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Anzeigen Historische Bibliographie. Berichtsjahr nur noch über Bibliographien der Bibliographien 1986. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft überschaubar macht. Was also dem schnellen außeruniversitärer historischer For- Zugriff auf weit verstreute Beiträge dienen soll, schungseinrichtungen in der Bundesrepu- wird damit selbst zunehmend zum immer zeit- blik. München: Oldenbourg 1987. 349 S. aufwendigeren Arbeitsgang für Erfasser wie Be- nutzer. Vielleicht ist deshalb das letzte Wort Mit dem Jahrgangsband 1986 wird das Projekt über ein computergestütztes System zur Daten- einer jährlich erscheinenden Nationalbibliogra- speicherung und -verfügbarmachung auch in den phie für das historische Schriftgut der Bundesre- Geisteswissenschaften noch nicht gesprochen. publik als fortlaufender Beiband zur Histori- Bruno Thoß schen Zeitschrift in Angriff genommen. Dazu wurde eine zweckmäßige Vorentscheidung über die Erfassung von Monographien, Sammelbän- den und Zeitschriftenaufsätzen getroffen. Statt letzte Vollständigkeit anzustreben, stellen die Bearbeiter die Aktualität in den Mittelpunkt. Dies ist allein schon mit Blick auf die selten zeit- Bibliografia italiana di storia e studi milita- gerecht erscheinenden Zeitschriftenbände eines ri 1960-1984. Milano: Angeli 1987. Jahrganges angebracht, da die Herausgabe der XXVIII, 560 S. Bibliographie andernfalls monatelang verzögert würde. Insgesamt sammeln die Herausgeber wie bisher für das »Jahrbuch der historischen For- Der 1982 gegründete »Centro Interuniversitario schung« bei den außeruniversitären Forschungs- di studi e ricerche storico-militari« plante von einrichtungen über eine Jahreserhebung deren Anfang an eine großangelegte Bestandsaufnah- Veröffentlichungen und ergänzen diese über die me der militärgeschichtlichen Forschungen in historisch relevanten Titel aus dem Bücherver- und über Italien in den beiden letzten Jahrzehn- zeichnis der Deutschen Bibliothek in Frankfurt/ ten. Ein Probeheft entstand 1984. Jetzt liegt das Main sowie über die Auswertung der 100 wich- fast 3000 Titel umfassende Gesamtwerk vor, das tigsten historischen Zeitschriften der Bundesre- in möglichst breiter Auswahl die seit 1960 er- publik. Nicht rechtzeitig erschienene Zeitschrif- schienenen Buch- und Zeitschriftenpublikatio- tenbände werden jeweils im folgenden Jahres- nen enthalten soll. Die Bibliographie ist alphabe- band mitverwertet. tisch nach Autoren geordnet. Eine thematische und chronologische Gliederung ergibt sich aus Vorangestellt werden in einem »Allgemeinen den verschiedenen Indices. Hier lassen sich ge- Teil« zunächst Beiträge zur Theorie- und Me- sondert auch Länder, Regionen, Orte und han- thodendiskussion, zur Quellenkunde und zu delnde Personen auffinden. Der thematische In- epochenübergreifenden Fragestellungen. Dem dex enthält Stichworte wie »Scienza e technolo- schließt sich ein »Chronologisch-systematischer gia« (39 Titel), »Sociologia militare« (131 Titel), Teil« an, der nach neun Hauptabschnitten von »Reclutamento e addestramento« (67 Titel), der »Vor- und Frühgeschichte« bis zur »Welt im »Prigionia« (99 Titel, davon 88 über 1939 bis 20. Jahrhundert« gegliedert ist. Jeder Einzelab- 1945), »Mediterraneo« (137 Titel, davon 116 für schnitt innerhalb dieser Hauptgruppen ist zu- 1939—1945), »Aeronautica« (270 Titel). Militär- sätzlich in sich nach durchgängig festgelegten geschichte wird, wie etwa solche Themen wie Sachgruppen und Territorialgliederungen aufge- »Militärsoziologie«, »Antimilitarismus«, »Recht«, schlüsselt, wobei die den Militärhistoriker be- »Wissenschaft und Technik« oder »Kolonialpo- sonders interessierenden Beiträge jeweils als litik« zeigen, sehr breitgefaßt. Sachgruppe 6 »Kriegs- und Wehrwesen« aufge- führt sind. Zusammen mit seinen abschließenden Die Auswahl enthält ein beträchtliches Maß an Autoren-, Personen- und Ortsregistern ist damit Willkür, wie die Autoren, u. a. G. Rochat, ein handliches Hilfsmittel entstanden, das frei- F. Frassati, P. Del Negro, L. Ceva und G. Caforio, lich die generelle Frage für die Zukunft offen las- freimütig zugestehen. »Das ist der Preis für ein sen muß, ob die anfallende Literaturflut über- Pionierwerk, [. . .] das man nicht als Endpunkt, haupt noch mit dem Mittel herkömmlicher Bi- sondern als Beginn einer breiteren und vertieften bliographien arbeitsökonomisch für den Benut- Diskussion über die neuzeitliche Militärge- zer zu erfassen ist. Schließlich haben National- schichtsschreibung in Italien aufzufassen hat.« un MGM 2/88 d Spezialbibliographien bereits einen zahlen- (S. IX) Am stärksten aufgeopfert scheint die Re- 227 mäßigen Umfang angenommen, der sie selbst sistenzageschichte zu sein. Ein eigenes Stichwort »Resistenza« gibt es nicht. Unter »guerriglia« union abgedruckt worden sind, vermitteln einen und »corpi volontari« sind für die Jahre 1939 bis Uberblick über die Diskussion, wie sie auch von 1945 nur 115 bzw. 155 Titel aufgeführt, die sich der sowjetischen Öffentlichkeit wahrgenommen außerdem noch großenteils überschneiden. Von werden konnte. Giorgio Bocca nur zwei, von Guido Quazza nur Die Enttabuisierung der »weißen Flecken« in der einen Titel genannt zu sehen, muß überraschen. sowjetischen Geschichte kann dem westlichen Viele der aufgenommenen Titel sind kurz kom- Leser kaum neue Fakten bringen; diese sind uns mentiert. Die Beiträge der deutschen Forschung weitgehend bekannt. Es ist jedoch bemerkens- zur Militärgeschichte Italiens hat G. Schreiber wert, daß eine solche Diskussion in der Sowjet- (Freiburg) ausgewählt. Der vermutlich beträcht- union jetzt möglich geworden ist. Die gegenwär- liche Nutzen des Werkes wird sich bei längerem tigen Kontroversen sollten uns aber nicht in eine Gebrauch zeigen. Eine flüchtige Durchsicht de- unkritische Begeisterung stürzen. Es sind immer monstriert aber schon die neue Vitalität, die die noch Tabus geblieben, und Gert Meyer hätte in Militärgeschichtsschreibung in Italien in den seiner Einleitung auf solche Defizite hinweisen letzten zwei Jahrzehnten gewonnen hat. müssen, zum Beispiel, um nur zwei Themen an- Jens Petersen zusprechen, auf das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939, das von den sowjetischen Historikern bis heute geleugnet wird. Und müßte die sowjetische Ge- schichtswissenschaft nicht auch den Leninkult Wir brauchen die Wahrheit. Geschichtsdis- kritisch beleuchten? Falsch wäre es auch, so zu kussion in der Sowjetunion. Hrsg. von tun, als ob die Geschichtsrevision einmütige Zu- Gert Meyer. Köln: Pahl-Rugenstein 1988. stimmung erfahren würde; es gibt massive Ge- 303 S. (= Kleine Bibliothek. Bd 488; Poli- genstimmen aus der »Zunft« der Historiker und tik und Zeitgeschichte.) der sowjetischen Öffentlichkeit, die die Entta- buisierung bestimmter Themen als Nestbe- schmutzung auffassen. Das große Interesse, das die Perestrojka in der Sowjetunion auch hierzulande findet, läßt eine Was die Ubersetzung der Texte angeht, so ist zu Fülle von Publikationen zu diesem Thema auf bedauern, daß die russischen Originaltexte dem Buchmarkt erscheinen. Breiten Raum neh- manchmal etwas großzügig übertragen wurden. men dabei Ubersetzungen von Texten aus der Wenn der Übersetzer Auslassungen macht, seien sowjetischen Presse ein, darunter auch Überset- sie auch noch so kurz, sollte er sie trotzdem als zungen von Leserbriefen, die die öffentliche solche kennzeichnen, was zum Beispiel bei dem Meinung im größten osteuropäischen Staat in Text von Alexander Samsonow »Die Geschichte besonderer Weise widerspiegeln. darf man nicht ummodeln« nicht geschehen ist. Das hier vorzustellende Buch nimmt einen Teil- Auch Juri Afanasjews »Die Vergangenheit ken- aspekt des veränderten intellektuellen Lebens nen, um die Zukunft zu errichten« wird im Vor- unter die Lupe. Gert Meyer als Herausgeber hat spann ausdrücklich als gekürzt wiedergegeben Texte über die sowjetische Geschichtsdiskussion bezeichnet, aber im Text sind die Kürzungen zusammengestellt, die, vergleichbar dem deut- nicht kenntlich gemacht. schen Historikerstreit, helfen sollen, die jüngere Trotz dieser Mängel ist das Buch sowohl für das Vergangenheit der UdSSR zu bewältigen. Den Fachpublikum als auch für allgemein an sowjeti- Texten vorangestellt ist eine fast 50 Seiten um- scher Geschichte Interessierte informativ und fassende Einführung des Herausgebers, in der er nützlich. Es bleibt nur zu wünschen, daß auch dem Leser nützliche Informationen über Verlauf die immer engagierter vorgetragenen neuen Bei- und Art der innersowjetischen Diskussion bietet. träge zur Geschichtsdebatte in der Sowjetunion Hilfreich sind die vielen weiterführenden Litera- dem deutschsprachigen Leser in ähnlicher Weise turhinweise, die dem neugierig Gewordenen zugänglich gemacht werden. Trude Burry wertvolle Anregung liefern. Im Gegensatz zu anderen Fachrichtungen taten sich die Historiker nach Gorbatschows Amtsan- tritt 1985 zunächst schwer, ihre eigene Disziplin in Frage zu stellen. 31 verschiedene Beiträge, die bis auf die eigens für diesen Band geschriebene Stellungnahme von Sergej Nikitin zum Thema Jugend und Geschichte alle bereits in der Sowjet- Edward Ν. Luttwak: Strategy. The Logic und militärischen Abschreckung mit Nuklear- of . Cambridge, Mass., waffen ein sicher nicht beruhigender Befund. London: Belknap Press of Harvard Uni- Von daher wäre das Buch nicht nur politischen versity Press 1987. XII, 283 S. Wissenschaftlern, Militärhistorikern und -theo- retikern sowie Verteidigungsexperten zu emp- Der Autor, der sich schon mit der Strategie des fehlen (Klappentext), sondern vor allem Politi- Römischen Reiches und der Kriegskunst des kern und ihren Beratern aller Schattierungen. amerikanischen Pentagon beschäftigt hat, ver- Greiner sucht sich hier an theoretischen Überlegungen zum Begriff »Strategie« allgemein. Er versteht darunter »die Regelung und die Folgen mensch- licher Beziehungen im Zusammenhang mit tat- sächlichen oder möglichen bewaffneten Konflik- Klaus Kost: Die Einflüsse der Geopolitik ten« (S. 4) oder in Anlehnung an Beaufre »die auf Forschung und Theorie der Politi- Kunst der Dialektik von Willen, die Gewalt be- schen Geographie von ihren Anfängen bis nutzen, um ihre Konflikte zu lösen« (S. 241). 1945. Ein Beitrag zur Wissenschaftsge- Das Thema von Luttwak deutet schon der Un- schichte der Politischen Geographie und tertitel an. Es geht um die »Logik« politischen ihrer Terminologie unter besonderer Be- und militärischen Handelns. rücksichtigung von Militär- und Kolonial- Der gesamte Bereich der Strategie sei nämlich geographie. : Dümmler 1988. 467 S. von einer »eigenen paradoxen Logik« (S. 4) be- (= Bonner Geographische Abhandlun- herrscht. Dies wird einführend an dem Satz: gen. Bd 76.) »Wenn Du Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor«, aber in der Folge auch an vielen ak- Es erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, tuellen und historischen Beispielen demonstriert. daß in den Militärgeschichtlichen Mitteilungen Warum das so sein muß, ergebe sich natürlich eine Dissertation besprochen wird, die in der aus der Tatsache, daß in Politik und Strategie Nachbarwissenschaft Geographie angesiedelt ist. zwei unabhängige Willen in der Zeit aufeinan- Klaus Kost hat seine Arbeit bei K.-A. Boesler ge- dertreffen, die oftmals nicht nach den Gesetzen schrieben, der sich intensiv um einen modernen formaler Logik agieren und reagieren, sondern Ansatz der Politischen Geographie bemüht1. zu »paradoxem« oder »kontraproduktivem« Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit Denken und Handeln kommen oder gezwungen der Geopolitik, die bis 1945 maßgeblich auf Be- werden (S. 18). völkerung, Politiker und Wissenschaft einge- Diese Erkenntnis ist seit Clausewitz nicht mehr wirkt hat. Angesichts der bisherigen ideenge- so neu. Er verweist militärisches und politisches schichtlichen Erforschung der Geopolitik — etwa Handeln in die Sphäre des »Zufalls« und des mit der wichtigen Haushofer-Biographie von Ja- »Spiels«, in der logische Vernunft nur begrenzt cobsen2 — wird nun deutlich, daß diese Gegen- herrscht oder herrschen kann. In weiten Teilen stand der Geschichte wie der Geographie ist. Da- liest sich das Buch von Luttwak wie ein moderner bei lag der Schwerpunkt bisher bei der Ge- historischer Kommentar zu dem Werk »Vom schichtswissenschaft; Klaus Kost liefert nun end- Kriege« und liefert eine Bestätigung vieler Ge- lich einen aufschlußreichen Beitrag der geogra- danken von Clausewitz, wie es ζ. T. auch sein phischen Forschung, was die historischen Ergeb- Vokabular, ζ. B. »Friktion« (S. 10), »Kulmina- nisse erheblich ergänzt. tionspunkt und Rückschlag« (S. 21), verwendet. Zahlreiche Geographen (etwa Schöller, Bei manchem der angeführten Beispiele hätte der Schwind, Ante, Boesler haben sich nach 1945 Autor allerdings die Worte von Clausewitz über von der Geopolitik als »Leerformel eines Begrif- den Gebrauch historischer Beispiele zum Beweis fes« (Kost, S. 403) getrennt, um der Politischen einer theoretischen Wahrheit beherzigen sollen. Geographie im Rahmen der Fachgebiete der Sicherlich entwickelt der Autor nur in begrenz- Geographie als Wissenschaft neue Inhalte zu ge- tem Umfang eine »allgemeine Theorie« (Klap- ben. Darüber hinaus aber fehlte bisher eine geo- pentext), aber er illustriert den »paradoxen« und graphisch-disziplingeschichtliche Aufarbeitung oft wenig »logischen« Bereich politisch-militäri- der Geopolitik und deren Einfluß auf die Geo- schen strategischen Denkens und Handelns graphie als Wissenschaft seit Ende des 19. Jahr- durch eine Sammlung von Fallstudien, die in der hunderts bis 1945. Damit ist es Kost gelungen, Tat an der Rationalität der Akteure zweifeln las- eine wichtige Lücke zu schließen. Er beachtet sen; bezogen auf das Problem der politischen durchaus die Ergebnisse der Historiker, legt den Schwerpunkt seiner Untersuchung jedoch auf te, blieb die Geopolitik mit ähnlichen Inhalten die Geographie. Er zeigt vor allem, welchen gro- auch in den 30er Jahren und während des Zwei- ßen Einfluß die Geographen (gerade vor allem ten Weltkrieges Hauptbekenntnis der Geogra- die Hochschullehrer in den 20er und 30er Jahren phen. Dabei waren die Ziele Hitlers und der des 20. Jahrhunderts) in Deutschland auf das po- Geopolitiker unterschiedlich. litische Denken hatten. Oskar Ritter v. Niedermayer, der eine zeitgemä- Kost beginnt mit der Politischen Geographie ße, in Teilen noch heute glaubwürdige Wehr- Friedrich Ratzels, die einmündete in die Geopo- geographie entwickelte, war zwar ein Freund der litik des Schweden Rudolf Kjellen. Seine Gedan- Nationalsozialisten und der Geopolitiker, be- ken als politische Handlungsanweisungen stie- mängelte aber nach Kost kritisch die Raumbe- ßen in Deutschland auf einen »Trend der Zeit- dingtheiten der Geopolitik, die das dynamische entwicklung, die [. . .] im Ausland in den Arbei- und wechselnde Handeln der Menschen unbe- ten eines Mackinder und Mahan ihr adäquates rücksichtigt ließen (S. 336—338). Gegenstück besitzen« (S. 52). Ausführlich geht Gerade für heute und für das moderne Politik- Kost dann auf das Neben- und Miteinander von verständnis ist das eine wichtige Erkenntnis, um Politischer Geographie und Geopolitik »im Sy- die es Kost eben auch mit seiner Untersuchung stem der geographischen Wissenschaft« (S. 56) geht. Insofern ist ihm sehr zu danken, daß er eine ein, die vor allem in einer »Welt-, Staats- und Verbindung zwischen früherer und heutiger Po- Auslandskunde« aufgingen (S. 102). Haushofer litischer Geographie herstellt. Damit berührt er machte aus der Geopolitik eine Raumlehre, die aber auch die historische Diskussion um die nach Kost ohne seine genaue Definition zum deutsche Geschichte und um das Denken über »Lebensmythos stilisiert« wurde (S. 123). Dahin- Tradition. Kritisch muß man ihn allerdings fra- ter verbarg sich der Kampf der Staatsvölker um gen, was er unter »militärischer Zweckfor- ihr Dasein. Der Raum hatte nun im Gedanken- schung« (S. 336 und 404) versteht — ein Begriff, gebäude des Sozialdarwinismus seinen gebüh- der in seiner ausgezeichneten Dissertation so- renden Platz gefunden. Kost zeigt auf, daß hier- wohl für die Vergangenheit wie Gegenwart un- aus die Kolonialgeographie entwickelt wurde, klar bleibt. Thomas Palaschewski deren programmatischer Charakter Deutsch- lands Kolonialansprüche begründete. Auch die 1 K.-A. Boesler: Politische Geographie. Militärgeographie (auf die Kost sehr ausführlich 1983. eingeht) vor, während und nach dem Ersten 2 H.-A. Jacobsen: Karl Haushofer. Leben und Werk. Weltkrieg war eine Kriegsgeographie, die für Boppard 1979. den Kampf um das Dasein konkrete Handlungs- anweisungen lieferte. Er weist nach, daß sowohl die Mitteleuropa-Vorstellungen vor dem Ersten Weltkrieg als auch die deutschen Kriegsziele von Geographen mitformuliert wurden. So hatten Johannes H. Voigt: Geschichte Australiens. diese etwa auch Einfluß im Alldeutschen Ver- Stuttgart: Kröner 1988. VIII, 347 S. ( = band. Vor allem Haushofer wollte »mit Hilfe sei- Kröners Taschenbuchausgabe. Bd 488.) ner Geopolitik Erziehung zum großräumigen Denken vermitteln und Möglichkeiten aufzei- gen, die Deutschland in den Kreis der Groß- Uber den fünften, erst zu Beginn des 17. Jahr- mächte zurückführen« (S. 294). hunderts durch die Holländer entdeckten und Obgleich der Verfasser die Imperialismus-Dis- seit dem 18. Jahrhundert zur britischen Ein- kussion der Historiker nur ansatzweise berück- flußsphäre zählenden Kontinent Australien be- sichtigt (S. 227), kann er doch den großen Ein- steht hierzulande nicht gerade ein üppiges Maß fluß deutlich machen, den Geographen seiner- an Kenntnis, was sich u. a. aus der geographi- zeit auf die deutschen politischen Ideen hatten. schen Randlage des kleinsten Erdteils erklären Dies setzte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg läßt. Um so mehr ist es daher zu begrüßen, daß im Kampf gegen die deutschen Einbußen durch sich der Stuttgarter Uberseehistoriker Johannes den Versailler Vertrag fort. Besonders in den 20er H. Voigt anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Jahren gewannen geographische Hochschulleh- australischen »Neuzeit« — einsetzend mit der rer Geltung in allen politisch-öffentlichen Berei- Ankunft des ersten Sträflingstransports und der chen — nicht nur bei den Nationalsozialisten. Gründung der Kolonie New South Wales im Obwohl Hitler seine eigene Ideologie entworfen Jahre 1788 — der dankenswerten Aufgabe ange- hatte und sie mit seiner Politik in die Tat umsetz- nommen hat, eine fundierte Darstellung der po- litischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Entwicklung Australiens zu präsentieren, die dem Mit seiner leicht lesbaren und ungemein infor- historisch interessierten Leser sowohl als nützliche mativen »Geschichte Australiens«, die eine aus- Orientierung wie auch als Einstieg dienen kann. reichende Zahl an weiterführenden Literaturhin- Der erste Teil schlägt einen weiten Bogen von weisen enthält, hat Voigt im deutschen Sprach- den geographischen Voraussetzungen und den raum endlich eine schmerzliche Informationslük- ersten Australiern über die Suche nach der »Ter- ke geschlossen. Rolf-Harald. Wippich ra Australis«, die — angeblich als kontinentales Pendant zu Europa im Süden von Afrika gelegen — das Denken seit der Antike beschäftigt hat, bis hin zu den Sträflingskolonien des 18. und 19. Jahrhunderts, dem Eintreffen der ersten freien Siedler 1793 und dem Vordringen ins Landesin- Friedrich Edelmayer: Maximilian II., Phi- nere in der ersten Hälfte des letzten Jahrhun- lipp II. und Reichsitalien. Die Auseinan- derts, das mit dem Streben nach »kolonialer Frei- dersetzungen um das Reichslehen Finale heit«, nach politischer Emanzipation vom Mut- in Ligurien. Stuttgart: Steiner 1988. VIII, terland, verbunden war. 234 S. (= Veröffentlichungen des Insti- Der zweite Teil umfaßt die entscheidende Phase tuts für Europäische Geschichte Mainz, auf dem Weg zu einer australischen Nation, die Abteilung Universalgeschichte. Bd 130 Zeit von 1850 bis 1900, und setzt mit dem Gold- (= Beiträge zur Sozial- und Verfassungs- rausch in der Jahrhundertmitte ein, der der Er- geschichte des Alten Reiches. Nr. 7.) schließung Australiens und der Durchsetzung der Demokratie wichtige Impulse gab. Prägend Thema der Wiener Dissertation Friedrich Edel- für die Herauskristallisierung eines australischen mayers ist die Geschichte der kleinen Markgraf- Nationalbewußtseins erwies sich Deutschlands schaft Finale, ein Reichslehen unweit Genuas, Zugriff auf Neuguinea 1884, da die Erschütte- vorwiegend in den Jahren 1558 bis 1576. Ein rung der bisherigen politischen Sorglosigkeit un- zweimaliger Aufstand der Einwohner gegen ih- ter dem britischen Schutzschirm nicht nur den ren örtlichen Tyrannen alarmierte in der politisch »kolonialen Egoismus« und die Minderwertig- hochsensiblen Region Norditaliens die benach- keitsgefühle gegenüber dem Mutterland über- barten Mächte — besonders aber Genua, das wand, sondern auch in zum Teil bewußter Herzogtum Mailand und damit Spanien sowie Frontstellung gegen London zu einem subimpe- den kaiserlichen Hof. Der überraschende Ein- rialistischen Aktionismus seitens der Kolonialre- marsch spanisch-mailändischer Truppen im gierungen führte. Mitten im Burenkrieg gelang Frühling 1571 führte zu einem ernsten, auch von am 1. Januar 1901 die staatliche Einigung der den Beteiligten als schwerwiegend empfundenen australischen Kolonien zum »Commonwealth of Konflikt zwischen dem Kaiser und dem spani- Australia« (1907 Dominion), das durch ein re- schen König: Dem Geschehen wohnt laut Edel- striktives Einwanderungsgesetz und durch die mayer für die Geschichte der kleinen Reichsle- Ausgrenzung der Aborigines auf dem gesamten hen in Italien ein »modellhafter Charakter« (S. 5) inne. Von zentralem Interesse ist für den Kontinent die (bis weit in die 1960er Jahre gülti- Verfasser das Verhältnis zwischen den beiden ge) »White Australia Policy« zur Staatsdoktrin Zweigen des Hauses Habsburg: Während Maxi- erhob. milian II. versuchte, den Status des Reichslehens Das abschließende Kapitel befaßt sich mit Au- Finale und damit generell die kaiserliche Reputa- straliens Rolle im Zeitalter der Weltpolitik, wo- tion in Italien zu bewahren, zielte Philipp II. auf bei die australische »Feuerprobe« im Ersten eine Einverleibung des sowohl in militärstrategi- Weltkrieg bei Gallipoli (1915) sowie die Teilnah- schem wie ökonomischem Sinne bedeutsam er- me australischer Truppen an diversen Schlachten scheinenden Territoriums in den spanischen des Zweiten Weltkrieges wesentliche Wegmar- Herrschaftsverband. ken der jüngsten Geschichte des Fünften Konti- nents bildeten. Eigens thematisiert der Verfasser Die Arbeit basiert hauptsächlich auf Recherchen Australiens asiatisch-pazifische Neuorientierung im Archivo General de Simancas sowie im ab 1972 und die endgültige Preisgabe der »White Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien: Wo Australia Policy« im Rahmen der Politik des Quellen fehlen, werden vorsichtige Thesen for- »multiculturalism« unter Premierminister Whit- muliert. Sehr anschaulich und minuziös werden Iam, eine überfällige Korrektur, die insbesondere die Chronologie der Ereignisse, die komplexen durch Englands EG-Beitritt 1972 notwendig ge- Verschränkungen der sich variierenden Interes- worden war. senlagen und des jeweiligen Verhaltens der in- volvierten Mächte rekonstruiert. Gerade die gro- England und Hannover — England and ße Detailfreudigkeit ermöglicht am konkreten Hanover. Hrsg. von Adolf M. Birke und Beispiel bemerkenswerte Einblicke in die nicht Kurt Kluxen. München usw.: Saur 1986. immer leicht zu durchschauenden Mechanismen 194 S. (= Prinz-Albert-Studien. Bd 4.) der damaligen Politik. So werden nicht nur die eher theoretischen rechts- und machtpolitischen Dies ist der vierte Band der seit 1983 regelmäßig Standpunkte der Kontrahenten, sondern auch erscheinenden und von Birke und Kluxen verant- deren tatsächliche Umsetzungschancen vor Ort worteten »Prinz-Albert-Studien« — der eine Di- deutlich: Maximilian II. fehlten die realen rektor des deutschen Historischen Institutes in Machtmittel — Truppen und Geld —, um seinen London, der andere Verfasser einer umfassen- Willen gegenüber den Finalesen und Spanien den deutschsprachigen »Geschichte Englands«. durchzusetzen. Philipp II. unterschätzte die Die Prinz-Albert-Gesellschaft hat es sich zum Hartnäckigkeit des kaiserlichen Widerstandes Ziel gesetzt, die deutsch-englischen Beziehun- und mußte schließlich den Schein reichsrechtli- gen in ihren vielfältigen Verästelungen zu erfor- cher Legalität wahren. Eine wesentliche Rolle schen und der Öffentlichkeit zu vermitteln. nahm daher eine mehr oder minder geschickte Der Sammelband enthält die Ergebnisse und Re- und intrigante Verhandlungsführung an den ferate der Jahrestagung der Gesellschaft von Höfen in Madrid und Wien bzw. Prag ein, auf 1985. Im Zentrum steht dabei die Fage, wie Eng- die Edelmayer sein Hauptaugenmerk richtet. land mit »seiner ungeliebten dynastischen De- Zugleich behält der Verfasser aber stets den pendence auf dem Kontinent fertig wurde« übergreifenden europäischen Handlungsrahmen (S. 9). Nach dem Frieden zu Utrecht hatte sich vor allem der spanischen Krone im Blick. Der all- das »Grundmuster der englischen Politik gegen- gemeine, über das enge Spezialthema hinausge- über Europa« (S. 7f.) herauskristallisiert: »Es hende Nutzen dieser Arbeit liegt zum einen in wurde zu einem Dogma, daß England immer ihrem Verweischarakter auf die schwierige Si- dann sicher war, wenn auf dem Kontinent vor tuation der kleinen Reichslehen in Norditalien seinen Küsten ein Gleichgewicht der Kräfte während der Frühen Neuzeit begründet, wo die herrschte.« In diesem Kalkül der englischen traditionelle Verfassungsstruktur des Reichs und »Europapolitik« störte lediglich jener Faktor, die neue, expansive Machtpolitik Spaniens auf- »der England hinderte, die politischen Leinen zu einandertrafen. Zum andern wird in ihrer peni- kappen«, die es mit dem Kontinent verbanden blen Darstellung ein exemplarischer, nicht unbe- (S. 8): das Kurfürstentum Hannover, dessen deutender österreichisch-spanischer Konflikt Kurfürst 1714 als Georg I. König von England vorgeführt, was die Untersuchung zu einem be- wurde. Die Gesetze des Erbrechts und die engli- achtenswerten Mosaikstein für das Verständnis schen Interessen waren dieses Mal nicht in Dek- der Geschichte der beiden Zweige des Hauses kung zu bringen. Habsburg und ihrer diffizilen Beziehungen zu- R. Hatton, bekannt durch ihre Biographie einander in den großen Krisen des 16. und 17. Georgs I.und G. Gibbs behandeln in ihren Bei- Jahrhundert werden läßt. Die ungetrübte habs- trägen die englische Hannoverpolitik. Dabei un- burgische Harmonie war und blieb trotz aller tersucht Hatton unter anderem Probleme der propagandistischen Beschwörungen von Freund dynastischen Union als solcher, einschließlich ei- und Feind Fiktion. nes überraschenden Fundes aus dem hannover- Zum Schluß mag noch ein ganz anderer Gedan- schen Staatsarchiv, »der über den Geisteszustand ke angesprochen werden: Eine Dissertation muß Georgs III. im Jahre 1765 Auskunft gibt« (S. 30). sich auf gewisse Aspekte beschränken, und so Weiterhin kommen allgemeine Aspekte der »po- kommen in der auf Haupt- und Staatsaktionen litischen Strategien und Probleme« im Rahmen konzentrierten Geschichte Edelmayers die be- dieses Verhältnisses zur Sprache, ebenso die län- troffenen Einwohner Finales nur eher am Rande, gerfristigen Auswirkungen im Bereich der Kunst als Verfügungsmasse der Mächtigen vor. Doch und insbesondere der Musik. Eine abschließende auch wenn der umfangreiche Papierkrieg der Un- Analyse gilt der Quellenlage, die aufgrund der Si- tertanen keinen entscheidenden Einfluß auf die tuation nach 1837, aber auch durch die Folgen Entwicklung der Ereignisse gehabt hat, so könn- des Zweiten Weltkrieges recht kompliziert, sprich te er doch interessante sozial- und kulturge- »zerstückelt« ist. Gibbs konstatiert unter anderem, schichtliche Aufschlüsse liefern. Vielleicht ergibt nichts habe die Leidenschaften im englischen Par- sich aus der Kenntnis der Quellen heraus einmal lament mehr erregt als die Feststellung oder auch die Möglichkeit eines Nachtrags — aber dies ist schon Ahnung, »daß politische Interessen denen nur eine Anregung. Rainer Brüning von Hannover untergeordnet würden« (S. 51). Weitere Beiträge behandeln die Einbindung wenn nicht sogar vorwiegend sozialpolitischer Hannovers in das Heilige Römische Reich und Ansatz erkennbar. Wenn der Autor schreibt, es in den Deutschen Bund (V. Press und W. D. Gru- gebe noch andere Fragen zu verfolgen, auf die ner), ein Thema, welches H. Wellenreuther und aber verzichtet worden sei, so gilt das sicher H. Duchhardt in zwei Fallstudien vertiefen. nicht nur für den angesprochenen ideenge- H.-G. Gmelin umschreibt in seinem abschließen- schichtlichen Hintergrund des sächsischen Kur- den Beitrag über »die künstlerischen Beziehun- fürsten, sondern auch für seine Außenpolitik und gen der hannoverschen Hofmaler Ziesenis und seine militärischen Leistungen. Jeder Fürst dieser Ramberg zu Großbritannien« (S. 177—94) das Zeit wollte ja nicht nur als »armierter Stand« im Feld der kulturellen Wirkung Englands auf Deutschen Reich Geltung haben oder gewinnen, Deutschland. Der Mittlerfunktion, die Hanno- also ein ansehnliches Kriegsinstrument unterhal- ver dabei einnahm (S. 9), soll eine der nächsten ten, sondern es auch als »Feldherr« nach Mög- 2 Tagungen der Gesellschaft gewidmet sein. lichkeit selbst einsetzen . An einem gewissen mi- Die Herausgeber dieser äußerst gediegen aufge- litärischen Talent scheint es August dem Starken machten Reihe sollten erwägen, ihre erfreuliche dabei nicht gefehlt zu haben, wie die Anfangs- und nützliche Publikation durch eine Anzahl von phase der Schlacht von Küssow am 9. Juli 1702 Serviceleistungen noch benutzerfreundlicher zu bewies. Einer der ersten Feldherren der Zeit, machen. Die zahlreichen Einleitungen sind si- Karl XII., wurde immerhin dazu gezwungen, sein ganzes Können aufzubieten, um einer Nie- cher gut gemeint und entsprechen der Höflich- derlage zu entgehen. keit (so das Vorwort von N. C. R. Williams, wel- ches die Eröffnungsansprache wiedergibt), kön- In dem selbst gesteckten Rahmen vermittelt das nen aber eine längere und kritische Einleitung Buch, gerade auch durch die ausgewählten Bil- nicht ersetzen. Auch wäre eine durchdachte Bi- der, einen hervorragenden Eindruck von einem bliographie mehr als wünschenswert. barocken Fürsten, seinem Lebensstil und -gefühl und seinem Land. Dem Glanz des Hofes und den Hans-Christoph Junge ehrgeizigen politischen Zielen und ihrer reprä-

1 sentativen Darstellung werden dabei die Elen- R. Hatton: George I. Elector and King. London 1978. den, Namenlosen und Armen in der Bevölkerung gegenübergestellt. Es ist dies wohl die Stärke des Buches, den Preis barockfürstlicher Ambitionen auf materieller und ideeller Ebene in dem ge- schundenen Volk zu zeigen. Personen- und Ortsregister erschließen den Inhalt. Ein umfang- Karl Czok: August der Starke und Kur- reiches Literaturverzeichnis ist beigegeben. sachsen. München: Beck 1988. 295 S. Greiner

Das Buch des Professors für Regionalgeschichte 1 G. Piltz: August der Starke. Träume und Taten ei- 2 an der Universität Leipzig bestätigt die Versuche nes deutschen Fürsten. Biografie. 1987. 2 der Geschichtswissenschaft in der DDR, sich R. Müller: Die Armee Augusts des Starken. Berlin 1984. Vgl. die Besprechung in MGM44 (1988), auch der »feudalen« Vergangenheit ihres Staates S. 159-161. biographisch zu nähern1. Dies geschieht mit dem vorliegenden Werk in einer Weise, die sich auch allgemein immer mehr durchsetzt, nämlich mit einer Fülle schönster und prächtigster Bilder, die gleichrangig neben dem Text stehen. Der mo- Wolfgang Venohr: Der Soldatenkönig. derne Leser, an eine ständig zunehmende Masse Revolutionär auf dem Thron. Frankfurt/ von stehenden oder bewegten Bildern gewöhnt, Main, Berlin: Ullstein 1988. 379 S. ist wohl anders kaum noch für einen historischen Gegenstand oder eine geschichtliche Persönlich- Man soll ein Buch nach den Maßstäben beurtei- keit zu interessieren. len, die es an sich selber legt. Niemand wird be- Der Titel »August der Starke und Kursachsen« haupten wollen, Venohrs neuester Band erhebe ist insofern fast etwas irreführend, als mehr von den Anspruch, ein wissenschaftliches Werk zu Kursachsen als von seinem Landesherren die Re- sein. Wie die übrigen in den letzten Jahren von de ist. Uber die Hälfte des Buches ist dem Land, ihm vorgelegten Biographien auch ist sein Buch der Wirtschaft, der Gesellschaft und dem Hofe über den »Soldatenkönig« auf leichte Lesbarkeit gewidmet. Es ist ein durchaus innenpolitischer, und Faßlichkeit abgestellt. Das Ergebnis ist gleichwohl kein historischer Roman. Zwar ohne Johann Friedrich Heyde: Der Roggenpreis präzise Quellenangaben, ansonsten aber detail- und die Kriege des großen Königs. Chro- liert und schlüssig läßt Venohr Aspekt um Aspekt nik und Rezeptsammlung des Berliner die Geschichte dieses schwer zu verstehenden Bäckermeisters Johann Friedrich Heyde. Königs aufscheinen. Neben die schon aus dem Hrsg. und eingeleitet von Helga Schultz. Schulunterricht bekannten Episoden, allen voran Berlin: Akademie-Verlag 1988. 159 S. den Konflikt mit seinem Sohn, dem späteren Friedrich dem Großen, tritt hier jedoch vor allem In der Bürgerschaft deutscher Städte des 18. das Bild eines ökonomisch-sparsam denkenden Jahrhunderts gehörten die Meister lebensnot- autoritär-etatistischen Monarchen. Friedrich wendiger Handwerke zu den relativ wohlsituier- Wilhelm I. erscheint als sparsam wirtschaftender ten Schichten. Einer von ihnen, der Bäcker J. F. Hausvater ganz Preußens, dem es gelingt, eine Heyde, hat ein merkwürdiges Buch hinterlassen, zentralistische und effektive Verwaltung aufzu- dessen Inhalt H. Schultz und der Ostberliner bauen und damit den ersten Zentralstaat der eu- Akademie-Verlag mit einem Aufwand veröffent- ropäischen Neuzeit zu schaffen. licht haben, der eines gewichtigeren Gegenstan- Venohr erliegt nur selten der Versuchung des des würdig gewesen wäre. Biographen, sich von seinem Helden zu sehr fas- Rezepte für hochgeistige Getränke und für Arz- zinieren zu lassen, etwa wenn er wieder und wie- neien, in die mancher Aberglaube eingeflossen ist, der auf die religiöse Toleranz Friedrich Wil- sowie Familiennachrichten rahmen einen zeitge- helms abhebt — dann aber doch nicht ganz ver- schichtlichen, von der Herausgeberin nicht ganz hehlen kann, daß etwa Katholiken in den Staats- zutreffend Chronik genannten Teil ein, der — geschäften noch immer schwer benachteiligt wa- warum, wird nicht deutlich — genau die Regie- ren. Ansonsten aber läßt Venohr nichts aus: nicht rungszeit Friedrichs d. Gr. umfaßt. Die Auf- die Prügelsucht des Königs und auch nicht seine zeichnungen sind nachträglich niedergeschrie- außenpolitische Unfähigkeit. Er verschweigt ben, was zu einigen Wiederholungen, gelegent- nicht, wie Friedrich Wilhelm immer wieder Op- lich auch zu zeitlichen Irrtümern geführt hat. Sie fer seiner Vertrauensseligkeit wird, wie er damit werfen aufschlußreiche Schlaglichter auf das All- innen- wie außenpolitisch vieles von dem zer- tagsleben im Berlin jener Zeit, nicht zuletzt auf stört, was er mit seiner persönlichen Rechtschaf- die wirtschaftlichen Nöte während des Sieben- fenheit aufgebaut hat. jährigen Krieges mit seiner Geldverschlechte- So wäre dann ein rundum zufriedenstellendes rung und der kurzen, aber für die Bürger sehr populärwissenschaftliches Werk entstanden, empfindlichen Besetzung der Hauptstadt durch wenn Venohr nicht darauf bestanden hätte, im- russische Truppen 1760, die ausführlich geschil- mer wieder — quasi so ganz nebenbei — die gro- dert wird. Manchmal war das Brot, dessen Preise ßen wissenschaftlichen Kontroversen der letzten zu den verschiedenen Zeiten gewissenhaft no- 100 Jahre zu entscheiden. So bezieht er in der tiert werden, so knapp, daß der Bäckermeister jahrelangen »Sonderwegdebatte« ganz kurz seinen Laden zu öffnen sich nicht getraute, son- Stellung und kommt zu dem Schluß, einen deut- dern die Ware durchs Fenster verkaufte. Aber schen Sonderweg habe es nie gegeben. Das Kan- auch über weiter entfernte Begebenheiten zeigt tonreglement von 1733, die Vorwegnahme der der Autor sich recht gut unterrichtet, nicht nur späteren allgemeinen Wehrpflicht, wird bei ihm über Ereignisse im Herrscherhaus und die Feld- flugs zu »einer der gesellschaftlichen Haupt- züge des Königs, sondern beispielsweise auch errungenschaften auf dem Weg zur Demokratie«. über den russisch-türkischen Krieg 1768 — 1774. Mühelos glaubt Venohr, die Militarismusdebatte Die Herausgeberin erläutert den historischen in der deutschen Geschichtswissenschaft ab- Hintergrund sowohl durch Randglossen wie schließen zu können. Der Autor mag seine Urtei- durch eine ausführliche Zeittafel, die u. a. mit le lange durchdacht haben; für den Leser werden klassenkämpferischem Eifer jede Arbeitsnieder- sie kaum nachvollziehbar. Solche pauschalen legung in Berlin registriert. Die gehässige Ten- Wertungen sind es, die den Wert des ansonsten denz gegen den König, am krassesten in der No- höchst erfreulichen Buches deutlich mindern. tiz über sein Eingreifen in den Prozeß des Mül- lers Arnold, womit er die »Illusion des Volkes Winfried Heinemann von einem gerechten König« genährt habe (S. 159), steht kaum auf der Höhe der Forschung in der DDR, wiewohl die Biographie von Ingrid Mittenzwei1 zitiert wird. Zu dem Rezeptteil wird eine ausführliche Wort- und Sacherklärung ge- 234 boten. Der chronikalische Teil ist mit trefflich bei der betroffenen Bevölkerung deutlich; Zerstö- passenden zeitgenössischen Illustrationen verse- rungen, Plünderungen, die Not der Verwundeten hen. Den Band schließt eine eingelegte Stammta- und Sterbenden sowie eine nach der Schlacht aus- fel, die auf der Vorderseite die Dynastie der gebrochene Seuche werden geschildert, im rüh- Handwerksmeister Heyde, rückwärts die Fami- renden Stil der Zeit sind Einzelschicksale ver- lie der Hohenzollern im 18. Jahrhundert zeigt. zeichnet. G. Granier Dagegen fehlt es an genaueren Informationen über den Kampfverlauf, über die beiderseitigen 1 I. Mittenzwei: Friedrich II. von Preußen. Eine Bio- Stärken und über Führungsentschlüsse. Die Füh- graphie. Berlin (Ost) 1979. rungsfehler auf bayerisch-österreichischer Seite sind deshalb nur im Umriß aufzuspüren. Ver- mutlich kam es den Bayern darauf an, nach dem späten Eintritt in die antinapoleonische Koali- tion einen eigenen Erfolg zu erringen. Bei besse- rer Aufklärung, klarer Schwerpunktbildung und Karl Caesar von Leonhard: Geschichtliche einer weniger riskanten Aufstellung ihrer Trup- Darstellung der Schlacht bei Hanau am pen hätten sich die Verbündeten einen Teil ihrer 30. Oktober 1813. Neudruck der 1. Aufla- Verluste und ihres Mißerfolgs ersparen und den ge Hanau 1813. Mit einer Einführung von Rückzug Napoleons dennoch wirksam behin- Klaus Schönherr. Hrsg. vom Hanauer An- dern können. Caspar zeiger und Klaus Schönherr. Hanau am Main: Hanauer Anzeiger 1988. XX, 96 S.

Uber den letzten Kampf Napoleons auf deut- schem Gebiet erschien bereits Ende Dezember Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen 1813 der Bericht eines Augenzeugen, des dama- aus dem Geist der Poesie. Heinrich von ligen Steuerbeamten v. Leonhard. Der zum Kleist und die Strategie der Befreiungs- 175. Jahrestag herausgegebene Neudruck wurde kriege. Freiburg im Breisgau: Rombach durch eine sachkundige Einleitung, durch die 1987. 429 S. (= Rombach Wissenschaft- amtlichen bayerischen, österreichischen und Reihe litterae.) französischen Presseberichte vom November 1813 sowie durch einige Kartenskizzen und Ab- Diese germanistische Habilitationsschrift ver- bildungen erweitert. sucht durch eine werkimmanente Deutung Zu den Kämpfen bei und in Hanau kam es, als Heinrich von Kleists herauszuarbeiten, in wel- der bayerische v. Wrede den französischen chem Umfang die politischen und militärpoliti- Rückzug durch das Kinzigtal in Richtung auf schen Auffassungen der Zeit rezipiert worden Mainz mit seinen etwa 30 000 Bayern und Öster- sind. Unter dieser Fragestellung unternimmt es reichern sperren wollte. Offenbar erkannte Wre- der Autor zunächst, das Beziehungsgeflecht of- de zu spät, daß er auf den größten Teil der vom fenzulegen, das den ehemaligen Offizier Kleist Leipziger Schlachtfeld entkommenen Franzosen mit der Gruppe der »zornigen jungen Männer« unter Napoleons Führung getroffen war. Er der preußischen Armee vor 1806, das heißt Mas- stand damit nicht nur einer überlegenen Füh- senbach, Pfuel, Rühle von Lilienstern, aber auch rung, sondern auch einer mehr als doppelten An- mit den Reformern nach der Katastrophe wie et- zahl von — allerdings durch die zurückliegenden wa Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz ver- Kämpfe und Märsche erschütterten — Truppen band. gegenüber. Während der zweitägigen Gefechte Dabei setzt K. sich dezidiert von den Ergebnis- erzwang der Kaiser die Fortsetzung seines Rück- sen der älteren Kleistforschung ab, die den Dich- marsches, verlor dabei jedoch ein Viertel seiner ter für die politischen und militärischen Ziele des Kräfte. Die ausweichenden Bayern und Österrei- Zweiten und auch des Dritten Reiches zu verein- cher erlitten schwere Verluste, in der Stadt Ha- nahmen suchte. Gleichermaßen distanziert steht nau entstanden erhebliche Schäden. er aber auch den Auffassungen gegenüber, die Der lesenswerte Bericht läßt seine zivile Herkunft die politischen, vor allem aber die militärpoliti- erkennen. Darin liegt jedoch ein Vorteil gegen- schen Aspekte im Werk Kleists zu »Tabuzonen« über der »professionellen« kriegsgeschichtlichen erklärt haben. Darstellung: Hier wird der durch Gerüchte ge- Einer knappen Genealogie des Hauses Kleist, nährte Wechsel zwischen Furcht und Hoffnung deren Angehörige über Jahrhunderte die für den preußischen Adel nicht eben häufige Symbiose Kompaniewirtschaft (ebd.). Das Institut der Re- von »Schrift, Krieg und Ackerbau« praktiziert gimentschefs war in Preußen zu Beginn des 19. hatten, läßt der Autor im Zentrum seiner Arbeit Jahrhunderts in keiner Weise mehr zu verglei- eine subtile Analyse der einzelnen Bühnenstücke chen mit dem der Regimentsinhaber während Kleists folgen. Dabei gelingt es ihm, dem Leser, des Dreißigjährigen Krieges (S. 259). der, wie auch der Rezensent, über dem ästheti- Unbeschadet dieser kleineren Mängel stellt die schen Genuß die Zeitgebundenheit der Stücke in Arbeit, in ihrem Bemühen, eine fachübergreifen- der Regel nicht wahrgenommen hat, die entspre- de Fragestellung adäquat zu lösen, eine überzeu- chenden Konnotationen mit frappierender Deut- gende und beispielgebende Leistung dar. lichkeit vor Augen zu führen. Die innenpoliti- Bernhard R. Kroener sche Situation Preußens am Vorabend der Kata- strophe von Jena tritt, löst man sich von der be- wußt gewählten Verfremdung durch die Ver- schiebung der Zeitebenen, im »Zerbrochenen Krug« bis in die numerischen Details der geplan- ten Heeresvermehrung erstaunlich deutlich zu- Rulemann Friedrich Eylert: Zwischen tage. Heinrich von Kleist als »politischer Dich- Hamm und Potsdam. Ausgewählter ter«, diese Interpretation läßt sich besonders ein- Nachdruck der »Charakterzüge und hi- dringlich im »Prinzen von Homburg« und in der storische Fragmente aus dem Leben des »Hermannsschlacht« nachweisen. Während das Königs von Preußen Friedrich Wil- erste ein Lehrstück über die paradoxe Einheit helm III.« Bearb. von Jürgen Kloosterhuis. von Subordination und Spontaneität im Militär Paderborn: Hüttemann 1988. XXVI, darstellt und damit gleichsam eine aus dem 236 S. (= Quellen und Schriften zur Mili- Blickwinkel der Revolutionszeit vorgenommene tärgeschichte. Bd 1.) Kritik an den erstarrten und verkrusteten For- men des altpreußischen Heerwesens enthält, er- Rulemann Friedrich Eylert (1770—1852), seit weist sich die »Hermannsschlacht« als die litera- 1807 Hof- und Garnisonprediger in Potsdam rische Umdeutung des Volkskriegsprinzips der und später Bischof der Evangelischen Landeskir- preußischen Heeresreformer in ihrer radikalsten che sowie Mitglied des Preußischen Staatsrats, Ausprägung. war geistlicher Berater und enger Vertrauter An keiner anderen Stelle wird das Grundmotiv Friedrich Wilhelms III. Nach dessen Tod setzte der militärisch-politischen Anschauungen Kleists er dem Monarchen mit dem Werk »Charakter- anschaulicher deutlich gemacht. Politisch eher züge und historische Fragmente aus dem Leben konservativ, den Kräften der Reaktion zunei- des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III.«, gend, vertrat Kleist in mancher Hinsicht Ziele, das zwischen 1842 und 1846 in drei Teilen publi- die weit über die der radikalsten Heeresreformer ziert wurde, ein literarisches Denkmal. des preußischen Staates hinausgingen. Die »Her- Für den Militärhistoriker sind die »Charakterzü- mannsschlacht«, das vermag Kittler anschaulich ge« deshalb beachtenswert, weil sie zahlreiche zu belegen, läßt sich daher durchaus als die Aussagen über die innere Verfassung der preußi- »Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poe- schen Armee im Ubergang vom 18. zum sie« interpretieren. 19. Jahrhundert enthalten. Die betreffenden Pas- Ohne Historiker zu sein, ist es dem Verfasser ge- sagen hat J. Kloosterhuis mit dem vorliegenden lungen, die politische Dimension im Werk Nachdruck wieder zugänglich gemacht und Kleists den Hauptströmungen der Epoche zuzu- quellenkritisch kommentiert. ordnen. Daß ihm dabei der eine oder andere In seiner Einleitung setzt sich der Herausgeber sachliche Fehler unterlaufen ist, ist zu ver- vor allem mit Eylerts Kritik an der frideriziani- schmerzen. schen Armee, die bis in die Gegenwart rezipiert Der König aus dem Norden, der »Alexander aus wird, auseinander. Im einzelnen kann Klooster- Mittnacht«, war im Verständnis des 18. Jahrhun- huis durch Quellenvergleich sowie Auswertung derts in der Regel Karl XII. von Schweden und statistischer Materialien nachweisen, daß Eylert nicht Friedrich II. (S. 116). Da der preußische negative Züge im Erscheinungsbild des altpreu- Staat es vermied, seinen Offizieren dort Kantone ßischen Militärs übertrieb, um auf diese Weise zuzuweisen, wo sie begütert waren, war es den die Reformtätigkeit Friedrich Wilhelms III. um Kompaniechefs auch nicht möglich, ihre Bauern so eindrucksvoller gestalten zu können. Daneben zur Feldarbeit zu beurlauben (S. 118). Mit sind Eylerts Urteile über das spätabsolutistische »Kompaniesystem« meint K. zweifellos die Heer sicher auch ein Reflex tiefsitzender bürger- licher, insonderheit bildungsbürgerlicher Res- Lektüre des vorliegenden Bandes ergeben. Denn sentiments und insofern zugleich ein beredtes Kavallerie war eine teure Waffengattung, und Zeugnis für die Dauerhaftigkeit von Bewußt- ein Kongreß, der auf Sparsamkeit bedacht war, seinsstrukturen. stellte dem amerikanischen Heer davon viel zu Ahnliches gilt — wenn auch mit anderem Vorzei- wenig zur Verfügung. chen — für die Charakteristik des preußischen Dabei war die Knauserigkeit des Parlaments nur Heeres nach 1806. Hier rückt Eylert bewußt die einer der vielen Faktoren, die eine stetige Strate- »leitenden Ideen«, die die Militär-Reorganisa- gie gegenüber den Indianern verhinderten. Per- tionskommission unter dem Vorsitz Scharn- sönliche Eitelkeiten und Ehrgeiz beteiligter Offi- horsts bei ihrer Arbeit verfolgte, in den Vorder- ziere, unterschiedliche Erfahrungen im Bürger- grund seiner Darstellung und suggeriert damit krieg, undurchschaubare Befehlsstrukturen, un- zugleich ihre Realisierung. Ausgehend von der terschiedliche Auffassungen über die »Zivilisier- Formulierung »Die Armee ist die Nation und die barkeit« der Indianer, parteipolitische Einfluß- Nation ist die Armee« (S. 139) erläutert er die nahme und regionale Interessen führten dazu, Gesamtkonzeption der Heeresform, einschließ- daß das Verhalten des Militärs von Fall zu Fall lich ihrer gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, wechselte. Hinzu kam, daß es auch noch keinen und illustriert die Auswirkungen des Reform- Generalstab oder eine vergleichbare Institution werks u. a. an der Veränderung des Militärstraf- gab, die eine Vereinheitlichung des strategischen rechts, der Einrichtung der Landwehr sowie der Denkens hätte herbeiführen können. Reorganisation des militärischen Bildungswe- Woosters These von der fehlenden strategischen Grundlinie in den Indianerkriegen findet ihre sens. Dabei sind die Abschnitte, die sich mit der Entsprechung in der a priori vorausgesetzten Bedeutung des Faktors »Bildung« für die einge- Annahme, daß auch die politische Seite keine leiteten Reformmaßnahmen befassen, auch über durchgängige Haltung annahm. Letztendlich in- den Kreis der primär militärgeschichtlich orien- terpretiert Wooster das Chaos im Denken des tierten Leser hinaus von großem Interesse. Ey- Heeres nur als Funktion des Primats einer eben- lerts Schilderung ermöglicht vielfältige Einblicke falls wankelmütigen Politik. in das Militärwaisenhaus, die Kadettenanstalten, Auffallend ist dabei, daß der Autor auch die tota- die Potsdamer Unteroffizierschule, das Lehrba- le Kriegführung des amerikanischen Militärs ge- taillon sowie die Garnisonschulen und damit in genüber den indianischen Dörfern, Herden und wichtige Bereiche der militärischen Bildung und Weidegründen, ja, die Ermordung tausender Ausbildung. Frauen und Kinder leidenschaftslos und eher Allerdings weist Kloosterhuis zu Recht darauf technokratisch schildert. Überhaupt wird die hin, daß sich Eylerts Vorstellung von der Armee moralische Rechtfertigung der gigantischen als einer »National-Angelegenheit« mit dem Landnahme und der Zerstörung einer alten Kul- preußischen Heer in der ersten Hälfte des tur nicht in den Blick genommen. 19. Jahrhunderts nur bedingt in Ubereinstim- Ansonsten aber handelt es sich bei Woosters mung bringen läßt, zumal die Entwicklung im Buch um eine lesbar geschriebene und zugleich Vormärz, also zur Zeit der Niederschrift der allen wissenschaftlichen Kriterien entsprechende »Charakterzüge«, dazu führte, daß die Reform- Arbeit, die keine Fakten unerwähnt läßt. Der ansätze immer stärker zurückgenommen wur- Autor hat eine zweigeteilte Gliederung gewählt: den. H. St. Nach einem problemorientierten, nach Sachver- halten gegliederten Abschnitt, der den umfang- mäßig größten Teil des Bandes ausmacht, folgt eine chronologische Schilderung der wichtigsten Kampagnen. Wenn die Fülle der Daten den Le- Rober Wooster: The Military and United ser manchmal zu verwirren droht, so ist auch das States Indian Policy 1865—1903. New wohl vor allem auf die verwirrende Situation der Haven and London: Yale University Press geschilderten Jahre zurückzuführen. Aber es ge- 1988. XIII, 268 S. (= Yale Western Ame- lingt Wooster immer wieder, mit sicherer Hand ricana Series. Bd 34.) den roten Faden sichtbar zu machen. Ein wissen- schaftliches Buch, das man mit großem Interesse Im Film ist es meist die U. S. Cavalry, die im ent- lesen kann. Winfried Heinemann scheidenden Augenblick die fast schon verzwei- felnden Siedler vor den angreifenden Indianern rettet. Daß es in der Wirklichkeit nicht so war, ist nur eine der vielen Erkenntnisse, die sich bei der Roland J. Hoffmann: Τ. G. Masaryk und chung des primären Ziels, der völligen nationa- die tschechische Frage. München: Olden- len Unabhängigkeit der Tschechen, darstellte. bourg. Während Hoffmann im ersten Teil seiner Dar- I. Nationale Ideologie und politische Tä- stellung den Wandel der politischen Vorstellun- tigkeit bis zum Scheitern des deutsch- gen Masaryks beschreibt, untersucht er im zwei- tschechischen Ausgleichsversuchs vom Fe- ten und dritten Teil dessen politische Tätigkeit bruar 1909. 1988. 490 S. (= Veröffentli- als Abgeordneter unter den Regierungen Beck chungen des Collegium Carolinum. Bd und Bienerth (1908/09). Nach dem Bruch mit den 58.) Jungtschechen, mit deren Hilfe Masaryk zwi- schen 1891 und 1893 Abgeordneter im Reichsrat Bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs zählte der geworden war, gelang es ihm erst wieder ein erste Staatspräsident der Tschechoslowakei, T. Mandat zu erlangen, als in der zisleithanischen G. Masaryk, in der Donaumonarchie zu den Reichshälfte das allgemeine Wahlrecht einge- Randfiguren des politischen Lebens. Dies lag pri- führt wurde. Im Zentrum seiner parlamentari- mär daran, daß er in vielen Fragen in Opposition schen Tätigkeit stand die Problematik des zu den führenden tschechischen Parteien stand: deutsch-tschechischen Ausgleichsversuchs. Seine so, als er die Echtheit der für die nationale Idee Partei, die Fortschrittspartei (mit zwei Abgeord- der Tschechen wichtigen Königinhofer und neten ohne große politische Bedeutung), reprä- Grünberger Handschrift in Zweifel zog. Seine sentierte neben den tschechischen Sozialdemo- an Palacky anknüpfende Überlegung, daß die kraten die einzige politische Kraft, die bei der Tschechen vorläufig Osterreich noch brauchten, Lösung des Problems nicht von vornherein auf um nicht zwischen Preußen-Deutschland und die Forderung nach Einhaltung des historischen Rußland zerrieben zu werden, trug ihm den Staatsrechts fixiert war. Gerade Masaryk hatte Vorwurf des Osterreichertums ein. Seine An- für den Fall des Ausgleichs ein föderalistisches sicht, daß die Humanität den wahren Sinn der Konzept entwickelt, das den Deutschen Böh- tschechischen Geschichte ausmache und diese mens eine nationale Autonomie und ein weitge- das Hauptproblem der tschechischen Frage, den hendes Self-government zusichern sollte. Hoff- jahrhundertelangen Kontinuitätsbruch über- mann sieht darin aber nur eine Verfeinerung und brücke, führte zum Bruch mit den Jungtsche- Überhöhung des deutsch-tschechischen Gegen- chen, an die er sich zeitweise politisch angelehnt satzes, da das Konzept letztlich nicht zur Über- hatte. windung des Antagonismus zwischen den beiden Während auf der einen Seite Masaryk unter den Völkern, sondern primär zur Lösung der tsche- Tschechen in eine immer stärkere Isolierung ge- chischen Frage beitragen sollte. Das Scheitern riet, verschafften ihm seine Vorstellungen bei der deutsch-tschechischen Ausgleichsverhand- den fortschrittlich gesinnten deutschen Kräften lungen führte Masaryk zu der Erkenntnis, daß Ansehen und Einfluß. Letztlich beruhte diese fal- eine Lösung nur im Bereich der Außenpolitik zu sche Rezeption seiner Vorstellungen — sowohl erwarten sei. auf deutscher wie tschechischer Seite — darauf, Hoffmann, für den Masaryk ein Fallbeispiel für daß Masaryk zuletzt keine geschlossene Ab- den Vorgang des »nation-building« mit seinen handlung mehr über die tschechische Frage ge- positiven wie negativen Auswirkungen ist, ge- schrieben hatte. Bedingt durch die Bedeutung lingt es, in seiner Dissertation die politischen der Russischen Revolution von 1905, die Sozial- Vorstellungen des tschechischen Professors und demokratie, besonders die tschechische, und die Politikers Masaryk deutlich zu machen und des- Demokratisierung des Wahlrechts 1907 wurde sen Vorstellungen aus der Perspektive der tsche- sein Humanitätskonzept allmählich überlagert chischen Frage zu klären. Franz-Josef Kos von einem revolutionär geprägten Konzept eines Demokratismus. Das Beharren der Deutschen auf ihrer Vormachtstellung in der Monarchie ließ bei ihm tiefe Zweifel über die Regenera- tionsfähigkeit des Habsburgerreiches und die Ernest Bauer: Der letzte Paladin des Rei- Befriedigung der nationalen Interessen der ches. Generaloberst Stefan Sar- Tschechen aufkommen. Dies schränkte seine kotic von Lovcen. Graz usw.: Styria 1988. Loyalität gegenüber Österreich-Ungarn ein, so 159 S. daß eine Lösung der tschechischen Frage inner- halb eines Bundesstaates oder Staatenbundes Zahllose Bücher wurden über den Ersten Welt- Österreich nur noch eine Möglichkeit zur Errei- krieg auf dem Balkan geschrieben, viel Literatur gibt es zu Bosnien-Herzegowina. Der Verfasser tilen Bildern einen Beitrag zur »psychologischen dieser Darstellung wertet ein bislang unveröf- Kriegführung« leisten. In umfangreichen Propa- fentlichtes Tagebuch des letzten Landeskom- gandakampagnen sollte der Gegner herabgesetzt mandanten dieser Gebiete aus, der nach dem und lächerlich gemacht sowie im neutralen Aus- Thronfolgermord von 1914 dort eingesetzt wur- land für Sympathie geworben werden. Ebenso de. wurden innenpolitische Probleme mit den Mit- Der Leser erwartet neue Einblicke in die militä- teln der Karikatur überdeckt, die Bevölkerung risch-politischen Vorgänge, vielleicht auch In- für den Krieg mobilisiert und der Glaube an den teressantes zur Person des Schreibers. Es ist nicht Sieg gefestigt. Sarkotic anzulasten, daß seine Aufzeichnungen Eine vielfältige Sammlung von knapp 400 Zeich- als eher uninteressant bezeichnet werden müs- nungen aus allen Ländern der Entente und der sen, er schrieb sie nicht für die Nachwelt. Viel- Mittelmächte, vereinzelt auch aus neutralen leicht hätte eine Totaledition mehr gebracht? Die Staaten, werden präsentiert. Der Herausgeber ausgewählten Stellen stehen oftmals verloren im wertete dazu 32 Zeitschriften und 18 einschlägi- Raum, und Bauer hätte die Unergiebigkeit schon ge Broschüren aus, wobei er sich in der Hauptsa- bei der Lektüre im kroatischen Archiv in Zagreb che auf die reichen Bestände der Bibliotheque auffallen müssen. So wurde aber mit zerdehntem d'histoire internationale contemporaire (BDIC) Druck, einigen (teilweise schon allzuoft verwen- in Nanterre/Frankreich stützen konnte. deten Photos) und einem Text, der viel zu wenig Demm gliedert die ausgewählten Karikaturen in auf den Menschen eingeht, ein Buch zu machen fünf Themenbereiche, von denen drei die vom versucht. Aber Sarkotic scheint doch nur ein Autor ausgemachten Haupttypen repräsentie- »braver« Soldat gewesen zu sein, der seine ren : die Symbol-, Gesellschafts- und Militärkari- »Pflicht erfüllte« und seinem Kaiser treu diente. katur. Das 4. Kapitel zeichnet einen wahren Pro- Ein Aufsatz über ihn hätte nach Meinung des pagandakampf zwischen Alliierten und Mittel- Rezensenten genügt. mächten nach, in dem sich jede Partei als wahre Nach Lektüre des Buches weiß man über die Kulturnation, den Gegner dagegen als Barbar letzten vier Jahre der Habsburgermonarchie auf und Bestie darzustellen trachtete. Zeichnungen dem Balkan nicht mehr als zuvor. Es wäre besser zum Thema »Endlich Friede« bilden den Schluß gewesen, die von Bauer öfters lobend angeführte der Sammlung. Dem Bildteil voran schickt Wiener Dissertation von 1969 über Sarkotic und Demm eine knapp gehaltene elfseitige Einfüh- seine Verwaltungstätigkeit als Landeskomman- rung, die den Leser mit allen wichtigen Bedin- dant (von Signe Klein), überarbeitet und mit ei- gungen und Strömungen der Karikatur im Er- nigen Tagebuchbeispielen ergänzt, im Druck sten Weltkrieg, mit den vorherrschenden The- vorzulegen. Nicht jeder österreichische Offizier men und herausragenden Zeichnern bekannt bedarf mehrerer Untersuchungen, es ist auch macht. Eine etwas ausführlichere und typogra- nicht jeder ein Radetzky oder ein Conrad, und phisch besser gestaltete Kommentierung der ein- andere in diese Höhen hochzustilisieren, ist ein zelnen Bildern wäre für den Leser allerdings Fehler, den ein Historiker unter keinen Umstän- wünschenswert. Der Band bietet viel Material, den begehen darf! LorenzMikoletzky regt immer wieder zum Blättern an und lenkt den Blick auf viele Begleiterscheinungen des Krieges. Andreas Daniel

Der Erste Weltkrieg in der internationalen Karikatur. Hrsg. und kommentiert von Eberhard Demm. Hannover: Fackelträger Keith Grieves: The politics of manpower, 1988.200 S. 1914—18. Manchester: Manchester Uni- versity Press 1988. VII, 241 S. (= War, Im wahrsten Sinne des Wortes eine gute Illustra- Armed Forces and Society.) tion der herrschenden Ideologien und kollekti- ven Mentalitäten der Völker gewähren die von Begriffe wie »manpower« oder »politics of man- E. Demm zusammengetragenen Karikaturen aus power« waren, wie vieles andere, Produkte des der Zeit des Ersten Weltkrieges. Auch die Zeich- Ersten Weltkrieges, Etiketten für das Bemühen, ner wurden in die Pflicht genommen und sollten die Arbeitskraft jedes einzelnen in optimaler mit ihren teils plumpen, teils ausgesprochen sub- Weise in den Dienst der britischen Kriegsan- strengungen zu stellen. Wenn die Termini dingungen des Weltkrieges die zivilen Politiker schnell Eingang fanden in das politische Voka- das Heft in der Hand behielten. Die Militärs re- bular, dann zeugte dies von dem Bewußtsein der vanchierten sich dafür später mit Feder und Tin- verantwortlichen Politiker, daß der Krieg zwi- te: Nach 1918 beklagten führende Generale in schen entwickelten Industriegesellschaften, der ihren Memoiren das mangelnde Verständnis der »totale Krieg«, die umfassende Mobilisierung Politiker für die strategischen Erfordernisse des der Zivilbevölkerung nötig machte, Männer und modernen Krieges im allgemeinen und des »con- zum erstenmal auch Frauen. Das Problem, mit tinental commitment« der Briten im besonderen. dem sich die britische Regierung konfrontiert Es ist bedauerlich, daß Grieves den Vergleich mit sah, war also erkannt. Aber die Versuche zu sei- Deutschland, gestützt auf die Arbeiten von Ge- ner Lösung, nämlich die effiziente Organisation rald Feldman, nur streift, statt ihn systematisch und Verteilung der knappen Ressource Arbeits- auszuführen. Gerade weil sich das »manpower« - kraft im Kriege, verursachten verbissen geführte Problem im Reich in nahezu identischer Weise politische Auseinandersetzungen zwischen den stellte und Feldmans Forschungen das Material Ministern. Die frühen Lösungsversuche griffen, leicht zugänglich machen, hätte der Vergleich wie Grieves zu zeigen vermag, häufig zu kurz der beiden Industriegesellschaften im Kriege in- und waren letztendlich, nach mehreren unzu- teressante Aufschlüsse geben können. Indes, reichenden ad hoc-Regelungen, Anlaß für die auch in der streng nationalen Perspektive vermit- Schaffung neuer administrativer Instanzen. telt Grieves' Untersuchung grundlegende Ein- Grieves' Axbeit, die sich auf eine beeindruckende sichten in Organisation und Führung des »tota- Fülle von Akten, Nachlässen und publizistischem len Krieges«. Peter Alter Material stützt, schlägt eine Schneise durch das Kompetenzengerangel der einschlägigen Mini- sterien, der Militärs, der Industrie und der Ge- werkschaften. Er analysiert die verschiedenen politischen und administrativen Maßnahmen der Londoner Regierung zur Uberwindung des Di- Wolfgang Schivelbusch: Die Bibliothek lemmas : den Einsatz von Menschen so zu steu- von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der ern, daß angesichts bis dahin nie erlebter Verlu- Weltkriege. München, Wien: Hanser ste den massiv steigenden personellen Anforde- 1988,243 S. rungen der Generale an der Westfront entspro- chen werden konnte, ohne dadurch den glei- Zwar bildet die Zerstörung bedeutender Bücher- chermaßen emporschnellenden Bedarf an Ar- schätze einen festen Bestandteil der abendländi- beitskräften in der Kriegsproduktion in Frage zu schen Kriegsgeschichte, doch nur selten rührte stellen. In eingehenden Untersuchungen, die sich eine solche Tat den größten Teil der gelehrten allerdings gelegentlich im Detail zu verlieren Zeitgenossen zu Emotionen der Empörung, Be- drohen, stellt Grieves die Entstehung des Man- stürzung und Trauer wie im Falle der kurz nach power Distribution Board im August 1916 dar, Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Schutt und die Schaffung des National Service Department Asche gelegten Universitätsbibliothek Löwen. In Ende 1916 und schließlich die Gründung des Mi- jener belgischen Stadt starben am Abend des nistry of National Service im letzten Kriegsjahr. 25. August 1914 — eine Woche nach der kampf- Die Gründe für das Scheitern Neville Chamber- losen Besetzung — mehrere deutsche Soldaten lains als erstem Chef des Manpower Distribution bei einer Schießerei, deren genauer Hintergrund Board werden sichtbar gemacht, ebenso dann die zwar bis heute ungeklärt geblieben ist, die jedoch steile Karriere von Sir Auckland Geddes, »the in den Augen der Besatzer nur das Werk heim- government's adivser on manpower« (S. 210) in tückischer Franctireurs sein konnte. Die grausa- den Jahren 1917 und 1918. Diese Charakterisie- me Bilanz des unverzüglich angeordneten rung hat man füglich als »understatement« zu »Strafgerichts über Löwen«: 200 erschossene verstehen, denn Geddes, mit der Rückendek- belgische Zivilisten und über 1000 niederge- kung des Kriegspremiers Lloyd George, gewann brannte, meist im historischen Stadtzentrum ge- für das Ministry of National Service rasch eine legene Gebäude. Schlüsselfunktion und verschaffte ihm gegen- Auch die Universitätsbibliothek, an Größe und über dem Generalstab unter Sir William Robert- Bedeutung mit der Landesbibliothek eines der son eine dominierende Stellung — Illustration kleineren deutschen Fürstentümer vergleichbar, dafür, daß in Großbritannien, im Unterschied zu fiel den Flammen zum Opfer. Hierdurch geriet Deutschland, selbst unter den exzeptionellen Be- das zwecks Einschüchterung inszenierte Fanal gewissermaßen als »Sarajewo der europäischen chen Abhandlung selten genug — flüssig, ja gera- Intelligenz« unversehens zum Auftakt eines wah- dezu spannend geschrieben. Werner Kempken ren »Weltkrieges der Geister«. In diesem Zusam- menhang diente das Schicksal der altehrwürdi- gen Universitätsbibliothek — als kultureller Mi- krokosmos eignete sie sich trefflich zum Symbol — den Anhängern der Entente als Beweis dafür, Benjamin D. Rhodes: The Anglo-Ameri- daß sich die deutsche Kriegführung nicht nur ge- can Winter War with , 1918-1919. gen feindliche Armeen, sondern auch gegen Kul- Α Diplomatie and Military Tragicomedy. turgüter richtete. Anschaulich schildert der Ver- New York etc.: Greenwood Press 1988. fasser den im Zeichen des vermeintlichen Gegen- XII, 156 S. (= Contributions in Military satzes »Kultur — Zivilisation« eskalierenden Studies. Nr. 71.) »Propagandakrieg, den die europäische Intelli- genz als Hilfstruppe der Militärs gegeneinander Die alliierte Militärintervention in Rußland begann« (S. 29). Daß die Löwener Bibliotheks- 1918—1920, die sowohl als Reaktion auf den Se- ruine später der Gefahr entging, aufgrund der paratfrieden von Brest-Litowsk zwischen dem langen Kriegsdauer doch noch der Vergessen- Zarenreich und Deutschland (3. März 1918) er- heit anheimzufallen, ist jedoch vor allem den be- folgte als auch im Zusammenhang mit dem Bür- harrlichen Aktivitäten jener im Exil lebenden gerkrieg in Rußland zu sehen ist, hat schon die belgischen Gelehrten — selbst meist ehemalige Gemüter der Zeitgenossen bewegt und nach Sinn Studenten oder Professoren der Universität — und Zweck dieses Unternehmens fragen lassen. zuzuschreiben. Ihren Bemühungen war nach der Wenn sich auch der Autor, Professor in Wiscon- deutschen Niederlage der gewünschte Erfolg be- sin und mehrfach als Verfasser von Artikeln über schert, wie die Aufnahme eines eigens die Löwe- den nordamerikanischen Anteil an der Interven- ner Bücherverluste regelnden Artikels in den tion in Erscheinung getreten, ausschließlich auf Versailler Vertrag sowie die von einem interna- Nordrußland konzentriert, so lagen dem dorti- tionalen Hilfswerk in insgesamt vierzehn Län- gen englisch-amerikanischen Eingreifen doch dern gesammelten umfangreichen Bücherspen- weitgehend die gleichen Motive zugrunde wie in den belegen. Sibirien, wo japanische und amerikanische Trup- Die 1920 mit Belgien hinsichtlich der Bestands- pen landeten. Rhodes versteht seine akribische, verluste geführten Reparationsverhandlungen bisweilen jedoch in Marginalien abgleitende Be- verpflichteten das Reich zur Organisation und Fi- standsaufnahme der circa einjährigen Präsenz nanzierung der Ersatzlieferungen. Zwar beschei- englischer und amerikanischer Truppen in nigt Schivelbusch der zu diesem Zweck gegründe- Nordrußland primär als Teil der alliierten Stra- ten »Einkaufsgemeinschaft Löwen GmbH« tegie, zum einen die als »deutsche Agenten« be- effizientes Arbeiten sowie den mit der Abwick- trachteten Bolschewiki zu bekämpfen und den lung betrauten deutschen und belgischen Biblio- bürgerlichen Nationalismus in Rußland gegen thekaren ein geradezu kollegiales Verhältnis, deutschen Imperialismus und russischen Bol- weist jedoch auch auf den Mißbrauch des Frie- schewismus zu unterstützen; zum anderen mit densvertrages als Profitquelle für den deutschen Hilfe antibolschewistischer Verbände wieder ei- Antiquariatsbuchhandel hin. Zudem werden die ne zweite Front gegen Deutschland im Osten um den Wiederaufbau des Bibliotheksgebäudes aufzubauen, wozu auch die Verbindung zur kreisenden Aktivitäten des besonders exklusiven weitgehend aus Kriegsgefangenen rekrutierten amerikanischen Ablegers des Hilfswerks einer tschechischen Legion gehörte, die in Sibirien kritischen Betrachtung unterzogen, die sich teil- operierte. weise wie eine Satire auf das amerikanische Phi- Nach ersten Interventionsplänen im Anschluß an lanthropentum der zwanziger Jahre liest. Trau- die Oktoberrevolution von 1917 kam der Haupt- rig wiederum der Schluß des Buches: Die groß- anstoß für das nordrussische Unternehmen eben- artiger als zuvor neu errichtete Bibliothek brann- falls von englischer Seite, als im Gefolge der te im Mai 1940 nach einem deutschen Artillerie- deutschen Frühjahrsoffensive 1918 Gerüchte treffer erneut nieder, diesmal ohne nennenswerte auftauchten, Deutschlands Intentionen zielten Proteste von Seiten der Kulturwelt hervorzuru- darauf ab, Murmansk als U-Boot-Basis zu er- fen. obern. In völliger Unterschätzung der Bolsche- Insgesamt ist die durch einen umfangreichen wiki kreisten die englischen Planungen aus- Bildteil abgerundete Publikation vorzüglich re- schließlich um die Abwehr eines vermuteten cherchiert und — bei einer bibliotheksgeschichtli- deutschen Nordvorstoßes, so daß die anfänglich in Murmansk ausgeschifften 2000 Mann der in ment [. . .] This was the very worst class of mate- London perzipierten Bedrohung der nordrussi- rial to send out to Russia.« (S. 61) schen Küstengebiete nicht mehr genügten. Da Nachdem nach dem Waffenstillstand im Westen Englands Kräfte an der Westfront überbean- und nach erneuten Angriffen der bolschewisti- sprucht wurden, bat Außenminister Balfour die schen Kräfte die Intervention politisch wie mili- USA, zur Entlastung eine Brigade nach Nord- tärisch kaum noch zu rechtfertigen war, sich rußland zu verlegen, was Präsident Wilson nach Disziplinarvergehen auch unter den Engländern einigem Zögern auch zugestand: Der Oberste zusehends häuften und Ernüchterung über den Kriegsrat beschloß am 3. Juni 1918 die Beset- Kampfwert und die Loyalität der russischen Frei- zung von Murmansk und Archangelsk gegen die willigen eingetreten war, wurde in Washington deutsche Expansion. Archangelsk an der Dwina, und in London zum Rückzug geblasen. Den An- der wichtigste russische Hafen für den alliierten fang machten die Amerikaner im Juni 1919, die Nachschub, wurde in der Folgezeit zur Dreh- Briten folgten Ende September 1919. scheibe der überhasteten Militärexpedition, die Und was war der Preis dieser — laut Rhodes — der britische Diplomat Lockhart später als »un- »diplomatischen und militärischen Tragikomö- believable folly« (S. 31) charakterisierte. die«? Zurück blieben 539 tote Engländer und Am 28. Juni 1918 wurden die Feindseligkeiten Amerikaner; die Zahl der auf beiden Seiten ge- zwischen den Alliierten und der Sowjetregierung fallenen Russen ist unbekannt. Der US-Konsul eröffnet, da der Verbleib der Engländer (und Felix Cole hatte richtig erkannt: »Intervention Franzosen) auf russischem Gebiet nach Inkraft- will begin on a small scale but with each step for- treten des Friedensvertrages für die neuen ward will grow in its demands for ships, men, Machthaber den casus belli darstellte. Mit der money, and materials. [. . .] If we intervene, handstreichartigen englischen Besetzung von Ar- going farther into Russia as we succeed, we shall changelsk (2. August 1918) war ein Brückenkopf be swallowed up.« (S. 124) gewonnen, von dem aus die Operationen — mit Ein nützliches und verdienstvolles Werk über ei- Unterstützung der am 4. September gelandeten ne vergessene Episode des Ersten Weltkrieges, 5700 Amerikaner unter G. Stewart — dem gelegentlich etwas der Blick für die großen nach Süden vorwärtsgetrieben werden konnten. Zusammenhänge fehlt. Rolf-Harald Wippich Den Oberbefehl über das Unternehmen hatten die Engländer (zunächst General Poole, dann General Ironside), deren Instruktionen lauteten, alle in Nordrußland landenden alliierten Trup- pen zu organisieren, Freiwillige unter den Rus- Hans Loewenfeld-Russ: Im Kampf gegen sen zu werben und Kontakt mit den Tschechen den Hunger. Aus den Erinnerungen des herzustellen. Die US-Truppen waren mit keinem Staatssekretärs für Volksernährung 1918— klaren Kampfauftrag versehen, da sie nach Prä- 1920. Hrsg. und bearbeitet von Isabella sident Wilsons Vorstellung eigentlich nur die Ackerl. München: Oldenbourg 1986. 380 Nachschubdepots bewachen sollten, was zu etli- S. (= Studien und Quellen zur österreichi- chen Mißverständnissen führte. schen Zeitgeschichte. Bd 6.) Schon bei den ersten unerwarteten Angriffen der Bolschewiki (Oktober/November 1918) mach- Der Zusammenhang von Hungerkrise und mili- ten sich der schlechte Ausbildungsstand der mul- tärischer Niederlage 1918 kennzeichnete das tinationalen Truppe, Kompetenz-, Organisa- Ende der Habsburgermonarchie. An kritischen tions· und Koordinationsprobleme sowie die Bestandsaufnahmen hat es in den 20er und 30er Rivalität der alliierten Offiziere untereinander Jahren nicht gefehlt, wenn es um die Suche nach deutlich bemerkbar. Völlig unvorbereitet auf ei- Schuldigen am Desaster des Kaiserreiches ging. nen Feldzug in Polarkreisnähe, unmotiviert und Hochrangige Offiziere der ehemaligen k. u. k. undiszipliniert, kam es zu ersten Fällen von Be- Armee attestierten hierbei der österreichischen fehlsverweigerung, denen der Oberkommandie- Verwaltung Inkompetenz, während sich die Be- rende, General Ironside, nur mit drakonischen amten ihrer Verantwortung mit der Beschuldi- Strafen beizukommen glaubte. Nahm Ironside gung Ungarns zu entziehen suchten: Ungari- englische Truppen auch nicht von der harten scher Lebensmittelboykott habe »General Hun- Kritik aus, so erhielten doch die Nordamerika- ger« erst geschaffen. Eine genaue Klärung der ner durchweg die schlechteste Beurteilung, in- ungemein komplizierten Zusammenhänge stellt sonderheit das 339. Infanterieregiment: »I have nicht das Thema der vorliegenden Memoiren never seen anything quite so bad as this Regi- dar, aber die Erinnerungen von Loewenfeld- Russ könnten viel zum Thema »Hunger als Waf- Es ist hier nicht der Ort, darüber zu befinden, in- fe« beitragen. wieweit diese enge personengeschichtliche Mit der Edition persönlicher Erinnerungen eines Selbstdarstellung zur Klärung struktureller Er- leitenden Fachmannes für die öffentliche Ernäh- nährungsdefizite in Osterreich beiträgt oder rung versucht die Wissenschaftliche Kommission nicht. Die knapp kommentierte und kaum kriti- zur Erforschung der Geschichte Österreichs un- sche Edition der Memoiren eines in der Tat be- ter I. Ackerl eine Erklärung für den prekären deutenden Ernährungspolitikers zwischen Mon- Start Deutschösterreichs 1918 zu finden. Die archie und Republik bildet zumindest einen Bau- Versorgungsprobleme der Monarchie interessie- stein zu einer künftigen Analyse des Verhältnis- ren allenfalls als Hintergrund einer krisenhaften ses von Krieg, Bevölkerung und Ernährung, fer- Szenerie. Loewenfeld-Russ gilt als Prototyp des ner unter logistischen Aspekten und schließlich untadeligen, über den Parteien stehenden öster- für das Faktum des Hungers als »Waffe« in den reichischen Beamten »alten Schlages«. Er paßt in Massenkriegen des modernen Europa. das Klischee, das vor allem von großdeutscher Ulrich Kluge Seite zwischen 1918 und 1938 geradezu kulti- viert worden ist. Die Sozialdemokraten bedien- ten sich bei ihrer Machtübernahme dieser Beam- tenschaft, so daß Loewenfeld-Russ, wirtschafts- Robert Conquest: Ernte des Todes. Stalins kundiger Fachmann im k. k. Amt für Volkser- Holocaust in der Ukraine 1929—1933. nährung, der Wechsel von der Monarchie zur München: Langen Müller 1988. 464 S. Republik auf Betreiben von Karl Renner mühe- los gelang. Im Gegensatz dazu verfügten die »Als der Schnee zu schmelzen begann, setzte deutschen Sozialdemokraten in den eigenen Rei- wirkliche Hungersnot ein. Menschen hatten ge- hen über genügend Fachleute für diesen heiklen schwollene Gesichter und Beine und Bäuche. Sie Politikbereich, als sie 1918 Emanuel Wurm zum fingen Mäuse, Ratten, Spatzen, Ameisen und (preußischen) Staatskommissar für Volksernäh- Regenwürmer. Sie mahlten Knochen zu Mehl rung ernannten. und machten dasselbe mit Leder und Schuhsoh- Als Ernährungsfachmann scheiterte Loewenfeld- len.« So erinnert sich der jüdische Schriftsteller Russ bereits 1920. Vergeblich hoffte er, in den Wassilij Grossmann an die lange tabuisierte kata- Staatsdienst zurückberufen zu werden. Als Ren- strophale Hungersnot in der Ukraine zu Beginn ner ihn 1945 wieder für Aufgaben der Volkser- der 30er Jahre, die jetzt im Mittelpunkt der nährung gewinnen wollte, lebte Loewenfeld- grundlegenden Studie Robert Conquests steht. Russ nicht mehr. Alles in allem eine tragische Der als Professor an der Stanford-Universität Geschichte auf der Grundlage autobiographi- lehrende Autor, der bereits durch ein Standard- scher Skizzen, die als Abrechnung mit den Feh- werk über die »Große Säuberung« und den staat- lern der Politiker konzipiert sind. In insgesamt lichen Terror in der Sowjetunion vor dem Zwei- acht Kapiteln aufgegliedert schildert der glück- ten Weltkrieg hervorgetreten ist1, verfolgt mit lose Beamte die Tücken der öffentlichen Ernäh- seiner 1986 schon in englischer Originalfassung rung. Wer nach den Ursachen der schwachen vorgelegten Untersuchung nicht nur ein historio- Fundierung der Demokratie in Deutschöster- graphisches Interesse. Die Ergebnisse des lang- reich 1918/19 fragt, wird auf den Feind Nr. 1, jährigen Forschungsprojektes des Ukrainian Re- den Massenhunger, stoßen. Loewenfeld-Russ search Institute der Harvard-Universität sollen sieht die österreichische Bevölkerung als Opfer auch »der Öffentlichkeit des Westens ein Wissen der Zerstörungen im Krieg und als Opfer unter- und ein Gefühl für größere Vorgänge vermitteln, lassener Hilfeleistungen auswärtiger Mächte. für Vorgänge, die Millionen Menschen betra- Der Mißerfolg seiner zahlreichen Bemühungen fen« und rund 14,5 Millionen Opfer forderten. um eine ausreichende Versorgung der städti- Anhand zahlloser zeitgenössischer Zeugnisse schen Bevölkerung trieb Loewenfeld-Russ in die analysiert Conquest anschaulich die Auswirkun- Resignation: »Für denjenigen, der, wie ich, in gen der forcierten Kollektivierung der Landwirt- leitender Stellung unter schwerster Verantwort- schaft und die bewußte Aushungerung der lichkeit alle die sich häufenden Schwierigkeiten Ukraine 1932/33, als Stalin mit der »Waffe des und Unsicherheiten sozusagen am eigenen Leibe Hungertodes« und des Terrors zugleich auch ge- zu spüren und gleichzeitig mit den Widerständen gen die einheimische Intelligenz und Kirche vor- im eigenen sowie fremden Lande zu kämpfen ging und damit in der Ukraine noch bestehende hatte, bedeutete diese Zeit ein — Martyrium.« Erwartungen auf ein national-kulturelles Eigen- (S. 326) leben zerschlug. Vor diesen für die sowjetische Geschichte zen- Kirche wurde vernichtet, die Intellektuellen wur- tralen Weichenstellungen an der Schwelle der den erschossen oder in die Arbeitslager depor- 30er Jahre blendet der Autor bis zur Aufhebung tiert. Anhand zahlloser, Betroffenheit auslösen- der Leibeigenschaft und den Stolypinschen der Dokumente zeichnet der Autor die Schrek- Agrarreformen des späten Zarenreiches zurück kensbilder dieses Völkermordes in der Ukraine und erinnert außerdem an die Nationalisierung nach und erinnert ferner an das Schicksal der des Bodens nach der bolschewistischen Macht- Kinder, die entweder Hungers starben oder ver- übernahme, die Bauernrevolten, den Bürger- elendet auf der Suche nach Nahrung durch das krieg und die erste, durch ausländische Hilfe ge- Land zogen. linderte Hungersnot an der Wolga. Während die gesteuerte zeitgenössische sowjeti- Nachdem die von Lenin als »Atempause« bewer- sche Presse weisungsgemäß den Deckmantel des tete »Neue Ökonomische Politik« zu einem all- Schweigens über diese Elendsszenen ausbreitete mählichen, aber nicht völlig reibungslosen Auf- oder von antisowjetischer Propaganda und Fäl- schwung geführt hatte, leitete Stalin angesichts schung sprach, wurden die damaligen, durch parteiinterner Fraktionskämpfe und Kontrover- Vorzensur kontrollierten westlichen Moskau- sen um die Wirtschaftspolitik mit der forcierten korrespondenten aus den Hungerregionen des 2 Kollektivierung der Landwirtschaft einen massi- Nordkaukasus und der Ukraine ausgesperrt . ven Umbruch der Agrarverfassung ein. Durch Durch ihre euphemistische Berichterstattung staatliche Kontrolle und Zwang wurden die als wurden einige wie der mit dem Pulitzer-Preis »reiche Ausbeuter großen Stils« diffamierten ausgezeichnete Repräsentant der »New York Ti- Großbauern oder Kulaken »zermalmt« und mes«, Walter Duranty, zu Komplizen des Regi- durch rücksichtslose Getreiderequisitionen die mes, und auch die amerikanische Administration Dorfstrukturen und die Mechanismen der freien betrachtete bei ihrer Anknüpfung diplomatischer Märkte zerstört. So forderte ein regionaler Beziehungen mit dem Sowjetstaat »Berichte über Amtsträger die Parteiaktivisten auf, die »bürger- die Terror-Hungersnot als nicht hilfreich«. liche Humanität aus dem Fenster zu werfen« und Mit seiner engagierten Erinnerung an die über den kulakischen Agenten niederzuschlagen: »Es 14 Millionen Opfer der Dekulakisierung und der ist Krieg — es gibt nur eins: wir oder sie!« ukrainischen Hungersnot hat Robert Conquest ein dunkles Kapitel der sowjetischen Geschichte Eindrucksvoll schildert Conquest die Welle der erhellt, das ein Präludium zum Terror der »Gro- Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Erschie- ßen Säuberung« war3. Wolfgang Müller ßungen und Deportationen, die die scheinbaren Großbauern auf einen endlosen Leidensweg an das Weiße Meer, nach Sibirien oder Kasachstan 1 R. Conquest: Am Anfang starb der Genösse Kirow. führten. Ebenso beleuchtet der Autor die Tragö- Säuberungen unter Stalin. Düsseldorf 1970. 2 die der Kasachen, den verschärften Konfronta- Vgl. dazu mit weiteren Literaturangaben W. Mül- ler: Aspekte der Rußlandberichterstattung 1924— tionskurs der Partei gegenüber den Kirchen und 1933. In: Österreichische Osthefte, Bd 27 (1985), die Zerstörung der Gotteshäsuer, die jetzt in Ki- S. 455-475. nos, Radiostationen, Getreidelager, Werkstätten 3 Nach Abschluß des Manuskripts erschien in Ge- oder antireligiöse Museen umgewandelt wurden. schichte und Gesellschaft, 14 (1988), S. 534-540, eine Miszelle S. Merls: Wie viele Opfer forderte die Während die Kollektivierung das Ende der frei- Liquidierung der Kulaken als Klasse?, die sich kri- en Bauernschaft besiegelte, wurde in der Ukraine tisch mit C.'s demographischen Analysen auseinan- ein »Stück des fruchtbarsten Landes der Welt in dersetzt und die Zahl von 6,5 Mill. Opfern der Ku- eine melancholische Wüste verwandelt«. lakenwirtschaft deutlich nach unten auf maximal Von der Moskauer Führung festgelegte, völlig il- 1 Mill, korrigiert. lusionäre Getreidelieferquoten lösten in der frü- heren Kornkammer des Zarenreiches eine ge- wollte, beispiellose Hungersnot aus. Eindeutig weist Conquest Stalin und seinen Mitarbeitern Die Weimarer Republik 1918 — 1933. Poli- die Verantwortung für diese bewußt herbeige- tik, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von führte und gesteuerte Katastrophe zu. Ihre Be- Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, fehle führten dazu, »daß die Hungersnot nicht Hans-Adolf Jacobsen. Düsseldorf: Droste gelindert wurde und auf bestimmte Regionen be- 1987. 688 S. (= Bonner Schriften zur Po- grenzt blieb«. Aber das Regime führte den litik und Zeitgeschichte. Bd 22.) Kampf nicht allein gegen die ukrainischen Bau- ern, sondern auch gegen die angebliche »natio- Nachdem Bracher, Funke und Jacobsen bereits nalistische Konterrevolution«: die Ukrainische 1983 einen Sammelband zur nationalsozialisti- sehen Diktatur herausgegeben haben, folgt nun Trotzdem bietet der Band aber genug Anschau- ein Band zur Weimarer Republik. Das Buch soll, ungsmaterial, um jene Fehler zu erkennen, die in so die Herausgeber, für den Benutzer ein Schar- der ersten deutschen Demokratie gemacht wur- nier sein zwischen den großen Untersuchungen den und die zum Teil ihr Scheitern mitverursach- der 50er und 60er Jahre sowie den neuen Dar- ten. Das Buch ist Bilanz und Einführung zu- stellungen von Stürmer, Schulze, Kolb und gleich und daher hervorragend für den politi- Schulz einerseits und der Fülle von Spezialstu- schen Bildungsbereich geeignet. dien und Artikeln anderseits. Hans-Paul Höpfoier Aufgeteilt in sechs Kapitel, werden zunächst der Zusammenbruch der Monarchie und die Entste- hung der Republik, die Weimarer Verfassung George Saunders on Germany. Correspon- und der Staatsaufbau beschrieben. Im zweiten, dence and Memoranda, introduced and innenpolitischen Kapitel werden die Kämpfe um ed. by Keith M. Wilson. Leeds: Leeds Phi- die innere Ordnung 1918—20 sowie die Zeit bis losophical and Literary Society 1987. V, 1930, sodann die Parteienlandschaft, die politi- 124 S. sche Haltung der deutschen Unternehmer, die Gewerkschaften, die Sozialpolitik und schließ- In diesem schmalen Band ist eine Reihe von Brie- lich die beiden großen Kirchen behandelt. In ei- fen und Memoranden zusammengestellt und nem außenpolitischen Teil geht es dann um die knapp kommentiert, die ein kenntnisreicher bri- internationalen Rahmenbedingungen 1918/19, tischer Journalist in den Krisenjahren der Wei- die Außenpolitik bis zum Versailler Vertrag, die marer Republik über Deutschland verfaßt hat. Außenpolitik von 1920—33, die Reparationspoli- George Saunders war zwanzig Jahre lang Berli- tik und das Verhältnis von Militär, Staat und Ge- ner Korrespondent zunächst der Morning Post, sellschaft. Im vierten Kapitel wird die geistige Si- dann der Times gewesen, bevor er 1908 für die tuation der Republik beleuchtet: die Kriegs- Times nach Paris ging. Während des Krieges als schulddiskussion, die Polarisierung zwischen Deutschlandexperte in das Political Intelligence Rechts- und Linksextremismus, die Rechtspolitik Department des Foreign Office berufen, kehrte und Rechtsprechung, die Literatur und die poli- er gerade rechtzeitig, wiederum als Korrespon- tische Kultur. Im Kapitel zur Auflösungsphase dent der Times, nach Deutschland zurück, um der Republik stehen der Aufstieg der NSDAP, Zeuge des Kapp-Lüttwitz-Putsches zu werden. das Wählerverhalten nach 1928 und die Zerstö- Seine Briefe an J. W. Headlam-Morley, der da- rung des Parlamentarismus im Mittelpunkt. Im mals als Mitglied der britischen Delegation an letzten Teil folgen schließlich noch vier allgemei- den Friedensverhandlungen in Paris teilnahm, nere Beiträge: der Faktor Preußen, die Kontinui- und einige in seiner amtlichen Tätigkeit im For- tät politischer Denkhaltungen von der späten eign Office verfaßte Denkschriften bilden den Weimarer Republik zur Bundesrepublik, die Re- ersten Teil der vorliegenden Edition, Briefwech- publik von Weimar in der zeitgeschichtlichen sel mit H. Wickham Steed, dem Herausgeber der Perspektive der Bundesrepublik und ein Beitrag Times, und einige für dieses Blatt geschriebene zum Scheitern der Republik. Am Schluß des Artikel den zweiten. Bandes folgen ein statistischer Anhang, eine Saunders erweist sich in diesen Schriften als gut- Zeittafel und ein ausführliches, nach Sachgrup- informierter und scharfsichtiger Journalist, dem pen unterteiltes Literaturverzeichnis. die Sympathie für Deutschland, dem er durch Hervorzuheben an diesem neuen Band zur Wei- seine Frau eng verbunden war, nicht den Blick marer Republik ist zunächst einmal die Tatsache, verstellte für dessen politischen und sozialen Defi- daß die meisten Beiträge Originalaufsätze aner- zite. Er war aber zugleich klug und unabhängig kannter Historiker sind, die den Forschungs- genug, um die Belastungen zu erkennen und aus- stand zuverlässig darstellen. Etwas zu kurz kom- zusprechen, denen das Experiment der Demo- men allenfalls die wirtschaftspolitischen Aspekte. kratie in Deutschland durch die Friedensrege- Durch die Vielzahl der Aufsätze ist es dem Leser lung ausgesetzt war. Grundlage für eine Verbes- möglich, sich auch ohne große Vorkenntnisse ei- serung der außenpolitischen Situation schien ihm nem Teilbereich der Geschichte der Weimarer freilich nicht allein die eine oder andere Konzes- Republik zu nähern. Die Beiträge im letzten Ka- sion an Deutschland, sondern ein »change at pitel vermitteln zudem die Beziehung zur Ge- heart« (S. 21), die Uberwindung einer Mentalität, genwart, die immer wieder, und mit mehr und die er vor allem in Frankreich verkörpert fand: mehr Berechtigung, unter dem Schlagwort »There are imponderabilia which in a crisis of the »Bonn ist nicht Weimar« zusammengefaßt wird. world's history like this make it important that the brains which shape the world's future should be höherer Truppenoffiziere, die in verantwortli- what we, very roughly, call Christian.« (S. 27) cher Position an der Entwicklung und Umset- Die Quelle erhellt somit ein wenig von der Ge- zung taktisch-operativer Einsatzgrundsätze be- dankenwelt, in der die britische Diplomatie des teiligt waren. Vornehmlich am Beispiel Burnett- Ersten Weltkriegs ihre Orientierung suchte. Die Stuarts befaßt er sich mit ihren Schwierigkeiten, Edition begnügt sich mit einem Minimum her- Mechanisierungskonzeptionen vor dem Hinter- ausgeberischer Tätigkeit. Der nicht identifizierte grund begrenzter finanzieller Ressourcen, einer »Meichlon« (S. 20) könnte Wilhelm Muehlon wachsenden pazifistischen Grundstimmung in sein, der auch an anderer Stelle der Texte begeg- der britischen Öffentlichkeit und der traditionel- net. Heinz Hürten len Aufgabenteilung zwischen dem continental commitment und der imperialen Militärpolitik durchzusetzen. Zusätzlich erschwert wurde die Aufgabe der Truppenoffiziere durch das weitge- hende Desinteresse des Kriegsministeriums und Harold Winton :To Change an Army. Ge- durch die stockkonservative Einstellung vieler neral Sir John Burnett-Stuart and British Kavallerieoffiziere, deren Waffengattung in die Armoured Doctrine, 1927—1938. London Experimente mit mechanisierten Einheiten ein- usw.: Brassey's Defence Publishers 1988. bezogen wurde. XVIII, 284 S. (= Modern War Studies.) Wie gering der strukturelle Spielraum für eine grundlegende Reform war, zeigt Winton anhand Die Einführung von Kampfpanzern und motori- der Schwierigkeiten, mit denen sich Burnett- sierten Selbstfahrlafetten gehörte in der Zwi- Stuart während seiner verschiedenen Verwen- schenkriegszeit zu den zentralen Problemen der dungen konfrontiert sah: 1927/28 als Komman- Landstreitkräfte. Auf der taktisch-operativen deur der 3. Division, die die ersten Truppenver- Ebene ging es dabei um die Frage, inwieweit es suche mit geschlossenen Panzerverbänden auf dem Militär gelang, Grundsätze für den Einsatz der Salisbury Plain durchführte; nach 1931 als geschlossener Verbände zu entwickeln und sie in Oberbefehlshaber in Ägypten, wo unter extre- der Truppenpraxis durchzusetzen. men Bedingungen die ersten Versuche mit me- Harold Winton, der als stellvertretender Direk- chanisierten Einheiten in der Wüste abgehalten tor an der School of Advanced Military Studies wurden; und nach 1934 als Chef des Southern in Fort Leavenworth/Kansas arbeitet, untersucht Command in England, wo er für die Formulie- dieses Problem am Beispiel des kleinen britischen rung von Einsatzgrundsätzen für die Mobile Di- Berufsheeres. Im Mittelpunkt seines Interesses vision Verantwortung trug. steht General Sir John Burnett-Stuart (Jahrgang Fast alle Arbeiten kamen einem prekären Balan- 1875), der als hoher Truppenoffizier maßgeblich ceakt gleich. Beharrlichkeit, Augenmaß und an der Entwicklung von Konzeptionen für den Pragmatismus waren gefragt, um wenigstens ein Einsatz mechanisierter Verbände beteiligt war. Mindestmaß an Vorstellungen gegen die massi- Im Unterschied zur deutschen Wehrmacht in ven Widerstände anderer Waffengattungen, des den späten dreißiger Jahren kam das britische Kriegsministeriums und Kabinetts durchzuset- Heer auf diesem Gebiet nur mühsam voran. Der zen. Winton zufolge besaß Burnett-Stuart diese entschiedenste Protagonist der Tankwaffe, Cap- Eigenschaften. Gemessen an den Vorstellungen tain Β. Η. Liddell Hart, nahm dies nach dem von Liddell Hart und Fuller und den Anforde- Zweiten Weltkrieg zum Anlaß, um den verant- rungen, die 1940/41 an die britischen Streitkräf- wortlichen Troupiers mangelnde Aufgeschlos- te gestellt wurden, war die bescheidene Reform, senheit gegenüber der mechanisierten Kriegfüh- die mit der Aufstellung der Mobile Division ihren rung vorzuwerfen. Der Vorwurf wog umso Höhepunkt fand, natürlich unzulänglich. Der schwerer, da es die britischen Streitkräfte wäh- britischen Panzertruppe fehlte ein operatives Ge- rend des Ersten Weltkriegs besser als andere Ar- samtkonzept, das ihr eine klar umrissene Aufga- meen verstanden hatten, den Tank als Infante- be im Rahmen des Heeres zuwies. Die Ursache riebegleitwaffe zu nutzen für dieses Versäumnis sieht Winton aber nicht in Winton entwirft ein differenzierteres Bild. Als der von Liddell Hart unterstellten mangelnden Beurteilungsmaßstab dienen ihm nicht die Ent- Aufgeschlossenheit gegenüber der mechanisier- würfe einer Handvoll von Visionären aus der ten Kriegführung, sondern vielmehr in den Zwischenkriegszeit, zu denen neben Liddell strukturellen Bedingungen, unter denen Burnett- Hart vor allem -General J. F. C. Fuller ge- Stuart und andere verantwortliche Truppenoffi- hörte. Ihn interessieren die Handlungsmuster ziere zu arbeiten hatten. Wintons Studie, die auf einer breiten Grundlage allerdings nicht rassistisch argumentierenden erstmals ausgewerteter Quellen geschrieben Darwinismus erwächst daraus seine Haltung ei- worden ist, leistet einen wichtigen Beitrag zum ner heroischen Akzeptanz des Untergangs, die Verständnis der wirklichen Arbeitsweisen des »bereit machen wollte zum Vollzug des Unver- britischen Heeres in der Zwischenkriegszeit. meidlichen« (S. 86). Dies korrespondierte mit Stephan Boehnke dem Lebensgefühl in Teilen eines durch Nieder- lage und Revolution verunsicherten Bürgertums, 1 Β. H. Liddell Hart: The Tanks. The History of the allen voran mit dem jener Frontkämpfergenera- Royal Tank Regiment and Its Predecessors Heavy tion aus Prinzip und ihrem militanten Nihilis- Branch Machine-Gun Corps, Tank Corps and mus. Dabei führte ihn seine aus Angst und Ab- Royal Tank Corps, 1914—1945. 2 vols. London scheu gleichermaßen gespeiste Ablehnung der 1959. »Massenherrschaft« an die Seite der ultrakonser- vativen Gegenrevolutionäre, die sich schon in den 20er Jahren einem »neuen Caesarismus« (S. 213) öffneten. Das eigene elitäre Gesell- Detlef Felken: Oswald Spengler. Konser- schaftsmodell sperrte sich zwar gegen ein volles vativer Denker zwischen Kaiserreich und Aufgehen im Nationalsozialismus, dieser »Orga- Diktatur. München: Beck 1988. 304 S. nisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheu- en« (S. 227). Gerade seine rhetorischen Grenz- überschreitungen ließen ihn indes mitwirken am An Teil- und Gesamtansichten Oswald Speng- Niederreißen von Dämmen, die den verhaßten lers (1880—1936), jenes »Schlagwortgebers« ei- Mehrparteien — vom nicht weniger verabscheu- ner konservativ-autoritären Gegenwelle gegen ten Einparteienstaat geschützt hatten. Der »neue die Moderne, verstanden als Angriff auf das Caesar« Hitler aber, der als Retter vor dem Ab- eigene, elitär-aristokratische Gesellschaftsbild, grund auftrat, brauchte den an seiner Bewegung herrscht inzwischen wahrlich kein Mangel mehr. herumnörgelnden Propheten des Untergangs Und dennoch schiebt man den ersten Reflex des nicht mehr. So widerfuhr Spengler denn das dejä vu bei der Lektüre dieser Bonner Disserta- Schicksal vieler enttäuschter Rechtskonservati- tion rasch beiseite. Das liegt nicht zuletzt daran, ver nach 1933, die in elitärer Selbstüberschät- daß ihr Autor eine sehr stilsichere Feder führt. zung geglaubt hatten, mit einem geschickt aus- Entscheidender ist aber, daß ihm der Versuch gewählten Manipulator die Massen zuerst ge- gelingt, über die Biographie des Kulturphiloso- genrevolutionär mobilisieren und dann restaura- phen und politischen Publizisten »ein Stück tiv bändigen zu können. Bruno Thoß Bewußtseinsgeschichte« (S. 9) für die Zwi- schenphase zwischen Hohenzollernmonarchie und NS-Diktatur nachzuzeichnen. Persönliche Voraussetzungen, geistige Einflüsse und poli- tisch-gesellschaftliche Zeitströmungen werden dazu bis in Spenglers Hauptwerke »Untergang des Abendlandes«, »Preußentum und Sozialis- mus« und »Jahre der Entscheidung« hinein mit- Ernst Günther Schenck: Patient Hitler. Ei- einander verrechnet. Eigene Uberwältigungs- ne medizinische Biographie. Düsseldorf: ängste vor einer als »Pöbelherrschaft« diffamier- Droste 1989.587 S. ten partizipatorischen Gesellschaft mit ihren Ausprägungen von Industriekultur und Parteien- Because of the significant role which Adolf Hit- demokratie lassen ihn dabei eine polemisch zu- ler personally played in the modern history of packende Sprache finden, die seine Bücher in ei- Germany and the world, there has been a great ner Zeit mehrfacher Umbrüche zu Bestsellern and largely justified interest in him as an individ- machen, da sie einem dafür disponierten Publi- ual. This interest includes attention to his health kum Zeiterklärung und argumentatives Waffen- and the problems affecting it, especially the con- arsenal in einem liefern. troversies over the state of his mental health, the Spengler schließt mit seiner Lehre periodisch- nature and effects of the treatment he received zyklisch auf- und absteigender Kulturkreise an from his personal physician, Dr. Theo Morell, eine üppig sprießende Kultur- und Zivilisations- and the nature of the tremors from which Hitler kritik aus der zweiten Hälfte des ^.Jahrhun- visibly suffered in the latter years of his life. The derts an. Angereichert mit Elementen aus der existing literature on the subject contains much zeitgenössischen Lebensphilosophie und einem of interest but suffers in some instances from far- fetched psychological speculation and in others the Jewish laborers who had been murdered after from a failure to take account of some of the im- working on the complex. Gerhard L. Weinberg portant evidence, such as Hitler's belief in early May, 1938, that he had throat cancer and the 1 Guides to German Records Microfilmed at Alexan- subsequent surgery which proved otherwise. dria, Va., No. 9: Records of Private German Indi- viduals. Washington, D. C. 1959, pp. 6-12. The bulk of the files of Dr. Morell was micro- 2 I am grateful to Prof. Michael Kater of York filmed in the 1950's, and a Guide to that film, University for providing me with some documents which I prepared, was published and distributed of Schenck's role in SS medical experiments. to research libraries in 19591. A small but impor- 3 Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfrag- tant addition to the record and the microfilm of mente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945. Hrsg. von Η. Heiber. Stuttgart 1962 it was made much later when additional material, (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. earlier separated from the Morell papers, was re- Bd 10.), p. 609. incorporated into the collection. From time to 4 G. L. Weinberg: Supplement to the Guide to Cap- time, the Morell papers are hailed as a great dis- tured German Documents. Washington, D. C. covery so that still another author can write a 1959, p. 8. book with »new« material on Hitler. This time it is a former high-ranking SS officer who has tried his hand at a medical biography. Himself a physician, who saw Hitler briefly at the end of the latter's life, Schenck reviews, col- Rolf Johannesson: Offizier in kritischer lects, and discusses all sorts of reliable and unre- Zeit. Hrsg. vom Deutschen Marine Insti- liable information about Hitler's health as well as tut mit Unterstützung des Militärge- the actions and diagnoses of the doctors who schichtlichen Forschungsamtes. Herford, treated him and the theories of other authors. Bonn: Mittler 1989. 154 S. Since Schenck himself was involved in experi- ments concerning nutrition and malnutrition in In seinen Erinnerungen berichtet der Autor — im concentration camps while Ernährungsinspekteur Stil manchmal anekdotenhaft — über Situationen der Waffen-SS, his comments on Hitler's diet und Personen aus seinem Berufsleben, die ihm may be of some value2. bedeutsam scheinen. Readers will also find Schenck's discussion of Die Kindheit steht unter dem äußerlichen Glanz Morell and the Hitler-Morell relationship of in- des Kaiserreiches und der Flottenbegeisterung terest. The thesis that Hitler's preference for Tirpitzscher Prägung; der junge Seekadett erlebt someone who would provide quick and simple als Augenzeuge die Matrosenmeuterei von 1918 medicinal remedies for his complaints fitted ex- an Bord des Linienschiffes Schlesien. Eine Welt tremely well with Morell's belief that health stürzt für ihn ein. Nach Studium, Banklehre und depended on the balance of various types of bac- freiwilligem Einsatz im Baltikum setzt J. in der teria in the intestines, a balance subject to simple Reichsmarine seine Ausbildung zum Seeoffizier and continuous medicinal dosages, makes sense. fort. Früh schon beschäftigt er sich aus Neigung On the whole, however, the underlying source mit Geschichte. Außerdem fällt er als Seekadett basis for this book and the interpretations it of- auf, der Goethe liest. Sein Bildungsanspruch ist fers is much too haphazard to sustain any claim sehr hoch, und ebenso sind es seine Anforderun- for comprehensiveness. A few examples may il- gen an Charakter und Können. Er ist kein be- quemer Untergebener und auch kein leichter lustrate the point. The 1938 vocal cord surgery is Vorgesetzter. missing here as in other books. In the discussion of Hitler's tremor (p. 431), one misses reference Auf seinem »Wanderleben durch Flotte und Stä- to Hitler's own discussion of the matter in the sit- be« 1924 bis 1932 beweist er sein seemännisches uation conference of Juli 31, 1944, published in Können, wird Taktik seine Leidenschaft, be- 19623. The assertion that Heinz Linge's record währt er sich als Adjutant, zuletzt beim Stations- of Hitler's appointments before November 1944 chef in Kiel, Admiral Hansen, auch in »höheren appears to be lost (p. 508) is contradicted by a Regionen«, und schärft sein Urteilsvermögen. listing of surviving segments of the Linge record Die Machtübernahme Hitlers erlebt J. als published in 19594. Perhaps Schenck should T-Bootskommandant. Er steht ihr zunächst bis have stuck with reminiscences of idyllic moments zur Röhm-Affäre positiv gegenüber; dann wird in Hitler's headquarters in the Ukraine er zum überzeugten Gegner des Nationalsozia- (pp. 117 ff.), where the author, unlike others, did lismus. Respekt vor der Würde und Freiheit des not notice the odor of the decaying corpses of Menschen zeichnen den Patrioten und Idealisten J. aus und, daraus folgend, Zivilcourage, Mut seine Besatzungen nicht zum Fanatismus für zur Kritik und schonungslose Selbstkritik. Im Hitler erziehe. Die politische Einstellung des Of- Reichswehrministerium begegnet er Oster und fiziers habe Vorrang vor militärischen Leistun- untersteht Canaris, Schlüsselfiguren des Wider- gen. J. wird in die Heimat abgeschoben als See- standes. Oster spricht offen über das »verbreche- kommandant Elbe-Weser. rische« Regime. Bei Canaris wegen abfälliger Be- Der totale Zusammenbruch ist nach J. die vor- merkungen über den NS-Staat denunziert, wird aussehbare Folge des Verhaltens der militäri- J. von diesem mit der Entlassung aus der Wehr- schen Führer, die dem Kriegswillen Hitlers nicht macht gedroht. Heute glaubt J. an eine Verstel- energisch genug entgegentreten. Wie durften sie lung, wundert sich aber, daß Oster oder andere blind, taub und stumm ausschließlich ihre tech- Widerständler nicht an ihn herantraten. Gleich- nisch-militärische Rolle spielen? wohl läßt ihn die Frage nicht los, warum er nach Nach dem verlorenen Krieg, den er von Anfang der »Reichskristallnacht« nicht seinen Abschied an für das Ende Deutschlands hielt, arbeitet J. in genommen hat; seine Frau war bereit, alle Fol- der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er ist gen mitzutragen. Er bleibt im Dienst. Später fin- gern bereit, seine Erfahrungen aus dem Zweiten det J. für sein Bleiben Trost und Erleichterung im Weltkrieg und der Zeit danach als Befehlshaber rührenden Dank der Frauen seiner Besatzungen, der Flotte zum Aufbau der Bundesmarine ein- denen er die Männer als erfolgreicher, draufgän- bringen und die Offiziere nach seinen Vorstel- gerischer, aber verantwortungsbewußter Zerstö- lungen erziehen zu können. Seine Vorbilder rerkommandant in Nordsee, Ärmelkanal und sieht er in den preußischen Reformern Scharn- Mittelmeer erhalten hat. Sein Ritterkreuz erhält horst, Gneisenau, Clausewitz und in den Admi- er für die beispielhafte Führung des Zerstörers ralen de Ruyter und Nelson (daher sein Spitzna- Hermes im Mittelmeer. Bei 44 Geleiten und Son- me: Johann Nelson), aber auch in der Antike bei deraufgaben von Mai bis Dezember 1942 verliert Perikles. er kein einziges Schiff. Das Vertrauen und die Im Frieden begegnet der Offizier dem Krieg nur Anhänglichkeit seiner Besatzungen hält er mit in der Geschichte. So führte J. die jährlichen Hi- für das Beste, was ihm in seiner Marinezeit zuteil storisch-Taktischen Tagungen der Flotte ein, ein wurde. Forum, das die Marineoffiziere dazu anhalten Aus der Fülle seiner Begegnungen ragen die Ad- soll, sich ständig mit Geschichte zu befassen, um mirale Gladisch und Boehm hervor. Beide sind politische und strategische Probleme der Zu- beliebt; die Flotte wünscht Gladisch als Nachfol- kunft verstehen zu können. J. bekennt sich zu ger Raeders, Boehm wird unverständlicherweise den Grundsätzen der Inneren Führung und des im Oktober 1939 abgelöst. Ganz anders beurteilt Staatsbürgers in Uniform, und auf Grund seines J. die beiden Oberbefehlshaber der Kriegsmari- Menschenbildes fühlt er sich den Offizieren des ne. Raeder hat wenig auf See geführt, dafür aber Widerstandes verbunden. pausenlos seine Flottenchefs abgelöst, insgesamt Der Rezensent möchte erinnern: Die preußi- sieben verbraucht, statt einen einzigen in acht schen Reformer haben einst der Geschichte und Jahren aufzubauen. Er vertritt den Primat von Mathematik den Vorrang zur Schulung im Den- Landdienststellen gegenüber den Befehlshabern ken und Handeln eingeräumt. Aber der univer- in See; mit dem Hang zur Befehlstaktik und der sale Bildungsgedanke war schnell verflacht; 100 Erziehung zum unkritischen Gehorsam unter- Jahre später war die Virtuosität im Professionel- drückt er Entscheidungsfreudigkeit und eigen- len wichtig, und staatspolitische, wirtschaftliche ständiges Denken. Darauf ist am Ende auch das und technische Fragen standen weit hinter der Verhalten von Lütjens nach der Beschädigung Schulung in taktischer und gelegentlich operati- von Bismarck und das Schicksal von Scharnhorst ver Befehlstechnik zurück. Die tragischen Fol- zurückzuführen, von dem J. aus der Sicht des be- gen traten klar im Ersten und Zweiten Weltkrieg teiligten Chefs der 4. Z-Flottille berichtet. So zutage. fehlt in der Marine jede Voraussetzung für einen Konteradmiral Johannesson hat das sehr früh er- Widerstand gegen das verbrecherische Regime. kannt und in seinen Erinnerungen wie vorher als Den Befehlshaber der U-Boote, Dönitz, hat J. in Flottenchef 1957—1961 Zeichen gesetzt. sympathischer Erinnerung, die fanatische Bin- Hubert Jeschke dung des späteren Oberbefehlshabers an Hitler, die sich in seinen Befehlen und Ansprachen äu- ßert, stößt ihn ab. Wegen seiner Kritik an Himmler im November 1944 zum Rapport be- stellt, wird ihm von Dönitz vorgehalten, daß er Friedrich-Carl Rabe von Pappenheim: Er- ten vor und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. innerungen des Soldaten und Diploma- Mit besonderem Interesse kann verfolgt werden, ten, 1914- 1955. Osnabrück: Biblio 1987. wie der deutsche Militärattache in Belgien und 312 S. (= Soldatenschicksale des 20. Jahr- Holland versuchte, ein einigermaßen gutes Ver- hunderts als Geschichtsquelle. Bd 8.) hältnis zu seinen Gastländern zu erzielen, was in Anbetracht der historischen Belastungen und der Mit den Memoiren von Friedrich-Carl Rabe von aggressiven Außenpolitik Hitlers eminent Pappenheim liegt ein zwar sehr persönlicher, schwierig war. Zwiespältig wurde seine Stellung, aber dennoch interessanter Uberblick über mehr als er gezwungen war, die nachrichtendienstliche als vier Jahrzehnte deutscher Militärgeschichte Vorbereitung eines Angriffs auf seine Gastländer vor. Rabe von Pappenheim trat zu Beginn des durchzuführen. Ersten Weltkrieges als Fahnenjunker in ein Kü- Diese in den Jahren 1969 bis 1971 vornehmlich rassier· Regiment ein. Er bewährte sich als Führer aus dem Gedächtnis geschriebenen Memoiren von Reiterpatrouillen und berittenen MG-Zü- sind besonders für den Zeitraum, in dem Gene- gen. Als Leutnant fand er zu Ende des Krieges ralleutnant Rabe von Pappenheim im Bereich des noch Verwendung als Kompanieführer und Or- Militärattachedienstes Verwendung fand, in donnanzoffizier in Truppenstäben. In seiner mi- Hinblick auf den militärpolitischen und militär- litärischen Karriere bei Reichswehr und Wehr- diplomatischen Komplex vor und während des macht wechselten die Verwendungen in Stäben Zweiten Weltkrieges für den Fachwissenschaft- mit denjenigen als Eskadronschef und Regi- ler, aber auch für den an der Zeitgeschichte In- mentskommandeur ab. Im Zweiten Weltkrieg teressierten höchst aufschlußreich und lesens- kommandierte er seit Dezember 1943 die 97. Jä- wert. Klaus Schönherr ger-Division sowie ab April 1945 die 145. Infan- terie-Division, mit der er in der Tschechoslowa- kei in amerikanische Kriegsgefangenschaft ge- riet. Die Amerikaner lieferten ihn an die Sowjets aus, so daß er zehn Jahre in russischer Gefangen- Claudio G. Segre: Italo Balbo. A Fascist schaft verblieb. Life. Berkeley, Los Angeles: University of Nicht etwa der ständige Wechsel zwischen California Press 1987. XVI, 466 S. Truppen- und Stabstätigkeit war das Besondere an der Laufbahn des Generalleutnants Rabe von Mit großem Einfühlungsvermögen in die Person Pappenheim, zumal diese sich kaum von derjeni- von Italo Balbo (1869—1940) ging der Professor gen anderer hoher Offiziere der Wehrmacht un- für Geschichte an der Universität von Texas in terschied. Was seine Karriere bemerkenswert Austin, Claudio G. Segre, an dessen Biographie. machte, waren die Unterbrechungen der norma- Die sichtlich faszinierende Persönlichkeit dieses len militärischen Laufbahn durch Verwendun- Mannes, der so viel zur Begründung und Festi- gen im militärdiplomatischen Dienst. Zuerst von gung der faschistischen Herrschaft in Italien bei- 1933 bis 1937 eingesetzt in der Attachegruppe trug, wird ungemein lebendig beschrieben. Von beim Generalstab des Heeres im Reichskriegsmi- den Ideen eines Giuseppe Mazzini beeinflußt, nisterium, entsandte die Wehrmacht Rabe von dem er auch seine Dissertation über das ökono- Pappenheim 1937 als ersten Militärattache für mische und soziale Denken Giuseppe Mazzinis Belgien und die Niederlande, die bis dato von widmete, war Balbo ein Gegner des Sozialismus London aus mitbetreut worden waren, an die und Kommunismus und fand sehr bald den Weg deutsche Botschaft in Brüssel. Auf diesem Posten zu den Schwarzhemden, zu Mussolini. Durch verblieb er bis zum Beginn des deutschen Angrif- seine politischen Vorarbeiten machte Balbo ei- fes im Mai 1940. Noch einmal erhielt er eine gentlich erst den »Marsch auf Rom« im Oktober ähnliche Verwendung, als er 1941 für zwei Jahre 1922 möglich. Militärattache und »Deutscher General in Un- Sein stärkstes Interesse aber galt sein ganzes Le- garn« mit Sitz in Budapest wurde. ben lang der Luftfahrt. Schon im Ersten Welt- Der für den Militärhistoriker interessanteste Teil krieg begeisterter Soldat, war seine Vorliebe für der Memoiren des Generalleutnants Rabe von die Militärluftfahrt ein sehr wesentlicher Punkt. Pappenheim sind diejenigen Passagen, in denen Seine Atlantiküberquerungen und seine politi- er seine Tätigkeit im Generalstab des Heeres und schen Amter, zuletzt als Luftmarschall, bilden seine Militärattachezeit in Brüssel schildert. Ge- den Mittelteil des gut lesbaren Werkes. Schon rade der Brüsseler Zeitraum enthält viele Auf- bald stand Balbo dem Duce jedoch kritisch ge- schlüsse über die außenpolitischen Gegebenhei- genüber, verlor das Interesse an der Politik und erkannte (vor allem nach der Annäherung an schreiber nach der »Machtübernahme« entwik- Deutschland) den falschen Weg des faschisti- keln wird, zumal Äußerungen aus dem Jahr 1932 schen Italien. 1933 wurde der neben Mussolini erkennen lassen, daß das von den Nationalsozia- wohl populärste Mann als Generalgouverneur listen propagierte Bündnis zwischen den »Arbei- nach Libyen abgeschoben. Ciano, einer seiner tern der Stirn und der Faust« bei ihnen auf positi- größten Gegner, konnte 1937 nicht wissen, daß ve Resonanz stößt. Doch zeigt sich sehr bald — Balbo recht behalten sollte, als er dessen Mei- für Schumann gilt dies bereits in den ersten Mo- nung in sein Tagebuch eintrug: »He says that he naten des Jahres 1933, für Havenstein in dieser doesn't trust the Germans. That one day they Deutlichkeit erst später —, daß beide der NS- will let us down. That they may well turn against Ideologie prinzipiell ablehnend gegenüberste- us«. (S. 345) hen. 1940 stürzte Balbos Flugzeug unter bis heute Die durchgehenden Themen dieses Briefwech- nicht geklärten Umständen bei Tobruk ab: Sabo- sels sind neben den gemeinsamen pädagogischen tage, Selbstmord, Liquidierung auf Befehl Mus- und literarischen Interessen die Verhältnisse an solinis, oder wollte Balbo zum Feind übergehen? den Schulen, die allgemeine Situation der Ju- Auch Segres minuziös recherchierte Arbeit — so gend, das Verhalten des Bürgertums unter der betrieb er »oral history« mit Familienmitgliedern nationalsozialistischen Herrschaft (vor allem und Freunden — kann hier keine Klarheit schaf- unter dem Aspekt der Mitläufer und Mitmacher) fen. — Ein sehr interessantes Buch, dem die bal- und nicht zuletzt die »legale Korruption«, die dige Übersetzung ins Deutsche zu wünschen wä- den Alltag des Regimes bestimmt. re! Lorenz Mikoletzky Eine deutlich stärkere Politisierung des Gedan- kenaustausches erfolgt mit dem Beginn des Krie- ges. Bereits gegen Ende des Jahres 1940 erörtert Schumann offen die Möglichkeit einer Niederla- ge Deutschlands, eine Annahme, die in der fol- genden Zeit mehr und mehr zur Gewißheit wird, Deutsche Bildungf Briefwechsel zweier wobei für ihn allerdings feststeht, daß der Krieg Schulmänner, Otto Schumann — Martin erst dann zu Ende sein wird, wenn Hitler besei- Havenstein, 1930—1944. Hrsg. von Not- tigt worden ist. In diesem Zusammenhang wer- ker Hammerstein. Frankfurt am Main: den von den Briefpartnern auch Überlegungen Insel-Verlag 1988. 367 S. über ein eventuelles Eingreifen des Militärs an- gestellt, doch stimmen beide in ihrer Kritik an Der Briefwechsel zwischen den Gymnasialleh- dem Offizierkorps überein, dessen Unfähigkeit, rern Schumann (1888—1950) und Havenstein politisch zu entscheiden und dementsprechend (1871—1945), von denen Schumann darüber zu handeln, zumindest seit der Fritsch-Krise für hinaus Mittellateinische Philologie an der Uni- sie offen zutage getreten ist. versität Frankfurt/M. lehrte, bietet nach den Im weiteren Verlauf des Krieges setzen sich die Worten des Herausgebers einen unmittelbaren beiden Männer auch immer wieder mit dem The- Zugang zu den Anschauungen und Verhaltens- ma »Schuld« auseinander. Und zu Beginn des weisen des deutschen Bildungsbürgertums wäh- Jahres 1943 findet sich bei Schumann der Satz: rend der NS-Zeit. Von den hier abgedruckten »Was da geschehen ist und noch geschieht, nicht Briefen entfallen 17 auf die Zeit zwischen 1930 nur an den Juden, sondern auch an anderen Völ- und 1933 und 79 auf die Jahre der Diktatur (al- kern im Osten, wird uns teuer zu stehen kom- lerdings ist die Überlieferung zwischen 1937 und men, und es bedeckt den deutschen Namen mit 1939 unvollständig); ein Brief Schumanns an ei- einer Schmach, die die Jahrtausende nicht abwa- nen ehemaligen Schüler datiert aus der unmittel- schen werden.« (S. 182) baren Nachkriegszeit. Insgesamt stellen diese Briefe eine aufschlußrei- Vor 1933 dreht sich die Korrespondenz vor al- che Quelle für die Mentalität des gebildeten Bür- lem um Fragen der Reformpädagogik, deren gertums in dieser Zeit dar — ob sie typisch sind, Prämissen teilweise einer grundsätzlichen Kritik erscheint allerdings zweifelhaft; denn gemessen unterzogen werden. Daneben enthalten die Brie- an der großen Zahl derjenigen, die — »sei es aus fe — ausgehend von einem Konflikt Havensteins Idealismus und ehrlicher Dummheit, sei es aus an dessen Schule — aufschlußreiche Hinweise Bequemlichkeit, Mitläufertum, Opportunismus, über den in Teilen des Bildungsbürgertums ver- Erfolgsanbeterei, sei es aus Schwäche, Feigheit, breiteten Antisemitismus. Der Leser ist von daher Angst, sei es aus gemeinem Strebertum« (S. 262) sehr gespannt, wie sich die Position der Brief- — sich dem System als Helfershelfer und Hen- kersknechte zur Verfügung stellten, waren Schu- gions-)soziologischen Voraussetzungen für eine mann und Havenstein eher die Ausnahme. solche Form des Widerstands gegeben sein muß- Der Herausgeber hat diesen Zeugnissen neben ten, wobei die neueste Widerstandsliteratur rezi- den notwendigen Texterläuterungen ein instruk- piert ist. Andere Autoren untersuchen die Bedeu- tives Nachwort beigefügt, das über die Zeitum- tung der Cloppenburger Ereignisse für die späte- stände aufklärt und eine Einordnung des in den re Stellung des zuständigen Ortsbischofs, des Bi- Briefen dargestellten und kommentierten Ge- schofs von Münster, Clemens August Graf v. Ga- schehens wesentlich erleichtert. H. St. len, oder befassen sich mit der Wirkungsge- schichte dieser Ereignisse in anderen Teilen des Reiches. In allen Beiträgen wird die Absicht spürbar, zu einem nüchtern abgewogenen Urteil zu kommen. Zur Sache — Das Kreuz!Untersuchungen Der abschließende Dokumentationsteil belegt, zur Geschichte des Konflikts um Kreuz wie umfassend das Autorenteam recherchiert und Lutherbild in den Schulen Olden- hat: von den Pfarrarchiven und Privatnachlässen burgs, zur Wirkungsgeschichte eines Mas- bis hin zum Bundesarchiv und dem Berlin Docu- senprotests und zum Problem nationalso- ment Center wurde nichts ausgelassen. Faksimi- zialistischer Herrschaft in einer agrarisch- le-Wiedergaben von Briefen an die Oldenburgi- katholischen Region. Hrsg. von Joachim sche Staatsregierung und von Publikanden der Kuropka. Vechta: Vechtaer Druckerei Kirchengemeinden stehen neben einer Auswahl und Verlag 1987. 512 S. guter Fotos. Am lesenswertesten aber ist die Wie- dergabe der Röverschen Rede mit den plattdeut- Am 25. November 1936 sprach der Oldenburger schen Einwürfen der Versammlungsteilnehmer Gauleiter Carl Rover vor mehr als 7000 Men- bis hin zu der abschließenden Bemerkung schen in der Cloppenburger Münsterlandhalle — »(Rover) fällt dann erschöpft auf seinen Stuhl. — oder versuchte es zumindest. Die versammelten Die Versammlung ist zu Ende!« Bauern aus dem katholischen Oldenburger Wer ein gelungenes Beispiel dafür sucht, wie Münsterland wollten die langatmigen Ausfüh- man ein Ereignis der Regionalgeschichte umfas- rungen Rovers über Rassefragen, Afrika und die send würdigt, dem kann dieser Band in jeder Industriekartoffel jedoch nicht hören. Mit Hinsicht empfohlen werden. Sprechchören und tumultartigen Szenen zwan- Winfried Heinemann gen sie ihn, sich zu der Frage zu äußern, um de- retwillen alle gekommen waren: »Zur Sache — Dat Krüz!« Es ging ihnen um die von dem olden- burgischen Kultusminister angeordnete Entfer- nung der Kreuze aus den Schulen, gegen die der Heiner Lichtenstein: Angepaßt und treu Protest so groß geworden war, daß sich Rover ergeben. Das Rote Kreuz im »Dritten gezwungen sah, vor der Menge die Aufhebung Reich«. Mit einem Vorwort von Professor des Kreuzerlasses bekanntzugeben. Die katholi- Dr. Robert M. W. Kempner. Köln: Bund- sche Bevölkerung hatte — so empfand sie es — ei- Verlag 1988. 158 S. nen großen Sieg errungen. Fünfzig Jahre später diese Vorgänge in einem Gegenstand dieses Buches ist die Rolle des Deut- Buch beschreiben zu wollen, birgt die Gefahr in schen Roten Kreuzes und des Internationalen sich, durch unkritische Glorifizierung der Erin- Komitees vom Roten Kreuz in Genf gegenüber nerung eher zu schaden als zu nutzen. Daß es den Juden im deutschen Machtbereich während auch anders geht, zeigt das Autorenteam um den des Zweiten Weltkrieges. Der Verfasser, Redak- Vechtaer Historiker J. Kuropka. Seine Arbeit re- teur beim Westdeutschen Rundfunk in Köln und sultiert in einem umfangreichen und gefällig durch Publikationen über NS-Prozesse bekannt, ausgestatteten Band, der Erzählung, Analyse vertritt die Auffassung, daß beide Organisatio- und Dokumentation in gelungener und abgewo- nen ihre gemeinsame Aufgabe, Leid zu lindern, gener Weise miteinander verbindet. Einem ein- verkannt haben, das Deutsche Rote Kreuz unter leitenden Uberblick folgen solide recherchierte SA- und SS-Führern »angepaßt und treu erge- Berichte über den Kreuzkampf in einzelnen Ort- ben« sogar zum Helfershelfer der Judenvernich- schaften oder Gegenden sowie die Vorstellung tung wurde und das Internationale Rote Kreuz der Hauptakteure. In einem analytischen Teil aus Opportunismus »Massenmördern mit Gent- wird beispielsweise danach gefragt, welche (reli- leman-Manieren« begegnete. Für seine Behaup- tungen stützt sich der Verfasser auf seine Beob- das zentrale Element des Nationalsozialismus achtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse aus bezeichnet. Bereits im Vorwort heißt es: »Das zahlreichen NS-Prozessen seit 1959, Befragung Programm der NSDAP konzentrierte sich auf von Zeitzeugen und Publikationen. Ausführlich ihre Propaganda, sie war das Programm.« Dar- behandelt er auch die Fluchtrouten zahlreicher aus wird dann später: »Im Grunde hatte die Pro- hoher NS-Funktionäre nach dem Ende des paganda gar keine Ideologie zu vermitteln; sie Zweiten Weltkrieges nach Südamerika unter ak- ersetzte die Ideologie durch sich selbst. Die Pro- tiver Beteiligung des Vatikans und des Roten paganda ist die Botschaft.« McLuhan läßt Kreuzes. Quellen in den europäischen Archiven grüßen . . . sind nicht benutzt worden, und folglich unter- Es wäre weit fruchtbarer gewesen, bei der Ent- bleibt auch eine kritische Auseinandersetzung wicklung sowohl der Propaganda wie des Fil- mit dem Gegenstand. mes, insbesondere des Dokumentarfilms und der Die Arbeit versteht sich als Anklage gegen jene, Wochenschau, zu bleiben, denen dieser erste die sich bis zur Stunde nach Ansicht des Verfas- Band gewidmet ist; zwei weitere sollen folgen. sers weigern, ihr Versagen einzugestehen. Ton Man wünscht sich für diese mehr Methodik und und Inhalt der politisch-moralisierenden Bot- Systematik, als man sie in diesen zusammenge- schaft des Verfassers wirken über weite Strecken würfelten, kaum integrierten Texten aus Semi- anmaßend und voller Ressentiments, und daß naren und Vorträgen findet. Sie sind zudem be- das Ganze auch noch von dem ehemaligen stell- lastet mit Stilblüten, die im gesprochenen Wort vertretenden US-Ankläger in den Nürnberger vielleicht noch tragbar sind, wie »der verklei- Prozessen, Robert M. W. Kempner, eigeleitet sternden Soße der Rührseligkeit«, oder den »ge- ist, macht das Buch nicht seriöser. Kehrig sunden Nackten in homöopathischen Zeitschrif- ten«. Es trägt auch nicht zum Verständnis bei, warum so viele Deutsche vom Nationalsozialis- mus angezogen wurden, wenn man Hitler nach wie vor fälschlicherweise als Anstreicher be- zeichnet, »sekundäre Werte« ohne Qualifikation Hilmar Hoffmann: »Und die Fahne führt aneinanderreiht usw. uns in die Ewigkeit«. Propaganda im NS- Auch der Anmerkungsapparat läßt die notwen- Film. Frankfurt am Main: Fischer Ta- dige Sorgfalt vermissen. Insgesamt leidet das schenbuch Verlag, Bd 1: 1988. 255 S. Bändchen an einem Mangel, den der Autor selbst (= Fischer Taschenbuch. Allgemeine Rei- der Schnittfolge eines von ihm besprochenen he. Bd 4404.) Montagefilms vorwirft, nämlich an einer »unor- ganischen Struktur«. Marlis G. Steinert Hilmar Hoffmann, Leiter der Internationalen westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen, seit 1970 Kulturdezernent in Frankfurt a. M., ist wohl in erster Linie ein Mann des Films. Die Tei- le des Buches, welche sich mit der Geschichte des Filmes und seinen verschiedenen Techniken be- Johannes Tuchel, Reinold Schattenfroh: fassen, wie Montage, Bildschnitt und derglei- Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht- chen, sind jedenfalls die besten. Straße 8. Das Hauptquartier der Gestapo. Weniger gelungen sind der »Exkurs zur Entste- Berlin: Siedler 1987. 316 S. hung des Nationalsozialismus« und der Ab- schnitt über die Voraussetzungen für Hitlers Die Geheime Staatspolizei, allgemein bekannt Aufstieg, die offensichtlich als Versatzstücke unter dem Kürzel Gestapo, war die wohl furcht- fungieren. Sozialpsychologische, historische und erregendste Institution des Dritten Reiches. Sie theoretische Elemente werden hier ziemlich unterstand , mit dessen Si- wahllos aneinandergereiht und führen zu ge- cherheitsdienst sie zusammenarbeitete. Die Ge- fährlichen Verkürzungen, wenn nicht gar zu fal- stapo war ein von der allgemeinen Polizei ge- schen Aussagen, insbesondere, wenn sie auf einer trennter selbständiger Verwaltungszweig. Das unzulänglichen Quellen- und Literaturbasis be- allgemeine Polizeirecht fand auf sie keine An- ruhen. So werden Schlagworte wie die »Astheti- wendung, und ihre Verfügungen unterlagen sierung der Politik« nicht nur als Synonym für nicht der Uberprüfung durch die Verwaltungs- eine totale Herrschaftspraxis, sondern auch für gerichte. Daher besaß die Gestapo unbegrenzte seine Propaganda gesetzt, und letztere gar als Machtbefugnisse und stellte folglich eine schreckliche Waffe des nationalsozialistischen drückungen und Quälereien, die damit verbun- Regimes dar. den waren, läßt sie nicht erkennen, ebenfalls Die Arbeit der beiden Autoren beschränkt sich nicht die Haftarten, die durch die Verfasser ge- nicht auf die Darstellung der Geschichte der Ge- nannt werden: »vorläufige Festnahme« durch stapo-Zentrale in Berlin zwischen 1933 und die Polizei bei dringendem Verdacht in Zusam- 1945; vielmehr geht sie von der Geschichte des menhang mit einem Verbrechen; »Zwangsgestel- Gebäudes aus, in dem die Zentrale untergebracht lung« zur Polizeiwache zum Zweck der Perso- war, seit seiner Errichtung im 18. Jahrhundert bis nenfeststellung; »besondere polizeiliche Haft« zu seiner Übernahme durch die Gestapo im Jah- aufgrund der Verordnung des Reichspräsidenten re 1933. vom 4. Februar 1933 im Falle des Hochverratver- Im Anschluß an eine Skizzierung der politischen dachts sowie sonstigen politischen Delikten; Polizei in der Weimarer Republik wird in den »Schutzhaft« durch die Gestapo; »polizeiliche Kapiteln IV bis VII die Geschichte der Gestapo- Vorbeugungshaft« durch die Kriminalpolizei; Zentrale geschildert; darüber hinaus werden die schließlich »Sicherungsverwahrung« nach einer Funktionen der Gestapo und ihre Aktionen be- verbüßten Freiheitsstrafe auf gerichtliche Anord- schrieben. So werden u. a. »die Entwicklung der nung hin. Konzentrationslager«, »die Schutzhaft«, die Ak- Zwar ist bis 1939 das Bemühen erkennbar, der tionen gegen die KPD zwischen 1935 und 1937, Schutzhaft durch rechtliche Regelungen den An- gegen homosexuelle »Staatsfeinde«, die »Verfol- schein der Legalität zu geben, doch wurden sie gung von >Asozialen< und >Berufsverbrechern<«, durch die Gestapo immer wieder mißachtet. Seit schließlich auch »die Einsatzgruppen des Chefs 1939 war die Gestapo ausschließlich für die Ver- der Sicherheitspolizei des SD<« sowie »die End- hängung der Schutzhaft verantwortlich. Er- lösung der Judenfrage<« dargestellt. schreckend ist die nach den Verfassern bereits bis Die Autoren haben in ihrer Untersuchung präzi- Ende des Jahres 1933 erreichte Zahl von Schutz- se herausgearbeitet, was mit der Bezeichnung häftlingen; sie belief sich auf nicht weniger als »Schreibtischtäter« umschrieben wird, denn in 10 000. der Prinz-Albrecht-Straße wurde während der So schlimm die Darlegungen für die Zeit bis zum Jahre von 1933 bis 1945 durch die dort arbeiten- Kriegsausbruch sich auch immer ausnehmen, so de Bürokratie die Verfolgung minuziös verwal- stellte der deutsche Uberfall auf Polen dennoch tet. »Sie verfolgte und unterdrückte vom eine deutliche Zäsur beim Terror der Gestapo Schreibtisch aus«, eine Tatsache, die seit 1945 dar, und dies sowohl nach innen als auch nach dazu diente, weitgehend die Verantwortung für außen, denn nunmehr begann das ungehemmte die millionenfache Folterung und Tötung von Morden, ausgeführt in den besetzten Gebieten dem Regime Mißliebigen in einer höchst unwür- durch die berüchtigten Einsatzgruppen, die der digen Weise zu leugnen. Wehrmacht unmittelbar folgten. Sie wüteten be- Extensiv wird auf die Schutzhaftproblematik sonders in Polen und in der Sowjetunion. eingegangen, und das aus guten Gründen. Nachdrücklich hingewiesen sei auf die im zwei- Grundsätzlich werden in politische Schutzhaft ten Teil der Arbeit veröffentlichten Berichte über solche Personen genommen, die eine Gefahr für prominente Häftlinge des NS-Regimes, so über Ernst Thälmann, Theodor Haubach, Leo Baeck, die Staatssicherheit darstellen. Allerdings gab Kurt Schumacher und Fritz Erler. und gibt es in rechtsstaatlich geordneten Ge- Die Arbeit ist ein eindrucksvoller Beleg für den meinwesen eine politische Schutzhaft höchstens nationalsozialistischen Terror, der sich gegen im Verlauf eines Ausnahmezustandes, insbeson- sämtliche Bevölkerungsgruppen wandte, ähnlich dere in Kriegszeiten. Dementsprechend nahmen der Phase des »Terreur« während der Französi- die Alliierten seit 1944, d. h. seitdem sie auf deut- schen Revolution. Konrad Fuchs sches Gebiet vordrangen, in größerem Umfang Personen in Schutzhaft. Prinzipiell anders war dagegen die nationalso- zialistische Schutzhaft. Als formelle Grundlage diente hierfür eine Verordnung vom 28. Februar 1933, wodurch sämtliche rechtsstaatlichen Ga- rantien der persönlichen Freiheit außer Kraft ge- setzt wurden und sogleich Massenverhaftungen sowohl durch die Polizei als auch durch die als Hilfspolizei eingesetzten SS-, SA- und Stahl- helmeinheiten erfolgten. Die brutalen Unter- Klaus Gessner: Geheime Feldpolizei. Zur stellung von Organisation, Aufgaben, Unterstel- Funktion und Organisation des geheim- lungsverhältnissen und Arbeitsweisen der GFP polizeilichen Exekutivorgans der faschi- resultiert sowohl aus dieser Ambivalenz als auch stischen Wehrmacht. Berlin: Militärverlag aus der Tatsache, daß hier die Verbindung und 1986. 228 S. (= Militärhistorische Stu- Verstrickung der bewaffneten Macht mit dem dien 24. Neue Folge.) Nationalsozialismus aufgearbeitet werden muß. Gessners Studie ist die überarbeitete Fassung ei- Als Exekutive des militärischen Abwehrdienstes ner Dissertation am Militärgeschichtlichen Insti- beim Feldheer hatte die Geheime Feldpolizei tut der DDR aus dem Jahre 1982. Neben Auszü- (GFP) gemäß Heeresdruckvorschrift g. 150 vom gen aus Vorschriften und Merkblättern zur Un- 24. Juli 1939 die Aufgabe, »alle volks- und terrichtung der Truppe über Aufgaben der GFP, staatsgefährdenden Bestrebungen, insbesondere Meldungen einer GFP-Gruppe über Festnahmen Spionage, Landesverrat, Sabotage, feindliche und Exekutionen in der UdSSR (Juli 1941—Sep- Propaganda und Zersetzung im Operationsge- tember 1943) und einem Bericht des Heeresfeld- biet zu erforschen und zu bekämpfen«. Das Er- polizeichefs vom 10. April 1943 über die »Ban- gebnis der Erhebungen war zu sammeln und aus- denbewegung« in der Sowjetunion sind im An- zuwerten. Im Reichsgebiet sollten alle Ermittlun- hang auch ausführliche Auszüge aus Urteilen gen und Maßnahmen in Zusammenarbeit mit über ehemalige GFP-Angehörige beigegeben. Im den staatspolizeilichen Stellen vorgenommen Text wird nach einem Rückblick über die Ent- werden; eventuell erforderliche Abgrenzungen wicklung der GFP bis zum Beginn des Zweiten oblagen den Abwehroffizieren (Ic/AO) der zu- Weltkrieges über deren Einsatz im Spanischen ständigen Armeeoberkommandos. Die Angehö- Bürgerkrieg sowie beim »Anschluß« Österreichs rigen der GFP waren Beamte, an ihrer Spitze und des Sudetenlandes kurz berichtet, bevor aus- stand der Heeresfeldpolizeichef, der mit den führlich Organisation, Unterstellungsverhältnis- nachgeordneten GFP-Stäben, -Gruppen und se und Einsatz in den Feldzügen gegen Polen -Dienststellen zunächst dem Oberquartiermei- und die UdSSR beschrieben werden. Der Verfas- ster IV im OKH, ab 22. September 1939 der Ab- ser stützt sich hauptsächlich auf Materialien im wehr-Abteilung III beziehungsweise nachgeord- Militärarchiv der DDR und im Zentralen Partei- neten Abwehrdienststellen unterstand. Vom archiv der SED sowie auf Dokumente in polni- 25. April 1942 an wurden die meisten GFP-Or- schen Archiven und schließlich auf Unterlagen gane in den »Sicherheitsdienst« (SD) und die Si- mehrerer DDR-Gerichte. Quellenmaterial aus cherheitspolizei übergeführt. der Sowjetunion stand nicht zur Verfügung. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges ergaben Der sowjetische Ankläger hatte in Nürnberg be- sich für die GFP örtlich und zeitlich unterschied- antragt, die GFP als »verbrecherische Organisa- liche Aufgaben: so in Belgien und Frankreich tion« einzustufen. Dem wurde generell nicht solche der »polizeilichen Exekutive der Militär- stattgegeben mit der Einschränkung auf GFP- verwaltungen« ; in Dänemark, den Niederlanden Angehörige, soweit sie der SS angehörten. Bei und Norwegen wurden die GFP nicht nur als der Lektüre der Arbeit Gessners wird sehr bald »Abwehrexekutive der Wehrmacht«, sondern erkennbar, daß sie nicht nur nachweisen will, zugleich als »Ermittlungsorgan der Wehrmacht- daß die USA, England und Frankreich die Be- justiz« tätig. Im Feldzug gegen die UdSSR, wo schlüsse zur Entmilitarisierung und Entnazifizie- die GFP den Sicherungsdivisionen unterstand, rung zielstrebig gebrochen hätten und auch wäh- kamen — in enger Zusammenarbeit mit den Ein- rend der Nürnberger Prozesse primär daran in- satzgruppen — Einsätze zur Partisanenbekämp- teressiert gewesen seien, »den deutschen Milita- fung hinzu. Gegen Kriegsende schließlich bilde- rismus [. . .] im Interesse seiner Wiederverwen- ten Sperr- und Auffangmaßnahmen weitere dung« zu rehabilitieren. Sie versucht auch zu Schwerpunke der GFP-Tätigkeiten, die immer »belegen«, daß bei der »Remilitarisierung West- weniger in klar umrissene und begrenzte Vor- deutschlands und der Forcierung des kalten schriften zu fassen waren. Krieges« die »Erfahrungen« ehemaliger GFP- Um ein zutreffendes Bild von der GFP zu ge- Angehöriger »sehr gefragt« waren. Damit begibt winnen, ist daran zu erinnern, daß für sie prinzi- sich der Verfasser a priori aller Möglichkeiten ei- piell dasselbe gilt wie für Abwehr- und geheime ner differenzierten Darstellung, die zu einer Nachrichtendienste: für die eigene Seite werden sachgerechten Behandlung des schwierigen Ge- bestimmte Tätigkeiten als legitim, für die gegne- genstandes die unerläßliche Voraussetzung ist, rische als verbrecherisch betrachtet und behan- wenn Halbwahrheiten und Klischees vermieden delt. Die Schwierigkeit einer detaillierten Dar- werden sollen. Johannes Fischer Patrick von zur Mühlen: Fluchtziel Latein- Flüchtlingen aufnahm, war in politischer und amerika. Die deutsche Emigration 1933— kultureller Hinsicht ein Zentrum vielfältiger Ak- 1945: politische Aktivitäten und soziokul- tivitäten der Emigranten. Der Schluß des gründ- turelle Integration. Bonn: Verlag Neue lich recherchierten Buches beschäftigt sich mit Gesellschaft 1988. 335 S. (= Forschungs- der Frage der Rückkehr nach Deutschland und institut der Friedrich-Ebert-Stiftung. Rei- der Wiedergutmachung und Wiedereinbürge- he: Politik- und Gesellschaftsgeschichte. rung sowie mit den Folgen für die Gastländer. Bd 21.) Hier sei insbesondere der wirtschaftliche Nutzen hervorgehoben. Bis heute wirkt aber vor allem Lateinamerika geriet spät in das Blickfeld deut- der kulturelle Einfluß der deutschen Emigranten scher Emigranten. Erst nachdem die europäi- nach. Hans-Paul Höpfiier schen Nachbarländer zunehmend Asylbeschrän- kungen vornahmen und der Krieg immer näher rückte, wurden Staaten in Ubersee das Ziel deut- scher Flüchtlinge: in erster Linie natürlich die USA, dann aber auch Mittel- und Südamerika. Armin Heinen: Die Legion »Erzengel Etwa ab 1936 war der Flüchtlingsstrom unüber- Michael« in Rumänien. Soziale Bewegung sehbar geworden. Zu jener Zeit setzten auch und politische Organisation. Ein Beitrag zwei Entwicklungen ein, die für die Emigration zum Problem des internationalen Faschis- von Bedeutung waren. Zum einen versuchten die mus. München: Oldenbourg 1986. 558 S. Hilfsorganisationen den nicht nachlassenden (= Südosteuropäische Arbeiten. Bd 83.) Flüchtlingsstrom nach Südamerika zu lenken; zum anderen machten sich in den betroffenen Ländern erste Widerstände bemerkbar. Anzuzeigen ist eine materialreiche und durch Die Einwanderungspolitik der lateinamerikani- akribische Quellen- und Literaturverwertung so- schen Staaten war uneinheitlich und unterlag be- wie durch nuanciertes Urteil gleichermaßen be- trächtlichen Veränderungen. Die rechtlichen eindruckende Trierer Dissertation, die sich der Grundlagen und die praktische Durchführung am 24. Juni 1927 durch den jungen Rechtsanwalt unterschieden sich je nach den nationalen Ge- Corneliu Zelea-Codreanu gegründeten Legion 1 setzgebungen. Einige Staaten ließen nur eine ge- »Erzengel Michael« zuwendet . Diese Organisa- ringe Zahl ausgesuchter Personen einreisen tion bildete die Basis für die im April 1930 eta- (Venezuela, Peru). Andere, wie etwa Chile, öff- blierte »Eiserne Garde« und die 1933 ins Leben neten kurzzeitig die Grenzen, um leere oder ver- gerufenen Partei »Alles für das Land« und ge- wüstete Regionen zu bevölkern. Insgesamt kann hörte nach dem Urteil Ernst Noltes zu den ei- man nach den verschiedensten Schätzungen von gentümlichsten faschistischen Bewegungen. 75 000—90 000 Emigranten meist jüdischen Unter intensiver Beleuchtung der Entwicklung Glaubens ausgehen, die hauptsächlich nach Ar- Rumäniens seit der Unabhängigkeit im Jahre gentinien, Bolivien, Brasilien und Chile gelang- 1878 entwickelt der Autor die politisch-kulturel- ten. len und sozio-ökonomischen Grundstrukturen Patrik von zur Mühlen schildert in seiner Dar- und Konflikte des südosteuropäischen Landes in stellung die Akkulturation und mentale Integra- der Zwischenkriegszeit und verknüpft damit eine tion der Emigranten, die gerade in Lateinameri- minutiöse Analyse von Geschichte, Organisation ka für viele sehr schwierig war. Die meisten und Sozialprofil der am italienischen und deut- Flüchtlinge gelangten völlig mittellos und ohne schen Faschismus orientierten und zeitweise ver- sprachliche und berufliche Vorbereitung in eine botenen Legion, die sich als »nationale, unab- ihnen völlig fremde Welt. Die berufliche Integra- hängige, jugendliche Organisation von Freiwilli- tion fiel Vertretern von kaufmännischen, techni- gen« (S. 142) gerierte, zunächst vor allem antise- schen und handwerklichen Berufen leichter als mitische Propaganda verbreitete und 1932 mit Menschen aus Wissenschaft und Kultur. Letztere fünf Mandaten ins Parlament einzog. arbeiteten im wesentlichen für ihre Mitemigran- Auch wenn die weiterhin durch Terror und At- ten. tentate auffallende »Eiserne Garde« nach dem Daneben nimmt die politische Betätigung in Ver- Anschlag auf den liberalen Ministerpräsidenten einen und Organisationen breiten Raum ein. Im Duca am 29. Dezember 1933 verboten wurde einzelnen wird die Situation in Argentinien, Me- und unter der Ägide des Generals Gheorge Can- xiko, Brasilien und Bolivien untersucht. Beson- tacuzino-Granicerul im Dezember 1934 als Par- ders Argentinien, das die größte Anzahl von tei »Alles für das Land« neu hervortrat, so voll- zog sich trotz solcher retardierender Pendel- 1 Vgl. dazu jetzt auch A. Heinen: Faschismus als Re- schläge von der Jahreswende 1932/33 bis zum flex und Voraussetzung autoritärer Herrschaft in Rumänien. In: Geschichte und Gesellschaft 12 Dezember 1937 der phasenweise Aufstieg zur (1986), H. 2, S. 139-162. Massenbewegung. Dabei profitierte man vor al- lem von der Radikalisierung und Destabilisie- rung des politischen Lebens, der Schwäche der übrigen in Flügelkämpfe verstrickten Parteien und der schwankenden Haltung des umstritte- Ingeborg Plettenberg: Die Sowjetunion im nen Königs Carol II. Die seit 1933 amtierende, in Völkerbund 1934 bis 1939. Bündnispolitik der Innenpolitik einen Rechtsschwenk vollzie- zwischen Staaten unterschiedlicher Ge- hende, den königlichen Leitlinien folgende na- sellschaftsordnung in der internationalen tionalliberale Regierung Tatarescu verfehlte al- Organisation für Friedenssicherung: lerdings bei den Parlamentswahlen im Dezember Ziele, Voraussetzungen, Möglichkeiten, 1937 die Mehrheit, während die Partei »Alles für Wirkungen. Köln: Pahl-Rugenstein 1987. das Land« als drittstärkste Kraft 16 Prozent der 729 S. (= Pahl-Rugenstein-Hochschul- Stimmen errang. Da das Zwischenspiel der Re- schriften Gesellschafts- und Naturwissen- gierung Goga das von Terrorakten erschütterte schaften. Bd 230.) Land in Chaos und Anarchie stürzte, entschloß sich der König am 10. Februar 1938 zur autoritä- Vom 18. September 1934 bis zum Ausschluß am ren Lösung einer »Königsdiktatur«, löste die 14. Dezember 1939 gehörte die Sowjetunion Parteien auf, zerschlug die »Eiserne Garde«, ließ dem Völkerbund und damit dem zentralen Gre- die Legionäre verhaften oder vertrieb sie ins Ber- mium internationaler Friedenssicherung der liner Exil. Zwischenkriegszeit an. Die hier anzuzeigende, Der Autor, der auch den sporadischen Kontak- ausführliche diplomatiegeschichtliche Studie un- ten der »Eisernen Garde« zu Hitlerdeutschland tersucht in zwölf Kapiteln die Position des So- nach 1933 nachspürt, beschreibt im vorletzten wjetstaates zu den in diesen fünf Jahren im Völ- Abschnitt seiner übersichtlich in insgesamt elf kerbund beratenen sicherheitspolitischen Kon- feingegliederte Kapitel unterteilten Darstellung flikten und verbindet damit eine Analyse der schließlich den durch die veränderte außenpoliti- Stellung Moskaus im internationalen System und sche Lage und den Zweiten Wiener Schieds- seiner Beziehungen zu den beiden Gründungs- spruch erzwungenen Weg Rumäniens zu dem im mächten des Genfer Bundes, Großbritannien September 1940 errichteten »Nationallegionären und Frankreich. Staat«, der General Antonescu und den umstrit- So wird zunächst der durch die Wende zur Poli- tenen Nachfolger des im Gefängnis ermordeten tik der kollektiven Sicherheit ermöglichte Weg Zelea-Codreanu, Horia Sima, in einer kurzen der UdSSR in den Völkerbund nachgezeichnet, viermonatigen Koalitionsregierung zusammen- der von Moskau bei seiner Gründung als »Alli- führte. Nachdem die nun als Kaderorganisation anz des Imperialismus gegen die bolschewisti- agierenden Legionäre Simas erneut eine Greuel- sche Revolution« oder als »Werkzeug der En- herrschaft ausübten und Antonescu von dem an tente« bewertet worden war. Neben dem sowjeti- einer ökonomisch-wehrpolitischen Stabilität des schen Engagement bei den Diskussionen über ei- Bündnispartners Rumänien interessierten Hitler ne Völkerbundsreform werden die Stellungnah- freie Hand für sein Vorgehen erhalten hatte, men der sowjetischen Diplomatie zu den folgen- brach ein Putsch der Legionäre im Januar 1941 den in Genf erörterten und vor allem mit London zusammen. »Es war das letzte Mal, daß die Gar- und Paris diskutierten internationalen Krisen der de die Geschicke des Landes nennenswert beein- 30er Jahre ausgebreitet: Saarfrage, Wiederein- flußte.« (S. 480) führung der Wehrpflicht in Hitler-Deutschland, Insgesamt erhält die fundierte, wegweisende äthiopisch-italienischer und chinesisch-japani- Studie ihren besonderen Rang durch die verglei- scher Krieg, Remilitarisierung des Rheinlandes, chend-kontrastierende Analyse des Weges der Spanischer Bürgerkrieg sowie die nationalsozia- Legionäre mit der Entwicklung und dem Auf- listische Expansion gegen die Völkerbundsmit- stieg der faschistischen Bewegungen in Italien glieder Österreich und Tschechoslowakei im und Deutschland. Der Band wird abgerundet Schatten von München. durch einen umfangreichen Anhang, eine umfas- Insgesamt zeichnet die Autorin ein ziemlich eu- sende Zeittafel, ein 24-seitiges Quellen- und Li- phemistisches, sicher nicht unumstrittenes Bild teraturverzeichnis sowie ein nützliches Register. der sowjetischen Völkerbundspolitik und weist Wolfgang Müller vor allem den Westmächten die Verantwortung für das Scheitern einer kollektiven Politik im mitteleuropas verständigt hatten, über Jahrzehn- Völkerbund zu: Wer nämlich »das politische, te hinweg kategorisch abgestritten, so wurde militärische und ökonomische Gewicht der dessen Existenz nun erstmals unumwunden ein- UdSSR zur Behauptung des territorialen status geräumt, der Text auszugsweise in der sowjeti- quo eingesetzt sehen wollte [...], hatte sich ihr schen Presse veröffentlicht. gegenüber auf der Basis der Gegenseitigkeit ent- Umstritten sind nach wie vor die Motive, die den sprechend zu verpflichten und das eigene Ge- sowjetischen Diktator bewogen, den Pakt mit wicht zu dem genannten Ziele einzusetzen. Den Hitler zu schließen. Auf diese Frage vermag auch beiden anderen Ständigen Mitgliedern des Völ- das von Antony Read und David Fisher vorge- kerbund-Rates mangelte es [. . .] an der Einsicht legte umfangreiche Werk keine letztlich über- in diese Tatsache.« zeugende Antwort zu geben. In der auf breiter Dabei wäre nicht nur hinsichtlich des Spanischen Quellenbasis aufbauenden und durch die Befra- Bürgerkrieges, der Stalinschen Säuberungen gung von Zeitzeugen angereicherten, flüssig und oder der Sudetenkrise eine kritischere Distanz lebendig geschriebenen Darstellung der beiden gegenüber den offiziösen sowjetischen Verlaut- aus dem Journalismus stammenden Autoren er- barungen denkbar gewesen. Auch der durch die scheint Stalins Denken und Handeln als aus- innersowjetische Entwicklung begünstigte schließlich defensiv motiviert, einzig und allein Schritt von der defensiven Politik der kollektiven bestimmt von dem Bemühen, sein Land vor ei- Sicherheit zur offensiven territorialen Machtaus- nem deutschen Angriff zu bewahren. Durch die weitung an der Seite Hitlers hätte stärker ver- — von Read und Fisher scharf kritisierte — Hal- deutlicht werden können. Ebenso ließe sich über tung der Westmächte, insbesondere Großbritan- die Interpretation des Hitler-Stalin-Paktes und niens, sei Stalin schließlich nolens volens gerade- des sowjetischen Uberfalls auf Finnland diskutie- zu in die Arme Hitlers getrieben worden. ren, zumal auch die sowjetische Invasion in Ost- Aber: welche langfristigen außenpolitischen Ziel- polen nach dem 17. September 1939 als »Beset- setzungen verfolgte Stalin, und wie läßt sich der zung und Wiederanschluß der belorussischen Pakt mit Hitler darin einordnen? Diese größeren und ukrainischen Gebiete Polens« umschrieben Zusammenhänge der sowjetischen Außenpolitik wird. Wolfgang Müller bleiben in der Darstellung Reads und Fishers lei- der weitestgehend ausgeblendet. Verschaffte der Pakt mit Hitler dem sowjetischen Diktator nicht die Möglichkeit, den in seinen Augen und nach Antony Read, David Fisher: The deadly marxistisch-leninistischer Lehre ohnehin unaus- embrace. Hitler, Stalin und the Nazi-So- weichlichen Krieg in einer Konstellation begin- viet pact 1939—1941. London: Joseph nen zu lassen, die er schon seit Mitte der zwanzi- 1988. XVI, 687 S. ger Jahre stets als die für die Sowjetunion gün- stigste anvisiert hatte: als Krieg der »kapitali- Fünfzig Jahre nach seinem Abschluß ist der Hit- stisch-imperialistischen« Mächte gegeneinander, ler-Stalin-Pakt über den engeren Zirkel der mit der Sowjetunion in der »Hinterhand«, ein Fachhistoriker hinaus auch wieder verstärkt in Krieg, der möglichst lange dauern und zu einer den Blickpunkt einer breiteren interessierten Öf- wechselseitigen Erschöpfung der Kontrahenten fentlichkeit gerückt. Ausschlaggebend dafür ist führen sollte, um es der Sowjetunion — wie Sta- weniger der »runde« Jahrestag dieses Ereignisses lin 1925 in einer Grundsatzrede vor dem Zen- als vielmehr die im Zusammenhang mit der poli- tralkomitee der KPdSU formuliert hatte — zu er- tischen Entwicklung in der Sowjetunion dort lauben, in der Schlußphase machtvoll einzugrei- einsetzende offenere Auseinandersetzung mit fen und ihr entscheidendes »Gewicht in die der eigenen Geschichte, insbesondere der Stalin- Waagschale« zu werfen? ära. So dringt aus den baltischen Republiken Irritieren müssen den Leser die Widersprüche, schon seit geraumer Zeit der Ruf nach mehr die das Buch sowohl im Hinblick auf die Darstel- »Glasnost« in Sachen Hitler-Stalin-Pakt. Auf lung Hitlers als auch Stalins enthält. Während dem Kongreß der Volksdeputierten der UdSSR die Autoren schon zu Beginn ihrer Schilderung kam dieses Thema im Mai 1989 auf die Tages- mit Recht auf Hitlers »Mein Kampf« und seine ordnung und wurde heftig und kontrovers disku- darin formulierte Absicht, »Lebensraum« im tiert. Hatte die sowjetische Seite das im Westen Osten zu erobern, verweisen und dieses »pro- schon kurz nach Ende des Krieges bekanntge- grammatische« Motiv Hitlers auch im weiteren wordene geheime Zusatzprotokoll, in dem sich Verlauf des Buches immer wieder aufgreifen, be- die beiden Diktatoren über die Aufteilung Ost- zeichnen sie ihn andererseits als einen Mann, dessen Handeln auf »intuition and emotion rath- 10. Mai 1941 als Motto seiner Untersuchung vo- er than hard logic« beruht habe (S. 12). Stalin ran, an dem Heß aus einem von ihm selbst ge- wird einerseits als »absolute ruler« (S. 1), als die steuerten Flugzeug über Schottland absprang, zentrale Entscheidungsinstanz mit »near absolu- um als Friedensvermittler zwischen Deutschland te power« geschildert, »ruling the USSR as surely und England zu wirken — eine von vornherein as Peter the Great or Nicholas I had ruled Rus- vergebliche Mission, die jedoch schlaglichtartig sia« (S. 575); an anderer Stelle schreiben Read das Irrationale im Menschen Heß beleuchtet. und Fisher, daß »Stalin was not (an absolute dic- In drei Hauptteilen mit insgesamt 22 Kapiteln tator)« (S. 328). werden Lebenslauf, Schicksal und Tragik dieser Ohne letztlich überzeugende Antwort bleibt Persönlichkeit des Dritten Reiches dargestellt, auch die ausgiebig behandelte Frage, warum Sta- die ihr halbes Leben hinter Gefängnismauern lin die zahlreichen — die Autoren sprechen von verbracht hat. Der erste, Deutschland genannte wenigstens vierundachtzig — Hinweise auf den Abschnitt befaßt sich mit den Jugendjahren und bevorstehenden deutschen Angriff ignorierte. der Teilnahme am Ersten Weltkrieg, um dann War es wirklich, wie die These der beiden Auto- recht detailliert den frühzeitigen Anschluß an ren lautet, weil er den deutschen Aufmarsch für Hitler sowie den Einfluß seines wohl wichtigsten den Versuch Hitlers hielt, Druck auf ihn auszu- akademischen Lehrers, Karl Haushofer, zu be- üben, um ihn zu weiteren Konzessionen zu handeln. Das Schwergewicht dieses Teils liegt in zwingen, und es in Stalins Augen — in der Er- der Beschreibung der Stellung von Heß in der wartung entsprechender deutscher Forderungen, Hierarchie des nationalsozialistischen Regimes, die dann verhandelt werden konnten — deshalb sein stetig zurückgehender Einfluß trotz unstrit- darauf ankam, alles zu vermeiden, was Hitler ei- tiger Verantwortlichkeit für die Konsolidierung nen Vorwand zum Losschlagen geben konnte? des von ihm mitgeschaffenen Systems und Oder ignorierte Stalin nicht vielmehr alle Hin- schließlich die Vorbereitung und Durchführung weise, weil er sich einfach nicht vorstellen konn- des Schottlandfluges. te, daß Hitler das Wagnis eines Zweifrontenkrie- Entsprechend dem Buchtitel ist der zweite — um- ges eingehen würde, das Deutschland schon im fangreichste — Abschnitt den Jahren in engli- Ersten Weltkrieg zum Verhängnis geworden war scher Gefangenschaft gewidmet. Deutlich und das dieser deshalb immer wieder als schwe- kommt zum Ausdruck, welcher Fehleinschät- ren Fehler der damaligen Reichsregierung ge- zung, ja geradezu Naivität Heß zum Opfer ge- brandmarkt hatte. fallen war, wenngleich führende britische Per- Licht in das Dunkel könnte wohl nur eine rück- sönlichkeiten zumindest anfangs diesem promi- haltlose Öffnung der sowjetischen Archive brin- nenten deutschen Gefangenen Interesse entge- gen — einen »ungesäuberten« Aktenbestand vor- gengebracht haben. Je mehr jedoch seine Bedeu- ausgesetzt. Die sowjetischen Archive aber sind — tungslosigkeit für den Kriegsverlauf hervortrat, Glasnost hin, Perestrojka her — der freien For- umso stärker wurde seine Isolierung. schung nach wie vor verschlossen. Anhand von Krankenberichten und Notizen des Klaus Schüler Wachpersonals zeichnet Irving ein Psycho- gramm, das durch die Chronologie der Tagesab- läufe stellenweise ermüdend wirkt, jedoch tiefe Einblicke in die gespaltene Persönlichkeit von Rudolf Heß ermöglicht. Im dritten Abschnitt wird das Verhalten von Heß David Irving: Rudolf Heß — ein geschei- während der Zeit des Nürnberger Prozesses be- terter Friedensbote? Die Wahrheit über handelt, seine — vorgetäuschten — geistigen De- die unbekannten Jahre 1941—1945. Aus fekte, die sogar medizinische Gutachter beschäf- dem Englischen von Richard Giese. Graz, tigten, und schließlich seine Auftritte vor dem Stuttgart: Stocker 1987. 479 S. Gerichtshof selbst. In einer Abschlußbetrach- tung, Epilog genannt, läßt der Verfasser durch- Wenige Wochen nach dem Tod von Rudolf Heß aus Mitgefühl für seinen Protagonisten erken- am 17. August 1987 veröffentlichte Irving eine nen, ohne ihn jedoch von dem Vorwurf freizu- Persönlichkeitsstudie über den »Stellvertreter sprechen, daß er Hitler und seinem Unrechtsre- des Führers«, so die amtliche Bezeichnung von gime bis zum eigenen Ende bedingungslos erge- Heß, die sich hauptsächlich mit dessen Jahren in ben geblieben ist. ausschließlich britischer Gefangenschaft befaßt. Zweifellos ist es Irving gelungen, durch die Aus- Folgerichtig stellt daher auch der Verfasser jenen wertung einer bemerkenswerten Materialfülle, darunter auch bisher unbekannte Quellen und Amerikaner weder quantitativ noch qualitativ Dokumente, über die englischen Jahre des Ru- Schritt halten konnte. dolf Heß eine detaillierte Charakterstudie zu zeichnen, auch wenn manche Interpretation des Seinen Höhepunkt erreichte der Luftkrieg nach Geschehensablaufs zumindest Bedenken er- der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 in der weckt. Ein umfangreicher Anmerkungsteil, Lite- Normandie, denn infolge ihres raschen Vorsto- ratur·, Quellen- und Abkürzungsverzeichnis so- ßes bis zur Reichsgrenze im Herbst 1944 brach wie ein Namensregister zeugen von der Akribie, nicht nur das deutsche Frühwarnsystem in den mit der der Verfasser versucht hat, dieser von besetzten Gebieten zusammen, sondern beraubte Schuld und Tragik umwitterten, einstmals füh- die Deutschen auch ihrer Flugbasen in Frank- renden Persönlichkeit des Dritten Reiches ge- reich, Belgien und Holland, von denen aus die recht zu werden — soweit ein derartiges Unter- Luftwaffen gegen die Bomberströme gestartet fangen überhaupt möglich ist. Albrecht Lampe war. Demgegenüber mußte sie nun mit ihren zahlenmäßig und technisch weit unterlegenen Maschinen den Gegner quasi aus dem Stand her- aus bekämpfen.

Wenngleich die Luftabwehr in ihrer Gesamtheit, d. h. die Bekämpfung des Gegners vom Boden aus und in der Luft, seit 1942 eine erhebliche Dieter Busch: Der Luftkrieg im Raum Verstärkung erfahren hatte, so war sie doch kei- Mainz während des Zweiten Weltkrieges neswegs der Art, daß sie die Wirksamkeit der 1939—1945. Mainz: v.Hase & Koehler Engländer und Amerikaner auch nur annähernd 1988. X, 402 S. (= Veröffentlichungen hätte einschränken können. Auch die Entwick- der Kommission des Landtages für die lung neuer Taktiken auf deutscher Seite, so des Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz. Frontalangriffs oder der »Wilden Sau«, auch Bd 9.) nicht die Bekämpfungsart »Schräge Musik«, die zweifelsfrei erfolgreich waren, konnten zu kei- Die Untersuchung, eine Mainzer Dissertation, nem Zeitpunkt den Alliierten das Gesetz des schildert den Luftkrieg im Raum Mainz, womit Handelns entreißen. So gibt Busch für 1944 zu ein Gebiet umschrieben wird, das auch noch die bedenken: »Bei der Schilderung der September- Region Bingen/Bingerbrück und Rüdesheim angriffe auf Mainz wird sich sicher schon mehr- umfaßt. Der Schwerpunkt liegt auf den Jahren fach die Frage gestellt haben, ob die US-Bomber 1942 bis 1945, da einmal der Luftkrieg über dem denn wirklich völlig ungestört ins Reich einflie- Reichsgebiet seit 1942 durch den Einsatz vier- gen konnten und nur die Flak zu fürchten hat- motoriger Bomber in großer Zahl eine ungeahnte ten.« In der Tat wurden die damals angreifenden Intensivierung erfuhr, zum andern Mainz in die- Bomber von deutschen Jägern nicht behindert. sem Jahr seine ersten schweren Angriffe erlebte Und »die wenigen deutschen Maschinen, die es (12. und 13. August). Gemäß der Devise von wagten, sich am Himmel zu zeigen, mußten vor Luftmarschall Harris, durch Flächenangriffe auf den zahlenmäßig weit überlegenen Mustangs Wohngebiete die deutsche Bevölkerung zu de- und Thunderbolts die Flucht ergreifen«. Trotz moralisieren und so ein vorzeitiges Kriegsende nach wie vor bemerkenswerter sporadischer Er- herbeizuführen, galten sie der Mainzer Innen- folge, so seitens der sogenannten »Sturmjäger«, stadt. allerdings bei eigenen hohen Verlusten, auch trotz des Einsatzes der neuen Düsenjäger war Die Entwicklung des Luftkriegs im Raum Mainz die Luftwaffe, wie der Verfasser zu Recht be- und darüber hinaus im gesamten Reichsgebiet merkt, spätestens seit Herbst 1944 nur noch seit 1942 hat man unter der Voraussetzung zu »gehetztes Wild«. Hinzu kamen eine unzurei- sehen, daß das Gesetz des Handelns inzwischen chende Ausbildung der Piloten und Treibstoff- an die Anglo-Amerikaner übergegangen war. mangel der deutschen Tag- und Nachtjagd, Dazu hatte nicht nur die Ausdehnung des Krie- während sich die Bodenabwehr mehr und mehr ges auf Rußland mit seinen gewaltigen Anforde- auf Aushilfskräfte — Luftwaffenhelfer, Arbeits- rungen an Menschen und Material beigetragen, dienstmänner, »Arbeitsmaiden« und aus Kriegs- sondern es wirkten sich auch die Fehlplanungen gefangenen rekrutierte »Hilfswillige« — stützen und Fehlentwicklungen in der deutschen Luft- mußte. Dieser Situation wegen konnten die alli- kriegführung aus, abgesehen davon, daß ierten Luftstreitkräfte weitgehend ungestört bei Deutschland trotz erheblicher Anstrengungen Tag und bei Nacht in das Reichsgebiet und damit mit dem Rüstungsausstoß der Engländer und auch in den Raum Mainz einfliegen und dort »Schöne Zeiten«. Judenmord aus der Sicht operieren. der Täter und Gaffer. Hrsg. von Ernst Detailliert schildert Busch die Auswirkungen der Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß. Frank- Angriffe der anglo-amerikanischen Luftstreit- furt am Main: Fischer 21988. 276 S. kräfte auf die Verkehrswege im Raum Mainz- Bingen, vor allem auf die Schienenwege und die »Schöne Zeiten« — diesen makabren Titel für ein daraus resultierenden Konsequenzen für den Buch, das in Wort und Bild über die Durchfüh- Nachschub der Westfront, aber auch die Lei- rung des Massenmordes an den Juden während stungen der Eisenbahnbediensteten, denen es im- des Zweiten Weltkrieges berichtet, haben sich mer wieder in kürzester Zeit gelang, die Ver- die Autoren nicht etwa ausgedacht. Er ist einer kehrsanlagen betriebstüchtig herzurichten. Wo- Originalquelle entnommen, nämlich dem priva- zu eigentlich, hat man angesichts der aussichtslo- ten Fotoalbum des letzten Kommandanten des sen Lage Deutschlands im Herbst 1944 zu fra- Vernichtungslagers Treblinka, Kurt Franz. gen. Doch muß dies auch im Zusammenhang mit »Schöne Zeiten« waren für ihn jene Jahre, in de- dem Vernichtungsangriff der Royal Air Force nen er zusammen mit seinen Gehilfen der »Ar- auf Mainz am Nachmittag des 27. Februar 1945, beit« der alltäglichen Ermordung jüdischer Men- drei Wochen vor der Besetzung der Stadt durch schen nachging. Insgesamt mehr als 700 000 die Amerikaner, gefragt werden. An jenem wurden in Treblinka umgebracht. denkwürdigen Tag, der bei denen, die ihn miter- Das Unvorstellbare tritt uns in diesem Buch in lebten, bis heute ein traumatisches Erlebnis blieb, seiner ganzen Banalität entgegen. Keiner der Tä- warfen 435 Bomber, von deutschen Fliegern un- ter oder Gaffer entspricht dem Typus der schon behelligt, eine Bombenlast von 635,43 t ab. 1200 auf den ersten Blick abstoßenden Mordbestie. Menschen fanden dadurch den Tod. Der Autor Vielmehr sehen wir den korrekt gekleideten, bie- bemerkt zu dem Vernichtungsangriff.· »Der Ein- deren »Gehorcher«, der sich damals als allgewal- satzbefehl und die Zusammensetzung der abge- tiger »Herrenmensch« aufführen durfte. Wir se- worfenen Bombenlast widerlegen die Darstel- hen ihn abends, nach getaner »Arbeit«, in fröhli- lung, welche das britische Luftfahrtministerium cher Runde am Biertisch sitzen und den Feier- über den Sinn der Operation gegen Mainz ver- abend genießen. Wir sehen es ihm nicht an, daß breitete. Nicht die schon weitgehend demolier- er aktiv in der Mordmaschinerie mitwirkte und ten und für die Alliierten längst zweitrangig ge- diese einsatzbereit und willig in Gang hielt. Das wordenen Mainzer Verkehrsanlagen waren das ist das Schockierende an diesem Buch. Ziel des Angriffs, die Mainzer Innenstadt sollte Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem sogenann- niedergebrannt werden [. . .] In der schwerver- ten Befehlsnotstand, d. h. mit der Behauptung ständlichen Gedankenwelt des Arthur Harris, der knapp sechs Wochen vor Kriegsende die nicht weniger Zeitgenossen, wer dem Befehl zum >Eliminierung< der noch nicht vollständig zer- Erschießen von Juden und Politkommissaren störten deutschen Städte forderte, dürfte die Er- nicht Folge geleistet habe, sei Gefahr gelaufen, klärung für den Vernichtungsangriff auf Mainz selbst erschossen zu werden. 15 Aussagen von am Nachmittag des 27. Februar zu suchen sein.« Angehörigen der Polizeiverbände und der Ein- Die überaus detailliert verfaßte Arbeit, auf einer satzkommandos belegen, daß es sich hierbei um Fülle von Primärmaterial basierend, nimmt in eine Rechtfertigungslegende handelt. Tatsäch- der zahlreichen in- und ausländischen Literatur lich wurde niemand erschossen oder in ein KZ zum Luftkrieg während des Zweiten Weltkriegs gesperrt, wenn er sich weigerte, Juden zu mor- einen bemerkenswerten Platz ein. Eine begrü- den. ßenswerte Bereicherung erfährt sie durch das Musischer Mensch und Massenmörder in einem: reichlich in den Text eingestreute Anschauungs- der aus dem Orgelbau-Milieu im südbadischen material . Konrad Fuchs Waldkirch stammende SS-Standartenführer und Kommandeur des Einsatzkommandos 3 in Li- tauen. Unter der Uberschrift »Summa 137 346« wird der berüchtigte »Jäger-Bericht« vom 1. Dezember 1941 erneut abgedruckt. Es handelt sich um eine minutiöse Auflistung der täglichen Mordraten dieses Einsatzkommandos in der zweiten Jahreshälfte 1941. Was Ernst Klee — bekannt geworden durch mehrere zeitgeschichtliche Bücher über Eutha- nasie im NS-Staat, über Arzte, Juristen und an- dere Beteiligte am Kranken- und Judenmord, New York Times die Ereignisse in Moskau mit- über die Kirche im Banne Hitlers und über den erlebte, beschreibt in seinem Geleitwort zu dem Ostkrieg —, Willi Dreßen, Staatsanwalt bei der 1987 in englischer Sprache publizierten, nun- Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen mehr auch in deutsch herausgegebenen Foto- zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigs- band, wie stark noch immer die Erinnerung in burg, sowie der Geschichtsstudent Volker Rieß der UdSSR an den 22. Juni 1941 ist, als die deut- in diesem Buch an dokumentarischem Material sche Wehrmacht das Land überfiel. Jener zusammengetragen haben, ist geeignet, ein brei- Schreckenstag war »der Anfang des größten und tes Lesepublikum zu erreichen und — ein aus- schrecklichsten aller Kriege unserer Zeit, des drücklich formuliertes Ziel der Autoren — »zu Kriegs Hitler gegen Stalin«, konstatiert der ame- Trauerarbeit anzuregen und aufzuklären«. Denn rikanische Publizist. Von beiden Diktatoren es verbindet Fotografien schrecklicher Mordsze- wurde der Krieg rücksichtslos und unerbittlich nen, die großenteils aus den Beständen der Lud- geführt; auf beiden Seiten gab es denn auch viele wigsburger Zentralen Stelle stammen, mit Aus- Millionen Opfer. Hitlers Ziel war die Vernich- zügen aus Tagebüchern, Briefen, Erlebnisberich- tung der Sowjetunion und Ausrottung großer ten und Zeugenaussagen vor Gericht, wodurch Teile der Bevölkerung, um den angestrebten der Eindruck einer großen Authentizität ent- »Lebensraum im Osten« zu erhalten. Fast jede russische Familie ist von den Auswirkungen des steht. »Großen Vaterländischen Krieges«, wie ihn Sta- Der erste Teil des Buches befaßt sich mit dem lin verkündete, betroffen worden. Thema »Judenmord im Alltag und Umfeld der Der von dem sowjetischen Schriftsteller und Einsatzgruppen«. Die Unterthemen lauten: Zur »Helden der Sowjetunion« Wladimir Karpow Besetzung Polens; Judenpogrome in Kauen zusammengestellte Bildband gewährt Einblick in (Kowno) und im übrigen Litauen; Angehörige das schreckliche Kriegsgeschehen. Die zum Teil der Einsatzgruppen über die Strapazen des Tö- erstmals publizierten Fotografien dokumentie- tens; Aussagen zur Legende des Befehlsnotstan- ren den von Beginn an als weltanschaulichen des; Judenmord als öffentliches Schaustück; Die Kampf durchgeführten Krieg aus der Sicht der Kindermassaker in Bjelaja-Zerkow; Aus dem Sowjetunion; nur einige wenige Bilder sind deut- Alltag der Judenvernichtung; Dokumente zur schen Ursprungs. Die ausgewählten Bild- und Verfolgung im Generalbezirk Weißruthenien; Textdokumente verdeutlichen das Grauen des Geheimurteil des Obersten SS- und Polizeige- entsetzlichen Kampfes. Schwerpunktartig wer- richts. Im zweiten Teil werden Dokumente über den die Schlachten um Leningrad, Moskau, Sta- die »Vernichtungs-Zentren« ausgebreitet, näm- lingrad, Kursk, das Geschehen im Hinterland bei lich Kulmhof (Chelmno) im Reichsgau Warthe- den Partisanen und das Leiden der Zivilbevölke- land sowie Belzec, Sobibor, Treblinka und Au- rung dargestellt. Elend und Tod gewinnen durch schwitz. die eindringlichen und dramatischen Bilder eine Der vorzügliche Anhang mit Dokumentennach- bedrückende Gegenwärtigkeit. Das Buch ist ein weis, biographischen Angaben, Zeittafel sowie Denkmal in Wort und Bild, das an die Strapazen einem Personen- und Ortsregister erleichtert die und Leiden der Soldaten, Männer und Frauen wissenschaftliche Benutzbarkeit dieses Buches. der UdSSR erinnert, die erst nach schweren Nie- Wolfram Wette derlagen im Kampf gegen das nationalsozialisti- sche Deutschland den Sieg errangen. Obwohl Salisbury auf Gorbatschows neue »Glasnost« in der UdSSR hinweist, die auch dem Buch zugute kam, ist der Text an manchen Stel- Wladimir Karpow: Russland im Krieg len nicht frei von Schwarz-Weiß-Malerei und 1941—1945. Vorwort von Harrison von — zum Teil verständlicher — Schärfe gegen- Ε. Salisbury. Einleitung von Wladimir über dem in die Heimat einfallenden Gegner, so Karpow. Texte von Georgi Drosdow und daß einige Bilderläuterungen überholt wirken Jewgeni Ryabko. Hrsg. von Carey Scho- und nicht überzeugen können. Insgesamt ma- field. Zürich: Schweizer Verlagshaus chen Aufmachung und Ausstattung das Buch je- 1988.253 S. doch zu einem anschaulichen Dokumentations- band über den deutsch-sowjetischen Krieg. Harrison Ε. Salisbury, der während des Zweiten Weltkrieges als Korrespondent einer US-Nach- GerdR. Ueberschär richtenagentur das Geschehen an der deutsch- sowjetischen Front und ab 1944 als Journalist der Hartmut Η. Knittel: Panzerfertigung im schen Kräfte dienstlicher und ziviler Stellen« Zweiten Weltkrieg. Industrieproduktion war. Hierdurch vergrößerte sich der Einfluß der für die deutsche Wehrmacht. Herford, Industrie erneut, da die Wehrmacht ihre Typen- Bonn: Mittler 1988. 144 S. (= Wehrtech- wünsche den Beschlüssen der Kommission un- nik und wissenschaftliche Waffenkunde. terzuordnen hatte, deren Zielsetzung die Reali- Bd 2.) sierung fertigungsgerechter Konstruktionen in Verbindung mit Produktionsanläufen in neuen Bei diesem Titel handelt es sich um eine technik- Fertigungsstätten war. Die Notwendigkeit ei- geschichtliche Studie mit ingenieurwissenschaft- ner gewaltigen Produktionssteigerung bei der lichen Elementen, die in äußerst detaillierter und Panzerwaffe war mittlerweile nach den ersten faktenreicher Form darstellt, wie die Werkslei- Erfahrungen an der Ostfront deutlich geworden. tungen der Rüstungsbetriebe auf die Forderun- Die Panzerentwicklungskommission errechnete gen und häufigen Änderungen der Produktions- am 17. Juli 1941, daß zur Realisierung eines ent- programme gepanzerter Kettenfahrzeuge rea- sprechenden Führerbefehls die Panzerwaffe, die gierten. Bei der Auswertung bisher unveröffent- zu dieser Zeit ca. 4000 Fahrzeuge besaß, um lichter Dokumente aus Archiven privatwirt- 15 444 Stück (entsprechend 36 neuen Panzerdi- schaftlicher Unternehmen konzentriert sich der visionen) verstärkt werden müsse. Das von Todt Autor bei seiner Analyse auf den Fertigungspro- verfügte Neubau- und Erweiterungsverbot wur- zeß von der Auftragsannahme der Firmen und der de in der Folgezeit bis zu seiner endgültigen Auf- Auftragsvergabepraxis des Heereswaffenamtes hebung kontinuierlich abgeschwächt. (HWA) bis zur betrieblichen Abnahme. Um die Die Probleme, die aus dieser Aufgabe resultier- Thematik vertiefen zu können, wird bei der Dar- ten, beschreibt der Autor an den Beispielen ver- stellung die gesamte Waffen- und Munitionsent- schiedener Werke in den Jahren 1941—1944. Als wicklung weitgehend ausgespart. Stichworte seien hier Maßnahmen der »horizon- Trotz wachsendem Auftragsvolumen vor und bei talen« (Fertigungskonzentration durch Zusam- Kriegsbeginn konstatiert der Autor einen Inter- menlegung von Betrieben) und der »vertikalen essenkonflikt zwischen dem HWA einerseits, Rationalisierung« (Vereinfachung des gesamten das sich für Forschung, Entwicklung, Beschaf- Fabrikationsprogrammes etwa durch technische fung und Abnahme zuständig fühlte, und den Verbesserungen oder durch Rohstoffeinsparun- Firmen andererseits, die ebenfalls im Bereich der gen) genannt. Forschung und Entwicklung im Kampfpanzer- In seiner Analyse gelangt der Autor zu der Fest- bau engagiert und etabliert waren. Bis 1940 gab stellung, daß es dabei unter den Bedingungen der es lediglich eine »bilaterale Kommunikation« sich verschlechternden Kriegssituation nie zu ei- zwischen dem HWA und den einzelnen Rü- ner echten Produktivitätserhöhung im Sinne ei- stungsbetrieben. Eine Koordination zwischen ner Steigerung der Erzeugerleistung pro Arbeiter den einzelnen Fertigungsstufen erfolgte — wenn und Stunde kam. »Eine Fertigung, die man als überhaupt — nur über das HWA. Massenausstoß bezeichnen könnte, wie bei- Mit der Gründung des Ministeriums für Bewaff- spielsweise in den USA oder auch in der Sowjet- nung und Munition im März 1940 und den Son- union, wo ζ. B. in Tscheljabinsk pro Tag 25 derausschüssen »Waffen« und »Panzerwagen« Fahrzeuge einschließlich Motoren und Schaltge- wurde die privatwirtschaftlich organisierte Rü- triebe hergestellt wurden«, hat es darüber hinaus stungsindustrie zu Lasten des Wehrwirtschafts- in Deutschland nie gegeben (S. 89). Die Ära und Rüstungsamtes in ihrem Einfluß gestärkt. Speer war schließlich durch mangelnde Sach- Reichsminister Todt besaß gegenüber dem kenntnis bei der Stellenbeschaffung und Beset- HWA ein unmittelbares Weisungsrecht, was zung der Sonderausschüsse und Ringe gekenn- ebenfalls zu einer Schwächung des Amtes in Fra- zeichnet. Durch Speers Konstruktionsverbot gen der Rüstungsproduktion führte. Aus der bi- wurde das HWA seines letzten entscheidenden lateralen Kommunikationsstruktur des HWA Aufgabenbereiches enthoben. Dieser Freiraum entstand so ein multilaterales Kommunikations- wurde aber von den größten Unternehmen nicht immer im Sinne einer fertigungsgerechten Kon- muster zwischen den Unternehmen, dem Pan- struktion genutzt — ein Umstand, der besonders zerausschuß und dem HWA. auch aus der Wirkungsschwäche der Panzerent- Eine zweite Schwächung des Amtes erfolgte wicklungskommission herrührte. Erst mit den durch die Einrichtung der Panzerentwicklungs- Zentralisierungsmaßnahmen des Ministeriums kommission unter der Leitung von Porsche, de- für Rüstung und Kriegsproduktion ab Novem- ren Aufgabe seit Juli 1941 die Zusammenfassung ber 1944 wurde die Stellung des HWA wieder aller »militärischen, technischen und fabrikatori- gestärkt und im Februar 1945 schließlich ein Für die Geschichtsschreibung ist von Interesse, Heeres-(Wehrmachts-) Waffenamt geschaffen. daß von Sachkennern festgehalten und beurteilt Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es wird, wie und unter welchen Bedingungen auf das Verdienst der vorliegenden Studie, dem Le- der mittleren und unteren Ebene im letzten ser einen Einblick in den Mikrokosmos der Pan- Kriegsjahr geführt worden ist. Indem der Ver- zerfertigung zu verschaffen, wie er bisher nicht fasser — tageweise fortschreitend — die damals möglich war. Heinz Dieter Hölsken gemeldeten Lageveränderungen, die jeweilige Feindlage und die damaligen Lagebeurteilungen schildert und durch Betrachtungen aus heutiger Sicht ergänzt, gewinnt der Leser ein klares Bild über das Zustandekommen der damaligen Füh- rungsentschlüsse. Eine kräfteschonende Führung Gerd Niepold: Panzeroperationen »Dop- konnte die eigenen Verluste gering halten und pelkopf« und »Cäsar«. Kurland-Sommer dennoch Erfolge erzielen. '44. Herford, Bonn: Mittler 1987. 152 S. Der eingefügte Beitrag eines damaligen Batail- lonskommandeurs über den inneren Zustand der Ebenso wie mit seiner ausführlichen Darstellung Truppe im Frühjahr 1944 behandelt u. a. die über den Zusammenbruch der Heeresgruppe Motivation der damaligen Soldaten sowie den Mitte1 verbessert Generalleutnant a. D. Niepold geringen Einfluß der NS-Ideologie. Derartige mit diesem Band die historischen Kenntnisse Zustandsschilderungen müßten noch mehr erar- über die damaligen Kampfhandlungen und lei- beitet werden, um einer falschen Bewertung der stet außerdem für den militärischen Leser einen Motive der Wehrmachtsoldaten entgegenwirken Beitrag zur Ausbildung im taktischen und opera- zu können. tiven Denken. Aus dem Blickwinkel der mittleren Ein leidiges Thema bei kriegsgeschichtlichen Führung, also der Armee- und Korpsebene, Veröffentlichungen unserer Zeit ist die Karten- schildert der Verfasser zwei weniger bekannte ausstattung. Sie reicht für die Lektüre gerade deutsche Angriffe am 16. August und am 16. aus, ist für Ausbildungszwecke als kriegsge- September 1944. Gegenüber den insgesamt weit schichtliches Beispiel jedoch unzureichend. Die- überlegenen Sowjets verliefen beide Operatio- se Kritik richtet sich nicht an den einzelnen Au- nen mit jeweils mehr als 300 eingesetzten Pan- tor, sondern an die Herausgeber und Verlage. Es zern erfolgreich. Der Angriff »Doppelkopf«, bei ist bei den heutigen drucktechnischen Möglich- dem die deutsche Führung anfangs bewußt den keiten nicht einzusehen, weshalb die Kartenaus- Schwerpunkt offen ließ, stellte die Verbindung stattung der Veröffentlichungen der kriegsge- zur Heeresgruppe Nord in einem 50 km breiten schichtlichen Abteilung des Generalstabs vor Streifen westlich von Riga wieder her, wenn 1914 fast durchweg besser sein konnte als bei auch das taktische Ziel, Mitau und Schaulen zu- heutigen Darstellungen — ausgenommen die rückzuerobern, nicht erreicht werden konnte. neueren Veröffentlichungen des MGFA. Caspar Mit dem begrenzteren zweiten Angriff »Cäsar« wurde ebenfalls das operative Ziel, sowjetische 1 G. Niepold: Mittlere Ostfront Juni '44. Darstel- Kräfte von der bedrängten Heeresgruppe Nord lung, Beurteilung, Lehren. Herford, Bonn 1985. abzuziehen, erreicht. Die mögliche langfristige Besprechung in MGM 38 (1985), S. 241-243. Auswirkung beider Operationen, nämlich die Heeresgruppe Nord für die weitere Verteidi- gung des Reichsgebiets verfügbar zu halten, wurde jedoch nicht nur durch das von Hitler be- fohlene Festhalten an Kurland, sondern ebenso Charles Richardson: Send for Freddie. The durch eine falsche Lagebeurteilung des Oberbe- Story of Montgomery's Chief of Staff fehlshabers der Heeresgruppe Nord, General- Major-General Sir Francis De Guingand. oberst Schörner, verdorben. Entgegen der von London: Kimber 1987. 263 S. Generaloberst Guderian angeordneten Ver- sammlung der verfügbaren Reserven hielt Schör- Die Geschichte kennt zahlreiche Beispiele für die ner diese Kräfte so weit nördlich zurück, daß im erfolgbegründende besondere Beziehungsquali- Oktober 1944 das endgültige Abschneiden der Heeresgruppe in Kurland und der erste sowjeti- tät zwischen einem Truppenführer und seinem sche Einbruch in Ostpreußen nicht mehr zu ver- Chef des Stabes. Das »Gespann« Montgomery — hindern waren. de Guingand bildet ein eindrucksvolles Glied in dieser Kette. »Send for Freddie« — dieser Ruf Montgomerys Ohne sich zu sehr in einer Aufzählung von Ein- in kritischen Situationen nach seinem Chef des zeldetails zu verlieren, macht der Verfasser das Stabes — ist sicherlich bezeichnend für die Bio- Gewicht und den Einfluß deutlich, den de Guin- graphie Major-General Sir Francis »Freddie« de gand in moderat-diplomatischer Weise gewann Guingands. Als erster »Chef des Stabes« eines — gegenüber Montgomery ebenso wie gegen- britischen Großverbandes war sein Wirken — über den unterstellten Kommandeuren oder Be- und damit auch wichtige Abschnitte seines Le- fehlshabern, aber auch in der Zusammenarbeit bens — eng verknüpft mit dem seines prägenden mit Befehlshabern und Stäben anderer Teilstreit- Vorgesetzten Montgomery. kräfte und der Alliierten. Eingebettet in eine Gesamtdarstellung seines Le- Die Leistungen de Guingands als Chef des Sta- bens von der Kindheit bis zu seinen erfolgreichen bes einer Armee und später einer alliierten Hee- Aktivitäten als Geschäftsmann in Südafrika bil- resgruppe sind um so höher einzustufen, als er det de Guingands Tätigkeit während des Zwei- nie ein eigenständiges Truppenkommando inne- ten Weltkrieges — und hier namentlich als Stabs- gehabt hatte. Dies erklärt zugleich seine immer chef — naturgemäß den zentralen und auch si- wieder herausgestellten Zweifel an der eigenen cherlich interessantesten Teil. Seine Beziehung Leistungsfähigkeit sowie seine Abhängigkeit zu Montgomery prägte dabei nach ersten Kon- vom Wohlwollen und der Leistungswürdigung takten in den 30er Jahren seit 1942 entscheidend durch Montgomery, aber auch das abrupte Ende den militärischen, ja selbst den anschließenden seiner aktiven militärischen Laufbahn im Jahr zivilen und auch schriftstellerischen Weg de 1945. Klaus Buschmann Guingands. In knapper, lebendiger Schilderung entsteht ein plastisches Bild dieses britischen Offiziers, der einem Offizierkorps angehörte, das der Indivi- dualität des einzelnen stets einen hohen Stellen- Ray T. Matheny: Die Feuerreiter. Gefan- wert zukommen ließ, ohne die verbindenden gen in »Fliegenden Festungen«. München, Elemente des Korpsgeistes darüber zu vernach- Hamburg: Knaus 1987. 286 S. lässigen. Der Verfasser, General Sir Charles Richardson, ist wie kaum ein anderer berufen, Entwicklung Das Buch hinterläßt zunächst einen irritierenden und Bedeutung dieser Zusammenarbeit zwischen Eindruck, und man tut gut daran, nach der Lek- zwei in hohem Maße gegensätzlichen Charakte- türe die Einleitung ein zweites Mal zu lesen um ren darzustellen, war er doch in den Jahren sich die Entstehungsgeschichte zu vergegenwär- 1941—1945 enger Mitarbeiter de Guingands. In tigen. einfühlsamer, zugleich aber auch einprägsamer Der Autor trat, von der amerikanischen Propa- Weise zeichnet er unter Bezug auf zahlreiche ganda, die sich zwischen den Weltkriegen keine Quellen diese sich gegenseitig ergänzende Bezie- Hemmungen gegenüber Deutschland auferlegte, hung nach. Zwangsläufig entsteht dabei aus der stark beeinflußt — verdummt würde er selbst engen Verbindung zwischen de Guingand und wohl sagen — 1942 als Achtzehnjähiger freiwillig Montgomery, die streckenweise fast zu einer Art in die amerikanische Heeresluftwaffe ein. Wäh- Abhängigkeit geworden zu sein scheint, mitunter rend seiner Ausbildungszeit als Bordmechaniker fast eine Art Doppelbiographie. in Amerika und seines von 1943 bis 1944 dauern- Außergewöhnliches persönliches Engagement, den Einsatzes in Europa berichtete er eingehend hohe geistige Beweglichkeit, ausgeprägtes Inte- nach Hause. Diese Unterlagen erhielt er 1982 grationsvermögen und ein ungewöhnliches di- vollständig von seiner Mutter zurück und be- plomatisches Fingerspitzengefühl in Verbindung nutzte sie als Grundlage seiner Schilderung. Die mit uneingeschränkter Loyalität kennzeichneten Quelle für die Darstellung seiner Kriegsgefan- als persönliche Eigenschaften »Freddie« de genschaft dürfte fast ausschließlich seine Erinne- Guingand und machten ihn in relativ kurzer Zeit rung gewesen sein, nachdem er sein in der Ge- für seinen Oberbefehlshaber unentbehrlich. Da- fangenschaft geführtes Tagebuch kurz vor zu trug zweifelsohne der eigenwillige, kompro- Kriegsschluß vorsichtshalber vernichtet hatte. mißlose, bisweilen ins Exzentrische gehende Füh- Wenn im Klappentext des Buches auch 1941 die rungsstil des Feldmarschalls bei, der die seit 1943 Vereinigten Staaten Deutschland den Krieg er- praktizierte alliierte Zusammenarbeit mit ihrer klären, wenn der Autor auch deutsche Flakge- zwangsläufigen amerikanischen Dominanz nur schütze auf 30 m hohen Türmen wähnt, damit schwer ertragen konnte. sie den Druckwellen der Bombendetonationen entgehen (S. 89), wenn der Übersetzer auch Dan van der Vat: The Atlantic Campaign. von »Reiseflug« statt »Marschgeschwindigkeit« The Great Struggle at Sea 1939—1945. spricht, so sollten derartige öfter anzutreffende With research by Christine van der Vat. Schnitzer nicht dazu verleiten, diese Veröffentli- London etc: Hodder & Stoughton 1988. chung aus dem »Kempowski-Archiv zeitgenössi- XVI, 424 S. scher Lebensläufe« als überflüssig anzusehen. Gerade der Mangel an Glattem und Profihaftem Um es gleich vorweg zu sagen: Neues bietet das unterstreicht die Authentizität. In der Tat han- Buch dem Kenner der Materie nicht, sei er nun delt es sich um einen sehr persönlichen, unprä- Wissenschaftler, sei er interessierter Laie, für den tentiösen Bericht, der von Haus aus sicher eine diese Arbeit in erster Linie geschrieben worden schlichte chronologische Aneinanderreihung ist. Die Schlachten auf dem Atlantik werden er- war. Erst der Herausgeber oder Verlag dürfte neut geschlagen, die Grausamkeiten des Ringens ihm eine notdürftige Struktur übergestülpt haben. um die Suprematie zur See zum wiederholten Der wohl auch vom Verlag zu verantwortende Male ausgebreitet und der Mythos von dem Bei- reißerische deutsche Titel mag den Verkauf stei- nahe-Sieg der Kriegsmarine perpetuiert. Wenn- gern, dem Inhalt wird er nicht gerecht. gleich sich der Autor von Churchills geflügeltem Was ist die Aussage? Dem Verfasser ging es be- Wort von »The Battle of the Atlantic« distanziert wußt oder unbewußt darum zu zeigen, wie der und die Auseinandersetzung lieber als eine auf- kleine Mann, in diesem Fall der Normalamerika- einanderfolgende Reihe von Schlachten ansieht, ner, den Krieg dargestellt bekam, den Krieg er- so folgt er doch Churchills Einschätzung, daß lebte und schließlich wie und wodurch er sein Großbritannien 1941 kurz vor der militärischen Opfer wurde. Für den deutschen Leser ist bereits Niederlage gestanden habe. Sicherlich schien die die Ausbildung in Amerika bemerkenswert; sie Kriegsmarine zeitweise die Oberhand zu gewin- ist großzügig angelegt, sowohl was die Dauer als nen, doch man wird nicht fehlgehen in der An- auch was die Disziplin angeht. Man spürt förm- nahme, daß Churchills zugespitzte Warnung vor lich die noch unausgeschöpften Reserven der einer bevorstehenden Niederlage einerseits die Vereinigten Staaten. Das versehentliche Bom- heimische Bevölkerung zu noch größerer An- bardieren einer richtigen Stadt (S. 35 f.) hat of- strengung, zu gesteigertem Leistungswillen und zu erhöhter Opferbereitschaft ermutigen, ande- fenbar ebensowenig Folgen wie das Beschießen rerseits aber auch vor allem von den Amerika- von weidenden Rindern mit Bordwaffen (S. 42). nern noch mehr Unterstützung erzwingen sollte, Reichlichen Alkoholgenuß vor oder bei Flügen ehe sie selbst in den Krieg eintraten. scheint der Autor erst dann als gefährlich zu Subjektiv haben die Briten wohl gespürt, daß sie empfinden, wenn die Flugsicherheit akut gefähr- es mit einem sehr starken Gegner zu tun hatten, det ist. Überhaupt erstaunt die Improvisation der der ihnen große Opfer abverlangte, der die Le- Besatzungsmitglieder. bensmittelversorgung in hohem Maße gefährde- Nach der bis dahin erfahrenen Propaganda er- te und Rationierungen vieler lebenswichtiger lebt der Autor den Einsatz in Europa als brutale Güter erforderlich machte. Objektiv betrachtet Desillusionierung, wenn nicht als Schock. Dieser hat das gegenseitige Abschlachten im Atlantik verstärkt sich noch durch den Abschuß im Januar die Versorgung Großbritanniens mit lebenswich- 1944 und die folgende Kriegsgefangenschaft. tigen Gütern nicht soweit einschränken können, Neben der Schilderung bizarrer, aber aus ver- daß aus wirtschaftlichen Gründen die Fortset- gleichbarer Situation bereits bekannter Zustände zung des militärischen Kampfes unmöglich ge- und Ereignisse ist die unterschiedliche Mentali- worden wäre. tät der Amerikaner, oder zumindest des Autors, dennoch auffallend. Sich im Guten oder Bösen in Van der Vat, Leitartikler des »Guardian«, der in eine Lebensweise außerhalb der amerikanischen rascher Folge mehrere Bücher in den letzten Jah- hineinzudenken, fällt ihm, vielleicht der Mehr- ren geschrieben und sich als Marineschriftsteller zahl der US-Gefangenen, schwer. einen Namen gemacht hat, nennt vier Gründe, Der Wert des Buches, eines Dokumentes des weshalb er eine zusammenfassende Darstellung Menschlichen, liegt überwiegend darin, daß die vorlegt. Erstens will er die Bedeutung, die man Sichtweise der damaligen Zeit bewahrt wird und dem Einbruch in den deutschen Funkverkehr spätere Erkenntnisse offenbar nicht eingebaut beigemessen hat, relativieren. Ultra war nur ein wurden. Viele kleine Fehler müssen wohl als Be- Faktor, und nicht einmal der wichtigste, der standteil des damaligen Kenntnisstandes gewer- schließlich den Sieg der Alliierten herbeiführte. tet werden und sind daher richtigerweise stehen- Zweitens will er den Beitrag der kanadischen geblieben. Friedhelm Golücke Marine am Erfolg ins rechte Licht rücken. Drit- tens betont er, daß der Erste Weltkrieg als Vor- »La stampa periodica della Repubblica sociale« läufer stärker bei der Beurteilung des Zweiten (Urbino 1982) als ein Kenner der letzten Kriegs- Weltkrieges einbezogen werden muß, als das ge- jahre, legt hier ein Repertorium über die Tages- meinhin getan wird. Denn damals sei das Muster zeitungen der Republik von Salö vor. Von für die zweite Runde geschaffen worden: die »L'Ambrosiano« (Mailand) bis »La Voce di massive Versenkung von Handelsschiffen durch Mantova« sind 40 Tageszeitungen präsentiert. deutsche U-Boote. Viertens rückt er die Zwi- Aufgeführt werden Titel, Verlagsort, Druckerei, schenkriegszeit in den Vordergrund als Vorbe- erschienene Nummern, Seitenumfang, Leitung, reitungsphase für den 1939 erneut einsetzenden Bibliotheksfundorte. In einer Art Repertorium Handelskrieg im Atlantik. Dabei unterliegt er al- werden anschließend wichtige Artikel, Polemi- lerdings dem Irrtum, daß er der Geheimrüstung ken oder Positionsänderungen der Zeitung kurz der Reichsmarine ζ. B. in der Form des Inge- skizziert. Man hat Paolucci und seinen zahlrei- nieurskantoor voor Scheepvaart in den Nieder- chen Mitarbeitern dankbar zu sein für ein Sam- landen einen Stellenwert beimißt, den das IvS nie melwerk, daß die Zeithistoriker in Zukunft mit gehabt hat. Gewinn und Zeitersparnis benutzen werden. Richtig ist allerdings, daß beide Seiten die Lek- Jens Petersen tionen, die man aus dem Ersten Weltkrieg hätte lernen können, eben nicht gelernt hatten: Die lange von den Amerikanern nicht erkannte Tat- sache, daß einzig und allein gut geschützte Ge- leitzüge mit Unterstützung durch Luftaufklä- rung den Alliierten das entscheidende Uberge- Emilio Lussu: La difesa di Roma. Α cura di wicht verleihen würden. Die deutschen Uber- Gian Giacomo Ortu e Luisa Maria Plai- wasserkriegsschiffe haben praktisch keinen Han- sant. Prefazione di Guido Quazza. Sassa- delkrieg führen können. Ihre Existenz stellte ri: Editrice Democratica Sarda 1987. 324 S. zwar permanent eine Bedrohung der Royal Navy dar und band deren Kräfte für den Eventu- Emilio Lussu (1890—1975) gehört zu den unver- alfall, aber letztlich trugen wie im Ersten Welt- wechselbaren Figuren der italienischen Politik krieg die U-Boote die Hauptlast des Krieges. dieses Jahrhunderts. Hochdekorierter Offizier Die als unzulänglich anzusehende Heranzie- im Ersten Weltkrieg, nach 1918 Gründer und hung deutscher Darstellungen muß kritisch an- wichtigster Repräsentant der Sardischen Ak- gemerkt werden. Daß der Autor glaubt, auf Sa- tionspartei, Antifaschist im Exil, einer der wich- lewskis dreibändiges Werk über die deutsche tigsten Vertreter von Giustizia e Libertä und der Seekriegsleitung oder auf die Abschnitte im Aktionspartei, hat er nach 1945 nicht mehr in »Handbuch zur deutschen Militärgeschichte« entscheidenden Positionen auf den Gang der ita- verzichten zu können, dagegen ausdrücklich ein lienischen Politik einwirken können. Er ist aber Buch von Böddeker als einzige übergreifende zur Symbolfigur der sardischen Autonomiebe- Darstellung hervorhebt, läßt sich nicht nur mit wegung geworden. Zwei seiner politisch-literari- mangelnden Deutschkenntnissen entschuldigen. schen Werke sind dank der Übersetzungen von Denn seine Frau hat für ihn deutsche Texte Claus Gatterer auch im deutschen Sprachraum durchgearbeitet. Das Vorurteil des Autors ge- bekannt. genüber einem Anmerkungsapparat, der doch in der Regel nur aus »ibid.« und »op.cit.« bestehe, Aus seinem Nachlaß ist jetzt ein unvollendet ge- scheint auch die Haltung begünstigt zu haben, bliebenes Opus postumum erschienen, eine detail- durchweg auf die neuesten Ausgaben der von lierte biographisch-psychologische Studie über ihm herangezogenen deutschen Bücher zu ver- die Krise der italienischen Politik 1943, zwischen zichten. Lars U. Scholl dem Sturz Mussolinis und dem Waffenstillstand vom 8. September. Dieses Datum gilt vielen Ita- lienern rückblickend noch immer als der schwär- zeste Tag in der Geschichte des Einheitsstaates. I quotidiani della Repubblica sociale italiana Uber Nacht verschwand nicht nur das italieni- (9 settembre 1943—25 aprile 1945). A cura sche Heer von mehr als 1,5 Millionen Mann, be- di Vittorio Paolucci. Urbino: Argalia fanden sich mehr als 700 000 Italiener auf dem 1987.422 S. Weg in die deutsche Gefangenschaft, sondern die staatliche Präsenz löste sich auch auf andere Paolucci, Zeithistoriker an der Universität Urbi- Weise auf. Polizei, Verwaltung, Steuersystem, no, ausgewiesen durch eine Monographie über Nachrichten- und Verkehrswesen — nichts funk- tionierte mehr. Aus einem Subjekt der internatio- Rolf-Dieter Müller, Gerd R. JJeberschär, nalen Politik wurde Italien über Nacht zu einem Wolfram Wette: Wer zurückweicht wird Objekt, geteilt und durch Krieg und Bürgerkrieg erschossen! Kriegsalltag und Kriegswende verwüstet. Die fast kampflose Auflösung einer in Südwestdeutschland 1944/45. Frei- Millionenarmee, die Preisgabe Roms, die unter burg: Dreisam-Verlag 1985. 110 S. wenig würdigen Umständen vollzogene Flucht von König, Regierung und militärischer Führung Die stattliche Zahl regionaler Untersuchungen in den Süden wirken als Zeichen einer kollekti- zu Vorgängen und Entwicklungen in der letzten ven Selbstpreisgabe im öffentlichen Bewußtsein Phase des Zweiten Weltkriegs wird mit diesem bis heute nach. War diese Katastrophe unver- Bändchen [»Wer zurückweicht wird erschos- meidlich? Hätte es andere, weniger kostspielige sen«] aus dem Freiburger Dreisam-Verlag erwei- Möglichkeiten gegeben, den Faschismus zu stür- tert. Drei Autoren — Rolf-Dieter Müller, Gerd zen und den Bündniswechsel zu vollziehen? R. Ueberschär und Wolfram Wette — teilen sich Aus intimer Kenntnis der Protagonisten entwirft acht Einzelthemen, von denen allerdings zwei Lussu eine glaubwürdige Portraitgalerie der keine unmittelbare Beziehung zum Thema ha- Hauptakteure, die von Badoglio, König Viktor ben. Denn weder das Kapitel »Die Kapitulation« Emanuel III. und Guariglia bis zu Caviglia, Ca- noch die Abhandlung »8. Mai — Anmerkungen stellano und Marchesi reicht. Quazza nennt das zum vierzigsten Jahrestag«, so gedankenreich Buch »die vielleicht vollständigste Darstellung« und lesenswert sie sind, rechtfertigen sich aus der Sommerwochen 1943 (S. 13). dem Untertitel. Diese Einschätzung wurde ich nicht teilen. Lussu Allerdings ist auch dieser Zweittitel etwas zu ist kein Fachhistoriker. Er hat keine historische hoch gespannt. In Wahrheit beschränkt sich das Abhandlung geschrieben. Aber er hat versucht, geschilderte Geschehen weitgehend auf den süd- aus dem fast unentwirrbaren Durcheinander von badischen Raum mit Schwerpunkt Freiburg. Tabus, Widersprüchen, Lügen, Täuschungen, Doch das ist kein Mangel und kein Makel. Denn Entstellungen und Verschweigungen, das den so wie beispielsweise die Judenverfolgung — die Ablauf jener Tage und Wochen umgibt, jene Fä- allerdings in diesem Buch nicht vorkommt, weil den der Logik, der Wahrscheinlichkeit und der sie im Berichtszeitraum praktisch abgeschlossen Faktizität herauszuziehen, die Teil jeder künfti- war — Dramatik vor allem aus der Schilderung gen Rekonstruktion bilden müssen. Dazu gehö- lokaler Ereignisse und personenbezogener ren handlungsmitbestimmend die Illusionen und Schicksale erhält, so wird Kriegsalltagsgeschich- Blindheiten der Akteure. So wird deutlich, daß te gerade durch die Darstellung von Vorgängen die Italiener den ihnen verbliebenen Handlungs- gewissermaßen »vor der Haustür« überzeugend spielraum bei weitem überschätzten und die belegt. Härte der »unconditional surrender«-Forde- So erfährt man im Kapitel über den Bomben- rung nicht völlig ernst genommen haben. Lussu und den »Totalen Krieg« nicht nur Details des akzeptiert nicht die von der Linken, speziell von verhängnisvollen Luftangriffs vom 27. Novem- R. Zangrandi vorgetragene Interpretation, die ber 1944 auf Freiburg, sondern auch Fakten wie den Schlüssel für das Verständnis des 8. Septem- jene, daß die Breisgaumetropole viel zu spät als ber in einem Geheimabkommen zwischen Kes- »Luftschutzort I. Ordnung« eingestuft oder daß selring und Ambrosio sieht. Für ein so verdeckt das Freiburger Münster nur zufällig von der ablaufendes Zusammenspiel sieht er keinerlei nachhaltigen Zerstörung der Innenstadt ver- dokumentarische Beweise. schont wurde. Und dem materialreichen Kapitel Zu den Schwächen der Arbeit zählt — und das über die Kriegswirtschaft in Südbaden ist zu ent- gilt für fast alle sonstigen italienischen Beiträge nehmen, daß sich ein »Freiburger Kreis«, der un- zu diesem Themenbereich —, daß der Autor keine ter Professor Adolf Lampe Verbindung zum deutschen Arbeiten herangezogen hat. Als Sym- »Bonhoeffer-(Widerstands-)Kreis« hatte, auf ptom für diese Leerzone sei annotiert, daß Kes- den Ubergang von der Kriegs- zur Friedenswirt- selring obstinat falsch als Kesserling figuriert — schaft vorbereitete, indem er an theoretischen vermutlich ein Lesefehler der Herausgeber. Der Grundlagen einer freiheitlich-sozialen Markt- Text hat nicht die hinreißende literarische Kraft wirtschaft arbeitete. Daß Freiburg mit einem so- früherer Arbeiten Lussus. Gleichwohl finden sich genannten Rüstungskommando, dem 166 Be- etliche Passagen erzählerischer Ironie, die an die triebe mit 50 000 Beschäftigten unterstanden, ei- besten Seiten von »La marcia su Roma e dintor- ne beachtliche Rolle in der Rüstungswirtschaft ni« erinnern. Jens Petersen spielte, ist gleichfalls ein keineswegs weitbekann- 268 tes Faktum. Volkssturm, Einsatz der Zivilbevölkerung zu Hauptteil ist die Kriegsgefangenschaft in Camp Rüstungs- und Schanzarbeit sowie schließlich Edwards/Mass. (S. 49—211). Ein Zwischenkapi- die militärischen Abläufe im Südwesten gegen tel über die Rückfahrt nach Europa leitet über zu Kriegsende sind weitere Themen mit starken den beiden brititschen Camps Nr. 2224 und 2228 südbadischen und Freiburger Bezügen. In diese in Belgien mit anschließender Entlassung. mischen sich auch Kuriositäten wie jene, daß die In einer teilweise sehr offenen, plastischen Spra- Freiburger NS-Frauenschaft noch Anfang April che werden uns die Empfindungen aus der da- 1945, als beispielsweise Karlsruhe schon von den maligen Zeit relativ ungefärbt vermittelt, nir- Franzosen besetzt war, am Martinstor eine Näh- gendwo indessen kritische Fragen gestellt. Wieso stube einrichtete oder daß der Freiburger Ober- wurden laut Hirschfeld die deutschen Gefange- bürgermeister wenige Tage vor dem Fall der nen häufig wie Verbrecher behandelt und gefol- Stadt bekanntgeben ließ, seit dem Luftangriff tert? Ohne Scheu werden noch heute NS-Propa- vom November 1944 seien jetzt erstmals wieder gandabegriffe wie »GPU-Methoden«, »Solda- die Formblätter vorrätig, mit denen kinderreiche teska« und »Terrorangriffe« immer wieder be- Mütter Anträge zur Verleihung des Ehrenkreu- nutzt, genüßlich einige tragische Fälle (U-873: zes stellen könnten . . . Dramatischer Kontra- Steinhoff-Selbstmord; U-85: Ermordung der punkt zu manchen Absonderlichkeiten während Besatzung; U-852: Fall Eck; U-515: Ermordung der letzten Kriegsmonate sind die sorgfältig re- Henkes) breit verarbeitet. Selbstverständlich war cherchierten Vorgänge im Kapitel über die Roosevelt nach diesem Raster ein Kriegsverbre- standrechtliche Erschießung von fünf fahnen- cher — im Gegensatz zu den in Nürnberg verur- flüchtigen Soldaten am 10. und 11. April 1945 — teilten beiden Großadmiralen Raeder und Dö- zehn Tage vor der Besetzung von Waldkirch und nitz — und der Überfall der Japaner auf Pearl Freiburg. Harbor provoziert (S. 94, 159). Das in diesem Insgesamt erfährt vor allem das südbadische Ge- Zusammenhang zitierte Werk von Robert A. schehen während der letzten Kriegsmonate Theobald »The final Secret of Pearl Harbor« er- durch dieses Buch dank vielfältiger Blickpunkte schien schon 1954 und kann inzwischen nicht und verläßlicher Quellen eine wertvolle Aufhel- mehr als seriöse Quelle gegen Roosevelt heran- lung: eine verdienstvolle Untersuchung, die gezogen werden. durch eine »Chronik der Kriegsereignisse in Zu den Nachkriegshinrichtungen von U-615- Südwestdeutschland« ergänzt wird und mit Bil- Soldaten (S. 51 f.) am 25. August 1945 in den dern und Dokumenten angereichert ist. USA einige Bemerkungen: Der Spitzel wurde Josef Werner breits am 12. Mai 1944 gelyncht. Hirschfeld ver- liert in diesem Zusammenhang kein Wort über entsetzliche Sprachformulierungen von Dönitz, die weitgehend zu einem derartigen Klima bei- getragen hatten. Mit seiner Zustimmung führte Wolfgang Hirschfeld: Das letzte Boot. At- man in einem Gefangenenlager eine »planvolle« lantik Farewell. München: Universitas Ermordung eines Kommunisten durch2. Die 1989.332 S. Charakterisierungen von Polen müssen ebenso kritisch registriert werden wie die zahlreichen Hirschfelds Buch gehört zu den ganz wenigen Hinweise auf Juden. Relativ gut informierte sich Erinnerungen eines ehemaligen Mannschafts- Hirschfeld aus der damaligen US-Presse, die er dienstgrades (Oberfunkmeister) der Kriegsmari- teilweise hämisch kritisiert. Merkwürdigerweise ne. Uber seine Person — geboren 1916, ab 1935 geht er jedoch nicht auf Berichte über KZ-Lager in der Marine und ab 1940 bei der U-Boot-Waf- ein. Hin und wieder werden Einzelheiten der fe: U-109 und U-234 — erfährt man kaum etwas. U-234-Fahrt in den Text eingebettet. Manche Hierzu ist man auf ein früheres Buch des Verfas- »Fälle« wurden nachträglich aus teilweise über- sers angewiesen1. holten Quellen, um die permanente Bösartigkeit der damaligen Gegner zu dokumentieren, her- Uber die hier verarbeiteten Aufzeichnungen angezogen. Die Baralong (S. 154: McBride war werden verschiedene Versionen angeboten (vgl. nicht der Kommandant) stand allerdings bei der S. 17, 239 und 329). Von den »Feindfahrten« ist Versenkung von S. M. U-27 unter der Führung bekannt, daß es sich um eine Rekonstruktion von Lt. Cdr. Herbert, im September 1915 bei handelt. Die U-234-Operation — mit der Kapi- der Niederkämpfung von S. M. U-41 hieß sie tulation beginnt erst das neue Buch — wird noch inzwischen Wyandra und wurde von Lt. Cdr. in den »Feindfahrten« ausführlich geschildert, im Wilmot-Smith befehligt. Die Prinz Eugen war ein »Letzten Boot« dagegen nur kurz gestreift. Schwerer, kein großer Kreuzer (S. 32), das Set- gen Krieg auf ihrem Territorium gelang es ihr zen der sogenannten »Piraten«-Flagge (S. 40 f.) kaum, die eigene Bevölkerung halbwegs zurei- haue eine ganz andere Bedeutung. Diese Hin- chend mit Nahrungsmitteln zu versorgen, ge- weise auf Schludrigkeiten lassen sich beliebig schweige denn die plötzlich hinzugekommenen vermehren und verweisen auf bestimmte Grund- Hunderttausende ausgemergelter Männer. Als tendenzen des Buches. sie später dazu in der Lage war, setzte sie alles Von einer nachträglichen Lernfähigkeit des Ver- daran, die deutschen Gefangenen quantitativ fassers ist nichts spürbar. Bei dieser nicht sehr an- und qualitativ möglichst genau so zu versorgen spruchsvollen Darstellung schimmert allzu fa- wie die vom Kriege unmittelbar betroffenen So- denscheinig eine ständige antikommunistische wjetbürger.« (S. 10) Hinsichtlich der Relevanz Akzentuierung durch. Dieses Buch ist eine trivia- muß weiterhin berücksichtigt werden, daß sich le Aneinanderreihung von Tagesereignissen oh- die Heimkehr der Kriegsgefangenen erst mehre- ne den Versuch einer gedanklichen Durchdrin- re Jahre nach Kriegsende, für nicht wenige sogar gung des politischen Umfeldes, mit bewußt sub- erst Mitte der fünfziger Jahre, nach dem spekta- jektiven Verzerrungen. Bodo Herzog kulären Adenauer-Besuch in Moskau, bewerk- stelligen ließ und daß die Erfahrungen dieser Heimkehrer das politische Klima in der Bundes- 1 W. Hirschfeld: Feindfahrten. Das Logbuch eines republik und die Einstellung der Deutschen ge- U-Boot-Funkers. Wien 1982. genüber der Sowjetunion nachhaltig mitgeprägt 2 IMT, Bd V, (S. 291 f.), XIII (S. 435 ff., 522 ff.), haben. Gefangenschaft und Heimkehr: Für die XVIII (S. 401 f.) und Dokument D-650. Betroffenen gehörten sie zu den wichtigsten Ein- drücken ihres Lebens. Sie sind zugleich der spre- chende Beleg dafür, daß mit dem Schweigen der Waffen am Ende des Zweiten Weltkrieges noch lange kein Zustand erreicht war, der den Namen Frieden verdient hätte, der aus diesem Grunde Albrecht Lehmann: Gefangenschaft und zu Recht genauer als Nachkriegszeit bezeichnet Heimkehr. Deutsche Kriegsgefangene in wird. Für manchen Spätheimkehrer, den Krieg, der Sowjetunion. München: Beck 1986. Kriegsgefangenschaft und Heimkehr bis heute 201 S. im Traum verfolgen (vgl. S. 159 ff.), mag gar der gesamte Rest seines Lebens eine Nachkriegszeit Dieses Buch des Professors für Volkskunde an bleiben. der Universität Hamburg vereinigt gleich drei Vorzüge: Erstens bedient es sich neuer For- Der Autor hat als wichtigste Quelle ein Material schungsmethoden; zweitens bietet es relevante zum Sprechen gebracht, das in der militärhistori- neue Ergebnisse; drittens schließlich ist es allge- schen Literatur bislang nur selten genutzt wurde, mein verständlich, streckenweise gar spannend nämlich die mündliche Erzählung ehemaliger geschrieben. Es hat daher die Chance, nicht bloß deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion. im wissenschaftlichen Umfeld, sondern auch von Genauer gesagt, wertete er eine größere Anzahl denen wahrgenommen und gelesen zu werden, »erzählter Lebensläufe von Männern der Jahr- von denen es handelt: den ehemaligen Welt- gänge von 1915 bis 1925« aus. Die entsprechen- krieg-II-Soldaten und späteren Kriegsgefange- den »lebensgeschichtlichen Erhebungen« wur- nen wie auch den Familienangehörigen, die den den 1978/79 und 1983/84 durchgeführt. Leh- Heimkehrer nach oft vielen Jahren Kriegsgefan- mann und seine Mitarbeiter1 befragten vorwie- genschaft in der Sowjetunion, um die es in die- gend Industriearbeiter aus Hamburg, die den sem Buch ausschließlich geht, wieder in das nor- Krieg als Mannschaftssoldaten oder als Unterof- male Alltagsleben integrierten. fiziere erlebt hatten, aber auch einige ehemalige Die Relevanz des behandelten Themas ergibt Offiziere. Die bislang noch allzu selten themati- sich einmal aus dem Tatbestand, daß während sierte Perspektive »von unten« ist es, die den be- des Zweiten Weltkrieges etwa 3,2 Millionen sonderen Reiz dieser Darstellung ausmacht. Sie deutsche Soldaten in sowjetische Gefangenschaft folgt durchgängig dem Prinzip, daß die ehemali- gerieten. Von ihnen sind 1,1 Millionen in den gen Gefangenen mit ihren Aussagen selbst zu Lagern an Hunger, Entkräftung oder Krankheit Wort kommen. Allerdings geschieht dies nicht gestorben. Lehmann erklärt hierzu: »Bei einer isoliert, sondern innerhalb der kultur-, sozial- gerechten Einschätzung dieses Massenschicksals und politikgeschichtlichen Zusammenhänge, in muß man jedoch die wirtschaftliche Lage der So- denen Kriegsgefangenschaft und Heimkehr wjetunion berücksichtigen. Nach dem jahrelan- standen. Selbstverständlich hat Lehmann dabei auf die David Rolf: Prisoners of the Reich. Ger- 22bändige, von Erich Maschke herausgegebene many's Captives 1939—1945. London: »Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen Cooper 1988. XIII, 226 S. des Zweiten Weltkrieges« (München 1962—1974) ebenso zurückgegriffen wie auf die übrige histo- Um es gleich vorweg zu sagen: Rolfs Geschichte rische Spezialliteratur und eine größere Anzahl der britischen Kriegsgefangenen — denn nur um autobiographischer Darstellungen der Kriegsge- diese geht es — ist kein wissenschaftliches Werk. fangenschaft. »Es ist ein methodisches Prinzip in Quellen und Sekundärliteratur sind nur in einem diesem Buch, sehr unterschiedliche Quellen- relativ geringen Umfang eingearbeitet; auf Lite- gruppen gemeinsam zur Darstellung und Deu- ratur zu den einzelnen Kapiteln wird lediglich tung heranzuziehen: in jüngster Zeit erhobene pauschal verwiesen. Es lag nicht in der Absicht mündlich erzählte Erinnerungen neben literari- des Autors, eine umfassende Untersuchung über schen Darstellungen der 1940er und 1950er Jah- die britischen Kriegsgefangenen in deutscher re, wissenschaftliche Literatur zusammen mit Ar- Hand vorzulegen, wie dies Christian Streit vor chivmaterial und Belletristik. All das sind Veröf- zehn Jahren für den Bereich der sowjetischen fentlichungen und Quellengruppen, die bisher in Gefangenen tat. Wer eine exakt abgestützte Dar- anderen Zusammenhängen gesehen wurden.« stellung oder neue Erkenntnisse sucht, ist mit (S. 12 f.) Man kann dem Autor uneingeschränkt David Rolfs Werk sicher schlecht beraten. bescheinigen, daß mittels dieses neuen Zugriffs ein wirklichkeitsnahes, plastisches Bild von Ziel des Autors ist die Aufklärung. Er sieht die Kriegsgefangenschaft und Heimkehr entstanden öffentliche Meinung in England hinsichtlich der ist, in dessen Mittelpunkt die menschliche Di- POW noch immer bestimmt von der Vorstellung mension dieses schweren Weges steht. eines vermeintlich sicheren Lagerlebens und Die Darstellung selbst folgt einer systematischen heroischer Fluchtversuche. Hier soll nun »die an- Gliederung. In den neun größeren Abschnitten dere Geschichte« (S. XI) zur Sprache kommen, des Buches kommen folgende Themen zur Spra- sollen die Erlebnisse derjenigen »nacherzählt« che: Die Gefangennahme, die »Kriegsverbre- werden, die oft jahrelang in Lagern unter cherprozesse«, Lagerwelt und Lagerkultur, die schlechten Lebensbedingungen ausharren muß- »Hungerkultur«, Arbeit und »Freizeit«, Lager- ten. Wie ein roter Faden zieht sich zudem eine welt und Heimat, Entlassung und Heimkehr, das Rechtfertigungsabsicht durch das Buch, obwohl Einleben in Familie, Ehe und Beruf und schließ- der Autor nicht persönlich betroffen ist: Der oft lich die Folgen der Kriegsgefangenschaft. erhobene Vorwurf der Feigheit soll widerlegt Was die heimgekehrten Kriegsgefangenen in den werden. 50er Jahren als besonders bitter erlebten, muß Rolf stützt sich in der Hauptsache auf Erinne- uns auch heute noch zu denken geben: Sie stie- rungen und Aufzeichnungen ehemaliger Kriegs- ßen, ähnlich wie die Flüchtlinge, in ihrem tägli- gefangener. Hunderte von Tagebüchern, Berich- chen Leben immer wieder auf Ressentiments und ten und Briefen wurden zusammengetragen, In- Ablehnung. »Sie waren schließlich ein Teil der terviews abgehalten, Fragebögen versandt und Vergangenheit, die die meisten damals schnell Nachlässe gesichtet. Die persönlichen Erlebnisse hinter sich bringen wollten.« (S. 136) Gerade von Soldaten aller Truppengattungen und auch die ehemaligen »Mitläufer« des Naziregi- Dienstgrade werden ausgiebig zitiert und mit mes setzten alles daran, die Vergangenheit durch den historischen Rahmenbedingungen verwo- Verdrängen zu »bewältigen«. Die heimgekehrten ben. Quellenbelege zu den Zitaten im Text feh- Kriegsgefangenen mußten deren Desinteresse len jedoch. So entstand eine anschauliche und und sogar Mißtrauen erleben. Wolfram Wette gut lesbare, aber eben auch zu weiten Teilen sub- jektive Geschichte vom Schicksal britischer Kriegsgefangener. 1 Aus demselben Arbeitszusammenhang kommt das Buch von H.J.Schröder: Kasernenzeit. Arbeiter Die zehn Kapitel folgen dem Ablauf einer Ge- erzählen von der Militärausbildung im Dritten Reich. Frankfurt, New York 1985. Vgl. die Bespre- fangenschaft: Gefangennahme, Transport und chung von Johannes Fischer in MGM 43 (1988), Ankunft, Leben in verschiedenen Lagern und S. 223-225. schließlich die Befreiung. Dabei werden einige interessante Aspekte angerissen, etwa wenn die psychologischen Folgen einer Gefangennahme beschrieben werden. In der Regel empfanden In- fanteristen ihre Uberwindung als Schmach und hatten oft traumatische Schuldgefühle, während Seeleute in ihrer Gefangennahme eher eine Ret- Bonn und Paris so schwer taten, ihren Überein- tung erblicken konnten. stimmungen eine feste politische Form zu geben. Obwohl der Autor ein möglichst umfangreiches Ohne das persönliche Engagement von Konrad Panorama des Lagerlebens zu zeichnen sucht, Adenauer und Charles de Gaulle ist der Weg zu kommen doch einige Bereiche, die man eigent- diesem Ziel nicht hinreichend erklärbar. Zwar lich erwartet hätte, deutlich zu kurz oder werden muß der deutsch-französische Vertrag vom gar nicht angesprochen. So ζ. B. die Lagerorga- 22. Januar 1963 nicht als ein zwingender Schluß- nisation durch die Gefangenen selber, Möglich- punkt der bundesdeutschen »Option für den keiten und Umfang des Arbeitseinsatzes oder das Westen« angesehen werden, aber als eines der bis Verhältnis zu Gefangenen aus anderen Natio- heute wichtigsten Etappenziele bietet er eine nen. sinnvolle Abrundung des behandelten Themas. Rolf hat eine plastische und teilweise recht span- Besonderes Gewicht legt der Autor in seiner nende Zusammenschau des Lebens und Uberle- Darstellung auf die Außenwirtschaftsbeziehun- bens britischer Kriegsgefangener geschrieben. gen. War die junge Bonner Republik in dieser Um jedoch »as accurately as possible« (S. XI) zu Hinsicht schon früh auf eine Westbindung und sein, hätte außer den Erinnerungen mehr nach- Westintegration festgelegt, so mußten für die prüfbares Material einbezogen werden müssen. politische und vor allem die militärische Integra- So entfernt sich das Buch nicht weit von der tion sowohl im Innern als auch nach außen er- reichlich vorhandenen und auch im Literaturver- hebliche Widerstände überwunden werden (vgl. zeichnis aufgeführten Memoirenliteratur, »co- S. 63 f. und 110). Gewiß lag die Bundesrepublik lourful accounts of German prison camps« bereits Ende der vierziger Jahre »geographisch (S. XI), wie sie der Autor selber nennt. an der Peripherie, wirtschaftspolitisch aber im Andreas Daniel Zentrum« der westlichen Welt; doch resultiert ihre »Staatsräson« deshalb allein aus ihrem wirt- schaftlichen Erfolg (S. 48 und 126)? Herbst sel- ber weist abschließend darauf hin, daß der Pro- zeß der deutsch-französischen Aussöhnung als Ludolf Herbst: Option für den Westen. das »Zentrum der europäischen Integration« Vom Marshallplan bis zum deutsch-fran- (S. 252) angesehen werden muß. Die Vorleistun- zösischen Vertrag. München: Deutscher gen, die Adenauer hierfür — sicherlich auch auf Taschenbuch Verlag 1989. 264 S. Kosten der Hoffnungen auf eine deutsche Wie- (= Deutsche Geschichte der neuesten dervereinigung — zu erbringen bereit war, reich- Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegen- ten weit über die Aussicht auf einen Wirtschafts- wart. dtv-Bd 4527.) aufschwung hinaus. Sie zielten auf ein Höchst- maß an Supranationalität, das trotz fortbeste- Darstellungen zur deutschen Außenpolitik in der hender nationalstaatlicher Politik in Westeuropa Ära Adenauer liegen bereits in großer Zahl vor; möglich war und über das hinaus neue Gleichbe- an abwägenden Gesamtdarstellungen besteht je- rechtigung und Souveränität überhaupt erst er- doch nach wie vor ein Mangel. Auch das vorlie- reichbar schienen (vgl. S. 78, 108 ff. und 114). gende Buch von Ludolf Herbst aus der Reihe Alles in allem verdienen drei positive Aspekte des »Deutsche Geschichte der neuesten Zeit« ver- Buches abschließend hervorgehoben zu werden: sucht nicht, unterschiedlichen Interpretations- Zum einen gelingt es dem Autor, das Gesamt- möglichkeiten in gleicher Weise gerecht zu wer- problem der Westintegration umfassend darzu- den. Der Autor konzentriert sich vielmehr auf stellen und dabei nicht nur dem aktuellen For- die »Option für den Westen«, die für Adenauer, schungsstand gerecht zu werden, sondern auch aber nicht nur für ihn, primär eine Option für — zumindest für die erste Hälfte des untersuch- Frankreich darstellte. Während die Weichen für ten Zeitraums — Erträge der eigenen Archivar- eine Westbindung im allgemeinen in den westli- beit mit einzubringen. Zweitens bietet der Text chen Besatzungszonen bereits sehr früh gestellt eine gelungene Verknüpfung von mehr erzäh- waren, gewann das Verhältnis zwischen dem lenden und rein analysierenden Passagen, die neuen Teilstaat Bundesrepublik und Frankreich gleicherweise gut lesbar sind. Und drittens erst nach und nach eine konkrete Gestalt. Ob- schließlich dürfte das Buch nicht zuletzt wegen wohl sich die Interessen beider Staaten speziell in der ausführlich kommentierten Bibliographie wirtschaftlicher Hinsicht von Anfang an sehr zum einen und des freundlichen Verkaufspreises weitgehend deckten, ist es angesichts der jahr- zum anderen auf ein breites Interesse stoßen. hundertealten Rivalitäten verständlich, daß sich Helmut Reifeld Martin Beglinger: »Containment« im litischen Gründen an einem Abbau der Spannun- Wandel. Die amerikanische Außen- und gen oder zumindest begrenzten Ubereinkünften Sicherheitspolitik im Ubergang von Tru- mit dem Westen interessiert sein könnten. In der man zu Eisenhower. Stuttgart: Steiner Selbsteinschätzung der USA wird deutlich, daß 1988. 341 S. (= Beiträge zu Kolonial- die US-Regierung, entgegen der öffentlichen und Überseegeschichte. Bd 41.) Behauptungen, von der noch auf Jahre andau- ernden eigenen militärischen Überlegenheit aus- Diese Züricher Dissertation befaßt sich mit ei- ging, auch wenn die Sowjetunion schnell aufho- nem zentralen Thema der amerikanischen Au- len würde. Selbst unter diesen Voraussetzungen ßenpolitik, der Entwicklung sicherheitspoliti- verwarf Eisenhower »Roll back« und die Politik scher Konzeptionen vor dem Hintergrund der der »Befreiung« und entschied sich für »Contain- sich wandelnden internationalen politischen und ment«, die Fortsetzung der Politik der Truman- militärischen Konstellationen nach dem Tode Administration. Nicht zuletzt ökonomische Stalins. Von besonderem Interesse ist diese The- Gründe, die Notwendigkeit, den Haushalt ab- matik auch, weil mit dem »New Look«, der neu- zugleichen und damit seine Wahlzusagen einzu- en Verteidigungsstrategie mit ihrem Rückgriff lösen, als auch die Gewißheit, daß ein demokra- auf den Einsatz von Atomwaffen, die bisherige tisches Land keine totale Militarisierung des Dimension des Ost-West-Konflikts auf eine Haushaltes überstehen konnte, ohne die Demo- qualitativ höhere und gefährlichere Ebene geho- kratie, den »American Way of Life« selbst, aufs ben wurde. Spiel zu setzen, bestärkten Eisenhower in seiner Entscheidung. Unter diesem doppelten Gesichts- Ausgehend von dem Präsidentschaftswahlkampf punkt war die Entwicklung des »New Look«, der 1952, den Angriffen der Republikanischen Partei Rückgriff auf die atomare Verteidigung in einem auf die angeblich gescheiterte »Contain- Konflikt mit der Sowjetunion, nur konsequent. ment«-Politik der demokratischen Truman- Konventionell ausgerüstete Bodentruppen ver- Administration, untersucht der Verfasser in neun schlangen einen großen Teil des Miltärhaushalts. Kapiteln die Reaktion der Regierung Eisen- Ohne einen Teilabbau der Truppen in Übersee hower auf die Entwicklungen in der Sowjetunion war der Haushalt nicht auszugleichen. Mit der nach dem Tode Stalins, die Perzeption der so- Neubesetzung des Generalstabs, an dessen Spit- wjetischen Politik, die Formulierung der neuen ze jetzt ein Angehöriger der Marine, Admiral Verteidigungsstrategie, ihre Umsetzung und ihre Radford, und damit eines Truppenteils stand, Auswirkungen auf die NATO und in Indochina. der nach der Luftwaffe am meisten von der neu- Ferner setzt Beglinger sich mit den ersten Abrü- en Verteidigungsstrategie profitierte, schien Ei- stungsinitiativen Eisenhowers und den Ansätzen senhower seine neue Politik noch zu stärken. Al- zu einer neuen Osthandelspolitik auseinander. lerdings bedeutete das Konzept der atomaren Im Mittelpunkt der Analyse steht der außenpoli- Abschreckung keinesfalls, daß die USA Truppen tische Planungs- und Entscheidungsprozeß. aus Europa abziehen würden. Neben militäri- Von zentraler Bedeutung für die Langzeitpla- schen Überlegungen sprachen vor allem politi- nung der Außen- und Sicherheitspolitik der Re- sche Gründe, u. a. die Furcht der Europäer vor gierung Eisenhower war die Aufwertung des einem Rückzug der USA in den Isolationismus Nationalen Sicherheitsrates (NSC) als Diskus- und die damit verbundene Schwächung des Sy- sions- und Entscheidungsgremium, das Eisen- stems der kollektiven Sicherheit, dagegen. hower wie ein Generalstab zur Vorbereitung seiner Entscheidungen diente. Beglinger befaßt sich vor allem mit den verschiedenen Optionen amerika- Mit der Initiierung des »New Look«, der erst- nischer Politik gegenüber der Sowjetunion im mals durch die berühmte Rede von Außenmini- Frühjahr 1953 und verdeutlicht die beschränkten ster Dulles am 12. Januar 1954 der Öffentlich- Entscheidungsspielräume der Politik. Allerdings keit bekannt wurde, stellte sich auch die Frage ist unverständlich, daß der Verfasser auf die nach einer genauen Definition dieser Politik, deutsche Frage, neben der Diskussion der Politik tangierte sie doch sowohl die Rechte des Kon- gegenüber der Sowjetunion ein weiteres, wichti- gresses als auch die Interessen der europäischen ges Thema der Beratungen, nicht eingeht. Die Verbündeten. Der Kongreß sah seine Rechte auf Studie zeigt, daß nach Meinung Washingtons Kriegserklärung durch die Konzeption der sich die Politik der Sowjetunion gegenüber dem »massive retaliation« bedroht. Die Europäer und Westen nicht verändert hatte, obwohl anderer- besonders die Briten reagierten beunruhigt, be- seits nicht ausgeschlossen werden konnte, daß fürchteten sie doch, daß die neue Verteidigungs- die Nachfolger Stalins aus außen- und innenpo- strategie die Welt in einen Atomkrieg stürzen könne, ohne daß die Verbündeten überhaupt setz zum Art. 131 GG, das die Integration auch vorher konsultiert wurden. ehemaliger nationalsozialistischer Beamter in Die Problematik der Politik der »massiven Ver- den öffentlichen Dienst gesetzlich regelte, hatte geltung« sollte sich jedoch im Indochinakrieg für eine erhöhte öffentliche Sensibilität gesorgt. zeigen. Atomwaffen waren politische Waffen ge- Heinze-Mansfeld erreichte, daß der Bundestag worden, die aus innen- und außenpolitischen darüber eine politische Diskussion eröffnete. Auf Gründen nicht eingesetzt werden konnten, au- Antrag der SPD-Fraktion setzte das Parlament ßer wenn die Sicherheit und die Existenz der am 24. Oktober 1951 einen entsprechenden Un- USA bedroht waren. »Massive retaliation« blieb tersuchungsausschuß ein. »Der restaurative Cha- Teil eines politischen Instrumentariums des Kal- rakter der Epoche« (so der Titel eines grundle- ten Krieges, ein Konzept, das für eine Drohpoli- genden Essays von Walter Dirks in den Frank- tik geeignet war, jedoch nicht in die Praxis um- furter Heften 5/1950) stand an der Rostra der gesetzt werden konnte. Wie stark die nukleare Republik zur Debatte. Bedrohung jedoch das Verhältnis zwischen den Als man diese, ein Jahr nach den Heinze-Mans- Siegermächten verändert hatte, wird schließlich feld-Artikeln, in Bonn eröffnete, suchte Adenau- durch die »Atoms for Peace«-Rede von Präsi- er die Diskussion mit der Empfehlung vom Red- dent Eisenhower im Dezember 1953 deutlich. nerpult wegzuwischen, »jetzt mit der Nazirie- Vertrauensbildende Maßnahmen, die Schaffung cherei einmal Schluß [zu] machen«. Angesichts eines Pools von spaltbarem Material und die des dringenden Bedarfs an Fachkräften aller Art Aufklärung der Öffentlichkeit waren als erste sollte man sich über das Bedenken möglicher na- Schritte auf dem Wege zu einer Entspannungs- tionalsozialistischer Belastungen hinwegsetzen. politik notwendig. Die unvollständig gebliebene Entnazifizierung Insgesamt breitet diese Studie, die vor allem auf zu erklären ist ein wesentliches Anliegen der von der Auswertung der »Foreign Relations« beruht, Dieter Rossmeissl herausgegebenen Akten der eine Fülle von Informationen zur Außen- und Si- amerikanischen Militärregierung über ihre Tä- cherheitspolitik der USA aus, die es erlauben, tigkeit in Nürnberg 1945—1949. Am Beispiel der den Entscheidungsprozeß der Administration »deutschesten aller Städte« (Karl Holz, Gaulei- nachzuvollziehen. Hermann-Josef Rupieper ter des Gaues Franken, an am 15. April 1945) stellte der Nürnberger Gymnasialleh- rer und Stadtrat eine Fülle von OMGUS-Akten zusammen, welche die große Politik und Kultur, aber ebenso die kleine Alltagswirklichkeit einer Demokratie von außen. Amerikanische Kommune in den ersten Nachkriegsjahren erhel- Militärregierung in Nürnberg 1945— len. Der breite Themenkanon dieser Jahre — 1949. Hrsg. von Dieter Rossmeissl. Mün- Wiederaufbau der Stadtverwaltung, Zulassung chen: Deutscher Taschenbuch Verlag politischer Parteien, erste freie Kommunalwah- 1988. 270 S. (= dtv Dokumente; dtv-Bd len, Lizenzierung der Presse, Problem der »dis- 2958.) placed persons«, Wohnraum- sowie Lebensmit- telknappheit u. a. — wird durch Akten aus der In einer Artikelserie, Anfang September 1951 in Perspektive der Besatzer sowie durch Selbst- der Frankfurter Rundschau publiziert, suchte zeugnisse Nürnberger Bürger vorgestellt. der Journalist Michael Heinze-Mansfeld unter Der Herausgeber gliedert seine Arbeit in drei der Überschrift »Ihr naht Euch wieder...« Ein- Kapitel: 1. »Die >Stadt der Reichsparteitage< un- blicke in die Personalpolitik des neuen auswärti- term Sternenbanner«; 2. »Die Suche nach den gen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland verschwundenen Nazis«; 3. »Die verordnete De- zu geben und dabei den Nachweis zu führen, mokratie«. Alle Kapitel werden durch eine knap- daß in der Bonner Koblenzer Straße die alte Ber- pe Sacheinführung eröffnet, um dann das liner Wilhelmstraße politische Urstände feiere. Schwergewicht ihrer Aussage in einer reichen, Der Journalist verwies mit seinen Artikeln auf bis gleichwohl nicht vollständigen oder ganz syste- dahin nicht eigentlich unerkannt gebliebene matischen Dokumentation zu finden (Renate Vorgänge. Die Verwendung möglicherweise Augustin und Stuart G. Bugg haben die Überset- durch ihre politische Vergangenheit belasteter zung der englischen Texte ins Deutsche zum Diplomaten war bereits ein aktuelles Pressethe- großen Teil übernommen). Der Wert der ohne ma. Nicht zuletzt das vom Deutschen Bundestag Zweifel sorgfältigen Edition der — häufig recht am 11. Mai 1951 beschlossene, rückwirkend zum trockenen — Dokumente ist sowohl für die Er- 1. April 1951 in Kraft gesetzte Ausführungsge- hellung der regionalen amerikanischen Besät- Zungspolitik wie auch für ihre grundsätzlichen betrüblich für ihn aus. Auf einen einfachen Nen- deutschlandpolitischen Perspektiven anzuerken- ner gebracht lautet es: Adenauer wollte die Wie- nen. Der Autor verfolgt durch seine Regionalstu- dervereinigung nicht; alle diesbezüglichen Be- die gleichsam das amerikanische Demokratisie- teuerungen erweisen sich im Nachhinein als ein rungskonzept: Aufbau von unten. großes Täuschungsmanöver, als die Lebenslüge Es wäre zu wünschen, daß jetzt durch den neu der Bundesrepublik. Adenauer war kein »Wie- eröffneten Zugang zu den OMGUS-Akten eine dervereinigungskanzler«, kein Kanzler für alle Fülle vergleichbarer Regionalstudien von der Deutschen; für ihn hatte die Westintegration ab- deutschen Historiographie in Angriff genommen solute Priorität; der entscheidende Grund: gren- wird. Eine dadurch wachsende Einsicht in die zenloses Mißtrauen gegenüber dem eigenen Mikrokosmen des deutschen Nachkriegsalltags Volk. Adenauers Desinteresse an der Wiederver- und seiner Steuerung durch die Alliierten wird einigung, das auf ihre politische Ablehnung hin- unser aller Verständnis des Makrokosmos vertie- auslief, ist nunmehr definitiv nicht mehr nur eine fen. Die sehr unmittelbare Erlebnishaftigkeit re- Frage der Analyse und Bewertung Adenauer- gionaler Studien sollte im bildungspolitischen scher Politik, sondern aktenkundig. An erster Bereich stärker als bisher genutzt werden. Stelle sind hier Einleitung und Beitrag des Her- Manfred, Overesch ausgebers zu nennen sowie die Aufzeichnung des britischen Unterstaatssekretärs im Foreign Of- fice, Kirkpatrick, vom Dezember 1955, die viel zum Verständnis der Politik Adenauers beiträgt und die dankenswerterweise im Original abge- Adenauer und die Deutsche Frage. Hrsg. druckt wird. Aber auch die übrigen elf Beiträge von Josef Foschepoth. Göttingen: Van- des Sammelbandes können sich sehen lassen; sie denhoeck & Ruprecht 1988. 304 S. ( = stammen allesamt aus der Feder ausgewiesener Sachkenner, die sich im Gegensatz zu vielen an- Sammlung Vandenhoeck.) deren Kollegen beim Thema Adenauer den kriti- schen Blick bewahrt haben: (Chr. Kleßmann: Im Jahre 1965, vier Jahre nach dem Bau der Adenauers Deutschland- und Ostpolitik 1955— Mauer in Berlin, veröffentlichte Konrad Ade- 1963; H. J. Stehle: Polen; G. Niedhart/N. Alt- nauer den ersten Band seiner »Erinnerungen«. mann: Sowjetunion; H.-J. Schröder: USA; K.-L. Die Widmung, die er diesem wie auch den nach- Sommer: EVG und Bundesrat; K. Erdmenger: folgenden Bänden voranstellte, ist bemerkens- SPD; H.-E. Volkmann: Opposition in CDU und wert: »Meinem Vaterland«. Was aber, so haben CSU; D. Koch: Heinemann; P. Noack: Sethe; sich schon damals viele gefragt, war eigentlich D. Thränhardt: Wahlen und Wiedervereinigung; Adenauers Vaterland? W. Loth: Adenauers Ort in der deutschen Ge- War es das Deutschland des Jahres 1937 oder des schichte). Jahres 1949 mit zwei deutschen Staaten oder le- diglich die Bundesrepublik? Die Antwort darauf Mit diesem Buch werden der Adenauer-For- ist auch die Antwort auf die unmittelbar damit schung neue Impulse gegeben, der Diskussion zusammenhängende Frage, wie ernst es Adenau- um die deutsche Frage werden illusionäre Züge er mit der Wiedervereinigung tatsächlich war, genommen; kritische Reflexion über die Bedeu- von der er doch so häufig sprach. Was bleibt von tung dieser Frage für das Werden der Bundesre- seiner Behauptung, die Westintegration der Bun- publik ist angesagt. Von daher dürfte der ent- desrepublik sei der einzige und zugleich kürzeste sprechende Wunsch des Herausgebers mit die- Weg zur Wiedervereinigung? Je mehr Akten zur sem Buch mehr als erfüllt werden. Und für Ade- Verfügung stehen, um so solider wird die nauer mag gelten, was Loth konstatiert: daß bei- Grundlage, auf der diese Fragen diskutiert wer- des, seine Leistungen und die Kosten, die seine den können. Politik verursachte, enorm war und daß dies die Bei den Feiern zum vierzigjährigen Bestehen der historische Größe dieses Mannes ausmacht — Bundesrepublik Deutschland wird mit dieser obwohl auch darüber wohl weiter gestritten Diskussion jedenfalls eine Menge Wasser in den wird. Jubiläumswein geschüttet werden müssen, wenn Für die enragierten Adenauer-Apologeten und es um die Rolle Adenauers geht. Warum das so deren simplifizierende Heroisierung des ersten ist, macht der vorliegende Sammelband deutlich. Kanzlers dürfte dieser hervorragende Sammel- In diesem Band wird nicht, wie betont wird, der band ein harter Brocken sein, der zur Antwort Mythos des »Staatsmannes«, sondern jener vom geradezu provoziert. Auf diese Antwort aber »Patrioten« Adenauer geprüft; das Ergebnis fällt darf man gespannt sein. Rolf Steininger Der Fall Rose. Ein Nürnberger Urteil wird gung, als sie in Nürnberg vorgenommen wurde, widerlegt. Dokumentation. Hrsg. von der nicht standhielten, wird der damals Verurteilte, Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle In- im Kriege zuletzt »Beratender Hygieniker beim golstadt. Asendorf: MUT-Verlag 1988. Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe«, bis zum 112 S. (= Zeitgeschichtliche Bibliothek. heutigen Tage im Sinne der mittlerweile ganz in Bd 5.) sich zusammengefallenen Anklage diffamiert. Daran hat auch die in gänzlicher Gewißheit sei- Es ist eine Binsenwahrheit, daß durch die Erfor- ner Unschuld erfolgte Auszeichnung mit der dernisse und Notwendigkeiten des Krieges die »Paul Schürmann-Medaille« (1977) der Deut- Humanität und sonst selbstverständlich gültige schen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehr- ethische Grundsätze auf die äußerste Probe ge- pharmazie, Vereinigung Deutscher Sanitätsoffi- stellt, wenn nicht außer Kraft gesetzt wurden ziere, nichts geändert. In einem seit Januar 1964 und bei militärischen Auseinandersetzungen au- rechtskräftigen Urteil der Bundesdisziplinar- ßerhalb Europas auch nach 1945 wohl mißachtet kammer X (Düsseldorf) ist Rose wegen erwiese- worden sind. Massenweise lebensbedrohende ner Unschuld freigesprochen und damit in seine Erkrankungen, Seuchen, treten zwar auch in wohlerworbenen Beamtenrechte als früherer Vi- Friedenszeiten auf, Flächenbränden, Busch- zepräsident und Professor beim Robert Koch- feuern und Naturkatastrophen vergleichbar. Sie Institut wieder eingesetzt worden, und dies, ob- über kurz oder lang einzudämmen und zu be- wohl nach der Verordnung Nr. 7 der US-Mili- kämpfen, ist heutzutage gewiß nachhaltiger und tärregierung vom 17. Februar 1947 Urteile der erfolgreicher möglich als noch in früheren De- Nürnberger Militärgerichte »endgültig und nicht zennien. anfechtbar« (Axtikel XV) waren. Mittlerweile hatte sich auch der zunächst gegen Epidemische, ja pandemische Krankheitsverläu- ihn eingestellte ärztliche Sachverständige der fe, ausgelöst und begünstigt etwa durch mangel- Nürnberger Anklagebehörde, Professor Andrew hafte hygienische Zustände im Gefolge kriegeri- Conway Ivy, früherer Präsident der American scher Ereignisse, gewinnen dann aber ihre eigene Medical Association, energisch für Rose einge- Dynamik und begünstigen zwangsläufig die Su- setzt. Das Disziplinarverfahren gegen Rose, der che nach rasch Erfolg versprechenden Behand- bis 1955 in Landsberg seine Strafe verbüßte, da lungsmethoden. Dies kann sehr leicht die Stunde er aus grundsätzlichen Erwägungen einen An- »rein kalter Forschungsfanatiker« werden, nicht trag auf Entlassung nach dem »Parole-Verfah- »die erfreulichsten Vertreter unseres Berufsstan- ren« ablehnte, wurde unter anderem deswegen des«, wie sie der Generalarzt d. R. Prof. Dr. med. möglich, weil die Bundesrepublik Deutschland Gerhard Rose, ein seinerzeit in der Welt der einer Verlautbarung des Bundesministers der Ju- Wissenschaft hoch angesehener Tropenmedizi- stiz vom 2. Januar 1961 zufolge eine »ausdrück- ner und Hygieniker als Angeklagter im Nürn- liche, vertragliche Anerkennung der von alliier- berger Arzteprozeß (Fall I, Dezember 1946 bis ten Militärgerichten in Deutschland gefällten Juli 1947) in bedeutsamen grundsätzlichen Aus- >Kriegsverbrecherurteile< (eingeschlossen das führungen zur ärztlichen Ethik abschätzig ge- Urteil des Internationalen Militär-Tribunals vom nannt hat. Rose, der schon in diesem Verfahren, 1. Oktober 1946) vermieden« hat. Der nach ein- das insgesamt unvorstellbare Verbrechen in gehender Beweiswürdigung zustande gekommene »wissenschaftlicher« Verbrämung enthüllte, be- Freispruch Roses wird vielfach, vor allem von be- weisen konnte, daß er über seine persönliche stimmten Kreisen in der Ärzteschaft, nicht zur Verantwortung und Zuständigkeit hinaus offen Kenntnis genommen, ein Indiz dafür, mit wel- und mutig bei verschiedenen Gelegenheiten ge- cher rufschädigenden Leichtfertigkeit gelegent- gen die Durchführung von Versuchen an KZ- lich zeitgeschichtliche Forschung betrieben wird, Häftlingen protestiert hat, die die Suche nach ei- wenn sie sich allein von noch so begreiflicher nem wirksamen Impfstoff gegen Fleckfieber zum moralischer Empörung leiten läßt. Georg Meyer Ziele hatten, wurde gleichwohl, wegen Kenntnis dieser Versuchsreihen, die er weder angeordnet hatte noch verhindern konnte, zu lebenslanger Haft verurteilt.

Obwohl sich bald ergab, daß die gegen ihn vor- gelegten »Beweise« — etwa ein, wie sich erwies, gefälschtes »Geheimtagebuch« des die Versuche im KZ Buchenwald durchführenden skrupello- sen SS-Arztes — einer sorgfältigeren Würdi- Georg Hermann Hodos: Schauprozesse. der Stalinära; die Zahl der Opfer blieb ver- Stalinistische Säuberungen in Osteuropa gleichsweise gering. In Rumänien wurden die von 1948—54. Frankfurt, New York: Campus den sowjetischen »Beratern« befohlenen Verfol- 1988.303 S. gungen demgegenüber von Anfang an im Rah- men der dortigen Fraktionsauseinandersetzun- Der Autor interpretiert die »Säuberungen«, die gen funktionalisiert. Die Folge war nicht nur ein in sämtlichen kommunistischen Parteien der so- erschreckendes Ausmaß des Terrors; die führen- wjetischen Satellitenstaaten Osteuropas nach de Fraktion vermochte es, sich bei dieser Gele- 1948 stattfanden, als einheitliche Erscheinung: genheit der parteiinternen Gegner zu entledigen. In einer Serie von Schauprozessen, von unvor- Im Vordergrund der Darstellung des Autors ste- stellbarem Terror begleitet, wurden in den letz- hen jedoch die Prozesse in Ungarn. Ausführlich ten Lebensjahren Stalins im Parteiapparat all die- werden Vorgeschichte, Verhörmethoden und ser Länder potentielle oder eingebildete Gegner Bekenntnisse im sogenannten Rajk-Prozeß be- Stalins beseitigt. handelt, der für den Hauptangeklagten im Jahre Anders als bei den Schauprozessen der 30er Jahre 1949 mit einem Todesurteil endete. Dieser in der Sowjetunion, in denen die Opfer als Per- »Musterprozeß«, in dem der Autor selbst ange- sonen von vornherein feststanden und nach er- klagt war und zu einer langjährigen Zuchthaus- preßten Schuldbekenntnissen verurteilt wurden, strafe verurteilt wurde, bedeutete den Höhe- sieht Hodos nun ein entgegengesetztes Vorge- punkt der damaligen Terrorwelle in Ungarn. hen. Die Wahl der Angeklagten erfolgte zu- Hier kann Hodos bis ins einzelne belegen, wie nächst völlig willkürlich; der sowjetischen Füh- das gesamte Verfahren vorweg von sowjetischer rung kam es allein darauf an, ein allgemeines Seite vorgegeben war und wie die Vertreter des Klima der Unsicherheit und Angst zu erzeugen: ungarischen Staatssicherheitsdienstes lediglich »im Osteuropa der 40er Jahre [begann man] mit als ausführende Organe dienten. dem Drehbuch und suchte sich dazu die geeigne- Hodos gelingt damit eine ausführliche Gesamt- ten Darsteller« (S. 14). In allen Fällen wurden darstellung der in der Forschung bislang wenig Kommunisten in leitender Stellung mit dem ab- beachteten spätstalinistischen Säuberungen. surden Vorwurf beschuldigt, seit Jahren für Jahrzehntelang hat er zu diesem Zweck wissen- westliche Geheimdienste Spionage getrieben zu schaftliche Literatur, offizielle Verlautbarungen" haben — eine Anklage, die sie in den späteren und vertrauliche Mitteilungen zusammengetra- Prozessen in fast allen Fällen selbst bestätigten. gen. Die Ursachen für eine solche Entwicklung Als weitere Gemeinsamkeit zeigt sich, daß die sieht er im beginnenden Kalten Krieg, im Kon- Opfer durchweg zu einer bestimmten Personen- flikt zwischen Stalin und Tito, vor allem aber im gruppe gehörten. Stets handelte es sich um solche krankhaften Mißtrauen des alternden sowjeti- Parteimitglieder, die während des Zweiten Welt- schen Diktators. kriegs nicht in die Sowjetunion emigriert waren; Eine weitergehende Analyse ist im Buch nicht häufig waren es ehemalige Spanienkämpfer und angelegt. Dafür enthalten kurze Abschnitte zwi- später vor allem Kommunisten jüdischer Her- schen den einzelnen Kapiteln jeweils »Persönli- kunft. ches«. Hier wird das eigene Schicksal des Autors Trotz solcher Gemeinsamkeiten kann Hodos bei deutlich, der als jüdischer Emigrant vor dem der Durchführung der Prozesse in den jeweili- Zweiten Weltkrieg in der Schweiz Zugang zur gen Ländern beträchtliche Unterschiede heraus- kommunistischen Bewegung gefunden hatte. arbeiten: Während in der traditionell westlich Auf diese Weise entsteht neben der weitgehend ausgerichteten tschechoslowakischen Partei der neutral beschreibenden Abhandlung zusätzlich Terror zahlenmäßig die meisten Opfer forderte, eine autobiographische Ebene, die dazu beiträgt, versuchte die polnische Führung nach den Erfah- in insgesamt beeindruckender Weise die Ver- rungen der dortigen Kommunisten in den 30er hältnisse in den kommunistischen Parteien Ost- Jahren, die von Moskau geforderten Prozesse europas während der letzten Jahre des Stalinis- soweit wie möglich zu verschleppen; die Verhaf- mus zu beschreiben. Manfred v. Boetticher tungen hatten dort weit geringere Auswirkun- gen. Auch im Bereich der späteren DDR ließen sich die Vorwürfe gegen Parteimitglieder auf- grund deren immer noch engen persönlichen Be- ziehungen nach Westdeutschland zunächst nicht ohne politische Komplikationen vorbringen. Hier begannen die Prozesse erst ganz am Ende Herbert Kraus: »Untragbare Objektivität«. den politischen Wandels. Nur eine neue »politi- Politische Erinnerungen 1917 bis 1987. sche Kraft«, der von ihm maßgeblich mitgepräg- Wien, München: Amalthea 1988. 349 S. te »Verein der Unabhängigen« (VdU), hätte die- sen Wandel bewirken können. Der Verfasser — studierter Nationalökonom, Die Ziele der neuen Partei werden in den Erin- Journalist, zeitweilig aktiver Politiker und seit nerungen nicht recht deutlich. Der 1949 erstmals 1979 Präsident des Wiener »Liberalen Klubs« — in das Parlament einziehende VdU erscheint in legt seine Erinnerungen für die Jahre 1917 bis der Darstellung als einzige Partei, die keine ehe- 1987 vor. Der Titel der Publikation ist einer na- maligen Nazis zu ihren Mitgliedern zählte. Man tionalsozialistischen Kritik entnommen, die sich habe sich im Gegenteil bemüht, einen Gesin- gegen ein von Kraus anläßlich eines Aufenthalts nungswandel der »Ehemaligen« herbeizuführen. in der Sowjetunion 1940/41 verfaßtes Buch wen- Dessenungeachtet ist in den Aufzeichnungen ei- det. Die vom Verlag im Klappentext vollmundig ne gewisse Verteidigungsmentalität nicht zu angekündigten Enthüllungen — u. a. zu Einzel- übersehen. Ohne Einschränkung wird einerseits heiten des britischen Weltaufteilungs-Angebots anerkannt, daß im Verlaufe des Dritten Reiches an Hitler, zu dem »Abwehr«-Projekt einer Auf- auch von österreichischer Seite Unrecht began- standsbewegung in der Sowjetunion, zur Bewäl- gen worden ist. Andererseits verweist Kraus mit tigung des NS-Problems im Nachkriegsöster- Nachdruck auf die alliierten Kriegsverbrechen. reich — erwecken in dem Leser eine Neugierde, Für den Anfang der 50er Jahre erweist sich der die durch diese Erinnerungen jedoch nicht be- VdU — folgt man dem Verfasser — als die öster- friedigt werden kann. reichische Partei, welche allein die Zeichen der In den ersten Kapiteln werden Erlebnisse oder Zeit erkannt habe und auch umzusetzen ver- vielmehr Geschehnisse wiedergegeben aus der suchte, von den anderen politischen Kräften je- Zeit des Niedergangs der Habsburgermonar- doch daran gehindert worden sei. Der Nieder- chie, aus dem Wirrwar der Zweiten Republik gang der neuen politischen Kraft kündigte sich und aus der »nationalsozialistischen Sturzflut«. bereits mit den Nationalratswahlen des Jahres Durchsetzt ist die Schilderung mit Urteilen, die 1953 an. Die Schuld hierfür wird weniger den — aus der Retrospektive gewonnen worden sind. bei nüchterner Betrachtung reichlich nebulös er- Auffallend ist, daß der Verfasser ständig Bezüge scheinenden — eigenen politischen Zielvorstel- zur Gegenwart herstellt und heutige Bewer- lungen zugeschrieben, sondern dem verstärkten tungsmaßstäbe an damals getroffene Entschei- »Terror«, dem sich der VdU in allen Bereichen dungen anlegt. Die Ereignisse werden stets vom ausgesetzt gesehen habe. Den rapiden Mitglie- derzeitigen Erkenntnisstand aus reflektiert, ohne derschwund sieht Kraus u. a. in ursächlichem daß sie zuvor in ihren zeitlichen Kontext einge- Zusammenhang mit dem Umstand, daß seine ordnet wurden. Der Autor sieht sich bereits in Partei in der Opposition war und dadurch ihre den einleitenden Kapiteln oft im Mittelpunkt Mitglieder nicht, wie es den Gepflogenheiten der bzw. sogar als Ausgangspunkt bestimmter Vor- Regierungsparteien entsprochen habe, wirt- gänge, an denen er zumindest aufgrund seines schaftlich und finanziell entsprechend abgesi- Alters noch in keiner entscheidenden Funktion chert und unterstützt werden konnten. teilhaben konnte. 1956 sah sich Kraus genötigt, sämtliche Partei- Interessanter werden die Erinnerungen erst, als funktionen niederzulegen. Die von SPO und der Verfasser selbst als Handelnder in die politi- ÖVP stillschweigend geförderte, nunmehr voll- schen Ereignisse eingreift. Hierbei ist festzustel- zogene Gründung der FPÖ, die ihren Wähler- len, daß gewichtige Aussagen des öfteren nur mit stamm bewußt im Kreis ehemaliger NSDAP- Nichtigkeiten belegt werden. Das zur politischen Mitglieder gesucht habe, sowie die später be- Kultur der Jahre 1945—1949 in Österreich abge- wirkte Vereinigung von VdU und FPÖ habe es gebene Urteil erscheint als etwas überzogen: »Im ihm unmöglich gemacht, weiterhin aktive Partei- Parlament gab es keine wirkliche Opposition. politik zu betreiben. Aber auch nach dem Verlust Minister eigneten sich Betriebe des verfallenen des politischen Mandats vermittelt der Verfasser >deutschen Eigentums< an oder verteilten be- in seinen Erinnerungen den Eindruck, er sei stets schlagnahmte Aktien deutscher Weltfirmen un- zur rechten Zeit an den Brennpunkten österrei- ter ihren Freunden. Mitglieder von Landesregie- chischer Geschichte gewesen, um nach wie vor rungen erteilten ihrer eigenen Firma öffentliche entscheidend daran teilzuhaben. Insgesamt gese- Aufträge. Eine weithin sichtbare Korruption hen lassen die Schilderungen von Kraus jene von blühte.« Zur Abhilfe dieser Mißstände bedurfte ihm beschworene »untragbare Objektivität« des es nach Auffassung von Kraus eines tiefgreifen- öfteren vermissen. Diether Degreif Edgar O'Ballance: The Gulf War. London scher Militärhistoriker und politischer Beobach- etc.: Brassey's Defence Publishers 1988. ter in Mittelost weithin bekannt, erinnert sei an XIX, 231 S. seine Arbeiten über den Palästinakrieg von 1948, den Suezkrieg, den Sechstagekrieg oder den Die Zahl der über den Golfkrieg zwischen Iran Bürgerkrieg im Jemen. Er bringt zunächst eine und Irak herausgebrachten Arbeiten beläuft sich chronologische Ubersicht — die im April 1987 auf mehrere Dutzend. Dieses publizistische In- endet —, dann eine weit ausholende Darstellung teresse galt schon zu einer Zeit, als der Krieg der Kriegsursachen, schließlich die einzelnen noch andauerte und sein Ende nicht zu sehen Phasen des Kampfes. Der irakischen Invasion war. Nach dem Abschluß der Kampfhandlungen vom September 1980 folgte der militärische kann derzeit ein weiteres rasches Anwachsen der Rückschlag. Iran vermochte andererseits trotz Literatur erwartet werden. Gary Sick nennt im der Erfolge seine Isolation nicht zu überwinden. Anhang seines Aufsatzes »Trial by Error: Reflec- Der Aufstand in der islamischen Welt blieb aus, tions on the Iran-Iraq War« (Middle East Jour- selbst die Schiiten des Irak folgten nicht den nal 1989, 1) eine Auswahl von nicht weniger als Heilsversprechungen ihrer persischen Brüder. elf wissenschaftlichen Werken, die allein in den Nach drei Kapiteln »Stalemate« für die Jahre Jahren 1987 und 1988 in englischer Sprache er- 1984 bis 1986 endet der Krieg für O'Ballance mit schienen sind. Woran es diesen Arbeiten ge- »Deadlock«. Um die Reihe seiner Karten zu ver- bricht, ist offenkundig: Ein 1943 oder 1944 er- vollständigen, die jeweils die Schauplätze eines schienenes Buch kann nicht dem Zweiten Welt- Jahres darstellen, böte sich an, eine Skizze »Ope- krieg gerecht werden, auch den überblickten rations 1988«, aus der Presse ausgeschnitten, Zeitraum des Krieges nicht angemessen, nämlich zum Schluß des Bandes einzukleben. vom Ende her und abschließend, darstellen. Der Dem Autor kamen übrigens am Ende selbst Be- Aufsatz Sicks dürfte eine der ersten in dieser denken, ob der Krieg nicht doch noch in anderer Hinsicht befriedigenden Analysen bieten. Weise verlaufen würde. Er wartete bis zum Was hat die Autoren bewogen, Bücher über eine 31. Dezember 1987, konnte aber in sein Post- unfertige Sache zu schreiben? Einige konzentrie- skriptum lediglich aufnehmen, daß »nothing of ren sich immerhin auf die Kriegsursachen, fast great significance« vorgefallen sei. O'Ballance alle aber geben auch eine historisch-politische schließt mit Mutmaßungen über die Nachfolge Einordnung des Kriegsverlaufs und die vom Le- des Ayatollah Khomeini, auch unzeitgemäß, ser erhoffte Prognose. denn dieser starb lange nach dem Waffenstill- stand erst im Frühsommer 1989. Der Krieg dauerte zu lange, Urteile und Chro- nologien waren begehrt. Der Ausgang des Bernd Ph. Schröder Kampfes schien ohnehin keinem Zweifel zu un- terliegen, er mußte mit der Erschöpfung der Gegner ohne weitere dramatische Ereignisse in der näheren oder weiteren Zukunft einschlafen: dies die falsche Vorhersage der verfrühten Bü- John Barron: Spione für den KGB. Die fol- cher über den Golf-Krieg, fast ebenso durchgän- genreichste Spionageaffäre der letzten gig wie die Fehleinschätzung der Kraftreserven Jahrzehnte. Bern usw.: Scherz 1988. des Irak. Bekanntlich folgte doch noch eine dra- 254 S. matische Wendung. Die Offensive des Irak, be- ginnend mit der Rückeroberung der Halbinsel Der für die Behandlung von Geheimdienstsujets Fao im April 1988 und andauernd bis zum Juli, bekannte amerikanische Schriftsteller John Bar- schlug die iranischen Truppen vollständig aus ron, der durch eine zuverlässige Studie über den irakischem Gebiet zurück und überschritt noch sowjetischen KGB hervorgetreten ist, beschreibt einmal die persische Grenze. Der Waffenstill- in diesem Dokumentarbericht, wie eine ganze stand vom August sah den Irak beim kurzen Ge- Familie siebzehn Jahre lang für die UdSSR er- dächtnis der Tagesaktualität als moralischen Sie- folgreich das Militärpotential der USA auskund- ger. schaftete. Bevor der sogenannte Walker-Ring Dies konnten O'Ballance und die anderen Auto- durch das FBI endlich gesprengt und dingfest ge- ren nicht wissen; sie haben allerdings überhaupt macht werden konnte, verrieten seine Mitglieder nichts dergleichen vermutet und in ihre Überle- überlebenswichtige US-Militärgeheimnisse an gungen einbezogen. Das mindert den Wert ihrer den KGB: strengstens gehütete elektronische Bücher erheblich. Daten und die gesamten Schlüsselunterlagen, so Edgar O'Ballance ist als zeitgenössischer briti- daß die sowjetische Führung jahrelang über si- cherheitspolitische, strategische, operative und lig andere Art von Militarismus schufen oder nur taktische Entscheidungen der USA und nament- eine Variante des alten Phänomens hervorbrach- lich ihrer Marine unterrichtet war. Der KGB- ten. Uberläufer Witali Jurtschenko stellte deshalb Warum im Resümee die Formel von einem mög- wohl zutreffend fest: »Wir haben Millionen eu- lichen zukünftigen Militarismus in einer »com- rer Nachrichten entschlüsselt. Wären wir im puterized post-industrial no-growth society« Kriege gewesen, wir hätten ihn gewonnen.« Der (S. 124 der englischen Fassung) nicht mehr auf- Schaden war — und ist — für die Amerikaner un- genommen wurde, hat der Autor leider nicht be- ermeßlich, und sie erlitten ihre größte Niederla- gründet. Detlef Vogel ge im Krieg der Geheimdienste. Zwar waren die US-Abwehrdienste schon längere Zeit mißtrau- 1 Vgl. MGM 33 (1983), S. 207 f. isch geworden, ob nicht wichtige Informationen an die Sowjets gelangten, da diese sich über die amerikanischen Absichten und Maßnahmen her- vorragend orientiert zeigten, aber den Stein ins Rollen brachte schließlich die Selbstanzeige ei- Sam Keen: Bilder des Bösen. Wie man sich nes der Betroffenen. Feinde macht. Weinheim, Basel: Beltz Die anschaulich-diskrete Schilderung dieses 1987. 198 S. (= Psychologie heute: Be- schier unglaublichen Komplotts gelingt dem Au- wußtsein.) tor dank seinen guten Verbindungen zu US- Geheimdienstkreisen und seinen minutiösen Re- Dieses Buch über Feindbilder bietet beides: »Bil- cherchen. Als sein vordringliches Ziel sieht er es der des Bösen« in der Form historischer Plakate dabei an, die westlichen Abwehrdienste zu noch und Karikaturen auf der einen und eine psycho- mehr Wachsamkeit gegenüber dem potentiellen logische Analyse der Rolle, die solche Feindbil- Gegner zu motivieren. Kehrig der in den Köpfen der Menschen spielen, auf der anderen Seite. Das präsentierte Bildmaterial ist ungemein sprechend. Es wurde einschlägigen US-amerikanischen Bildbänden über Propagan- dakunst und Karikaturen entnommen sowie großformatigen Folianten, die der Autor in den VolkerR. Berghahn:Militarismus. Die Ge- »Kriegs«-Abteilungen großer amerikanischer Bi- schichte einer internationalen Debatte. bliotheken aufstöberte. Auch der Kenner politi- Hamburg usw.: Berg 1986. 165 S. scher Propaganda wird in dem Band eine Viel- zahl neuer Bilder entdecken. Das von Sam Keen, Volker R. Berghahns Studie über den Militaris- einem früheren Professor für Psychologie, der mus ist bereits 1981 in England erschienen und in heute als Schriftsteller in Kalifornien lebt, ge- dieser Zeitschrift auch besprochen worden1. In- sammelte Material stammt im wesentlichen aus zwischen existiert eine deutsche Ausgabe der Ar- dem 20. Jahrhundert. Nur einige Stücke sind äl- beit, die die seitdem erschienene Literatur zu die- ter. Ohne Rücksicht auf die nationale Herkunft sem Thema berücksichtigt. der »Bilder des Bösen« und auf das Publikations- Das Erscheinen des Buches zunächst in Englisch datum wird das Material dem Betrachter unter hatte seine guten Gründe: Waren es doch vor al- thematischen Gesichtspunkten dargeboten, ζ. B. lem Amerikaner und Engländer, die in den letz- »Der Feind als Fremder«, »Der gesichtslose ten Jahrzehnten der Militarismusdiskussion neue Feind« oder »Der Feind als Bestie, Kriechtier, Akzente verliehen. Sie haben durch ihre Unter- Insekt und Krankheitserreger«. Der Historiker suchungen wesentlich dazu beigetragen, daß die hätte sich eine exaktere Bildbeschreibung ge- Debatte aus ihrer deutschlandzentrischen Orien- wünscht. tierung herausgeführt und auf eine globale Ebe- Was Keen über das Wesen und die Funktion von ne gehoben wurde. Feindbildern sagt, ist zwar nicht neu, aber Berghahn schildert insbesondere die Rolle des gleichwohl richtig: Sie dienen der »Entmenschli- Militärs seit Beginn der industriellen Revolution, chung des Feindes«, der, als konkrete Person, weil sich offenbar damals Verhaltensweisen und unbekannt ist und dies auch bleiben soll. Das Mi- Strukturen bildeten, die bis in unsere Zeit Be- litär, das diesen unbekannten Feind vernichten stand haben. Es bleibt allerdings ungeklärt, ob soll, muß ihm, so Keen (S. 11), »entmenschli- die technischen Neuerungen in der zweiten chende Masken« überstülpen, damit er »ohne Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine völ- Schuldgefühle umgebracht werden kann«. Teil I des Buches bietet eine Phänomenologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster der Feindvorstellung, wobei auffällt, daß es ein vorgelegten Magisterarbeit einen guten Über- Standardrepertoire der entmenschlichenden blick über die Wandlungen in der Einstellung Feinddarstellung gibt. Teil II enthält eine psy- zum Soldatentod. In den Kapiteln »Der Sieben- chologische Analyse der Feindschaft. Die kürze- jährige Krieg«, »Die Befreiungskriege«, »Der ren Teile III—V sind in die Zukunft gerichtet. Sie deutsch-französische Krieg«, »Der Erste Welt- enthalten Handlungsvorschläge zur Uberwin- krieg« und »Der zweite Weltkrieg« werden über dung des Feindbilddenkens, die an den Geist der den untersuchten Zeitraum von rund zweihun- Schlußakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 er- dert Jahren folgende zwei Entwicklungen deut- innern. Wolfram. Wette lich: Zum einen die gewaltige Steigerung der Massenwirksamkeit, die die Verklärung des Sol- datentodes insbesondere in den einhundert Jah- ren zwischen den Befreiungskriegen und dem Ersten Weltkrieg erlangte, zum anderen die Sä- Klaus Latzel: Vom Sterben im Krieg. kularisierung und Militarisierung des zentralen Wandlungen in der Einstellung zum Sol- Begriffs dieser Verklärung, des Opfergedankens. datentod vom Siebenjährigen Krieg bis Kein Krieg seit dem 19. Jahrhundert, in dem zum II. Weltkrieg. Warendorf: Fahlbusch nicht eben dieser Mechanismus wirksam wurde: 1988. 134 S. Um unerträgliche Leichenberge erträglich zu machen, wurde dem Tod ein wie auch immer be- Die Stadt Kassel war es, die 1985 erstmals in der gründeter Sinn verliehen. Doch diese »Sinnstif- Bundesrepublik Deutschland offiziell der Solda- tungen der Uberlebenden« linderten nicht nur ten gedachte, die sich im Zweiten Weltkrieg deren Schmerz, sondern sie wurden zum Be- durch »Fahnenflucht«, »Wehrkraftzersetzung«, standteil der ideologischen Vorbereitung des je- »Verweigerung« oder »Widerstand« der Fort- weils nächsten Krieges gemacht. Nach dem ver- führung des Krieges entgegengestellt hatten und lorenen Ersten Weltkrieg konzentrierten sich die dafür verfolgt wurden. Die Stadtverordnetenver- Kriegerdenkmäler auf die Verherrlichung zeitlo- sammlung beschloß, daß in das städtische »Eh- ser soldatischer »Tugenden« wie »Kampfbereit- renmal« für die Gefallenen der beiden Weltkrie- schaft« und »Opfermut«, nur gelegentlich durch ge eine Gedenktafel eingemauert wurde mit fol- nachdenkliche Töne abgemildert. Hatte sich oft gender Aufschrift: noch die trotzige Haltung des »im Felde unbe- »Zur Erinnerung an die Soldaten des Zweiten siegt« durchgesetzt, so zeigte sich nach dem Weltkrieges, die in der Fortführung des Krieges Zweiten Weltkrieg zunächst eine Sprachlosig- keinen Sinn mehr sahen und dafür verfolgt, ein- keit, die sich schließlich nur im erneuten Rekurs gekerkert oder getötet wurden.« auf die doch längst obsolet gewordenen Kli- Inzwischen gibt es auch in anderen Städten ähn- schees zu helfen wußte. Das Anbringen von zu- liche Aktionen, gibt es Denkmäler für die Deser- sätzlichen Gedenktafeln an den Kriegerdenkmä- teure aller Kriege. Die Erkenntnis, daß der lern des Ersten Weltkrieges macht allerdings die Kriegstod — wie der gewöhnliche Tod — als un- Sprachlosigkeit beredt, sollten doch hier die To- überschreitbare Grenze des menschlichen Le- ten des Zweiten Weltkrieges ausgerechnet in den bens keinen begreiflichen Sinn, schon gar keinen Kriegerdenkmälern geehrt werden, deren Bot- selbstverständlichen Sinn besitzt, ist trivial: Er schaft Bestandteil der Vorbereitungen eben die- wird statt dessen bei jeder Deutung aus der Sicht ses Zweiten Weltkrieges gewesen war. Auch der von Noch-Nicht-Toten interpretiert, also von Rückgriff auf christliche Sinngebung des Todes, Personen, die ihn noch nicht selbst kennenge- der viele Kriegerdenkmäler nach dem Zweiten lernt haben. Anders als der zivile Tod — durch Weltkrieg bestimmte, vermittelt immer noch, im- Krankheit oder Altersschwäche — ereignet sich plizit oder ausdrücklich, die Gleichsetzung von der Tod im Krieg früher als nötig. In seiner Ver- Soldatentod und Opfertod. Erst in der heutigen frühtheit ist er mit dem Unfalltod verwandt. Zeit, über vierzig Jahre nach dem Zweiten Welt- Doch anders als beim Unfalltod geht der Täter krieg, zeigt die dieser Ideologie zugrundeliegen- beim Kriegstod straffrei aus. Selbst die morali- de Mentalität unübersehbare Risse. sche Frage nach der Richtigkeit des Handelns Nicht zuletzt angesichts der jüngsten Auseinan- wird in der Regel gar nicht gestellt. Im Gegen- dersetzungen um die deutsche Geschichte teil: Man lobt den Täter allenfalls wegen seines scheint es daher notwendig, eine — wie der Autor vorbildlichen Einsatzes. Vor diesem Hinter- feststellt — »historisch begründete Sensibilität zu grund gibt die überarbeitete Fassung der 1985 an fördern, die im Rückblick auf die Vergangenheit auf tröstliche Sinngebungen des Sinnlosen ver- In zwölf großen Gruppen werden präzise und zichtet«. In dem von der Bundesregierung ge- detailliert beschrieben und vorgestellt: Von der planten offiziellen »Mahnmal für die Opfer von alten Armee zum Reichsheer, Dienstverhältnisse Krieg und Gewaltherrschaft« soll den Kriegsto- und Dienstgrade, Die Uniformen des Friedens- ten ein »ehrenvolles Gedenken« bewahrt werden. heeres 1919 und die Uniform der Vorläufigen Eine derartig stereotype "Wiederholung von For- Reichswehr 1919/20, Bestimmungen für den meln wie »Weihe«, »Pietät« und »Ehre« offen- Anzug des Reichsheeres, Bekleidung des Reichs- bart aber eine historische Bedenkenlosigkeit, die heeres, Abzeichen des Reichsheeres, Landsmann- mit Rücksicht auf die Lebenden die Rück-Sicht schaftliche Abzeichen, Die Beamten des Reichs- auf die Toten vergißt. Peter Barth heeres, Ausrüstung und Seitenwaffen, Musik- instrumente, Kommando-, Stabs- und Partei- flaggen, Geräteanstrich und Kfz- Kennzeichen. In zwei Anhängen werden die Stempelung der Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke und die Adolf Schlicht, Jürgen Kraus: Die Unifor- landsmannschaftlichen Bezeichnungen der Trup- mierung und Ausrüstung des deutschen penteile aufgelistet. Reichsheeres 1919—1932. Ingolstadt: Bayerisches Armeemuseum 1987. 279 S. Dem Bayerischen Armeemuseum und den Auto- (= Veröffentlichungen des Bayerischen ren — Oberst a. D. Schlicht (Text) und Konser- Armeemuseums. Bd 4.) vator Dr. Kraus (Bebilderung) — kann man zur Herausgabe dieses mustergültigen heereskundli- Uber die außen, innen- und wehrpolitische Be- chen Handbuches nur gratulieren. Es gibt zwar deutung der Reichswehr gibt es mittlerweile eine eine Fülle uniformkundlicher Werke, aber nur Fülle grundlegender Untersuchungen. Wer sich sehr wenige, denen die Vokabel »Standardwerk« dagegen eingehender über die Uniformierung zukommt. Das Vorliegende dürfte berechtigte und Ausrüstung des damaligen Reichsheeres in- Aussichten haben, sich diesen Anspruch zu ver- formieren wollte, war gezwungen, sich mühsam dienen. Helmut Schiller an Hand von Vorschriften, Einzelschriften zu Teilaspekten oder Aufsätzen zu orientieren. Das Quellen- und Literaturverzeichnis des vorzustel- lenden Buches belegt dies deutlich. Lediglich das 1933 von einer Zigarettenfabrik herausgegebene Craig W. H. Luther: Blood and Honor. Sammelalbum über die Reichswehr hat wenig- The History of the 12th SS Panzer Divi- stens einigermaßen einen entsprechenden Über- sion »Hitler Youth«, 1943—1945. San Jo- blick geboten. Dieses Manko mag damit zu be- se, Cal.: Bender 1987. 272 S. gründen sein, daß das uniformkundliche Interes- se vordringlich der Vielfalt und dem Zauber des Nahezu alle deutschen Truppengeschichten »Bunten Rockes« galt und gilt. Das schlichte stammen von ehemaligen Verbandsangehörigen Feldgrau der Reichswehr mit seinen scheinbar oder von dazu beauftragten Historikern; inso- wenigen Variationen erweckte nur mäßige Auf- fern ist diese Divisionsgeschichte eines jüngeren merksamkeit, die sich zudem mehr und mehr der amerikanischen Forschers — tätig bei der US- Uniformierung der Wehrmacht zuwandte. Kurz, Luftwaffe — eine Besonderheit. Und man wird die Reichswehr wurde zum Stiefkind der Uni- nicht enttäuscht: Schon äußerlich erscheint der formkunde. Band als gut ausgestattet mit eindrucksvollen, Wie sehr man damit unrecht getan hat, zeigt die- sachverständig erläuterten Fotos, Karten, einem ses Buch. Das angeblich »schlichte Feldgrau« löst umfangreichen Verzeichnis von Befragungen, sich auf in eine überraschende Vielheit höchst Quellen und Literatur sowie einem Anhang mit aufschlußreicher Details, die auf (zum Teil poli- Stellenbesetzungslisten, Gliederungsübersichten tisch motivierte) Anzugs- Organisations- und und sonstigen Informationen. Vor allem zeigt Ausrüstungsbestimmungen zurückzuführen sind. der Text, wie der Autor in jahrelanger Arbeit die Ein reichhaltiges, ausgezeichnetes Bildmaterial, Zusammenhänge erschlossen hat und daß er die fast immer verbunden mit dem amtlichen Nach- militärgeschichtliche Darstellung beherrscht. Er weis der Einführung der betreffenden Stücke, besitzt für Fragen der Organisation und Ausbil- macht diese Neuerscheinung für alle, deren hee- dung sowie der operativen und taktischen Füh- reskundliches Interesse der Reichswehr gilt, zu rung sehr viel Verständnis. einem unentbehrlichen, wissenschaftlichen An- Das einleitende Kapitel »Hitlerjugend und Tota- sprüchen genügenden Hilfsmittel. ler Krieg« enthält für den angloamerikanischen Leser das erforderliche Hintergrundwissen; dem zier der Division, Hubert Meyer1. Auf 13 Seiten deutschen Leser fällt die Ausgewogenheit und werden die im Divisionsbereich nachgewiesenen Fairneß des Verfassers in seinem Urteil über die Morde an wenigstens 134 kanadischen und eini- NS-Zeit auf. Das zweite Kapitel schildert die gen britischen bzw. amerikanischen Gefangenen Entstehung der Division »Hitlerjugend«. Der behandelt, außerdem der spätere Prozeß gegen Reichsjugendführer vereinbarte im Februar 1943 »Panzermeyer« und seine Verurteilung zum To- mit der obersten SS-Führung die Aufstellung ei- de, seine Begnadigung zu lebenslänglicher Haft nes Verbandes von freiwilligen Hitlerjungen des und seine Freilassung 1954. Obwohl der Verfas- Jahrgangs 1926. Da die neue Division als Schwe- ser in einer Anmerkung ähnliche Kriegsverbre- sterdivision der »Leibstandarte-SS Adolf Hitler« chen anderer SS-Divisionen — Le Paradis 1940, vorgesehen war und von dieser einen erheblichen Oradour und Malmedy 1944 — erwähnt, lehnt er Teil ihrer Führer erhielt, wird im dritten Kapitel ein Pauschalurteil über alle Soldaten der Waf- die Geschichte der Leibstandarte behandelt. Aus fen-SS ab. Am Ende seines Bandes, nach Aner- ihr stammten als »charismatisch« bezeichnete kennung der hervorragenden Kampfleistungen Offiziere wie der erste Divisionskommandeur der Division, stellt er jedoch klar heraus, daß die Fritz Witt, dessen Nachfolger Kurt Meyer — als 12. SS-Panzerdivision mit diesen Mordtaten »für »Panzermeyer« bekannt geworden — und der immer ihr Waffenschild beschmutzt« habe. Panzerregimentskommandeur Max Wünsche. Kritik verdient das letzte Kapitel: Für die Zeit Das vierte und fünfte Kapitel befassen sich mit vom September 1944 bis zum 8. Mai 1945, als die der Ausbildung der Division und ihrer Verle- Division bei Linz vor der 7. U.S. Army kapitu- gung in die Normandie im April 1944. Die Ende lierte, bleiben nur weniger als fünf Seiten, ob- Mai 1943 begonnene Aufstellung und die an- wohl der im Herbst 1944 wieder aufgefüllte Ver- schließende Ausbildung in belgischen Standorten band an den letzten deutschen Offensiven in den litt unter einem Mangel an Führungspersonal. Ardennen und in Ungarn beteiligt war. Trotz der Noch Anfang Juni 1944 fehlten 48 Prozent der in dieser Phase geringeren Kampfleistung der Di- erforderlichen Unteroffiziere und 144 von 664 vision wäre hierzu — auch bei einer schlechteren Offizieren, obwohl der Division etwa 50 Heeres- Quellen- und Literaturlage — eine ausführlichere offiziere überstellt worden waren. Für die Ver- Information wünschenswert gewesen. Caspar bandsausbildung fehlte außerdem ein Teil der Kraftfahrzeuge, schweren Waffen und Panzer. 1 K. Meyer: Grenadiere. München 1957; H. Meyer: Dieses Material erhielt die Division erst, nach- Kriegsgeschichte der 12. SS-Panzerdivision »Hit- dem sie ihren Verfügungsraum in der Norman- lerjugend«. Osnabrück 1982. die bezogen hatte. In der Einzelausbildung, vor allem im Tarnen, in der Gefechtsaufklärung und im Nachtkampf erreichte die Division wie in der Motivierung einen hohen Stand. Zu ergänzen wäre hierzu, daß wohl keine andere deutsche Di- Dietrich Brehde: Der blaue Komet. Ge- vision 1944 eine ähnlich lange Ausbildungszeit schichte des IV. Bataillons des Luftlande- vor ihrem ersten Fronteinsatz gehabt hat. Sturmregiments im Zweiten Weltkrieg. Die folgenden fünf Kapitel behandeln die Kämp- Oerlenbach: Eigenverlag 1986. 205 S. fe in der Normandie. Diese elf Wochen des ins- Willi Kammann: Die Geschichte des Fall- gesamt kaum zweijährigen Bestehens der Divi- schirmjäger-Regiments 2. Hrsg. von Wer- sion nehmen 140 der 245 Textseiten des Bandes ner Ewald und Arnold von Roon. Mies- ein. Dieser Schwerpunkt läßt sich begründen: bach: Eigenverlag 1987. 199 S. Der Autor vermerkt, die 12. SS-Panzerdivision Felix Merreys: »Die gestohlene Jugend«. sei an der Invasionsfront von keinem anderen Junge Fallschirmjäger im Stahlhagel Sa- deutschen Verband übertroffen worden und ha- lerno — Monte Cassino — Nettuno. Ham- be bis Ende August 1944 40 Prozent ihres Perso- burg: Dölling o.J. 444 S. nals verloren. Eingeordnet in einen Uberblick über die Invasionskämpfe schildert der Verfasser Wenig haben die deutschen Fallschirmjäger des die wichtigsten Kampfphasen der Division »Hit- Zweiten Weltkrieges bisher für ihre eigene Ge- lerjugend« mit den ihr gegenüberstehenden, schichtsschreibung getan, gemessen an der Fülle meist kanadischen Verbänden. Für beide Seiten nichtwissenschaftlicher Literatur über diese liegen ausführliche Berichte vor, von der SS-Di- Truppe. Über deren Niveau kommen auch drei vision neben Befragungen die Bände von »Pan- neue Bücher nicht hinaus, deren Autoren ehema- zermeyer« und von dem Ersten Generalstabsoffi- lige Fallschirmjäger sind. Zwei der Veröffentlichungen verstehen sich als Erich Gröner: Die deutschen Kriegsschiffe Geschichte einzelner Truppenteile und sind eher 1815-1945. Begr. von Erich Gröner (f). Chroniken. Brehde befaßt sich mit dem IV./ Fortgef. von Dieter Jung und Martin Luftlandesturmregiment und seinen Einsätzen Maas. Bd 3.4.5. Koblenz: Bernard & auf Kreta und in Rußland 1941/42. Er folgt der Graefe. Geschichte dieses Bataillons, das im Frühjahr Bd 3: U-Boote, Hilfskreuzer, Minenschif- 1943 die Bezeichnung II./Fallschirmjägerregi- fe, Netzleger, Sperrbrecher. 1985. 295 S. ment 6 erhielt, den Sprungeinsatz auf das italie- Bd 4: Hilfsschiffe I: Werkstattschiffe, nische Hauptquartier (Monte Rotondo) im Sep- Tender und Begleitschiffe, Tanker und tember 1943 durchführte und schließlich den Versorger. 1986.259 S. Kader für das Fallschirmjägerregiment 11 bilde- Bd 5: Hilfsschiffe II: Lazarettschiffe, te, das am Kampf um den Landekopf Anzio- Wohnschiffe, Schulschiffe, Forschungs- Nettuno und an den Rückzugskämpfen in Ober- fahrzeuge, Hafenbetriebsfahrzeuge (I). italien beteiligt war. 1988.265 S. Kammann schildert den Weg des Fallschirm- jägerregiments 2 von der Aufstellung 1939/40 Nach dem Erscheinen der beiden ersten Bände über die Einsätze in der Festung Holland, am ist bereits auf die Neuauflage des Gröner hinge- Kanal von Korinth und auf Kreta 1941, am Mius wiesen worden, die von Dieter Jung und Martin und Wolchow 1941/42, in Afrika 1942/43, wäh- Maas besorgt wirdInzwischen hat der Umfang rend des Kampfes um Rom im September 1943, des Werkes erheblich zugenommen; die ur- auf Leros im November 1943, wieder in Rußland sprünglich vorgesehene Zahl von insgesamt 1200 1943/44 und schließlich an der Invasionsfront Seiten ist schon jetzt erreicht, und die Anzahl der Juni bis September 1944, wo das alte Fallschirm- Bände wird sich um einen auf sieben erhöhen, da jägerregiment 2 unterging. Schließlich beschreibt sich die Hilfsschiffe nicht in einem Bande unter- er das Schicksal des neu aufgestellten Regiments bringen ließen. Leider ist diese »Ausweitung« in den Abwehrkämpfen am Niederrhein bis zum auch beim Preis festzustellen, der von Band zu Ende im Ruhrkessel im April 1945. Band kontinuierlich gestiegen ist. Der Militärhistoriker muß bedauern, daß sich Für Band 3 hat Eberhard Rössler, der zahlrei- die Autoren nicht die Mühe gemacht haben, die che Arbeiten zur Geschichte des deutschen benutzten Quellen zu belegen, und daß sie sich U-Boot-Baus veröffentlicht hat, die Bearbeitung mit einem summarischen Quellen- und Litera- des U-Boot-Abschnittes übernommen und — bis turverzeichnis begnügen. Beiden Geschichten auf eine — sämtliche Skizzen neu gezeichnet, die fehlt die ordnende und stilglättende Hand eines jetzt im Maßstab 1:625 gehalten sind, wie auch erfahrenen Lektors. Die Folge ist eine Sprache, bei den anderen Booten. Im zweiten Teil des die zwischen Gefechtsbericht und »Kamerad, Bandes fällt vor allem der Abschnitt über die weißt du noch« angesiedelt ist, von den unzähli- Sperrbrecher auf, die in der Ausgabe von 1968 gen Rechtschreib- und Interpunktionsfehlern, lediglich mit Kennung und Namen sowie vier fehlenden Worten oder gar Zeilen ganz zu Seiten Skizzen vertreten waren. schweigen. Schade, daß bei so viel Fleiß so wenig Es zeugt von einer außerordentlichen Arbeitslei- ansprechende und für den Historiker fast wertlo- stung der Autoren, die dieses Material zusam- se Bücher herausgekommen sind. mengetragen haben, daß die Anzahl der Hilfs- Die Darstellung von Merreys ist nicht mehr als schiffe in einem Band nicht mehr bewältigt wer- ein Roman, in den auch Selbsterlebtes eingeflos- den konnte. Dies ist sicherlich auch darauf zu- sen ist. Sprachlich ist er keinesfalls besser gera- rückzuführen, daß Erich Gröners weise Selbst- ten. Die »ehrliche Vergangenheitsbewältigung«, beschränkung aufgegeben wurde, nur Fahrzeuge mit der das Buch im Klappentext vorgestellt aufzunehmen, die unter deutscher Kriegs- oder wird, sucht der Leser vergebens, eher wird aus Dienstflagge fuhren. So sind jetzt ζ. B. auch Prolog und Nachwort die unbewältigte Vergan- Schiffe aufgeführt, die im Ersten Weltkrieg für genheit des Autors ersichtlich. die Deutsche Etappen-Organisation im Ausland Wer zur Unterhaltung einen trotz allem flott ge- unter neutralen Flaggen Kohle transportierten, schriebenen Kriegsroman aus der Sicht des oder deutsche Handelsschiffe, die der Besatzung Frontsoldaten lesen möchte und Konsaliks ge- des zivilen Handels-U-Bootes »Deutschland« bei sammelte Werke schon kennt, dem sei Merrey's seinen Aufenthalten in den USA als Wohnschiffe Buch empfohlen. Florian Berberich dienten. Ahnliches gilt für andere Schiffskategorien, wie 284 die Kohlenschiffe, die in beiden Weltkriegen überwiegend in Privathand waren und nur aus- wie mit einer kurzgefaßten Geschwaderchronik nahmsweise Militärpersonal an Bord hatten. Bei vorgestellt. Eine Dokumentation der wichtigsten einer derart großzügigen Definition des Begrif- Flugzeugtypen von 1913 bis 1988 und ausge- fes »Kriegsschiff« hätten dann eigentlich auch wählte Dokumente zur Geschichte der Marine- die deutschen Handelsschiffe im Mittelmeer auf- flieger beschließen die im ganzen gelungene und genommen werden müssen, die seit Februar 1941 ausgewogene Darstellung. unter militärischer Regie und mit Marine-Flak Besonders lesenswert ist der einleitende histori- an Bord Truppen, Ausrüstung und Nachschub sche Abriß. Dem Autor dieses Beitrags ist es fast nach Nordafrika brachten. beispielhaft gelungen, auf beschränktem Raum Trotz aller Akribie und Liebe zum Detail bleiben die Höhen und Tiefen der deutschen Marineflie- manche Rätsel noch ungelöst. Was war der LAZ- gerei über einen an dramatischen Ereignissen Verband (Bd 5, S. 56-59), der 1968 als Laza- überreichen Zeitraum von rund 40 Jahren präzise rettschiffverband gedeutet wurde? Nach der Be- und mit Quellen belegt zu beschreiben. schreibung der Schiffsschicksale ist er im Au- Günter Schmidt gust/September 1940 mit Beutefahrzeugen auf- gestellt worden, die aber zum größten Teil am 1. Januar 1941 einem niederländischen Zeered- dingdienst übergeben wurden und dort teilweise bis zum Sommer 1944 Dienst taten. Insgesamt ist es jedoch eine bemerkenswerte und bei Reihenwerken keineswegs selbstverständli- che Leistung, wie hier innerhalb von sechs Jahren fünf Bände mit einer Fülle von neuem Material herausgebracht wurden. Bernd Stegemann

1 MGM 36 (1984), S. 238-240.

Manneflieger. Von der Marineluftschiffab- teilung zur Marinefliegerdivision. Hrsg.: Deutsches Marine Institut. Herford, Bonn: Mittler 1988. 152 S.

Zum 75jährigen Bestehen deutscher Seeluft- streitkräfte im Jahre 1988 brachte das Deutsche Marine Institut diese Festschrift heraus. Ziel des Autorenteams war es, die Entwicklung des Luft- fahrtwesens der Marine von seinen geschichtli- chen Anfängen in der Kaiserlichen Marine über beide Weltkriege bis zum heutigen Tag in einzel- nen Beiträgen aufzuzeigen, mit einem kurzen Ausblick in die Zukunft. Die Monographie gliedert sich in drei etwa gleichgewichtige Teile. Den Grußworten des In- spekteurs der Marine und des ersten Komman- deurs der Marineflieger schließt sich ein etwa 50seitiger historischer Uberblick über die Zeit von 1913 bis 1958 an. Diesem folgt eine Schilde- rung von Aufbau und Entwicklung der Marine- flieger seit Beginn der Neuaufstellung im Jahre 1956. In diesem Teil werden von verschiedenen Autoren die Marinefliegerdivision sowie die ihr unterstellten Geschwader und die Marineflieger- lehrgruppe nach Auftrag und Organisation so-