Belastung Und Reintegration
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Dirk Stolper / Sarah Christin Wilder Belastung und Reintegration Die NS-Vergangenheit der Mitglieder der Marburger Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats 1945 bis 1989 Abgeschlossen und der Stadt Marburg vorgelegt im September 2016 II Inhaltsverzeichnis Vorwort……………………………………………………………………………....V Prof. Dr. Eckart Conze Danksagung……………………………………………………………………..…VIII Einleitung……………………………………………………………………………..1 1. Lange Schatten? Die zweite Geschichte des Nationalsozialismus und der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis in die Gegenwart………………………………………...11 1) Von der politischen Säuberung unter alliiertem Einfluss bis zur „fehlenden Vergangenheitsbewältigung“ – Der Umgang mit der NS- Vergangenheit in der Besatzungszeit und den Fünfzigerjahren…………….12 2) Das Jahrzehnt der Vergangenheitsbewältigung – NS-Belastung zwischen 1955 und 1968………………………………………………………………23 3) Zwischen Gedenken, „Geschichte von unten“ und „Wehrmachts- ausstellung“ – Neue Dynamiken seit den Achtzigerjahren………………….32 2. Dimensionen von „NS-Belastung“ – Überlegungen zu einem Modell der Verantwortlichkeit durch Beteiligung………………………………………37 1) „Grenzakteure“ – Marburger Stadtpolitiker zwischen Widerstand und Anpassung an das NS-Regime………………………………………………47 Gustav Rohr……………………………………………………………..47 Fritz Hübner…………………………………………………………….50 Prof. Dr. Johannes Klein………………………………………………..52 3. Vergangenheiten – Ein Überblick über die personelle Zusammensetzung der Marburger Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats 1945 bis 1989……………………………………………………………………57 1) Allgemeine Zusammensetzung – Berufsstruktur der Parteien und Geschlechteranteil…………………………………………………………...57 2) Ehemalige NSDAP-Mitglieder……………………………………………...63 3) Ehemalige Mitglieder in der SA und SS…………………………………….72 4) Marburger Ergebnisse im Spiegel weiterer Vergleichsstudien……………...74 III 5) NS-Verfolgte………………………………………………………………...77 Theodor Abel…………………………………………………………….79 Oberbürgermeister Friedrich Dickmann………………………………..79 Erna Düker………………………………………………………………80 Oberbürgermeister Georg Gaßmann……………………………………82 Dr. Franz Heinrich……………………………………………………...83 Gerhard Jahn……………………………………………………………83 4. Ausformungen individueller NS-Belastung: Biographien aus 45 Jahren Marburger Stadtpolitik.....………………………………………………………86 Karl-Theodor Bleek……………………………………………………..86 Prof. Dr. Erich Schwinge……………………………………………….92 Dr. Friedrich Frohwein………………………………………………..104 Karl Heinrich Brinkmann……………………………………………...122 Franz Konrad II………………………………………………………..124 Hans Ballmaier………………………………………………………...127 Bodo Schaub………………………………………………………...…138 Dr. Ernst Günther Stegmann…………………………………………..144 5. Von der Auseinandersetzung mit der Entnazifizierungspraxis bis zur Nichtthematisierung – Nationalsozialismus und NS-Vergangenheit im Spiegel der Protokolle der Marburger Stadtverordnetenversammlung 1945 bis 1989……………………………………………………………….…147 Schlussbetrachtung……………………………………………………………...…155 Anhang…………………………………………………………………………….160 Übersicht der städtischen Leitungsorgane und ihrer personellen Zusammensetzung 1945 bis 1989 (nach Wahlperioden)………………………162 Verzeichnis der Marburger Stadtverordneten und Mitglieder des Magistrats von 1945 bis 1989……………………………………………………………...185 Quellenverzeichnis und Darstellungen…………………………………………253 Abkürzungsverzeichnis…………………………………………………………282 IV Vorwort Wie ein langer Schatten ragt die nationalsozialistische Vergangenheit noch immer in unsere Gegenwart hinein. Sie beschäftigt uns wissenschaftlich, sie treibt uns um in der öffentlichen Erinnerung. Neben die Auseinandersetzung mit der Zeit des Natio- nalsozialismus selbst, mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihren Verbrechen, ist in Wissenschaft und Öffentlichkeit seit geraumer Zeit eine intensiver werdende Beschäftigung mit der Wirkungsgeschichte des Nationalsozialismus getre- ten; der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nach 1945 erfährt in zunehmendem Maße Interesse und Aufmerksamkeit. Die Jahre 1933 bis 1945 und die Jahrzehnte seither bilden dabei zwei Schichten einer Vergangenheit, die vonei- nander nicht zu trennen sind. Das zeigt auch die Schrift von Sarah Wilder und Dirk Stolper, zwei jungen Zeithisto- rikern der Philipps-Universität, die im Auftrag der Stadt Marburg für die Jahre 1945 bis 1989 die NS-Belastung von Angehörigen der Marburger Stadtverordnetenver- sammlung und des Magistrats der Stadt untersucht haben. Diese Studie ist eng bezo- gen auf die 2015 fertiggestellte, ebenfalls von der Stadt Marburg in Auftrag gegebe- ne Untersuchung zur NS-Vergangenheit von Stadtparlament und Magistrat in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Feder von Alexander Cramer und, wiederum, Sarah Wilder. Beide Studien zusammen liefern nun ein umfassendes Bild nationalso- zialistischer Belastung, das nicht auf die Zeit vor 1945 beschränkt bleibt, sondern die Nachkriegsjahrzehnte systematisch in die Analyse einbezieht. Die Jahre des Natio- nalsozialismus werden nicht von den Entwicklungen nach 1945 abgetrennt, sondern in eine Gesamtperspektive integriert. Gerade wenn man den Blick auf individuelle Biographien richtet, sich für Lebenswege, Karriereverläufe oder Lernprozesse inte- ressiert, relativiert sich die Zäsur des Jahres 1945. Biographien und Lebensverläufe des 20. Jahrhunderts überwölben die vermeintliche „Stunde Null“, der vielfach pos- tulierte Neubeginn nach 1945 stand auch im Zeichen der Kontinuität. Das haben in den letzten Jahren, beginnend mit der Untersuchung zur Geschichte des Auswärtigen Amts, zahlreiche Studien zur NS-Vergangenheit und zur NS-Belastung von Ministerien, Behörden und anderen politischen Institutionen gezeigt. Die Welle V dieser Forschungen, zumeist durchgeführt von unabhängigen Historikerkommissio- nen, ist bis heute nicht abgeebbt und sie hat mittlerweile auch die Ebene der Länder sowie der Städte und Gemeinden erreicht. Die beiden Marburg-Studien gehören ge- nau in diesen Kontext. Sie brechen aber nicht einfach Ergebnisse, die auf Bundes- oder Landesebene gewonnen worden sind, auf die lokale Ebene herunter, sondern sie entwickeln neue Perspektiven, die nicht zuletzt durch die Kleinräumigkeit kommuna- ler und kommunalpolitischer Dynamiken geprägt sind. Wie in einem Brennglas las- sen sich auf kommunaler Ebene – und noch dazu durch den in beiden Studien domi- nierenden biographischen Ansatz – vergangenheitspolitische Entwicklungen in gro- ßer Klarheit und Anschaulichkeit fassen. Für die Stadt Marburg, für Stadtverordnetenversammlung und Magistrat, liegt nun erstmals eine systematische Untersuchung der NS-Belastung ihrer Mitglieder vor. 176 Personen hat die Studie von Sarah Wilder und Dirk Stolper erfasst, hat auf der Basis intensiver Archivrecherchen sowohl statistische Aussagen generiert als auch individualbiographische Erkenntnisse zutage gefördert, die sich wechselseitig ergän- zen. Die Untersuchung ist umfassend, doch erschöpfend kann sie nicht sein. An vie- len Stellen wird weiterer Forschungsbedarf erkennbar, am deutlichsten vielleicht hin- sichtlich der Frage nach der nationalsozialistischen Belastung des ehemaligen Mar- burger Oberbürgermeisters Karl-Theodor Bleek. Insofern lässt sich die Studie auch als Anstoß verstehen, sich der Frage nach nationalsozialistischer Belastung und dem Umgang mit ihr nach 1945 gerade auch in der Auseinandersetzung mit individuellen Biographien noch intensiver zuzuwenden. Die Untersuchung skandalisiert nicht. Längst bekannte Tatsachen, beispielsweise die NSDAP-Mitgliedschaft Bleeks, werden nicht als Neuentdeckungen hingestellt. Auch hüten sich die Autoren, ganz im Einklang mit der jüngeren zeithistorischen For- schung, vor einer Überbewertung der NSDAP-Mitgliedschaft und verweigern sich dem Modus einer zweiten Entnazifizierung. Selbstverständlich haben sie nach der Zugehörigkeit der untersuchten Kommunalpolitiker zur NSDAP gefragt, haben aber eine nationalsozialistische Belastung nicht allein aus der NSDAP-Mitgliedschaft ab- geleitet. Das wäre unterkomplex. Stattdessen haben die beiden Verfasser den Begriff der NS-Belastung problematisiert und Überlegungen dazu angestellt, wie man ihn als geschichtswissenschaftliche Kategorie sinnvoll anwenden kann. Das Modell, das VI Frau Wilder und Herr Stolper in diesem Zusammenhang entwickelt haben und in ih- rer Studie vorstellen, dürfte in der Geschichtswissenschaft breit rezipiert werden. Zu Recht betonen die beiden Autoren auch, dass sich unser Verständnis von NS- Belastung über die Jahrzehnte hinweg geändert hat – und sich weiter verändern wird. Das ist auch eine Antwort auf die – mehr als berechtigte – Frage, warum sich Wis- senschaft und Öffentlichkeit in jüngerer Zeit erneut mit dem Thema NS-Belastung zu befassen begonnen haben. Die Studie blickt differenziert und kritisch auf die Personen zurück, die im Zentrum der Untersuchung stehen, hütet sich aber vor Selbstgerechtigkeit und moralisieren- dem Urteil. Sie gibt auch den Ambivalenzen Raum, die zu vielen Lebenswegen in der Zeit des Nationalsozialismus gehören. Sie bestreitet nicht, dass NS-belastete Menschen nach 1945 Wandlungsprozesse durchlaufen, dass sie gelernt und sich so- gar Verdienste erworben haben können – auch in der Marburger Kommunalpolitik. Die Arbeit ist eine wissenschaftliche Darstellung und Einordnung, kein politischer Debattenbeitrag. Gleichwohl will sie eine Grundlage bilden für eine auch politische Auseinandersetzung mit der Thematik, für eine öffentliche Diskussion als Teil der auf den Nationalsozialismus bezogenen Erinnerungs- und Gedenkkultur in Marburg. Marburg, September 2016 Prof. Dr. Eckart Conze VII Danksagung Wissenschaftliche