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TV-SHOWS Aufgelöst und abgetaucht Der Rummel um den Abgang eines Kandidaten bei „Deutschland sucht den Superstar“ bestätigt alte Vorurteile: Casting-Shows sind keine TV-Talentsuche, sondern musikalisch verpackte Soap-Operas. Doch ein Blick auf ähnliche Sendungen in den USA zeigt: Es geht auch anders. Quotenknick Durchschnittlicher Marktanteil von „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern in Prozent 38,2 31,1 25,8 28,7

Quelle: RTL 1. Staffel 2. Staffel 3. Staffel 4. Staffel* *bisherige Shows seit 10. Januar 1170 Verkaufte Sampler „Deutschland sucht den Superstar“ in Tausend bis jetzt 66 160 120 1. Staffel 2. Staffel 3. Staffel 4. Staffel STEFAN GREGOROWIUS / ACTION PRESS GREGOROWIUS / ACTION STEFAN „DSDS“-Juroren Bohlen, Anja Lukaseder, Heinz Henn: Noch keinen neuen Robbie Williams gefunden

er Abhörraum in der Münchner „nur abwechslungsreicher“. Er singt jetzt Angefeuert von einer „Bild“-Titelzeile Niederlassung der Plattenfirma Sony auf Deutsch statt auf Englisch. Er hat sich nach der anderen („TV-Skandal des Jah- DBMG ist bis auf den letzten Platz be- eine Band zugelegt. res“), tobte sich nicht nur der Boulevard, setzt mit Musikern, Managern, Plattenbos- Regner will sich neu erfinden und damit sondern auch das Feuilleton genüsslich aus. sen. Es ist ein wichtiger Termin, der oberste schaffen, was keiner seiner „DSDS“-Vor- Schließlich bot sich die glänzende Gele- Musikchef Willy Ehmann ist auch da. Für gänger und mit Ausnahme der genheit, einen alten Verdacht zu bestäti- ein paar Minuten donnern Rockmelodien auch sonst keiner der deutschen Casting- gen: Jetzt werde deutlich, „dass es RTL aus großen Boxen; nachdem das letzte Stars hinbekommen hat: aus eigener Kraft nicht um Talente, sondern um die profi- Gitarrenriff verklungen ist, lastet für einen ein zweites Album zu machen, das an den table Vermarkung kurzlebiger Fernseh- Moment Stille schwer im Raum – bis Willy Erfolg der ersten Platte wenigstens an- geschöpfe geht“, echauffierte sich etwa die Ehmann zu klatschen beginnt. Sehr gut höre nähernd herankommt. „FAZ“. sich das an, sagt er, wirklich sehr gut. Ein Aber dazu muss er sich auch von der Doch hat das wirklich noch jemand ge- Dutzend Leute im Raum entspannen sich. Fernsehshow lösen, die ihn hervorgebracht glaubt? Und vor allem: Interessiert es die Es ist das erste Mal, dass Ehmann die neu- hat. Eine Show, die so eine Massenwirkung bis zu sieben Millionen Zuschauer, die sich en Songs von gehört hat. hat, dass sie vergangene Woche die halbe seit Januar jede Woche nur zu gern ein Regner hat die vorige Staffel der RTL- bundesdeutsche Medienlandschaft von Potpourri aus selbstgefälligen Dieter-Boh- Casting-Show „Deutschland sucht den Su- „FAZ“ bis „Süddeutsche“ in Aufruhr ver- len-Sprüchen, fernsehgeilen Selbstdarstel- perstar“ („DSDS“) gewonnen. Seine erste setzte – bloß weil einer der „DSDS“-Kan- lern, Freaks und einigen wenigen tatsäch- Single war ein Hit, „“ dudelte didaten vorzeitig aus der Sendung aus- lich talentierten Sängern vorsetzen lassen? im Radio rauf und runter, verkaufte sich schied, da er sich nicht an die Spielregeln „DSDS“ war in Wirklichkeit noch nie eine über 300 000-mal, das Album immerhin halten wollte. Show, sondern bloß eine musikalisch ver- noch beachtliche 120 000-mal. Aber das Bis ins Halbfinale hatte es der 18-jährige packte Soap-Opera. war vergangenes Jahr, und es gibt nichts geschafft, bevor ihm einfiel, Der Mann, der sie inszeniert, heißt Tom Älteres als einen Casting-Star von gestern. dass er sich lieber mit seiner eigenen Rock- Sänger und ist Unterhaltungschef bei RTL. Regner weiß das. Seit November hat band verwirklichen will. Das passte nicht Sänger stört sich nicht am mitunter ab- er an neuen Songs gearbeitet, sie sollen zum Showkonzept, Buskohl musste kurz gründigen Boulevardgetöse um die Show, lauter sein als vorher, härter. Mit „akzen- vor dem am nächsten Samstag stattfinden- ganz im Gegenteil: „Wir wollen das Ge- tuierten Gitarrenriffs“ und „schönen Ge- den Finale gehen. trommel, aber die Lautstärke bestimmen sangsmelodien“. Es soll klingen wie die Kein Grund zur Aufregung? Offenbar wir nicht immer allein.“ Die Lautstärke kanadische Hardrock-Band , doch. definiert sich vor allem über die Größe der

108 der spiegel 18/2007 GETTY IMAGES „Superstar“-Kandidatin : An dauerhaften Erfolg glaubt inzwischen kaum noch jemand

Schlagzeile bei „Bild“. Das Springer-Blatt wurde. „Star Search“-Sieger Martin Kesici? zubauen“. Doch anders als der Fernseh- hat über die RTL-Show allein während die- Lieferte den Titelsong für ein Computer- sender, der schon längst an die nächste ser Staffel über 60 Beiträge gebracht, bei Ballerspiel namens „Übersoldier“. Die Staffel denkt, haben die Plattenfirmen denen es sich fast nie um Musik, aber gern „“-Sieger Bro’Sis und Nu Pagadi? tatsächlich ein starkes Interesse, aus den um Schlüpfriges dreht: „Superstar Tho- Aufgelöst und abgetaucht. Casting-Stars mehr als ein One-Hit-Won- mas: Ich werd’s zum ersten Mal in der Längst wird die TV-Landschaft von et- der zu machen: An einem einmal etablier- Hochzeitsnacht tun“ heißt es da dann, lichen Casting-Arbeitslosen bevölkert, die ten Star, der viele Alben verkauft, verdie- oder „Pöbel-Anfall: Du bist so hässlich wie in den immer gleichen Spielshows, Boule- nen sie besser als an einer Eintagsfliege. ein geleckter Hurensohn!“ vardmagazinen und Nostalgieprogrammen Deswegen, betont Sony-BMG-Manager Trotzdem machen sich die RTL-Mana- à la „Die 10 doofsten Popsongs der 80er“ Ehmann, gebe es mit den „DSDS“-Gewin- ger nicht wirklich Sorgen, dass die Show- das prominente Gesicht spielen. Das ist die nern auch nur Plattenverträge mit mindes- diva immer mehr zur Boulevardschlampe Methode der Sender, sich zumindest eine tens einer Option auf ein zweites Album. verkommt. „Klar muss man die Sache am begrenzte Zeitlang erkenntlich zu zeigen Doch an dauerhaften Erfolg glaubt in- Kochen halten, solange sich keiner die Fin- für die Beihilfe zu vergangenen Quoten- zwischen kaum noch jemand. Die einen ger daran verbrennt“, sagt Sänger. Aber erfolgen – eine Art Fernseh-Hartz-IV. sagen, es liege daran, dass RTL die Kandi- der Satz gilt wohl vor allem für den eige- Natürlich würden es die Showmacher daten bereitwillig verbrenne, weil es nur nen Sender, denn Showkandidaten wur- gern sehen, wenn sich ihre Stars auch um die Show geht. „Für die ist doch der den bereits reihenweise verbrannt. tatsächlich als solche erwiesen und sich Weg das Ziel“, ätzt ein lange mit der Show Wahrscheinlich kann kaum jemand die auch ohne Senderstütze wenigstens ein paar befasster Musikmanager. RTL sagt, die alte Phrase vom vergänglichen Ruhm bes- Jahre von selbst auf den Beinen halten Plattenfirmen müssten intensiver nach der ser nachvollziehen als einstige Casting- könnten. „Nachhaltigkeit wäre mir lieber“, richtigen Nische im Musikmarkt für die Stars – egal, welcher Show oder welchen sagt RTL-Unterhaltungschef Sänger. Das Kandidaten suchen. Und dann gibt es noch Senders. Im TV-Tod sind alle gleich. würde auch um einiges besser zum hoch- diejenigen, die sagen, sei , der Sieger der ersten trabenden Sendetitel passen, der ja nicht schuld, weil die „Bild“-Bohlen-Boulevard- „DSDS“-Staffel? Singt heute im Musical lautet: „Deutschland sucht eine halbwegs maschine das Musikalische völlig in den „Tanz der Vampire“. Daniel Küblböck? talentierte Rampensau, die nach einem Jahr Hintergrund dränge. War zuletzt in einem grottigen Kinderfilm wieder von der Bildfläche verschwindet“. Dieter Bohlen sieht das natürlich nicht namens „Daniel – Der Zauberer“ zu se- Auch Sony-BMG-Manager Ehmann be- so. Er sagt, man müsse den Zuschauern hen, der nach einer Woche im Kino mit tont, „dass wir natürlich den Wunsch ha- eben Emotionen und was zu lachen bieten, 9000 Zuschauern direkt auf DVD verbannt ben, eine langfristige Künstlerkarriere auf- wenn man ein erfolgreiches Fernsehformat

der spiegel 18/2007 109 Medien machen wolle. Was trotzdem nicht verhin- mit breitem Repertoire, die zur Show pas- dere, dass „DSDS“ eine einmalige Chance sen“, sagt Ehmann. George Michael etwa für Talente sei: „Versuch doch als Hein oder Pink. Hat aber nicht geklappt. Daddel mal einen Termin bei einer Plat- Bohlen findet das sowieso nicht gut. Er tenfirma zu kriegen, um deine Songs vor- glaubt, die Leute wollten gestandene Stars zustellen.“ nicht in der Show sehen, weil die Unterhal- Einen neuen Robbie Williams habe man tungselemente fehlen. „Jede Wette: Wenn allerdings unter den zahllosen Kandidaten da Michael Jackson auftreten würde, wäre bislang noch nicht gefunden, sagt Bohlen. die Quote niedriger, als wenn Mark Med- „Sonst hätte das mit der langlebigen Künst- lock auftritt.“ lerkarriere schon von allein geklappt.“ Zu- Allerdings hat Bohlens Begeisterung für dem sei das Musikgeschäft immer schnel- Medlock noch andere Gründe: Er wird sei- ler geworden, Karrieren immer kurzlebi- nen erklärten Liebling produzieren. Sie sei- ger: „Wenn sich so eine Band wie Tokio en auch schon zusammen im Studio gewe- Hotel zwei, drei Jahre hält, dann können sen, sagt er. Dass Bohlen nun doch wieder die sich schon freuen.“ Den deutschen dabei ist, überrascht, eigentlich galt er im Plattenfirmen sei es abseits der Casting- Hinblick auf die Produktion der Kandida- Shows in den vergangenen Jahren doch ten-Alben zuletzt als Persona non grata – auch nicht gelungen, mehr als eine Handvoll Hits zu produzieren: „Das ist doch alles nix.“ Irgendwie sind Bohlen dabei reihenweise Bands wie Juli, Silbermond und Wir sind Helden entgangen. Mit Blick auf die Casting- Stars sind aber tatsächlich etwa die amerikanischen Plattenfirmen weit erfolgrei- cher. „American Idol“, die US-Variante von „DSDS“, hat inzwischen bereits eine ganze Reihe echter Super- stars hervorgebracht: Die Siegerin von 2002, Kelly Clarkson, ist mit über zehn Millionen verkauften CDs Dauergast in den Charts – und zwar weltweit. Die „Bild“-Schlagzeile: „Wir wollen das Getrommel“ Siebte von 2004, Jennifer Hudson, gewann gerade einen Oscar. Der Plattenfirma und Künstler hatten das Ge- Zweitplazierte von 2003, Clay Aiken, fühl, dass der ehemalige Modern-Talking- brachte es bereits mit zwei Alben zusam- Macher nicht gerade zur so sehnlich er- men auf fast vier Millionen Platten. wünschten musikalischen Anerkennung Doch die amerikanischen Casting-Stars beiträgt. Für Bohlen dagegen ist klar: Hät- haben es auch kulturell weitaus leichter: te er wie in der ersten Staffel weiter alles Wer aus dem Nichts aufsteigt, gilt in den produziert, wäre es auch für die anderen USA im Zweifelsfall als bewundernswert, Kandidaten besser gelaufen. in Deutschland dagegen als Luftnummer. Sony BMG hat für alle zehn Finalkandi- Deswegen haben auch etablierte US- daten Positionspapiere zur musikalischen Stars keine Berührungsängste mit der Cas- Ausrichtung mit der passenden Produzen- ting-Show. Im Gegenteil: Reihenweise mar- tenauswahl und einer Palette von mögli- schieren bei „American Idol“ Gaststars chen Songs vorbereitet. Die Plattenfirma wie Gwen Stefani, Tony Bennett, Stevie wird sich auch in diesem Jahr wieder Wonder oder Jennifer Lopez auf, um den mühen, für jeden das erfolgversprechends- Kandidaten Tipps für die Musikkarriere zu te musikalische Profil zu finden. Aber kal- geben. Der Show und den Kandidaten ver- kulierbar ist vorab nichts. schaffen die Gastauftritte einen großen Zumindest überlegen inzwischen auch Schub an Glaubwürdigkeit – und damit ge- die RTL-Showplaner, wie sie ihren Kandi- nau das, was den deutschen Kopien fehlt. daten zu mehr Langlebigkeit verhelfen und Herbert Grönemeyer oder Xavier Nai- vielleicht auch den einen oder anderen doo bei „DSDS“? Unvorstellbar. Für ge- gestandenen Musiker an die Show anbin- standene deutsche Musiker sind Casting- den können. Zum Beispiel, indem man sich Shows die Inkarnation alles Bösen im Mu- bei der Songauswahl künftig am Erfolg jun- sikgeschäft. ger deutscher Bands orientiere, sagt Un- Sony BMG hat deswegen „aktiv ver- terhaltungschef Sänger. „Vielleicht müssen sucht“, internationale Stars zu einem Be- wir der Show mehr deutschen Zeitgeist such bei „DSDS“ zu bewegen. „Künstler einhauchen.“ Thomas Schulz

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