De Monni Aus Amerika Die Geschichte Des Hans Heinrich Leipziger Alias Albert Linger Alias Henry J
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14 forum 322 Geschichte Bernard Thomas De Monni aus Amerika Die Geschichte des Hans Heinrich Leipziger alias Albert Linger alias Henry J. Leir (1900-1998) – Teil 2 Im Sommer 1971 läutete in Alice de Minister, in die Villen der Luxemburger Die Impressionisten Moors Wohnung das Telefon. Am anderen Industriebourgeoisie, bis in das großher- Ende der Leitung war Carl-Heinz Lüders, zogliche Palais. Sein Bekanntenkreis war Gleich nach dem Krieg habe es Leir zu- der deutsche Botschafter in Luxemburg. „le Tout-Luxembourg“, meint die frühere rück nach Europa gezogen, und beson- Er lud die Deutsch-, Englisch- und Hol- luxemburgische Außenministerin und li- ders nach Luxemburg. Hier sei er, so sein ländischlehrerin zu einer Feier im Garten berale Politikerin Colette Flesch. enger Mitabeiter Jean Calmes, „mit dem der Botschaft ein. Man bräuchte noch eine ersten US-Militär-Jeep von Paris aus an- Tischnachbarin, meinte Lüders, für einen Vierzehn Jahre nach seinem Tod zirkulieren gekommen“. Pierre Schneider, ein anderer gewissen Herrn Leir. Dieser sei „schwierig in diesen gehobenen Kreisen noch immer früherer Mitarbeiter Leirs, bewertet die unterzubringen“. Am besagten Abend saß Anekdoten über den reichen Onkel aus frühe Rückkehr als symptomatisch für Frau de Moor Henry J. Leir gegenüber. Amerika. Als Geschichtsquelle steht die das Verhältnis der Juden zu Luxemburg Dessen an „eine bestimmte Arroganz“ Form der Anekdote heute in schlechtem nach dem Zweiten Weltkrieg: „Es wird gekoppelte Forschheit beeindruckte sie. Ruf: sie gilt als Synonym für „Nebensäch- gesagt, dass von den Emigranten aus den Leir, der jeden, egal welchen Alters, gleich lichkeit“ oder „Gerücht“. Das ist bedau- verschiedenen europäischen Länder, die mit „Du“ ansprach, gefiel u. a. das schöne erlich, denn, so schrieb Hans Magnus Luxemburger Juden die Ersten waren, die antiquierte Deutsch, das die elegante Bel- Enzensberger in seiner Hammerstein- zurückkehrten.“3 Sein Imperium wurde gierin mit leichtem flämischen Akzent Biographie: „wer sich für Charaktere und zwar weiterhin von der New Yorker Zen- sprach. Maximen interessiert, sollte ihr, wenn trale aus verwaltet, Leir selber war wieder nicht unbedingt Glauben, so doch Gehör da. Unverzüglich reaktivierte er die von Gleich am nächsten Morgen ließ ihr Leir schenken“1. den Nazis gekaperte Société des minerais ein Geschenk überbringen – sie nahm und etablierte die europäische Zentrale es dankend an. „Und dann hat er mich Aber der Rückgriff auf die Erzählform der der Continentale in Luxemburg. nicht mehr losgelassen“, erzählt sie fast Anekdote ist auch eine Verlegenheitslö- 40 Jahre später, in der Stube ihres vorneh- sung, wenn Archivmaterialien fehlen, die Zehn Jahre nach der Publikation seines men Limpertsberger Appartements. Ih- sonst den Aussagen des Historikers so et- Weltwirtschafts-Science-Fiction-Romans, ren Job an der Europaschule gab Alice de was wie Autorität zu verleihen. Einen offi- La Grande Compagnie de Colonisation, trat Moor kurz nach ihrer Begegnung mit Leir ziellen Leir-Nachlass gibt es nicht2 und die Henry Leir nun noch einmal publizistisch auf – während den nächsten zwei Jahr- Luxemburger Presse, welche diese Lücke in Erscheinung. In einem 1947 im Escher zehnten reiste sie mit dem Ehepaar Leir hätte füllen können, bewahrt über Leir, Tageblatt abgedruckten, offenen Brief um die Welt. wie allgemein über die in Luxemburg an- stellt der ehemalige deutsche Flüchtling sässigen internationalen Wirtschaftseliten, Hans Heinrich Leipziger sich der Luxem- Es sind Biographien, wie jene Alice de ihr übliches Stillschweigen. Dies erklärt, burger Nachkriegsöffentlichkeit in seiner Moors, die erahnen lassen, welche Aufre- warum der Trader Leir zeitlebens für die neuen Rolle des amerikanischen „Freun- gung Leirs Gegenwart im aufgeräumten breitere Luxemburger Öffentlichkeit ein des Luxemburgs“ vor. Der Brief liest sich Großherzogtum provozieren konnte. Die Unbekannter blieb – obwohl der Jahres- als Appell zur Liberalisierung der euro- Spuren seiner Luxemburger Nachkriegs- umsatz seiner Unternehmen, so wollte päischen Wirtschaftspolitik: „La coopé- jahre führen in alle guten Stuben Luxem- es wenigstens ein Scherzwort seiner En- ration des nations européennes ne devra burgs; in die schicken Penthäuser ehema- tourage, höher war als das Luxemburger plus se faire dans la conclusion d’accords liger Mitarbeiter, in die Büros früherer Staatsbudget. en vue d’éliminer la concurrence (Système Geschichte Oktober 2012 15 des cartels), mais plutôt dans l’orientation vers la concurrence libre. Il faut abandon- ner les tarifs de protection et de préférence pour toute une série de matières comme le fer, l’acier, les métaux, les produits chi- miques, le ciment, le sucre, etc.“4 (Das hatte durchaus antizipatorischem Charakter; man denkt an die Formulierung „un mar- ché intérieur où la concurrence est libre et non faussée“, wie sie der EU-Verfassungs- vertrag im zweiten Satz seiner Zielset- zung gebraucht. Die Tageblatt-Redaktion sah das 1947 noch anders und wies ihre Leserschaft darauf hin, wie Leirs Wirt- schaftsexkurs zu lesen wäre, nämlich: „dans l’esprit de l’Amérique libérale dont la formule économique ne convient que difficilement aux pays européens qui s’orientent vers le socialisme“.) Das Nachverfolgen von Leirs Bewegun- gen nach dem Krieg, verursacht leichten Schwindel. Der amerikanischen Regie- rung gegenüber gibt Leirs seine wechseln- den Hauptwohnsitze wie folgt an: 1938- 1965: New York; 1966-1968: Luxemburg; 1969-1972: Ridgefield; 1973-1980 Lau- sanne; 1981-1983 Venthône im Kanton Wallis; 1984-1998 New York. Die offi- ziellen Angaben zu den Wohnsitzen sind allerdings wenig signifikant. Denn Leir blieb ständig in Bewegung: „His break-up in terms of timing was six months Luxem- bourg, three months Switzerland and then he would come to New York for the re- maining three months“, erklärt Arthur Hoffman, sein langjähriger New Yorker Anwalt und heutiger Verwalter der ame- rikanischen Leir Charitable Foundation. Hoffman hat häufig Reisetips von Leir erhalten: „He would ask me where I was Das Foto schickte Henry Leir an seine Nichte, Marcelle Quinton, als Vorlage für eine Büstenskulptur going on holidays, and off the cuff, he’d write out what hotels I should stay at and in which restaurants I should eat. As he in Venthône genoss er die Aussicht und bracht, meint auch sie. Am Morgen nach put it to me: ,If I wasn’t a metal’s man, I’d in Luxemburg ging er schnellen Schrit- der 180. Nacht wären das Ehepaar Leir be a travel agent.‘“ tes (Jogging als Managerhobby war noch in Luxemburg rechtlich steuerpflichtig nicht erfunden) jeden Nachmittag durch geworden (ein doppeltes Besteuerungssy- Ob in Luxemburg, den Vereinigten Staa- den Grünewald und wurde am anderen stem zwischen den USA und Luxemburg ten oder der Schweiz, seinen Tagesablauf Ende von seinem Chauffeur abgeholt. gab es damals noch nicht), also reisten sie gestaltete Leir überall gleich: „He would am Vortag ab. work during the week in the city and Die Chefin des Hauspersonals, führte would take off on the week-ends to the während fast 40 Jahren den Leir-Haushalt Fiktive Filialen, wie sie heute im Dienst- country. That was his typical life-style in als internationales Unternehmen: sie reiste leistungsbereich zur „Steueroptimierung“ every place I know“, erklärt mir Arthur mit dem Gepäck vor, gab Anweisungen an üblich sind, unterhielt Leir in Luxemburg Hoffman. In Ridgefield pflegte Leir in das lokale Personal und richtete die Woh- allerdings nicht. Am Briefkasten auf 3-5 braunen Kordhosen als Gentleman- nungen her. Hundertachtzig Nächte jähr- Place Winston Churchill hing der fünf- Farmer um sein Grundstück zu spazieren, lich hätten die Leirs in Luxemburg ver- stöckige Sitz der Minerais SA in deren 16 forum 322 Geschichte Büros in den siebziger Jahren etwa 120 Die märchenhafte Erklärung kauft ihm portieren oder importieren“. (Ein ehema- Angestellte arbeiteten. Das neoklassische Helmuth Koegel nicht ganz ab: „Leir liger hoher Beamter der Sicherheitskräfte Gebäude mit der Sandsteinfassade hatte wusste genau, dass er über seine Schwei- versichert mir, Leir sei zu keinem Moment Leir Anfang der sechziger Jahre hochzie- zer oder Luxemburger Gesellschaft ganz in polizeilichen Ermittlungen aufgetaucht hen lassen5 und sich auf der letzten Etage andere Geschäfte abwickeln konnte, als und verweist mich an den Service de ein Penthouse eingerichtet. Die Wohnung über seinen amerikanischen Betrieb. Er renseignement de l’État: „Schreiben Sie war ausstaffiert mit japanischen und ko- hat von hier aus die Geschäfte gemacht, einen Brief an Herrn Juncker ...“) reanischen Kunstobjekten und teuren Mö- die in den USA politisch nicht gut ge- beln, der Boden mit Platten aus Marmor sehen waren.“ Luxemburg galt damals Künstliche Diamanten aus belegt. In einem Antiquariat hatte Leir im Weltgeschehen als wenig verdächtig, Bascharage einen Kamin ersteigert, den er allerdings und war für die wenigstens Länder eine nie benutzte und an dem heute noch der ernstzunehmende Konkurrenz. „Beson- Neben der Minerais hatte Leir noch wei- Preiszettel hängt. ders bei der Art von Geschäften, wie sie tere Interessen in Luxemburg. Die 1969 Leir abwickelte, war es darum vielleicht gegründete Edelsteinschleiferei, Taillerie An den holzvertäfelten Wänden hingen von Nutzen, hier eine Adresse zu haben“, luxembourgeoise de pierres précieuses, in Bilder von Cézanne, Monet, Renoir, Ma- meint die frühere Außen- und Wirtschafts- Bascharage etwa. Ihre 80 Arbeiter stellten tisse und Picasso. Die private Gemäldekol- ministerin Colette Flesch. anhand