„Den Mann Kannst Du Abschreiben“

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„Den Mann Kannst Du Abschreiben“ „Den Mann kannst du abschreiben“ Wie Winrich Behr, Ordonnanzoffizier des Oberbefehlshabers in Stalingrad Friedrich Paulus, in der Wolfsschanze versuchte, Adolf Hitler die Kapitulation der 6. Armee nahe zu legen SPIEGEL: Herr Behr, wie oft haben Sie in SPIEGEL: … die Tapferkeitsauszeichnung Ihrem Leben Adolf Hitler getroffen? schlechthin … Behr: Zweimal. Ich wurde ihm kurz beim Behr: … auf Hitler eventuell noch Eindruck Frankreich-Feldzug, wo ich verwundet machen könne. worden war, vorgestellt. Und dann sprach SPIEGEL: Sie waren doch in Stalingrad gar ich mit ihm bei meinem Besuch im Füh- nicht an der Front eingesetzt. rerhauptquartier in der Wolfsschanze im Behr: Aber ich wirkte, als wäre ich gerade BAATZ ULRICH Januar 1943. aus einem Panzer gestiegen. Ich trug in SPIEGEL: Was wollten Sie dort? Stalingrad die Uniform der Panzertruppe, Winrich Behr Behr: Ich sollte Hitler den Zustand der 6. zu der ich ursprünglich gehörte, war abge- stammt aus einer Berliner Offiziersfamilie. Armee schildern und auf diese Weise er- magert, wenn auch nicht so entkräftet wie Der im Afrika-Feldzug hoch dekorierte reichen, dass Generaloberst Friedrich Pau- die kämpfende Truppe. Und natürlich habe Berufssoldat wurde Anfang Oktober 1942 lus Handlungsfreiheit erhielt, also auch ka- ich vor dem Gespräch mit Hitler das Rit- Ordonnanzoffizier von Paulus in Stalingrad. pitulieren durfte. terkreuz über den Rollkragen des Pullovers Nach dem Krieg stieg Behr, 84, zum Vize- SPIEGEL: Wann erfuhren Sie von diesem gezogen, so dass es deutlich sichtbar war. Generalsekretär der EWG-Kommission auf. Auftrag? SPIEGEL: Waren Sie denn der einzige ver- Von 1965 bis zu seiner Pensionierung Behr: Paulus befahl mich am 13. Januar ge- fügbare Ritterkreuzträger? 1983 leitete er als Generaldirektor das gen 9 Uhr in seinen Bunker. Da saßen er Behr: Nein, aber ich war über die Lage der Telekommunikationsunternehmen Telefon- und Generalstabschef Arthur Schmidt. 6. Armee auf Grund meiner Stellung als so bau und Normalzeit. Sinngemäß haben die gesagt: Behr, Sie flie- genannter Ordonnanzoffizier 1 besonders gen noch heute raus. gut informiert. SPIEGEL: Was war die Begründung? SPIEGEL: Wofür trug ein Ordonnanzoffi- SPIEGEL: Wie lange, glaubten Sie damals, Behr: Paulus sagte, dass alle Versuche, über zier 1 Verantwortung? würde sich die 6. Armee noch halten kön- die Luftbrücke größere Unterstützung zu Behr: Meine Hauptaufgabe war das Führen nen? erhalten, gescheitert seien. Entweder müs- der Lagekarte. Ich musste mehrmals täglich Behr: Ich nahm an, dass wir den Januar se sich das ändern, oder er müsse kapitu- die Meldungen von den verschiedenen nicht überstehen würden. lieren. Dafür wollte er von Hitler Hand- Frontabschnitten einholen und in einem SPIEGEL: Sind Sie direkt zur Wolfsschanze lungsfreiheit. Bericht zusammenfassen und natürlich dar- geflogen? SPIEGEL: Wieso hat Paulus ausgerechnet Sie über auf dem Laufenden sein, was die Rus- Behr: Nein, zuerst ging es zur Heeresgrup- geschickt? sen taten. Außerdem hatte der O 1 kurz- pe Don nach Taganrog. Dort erwartete mich Behr: Er glaubte, dass ein junger Frontoffi- fristige Veränderungen der Versorgungs- am frühen Abend Erich von Manstein, der zier – ich war damals 24 Jahre alt –, der lage vorzutragen: Wie viele Panzer haben Oberbefehlshaber der Heeresgruppe. Ich mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wor- wir noch, wie sieht es mit der Munition habe ihm dann geschildert, wie miserabel den war … aus und dergleichen. die Lage aussieht. Manstein wusste das natürlich alles schon und hat mich ermun- Diktator Hitler (1944)*: „Stalingrad muss durchhalten“ tert, genau so dem Führer vorzutragen. SPIEGEL: Was erhoffte sich Manstein? Behr: Er war auch ratlos. Bezeichnender- weise sagte er zu mir: „Möglicherweise wird Ihr Vortrag dazu führen, dass Maß- nahmen ergriffen werden. Was – weiß ich allerdings auch nicht.“ SPIEGEL: Wann kamen Sie zu Hitler? Behr: Am nächsten Tag flog ich zur Wolfs- schanze. Man brachte mich sofort zur so ge- nannten Führerbaracke. Ein SS-Mann for- derte mich an der Garderobe auf, Mantel, Koppel und Pistole abzulegen. Als ich nach dem Vortrag wieder herauskam, waren Koppel und Pistole übrigens weg. Geklaut. SPIEGEL: Wie verlief das Gespräch mit Hitler? * Mit Erhard Milch, Albert Speer, Rudolf Schmundt (3. v. r.), BPK Nicolaus von Below (2. v. r.). 73 Titel Behr: Er führte mich in den Raum mit dem sandten von Paulus mit solchen Märchen Trab bringen. Mich hat er offenbar als Kartentisch. Dort warteten zahlreiche Ge- irrezuführen, machte mir klar – den Mann Zeugen dazugerufen, damit ich Paulus neräle und Generalstabsoffiziere. Und kannst du abschreiben. hinterher berichtete, wie sehr er sich en- dann hat er mir eine Stunde lang die Welt- SPIEGEL: Hatten Sie Hitler vorher bewun- gagierte. lage referiert. dert? SPIEGEL: Wollte Hitler den Untergang der SPIEGEL: Warum? Behr: Ja, bis zum erfolgreichen Frankreich- 6. Armee damals schon inszenieren? Behr: Er wiederholte mehrfach: Stalingrad Feldzug, aber das war nun vorbei. Ich habe Behr: Im Rückblick habe ich diesen Ein- ist eine meiner großen Sorgen, aber nicht ungeschminkt die Lage vorgetragen: dass druck. die einzige große Sorge. Offenkundig woll- die Soldaten hungern, und wie wenig über SPIEGEL: Aber Sie sind dann nicht wieder in te er mir den Eindruck vermitteln, dass er die Luftbrücke ankam. Da hat natürlich den Kessel geflogen? das große Ganze im Blick habe und man die Luftwaffe protestiert, die von Hitler so- Behr: Man ließ mich nicht. Ich hatte im ihm deshalb vertrauen solle. Und dann war fort kritisiert wurde. Allerdings drang ich Führerhauptquartier noch ein Gespräch es ein Trick von ihm, dass er schlechten mit meinen Warnungen, dass die Soldaten mit General Rudolf Schmundt, dem mi- Nachrichten auswich, indem er auf den zu verhungern drohten, nicht ganz durch. litärischen Chefadjutanten Hitlers, einem AKG (L.) AKG Landser in Stalingrad, Nazi-Propaganda: „Hitlers Vortrag war einfach skandalös“ Überbringer einredete und sich plötzlich Die Stimmung war: „Na ja, ihr habt schon überzeugten Nationalsozialisten. Der frag- verabschiedete, bevor der überhaupt zum Anfang Dezember gemeldet, dass ihr Ver- te mich: „Wie fanden Sie denn das Ge- Zuge kam. Mich wollte er auch schon ver- pflegung nur für drei Tage habt, und ihr spräch mit Hitler?“ Da habe ich ganz offen abschieden. Aber ich kannte die Finte. lebt sechs Wochen später immer noch. Da gesagt: „Katastrophal. Das glaubt doch kei- SPIEGEL: Woher? werdet ihr auch noch weitere sechs Wo- ner, dass ich so töricht bin, die Sache mit Behr: Nicolaus von Below, Luftwaffen-Ad- chen aushalten.“ den SS-Divisionen zu glauben.“ Damit war jutant Hitlers, war mein Schwager und hat- SPIEGEL: Haben Sie auch die Desertionen ich nicht mehr der richtige Bote, um Pau- te mich vorgewarnt. von Landsern erwähnt? lus zum Durchhalten zu bewegen. SPIEGEL: Was haben Sie gemacht? Behr: Ja, da hat Wilhelm Keitel, Chef des SPIEGEL: Wurden Sie auf Grund Ihrer Er- Behr: Ich habe darum gebeten, meinen Vor- Oberkommandos der Wehrmacht, mir ver- fahrung mit Hitler zum Widerständler? trag halten zu dürfen. Das war schließlich deckt mit dem Finger gedroht. Der fürch- Behr: Nein, obwohl mich mein Freund mein Befehl, und außerdem war ich be- tete offenbar, das Heer könne gegenüber Bernhard Klamroth noch im Führerhaupt- reits in Rage. der Waffen-SS bei Hitler weiter an Anse- quartier ansprach. Er war Stabsoffizier bei SPIEGEL: Was war vorgefallen? hen verlieren. Oberst Hellmuth Stieff, und beide fragten Behr: Hitlers Vortrag war einfach skan- SPIEGEL: Wie hat Hitler die Hiobsbotschaf- mich offen: Bist du auch der Meinung, dass dalös. Auf der Karte standen lauter Fähn- ten aufgenommen? Hitler beseitigt werden muss? chen herum, die Divisionen symbolisieren Behr: Er hat sie sich angehört, die Generäle SPIEGEL: Warum wollten Sie nicht mitma- sollten. Das sah so aus, als wenn bei jedem kritisiert, war aber nicht bereit, Paulus chen? Fähnchen noch Tausende Soldaten kämpf- Handlungsfreiheit einzuräumen, obwohl Behr: Dafür war ich nicht weit genug. Es ten. Dabei wusste ich ja, dass es nur noch ich das mehrfach ansprach. „Stalingrad sollte ja schließlich der oberste Befehlsha- wenige Männer waren, die ein Gewehr hal- muss durchhalten“ – das waren seine Wor- ber ermordet werden, und das ging völlig ten konnten. Und besonders erbost hat te. Er verwies immer wieder auf die SS-Di- gegen meine Erziehung. Und dann war mir mich, dass Hitler von mehreren SS-Pan- visionen. Ich habe mich später gefragt, ob der Wechsel zu schnell: Eben noch hatte zerdivisionen sprach, die uns heraushauen er wirklich an den Unsinn glaubte, den er ich Hitler bewundert, und nun sollte ich würden. mir erzählte. helfen, ihn umzubringen? SPIEGEL: Was hatten Sie gegen diese Nach- SPIEGEL: Wie ging es weiter? SPIEGEL: Und Hitlers Verbrechen? richt? Behr: Am nächsten Tag wurde ich noch- Behr: Ich hatte bis dahin vor allem in Frank- Behr: Ich hatte schon von Manstein erfah- mals zu ihm gerufen. Generalfeldmarschall reich und Nordafrika gekämpft. Von der ren, dass diese SS-Divisionen überhaupt Erhard Milch war auch dabei. Der sollte Ermordung der Juden und den anderen nicht in der Lage waren, uns zu erreichen. nun die Luftversorgung übernehmen. Menschheitsverbrechen Hitlers hatte ich Dass Hitler versuchte, mich als den Ge- Hitler polterte, er solle die Luftwaffe auf keine Kenntnis. Interview: Klaus Wiegrefe 74 der spiegel 51/2002.
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