»... alles, was schön, was herrlich heißen kann ...«

Kammermusikkonzert »Kleine Serenade« Im Rahmen des Themenjahres 2020 »Unendlich schön. Monumente für die Ewigkeit«

Schlossgarten am Minervatempel 19 Uhr, 26. August 2020

PROGRAMM

CARLO GIUSEPPE TOESCHI (1731–1788) Flötenquartett in C-Dur aus: Six simphonies ou quatuors dialogués, Paris [ca. 1764] Allegro grazioso – Menuetto

FERDINAND FRÄNZL (1767–1833) Flötenquartett in D-Dur aus: Deux Quatuors [...] op. 10, Augsburg [ca. 1810] Allegro – Andante – Allegretto

FRANZ DANZI (1763-1826)

Flötenquartett in d-Moll aus: Trois Quatuors […] op. 56, Offenbach (1819) Allegretto – Andantino – Allegretto Menuetto – Allegretto

Manches schöne Bauwerk überdauert seine Zeit und wird von der Nachwelt immer noch bewundert. Carl Theodor von der Pfalz hat sich nicht nur mithilfe der Bau- oder Kunstwerke Denkmäler errichten lassen, sondern ging als Begründer der berühmten kurpfälzischen Hofkapelle in die Musikgeschichte ein. Die Virtuosen und Komponisten seiner Hofmusik waren europaweit bekannt und leisteten gewichtige Beiträge vornehmlich auf dem Gebiet der Instrumentalmusik. Ihre Sinfonien und Konzerte hätte man mit einem antiken Minerva- oder Apollo-Tempel vergleichen können. Selbst in kleineren Dimensionen wie in den Werken für kammermusikalische Besetzungen waren sie mitunter federführend. Als die Quartettbesetzung mit einer Flöte, genannt Flötenquartett, ab den 1760er Jahren immer populärer wurde, erfreute sich diese Modeerscheinung auch in großer Beliebtheit. Der Konzertmeister und ab 1773 der Kabinettmusikdirektor Carlo Giuseppe Toeschi komponierte – höchstwahrscheinlich ursprünglich für die Musizierstunden seines Dienstherren Carl Theodor – ca. 30 Flötenquartette, die vornehmlich in Paris publiziert wurden. Toeschi wurde zum Vorreiter auf diesem Gebiet, obwohl noch andere Musikerkollegen wie Christian Cannabich, Ignaz Fränzl oder Jean Baptist Wendling Flötenquartette schrieben. Selbst als die Hofkapelle nach München umsiedelte, wurde diese Tradition fortgeführt. Dies bezeugt eine Flötenquartettsammlung (1785) von Georg Metzger, einem Schüler von Wendling, dem führenden Flötisten der nun Münchener Kapelle. Jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet das Flötenquartett allmählich in Vergessenheit. Umso interessanter erscheint die Tatsache, dass zwei Musiker und Komponisten, zwei Söhne bedeutender kurpfälzischer Hofmusiker, Ferdinand Fränzl und Franz Danzi erneut für diese Besetzung komponierten und diese Tradition noch einmal aufleben ließen. Drei Werke, welche den Beginn und das Verblühen einer Musikerscheinung vor dem Hintergrund der Verbundenheit zur Mannheimer Kompositionsschule markieren, werden heute Abend in einer Gegenüberstellung erklingen.

»Die Flöten Quatri vom Toeschy«1

Das C-Dur Flötenquartett, das unser Konzert heute eröffnet, wurde in Paris um 1764 veröffentlicht, in einer Sammlung Six Simphonies ou quatuors dialogués komponiert von ... Joseph Haydn! Dieser Notenband enthält vier Sinfonien bzw. Quartette von Haydn und zwei weitere für Flöte (oder Violine) und Streichern von Toeschi, was auf dem Titelblatt allerdings nicht angeführt ist. Allerdings ist es in diesem Fall eher merkwürdig, denn Toeschis Sinfonien erschienen regelmäßig seit 1760 in Paris – folglich war Toeschis Musik dem Pariser Publikum längst bekannt, wenn auch sein Renommee mit jenem von Haydn nicht vergleichbar war. Die Antwort auf die Frage, weshalb die Werke des ›Mannheimers‹ ihren Weg in eine Sammlung mit Haydns Kompositionen fanden, liefert der Titel des Bandes. Der Zusatz dialogué war zu jenem Zeitpunkt neuartig und womöglich ein erstes Indiz für die kammermusikalische Auffassung der Werke. Dies war einer der ersten Versuche das Prinzip des Dialogs – nach dem Vorbild einer geistreichen Salonunterhaltung – musikalisch umzusetzen.2 Den Erfolg dieser neuen Idee, die in diversen kammermusikalischen Formen von Duo bis Sextett zu finden war, kann man anhand zahlreicher Werktitel mit dieser Bezeichnung bis in die 1780er Jahre beobachten. Allein von Toeschi sind fünf Sammelbände für

1 Carl Ludwig Junker, Zwanzig Componisten, Bern 1776, S. 98. 2 In Haydns Werken aus diesem Band findet sich kaum ein Hinweis auf den musikalischen Dialog. kammermusikalische Besetzungen überliefert, die den Hinweis dialoguè im Titel enthalten. Im Gegensatz zu Haydns Werken aus diesem Band, die mehrsätzig und entsprechend lang sind, fallen die beiden Quartette Toeschis durch den zweisätzigen Zyklus: Allegro grazioso – Menuett, und deutlich kürzere Dauer der Musik auf. Dennoch kann man hierin eine Anlehnung an die sinfonische Denkweise erkennen. Ein Tutti-Akkord geknüpft an den punktierten Rhythmus des energischen Hauptthemas eröffnet den ersten Satz des C-Dur Quartetts. Überdies entwickeln die Instrumente stellenweise ein auskomponiertes beinahe sinfonisches Crescendo. Zugleich lässt die Entwicklung des musikalischen Materials Soloeinsätze zu: So treten Flöte, Viola und Cello konzertierend nacheinander hervor. Der Violine ist im Mittelteil des Satzes Platz eingeräumt, wo sie lediglich vom dezent im Hintergrund wirkenden Bass begleitet durch ihre virtuosen Passagen brilliert. Weniger an einen Dialog, sondern vielmehr an die Gattung der Sinfonia concertante erinnert die Konzeption des ersten Satzes. Die konzertante Sinfonie, die (wie die Bezeichnung verrät) eine Mischung aus der Sinfonie und dem Konzert ist, wurde jedoch erst in den 1770er Jahren, in Paris etabliert. Das Quartett schließt mit einem majestätischen Menuett, in dessen Mitte sich ein arios anmutendes Trio befindet. Wie Tänzer auf der Bühne agieren die Instrumente miteinander, wenn sie mal als Gruppe, mal paarweise oder als ›Solotänzer‹ in Erscheinung treten. Carl Ludwig Junker, Schriftsteller, Komponist und Zeitgenosse Toeschis hob die gleichberechtigte Behandlung der Instrumente in dessen Quartetten lobend hervor: »ich erstaunte über das melodische, über das, ineinander geflochtene, [...] über das reiche eines jeden besondern [!] Instruments, – über das abwechselnde derselben.«3

3 Junker, Zwanzig Componisten, Bern 1776, S. 95. »Unter den ersten Meistern auf der Violine«4

Von seinen Zeitgenossen wurde Ferdinand Fränzl in erster Linie als hervorragender Geiger geschätzt. Dem bayerischen Historiker Felix Joseph von Lipowsky zufolge war Fränzls Spiel auf der Violine »voll Zartgefühl, Reinheit und Akkuratesse«.5 Der Sohn von Ignaz Fränzl, dem Konzertmeister der Mannheimer Hofkapelle, kam im Mai 1767 in Schwetzingen auf die Welt. Nachdem er eine ausgezeichnete Ausbildung im Violinspiel von seinem Vater erhielt, studierte Fränzl außerdem bei Franz Xaver Richter und Ignaz Pleyel. Eine Studienreise nach Bologna 1790 ermöglichte ihm die Vertiefung seiner Kenntnisse vor allem im »Contrepunkt« 6 bei Padre St. Mattei, einem Schüler des berühmten Padre Martinis. Zwei Jahre später wurde Fränzl zum Konzertmeister am Frankfurter Nationaltheater ernannt. Daneben unternahm er einige Konzertreisen, die ihn nach England, Frankreich und Russland führten. 1806 erhielt der international gefeierte Violinist den Posten des Musikdirektors in München und somit die Leitung der Deutschen Oper und der Instrumentalmusik. In dieser Zeit schloss Fränzl Freundschaft mit , dessen Oper Abu Hassan er 1811 uraufführte. In Fränzls Instrumentalmusik stechen insbesondere seine virtuosen Violinkonzerte hervor. Auf die Virtuosität legte er auch in seiner Kammermusik wert, worauf einige Werktitel wie Six quatuors concertants oder Variations brillantes für Violine und Streichquartett hindeuten. Und obgleich von ihm nur eine Quartettsammlung für die variable Besetzung mit Flöte überliefert ist, wurden zudem einige Streichquartette Fränzls für die Flötenquartettbesetzung bearbeitet. Dazu zählen zwei

4 Felix Joseph von Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, München 1811, S. 86. 5 Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, S. 85–86. 6 Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, S. 85. Streichquartette aus Six quatuors op. 1, die im Jahr 1792 bei André in Offenbach veröffentlicht wurden. Ein gewisser Herr J. E. de Salin publizierte die Bearbeitung der Fränzl-Quartette wahrscheinlich um 1810 in Augsburg und widmete sie einer Madame Villancourt (geb. Fanny Stouhlen). Diese Praxis war in jener Zeit sehr verbreitet; mancher Verleger oder Musiker im Selbstverlag konnte ohne Wissen bzw. Zustimmung des Komponisten dessen Werke nachdrucken oder für eine andere Besetzung bearbeiten. Das zweite D-Dur Quartett aus diesem Druck stellt solch eine Bearbeitung des ersten Quartetts in C- Dur aus Fränzls erster gedruckter Quartettsammlung dar. Gerade in diesem Stück offenbaren sich sowohl die von Mannheimer Kompositionsschule geprägten stilistischen Elemente als auch der Versuch, neue Wege zu erkunden. Das dreisätzige Quartett weist eine eher ungleichmäßige Gewichtung auf. Dem im sinfonisch-konzertanten Gestus gehaltenen langen Kopfsatz stehen der langsame zweite mit Variationen über ein schlichtes Thema und der kurze dritte mit einer liedhaften Melodie und einer noch schlichteren Gestaltung gegenüber. Während Fränzl im ersten Satz mit diversen Satztechniken die Entfaltung der Themen von der festlichen bis zur dramatischen Stimmung erreicht, verbindet die anderen Sätze eine bewusst eingehaltene Schlichtheit des Materials und seiner Gestaltung, als ob der Komponist einer raffinierten aber veralteten Kompositionsweise neue Tendenzen gegenüberstellte.

»Ein einsichtsvoller und gründlicher Kompositeur«7

Franz Danzi, Freund Carl Maria von Webers, großer Verehrer W.A. Mozarts, war eine vielseitig begabte Persönlichkeit. Neben der kompositorischen Tätigkeit, die nicht zuletzt durch seine beruflichen Verpflichtungen als Hofkapellmeister eine zentrale Rolle in seinem Schaffen einnahm, verfasste er mehrere musikästhetische Beiträge, die in der Münchener Zeitschrift Aurora und in der Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung (AmZ) erschienen. Außerdem war er als Gesangs- und Kompositionslehrer bekannt. Der in Schwetzingen getaufte Sohn des kurpfälzischen Hofmusikers Innocenz Danzi erhielt eine umfangreiche Musikausbildung in Violoncello-, Klavierspiel und Gesang sowie im Kompositionsunterricht bei , dem Vizekapellmeister der Mannheimer Hofkapelle. Nach der Übersiedlung des Hofes nach München, blieb Danzi in Mannheim und wurde Mitglied im Orchester des damals neu gegründeten Nationaltheaters. Später ging er nach München und übernahm dort die Solo- Violoncellisten Stelle seines Vaters. 1790 heiratete er die Sopranistin Margarethe Marchand, mit der Danzi zahlreiche Gastspiele und Konzertreisen unternahm. Diese führten das Ehepaar nach Leipzig, Prag, aber auch nach Venedig und Florenz. 1798 wurde Danzis Singspiel Die Mitternachtsstunde, eines seiner erfolgreichsten Werke, in München uraufgeführt. Daraufhin erfolgte Danzis Ernennung zum Vizekapellmeister. Ab 1807 war Danzi Kapellmeister am Königlichen Hoftheater in und einige Zeit später wurde er zum Kompositionslehrer und Inspektor der Bläserabteilung der Karlsschule ernannt. Jedoch entschloss er sich bald, diese

7 Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, S. 64. Positionen aufzugeben, um ab 1812 das Amt des Kapellmeisters am Badischen Hof in zu übernehmen. Danzi komponierte für unterschiedliche, ja beinahe alle musikalischen Gattungen. In seinen Bühnenwerken, Kirchenmusik und Großformen der Orchestermusik experimentierte er oft mit dem Bläserklang und komponierte Konzerte oder konzertante Sinfonien für ein oder zwei Solo- Blasinstrumente. Hierbei bevorzugte Danzi auch solche Blasinstrumente wie Horn oder Fagott, für die vergleichsweise wenige Kompositionen existierten. Diese differenzierte Auseinandersetzung mit den Bläsern wird in der Forschung meist im Zusammenhang mit dem Beginn der Romantik erklärt. Jedoch wurzelt diese Erscheinung vielmehr in der Tradition der berühmten kurpfälzischen Kompositionsschule, deren Vertreter Christian Cannabich, Carlo Giuseppe Toeschi, Ignaz Fränzl oder Carl Stamitz einen differenzierten und solistischen Umgang mit dem Bläsersatz etablierten. Diese Besonderheit hat sich auch in Danzis Kammermusik vor allem der letzten Schaffensperiode niedergeschlagen. Den besonders beliebten und verbreiteten Bläserquintetten (1821– 1822) gehen Danzis Flötenquartette op. 56 (1819) voran, in denen er sich erstmalig mit jener Besetzung auseinandersetzt, bei der auch sein Vater – der Schilderung von Christian Friedrich Daniel Schubart8 zufolge – seinerzeit zusammen mit seinen Kollegen, den Gebrüder Toeschi, und dem Kurfürsten Carl Theodor mitwirkte. Höchstwahrscheinlich war Danzi mit der Satzstruktur und -techniken eines Flötenquartetts bestens vertraut, bereicherte sie überdies durch seine Orientierung am Streichquartett, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts als eine

8 »Nachdem er [Carl Theodor] sich sehr liebreich nach meinen Umständen erkundigt hatte; so spielte er selbst, beinah etwas furchtsam, ein Flötenkonzert von zween Toeschi und dem Violonzellisten Danzy begleitet.« Aus: Christian Friedrich Daniel Schubart, Leben und Gesinnungen, Teil I, Stuttgart 1806, S. 209. anspruchsvolle Gattung der Kammermusik galt. Das erkennt man am viersätzigen Zyklus des Quartetts mit Menuett an dritter Stelle, an den kontrastierenden, wenn auch miteinander motivisch verwandten Themen und nicht zuletzt an dem großen Umfang der Komposition. Der Tradition der Mannheimer Schule folgen beispielsweise der Unisono-Anfang der Streicher im ersten Satz oder die kontrastierenden ›Bausteine‹ im vierten Satz, die vielmehr einen Wechsel als den Wandel der musikalischen Gedanken aufzeigen. Entsprechend dem Geiste der Zeit, in der vor allem nach der französischen Revolution Formen wie Lied oder Marsch an Bedeutung gewannen, sind der zweite liedhafte Satz und der marschartige vierte Satz gehalten. Eine besondere Stellung nehmen die Tonartenverhältnisse in diesem Quartett ein, die in erster Linie auf dem Licht-und-Schatten Spiel der Tongeschlechter Moll und Dur basieren. Deren polare Gegenüberstellung ist in jedem Satz zu finden und verleiht dem Quartett Tiefgang. Die komplexen Verflechtungen von Tradition, zeitgenössischen Tendenzen und Danzis eigenen stilistischen Besonderheiten veranlassten Lipowsky die Werke des Komponisten als »redende Beweise seiner Kunst, seines Geschmackes, und seines tiefen Blickes in die Geheimnisse der Musik«9 zu bezeichnen.

Yevgine Dilanyan

9 Lipowsky, Baierisches Musik-Lexikon, S. 64. Ausführende:

Olga Becker-Tkacz studierte an der Musikhochschule Mannheim Violine. Neben ihrer Unterrichtstätigkeit an der Musikschule in Schwetzingen, liegt ihr die Kammermusik sehr am Herzen. Konzerte in ganz verschiedenen musikalischen Formationen ergänzen ihren Alltag als Musikpädagogin. Heute Abend ist sie als Bratschistin mit einem Instrument von Hellmut Lang aus Miltenberg zu hören.

Mirjam Rox studierte Cello an der Musikhochschule in Trossingen bei Prof. de Secondi. Sie war Mitglied in der Jungen Deutschen Philharmonie und besuchte Meisterkurse von Prof. Gleißner, Truls Mørk, Prof. Wallfisch und Prof. Buck. Zurzeit unterrichtet sie junge Cellistinnen und Cellisten in Schwetzingen und Heidelberg.

Der Flötist Christoph Rox studierte in Lübeck bei Michael-Martin Kofler, Thomas Biermann und Bernd Osten (Piccolo). Nach ersten Engagements als Soloflötist an den Theatern von Saarbrücken und Würzburg wurde er 2003 Flötist des NTO Mannheim. Seit einigen Jahren unterstützt er im Vorstand die Arbeit der Musikalischen Akademie des Nationaltheater-Orchesters.

Christine Rox studierte an der Hochschule für Musik in Köln bei Igor Ozim und am Cleveland Institute of Music bei William Preucil. Sie ist Preisträgerin des Max-Rostal-Wettbewerbs und des Concours Long- Thibaud. Ihr Interesse für neue und alte Musik führte zu Engagements u.a. bei Ensemble Modern, Musica Antiqua Köln, e-mex ensemble, oh ton-ensemble, L'arpa festante und Musikfabrik. Christine lebt als freischaffende Musikerin in Heidelberg.