Ibero-Analysen
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IBERO-ANALYSEN Dokumente, Berichte und Analysen aus dem Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz Berlin Heft 2 Dezember 1999 Panama und die Übergabe der Kanalzone Große Herausforderungen für ein kleines Land Raúl Leis Prof. Dr. Raúl Leis, panamaischer Soziologe, Politologe und Schriftsteller; Präsident des Centro de Estudios y Acción Social Panameño (CEASPA) und Universitätsprofessor. Ibero-Amerikanisches Institut · Stiftung Preußischer Kulturbesitz Das Ibero-Amerikanische Institut (IAI) ist ein disziplinenübergreifend konzipiertes Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit sowie des akademischen und kulturellen Austauschs mit Lateinamerika, Spanien und Portugal. Es beherbergt die größte europäische Spezialbibliothek für den ibero-amerikanischen Kulturraum, zugleich die drittgrößte auf diesen Bereich spezialisierte Bibliothek weltweit. Gleichzeitig erfüllt das IAI eine Funktion als Stätte der außeruniversitären wissenschaftlichen Forschung sowie als Forum des Dialogs zwischen Deutschland, Europa und Ibero- Amerika. Die IBERO-ANALYSEN richten sich in erster Linie an Entscheidungsträger aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Sie greifen themenorientierte und länderbezogene Fragestellungen auf und liefern aktualitätsbezogene, aber über den tagespoliti- schen Horizont hinausreichende Informationen zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur der Länder Ibero-Amerikas. Ausgewiesene Fachwissenschaftler bieten in den IBERO-ANALYSEN Orientierungswissen in allgemeinverständlicher Form, das den interkulturellen Dialog zwischen Deutschland und dem ibero- amerikanischen Kulturraum anregen und unterstützen soll. Das Ibero-Amerikanische Institut bemüht sich, in seinen Publikationen vielfältige Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Diese stellen jedoch grundsätzlich die Auffassung des/der jeweiligen Autors/Autorin und nicht unbedingt die des IAI dar. Die IBERO-ANALYSEN sind für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Nachdruck nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des IAI und mit voll- ständiger Quellenangabe. Die IBERO-ANALYSEN können auch über die Home- page des IAI im PDF-Format heruntergeladen werden. Redaktion Dr. Peter Birle Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz Referat Forschung und Projekte Potsdamer Straße 37 10785 Berlin Telefon: 030 – 2662515 Telefax: 030 – 2662503 e-mail: [email protected] http://www.iai.spk-berlin.de 1. Auflage 1999 © Ibero-Amerikanisches Institut Preußischer Kulturbesitz, Potsdamer Straße 37, 10785 Berlin ISBN 3-9803291-5-1 Panama und die Übergabe der Kanalzone Große Herausforderung für ein kleines Land Raúl Leis Für Panama, ein kleines Land, das geographisch zu Mittel- amerika gehört, historisch zu Südamerika und seinem Wesen nach zur Karibik, war dieses Jahrhundert geprägt vom Bau des Panamakanals, an dessen Trasse entlang zu Beginn die- ses Jahrhunderts eine koloniale, wirtschaftliche und militäri- sche Enklave - die sogenannte Kanalzone - errichtet wurde. Am 31. Dezember 1999 wird dieser Zustand mit der Überga- be des Kanals an Panama beendet. Panama erhält nicht nur die volle Kontrolle über sein gesamtes Staatsgebiet sowie über die in der Kanalzone gelegenen Gebäude, Einrichtungen und Maschinen, sondern es wird mit dem Abzug des US- Militärs auch entmilitarisiert, da es über keine eigenen Streitkräfte verfügt. Die Übergabe des Kanals stellt das klei- ne Land vor gewaltige Herausforderungen: der Schutz der Umwelt und der Wasserressourcen, Alternativen für eine zu- künftige Kapazitätsausweitung des Kanals, die Gefahr einer Verlängerung der US-Militärpräsenz über das Jahr 2000 hin- aus, die Umweltverseuchung durch Sprengkörper und Che- miewaffen, die Neutralität eines nicht bewaffneten Landes und nicht zuletzt die nationale Aufgabe, die Geschicke des Landes in Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und zu bestimmen. I. Ein Isthmus zwischen Yin kunft, und er ist für die Entwick- und Yang lung des Landes und der Gesell- schaft von außerordentlicher In der fernöstlichen Philosophie Bedeutung. sind das Yin und das Yang Sym- Bei ihren Kartierungen des Für Panama ist der bole für zwei gegensätzliche, Kanal jeden Tag sich ergänzende Prinzipien, de- Isthmus legten die Spanier be- von neuem ein ren unaufhörliche Metamorpho- sonderen Wert darauf, seine Sinnbild für das Yin Länge zu bestimmen, denn die und das Yang sei- se ein Ausdruck für die lebendi- ner nationalen ge Textur des Universums ist. Entdeckungsreisenden suchten Realität. Sie sind ein Gegensatzpaar wie nicht nur nach Gold und Edel- der Tag und die Nacht, das Posi- steinen, sondern auch nach ei- tive und das Negative, das Volle ner Durchfahrtsmöglichkeit für und das Leere, das Männliche ihre Schiffe, den sie jedoch nicht und das Weibliche, das Ja und fanden. Während ihrer Aufent- das Nein. Für Panama ist der halte gründen sie die ersten Kanal jeden Tag von neuem ein Siedlungen und Städte. Sinnbild für das Yin und das Die Gründung von Panama- Yang seiner nationalen Realität. Stadt am Pazifik ist nicht darauf Er ist tief in die Geschichte des zurückzuführen, dass sich der Landes eingegraben, in seine Boden dort besonders für A- Gegenwart und in seine Zu- ckerbau oder Viehzucht eignete Ibero-Analysen 2 · Dezember 1999 1 oder das Klima besonders güns- I.1 Von der Ersten Welt zur tig war oder etwa darauf, dass Dritten Welt. Die Über- es dort Bodenschätze gab. Die gabe der Kanalgüter und der Verantwortung Gründe waren ganz anderer Art: Den Spaniern diente das Land Am 7. September 1977 unter- als Zwischenstation, als Brücke zeichneten die USA und Panama für den Transport des fremden die Torrijos-Carter-Verträge, die Reichtums. Mit der Entdeckung die Übergabe des Kanals und des Pazifiks wird die Funktion der Kanalzone an Panama zum Panamas als Transitland zwi- 31.12.1999 festlegten. Zum En- schen Europa und dem neu ent- de dieses Jahrhunderts erhält deckten Kontinent für das iberi- Panama damit ein Gebiet von sche Kolonialsystem institutio- 34.000 Hektar mit 4.829 Ge- nalisiert: Die Hafenstadt Porto- bäuden, mit Straßen, Häfen, Mit der Eröffnung des Panamakanals belo, „schöner Hafen“ - der ita- Flughäfen, Grünanlagen und im Jahre 1914 lienische Name stammt von Ko- Siedlungen. Der Wert des ge- wurde die Rolle Panamas als Tran- lumbus - wird zum Ausgangs- samten Gebietes beläuft sich sitland endgültig punkt der Überlandtransporte auf mehrere Milliarden Dollar, besiegelt. vom Atlantik zum Pazifik. Das wobei der größte Teil der Kanal- also waren die Gründe dafür, zone, der Anlagen und Gebäude dass das Land zu einem Transit- bereits übergeben worden ist. land wurde und seine Städte Panama sieht sich nun der Her- Portobelo und Panama zu ausforderung gegenüber, Stra- Umladeplätzen. tegien zu entwickeln, die es er- möglichen, die aus der Überga- Mit der Inbetriebnahme der ers- be resultierenden Chancen voll ten Eisenbahnlinie im Jahre und ganz zu nutzen und die ü- 1855 von der Atlantikküste zur bergebenen Güter so einzuset- Pazifikküste, wurde Panama zur zen, dass sie der Gesamtent- wichtigsten Verbindung zwi- wicklung des Landes zugute schen der Ost- und der West- kommen. küste der Vereinigten Staaten, da es auf dem nordamerikani- Das bedeutet, dass ein kleines schen Territorium zu jener Zeit Land mit 2,8 Millionen Einwoh- noch keine transkontinentale nern nun Ressourcen besitzt, Verkehrsverbindung gab. Der die, wenn sie gut investiert und Bau dieser Eisenbahn, bei dem verwaltet werden, die gesamte Arbeiter aus zahlreichen Län- Entwicklung des Landes und der dern mitwirkten, forderte viele Gesellschaft vorantreiben wer- Menschenleben. Es heißt, dass den. Gewaltige Herausforderun- unter jeder Schwelle der Gleise, gen kommen auf Panama zu: die sich durch den Urwald bohr- die Umwandlung von Todeszo- ten, ein toter Arbeiter liege. Mit nen in Lebensräume, von kon- der Eröffnung des Panamaka- taminierten Truppenübungsplät- nals im Jahre 1914 wurde die zen in ökologisch gesunde Ge- Rolle Panamas als Transitland biete, von Kasernen in Bildungs- endgültig besiegelt. zentren, von leer stehenden Gebäudekomplexen in florieren- de Ferienanlagen. Darüber hin- aus müssen Maßnahmen zum 2 Raúl Leis: Panama und die Übergabe der Kanalzone Schutz der Wasserressourcen im von Panama 422 Bomben, dar- Letzten Endes wird Einzugsgebiet des Kanals ge- unter viele von immenser Zer- also die Übergabe des Kanals an Pa- troffen und Strategien für eine störungskraft. Alle zwei Minuten nama zum Prüf- effiziente Verwaltung des Kanals eine Bombe. stein dafür wer- entwickelt werden. Fast gilt das den, ob das Land Zwischen 1977 und 1989 durch- fähig ist, als eine biblische Wort von den „Schwer- lief das Land eine schwierige souveräne, selbst- tern zu Pflugscharen“. Güter der Phase, die durch eine Militärdik- bestimmte Nation Ersten Welt werden einem klei- zu handeln und tatur, eine Wirtschaftsblockade, seine Zukunft nen Land der Dritten Welt über- eine US-Invasion und dem mit- selbst in die Hand geben, das sich nun seinerseits telamerikanischen Konflikt ge- zu nehmen. vor die Aufgabe gestellt sieht, kennzeichnet war. Die Folge wa- die Konversion der Militärbasen ren schwere wirtschaftliche, so- und der angrenzenden Gebiete ziale und politische Krisen, die zu betreiben, um sie zum Wohle dem nationalen Selbstbewusst- der gesamten Bevölkerung für sein nicht gerade zuträglich wa- zivile, soziale und wirtschaftliche ren. Daher überrascht es nicht, Zwecke nutzen zu können. dass heute ein Teil der Bevölke- Fast zeitgleich mit dem Bau des rung der Meinung ist, Panama Kanals begann der Kampf um sei nicht fähig, den Kanal und die nationale Souveränität. Ge- sein Erbe allein zu verwalten.