VI. Funktionseliten Und Weltanschauungselite
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VI. Funktionseliten und Weltanschauungselite Die Auswertung der sächsischen SD-Kartei brachte ein Ergebnis, das nicht unbe- dingt zu erwarten gewesen wäre: Die quantitativ stärkste soziale Oberschichtgrup- pe, die sich im Netz engagierte, war die höhere Beamtenschaft Sachsens. Die staat- lichen Funktionseliten des Landes stellten 16,1 Prozent aller Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Die gesamte Beamtenschaft, also auch die Beamten der mittle- ren und unteren Laufbahnen, prägten mit 42,2 Prozent der Mitarbeiter die Arbeit des SD. Es ist einer der entscheidenden Befunde, dass gerade Angehörige adminis- trativer Funktionseliten, die als Verwalter der Macht im Allgemeinen als Träger der gesellschaftlichen Kontinuität gelten1, in dieser Stärke in der Weltanschauungs- elite vertreten waren. Dass gerade Staatsdiener, die im Beruf an führender Position in der Verwaltung standen, als ehrenamtliche SD-Mitarbeiter die Arbeit der Parteiformation SD vor- antrieben, deutet darauf hin, dass der für den Aufbau des Dritten Reiches ansons- ten konstitutive Dualismus von Staat und Partei im Sicherheitsdienst ausgehebelt wurde. Dass sich ausgerechnet Teile der administrativen Elite mit ihrem aus der Tradition preußischer Denkweisen und strikten Laufbahnregeln erwachsenen ge- sellschaftlichen Sonderbewusstsein als „unpolitische" Staatsdiener dazu bereitfan- den, Angehörige der Weltanschauungselite zu werden, ist bemerkenswert.2 In die- sem Kapitel soll daher, als Vertiefung des vorhergegangenen, stärker statistisch orientierten Kapitels, die Gruppe der höheren Beamten im sächsischen SD-Netz genau untersucht werden. Wenn Richter, Landräte oder die Chefs von Arbeitsämtern in Sachsen die SS- Uniform anzogen, um in ihrer Heimatstadt als Repräsentanten Heydrichs öffent- lich in Erscheinung zu treten oder sogar als SD-Außenstellenleiter,3 deren Stellver- treter oder Referenten leitende Funktionen im Uberwachungsapparat ausübten, dann wankt das alte Uberwachungsparadigma der Forschung. Deshalb ist nicht Überwachung, sondern Kollaboration das Schlüsselwort, um die Beziehung zwi- 1 Zur Kontinuität deutscher Verwaltungseliten zwischen Weimarer Republik, Nationalsozi- alismus und Bundesrepublik vgl. M. Ruck, Administrative Eliten, S. 38; N. Frei, Hitlers Eliten nach 1945; G. Hirschfeld/T. Jersak (Hrsg.), Karrieren im Nationalsozialismus. 2 Zur Beamtenschaft im Dritten Reich vgl. M. Ruck, Administrative Eliten; D. Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung; Ders./K. Teppe, Verwaltung contra Menschenführung; S. Mühl-Benninghaus, Beamtentum der NS-Diktatur; H. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich; W. Stelbrink, Der preußische Landrat im Nationalsozialismus; A. Wagner, Partei und Staat; W. Gruner, Die NS-Judenverfolgung und die Kommunen; Ders., Die öffentliche Fürsorge und die deutschen Juden; W.-D. Mechler/H.-D. Schmid (Hrsg.), Schreibtischtäter?; H.-D. Schmid, „Finanztod"; H. J. Heinz, NSDAP und Verwaltung in der Pfalz; H. Matzerath, Bürokratie und Judenverfolgung; C. Beckmann, Machtergreifung vor Ort; M. Schmeitzner/A. Wagner, Zweierlei „Machtergreifung"; S. Lehnstaedt, Reichs- ministerium des Innern unter Heinrich Himmler. 3 Vgl. SD-Kartei 44301 (Demmrich, Alfred); SD-Kartei 45406 (Laube, Dr. Horst); SD-Kar- tei 43 860 (Näbe, Heinz). 376 VI. Funktionseliten und Weltanschauungselite sehen Funktions- und Weltanschauungselite zu beschreiben. Der führende Staats- theoretiker des Sicherheitsdienstes, Werner Best, meinte dazu, Aufgabe der SS- und SD-Angehörigen sei nicht der Angriff auf den Staat von außen her, sondern „die Durchdringung aller Einrichtungen der Volksordnung mit dem politischen Willen der Bewegung von innen her".4 Das SD-Netzwerk institutionalisierte die Allianz von Funktions- und Weltan- schauungseliten, die hier zum gegenseitigen Vorteil zusammenkamen. Der SD ver- fügte zwar als Führergewalt über politische Reputation, war aber zugleich mangels exekutiver Befugnisse realpolitisch gerade im Tagesgeschäft eingeschränkt. Die Welt- anschauungselite erhielt erst durch das Hereinnehmen von Angehörigen staatlicher Funktionseliten in ihre Reihen Zugriff auf hoheitliche Machtquellen und erfuhr durch diese externen Experten den nötigen Professionalisierungsschub. Die höhere Beamtenschaft ihrerseits sicherte sich durch ihre Kollaboration den Zugang zur dy- namischsten ideologischen Kraft des Nationalsozialismus, was in der unsicheren Si- tuation einer Weltanschauungsdiktatur auch Protektion für die eigene Karriere ver- sprach. Zugleich brachte das Zusammengehen mit dem aufstrebenden Machtblock der SS Rückendeckung gegen die gerade in Sachsen aggressiv vorgetragenen Ansprü- che der Gau- und Kreisleiter der NSDAP, in den Staatsapparat einzubrechen.5 Das Besondere an dieser Allianz war, dass die Inkorporierung der Funktions- eliten in den Sicherheitsdienst im Geheimen stattfand, im Rahmen nachrichtendienst- licher Strukturen. Lediglich die bei offiziellen Anlässen SS-Uniform tragenden ehemaligen SD-Angehörigen bekannten sich offensiv zu ihrer neuen politischen Heimat; die meisten Angehörigen der Funktionseliten knüpften dagegen ihre Kon- takte ins Netz im Stillen, als Mitarbeiter oder V-Leute. Deshalb finden sich im SD- Netz nicht selten solche Beamte, die weder ihrem Selbstverständnis nach noch in den Bewertungen der Parteiamtlichen als „Nationalsozialisten" galten. Auch Män- ner, deren politische Herkunft in parteioffiziell verpönten Gruppen wie dem Stahl- helm oder dem Jungdeutschen Orden lagen, völkische Intellektuelle oder gar ehe- malige Freimaurer konnten sich über Kontakte zum SD absichern. Erst mit Hilfe der in der Kriegszeit verstärkt geworbenen Funktionseliten ge- lang es schließlich, alle „Lebensgebiete" adäquat abzudecken: Professoren bearbei- teten das Hochschulwesen, Leiter der sächsischen Arbeitsämter das Arbeits- und Sozialwesen, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammern das „Lebens- gebiet" Wirtschaft, Bezirksschulräte das Bildungswesen, die Leiter staatlicher Ge- sundheitsämter die Volksgesundheit und so weiter.6 4 W. Best, Deutsche Polizei, S.93; in gleichem Sinne G. C. Browder, Hitler's Enforcers, S.218f. 5 Vgl. A. Wagner, Partei und Staat; M. Schmeitzner/A. Wagner, Zweierlei „Machtergrei- fung"; zum Dualismus von Staat und Partei grundsätzlich bei M. Broszat, Der Staat Hit- lers, S. 161-164; D. Rebentisch/K. Teppe (Hrsg.), Verwaltung contra Menschenführung, S. 18; M. Ruck, Zentralismus und Regionalgewalten; P. Hüttenberger, Gauleiter; C. Roth, Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP; zu Mutschmanns Machtstreben aus der kritischen Sicht der SS vgl. HSSPF „Elbe", Aktenvermerk über die Besprechung beim Gauleiter, o. J. [1943]; HSSPF „Elbe" (von Woyrsch), Entwicklung der Lage in Sachsen, 15.1.1944, in: BA, BDC/SS-O, Woyrsch, Udo von (24.7.1895). 6 Vgl. SD-Kartei 43 733 (Sander, Dr. Paul); SD-Kartei 43052 (Beck, Prof. Georg); SD-Kartei 45315 (Köhler, Friedrich); SD-Kartei 43860 (Näbe, Heinz); SD-Kartei 43011/4 (Streit, Dr. Günther); SD-Kartei 44519 (Renno, Dr.med. Georg Ludwig). 1. Strategien, Barrieren und Rahmenbedingungen der Allianz 377 1. Strategien, Barrieren und Rahmenbedingungen der Allianz Ursprünglich hatte sich die Weltanschauungselite Sicherheitsdienst während der „Machtergreifungs"-Phase ihr Verhältnis zur Funktionselite höhere Beamtenschaft ganz anders vorgestellt. Zuverlässige Kader des SD sollten den Staatsapparat ero- bern und nicht, wie es dann später geschah, Beamte in den SD hineinströmen und dort wichtige Funktionen besetzen. Dem SD-Hauptamt schwebte noch Anfang 1939 vor, dass seine hauptamtlichen Referenten die Perspektive bekommen sollten, in den besser bezahlten Staatsdienst zu wechseln, die SD-Mediziner etwa als künf- tige Amtsärzte in die Gesundheitsämter.7 Während es Himmler und Heydrich 1936 in der Tat gelang, als Chef der Polizei (CdP) beziehungsweise Chef der Sicher- heitspolizei (CdS) machtvolle staatliche Amter an sich zu ziehen, vollzog sich die personelle Verschmelzung von SD und Staat auf der Ebene unserer Untersuchung in umgekehrter Richtung: Regional übernahmen Staatsbeamte Funktionen im Si- cherheitsdienst - nicht umgekehrt. Vor allem in den auf die Hilfe Ehrenamtlicher angewiesener SD-Außenstellen wurde der Rückgriff auf staatliche Funktionseliten in der zweiten Kriegshälfte zur Regel. Zeitlich fand diese Entwicklung, die mit Kriegsbeginn rasch ausgeweitet wur- de, ihren Höhepunkt, nachdem Heinrich Himmler am 20. August 1943 Reichs- innenminister geworden war. Mit diesem Datum, an dem der Reichsführer SS als Minister höchster Dienstvorgesetzter aller deutschen Beamten wurde, waren die letz- ten Hemmnisse eines Zusammengehens der Beamtenschaft mit dem SD beseitigt.8 Bis dahin war es immer mit rechtlichen Problemen einhergegangen, wenn Be- amte über ihre eigene Behörde nachrichtendienstlich berichteten.9 Ein Runderlass von Reichsinnenminister Wilhelm Frick vom 11. November 1938 hatte zwar eine über den Dienstweg laufende Zusammenarbeit mit dem SD legitimiert. Frick for- mulierte, dass „der SD in staatlichem Auftrag tätig" sei. Die letztlich entscheidende inoffizielle Kooperation eines Staatsdieners als V-Mann oder Mitarbeiter spielte sich aber weiterhin in einer beamtenrechtlichen Grauzone ab. Angstliche Naturen sahen im Paragrafen 42, Absatz 2 des deutschen Beamtengesetzes („Der Beamte hat seine Anträge und Beschwerden auf dem Dienstweg vorzubringen.") einen Hinderungsgrund und fürchteten Konsequenzen.10 7 Vgl. SD-HA II (Dr. Knochen), Umgliederung und Organisation des SD, 10.1.1939, in: BA, R 58/6544 (alt: BA-DH, ZB I 1422, A. 5), Bl. 163ff. 8 Vgl. D. Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung, S.