Bitterer Sieg Der Staatsräson
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HELMUT SCHMIDT DER KANZLER Bitterer Sieg der Staatsräson Im Kampf gegen den Terrorismus bewies der Kanzler 1977 Härte und Standfestigkeit – aber die RAF-Geisel Hanns Martin Schleyer musste sterben. Von Georg Bönisch igentlich reden nur Militärs so. französischen Staatspräsidenten Valéry Poli tiker nicht, es sei denn, sie be - Giscard d’Estaing, man habe ernsthaft von Efinden sich in einer Art Kriegszu - ihm verlangt, „Geiselerschießungen an stand und die Aktion, die gerade gelau - inhaftierten Terroristen vorzunehmen“. fen ist, trägt den Tarnnamen: „Feuer - Kaum eine schlimmere Vorstellung zauber“. konnte Schmidt plagen. Denn eine De- „Das Flugzeug ist geknackt“, meldete mokratie, so wie er sie verstand, muss der frühere Oberleutnant Hans-Jürgen nicht nur wehrhaft, sondern auch stand - Wischnewski telefonisch aus dem afri - haft sein: „Kein Terrorist kann uns zur kanischen Somalia nach Deutschland. Aufgabe von Rechtsstaatlichkeit zwin - „Nicht verstanden“, schnarrte der frühe - gen“, sagte er, „wir können sie nur selbst re Oberleutnant Helmut Schmidt. verspielen.“ Wenige Minuten zuvor, in den ersten Deshalb suchte er im Kampf gegen die Minuten des 18. Oktober 1977, hatten in RAF-Terroristen den Schulterschluss al - Mogadischu die Männer der Spezialein - ler demokratischen Parteien. „Solidarität heit GSG 9 einen Lufthansa-Jet gestürmt, Terroristen Baader, Ensslin 1968 der Demokraten“ nannte er das. an Bord vier arabische Terroristen und 90 Geiseln. Ein Himmelfahrtskomman - Doch der Regierungschef blieb hart. chon 1968, als Truppen des Warschau - do, das in der Geschichte der westlichen Kein Austausch, kein Nachgeben, auch Ser Pakts die ČSSR überrollten und Welt noch immer ohne Beispiel ist. als zur dramatischen Erhöhung ihrer das angrenzende Westdeutschland ganz Wieder meldete sich Wischnewski, Forderungen die Lufthansa-Maschine wachsam zu sein hatte, war am damali - Staatsminister im Kanzleramt: „Die Ar - „Lands hut“ entführt wurde. „Weiß der gen Regierungssitz Bonn ein „Minister - beit ist erledigt.“ Mit noch fester Stimme Kuckuck“, sagte später Schmidt in der gremium für besondere Lagen“ einge - fragte der Bundeskanzler: „Wie viele ihm eigenen Diktion, pointiert derb und richtet worden, wohl auf Druck der Nato. Tote?“ Wischnewski, sein bester Trouble - geschliffen scharf, „was andernfalls aus Das so gut wie unbekannte Sonder - shooter, antwortete: „Keine.“ Deutschland geworden wäre.“ kabinett sollte in „Krisensituationen“ ei - Und Schmidt, der fast sechs Jahre lang Und das Volk stand zu ihm. Schmidt nerseits rasche „Konsultation auf höchs - die „ganze Scheiße“ des Zweiten Welt - war auf dem Höhepunkt terroristischer ter politischer Ebene“ garantieren, an - kriegs miterlebt und schon deswegen sei - Bedrohung so populär wie vor ihm nur dererseits das direkte, komplikationslose ne Gefühle durchaus im Griff hatte, fing Willy Brandt oder Konrad Adenauer. Miteinander zwischen „Bund und Län - an zu weinen, das erste Mal seit langer Dass sich unmittelbar nach dem GSG-9- dern“, schreibt der Historiker Matthias Zeit. Damit es niemand sah, verließ er Zugriff und kurz vor der Ermordung Dahlke. Eine Hilfe in der Not also, weil schnell den Raum. Er umarmte seine Schleyers drei der Stammheimer Häftlin - Föderalismus manchmal umständlich Sekretärin Lilo Schmarsow, eine Geste ge umbrachten, erschien zwar als eine sein kann. totaler Erleichterung. Jedenfalls für den schmerzliche Hypothek. Es überwog aber Wie umständlich – und in Krisen ge - Moment. Denn schon am folgenden Tag der Stolz. „Und die tiefe Genugtuung da - fährlich – er sein kann, offenbarte sich erreichte den Kanzler jene Nachricht, die r über, die bis dahin schwerste Krise des dem Bundeskanzler, als Terroristen der er als Realist durchaus erwarten musste – Landes abgewendet zu haben“, schreibt „Bewegung 2. Juni“, einer Art RAF-Kon - und die er doch fürchtete: Der entführte der Publizist und Schmidt-Kenner Hans- kurrenz, am 27. Februar 1975 in Berlin Hanns Martin Schleyer, Daimler-Benz- Joachim Noack, habe „in keiner Phase Peter Lorenz entführten, den Spitzen - Vorstand und Arbeitergeber präsident, ein chauvinistische Züge“ getragen. kandidaten der CDU für die anstehende Wirtschaftsführer, den Schmidt wirklich Stärker denn je konnte sich deshalb die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Ziel der schätzte, war ermordet worden. überwältigende Mehrheit der Menschen Gewalttat war, sechs inhaftierte Gesin - Schleyers Tod, ein Mord mit drei Kopf - mit einem Staat – und seinem obersten nungsgenossen freizupressen und sie aus- schüssen, lag durchaus in der Logik eini - Lenker – identifizieren, der selbst in ger wirrer Köpfe, die sich „Rote Armee schwieriger Lage, unter einem immensen * Oben: Witwe Waltrude, Sohn Hanns-Eberhard mit Fraktion“ (RAF) nannten. Sie hatte da - Druck standhaft geblieben war. Frau Mareike (von rechts) beim Staatsakt für den er - mals nur ein Ziel, nämlich ihre in Stutt - Volkes Stimme verlangte zwar, Bürger - mordeten Arbeitgeberpräsidenten in Stuttgart im Ok - gart-Stammheim inhaftierten Gesinnungs - rechte einzuschränken – und sogar Poli - tober 1977; unten links: bei ihrer Ankunft aus Moga - dischu in Frankfurt am Main; Mitte: in einem Video genossen und Anführer freizupressen – tiker schlossen sich dem an. Entsetzt be - des RAF-Kommandos „Siegfried Hausner“; rechts: im mithilfe des gekidnappten Schleyer. richtete Schmidt seinem Freund, dem August 1977 in Frankfurt am Main. 64 SPIEGEL BIOGRAFIE @/A?@B ) . R . U ( E N O T S Y E K / R E N R E K P P I Kanzler Schmidt, Schleyer-Familie* L I H P ; ) . M . U ( F I A L / A M M A G ; ) . L . U ( N N A M L L Ü T G A S I B A ; ) . R . O ( N O M I S N E V S ; ) . L ( D L I B N I E T S L L U : S O Befreite „Landshut“-Geiseln* Gekidnappter Wirtschaftsführer Schleyer* Schweigemarsch für RAF-Opfer Ponto* T O F @/A?@B SPIEGEL BIOGRAFIE 65 HELMUT SCHMIDT DER KANZLER Unterhändler Wischnewski* „Landshut“-Geiselnehmerin Sauhaila Andrawes* fliegen zu lassen; jeder sollte, dies ge - zuknicken würde ein „Präjudiz“ schaf - zukommen sei, offenbarte Strauß erst hörte auch zu den Forderungen gegen - fe n, argumentierte er, dadurch werde die viel später: als Schleyer in der Hand von über dem Berliner Senat, mit 20 000 friedens- und lebensschützende Kraft Terroristen war. Mark Wegegeld ausgestattet werden. des Staates beeinträchtigt. Deswegen sei Die Lorenz-Entführung machte dem Erstaunlicherweise zählten jene Frau - die Entscheidung keine rechtliche, sagte Kanzler schwer zu schaffen. Seine Glaub - en und Männer, die für den Austausch der promovierte Jurist Vogel, sondern würdigkeit litt. Er hatte, typisch Schmidt- benannt waren, nicht zum harten Kern eine „staatspolitische“. Schnauze, als prominentester Redner der Terroristen, kein Andreas Baader Rechtlich gesehen war die Bundes - auf dem Höhepunkt des Berliner Wahl - war dabei, keine Ulrike Meinhof. Viel - regierung freilich gar nicht entschei - kampfes die Sorgen des Spitzenkandi - mehr seien „alle Spektren der anar - dungsbefugt. Strafvollzug, im Spezialfall daten Lorenz um die innere Sicherheit chistischen Szene erfasst“ worden, kon - die Freilassung von Häftlingen, war (und in der alten Hauptstadt mit beißendem statierte Bundesinnenminister Werner ist) Ländersache. Spott gegeißelt, ja geradezu verhöhnt. Maihofer – und zog den Schluss, der Ge - Jedoch kursierte ein Papier aus dem Thema war ein Flugblatt der CDU mit waltakt solle die „Festigkeit des Staates“ Bundesinnenministerium, dessen unbe - der Überschrift: „Berliner leben ge - testen. In der Tat, es war ein Testlauf, kannt gebliebene Urheber das Pro und fährlich“. und bald sollten im Zentrum von Forde - Kontra eines Austauschs auflisteten und „Unfug“, hatte Schmidt gedonnert, al - rungen die Topleute der terroristischen eine Mehrheit für ihn fixierten, nämlich les Unfug. „Der Peter Lorenz muss sich Szene stehen. 6:4. Für die Minderheit der Spezialisten offenbar nachts in seiner Wohnung ängs - Auch Schmidt geriet damals, erkenn - hingegen war klar: Da der Staat das „Ge - tigen. Er hört da unbekannte Geräusche. bar zum ersten Mal, ins Fadenkreuz je - samtinteresse im Auge behalten“ müsse, Vielleicht ist es Herr Lummer?“ Lummer ner selbst ernannten Weltverbesserer, die sei „notfalls das Interesse eines Einzel - war CDU-Fraktionsvorsitzender im Ab - ihm später seiner Körpergröße wegen nen“ nachzuordnen. geordnetenhaus und nicht gerade der einen Decknamen aus der Welt der Mär - In diesem Dilemma war der Regie - beste Freund des Spitzenkandidaten. chen gaben – „Zwerg“. Die vermeint - rende Bürgermeister Klaus Schütz, wie Lummer brandmarkte den Auftritt lichen Revolutionäre hatten ganz offen - Schmidt Sozialdemokrat, entschlossen, Schmidts, der sich kurz danach im Bun - bar mehr Sympathisanten, als der Staats - auf die Forderungen der Entführer ein - destag dafür entschuldigte, als „Ver - schutz zunächst vermutete. zugehen, gestärkt von Unionsgranden wilderung demokratischer Sitten und Die Parteioberen waren sich durchaus wie dem rheinland-pfälzischen Minister - Grundsätze“, und Kohl warnte durchaus uneinig, wie im Fall Lorenz zu verfahren präsidenten Helmut Kohl oder CSU- geschichtsbewusst vor einem Rückfall in sei. Einige waren für die Freilassung, Chef Franz Josef Strauß. Der sprach eine „schlimme Zeit der Weimarer Re - andere, etwa Berliner Freidemokraten, von „politisch-moralischer Drückeberge - publik“. „strictissime dagegen“. Der Kanzler rei“, falls der Kanzler anderer Auffas - Kurze Zeit später war Lorenz in der selbst konnte öffentlich nicht auftreten, sung sei. Hand von Terroristen. ihn schwächte ein hohes Fieber. Den - Strauß wusste