Generation Des Unbedingten
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Michael Wildt Generation des Unbedingten Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes Hamburger Edition Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2013 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-573-9 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © der durchgesehenen und aktualisierten Neuausgabe 2003 by Hamburger Edition ISBN 3-930908-87-5 Redaktion: Ingke Brodersen Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras Herstellung: Jan Enns Satz: Stempel-Garamond von Utesch GmbH, Hamburg Für Leni Yahil Inhalt Einleitung 7 Täterbilder 15 Generation, Institution, Krieg 23 Quellen und Forschung 29 I. Weltanschauung 1. Kriegserfahrungen 41 Frontgeneration 41 »Heimatfront« 46 Krieg als Spiel 49 Freikorps und Jugendbünde 53 Separatisten und Nationalisten 60 Gewinner und Verlierer 63 Die jungen Radikalen 67 2. Studentische Lehrjahre 72 Bildungschancen in der Weimarer Republik 72 Rechter Radikalismus 81 Revolutionäre Militanz. Der Fall Tübingen 89 Die »Schwarze Hand« in Leipzig 104 »Voller Einsatz, höchste Intensität«. Die Miltenberger Tagung 115 Auseinandersetzung mit dem NSDStB 125 »Unbedingter Wille zur Tat« 128 Weltanschauungselite 137 3. Das Jahr 1933 143 Annäherungen. Heinz Gräfe und das NS-Regime 152 Karrieren. Wege zum SD und zur Gestapo 163 »Kompromisslos und vorwärtsdrängend« – Erich Ehrlinger 167 »Scharfe Logik und zu allem zu gebrauchen« – Martin Sandberger 170 Der Germanist als Zensor – Wilhelm Spengler 174 Der Rassereferent – Hans Ehlich 176 Europaweit einzusetzen – Walter Blume 180 Der Hoffnungsträger – Hans Nockemann 185 Die Ehefrauen 190 Heydrichs »kämpfende Verwaltung« 203 II. Institution 4. Planung und Konzeption des Reichssicherheitshauptamtes 209 Staat und Volk 210 Politische Polizei 214 Vom »Staatsfeind« zum »Volksfeind« 230 Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) 239 Verschmelzung von SS und Polizei 251 »Erhalt kämpferischer Linie«. Konzeptionelle Auseinandersetzungen 259 Bildung des Reichssicherheitshauptamtes 276 5. Struktur und Akteure 283 Verwaltung (Ämter I und II) 285 Kriminalpolizei (Amt V) 301 Der Fall Arthur Nebe 301 Soziogramm einer Kriminalelite 310 Rassenbiologische Verbrechensbekämpfung 314 Labor der Vernichtung: Das Kriminaltechnische Institut 321 Gestapo (Amt IV) 335 Verfolgung der politischen Gegner (IV A) 336 Schutzhaft und Abwehr (IV C und IV E) 345 Besetzte Gebiete (IV D) 352 Verfolgung der Kirchen und Juden (IV B) 358 Weltanschauliche Gegnerforschung (Amt VII) 364 SD-Inland (Amt III) 378 SD-Ausland (Amt VI) 391 Eine Institution neuen Typs 410 III. Krieg 6. Polen 1939. Die Erfahrung rassistischen Massenmords 419 Kriegsvorbereitungen 421 Der Überfall 428 »Bromberger Blutsonntag« 432 »Sonderauftrag Himmler« 447 Vertreibung von Polen und Juden 455 »Germanisierung« der westpolnischen Gebiete 473 Die Entstehung des RSHA aus der Praxis rassistischen Massenmords 480 7. Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung 1940/41 486 Deportationen ins Generalgouvernement 488 Madagaskar-Plan 499 Einsatz in Westeuropa 1940 506 Norwegen 508 Niederlande 511 Frankreich 514 Belgien 522 Elsaß-Lothringen 524 Neue Horizonte 531 Einsatzgruppen in der Sowjetunion 538 Führungspersonal 546 Auftrag 553 Erwin Schulz und das Einsatzkommando 5 561 Martin Sandberger, KdS Estland 578 Erich Ehrlinger, BdS Kiew 591 Entgrenzung 601 8. Zenit und Zerfall 607 Ermächtigung zur »Endlösung« 607 Tschechien 617 Frankreich 622 Wannsee-Konferenz 627 Grenzen 637 Auseinandersetzung um die »Mischlinge« 638 Zwangsarbeiter 642 Konflikte mit dem Auswärtigen Amt 646 Ostpolitik 654 Nationalistische Unabhängigkeitsbestrebungen 655 Generalplan Ost 663 »Unternehmen Zeppelin« 671 Heydrichs Nachfolger 679 Das RSHA unter Himmler 681 Entscheidung für Kaltenbrunner 693 Das RSHA im letzten Kriegsjahr 697 Fragmentierung 698 Übernahme des OKW-Amtes Ausland/Abwehr 702 20. Juli 1944 706 Deportationen in Ungarn und der Slowakei 1944 712 Kontakte zu den Alliierten 718 Auflösung 725 IV. Epilog 9. Rückkehr in die Zivilgesellschaft 731 Wandlungszonen 731 Regierung Dönitz 732 Unter falschen Namen 737 Nürnberger Prozesse 746 Gestapo und SD als verbrecherische Organisationen 750 Einsatzgruppen-Prozeß 755 Gnadengesuche 762 Nachkriegskarrieren 767 Erwin Schulz oder das kurze Gedächtnis der Bremer Sozialdemokratie 779 Martin Sandberger oder die ehrbaren Bande württembergischer Familien 785 Karl Schulz oder der Wiederaufstieg eines Kriminalpolizisten 790 Hans Rößner oder die Taubheit deutschen Geistes 797 Strafverfolgung 814 RSHA-Verfahren 823 Integration und Ignoranz. Die RSHA-Führung in der Bundesrepublik 838 Schluß 846 Generation 847 Weltanschauung 850 Institution 855 Praxis 861 Nachkrieg 868 Abkürzungen 872 Quellen 875 Literatur 878 Quelleneditionen, Dokumentationen, Tagebücher 878 Zeitgenössische Literatur (bis 1949) 881 Darstellungen 884 Biographischer Anhang 933 Dank 950 Zum Autor 951 Einleitung Am 3. Januar 1946, während des Nürnberger Prozesses gegen die Haupt- kriegsverbrecher, schockierte der Zeuge und spätere Angeklagte Otto Ohlendorf durch sein freimütiges Bekenntnis, er habe als Leiter der Ein- satzgruppe D 1941/42 die Ermordung von 90 000 Menschen in der Sowjet- union zu verantworten. Der amerikanische Chefankläger Telford Taylor, der Ohlendorf als einen zierlichen, gutaussehenden jungen Mann schil- derte, der leise, mit großer Genauigkeit und offenkundiger Intelligenz sprach, erinnerte sich fünfzig Jahre später noch sehr gut an das lähmende Schweigen im Zuschauerraum, das der kalten und unbeteiligten Aussage Ohlendorfs folgte.1 Otto Ohlendorf, 1907 nahe Hannover als Sohn eines Landwirts gebo- ren, trat 1925 noch als Gymnasiast in die SA ein, von der man ihn zwei Jahre später zur SS mit der Mitgliedsnummer 880 überstellte. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Leipzig und Göttingen, ging 1931 als vielversprechender Stipendiat nach Italien an die Universität Pavia und folgte 1934 seinem akademischen Lehrer, dem Nationalökonom Jens Peter Jessen, nach Berlin, wo er Abteilungsleiter am Institut für angewandte Wirtschaftswissenschaften wurde. Von dort wechselte er in den Sicher- heitsdienst des Reichsführers SS (SD) und stieg zum Chef des Amtes III (SD-Inland) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) auf. Ebenfalls wurde er Geschäftsführer der Reichsgruppe Handel und avancierte 1943 im Reichswirtschaftsministerium zum stellvertretenden Staatssekretär.2 In dem Versuch, eine Erklärung für den Täter Otto Ohlendorf zu finden, nahm der amerikanische Richter in der Begründung des Todesurteils am 10. April 1948 mehr oder weniger ratlos zu einer literarischen Metapher Zuflucht: Er verglich den RSHA-Täter Ohlendorf mit Robert Louis Stevensons Figur Dr. Jekyll und Mr. Hyde, jenem Mann, der sich in der Nacht aus einem angesehenen, fürsorglichen Arzt in eine mörderische 1 Taylor, Nürnberger Prozesse, S. 17, 295. 2 Zu Otto Ohlendorf vgl. die kurzen Porträts: Sawade, Ohlendorf; Kitterman, Ohlen- dorf; sowie die Dissertation von Stollhof, SS-Gruppenführer. Zu Ohlendorfs wirt- schaftspolitischem Engagement: Herbst, Der Totale Krieg, passim; zu Ohlendorf als Chef der Einsatzgruppe D: Angrick, Einsatzgruppe D, 1999. 11 Bestie verwandelte3 – und schrieb damit den seither immer wieder kolportierten, aber wenig taugli- chen Erklärungsversuch einer ge- spaltenen Täterpersönlichkeit fest, deren Teile voneinander unabhän- gig existierten.4 Das Reichssicherheitshauptamt, am 27. September 1939 aus Gehei- mer Staatspolizei, Kriminalpolizei und dem SD, also aus staatlichen Institutionen wie Parteiorganisa- tionen, geschaffen, scheint in der Perspektive herkömmlicher Ver- waltungstheorie eine eher unein- deutige, fast improvisierte Institu- Otto Ohlendorf, Chef des RSHA-Amtes tion darzustellen, was manche III SD-Inland und der Einsatzgruppe D Historiker dazu verleitet hat, das (Bundesarchiv, BDC, RuSHA-Akte Otto RSHA für eine bloße »Sammelbe- Ohlendorf) zeichnung« oder »organisatorische Klammer« (Johannes Tuchel)5 zu halten oder zumindest als »schwachen Kompromiß« (Gerhard Paul) zu charakterisieren.6 Der US-Ankläger, Oberst Robert G. Storey, bezeichnete 3 Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes gegen Otto Ohlendorf et al. (Fall 9), Official Record, S. 7009 f. (roll 21, fol. 238 f.). 4 Vgl. vor allem Lifton, der dieses Modell der gespaltenen Persönlichkeit auf die KZ- Ärzte angewandt hat (Lifton, Ärzte, insbesondere S. 491–559; eine anregende Kritik dieses Modells findet sich bei Kaminer, Normalität). 5 Tuchel, Gestapa und Reichssicherheitshauptamt, S. 97; ders./Schattenfroh, Zentrale des Terrors, S. 104. 6 Paul, Verwaltung, S. 43. Paul greift damit einen Begriff auf, den Heinz Höhne bereits für das RSHA verwandt hat (Höhne, Orden, S. 237). Martin Broszat urteilte diffe- renzierter, daß zwar die Eigenständigkeit der beteiligten Behörden oder Parteiämter nicht ausgelöscht wurde, aber die Bildung des RSHA »den Prozeß der institutionel- len Verschmelzung unter Leitung des ›Chefs der Sicherheitspolizei und des SD‹ (Heydrich) und die SS-mäßige Ausrichtung auch der Kriminalpolizei« verstärkt habe (Broszat, Staat Hitlers, S. 344). Während für Karl Dietrich Bracher das RSHA 12 das RSHA im Nürnberger Prozeß gar als »Verwaltungsbüro« mehrerer als verbrecherisch angeklagter Organisationen.7 Doch erschließt sich die poli- tische Funktion des RSHA in diesen Umschreibungen nicht. Das RSHA stellte keine Polizeibehörde im preußisch-administrativen Sinn dar, son- dern muß als eine spezifisch nationalsozialistische Institution neuen Typs gesehen werden, die unmittelbar mit der nationalsozialistischen Vorstel- lung der »Volksgemeinschaft« und ihrer