<<

newyork

Something Rotten! – Musik / Texte: Karey Kirkpatrick / Wayne Kirkpatrick; Buch: Karey Kirkpatrick / John O'Farrell; Regie / Choreografie: Casey Nicholaw; Bühne: Scott Pask; Kostüme: Gregg Barnes; Licht: Jeff Croiter; Ton: Peter Hylenski; Arrangements: Glen Kelly; Orchestrierung: Larry Hochman; Musikalische Leitung: Phil Reno. Darsteller: u.a. Brian d'Arcy James (Nick Bottom), (The Bard), John Cariani (Nigel Bottom), Heidi Blickenstaff (Bea), Brad Oscar (Nostradamus), Kate Reinders (Por- tia), Brooks Ashmanskas (Brother Jeremiah), Peter Bartlett (Lord Clapham / Judge), Gerry Vichi (Shylock), Michael James Scott (Minstrel). Broadway-Premiere: 22.04.2015, St. James Theatre, New York. rottenbroadway.com

Something Rotten!

Die Erfindung des Musicals als irrsinnig witzige Parodie von Didier C. Deutsch

Dieses Musical wurde schon vor der Premi- Drehbuchautor John O'Farrell, und gemein- vorhersagt, dass der absolute Tophit der ere voller Spannung erwartet, ließ die völli- sam haben die drei tatsächlich das seltene Zukunft das Musical ist. ge Respektlosigkeit seiner Zeitungsanzei- Kunststück vollbracht, ein frei erfundenes gen und Fernsehspots doch keinerlei Zwei- Theaterstück zu erschaffen, das auf keiner Zuerst zweifelt Nick daran, dass die Zu- fel daran, dass sich der neue Broadway-Zu- anderen Quelle beruht und sich köstlich schauer eine Aufführung goutieren könn- gang kein bisschen ernst nimmt. Jetzt hat über alles und jeden amüsiert. ten, in der die Darsteller unvermittelt zwi- ‘Something Rotten!’ (Ta-ta-ta-taaa, Fanfa- schen ihren Dialogen in Gesang ausbre- renstoß bitte) endlich seine Theatertüren Die Handlung spielt im Jahr 1595 in Süd- chen, aber Nostradamus versichert ihm: geöffnet und wird jedem Versprechen ge- London. Die zweitklassigen Dramatiker die werden es lieben! Der erste Schritt zum recht, denn es ist irrsinnig witzig und zum Nick und Nigel Bottom – Nick ist der ehr- Erfolg muss nun sein, das richtige Thema Brüllen komisch. geizige und Nigel der depressive Poet – su- für eines dieser “Musicals” zu finden. Sie chen verzweifelt nach einer neuen Erfolgs- überlegen, eine Show über den Schwarzen Seine Autoren sind die beiden Brüder Karey idee in einer Theaterwelt, die von der Hof- Tod zu machen, also über die Pestplage, die Kirkpatrick (Buch, Musik und Songtexte) schranze William Shakespeare (The Bard) damals halb Europa verwüstete (“Sie ist und Wayne Kirkpatrick (Musik und Song- dominiert wird. Einst war er Mitglied ihrer ganz gut für England”, sinniert Nick), ver- texte), sie haben bisher Popmusik geschrie- Theaterkompanie, bevor er sich selbststän- werfen den Gedanken aber wieder und kon- ben oder für Disney-Filme gearbeitet und dig machte, um mit seinen Stücken die sultieren erneut Nostradamus. Man muss debütieren nun am Broadway. Das Buch Welt zu erobern. Da trifft Nick zufällig ei- ihm nur die richtige Frage stellen (“Was stammt vom britischen Schriftsteller und nen Seher namens Nostradamus, der ihm wird Shakespeares größter Hit werden, Fotos: Fotos: Joan Marcus Joan

Foto oben: hinten in der Mitte Christian Borle (The Bard) John Cariani (Nigel Bottom) und Brian d'Arcy James (Nick Bottom) Foto unten: in der Mitte Brian d'Arcy James (Nick Bottom) und Brad Oscar (Nostradamus)

musicals 06.15 85 newyork

Foto unten: John Cariani (Nigel Bottom), Brian d'Arcy James (Nick Bottom) und Heidi Blickenstaff (Bea) de an den vielen Hinweisen haben, die im Buch versteckt sind (“Wovon handelt ein Musical?” – “Schach?”). Wundern Sie sich nicht, wenn unter den Renaissance-Tänzern plötzlich eine Nonne, ein Fiedler oder ein paar Schornsteinfeger auftauchen …

Shakespeare tritt in einer Jacke aus Gold- lamé an, mit dem ganzen Gehabe eines zukünftigen Rockstars; vielleicht pflügt un- ser Musical deshalb auch quer durch ‘Romeo und Julia’, ‘Richard II.’ und ‘Hamlet’. Zum Personal gehören außerdem ein jüdischer Geldverleiher namens Shylock und eine Frau in Männerkleidung, immer wieder führen die Charaktere Bruchstücke aus den Werken des Barden von Avon im Mund (“Warum der Barde? Warum nicht ein Barde?”, fragt Nick völlig zu Recht).

Passend zum schwindelerregenden Fortgang der Aktion hält Regisseur Casey Nicholaw, zu dessen Taten so angesagte Shows wie ‘Aladdin’ und ‘The Book Of Mormon’ gehö- ren, das Bühnengeschehen in seiner fehlerlo-

Joan Marcus sen Inszenierung fröhlich und leicht am Laufen. Wo er sich aber wirklich selbst Fotos: übertrifft, das sind die einfallsreichen Tanz- worüber sprechen die Leute jahrhunderte- Dänemark). Und so präsentieren die Bot- nummern, vor allem eine herrliche Parodie lang?”), dann verkündet der Seher zielsi- tom-Brüder als ihre neue Premiere ‘Omelet, auf die Stepptanz-Shows des Broadway, die cher, dass es sich um ein Ding namens The Musical’ samt tanzenden Eiern und (natürlich!) “A musical” heißt. Sie steigert “Omelet” handeln wird. passendem Rezept “nach dänischer Art”, die zügellose Heiterkeit noch, falls das über- also mit Schmackes. haupt möglich ist, und wird zum triumpha- Leicht verwirrt und doch gestärkt und len Showstopper. dankbar, bittet Nick seinen jüngeren Bru- Beim Ersinnen dieses grotesken Szenarios der also, das Buch zu “Omelet, The Musi- haben die Autoren nichts und niemanden Angeführt wird das exzellente Ensemble von cal” zu schreiben. Nigel hat höhere Ambi- verschont: Ihr Buch strotzt nur so vor Wort- Brian D'Arcy James, der nach einer gefühlt tionen und schreibt an irgendwas über ei- spielen, Pointen, Doppeldeutigkeiten und viel zu langen Abwesenheit an den Broad- nen Dänenprinzen – der Möchtegern- treffsicheren Anspielungen auf die Musical- way zurückkehrt; sein solides, fest grundier- Schauspieler Toby, in Wirklichkeit der ver- geschichte, von ‘A Chorus Line’ bis ‘Sweet tes Porträt von Bruder Nick ist zum Brüllen kleidete Shakespeare, spioniert die Zu- Charity’, ‘Cats’, ‘Hello, Dolly!’, ‘Fiddler On komisch. Sein witzigs Gegenstück ist John kunftspläne der Brüder aus und klaut The Roof’, ‘Annie’, ‘Les Misérables’ und Cariani als Nigel, er war zuletzt in ‘Fiddler prompt die Idee (der Stücktitel ‘Something zahllosen anderen. Man muss nicht unbe- On The Roof’ zu sehen. Die beiden spielen Rotten!’ spielt auf das berühmte ‘Hamlet’- dingt Experte sein, um sie zu erkennen, sich fröhlich die Bälle zu und haben augen- Zitat an, wonach “etwas faul” sei im Staate aber jeder Musicalfan wird seine helle Freu- scheinlich einen herrlichen Spaß dabei. Als The Bard – Shakespeare, der Popstar – macht sich Christian Borle über Mick Jagger und seinesgleichen lustig, sein rockiges Solo Reaktionen der amerikanischen Presse “Will power” wird zur hinreißenden Hymne auf eine Musik, die mit der Renaissance nur Broadway hits have a kind of white-hot descends on the second act, it's still a de - wenig zu tun hat. energy: Everything from story to song liriously funny show. clicks into place, the actors are firing on Marilyn Stasio, Variety Auf der weiblichen Seite leihen Heidi all cylinders – and the audience knows it's Blickenstaff (zuletzt in der ‘Addams Family’) watching something special. Now, that This is a big, brash meta-musical stu - und Kate Reinders ihr Talent den beiden Gat- something special is ‘Something Rotten!’, diously fashioned in the mold of ‘Monty tinnen unserer Helden: Nicks Frau Bea ent- a deliriously entertaining new musical Python's ’, ‘’ and puppt sich als Feministin, bevor das Wort comedy that is devilishly clever under its ‘The Book Of Mormon’, loaded with überhaupt erfunden wurde, und Nigels An- goofy exterior. crowd-pleasing showstoppers, deliciously gebetete Portia spielt als junge Naive in der Elizabeth Vincentelli, New York Post puerile gags and an infectious love of the Theatertruppe. form it so playfully skewers. This shamelessly silly parody of Broadway David Rooney, Hollywood Reporter Weiterhin zeichnen sich Brad Oscar (Nostra- musicals – and outrageous spoof of all damus) und Gerry Vichi (Shylock) als origi- things Shakespeare – was hatched from the ‘Something Rotten!’, written by three guys nelle Charaktere aus, außerdem Brooks Ash- fevered brains of brothers Wayne and Karey making their Broadway debuts, is fresh manskas als Bruder Jeremiah, puritanischer Kirkpatrick, aided by comic novelist John and hysterical and irreverent. It's easily the Vater von Portia und ständig hinter Nick O'Farrell and abetted by director-choreo- funniest thing to arrive on Broadway since grapher Casey Nicholaw (‘The Book Of ‘The Book Of Mormon’. Mormon’). Although comic desperation Mark Kennedy, Associated Press

86 musicals 06.15 newyork und Nigel her, weil sie Stücke mit Musik passen aber bestens zum allgemeinen Ton Niveau, das der gesamten Produktion wie- schreiben und deshalb des Teufels sind. des Abends. Alle anderen technischen derholte Gelächterstürme oder wenigstens Aspekte der Aufführung – die farbenfrohen ein konstantes Grinsen sichert. Als Tüpfelchen auf dem i runden die ein- Kostüme von Gregg Barnes, die reizvollen Als ein fröhliches Musicalfest dürfte ‘Some- gängigen Songs der beiden Kirkpatrick- Bühnenbilder von Scott Pask und das strah- thing Rotten!’ einer prachtvollen Zukunft Brüder den Abend ab. Ihre Texte klingen lende Lichtdesign von Jeff Croiter – bewe- entgegensehen. Nie fandet Ihr solchermaß zwar manchmal ein wenig vorhersehbar, gen sich auf dem gleichen hohen kreativen Gefallen am guten alten Broadway!

Brad Oscar (Nostradamus) und Brian d'Arcy James (Nick Bottom) John Cariani (Nigel Bottom) und Kate Reinders (Portia) Fotos: Fotos: Joan Marcus Joan

Foto Mitte: Michael James Scott (Minstrel, Mitte) v.l.n.r. Ryan VanDenBoom, Eric Sciotto, Christian Borle (The Bard), Bud Weber und Aleks Pevec Foto unten: Brooks Ashmanskas (Brother Jeremiah) und Kate Reinders (Portia)

musicals 06.15 87