Vom Verhältnis Der Rassenhygiene Zur Nationalsozialistischen Politik
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„Rassenpflege im völkischen Staat“: Vom Verhältnis der Rassenhygiene zur nationalsozialistischen Politik Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegt von Anahid S. Rickmann aus Solingen Bonn 2002 Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 1. Berichterstatter: Professor Dr. M. Schneider 2. Berichterstatter: Professor Dr. M. Funke Tag der mündlichen Prüfung: 10. Juli 2002 „Rassenpflege im völkischen Staat“: Vom Verhältnis der Rassenhygiene zur nationalsozialistischen Politik Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegt von Anahid S. Rickmann aus Solingen Bonn 2002 Inhalt Einleitung 5 Aufgabenstellung / Begrifflichkeiten / Zielsetzung und Methodik / Stand der Forschung und Quellen I Weimarer Rassenhygiene: Entwicklungen und Tendenzen in der ersten Republik 22 1. Konsolidierung 1919-1923 22 2. Expansion 1924-1928 28 3. Politische Umsetzung 1929-1933 38 II Rassenhygiene und NS-Rassenideologie 1933/34 47 1. Charakteristika der nationalsozialistischen Weltanschauung 47 2. Konstitutives Element der Rassenideologie: Rassenhygiene und die Vision von „Erbgesundheit“ 60 3. Wissenschaft Rassenhygiene: Funktionalität und Legitimation 74 III Nationalsozialsozialistische Rassenpolitik 1933/34-1938: Rassenhygiene in Gesetzgebung und Praxis 82 1. Rassenhygienische Praxis: „Erbbiologische Bestandsaufnahme“ 82 2. Sterilisation der „Minderwertigen“: „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 96 3. Schwangerschaftsabbruch aus „eugenischer“ Indikation: „Unwert der Leibesfrucht“ 136 4. Siedlungspolitik: „Bollwerk gegen den Osten“ 141 5. Bipolarer Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“: „Nürnberger Gesetze“ und „Ehegesundheitsgesetz“ 157 IV Nationalsozialistische Rassenpolitik 1939-1945: Rassenhygiene in Gesetzgebung und Praxis 187 1. Rassenhygienische Praxis: Erstellung von „Abstammungsgutachten“ 187 2. Ausgrenzung und Radikalisierung: Verfolgung der „Asozialen“ 202 3. Expansion nach Osten: „Volkstumspolitik“ 222 4. NS-Euthanasie: „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ 250 5. Verfolgung und Vernichtung: „Endlösung der Judenfrage“ 280 Schlussbetrachtung 308 Anhang 321 Ausgewählte Kurzbiografien 322 I Archivalien 338 II Publikationen (Erscheinungsjahr bis 1945) 339 1. Periodika 339 2. Bücher und Broschüren 340 III Publikationen (Erscheinungsjahr nach 1945) 357 Abkürzungsverzeichnis 369 5 Einleitung Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 vollzog sich nicht allein ein Systemwandel von der ersten demokratischen Republik des Deutschen Reiches zum totalitären Führerstaat, sie markierte zugleich die, auch im internationalen Kontext, einzigartige Ausrichtung der Politik am Konstrukt „Rasse“. „Rasse“, „Volkszugehörigkeit“ und damit biologische Abstammung des Einzelnen bildeten die Termini, die Ausgangspunkt, aber auch Zielvorgabe aller Politikfelder im „Dritten Reich“ prägten. Staatlich sanktioniert, entschieden „Erbgesundheit“ und „Rassereinheit“ über eine Förderung der als „wertvoll“ Erachteten und, im Falle von diagnostizierter „Minderwertigkeit“, über Diskriminierung, Verfolgung und Vernichtung unerwünschter Bevölkerungsgruppen. In Übernahme des organizistischen Prinzips ordneten die Nationalsozialisten das Individuum dem Kollektiv, der auf die „deutschen Volksgenossen“ beschränkten „Volksgemeinschaft“, unter und begründeten mit der Ausrichtung ihrer Politik an Erhalt und „Aufartung“ der „Volksgemeinschaft“ eine Rassengesetzgebung, die das öffentliche und auch das Leben des Einzelnen systematisch nach Rassen- und Volkszugehörigkeit reglementierte.1 Zur Legitimation dieser staatlichen Ausgrenzungspolitik verwiesen die Nationalsozialisten auf die „gesicherten Erkenntnisse“ einer bereits bestehenden Wissenschaft: der Rassenhygiene.2 Diese sich in den 1890ern als naturwissenschaftliche Lehre und sozialpolitische Bewegung formierende Disziplin zielte auf eine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen praktizierte staatliche Kontrolle über das generative Verhalten überindividueller Sozialstrukturen, in diesem Fall der Rasse, ab. Mit Berufung auf die Erkenntnisse der Vererbungswissenschaft (Genetik), stellten Rassenhygieniker die „Züchtung“ bestimmter körperlicher und seelischer, als auf dem Weg der Fortpflanzung vererbbar betrachteter 1 Vgl. Stuckart, W. & Globke, H.: Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung, München 1936, S.21. 2 Vgl. Frick, W.: Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Das Wunder des Lebens“; in: Der öffentliche Gesundheitsdienst, Bd 1/ 1935/36, Teilausgabe A, S.100-103, S.101f; vgl. Conti, L.: Reden und Aufrufe: Gerhard Wagner 1888-1939, Berlin 1943, S.111 und vgl. Rüdin, E.: Die Bedeutung Arthur Gütts für die Erb- und Rassenforschung und deren praktische Auswertung, in: Der öffentliche Gesundheitsdienst, Bd 4/ 1937/38, Teilausgabe A, S.897-899, S.897. 6 Eigenschaften – im Dienste einer umfassenden Optimierung des genetischen Bevölkerungsstandards – in das Zentrum ihrer Programmatik. Bereits Jahrzehnte vor der praktischen Umsetzung durch die nationalsozialistischen Machtinhaber propagierten Rassenhygieniker im Kampf gegen die vermeintlich drohende „Degeneration des Volkes“ Maßnahmen zur Fortpflanzungseinschränkung „Minderwertiger“ in Ergänzung zu den fördernden Maßnahmen „Hochwertiger“. In Kaiserreich und Weimarer Republik größtenteils unbeachtet und angesichts der als zu autoritär empfundenen Forderungen teilweise grundsätzlich abgelehnt, erfolgte die Anerkennung der Rassenhygiene und die Umsetzung ihrer Forderungen in die legislative Praxis bezeichnenderweise erstmals im „Dritten Reich“.3 Aufgabenstellung Angesichts der kaum noch überschaubaren Zahl an Veröffentlichungen zu dem Topos „Nationalsozialismus“, zu den diversen Aspekten der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer Politik einerseits, aber auch der in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmenden Zahl an Publikationen, die sich der Erforschung der Rassenhygiene widmen, stellt sich scheinbar die Frage nach der Notwendigkeit einer weiteren Studie zu dem genannten Themengebiet. Die Relevanz einer Untersuchung des Verhältnisses von Rassenhygiene und Rassenpolitik – und damit von Wissenschaft und Politik – ergibt sich bei genauerer Betrachtung durch eine bisher nicht in Angriff genommene Analyse der nationalsozialistischen Rassenpolitik unter dem Blickwinkel der Funktionalität der im „Dritten Reich“ zur universitären Disziplin avancierten Rassenhygiene. Noch immer ist die Interdependenz von Rassenpolitik und Rassenhygiene, ihrer legitimatorischen Wissenschaft, als ein Desiderat der Forschung zu kennzeichnen. Ziel der angestrebten Studie ist weder eine Analyse der Genese der Rassenhygiene im „Dritten Reich“ noch eine isolierte Darstellung der Rassenpolitik der Nationalsozialisten, sondern die Entwicklung der 3 Zu den Reaktionen der internationalen rassenhygienischen Gemeinde auf die legislative Umsetzung der Rassenhygiene und ihrer Forderungen im Nationalsozialismus siehe Kühl, S.: Die Internationale der Rassisten, Frankfurt a.M. / New York 1997. 7 wechselseitigen Beeinflussung von Rassenhygiene und Rassenpolitik, um so eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Radikalisierung der Rassenpolitik geben zu können. Zugleich impliziert die genannte Zielsetzung, Akteure und Inhalte der Rassenhygiene in ihrer Beziehung zur staatlichen Rassenpolitik des „Dritten Reiches“ zu untersuchen, Divergenzen und Parallelen aufzuzeigen sowie Art und Umfang der Funktionalität der Rassenhygiene für die nationalsozialistische Rassenpolitik zu analysieren. Ergänzend geht es darum, die Veränderungen der Rassenhygiene unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Politik, d.h. die Aufwertung dieser Disziplin und ihre Radikalisierung bzw. Ideologisierung einer systematischen Betrachtung zu unterziehen. Mit Kenntnis des bisherigen, unzureichenden Forschungsstandes versucht die Dissertation Antworten zu diversen Themenkomplexen, die sich aus der Frage nach dem Verhältnis zwischen Rassenhygiene und Rassenpolitik ergeben, zu liefern. So stellt sich angesichts der gängigen Auffassung einer vermeintlichen Kongruenz zwischen Rassenhygiene und Rassenpolitik als ein erster Forschungsschwerpunkt die Überprüfung der NS-Ideologie auf die Übernahme rassenhygienischer Topoi. Ob die Rassenideologie der Nationalsozialisten mit rassenhygienischer Programmatik gleichzusetzen ist, bzw. inwieweit die Rassenhygiene schon durch ihr Einfließen in die NS-Ideologie den theoretischen Unterbau der Rassenpolitik mitgestaltete, wird hier von Interesse sein. Ausgehend von der Funktionalität der Wissenschaft für die Politik stellt sich weitergehend die Frage, wie sich eine solche audrückte. Beschränkten sich die wissenschaftlichen Akteure auf Politikberatung? Propagierten Rassenhygieniker lediglich die vorgegebenen Maßnahmen zur „Rassenscheidung“ oder lässt sich eine „Zuarbeit“ für den NS-Staat erkennen? Wie stellten sich führende Rassenhygieniker in den Dienst des NS-Regimes? Wurde dieses Engagement in dem Sinne honoriert, dass man von einem „utilitaristischen Verhältnis“ zwischen Rassenhygiene und Nationalsozialismus sprechen kann? Aus dem Blickwinkel der Rassenhygiene stellt sich zugleich die Frage nach einem inhaltlichen Wandel, einer eventuellen programmatischen Erweiterung der Rassenhygiene und damit die Frage nach Kontinuität bzw. Diskontinuität 8 der Rassenhygiene im „Dritten Reich“. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Stellenwert des politischen