2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme

2.4 Südländische Insekten überwinden die Alpen Olaf Schmidt

Südländische Insekten überwinden die Alpen: Während der letzten 15–20 Jahre wurden immer mehr süd- ländische wärmeliebende Insektenarten in Mitteleuropa entdeckt. V.a. warme Winter ermöglichen zahlreichen thermophilen Arten ihren Lebensraum nördlich der Alpen auszuweiten. Deren hoher und langer Gebirgszug stellt zwar eine starke Barriere für die Ausbreitung von Pflanzen- und Tierarten zwischen Süd- und Mitteleu- ropa dar. Etliche Schmetterlingsarten fliegen allerdings regelmäßig von Südeuropa oder sogar Afrika nach Mitteleuropa ein. Die wichtigsten Eintrittspforten für südländische Insekten nach Mitteleuropa stellen dabei die »Burgundische Pforte«, das Donautal und die norddeutsche Tiefebene dar. Obwohl die Alpen also eine Barriere bilden, können sie im Westen und Osten umgangen werden. Zudem kann der Überseehandel und anderer Wasser-, Land- und Luftverkehr die Einschleppung von Arten aus wärmeren Regionen fördern. Die Klimaänderung kann dazu führen, dass sich solche Insektenarten bei uns dauerhaft etablieren. Southern cross the Alps: During the last 15 to 20 years more and more southern thermophilous have been seighted in central Europe. In particular, warmer winters enable numerous thermophilous species to expand their ranges north of the Alps. This high and large mountain range constitutes a strong barrier for the dispersal of plant and species between southern and central Europe. Several butterfly species, however, regularely invade entral Europe from southern Europe or even Africa. The most important gateway to central Europe for southern insect species are the Burgundian gate, the Danube valley an the nor- thern German lowlands. Although the Alps act as a barrier, they nevertheless can be circumpasses from west an east. Also, shipping from overseas and other traffic by water, land and air may enhance the introduction of species from warmer regions.

ie Biogeographie ordnet Tier- und Pflanzenarten Frage, ob aus diesen Wanderungen auf eine Einfalls- Dbestimmten Faunen- oder Florenregionen zu, in- pforte für neue, südländische Arten nach Mitteleuropa nerhalb derer die Verbreitung der einzelnen Arten durch geschlossen werden kann, und welche weiteren Mög- ein komplexes Gefüge von Ökofaktoren bestimmt ist. lichkeiten der Einwanderung bzw. Verschleppung von Ändern sich die Ökofaktoren nicht, so kann davon Insektenarten nach Mitteleuropa unter dem Aspekt der ausgegangen werden, dass der Lebensraum einer Art Erderwärmung bestehen. zumindest über einen gewissen Zeitraum hinweg mehr oder minder konstant bleibt. Als wichtigste abiotische Die Alpen - Faktoren gelten Licht, Wärme und Feuchte. In den letz- Barriere zwischen Mittel- und Südeuropa ten 10–15 Jahren gibt es vermehrt Hinweise auf südlän- Die Alpen erstrecken sich zwischen den französischen dische lnsektenarten, die sich nach Norden ausbreiten. Seealpen im Westen und dem Wienerwald kurz vor der Dies wird in Zusammenhang mit der Erderwärmung Donau im Osten über eine Länge von fast 1.000 km. gebracht. Vor allem wärmere Winter ermöglichen es Die Nord-Südausdehnung der Alpen an der breitesten thermophilen Arten ihr Areal nördlich der Alpen aus- Stelle, etwa dem Etschtal aufwärts über den Alpen- zudehnen. hauptkamm bis nahe Bad Tölz umfasst rund 240 km. Die Alpen stellen eine starke Barriere für die Aus- Mit einer Fläche von rund 165.000 km² stellen die breitung von Tier- und Pflanzenarten dar. Ihre Lage, Alpen damit eine wirksame Landbarriere für den Aus- Höhe und Ausdehnung sowie die ebenfalls im Wesent- tausch von Tier- und Pflanzenarten zwischen Mittel- lichen von West nach Ost streichenden Hochgebirge und Südeuropa dar. Die Alpen als Hochgebirge sind der Pyrenäen und der Karpaten werden zusammen mit durch folgende Kriterien charakterisiert: während der Eiszeiten in Südeuropa fehlenden Rück- • Sie erheben sich deutlich über die Wald- und Baum- zugsräumen als Grund angeführt, dass die mitteleuro- grenze hinaus, päische Fauna und Flora im Vergleich zur Situation in • Sie besitzen eine rezente Periglazialstufe und Nordamerika an Arten verarmt sind. • Sie überragten generell die eiszeitliche Schneegrenze Einigen Insekten gelingt es allerdings regelmäßig (Winiger 1992). die Alpen zu überwinden. Am bekanntesten sind die Heute sind die Alpen als wichtiges europäisches Hoch- sogenannten Wanderfalter, vornehmlich Arten aus der gebirge v.a. in ihrer Bedeutung als Lebens- und Erho- Gruppe der Schwärmer, die regelmäßig von Südeuropa lungsräume, als Gebiet natürlicher Ressourcen (z.B. oder Afrika kommend über die Alpen nach Mitteleu- Wasser, Holz) und als Raum, von dem Gefahren aus- ropa einfliegen. Der folgende Beitrag beleuchtet die gehen und die selber gefährdet sind, im Gespräch. In  2.4 O. Schmidt diesem Beitrag soll die Barrierewirkung der Alpen als Ergebnis intensiver entomologischer Forschungsarbeit Trennlinie zwischen der mittel- und südeuropäischen weiß man über die bevorzugten Einflugswege dieser Pflanzen- und Tierwelt im Vordergrund stehen. Wanderfalter unterdessen sehr gut Bescheid (s. Tab. Während der Eiszeiten drängten die von Norden 2.4-1). Die Benelux-Länder und Deutschland werden vorrückenden Eismassen wärmeliebende Tier- und von den Schmetterlingen aus Nordafrika über das west- Pflanzenarten, besonders die Arten der Wälder, nach liche Mittelmeer und die Westalpen erreicht. Aus Sü- Süden. Während in Nordamerika bzw. Ostasien diese deuropa, Algerien und Tunesien wandern die Schmet- Arten weit nach Süden ausweichen konnten, stießen terlinge über Norditalien und die Zentralalpen direkt in sie in Europa auf die großen Hochgebirge der Alpen, den Süden von Deutschland ein. Aus dem Osten einflie- der Pyrenäen und der Karpaten (Böhlmann 2001). Nur gende Wanderfalter können sowohl über die Ostalpen wenige »Schlupflöcher« wie z.B. die Burgundische als auch direkt über die Slowakei und Tschechien bis in Pforte bzw. das Donautal ermöglichten ein Durchkom- die Ostsee-Anrainerstaaten vordringen. Interessant ist, men von Tier- und Pflanzenpopulationen nach Süden in dass sich diese Insekten beim Überqueren der Alpen den Mittelmeerraum, auf den Balkan bzw. noch weiter auch an Pässen orientieren (Reinhardt & Harz 1996). östlich nach Kleinasien. Problematisch war in den Gla- Die Ursachen für diese Wanderungen der Schmetter- zialzeiten, dass besonders für Gehölze und Waldarten linge sind noch nicht endgültig geklärt. Man geht heute im damals sehr trocken-kalten, wüsten-steppenartigen aber davon aus, dass Schmetterlinge lebensfeindliche Südeuropa keine geeigneten Refugialräume zur Ver- Zeiträume durch eine Entwicklungsunterbrechung am fügung standen (Schroeder 2002). Heute noch zeigen Ort (z.B. Sommerdormanz) zu überbrücken vermögen Tier- und Pflanzengruppen in Mitteleuropa im Ver- oder durch ein Ausweichen an günstigere Orte reagie- gleich zu Nordamerika und Ostasien diese Artenarmut ren können (Rezession). deutlich auf. So sind z.B. in Mitteleuropa nur etwa 30 Dabei weichen die Schmetterlinge den erwarteten baumförmige Gehölzarten vorhanden, in Nordameri- ungünstigen Bedingungen bereits vor deren Eintreten ka jedoch ca. 200. Für die Ausbreitung von Tier- und durch termin- und zielgebundene Migration im Voraus Pflanzenarten spielen also solche großen Gebirge, wie aus. die Alpen, eine wichtige Rolle als Abgrenzung von Flo- Als klassischer Wanderfalter gilt der Admiral (Va- ren- und Faunenregionen. nessa atalanta), der jedes Jahr aus dem Mittelmeer- Beim Zurückweichen des Eises gab es entspre- raum neu bei uns einwandert. Inzwischen sind die chende Rückwanderungen von Tier- und Pflanzenarten. Winter teilweise so mild, dass der Falter seit 10–15 Je nach Dauer der Vereisung haben sich mitunter aus Jahren auch nördlich der Alpen überwintert und sogar zersplitterten Relikt-Populationen in den Refugialräu- überwinternde Raupen und Puppen auftreten. So ver- men in einigen Fällen unterschiedliche nahe verwand- mischen sich im Frühjahr die Nachkommen der Falter, te Schwesternarten gebildet. Beispiele sind Grün- und die sich bei uns fortgepflanzt haben, mit den Neuzu- Grauspecht, Halsband- und Trauerschnäpper, Fitis- und gängen aus dem Süden. Weidenlaubsänger oder auch Unterarten wie der Ge- Ein oftmals massenhaft im Sommer auftretender fleckte und Gebänderte Feuersalamander. Falter ist die Gammaeule (Autographa gamma), die ebenfalls von Süden einwandert und sich bei uns auch Wanderfalter überwinden die Alpen vermehrt. Vermutet wird eine Rückwanderung dieser Trotz der Barrierewirkung der Alpen gelingt es Tieren, Art im Herbst nach Süden (Deschka 1995). die Alpen aktiv zu überwinden oder sie zu umgehen. Der durch sein Verhalten auffälligste Wanderfal- Bekannt sind die Wanderfalter, zu denen besonders ter ist das Taubenschwänzchen (Macroglossum stella- Schwärmerarten zählen (Reinhardt & Harz 1996). Als tarum) (s. Abb. 2.4-1). Dieser zu den Schwärmern zäh- lende Schmetterling ist tagaktiv und besucht in einem Tab. 2.4-1: Bekannte Wanderfalter zwischen Süd- und kolibriähnlichen Schwirrflug Blüten. Das Verbreitungs- Nordeuropa gebiet des Taubenschwänzchens liegt im Mittelmeerbe- reich bis zum Schwarzen Meer, den Kanarischen Inseln Totenkopfschwärmer Taubenschwänzchen (Abb.2.4-1) und Madeira. Die Art wandert fast alljährlich zu uns Windenschwärmer Großer Weinschwärmer ein und überwindet dabei die Alpen. Die erste zuge- Oleanderschwärmer Admiral wanderte Generation des Jahres fliegt bei uns etwa von Linienschwärmer Distelfalter Mai bis Juli. Aus den hier abgelegten Eiern schlüpfen Wolfsmilchschwärmer Großer Fuchs grün gefärbte Raupen, die sich bis September/Oktober Labkrautschwärmer Trauermantel zu Faltern entwickeln. Bisher konnten nur wenige Tau- Gammaeule benschwänzchen bei uns überwintern und das nur in

 2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme den klimatisch besonders günstigen Gebieten (Deschka vielen Eichenwäldern, besonders in Süddeutschland, 1995). Auf Grund der wärmeren Winter überleben nun kam es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen ins- aber zunehmend bei uns Taubenschwänzchen als Falter besondere bei Waldbesitzern, Forstpersonal und Erho- oder seltener als Puppe (Steinecke & Wester 2007). In lungssuchenden. den letzten Jahren häufen sich daher Beobachtungen des Taubenschwänzchens aus den Monaten März bis Südländische Insekten Mai, z.B. in Holland, dem Nahetal und Oberfranken. umgehen die Alpen Die Alpen stellen zwar auf Grund ihrer Ausdehnung Wärmeliebende, einheimische und ihrer Höhe ein großes Hindernis dar, sie können Insekten weiten ihre Areale aus jedoch, wie auch in den Eiszeiten, von südländischen Gerade in den letzten 15–20 Jahren ist in Mitteleuropa Tier- und Pflanzenarten östlich und westlich umgan- eine Ausweitung der Verbreitungsgebiete einheimischer gen werden. Als wichtige Eintrittspforten nach Mit- wärmeliebender Insekten und gleichzeitig ein häufiges teleuropa gelten die Verbindung von der Rhone zum Auftreten von südeuropäisch verbreiteten Arten festzu- Rhein (Burgundische Pforte) mit der Wärmeinsel des stellen. So hat die auffällig schwarz-rot gefärbte wär- Kaiserstuhls im Oberrheingraben und das Donautal meliebende Streifenwanze (Graphosoma lineatum) in im Osten, das die Einwanderung über die ungarische den letzten Jahren ihr Areal bis zur Ostseeküste ausge- Tiefebene und die Mährische Pforte nach Mitteleuropa dehnt (Werner 1997). ermöglicht. Hinzu kommt, dass wichtige Verkehrswege Auffällig sind auch Meldungen der Violetten Holz- ebenfalls in den großen Flusstälern verlaufen und neue biene (Xylocopa violacea) in Hessen und Mittelfranken Arten zu uns auch mit Verkehrsmitteln verschleppt (Bussler 2007), obwohl diese hummelgroße Wildbiene werden. Die größte offene Flanke für einwandernde bisher bei uns nur in den wärmebegünstigsten Berei- Tier- und Pflanzenarten bietet Mitteleuropa mit der chen großer Flusstäler z.B. am Oberrhein und an der norddeutschen Tiefebene, die nach Osten in die Weiten Donau bekannt war (Schmalz 2005). des eurasischen Kontinents führt. Bei den wärmeliebenden einheimischen Tierarten Für einige, südländisch verbreitete bzw. neozoische kann man davon ausgehen, dass die Erderwärmung der Arten kann man die Einfallswege nach Mitteleuropa letzten 15–20 Jahre die Populationen in Deutschland auf gut nachvollziehen. So hat sich die Delta-Lehmwes- den besonders wärmebegünstigten Standorten gestärkt pe (Delta unguiculatum) von Südeuropa aus über die hat und von dort aus eine Ausbreitung in andere, unter- burgundische Pforte in den Oberrhein-Graben bis nach dessen ebenfalls wärmere, Bereiche erfolgen konnte, so Frankfurt und mainaufwärts über Wertheim bis nach z.B. beim Trauer-Rosenkäfer (Oxythyrea funesta) und Würzburg ausgebreitet und dort sich reproduzierende beim Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea pro- Bestände gebildet (Mader 2000). cessionea). Gerade der Eichenprozessionsspinner hat Ebenso ist die Südliche Eichenschrecke (Meconema sein Verbreitungsgebiet in Deutschland in den letzten meridionale) aus Südfrankreich über die burgundische Jahren deutlich vergrößert (Bräsicke & Wulf 2011). In Pforte eingewandert. Seit 1958 wird sie am Kaiserstuhl

Abb. 2.4-1: Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum) saugt im Schwirrflug Nektar aus einer Blü- te. Diese Schmetterlingsart wandert alljährlich über die Alpen zu uns ein (Foto: Walter Schön).

 2.4 O. Schmidt beobachtet. Sie hat sich rheinabwärts weiter ausgebrei- Sachsen und die neuen Bundesländer besiedelt, wobei tet und bereits 1993 die Niederlande erreicht. Aller- gerade bei der kleinen Roßkastanienminiermotte die dings scheint diese Art auch über Autos und Züge mit- Möglichkeit des Verschleppens mit dem Verkehr (z.B. verbreitet zu werden (Klausnitzer 1995). 1996 wurde Lastwagen, Züge) nicht von der Hand zu weisen ist. die Südliche Eichenschrecke in Bayern im Landkreis Die in Kleinasien und auf dem Balkan autochthon Ansbach, 1999 in Augsburg festgestellt (Schlumprecht heimische Platanenminiermotte hat bereits vor ca. 100 & Waeber 2003). Unterdessen hat sie auch München Jahren Platanen im gesamten Bereich Südeuropas be- erreicht und wurde bereits 2008 in Sachsen nachgewie- fallen. Aber erst seit Ende des 20. Jahrhunderts befin- sen (Kästner 2012/13). Gerade die Funde in Sachsen det sich diese Schmetterlingsart in rascher Ausbreitung bestätigen die Vermutung, dass dieses flugunfähige In- über ganz Europa bis zu den Britischen Inseln und nach sekt wahrscheinlich im Wesentlichen als blinder Passa- Dänemark. Auch hier kann man über die Nachweise gier an Autos oder Zügen verbreitet wird. dieser Art von Osten her kommend über das Donautal Auch die mediterrane Feuerlibelle (Crocothemis die Einwanderung nach Deutschland gut verfolgen. erythraea) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten In jüngster Zeit fand eine weitere neozoische von einigen wenigen bodenständigen Populationen Schmetterlingsart, der Japanische Eichenseidenspinner im Oberrheintal an besonders wärmebegünstigten Be- (Antherea yamamai, Abb. 2.4-2), ebenfalls über das reichen rheinabwärts bis zum Lippetal und nach Dort- Donautal den Weg nach Bayern. Diese Schmetterlings- mund verbreitet. Mainaufwärts wurde sie bis Bamberg art, deren ursprüngliches Heimatareal im Amurgebiet beobachtet (Ott 1996). liegt, kommt seit über 100 Jahren in Slowenien, Südun- Beispiele für die Einwanderung aus dem Osten garn, Istrien, Kärnten, Steiermark und im Burgenland über das Donautal sind die Roßkastanienminiermotte vor. Aber erst seit dem Jahr 2001 wurde diese Art auch (Cameraria ohridella) und die Platanenminiermotte in Deutschland in der Gegend zwischen Deggendorf (Phyllonorycter platani). Die Roßkastanienminiermot- und Passau nachgewiesen, besonders häufig 2005 und te lebt monophag in den Blättern der Rosskastanie (Ae- 2006 (Schmidt & Weigert 2006), aber auch in den Fol- sculus hippocastanum). Die Rosskastanie selbst zählt gejahren. zu den Arten, die die Rückwanderung seit der letzten Erstmals wurde im Herbst 2011 bei Passau die Vereisung nach Mitteleuropa nicht geschafft haben. Sie Ulmenbürstenhornblattwespe (Aproceros leucopo- hat die Eiszeit in einem winzigen Areal im zentralen da) (Kraus et. al. 2011) nachgewiesen. Ursprünglich Balkan überdauert und wurde erst durch den Menschen stammt dieses, auch Asiatische Ulmenblattwespe ge- nach Norden verbreitet. 1989 wurde die Roßkastani- nannte, Insekt aus Ostasien. In Osteuropa (Ungarn, Ru- enminiermotte erstmals in Österreich bei Linz nach- mänien, Polen) wurde sie bereits ab 2003, in Österreich gewiesen. Seither hat sie sich über das Donautal nach 2009 nachgewiesen (Zeitler 2012). Unterdessen wur- Bayern, in die Täler von Inn und lsar, v. a. in den Jahren de die Asiatische Ulmenblattwespe 2013 auch in Ber- 1992–1995, rasant ausgebreitet. Über Tschechien fand lin, Süd-Brandenburg und Sachsen bestätigt (Sobczyk die Art Anschluss an die EIbe und hat vom Elbtal aus & Nuss 2012/13). Durch den typischen Zick-Zackfraß

2.4-2: Der Japanische Eichensei- denspinner (Antherea yamamai) hat seit über 100 Jahren ein Se- kundärareal in Slowenien, Steier- mark und Südungarn. Seit 2001 wird die Art im niederbayerischen Donautal zunehmend häufiger ge- funden (Foto: Walter Schön).

 2. Auswirkung des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme der Junglarven, zur Blattmitte hin ist diese Art gut zu nur 11 Jahren die Alpen zu überqueren. Aber auch hier diagnostizieren. spielt die passive Verschleppung durch befallene Pflan- zen und Pflanzenteile wohl die größte Rolle. Globaler Handel und Verschleppung von Insekten Schlussbetrachtung Eine weitere wichtige Eintrittspforte nach Mitteleu­ Die Alpen als großes Hochgebirge in Europa grenzen ropa für wärmeliebende Insekten stellen, in Zeiten des durch ihre Ausdehnung und ihre Höhe Floren- und globalen Handels, die großen Seehäfen und Flughäfen Faunenregionen Süd- und Mitteleuropas gegeneinan- dar. der ab. Trotzdem ist es Tier- bzw. Pflanzenarten ge- So wurde z.B. der Asiatische Laubholzbockkäfer lungen, die Alpen zu umgehen und sich nach Mitteleu­ (Anoplophora glabripennis) durch Verpackungsholz ropa auszubreiten. Anders wäre auch ein Rückzug von chinesischer Granitsteine 2001 in Braunau/Österreich Arten während bzw. eine Wiederbesiedelung nach den eingeschleppt. In Deutschland wurde der Käfer 2004 in Vereisungen nicht möglich gewesen. Die fehlenden Niederbayern, 2005 bei Bonn, 2012 bei Weil a. Rhein Rückzugsräume in Südeuropa haben in Verbindung und in Feldkirchen nachgewiesen (Schröder 2013). mit den quer zur Wanderrichtung liegenden Hochge- Das Wirtspflanzenspektrum dieses Käfers umfasst birgen zu einer artenärmeren Tier- und Pflanzenwelt mehr als 100 Laubbaumarten, wobei bisher Ahorn, Europas im Vergleich zu Nordamerika gesorgt. Neue Rosskastanie, Pappel, Birke, Ulme und Weide bevor- Arten, die der globalisierte Handel nach Mitteleuropa zugt wurden. Im Oktober 2012 wurde in der Gemeinde verschleppt und einbringt, werden vor allem durch mo- Feldkirchen, ca. 15 km östlich von München, Befall derne Verkehrseinrichtungen (Autobahnen, Seehäfen, durch den Asiatischen Laubholzbockkäfer bestätigt. Flughäfen) verbreitet. Der Temperaturanstieg im Zuge Auch in drei kleineren Waldflächen konnte Befall fest- der Klimaerwärmung kann es wärmeliebenden neuen gestellt werden (Lemme 2013). Arten ermöglichen, sich bei uns zu etablieren. So wur- Bei dem in Norditalien seit 1997 eingeschleppten de der Amerikanische Webebär (Hyphantria cunea) Citrusbockkäfer (Anoplophora chinensis), der sich in bereits vor 70 Jahren nach Ungarn eingeschleppt. Dort der Nähe von Mailand auf einer Fläche von insgesamt und im östlichen Österreich, insbesondere im Burgen- 200 km² etabliert hat, hoffen wir noch auf eine starke land, hat sich dieses Insekt etabliert und ausdauernde Barrierewirkung der Alpen, um eine Einschleppung Populationen gegründet. Auffällig sind die auf Eschen­ dieses Insektes nach Mitteleuropa zu erschweren. Bei ahorn, Maulbeere (Morus) und Hybridpappel auftre- der erst jüngst in Deutschland in Stuttgart, Berlin und tenden riesigen Gespinstnester. Bei weiterer Erder- München nachgewiesenen Wicklerart dumico- wärmung kann mit einer Ausbreitung dieser Art nach lana, dessen nächstgelegene natürliche Vorkommen rd. Mitteleuropa gerechnet werden. Der 2002 erstmals in 280–290 km von den Fundorten bei Stuttgart entfernt Nordamerika nachgewiesene Eschenprachtkäfer (Agri­ sind und südlich der Alpen liegen, ist der Einwande- lus planipennis) stammt aus Ostasien. Unterdessen rungsweg noch nicht bekannt (Hausenblas 2007). Ob gibt es auch Befall in Moskau, der sich nach Westen diese Art aktiv im Zuge der Klimaerwärmung ihr Areal ausdehnt (Orlova-Bienkowskaja 2013). Damit besteht ausgeweitet und dabei die Alpen überwunden hat oder für Mitteleuropa das Risiko einer Einschleppung die- anthropogen bedingt eingeschleppt wurde, ist nicht be- ser Käferart (Schröder 2004). Wie die Ausführungen kannt. Auch bei dem seit 2007 in Deutschland nachge- im vorliegenden Beitrag gezeigt haben, sind die Alpen wiesenen Buchsbaumzünsler (Diaphania perspectalis) zwar Barriere, jedoch nicht unüberwindbar. sind die Einschleppungswege nicht bekannt. Die bis 5 cm großen Raupen dieses Schmetterlings fressen Literatur Blätter und Rinde des Buchsbaumes. BÖHLMANN, D. (2001): Wälder in der Vergangenheit, Die Japanische Esskastaniengallwespe (Dryo- Teil II.; Die Eiszeiten und ihre Auswirkungen auf das cosmus kuriphilus) wurde 2002 in Italien, 2003 in Vegetationsbild, insbesondere den Gehölzen, Dtsch. Slowenien und 2008 in der Schweiz nachgewiesen. Dendrol. Ges. 86, 219-229. Befallene Esskastanien bilden typische, bis zu 20 Mil- Bräsicke, N. & A. Wulf (2011): Die Waldschutzsitua­ limeter große Gallen an Blättern, Knospen und Zwei- tion 2010 in der Bundesrepublik Deutschland, Journal für Kulturpflanzen 63 (3). 61-68. gen (Schröder & Weigerstorfer 2007). Im Jahr 2013 Bussler, H. (2007): Mediterrane Holzbienen entdecken wurde dieses Insekt erstmalig an verschiedenen Stand- Bayern, LWF-aktuell 58. 50-51. orten in Baden-Württemberg festgestellt (Zimmermann DESCHKA, G. (1995): Schmetterlinge als Einwanderer, et. al. 2013). Der Japanischen Esskastaniengallwespe in: Einwanderer – neue Tierarten erobern Österreich, seit ihrem Erstnachweis 2002 in Italien gelungen, in Stapfia 77-128.

 2.4 O. Schmidt

HAUSENBLAS, D. (2007): Clepsis dumicolana (ZELLER, SCHROEDER, T. (2002): Warum verarmte Europas Ge- 1847) – ein neuer Wickler für die Fauna Deutschlands hölzflora in der Eiszeit? Zur Entstehung und Kritik der (: ), Entom. Zeitsch. 117, 67-70. Barriere-Hypothese. Dtsch. Dendrol. Ges. 87, 7-17. Kästner, T. (2012/13): Die Südliche Eichenschrecke Schröder, T. (2004): Der Asiatische Eschenpracht- per Anhalter durch Sachsen, Sächsische Entomolo- käfer, LWFaktuell 45. 25–26. gische Zeitschrift. 60–64. Schröder, T. (2013): Gefahr durch den Asiatischen KLAUSNITZER, B. (1995): Thermophile Insekten und Laubholzbockkäfer (ALB) und den Citrusbockkäfer Stadtpflanzen, Schriftenreihe für Vegetationskunde (CLB) – Aktuelles zum Auftreten und den Bekämpfungs­ Heft 27, 133-140. richtlinien, Jahrbuch der Baumpflege 2013. 203–211. Kraus, M., Liston, A. D. & A. Taeger (2011): Die Schröder, T. & D. Weigerstorfer (2007): Die invasive Zick-Zack-Ulmenblattwespe Aproceros leu- Japanische Esskastanien-Gallwespe, Dryocosmus ku- copoda (Takeuchi, 1939) (Hymenoptera: Argidae) in riphilus, ein neuer Schädling an Esskastanie in Europa, Deutschland, Dt. Ges. f. allg. u. angew. Entomologie, Jahrbuch der Baumpflege. 315–320. DGaaE-Nachrichten 25 (3). 1-3. Sobczyk, T. & M. Nuss (2012/13): Nachweise der Lemme, H. (2013): Asiatische Laubholzbockkäfer in Zickzack-Blattwespe Aproceros leucopoda (Takeuchi, Feldkirchen, LWF-aktuell 96. 51-53. 1939) in Sachsen (Hymenoptera: Symphyta: Argidae), MADER, D. (2000): Erstnachweise von Niststandorten Sächsische Entomologische Zeitschrift 7. 35–38. der Delta-Lehmwespe (Delta unguiculatum) (Hyme- STEINECKE, H., P. WESTER (2007): Das Tauben- noptera: Eumenidea) in Bayern, galathea, 16/4, 147- schwänzchen, ein neuerdings häufigerer Gast in unseren 170. Gärten, Der Palmengarten Heft 1/67, 22-25. Orlova-Bienkowskaja, M. J. (2013): Ashes in Eu- WERNER, D. J. (1997): Beobachtungen zur Biologie und rope are in danger: the invasive range of Agrilus pla- Ausbreitung der Streifenwanze Graphosoma lineatum nipennis in European Russia is expanding, Biol. Inva- L. (Heteroptera-Pentatomidae), Verh. Westd. Entom. sions, Springer. Tag 1996, 171-184, Löbbecke-Mus. Düsseldorf. OTT, J. (1996): Zeigt die Ausbreitung der Feuerlibelle in WINIGER, M. (1992): Gebirge und Hochgebirge, Geo- Deutschland eine Klimaveränderung an? Naturschutz- grafische Rundschau 7-8, 400-407. und Landschaftsplanung 28 (2), 53-61. Zeitler, J. (2012): Asiatische Ulmenblattwespe in Bay­ REINHARDT, R. & K. HARZ (1996): Wandernde ern nachgewiesen, LWFaktuell 88. 12–13. Schwärmerarten, 2. Aufl., Die Neue Brehmbücherei Zimmermann, O., Lehneis, T., & M. Wuthenau Bd. 596, Spectrum Akademischer Verlag Heidelberg - (2013): Die Japanische Esskastaniengallwespe (Dryo- Berlin - Oxford. 112 S. cosmus kuriphilus) in Baden-Württemberg, Merkblatt, Schlumprecht, H. & G. Waeber (2003): Heu­ Landwirtschaftliches Technologiezentrum (LTZ) Au- schrecken in Bayern, Ulmer Verlag. 515 S. gustenberg. SCHMALZ, K.-H. (2005): Erste Sichtnachweise der blauschwarzen Holzbiene Xylocopa violacea (Hyme- Kontakt: noptera Apidae) in Osthessen, Beiträge zur Naturkunde Olaf Schmidt in Osthessen 41, 45-46. Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft SCHMIDT, O. & L. WEIGERT (2006): Japanischer Freising Eichenseidenspinner in Niederbayern, LWF-aktuell 55, [email protected] S. 58.

Schmidt, O. (2014): Südländische Insekten überwinden die Alpen: In: Lozán, J. L., Grassl, H., Karbe, L. & G. Jendritzky (Hrsg.). Warnsignal Klima: Gefahren für Pflanzen, Tiere und Menschen. 2. Auflage. Elektron. Veröffent. (Kap.2.4) - www.warnsignale. uni-hamburg.de.