery’383, ‘Mentale Modelle’384, ‘die gemeinsame Vision’385 und ‘das Team-Lernen’386 ein. Bezüglich des Systemdenkens meint Peter Senge: „Wolken ziehen auf, der Himmel verdunkelt sich, die Blätter kräuseln sich nach oben, und wir wissen, dass es regnen wird. […] All diese Ereignisse sind räumlich und zeitlich voneinander getrennt, und doch gehören sie alle zu demselben Muster. Die Ereignisse beeinflussen sich gegenseitig, auch wenn wir das Wechselspiel normalerweise nicht wahrnehmen. Man kann das System eines heftigen Regens nur verstehen, wenn man über die Einzelteile hinaus blickt und das Ganze387 betrachtet. Die Geschäftswelt und andere menschliche Unternehmen sind ebenfalls Systeme. Auch sie sind durch ein unsichtbares Gewebe von zusammenhängenden Handlungen verbunden, die oft erst nach Jahren ihre volle Wirkung aufeinander entfalten. Da wir selbst ein Teil dieses filigranen Musters sind, fällt es uns doppelt zu schwer, das volle Bild der Veränderung zu erfassen. Stattdessen neigen wir dazu, uns auf ‘Schnappschüsse’ von isolierten Systemteilen zu konzentrieren, und wundern uns, warum unsere größten Probleme scheinbar unlösbar sind. Das Systemdenken ist ein konzeptuelles Rahmenwerk, ein Set von Informationen und Instrumenten, das im Lauf der letzten 50 Jahre entwickelt wurde, damit wir die übergreifenden Muster klarer erkennen und besser begreifen, wie wir sie erfolgreich verhindern können.“388

383 Vgl. dazu: SENGE Peter M., KLEINER Art, SMITH Brian, ROPBERTS Charlotte, ROSS Richard, Das Fieldbook zur fünften Disziplin, aus dem Amerikanischen übersetzt von Klostermann Maren, Stuttgart 2008, S. 223-270. 384 Vgl. dazu: SENGE Peter M., KLEINER Art, SMITH Brian, ROPBERTS Charlotte, ROSS Richard, Das Fieldbook zur fünften Disziplin, aus dem Amerikanischen übersetzt von Klostermann Maren, Stuttgart 2008, S. 273-340. 385 Vgl. dazu: SENGE Peter M, KLEINER Art, SMITH Brian, ROPBERTS Charlotte, ROSS Richard, Das Fieldbook zur fünften Disziplin, aus dem Amerikanischen übersetzt von Klostermann Maren, Stuttgart 2008, S. 343-401. 386 Vgl. dazu: SENGE Peter M., KLEINER Art, SMITH Brian, ROPBERTS Charlotte, ROSS Richard, Das Fieldbook zur fünften Disziplin, aus dem Amerikanischen übersetzt von Klostermann Maren, Stuttgart 2008, S. 405-511. 387 Vgl dazu: “Wer einen Elefanten in zwei Hälften teilt, bekommt nicht zwei kleine Elefanten. Ein lebendiges System ist eine Einheit. Sein Wesen hängt vom Ganzen ab. […] Eine weitere Sufi- Geschichte veranschaulicht dieses Gesetz. Als drei Blinde auf einen Elefanten stießen, hat jeder seine Entdeckung lauthals kund. ‚ Es ist ein graues Ding, groß und breit, wie ein Teppich‘, erklärte der Erste, der ein Ohr in der Hand hielt. […] So wie diese Männer zu ihrem Wissen kommen, werden sie nie begreifen, was in Elefant ist.“ Senge Peter, Die Fünfte Disziplin, Stuttgart, 1999, S. 86. 388 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S.15. 116

Oft scheitern gewisse Vorhaben oder Gespräche, weil wir uns unserer Mentalen Modelle nicht bewusst sind. „Mentale Modelle sind tief verwurzelte Annahmen Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln.“389 Meist sind wir uns dieser mentalen Modelle und deren Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst. In Managementsituationen ist es oft ähnlich. […] viele Erkenntnisse über neue Marktmöglichkeiten oder über veraltete Organisation werden nicht praktisch umgesetzt, weil sie im Widerspruch zu stummen, aber machtvollen mentalen Modell stehen.“390 Mit mentalen Modellen zu arbeiten erfordert zum einen, dass man neue Fertigkeiten entwickelt und diese zum anderen regelmäßig angewendet. Zuerst müssen die grundlegenden Annahmen, unsere inneren Bilder vom Wesen der Dinge, an die Oberfläche gebracht werden, und dann müssen die Lernfähigkeiten in direkten Gesprächen gefördert werden. „Ob mentale Modelle zu Problemen führen, hängt nicht davon ab, ob sie richtig oder falsch sind - alle Modelle sind per definitionem Vereinfachung. Problematisch wird es, wenn die mentalen Modelle im Verborgenen operierenden - wenn sie unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle liegen.“391 Wenn wir unsere inneren Bilder an die Oberfläche holen können wir sie überprüfen und verbessern. Mentale Modelle sind sind Bilder, Annahmen und Geschichten, die wir in unseren Köpfen haben. „Philosophen diskutieren seit Jahrhunderten über mentale Modelle, zumindest seit Platons Höhlengleichnis. ‘Des Kaisers neue Kleider’ ist ein klassisches Märchen, das nicht von törichten Menschen handelt, sondern von Menschen, die in mentalen Modellen gefangen waren. Ihre feste Vorstellung von der Würde des Monarchen hinderte sie daran, den nackten Mann als das zu sehen, was er war.“392 Bezüglich der gemeinsamen Vision oder dem gemeinsamen Anliegen beginnt Peter Senge mit der Geschichte von Spartakus. Die Geschichte eines römischen Gladiators beziehungsweise eines Sklaven, der im Jahr 71 v. Chr. ein Heer von aufständischen Sklaven anführte. Zweimal besiegten sie die römischen Legionen, wurden aber schließlich von dem General Marcus Crassus nach einer langen Belagerung und Schlacht geschlagen. Im Film erklärt Crassus den tausend Überlebenden aus Spartakus’ Heer: „Sklaven seid ihr gewesen, und Sklaven werdet

389 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 17. 390 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 17. 391 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 215. 392 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 213. 117 ihr wieder sein. Aber die römischen Legionen werden Gnade walten lassen und euch die gerechte Strafe der Kreuzigung erlassen. Wenn ihr mir nur den Sklaven Spartakus ausliefert, weil wir sein Gesicht nicht kennen. Nach einer langen Pause steht Spartakus auf und sagt: ‘Ich bin Spartakus’. Dann steht der Mann neben ihm auf und sagt: ‘Ich bin Spartakus’ […] innerhalb weniger Minuten ist das Ganze Heer auf den Beinen. Es spielt keine Rolle, ob diese Geschichte erfunden ist oder nicht; sie veranschaulicht eine tiefe Wahrheit. Jeder Mann, der aufstand, wählte den Tod. Aber die Loyalität von Spartakus’ Armee galt nicht dem Mann Spartakus. Ihre Loyalität galt einer gemeinsamen Vision, die Spartakus ausgelöst hatte - die Vorstellung, dass sie frei sein könnten. […] Eine gemeinsame Vision ist keine Idee. Es ist nicht einmal eine wichtige Idee, wie zum Beispiel die Idee der Freiheit. Sie ist eher eine Kraft im Herzen des Menschen, eine Kraft von eindrucksvoller Macht. Sie mag durch eine Idee inspiriert sein, aber wenn sie einmal weitergegeben wird - wenn sie stark genug ist, um mehr als einen Anhänger zu gewinnen -, ist sie nicht länger eine bloße Abstraktion. Sie ist greifbar, Menschen betrachten Sie, als ob sie tatsächlich existierte.“393 Bei Personal Mastery geht es um die persönliche Vision. Wer es zu einem hohen Grad an Personal Mastery bringt, ist in der Lage, seine wahren Ziele konsequent zu verwirklichen, solche Menschen gehen letztlich ans Leben heran wie Künstler an ein Kunstwerk. Je klarer man das Ziel formulieren kann, desto eher erreicht man es. Dies gelingt, weil man offen auf Neues reagiert und nie aufhört zu lernen. Personal Mastery bedeutet, dass man seine persönliche Vision kontinuierlich klärt und vertieft, um dann die Energien zu bündeln, Geduld zu entwickeln und schließlich betrachtet man die Realität objektiv.394 Beim Team lernen geht es darum, die kollektive Intelligenz zu nützen, da die Intelligenz des Teams die Intelligenz des einzelnen bei weitem überschreitet. „Wenn Teams wahrhaft lernen, erzielen sie nicht nur herausragende Ergebnisse, sondern die einzelnen Mitglieder entwickeln sich auch schneller, als es andernfalls je möglich wäre. Die Disziplin des Team-Lernens beginnt mit dem Dialog, mit der Fähigkeit der Teammitglieder, eigene Annahmen ‘aufzuheben’ und sich auf ein ‚echtes, gemeinsames Denken’ einzulassen.“395 In der Gruppe können die Mitglieder zu Einsichten gelangen, die dem Einzelnen verborgen oder verschlosen sind.

393 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 251. 394 Vgl. dazu: SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 16. 395 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 19. 118

Der Dialog, damit meine ich, die Praxis des Dialogs ist in vielen einfacheren Kulturen, so zum Beispiel bei den nordamerikanischen Indianern gewissermaßen bewahrt worden, in der modernen Gesellschaft hingegen ist er fast völlig verloren gegangen. Die Grundsätze und Techniken des Dialogs werden heute wieder neu entdeckt und in einen zeitgenössischen Kontext gestellt.396 Das Lernen eines Teams kann behindert werden, wenn man bestimmte Interaktionsstrukturen nicht erkennt. Eine weitere Voraussetzung für das Lernen eines Teams ist die Bereitschaft dazu, denn häufig ist das Verhalten der Mitglieder von tiefen Abwehrstrukturen geprägt. Lernen ist jedoch unmöglich, so diese Strukturen nicht erkannt werden. Erkennen hingegen und das kreative Auseinandersetzen mit den Strukturen, können das Lernen vorantreiben.

4.2 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach William Isaac

William Isaacs arbeitete mit Peter Senge am Organizational Learning Center (OLC) der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology. Peter Senge hat in seinem Buch ‚ Die fünfte Disziplin‘ auf die zentrale Rolle des Dialogs als einer der fünf Disziplinen für eine ‚lernende Organisation‘ hingewiesen. William Isaac untersuchte in seinem ‚Dialogue-project‘ etwa die unterschiedliche Leistungsfähigkeit des Dialogs in konkreten Praxisfeldern. Isaacs geht es darum, den Dialog als Disziplin wissenschaftlich zu erkunden, um genauer festzustellen, wie unser Denken funktioniert. Weiters zeigt er auf, und wie soziale Systeme eine Veränderungsfähigkeit entwickeln können. er geht der Frage nach, wie man zu einer systemischen Weltsicht kommt397, um die Prozesse und Ereignisse in ihrem vernetzten Zusammenhang besser erkennen zu können. David Bohm geht ja auch von einer Fragmentierung unseres Denkens aus und fragt sich, wie diese überwunden werden kann.398 Laut Isaacs ist es dazu erforderlich, ‚up stream‘399in Richtung

396 Vgl. dazu: SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S. 19. 397 Vgl. dazu: ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 313. 398 Vgl. dazu: BOHM David, Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus. München 1987, S. 266. 399 Vgl. dazu: ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 128. 119 der Quelle, als dem Ursprung400 des Problems und des Denkens zu gehen, damit man sich nicht zu sehr mit der Beschreibung von Ereignissen flussabwärts befasst.401 Nach Isaacs erfüllt ein Dialog weit tiefere, unterbreitete Bedürfnisse als das schlichte ‚Erreichen von Zustimmung‘. Bei Verhandlungen geht es darum, Vereinbarungen zwischen Parteien herzustellen, die verschiedener Meinungen sind. Im Dialog dagegen steht ein neues Verständnis im Vordergrund, die Entwicklung einer ganz neuen Basis des Denkens und Handelns. Im Dialog werden Probleme nicht gelöst, sondern quasi ‚aufgelöst‘. „Wir versuchen nicht, Vereinbarungen zu ermöglichen, sondern wollen einen Kontext schaffen, in dem viele neue Vereinbarungen möglich sind. Und wir wollen ein gemeinsames Bedeutungsfundament freilegen, das uns hilft, unser Handeln mit unseren Werten zu koordinieren und in Einklang zu bringen.“402 Isaac geht in einer Weise auch auf das systemische Denken ein und weist auf das unteilbare Ganze. Auch Peter Senge schreibt über das unteilbare Ganze: „Die Erde ist ein unteilbares Ganzes, so wie jeder einzelne Mensch ein unteilbares Ganzes ist. Die Natur (und das schließt uns mit ein) besteht nicht aus einzelnen Ganzheiten, die sich jeweils aus verschiedenen Teilen zusammensetzen. Sie besteht aus Ganzheiten innerhalb von Ganzheiten. Alle Grenzen, auch die zwischen Staaten, sind etwas zutiefst Willkürliches. Wir erfinden sie und schließen uns selbst darin ein.“403 Laut Isaacs verlangt der Dialog, auf eine bereits existierende Ganzheit zu hören und eine neue Form des Umgangs zu entwickeln damit alle vorgetragenen Meinungen wahrhaftig gehört werden. Über die Qualität des Zuhörens und der Aufmerksamkeit, die jede einzelne Auffassung umfasst, geht diese weit darüber hinaus. Im Dialog werden Probleme nicht, wie es konventionelle Ansätze tun, dort behandelt, wo sie sich bereits manifestiert haben, sondern an ihrem Ursprung. Isaacs will die Veränderungen vor allem an der Quelle unseres Denkens und Fühlens erreichen. „[…] Es gilt vielmehr, die Prozesse so zu verändern, dass Fehler möglichst

400 Gregor der Große vergleicht das mit der Kontemplation, die heiligen Männer treten nach der Kontemplation hinaus in die öffentliche Wirksamkeit und kehren wieder zu ihr zurück, um sich neu an der göttlichen Flamme zu entzünden. Er beschreibt dies mit dem Bild eines Flusses, der an den Ort zurückfließt, an dem er entsprungen ist.Vgl. dazu: Moralia 2,8 (1495,63ff Adriaen) zitiert nach: GRESCHAT Katharina, Die Moralia in Job Gregors des Großen, S. 202, http://books.google.at/books?id=aFV_wOPMCKkC&pg=PA6&lpg=PA6&dq=j.+richards++gregor+der+gro%C 3%9Fe&source=bl&ots=c7U21pKPcm&sig=A- 55gWU5aH7ChiLPMqUFAkYCj5Q&hl=de&sa=X&ei=MqliU5GLEtDQ7AaUkYGYAw&ved=0CDYQ6AEw AjgK#v=onepage&q=kontemplation%20%20gregor%20der%20gro%C3%9Fe&f=false, Zugriff am 20.6.2014. 401 Vgl. dazu: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 57. 402 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 29. 403 SENGE Peter M., Die fünfte Disziplin, Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart 1996, S.448. 120 gar nicht erst entstehen. […] Nicht die Neustrukturierung der äußeren Komponenten des Gesprächs ist das Ziel, sondern die Aufdeckung und Veränderung der grundlegenden organischen Strukturen, die die Fragmentierung produzieren.“404 In seinem Kapitel, ‚eine zeitlose Form des Gesprächs‘ bietet Isaacs den Dialog, als eine Methode, für ein gutes Gespräch an. „Wohl jeder wird sich an ein besonders gutes Gespräch erkennen können, […] ist der Dialog ein Verfahren, mit dem sich gute Gespräche bewusst und mit Absicht evozieren lassen.“405 So der Dialog ein Verfahren, ja sogar eine Kunstform ist, so lässt er sich doch nicht nur unter methodischen Aspekten beschreiben. Es gibt quasi kein Lehrbuch für den Dialog, da der Dialogbegleiter ein Teil des Dialogs ist, und nicht als Außenstehender den Dialog lenkt und begleitet. „Beim Dialog ist der Berater selbst unlösbar Teil der Methode. Einen Dialog begleiten bedeutet, sich grundlegend neu mit sich selbst zu beschäftigen. Es gibt keine vom eigenen Verhalten unabhängige Schritte, die man anderen zeigen könnte. Wohl aber gibt es klare und zuverlässige Praktiken, die festlegen, ob die Bedingungen für einen Dialog vorhanden sind oder nicht. So müssen sie zum Beispiel eine Haltung, eine Weltsicht erlernen, von der aus sie ihre Gespräche von Grund auf neu aufbauen, um den spezifischen Bedürfnissen und der spezifischen Gesprächswelt jeder Situation gerecht zu werden.“406 Es gilt, die Theorie und die Prinzipien des Dialogs zu verstehen, und damit die ineinandergreifenden Kräfte, die steuern, wie und warum ein Dialog funktioniert. Das heißt, die theoretische Basis ist die Voraussetzung, dass die Praxis funktioniert. „Ohne Theorie bliebe die Praxis des Dialogs auf eine kleine Gruppe intuitiver ‚Meister‘ beschränkt, weil jeder von uns Erfolg ein wenig anders bemisst und wechselnde Kategorien einbezieht.“407

Mit anderen Worten, wenn man offen für die Theorie des Dialogs ist, und wenn man sich der Kräfte bewusst geworden ist, dann geht man anders in ein Gespräch und gibt nicht länger anderen die Schuld, wenn etwas schief geht. Man ist in der Lage Gespräche in Gang zu setzen, die zu besseren Ergebnissen führen.

404 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 30. 405 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 75. 406 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 75. 407 ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 75. 121

4.3 Modelle des Dialogs / der sprachlichen Interaktion - nach Marta und Johannes Hartkemeyer, L. Freeman Dhority

In ihrem Buch ‘Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs’ beschreiben Marta und Johannes Hartkemeyer und Freeman Dhorithy, folgendes über ihre Beweggründe ein Buch über den Dialog zu schreiben: „[…] der Dialog ist für uns eine besondere Art, miteinander zu sprechen und einander zuzuhören. Dazu gehört vor allem auch, sich selbst zuzuhören, die eigenen Reaktionen zu spüren, die Herkunft der eigenen Gedanken zu erforschen, um nicht Gefangener des eigenen begrenzten Weltbildes zu bleiben.“408 Dialog kann nur stattfinden, wenn wir verlangsamen und innehalten, wenn wir uns auf den Dialog einlassen und nicht versuchen, Probleme auf die Schnelle zu lösen. „Eine Voraussetzung für den Dialog ist die Bereitschaft zuzuhören, und unsere Urteile in der Schwebe halten, was nicht immer leicht ist da wir gut trainiert sind, Konflikte zu vermeiden, oder unsere Meinungen durchsetzen als vermeintliches Zeichen von Stärke. Im Dialog geht es darum, eigene und fremde Gedankenfelder in einer offenen, nicht manipulativen Form zu erkunden. Es geht auch darum zu erkunden, wie unsere Annahmen über das was wir ‚Wirklichkeit’ nennen, tief mit unseren nicht hinterfragten kulturellen Normen und Verhaltensweisen verwoben sind.“409 Es geht darum, die vermeintliche Wirklichkeit zu hinterfragen, und offenzulegen, woher unsere Annahmen kommen. Paul Watzlawick schreibt in seinem Buch ‘Wie wirklich ist die Wirklichkeit’ gleich zu Beginn: „Dieses Buch handelt davon, dass die so genannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist. Diese These scheint den Wagen vor das Pferd zu spannen, denn die Wirklichkeit ist doch offensichtlich das, was wirklich der Fall ist und Kommunikation nur die Art und Weise, sie zu beschreiben und mitzuteilen.“410 Ludwig Wittgenstein meint: „Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit […] die gesamte Wirklichkeit ist die Welt, wir machen uns Bilder der Tatsachen. Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor. Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit […] das Bild besteht darin,

408 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 14. 409 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 14f. 410 WATZLAWICK Paul, Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen, 3. Auflage, München 2004, S. 7. 122 dass sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zueinander verhalten. Das Bild ist eine Tatsache. […] das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr.“411 Es soll mit dem Begriff Wirklichkeit, die so wie Platon meint, nur ein Abbild der Wirklichkeit ist, vorsichtig umgegangen werden. Der Dialog ist ein Prozes, der die Möglichkeit bietet, an den Grenzen des bisherigen Denkens zu arbeiten. Zum Thema Dialog als Erkenntnisprozess schreiben Hartkemeyer und Dhorithy: „Es geht uns nicht um die Entwicklung einer neuen, geschlossenen Dialogtheorie. Uns liegt daran, ein gemeinsames Projekt, viele Stimmen vorzuschlagen, um zu zeigen, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen fruchtbar werden zu lassen. Das grundsätzliche Problem bei der schriftlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff Dialog ist die Fixierung durch Worte, die suggeriert, sie könnten etwas, das eine gemeinsame Suche nach Sinn voraussetzt, in ein Korsett von Feststellungen und Definitionen zwingen. Um uns dem dialogischen Vorgehen - verstanden als gemeinsame Suche nach neuer Erkenntnis - auch in der Schriftform wenigstens zu nähern, haben wir in weiten Bereichen dieses Buchs zur Klärung von Positionen und zur Darstellung von Arbeitsfeldern zum Dialog die Form des Gesprächs gewählt, die diesem Anspruch nach unserer Meinung am ehesten entspricht.“412 Oder wie Roland Barthes meint: „ Aber diese soziale Sprache, eine Art Theaterkostüm, das einer Essenz umgehängt wird, hat niemals die Gesamtheit dessen, der sie sprach, engagiert; die Leidenschaften bestanden und wirkten oberhalb des Sprechens weiter.“413 Wenn der Dialog nicht in ein Korsett von Feststellungen und Definitionen zu zwingen ist, so hat er jedoch Regeln, wie zum Beispiel wahrhaftiges Zuhören, Verlangsamung bzw. Innehalten und Bewertungen in der Schwebe zu halten, an die es sich zu halten gilt, um zum Ursprung des Denkens zu gelangen. In der Vertiefung oder in der Wiederholung liegt die Kraft, und in diesem Sinne will Dialog geübt werden. Es geht jedoch nicht um Perfektion, sondern darum den Dialog einfach zu praktizieren. Oder wie Shunryu Suzuki seine Zen – Schüler lehrt: „Wenn ihr die Gebote befolgt, ohne zu versuchen, die Gebote zu befolgen, ist das das wahre Befolgen der Gebote. […] Das tatsächliche Geschehen oder die Tatsache kommt zuerst, nicht die Regel. […] Und wir befolgen die Gebote nicht nur um der Gebote

411 WITTGENSTEIN Ludwig, Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung, erste Auflage, Frankfurt am Main 1963, S.16f. 412 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 16. 413 BARTHES Roland, Am Nullpunkt der Literatur, Literatur oder Geschichte, Kritik und Wahrheit, aus dem Französischen von Helmut Scheffel, erste Auflage, Frankfurt am Main 2006,S.64. 123 willen. Wir bemühen uns vielmehr darum, zu lernen, unserer wahren Natur Ausdruck zu verleihen.“414 M. und J. Hartkemeyer und F. Dhorithy versuchen einen Einblick in die Theorie und Gedankenwelten, auf denen der Ansatz des Dialogs basiert, darzustellen. Sie machen die Erfahrung, dass es den Beteiligten im Dialogprozess immer wieder gelingt, eigene Grenzen oder Denkfallen zu überwinden. Sie experimentieren mit verschiedenen Sichtweisen um kreativer zu werden. Insofern ist der Dialog eine Einladung zum Experimentieren mit verschiedenen Sichtweisen der Welt.415 Sie beschreiben in ihrem Buch verschiedene Praxisfelder des Dialogs, wie zum Beispiel der Dialog in Organisationen, der Dialog in der Schule, der politische Dialog, der Dialog im sozialen Alltag sowie der ökologische Dialog. Neben den Kernfähigkeiten im Dialog und dem Dialogprozess erörtern Sie auch die Grundformen des Dialogs. Dazu gehören die ‘Council’- Runde, der strategische Dialog in Organisationen, der generative Dialog und schließlich der Dialog in einer offenen Gruppe.

Vom mündlichen praktischen Dialog, der mit Sokrates begann und im modernen wieder mündlichen Dialog angelangt ist, war ein langer Weg. Dieser verlief über den schriftlichen, literarischen Dialog, der in der Folge behandelt wird. Aufgrund der neueren Theorien, die das systemische Denken beinhalten und das Ganze zu sehen versuchen, können die schriftlichen Dialoge etwa von Gregor dem Großen, nur im historischen und sozialen Umfeld gebettet gesehen werden, um die Ursache und die Wirkung der Dialoge und die Wahl der Dialogform zu verstehen. In welcher Stimmung befand sich Gregor der Große bei der Abfassung der Dialoge, welche mentalen Modelle arbeiteten im Verborgenen, und wie versuchte er diese an die Oberfläche zu bringen? Etwa indem er seine Ideen in Dialogform verfasste, um seine Gewissheiten in der Schwebe zu halten und mit der Figur des Petrus zu hinterfragen einerseits, und andererseits um dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich nicht vom Inhalt berieseln zu lassen, sondern wahrhaft ‚zuzuhören’oder zu lesen, um den Autor dort abzuholen wo er steht.

414 SUZUKI Shunryu, Seid wie reine Seide und scharfer Stahl, Das geistige Vermächtnis des Zen-Meisters, herausgegeben von Edward Espe Brown, aus dem Englischen von Stephan Schumacher, München 2006, S. 130ff. 415 Vgl dazu: HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 16. 124

5.Kommunikation/Dialog im Frühmittelalter anhand der Dialoge von Gregor dem Großen

5.1 Historisches Umfeld zu Gregor dem Großen

„[…] Italy’s first rex, Odoacer, lasted less than twenty years and was replaced by the Ostrogoth Theodoric in 493. Theodoric ruled conscientiously for thirty-three years, although he could not remedy the structural weaknesses of the Italian ecomomy. […] Theodoric died unable to secure his kingdom for the future, and Italy fell prey to Justinians ambitions. Determined to restore the empire to its former glory, Justinian sent out forces to reconquer the West 535. Italy was beset with wars of varying intensity for almost two decades and suffered unparalleled destruction; Rome was besieged at least four times […] The peace Justinian secured in 554 lasted only until 568, when a new and fierce tribe, the , crossed the Alps.”416 Die Dialoge Gregors entstehen in einer Zeit, in der bittere Erinnerungen und Ängste bezüglich der Grausamkeiten der Goten, Franken und Langobarden in den Köpfen und Herzen der Italiener waren.417 Wer aber waren diese ‚Barbaren‘, woher kamen sie und wieso kamen sie nach Rom?

Die Greutungen oder Ostgoten wurden um 375 von den Hunnen, die seit diesem Jahr den gesamten Steppenraum nördlich des Schwarzen Meeres bis an die untere Donau beherrschten unterworfen.418 Im Zuge des Niedergangs der Hunnenherrschaft nach dem Tode Attilas befreiten sich die Goten, Gepiden und andere unterworfene Völker 454 in der Schlacht am Nedao vom hunnischen Joch.419

416 STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, S. 2f. 417 Vgl. dazu: „the author was evedently writing at a time when bitter memories and fears of them were still alive in Italians minds and hearts.” CLARK Francis, The Pseudo-Gregorian Dialogues, 2 Bge., Leiden 1987; ders., The ‘Gregorian’ Dialogues and the Origins of Benedictine Monasticism (Studies in the history of Christian thought 108, Leiden/Boston 2003) S. 365-396, zitiert in: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387. 418 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 107. 419 Vgl. dazu auch: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 118: „Das Reich sollte nun unter Attilas zahlreichen Söhnen, die wegen seiner ungehemmten Lust fast ein Volk ausmachten‘, aufgeteilt, die Herrschaft über Könige und ihre Völker durch das Los entschieden werden. Doch entstand dabei Streit, worauf sich die Gepiden unter Ardarich und andere 125

Es begann nun ein mehrere Jahrhunderte andauernder Prozess, die sogenannte Völkerwanderung.

Die Goten marschierten 489 in Italien ein, und es kam zu einem schweren Kampf und einer jahrelangen Belagerung Ravennas, die 493 durch einen Kompromiss beendet wurde. Theoderich, der nach einem Jahrhundert wiederholter Barbareneinfälle durch die Goten, die Hunnen und die Vandalen als erster Barbar Italien in der Tat eroberte, herrschte über Italien, er nannte sich nicht rex Gothorum, sondern rex.420 Die Herrschaft von Theoderich war gekennzeichnet von der Anknüpfung an die spätantike Verwaltungspraxis in Italien. Walter Pohl meint, dass der spätrömische Verwaltungsapparat gewohnt war, sich an einer monarchischen Spitze zu orientieren, um gegebenenfalls bei deren raschem Wechsel oder in ihrer Abwesenheit weiter zu funktionieren. Somit konnten sie auf die Einflussnahme des oft barbarischen Militärs elastisch reagieren, wodurch barbarische ‚Invasionen‘ nicht unbedingt die Bürokratie lahmlegten.421

Es kam unter Theoderich zur Blütezeit der gotisch-arianischen Konfession und Verfassung, der lex Gothica. Theoderich gelang ein doch dauerhafter politischer Ausgleich, sein Bestreben lag in einem Ausgleich zwischen Goten und Römern, die einerseits Arianer und andererseits Katholiken waren.422 „Theoderichs Ideologie unterstrich den römischen Charakter, die romanitas, der gotischen Herrschaft, die ebenso wie ihr kaiserliches Vorbild als Quelle der civilitas, der gesetzlich begründeten Ordnung, gelten sollte. Auf dieser gemeinsamen, ‚staatsbürgerlichen‘ Grundlage sollten Goten und Römer geregelt und harmonisch zusammenleben.“423

unterworfene Völker erhoben und die Attila-Söhne (die von den Ostgoten unterstützt wurden) wohl 454 in der Schlacht am (sonst unbekannten) Fluss Nedao besiegten.“ 420 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 134. 421 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 135, Vgl. dazu auch, WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2001, S. 284ff. 422 Vgl. WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2001, S.80, vgl. dazu auch: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 135 WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2005, S.80. 423POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 136f, vgl. dazu auch: WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2001, 295. „Theoderich förderte die Städte, restaurierte öffentliche Bauten und Aquädukte, bediente sich römischen Zeremoniells (wie bei der Dreißigjahrfeier seines Königtums in Rom im Jahr 500) und drückte seine Achtung vor den Senatoren und der katholischen Kirche aus. Er respektierte die Eigenständigkeit der zivilen Verwaltung; mit dem magister officiorum und dem Prätorianerpräfekten an der Spitze blieben die bürokratische Hierarchie der ehemals kaiserlichen Verwaltung, die Steuerverwaltung und die anderen Behörden in vollem Umfang 126

Bezüglich seiner Festigung und Sicherung der Macht gegenüber den anderen barbarischen Mächten ging er mit diplomatischen Mitteln vor. Zur Sicherung seiner Vormachtstellung bediente er sich der Heirats- und Bündnispolitik.424 Die byzantinische Diplomatie allerdings mobilisierte immer wieder andere Mächte gegen Theoderichs ostgotische Hegemonie, wobei zu Lebzeiten Theoderichs blieb Italien größtenteils von Angriffen verschont. Jedoch wie in der Außenpolitik stieß Theoderich auch innenpolitisch steigend auf Widerstand. Besonders das Thema der Nachfolge, da Theoderich keinen Sohn hatte, sorgte für Unruhe. Der Sohn von Theoderichs Tochter Amalasuintha wurde Thronfolger, Athalerich war allerdings erst wenige Jahre alt. Als ein Senator in Sachen Nachfolgefrage Kontakt mit Byzanz aufnahm, betrachtete dies Theoderich als Hochverrat. Boethius der sonst ausgleichend agierte, wurde in die Sache verwickelt, und 524 hingerichtet, sowie auch ein Senatsvorsitzender. Als Byzanz mit Repressalien reagierte, sandte Theoderich eine hochrangige Gesandtschaft unter der Führung des Papstes Johannes I. die sich allerdings in Theoderichs Augen selbst kompromittierte, und bei deren Rückkehr wurde der Papst eingekerkert.425 „Unter politischen Druck geraten, reagierte Theoderich gegen Ende seines Lebens mit jener Rücksichtslosigkeit, die er bereits während seines Aufstiegs mehrfach bewiesen hatte.“426

Als Theoderich 526 starb, wurde sein zehnjäriger Enkel Athalarich sein Nachfolger, und die Regentschaft hatte seine Mutter Amalasuintha über. Sie betrieb eine versöhnliche Politik und versuchte die Spannungen mit dem Senat und Byzanz zu entschärfen. Im Jahr 534 allerdings

funktionstüchtig. Ebenso erhielt sich die traditionelle republikanische Ämterlaufbahn bis hin zum Konsul, dessen Ernennung kaiserliches Vorrecht blieb.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 136. 424 „Theoderichs Tochter Ostrogotho heiratete 496 den späteren Burgunderkönig Sigismund. Bei anderer Gelegenheit erhielt dieser eine vom Philosophen Boethius gebaute höchst kunstvolle Wasseruhr als Geschenk, gemeinsam mit einem einigermaßen arroganten Brief Cassiodors, der die Leistungen der Zivilisation pries, die nun in ein barbarisches Land gesandt werden sollen. Theoderichs Schwester Amalafrida, die wie Theoderich längere Zeit als Geisel in Konstantinopel verbracht hatte, wurde ungefähr 500 mit dem Vandalenkönig Thrasamund getraut, seine Nichte Amalaberga und 510 mit dem Thüringerkönig Herminafrid. Am weiblichen Verwandten bestand zum Glück kein Mangel. Theoderich selbst ehelichte493/94 Clodwigs Schwester Audofleda. Den Erulerkönig (vermutlich war es der aus anderen Quellen bekannte Rudolf) nahm er zum Waffensohn an. [..] Keine dieser Verbindungen verhinderte ernsthafte Spannungen, manche halfen aber dabei, sie zumindest einigemaßen unter Kontrolle zu halten, und andere scheiterten an politischen Wechselfällen, die nicht im ostgotischen Bereich lagen.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 145. 425 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 146. 426 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 146. 127 starb Athalarich und Amalasuintha nahm ihren Vetter Theodahad zum Mitregenten, dieser ließ sie jedoch 534 ermorden.427 „Damit schuf er trotz hektischer Diplomatie den Vorwand für ein Eingreifen der Byzantiner, die kurz zuvor das vandalische Nordafrika erobert hatten.428 Der ‚Kampf um Rom‘ begann, der bald ganz Italien zum Kriegsschauplatz machen sollte.“429

Die Flotte von Kaiser Justinian unter dem Kommando des oströmischen Feldherrn Belisar landete 535 auf Sizilien und hatte schnell Erfolge.430 Zuerst fiel Neapel, die rebellierenden Goten stürzten Theodahad und sie erhoben 536 Vitigis zum König. Er konnte Belisar bis 540 standhalten. Der Krieg weitete sich auf ganz Italien aus. Vitigis wurde von den byzantinischen Armeen in Ravenna eingeschlossen und kapitulierte 540 schließlich.431 Er war der Meinung, dass sich der kaiserliche General mit gotischer Unterstützung zum Kaiser des Westens ernennen lassen würde. „Die gotische Königsfamilie und der Königsschatz wurden nach Konstantinopel gebracht. Der Krieg hatte knapp fünf Jahre gedauert, doch nun schien die Gotenherrschaft gebrochen.“432 Belisar wurde abberufen und byzantinische Beamte kamen nach Italien, welche die Kriegskosten wieder rasch hereinbekommen wollten, indem sie die Steuerlast erhöhten. Diese Herrschaft der Griechen, die sich als Römer sahen wurde von vielen in Italien als Fremdherrschaft empfunden, und deren Arroganz und der Steuerdruck führten dazu, dass sich Widerstände bildeten und die Goten sich wieder zu formieren begannen. Die militärische Präsenz war durch den Perserkrieg geschwächt. Reste des Gotenheeres erhoben nun 541 Totila zum König der Goten433, sie konnten sich in einem langen Krieg behaupten, der allerdings das Land schwer verwüstet hatte, die spätantike

427 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 148, Dazu auch: WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2001, S. 84. 428 Vgl. dazu: WOLFRAM Herwig, Die Goten: Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, Entwurf einer historischen Ethnographie, München 2001, S.337-40. 429 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 148. 430 Vgl. dazu: WOLFRAM Herwig, Die Goten und ihre Geschichte, 2001, S. 95. 431 Vgl. dazu: MÜLLER Barbara, Führung im Denken und Handeln Gregors des Grossen, S.12, http://books.google.at/books?id=JGQxL3HtxDAC&pg=PA11&lpg=PA11&dq=der+Gotenkrieg+n+rom&source =bl&ots=lKzqQAiWb0&sig=j62NDbN6iHpGneLnuZSHwLJ4RO4&hl=de&sa=X&ei=x_XSUsbuNYK57AaUy 4C4CA&ved=0CFwQ6AEwCQ#v=onepage&q=der%20Gotenkrieg%20n%20rom&f=false, Zugriff am 27. 11.2013. 432 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 149. 433 Vgl. dazu: NEOMARIO T.H. (Theodor Niemeyer), Die Geschichte der Stadt Roms, Paderborn 2012, S. 626, http://books.google.at/books?id=JMp- QdNVqpoC&pg=PA643&lpg=PA643&dq=Gotenherrschaft+in+rom&source=bl&ots=EVjuVx21Gh&sig=2EKk 128

Kultur Italiens ging dem Ende zu, Ravenna blieb byzantinisch, und um Rom wurde weiter gekämpft. Kaiser Justinian änderte seine Strategie und sein nunmehr großes Landheer kam unter Narses 552 statt von der Seeseite über den Balkan nach Italien. „In der Schlacht bei den Busta Gallorum in Mittelitalien wurde im Frühsommer 552 das Gotenheer besiegt. Totila fiel. Im Oktober wurde auch sein Nachfolger Teja am Sarno in der Nähe des Mons Lactarius südlich von Neapel geschlagen. Das war das Ende des Ostgotenreiches.“434 Der Gotenkrieg, der fast zwanzig Jahre dauerte, von 535 bis 552, und auch die Kämpfe, die der Durchsetzung der byzantinischen Herrschaft in Italien dienten, hatten fürchterliche Folgen für das Land.435 Es waren vorerst die Kriegsereignisse selbst, die zu großer Zerstörung des Landes führten und viele Menschenleben forderten. Die byzantinische Armee war nicht weniger grausam als die Goten, zumal sie in Wirklichkeit ein zusammengewürfelter Haufen von Hunnen, Erulern, Sarazenen, Armeniern, Mauren, Isauriern, Anten, Slawen und natürlich Goten waren.436 Im Buch der Pastoralregel steht dazu: „[…] Die Soldaten waren ja nur zu einem verschwindendem Teil Römer und Griechen, sie stammten vielmehr aus den entferntesten Gegenden des byzantinischen Reiches; es waren Schwarze, Araber, Hunnen Perser, Gepiden, und diese alle hausten in Italien mit ungezügelten Instinkten und Leidenschaften. Darum verödete das flache Land; die Leute flohen ins Gebirge; aber Hunger und Pest zogen hinter ihnen her, so dass im Picenum allein fünfzigtausend Menschen des Hungers starben.“437 Durch die Verwüstung des Landes kam es zu Hungersnöten und zudem kam es auch noch zu Epidemien. Die große ‚justinianische Pestwelle‘ erreichte 542 Konstantinopel und von dort breitete sie sich nach Westeuropa aus.438

S3GYshsgqqDuSH- Lvbz3oyY&hl=de&sa=X&ei=TezSUsLLH4WI7AbvxIHYDQ&ved=0CFYQ6AEwCA#v=onepage&q=totila&f =false, Zugriff am 20.11.2013. 434 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 149. 435 Vgl. dazu auch: STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, S. 2. 436 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 150. 437 GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel, FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 7. 438 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 150. 129

„Die Ostgoten haben massiveren Widerstand geleistet als alle anderen völkerwanderungszeitlichen Königreiche, […] Doch das Ergebnis war das gleiche: Statt der Konsolidierung eines barbarischen Königreiches, das sich seiner römischen Umwelt bereits weitgehend angepasst hatte, kam es zu einer Neuverteilung der Macht. Im Fall der Ostgoten konnten sich die Byzantiner nur kurz ihres Sieges freuen; 568 zogen die Langobarden in Italien ein.“439

Die Erinnerung an die gotischen Kriege und deren Auswirkungen auf die Landschaft in Italien, blieb präsent, allerdings erscheinen die Langobarden in Gregors Dialogen als eine aktuellere Bedrohung440. In verschiedenen Kapiteln im dritten Buch der Dialoge stoßen wir auf Bemerkungen wo die Langobarden als große Bedrohung dargestellt sind. In Kapitel XXXVIII über den Bischof Redemptus von Ferentino etwa kündigt diesem der heilige Märtyrer Eutychius ‚das Ende allen Fleisches‘ an.441 Gregor erzählt: „Bald folgten auch jene furchtbaren Zeichen am Himmel, das man feurige Lanzen und Schlachtreihen von Norden her kommen sah. Und bald wurde das wilde Volk der Langobarden aus der Scheide seiner Wohnstatt gezogen und wütete gegen unseren Nacken; und das Menschengeschlecht, das in diesem Lande in überströmender Zahl wie eine dichte Saat dastand, wurde dahingemäht und verdorrte. Denn die Städte wurden entvölkert, die festen Plätze zerstört, Kirchen niedergebrannt, Männer- und Frauenklöster dem Erdboden gleich gemacht. […]“442

439 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 151. 440Vgl. dazu: „Ferner gab auch Cerbonius, Bischof von Populonia, […] einen großen Beweis für seine Heiligkeit. […] nahm er eines Tages durchziehende Soldaten bei sich auf und versteckte sie vor den Goten, die gleich nach ihnen ankamen; […] Als aber das Langobardenvolk nach Italien kam und alles verwüstete, […]“ Buch III/XI in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 441 Vgl. dazu: „[…] Ferentino […] ein Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel, […] Es war Mitternacht; er schlief nicht und konnte nicht, wie er sagte, völlig wach bleiben, sondern der wache Geist wurde, wie es gewöhnlich geschieht, vom Schlafe wie von einer ‚Art Gewicht beschwert – da stand vor ihm der heilige Märtyrer Eutychius und sprach: ‚Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt!‘ Nach diesem dreimaligen Rufe verschwand die Erscheinung des Märtyrers, die sich den Augen seiner Seele gezeigt hatte. Da stand der Mann Gottes auf und fing an zu beten und zu klagen.[…]“ Buch III/XXXVIII in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 442 Buch III/XXXVIII in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen 130

Die Langobarden, ein Wandervolk, waren aus dem germanischen Norden gekommen und über mehrere Stationen nach Italien gelangt. „Aus den schriftlichen Quellen sind die Langobarden nur in der frühen Kaiserzeit im Raum an der Unterelbe und dann wieder im 6. Jahrhundert an der mittleren Donau nachzuweisen. […] Archäologisch waren die Langobarden in den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Teil einer breiten Bevölkerung, die sich als elbgermanische Kultur beschreiben lässt. […] In der Spätantike werden die Langobarden so gut wie gar nicht erwähnt. Meist geht man davon aus, dass sie im 4. Jahrhundert an der mittleren Elbe, im 5. Jahrhundert vor allem in Böhmen siedelten.“443

Nach 487/88 siedelten sie im verlassenen Rugiland an dernorischen Donau. In dieser Zeit erwähnen sie auch die spätantiken Geschichtsschreiber. „Prokop (der Mitte des 6. Jahrhunderts schrieb) und Paulus Diaconus stimmen darin überein, dass die Langobarden zunächst den Erulern tributpflichtig waren und dennoch von ihnen angegriffen wurden, was (vermutlich 508) zu einer verheerenden Niederlage der Eruler und ihrer Vertreibung führte.“444 Durch diesen Krieg bemerkte Konstantinopel erstmals die Langobarden, eventuell weil der Erulerkönig der Waffensohn Theoderichs war. Zu diesem Zeitpunkt, also um 510 erlangten die Langobarden, unter König Wacho, die Vormachtstellung am nordpannonischen Abschnitt der Donau. König Wacho sicherte seine Herrschaft mit Heiratsbündnissen.445 Aufgrund des Gotenkrieges wurden die Langobarden als politischer Partner interessant, dies zeigt sich, als König Wacho ein gotisches Hilfsgesuch ablehnt, weil er bereits mit dem Kaiser verbündet sei. Als Wacho bald darauf starb, folgte ihm Audoin, der eine expansivere Politik betrieb. Durch ein Bündnis mit Kaiser Justinian sicherte er Teile des besetzen und von den ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933 , vgl. dazu auch: Buch III/XXVI, Buch III/XXVII, Buch III/XXIX, Buch III/XXXVII, Buch IV/XXII, Buch IV/XXII, Buch IV/XXIII 443 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 190. 444 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 191. 445 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 192, „Zuerst heiratete er Ranigunde, Tochter des Thüringer Königs Bisin, dann die Gepidenprinzessin Austrigusa; die beiden Töchter aus dieser Ehe, Wisigarda und Walderada, wurden mit den austrasischen Frankenkönigen Theudebert (+547) und Teudebald (+555) vermählt. Schließlich erhielt der bayrische Dux Garibald Walderada; die Langobardenkönigin Theodolinde stammt aus dieser Ehe. Nur in der ostgotischen Diplomatie spielten die Langobarden zunächst offenbar keine Rolle; das ist auffällig, denn die Ostgoten beherrschten seit 504 den Süden Pannoniens mit der alten Metropole Sirmium an der Save.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 192, Vgl. dazu auch: WOLFRAM Herwig, Grenzen und Räume, Geschichte Österreichs von seiner Entstehung, Österreichische Geschichte 378-907, Wien 1995, S. 60ff. 131

Goten aufgegebenen Südpannoniens. Justinian überließ ihm die pannonischen Festungen und die norische Polis. Die Langobarden waren nun gegenüber den Gepiden gestärkt, die Sirmium besetzten, und gegenüber den Franken, diese hatten von den Goten die Herrschaft über das alpine Binnennoricum übernommen. Zeitgleich bekamen die Langobarden eine strategische Schlüsselfunktion in einer Phase der Entscheidung im Gotenkrieg.446 Als Justinian Belisar, der in Italien erfolglos war, abrief, änderte er auch seine Strategie. Ein großes Heer sollte nun über Land nach Italien marschieren, wozu er die Hilfe der Langobarden benötigte. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass 548 ein Foedus mit den Langobarden geschlossen wurde.447 549 erhielten die Langobarden von Justinian ein Heer, das ihnen gegen die Gepiden helfen sollte. Mit den Hilfstruppen der Langobarden sollten diese dann nach Italien marschieren. Allerdings schloss Audoin mit dem Gepidenkönig Thurisind Frieden, dies brachte die Byzantiner in Bedrängnis. 552 zog Narses mit seinem Heer, in dem auch 5500 Langobarden waren nach Italien. Diese schickte er aber nach der Schlacht wieder nach Hause, da sie so schwer zu disziplinieren waren.448 560 folgte seinem Vater Audoin, er betrieb eine viel rücksichtslosere Strategie und die Ereignisse in Pannonien sind wieder im Zusammenhang mit der byzantinischen Politik zu sehen. Justinian, der sich bemühte, die Kernländer des alten Imperiums wieder zu kontrollieren, hat diese Expansion durch aktive Diplomatie den Barbaren gegenüber abgesichert, indem er sie durch Jahrgelder und Verträge an Byzanz zu binden versuchte, wobei er deren Rivalitäten zu Hilfe nahm.449 Nach Justinians Tod folgte ihm 565 Justin II., der eine ganz andere Strategie in der Barbarenpolitik verfolgte: „Militärische Stärke, nicht Verträge und Jahrgelder sollten die Donaugrenze schützen.“450 Die Gepiden kamen zuerst zum Handkuss. Da sie 565 Verluste im Krieg gegen die Langobarden entgegennehmen mussten, baten sie Byzanz um Hilfe, welche ihnen jedoch verweigert wurde. Zudem verbündete sich Alboin mit den Awaren. Dafür versprach er ihnen

446 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 193. 447 Vgl. dazu:POHL Walter, Die Langobarden in Pannonien und Justinians Gotenkrieg, In: Ethnische und kulturelle Verhältnisse an der mittleren Donau im 6.-11. Jahrhundert, ed. Darina Bialekova/ Jozef Zabojnik, Bratislava 1996, S. 27-36, vgl. dazu auch: JARNUT Jörg, Langobarden zwischen Pannonien und Italien, In: Slowenien und seine Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche, ed. Rajko Bratoz, Lubljana, 2000, S.75f. 448 Vgl. dazu. POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 194, vgl. dazu auch: JARNUT Jörg, Geschichte der Langobarden, Stuttgart, Berlin, Mainz 1982, S.193. 449 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 195, vgl. dazu auch: WOLFRAM Herwig, Grenzen und Räume, Geschichte Österreichs von seiner Entstehung, Österreichische Geschichte 378-907, Wien 1995, S. 69 450POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 195. 132 nicht nur das ganze Land der Gepiden, er musste ihnen auch noch ein Zehntel des langobardischen Viehs ausliefern. Die Gepiden allerdings versagten schon in der ersten Schlacht, sodass die Awaren gar nicht eingreifen mussten.451 „Alboin soll mit eigener Hand den Gepidenkönig getötet haben. In jedem Fall machte er Kunimunds Tochter Rosamunde zur Frau. Paulus Diaconus schrieb: „Das Geschlecht der Gepiden kam so herab, dass sie von da an keinen eigenen König hatten, sondern alle, die den König überlebten, sind entweder den Langobarden unterworfen, oder sie seufzen bis heute unter der harten Herrschaft der Awaren, die im Besitz ihres Landes sind.“452 Die Langobarden nutzten jedoch nicht ihre Vormachtstellung im Karpatenbecken, sondern sie zogen gleich im Jahr danach, 568, nach Italien, mit einem riesigen Heer von Gepiden, Sueben, Bulgaren, Sarmaten, Sachsen, sowie auch mit pannonischen und norischen Provinzialen. Das Land wurde an die Awaren abgetreten, und die langobardischen Siedlungen in Pannonien niedergebrannt.453 Alboin unternahm so viel, um das Reich der Gepiden zu vernichten, um dann dennoch gleich nach Italien zu ziehen, was war der Grund? Walter Pohl meint, dass es nicht um territoriale Ziele, wie etwa den Besitz von Sirmium gegangen sein kann, denn die Stadt wurde von den Byzantinern besetzt und später von den Awaren erobert, da ihnen ja die Langobarden das ganze Land zugesichert hatten. So wird meist angenommen, das Awarenbündnis wäre ein taktischer Fehler Alboins gewesen, er hätte nach dem Gepidensieg mit ungleich gefährlicheren Steppenreitern zu tun gehabt, wo nur mehr ein Ausweichen nach Italien möglich gewesen wäre. „Für diese Erklärung spricht wenig; die langobardische Überlieferung betont das gute Verhältnis zu den awarischen Nachbarn, das bis auf wenige Ausnahmen über zweihundert Jahre lang andauerte.“454 Die zeitgenössischen Erzählungen haben auch einen Ansatz dazu: „Alboin tötet den gepidischen Königssohn und nimmt als Waffensohn des Gepidenkönigs symbolisch seine

451 Vgl. Dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 195, vgl. dazu auch: WOLFRAM Herwig, Grenzen und Räume, Geschichte Österreichs von seiner Entstehung, Österreichische Geschichte 378-907, Wien 1995, S. 69 „Die Langobarden konnten die gepidischen Feinde deswegen so vernichtend schlagen, weil sie das ‚neue Volk‘ der Awaren zu Verbündeten gewannen. Alboins Sieg bestätigte seine Fähigkeit als Heerkönig und vergrößerte die langobardische Macht. Aber die awarische Nachbarschaft kostete die Langobarden ihre Wohnsitze.“ 452 PAULUS DIACONUS, Historia Langobardorum 1, 27, vgl. dazu auch: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 196. 453 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 196, vgl. dazu auch: „Neben pannonischen und norischen Provinzialen, unter ihnen wohl der eine oder andere hohe katholische Geistliche, neben Donausueben, Sarmaten, Bulgaren, Erulern und Gepiden schlossen sich den Langobarden auch beachtliche thüringisch-sächsische Kontingente an.“ WOLFRAM Herwig, Grenzen und Räume, Geschichte Österreichs von seiner Entstehung, Österreichische Geschichte 378-907, Wien 1995, S. 69 454 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Awaren: ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567-822 n. Chr., München 2002, 52ff 133

Stelle ein; später tötet er auch König Kunimund, erbeutet und heiratet dessen Tochter Rosamunde. Aus dem Schädel des Getöteten lässt er einen Trinkbecher anfertigen, eine verbreitete magische Praktik, um die Kraft des Getöteten auf sich zu übertragen. Viele der nun königslosen Gepiden folgten Alboin nach Italien, auch wenn viele andere unter awarischer Herrschaft bleiben.“455 Alboin ging es offenbar aber nicht um Landgewinn, sondern um die Loyalität der gepidischen Krieger. Zu diesem Zeitpunkt residierte der alte Narses als Statthalter in Ravenna, der jedoch auf innere wie äußere Widerstände stieß. Die Langobarden fanden die immer noch reiche Halbinsel verlockend, oder wurden sie vielleicht von Narses, wie die Zeitgenossen meinen, eingeladen? Vielleicht waren, wie Paulus Diaconus meint, die Römer mit der harten Herrschaft des Eunuchen unzufrieden gewesen, und auf ihre Beschwerden und auf Betreiben der Kaiserin Sophia habe Kaiser Justinian II. dann Narses durch den Präfekten Longinus ersetzt. Angeblich lud nun der beleidigte Narses durch Gesandte die Langobarden ein; „[…] zugleich sandte er ihnen eine Vielzahl verschiedener Früchte und eine Auswahl anderer Dinge, an denen Italien reich ist, um sie zum Kommen anzustacheln.“456 Walter Pohl meint bezüglich der Legende: „In der modernen Forschung hat die Legende mehr Gegner als Anhänger gefunden.“457 Eine weitere Meinung mancher Forscher ist jene, dass Byzanz die Langobarden als Foederaten nach Italien holte.458 In jedem Fall waren in Italien im Invasionsjahr die Bewohner unzufrieden mit der byzantinischen Herrschaft und Narses resignierte gewissermaßen nach den vielen Verteidigungskämpfen, obendrauf gab es ständige Intrigen zwischen Italien und

455 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 196, vgl. dazu auch: NEUMEISTER Marc, Die Langobarden in Italien: Herkunft, Landnahme und Herrschaft aus historischer und archäologischer Sicht, S.10. http://books.google.at/books?id=C5laXdsOQw8C&pg=PT10&dq=jarnut,+langobarden+zwischen+pannonien+u nd+italien&hl=de&sa=X&ei=d6sfUpyOIciU4ASniIGgDg&ved=0CFIQ6AEwBg#v=onepage&q=jarnut%2C%2 0langobarden%20zwischen%20pannonien%20und%20italien&f=false, zugrff am 20.8.2013. 456POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 197, vgl. dazu auch: Origo gentis Langobardorum 4; PAULUS DIACONUS Historia Langobardorum 2,5. 457 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 197, vgl zur Narses-Einladung u.a.: HARTMANN Ludo Moritz, Geschichte Italiens im Mittelalter 2, 1, 23f., SCHMIDT Ludwig, Die Lombarden In: Die Ostgermanen München 1933, S. 525-626, 588f., zitiert nach: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 197. 458 Vgl. dazu: CHRISTOU Konstantinos P., Byzanz und die Langobarden. Von der Ansiedlung in Pannonien bis zur endgültigen Anerkennung (500-680), Athen 1991, S. 108-11, dazu auch: CHRISTIE Neil, Invarsion or invitation, The Langobard Occupation of Northern Italy, 1991 134

Konstantinopel. Walter Pohl meint eine formelle Einladung oder ein Bündnis sei freilich unwahrscheinlich. 459 Die Langobarden jedenfalls stießen nicht unbedingt auf Widerstand, die meisten Städte öffneten ihnen die Tore.460 Zusammen mit anderen Völkern461 drangen sie ins Landesinnere vor, sie gründeten die Herzogtümer Spoleto und Benevent, konnten aber nicht die ganze Halbinsel erobern, Alboin konnte in den vier Jahren allerdings nur den Nordteil der Poebene kontrollieren, ungefähr die Hälfte des Landes blieb jedoch unter der Kontrolle des oströmischen Reiches. Es dauerte zudem jahrzehntelang, bis die byzantinischen Autoritäten das langobardische Königtum anerkannten. Diese Landeinnahme der Langobarden, wo Scheitern und Erfolg nahe beisammen lagen, gilt als der letzte große Völkerzug.462 Auf Alboin, dessen Leben tragisch endete, da er einer Verschwörung erlag, folgte Cleph, der sich jedoch nicht dursetzen konnte und auch ermordet wurde. Es folgten zehn Jahre, in denen kein König erhoben wurde. Die Langobarden büßten in diesen Intrigen weitgehend ihre Legitimität ein. Das Langobardenreich zerfiel in Dukate, und diese versuchten ihre Machtbasis, entweder mit den Byzantinern oder mit den Franken, oder teilweise auf eigene Faust zu erweitern.463

„Erst um 600 konsolidierte sich das regnum Langobardorum unter Agilulf und Theodolinde; es umfasste jedoch immer noch nur einen Teil Nord- und Mittelitaliens. Es war kein Zufall, dass Authari den römisch-gothischen Titel Flavius annahm. Die Integrationskraft des ‚gentilen‘ Diskurses, dem die Symbolik der Alboin-Erzählung entstammt, genügte, um ein polyethisches Heer zum Aufbruch nach Italien zu motivieren. Doch sie war nicht stark genug, um dieses Heer in Italien zusammenzuhalten und seine Einordnung in die neue Umwelt zu gewährleisten. Als sich das Langobardenreich in Italien stabilisiert hatte, stützte es sich

459 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 198. 460 „[…] die meisten Städte, einschließlich Mailand, öffneten die Tore, nur Pavia leistete Widerstand.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 198. 461 „Die Sachsen, die sich dem Zug angeschlossen hatten, kehrten heim, als Alboin ihnen keinen eigenen Herrschaftsbereich zugestehen wollte.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 199. 462 Vgl. dazu: POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 199. 463 „Auf dem Weg nach Italien gingen Werte und Verhaltensmuster der Stammesgesellschaft, wie sie noch Audoin und Thurisind verkörperten, rasch verloren. Sich auf die Rache eines Eunuchen an der Kaiserin einzulassen, sich gleichsam zum Faden zu machen, den letztlich andere sponnen, das stellte die gentile Männergesellschaft buchstäblich auf den Kopf. Drehten sich in Pannonien die Geschichten noch um Taten im offenen kampf, so spielten in Italien nur noch List und Heimtücke eine Rolle.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 201. 135 weiterhin auf die langobardische Identität seiner Träger und auf die sozialen Erinnerungen, die sich daran knüpften. Doch waren die Langobarden Teil einer nachrömischen Gesellschaft geworden, ohne die ihre Herrschaft nicht zu verstehen ist.“464

5.2 Das Leben Gregors des Großen

Gregor der Große465 ist eine besondere Persönlichkeit, er brach seine Karriere als hoher Beamter ab, um Mönch zu werden, darüber hinaus war er der erste Mönch, der angeblich gegen seinen Willen zum Papst gewählt wurde. Pierre Riché formuliert es so: „Gregor der Große (um 540-604) gehört unbestritten zu den herausragenden Gestalten der Kirchengeschichte. Dass ein hoher Beamter die Karriere abbrach und Mönch wurde, war nicht alltäglich; dass ein solcher Mönch, der die Beschauung und das Gebet über alles liebte, wider Willen zum Papst gewählt wurde, das hatte es noch nie gegeben.466 Gregor ging es immer um das richtige Maß, und darum, die Mitte zu finden. Er war hin und hergerissen zwischen Aktion und Kontemplation,467 es ging einerseits um Entschiedenheit und andererseits um Toleranz, er versuchte den Mittelweg zu finden zwischen der Forderung nach Loyalität und der Gewährung größtmöglicher Freiheit.468 Nach Pierre Riche war er ein „weitsichtiger Seelsorger mit einer guten Portion gesunden Menschenverstands und dem Mut zu nötigen Reformen. Im Herzen jedoch blieb er Mönch, einer, der ganz auf Gott ausgerichtet war, der im Wissen um seine offen zugestandene Schwachheit aus der Heiligen Schrift lebte und an ihr Maß nahm.“469

464 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 201, vgl dazu: POHL Walter, Gentilismus, In: RGA 2. Aufl. 11, 1998, S. 91-101, vgl. dazu auch: JARNUT Jörg, Geschichte der Langobarden, Stuttgart, Berlin, Mainz 1982, S. 39. 465 Zum Leben Gregors dem Großen vgl.: RICHARDS Jeffrey, Consul of God. The Life and Times of Gregory the Great, London 1980, BOESCH GAJANO Sophia, Gregorio Magno. Alle origini del Medioevo, Rom 2004, STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, MARKUS Robert A., Gregory the great and his world, Cambridge 1997, CAVADINI John C., GREGORY the GREAT. A Symposium, Notre Dame/London 1995. 466 RICHE Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.5f. 467Gregor versuchte vita activa und vita contemplativa zu einer Einheit zu verbinden. Vgl. dazu: MILCHNER Hans Jürgen, Nachfolge Jesu und Imitatio Christi: Die theologische Entfaltung derNachfolgethematik seit den Anfängen der Christenheit bis in die Zeit der devotio moderna – unter besonderer Berücksichtigung religionspödagogischer Ansätze, Hannover 2002, S. 273. 468 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.5f. 469 RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.6. 136

Gregor wird um 540 in Rom geboren470, er stammt aus einer wohlhabenden, begüterten Senatorenfamilie, wo schon zwei römische Bischöfe, Papst Felix III. (+492) und Papst Agapet (+536) hervorgegangen waren. Der Palast von Gregors Eltern, Gordianus und Silvia, stand auf dem Monte Celio in Rom.471

Zur Zeit von Gregors Geburt um 590 befand sich Rom in der Hand des oströmischen Reiches. Seit dem Ende des 5. Jahrhunderts hielten die Ostgoten Italien besetzt, und seit 535 hatten die Byzantiner mit der Rückeroberung begonnen, und nahmen auch Rom ein.472 546 wurde Rom wieder vom Gotenkönig Totila erobert,473 der mit der Zerstörung drohte. Belisar, der vom oströmischen Kaiser Justinian gesandt wurde, konnte die Stadt zurückgewinnen, doch 550 fiel sie erneut an die Goten. Totila fiel im Kampf gegen Narses und auch sein Nachfolger Teja starb kurz darauf, mit dem Ende des Ostgotenreiches kam auch Rom unter byzantinische Kontrolle.474 Diese zweimalige Einnahme der Stadt Rom und die Rückeroberungen durch die Byzantiner belasteten die Stadt sehr. Die Aquädukte waren größtenteils zerstört und damit war die Wasserzufuhr unterbrochen, die Bevölkerung litt Not und war gewissermaßen demoralisiert.

470 Vgl. dazu: MÜLLER Barbara, Führung im Denken und Handeln Gregors des Grossen, S.11, http://books.google.at/books?id=JGQxL3HtxDAC&pg=PA11&lpg=PA11&dq=der+Gotenkrieg+n+rom&source =bl&ots=lKzqQAiWb0&sig=j62NDbN6iHpGneLnuZSHwLJ4RO4&hl=de&sa=X&ei=x_XSUsbuNYK57AaUy 4C4CA&ved=0CFwQ6AEwCQ#v=onepage&q=der%20Gotenkrieg%20n%20rom&f=false, Zugriff am 27. 11.2013; vgl. dazu auch: RICHARDS Jeffrey, Consul of God. The Life and Times of Gregory the Great, London 1980, BOESCH GAJANO Sophia, Gregorio Magno. Alle origini del Medioevo, Rom 2004, STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, MARKUS Robert A., Gregory the great and his world, Cambridge 1997, CAVADINI John C., GREGORY the GREAT. A Symposium, Notre Dame/London 1995. 471 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.7 vgl dazu auch: „Die Werke Gregors sind weitaus besser bekannt als sein Leben, für das nur wenige Daten zur Verfügung stehen. Gregor - der Name kommt aus dem Griechischen und bedeutet ‚der Wachsame‘ – wurde um 540 in Rom geboren. Seine Familie gehörte zu den berühmten und begüterten römischen Patrizierfamilien, die ihren Palast auf dem Caelius hatten. Enge Verbindung zur Kirche ergab sich aus der Verwandtschaft mit Papst Felix III und Papst Agapitus. […] Ein weiteres wahrscheinliches Datum in Gregors Biographie ist das Jahr 572/573. In diesem Jahr wird er Stadtpräfekt, auch wenn anzunehmen ist, dass Gregor bei Erreichung der Volljährigkeit bereits für Verwaltungsaufgaben auf den Gütern der Familie eingesetzt war.“ GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 24f. 472 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.7. 473 Ggl. Dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.7. 474 „In der Schlacht bei den Busta Gallorum in Mittelitalien wurde im Frühsommer 552 das Gotenheer besiegt. Totila fiel. Im Oktober wurde auch sein Nachfolger Teja am Sarno in der Nähe des Mons Lactarius südlich von Neapel geschlagen. Das war das Ende des Ostgotenreiches.“ POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, zweite erweiterte Auflage, Stuttgart/Berlin/Köln, 2005, S. 149. 137

Obendrauf gelangte im Jahr 543 die Pest nach Rom, sie wurde mit Schiffen aus dem Osten eingeführt, und kehrte von da an regelmäßig wieder.475 Sie forderte zahlreiche Opfer476 und es herrschte eine sehr düstere Stimmung in Rom. Kaiser Justinian bemühte sich, den Wiederaufbau Italiens zu fördern, das Hauptaugenmerk lag auf der alten Hauptstadt Rom.477 „Auf Ersuchen von Papst Vigilius ordnete er im Jahre 554 an, dass öffentliche Gebäude ebenso wiederhergestellt werden sollten wie der Hafen und die Märkte Roms und seine Aquädukte.“478 Es ging nun um den Wiederaufbau der zerstörten Gebäude, obwohl bereits teilweise öffentliche Bauten von Privatpersonen genutzt wurden, um sie vor dem Verfall zu schützen. Maximilian Diesenberger schreibt: „Im Frühmittelalter gab es unterschiedliche Zugänge zu antiken Bauwerken. […] Im Italien des 6. Jahrhunderts verwendete Theoderich Spolien antiker Stätten, und die Nutzung von öffentlichen Gebäuden durch Privatpersonen wurde unter der Herrschaft der Goten gefördert, weil damit die sich schon im Stadium des Verfalls befindlichen Gebäude instand gehalten wurden.“479 Im Rahmen des Wiederaufbaus Italiens ging es auch um die Bildung480 der jungen Menschen Italiens. Kaiser Justinian forderte, der Senat solle die Grammatiklehrer und die Rhetoriklehrer, die Mediziner und Juristen bezahlen zur Schaffung einer gebildeten Schicht junger Leute, dies war auch für Gregor von großem Nutzen, denn er wurde in die Schulen unweit des Trajanforums geschickt.481 Bischof Gregor von Tours (gest. 594/95), der einen

475 „543 gelangte sie nach Rom, 559 nach Istrien und Ravenna, 570 nach Ostia und Genua, 590, 599 und 600 erneut nach Rom und Ravenna“MÜLLER Barbara, Führung im Denken und Handeln von Gregor dem Großen, S.17http://books.google.at/books?id=JGQxL3HtxDAC&pg=PA16&lpg=PA16&dq=pest+543+gotenkriege+rom &source=bl&ots=lKApSAh_b-&sig=O- ua5NjtWUTF4qRxUGHrh1Vt8vU&hl=de&sa=X&ei=71RfU_fLI6yp7AbSpoDgCw&ved=0CD0Q6AEwAw#v= onepage&q=pest%20543%20gotenkriege%20rom&f=false, Zugriff am 12.4.2012. Vgl. dazu: ROUCHE Michel, Grégoriele le Grand face a la situation economique de son temps, In: Fontaine et al., eds., Grégorie le Grand, S. 41-57 zitiert nach: Straw Carole, Gregory the Great, Perfection and Imperfection, London 1988, S.2. 476 Vgl. dazu: RICHARDS Jeffrey, Consul of God. The Life and Times of Gregory the Great, London 1980, S.10, MARKUS Robert A., Gregory the great and his world, Cambridge 1997, S.4. 477 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 8. 478 RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 8. 479DIESENBERGER Maximilian, Bausteine der Erinnerung: Schrift und Überrest in der Vita Sequani, In: Vom Nutzen des Schreibens, Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz im Mittelalter, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 5, Herausgegeben von Pohl Walter und Herold Paul, Wien 2002, S. 41f. 480 Gregor hatte eine klassische Bildung besonders in Rhetorik und Grammatik allerdings war ein Verlust der antiken Bildung bemerkbar, gregor wurde etwa nicht mehr zu den griechischen und römischen Klassikern hingeführt, nebst eben Grammatik und Rhetorik erhielt er eine auf die staatliche, praktische Verwaltung ausgerichtete juristische Ausbildung, in der Funktion des praefectus urbi 572/73 eignete er sich Kenntnisse in Verwaltungsangelegenheiten sowie in der Organisation des öffentlichen Lebens an.Vgl. dazu: MRKUS Robert A. Gregory the great and his world, Cambridge 1997, S. 135f, CASPAR Erich, Gregor der Große, 1923, S. 346ff. 481 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, Übersetzt aus dem Französischen: Stefan Liesenfeld, München-Zürich-Wien, 1996, S.8. 138 seiner Diakone nach Rom entsandt hatte, schreibt in seiner Historia über Gregor, er sei der Grammatik, der Dialektik und der Rhetorik derartig kundig gewesen, dass man meinte, niemand in der Stadt Rom habe ihn darin übertroffen.482 Nach Pierre Riché schreibt Gregor auch ein ausgezeichnetes Latein, er lässt ab und zu Gedanken einiger Klassiker einfließen. Gregor kennt die Regeln der Redekunst, und er weiß diese auch anzuwenden.483

In der Spätantike führte eine klassische Ausbildung484 in der Regel zur Übernahme der Verantwortung im öffentlichen Leben, und so begann Gregor485 seine Laufbahn etwa in der kaiserlichen Verwaltung, im Jahr 573 ist er praefectus urbi.486 Zu seinen Aufgaben zählten etwa die Lebensmittelversorgung, die öffentliche Ordnung, die Instandhaltung der Aquädukte, der Mühlen und auch der öffentlichen Bauten.487 Gregor hatte sich etwa um die Nutzung der großen Ländereien seiner Eltern auf der italienischen Halbinsel und auf Sizilien kümmern müssen, und diese Erfahrung kam ihm nun in der Verwaltung der römischen Kirchengüter zugute. Für Gregor war es augenscheinlich ein Privileg, römischer Bürger zu sein, dies zeigt sich in einem Brief an den oströmischen Kaiser Phocas, wo er schreibt: „Jeder möge seine Freiheit wiedererlangen unter dem Joch eurer milden Herrschaft; denn die Könige der Völker (rex gentium) und die Kaiser der Republik unterscheiden sich dadurch, dass erstere über Sklaven gebieten, während letztere Herrscher über freie Menschen sind“488

482 GREGOR von TOURS, Historia Francorum, Buch 10/1, MGH. SRM/1/1, 478. 483 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 9f. 484 „Gregors Ausbildung war zwar nicht mehr in dem Ausmaße klassisch-römisch, dass er zweisprachig, alsogriechisch-lateinisch unterrichtet worden wäre.Dennoch basierte die Ausbildung in Rom in der Mitte des 6. Jahrhunderts auf der traditionellen dreistufigen Einteilung und die beiden Grundstufen inhaltlich auf klassisch- römischen Autoren wie insbesondere Vergil, Terenz, Sallust und Cicero. Die höhere, fünf oder mehr Jahre dauernde Ausbildung begann normalerweise im 15. Lebensjahr und war auf Rhetorik und zunehmend Recht konzentriert.“ MÜLLER Barbara, Führung im Denken und Handeln von Gregor dem Großen, S.21f, http://books.google.at/books?id=JGQxL3HtxDAC&pg=PA16&lpg=PA16&dq=pest+543+gotenkriege+rom&so urce=bl&ots=lKApSAh_b-&sig=O- ua5NjtWUTF4qRxUGHrh1Vt8vU&hl=de&sa=X&ei=71RfU_fLI6yp7AbSpoDgCw&ved=0CD0Q6AEwAw#v= onepage&q=pest%20543%20gotenkriege%20rom&f=false, Zugriff am 12.4.2012. 485 Carole Straw meint: „Gregory’s education was probably tehe best available in the sixth-century Rone.” STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, S. 5. 486 praefectus urbi - oberster Beamter der Zivilregierung Roms. 487 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 10. 488 GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten, 1874, Buch XIV, Brief V, vgl. dazu auch: RICHE Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 12. 139

Rom war ihm offenbar immer ein Anliegen. Als Rom von den Langobarden belagert wurde, schreibt Gregor über den verlorenen Ruhm der Stadt: „Rom, das einst als Herrin der Welt erschien, in welchem Zustand befindet es sich nun […] Wo ist der Senat, wo das Volk […], all jene, die sich einst im Ruhm gefielen? Wo ist ihr Gefolge, wo ihr Stolz? Früher strömten Kinder und Jugendliche, junge Leute aus aller Welt, Söhne von Familien nach Rom, um Karriere zu machen, nun aber kommt niemand mehr zu uns […] Auf Rom kommt zu, was der Prophet vorhergesehen hat: Du wirst ganz kahl, wie der Adler. Des Menschen Kahlsein beschränkt sich auf das Haupt, der Adler hingegen wird gänzlich kahl; wenn er alt wird, verliert er alle Federn an seinem Leibe“489 Gregor kann die erfolgs- und ruhmsüchtigen Menschen nicht verstehen. Er erfüllt zwar seine vielfältigen Aufgaben pflichtbewusst, doch mehr und mehr fühlte er sich unwohl in einer vom Geld beherrschten Welt. Gregor geriet mit 35 Jahren in eine innere Krise, in einem Brief an Leander von Sevilla schreibt er: „Lange zögerte ich die Gnade der Bekehrung hinaus, und selbst als ich die Sehnsucht nach dem Himmel verspürt hatte, meinte ich, ich sollte lieber das weltliche Gewand behalten. Schon damals war mir klar, was ich bei der ewigen Liebe suchen müsse, doch die Ketten tief verwurzelter Gewohnheiten hinderten mich, meine Lebensweise zu ändern.490Während ich mich zwang, der Welt noch nach dem äußeren Schein zu dienen, gewannen die Verhältnisse mitten unter den weltlichen Sorgen allmählich eine solche Macht, dass ich nicht mehr bloß äußerlich, sondern – was schwerer wiegt – auch der Seele nach in der Welt zurückgehalten wurde. All dem entging ich endlich: Ich erreichte den Hafen des Klosters und ließ – alles zurück, was der Welt gehört. Nackt entging ich dem Schiffbruch dieses Lebens.“491 Die Verantwortung des weltlichen Amtes drückt augenscheinlich schwer auf das Gemüt Gregors, und er bleibt nicht lange in diesem Amt, denner zieht ein Leben in der Zurückgezogenheit dem in der weltlichen Tätigkeit vor.

489 BÜRKE G., Homilien zu Ezechiel, Einsiedeln, 1983, II, 6,22, vgl. dazu auch: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 12. 490 Vgl. dazu: Mentale Modelle im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit, Mentale Modelle sind gleichermaßen tief verwurzelte Gewissheiten, Gewohnheiten, die uns die Welt selektiv und verrückt wahrnehmen lassen, und die uns gleichsam wie ein zu enges Korsett übergeschnallt sind. 491 RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 14f vgl. dazu auch: GRESCHAT Katharina, Die Moralia in Job Gregors des Großen, http://books.google.at/books?id=aFV_wOPMCKkC&pg=PA6&lpg=PA6&dq=j.+richards++gregor+der+gro%C 3%9Fe&source=bl&ots=c7U21pKPcm&sig=A- 55gWU5aH7ChiLPMqUFAkYCj5Q&hl=de&sa=X&ei=MqliU5GLEtDQ7AaUkYGYAw&ved=0CDYQ6AEw AjgK#v=onepage&q=kontemplation%20%20gregor%20der%20gro%C3%9Fe&f=false. 140

Gregor hätte die Möglichkeit gehabt, sich auf eine der familiären Besitzungen auf Sizilien zurückzuziehen, doch als Römer zog er es vor, in der Stadt zu bleiben und das elterliche Haus als Kloster zu nutzen.492 Gregor von Tours schreibt: „Er selbst‚ der der sonst in Seide ging und im weißen Prachtkleid, schimmernd von Edelsteinen, durch die Stadt einherzuschreiten pflegte, trug von nun an gewöhnliche Kleidung, […]“493 Gregor der gewohnt war, sich mit seidenem, kostbarem Gewand zu bekleiden, trug nun ärmliche Kleidung, und seine Nahrung war sehr dürftig.Sein Lebensinhalt bestand zu der Zeit aus dem Gebet und in der Befolgung des Fastens, dis tat er jedoch so gewissenhaft, dass er sich ein schweres Magenleiden zugezogen hatte. Gregor selbst erzählt in den Dialogen,494 dass er häufigSchwächeanfälle hatte; und zeitweise das Fasten nicht fortführen konnte. Es dürfte etwa um 574/575 im Andreaskloster auf dem Clivus Scauri zu Gregors Conversio zum Mönchtum gekommen sein, wo er den Familienpalast in ein Kloster umgewandelt hat. Als einfacher Mönch lebte er wohl die glücklichsten Jahre seines Lebens.495 Allerdings blieben ihm nur wenige Jahre für das Leben in der Ruhe des Klosters, denn schon 578/579 sandte ihn Papst Pelagius II nach Konstantinopel, wo er als Apokrisiar dem oströmischen Kaiser Tiberius Konstantinus und seinem Nachfolger Mauritius die bedrohliche Lage Roms vor Augen stellen sollte einerseits und um Hilfe bitten sollte andererseits. „[…] Die Verbindung zum Andreaskloster, das er mit schwerem Herzen aufgegeben hat, wurde gewahrt durch einige Mönche, die er mitgenommen hatte, und die mit ihm im Placidia-

492 Vgl. dazu: RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 17f. 493 Buch X/ Kapitel 1, Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, Ed. BUCHNER Rudolf, 2 Bände, Darmstadt 1977 und 1974, S. 323. 494 „[…]Als ich nämlich einmal, während ich noch im Kloster war, schneidende Schmerzen in den Eingeweiden hatte und wegen heftiger Beklemmungen - die Ärzte nennen diese Erscheinung mit einem griechischen Wort Synkope1 - von Stunde zu Stunde dem Ende näher zu kommen schien, da wäre ich wohl gestorben, wenn die Brüder mich nicht oft und oft mit Speise gestärkt hatten. So nahte das Osterfest; und da ich am hochheiligen Karsamstag, an dem alle, sogar die kleinen Kinder fasten, das Fasten nicht halten konnte, nahm meine Schwäche noch zu, mehr aus Traurigkeit als aus Krankheit. Aber mein trauriges Gemüt fand alsbald einen Rat, nämlich jenen Mann Gottes heimlich mit mir in die Kirche zu nehmen und ihn zu bitten, er möge mir vom allmächtigen Gott durch sein Gebet die Kraft erwirken, an diesem Tage fasten zu können. Und so geschah es. Sobald wir in die Kirche kamen, begab er sich, demütig von mir angegangen, unter Tränen ins Gebet und ging, nachdem er eine kleine Weile gebetet hatte, wieder hinaus. Auf sein Gebet hin empfing mein Magen eine solche Kraft, daß mir Speise und Krankheit ganz aus dem Sinn kamen. Ich fing an, mich darüber zu verwundern, wie mein Zustand jetzt war und wie er früher gewesen; denn wenn mir meine Krankheit auch einfiel, verspürte ich keine der Erscheinungen mehr, an die ich mich erinnerte. Und da mein Geist sich mit Angelegenheiten der Klosterleitung befaßte, vergaß ich meine Krankheit gänzlich. Wenn mir aber, wie gesagt, die Krankheit einfiel und ich mich so kräftig fühlte, mußte ich mich darüber wundern, daß das sein konnte, ohne daß ich etwas zu mir genommen hatte. Am Abend fühlte ich eine solche Kraft in mir, daß ich das Fasten noch bis zum andern Tag hätte fortsetzen können, wenn ich gewollt hätte. Auf diese Art und Weise habe ich an mir erprobt, daß auch jene Begebenheiten wahr sein müssen, bei denen ich selbst nicht dabei war.“ BuchIII Kap. 33, GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.90. 495 Vgl. dazu: STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988,S.5. 141

Palast in Konstantinopel ein gemeinsames klösterliches Leben führten. Zu den Freunden, die ihn in dieser Zeit in seinem monastischen Anliegen und in seinem theologischen Bemühen unterstützten, gehörte Leander, der spätere Bischof von Sevilla, dem auch die Moralia gewidmet sind.“496

568 als Gregor zurück in Rom war, zog er wieder ins Andreaskloster. Papst Pelagius setzte ihn wohl für vielfältige Aufgaben ein etwa im sozialen, im verwaltungstechnischen und im caritativen Bereich, ließ ihn jedoch im Kloster wohnen.497 Papst Pelagius starb am 8.Februar 590 an der Pest, und Gregor wurde, obwohl er der jüngste Diakon498 der stadtrömischen Kirche war, zum Nachfolger gewählt.499 Nachdem der Kaiser die Wahl bestätigt hatte, die ihm von Gregors Bruder Palatinus, dem praefectus urbis, angezeigt worden war, wurde Gregor am 3. September 590 zum Bischof von Rom geweiht und Papst von Rom500.Gregors Aufgaben sind vielfältig, und sie nehmen immer größere Ausmaße an. Gregor empfand die Weihe zum Bischof als eine schwere Bürde, oft spricht er von dem Leben als Mönch, das er verloren hat und von den zu erwartenden Aufgaben, die auf ihn warten. In einem Brief schreibt er an seinen Freund Leander, dem Bischof von Sevilla im Stile Vergils, er berichtet über die Stürme, denen er sich ausgesetzt sieht: „So sehr werde ich in meiner gegenwärtigen Stellung von den Fluten dieser Welt hin und her gestoßen, daß ich mich außer Stande sehe, das alte und morsche Schiff, dessen Leitung ich nach Gottes verborgenen Rathschlüssen übernommen habe, zum Hafen zu führen. Jetzt stürzen die Wogen gerade auf mich zu, jetzt bäumen sich mir zur Seite die schäumenden Meereswellen, jetzt bedroht mich ein Gewitter im Rücken. Bei all‘ dem muß ich verwirrten Sinnes bald das Steuerruder gerade gegen den Sturm lenken, bald den drohenden Fluthen mit seitwärts gesenktem Schiffe durch eine schiefe Wendung auszuweichen suchen. Ich seufze, weil ich bemerke, daß durch meine Nachlässigkeit das Bodenwasser der Laste zunimmt und bei der Heftigkeit des Sturmes schon die Bretter schiffbrüchig ächzen. Weinend gedenke ich des

496GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 25. 497 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 26. 498 Zur Papstwahl vgl.: RICHARDS Jeffrey, Consul of God. The Life and Times of Gregory the Great, London 1980, S. 235-258 499 Vgl. dazu: STRAW Carole, Gregory the Great, Perfection in Imperfection, London 1988, S.5. 500 GREGOR von TOURS, Historia Francorum, 10,1, MGH,SRM I/1, S. 477. 142 freundlichen Gestades meiner Ruhe, das mir entschwunden, und sehe seufzend das Land, das ich bei dem Gegenwind der Verhältnisse nicht zu erreichen im Stande bin.“501 Gregor war nun kurz nach seiner Amtseinführung im Lateranpalast mit verschiedenen Streitigkeiten502 und Aufgaben beschäftigt beziehungsweise musste er viele Fragen lösen. Es waren einerseits durch die Tiberüberschwemmung die tiefer gelegenen Stadtviertel verwüstet, andererseits hatte die Pest die Bevölkerung enorm dezimiert. „[…] Dazu kam die Bedrohung der Stadt durch die Langobarden, die sich in der Region Spoleto festgesetzt hatten, und zur gleichen Zeit gab es in der oströmischen Garnison einen Aufruhr. Gregor klagt: ‚Unablässig werden wir von außen bedrängt durch die Schwerter der Feinde, und im Innern – dies ist eine nicht minder große Gefahr – durch den Aufruhr der Soldaten‘ (Briefe I,3). “503

5.3 Die Bücher der Dialoge Gregors des Großen

Die Dialoge von Gregor dem Großen, ‚Dialogorum Libri quattuor de miraculis Patrum Italicorum‘, enthalten vier Bücher über die Wundertaten von Heiligen aus Italien.504 Papst Gregor, ein großer Theologe und Kirchenlehrer, schrieb die Dialoge zwischen 593 und 594505, in denen er die mündlichen Berichte von den Wundern der Heiligen seines Landes niederschrieb, um dem Leser die Macht und die Gnade Gottes darzustellen. Gregors Anliegen war es einerseits die Nähe zu Gott darzustellen, diese war ja seinen wundertätigen Protagonisten schon im Diesseits eigen. Er wollte etwa dadurch sowohl seinen Lesern als auch sich selbst die Verachtung der diesseitigen Welt und das Streben zum ewigen Leben bei Gott erörtern und näherbringen. 506

501 Buch I, Brief 22, GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten, 1874, S.35. 502 Gregor schreibt an An Anastasius, Bischof von Antiochia. „[…] Denn wie von vielen Wellen werde ich von Streitigkeiten hin und her gezogen und vom betäubenden Sturm des Lebens bedrängt, so daß ich mit Recht sagen kann: „Ich bin in die Tiefe des Meeres gekommen, und der Sturm hat mich versenkt […].“Brief 7, Buch 1, GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten, 1874. 503 RICHÉ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 30ff. 504 Zur Interpretation der Dialoge siehe: DEGL’INNOCENTI Antonella, Dialogorum libri IV, In: Scittura e storia. Per una lettura delle opere di Gregorio Magno. Ed. Lucia Castaldi, Florenz 2005, S251-7. 505 „Das Werk muss Ende 593 oder anfangs 594 fertig geworden sein. Denn aus den Dialogen selbst, I, Kap. 7, III, Kap. 32, geht hervor, dass Bischif Maximan von Syrakus zur Zeit der Abfassung noch an Leben war. […]“ GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.6. 506 Vgl. dazu: BICHER EGBERT, Mönchtum in den Dialogen Gregors des Großen, Hamburg, 2002, S. 96. 143

Gregor wollte seine Leser aber auch zum einen im Glauben und zum Anderen im glaubenskonformen Leben bestärken. Es gab im Mittelalter drei verschiedene Funktionen der Dialogform, die Bestärkung, die Unterhaltung und die Autorisierung der Aussagen. Auch Konrad von Hirsau507 sah die im 12. Jahrhundert so, wie Huygens ausführt: „Die erste Kategorie (causa confirmationis) bezieht sich ausdrücklich auf die Dialogi des Gregorius Magnus. Mit confirmatio ist wohl nicht Bekräftigung oder Bestätigung der Aussagen im Sinne von Verleihung einer größeren Autorität gemeint - Gregorius ist sowohl Autor als auch Figur der Dialogi, er hätte seine Ausführungen dieselbe Autorität in einem Traktat verleihen können -, sondern eher die Bestärkung im Glauben und im glaubensfonformen Leben, die Gregorius seinem Gesprächspartner Petrus durch das Vorbild der Heiligen vermittelt.“508

Die Dialoge Gregors zählen zu den meist gelesenen Werken des Mittelalters, sie wurden häufig zitiert und zwei Mal versifiziert. Sie hatten auch große Vorbildwirkung.509 Sie waren weit verbreitet und es herrschte eine gute Kenntnis der Dialoge, dafür sorgten Übersetzungen, wie etwa die Übersetzung ins Griechische durch Papst Zacharias (741-752), durch König Alfred d. Gr. (871-899) erfolgte die Übersetzung der Dialoge zusammen mit der Pastoralregel um 890 durch Bischof Wearfeth von Worcester ins Angelsächsische und der Melker Benediktiner Johannes von Speyer fertigte im 15. Jahrhundert eine Übersetzung ins Deutsche an.510

Es gibt frühe literarische Hinweise auf Gregors Dialoge. Ein Zeugnis über das Vorhaben der Dialoge stammt von ihm selbst, es ist eine Anfrage in einem Brief an Bischof Maximian von Syrakus vom Juli 593: „Meine Mitbrüder, die bei mir im Hause wohnen, treiben mich auf jegliche Art an, in Kürze Einiges über die Wunder zu schreiben, die uns von Klosteräbten in Italien zu Ohren gekommen sind. Dazu bedarf ich aber gar sehr der Beihilfe Eurer Liebe, daß Ihr mir nämlich kurz mittheilet, was Ihr hierüber im Gedächtnisse behalten oder sonst erfahren habt. Ich erinnere mich, daß Du Etwas von dem ehrwürdigen Abt Nonnosus, der sich

507 HUYGENS Robert B.C., , Konrad von Hirsau, Dialogus super auctores, Leiden 1970, S. 972-976. „[…] Omnis autem dialogus fit tribus modis vel causis: fit enim vel causa maioris confirmmationis, sicut in dialogo Gregorii et Petri, vel causa recreationis et delecationis, sicut invenitur in poetis, vel causa actoritatis ut fides habeatur sermoni, quem auctentica persona facit.“ HUYGENS Robert B.C., , Konrad von Hirsau, Dialogus super auctores, Leiden 1970, Vgl. dazu auch: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden, 2007, S. 35f. 508 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden, 2007, S. 36f. 509 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden, 2007, S. 48. 510 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 16. 144 bei dem Abt Anastasias in Pentomä befand, erzählt hast, worauf ich aber vergessen habe. Dies und was Du sonst noch weißt, bitte ich, Deinem Briefe beizulegen und es mir recht bald zu schicken, wenn Du nicht lieber selbst zu mir kommst.“511 Die Bitte der Mitbrüder, sozusagen die Anregung von außen, über die Wundertaten zu schreiben, also die Dialoge abzufassen, dürfte in den ersten Jahren seiner Regierung lebhaften Widerhall gefunden haben, trotz der Seelenverfassung des Papstes. „Denn er trug schwer an der Last des Hirtenamtes und sehnte sich oft nach der einsamen, ruhigen Beschaulichkeit seines Klosters zurück. Da war es ihm ein Labsal, sich mit den heiligen Männern, besonders mit den heiligen Männern Italiens, ‚seines Italiens‘, das er in den Wirren der Zeit darniederliegen sah, zu unterhalten. Das Leben dieser Männer und die Wunder, die sie wirkten, waren ihm ein Trost, ein Grund, daß trotz aller Drangsal rings umher immer noch auf den Beistand des Allmächtigen zu hoffen sei.”512

Auf den ersten Blick bieten die vier Bücher der Dialoge die formale Zusammengehörigkeit von je zwei Büchern, wobei das erste und dritte Buch durch aneinandergereihte Erzählungen über verschiedene Heilige einander zugeordnet sind, das zweite und vierte Buch durch die Gestaltung je eines Themas.513

In Buch 1 und 3 werden Geschichten von verschiedenen heiligen Männern erzählt, das vierte Buch beschäftigt sich mit dem Fortleben der Seele nach dem Tode sowie mit Visionen etwa über den bevorstehenden Tod oder das Ableben verschiedener Personen, und das zweite Buch ist rein dem hl. Benediktus gewidmet.514

511 An den Bischof Maximian von Syrakus. Brief XIV. Gesammtausgabe 51, GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri Benedicta Arndt, Text aus: Des heiligen Kirchenlehrers Gregorius des Großen ausgewählte Briefe. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten 1874., Vorwort, 1. Einleitung zu den Briefen des Gregor (Theodor Kranzfelder) S. 77. Vgl. dazu auch: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 17. 512 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. S.6. 513 Vgl. dazu: Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 29. 514 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.8. 145

In den Büchern 1 und 3 werden also verschiedene italienische Heiligengestalten vorgestellt515 und das zweite Buch wird nur einer einzigen Gestalt, nämlich dem heiligen Benedikt von Nursia, dem Abt von Montecassino gewidmet, wobei die Vita in zwei große Abschnitte geteilt ist, welche die Lebenszeit Benedikts charakterisieren, nämlich die Zeit in Subiaco einerseits und das Leben auf dem Montecassino andererseits. „Das große Anliegen der altkirchlichen Hagiographie besteht darin, ein Ideal weiterzugeben, in dem sie das Leben eines konkreten Menschen als idealtypische Verwirklichung der Nachfolge darstellt. Nach der Märtyrerzeit mit den Acta und Passiones übernimmt diese Aufgabe vor allem das monastische Schrifttum mit den Viten östlicher und westlicher Mönche. In diese Tradition ist Gregor mit seinen Dialogen ganz eingebunden, und er gestaltet auf ihrem Hintergrund besonders das zweite Buch mit dem Leben Benedikts. “516 Gregor geht es im zweiten Buch größtenteils darum, das monastische Ideal darzustellen, es geht ihm um das Bild, die Ikone des vollkommenen Abtes, dem Jünger des Herrn. Die Heiligkeit dessen wird in einer Beispielsammlung (exempla), ähnlich einer Biographie zum Ausdruck gebracht. Für die Beispiele etwa, besonders der Wunder, bietet sich eine breite Quellenlage in der altkirchlichen monastisch-hagiographischen Literatur, dennoch ist das Bild Benedikts bezüglich der Persönlichkeit von Gregor geformt.517 Bezüglich der Wunderberichte so schreibt Funk, wäre Gregor nicht ohne prüfenden Sinn vorgegangen, und er selbst glaubte an die charismatischen Gaben und Wunder, und Funk zitiert dazu Gregor:518 „Das ist Himmelszier, das sind die Gaben des Heiligen Geistes, die sich in mannigfachen Wunderkräften kundtun, wie sie in unerforschlicher Weise verteilt sind, wie sie Paulus aufzählt: dem einen wird durch den Geist die Rede der Weisheit gegeben, dem anderen die Rede der Wissenschaft nach demselben Geiste, einem anderen Glaube in

515 Vgl. dazu: FRIED Johannes, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2012, S. 349. „[…] So trugen die Dialoge Geschichten vom Hörensagen zusammen, […] Geschichten von genau fünfzig Heiligen, aus abgelebten Zeiten und eigener Gegenwart, aus ganz Italien, die der Papst ganz ohne kritische Nachfragen übernahm. Geordnet wurden sie gleich einem Triptychon mit dem vierten Buch über das Leben der Seele nach dem Tod als Prädella, mit der Vita des ‚Gesegneten‘ (dem zweiten Buch) als idealem Zentralbild um das sich als die beiden Flügelbilder die reichen Nebenszenen des ersten und dritten Buches Fügten; mit 150 Kapiteln insgesamt – so viele, wie die Zahl der Psalmen, des herausragenden Gebetstextes aller frommem Christen und zumal der Mönche. […].“ 516 Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 29. 517 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 30, vgl. dazu auch: FRIED Johannes, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2012 S. 350ff. 518 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.8. 146 demselben Geiste, einem anderen die Gnade zu Heilungen in demselben Geiste, einem anderen Wirken von Wunderkräften, einem anderen Weissagung, einem anderen Unterscheidung der Geister, einem anderen Sprachengaben, einem anderen Auslegung von Regen. (Kor 12, 8-10)“519

Für Gregor gibt es zwei große Vorbilder oder Modellviten, die Vita Antonii des Athanasius, etwa für das östliche Mönchtum und die Vita Martini des Sulpicius Severus, für das westliche Mönchtum.520 Darauf werde ich noch weiter unten genauer eingehen.

In den Dialogen Gregors steht die Bildhaftigkeit und die Sprache der Beispiele im Vordergrund, dem Leser wird etwa eine von zahlreichen viri Dei bevölkerte italienische Landschaft offenbart.521 Sowohl Gregor als auch Ambrosius sehen nicht nur die didaktische Funktion der exemplarischen Rede, sondern thematisieren auch die Historizität und Autorität, während bei Ambrosius die Beispiele als Ergänzung oder Ersatz zur ermahnenden Rede respektive zur Vorschrift eingestuft werden, so treten sie bei Gregor als Hilfsmittel auf, um die Gesetze Gottes zu verstehen und zu befolgen.522 Laut Markus Schürer meint Ambrosius bezüglich der theoretischen Überlegungen zur exemplarischen Rede folgendes: „Das Beispiel erscheint dort als Medium der Belehrung, durch das die Insuffizienz des Menschen gegenüber den praecepta, den Normen göttlicher Ordnung, didaktisch ausgeglichen wird: Weil die Menschen, so führt Ambrosius aus, zu schwach für Ermahnungen, infirmi ad monendum seien, sei es besser man lehre sie durch Exempla, als durch Vorschriften. Man könne nämlich aus dem Beispiel mehr Nutzen ziehen, amplius proficiatur exemplo, weil das als nicht schwierig betrachtet werde, was schon einmal

519 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.8. 520 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 30 „Auch die westliche hagiographische Literatur hat deutlich auf Gregor eingewirkt. Bemerkenswert ist der Einfluss der Collationes und Institutiones des Johannes Cassian (+430/35) wie auch der Mönchsbiographien des Hieronymus (+419/20): die Vita Pauli, die Vita Hilarionis und die Vita Malchi. Auch die ganz anders geartete Severins-Vita des Eugippius (+482) und die Lebensbilder der Jura-Äbte eines anonymen Mönchs um 520 haben ihre Spuren hinterlassen, ebenso die Biographien der großen Mönchsbischöfe wie die Vita des Honoratus von Lèrins, die Vita des Fulgentius von Ruspe und die Vita des Caesarius von Arles.“ 521 Vgl. dazu: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387. 522 Vgl. dazu: SCHÜRER Markus, Das Exemplum oder die erzählte Institution: Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005, S. 76. 147 getan worden sei, und das als nützlich, was sich bewährt habe; und schließlich sei heilig, was als Tugend der Väter auf die Nachkommen übergegangen sei, et religiosum quod haereditario quodam paternae virtutis usu in nos est successione transfusum.523 Und über Gregors Idee zu den Exempla schreibt Schürer: „Der christliche Mensch, so Gregor sinngemäß, ist aufgrund seiner Unzulänglichkeit (hier erscheint sie als impudentia – Schamlosigkeit), nicht imstande, die Weisungen (praecepta) und das Gesetz (lex) Gottes zu halten. Um dies auszugleichen, sind ihm Exempla gegeben. […] Durch die exempla fidelium, so Gregor, werden die Gemüter der Hörenden eher zur Umkehr bewegt, als durch belehrende Worte (docentium verba).“524 Theologisch betrachtet, so Schürer, lege das Exemplum nach den Ausführungen von Gregor und Ambrosius, verschlüsselte Heilswahrheiten offen und mache sie dem Gläubigen zugänglich. Aus wissenssoziologischer Perspektive, so Schürer, sei das Beispiel ein didaktisches Verfahren am Übergang zwischen Esoterik und Exoterik, also zwischen elitärem Spezialwissen und allgemein zugänglichem Wissen.525 Es geht also um das Offenlegen von „Heilswahrheiten“ so wie es im modernen Dialog auch um das Offenlegen von angenommenen Wahrheiten oder Gewissheiten geht, wo in Dialogsrunden am Beispiel der Gesprächsteilnehmer das Offenlegen eher erfolgt als durch belehrende Worte, dies zu tun. Es gilt, die verdeckten oder verschlüsselten Denkschemata an die Oberfläche zu bringen, dafür erweist sich der Dialog als ein vielversprechendes Mittel.

Peter Erhard schreibt über Gregor den Großen: „Der Rückgriff des Erzählers auf den in der antiken Rhetorik als enárgeia bezeichneten Gebrauch von lebhaften Bildern, um die Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, zielt vor allem auf die virtutes seiner Protagonisten, die vor dem Hintergrund barbarischer Grausamkeit der Goten, Franken und Langobarden beim Leser einen tiefen Eindruck hinterlassen. Damit knüpfen sie vermutlich an das literarische genre der gesta martyrum des 5. und 6. Jahrhunderts an. An die Stelle der üblichen praedicamenta waren im Schaffen Papst Gregors I. die exempla getreten, ein Bruch, der einem heutigen Leser unvereinbar mit dem übrigen Werk erscheinen kann.“526

523 Vgl. dazu: SCHÜRER Markus, Das Exemplum oder die erzählte Institution: Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005, S. 77. 524SCHÜRER Markus, Das Exemplum oder die erzählte Institution: Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005, S. 77. 525 Vgl. dazu: SCHÜRER Markus, Das Exemplum oder die erzählte Institution: Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005, S77f. 526 ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387. 148

Markus Schürer meint, dass Gregor der Große eine weitere Wirkungsdimension exemplarischer Rede in seiner Exegese zum Buch des Propheten Hesekiel nennt, nämlich mit der Äußerung, dass Exempla den Hörer tiefer und öfter erschüttern würden,als theoretische Schlussfolgerungen, damit verweist er auf den Umstand, „dass Exempla nicht nur Mittel rationaler Argumentation sein können, sondern den Rezipienten auch auf affektiver beziehungsweise auf emotiver Ebene anzusprechen vermögen. Ähnlich lautet eine Äußerung aus Gregors Dialogen. Hier sind es die (im voraus gegebenen) Hinweise (praedicamenta), denen Exempla dahingehend überlegen sind, dass sie das Denken des Rezipienten auf das Jenseits – in der Diktion Gregors das himmlische Vaterland (patria caelestis) – richten.“527

Peter von Moos schreibt zum Exemplum etwa: „Es ist vor allem eine argumentative Methode, ein Persuasionsverfahren, das einen Beleg für ein Argument (oder eine ‚Wahrheit‘) beibringt, […] Was wir im eigentlichen Sinn Exemplum nennen, ist die Erinnerung an ein, zur Überzeugung von dem, worauf es dir ankommt, nützliches wirklich oder angeblich geschehenes Ereignis.“528

Seit der Niederschrift der Dialoge 593/594 blieb 1400 Jahre hindurch die Autorschaft Gregors unbestritten, dann allerdings wurde diese Zuordnung bestritten. Der englische Theologe und Historiker Francis Clark versuchte mit seinem Werk ‚The Pseudo-Gregorian Dialogues‘ den Beweis gegen die Verfasserschaft Gregors d. Gr. Für die Dialoge anzutreten.529 „Of all the arguments against the Gregorian authorship of the Dialogues that which is based on the language and literary style of the book is the most obvious. […]”530

527 „Mit dieser Chiffre ist auf das von Gott zu erwartende Heil (oder, in negativer Umkehrung, den Heilsentzug) verwiesen, das auf Affirmation und Nachvollzug des beispielhaft Vorgeführten (oder aber dessen Ignorieren) folgt. Das christliche Exemplum schließt demnach auch den Verweis auf die ‚letzten Dinge‘ bzw. auch das ein, was das Jenseits gemäß christlicher Dogmatik als Lohn und Strafe bereithält.“ SCHÜRER Markus, Das Exemplum oder die erzählte Institution: Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005, S. 77ff. 528 MOOS von Peter, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 111f. 529 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 23. 530 CLARK Francis, The “Gregorian” Dialogues and the Origins of Benedictine Monasticism, … S. 60, http://books.google.at/books?id=qRa63xHXxeEC&printsec=frontcover&dq=Clark+the+pseudogregorian+dialog ues&hl=de&sa=X&ei=VUNiU9rdGJCy7Abl1oGgCA&ved=0CEIQ6AEwAg#v=onepage&q=non- Gregorian%20authorship&f=false, Zugriff am 29.4.2014. 149

Die These Clarks, ist jene, dass die Dialoge das pseudoepigraphische Werk eines Fälschers sind,531 der Zugang zum Archiv des Papstes hatte und so authentisches Gregor-Material mit seinen eigenen Ausführungen mischte.532 Er argumentiert zum einen, indem er auf die späte handschriftliche Bezeugung der Dialoge verweist, und zum anderen kritisiert er die Wundergeschichten in den Dialogen, die wenig mit Gregors anderen Werken in Einklang zu bringen seien. Die zu Gregors Stil passenden Passagen seien eben dem authentischen Material Gregors aus dem Archiv entnommen worden. Die naiven Wundergläubigkeit der Dialoge passen nicht zum theologischen, besonders dem bibeltheologischen Gehalt der übrigen Werke Gregors.533 Doch diese These hat sich nicht durchgesetzt.534 „[…] Clark übersieht dabei die genuine Eigenart der hagiographischen Literatur, zu der die Wundererzählungen unabdingbar gehören. Ihre theologische Bedeutung erhalten sie, vor allem im Hinblick auf das Leben Benedikts, durch die Verknotung mit den Wunderberichten des Alten und Neuen Testaments wie auch durch ihre Verankerung in der voraufgehenden hagiographischen Literatur der alten Kirche. […] Nun finden sich aber gerade im Zusammenhang mit den Wundererzählungen exkursartige Passagen, die erklären und belehren.“535 Jene exkursartigen Textabschnitte sind für Clark etwa echte Gregortexte, die seiner Meinung nach aus unveröffentlichten Schriften des Lateran-Archivs stammen, zu welchem der Verfasser Zugang hatte. „Die wissenschaftliche Diskussion zeigt, dass vieles an den Thesen Clarks, […] nicht differenziert genug und letztlich wohl unhaltbar ist. Auch wenn unbestreitbar bleibt, dass manches in den vier Büchern der Dialoge in Spannung steht zum übrigen Werk Gregors, so bleiben doch genügend gewichtige Gründe für eine Verfasserschaft Gregors.“536

531 „[…] I have called him pseudepigrapher, dissembler and forger. I have referred to his cunning and deceit, and spoken of his writing as spurious and counterfeit. […]”CLARK Francis, The “Gregorian” Dialogues and the Origins of Benedictine Monasticism, … S. 404, http://books.google.at/books?id=qRa63xHXxeEC&printsec=frontcover&dq=Clark+the+pseudogregorian+dialog ues&hl=de&sa=X&ei=VUNiU9rdGJCy7Abl1oGgCA&ved=0CEIQ6AEwAg#v=onepage&q=non- Gregorian%20authorship&f=false, Zugriff am 29.4.2014. 532 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 23. 533 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 23. 534 „Clark wurde alsbald und heftig widersprochen nicht zuletzt von dem jüngsten Editor der Dialoge De Vogüé und von einem der besten gegenwärtigen Kenner von Gregors Gesamtwerk, Paul Meyvaert.“ FRIED Johannes, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2012, Kapitel 9.2. 535 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 24. 536 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 24. 150

5.4 Entstehungskontext und Schreibanlass der Dialoge von Gregor dem Großen

Die Dialoge Gregors entstehen in einer Zeit, wo bittere Erinnerungen und Ängste bezüglich der Grausamkeiten der Goten, Franken und Langobarden in den Köpfen und Herzen der Italiener waren.537 Walter Pohl schreibt: „Den schärfsten Bruch mit der antiken Tradition in Italien brachte der von Justinian begonnene Gotenkrieg, in dem die weitgehend integrierten Goten nach langem Ringen überwunden wurden, worauf bald die weit weniger romanisierten Langobarden Teile der erschöpften Halbinsel besetzten.“538 Die Erinnerung an die gotischen Kriege und deren Auswirkungen auf die Landschaft in Italien, war vielleicht nicht mehr so präsent, allerdings erscheinen die Langobarden in Gregors Dialogen als eine wahrhafte Bedrohung539. In verschiedenen Kapiteln im dritten Buch der Dialoge stoßen wir auf Bemerkungen, wo die Langobarden als Bedrohung dargestellt sind. In Kapitel XXXVIII über den Bischof Redemptus von Ferentino etwa kündigt diesem der heilige Märtyrer Eutychius ‚das Ende eines Fleisches‘ an.540

537 Vgl. dazu: „the author was evedently writing at a time when bitter memories and fears of them were still alive in Italians minds and hearts.” CLARK Francis, The Pseudo-Gregorian Dialogues, 2 Bge., Leiden 1987; ders., The ‘Gregorian’ Dialogues and the Origins of Benedictine Monasticism (Studies in the history of Christian thought 108, Leiden/Boston 2003) S. 365-396, vgl. dazu auch: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387. 538 POHL Walter, Die Völkerwanderung, Eroberung und Integration, 2. Auflage, Stuttgart, Berlin, Köln, 2005, S.37. 539 Eines von vielen Beispielen, wo Gregor die Langobarden erwähnt : „Ferner gab auch Cerbonius, Bischof von Populonia, […] einen großen Beweis für seine Heiligkeit. […] nahm er eines Tages durchziehende Soldaten bei sich auf und versteckte sie vor den Goten, die gleich nach ihnen ankamen; […] Als aber das Langobardenvolk nach Italien kam und alles verwüstete, […]“ Buch III/XI in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 540 ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387 Vgl. dazu: „[…] Ferentino […] ein Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel, […] Es war Mitternacht; er schlief nicht und konnte nicht, wie er sagte, völlig wach bleiben, sondern der wache Geist wurde, wie es gewöhnlich geschiet, vom Schlafe wie von einer ‚Art Gewicht beschwert – da stand vor ihm der heilige Märtyrer Eutychius und sprach: ‚Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt!‘ Nach diesem dreimaligen Rufe verschwand die Erscheinung des Märtyrers, die sich den Augen seiner Seele gezeigt hatte. Da stand der Mann Gottes auf und fing an zu beten und zu klagen.[…]“ Buch III/XXXVIII in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 151

Gregor erzählt: „Bald folgten auch jene furchtbaren Zeichen am Himmel, das man feurige Lanzen und Schlachtreihen von Norden her kommen sah. Und bald wurde das wilde Volk der Langobarden aus der Scheide seiner Wohnstatt gezogen und wütete gegen unseren Nacken; und das Menschengeschlecht, das in diesem Lande in überströmender Zahl wie eine dichte Saat dastand, wurde dahingemäht und verdorrte. Denn die Städte wurden entvölkert, die festen Plätze zerstört, Kirchen niedergebrannt, Männer- und Frauenklöster dem Erdboden gleich gemacht. Die Landgüter sind verlassen und niemand nimmt sich ihrer an; das flache Land liegt brach und ist verödet; kein Besitzer wohnt mehr dort, und wilde Tiere hausen, wo ehedem viel Volk seine Wohnung hat.“541 Italien also, das nach den gotischen Kriegen noch nicht zur Ruhe gekommen war, wurde erneut bedroht, und zwar von den Langobarden. Peter Erhart schreibt: „Gleich den apokalyptischen Reitern waren die Langobarden über ein Italien hereingebrochen, das nach der Beendigung der gotischen Kriege kaum zur Ruhe kam, zwangen Bischöfe zur Flucht auf die vorgelagerten Inseln, Mönche und Nonnen zum Verlassen ihrer Klöster und Einheimische zum Verzehr von Opferfleisch.“542 Gregor schreibt im dritten Buch der Dialoge: „Vor ungefähr fünfzehn Jahren wurden nämlich von den Langobarden, nach dem Zeugnis solcher, die dabei zugegen sein konnten, vierzig Bauern gefangen genommen und genötigt, Opferfleisch zu essen. Da sie sich sehr dagegen sträubten und die sakrilegische Speise nicht berühren wollten, drohten die Langobarden, die sie gefangen genommen hatten, ihnen mit dem Tode, wenn sie das Opferfleisch nicht essen würden.[…]“543 Die Langobarden plünderten die Klöster, zerstörten die Lebensgrundlage der Bewohner und töteten grausam. Gregor beschreib beispielsweise die Bedrohung der Langobarden folgend: „Als ich noch im Kloster war, habe ich auch von einigen gewissenhaften Männern erfahren, […] der den Gefangenen, die dorthin kamen, und jenen, die vor der Plünderung durch die

541 Buch III/XXXVIII in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933 , vgl. dazu auch: Buch III/XXVI, Buch III/XXVII, Buch III/XXIX, Buch III/XXXVII, Buch IV/XXII, Buch IV/XXII, Buch IV/XXIII. 542 ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 387. 543 Buch III/XXVII, in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 152

Langobarden sich flüchteten, alles schenkte, was im Kloster zu finden war. […] Als auf diese Weise alles weggegeben war, kamen auf einmal Langobarden, nahmen ihn fest und verlangten Gold. […] An dieser Stelle zog einer der Langobarden sein Schwert und tötete den genannten ehrwürdigen Mann. […].“544 An einer anderen Stelle schreibt Gregor: „Ein anderer sehr ehrwürdiger Diakon lebte in der Provinz der Marser. Die Langobarden stießen auf ihn, nahmen ihn gefangen, und einer von ihnen zog sein Schwert und hieb ihm das Haupt ab. […]“545 Was die Bemerkung zur bevorstehenden Bekehrung der Langobarden in den Dialogen betrifft, so findet sich laut Peter Erhart dort zwar kein Platz, allerdings zeigt sich jedoch eine gewisse Ironie in den Dialogen: „wenn ein gewisser Sanctulus etwa eine Gruppe von Langobarden antrifft, wie sie vergeblich versuchen, Oliven zu pressen. Als er sie bittet, ihm seinen leeren Schlauch mit Öl zu füllen, reagieren sie erstaunlicherweise nicht mit Gewalt, sondern nur mit Beschimpfungen. Erst nachdem er die Ölpresse gesegnet hat, fließt das Öl plötzlich heraus und er kann sich noch dazu seinen Schlauch füllen.“546 Um die Wende des Jahres 592-593 schreibt Gregor an seinen Freund Maximilian, Bischof von Syrakus einen Brief, und da begegnet uns die Idee des Buches der Dialoge zum ersten Mal. „Meine Mitbrüder, die bei mir im Hause wohnen, treiben mich auf jegliche Art an, in

544 Buch IV/XXII, in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 545 Buch IV/XXIII, in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 546 ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 388, vgl. dazu auch: „[…] Als nämlich einmal Langobarden Oliven zu pressen suchten, um das Öl herausfließen zu lassen, brachte er in seiner strahlenden Herzensfröhligkeit einen leeren Schlauch herbei, grüßte die Langobarden bei ihrer Arbeit mit heiterer Miene, und sagte mehr in befehlendem als bittendem Tone, man solle ihm den Schlauch füllen. Aber die heidnischen Leute, die sich schon den ganzen Tag vergeblich abgemüht hatten und mit ihrem Drehen kein Öl aus den Oliven gewinnen konnten, nahmen seine Worte übel auf und schmähten über ihn. Darauf wurde die Miene des Mannes Gottes nur noch vergnügter, und er erwiderte ihnen: ‚Daß ihr so für mich beten würdet! Füllet dem Sanctulus den Schlauch, dann geht er wieder!‘ Da sie nun aus den Oliven können nun fließen sahen, andererseits aber merkten, daß der Mann Gottes auf der Füllung seines Schlauchs bestand, wurden sie sehr zornig und schmähten und beschimpft ihn noch mehr. Als aber der Mann Gottes sah, daß aus der Presse auch nicht einen Tropfen Öl herauskam, bat er um Wasser, segnete es, und schüttete es mit eigener Hand in die Presse. Auf diese Segnung hin quoll alsogleich eine so reichliche Fülle von Öl heraus, daß die Langobarden, die vorher lange vergeblich gearbeitet hatten, nicht nur alle Ihre Gefäße, sondern auch den Schlauch, den der Mann Gottes mitgebracht, anfüllten und sich bedanken, weil derjenige, der um Öl zu bitten gekommen war, durch seinen Segen spendete, um was er bat.“ Buch III/XXXVII, in: GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 153

Kürze Einiges über die Wunder zu schreiben, die uns von Klösteräbten in Italien zu Ohren gekommen sind. Dazu bedarf ich aber gar sehr der Beihilfe Eurer Liebe, daß Ihr mir nämlich kurz mittheilet, was Ihr hierüber in Gedächtnisse behalten oder sonst erfahren habt. Ich erinnere mich, daß Du Etwas von dem ehrwürdigen Abt Nonnosus, der sich bei dem Abt Anastasias in Pentomä befand, erzählt hast, worauf ich aber vergessen habe. Dies und was du sonst noch weißt, bitte ich, Deinem Briefe beizulegen und es mir recht bald zu schicken, wenn Du nicht lieber selbst zu mir kommst.“547 Ein weiterer Schreibanlass der Dialoge findet sich in der Einleitung, die den vier Büchern der Dialoge vorangestellt ist, wo Petrus Gregor fragt, was ihm denn wieder zugestoßen sei, was ihn noch trauriger mache als sonst, und dieser antwortet: „Der Kummer, Petrus, den ich Tag für Tag ertragen muss, ist mir altvertraut, da ich ihn beständig fühle, und doch neu, da er beständig wächst. Von der Arbeitslast verwundet, denke ich Unglücklicher zurück: Wie gut ging es mir doch einst im Kloster! Alles Hinfällige lag weit unter mir, hoch stand ich über allem Wandelbaren, ich dachte nur an himmlisches; noch an den Körper gebunden, überschritt ich in der Kontemplation die Grenzen des Irdischen und gewann denn Tod, den doch fast alle als Strafe empfinden, sogar lieb, weil er das Leben eröffnet und unsere Mühen belohnt.“548 Die Last des Hirtenamtes war ihm schwer, und oft dachte er an die ruhigen Tage im Kloster. Gerne beschäftigte er sich mit den heiligen Männern Italiens, was ihm die Wirren der Zeit nicht mehr erlaubten. Er fand Trost im Leben und in den Wundern dieser Männer.549

547 Buch III/XIV, Brief an den Bischof Maximilian von Syrakus, in: GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten 1874. 548 GREGOR DER GROßE, Dialoge über die Wunder der italienischen Väter, Buch 1, Prolog 3-4, in: Gregor der Große, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 96f. Cui inquam: moerorem, Petre, quem cottidie patior et semper mihi per usum vetus est et semper per augmentum novus. Infelix quippe animus meus occupationis suae pulsatus vulnere meninit qualis aliquando in monasterio fuit, quomodo ei labentia cuncta subter erant, quantum rebus omnibus quae volvuntur eminebat, quod nulla nisi caelestia cogitare consueverat, quod etiam retentus corpore ipsa iam carnis claustra contemplatione transiebat, quod mortem quoque, quae paene cunctis poena est, videlicet ut ingressum vitae et laboris sui praemium amabat. Vgl dazu auch: „Eines Tages befand ich mich wegen des zu großen Ungestüms einiger Weltleute, […] So erwäge ich denn, was ich zu tragen habe, erwäge, was ich verlor, und wenn ich den Verlust ansehe, wird mir meine Last noch schwerer.“ Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 11. 549 Vgl. dazu: „Denn er trug schwer an der Last des Hirtenamtes und sehnte sich oft nach der einsamen, ruhigen Beschaulichkeit seines Klosters zurück. Da war es ihm ein Labsal, sich mit den heiligen Männern, besonders mit den heiligen Männern Italiens, „seines Italiens”, das er in den Wirren der Zeit darniederliegen sah, zu 154

Also die Belastung seines Amtes550 und die Sorge des Amtes führt Gregor in eine Niedergeschlagenheit, und bringt ihm Kummer. Seine Flucht aus dieser Niedergeschlagenheit liegt in der Erinnerung an den Frieden und an die Ruhe im Kloster, diese Erinnerung ist für Gregor quasi sein Heilmittel. „Letztlich geht es um den immer deutlicher spürbaren Verlust der kontemplativen Dimension, den Gregor beredt zum Ausdruck bringt. Diesen Verlust beschreibt Gregor als Prozess des Verfalls, in dessen Verlauf die Erinnerung immer mehr in Vergessenheit gerät. Zuerst ist die Erinnerung noch ein positives Erleben in der postmonastischen Zeit, dann aber wird das Verlieren dieser Dimension zur beherrschenden Erfahrung.“551 Gregor sieht sich, abgelenkt durch die Aufgaben seines Amtes, weit weg vom kontemplativen Leben. „Du siehst, jetzt bin ich ein Spielball der Wellen auf einem weiten Meer, und mein Geist wird wie ein Schiff in einem heftigen Sturm hin und her geworfen. Wenn ich an mein früheres Leben denke, schaue ich gleichsam zurück und blicke voll Verlangen nach dem Ufer. Und was noch schwerer wiegt: Von den ungeheuren Fluten dahingetrieben, kann ich den Hafen, den ich verlassen habe, kaum mehr sehen. Denn so geht es doch, wenn der Mensch innerlich verkommt: Zuerst verliert er das Gut, das er hat, wobei er noch den Verlust empfindet. Nach längerer Zeit vergisst er auch das Gut, das er verloren hat, und behält nicht einmal mehr in Erinnerung, womit er vorher sein Leben gestaltet hat. So kommt es, wie ich

unterhalten. Das Leben dieser Männer und die Wunder, die sie wirkten, waren ihm ein Trost, ein Grund, daß trotz aller Drangsal rings umher immer noch auf den Beistand des Allmächtigen zu hoffen sei. Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 6. 550 Vgl. dazu: At nunc ex occasione curae pastoralis saecularium hominum negotia patitur, et post tam pulchrum quietis suae speciem terreni actus pulvere foedatur. Cumque se pro condescensione multorum ad exteriora sparserit, etiam cum interiora appetit, ad haec procul dubio minor redit. Perpendo itaque quid tolero, perpendo quid amisi, dumque intueor illud quod perdidi, fit hoc gravius quod porto. GREGOR DER GROßE, Dialoge über die Wunder der italienischen Väter, Buch 1, Prolog 4-5, in: Gregor der Große, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 96, 98. 551 „Denn so geht es doch, wenn der Mensch innerlich verkommt: Zuerst verliert er das Gut, das er hat, wobei er noch den Verlust empfindet. Nach längerer Zeit vergisst er auch das Gut, das er verloren hat, und behält nicht einmal mehr in Erinnerung, womit er vorher sein Leben gestaltet hat. (Prol. 5)“ GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27 , vgl. dazu auch: Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 11. 155 vorher gesagt habe: Wenn wir ziemlich weit hinausgefahren sind, können wir den Hafen der Ruhe nicht mehr sehen, den wir verlassen haben.“552 Die Erinnerung an die Zeit im Kloster lässt ihn wieder in sich gekehrt sein. In Kapitel drei, des Buches Gregor der Große, Der hl. Benedikt, herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, wird Erinnerung wie folgt beschrieben: „Erinnerung ist hier zu verstehen in der vollen Bedeutung des Wortfeldes meminere – memoria. Solche Erinnerung ist Steuerungselement und Korrektiv. Für Gregor bedeutet ‚memoria‘ als eine ständige Vertiefung des Erfahrenen und die Konzentration auf das Bewahren der kontemplativen Dimension in seinem Leben. Solches Bewahren der Erinnerung ist aber nicht selbstverständlich. Aus dieser spirituellen Situation Gregors entstehen die vier Bücher der Dialoge, die außer dem hagiographischen Interesse und den pastoralen Anliegen Gregors vor allem eine ‚therapeutische‘ Funktion für Gregor selbst haben. Das Wachhalten der Erinnerung an das kontemplative Leben geschieht am besten im Hinschauen auf Menschen, die diesen Weg konsequent gegangen sind.“553 Die Erinnerung ist also das ‚Heilmittel‘ für Gregor, und in der Beschäftigung mit dem Leben der Männer, die in seinen Augen den wahren Weg gefunden haben, und in der Zurückgezogenheit im Einklang mit Gott leben, findet er ein Korrektiv zu seinem Leben, das ihm weit entfernt erscheint,von dem Leben, das er anstrebt, er findet allerdings auchim Hinschauen auf diese Männer, die Motivation so zu leben, und das Vergegenwärtigen des kontemplativen Lebens gelingt ihm eben in der Beschreibung des Lebens dieser Männer und erleichtert ihm, die schwierige Aufgabe seines Amtes durchzustehen.

552 GREGOR DER GROßE, Dialoge über die Wunder der italienischen Väter, Buch 1, Prolog 5-6, in: Gregor der Große, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 99, vgl dazu auch: „Denn siehe, jetzt bin ich ein Spielball der Wellen eines weiten Meeres und werde in meinem Geistesschifflein von den Wogen eines heftigen Sturmes hin und her geworfen. Und wenn ich mich des früheren Lebens erinnere, ist es mir, als ob ich rückwärts blickte und aufseufzend nach dem Gestade schaute. Und was noch trauriger ist - während ich so von den ungeheuren Fluten dahingetrieben werde, kann ich den Hafen, den ich verlassen, kaum mehr sehen. Denn so pflegt es bei dem geistigen Verfall zu gehen, daß man zuerst zwar das innegehabte Gut verliert, sich aber des Verlustes noch erinnert, alsdann nach längerer Zeit das Gut selbst, das man verloren, aus dem Gedächtnis entschwinden läßt, so daß man schließlich nicht einmal mehr in der Erinnerung besitzt, was man ehedem in Wirklichkeit sein eigen nannte. Daher kommt es, daß wir, wie ich vorher sagte, nicht einmal mehr, sobald wir weiter hinausfahren, den Hafen der Ruhe sehen können, den wir verlassen haben." Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 11. 553 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27f. 156

Im Vorwort zu den vier Büchern der Dialoge schreibt Gregor: „Denke ich an das Leben einiger Männer, die diese Welt ganz entschieden verlassen haben, wird mein Schmerz manchmal noch größer. Sehe ich dann, welche Höhe sie erreicht haben, erkenne ich, wie tief unten ich selber stehe. Viele von ihnen lebten im Verborgenen in Einklang mit dem Schöpfer. Der allmächtige Gott bewahrte sie vor den Mühseligkeiten dieser Welt, damit nicht durch die Verpflichtungen des Alltags ihr jugendlicher Geist alt werde.“554 Im Hinschauen auf das Leben und die Geschichten dieser Väter erlebt Gregor das, was er für sein eigenes Leben wenigstens in Ansätzen zu bewahren versucht. Dieses Besinnen auf die Väter, quasi als Ansporn und Korrektur, bildet für Gregor etwa das Grundanliegen bei der Abfassung der Dialoge.555 Dies scheint ein ähnliches Muster wie bei Platons frühen Dialogen zu sein, der durch das Hinschauen auf Sokrates, als Hauptgesprächspartner - der sich selbst auf mündliche Mitteilung beschränkte556, und der seine Philosophie und seine Lehren lebte, indem er mit seinen Schülern dialogisierte und durch radikales Fragen oder Hinterfragen, zu Themen wie Tapferkeit, Weisheit, Frömmigkeit und anderen Ideen oder Werten - das Denken gewissermaßen schulte. Die Dialoge Platons führen nicht wirklich zu einem Ergebnis, es geht um den Entstehungsprozess, wie dies auch beim modernen Dialog der Fall ist, es geht somit nicht um ein Lehrgebäude als fertiges System. Platon fasst quasi in seinen Dialogen in der Gestalt Sokrates dessen Lehre zusammen, so wie etwa Gregor in der Gestalt Benedikts seine Ideologie oder Lehre zusammenfasst. Man könnte sagen, dass Platon vor allem in den frühen Dialogen die Lehre und die Philosophie von Sokrates wiedergibt und damit all das zusammengefügt darstellt, was ihm für sein Leben wesentlich erscheint. Gregor gibt in der Gestalt des Benedikts das wieder, was für ihn wesentlich ist, nämlich die richtige Lebensweise. In den späten Dialogen Platons, in denen Sokrates zuerst nur als Nebenfigur und dann gar nicht mehr auftritt, hat er sozusagen seine eigene Philosophie niedergeschrieben. Sokrates, im Sinne eines exemplums, lieferte etwa mit seiner Lebensweise, seiner Lehre und seiner

554 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 99 Vgl. dazu auch: „Nonnumquam vero ad augmentum mei doloris adiungitur, quod quorumdam vita, qui praesens saeculum tota mente reliquerunt, mihi ad memoriam revocatur, quorum dum culmen aspicio, quantum ipse in infimis iaceam agnosco. Quorum plurimi conditori suo in secretiori vita placuerunt, qui ne per humanos actus a nivitate mensis veterescerent, eos omnipotens Deus huius mundi laboribus noluit occupari.” GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 98. 555Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 556Vgl. dazu: „Im Altertum beruhte die Kultur hauptsächlich auf dem mündlichen Unterricht und aus den Niederschriften, die sich daraus ergaben […]“ BARTHES Roland, Das semiologische Abenteuer, Frankfurt am Main 1988, S. 33. 157

Philosophie, die Grundlage der Dialoge Platons. Und Benedikt liefert mit seiner Lebensweise die Grundlage für Gregors Dialog, er zeigt im zweiten Buch der Dialoge in der Figur Benedikts das auf, was ihm eigentlich für sein Leben wichtig ist. „Es bildet gleichsam eine Art Antibiographie zum Leben Gregors, indem er in der Gestalt Benedikts all das zusammenfasst, was ihm für sein eigenes Leben kostbar erscheint, aber nicht immer durchgehalten oder verwirklicht werden kann.“557

Gregor hatte großen Einfluss auf das Mönchsleben seiner Zeit und der nachfolgenden Jahrhunderte. Er gründete ja zunächst sein Andreas-Kloster558 auf dem Clivus Scauri und er bevorzugte zeitlebens die Askese, obwohl er die öffentlichen Ämter nicht verweigern konnte. Gregors Einwirken auf das monastische Leben in seiner Zeit ist allerdings im Zusammenhang mit einer umfassenden Kirchenreform in seinem Umfeld oder in seinem Land zu sehen, was sich in seinem umfangreichen Briefkorpus zeigt. 200 von den aus seiner Amtszeit erhaltenen 850 Briefen betreffen Klöster, wo das monastische Leben in Unordnung gekommen ist.559 Es soll hier nur eines der vielen Ermahnungsschreiben exemplarisch genannt werden: „Unser Bruder und Mitbischof Johannes hat durch seinen Kleriker Justus an Uns ein Schreiben gerichtet, worin er Uns unter Anderem mitteilt, daß einige Mönche aus den in der Diözese Sorrento gelegenen Klöstern nach Belieben von einem Kloster ins andere ziehen, sich vor der Zucht ihres eigenen Abtes aus Weltsinn losmachen, und auch, daß sie, was bekanntlich verboten ist, der Sorge für ein persönliches Eigentum sich hingeben. Deshalb geben wir Deiner Wohlerfahrenheit durch gegenwärtiges Schreiben den Auftrag, keinem Mönch mehr

557 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 558 „Das Kloster auf dem Clivus Scauri wurde dem hl. Andreas geweiht. Die Ordensregel war die des hl. Benedictus. Der rege Verkehr Gregors mit Monte Cassino, mit Subiaco und mit Valentinian, dem Abte des lateranensischen Klosters, sowie seine unverkennbare Zuneigung zu Benedictus lassen es als sicher annehmen, daß Gregor die Regel des hl. Benedikt, den unvergleichlichen Ausdruck der Weltabgeschiedenheit, der Seelenruhe und der völligen Hingabe an Gott, befolgen wollte. Die Verbindung, die Gregor so mit dem Orden einging, ist für ihn von größter Bedeutung geworden. Denn wie er im II. Buch der Dialoge der große Lobredner Benedikts wurde und den Geist Benedikts in der päpstlichen Tätigkeit entfaltete, so wurden die Klöster des hl. Benedikt die Träger der gregorianischen Tradition und die Verkündiger der Größe Gregors.“ GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S. 9. 559 Vgl. dazu: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 390. 158 den Übertritt von einem Kloster ins andere zu gestatten, noch auch ihnen den Besitz irgendeines persönlichen Eigenthums zu gewähren.“560 Auch betroffen von diesen vielen Ermahnungsschreiben waren die anachoretischen Mönchssiedlungen auf den Inseln im tyrrhenischen Meer, welche die Gotenkriege und die langobardische Eroberung ohne Schaden überstanden haben. Allerdings zeigten die dort lebenden Eremiten gegen Ende des 6. Jahrhunderts einen Niedergang des asketischen Lebens.561 Trotz des inneren Verfalls dürfte das Ende dieser monastischen Gesellschaften erst 640 gekommen sein, denn die Küste war ab diesem Zeitpunkt in langobardischer Hand, womit auch das vorbenediktinische Mönchtum, das seit 250 Jahren in Italien verwurzelt war, erlosch. Dieses Mönchtum war nie reformiert worden, erst unter Gregor kam es etwa zu einer Aufarbeitung und Anwendung der überlieferten Gesetzestexte. Gregor rettete die Tradition eines längst vergangenen Mönchtums, indem er Informationen zu den Mönchsvätern sammelte, und diese für seine Mönche in den Dialogen als exempla zusammenstellte. Die Wunderberichte bezeugen in der Tat eine große Pluralität monastischen Lebens im sechsten Jahrhundert, was in den Mönchsregeln bestätigt ist. Mit den Mönchsregeln wurde eine Brücke zwischen vorlangobardischem Mönchtum und einer neuen Art von Klöstern geschlagen, welche eine Generation später entstehen sollte.562

5.5 Zielsetzung und Zweck der Dialoge von Gregor dem Großen

Gregor wuchs im Hause der Anicier am Clivus Scauri auf. „Gern hörte er den Alten zu, wenn sie die Gastfreundschaft im Haus am Clivus Scauri genossen.563 Einige hatten noch den

560 Buch I/XXI, Brief an den Subdiakon Anthemius, in: GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten 1874, S. 34. 561 Vgl. dazu: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 390. 562 Vgl. dazu: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S. 391. 563 „Darum sucht er auch den Verkehr mit älteren, erfahrenen, frommen Männern. Er erzählt selbst, daß er von Abt Konstantin von Monte Cassino, der 560 starb, die Lebensgeschichte des hl. Benedikt erfahren habe; auch mit Honoratus, dem Abt von Subiaco, verkehrt er. Wenn man bedenkt, wie anschaulich Gregor in wenigen Strichen die Örtlichkeit von Monte Cassino und Subiaco zeichnet, darf man sich fragen, ob er nicht etwa diese Männer, die zuweilen Gäste in seinem väterlichen Hause waren, in ihren Abteien besucht haben mag.“ GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des 159

Gotenkönig Theoderich in Rom einziehen sehen. […] Viel war auch von dem kürzlich verstorbenen Mönch Benedikt die Rede. Als junger Mann hatte er dem lockeren Treiben in Rom, das unter Theoderichs Herrschaft wieder aufzublühen begann, den Rücken gekehrt und in den Bergen das Leben eines Einsiedlers geführt. Er suchte die dauernden Schätze des Himmels, nicht die der vergänglichen der Welt. […] Immer wieder wollte er (Gregor) die Geschichten von der Begegnung Benedikts mit dem Gotenkönig Totila hören,564 von dem vergifteten Brot und den Raben,565 die Benedikt das Leben gerettet hatten, von dem Wasser,

Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S. 8. 564 „Zur Zeit der Goten hörte ihr Konig Totila, der heilige Mann sei prophetisch begabt. Er zog zum Kloster, […]. Weil Totila aber mißtrauisch war, wollte er herausfindn, ob der Mann Gottes wirklich prophetischen Geist besitze. Er gab deshalb einem seiner Schwertträger namens Riggo seine Schuhe, ließ ihn die königlichen Gewänder anziehen und befahl ihm, sich dem Mann Gottes als Totila vorzustellen. […] Riggo betrat in den königlichen Gewändern und mit großem Gefolge den Klosterbereich. Der Mann Gottes saß in einiger Entfernung. Er sah Riggo, ließ ihn bis in Hörweite kommen und rief ihm zu: ‚Leg ab, mein Sohn! Leg ab, was du anhast! Es gehört nicht dir!‘ […] Hierauf begab sich Totila selbst zum Mann Gottes. Er sah ihn in einiger Entfernung da sitzen, hatte aber nicht den Mut, näher zu kommen, sondern warf sich auf die Erde. Zwei- oder dreimal sagte ihm der Mann Gottes: ‚Steh auf!‘ […] Da ging Benedikt, der Diener des Herrn Jesus Christus, schließlich selbst zum König hin, der am Boden lag, und hob ihn eigenhändig auf. Er hielt ihhm seine Untaten vor und sagte ihm mit wenigen Worten sein künftiges Geschick voraus. […] Der König erschrak sehr, als er das hörte. […] Bald darauf kam er tatsächlich nach Rom und setzte auch nach Sizilien über. Nach dem Ratschluß des allmächtigen Gottes verlor er jedoch im zehnten Jahr seiner Regierung Herrschaft und Leben.“ GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 149. 565 „[…] - aber böse Menschen beneiden immer andere um das Gut der Tugend, nach dem sie doch selbst nicht streben. So begann Florentius, der Prespyter einer nahe gelegenen Kirche […] eifersüchtig auf die Bestrebungen des Mannes zu werden, an seinem heiligen Wandel allerlei auszusetzen und die Leute, wenn er irgendwie konnte, von einem Besuch bei ihm abzuhalten. Da er aber sah, daß er der Entwicklung der Dinge bei Benedikt nicht Einhalt gebieten konnte, daß der Ruf von seinem heiligen Wandel sich vielmehr immer weiter ausbreitete […] da wurde er, von der Fackel des Neides mehr und mehr entfacht, immer schlimmer; denn er wollte zwar das Lob eines solchen Wandels genießen, wie Benedikt ihn pflegte, ein lobenswürdiges Leben selbst aber wollte er nicht führen. Von finsterem Neid verblendet, ging er schließlich soweit, daß er dem Diener des Allmächtigen ein vergiftetes Brot zum Geschenk sandte. Der Diener des Herrn nahm das Brot an, wußte aber wohl, welche Pest das Brot in sich barg. Es kam aber jeden Tag zur Essenszeit ein Rabe aus dem nahen Wald und erhielt ein Stück Brot aus seiner Hand. Als der Rabe nun wie gewöhnlich kam, warf ihm der Diener Gottes das Brot vor, das der Presbyter geschickt hatte, und befahl ihm: ‚Im Namen unseres Herrn Jesu Christi nimm dieses Brot und wirf es an einen Ort, wo man es nicht finden kann!‘ Da sperrte der Rabe den Schnabel auf, breitete die Flügel aus und hüpfte krächzend um das Brot hrum, wie wenn er sagen wollte, er wolle gern gehorsam sein, aber er könne den Befehl nicht ausführen. Darauf befahl ihm der Diener Gottes mehrmals und sagte: ‚Nimm es, nimm es, du bist ganz sicher, und wirf es an einen Ort, wo man es nicht finden kann!‘ Lange zögerte der Rabe noch, aber endlich fasste er es mit dem Schnabel, hob es auf und flog davon. Drei Stunden nachdem er das Brot weggeworfen, kam er wieder und erhielt von dem Mann Gottes sein Stück Brot wie gewöhnlich. […]“ Buch II/VIII, Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 41. 160 das Benedikt aus dem Felsen hatte fließen lassen566. Wie gern wäre auch er einer der Schüler des Mönchs gewesen, um von ihm zu lernen, Wunder zu wirken.“567 Benedikt hat als Abt seinen Mönchen auf dem Montecassino die Regeln vorgegeben, dadurch hat das benediktinische Mönchtum seine Formung gefunden, und Gregor widmet diesem unbekannten Abt568 sein zweites Buch und zeichnet damit das Bild seines Lebens. „Dieses Werk ist die einzige Quelle über das Leben und Wirken des Mönchvaters von Montecassino. Alle Angaben, die über Benedikt gemacht werden können, stützen sich auf die Aussagen Gregors.“569 Bald nach dem Tod Benedikts, etwa 548, wurde Montecassino um 575 von den Langobarden erobert, die Mönche flüchteten nach Rom, wo Gregor möglicherweise ihre Gemeinschaft kennengelernt hat und von Benedikt und seiner Regel erfahren hat. Die Mönche kehrten erst wieder 718 auf den Montecassino zurück.570

566 „Von den Klöstern aber, die er dort errichtet hatte lagen drei auf steiler Bergeshöhe; es war für die Brüder sehr beschwerlich, immer zum See hinabzusteigen und Wasser holen zu müssen, besonders da wegen des jäh abfallenden Berges der Abstieg mit großer Gefahr verbunden war. […] er stieg dann in der Nacht […] auf den Berg und betete lange daselbst. Als er das Gebet beendet hatte, legte er drei Steine als Zeichen an jenen Ort und kehrte, ohne daß dort jemand etwas von dem Vorgang wußte, in sein Kloster zurück. Als nun am anderen Tag die Brüder wieder wegen des Wassers zu ihm kamen, sagte er: ‚Geht nur hin und machet dort, wo ihr drei Steine aufeinander gelegt findet, in den Felsen ein kleines Loch, denn der allmächtige Gott vermag auch auf jener Bergeshöhe Wasser hervorsprudeln zu lassen, um euch der Mühe eines so weiten Weges zu entheben.‘ Sie stiegen hienauf und fanden, daß der Fels, den Benedikt gemeint hatte, schon ganz feucht war; und als sie ein Loch in denselben gemacht hatten, füllte es sich sogleich mit Wasser, und so genügend floß das Wasser, daß es noch jetzt reichlich abläuft und sich vom Gipfel des Berges bis ins Tal hinab ergießt.“ Buch II/V, Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Gente Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 39. 567GRABNER Sigrid, Im Auge des Sturms, Gregor der Große, Augsburg 2009, S. 32f 568 Vgl. dazu: FRIED Johannes, Der Schleier der Erinnerung, Grundzüge einer historischen Memorik, 2012, S. 156. 569 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 13. „Aus diesem Bericht kann man erschließen, dass Benedikt um 480 in Nursia, dem heutigen Norica, im umbrischen Apenin als Sohn einer freien und wohlhabenden Familie geboren wurde. Zum Studium wurde er nach Rom geschickt. Dort spürte er die Berufung zum Mönchtum, die er in mehreren Schritten verwirklichte. Er brach seine Studien ab und begab sich nach Effide (Affile). Von dort zog er sich in eine Höhle bei Subiaco zurück, wo er drei Jahre lang eremitisch lebte. In Subiaco sammelten sich Mönche um ihn, die er auf zwölf kleine Klöster unter seiner Leitung verteilte. Im Jahre 529 zog Benedikt der Tradition nach von Subiaco mit einigen wenigen Mönchen auf den Montecassino, wo er ein Kloster gründete, das der Ursprungsort des abendländischen Mönchtums wurde. Hier schrieb er während mehrerer Jahre seine Mönchsregel, die im Abendland bis zum Hohen Mittelalter als einzige Klosterregel Gültigkeit hatte.Die von Gregor geschilderte Begegnung Benedikts mit dem König der Ostgoten, Totila (541- 552), weist in eine Zeit, die sich durch ihre politische Situation gut belegen lässt.“ 570 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 14. 161

Gregor der Große571 schrieb auf Bitten der Mönchen und Kleriker im päpstlichen Palast, exempla572 heiligmäßigen Lebens in Italien nieder. Einerseits ist es Gregors Ziel, etwa in Benedikt jemanden aufzuzeigen, an den sich die Vorstellung christlicher Heiligkeit anbinden lässt, der so gelebt hat, wie Gregor selbst gerne gelebt hätte. Andererseits bringt ihm die Mühe des Amtes, mit seinen Aufgaben und Verpflichtungen eine schwere Bürde, und die Mühe des Amtes führt ihn in eine tiefe Niedergeschlagenheit (depressus sum) und bringt ihm Kummer und Betrübnis. Ein weiteres Ziel Gregors ist es, durch das Schreiben der Dialoge die Erinnerung an den Frieden und die Ruhe im Kloster wachzuhalten, diese memoria ist für Gregor eine ständige Vertiefung des Erfahrenen einerseits und die Konzentration auf das Bewahren der kontemplativen Dimension in seinem Leben andererseits.573 Gregor verspührt eine ständige innere Unruhe, die in sein geistliches Leben eingreift und gegen diese Erfahrung setzt Gregor die Erinnerung an den Frieden und die Ruhe des Klosters, quasi als Heilmittel ein. Es geht augenscheinlich um den immer deutlicher spürbaren Verlust der kontemplativen Dimension, und Gregor beschreibt diesen Verlust als Prozess des Verfalls574, wobei in dessen Verlauf die Erinnerung sozusagen immer mehr in Vergessenheit gerät.575 Im Schreiben der Dialoge also bewahrt Gregor seine Erinnerung, sie ist für ihn quasi Steuerungselement und Korrektiv, zur Bewahrung des kontemplativen Lebens.576

571 Zur Interpretation der Dialoge siehe auch: DEGL’INNOCENTI Antonella, Dialogorum libri IV, In: Scittura e storia. Per una lettura delle opere di Gregorio Magno. Ed. Lucia Castaldi, Florenz 2005, S. 251-70. 572 „Das exemplum (paradeigma) ist die rhetorische Induktion: Man geht über das implizite Glied eines Allgemeinen von einem Besonderen zu einem anderen Besonderen über: von einem Gegenstand folgert man auf die Klasse, und von dieser Klasse leitet man einen weiteren Gegenstand ab. Das exemplum kann von beliebigem Umfang sein, ein Wort, eine Tatsache, eine Gesamtheit von Tatsachen und ein Bericht dieser Tatsachen. Es ist eine überredende Ähnlichkeit, ein analogisches Argument: Gute exempla findet man, wenn man für Analogien – und natürlich auch für Gegensätze begabt ist; wie aus seinem griechischen Namen hervorgeht, steht es auf seiten des Paradigmatischen, des Metaphorischen. Seit Aristoteles wird das exemplum in ein wirkliches und ein fiktives unterteilt; das fiktive wird in Parabel und Fabel unterteilt; das Wirkliche umfasst historische, aber auch mythologische Beispiele, im Gegensatz zum Selbsterfundenen, und nicht zum Imaginären; die Parabel ist ein kurzer Vergleich, die Fabel (logos) eine Zusammenstellung von Handlungen. Daraus geht die narrative Natur des exemplums hervor, das sich im Laufe der Geschichte entfalten wird.“ BARTES Roland, Das semiologische Abenteuer 1441, Bd. 441,1. Aufl., Frankfurt am Main 1988, S. 58. 573 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27. 574 „Denn so geht es doch, wenn der Mensch innerlich verkommt: Zuerst verliert er das Gut, das er hat, wobei er noch den Verlust empfindet. Nach längerer Zeit vergißt er auch das Gut, das er verloren hat, und behält nicht einmal mehr in der Erinnerung womit er vorher sein Leben gestaltet hat.“ Vorwort zu den vier Büchern der Dialoge, GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 99. 575 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27. 576 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27. 162

So kehrt Gregor aus dem Leben des Alltags zurück in die Kontemplation und vice versa. Er beschreibt dies auch in dem Moralia in Job, wo die heiligen Männer nach der Kontemplation hinaus in die Öffentlichkeit treten und auch wider zu ihr zurückkehren, um sich neu an der göttlichen Flamme zu entzünden. Dies drückt Gregor auch mit dem Bild eines Flusses aus, der anden Ort zurückfließt, an dem er entsprungen ist.577 Auch im modernen Dialog werden Probleme nicht dort behandelt, wo sie sich bereits manifestiert haben, sondern an ihrem Ursprung, um die Veränderungen an der Quelle des Denkens und Fühlens zu erreichen.578 Auch hier ist der Vergleich mit dem Fluss, wo man flussaufwärts zum Ursprung des Denkens geht. In diesem Zusammenhang oder aufgrung dieser Geisteshaltung oder Ideologie Gregors entstehen die vier Bücher der Dialoge.Die inneren Überzeugungen oder Gewissheiten zur richtigen Lebenswese immer wieder im Verhältnis zum Ganzen oder zu den Anforderungen des Lebens zu sehen, dieses in sich gehen und im Einklang mit Gott zu leben um dies wiederum dem tatsächlichen Leben gegenüberzustellen, darum, denke ich, geht es Gregor. Diese Erinnerungen an die wahren Werte oder Tugenden sind auch eine Art therapeutische Funktion für Gregor.579 Das Wachhalten oder sich vergegenwärtigen der Erinnerung an das kontemplative Leben passiert für Gregor am ehesten im Hinschauen auf Menschen, die diesen Weg gegangen sind: „Denke ich an das Leben einiger, die die gegenwärtige Welt ganz entschieden verlassen haben, wird mein Schmerz manchmal noch größer. Sehe ich dann, welche Höhe sie erreicht haben, erkenne ich, wie tief unten ich selber stehe. Viele von ihnen lebten im Verborgenen in Einklang mit dem Schöpfer. Der allmächtige Gott bewahrte sie vor den Mühseligkeiten dieser Welt, damit nicht durch die Verpflichtungen des Alltags ihr jugendlicher Geist alt werde.“580 Auch im modernen Dialog geht es darum, immer wieder innezuhalten, zurück zum Ursprung des Denkens zu gehen, um Mentale Modelle oder gesellschaftlich oder aufgrund der Lebensanforderungen bedingte Glaubenssätze zu hinterfragen, um etwa eine Korrektur zum Leben oder Veränderungen herbeizuführen.

577 Vgl. dazu: Moralia 2,8 (1495,63ff Adriaen) zitiert nach: GRESCHAT Katharina, Die Moralia in Job Gregors des Großen, S. 202, http://books.google.at/books?id=aFV_wOPMCKkC&pg=PA6&lpg=PA6&dq=j.+richards++gregor+der+gro%C 3%9Fe&source=bl&ots=c7U21pKPcm&sig=A- 55gWU5aH7ChiLPMqUFAkYCj5Q&hl=de&sa=X&ei=MqliU5GLEtDQ7AaUkYGYAw&ved=0CDYQ6AEw AjgK#v=onepage&q=kontemplation%20%20gregor%20der%20gro%C3%9Fe&f=false, Zugriff am 29.4.2014. 578 Vgl. dazu: ISAACS William, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, Die neue Kommunikationskultur, aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher, 2. Auflage, Berlin 2011, .S 30. 579 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 580 Vorwort zu den vier Büchern der Dialoge, GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 2. 163

„In den Lebensgeschichten seiner Väter erblickt Gregor, was er für sein eigenes Leben wenigstens in Ansätzen zu bewahren sucht […] Dieses Hinschauen auf die Väter als Ansporn und Korrktur bildet für Gregor das Grundanliegen bei der Abfassung der Dialoge. […] So erzählt Gregor die exempla der Väter nicht nur zur Erbauung der Gläubigen, sondern auch für sich, um im Erinnern Trost und Stärke, aber auch ein Korrektiv zu finden auf seinem Weg dem Herrn entgegen.“581 Also einerseits dienten Gregor die Dialoge um seine Erinnerung wachzuhalten, um im Hinschauen auf die Väter Ansporn und Korrektur zu finden, andererseits wollte Gregor die Tugendbeispiele und die Wundertaten jener heiligen, in Italien lebenden Männer erzählen, da deren Ruf nur in manchen Klöstern und Städten bekannt waren, nicht aber im ganzen Lande.582 „Die Tugendbeispiele sollten die Leser zur Nachahmung aufmuntern, die Wunder aber sollten sie mit Vertrauen auf Gott erfüllen und unter all den Bedrängnissen der Zeit auf das Übernatürliche und Ewige hinweisen.“ 583

Gregor sah etwa in Sulpicius Severus ein Vorbild, der die Wundertaten des heiligen Martinus in Gallien erzählte.584

581 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 99. 582 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu den Dialogen, Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1., S. 7. 583 FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor der Grosse, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel : F. Pustet, 1933. 584 Vgl. dazu: “Das wunderreiche Leben der ägyptischen und palästinensischen Mönche fand seine Erzähler in Rufinus, der zwischen 403 und 410 die lat. Vitae patrum verfaßte, und in Palladius, der 420 die Historia Lausiaca schrieb. Sulpicius Severus erzählte die Wundertaten des hl. Martinus in Gallien; sie wurden in den Klöstern vorgelesen und gingen in frommen Kreisen von Mund zu Mund. Dazu entstanden im ersten Viertel des 6. Jahrhunderts die Gesta Martyrum, die Gregor sicher nicht unbekannt blieben.“ DUFOUCQ A., Etudes sur les „Gesta martyrum” romains, Paris 190 164

5.6 Modelle für die Dialogi

5.6.1 Die Vita Martini des Sulpicius Severus

Sulpicius Severus gilt als einer der Begründer der christlichen Biographie.585 Bei Johannes Chrystostomos und bei Sulpicius Severus ist der Dialog gewissermaßen nur Rahmen, und die wiedergegebenen Gespräche entsprechen nicht dem Charakter eines Dialogs.586 „Die zeitliche Grenze bildet grundsätzlich das Jahr 400. Zu dieser Zeit waren alle Formen und Ausprägungen des Dialogs bei den Christen im Wesentlichen entwickelt. Was später kommt, ist im Grunde Wiederholung.“587 Die Martinsdialoge des Sulpicius Severus führen laut Voss über diese Zeit hinaus, da sie als eigentümliche Ausprägung des Dialogs zu sehen sind, in ihnen ist das Leben des hl. Martinus in der Form eines Wechselgesprächs zwischen dem Verfasser Sulpicius, dessen Freunden Postumianus und Gallus dargestellt.588 Diese Form wird als Dialog bezeichnet, entspricht aber nicht ganz dem antiken und altchristlichen Dialog. In diesem geht es nämlich darum, unterschiedliche Positionen anzusprechen und durch den dialektischen Fortschritt zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen. Diese Form des Gesprächs, der Fragen und Antworten, ist in der monastischen Literatur bekannt, sie ist sozusagen ein Strukturelement in der hagiographischen monastischen Literatur und in den Mönchserzählungen, wie zum Beispiel eben bei Sulpicius Severus, aber auch bei Gregor. Die Dialogsituation ist fiktiv, sie soll dem Leser die Ursprünglichkeit oder die Wirklichkeit vermitteln. Auch im Rhetorikunterricht war es üblich, dass historische Ereignisse in der Form

585 Vgl dazu: VIELBERG Meinholf, Der Mönchsbischof von Tours im ‚Martinellus‘, S. 13 http://books.google.at/books?id=GtfilKiwRgYC&pg=PA315&lpg=PA315&dq=P.h.+Schmidt,+zur+Typologie+ und+literarisierung+des+lateinischen+Dialog&source=bl&ots=yG5k3jU4w4&sig=ROwZD9bUnmsS44kF9bFg- ZUOOYk&hl=de&sa=X&ei=DmD- UYDVE8LMhAeGxYDgCw&ved=0CDQQ6AEwAg#v=onepage&q=P.h.%20Schmidt%2C%20zur%20Typolo gie%20und%20literarisierung%20des%20lateinischen%20Dialog&f=false, Zugriff am 22.7. 2013. 586 Vgl. dazu: „[…] Die Behandlung der dialogischen Schriften von Johannes Chrysostomos und Sulpicius Severs, bei denen der Dialog nur Rahmen ist und die wiedergegebenen Gespräche dem Charakter des Dialogs kaum gerecht werden, erklärt sich aus ihrer Abhängigkeit von traditionellen, wenn auch nicht wesentlichen Bestandteilen des literarischen Dialogs.“ VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.14. 587 VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.14f. 588 „Gallus und ich waren zusammengekommen. Dieser Mann ist mir überaus teuer, einmal wegen des Andenkens an Martinus, dessen Schüler er war, dann auch seiner eigenen Verdienste wegen. Unerwartet fand sich auch mein lieber Postumianus bei uns ein; er war unsertwegen aus dem Orient heimgekehrt. Vor drei Jahren hatte er sein Vaterland verlassen und sich dorthin begeben. Ich umarmte den liebtrauten Freund und küßte ihn auf Knie und Füße. Wir gingen voll Entzücken, Freudentränen in den Augen, einigemal auf und ab. Dann breiteten wir die rauhen Mäntel auf den Boden und ließen uns nieder." SULPICIUS SEVERUS (um 420) Drei Dialoge (Dialogi; über den hl. Martinus) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger Text ohne Gewähr Text aus: Des Sulpicius Severus Schriften über den hl. Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 20) Kempten; München : J. Kösel, 1914, S.2. 165 eines Dialogs vorgetragen wurden. Der Dialog ist also Einkleidung und soll der Auflockerung dienen.589 Sulpicius Severus erwähnt dies im 3. Dialog: „Ich habe die Form des Dialogs gewählt, um die Langeweile zu verscheuchen und dem Leser Abwechslung zu bieten. Aber ich erkläre feierlich, nur geschichtliche Wahrheit will ich gewissenhaft zur Darstellung bringen.“590 Also der Dialog ist bei Sulpicius Severus quasi nur Einkleidung, er soll die Lektüre abwechslungsreich machen, der Inhalt der Dialoge ist allerdings nicht in Form von Erörterung, sondern es sind Erzählungen. Der Rahmen ist fiktiv, für die Erzählungen wird allerdings Wahrheitsanspruch erhoben, was jedoch in Kontrast zueinander steht.591 Das Werk des Sulpicius Severus besteht aus zwei Gesprächen, diese finden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt. Der ersten Teil enthält den Reisebericht von Postumianus, der von seinen Erlebnissen bei den Mönchen in Ägypten erzählt, dieser Bericht wird ab und an von seinen Hörern unterbrochen, wo diese die Taten der Mönche quasi in Beziehung zu ihren Taten oder Verhältnissen bringen. Am Ende des Berichts fordert Postumianus von Sulpicius, über den Taten von Martin zu erzählen.592 In der Folge stellt Sulpicius die Taten von Martin, die er sehr lobt, den Taten der Mönche des Orients gegenüber. Postumianus bittet um die Erzählung weiterer Taten von Martin, was nun auf Wunsch von Sulpicius, Gallus übernimmt, da er als Schüler Martins besser informiert oder unterrichtet sei.593 Es folgt nun

589 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 31, dazu auch: VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.308. 590 SULPICIUS SEVERUS, Drei Dialoge (Dialogi; über den heiligen Martinus), Generiert von der elektronischen BKV, von Gregor Emmenegger, Des Sulpicius Severus Schriften über den heiligen Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter. 1. Reihe, Band 20) Kempten, München: J. Kösel, 1914. Maren Klostermann, Stuttgart 1996, Dialog 3,5. 591 Vgl. dazu: VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.308. 592 „[…] Ich habe euch genug geboten, ja vielleicht mehr als recht ist geredet. Jetzt mußt du — das galt mir — den schuldigen Zins bezahlen. Wir wollen dich über deinen Martinus, so sagst du ja gewöhnlich, vielerlei erzählen hören. Schon längst brennt mein Herz in Sehnsucht darnach“ SULPICIUS SEVERUS, Drei Dialoge (Dialogi; über den heiligen Martinus), Generiert von der elektronischen BKV, von Gregor Emmenegger, Des Sulpicius Severus Schriften über den heiligen Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter. 1. Reihe, Band 20) Kempten, München: J. Kösel, 1914, S. 17. 593 „[…] ‚Meiner Ansicht nach ist es besser, wir wenden uns mit diesem Verlangen an Gallus. Der weiß noch manches, da ihm, dem Schüler, die Werke seines Meisters nicht unbekannt sein können. Diesen Gegendienst schuldet er billigerweise nicht bloß Martinus, sondern auch uns; denn ich habe schon ein Buch herausgegeben; du hast bis jetzt von den Orientalen erzählt. So soll denn Gallus das Gespräch unserer freundschaftlichen Unterhaltung weiterführen, er ist uns ja, wie schon gesagt, diese Gegengabe schuldig. Er wird auch Martinus zuliebe gern ohne Widerstand von dessen Taten berichten'. “ SULPICIUS SEVERUS, Drei Dialoge (Dialogi; über den heiligen Martinus), Generiert von der elektronischen BKV, von Gregor Emmenegger, Des Sulpicius Severus Schriften über den heiligen Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter. 1. Reihe, Band 20) Kempten, München: J. Kösel, 1914, S. 19f. 166 am nächsten Tag der Bericht von Gallus, der wieder ab und an durch Bemerkungen von den Freunden unterbrochen wird. Das Gespräch endet am Abend, beziehungsweise bei Einbruch der Nacht, weil ein befreundeter Prespyter gemeldet worden ist.594 Am nächsten Tag gesellen sich noch zwei Freunde dazu, und Gallus führt seinen Bericht fort, wobei die beiden Freunde des Öfteren als Zeugen für die erzählten Ereignisse aufgerufen werden, und der Bericht wird in der Folge zunehmend mirakelhafter. In der Folge verliert sich allerdings der Dialog-Charakter, zwar nimmt Postumianus nochmals Stellung zu einem der vorgetragenen Ereignisse, doch dann wird das Gespräch entgegen der Erwartung nicht fortgesetzt, sondern Sulpicius bricht das Gespräch ab, da es dunkel werde, und es mit dem Erzählen der Taten Martins doch nie zu einem Ende käme. Severius beauftragt Postumianus die Vita Martini und die Berichte von Gallus überall bekannt zu machen, sowie er in Jerusalem das Grab eines Freundes besuchen solle. In Trauer an diese betrübliche Erinnerung doch in großer Bewunderung für Martin geht man auseinander.595 Bernd Reiner Voss schreibt: „Gennadius596 bezeichnet das Werk als ein Streitgespräch zwischen Postumianus und Gallus über die Frage, ob Martin oder die orientalischen Mönche

594 „[…]Gallus war noch am Erzählen und mit seinem Stoffe nicht zu Ende, als ein Diener eintrat und meldete, der Priester Refrigerius stehe draußen. Da schwankten wir nun unschlüssig, ob wir Gallus noch zuhören oder dem sehnlich erwarteten Manne, den Berufsgeschäfte zu uns führten, entgegengehen sollten. Gallus aber sagte: ‚Müßte ich auch ob der Ankunft dieses heiligen Priesters meine Erzählung nicht beschließen, so nötigte doch die Nacht, der bisher geführten Unterhaltung ein Ende zu machen. Da jedoch noch lange nicht alles über die Wundertaten des Martinus erzählt werden konnte, so möget ihr euch heute mit dem Gehörten begnügen. Morgen werde ich weiter erzählen.‘ Wir waren mit diesem Versprechen des Gallus einverstanden und erhoben uns daher von unsern Sitzen.“ SULPICIUS SEVERUS, Drei Dialoge (Dialogi; über den heiligen Martinus), Generiert von der elektronischen BKV, von Gregor Emmenegger, Des Sulpicius Severus Schriften über den heiligen Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter. 1. Reihe, Band 20) Kempten, München: J. Kösel, 1914, S. 31. 595 „[…]Da ich bemerkte, wie die Sonne unterging und schon die Dämmerung anbrach, sagte ich: ‚Postumianus, der Tag ist zur Neige gegangen; wir müssen uns erheben; haben doch auch so aufmerksame Zuhörer ein Mahl verdient. Du darfst nicht erwarten, daß der Erzähler mit Martinus an ein Ende käme. Seine Persönlichkeit ist zu bedeutend, als daß sie sich in die Grenzen irgendwelcher Worte einzwängen ließe. […] Während ich dabei mit schluchzender Stimme seufzte, füllten sich bei meinem Wehklagen aller Augen mit Tränen; wir gingen auseinander, das Herz voll Bewunderung für Martinus, aber auch ebenso mit bitterem Schmerze ob unserer Zähren.“ SULPICIUS SEVERUS, Drei Dialoge (Dialogi; über den heiligen Martinus), Generiert von der elektronischen BKV, von Gregor Emmenegger, Des Sulpicius Severus Schriften über den heiligen Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter. 1. Reihe, Band 20) Kempten, München: J. Kösel, 1914. Vgl. dazu: VOSS Bernd Rainer, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.308f. 596 GENNADIUS, De viris illustribus, 19, zitiert nach VOSS Reiner Bernd, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 310, dazu auch: „Nach Gennadius lautete der Titel Conlatio Postumiani et Galli, und das Werk umfasste zwei, nicht, wie auf Grund handschriftlicher Überlieferung in den Ausgaben üblich geworden ist, drei. Die Absicht ist, zu zeigen, dass Martins Tugenden und Taten selbst die der viel gefeierten ägyptischen Asketen übertreffen. Seinen Zweck sucht Severus nicht etwa durch das abgegriffene Mittel der Verkleinerung zu erreichen. Er lässt im Gegenteil den Postumianus, einem ihm befreundeten Aquitaner, der bereits zweimal den Orient bereist hat, und vor dem Antritt einer dritten Reise steht, einen bewundernden Bericht über die heiligen Männer erstatten, die er in Ägypten kennengelernt hat. Umso wirkungsvoller ist es, wenn er nun, trotz allem überzeugt von der überragenden Wunderkraft seines Heiligen, einen von dessen Schülern, den Gallus, von den Taten seines Meisters erzählen lässt, der mehr geleistet habe als alle anderen. Das 167 den Vorrang verdienten; Sulpicius habe die Rolle des Richters übernommen. Damit ist auch der Charakter des Dialogs völlig verzeichnet, darüber hinaus auch im Tatsächlichen entstellt, so ist doch mit dem Moment des Vergleiches etwas Richtiges gesehen. Das Thema wird verschiedentlich angeschlagen, der Vorrang wird jedoch von allen ohne Zögern Martin zuerkannt. Es fehlt also das dramatische Moment, das nach Grenadius zu erwarten wäre und der Wahl der Dialogform auch innere Berechtigung hätte verleihen können. So aber bieten Leben und Wundertaten der orientalischen Mönche lediglich den Hintergrund, vor dem die fraglose Größe Martins in umso hellerem Licht erscheint.“597 Der Gegenstand des Werkes lud zwar nicht zur dialogischen Behandlung ein, dennoch hatte sich Sulpicius an die von Cicero begründete und fast nur von ihm vertretene Tradition des lateinischen Dialogs angeschlossen. Ähnlich wie bei Cicero sprechen auch bei Sulpicius Severus der Verfasser und seine Freunde und das Gespräch ist der Öffentlichkeit entzogen, also nicht nur äußerlich beziehungsweise räumlich, auch das tägliche Leben und der Wirren der Zeit werden ausgeschlossen. „Der Dialog gehört auch hier in den Bereich des otium,598 doch wie bei Cicero dringt die Welt des negotium hin und wieder schmerzhaft herein. Anders als bei Cicero werden hier jedoch nicht die theoretischen Grundlagen des negotium während des otium geklärt. Das Gespräch ist nicht Erholung durch geistiges Bemühen, sondern Unterhaltung. An die Stelle der Philosophie im weitesten Sinne ist nicht die Theologie getreten, sondern die Erbauung.“599 Das entspricht allerdings nicht dem antiken, klassischen Dialog, wo es um die geistige, vernunftmäßige Erörterung geht, der Dialog als Darbietungsform ist für den Gegenstand demnach völlig ungeeignet, sondern der Dialog wird lediglich zur literarischen Einkleidung. Das Werk entspricht quasi nicht der antiken Definition

Werk, dessen Einkleidung vielleicht nur litterarische Fiftion ist, entstand um 404.“ GENNADIUS, De viris illustribus, ed. C. A. Bernoulli, Frankfurt 1968, S. 69, zitiert nach: SCHANZ Martin, Geschichte der römischen Literatur, bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian, 2. Bd. Die Literatur des fünften und sechsten Jahrhunderts, SCHANZ Martin, HOSIUS Carl, KRÜGER Gustav, München 1920, S. 474. vgl. dazu: GENNADIUS, De viris illustribus, ed. C. A. Bernoulli, Frankfurt 1968, S. 69. 597 VOSS Reiner Bernd, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.309f. 598 „Das Phämomen der römischen Villenkultur ist nahezu untrennbar mit dem Begriff otium (‚Muße, Ruhe von Berufstätigkeit‘) verbunden. Mit otium pflegte man ursprünglich jene Zeit der feriae zu bezeichnen, in der man sich auf den Dienst an der res publica vorbereitete, oder mit schöngeistigen Dingen, zum Beispiel Literatur, Kunst, Philosophie, Musik und Theater beschäftigte – es bedeutete also nicht den Müßiggang im heutigen Sinne. Der eigentliche Dienst an der res publica stellte das negotium (‚Unmuße, Staatsdienst‘) dar. Otium und negotium schließen sich dabei keineswegs aus; man hat sie sich als ein komplementäres Begriffspaar zu denken, das zwei wichtige Pole im Leben der römischen Aristokratie markiert. Das otium bildet Cicero zufolge den ‚Hafen‘ der Ruhe und Geborgenheit, in den man sich zurückziehen und so den Geschäften des Alltags entfliehen kann.[…]“ MAYER Jochen Werne, Imus ad villam, S. 25, http://books.google.at/books?id=VzIuN48b8hkC&pg=PA25&lpg=PA25&dq=otium+und+negotium+bei+cicero &source=bl&ots=k-5hj9xdc3&sig=uXjDY5_1s_7Eew- xq3xP_SDQF_U&hl=de&sa=X&ei=5diDUtGXIcGu4ATPhIHgAQ&ved=0CFkQ6AEwBg#v=onepage&q=otiu m%20und%20negotium%20bei%20cicero&f=false, Zugriff am 29.9.2013. 599 VOSS Reiner Bernd, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.311. 168 von Dialog, und ist von daher nicht als solcher zu sehen. Allerdings kann man auch nicht von einer Unterhaltung sprechen, da Sulpicius sein Werk selbst etwa in der Tradition des Dialogs gesehen hat.600 Bernd Reiner Voss sieht hier eine Vermischung zweier völlig verschiedenartiger und verschiedener Rangformen: „[…] der hochliterarischen des ursprünglich philosophischen Dialogs und der volkstümlichen der Reise-Erzählung, […]In der deutlichen Anwendung der Dialogformen auf die Wundererzählung hat Sulpicius den ersten Schritt zu einer Form getan, die über Gregor den Großen mit seinen Dialogen zu Caesarius von Heisterbach führt und in säkularisierter Gestalt in den Novellenkränzen eines Bocaccio weiterlebt.“601

5.6.2. Die Vita Antonii des Athanasius

Die Vita des Antonius ist 365 oder 357 entstanden.602 Es werden die Lebensschicksale des Antonius, Patriarch der ägyptischen Eremiten, geschildert. Sie war, wie in der Einleitung und im Schluss vermerkt, für weitere Kreise bestimmt, und sollten einerseits ein Spiegel der Askese für die Mönche sein, andererseits sollte sie aber auch für das asketisch-mönchische Leben werben. Athanasius konnte wegen seiner persönlichen Erfahrungen ein perfektes Bild dieser eigenartigen Persönlichkeit und der Umgebung entwerfen. Er hatte auch schon vorher sein Publikum im Westen des Reiches vorbereitet, was hilfreich war für die positive Aufnahme des Buches. Dies erklärt auch die lateinische Übersetzung des Euagrius603 und ihre rasche Verbreitung, man las die Vita Antonii schon zwanzig Jahre nach dem Tode des Eremiten.604

600 Vgl. dazu: VOSS Reiner Bernd, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.310. 601 VOSS Reiner Bernd, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.312. 602 „Die Vita des Antonius ist nach dem Ansatz von Montfaucon um 365, nach Eichhorn (s. u.) 357 entstanden.“ ATHANASIUS (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 5ff. 603 DÖRRIES Hermann, Die Vita Antonii als Geschichtsquelle, S. 407, http://books.google.at/books?ei=8KJjU8izOYSQ7AaK6IC4Cw&hl=de&id=0WBEAQAAIAAJ&dq=echtheit+d er+Vita+antonii+des+athanasius&focus=searchwithinvolume&q=%C3%BCbersetzung+euagrius, Zugriff am 1.5.2014. 604 „Dieser Umstand erklärt auch das Entstehen der lateinischen Übersetzung des Euagrius und ihre rasche und fast ausschließliche Verbreitung; denn man las die Vita des Antonius schon zwanzig Jahre nach dem Tode des Eremiten (+ 356) um 376 in Trier, und zwar, wie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, in der Übersetzung des Euagrius. Auch Hieronymus hat die Übersetzung des Euagrius benützt. […] Von einem Unbekannten wurde das Buch auch in das Syrische übersetzt, ein Umstand, der bei einer zusammenfassenden Betrachtung der Legendenliteratur wohl im Auge behalten werden muß.“ Athanasius (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 5ff. 169

Hans Mertel schreibt in der Einleitung zu Athanasius, Vita des Antonii: „Von denVätern wurde das Werk hochgeschätzt; Hieronymus nennt es ein insigne volumen;605 auch sonst liegen zahlreiche Zeugnisse für seine Benützung vor, und wohl noch größer ist die Anzahl der Fälle, wo die Vita ohne ausdrückliche Angabe als Vorlage für ähnliche Literaturerzeugnisse gedient hat.“606 Die gesamte hagiographische Literatur, so sie aus biographischen Erzeugnissen besteht, ist in ihrer Entwicklung etwa von der Vita Antonii beeinflusst worden.607 Laut Mertl hat Athanasius die rhetorischen Kunstmittel der Legende dienstbar gemacht, durch ihn erhielt ihre Form eine merkwürdige Ausprägung. Diese lässt das Werk als eine Mischung von Lobrede und eigentlicher Biographie erscheinen.608 „[…] -Lobrede in Einleitung und Schluß, Biographie in der streng zeitlichen Anordnung des Stoffes nach plutarchisch-peripatetischem Schema, er hat endlich auch dem Wunderbericht seine bezeichnende Bedeutung gegeben. Man darf sagen: Athanasius leitet die antike Biographie hinüber in das neue Bett der byzantinischen Legendenliteratur, und zwar ohne jede Absicht, nur rein aus dem Drang heraus, das Lebensideal, das ihm geleuchtet, das er in seinem Meister verehrt, anderen darzustellen.“609 Euagrius, der um 362 nach Italien kam, hat die lateinische Version der Vita Antonii wahrscheinlich unter dem Einfluss seines Freundes Hieronimus geschrieben.610

605 De viris illustribus, ed. E.C. Richardson, Hieronymus: Liber de viris inlustribus, Gennadius: Liber de viris inlustribus, Texte und Untersuchungen 14-1, Leipzig 1968, S.98. 606 Athanasius (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 4. 607 Vgl. dazu: TETZ Martin, Athanasiana: Zu Leben und Lehre des Athanasius, S. 21, http://books.google.at/books?id=mgvd685HCT8C&pg=PA155&dq=echtheit+der+Vita+antonii+des+athanasius &hl=de&sa=X&ei=8KJjU8izOYSQ7AaK6IC4Cw&ved=0CDUQ6AEwAQ#v=onepage&q=echtheit%20der%20 Vita%20antonii%20des%20athanasius&f=false, Zugriff am 1.5.2014. 608 Vgl. dazu: Athanasius (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 6. 609 ATHANASIUS (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 5f. 610 „Freilich ist bei den persönlichen Beziehungen, die sich früh zwischen Athanasius und Euagrius angesponnen haben, auch die Möglichkeit nicht ganz abzuweisen, daß Euagrius seine lateinische Übertragung mit nach dem Westen nahm. Nach der Rückkehr des Euagrius aus Italien, die 369 oder 370 erfolgte, kann die Arbeit nicht geschrieben worden sein; denn sein Gefährte Innozentius, an den die Widmung der lateinischen Fassung gerichtet ist, starb bald nach der Ankunft in Syrien.“ ATHANASIUS (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 6. 170

Euagrius übersetzte allerdings die Vita Antonii nicht, sondern er übertrug sie gewissermaßen, denn er kürzt größtenteils, selten bringt er mehr, so er dies tut, dann mit der Intention dem Römer verständlicher zu werden. „Von treuer Wiedergabe des Wortlautes ist keine Rede, Umstellungen sind ganz gewöhnlich, nur in einem Punkte hat er Respekt vor seiner Vorlage: Die Bibelstellen bringt er so ziemlich wie der griechische Text.“611

Der Zweck und die Entstehung der Vita, sind im Vorwort der Vita Antonii zu finden, wo die Bitte geäußert wird, näheres über den Lebenswandel des seligen Antonius zu erfahren und wie dieser mit der Askese anfing, wie Antonius vor ihr gewesen sei und wie sein Lebensende war, ferner, ob das, was man von ihm berichtet, wahr sei - um etwa nach seinem Vorbild das Leben zu wandeln. Im Begleitschreiben, das an die Mönche in der Fremde612 gerichtet ist, steht: „Einen trefflichen Wettstreit habt ihr mit den Mönchen in Ägypten begonnen, da ihr euch vornahmt, jenen gleich zu werden oder sie womöglich noch zu übertreffen durch eure Übung in der Tugend. Denn auch bei euch gibt es jetzt Klöster, und der Name ‚Mönch‘ hat Geltung. Diesen euren Vorsatz kann man mit Recht loben, und Gott wird auf euer Gebet hin die Erfüllung gewähren. Ihr habt euch aber auch an mich gewandt wegen des Lebenswandels des seligen Antonius und wollt erfahren, wie er mit der Askese anfing, wie er vor ihr gewesen ist und welches sein Lebensende war, ferner, ob das, was man von ihm berichtet, wahr sei - um nach seinem Vorbild eure Bahn zu wandeln -; euren Auftrag habe ich mit großer Bereitwilligkeit übernommen; denn auch für mich ist schon die bloße Erinnerung an Antonius ein großer und nützlicher Gewinn. […].“613 Theofried Baumeister meint, dass es in literarischer Form keine direkte Abhängigkeit von einer bestimmten nichtchristlichen Vita gab. Es bestand jedoch eine allgemeine antike Tradition bezüglich der Biographie, und in dieser stand etwa auch Athanasius. Er war

611 ATHANASIUS (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 5. 612 Hans Mertel bemerkt zur ‚Fremde‘: „Wenn etwas mehr dahintersteckt als bloß eine literarische Fiktion - und es scheint so -, so läßt sich mit größter Wahrscheinlichkeit vermuten, daß damit der Westen des Mittelmeeres gemeint ist, vielleicht Italien oder Gallien. In Gallien wurde die Vita des Athanasius schon bald nach ihrer Abfassung gelesen. Auch hätte dieser rege literarische Verkehr zwischen Morgen- und Abendland weiter nichts Auffallendes.“ ATHANASIUS (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 5f. 613 […].“ Athanasius (295-373) Leben des heiligen Antonius (Vita Antonii) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Jürgen Voos Text ohne Gewähr Text aus: Athanasius, Ausgewählte Schriften Band 2. Aus dem Griechischen übersetzt von Anton Stegmann und Hans Mertel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31) München 1917, S. 8. 171 gewissermaßen dem Enkomion verpflichtet, also der Lobrede, quasi einer preisenden Darstellung eines ganz und gar heiligen Lebens und auch des Weges, welcher dorthin führte. Die Vita des Antonius ist die zweite christliche Via nach der Vita Cypriani, die in der ersten Hälfte eine Ruhmrede auf den Bischof wiedergibt und in der zweiten Hälfte einen Martyrium berichtet.614

5.7 Der Aufbau und der Inhalt der Dialoge Gregors des Großen

Das Werk beginnt mit einem Vorwort, in dem Gregor dem Leser mitteilt, aus welcher Motivation heraus und mit welchem Ziel er die Dialoge geschrieben hat. Zum einen sind sie entstanden aus Gregors Sehnsucht nach dem klösterlicheen Leben,615 um im Verfassen der Dialoge Trost zu finden einerseits und zur Erinnerung an das kontemplative Leben andererseits. Das Hinschauen auf die Väter als Ansporn und Korrektur bildete für Gregor ein Grundanliegen bei der Abfassung der Dialoge. In weiterer Folge sollten die Tugendbeispiele der Wundertaten die Leser zur Nachahmung aufmuntern, die Wunder sollten diese mit Vertrauen auf Gott erfüllen und auf das Übernatürliche und Ewige hinweisen.616

614 Vgl. dazu: BAUMEISTER Theofried, Resümee zur Vorlesung vom Sommersemester 2009, Die Entstehung des christlichen Mönchtums und die frühe monastische Literatur, HTTP://WWW.GOOGLE.AT/URL?SA=T&RCT=J&Q=&ESRC=S&SOURCE=WEB&CD=6&VED=0CEEQFJAF&URL=HTT P%3A%2F%2FWWW.UNI-MAINZ.DE%2FFB%2FKATH%2FAKG%2FDATEIEN%2FBAUMEISTER- 09.DOC&EI=KEWUUQXN6OJ4ATO9YDICG&USG=AFQJCNE8MLWSIAFGU_AGAMCRIROQ448GDQ&BVM=B V.52434380,D.BGE. 615 „Meine arme, von der Arbeitslast verwundete Seele denkt zurück, wie glücklich sie einst im Kloster war, wie alles Hinfällige weit unter ihr lag, wie sie alles Wandelbare hoch überragte, wie sie nur an Himmlisches zu denken gewohnt war und wie sie, wenngleich im Körper zurückgehalten, doch die Grenzen des Fleisches in der Betrachtung überschritt, wie sie sogar den Tod, den doch fast alle als eine Strafe empfinden, lieb gewann, als den Eingang zum Leben und als Lohn für ihre Mühen.“ Prolog zu den Vier Büchern der Dialoge, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 11. 615 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 7. 616 VGL. dazu: GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 7 , vgl. dazu 172

In den Dialogen von Gregor gibt es zwei Gesprächspartner, nämlich Gregor und seinen Diakon Petrus, der mit seinen Fragen Gregor bittet oder auffordert die Wunderberichte zu erzählen. Carmen C. De Hartmann schreibt über Gregors Dialoge: „Gregor gelingt in seinen Dialogi die Vereinigung beider Aspekte, der doktrinalen Unterweisung und der vorgelebten Anleitung zum monastischen Lebenswandel. Er hat wohl Sulpicius Severus617 und Cassianus gekannt, sein Dialog hat jedoch eine neue, charakteristische und unverwechselbare Prägung. Sie kommt nicht nur von der konsequenten praenotatio nominum (die Redebeiträge werden durch Namen eingeführt), von der Reduktion der narrativen Umrahmung auf ein Minimum und von der klaren, gut verständlichen Sprache.“618 Bezüglich der klaren und gut verständlichen Sprache ist eine Prallele zum modernen Dialog zu ziehen, in dem es auch darum geht, klar, deutlich und übersichtlich zu sprechen, um Missverständnisse zu vermeiden, was beinhaltet, offenzulegen, woher die Annahmen oder Gewissheiten kommen einerseits und sich kurz zu fassen andererseits, um mit den Gesprächspartnern ein gemeinsames Bild zu schaffen, um Neues zu entwickeln und nicht nur der elocuencia wegen große Reden zu schwingen, oder um durch Redegewandtheit andere zu überzeugen oder zu besiegen. Auch im modernen Dialog geht es darum, durch vernunftmäßige Erörterung oder durch tugendhafte oder erfolgreiche Beispiele von ‚Vätern‘ oder Vorbildern Wahrheiten oder Gewisssheiten zu hinterfragen, um neue, im besten Fall von allen geteilte, Perspekiven zu gewinnen. In Gregors Dialogen ist etwa auch das kontinuierliche Gespräch von nur zwei Figuren charakteristisch, nämlich das Gespräch zwischen Gregor und seinem Subdiakon Petrus, die in einer engen Beziehung bezüglich der Lebensführung und der Lebensunterweisung stehen. Gregor wählt die Form des Dialoges, um Doktrin und Erzählung miteinander zu verbinden, damit quasi die Lehre die Exempel auslegt und auch gleichzeitig durch sie erklärt wird. Die Wunder bedeuten oder gelten Gregor immer nur als Hinweis auf das, was wirklich zählt, nämlich die inneren Werte. Oft erzählt er auch Anekdoten, die an sich nichts Wunderbares darstellen oder zeigen, nur um sie als Hinweis auf

auch: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 616 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 7. 617 MEYVAERT Paul, The Authentic Dialogues of Gregory the Great, Sacris Erudiri 43, 2004, S. 126-129, ist der Meinung , dass SulpiciusGregors Vorbild war und äußert die Vermutung, dass Gregor mit seinem Dialog etwa das Fehlen von Wundern auf italienischem Boden bei Sulpicius ausgleichen wollte. Vgl. dazu auch: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 87f. 618 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 87f. 173 eine Tugend zu nützen.619 „Gegen Ende des ersten Buches wird dies eindeutig thematisiert: Vitae namque vera aestimatio in virtute est operum, non in ostensione signorum.“620. So im XII. Kapitel: Von dem Presbyter Severus aus derselben Provinz: „Petrus. Diese Dinge, die mir bis jetzt unbekannt waren, sind höchst wunderbar. Aber was sagen wir dazu, daß man jetzt solche Männer nicht mehr finden kann? Gregorius. Ich glaube, Petrus, daß uns auch heute eine große Anzahl solcher Männer nicht mangelt; denn deswegen, weil sie keine solchen Wunder tun, müssen sie ihnen nicht ungleich sein. Denn der wahre Wert des Lebens liegt in der Tugend und nicht im Wunderwirken. Es gibt sehr viele, die, ohne Wunder zu wirken, dennoch den Wundertätern nicht nachstehen. Petrus. Wie kann man mir, ich bitte, dies beweisen, daß es viele gibt, die zwar keine Wunder tun und die trotzdem den Wundertätern nicht unähnlich sind? Gregorius. Weißt du etwa nicht, daß der Apostel Paulus im Apostelamte ein Bruder des Apostelfürsten Petrus ist? Petrus. Gewiß, das weiß ich, und es unterliegt keinem Zweifel, daß er, obwohl der geringste unter den Aposteln, doch am meisten unter allen gearbeitet hat. Gregorius. Wie du dich gewiß erinnerst, wandelte Petrus auf dem Meere. Paulus aber erlitt Schiffbruch auf dem Meere; es war auf demselben Elemente: Paulus konnte dort nicht zu Schiff fortkommen, wo Petrus zu Fuß ging. Es ist also ganz klar, daß demnach beider Verdienst im Himmel gleich ist, wenn auch beider Wunderkraft ungleich ist. Petrus. Ich gestehe, das Gesagte gefällt mir; denn jetzt erkenne ich deutlich, daß man auf das Leben und nicht auf die Wunder schauen muß. Doch da die Wunder, die geschehen, gerade von einem guten Leben Zeugnis geben, so bitte ich dich, fortzufahren, wenn du noch welche weißt, um so meine Neugier durch gute Beispiele zu befriedigen.“621 Es geht offenbar darum, tugendhaft zu leben. Im modernen Dialog geht es auch darum, sich selbst der Werte bewusst zu sein, die einerseits in den Regeln des Dialogs dagestellt sind, wo etwa Achtung oder Achtsamkeit, Ehrlichkeit, aber auch Dankbarkeit oder Demut zählen, wo Schweigen genauso wichtig ist wie wahrhaftes Zuhören, und wo es beispielsweise auch darum geht, nicht im Sprechen gelten zu wollen oder zu überzeugen, sondern zu erkunden und zu lernen, was eine gewisse Demut oder Ehrfurcht erfordert. Auch das Zuhören ist

619 VGL. dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88. 620 HARTMANN C. Cartelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400 Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S.88e, De Hartmann schreibt: „1, 12, 4 (Ed. De. Vogüè) Man beachte, wie hier das Wort virtus, das häufig ‚Wunder‘ bedeutet, eingesetzt wird, um den Wert der guten Taten zu unterstreichen“ 621 GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Buch 1/12, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 33. 174 gewissermaßen eine Tugend, wo man im Inneren still wird, den Tron des Wissenden, Sprechenden, Lärmenden verlässt, die inneren Stimmen, die Glaubenssätze und Gewissheiten, die rufen, schweigen lässt, um Vertrautes loszulassen, um gegenwärtig sein zu können, um dem Gesprächspartner aufrichtig zuzuhören, oder mit ihm mitzufühlen. Gregor entwirft etwa das Bild des Hirten, er meint, der wahre Führer der Gläubigen muss rein sein und den anderen ein Vorbild in der Tätigkeit, er muss einerseits zu schweigen verstehen, und andererseits reden können, er muss mit allen mitfühlen und er muss der Betrachtung ergeben sein, er muss ein demütiger Genosse der Guten sein, sich jedoch in gerechtem Eifer gegen das Böse stellen.622 Es geht Gregor offenbar und im modernen Dialog quasi darum, auch sprachlich den Anderen dort abzuholen wo er steht, was bedeutet, in ihn hineinzuhören, die Dinge aus seiner Perspektive zu sehen. Das erfordert einerseits Mut aber auch Selbstwert, im Sinne von, sich seiner Werte oder Tugenden bewusst zu sein, andererseits erfordert es auch die Bereitschaft, der Sache wegen, nämlich des Prozesses der Erörterung wegen, und der gemeinsamen Suche nach einer von allen geteilten Wahrheit, als Fragender oder Lernender aufzutreten, und nicht als Wissender, und da ist die Klarheit oder Einfachheit der Sprache ein enorm wichtiger Faktor. Wenn man die Gesprächspartner dort abholt wo sie stehen, muss man sich auf ihr Niveau begeben, quasi in ihrer Sprache sprechen, obgleich man anderer vielleicht anspruchsvollerer Sprache kundig wäre. Auch Gregor kennt die Regeln der Redekunst und weiß diese anzuwenden, er lässt auch hier und da Gedanken der Klassiker einfließen, doch er vermeidet oft bewusst den Redeschmuck, geht es ihm darum, die Sprache des Volkes zu sprechen, um verstanden zu werden. Auf die Spache Gregors wird weiter unter noch eingegangen.

Der Dialogpartner von Gregor ist also Petrus, der den moralischen Nutzen der Väterbeispiele sucht, und Heilige aus Tugenden erklären will. Gregor möchte die Exempla allerdings nicht nur zu Erbauung der Gläubigen erzählen, sondern auch für sich, denn die Erinnerung an diese Tugendbeispiele ist für ihn ein Steuerungselement und Korrektiv, für ihn bedeutet die Erinnerung ein ständiges Vertiefen seiner Erfahrung und die Konzentration auf das Bewahren

622 GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S. 15. 175 der kontemplativen Dimension seines Lebens.623 Dieses Wachhalten der Erinnerung gelingt am besten durch das Hinschauen auf diese Menschen, die ihren Weg mit Konsequenz gegangen sind, damit haben die Dialoge auch oder vor allem eine therapeutische Funktion für Gregor. Er sucht quasi an diesen Heiligen, was er selbst in seinem Leben nur in geringer Weise bewahren konnte, er sucht augenscheinlich die Gottesnähe, Petrus sucht allerdings Tugendbeispiele. Hier liegt eine Parallele zum modernen Dialog, indem durch das wahre Hinhören auf die Menschen oder Gesprächspartner die Aufmerksamkeit quasi nach innen gelenkt wird, wo ein gewisses inneres Schweigen entsteht, um den Menschen aufrecht zuhören zu können, um Gesprächsmuster offenzulegen. Hier dient der Dialog allerdings nicht dem Wachhalten der Erinnerung sondern dem Wachhalten der Aufmerksamkeit und der Achtung bezüglich der Sprechmuster und Denkmuster, was jedoch auch ein Stillwerden im Inneren erfordert. Der moderne Dialog dient auch der Erbauung der Gesprächspartner, dem Beispiel anderer zu folgen, und eigene Denkvorgänge offenzulegen um zu den Wurzeln der Gedankengänge zu gelangen, um letztlich Missverständnisse zu vermeiden. Im modernen wie im antiken, klassischen Dialog geht es etwa um den Prozess, um die geistige, vernunftmäßige Erörterung. Insofern entspricht der Dialog von Gregor nicht dem modernen oder dem antiken, klassischen Dialog, bei Gregor dient der Dialog eher der literarischen Einkleidung, und dennoch bietet Gregor mit der Darbietungsform des Dialos dem Leser die Möglichkeit, am Beispiel von Petrus die Wunder oder Geschichten zu hinterfragen624, oder Erkenntnisse und Lehren daraus zu ziehen.

623 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 27. 624 Im 5. Kapitel, Von Konstantius, dem Mesner an der Kirche des hl. Stephanus, hinterfagt Petrus die Demut im Inneren: „Die folgende Erzählung verdanke ich einem meiner Mitbischöfe, der viele Jahre in der Stadt Ankona als Mönch zubrachte und dort ein Klosterleben von nicht gewöhnlicher Frömmigkeit führte. Mit ihm stimmen auch einige ältere Leute unter uns überein, die aus jener Gegend stammen. In der Nähe jener Stadt also liegt eine Kirche zum seligen Märtyrer Stephanus, an der ein Mann von ehrwürdigem Wandel namens Konstantius das Amt eines Mesners versah. Der Ruf seiner Heiligkeit war weit und breit zu den Leuten gedrungen, da er die irdischen Dinge von Grund aus verachtete und mit aller Kraft der Seele nur nach dem Himmlischen verlangte. Da nun eines Tages in jener Kirche das Öl ausging und dem Diener Gottes nichts zu Händen war, womit er die Ampeln hätte anzünden können, füllte er alle Ampeln in der Kirche mit Wasser und tat wie gewöhnlich den Papyrusdocht hinein; darauf nahm er Feuer und zündete die Ampeln an, und das Wasser brannte in den Ampeln wie Öl. Stelle dir also vor, Petrus, wie reich an Verdiensten der Mann gewesen sein muß, der im Notfalle die Natur eines Elementes verwandeln konnte! Petrus. Das ist sehr wunderbar, was ich da höre; ich möchte aber gern wissen, wie demütig dieser Mann in seinem Innern sein konnte, der nach außen hin so glänzte. Gregorius. Mit Recht forschest du bei Wunderwerken nach dem Zustand der Seele, weil es gar oft vorkommt, daß die Wunderdinge, die nach außen hin geschehen, innerlich die Seele in ihrer Art in Versuchung führen. Wenn du aber auch nur Eines hörst, das dieser ehrwürdige Konstantius vollbracht hat, so wirst du sogleich sehen, wie demütig er war. Petrus. Nachdem du mir ein solches Wunder von ihm erzählt hast, mußt du mich auch noch mit seiner Seelendemut erbauen. Gregorius. Da der Ruf von seiner Heiligkeit sehr groß geworden war, hatten viele Leute aus verschiedenen Gegenden das sehnlichste Verlangen, ihn zu sehen. Eines Tages kam nun ein Bauersmann von weither, um ihn zu sehen. Es traf sich zufällig, daß der heilige Mann zur selben Stunde gerade 176

Petrus bittet also Gregor, die Schriftauslegungen unterbrechen, um ihm von den Tugendbeispielen dieser heiligen Männer zu erzählen, denn die Erinnerung an solche Tugendbeispiele sei ebenso erbaulich. Petrus meint: „Denn bei der Schriftauslegung sehen wir, wie die Tugend erworben und bewahrt wird; aus der Erzählung der Wunder aber erkennen wir, wie die erworbene und bewahrte Tugend sich offenbart. Auch werden manche eher durch Beispiele als durch Lehren zur Liebe zum himmlischen Vaterlande entflammt. Es entspringt sogar in der Regel aus der Erzählung der Väterbeispiele für den Zuhörer ein doppelter Nutzen, insofern er nämlich durch den Vergleich mit den Vorfahren zur Liebe zum zukünftigen Leben angeeifert wird und zugleich in seiner Selbsteinschätzung sich gedemütigt findet, wenn er Größeres an anderen wahrnimmt.“625 Auch hier liegt eine Parallele zum modernen Dialog vor: In der klassischen Council-Runde626, werden Geschichten erzählt, und keine Methoden oder Vorgangsweisen demonstriert, und aus diesen Geschichten nehmen die Teilnehmer der Dialogsrunden das mit, was sie brauchen, um anschließend zu wissen, was zu tun ist, es ist eine andere Art der Aufmerksamkeit und eine andere Wahrnehmung der Gesprächspartner und der Gesprächsmuster.

Auf Anfrage von Petrus beginnt Gregor nun sofort von den ehrwürdigen Männern zu erzählen. Im I. und III. Buch erzählt er von verschiedenen heiligen Männern, im II. Buch widmet er sich ganz dem Leben des heiligen Benedikt, und im IV. Buch beschäftigt er sich mit dem Fortleben der Seele nach dem Tod, mit dem Ableben verschiedener Personen und mit Visionen über den bevorstehenden Tod. In den ersten drei Büchern überwiegt die Erzählung, dieses Verhältnis kehrt sich allerdings im vierten Buch um, wo dann die Doktrin vorherrschend wird. Laut Carmen C. de Hartmann hat

auf einer hölzernen Leiter stand und die Ampeln richtete […]“ GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Buch 1/5, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 21. 625 GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 7. 625 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 12. 626 HARTKEMEYER Martina & Johannes F., DHORITHY L. Freeman, Miteinander Denken, Das Geheimnis des Dialogs, Stuttgart 1998, S. 18. 177

Petrus, der von Gregor unterwiesen wird, einerseits eine strukturierende Funktion, andererseits ist er aber auch gleichzeitig ein idealer Rezipient, der gewissermaßen Lehren aus den Erzählungen zieht und diese verinnerlicht.627 Im vierten Buch besteht gleichsam ein Mangel an Wundererzählungen, der nach Hartmann als Zeichen seines Fortschritts ausgelegt werden kann: „Nicht das als erzählbare Oberfläche ist jetzt für ihn wichtig, sondern der Kern des Glaubens.“628 Es besteht also eine innere Einheit in diesen drei Dialogen, und sie beruht laut Hartmann auf der Apologie der monastischen Lebensform und auch auf ihrem lehrreichen oder lehrhaften Charakter. „Es sind nämlich Schriften zur Einweisung ins monastische Leben, die so diesem Zweck sowohl die Doktrin als auch das konkrete Vorbild heiliger Mönche als Lehrmittel einsetzen.“629 Gregor inszeniert in seinem Werk quasi Gespräche zwischen einem erfahrenen Mönch, also Gregor und einem Mitbruder, Petrus, der Erbauung sucht.

Das erste Buch handelt von zwölf ehrwürdigen Mönchen und Priestern, wobei in der vorliegenden Arbeit nur einige davon exemplarisch genannt werden können. Gregor erzählt beispielsweise über das Wunder von Honoratus, dem Abt des Klosters zu Fundi, der schon in den Knabenjahren infolge seiner Enthaltsamkeit von großer Liebe zur himmlischen Heimat entbrannt war. Als seine Eltern einmal den Nachbarn ein Gastmahl gaben, bei dem auch Fleischspeisen aufgetragen wurden, weigerte sich Honoratus, wegen seiner Enthaltsamkeit, diese zu berühren, und seine Eltern ergingen sich in der Folge über ihn in Spottreden und sagten: „Iß doch, oder glaubst du etwa wir könnten die hier auf diesen Bergen einen Fisch vorsetzen?“630 Auf einmal, so erzählt Gregor, ging das Wasser bei Tisch aus, und ein Sklave eilte sofort mit einem hölzernen Eimer zur Quelle, und während er schöpfte, schwamm ein Fisch in den Eimer. „Zurückgekehrt, goß der Sklave vor den Augen der Gäste auch den Fisch mit aus, der dem Honoratus zur Nahrung für einen ganzen Tag gereicht hätte. Alle gerieten darob in Verwunderung, und das ganze Spottgerede der Eltern

627 Vgl. dazu: HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88. 628 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88. 629 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88f. 630 Buch I Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 12. 178 hatte ein Ende. Sie ehrten nunmehr an Honoratus die Enthaltsamkeit, die sie vorher verlacht hatten; und so hat ein Bergfisch den Mann Gottes aus Spott und Hohn befreit. Da er immer mehr an Tugenden zunahm, wurde ihm von seinem oben genannten Herrn die Freiheit geschenkt.“631 Petrus fragt nun Gregor, ob Honoratus einen Lehrer gehabt hat, worauf Gregor ihm antwortet, dass er nie von einem solchen gehört hätte, und dass es zwar selten sei, aber dass manche innerlich durch die Schule des Hl. Geistes unterwiesen würden. Er gibt als Beispiel dafür Moses an, der in der Wüste von einem Engel geleitet wurde, und demnach keine Unterweisung von einem Menschen erhielte. Gleichzeitig warnt Gregor jedoch, dass dies für die Schwachen ein Gegenstand der Verehrung und nicht der Nachahmung sei. Hier bedient sich Gregor, wie so oft, eines Bibelmusters. Nun bittet Petrus, Gregor möge ihm sagen, ob Honoratus einen Schüler hinterlassen habe. Damit leitet Petrus über zum nächsten Wunderbericht, und Gregor berichtet im 2. Kapitel von Libertinus, dem Prior jenes Klosters, einem gar ehrwürdigen Mann, der die Ausbildung von Honoratus genoss. Auch bei den Wunderberichten über Libertinus, wo dieser einmal, als er nach Ravenna reiste, und immer aus Liebe zu dem ehrwürdigen Honoratus, den Schuh seines Meisters dabei hatte, bedient sich Gregor eines Bibelmusters. Während Libertinus so des Weges zog, brachte eine Frau den Leichnam ihres Sohnes daher und ergriff Libertinus‘ Pferd am Zügel und beschwor ihn: „Oh, du darfst mir nicht

631 Buch I Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 13. „Er gründete darauf in Fundi ein Kloster, in welchem er ungefähr zweihundert Mönchen als Abt vorstand, und gab von dort aus im ganzen Umkreis das Beispiel eines außerordentlichen Tugendwandels. Eines Tages nämlich löste sich von dem Berge, der das Kloster hoch überragte, ein großes Felsstück los, das auf der abschüssigen Bergwand herunterrollte und das ganze Kloster samt allen Mönchen mit dem Untergang bedrohte. Als der Heilige den Stein herabkommen sah, rief er sogleich oft nacheinander den Namen Christi an, streckte seine Rechte aus, machte das Kreuzzeichen entgegen und hielt so den Stein an der steilen Berglehne fest, wie es Laurentius, ein frommer Mann, bezeugt. Und da keine Stelle da war, wo der Stein fest hätte aufliegen können, meint man heute noch beim Hinaufschauen, der Stein wolle herabstürzen. Oh, du darfst mir nicht weiterziehen, ehe du meinen Sohn wieder lebendig gemacht hast!“ Buch I Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 13. 179 weiterziehen, ehe du meinen Sohn wieder lebendig gemacht hast! “632 Er wusste nicht, was er tun sollte. „Denn hier stritten miteinander die Demut seines Wandels und das Mitleid mit der Mutter; auf der einen Seite die Angst, er könnte sich etwas Ungewohntes anmaßen, auf der andern Seite der Schmerz, er müsse der armen Frau seine Hilfe versagen. Aber zur größeren Ehre Gottes gewann das Mitleid den Sieg über das tugendhafte Herz, das gerade dadurch sich stark erwies, daß es sich besiegen ließ; denn es wäre kein tugendhaftes Herz gewesen, wenn es dem Mitleid nicht nachgegeben hätte. So stieg er also ab, kniete nieder, erhob seine Hände gegen den Himmel, nahm dann den Schuh aus seinem Busen und legte ihn dem toten Knaben auf die Brust. Und während er betete, kehrte die Seele des Knaben in den Körper zurück. Er nahm ihn bei der Hand und gab ihn der weinenden Mutter lebend zurück. Hierauf setzte er seinen Weg fort.“633 Petrus fragt nun Gregor, ob dieses Wunder das Verdienst des Honoratus bewirkte oder ob es das Gebet des Libertinus war. Nun erklärt Gregor dass bei diesem großen Wunder mit dem Glauben der Frau die Wunderkraft beider Männer zusammengetroffen ist. „[…]und darum glaube ich, Libertinus habe deshalb solches vermocht, weil er gelernt hatte, mehr auf die Kraft des Meisters als auf seine eigene zu bauen. Indem er nämlich dem toten Knaben den Schuh des Honoratus auf die Brust legte, dachte er, daß dessen Seele die Erhörung seiner Bitte erlangen werde. Denn auch Elisäus trug den Mantel seines Meisters, kam an den Jordan und schlug damit einmal in das Wasser, aber es teilte sich nicht. Doch als er gleich darauf sagte: ‚Wo ist denn jetzt der Gott des Elias?‘ und den Fluß mit dem Mantel des Meisters schlug, da bahnte er einen Weg mitten durch das Wasser. Siehst du nun, Petrus, wieviel bei Wunderzeichen die Demut vermag? Dann erst konnte er des Meisters Kraft ausüben, als er dessen Namen nannte. Denn dadurch, daß er zur Demut gegen den Meister zurückkehrte, konnte er tun, was der Meister getan. “634

632 Buch I Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 14. 633 Buch I Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 14. 634 Buch I Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; 180

Es geht hier also um die Demut, es zeigt sich eben, dass es Gregor mehr um die Tugenden geht als um die Wunder, anhand des Beispiels, dass sich im Falle Elisäus der den Mantel seines Meisters trug, jedoch erst im Bewusstsein an jenen, nämlich Elias, bahnte sich ein Weg durch das Wasser, da Demut, nach Gregor, sehr viel bei Wunderzeichen vermag. Es geht hier nicht um das Verdienst der Wunderkraft, das entspräche im modernen Dialog den mentalen Modellen oder den gesellschaftlichen Glaubenssätzen. Es geht also nicht um das ‚Außen‘ sondern um die innere tugendhafte, demütige, Einstellung, um die Kraft den Glauben von innen nach außen zu kehren. Es geht hier nicht um Anerkennung und Ruhm, sonden um die Sache, um das Wunder, nicht wie es geschieht und woher die Kraft kommt zählt, sondern, um das Vertrauen, dass es geschieht. So soll stromaufwärts zum Ursprung des Denkens, gegangen werden, um sich nicht von den Eindrücken oder Anforderungen der Gesellschaft irreführen zu lassen. Nun fordert Petrus Gregor auf, weitere Wunderberichte zu Erbauung und zur Nachahmung zu erzählen. Im vierten Kapitel des ersten Buches berichtet Gregor über die Wundertaten von Equitius, Abt in der Provinz Valeria. Eine Erzählung berichtet von einem Bauern, der ohne Bedenken eine Truhe voll mit Getreide auf dem Grabe von Equitius in der Kircke des hl. Märtyrers Laurentius abstellte. „Plötzlich kam dann vom Himmel her ein Sturmwind, hob die Truhe, die auf dem Grabe stand, in die Höhe, und schleuderte sie, während alle anderen Dinge fest auf ihrem Platze blieben, weit weg, so daß alle deutlich erkennen konnten, wie groß das Verdienst dessen sein müsse, der hier begraben lag. […] Als nämlich die Langobarden in die Provinz Valeria einfielen, flüchteten sich die Mönche aus dem Kloster des hochwürdigsten Mannes Exquitius zu seinem Grabe in der vorher erwähnten Kirche. Die Langobarden drangen in ihrer Wut in das Gotteshaus ein und schleppten die Mönche heraus, um sie entweder zu foltern oder mit dem Schwerte zu töten. Da jammerte einer von ihnen und rief, von heftigen Schmerzen ergriffen: ‚Ach, heiliger Equitius, hast du denn ein Wohlgefallen daran, daß wir fortgeschleppt werden, und verteidigest du uns nicht? ‘ Auf diese Worte hin fuhr sogleich ein unreiner Geist in die wütenden Langobarden. Sie stürzten zu Boden und wurden so lange gequält, bis sie alle, auch jene Langobarden, welche vor der Kirche sich befanden, erkannten, daß sie den heiligen Ort nicht länger entehren dürften. Wie nun der heilige Mann hier seine

Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 15. 181

Jünger in Schutz nahm, so hat er auch nachher vielen, die dorthin ihre Zuflucht nahmen, Hilfe geleistet. “635 Im fünften Kapitel geht es um die Demut von Konstantinus, dem Mesner an der Kirche des hl. Stephanus, der, wie Petrus aus dem Bericht schließt, groß war nach außen in seinen Wundern, aber größer noch im Inneren durch die Demut seines Herzens. Kapitel sechs berichtet von Marcellinus, dem kranken Bischof der Stadt Ancona, der auf eigenen Wunsch vor dem ausgebrochenen Feuer in der Stadt abgesetzt wurde, und dieses durch sein Gebet die Feuerbrunst zurückdrängte. Im siebenten Kapitel erzählt Gregor von Nonnosus, Prior des Klosters auf dem Berg Sorakte, der durch seine Gebete einmal einen Felsbrocken versetzte, um seinen Brüdern Platz für ein Kräuterbeet zu schaffen. Ein anderes Mal zerbrach er beim Reinigen eine Ampel, und aus Angst vor dem heftigen Zorn des Klosterabtes, sammelte er alle Scherben ein, legte sie vor den Altar und begann zu beten. Auf einmal war die Ampel ganz. Gregor meinte: „So ahmte er also in zwei Wundern zweier Väter Wunderwerke nach: beim Felsblock das Wunder Gregors, der einen Berg versetzte, bei der Wiederherstellung der Ampel ein Wunder des Donatus, der einen zerbrochenen Kelch wieder unversehrt herstellte. Und Petrus erwidert: Wir haben, wie ich sehe, neue Wunder nach alten Beispielen. “ Diese Beispiele, Geschichten oder Wunder der Väter beruhen also auf der Apologie der monastischen Lebensform und auch auf ihrem lehrreichen oder lehrhaften Charakter. „Es sind nämlich Schriften zur Einweisung ins monastische Leben, die so diesem Zweck sowohl die Doktrin als auch das konkrete Vorbild heiliger Mönche als Lehrmittel einsetzen.“636

Kapitel acht berichtet von Anastasius, Abt des Klosters Suppentonia, und Kapitel neun berichtet von Bonifatius, Bischof der Stadt Ferentino, der bei einer Wundertat zum Presbyter Gaudentius kam, auf dessen Kirche große Armut lastete, und wo wegen des Hagels der Weingarten verwüstet war, um den wenigen Wein, der geerntet werden konnte, zu vermehren. In Kapitel zehn erzählt Gregor von Fortunatus, dem Bischof von Todi, der durch seine Gebete eine junge Frau, in die der Teufel gefahren war, gesund machte.

635 Buch I Kapitel 4, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 20. 636 HARTMANN C. Cardelle de, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88. 182

Gregor will durch die vielen Beispiele die Liebe zum himmlischen Vaterland wecken, und dies erfolgt, laut Gregor, eher durch Beispiele als durch Belehrung. Gregor schreibt in den Homilien an Ezechiel:“ […] sofern wir dem Leben der Väter entnehmen, was wir in dem Buch der Heiligen Schrift erkennen sollen. Deren Lebenswandel öffnet uns die Augen dafür, was die Frohbotschaft auf den Buchseiten der Testamente sagen will.“637 In Kapitel elf geht es um die Wundertat von Martyrius, Mönch der Provinz Valeria, wo es wieder die Tugenden tematisiert werden: „In dieser Provinz lebte ein sehr frommer Diener des allmächtigen Gottes namens Martyrius, der folgenden Beweis seiner Tugend gab. Eines Tages buken seine Mitbrüder Brot in der Asche, hatten aber vergessen, das Kreuzzeichen darauf zu drücken. Man pflegt nämlich in jener Gegend das noch ungebackene Brot mit einer Holzform so zu zeichnen, daß es in vier Viertel geteilt erscheint. Da kam der Diener Gottes dazu und erfuhr von den Brüdern, daß das Brot nicht gezeichnet wurde. Während nun das Brot schon mit Glut und Asche überdeckt war, sprach er: ,Warum habt ihr es nicht bezeichnet?‘ und machte bei diesen Worten mit dem Finger das Kreuzzeichen über die Glut. Bei dieser Bezeichnung krachte das Brot sehr heftig, gerade wie wenn ein mächtiger Topf im Feuer zersprungen wäre. Als man dasselbe dann fertig gebacken aus dem Feuer nahm, fand es sich, daß es mit dem Kreuze bezeichnet war, das ihm nicht eine Berührung, sondern der Glaube aufgedrückt hatte. ”638 Es soll also anhand der vielen Beispiele der Glaube gestärkt werden, ähnlich wie in der Lernpsychologie, wo in der Wiederholung die Kraft liegt, wo Lerninhalte oder Handlungen automatisiert werden, als Folge von Wiederholung oder Übung, oder wie die Zen-Meister oft meinen, ‚mache deine Übung‘. In Kapitel zwölf erzählt Gregor von dem Presbyter Severus, der von einem Hausvater, der sein Ende herannahen sah, gebeten wurde, durch sein Gebet für ihn Fürsprache einzulegen. Severus kam zu spät, und der Mann starb. „Als er dies hörte, erschrak er und rief laut, er sei sein Mörder. Weinend kam er zum Leichnam des Verschiedenen und warf sich unter Tränen vor seinem Bette nieder. Während er heftig weinte, sein Haupt auf den Boden stieß und rief, er sei schuld an dessen Tod, erwachte der Verstorbene plötzlich wieder zum Leben. Die vielen Umstehenden, die es sahen, stießen Schreie der Verwunderung aus und weinten nun vor Freude noch mehr. Als sie ihn dann fragten, wo er war, oder wie er wieder hergekommen

637 In Ezech. I 10,38, vgl. auch In Ezech. II 5,21; II7,3 zitiert nach: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S.34. 638 Buch I Kapitel 11, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel : F. Pustet, 1933, S.32. 183 sei, sagte er: ,Hässliche Leute führten mich davon; aus Mund und Nase kam ihnen ein Feuer, das ich nicht ertragen konnte. Während sie mich durch finstere Orte führten, kam plötzlich ein Jüngling von schönem Aussehen mit noch anderen uns entgegen und sagte zu denen, die mich schleppten: ‘Führt ihn wieder zurück, denn der Presbyter Severus weint um ihn; seinen Tränen hat ihn der Herr wieder geschenkt.’ Sogleich erhob sich Severus vom Boden und half ihm, als er Buße tat, mit seiner Fürsprache. Und nachdem der wiedererweckte Kranke sieben Tage lang für die begangenen Sünden Buße getan hatte, schied er am achten Tage freudig aus dem Leben. Siehe, Petrus, ich bitte, wie sehr der Herr diesen Severus, von dem wir reden, als seinen Liebling behandelt hat, da er ihn nicht einmal kurze Zeit in Trauer lassen konnte. ”639 Am Ende des ersten Buches erklärt Gregor Petrus, dass der wahre Wert des Lebens allerdings eben nicht im Wunderwirken, sondern in der Tugend liegt, und dass es viele gäbe, die, ohne Wunder zu wirken, dennoch den Wundertätern nicht nachstünden. Petrus zieht die Schlussfolgerung, dass man auf das Leben, nicht auf die Wunder schauen müsse, und bittet Gregor, ihm noch mehr Wunder zu erzählen. Dieser meint jedoch, dass die Zeit heute nicht mehr reiche, und sie könnten ungehindert darüber sprechen, wenn sie ein anderes Mal damit beginnen. Es gilt also, das tugendhafte Leben nachzuahmen, nicht Wunder zu wirken. In den Erzählungen Gregors ist die Sprache eine sehr klare und einfache, da Gregor die Worte des himmlischen Orakels nicht unter die Regeln des Donatus stellen wollte.640

Das zweite Buch, das nur einer einzigen Person gewidmet ist, nämlich dem hl. Benedikt, auf das hier nicht näher eingegangen wird, beendet Gregor mit den Worten: „Wir müssen jetzt die Unterredung ein wenig abbrechen; denn wenn wir auch von andern Männern Wunder erzählen wollen, müssen wir dazwischen durch Schweigen uns wieder Kraft zum Reden sammeln.”641

639 Buch I Kapitel 12, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.32f. 640 Vgl. dazu: GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S.7. 641 Buch 2 Kapitel 38, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; 184

Im dritten Buch ist auch das kontinuierliche Gespräch von nur zwei Figuren charakteristisch, nämlich das Gespräch zwischen Gregor und seinem Subdiakon Petrus. Gregor erzählt von den Wundertaten von Bischöfen, Mönchen, Priestern, Dienern Gottes und auch von einem Mesner, einer Klosterfrau, einem Einsiedler, von Märtyren, von König Herminlgild, von einem arianischen Bischof und von afrikanischen Bischöfen. Für Gregor ist ja die konsequente praenotatio nominum (die Redebeiträge werden durch Namen eingeführt) charakteristisch. Die Kapitel 1,6,14,15,17,18,24,29,31,32,34,35,36,38 werden jeweils mit Gregor als Gesprächspartner begonnen und meist enden sie mit einem Beitrag von Petrus, der entweder zur nächsten Geschichte überleitet, oder die Geschichte hinterfragt oder mit einer Aussage verinnerlicht. Im 15. Kapitel herrscht auch während der Geschichte ein häufiger Wechsel der beiden Gesprächspartner. Die Kapitel 2,3,4,5,8,9,10,11,12,13,19 (allerdings im Text Gesprächswechsel zwischen Gregor und Petrus),21 (Wechsel im Text), 22,23,25,26 (Wechsel im Text),27,28 (Wechsel im Text),30 (Wechsel im Text), 33 (Wechsel im Text), 37 (Wechsel im Text), werden nicht von Gregor als Gesprächspartner begonnen, die Erzählung beginnt einfach, allerdings kommt es im Text oft zu einem Wechsel der Gesprächspartner, wobei Gregor den großen Part hat, und die Beiträge von Petrus nur zur Auflockerung oder zur Strukturierung dienen. Gregor benützt, wie man in den exemplarisch genannten Auszügen der Dialoge sehen kann, eine klare gut verständliche Sprache, da ihm die Erfassung des göttlichen Lehrinhalts und dessen deutliche Wiedergabe ein Anliegen ist.642 Das erste Kapitel handelt von Paulinus, Bischof von Nola, Gregor beginnt nun von den Taten der früheren Väter zu erzählen: „Gregorius. Während ich mich ganz den Vätern, die uns zeitlich nahe stehen, zuwandte, habe ich die Taten der früheren aus dem Auge gelassen, so daß uns das Wunderleben des Paulinus, Bischofs von Nola, der viele der erwähnten Männer an Wunderkraft und Alter überragt, ganz aus dem Gedächtnis entschwunden zu sein scheint. Jetzt aber will ich wieder auf frühere Geschehnisse zurückgreifen und werde mich in der Erzählung möglichst kurz fassen. Da die Kunde von den Werken guter Männer schnell zu Gleichgesinnten dringt, erlangte der genannte ehrwürdige Mann bei unseren Altvordern, die ja mitten unter den Wundertaten der Gerechten lebten, einen berühmten Namen; sein

Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.60. 642 Vgl. dazu: GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S.7. 185 wunderbares Wirken trug sehr viel zum Tugendeifer der Männer bei, deren ehrwürdigem Alter ich so sicheren Glauben schenken mußte, als ob ich das Erzählte mit eigenen Augen gesehen hätte.“643 Paulinus, ein Mann Gottes, verschenkte, zurzeit als die Vandalen in Italien wüteten und viele als Sklaven nach Afrika geschleppt wurden, alles an die Armen und Notleidenden. Als er nichts mehr übrig hatte, und eine Frau ihn bat, ihm das Lösegeld für ihren Sohn, der als Sklave verschleppt wurde, zu geben, bot er sich selbst zum Tausche an. Paulinus übernahm in Afrika die Pflege eines Gartens, und der Schwiegersohn des Königs kam oft in den Garten und stellte ihm viele Fragen, da er sah, dass dieser Gärtner sehr weise war. „Dies ging längere Zeit so fort. Da sagte er eines Tages zu seinem Herrn, als dieser sehr vertraulich mit ihm sprach: ‚Siehe zu, was du tun willst, und trag Sorge für die Verwaltung des Vandalenreiches; denn der König wird sehr bald und sehr rasch sterben.‘ ”644 Der König bat den Gärtner zu sich, und erkannte ihn, als einen Mann Gottes, da er ihm im Traum erschienen war. Plötzlich befiel den König eine große Furcht, und er bot dem Bischof in aller Demut Geschenke und die Rückkehr in die Heimat an. Paulinus erwiderte: ‚Eine Wohltat gibt es, die du mir erweisen kannst, daß du nämlich alle Gefangenen aus meiner Stadt frei lässest.‘ Diese wurden sofort alle in Afrika zusammengesucht und, um dem ehrwürdigen Manne Gottes Paulinus einen Gefallen zu erweisen, mit ihm als sein Geleit auf Getreideschiffen in die Freiheit entlassen. Wenige Tage darnach aber starb der Vandalenkönig und verlor die Geißel, die er durch Gottes Fügung zu seinem eigenen Verderben und zur Züchtigung der Gläubigen empfangen hatte. So also hat Paulinus, der Diener des allmächtigen Gottes, Wahres vorhergesagt und hat dadurch, daß er sich allein in die Sklaverei begab und mit vielen aus der Knechtschaft in die Freiheit zurückkehrte, denjenigen nachgeahmt, der Knechtsgestalt annahm, damit wir nicht Knechte der Sünde seien. In seine Fußstapfen tretend, machte sich Paulinus vorübergehend freiwillig zum Sklaven, um nachher frei zu werden mit vielen.“645 Gregor will mit den

643 Buch III Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.60. 644 Buch III Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.60f. 645 Buch III Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von 186

Tugendbeispielen und Wundertaten von eben solchen heiligen Männern die Leser zur Nachahmung auffordern, die Wunder wiederum sollen sich mit Vetrauen auf Gott erfüllen, gleichzeitig sollen sie, unter all den Bedrängnissen der Zeit, auf das übernatürliche und Ewige hinweisen.646 Gregor erzählt im dritten Buch Kapitel zwei vom heiligen Papst Johannes, von Bischöfen und Dienern Gottes wie etwa , im dritten Kapitel vom heiligen Papst Agapitus, im vierten Kapitel von Datius, Bischof von Mailand, im fünften Kapitel von Sabinus, Bischof von Canosa, im sechsten Kapitel von Cassius, Bischof von Narni, im siebenten Kapitel von Andreas, Bischof von Fundi, im achten Kapitel von Konstantius, Bischof von Aquino, im neunten Kapitel von Frigdianus, Bischof von Lucca. Im zehnten Kapitel erzählt Gregor von Sabinus, Bischof von Piacenza, und im elften Kapitel von Cerbonius, Bischof von Populonia, der einen großen Beweis seiner Heiligkeit gab, Gregor erzählt: „Da er nämlich sehr gerne Gastfreundschaft übte, nahm er eines Tages durchziehende Soldaten bei sich auf und versteckte sie vor den Goten, die gleich nach ihnen ankamen; dadurch beschützte er ihr Leben vor der Bosheit dieser. Als hiervon der ketzerische Gotenkönig Totila benachrichtigt wurde, geriet er in eine wahnsinnig grausame Wut; er ließ den Bischof nach Merulis, wo er sich gerade aufhielt, acht Meilen von der Stadt bringen, um ihn zu einem Schaustück des Volkes den Bären zum Fraße vorwerfen zu lassen. Da der ketzerische König selbst dem Schauspiel beiwohnte, um sich den Tod des Bischofs anzusehen, strömte eine Menge Volkes zusammen. Der Bischof wurde in die Mitte geführt und zu seinem Tode ein ganz wilder Bär ausgesucht, damit er durch das grausame Zerfleischen der menschlichen Glieder den Zorn des wütenden Königs besänftige. Der Bär wurde aus seinem Zwinger herausgelassen; er ergrimmte und stürzte sofort auf den Bischof zu, aber plötzlich vergaß er seine Wildheit, beugte den Nacken, senkte demütig seinen Kopf und leckte dem Bischof die Füße, damit so alle deutlich erkennen konnten, wie gegen diesen

Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.61. 646 Vgl. dazu: GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.61. Buch III Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.7. 187

Mann Gottes die Herzen der Menschen wild und die der wilden Tiere menschlich waren. Da gab das Volk, das zum Todesschauspiel gekommen war, in lauten Rufen seiner ehrfurchtsvollen Bewunderung Ausdruck; da ließ sich auch selbst der König zur Ehrfurcht gegen ihn bewegen; denn durch ein höheres Urteil geschah es, daß er sich von einem wilden Tiere zur Sanftmut führen ließ, nachdem er vorher Gott nicht hatte folgen wollen, um den Bischof am Leben zu erhalten. […]“647 Gregor betont immer die Tugend in den Wundertaten einerseits, die Wunder selbst andererseits sollen die Menschen mit Vetrauen auf Gott erfüllen. Im elften Kapitel erzählt Gregor von Cerbonius, Bischof von Populonia, im zwölften Kapitel von Fulgentius, Bischof von Otricoli, im dreizehnten Kapitel von Herkulanus, Bischof von Perugia, im vierzehnten Kapitel von dem Diener Gottes Isaac, und im fünfzehnten Kapitel von den Dienern Gottes Florentius und Eutychius, wo es Gregor wieder darum geht, die Tugenden hervorzuheben, und seinen Weg zu gehen, und sich nicht von dem gesellschaftlichen Druck irreführen zu lassen: „Gregorius. Ich möchte nicht mit Stillschweigen übergehen, was mir von jener Gegend der ehrwürdige Priester Sanktulus erzählt hat. An seinen Worten zweifelst auch du nicht, da dir sein Leben und seine Glaubwürdigkeit hinlänglich bekannt sind. Zu derselben Zeit wohnten in der Provinz Nursia zwei Männer, die in Handel und Wandel mitsammen ein klösterliches Leben führten; der eine von ihnen hieß Eutychius, der andere Florentius. Eutychius ragte durch Geistesglut und Tugendeifer hervor und war unablässig tätig, viele Seelen durch gute Ermahnungen zu Gott zu führen, Florentius aber führte in Herzenseinfalt ein dem Gebete gewidmetes Leben. Nicht weit von ihnen war ein Kloster, das durch den Tod seines Vorstehers verwaist wurde, weshalb die Mönche den Eutychius zum Vorsteher haben wollten. Er gab ihren Bitten nach, regierte das Kloster viele Jahre hindurch und übte die Seelen seiner Jünger im eifrigen Ordensleben. Damit aber das Kirchlein, bei dem er früher gewohnt hatte, nicht verlassen stehe, ließ er den ehrwürdigen Florentius dort zurück. Als dieser dort so allein wohnen mußte, warf er sich eines Tages zum Gebete nieder und bat den allmächtigen Gott, er möge ihm in seiner Einsamkeit irgendeinen Trost schenken. Sowie er das Gebet beendigt hatte und aus dem Kirchlein heraustrat, fand er vor der Türe einen Bären stehen; der neigte seinen Kopf gegen den Boden und verriet gar nichts Wildes in seinem Gebaren. Deutlich gab er dadurch zu verstehen, daß er zum Dienste des Mannes Gottes gekommen, was der Mann Gottes auch sogleich erkannte. Und da bei jener Zelle noch

647 Buch III Kapitel 11, GREGOR der GROßE Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 188 vier oder fünf Schafe da waren, die niemanden hatten, der sie auf die Weide trieb und hütete, befahl er dem Bären: ,Geh’ und treibe die Schafe auf die Weide, um die sechste Stunde aber komm wieder heim! ’ Das besorgte der nun treulich. So wurde der Bär als Hirte eingestellt und weidete jetzt nüchternen Magens die Schafe, die er früher fraß. […] Der alte Feind aber zieht gerade damit die Bösen durch ihren Neid in die ewige Pein, worin er die Guten zur ewigen Herrlichkeit erglänzen sieht. Darum ergriff vier Jünger des ehrwürdigen Eutychius ein grimmiger Neid, weil ihr Meister keine Wunder wirkte, während der, der allein gelassen worden war, durch dieses große Wunder berühmt wurde. Darum stellten sie dem Bären nach und brachten ihn um. Als er zur bestimmten Stunde nicht heimkam, schöpfte der Mann Gottes Florentius Verdacht; er wartete auf ihn bis zur Abendstunde und wurde traurig, weil der Bär, den er in großer Einfalt seinen Bruder nannte, nicht heimkehrte.” Am andern Tage ging er aufs Feld, um den Bären und die Schafe zu suchen; da fand er ihn erschlagen. Auf genaue Nachfrage hin erfuhr er bald, wer ihn umgebracht hatte. Da brach er in Tränen aus und beweinte mehr die Bosheit der Brüder als den Tod des Bären. Der ehrwürdige Eutychius ließ ihn zu sich kommen und suchte ihn zu trösten; aber der Mann Gottes stieß vor ihm, vom Stachel heftigen Schmerzes überwältigt, den Fluch aus: ,Ich hoffe zu Gott, dem Allmächtigen, daß vor aller Augen und noch in diesem Leben diejenigen die Strafe für ihre Bosheit empfangen, die meinen Bären erschlagen haben, der ihnen nichts zu leide tat!’ Auf diese seine Worte folgte alsbald die Rache Gottes. Die vier Mönche, die den Bären getötet hatten, wurden sogleich von der Elephantiasis befallen, so daß ihre Glieder zu faulen anfingen und sie daran sterben mußten. Über dieses Eintreffen erschrak der Mann Gottes Florentius heftig und fürchtete sich, und all sein Lebtag beweinte er es, daß er erhört wurde und nannte sich ihres Todes halber einen grausamen Mörder. Wir glauben, daß der allmächtige Gott dies so kommen ließ, damit ein Mann von so wunderbarer Herzenseinfall nie mehr wage, auch nicht in größtem Schmerze, einen Fluch auf jemanden zu schleudern. Petrus. Müssen wir annehmen, daß das eine sehr schwere Sünde ist, wenn wir etwa jemand, der uns reizt, im Zorne fluchen? Gregorius. Wie kannst du mich noch fragen, ob das eine schwere Sünde ist, da doch Paulus sagt: „Auch die fluchen, werden das Reich Gottes nicht besitzen.” Bedenke also, wie schwer eine Schuld ist, die vom Reiche des Lebens ausschließt! Petrus. Wie aber, wenn der Mensch vielleicht nicht aus Bosheit, sondern aus Mangel an Wachsamkeit über die Zunge ein Fluchwort auf den Nächsten schleudert? Gregorius. Wenn, Petrus, bei dem strengen Richter schon ein müßiges Wort Tadel findet, wievielmehr ein

189 schädliches? Bedenke also, wie verdammungswürdig derjenige sei, der von Bosheit nicht frei ist, wenn schon ein unnützes Wort strafbar ist. Petrus. Ich stimme dir bei. […]“648

Gregor beschreibt in den folgenden Kapiteln weitere Tugendbeispiele und Wundertaten von Mönchen, Priestern und Abten. Im sechzehnten Kapitel schreibt er von dem Mönch Martinus im Marsischen Gebirgsland, im siebzehnten Kapitel von dem Mönche von dem Berge Argentarius, der einen Toten erweckte, im achtzehnten Kapitel von dem Mönche Benediktus, im neunzehnten Kapitel von der Kirche des seligen Märtyrers Zeno in Verona, in die das Wasser bei einer Überschwemmung trotz offenstehender Türen nicht eindrang, im zwanzigsten Kapitel von Stephanus, einem Presbyter der Provinz Valeria, dem der Teufel die Schuhe auszog, im einundzwanzigsten Kapitel von einer jungen Klosterfrau, auf deren bloßen Befehl ein Mann vom bösen Feinde befreit wurde, im zweiundzwanzigsten Kapitel von einem Priester in der Provinz Valeria, der bei seinem Grabe einen Dieb festhielt, im dreiundzwanzigsten Kapitel von dem Abte auf dem Berge bei Palestrina und von seinem Presbyter, im vierundzwanzigsten Kapitel von Theodorus, dem Mesner der Kirche des heiligen Apostels Petrus in Rom, im fünfundzwanzigsten Kapitel von Acontius, ebenfalls Mesner an der Kirche des seligen Petrus, im sechsundzwanzigsten Kapitel von dem Einsiedler Menas, im siebenundzwanzigsten Kapitel von vierzig Landleuten, die vom Fleische geopferter Tiere nicht essen wollten und deshalb von den Langobarden getötet wurden. „Vor ungefähr fünfzehn Jahren wurden nämlich von den Langobarden, nach dem Zeugnis solcher, die dabei zugegen sein konnten, vierzig Bauern gefangen genommen und genötigt, Opferfleisch zu essen. Da sie sich sehr dagegen sträubten und die sakrilegische Speise nicht berühren wollten, drohten die Langobarden, die sie gefangen genommen hatten, ihnen mit dem Tode, wenn sie das Opferfleisch nicht essen würden. Sie aber liebten das ewige Leben mehr als das gegenwärtige und vergängliche, blieben treu und erlitten alle standhaft den Tod. Sind diese nicht Märtyrer der Wahrheit gewesen, sie, die den Tod durch das Schwert gewählt haben, um ihren Schöpfer nicht durch den Genuß verbotener Speisen zu beleidigen? “649

648 Buch III Kapitel 15, GREGOR der GROßE Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 649 Buch III Kapitel 27, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 190

Im achtundzwanzigsten Kapitel erzählt Gregor von einer großen Zahl von Märtyrern, die den Tod erlitten, weil sie einen Ziegenkopf nicht anbeten wollten, im neunundzwanzigsten Kapitel von einem arianischen Bischof, der mit Blindheit geschlagen wurde, im dreißigsten Kapitel von einer arianischen Kirche in Rom, die für den katholischen Gottesdienst eingeweiht wurde, im einunddreißigsten Kapitel von König Herminlgild, dem Sohne des Westgotenkönigs Leovigild, der von seinem Vater um des katholischen Glaubens willen den Tod erlitt, im zweiunddreißigsten Kapitel von den afrikanischen Bischöfen, denen wegen Verteidigung des katholischen Glaubens von arianischen Vandalen die Zunge abgeschnitten wurde, die aber dennoch keine Einbuße an ihrer Sprache erlitten, im dreiunddreißigsten Kapitel von dem Diener Gottes Eleutherius, im vierunddreißigsten Kapitel davon, wieviel Arten von Zerknirschung es gibt, im fünfunddreißigsten Kapitel von Amantius, einem Priester der Provinz Tuscien, im sechsunddreißsigsten Kapitel von Maximian, Bischof von Syrakus, im siebenunddreißigsten Kapitel von Sanktulus, einem Priester aus der Provinz Nursia, und im achtunddreißigsten Kapitel von der Vision des Bischofs Redemptus von Ferentino. Gregor erwähnt oft Zeugen bezüglich der Wundertaten, um Zweifel auszuräumen,es sollen in der Folge exemplarisch einige Stellen genannt werden: Im sechsten Kapitel des dritten Buches schreibt er beispielsweise: „[…] Die Sache, die ich erzähle, ist auch nicht zweifelhaft; denn es sind dafür fast ebensoviele Zeugen vorhanden, als jener Ort Einwohner hat.“650 Im fünfzehnten Kapitel schreibt er beispielsweise: „[…] An seinen Worten zweifelst auch du nicht, da dir sein Leben und seine Glaubwürdigkeit hinlänglich bekannt sind.“651 An einer anderen Stelle schreibt Gregor: „Einige, die jetzt bei uns sich aufhalten, bezeugen das Ereignis, das ich erzählen will. […]“652

649 Buch III Kapitel 15, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 650 Buch III Kapitel 6, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 651 Buch III Kapitel 15, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 652 Buch III Kapitel 20, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von 191

Am Ende des dritten Buches bittet Petrus mit Gregor, er möge ihm von dem Fortleben der Seelen nach dem leiblichen Tode erzählen, und leitet so zum vierten Buch über, in dem es um das Leben nach dem Tode geht. „Petrus. Da ich sehe, daß viele, die sich im Schoße der heiligen Kirche befinden, an dem Fortleben der Seele nach dem leiblichen Tode zweifeln, so bitte ich dich, teile zur Erbauung vieler mit, sowohl was diesbezüglich aus Vernunftgründen zu folgern ist, als auch was dir an Beispielen von abgeschiedenen Seelen gegenwärtig ist, damit die Zweifler einsehen, daß die Seele mit dem Leibe nicht zu leben aufhöre. Gregorius. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, besonders für einen Mann, der viel beschäftigt ist und an anderes denken muß. Aber wenn es einigen zum Vorteil sein kann, so setze ich unbedenklich meinen Willen dem Nutzen der Mitmenschen nach und will, soweit ich’s mit Gottes Hilfe vermag, im folgenden vierten Buch den Beweis erbringen, daß die Seele nach dem Tode noch fortlebt.“653 Im ersten Kapitel des vierten Buches erzählt Gregor von den fleischlichen Menschen, die in ewigen und geistlichen Dingen deswegen wenig glauben wollen, „weil sie das, was sie darüber hören, nicht aus Erfahrung wissen.“654 Als der Stammvater, so Gregor, aufgrund seiner Schuld aus dem Paradies der Wonne vertoßen war, „kam er in dies Elend der Blindheit und Verbannung, das wir erdulden müssen; denn durch die Sünde kam er ganz von sich selbst und konnte die Freuden des himmlischen Vaterlandes, die er vordem geschaut, nun nicht mehr sehen. Der Mensch war nämlich im Paradiese gewohnt, Gottes Wort zu lauschen und reinen Herzens in erhabenen Gesichten mit den heiligen Engeln zu verkehren. Als er aber in dieses Elend herabsank, entfernte er sich auch von dem Lichte der Seele, das ihn bisher erfüllt hatte. Wir, die wir aus seinem Fleische in der Finsternis dieser Verbannung geboren sind, haben davon gehört, daß es ein himmlisches Vaterland gibt, haben gehört, daß die Engel Gottes seine Bürger sind; wir haben gehört, daß die Genossen dieser Engel die Seelen der Gerechten und Vollkommenen sind. Die fleischlichen Menschen aber, die diese unsichtbare Welt nicht aus Erfahrung kennen, zweifeln, ob das auch wirklich existiere, was sie mit ihren

Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 653 Buch III Kapitel 38, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 654 Buch IV Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 192 leiblichen Augen nicht sehen können. Dieser Zweifel konnte bei unserem Stammvater nicht vorhanden sein, weil er nach seiner Vertreibung aus dem Paradiese die verlorene Seligkeit im Gedächtnis behielt, da er sie ja geschaut hatte. Jene aber können sie sich, wenn sie davon hören, nicht vorstellen und sich nicht daran erinnern, weil sie nicht wie Adam wenigstens in der Vergangenheit die Seligkeit gekostet haben.“655 Das heißt der eigenen Erfahrung stehen Erzählungen gegenüber, die des Glaubens bedürfen. Je mehr Erzählungen, desto eher entsteht ein Bild von der unsichtbaren Welt, und da gibt es wieder eine Parallele zum modernen Dialog, denn je mehr man die Geprächspartner an dem Gesagten oder an der Erzählung teilhaben lässt, desto eher entsteht ein gemeinsames Bild. Durch ständiges Nachfragen, woher die Aussagen oder die Ideen davon stammen, von welchen mentalen Modellen sie geleitet werden, desto eher entsteht ein gemeinsames Denken, eine gemeinsame, von allen geteilte Wirklichkeit. Prozesshaft nähert man sich einem gemeinsamen Neuen (einem neuen Bild), einer gemeinsamen Wirklichkeit. Eigene Gewissheiten oder Wahrheiten werden nicht vehement verteidigt, sondern offengelegt und hinterfragt und eventuell verändert in Richtung gemeinsamer Sichtweise. Hier liegt auch eine Parallele zu Platons Höhlengleichnis vor, Platon meint, dass die Menschen in einer Höhle leben und nur die Schatten der Wirklichkeit oder nur ein Abbild der Wirklichkeit oder Wahrheit sehen. Gregor drückt es so aus: „Nehmen wir an, ein Weib in gesegneten Umständen würde in einen finsteren Kerker geworfen und würde dort ein Kind zur Welt bringen, das im Kerker aufgezogen und heranwachsen würde. Wenn ihm seine Mutter vielleicht von der Sonne, dem Mond und den Sternen, von Bergen und Ebenen, von fliegenden Vögeln und von dahinrennenden Pferden erzählen würde, so würde das Kind, das im finsteren Kerker geboren und erzogen wurde und das nichts anderes als diesen finsteren Kerker kennt, zwar hören, daß es solche Dinge gibt; weil es sie aber aus der Erfahrung nicht kennt, würde es zweifeln, ob sie in Wirklichkeit existieren. Gerade so zweifeln die in der Finsternis dieser Verbannung geborenen Menschen, ob es wahr ist, wenn sie hören, daß es eine unsichtbare Welt erhabenster Art gibt, weil sie nur diese sichtbare niedrige Welt kennen, in der sie geboren sind.“656

655 Buch IV Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98. 656 Buch IV Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von 193

Das meint vielleicht auch, dass wir nur unsere Bilder von der Wirklichkeit als die einzig richtigen Bilder darstellen, wenn wir allerdings von den Bildern anderer Gesprächspartner hören, bedarf es entweder eines gewissen Grades an Glauben, dass es die anderen Bilder wirklich gibt, oder es greift die vernunftmäßige Erörterung, wo durch ständiges Nachfragen, nach dem Motto ‚ich weiß nicht, aber ich will wissen‘ das unsichtbare Bild der Gesprächspartner sichtbar wird. Hier stehen Glaube und Vernunft einander gegenüber. Es steht hier keine vernunftmäßige Erörterung wie beim philosophischen Dialog im Vordergrund, wo durch Einwürfe, die nicht etwa als Selbst-Einwürfe eines Schriftstellers erscheinen, sondern als Einwürfe Anderer, sondern einzig der Glaube, der für Gregor wesentlich ist. Petrus beendet das 1. Kapitel und leitet folgendermaßen zum zweiten über: „Was du sagst, hat meinen vollen Beifall. Aber wer an eine unsichtbare Welt nicht glaubt, ist sicher ungläubig, und wer ungläubig ist, wendet sich in seinem Zweifel nicht an den Glauben, sondern an die Vernunft.“657 Gregor meint nun, dass auch der Ungläubige nicht ohne Glauben lebt. Er schreibt: „Kühn behaupte ich, daß auch ein Ungläubiger nicht ohne Glauben lebt. Denn wollte ich einen solchen Ungläubigen fragen, wer sein Vater und wer seine Mutter gewesen ist, so wird er sofort sagen: dieser und jene. Wenn ich ihn dann weiter fragen würde, ob er das bei seiner Empfängnis erfahren oder bei seiner Geburt gesehen habe, so wird er eingestehen müssen, daß er nichts davon erfahren und gesehen habe; und dennoch glaubt er, was er nicht gesehen hat. Denn ohne Bedenken bezeugt er, jenen Vater und jene Mutter gehabt zu haben.“658 Petrus erwidert, dass er bisher nicht gewusst habe, dass der Ungläubige auch etwas glaube. Gregor erklärt: „Auch die Ungläubigen haben einen Glauben, aber möchte es doch ein Glaube an Gott sein! Allerdings wären sie, wenn sie diesen hätten, keine Ungläubigen mehr. Aber mit

Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98. 657 Buch IV Kapitel 1, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98. 658 Buch IV Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98. 194 solchen Gründen muß man sie ihrer Verkehrtheit überführen, mit solchen Gründen muß man sie zur Gnade des Glaubens rufen; denn wenn sie in bezug auf ihren sichtbaren Körper etwas glauben, was sie nicht gesehen haben, warum sollen sie nicht an das Unsichtbare glauben, das leiblich überhaupt nicht gesehen werden kann?“659 Da liegt gewissermaßen eine Parallele zum modernen Dialog vor. Jeder Mensch hat seine Glaubenssätze oder mentale Modelle, das meint, jeder Mensch hat sich ein Konstrukt an Leitsätzen gebaut, etwa aus Erfahrungen mit denen er gut gefahren ist, oder aus ‚alten Weisheiten‘, aus der Erziehung, der Schulausbildung, aus gesellschaftlichen Regeln und Ritualen, aus Philosphie und Religion und verschiedenen anderen sozialen Komponenten, an das er glaubt.660 Im Dialog nun werden diese mentalen Modelle an die Oberfläche gebracht, offengelegt und hinterfragt, um ein neues von allen Gesprächspartnern geteiltes neues Bild zu schaffen. So will Gregor mit seinen Dialogen, die Leser dazu anregen, an das woran sie glauben, zu hinterfragen, und offenbar zu ändern, ja er will sogar, dass man sie etwa ihrer Verkehrtheit überführt.661

Im dritten Kapitel erzählt Gregor davon, dass es dreierlei Arten lebender Geister gibt: „Der allmächtige Gott schuf drei geistige Naturen: eine, die mit keinem Fleische bekleidet ist, eine zweite, die zwar mit dem Fleische bekleidet ist, aber mit dem Fleische nicht stirbt, und eine dritte, die mit dem Fleische bekleidet ist und mit dem Fleische auch stirbt. Die geistige Natur, die nicht mit dem Fleische bekleidet ist, ist die der Engel; jene, die mit dem Fleische bekleidet ist, aber mit dem Fleische nicht stirbt, ist die der Menschen; jene endlich, die mit dem Fleische bekleidet ist und mit dem Fleische auch stirbt, ist die der Haustiere und aller Tiere. Wie also der Mensch als ein Mittelwesen erschaffen wurde, so daß er niedriger steht als der Engel und höher als das Tier, so hat er auch etwas gemeinsam mit dem Höheren und etwas gemeinsam mit dem Niedrigen; er besitzt nämlich die Unsterblichkeit des Geistes wie der Engel und die Sterblichkeit des Fleisches wie das Tier, bis auch diese Sterblichkeit des

659 Buch IV Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98f. 660 Vgl. dazu auch: Pierre Bourdieu, Soziales Kapital. 661 Buch IV Kapitel 2, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 98. 195

Fleisches aufgeht in der Herrlichkeit der Auferstehung. So wird das Fleisch durch seine innigste Verbindung mit dem Geiste auf ewig erhalten, wie auch hinwiederum der Geist trotz seiner Verbindung mit dem Fleische für Gott erhalten bleibt. Jedoch auch bei den Verdammten hört das Fleisch nicht gänzlich auf, unter den Peinen zu existieren; denn immerwährend sterbend lebt es fort, so daß diejenigen, welche mit Geist und Fleisch gesündigt haben, immer dem Wesen nach fortleben und doch nach Fleisch und Geist ohne Ende sterben.“662 Nun leitet Petrus, indem er am großen Unterschied zwischen Mensch und Tier zweifelt,663 wieder über zum vierten Kapitel, wo nun Gregor über die Stelle bei Salomo, wo es heißt: ‘Ein Schicksal haben beide, der Mensch und das Tier‘ schreibt: „Das Buch Salomos, in dem dies geschrieben steht, wird Ekklesiastes genannt. Ekklesiastes aber heißt eigentlich Volksredner. Bei einer Volksrede aber wird ein Satz aufgestellt, um dadurch die Erregung des lärmenden Volkes zu beschwichtigen. Während die Volksmenge ganz verschiedene Meinungen hat, wird sie doch durch die Gründe des Redners zu einer einheitlichen Ansicht gebracht.“664 Da findet sich die Idee des modernen Dialogs, wo es um eine einheitliche Ansicht oder um eine gemeinsame, von allen geteilte Ansicht geht. Allerdings ist es beim modernen Dialog nicht ein Redner, der die gemeinsame Meinung vorgibt, sondern sie wird von den Gesprächspartnern gemeinsam prozesshaft erörtert.

662 Buch IV Kapitel 3, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 99. 663 „Petrus: Die Vernunft der Gläubigen stimmt allem bei, was du sagst. Aber, ich bitte dich, wenn du einen so großen Unterschied zwischen dem Geist der Menschen und dem der Tiere machst, wie kommt es, daß Salomo sagt: ‚Ich sprach in meinem Herzen von den Menschenkindern: Gott prüfet sie und zeiget ihnen, daß sie wie das Tier sind; darum kommt der Mensch um wie das Tier und ein Schicksal haben beide.‘ Den gleichen Gedanken führt er noch genauer aus, wenn er hinzufügt: ‚Wie der Mensch stirbt, so stirbt auch dieses: alle atmen auf gleiche Weise, und nichts hat der Mensch vor dem Tiere voraus.‘Diesen Worten fügt er dann noch eine allgemeine Erklärung bei, indem er sagt: ‚Alles fällt der Eitelkeit anheim, und alles geht hin an einen Ort: aus Erde ist es geworden, zur Erde kehrt es wieder zurück‘.“ Buch IV Kapitel 3, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 99. 664 Buch IV Kapitel 4, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 99f. 196

Weiter geht es bei Gregor: „ Dieses Buch wird darum Volksredner genannt, weil Salomo darin gleichsam die Gesinnung des lärmenden Volkes aufgenommen hat, um untersuchungsweise solche Gedanken auszusprechen, die vielleicht ein unerfahrenes Gemüt in einer Anfechtung haben mag. Denn er nimmt gleichsam so viele verschiedene Personen in sich auf, als er verschiedene Meinungen vorbringt.“665 Es soll hier jedoch die Idee des Dialogs aufgezeigt werden, wo es um verschiedene Meinungen verschiedener Personen geht, wo offenbar dialogartig diese Annahmen zu einem gemeinsamen ‚Wahrheit‘ führen. Gregor schreibt weiter: „Aber er bringt wie ein wahrer Volksredner mit ausgestreckter Hand allen Lärm zum Schweigen und bringt sie zu einer Ansicht, wenn er am Schluß desselben Buches sagt: ‚Lasset uns alle zusammen das Ziel aller Rede hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das macht vollkommen den Menschen.‘ Denn hätte er in diesem Buche mit seiner Redeweise nicht viele Personen angenommen, warum ermahnte er dann alle zusammen, mit ihm das Ziel der Rede zu hören? Wenn er also am Ende des Buches sagt: ‚Lasset uns alle zusammen hören‘, so ist er sich selbst Zeuge dafür, daß er viele Personen angenommen und er nicht als einziger gesprochen hat.“666 Es soll so gezeigt werden, dass offenbar ein Dialog vorangegangen ist. Einerseits werden laut Gregor, Gedanken aufgezeigt, die untersuchungsweise angeregt werden, und „andererseits solche, die an sich schon von der Vernunft her klar sind; und ferner einerseits solche Gedanken, die aus einem Herzen kommen, das sich in einer Versuchung befindet und noch den Lüsten dieser Welt ergeben ist, andererseits aber auch Stellen, in denen das Vernunftgemäße erörtert wird, damit die Seele von der sinnlichen Lust abgezogen werde.“667 Gregor zeigt hier etwa, wie es zu Meinungen kommt, und wie diese im gemeinsamen Dialog durch Erörterung hinterfragt werden um, in jenem Fall von der sinnlichen Lust abgezogen zu werden, oder im allgemeinen Fall von den eigenen Gewissheiten oder Wahrheiten, die man dann gern zu allgemeinen Wahrheiten

665 Buch IV Kapitel 4, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 99f. 666 Joseph Funk, Einleitung zu den Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 100. 667 FUNK Joseph, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 197 machen möchte, weggeführt werden soll. Also solche Gedanken oder Meinungen, die untersuchungsweise angeregt werden, allerdings gibt es für ihn auch solche, die an sich schon von der Vernunft her klar sind; Gregor spricht dann auch die Gedanken an, die aus dem Herzen kommen, die derVersuchung und die Lüste dieser Welt ergeben sind, in denen aber auch das Vernunftgemäße erörtert wird Es soll so im Dialog die Möglichkeit geboten werden, weg vom Festhalten an Meinungen oder Gewissheiten, hin zum Lernen zu gelangen, nach dem Motto ‚ich weiß nicht, aber ich will wissen‘.Gregor will so aufzeigen, nicht an der sinnlichen Lust festzuhalten.668 In dem Kapitel fünf geht es um die Frage, ob eine Seele, die unsichtbar scheidet, überhaupt existiere, da man sie nicht sehen kann. In Kapitel sechs erklärt Gregor, wie das Leben der Seele, solange sie im Körper weilt, aus der Bewegung der Glieder zu erkennen sei, so könne das Leben der Seele nach ihrem Abscheiden aus dem Leibe in der Gemeinschaft der Heiligen auf Grund der Wunder erschlossen werden. Es geht um den Glauben und Gregor erklärt mit Paulus: „[…]so wird damit in der Tat das als Gegenstand des Glaubens bezeichnet, was man nicht sehen kann. Denn das kann nicht mehr erst geglaubt werden, was man bereits sieht.“669 Gregor schreibt im Kapitel sieben vom Scheiden der Seele und in Kapitel acht berichtet er über das Hinscheiden des Mönches Speciosus. In Kapitel neun schreibt Gregor von der Seele eines Inclusen: „Ein frommer und sehr zuverlässiger Mann hat mir, als ich noch im Kloster war, erzählt, daß einige von Sizilien nach Rom reisten und mitten auf dem Meere die Seele eines Dieners Gottes, der in Samnium als Incluse lebte, zum Himmel schweben sahen. Sowie sie ans Land gestiegen waren, fragten sie

668 „Er sagt z. B. in dem Buch: ‚Also hab’ ich’s gefunden, daß der Mensch esse und trinke und Freude habe von seiner Arbeit.‘ Und weiter unten bemerkt er: ‚Besser ist es, in ein Trauerhaus zu gehen als in ein Haus des Freudenmahles.‘ Wenn aber Essen und Trinken etwas Gutes ist, so scheint es doch besser zu sein, in ein Haus des Freudenmahles zu gehen als in ein Haus der Trauer. An diesem Beispiel ist ersichtlich, daß er das erstere im Sinne der Schwachen vorbringt, das letztere aber als die Entscheidung der Vernunft anführt. […] Beide so ungleichen Aussprüche zeigen, daß der Volksredner die Wahrheit spricht und das eine im Sinne der fleischlichen Versuchung anführt, das andere aber im Sinne der geistigen Wahrheit.“ Buch IV Kapitel 4, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 100. 669 Buch IV Kapitel 6, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 102. 198 nach, und erfuhren, daß der Diener Gottes an dem Tage gestorben war, an welchem sie ihn zum Himmelreich emporsteigen sahen.“ 670 Die Kapitel zehn bis siebzehn sind, so wie acht und neun, ohne Gesprächswechsel von Gregor und Petrus, nur aufeinanderfolgende Berichte, hier verliert sich quasi der Dialogcharakter. Kapitel siebzehn endet dann wieder mit einem Einwand von Petrus. Kapitel achtzehn bis dreiundzwanzig sind wieder aneinandergereihte Berichte, wobei Petrus dann wieder am Ende von Kapitel dreiundzwanzig mit einer Frage zum nächsten Kapitel überleitet. Hier kehrt der fiktive Dialog als Rahmen des Buches wieder zurück, verliert sich wieder in den Kapiteln einunddreißig, zweiunddreißig und vierunddreißig. Kapitel fünfunddreißig bis fünfzig weisen wieder den gewohnten Gesprächswechsel auf, wobei im Kapitel vierundvierzig ein reger Gesprächswechsel stattfindet. Kapitel einundfünfzig bis sechsundfünfzig sind wieder aneinandergereihte Berichte, ohne dass die Redebeiträge, wie für Gregor charakteristisch, durch Namen eingeführt werden, dies kehrt allerdings bei Kapitel fünfundfünfzig wieder. Die letzten drei Kapitel sind wieder aufeinanderfolgende Berichte ohne Gesprächswechsel zwischen Petrus und Gregor. Es zeigt sich, dass im Unterschied zu den ersten drei Büchern, wo die Erzählung überwiegt, im vierten Buch ist allerdings die Doktrin vorherrschend.671

Die Sprache in Gregors Dialogen ist sehr klar, seine Redeweise ist vornehm und es zeigt sich, dass Gregor viel Ambrosius, hauptsächlich jdoch Augustinus gelesen hat. Gregor ist sich bewusst, dass sein Stil etwa von dem der Rhetoren und Grammatiker abweicht, allerdings gibt er in dem Begleitbrief der Moralia in Job an Bischof Leander zwei Gründe hierfür an.672„Wer die Dinge recht betrachten will, dem wird klar, daß mir meine körperliche Gebrechlichkeit die Arbeit sehr erschwert hat. Wenn die körperliche Kraft kaum zum Reden ausreicht, kann der Geist nicht würdig genug ausdrücken, was er denkt. Ist denn nicht der Körper das Werkzeug des Herzens? Mag ein Sänger auch noch so sehr seine Kunst verstehen, so kann er doch nicht singen, wenn die Organe nicht mittun. Mag auch eine gelehrte Hand dirigieren, so kann doch

670 Buch IV Kapitel 9, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 103f. 671Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 672Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 22. 199 das geschwächte Organ nicht singen; und es kann kein Ton auf der Sackpfeife angeblasen werden, wenn sie voller Risse ist. Wie sehr muß also meine Auslegung leiden, wenn meine schwachen Kräfte keine Anmut mehr aufkommen lassen? Suche, wenn du dieses Werk durchgehst, kein Blätterwerk von schönen Worten; denn man darf im Tempel Gottes keinen Hain anlegen und eben dadurch wird denen, die Gottes Wort behandeln, alle unfruchtbare und leichtfertige Vielrederei untersagt. Wir alle wissen, daß die Ähren wenig Körner tragen, wenn die Halme gar zu viel Blätter haben. Darum wollte ich mich nicht nach der Redeweise, wie sie die weltlichen Rhetoren lehren, richten, meide, wie auch dieser Brief zeigt, nicht Metacismen noch Barbarismen und beachte nicht Wortstellung und Rhythmus und den Kasus der Präpositionen, da ich es für sehr unwürdig erachte, die Worte des himmlischen Orakels unter die Regeln des Donatus zu beugen. Das ist auch von keinem der Schriftausleger geschehen.“673 Diese Stelle ermöglicht eine gerechte Beurteilung und Wahrnehmung von Gregors Stil. Gregor ist beeinflusst durch seine körperliche Befindlichkeit, er ist krank und leidet unter ständigen Schmerzen. Das zeigt sich etwa in einem ermüdenden, eintönigen Satzbau, besonders in der Regula Pastoralis.674 Gregor vermeidet jedoch auch bewusst allen Redeschmuck, weil, nach Gregor, das heilige Wort in Einfachheit dargeboten werden muss. „Er schreibt in der Sprache seiner Zeit; er will sich nicht fern ab vom Volke stellen, das ist das ‚Sich nicht beugen unter die Regeln des Donatus‘. In den vielen Antithesen verrät er den Einfluß von Augustin her, in den tautologischen Häufungen den Verfall der Latinität. Mitunter aber wird er von der Gedankenfülle hingerissen und schreibt Partien von glänzender und überwältigender Schönheit, so z. B. in Reg. Past. III 12, wo er vom Leiden des Erlösers, oder in den Dialogen III 38, wo er vom Unglück Italiens redet.“675 Gregor schreibt im Kapitel 38 des dritten Buches: „Wundere dich darüber nicht, Petrus; denn deine Liebe hat den Bischof Redemptus von Ferentino gekannt, einen Mann von verehrungswürdigem Lebenswandel, der vor ungefähr sieben Jahren aus dieser Welt

673 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.22f. 674 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 675 FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel : F. Pustet, 1933, S.23. 200 geschieden ist. Dieser war mit mir, als ich noch im Kloster war, eng befreundet und erzählte mir auf mein Befragen hin selbst, was er zur Zeit meines Vorgängers Johannes des Jüngern über das Weltende geschaut hatte, so, wie es weit und breit bekannt wurde. Er kam einstmals, sagte er, als er wie gewöhnlich seine Pfarrkirchen besuchte, zur Kirche des heiligen Eutychius. Als es Abend wurde, ließ er sich sein Lager neben dem Grabe des Märtyrers bereitrichten und ruhte dort nach der Arbeit aus. Es war Mitternacht; er schlief nicht und konnte nicht, wie er sagte, völlig wach bleiben, sondern der wache Geist wurde, wie es gewöhnlich geschieht, vom Schlafe wie von einer Art Gewicht beschwert - da stand vor ihm der heilige Märtyrer Eutychius und sprach: „Redemptus, bist du wach?” „Ja”, erwiderte er, „ich bin wach.” Darauf sprach er: „Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt! Das Ende alles Fleisches kommt!” Nach diesem dreimaligen Rufe verschwand die Erscheinung des Märtyrers, die sich den Augen seiner Seele gezeigt hatte. Da stand der Mann Gottes auf und fing an zu beten und zu klagen. Bald folgten auch jene furchtbaren Zeichen am Himmel, daß man feurige Lanzen und Schlachtreihen von Norden her kommen sah. Und bald wurde das wilde Volk der Langobarden aus der Scheide seiner Wohnstatt gezogen und wütete gegen unseren Nacken; und das Menschengeschlecht, das in diesem Lande in überströmender Zahl wie eine dichte Saat dastand, wurde dahingemäht und verdorrte. Denn die Städte wurden entvölkert, die festen Plätze zerstört, Kirchen niedergebrannt, Männer- und Frauenklöster dem Erdboden gleichgemacht. Die Landgüter sind verlassen und niemand nimmt sich ihrer an; das flache Land liegt brach und ist verödet; kein Besitzer wohnt mehr dort, und wilde Tiere hausen, wo ehedem viel Volk seine Wohnung hatte. Was in andern Teilen der Welt vor sich geht, weiß ich nicht. Aber in diesem Land, in dem wir leben, verkündigt die Welt ihr Ende schon nicht mehr, sondern zeigt es bereits. Umso inständiger also müssen wir nach dem Ewigen trachten, je mehr wir erkennen, wie schnell das Zeitliche dahingeht. Wir müßten die Welt verachten, auch wenn sie uns anlockte und mit glücklichen Dingen uns umschmeicheln würde; wenn sie aber mit soviel Geißeln geschlagen und von soviel Unglück heimgesucht wird, wenn sie soviel Schmerzen täglich uns verdoppelt, was ruft sie uns da anders zu als: „Liebet mich doch nicht!”676 Bezüglich der Jugendbildung Gregors, finden wir in seinen Schriften, laut Joseph Funk, einen ernsten, melancholischen Zug, er urteilt hart über die literarische Bildung: „Die Weisen dieser Welt“, sagt er, „legen Gewicht auf die Beredsamkeit; ihre Aussprüche haben ein schönes

676 Buch III, Kapitel 38, GREGOR DER GROßE, , Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, aus dem lateinischen übersetzt von Joseph Funk (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 201

Gesicht, sind aber geschminkt; sie lügen, da ihnen ein wirklicher Inhalt abgeht; sie sind nur eitle Wortbildungen und mit schönen Farben überzogen.“677 „In dem Begleitbrief zu den Moralia an Bischof Leander verachtet Gregor die infructuosae loquacitatis levitas und schreibt: ‚Darum wollte ich mich nicht nach der Redeweise, wie sie die weltlichen Rhetoren lehren, richten, meide, wie auch dieser Brief zeigt, weder Metacismen noch Barbarismen und beachte nicht Wortstellung und Rhythmus und den Kasus der Präpositionen; denn ich halte es für ganz und gar unwürdig, daß ich die Worte des himmlischen Orakels unter die Regeln des Donatus beugen soll.‘ […]“678 Gregor verachtet nicht die Grammatik an sich, sondern sein Hauptaugenmerk liegt in der Erfassung des göttlichen Lehrinhalts und der Wiedergabe dessen. Daher liegt ihm wenig daran, die Arbeit aufzuputzen und sie in einem besonderen Glanz darzustellen.679 „Mit dieser Anschauung berührt sich die Meinung Stuhlfaths680, daß die Ablehnung des ciceronianischen Lateins, das zur Manier geworden war, eine gesunde Reaktion verrät. Die strenge Auffassung, das Erfassen des Kernes einer Sache unter Preisgabe der kunstvollen äußeren Form bildete sich bereits in der Seele des Knaben, da die Beschäftigung mit geistlichen Dingen, vorab mit der Heiligen Schrift und den Vätern, die in der schweren Zeit allein Trost und Halt geben konnten, die Pflege der rein formalen Geistesbildung mehr zurücktreten ließ.“681 Gregor von Tours schreibt in seinen zehn Bücher Geschichten, dass Gregor in den Wissenschaften der Grammatik, der Dialektik und der Rhetorik so unterrichtet war, „dass man meinte, er stehe darin sogar zu Rom keinem anderen nach. […]“682

677 Moral. 1 XVIII, c 46, zitiert nach: FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.7. 678 FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.7. 679 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.7. 680 STUHLFATH Walter., Gregor I der Große, Sein Leben bis zu seiner Wahl zum Papste nebst einer Untersuchung der ältesten Viten, In: Heidelberger Abhandlungen zur mittl. Geschichte, Heidelberg 1913, S.15. 681 FUNK Joseph, Einleitung zu Gregor dem Grossen. In: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. ( Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.7. 682 GREGOR von TOURS, Zehn Bücher Geschichten, Buch X, 1, Vom Papst Gregor in Rom, S. 323. 202

Pierre Riché meint über Gregor: „[…] Er schreibt ein für diese Epoche ausgezeichnetes Latein. Hier und da lässt er Gedanken der Klassiker, die er studiert hat, einfließen; er kennt die Regeln der Redekunst und weiß sie anzuwenden, manchmal nimmt er sich die Zeit, seine Schriften stilistisch zu überarbeiten.683

5.8 Die literarische Form der Dialoge Gregors des Großen

Joseph Funk schreibt in der Einleitung zu den Dialogen über die Form des Buches: „Gregor wählte für seine Darstellung die Form des Dialoges. Sie war den Alten geläufig von den Dialogen der griechischen Philosophen her und nicht nur bei den griechischen, sondern auch bei den lateinischen Kirchenvätern beliebt; es seien nur genannt Chrysostomus De sacerdotio, Hieronymus Adversus Luciferianos und In Pelagianos, Augustinus De beata vita und De ordine, Sulpicius Severus zwei Dialoge zur Vita des hl. Martinus. Der Dialog bietet durch Einreden und Fragen zwanglos Gelegenheit, um einzelne Gegenstände ausführlicher behandeln zu können, Digressionen einzuleiten und abzubrechen und um die Aufmerksamkeit der Leser stets wach zu halten. Gregor wählt zum fingierten Gesprächsgenossen seinen Diakon Petrus, der meist nur einfache Fragen stellt und durch seine Zwischenbemerkungen oft nur Übergänge bildet. Vielleicht ist Petrus, wie Dudden als sicher annimmt,684 der Repräsentant des Durchschnitts des damaligen Klerus mit seinen Bedenken und Fragen. “685

Wie im zweiten Buch, wo das Leben Benedikts in der Art eines Wechselgesprächs zwischen Gregor, der auch der Verfasser ist und Petrus, seinem Diakon, dargestellt ist, so ist das auch in den anderen drei Büchern.686 In den ersten drei Büchern überwiegt die Erzählung, im vierten Buch ist allerdings die Doktrin vorherrschend, und die Wunderberichte werden weniger. Carmen C. De Hartmann meint: „Der Mangel an Wundererzählungen im vierten Buch kann als Zeichen seines

683 RICHÈ Pierre, Gregor der Große, Leben und Werk, München, Zürich Wien, 1996, S. 9. 684 DUDDEN Frederick Homes, Gregory the Great, His Place in History and Thought, London / New York 1905, S. 324. 685 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 7. 686 VGL. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 203

Fortschritts ausgelegt werden: Nicht das Wundersame als erzählbare Oberfläche ist jetzt für ihn wichtig, sondern der Kern des Glaubens.“687

Zu den Merkmalen des mittellateinischen Dialogs gehört laut Carmen C. de Hartmann unter anderem, dass die Dialogpartner oder Dialogteilnehmer nicht charakterisiert werden, sie reduzieren sich nur auf ihre Namen, die Texte sind nur durch Quastiones et responsiones zu unterscheiden.688 So werden in Gregors Dialogen, die ja Vorbild für spätere Dialoge waren, die Texte durchgehend, bis auf wenige Ausnahmen, durch die Namen Petrus und Gregor eingeleitet. Die Beziehung zwischen den beiden Dialogpartnern ist freundschaftlich, Petrus wird von Gregor unterwiesen und übt einerseits eine strukturierende Funktion aus, andererseits ist er allerdings auch ein perfekter Rezipient, der quasi Lehren aus Gregors Erzählungen zieht und diese auch verinnerlicht.689 Der Dialog Gregors hat keine Rahmenhandlung, lediglich in der Einleitung wird das Zusammentreffen der Dialogpartner genannt, Gregor schreibt: „Eines Tages befand ich mich wegen des zu großen Ungestüms einiger Weltleute, […], in großer Niedergeschlagenheit. […] Nachdem ich lange, in stille Betrübnis versunken, so dagesessen hatte, trat mein lieber Sohn, der Diakon Petrus, ein, mein vertrauter Freund aus schöner Jugend frühesten Tagen und mein Genosse bei der Erforschung des göttlichen Wortes. Er sah, dass mein Inneres von großem Leid durchdrungen war, und sprach: ,Was ist dir denn Neues zugestoßen, dass du so ungewöhnlich traurig bist?‘ “690

Laut Carmen C. de Hartmann kann die Dialogform verschiedene Funktionen erfüllen: „Sie dient der Gliederung des Inhaltes, wobei die Gesprächsanteile einer Figur als Überschriften fungieren. Sie kann auch dazu dienen, unterschiedliche, sogar disparate Inhalte zu integrieren. Durch die Zuschreibung unterschiedlicher Argumente an unterschiedliche Figuren können unvereinbare Positionen klar geschieden werden. Dem Leser kann ferner eine

687HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 688 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 261. 689 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 690 GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S. 11. 204

Identifikationsfigur angeboten werden, die seine möglichen Zweifel und Einwände vorwegnimmt oder ihn durch die Äußerung heftiger Emotionen zu einer bestimmten Reaktion (Reue, Wille zur Umkehr, Gottesliebe) hinführt. […] Dialoge sind inhaltsorientiert: Eine Handlung kommt nicht vor oder wird auf den Rahmen beschränkt; die Dialogform dient mit ihren unterschiedlichen Funktionen der besseren Darstellung der Themen; die Personen sind nur dazu da, Inhalte zu vermitteln oder eine Diskussionsmethode exemplarisch vorzuführen, weshalb ihre Charakterisierung nur dürftig oder nicht vorhanden ist. Die Texte sind als Einheit gestaltet. In der Regel bestehen sie aus einem einzigen Gespräch mit gleichbleibenden Teilnehmern, das nur durch Themenwechsel eine Einteilung erfährt.“691 So sind auch die Dialoge von Gregor, die eine prägende Rolle gespielt haben,692 mit gleichbleibenden Teilnehmern, nämlich Gregor und Petrus, und die verschiedenen Erzählungen der Wundertaten in den Büchern eins, zwei und drei und die Berichte in Buch vier sind quasi die verschiedenen Themen. Petrus übernimmt im Dialog die Schülerfunktion, wie in den monastischen Lehrdialogen, und holt so den Leser in den Text hinein, er fungiert damit in einer Weise als Identifikationsfigur, um die Fragen und Zweifel der Leser vorwegzunehmen, um den Weg zur Erbauung und zum geistigen Fortschritt vorzuführen.693 Carmen C. de Hartmann meint, dass Gregor in seinen Dialogen die Vereinigung zweier Aspekte, der doktrinalen Unterweisung etwa und vorgelebten Anleitung zu einem monastischen Lebenswandel gelingt. Dies erfolgte vielleicht in Anlehnung an Sulpicius Severus und Cassianus.694

Gregor gelten die Wunder immer nur als Hinweis auf das, oder als Zeichen dessen, was wirklich zählt, nämlich die inneren Werte.695 Also der Hinweis auf die Tugend, ist das, was für Gregor zählt, das erwähnt er auch am Ende des ersten Buches: „Ich glaube, Petrus, daß uns auch heute eine große Anzahl solcher Männer nicht mangelt; denn deswegen, weil sie keine solchen Wunder tun, müssen sie ihnen nicht

691 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 262f. 692 „Monastische Lehrdialoge sind fiktive Gespräche, ihre Beliebtheit scheint paradox bei Männern, die in selbstauferlegter Stille leben […] Die Verwendung der Dialogform ist zum Teil gewiss der Tradition geschuldet, wobei die Dialogi Gregors des Großen eine prägende Rolle gespielt haben dürften.“ HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 83f. 693 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88, vgl. dazu auch: MEYVAERT Paul, The Authentic Dalogues of Gregory the Great, Sacris Erudiri 43, 2004, S. 83. 694 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 695 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 205 ungleich sein. Denn der wahre Wert des Lebens liegt in der Tugend und nicht im Wunderwirken. Es gibt sehr viele, die, ohne Wunder zu wirken, dennoch den Wundertätern nicht nachstehen.“696 Petrus schlussfolgert, „[…] daß man auf das Leben und nicht auf die Wunder schauen muss. Doch da die Wunder, die geschehen, gerade von einem guten Leben Zeugnis geben, so bitte ich dich, fortzufahren, wenn du noch welche weißt, um so meine Neugier durch gute Beispiele zu befriedigen.“697 Petrus leitet mit seiner Bitte um neue Wunderberichte zum zweiten Buch über, das vom Leben und von den Wundern des hl. Benedikts erzählt.

Nach Egbert Bicher698 sind Gregors Dialoge nicht Geschichtsschreibung, können jedoch auch nicht in die literarische Gattung der Hagiographie eingeordnet werden. Jedenfalls nicht dann, wenn man von Lotters Definition ausgeht: „Im Gegensatz zur Historiographie verfolgt die Hagiographie nicht die Absicht, der Nachwelt eine Darstellung geschichtlicher Vorgänge zu vermitteln, sondern will lediglich Heilige und ihre Kulte propagieren, etablieren und stabilisieren.“699 Gregor geht es nicht darum, Heilige und ihre Kulte zu stabilisieren und publik zu machen, sondern einerseits um die Darlegung wichtiger Lehren des christlichen Glaubens und andererseits um aufzuzeigen, dass der wahre Wert des Lebens in der Tugend liegt und nicht im Wunderwirken.

Gregor wählt also für seine Bücher die literarische Form des Dialogs, weil dieser die Möglichkeit bietet, den Stoff anschaulicher zu vermitteln als etwa in einer Predigt oder in

696 Buch I, Kapitel 12, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.33. 697 Buch I, Kapitel 12, GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk) Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), S.33. 698 BICHER Egbert, Mönchtum in den Dialogen Gregors des Großen, Hamburg 2002, S. 99. 699 LOTTER Friedrich, Methodisches zur Gewinnung historiographischer Kenntnisse aus hagiographischen Quellen, in: HZ 229, 1979, S.307, zitiert in: BICHER Egbert, Mönchtum in den Dialogen Gregors des Großen, Hamburg 2000, S.100, vgl. dazu auch: KRUMBACHER Karl, EHRHART Albert, GELZER Heinrich, Geschichte der byzantinischen Literatur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches (527-1453), München 1897. 206 einem Lehrtraktat,700 allerdings ist. Seine Dialoge entsprechen nicht dem literarischen Gehalt des antiken Dialogs, in dem unterschiedliche Positionen benannt werden und durch den dialektischen Fortschritt die Erkenntnis der Wahrheit entsteht.701 So entfernt sich der literarische Gehalt einerseits vom antiken und altchristlichen Dialog, aber auch vom modernen Dialog, in dem es auch um den Prozess des Gesprächs und um Erkenntnis oder um eine von allen Gesprächsteilnehmern geteilte, gemeinsame Wahrheit geht. Abgesehen davon, dass der moderne Dialog ein tatsächliches Gespräch ist, und der schriftliche Dialog über eine Unterredung berichtet, oder diese darstellt, geht es im modernen Dialog nach David Bohm darum: „Der Dialog, wie Bohm in versteht, ist ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung vom Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. In diesem Prozess wird eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrung erkundet: Unsere tief sitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung traktierter kultureller Mythen und die Art und Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert. Am wichtigsten aber ist vielleicht die Ausrottung der Art und Weise, in der das Denken - von Bohm als inhärent begrenztes Medium gesehen, nicht als objektives Abbild der Wirklichkeit - auf der kollektiven Ebene hervorgebracht unterhalten wird.“702 Der moderne Dialog ist dem antiken Dialog also ähnlicher, in dem es eben auch vor allem darum geht, unterschiedliche Positionen zu benennen einerseits und andererseits durch den dialektischen Fortschritt der Erkenntnis zur Wahrheit zu gelangen.

Die Form von Frage und Antwort ist allerdings in den verschiedenen Mönchsregeln, in der monastischen Literatur bekannt, es besteht eine fiktive Dialogsituation. „Diese Gesprächsform ist in besonderer Weise Strukturelement der hagiographischen monastischen Literatur und der Mönchserzählungen (z.B. Sulpicius Severus). Dabei handelt es sich um eine fiktive Dialogsituation, die dem Leser Wirklichkeit und Ursprünglichkeit vermitteln soll, so wie es im Rhetorikunterricht üblich war, historische Ereignisse in Dialogform vorzutragen. Dialog ist hier nur in einem weiten und formalen Sinn zu sehen, die Form dient etwa zur Auflockerung der Erzählung, dies betont auch Sulpicius Severus: ‚Ich habe zwar die Form des Dialogs gewählt, um die Langeweile zu verscheuchen und dem Leser Abwechslung zu bieten.

700 Vgl. dazu: PUZICHA Michaels, Benedikt von Nursia begegnen, Augsburg 2004, S. 18. 701 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 28. 702 LEE Nicole, Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Sechste Auflage, Stuttgart 2011, S.7f. 207

Aber ich erkläre feierlich, nur geschichtliche Wahrheit will ich gewissenhaft zur Darstellung bringen‘.703 Dasselbe Anliegen verfolgt Gregor mit seiner Einkleidung des Lebens Benedikt oder mit den Erzählungen über die Wunder anderer heiliger Väter, in die Art eines Dialogs. Der Diakon Petrus gibt die Stichworte, die die Erzählung weiterbringen. Dennoch handelt es sich vor allem um monologische Partien, die Gregor vorträgt.“704 Der Ursprung des Dialogs aus dem lebendigen Gespräch, der den Sokratikern noch sehr bewusst war, ist ja bereits schon Aristoteles ferngerückt,705 und bei Gregor dient der Dialog nur als Rahmen. Gregor will aber mit der Form des Dialogs auch die Leser dazu anregen, die eigenen Wahrheiten oder den eigenen Glauben zu hinterfragen. Gregor will so mit seinen Dialogen erbauen und nicht belehren, die Form des Dialogs soll im Leser Selbstverantwortung hervorrufen, damit sich dieser wieder auf seine Werte besinnt. Die Tugendbeispiele sollen die Leser zur Nachahmung aufmuntern, die Wunder hingegen sollen sie mit Vertrauen auf Gott erfüllen. Im modernen Dialog sind die mentalen Modelle etwa die Glaubenssätze, die vermeintlich von der Gesellschaft vorgegeben sind und die es scheinbar einzuhalten gilt, die uns entfernen von der eigenen Vision, vom Zweck oder Sinn der Lebens, und letztlich geht es immer nur um Geltung und Macht706. Bei Gregor sind es auch die weltlichen Anforderungen, die Verpflichtungen des Alltags, die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ihn wegführen vom kontemplativen Leben. Er betrachtet die päpstliche Würde als Ehrenketten707 und nennt die gesellschaftlichen Anforderungen als Verwirrungen des Lebens.708

703SULPICIUS SEVERUS (um 420) Drei Dialoge (Dialogi; über den hl. Martinus) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger Text ohne Gewähr Text aus: Des Sulpicius Severus Schriften über den hl. Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 20) Kempten; München : J. Kösel, 1914, Dialog III, 5, S.35. 704 GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 31f, vgl. dazu auch: „Auf den Höhepunktunkt Augustin folgt Sulpicius Severus. Bei ihm ist der Dialog wie bei Johannes Chrysostomos Einkleidung und dient nach dem Zeugnis des Verfassers dazu, das Aufkommen von Langeweile zu verhindern.“ VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 346. 705 Vgl. dazu: HÖSLE Vittorio, Der philosophische Dialog, eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, S. 92. 706 Es geht im modernen Dialog darum, Denkmuster an die Oberfläche zu bringen, und zu hinterfragen, ob beispielsweise beim Thema Macht diese dem eigenen Nutzen dient oder zum Wohle der Menschen. Auch Gregor ermahnt oft in seinen Briefen Bischöfe und andere Gottesdiener ihre Macht nicht falsch auszunutzen, sondern nur das allgemeine Wohl im Auge zu behalten. 707 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten, 1874, Buch 1,3. 708 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Ausgewählte Briefe, generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Frans-Joris Fabri / Benedicta Arndt, übersetzt und m. Anmerkungen versehen von Theodor Kranzfelder. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 27), Kempten, 1874, Buch 1,4. 208

6. Muster der Dialoge Gregors des Großen

Es handelt es sich bei Gregors Dialogen um eine fiktive Dialogsituation, die dem Leser allerdings Wirklichkeit oder Ursprünglichkeit vermitteln soll. Diese Gesprächsform ist in besonderer Weise Strukturelement der hagiographischen monastischen Literatur und der Mönchserzählungen.709 Laut Carmen de Hartmann ist die Dialogform vor allem eine Form der schriftlichen Kommunikation und nicht der Mündlichkeit, und wurde von ihr als solche wahrgenommen und gehandhabt.710 „Nur in einigen Nischen finden sich Spuren der Mündlichkeit. Etwas ergiebiger dürften die Texte sein, in denen die Personensprache dramatisch gestaltet ist, vor allem wenn man nach Mustern der mündlichen Interaktion, und nicht nur nach konkreter mündlicher Sprache sucht.“711

Der Dialog Gregors hat nahezu keine Rahmenhandlung, es wird lediglich der Grund des Zustandekommen des Gesprächs genannt, und es werden die Figuren, Gregor und Petrus, eingeführt. Petrus wird von Gregor quasi unterwiesen, und hat gewissermaßen eine strukturierende Funktion.

Dennoch dient die Dialogform bei Gregor nicht nur der Gliederung des Inhalts, „der Dialog bietet durch Einreden und Fragen zwanglos Gelegenheit, um einzelne Gegenstände ausführlicher behandeln zu können, Digressionen einzuleiten und abzubrechen und um die Aufmerksamkeit der Leser stets wach zu halten.“712 Auch wählte Gregor die Form des Dialogs, um die Inhalte und Themen besser darzustellen, ferner bot Gregor mit Petrus eine Identifikationsfigur an, der dem Leser seine möglichen Zweifel und Einwände vorwegnimmt, und den Leser gegebenenfalls zum Willen zur Umkehr oder zur Gottesliebe hinführt. Gregors

709 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 31f, vgl. dazu auch:„Auf den Höhepunktunkt Augustin folgt Sulpicius Severus. Bei ihm ist der Dialog wie bei Johannes Chrysostomos Einkleidung und dient nach dem Zeugnis des Verfassers dazu, das Aufkommen von Langeweile zu verhindern.“ VOSS Reiner Bernhard, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 346. 710 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 285. 711 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 285. 712 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 7. 209

Dialoge sind lediglich inhaltsorientiert, es gibt sozusagen keine Handlung, der Dialog bietet nur den Rahmen, die Dialogform dient hier mit den unterschiedlichen Funktionen der besseren Darstellung der Themen. Es werden Inhalte vermittelt und eine einfache Art der Diskussionsmethode wird exemplarisch vorgeführt. Petrus zieht Lehren aus den Erzählungen und verinnerlicht diese. Allerdings im Gegensatz zu Gregor, dem Wunderkraft nur ein Zeichen der Heiligkeit ist, und dem ein demütiges Leben wichtiger ist als Wunder, möchte Petrus vor allem Tugendbeispiele, also Wunder hören, und dieser Gegensatz löst sich etwa bis zum Ende der Dialoge nicht auf. Petrus verkörpert quasi die wunderversessenen Leser, und Gregor erzählt bereitwillig eines nach dem andern.

Gregor geht es nicht um die Bekräftigung oder Bestätigung der Aussagen etwa um Autorität zu verleihen. Gregor ist ja Autor und Figur der Dialoge, er hätte seinen Ausführungen dieselbe Autorität etwa in einem Traktat verleihen können. Gregor geht es mehr um die Bestärkung im Glauben sowie dem glaubenskonformen Leben, dies vermittelt er Petrus durch die Vorbilder der Heiligen.713 „Eine solche aufbauende Unterweisung ist im monastischen Umfeld eng mit der Mündlichkeit verknüpft, wie sie in der monastischen Predigt und in dem persönlichen Gespräch des erfahrenen Mönches mit dem Novizen praktiziert wurde.“714 Dies entspricht den monastischen Lehrdialogen, die fiktive Gespräche sind, und paradoxerweise bei Männern beliebt sind, die sich selbst ein Leben in Stille auferlegt haben und deren produzierte Literatur, laut Jean Leclercq, als „Literatur des Schweigens“ bezeichnet wurde.715 Diesbezüglich haben die Dialoge von Gregor dem Großen eine prägende Rolle gespielt. Die Einweisung in das monastische Leben, die weder im Schulunterricht noch in der Einsamkeit geschieht, vollzieht sich in der persönlichen Beziehung und im Gespräch mit einem erfahrenen Mönch, der quasi durch sein Vorbild zur Befolgung der Regeln anleitet.716 „In dieser Unterweisungsbeziehung finden sich die zwei charakteristischen Elemente der monastischen Dialoge, die vorbildliche Lebensweise (die in den Dialogen durch Erzählungen

713 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 37. 714 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 37. 715 Vgl. dazu: LECLERCQ Jean, L’amour des lettres et le dèsir de Dieu. Initation aux auteurs monastiques du Moyen Àge, Paris 1957, S. 146f, deutsche Übersetzung von Johannes und Nicole Stöber: Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie des Mittelalters, Düsseldorf 1963, S.173f, vgl. dazu auch: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 83. 716 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 84. 210 vermittelt wird) und die lehrhafte Rede. Es ist nicht ein abstraktes Wissen sondern die gelebte Erfahrung, was dem unterweisenden Mönch Autorität verleiht. Dies hat bereits in der monastischen Literatur der Spätantike zur Praxis der fiktiven Mündlichkeit geführt: Sie soll suggerieren, dass in den Schriften kein ‚Buchwissen‘ vermittelt wird, sondern die lebendige Weisheit der Älteren.“717

Gregor propagiert das monastische Ideal und setzt zu diesem Zweck einerseits die Doktrin andererseits die vorbildlichen Lebensweisen oder Lebenswege der Mönche, besonders Benedikts ein. Gregor will mit seinen Dialogen nicht belehren, er will erbauen. Genaugenommen gelingt Gregor, laut Carmen C. De Hartmann, in seinen Dialogen die Vereinigung der beiden Aspekte, nämlich der doktrinalen Unterweisung zum Einen und der vorgelebten Anleitung zum monastischen Lebenswandel zum Anderen.718

Es besteht eine innere Einheit der ersten drei Bücher der Dialoge Gregor des Großen, diese „beruht auf der Apologie der monastischen Lebensform und auf ihrem lehrhaften Charakter. Es sind nämlich Schriften zur Einweisung in das monastische Leben, die zu diesem Zweck sowohl die Doktrin als auch das konkrete Vorbild heiliger Mönche als Lehrmittel einsetzen.“719

In Gregors Dialogen werden die Redebeiträge durch die Namen eingeführt, und dies hält Gregor zimlich konsequent ein. Seine Sprche in den Dialogen ist gut verständlich und die narrative Umrahmung ist auf ein Minimum reduziert. Es besteht in Gregors Dialogen ein kontinuierliches Gespräch von nur zwei Figuren, nämlich zwischen Gregor und Petrus, die in einer engen Beziehung der Lebensführung und Lebensunterweisung stehen. Gregor wählt Dialogform, um Erzählung und Doktrin miteinander zu verbinden, die Lehre legt etwa die Exempel aus und die Lehre wird umgekehrt durch sie erklärt wird.720 Gregor verwendet unzählige und gleichzeitig auch treffende Vergleiche, die er der Schiffahrt entnimmt, die laut Joeph Funk endlich vermuten lassen, „dass Gregor mit dem Meere wohl vertraut war und wahrscheinlich öfter nach Sizilien gefahren ist, wo des Vaters Besitzungen

717 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 84. 718 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 87. 719 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 200, S. 88. 720 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 88. 211 lagen.“721 Gleich in der Enleitung zu den Dialogen schreibt Gregor beispielsweise: „[…] Denn siehe, jetzt bin ich ein Spielball der Wellen eines weiten Meeres und werde in meinem Geistesschifflein von den Wogen eines heftigen Sturmes hin und her geworfen. Und wenn ich mich des früheren Lebens erinnere, ist es mir, als ob ich rückwärts blickte und aufseufzend nach dem Gestade schaute. Und was noch trauriger ist - während ich so von den ungeheuren Fluten dahingetrieben werde, kann ich den Hafen, den ich verlassen, kaum mehr sehen.[…]“722 Gregor bedient sich auch häufig biblischer Muster,723 das zeigt auch eine Brotvermehrung durch Sanctulus: „Ein anderes Mal herrschte gerade überall große Hungersnot, und eben war auch die Kirche des heiligen Märtyrers Laurentius von den Langobarden niedergebrannt worden. Der Mann Gottes wollte sie wieder aufbauen und stellte viele Handwerksleute und noch mehr Handlanger ein. Allein diesen Arbeitern mußte der tägliche Unterhalt ohne Aufschub gereicht werden. Aber infolge der Hungersnot fehlte es an Brot, und die Arbeitsleute fingen an, dringend nach Nahrung zu verlangen, weil sie vor Hunger keine Kraft zum Arbeiten mehr hätten. Als der Mann Gottes dieses hörte, beschwichtigte er sie äußerlich wohl mit guten Worten und versprach ihnen zu geben, was ihnen abging; innerlich aber hatte er große Angst, weil er das Essen, das er ihnen versprach, nicht liefern konnte. Während er nun in seiner Angst da und dorthin ging, kam er zu einem Backofen, in dem Frauen aus der Nachbarschaft tags vorher ihr Brot gebacken hatten. Er bückte sich und schaute hinein, ob nicht etwa noch ein Brot drinnen geblieben sei. Da fand er plötzlich ein Brot, das ganz besonders groß und ungewöhnlich weiß war. Er nahm es heraus, wollte es aber doch den Bauleuten nicht bringen; denn es konnte jemand andern gehören, und er so gleichsam aus Mitleid eine Sünde begehen. Er trug es darum zu den Frauen in der Nachbarschaft, ließ es überall sehen und fragte, ob es etwa eine von ihnen liegen gelassen habe. Alle aber, die tags vorher gebacken hatten, sagten, es gehöre ihnen nicht, sie hätten ihr Brot vollzählig vom Ofen mit nach Hause gebracht. Da ging der Mann Gottes hocherfreut mit dem einzigen Brote zu

721 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR der GROßE, Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis), Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Uwe Holtmann. Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen Buch der Pastoralregel; mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Grossen / aus dem Lateinischen übers. Von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 1; Bibliothek der Kirchenväter, 2.Reihe, Band 4) Kempten; München: J. Kösel, F. Pustet, 1933, S.8. 722 FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S.11. 723 POHL Walter, Deliberate ambiguity – the Lombards and Christianity, In: Christianizing Peoples and Converting Individuals, ed. Guyda Amstrong / Ian N. Wood, International medieval research 7, Turnhount 2000, S. 47-58. 212 seinen Bauleuten heim, forderte sie auf, dem allmächtigen Gott zu danken, und sagte ihnen, daß Gott ihnen Brot gespendet habe. Er lud sie zum Essen ein und setzte ihnen das gefundene Brot vor. Nachdem sie sich hinreichend und vollständig satt gegessen hatten, hob er mehr übrig gebliebene Stücklein auf, als vorher überhaupt Brot dagewesen war. Das setzte er ihnen am andern Tage wieder zum Essen vor; das aber, was von den Stücklein übrig blieb, war wieder mehr, als die vorgesetzten Stücklein mitsammen ausgemacht hatten. So geschah es, daß zehn Tage lang alle diese Bauleute und Arbeiter von jenem einen Brote sich sättigten, es alle Tage verzehrten, und daß täglich von ihm die Nahrung für den folgenden Tag übrig blieb, gerade als ob die Brotstücke durch das Essen größer geworden wären, und als ob der Mund beim Essen das Genossene wieder ergänzt hätte.“724

7. Vorbilder für Dialoge

Gregor von Nyssa hat sich gegen die Einstellung seines Bruders Basileios, der sich in einem Brief an Diodor von Tarsos gegen den Dialog, also den künstlerischen Dialog als Darstellungsform ausgesprochen hat, zweimal dieser Form bedient. Sein Dialog ‚Über die Seele‘, ist ein erzählter Dialog, wo Gregor selbst der Erzähler ist und der Dialog ‚Gegen das Schicksal‘ ist ein erzähltes Gespräch abgefasst in Form eines Briefes.725

Wie bereits erwähnt, war der Dialog als literarisches Mittel mit den Sokratischen Dialogen von Platon sehr beliebt. Sowohl Aristoteles als auch Cicero und Augustinus sahen in Platon ein Vorbild, und Minucius Felix sah beispielsweise in Cicero ein Vorbild. Mit Methodios erreichte, laut Bernd Reiner Voss der christliche Dialog Ende des dritten Jahrhunderts seinen Höhepunkt. „Bei ihm ist der Dialog als literarische Gattung und als bestimmte Form geistiger Auseinandersetzung für das Christentum in Anspruch genommen, nicht ohne Rücksicht auf die Tradition, doch auch nicht in ungebrochenen Sicheinfügen. Es

724 Buch III Kapitel 37, GREGOR DER GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten, Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Grossen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. Vorwort 1. Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk), S.94, vgl. dazu auch: ERHART Peter, Gens eadem reparat omnia septa gregis – Mönchtum unter den langobardischen Königen, In: Die Langobarden, Herrschaft und Identität, herausgegeben von Walter Pohl und Peter Erhart, Wien 2005, S.388. 725 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 175 – 186. 213 handelt sich vielmehr um bewussten Rückgriff über eine Kluft hinweg auf eine versiegte Überlieferung.“726 Auch für Hieronimus war Cicero ein Vorbild, allerdings ist die Anlehnung an die klassische Literatur merklich zurückgegangen, die sokratische Ironie in den Worten der Teilnehmer ist nun verloren gegangen.727 Bei Sulpicius Severus ist wie bei Johannes von Chrystomos der Dialog nur mehr eine Einkleidung, damit, wie Sulpicius Severus bemerkt, beim Leser keine Langeweile aufkommt.728 Auch Gregor der Große wählte etwa die Form des Dialoges, nachdem sie den Alten geläufig war einerseits von den Dialogen der griechischen Philosophen her, andererseits auch von den Dialogen der lateinischen Kirchenvätern, beispielsweise Chrysostomus (De sacerdotio), Hieronymus (Adversus Luciferianos und In Pelagianos), Augustinus (De beata vita und De ordine) und Sulpicius Severus (zwei Dialoge zur Vita des hl. Martinus).729

Wie die frühmittelalterlichen Dialoge antike Vorbilder hatten, so gab es später auch eine Anlehnung an Dialoge des Frühmittelalters, im Besonderen an die Dialoge von Gregor dem Großen.

Mark Föcking schreibt in ‚Dialogus, dyalogus, trialogus – zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Dialog“ im Mittelalter: „[…] Umso mehr drängt sich die Frage auf, welche Erwartungen sich für Nelli730 und die Leser der Mitte des 14. Jahrhunderts mit dyalogos verknüpft haben, welche Modelle sie im Auge hatten, welches Wissen um Textverfahren die Beziehung dyalogos evozierte – auch für Petrarca selbst. […] Aus zeitgenössischen Lexika hätte Nelli folgendes entnehmen können: dyalogus ist der ‚Liber beati Gregorij introducens sermonem

726 VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.91; Das Symposion, die einzig vollständig erhaltene Schrift on Methidios weist in hohem Grad eine Anlehnung an Platons Symposion auf. Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.109. 727 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.195. 728 Vgl. dazu: SULPICIUS SEVERUS (um 420) Drei Dialoge (Dialogi; über den hl. Martinus) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger Text ohne Gewähr Text aus: Des Sulpicius Severus Schriften über den hl. Martinus. Des heiligen Vinzenz von Lerin Commonitorium. Des heiligen Benediktus Mönchsregel. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 20) Kempten; München : J. Kösel, 1914, Dialog III, Kapitel 5. 729 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu den Dialogen (Joseph Funk), Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum), GREGOR der GROßE Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933. 730 „1351 schickte Francesco Nelli an seinen Freund Petrarca eine detaillierte Liste mit Lesewünschen, […]“FÖCKING Marc, Dialogus, dyalogus , trialogus – zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Dialog“ im Mittelalter, In: HEMPFER Klaus W., Möglichkeiten des Dialogs: Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart 2002, S. 76. 214 duorum, scilicet interrogantis et respondentis‘ – so die Vokabulare der Straßburger Geistlichen Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen um 1360. Wenige Jahrzehnte später vermerkt der Vocabularius ex quo, ein im ganzen 15. Jahrhundert im deutschen Sprachraum verbreitetes Handwörterbuch zum Verständnis der Bibel und anderer lateinischer Texte, unter dem Lemma dyalogos: ‚est sermo duorum vel liber Gregorij, in duo habetur vita Benedicti‘ oder auch est sermo duorum scilicet opponentis et respondentis, vel liber sancti Benedicti‘. Im Vergleich zur antiken Gattung des Dialogs hat der Begriff dyalogus im Spätmittelalter offensichtlich sowohl eine maximale Expansion auf jede Form von Wechselrede als auch eine maximale Verengung auf den Titel eines Textes, der Dialogi Gregors des Großen, erfahren.“731 Laut Mark Föcking gelten die Dialogi Gregor des Großen im Spätmittelalter als Mustertext. Im Hochmittelalter gelte bei Isidor noch die Definition conlatio duorum vel plurimorum, im Spätmittelalter allerdings, sei eine Verengung auf zwei Sprecher, in Anlehnung an die Dialoge Gregors, so gibt es etwa Mitte des 14. Jahrhunderts laut Föcking mehr und mehr Formulierungen des griechischen dyalogus was sozusagen mit sermo duorum übersetzt wird.732

8. Kontinuität des Dialogs

Die Frage, ob der Dialog von der Antike bis heute ohne Unterbrechung bestanden hat, soll im Folgenden angedacht werden. Oft wird von einem ‚monologischen‘ Mittelalter gesprochen,733 andererseits gibt es gerade im Mittelalter eine Reihe von Texten in Dialogform. Peter von Moos schreibt in seinem Buch ‚Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter‘ folgendes: „Wir befinden uns auf einer anderen Ebene, wenn wir etwa lesen, die ‚dialogische‘ Renaissance habe das ‚monologische‘ Mittelalter

731 FÖCKING Marc, Dialogus, dyalogus, trialogus – zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Dialog“ im Mittelalter, In: HEMPFER Klaus W., Möglichkeiten des Dialogs: Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart 2002, S. 76f. 732 Vgl. dazu: FÖCKING Marc, Dialogus, dyalogus , trialogus – zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Dialog“ im Mittelalter, In: HEMPFER Klaus W., Möglichkeiten des Dialogs: Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien, Stuttgart 2002, S. 80. 733 Vgl. dazu: STIERLE Karlheinz/ WARNING Rainer, Gespräch und Diskurs, Ein Versuch im Blick auf Montaigne, Descartes, Pascal, In: Das Gespräch, Herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München, 1984, S. 312, AUERBACH Erich, Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 10, Auflage, Tübingen 2001, S.280ff. 215 abgelöst. Karlheinz Stierle hat diese These vor einigen Jahren vorgebracht (1984), und ich glaubte, sie in der Sache widerlegen zu müssen, indem ich daran erinnerte, dass kaum ein Zeitalter mehr Texte in Dialogform hervorgebracht habe als das Mittelalter (1989).“734 Moos spricht das Problem der begrifflichen Klärung an, und fragt sich, in welchem Verhältnis das mündliche Gespräch und der geschriebene Dialog in bestimmten Epochen zueinander stehen. Ob sie einander unterstützen und man dann von der literarischen Beliebtheit der Dialogform auf eine parallele Gesprächsrealität schließen kann oder ob sie etwa antagonistisch - kompensatorisch zueinander stehen, so dass dialogische Texte auf ein unbefriedigtes Bedürfnis nach realen Gesprächen zurückzuführen sei, bzw. zunehmende Konversationspflege und Konvivialität gleichzeitig zu einer Austrocknung der Kunstform Dialog führten.735 Geht man weiter so bestand der Dialog an sich, nur manchmal wurde der literarische Dialog wegen seiner Schwerfälligkeit abgelehnt, wie in der Salonkonversation des französischen 17. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert wiederum waren Brief und Dialog im Sinne von ‚Schreibe wie du sprichst‘736 geradezu optimal. Es bestand eine Zunahme dialogisierter Lehrbücher im Hochmittelalter, dies steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Tendenz zur Verschriftlichung und dem Übergang vom monastischem zum scholastischen Schultyp. Es kam augenscheinlich zu einer Art Massenausbildung. Zudem kam es zu einem Aufschwung des humanistischen Dialogs der Renaissance aufgrund der „Technologisierung des Worts“ wegen des Buchdrucks. In der Spätantike löst allerdings auch eine Art der Mündlichkeit eine andere ab.737 Peter von Moos schreibt: „Der Überdruss an öffentlicher Prunkrhetorik ließ in elitären Freundeszirkeln eine Privatkultur des ‚sottovoce‘ mit literarischen Folgen sowohl im heidnischen wie im christlichen Bereich entstehen.“738

734 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 209. 735 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 209, vgl. dazu: STIERLE Karlheinz/ WARNING Rainer, Gespräch und Diskurs, Ein Versuch im Blick auf Montaigne, Descartes, Pascal, In: Das Gespräch, Herausgegeben von Karlheinz Stierle und Rainer Warning, München, 1984, S. 312, AUERBACH Erich, Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 10, Auflage, Tübingen 2001, S.280ff 736 Vgl. dazu: MÜLLER Karin, Schreibe wie du sprichst, Eine Maxime im Spannungsfeld von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, Frankfurt, Bern, New York, 1989. 737 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 209. 738 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 209. 216

Es ist auch die Sprache oder die Methode, die es ausmacht, wann, wo und in welcher Form und zu welchem Zweck der Dialog verwendet wurde und wird. Moos meint: „Schließlich kann Dialogliteratur auch das Zeichen einer fraglosen Überlegenheit der Schriftkultur sein, die konzeptionell alles Mündliche in sich aufgesogen hat, und dies ist die wohl insgesamt vorherrschende Situation des Mittelalters: Viele der gerade literarisch anspruchsvollen Dialoge verwenden nicht die schlichte Alltagsprosa ungezwungener Konversation, nicht den sermo, den Augustinus zum prosaischen Wesen dieser Gattung erklärt hatte, sondern ein höchst zerimonelles Diskursritual.“739

Es steht einerseits der literarische Dialog etwa der Disputation, dem Streitgespräch gegenüber, das weniger künstlerisch sondern eher sachlich geführt wurde, und eher der Wirklichkeit entsprach. Andererseits steht auch im modernen Dialog dem bewusst geführten Dialog, in dem es gilt, sich an die Regeln des Dialogs zu halten, der zufällig entstandene Dialog gegenüber, in dem es weniger um den Gang des Gesprächverlaufes geht und den Lernprozess sondern eher um das Ergebnis. So ist etwa auch zwischen dem realen Gespräch und dem Dialog, genaugenommen, dem literarischen Dialog zu unterscheiden. Oliver Winkler schreibt: „Jedoch besteht der zentrale Unterschied zwischen dem Chat und dem literarischen Dialog darin, dass hinter dem literarischen Dialog ein Autor steht, der die Interaktion steuert. Der literarische Dialog ist somit eine graphemisch festgehaltene Illusion eines mündlich geführten Dialogs, während es sich beim Chat oder beim Brief um eine von den Interaktanten ‚real‘ geführte Interaktionsform handelt.“740 Es ist zu unterscheiden, ob im Dialog ein tatsächlich stattgefundenes Gespräch widergegeben werden soll oder ob ein fiktiv geführtes Gespräch dargestellt wird. Zum historischen Vergleich der Gesprächsebene mit der Dialogebene schreibt Moos: „Das vergangene Gespräch ist zwar […] schlechthin nicht rekonstruierbar, nicht etwa, weil es keine Transkriptionen gibt, sondern weil die wenigen überlieferten Protokolle oder reportationes nur das semantisch Gesagte, nicht auch das parasprachlich Situative mitüberliefern.741

739 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 209f. 740 WINKLER Oliver, Konfliktaushandlung zwischen Ehepartnern in deutsch- und schwedisch sprachigen Dramen, Eine historisch-kontrastive linguistische Dialoganalyse, S. 13. http://www.doria.fi/bitstream/handle/10024/78656/winkler_oliver.php.pdf?sequence=2, Zugriff am 22.7.2013. 741 MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd II, Herausgegeben von Gert Melville, Berlin 2006, S. 210. 217

Peter von Moos meint, dass eher von der Briefliteratur Interaktions-Indizien abzuleiten sind. Laut Wolf Österreicher und Peter Koch ist die Grundlage oder ursprüngliche Form eines Textes ausschlaggebend, für die Einordnung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Sie unterscheiden zwischen medialer Mündlichkeit oder Schriftlichkeit, also der Realisierung eines Textes im jeweiligen Medium und der konzeptionellen Mündlichkeit oder Schriftlichkeit, also der ursprünglichen Form eines Textes. Demnach ist ein Telefongespräch sowohl konzeptionell mündlich als auch medial mündlich, weil die Grundlage eines Telefongesprächs mündlicher Art und nicht schriftlich ist und die Durchführung oder Umsetzung mit Worten, sozusagen mit gesprochener Sprache erfolgt. Eine Predigt beispielsweise ist zwar medial mündlich, da mittels gesprochener Sprache präsentiert, aber sie ist konzeptionell eher schriftlich, weil der Text einer Predigt üblicherweise zuvor schriftlich verfasst wurde.742 Peter Koch und Wulf Österreicher haben ein Modell oder Schema entwickelt, wo die beiden Dimensionen der gesprochenen und geschriebenen Sprache einander gegenübergestellt werden so wie der Dialog dem Monolog: „Das Schema von Koch/Österreicher besteht aus zwei Dimensionen. Die gradience zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Es geht hierbei also um das Medium, in dem die Äußerungsformen auftreten. Die zweite Dimension wird durch die verschiedenen Kommunikationsbedingungen dargestellt. Die ‚Sprache der Nähe‘ ist durch dialogische Merkmale gekennzeichnet, während die ‚Sprache der Distanz‘ monologische Merkmale enthält. Diese verschiedenen Kommunikationsbedingungen weisen verschiedene Strategien der Versprachlichung auf. ‚Sprache der Nähe‘ ist vorläufig und prozesshaft, während ‚Sprache der Distanz‘ endgültig und verdinglicht ist.“743

742 Vgl. dazu: KOCH Peter, ÖSTERREICHER Wulf, Sprache der Nähe – Sprache der Distanz, Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte, S. 15 – 43. http://books.google.at/books?id=-8NJL2kUqCwC&pg=PA96&lpg=PA96&dq=Sprache+der+n%C3%A4he+- +sprache+der+distanz+%C3%B6sterreicher&source=bl&ots=ZV1oxxuV9Z&sig=mGf7pIE7- 9t9t087jwM5HArWEtE&hl=de&sa=X&ei=ykn7UeWhEIiztAaX74HABw&ved=0CEwQ6AEwBQ#v=onepage &q=Sprache%20der%20n%C3%A4he%20-%20sprache%20der%20distanz%20%C3%B6sterreicher&f=false, „Als konzeptionell mündlich werden Textsorten bezeichnet, die sich durch kommunikative Nähe auszeichnen, also durch emotionale und raumzeitliche Nähe in der Kommunikationssituation. Merkmale hierfür sind u.a. physische Nähe, Dialogizität und Spontaneität. Dementgegen werden Textsorten als eher konzeptionell schriftlich kategorisiert, wenn sie durch kommunikative Distanz geprägt sind, also durch emotionale und raumzeitliche Distanz in der Kommunikationssituation. Merkmale dieser Texte sind etwa die physische Distanz, Monologizität oder die Reflektiertet. Eng verbunden mit den gegebenen Kommunikationsbedingungen stehen die jeweiligen Versprachlichungsstrategien der Textsorten. So sind konzeptionell mündliche Texte bspw. durch eine gewisse Vorläufigkeit in der sprachlichen Realisierung gekennzeichnet, während sich konzeptionell schriftliche Texte durch ihre Endgültigkeit.“ 743 KOCH Peter, ÖSTERREICHER Wulf, Sprache der Nähe – Sprache der Distanz, Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte, vgl. dazu auch: KOCH Peter, ÖSTERREICHER Wulf, ‚Schriftlichkeit und Sprache‘, In: Günther, Hartmut und Otto Ludwig (Hg.): Schrift und 218

9 Ausblick

Abschließend soll aufgezeigt werden, ob sich die Wiedergabe von Dialogen und Kommunikation in direkter Rede in frühmittelalterlichen Quellen von den an heutiger sprachlicher Interaktion gewonnenen Modellen unterscheidet? Es sollen bestimmte Grundmuster aufgezeigt werden, in denen sprachliche Kommunikation ablief. So sollen Aufschlüsse über die Möglichkeiten und Regelmäßigkeiten dialogischer Interaktion im frühen Mittelalter dargestellt werden.

Der Begriff Dialog meint einerseits das tatsächlich stattfindende, gezielt geführte, prozesshafte Wechselgespräch, in Anlehnung an den philosophischen Dialog sokratischer Prägung, sozusagen die aufrichtige, autoritätsfreie, gemeinsame Wahrheitssuche und Wissensbildung gleichgestellter Subjekte, also quasi ein ‚herrschaftsfreier‘ Dialog,744 in dem es auch darum geht, Gesprächs- und Denkmuster oder eine gewisse Gesprächskultur an die Oberfläche zu bringen und im Dialog das kollektive Wissen zu nützen. Andererseits meint Dialog die schriftliche Wiedergabe eines Gesprächs, wobei nicht jede Wiedergabe eines mündlichen Gesprächs als Dialog zu sehen ist. Die Vorstellung, die mit dem Begriff Dialog bezeichnet wird, orientiert sich etwa am Bild des Dialogs als einer literarischen Kunstform eigener Art.745 Dialogschriften werden in Form der Personensprache dargeboten. Dies ist einerseits zu belegen durch die Erklärung von Dialog als verschriftetes Gespräch alsauch die Darstellung der Form als Fragen und Antworten durch fiktive Personen andererseits.746

Der Dialog, also die themenbezogene Erörterung in Personensprache war von der Antike bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet und beliebt. Im 19. und 20. Jahrhundert verlor der Dialog, als Medium der wissenschaftlichen Diskussion seine Beliebtheit, er erhielt allerdings

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Von zeitgenössischen Autoren und modernen Forschern wurde oft der didaktische Aspekt der mittelalterlichen Dialogliteratur beobachtet.749 Bei der Frage, ob eine kontinuierliche Verwendung der Dialogform bestand, so meinen Verfechter der These vom undialogischen Mittelalter,dass das didaktische Meister-Schüler- Gespräch oder die formallogische Debatte uneigentliche, unechte Dialoge seien, sie seien dekorative oder manipulative Gesprächsarten, weiters meinen sie es bestand eine universale Verwendbarkeit der Dialogform, was zeigte, dass diese gerade als Hilfsmittel quasi im Dienste eines autoritären Diskurses stünden. Das echte oder vielmehr ideale Gespräch wäre der philosophische Dialog sokratischer Prägung, also ein ‚herrschaftsfreier‘ Dialog, und diese letzten antiken Spuren würden sich spätestens bei Augustinus und Boethius verlieren, und kämen dann in den Cicero-Nachahmungen der Humanisten wieder.750 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die wirkliche Erfüllung der Dialogform erst dann gegeben ist, wenn es um das geistige Ringen und um den Prozess geht, dessen Ergebnis erst am Ende feststeht oder gar offen bleibt, oder ob man den Dialog als eine beliebige Darbietungsform künstlerischer Natur sieht.751 Es gab unterschiedliche Ausprägungen des Dialogs, und daraus haben sich verschiedene Dialoggattungen entwickelt, die vom Inhalt her aber auch aus der Beziehung der Dialogpartner zueinander hervorgehen, wobei offenbar der philosophische Dialog dem modernen Dialog am ähnlichsten ist. Anhand der Dialogtypen, wie Lehrdialog, selbstbetrachtender Dialog oder Streitgespräch, lassen sich die Beziehungen der Gesprächspartner zueinander beschreiben. Während in den Lehrdialogen und in den selbstbetrachtenden Dialogen die Beziehung der Dialogpartner

747 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 1. 748 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 4. 749 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 58. 750 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 6. 751 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 348f. 220 asymmetrisch ist, weil ein Dialogpartner die führende Rolle, zur Vermittlung von Wissen oder zur Seelenführung hat, so kann in den Streitgesprächen die Beziehung symmetrisch oder asymmetrisch sein. Eine asymmetrische Beziehung besteht, wenn eine Meinung besonders hervorgehoben wird, eine symmetrische Beziehung, wenn die Dialogpartner, wie beim philosophischen Dialog, versuchen von Anfang an eine Gleichberechtigung zu erzielen. Hier besteht eine Parallele zum modernen Dialog, in dem alle Gesprächspartner den gleichen Rang haben, ungeachtet ihrer Position etwa im Unternehmen oder in der Gesellschaft, also außerhalb der Dialogsrunden. Vom Inhalt her geht es im philosophischen Dialog nicht um die Weitergabe von Wissen, sondern um die Erörterung oder Diskussion von Problemen oder Fragestellungen, wobei verschiedene Lösungsansätze untersucht oder angestrebt werden, so wie dies auch im modernen Dialog der Fall ist, wo es darum geht, Perspektiven zu erweitern und gemeinsame neue Ideen zu finden, allerdings sind nicht zwingend Lösungen oder Ergebnisse notwendig, der Werdegang oder der Prozess des Gesprächs steht gewissermaßen im Vordergrund.

Es bestand von der Antike bis heute eine gewisse Regelmäßigkeit oder Pflege der dialogischen Interaktion, wobei sich eben die Gattung Dialog verändert hat. Was nun die Verbreitung des Dialogs auf der Textebene angeht, so besteht ein Zusammenhang mit der bewussten Pflege des literarischen Dialogs, der etwa nicht nur die Verteilung der Rollen aus dem Mündlichen übernimmt, sondern auch schriftlich den mündlichen Austausch nachzuahmen versucht. Der Dialog ist der Oberbegriff vieler geschichtlich bedingter Gattungen,752 die wie alle Gattungen dank erster Modellwerke oder Prototypen entstehen, sich durch Nachahmung und Innovation verändern, erhalten, oder gelegentlich wieder untergehen.753 Es gab auch das Auslegungsgespräch, das jedoch eher polemisch gehalten war, und diese Methode wurde etwa als neutrales Hilfsmittel der Wissenschaft, in der Dialektik eingesetzt und ausgebaut.754 Dazu tritt dann allmählich die philosophische Erörterung auf, die sich mit den Problemen der christlichen Lehre auseinandersetzt und zwar meist in der Form des Lehrgesprächs. In diesem Lehrgespräch antwortet ein Wissender quasi ein Lehrer auf Fragen und Einwände. Diese Form des Gesprächs mit der Rolle des Wissenden oder Lehrers ist aus der christlichen

752 Siehe Kapitel ‚Dialogtypen‘ der vorliegenden Arbeit 753 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 210f. 754 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970. S. 348. 221

Wirklichkeit in die Literatur übernommen worden und erst später zeitweise unter Einfluss der platonischen Dialoge durch das Bild des Sokrates modifiziert worden.755 Methodios von Olympos beispielsweise versuchte, in Anlehnung an Platons Dialoge, den klassischen Dialog zu verändern. Er war vom Prinzip des Dialogs als einem gemeinschaftlichen Gespräch angetan, wo beide Seiten des Gesprächs aktiv um der Sache und um der Sprecher willen beigetragen haben. Er wollte dem Dialog etwa zu einer literarischen Gattung von Rang im christlichen Raum verhelfen.756 In der Gruppe der Philosophischen Dialoge, als einer partnerschaftlichen Beziehung der Dialogteilnehmer und deren gemeinsame Suche nach der Lösung eines Problems, ist auch der Einfluss des ciceronischen Dialogs und die Wichtigkeit der Diskussionsmethode zu erkennen.757 Es soll den Dialogpartnern als Vor-Bild des Publikums nicht einfach Information weitergegeben werden, sondern diese sollen das Problem gemeinsam erörtern und sich für die Entscheidung engagieren. Nicht der Ausgang ist wesentlich, sondern der Gang des Diskurses an.758 Auch im modernen Dialog zählt nicht das Ergebnis sondern der Prozess des Gesprächs steht im Vordergrund.

Im Frühmittelalter waren die philosophischen Dialoge zwar rar, es formiert sich jedoch nun die Gruppe der biographischen Dialoge, die zwei Merkmale der spätantiken philosophischen Dialoge, einerseits den ciceronischen Einfluss und andererseits die partnerschaftliche Diskussion beibehält. In den biographischen Dialogen diskutiet eine Gesprächsrunde die Lebensleistung einer meist umstrittenen Persönlichkeit, wobei die Erzählung Anlass zur Diskussion gibt, etwa zu moralischen, philosophischen und theologischen Fragen.759 Hier liegt nun eine weitere Parallele zum modernen Dialog vor, wo in Dialogsrunden verschiedene aufkommende Themen die durch einen Input, etwa einer Erzählung oder einer Fragestellung, erörtert werden.

Mit Gregor von Nyssa und Augustin, Johannes Chrysostomos und Sulpicius Severus, kommt es nach eine Pause von etwa einem halben Jahrhundert, wo der Dialog eher in den

755 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970. S. 348. 756 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970. S. 348. 757 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 200, S. 214. 758 Vgl. dazu: SCHMIDT Peter Lebrecht,, Zur Typologie und Literarisierung des frühchristlichenlateinischen Dialogs, in: Fuhrmann Manfred, Christianisme et formeslittèraires de l’Antiquté tardive en Occident, Gènevè 1976, S.101-190. 759 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 215. 222 subliterarischen Bereich gesunken ist, zu einer kurzen Blüte für den Dialog als literarische Kunstform, es kommt zum Höhepunkt des christlichen Dialog. Bei Gregor und Augustin ist der Dialog mehr als eine beliebige Darbietungsform künstlerischer Literatur, es geht auch, wie die Sache es erfordert, um innere Beziehung zwischen Kunstform und Anlage des Werkes.760 Der moderne Dialog trägt einige Elemente der verschiedenen Dialogtypen, etwa die bewegende Dynamik des Denkprozesses und das geistige Ringen um eine gemeinsame Wahrheit, zusammen, und vereinigt sie. In der nächsten Zeit der Geschichte des Dialogs gab es die Disputation, das Streitgespräch, es wurde weniger künstlerisch sondern eher sachlich geführt, war in eher nüchternen Schriften wiedergegeben, und entsprach, anders als die Kunstdialoge, eher der Wirklichkeit. Der literarische Dialog tritt in dieser Zeit in den Hintergrund. Auf Augustin folgen im lateinischen Sprachraum die Dialoge des Boethius, und die Übertragung des Dialogs in die mönchisch-hagiographische Literatur durch Sulpicius Severus fand in den Collationes Cassians Nachfolge. Allerdings werde diesen und den als solche bekannten und anerkannten Dialogen Gregor des Großen laut Voss allein von modernen Autoren in merkwürdiger Inkonsequenz der Dialogcharakter abgesprochen. Bei Gregor dem Großen sei das ohnehin nur schwach entwickelte dialogische Element nur zur Auflockerung der Erzählung da, allerdings würden schlichtere Gemüter dadurch in eine engere Verbindung mit dem Erzähler gezogen werden.761

Gregor der Große, so schreibt Joseph Funk in der Einleitung zu den Dialogen, wählte für sein Werk die Form des Dialogs, weil sie den Alten geläufig war von den Dialogen der griechischen Philosophen her und auch bei den lateinischen Kirchenvätern beliebt war.762 Es gibt verschiedene Funktionen der Dialogform, beispielsweise die Unterhaltung, die Autorisierung der Aussagen, die Bestärkung der Aussagen, oder der lehrreiche Aspekt der Dialogform. Gregor etwa will mit seinen Dialogen nicht belehren, er will erbauen, die Tugendtaten sollen die Leser zur Nachahmung anregen.

760 Vgl. dazu:VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348f. 761 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S.348ff. 762 Vgl. dazu: FUNK Joseph, Einleitung zu GREGOR der GROßE, Vier Bücher Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) Generiert von der elektronischen BKV von Gregor Emmenegger / Birgit Genten Text aus: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge / aus dem Lateinischen übers. von Joseph Funk. (Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften Bd. 2; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 3) Kempten; München: J. Kösel: F. Pustet, 1933, S. 7. 223

Gregor der Große verwendet die Form des Dialogs gewissermaßen als Strukturelement, wie in der hagiographischen monastischen Literatur und der Mönchserzählungen üblich. Es besteht eine fiktive Dialogsituation, der Dialog ist nur Einkleidung, quasi nur Hilfsmittel, wenn als echter Dialog eher der philosophische gesehen wird, und den Inhalt der in den Dialogen gestalteten Gespräche bilden etwa nicht Erörterungen, sondern Erzählungen einerseits und die Lehre andererseits. Die Erörterung entspricht eher dem modernen Dialog, wo es um den gemeinsamen Zweck des Lernens und Hinterfragens der Gewissheiten oder Wahrheiten geht. Die Erzählungen entsprechen ihm jedoch auch im Sinne von Perspektivenerweiterung. Wo Gregor nicht belehren will sondern erbauen, so könnte man auch hier eine Parallele zum modernen Dialog ziehen, wo durch wahrhaftes Zuhören oder Hinschauen, etwa in der Lebensführung der Dialogpartner, in den Philosophien oder Tugenden der Gesprächspartner die eigenen Werte oder Wahrheiten hinterfragt werden, und es tritt im modernen Dialog ja keiner als Wissender auf, der belehren will, sondern als Fragender, der lernen will, um eine von allen geteilte gemeinsame neue Idee oder Wahrheit zu entwickeln. Also das Hinterfragen der eigenen Gewissheiten geschieht auch im Hinschauen auf die Lebensweisen der anderen Dialogpartner oder Vorbilder, und wo Zweifel bezüglich gewisser Lebensweisheiten, Glaubenssätze oder Denkschemata auftreten. Anhand von Inputs oder Erzählungen werden dann prozesshaft die Wertevorstellungen, die Emotionem, die Muster der Denkprozesse hinterfragt und erörtert. Es wird quasi die Art und Weise des Denkens auf der kollektiven Ebene an die Oberfläche gebracht.

Gregor propagiert das monastische Ideal und setzt zu diesem Zweck zwar einerseits die Doktrin andererseits jedoch auch die vorbildlichen Lebensweisen oder Lebenswege der Mönche, besonders Benedikts ein. Genaugenommen gelingt Gregor, laut Carmen C. De Hartmann, in seinen Dialogen die Vereinigung der beiden Aspekte, nämlich der doktrinalen Unterweisung zum Einen und der vorgelebten Anleitung zum monastischen Lebenswandel zum Anderen.763

Gregors Dialoge sind monastische Lehrdialoge, es sind fiktive Gespräche, wobei die Einweisung ins monastische Leben in der persönlichen Beziehung und im Gespräch zu einem erfahrenen Mönch erfolgt. Die charakteristischen Elemente der monastischen Dialoge, die

763 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 87. 224 sich in dieser Unterweisung finden, sind einerseits die vorbildliche Lebensweise, die in Form von Erzählungen vermittelt wird, und andererseits die lehrhafte Rede.764

Hier findet sich eine Ähnlichkeit zum modernen Dialog. Durch das Hinschauen auf die vorbildliche Lebensweise, auf die vorgelebte Anleitung zum beispielsweise monastischen Lebenswandel, kommt es etwa zum Hinterfragen der eigenen Lebensweise und zu Ähnlichkeiten zum modernen Dialog, wo auch Tugenden und Werte, Ziele, Glaubenssätze oder mentale Modelle angezweifelt werden. Es entsteht eine gewisse Kreativität und Innovation für etwas Neues. Im modernen Dialog soll jedoch nicht den einzelnen Teilnehmern die Gruppenmeinung aufgezwungen werden, es kann quasi jeder Teilnehmer eine andere Meinung haben, es geht um den gemeinsamen Geist und um das gemeinsame Bewusstsein, das hier wichtiger ist als der Inhalt der Meinungen.765 Auch für Gregor stehen die Werte und Tugenden im Vordergrund. „Die Wunder gelten Gregor immer nur als Hinweis auf das oder Zeichen dessen, was wirklich zählt: die inneren Werte. Deshalb zögert er nicht, Anekdoten, die an sich nichts Wunderbares zeigen, einzusetzen, solange sie als Hinweis auf eine Tugend dienen.“766

In Gregors Dialogen erfolgt also die Einweisung ins monastische Leben einerseits in der vorbildlichen Lebensweise, die nicht von der Lehre zu trennen ist und in Form von Erzählungen vermittelt wird, und andererseits in der lehrhaften Rede.767 Die Dialogpartner sind Vor-Bilder der Leser, es soll nicht einfach Information weitergegeben werden, es soll etwa im philosophischen Dialog in der gemeinsamen Erarbeitung oder Erörterung des Problems oder der Sache, der Leser engagiert werden, und es steht der Gang des Diskurses mehr oder weniger im Vordergrund und nicht der Ausgang. Für Gregor dient die Dialogform eher der Auflockerung und als Einkleidung, allerdings will er nicht belehren, sondern erbauen.

764 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 83f. 765 Vgl. dazu: LEE Nicol, Bohm David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussion, sechste Auflage, Stuttgart 2011, S. 81. 766 HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 88. 767 Vgl. dazu: HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 83f. 225

Es bestand eine gewisse Regelmäßigkeit dialogischer Interaktion, wobei sich die Form des Dialogs verändert hat. Die Wurzeln sind jedoch die Selben, sie liegen im Sokratischen Dialog. Alle Gattungen entstehen dank erster Modellwerke, erhalten sich dann durch Nachahmung und Innovation, verändern sich, und gehen gelegentlich wieder unter. In Dialogform verfasste Werke des Mittelalters sind unabsehbar, wobei es natürlich verschiedene dialogische Gattungen gibt.768

Nach der Spätantike lässt sich eine Auffächerung des monastischen Lehrdialogs in Lehrdialoge, Streitgespräche und biographische Dialoge beobachten. „Grundlage der Unterscheidung ist die Beziehung zwischen den Personen, die entweder als Lehrer-Schüler, als gleichberechtigte Gesprächspartner oder als Streitende auftreten. Auch thematisch gibt es Unterschiede: Die Lehrdialoge vermitteln monastische Werte sowohl anhand der Lehre als auch mit beispielhaften Erzählungen, die durchaus hagiographischen oder biographischen Inhalts sein können; deren Leben erzählt und bewertet wird; die Streitgespräche kontrastieren verschiedene Meinungen zu relevanten Themen des religiösen Lebens.“769

Der christliche Dialog hat also Besonderheiten der Argumentationsform durch die Gebundenheit der Vernunft an einen verbindlichen Text auf der einen Seite, und aufgrund von der Verwendung von Zitaten aus diesem Text als ausschlaggebende Argumente.770

Gregor beispielsweise nennt oft Bibelmuster, um Aussagen zu unterstreichen, der Hinweis auf biblische Vorbilder und auf ihre Wunder entspricht dem Stil der altkirchlichen Literatur.771

Das heißt die Entwicklung des Dialogs mit ihren Veränderungen hat zu verschiedenen Gattungen geführt. Peter von Moos meint, dass in Dialogform verfasste Werke des Mittelalters beispielsweise unabsehbar seien, es stelle sich jedoch die Frage, welche davon zu dialogischen Gattungen gehören.772 Der christlichen Dialog ist keineswegs als mangelhafte Verwirklichung des dialogischen Prinzips anzusehen, nur weil er eine offenbarte Lehre zum Gegenstand vernunftbestimmten

768 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 353. 769HARTMANN Carmen Cardelle, Lateinische Dialoge 1200-1400, Literaturhistorische Studie und Repetorium, Leiden 2007, S. 93. 770 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 364 771 Vgl. dazu: GREGOR DER GROßE, Der heilige Benedikt, Buch II der Dialoge, Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, 2. Auflage, St. Ottilien, 2008, S. 39. 772 Vgl. dazu: MOOS Peter von, Rhetorik, Kommunikation und Medialität, Gesammelte Studien zum Mittelalter, Band II, Herausgegeben von Gert Melville, Geschichte: Forschung und Wissenschaft Bd 15, Berlin 2006, S. 211. 226

Gesprächs macht, er hat eine legitime Aufgabe einerseits in der Wahrheitssuche und andererseits in der Wahrheitsvermittlung und natürlich in der geistigen Auseinandersetzung mit fremden Ansicten oder Meinungen. Innerhalb der christlichen Literatur war er in beiden Bereichen von sinnerfüllter Lebendigkeit.773 Letztlich lösen die Dialoge von Gregor dem Großen das aus, was man von einem Dialog erwartet, sie lösen beim Leser eine gewisse kritische und hinterfragende Haltung dem Inhalt gegenüber und auch gegenüber der eigenen Gewissheiten aus. Der Dialog war und ist offenbar von der Antike bis jetzt eine sehr beliebte Form um Lehren, Ideologien und verschiedene Themen oder Fragen zu erörtern, um nicht still zu stehen sondern immer zu lernen und für Neues offen zu sein.

773 Vgl. dazu: VOSS Bernd Reiner, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München 1970, S. 364. 227

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Abstract (deutsch)

Die vorliegende Arbeit behandelt den mündlichen und den schriftlichen Dialog. Anhand einer exemplarische Untersuchung an frühmittelalterlichen Quellen, vor allem aus dem Bereich der Historiographie und der Hagiographie, geht es sowohl um Fragen der menschlichen Interaktion, in erster Linie sprachlicher Art, als auch um Zugänge zum modernen, bewusst gestalteten Dialog. Es wird versucht darzustellen, wie im frühen Mittelalter sprachliche Kommunikation in den Quellen beschrieben oder in direkter beziehungsweise indirekter Rede wiedergegeben wurde. Es steht weniger die Untersuchung der linguistische Form der Gattung Dialog im Vordergrund, sondern vielmehr die philosophische und literaturwissenschaftliche sowie ihre kritische Einordnung. Anhand verschiedener Dialoge wird die Kontinuität des Dialogs vom antiken philosophischen Dialog sokratischer Prägung über spätantike und mittelalterliche Dialogformen zum modernen Dialog mit den Veränderungen der Gattung untersucht. Schwerpunkt der Arbeit sind die ‚Dialogi‘ Gregors des Großen. Ältere aber auch neuere theoretische Ansätze werden verglichen und unterstützen methodisch die Analyse. Moderne Zugänge zum Dialog oder zur sprachlichen Interaktion werden mit den exemplarischen schriftlichen Quellen verglichen. Im Sinne des systemischen Denkens wird das historische Umfeld von Gregor dem Großen dargestellt, um die Situation aufzuzeigen in der die Dialoge entstanden sind. Entstehungskontext und der Schreibanlass der ‚Dialogi‘ werden thematisiert.

So sollen in der Arbeit Aufschlüsse über die verschiedenen Möglichkeiten, und Variationen sowie Regelmäßigkeiten dialogischer Interaktion im frühen Mittelalter und der Gegenwart gewonnen werden. Es soll aufgezeigt werden, dass der Dialog von der Antike bis heute bestand und besteht. Er hatte und hat die rechtmäßige Aufgabe der Wahrheitssuche und Wahrheitsvermittlung und war und ist ein beliebtes und vielversprechendes Mittel zur Förderung von Kommunikation und kollektivem Denken.

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Abstract (english)

The purpose of the paper at hand is to investigate oral and written dialogue. Utilizing the results of an investigation of early medieval sources, particularly from the fields of historiography and hagiography, it deals with questions concerning human interaction, mainly of the the spoken kind, as well as with the modern deliberately designed dialogue.

The aim is to show how sources described verbal communication in the early and reproduced it in direct or indirect speech. However, the dissertation focuses less on analysing the linguistic form of dialogue, but rather on its philosophical facets and the aspects of literature, as well as on the critical classification of dialogue itself. Taking into account several writings, the dialogue‘s path from the antique philosophical dialogue based on Sokrates, to that in Late Antiquity and Middle Ages, up to the modern dialogue, is analysed with all its changes in the genre. The emphasis lies on the ‚Dialogi‘ of Gregory the Great.

Comparisons between older and newer theoretical approaches are drawn and methodically support the analysis. Using the methods of systemic thinking the historical environment of Gregory the Great is presented to shed light on the circumstances promoting the development of dialogue. Furthermore, the issue of context and motive for writing the ‚Dialogi‘ is being broached. In the light of its results the paper should provide information about the different ways and variations, as well as the regularity of interaction using dialogue in early Middle Ages and Present or rather demonstrate its existence from the Antique up until now. It had and will always have the legitimate purpose of searching and conveying truth, apart from being a promising tool to foster communication and collective thinking.

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Lebenslauf

Schulische Daten: 1987: Matura abgelegt am Wirtschaftskundlichen Realgymnasium Krems 1987-1988 Studium an der Universität Wien: Englich, Italienisch 1988-1989 Studium an der Universität Wien: Englich, Italienisch, Geschichte 1989-1994 Geschichte (Erstfach), Psychologie, Philosophie, Pädagogik, Abschluss mit Magistra Phil 2009 Inskribtion Doktoratsstudium

Berufspraxis: 1995-1996 Unterrichtspraktikum an der Neulandschule am Laaerberg 1994-2000 Pädagogin in der Nachnittagsbetreuung / AHS in der Privatschule Friesgasse 1997-2000 Koordinatorin der Pädagoginnen der NMB für den AHS-Bereich in der Privatschule Friesgasse 2000-2001 Begleitlehrerin in der Sonderschule in der Petrusgasse, 1030 Wien 2000-2001 Teilzeit als Leiterin der „Urform“ des Institutes Eliz 2001 Gründung des Sprachinstituts: Institut Eliz Spielend Sprache/Sprechen Lernen Seit 2001 Vollzeit als Leiterin des Instituts Eliz Eliz bietet folgende Kurse an: Sprachunterricht in Kindergärten, Horten, und Schulen, Nachhilfeunterricht, Theaterkurse, Sprachkurse für Erwachsene und für Unternehmen, Dialogseminare für Erwachsene und für Unternehmen

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