Vera Von Falkenhausen: Die Capitanata in Byzantinischer Zeit
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Vera von Falkenhausen: Die Capitanata in byzantinischer Zeit Zeitschrift Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Band 96 (2016) Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Rom Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden. Vera von Falkenhausen Die Capitanata in byzantinischer Zeit Riassunto: Nel periodo dalla fine del IX secolo fino alla conquista normanna nella seconda metà dell’XI la Puglia faceva parte dell’Impero bizantino. L’articolo analizza la presenza bizantina in Capitanata durante questo periodo, una presenza molto meno radicata ed evidente che nella Puglia centro-meridionale. Vengono esaminati i modi di datare i documenti nelle varie città (secondo gli anni di regno degli impe- ratori bizantini o dei principi lombardi), le strutture amministrative e difensive con i funzionari e i militari effettivamente in servizio sul territorio, nonché l’influenza bizantina sulle istituzioni ecclesiastiche. Abstract: From the late 9th century until the Norman conquest in the second half of the 11th century, Apulia was part of the Byzantine Empire. The article analyses the Byzantine presence in the Capitanata during this period, where it is far less well- rooted and evident than in central and southern Apulia. The systems used to date documents in the various cities (based on the reigns of the Byzantine emperors or the Lombard princes) are discussed, alongside the administrative and defensive structu- res with the functionaries and soldiers actually serving in the area and the influence of the Byzantine government on ecclesiastical institutions. Jahrzehnte lang war die mittelalterliche Geschichte Süditaliens einer der Forschungs- schwerpunkte des Deutschen Historischen Instituts in Rom; sogar die byzantinische Capitanata war inbegriffen: im Jahre 1960 veröffentlichte der damalige Direktor, Walther Holtzmann, im Zusammenhang mit den Vorarbeiten zum IX. Band der Italia Pontificia,1 in den „Nachrichten der Göttinger Akademie der Wissenschaften“ den vor- bildlich recherchierten Artikel „Der Katepan Boioannes und die kirchliche Organisa- tion der Capitanata“.2 Der Protospathar Basileios Boioannes, von 1017–1028 κατεπάνω Ἰταλίας,3 war der byzantinische Gouverneur in Süditalien, unter dem Nordapulien zu 1 P. F. Kehr/W. Holtzmann, It. Pont., IX. Samnium – Apulia – Lucania, Berlin 1962. 2 W. Holtzmann, Der Katepan Boioannes und die kirchliche Organisation der Capitanata, in: Nach- richten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl. 1960, S. 19–39. 3 V. von Falkenhausen, La dominazione bizantina nell’Italia meridionale dal IX all’XI secolo, Bari 1978, S. 90 f., 193–201; R.-J. Lilie/C. Ludwig/Th. Pratsch/B. Zielke nach Vorarbeiten von F. Win- Hinweis: Dieser Aufsatz ist die erweiterte deutsche Fassung des Vortrags „La Capitanata in epoca bizantina“, den ich im DHI Rom auf der Tagung „Christen und Muslime in der Capitanata im 13. Jahr- hundert“ (16.–18. Mai 2012) gehalten habe. QFIAB 96 (2016) DOI 10.1515/qfiab-2016-0004 36 Vera von Falkenhausen einer befestigten Grenzprovinz ausgebaut wurde, und auf dessen Amtsbezeichnung der Name Capitanata zurückgeht. In der Chronik von Montecassino heißt es: ea tem- pestate supradictus Boiano catapanus cum iam dudum Troiam in capite Apulie con- struxisset, Draconariam quoque et Florentinum ac Civitatem et reliquia municipia, que vulgo Capitinata dicuntur, edificavit et ex circumpositis terris habitatores convocans deinceps habitari constituit. Sane sciendum, quoniam corrupta vulgariter Capitinata vocatur, cum pro certo ab officio catapani, qui eam fecit, Catapanata debeat appella- ri.4 Doch trotz ihres byzantinischen Namens war die Capitanata wohl der am wenig- sten ‚byzantinisierte‘ Teil der byzantinischen Provinz Longobardia (seit den sechziger Jahren des 10. Jahrhunderts Italia), soweit man das aus den für diese Zeit nicht sehr reichhaltigen Quellen schließen kann. Vor dem Ende des 10. Jahrhunderts gibt es dort nur wenige Anzeichen von byzantinischen Verwaltungsstrukturen, und die Vorgän- ger des Katepans Boioannes scheinen sich nur selten – und dann nur zu kurzfristigen militärischen Einsätzen – in den Norden Apuliens verirrt zu haben. Vorab ein kurzer Überblick über die Präsenz der Byzantiner in Nordapulien: während der Gotenkriege scheint trotz der wiederholten und teils langwierigen Kampfhandlungen in Süditalien gerade diese Gegend keine große Rolle gespielt zu haben. Prokop erwähnt nur einmal kurz, daß sich Totila im Jahre 547 in das Gebiet des Gargano zurückgezogen habe (Bella, VII, xxii, 24). Schon wenige Jahre nach Kriegs- ende kam es zur Gründung des langobardischen Herzogtums von Benevent, die im Allgemeinen in die siebziger Jahre des 6. Jahrhunderts datiert wird.5 Von da an erober- ten die Langobarden systematisch und kontinuierlich Süditalien, bis nur noch einige Küstenstädte wie zum Beispiel Otranto im Salento in byzantinischer Hand blieben.6 In den Briefen Gregors des Großen wird als einzige byzantinische Stadt in Nordapulien Siponto genannt. Dort residierten noch Bischöfe – Felix (erwähnt zwischen 591 und 593)7 und Vitalian (erwähnt zwischen 597 und 599)8 – und ein kaiserlicher tribunus,9 aber die politische Situation war prekär: zwei Kleriker der Diözese waren in lango- kelmann (Hg.), Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit. Zweite Abteilung (867–1025), Berlin- Boston 2013, Bd. I, # 21094, S. 670–672. 4 Die Chronik von Montecassino, hg. von H. Hoffmann, Hannover 1980 (MGH, Scriptores XXXIV), S. 261. 5 S. Gasparri, I duchi longobardi, Roma 1978 (Istituto storico italiano per il Medio Evo. Studi storici 109), S. 84. 6 Über die Bedeutung Otrantos als wichtigster Verbindungshafen zwischen Ost und West in by- zantinischer Zeit: V. von Falkenhausen, Tra Occidente e Oriente: Otranto in epoca bizantina, in: H. Houben (a cura di), Otranto nel Medioevo tra Bisanzio e l’Occidente, Galatina 2007, S. 13–60. 7 S. Gregorii Magni Registrum epistularum, ed. D. Norberg, Turnholti 1982 (Corpus Christianorum. Series Latina 140–140 A), I, 51, Bd. I, S. 64 f., III, 40–42, Bd. I, S. 185–187; IV, 17, Bd. I, S. 235 f. 8 Ebd., VIII, 8–9, Bd. II, S. 525 f., IX, 113, Bd. II, S. 665 f., IX, 175, Bd. II, S. 732. 9 Ebd., IX, 113, IX, 175, Bd. II, S. 665 f., 732. Auch die Tochter eines inzwischen verstorbenen magister militum wird in Siponto erwähnt (ibid., VIII, 8–9, Bd. II, S. 525 f.), aber es ist unklar, ob letzterer tat- sächlich langfristig dort amtiert hatte. QFIAB 96 (2016) Capitanata in byzantinischer Zeit 37 bardische Gefangenschaft geraten und von ihren Familien ausgelöst worden. Nur unter päpstlichem Druck waren die Bischöfe dazu zu bewegen, den Betroffenen das Lösegeld zurückzuerstatten.10 In der Nachbardiözese Canosa gab es gar keine Priester mehr, so daß der Papst den Bischof von Siponto beauftragte, zwei Priester zu weihen, damit dort wenigstens getauft werden könne.11 Von Siponto aus verwaltete zeitweilig der defensor Sergius mit Hilfe einiger notarii die noch übrig gebliebenen patrimonia Petri in Apulien. Im Juli 599 beauftragte ihn der Papst, einen nach Otranto entlaufe- nen Sklaven seines Bruders wieder aufzutreiben, und ihn auf dem Seeweg nach Rom zurückzuschicken.12 Aus Sicherheitsgründen hielt es Gregor anscheinend für nicht opportun, den Landweg über die via Appia und via Traiana durch langobardisches Territorium zu benutzen. Auch aus Quellen des 8. Jahrhunderts geht hervor, daß Rei- sende, die von Rom aus nach Konstantinopel oder ins Heilige Land gelangen wollten, wie Papst Konstantin (709) und der britische Pilger Willibald (723), es vorzogen, sich in Gaeta oder Neapel einzuschiffen und die ganze kalabresische Halbinsel zu umfah- ren, anstatt die kürzere Route durch das Herzogtum von Benevent zu wählen.13 Nur Kaiser Konstans II. zog 663 demonstrativ von Tarent über Acerenza in Richtung Rom und soll dabei Lucera zerstört haben.14 Aber in diesem Fall handelte es sich um einen etwas verunglückten Feldzug, durch den der Basileus beweisen wollte, daß er mit seinem Heer ungehindert durch ganz Italien ziehen könne. Ähnlich war er schon vorher bei seinem Marsch durch das weitgehend von Slawen besetzte Griechenland vorgegangen.15 Aber in Süditalien blieb das kaiserliche Auftrumpfen ohne Erfolg: durch den militärischen Widerstand der Beneventaner wurde Konstans II. gezwun- gen, die südlichere Route über Neapel zu nehmen; nach einem kurzen Aufenthalt 10 Ebd. III, 40, Bd. I, S. 185 f., IV, 17, Bd. I, S. 235 f. 11 Ebd., I, 51, Bd. I, S. 64 f. 12 Ebd., IX, 201, Bd. II, S. 759. 13 V. von Falkenhausen, Straßen und Verkehr im byzantinischen Süditalien (6. bis 11. Jahrhun- dert), in: T. Szabó (Hg.), Die Welt der europäischen Straßen von der Antike bis in die frühe Neuzeit, Köln-Weimar-Wien 2009, S. 224 f. 14 Paolo Diacono, Storia dei Longobardi, ed. L. Capo, Milano 1993, V, 7, S. 260: Luceriam quoque, opulentam Apuliae civitatem, expugnatam fortius invadens diruit, ad solum usque prostravit. P. Corsi, La spedizione italiana di Costante