Begleitmaterialien zur Ausstellung

Zusammengestellt und herausgegeben von Renée Claudine Bredt, Helga Diestelmeier und Christoph Laue

© Herford 2013

Kuratorium für eine Dokumentations- und Begegnungsstätte in Herford zum Erinnern, Forschen und Ge- denken Vorsitzender: Wolfgang Spanier Gedenkstätte Zellentrakt, Rathausplatz 1, 32052 Herford , 05221-189257, FAX 05221-132252 [email protected], www.zellentrakt.de Bankverbindung: Sparkasse Herford (BLZ: 494 501 20) Konto-Nr.: 14365

Mit freundlicher Unterstützung durch:

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Vorwort 2

Texte, Bilder und Materialien zu den Ausstellungstafeln

0 „Herford gehört(e) dem Führer?“ - Die Nazifizierung des Alltags im Raum Herford 1933 – 1939 4 1 „Immer im Kampf“ - Die NSDAP vor der Machtergreifung 5 2 „Prediger und Soldat zugleich“ - Die NSDAP-Ortsgruppen und die SA nach der „Machtergreifung“ 8 3 „“ -Die Machtübernahme der Partei in Politik und Verwaltung 12 4 „Ehrentag der treuen Hände“ - Der 1. Mai 1933 und die „Gleichschaltung“ der Arbeiterschaft 17 5 „Trägerin von Blut und Rasse“ - Frauenbild, Frauenschaft und Mutterkreuz 25 6 „Nur für arische Bewerber“ - Siedlungsbau und neue Straßennamen 29 7 „Wer die Jugend besitzt, hat die Zukunft“ - Die Hitlerjugend 34 8 „Straff, aber nicht stramm, herb, aber nicht derb“ - Bund deutscher Mädel – BDM 39 9 „Jüdische Schulkinder - unzumutbar“ - Ideologie und Ausgrenzung in der Schule 43 10 „Pflegestätte des Volkstums“ - Kindergärten und Mütterfürsorge 49 11 „Feste wahrer “ - Der NS-Feierkalender 53 12 „Sozialismus der Tat“ - Sammeln und Spenden für die Volksgemeinschaft 59 13 „Dem Vaterlande gilts, wenn wir zu spielen scheinen“ - Sport und Kultur 63 14 „Unsere Arbeit soll Kampf sein“ - Wirtschaftspolitik, Betriebsgemeinschaft und Landwirtschaft 67 15 „Juden unerwünscht“ - Ausgrenzung, Boykotte, Verfolgung, Flucht 72 16 „Feinde des heutigen Staates“ - Verfolgung, Widerstand, Anpassung von Arbeiterschaft und Kirche 86 17 „Erbgesunde Volksgenossen“ - Die Verfolgung von Kranken und sozial Schwachen 95 18 „Stiftberg Hurra! Die Soldaten sind da!“ - Herford als Wehrmachtsstandort 102 19 „Dem Führer verschworen“ - Die Militarisierung der Bevölkerung 106

Literaturverzeichnis 110

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Vorwort

Auch in Stadt und Kreis Herford gelang es den Nationalsozialisten ab 1933, die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Ideologie einzuschwören. Sie durchdrang alle Lebensbereiche und Altersgruppen. Die Stimmung schwankte auch hier zwischen großer Begeisterung und widerwilligem Mitmachen.

Die Verfolgung von Minderheiten und politisch Andersdenkenden, die be- ginnende Militarisierung und Kriegsvorbereitung erzeugten kaum ein Auf- begehren, geschweige denn Ungehorsam oder Gegenwehr. Widerstand wurde brutal gebrochen oder verlief im Sand.

Diese Ausstellung soll zeigen, wie es damals dazu kommen konnte und wie wir uns aktuell gegen heute wieder aufkeimende rechtsradikale Ten- denzen wehren können.

Die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsleistung des Kuratoriums Erinnern Forschen Gedenken, besondere Beiträge lieferten Helga Diestelmeier und Christoph Laue (Recherche und Texte) und Elke Brunegraf (Gestaltung). Die Herausgeber danken Frau Ute Pahmeyer für die digitale Erfassung der Texte.

Diese Broschüre dokumentiert die auf den 19 Ausstellungstafeln enthalte- nen Texte und ergänzt diese durch das jeweilige fotografische Hauptmo- tiv, weitere Fotos und Materialien.

Alle auf den Ausstellungstafeln gezeigten Fotografien und Dokumente können für schulische Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Kontakt über die Adressen des Kuratoriums.

Wir schätzen uns glücklich, dass wir auf eine Reihe von Publikationen zu den Themen der Ausstellung zurückgreifen konnten. Ganz besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Norbert Sahrhage, dessen profundes Werk „Dikta- tur und Demokratie in einer protestantischen Region. Stadt und Landkreis Herford 1929 bis 1953“ grundlegend für die Texte der Ausstellung und dieser Broschüre war. Ihn und alle andere Autorinnen und Autoren bitten wir um Verständnis, das nicht jede einzelne Übernahme von Texten ein- zeln nachgewiesen wird.

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0 „Herford gehört(e) dem Führer?“ Die Nazifizierung des Alltags im Raum Herford 1933 – 1939

Banner am Renntor in Herford, Datum unbekannt (KAH).

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1 „Immer im Kampf“ Die NSDAP vor der Machtergreifung

Im Mai 1925 traten die 13 Mitglieder des „Völkisch-Sozialen Blocks“ zur NSDAP (= Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) über. Erster „Ortsgruppenleiter“ war Heinz Rudolf Kosiek. Wie überall in Deutschland waren auch in Herford die Mitglieder der NSDAP in der politischen Ausei- nandersetzung präsenter als andere Parteien, sie führten einen „perma- nenten“ Wahlkampf mit Verteilen von Handzetteln, Flugblättern, Organisa- tion von Vortragabenden mit auswärtigen Parteigenossen als Rednern, Teilnahme an auswärtigen NSDAP- Veranstaltungen und Propagandafahr- ten.

SA-Gruppe in Herford (Mitte hinten Hermann Pantföder) (KAH).

Die Herforder SA (=) Die SA – militärisch straff organisiert und uniformiert - war die paramilitä- rische Organisation der NSDAP. In Herford gehörte fast die ganze NSDAP- Ortsgruppe zur SA unter der Leitung von Heinz Rudolf Kosiek. Ende der 1920er Jahre gab Ortsgruppenleiter Kosiek die Herforder SA-Führung an den radikalen Nationalsozialisten Rudolf Culemann ab.

Mitte 1929 zog der hauptberufliche SA-Standartenführer Hermann Pantfö- der nach Herford. Im September 1929 wurde ihm vom Gau-SA-Führer Viktor Lutze die Führung der gesamten SA im Regierungsbezirk Minden und in den Freistaaten Lippe und Schaumburg-Lippe übertragen. Ab Feb- ruar 1931 gab es ein SA-Heim in der ehemaligen Schokoladenfabrik Müller in der Lübberstraße.

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Am 11.8.1931, dem Weimarer Verfassungstag, den die Nationalsozialisten natürlich ablehnten, kam es am „Volkshaus“, dem Zentrum der Herforder Arbeiterbewegung, in der Mitte des Alten Marktes zu einer massiven Schlägerei zwischen Mitgliedern des die Weimarer Demokratie verteidi- genden „Reichsbanners“ und einer SA-Gruppe.

Culemann gründete am 17.4.1932, vier Tage nach dem reichsweiten SA- Verbot, als Tarn-organisation eine Ortsgruppe des „Deutschen Obst- und Gemüse-Schutz-Verbandes“ (Culemann war von Beruf Gärtner). Im Juni 1932 wurde das SA-Verbot aufgehoben. Das SA-Heim wurde nun in ein Gebäude der Zigarrenfabrik Fischer, Bielefelder Straße 40 verlegt und be- stand dort bis zur „Machtübernahme“.

li.: Hermann Pantföder (1896 - 1933), SA- Standarten-Führer, seit 1925 Parteimitglied. Ab 1929 Organisator des Aufbaus der SA in Herford und im Regierungsbezirk Minden (KAH).

re.:Heinz Rudolf Kosiek (1902 - 1991), Verwaltungsangestellter beim Kreis Herford. Begründer der Herforder NSDAP und SA. Vom 3.5.1933 bis 1.4.1938 2. Bürgermeister in Herford, ab 1938 1. Bürgermeister in Paderborn. Nach 1945 entnazifiziert als „minderbe- lastet“. Ab 1950 Geschäftsführer der FDP in Ostwestfalen (KAH).

Kampf gegen den Gegner Ortsgruppenleiter Kosiek stand auch bei handfesten Ausei- nandersetzungen mit politischen Gegnern „in vorderster Li- nie“. Am 30.7.1932 befand sich eine NSDAP-Gruppe aus Herford, angeführt von ihm, mit einem Lautsprecherwagen auf Propagandafahrt in Südlengern, bedrohte dabei eine Pla- katklebekolonne von vier KPD-Mitgliedern mit einem Revolver und schlug zu. Am 23.9.1932 wurde Kosiek wegen einfachem Landfriedensbruch zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, zwei weitere Nationalsozialisten er- hielten je vier Monate Gefängnis. Die Überführung Kosieks von Bielefeld in das Herforder Gefängnis an der Eimterstraße am 29.9.1932 wurde von der Herforder NSDAP-Gruppe als „großer Empfang“ inszeniert. Die drei verurteilten Nationalsozialisten konnten aufgrund einer Amnestie kurz vor Weihnachten 1932 das Gefängnis verlassen.

Organisation Am 1.7.1931 wurde die Herforder Frauengruppe der NSDAP gegründet, am 3.5.1932 die Herforder Ortsgruppe des NS-Lehrerbundes (NSLB). Der Aufbau von NSBO-Gruppen (Nationalsozialistische Betriebszellen- 6

Organisation) fand ab Anfang der 1930er Jahre statt.

Ab 1931 erschien im Verlag Vactev/Titgemeyer der „Westfälische Be- obachter“ als regionales NS-Presseorgan, am 23.2.1932 erstmals unter dem Titel „Herforder Beobachter“ (KAH).

Zum 1.10.1932 teilte sich der NSDAP-Kreis Herford in die selbständigen Kreise Herford-Stadt und Herford-Land auf. Kreisleiter von Herford-Stadt wurde Heinz Rudolf Kosiek.

Die Herforder Ortsgruppe wurde in drei neue Ortsgruppen aufgeteilt: • Herford-Neustadt: Ortsgruppenleiter Karl Behnke • Herford-Altstadt : Ortsgruppenleiter Martin Blindow • Herford-Radewig: Ortsgruppenleiter Hermann Steinkühler Eduard Aßler, der bisherige Ortsgruppenleiter von Enger-Besenkamp, wurde NSDAP-Kreisleiter Herford-Land.

Mitgliederzahlen Ortsgruppe Herford: 1925: 13 1928: 20 1929: 24 1930: 49 Ende 1931: 222 30.1.1933: 376 Mitglieder

Erfolge bei Wahlen: Bei der Kommunalwahl im November 1929 erreichte die NSDAP den ers- ten Sitz im Stadtrat. Einen Durchbruch schaffte die NSDAP bei der Reichs- tagswahl am 14.9.1930 auch in Herford mit 22,1% der abgegebenen gül- tigen Stimmen in Herford-Stadt und 29,5% in Herford-Land. Bei der Wahl zum Preußischen Landtag am 24.4.1932 erhielt die Partei in Herford-Stadt 35,3%, in Herford-Land 42,2%; bei den Reichstagswahlen am 31.7.1932 und 6.11.1932 in Herford-Stadt 38,9% bzw. 34,2% und in Herford-Land 41,8% bzw. 39,2%.

“15 Jahre treu zum Führer“, Festschrift zum 15jährigen Bestehen der Herforder NSDAP 1940 aus dem Besitz von Kosiek (KAH).

(Vgl. zum Thema insgesamt auch: Norbert Sahrhage, „Völkisch gesinnte Herren gesucht…“ Die Anfänge der NSDAP im Kreis Herford, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1995, hrsg. vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1994, S. 89 – 122) 7

2 „Prediger und Soldat zugleich“ Die NSDAP-Ortsgruppen und die SA nach der „Machtergreifung“

Ein Ortsgruppenleiter war ein lokaler Hoheitsträger. Er wurde durch den Kreisleiter berufen, die offizielle Ernennung erfolgte durch den Gauleiter. Nach der „Machtergreifung“ lagen seine Aufgaben hauptsächlich in der ideologischen Indoktrination und Überwachung der Bevölkerung. Unter der Ebene der Ortsgruppenleiter gab es Zellen- und Blockleiter. Diese kassier- ten die Beiträge der Parteimitglieder. Viel bedeutsamer aber war, dass sie, die für 40 bis 60 Haushaltungen zuständig waren, diese ständig im Auge hatten, Anweisungen gaben und ihre Informationen „nach oben“ weiter- gaben. Die Menschen fühlten sich fortwährend kontrolliert und vermieden kritische Äußerungen oder Handlungen, um nicht ins Visier der zu geraten.

Büro der Ortsgruppe Altstadt, Clarenstraße 18 (KAH).

Ortsgruppe Ein Ortsgruppenleiter arbeitete ehrenamtlich. Ab 1935 galt nicht mehr die Anzahl der Parteimitglieder als Maßstab für die Bildung einer Ortsgruppe, sondern die Anzahl Haushaltungen, wobei 3.000 Haushaltungen als Ober- grenze für eine Ortsgruppe festgelegt wurde. 1938 wurde die Anzahl sogar auf 1.500 Haushaltungen gesenkt.

In Herford gab es eine Ortsgruppendienststelle der Ortsgruppe Altstadt in der Clarenstraße 18, wo auch Sprechstunden für die Bevölkerung abgehal- ten wurden. Die meisten Ortsgruppenleiter waren nach der „Machtergrei- fung“ auch Gemeinde- oder Amtsbeigeordnete oder Gemeinderäte.

1939 wurde zentral eine Ortsgruppenneuordnung durch den Reichsorgani- sationsleiter erlassen. In Herford-Stadt bestanden nun 11 Ortsgruppen, in Herford-Land 56 Ortsgruppen. Diese Neuorganisation er- möglichte eine noch weitergehende Kontrolle der Bevölkerung.

Parteitage Die Kreis-, Gau- und Reichsparteitage dienten zur Inszenierung von be-

8 eindruckenden Massenaufmärschen. „Alte Parteigenossen“ fuhren begeis- tert begrüßt durch das Land. Die Teilnahme wurde besonders von den Funktionsträgern der NSDAP und den angeschlossenen Gliederungen er- wartet und gefördert. Die Herforder Nationalsozialisten fuhren auch zu den Nürnberger Reichsparteitagen. Für den Besuch wurden Beamte, Angestell- te und Arbeiter der Gemeinden ohne finanzielle oder urlaubsmäßige Nach- teile freigestellt.

Kreisparteitag 1938 in Herford mit Gauleiter Dr. Alfred Meyer (KAH, Slg. Fenske).

Durchfahrt der „Alten Kämpfer“ der NSDAP durch Herford 1939 (KAH, Slg. Fenske).

Die SA Nach der „Machtergreifung“ wuchs die SA reichsweit stark an, sie profitier- te von der für die NSDAP verhängten Aufnahmesperre. Es gab zum Teil auch Beitritte aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum; der Eintritt in die SA war Ersatz für den zu diesem Zeitpunkt nicht möglichen NSDAP- Eintritt. Auch in Herford-Stadt und –Land erfolgte sehr schnell ein flächen- deckender Ausbau der SA. Im August 1933 wurde die SA im Gau Westfalen-Nord in drei Brigaden (Brigade 65/Detmold, Brigade 66/Münster, Brigade 70/Recklinghausen) eingeteilt. Die Herforder SA-Standarte 174 gehörte zur Brigade 65. Nach dem Tod des SA-Standartenführers Hermann Pantföder bildeten Stadt und Landkreis Herford nun vorübergehend den Sturmbann V/55, der von Josef Böbersen, dem früheren Adjudanten Pantföders, geführt wurde. Dieser Sturmbann wurde am 10.10.1933 zur eigenständigen Fußstandarte 68 „Hermann Pantföder“ und bestand aus dem Sturmbann I/68 Herford, II/68 Vlotho und III/68 Bünde. Der Sturmbann I/68 Herford hatte die neun Stürme 1 bis 9/68 und einen Reservesturm R 1/68. Sturmbannfüh- rer war Heinrich Niebuhr, der 1934 wegen Unterschlagung von SA-Geldern ausgeschlossen und durch Rudolf Culemann ersetzt wurde.

Ausschnitt aus dem Lagebericht vom 23.6.1934 „Auf der anderen Seite führten SA-Führer einen großen Aufwand an Kraftfahrzeugen, Reitpferden, Prunkuniformen usw. Tagesgespräch in den Lokalen ist die Beurlaubung des Stabes der Reservestandarte. Es schwir- ren die tollsten Gerüchte über Unterschlagungen, Veruntreuungen usw. Man spricht von Totengräbern an der Bewegung und ist sehr erstaunt dar- über, daß derartige Leute nicht öffentlich an den Pranger gestellt werden. 9

Am unzufriedensten sind die ältesten Anhänger der Bewegung. Man ist der Meinung, daß durch das Führerprinzip mancher auf einen Posten gesetzt worden ist, dem er nicht gewachsen sei.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

Allgemeine Erläuterungen zu den „Lageberichten“ Da in dieser Broschüre so genannte „Lageberichte“ auszugsweise zitiert werden, sind einige Erläuterungen dazu hilfreich. Die Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten in Preußen, einschließlich des Polizeipräsidenten in Berlin, und die entsprechenden Behörden der üb- rigen deutschen Länder hatten dem Reichsinnenminister in Berlin monatli- che Gesamtübersichten über die politische Lage in ihren Verwaltungsbe- zirken (Lageberichte) einzureichen. Diese innerpolitischen Gesamtüber- sichten fußten auf monatlichen Berichten der untergeordneten Behörden. So musste der Oberbürgermeister der Stadt Herford als Ortspolizeibehör- de „Lageberichte“ an den Regierungspräsidenten in Minden schicken, eine Zweitausfertigung ging an die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Minden in Bielefeld. Diese „Lageberichte“ sollten ein „erschöpfendes und wahrheitsgemäßes Bild der politischen Gesamtlage enthalten“ und „über alle politisch wesentlichen und für die Stimmung im Lande maßgeblichen Ereignisse und Zustände rückhaltlos“ berichten. (LA NRW Detmold, Bestand M4A, Nr. 25) Die Berichte, die geheim zu halten waren, stellten ein wichtiges innenpoli- tisches Kontrollinstrument dar. Insgesamt sind die „Lageberichte“ eine wichtige Quelle für Situationen und Stimmungen „vor Ort“, auch wenn manches vielleicht etwas übertrieben dargestellt worden ist, um die Effizi- enz der örtlichen Polizeibehörde in ein gutes Licht zu rücken. Die Diktion ist teilweise diffamierend gegenüber Gegnern des NS-Regimes.

Josef Böbersen (1903 - 1979), Herforder Kaufmann. NSDAP-Mitglied seit 1930, Führer der SA-Standarte 68, Sturmbannführer. 1935 Ratsherr in Herford. 1937 verzogen nach Arnsberg, 1947 zurück aus amerikani- scher Gefangenschaft (KAH).

Gliederung der SA 4 bis 6 SA-Männer eines Ortes bildeten eine Gruppe oder Schar mit einem Scharführer an der Spitze. 2 bis 3 Gruppen/Scharen bildeten einen Trupp mit einem Truppführer an der Spitze. Mehrere Trupps bildeten einen Sturm (ca. 60-150 SA-Männer) mit einem Sturmführer an der Spitze.

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Mehrere Stürme bildeten einen Sturmbann mit einem Sturmbannführer an der Spitze. Mehrere Sturmbanne bildeten eine Standarte mit einem Standartenführer an der Spitze.

SA-Uniform: braun, am Arm Hakenkreuzbinde, Schaftstiefel, Mütze mit Kinnriemen.

Hermann Pantföder Der Führer der SA-Standarte 174, Mitte März 1933 in die Herforder Stadt- verordnetenversammlung gewählt, starb am 31.3.1933 spät in der Nacht auf der Rückfahrt von Bielefeld nach Herford bei einem Autounfall. Er wurde zum regionalen Helden der NS-Bewegung stilisiert. SA-Männer hielten am Sarg des im Herforder Rathaus aufgebahrten SA- Standartenführers Totenwache.

Totenwache im Herforder Rathaus (KAH).

An der Trauerfeier nahmen neben Pantföders Witwe und Verwandten auch die örtlichen Honoratioren und die Vertreter der NSDAP, sowie die oberste SA-Führung Westfalens und SA-Stabschef Viktor Lutze teil. Superintendent Niemann hielt die Trauerre- de. Nach der Trauerfeier kam der Sarg auf einem mit Hakenkreuzfahnen dekorierten Leichenwagen zum Krematorium in Bielefeld. Viele Menschen standen an den Straßen, SA bildete Spalier. An der Stadtgrenze wurden drei Ehren- salven abgegeben. Die Urne setzte die Familie in Anwesenheit einer Ab- ordnung der Standarte 174 auf dem Herforder Friedhof Ewiger Frieden bei. Anfang August 1933 wurde feierlich ein Gedenkstein enthüllt. Die Stadt benannte die Schillerstraße in Pantföderstraße um. Am 9.11.1933, dem 10jährigen Jahrestag des gescheiterten Hitlerputsches, legte die SA einen Kranz am Grab nieder. In Spenge wurde am 24.9.1933 ein großer Findling mit Inschrift auf dem Blücherplatz aufgestellt. Während der Feier erklang das „Pantföderlied“.

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3 „Gleichschaltung“ Die Machtübernahme der Partei in Politik und Verwaltung

Nach der „Machtergreifung“ ging die NSDAP sofort daran, ihre Macht auch auf kommunaler Ebene auszubauen. Sie löste alle demokratischen Struk- turen auf. Auch gelang es, die Verwaltungsspitzen „gleichzuschalten“. Von 16 Personen, die hauptamtlich Oberbürgermeister – wie in Herford - oder Bürgermeister im Landkreis Herford waren, traten nur drei der NSDAP nicht bei. Drei waren schon 1929 bzw. 1931 Mitglieder geworden, vier im Zeitraum 1932 bis 1937 und sechs waren ab 1.5.1933 Parteimitglied. Die Verwaltungsspitzen passten sich dem Nationalsozialismus an. Die beiden NSDAP-Kreisleitungen Herford-Stadt und Herford-Land wurden zusam- mengelegt und bildeten ab Mitte Dezember 1935 die NSDAP-Kreisleitung Herford. Sie war die wirkliche Machtzentrale und kontrollierte Politik und Verwaltungen.

Amtseinführung von OB Friedrich Kleim August 1933 (KAH).

Entmachtung Ernst Althaus (1889 - 1977), Mitglied der DDP (Deutsche Demokratische Partei), 1933 Oberbürgermeister der Stadt Herford, war Anfang der 1930er Jahre ins Visier der Nationalsozialisten geraten und öffentlich durch deren Presseorgan „Westfälischer Beobachter“, angegriffen worden, weil er die Herforder Polizei gegen NSDAP- und SA-Mitglieder eingesetzt hatte. Althaus wich dem Druck der NSDAP, indem er noch im Mai 1933 den Mindener Regierungspräsidenten um Beurlaubung bat. Um sich im NS-Sinn zu „bewähren“, wurde Althaus im April 1934 zum Bürgermeister der Stadt Minden berufen. 1937 trat er in die NSDAP ein.

Friedrich (Fritz) Kleim Der Jurist Friedrich Kleim (1889 - 1945) trat im August 1933 die Nachfolge von Althaus an. Mit seinem am 1.5.1933 er- folgten Eintritt in die NSDAP arrangierte sich dieser qualifi- zierte Verwaltungsfachmann mit dem neuen System. Er war Bürgermeister der Stadt Soest und bis 1932 Mitglied der 12

DVP (Deutsche Volkspartei) gewesen. In Herford galt er als „anständiger“ Nationalsozialist, der die Amtsgeschäfte im „Einklang der Gemeindever- waltung mit der Partei“ ausführte. Im Verhältnis zwischen Verwaltung und Partei gab es nun unbestritten einen Vorrang der Partei.

Ausschaltung des Gemeinderats Nachdem durch Verordnung des preußischen Staatsministeriums vom 4.2.1933 alle Gemeindevertretungen mit Wirkung vom 8.2.1933 aufgelöst worden waren, erlangten bei der sich anschließenden Kommunalwahl die Nationalsozialisten 17 von 36 Sitzen im Herforder Stadtrat. Anfang April 1933 wurden die 13 Mandate von SPD und KPD für „unwirksam“ erklärt. Seit dem preußischen Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 gab es in Herford nur noch die leere Hülle eines Gemeinderats mit „beratender Stimme“. Er war auf insgesamt 15 NSDAP-Mitglieder geschrumpft. Der Kreisleiter und der ranghöchste SA-Führer, die die Stellung von ehrenamt- lichen Gemeinderäten hatten, sollten den Oberbürgermeister nun beraten. Abstimmungen fanden im Gemeinderat nicht mehr statt.

„Siegesfeier“ Das Wahlergebnis bei der Reichstagswahl am 5.3.1933 lag in Herford- Stadt bei 44,6% der abgegebenen gültigen Stimmen, in Herford-Land bei 49,6%. Am Abend des 7. März 1933 sorgten die Herforder NSDAP und der „Stahlhelm“ dafür, dass am Rathaus, am Gebäude der Post, am Finanzamt und am Kreishausgebäude schwarz-weiß-rote Fahnen (die Farben der al- ten Reichsflagge) und Hakenkreuzfahnen gehisst wurden. Die Mitglieder des „Stahlhelms“ und der NSDAP (SA, SS, HJ, NSBO) traten zunächst auf dem Herforder Rathausplatz an.

“Siegesfeier“ am 7.3.1933 auf dem Herforder Rathausplatz (KAH.)

Hilfspolizei Gemäß dem Erlass des preußischen Innenminis- ters vom 22.2.1933 gab es auch in Herford eine „Hilfspolizei“ aus Mitgliedern des „Stahlhelms“, der SA und SS unter Führung der ordentlichen Po- lizei. Damit konnten die Schlägertruppen der NSDAP ihre Willkür quasi in staatlichem Auftrag ausüben. Nach dem Reichstagsbrand stockte man die Hilfspolizei in Herford auf 100, im Landkreis Herford auf 120 Männer auf. Am 15.8.1933 hob die Polizei die Hilfspolizei auf, da inzwischen die Geheime Staatspolizei (GESTAPO) entstanden war.

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Kreisleiter Kosiek Zum 1.10.1932 wurde Heinz Rudolf Kosiek Kreisleiter von Herford-Stadt. Seit Oktober 1932 war die Kreisleitung in Räumen an der Brüderstraße 32, ab November 1934 in der Clarenstraße 18 und ab 1.6.1940 in der ehema- ligen Loge „Zur roten Erde“ am Adolf-Hitler-Wall untergebracht. Kosiek gab das Amt am 16.9.1933 „wegen Arbeitsüberlastung“ auf, als er Anfang Mai 2. Bürgermeister geworden war.

Ernst Nolting Nachfolger Kosieks als Kreisleiter Herford- Stadt wurde Ernst Nolting (1891 – 1945), seit 1930 Mitglied der NSDAP und beruflich Proku- rist einer Zigarrenfabrik. Der Gauleiter er- nannte ihn 1935 zum Kreisleiter des zusam- mengelegten NSDAP-Kreises Herford. Nolting arbeitete ehrenamtlich, bekam aber eine Auf- wandsentschädigung. Zudem erhielt er den gut bezahlten Posten eines kaufmännischen Direktors beim kommunalen Elektrizitätswerk Minden-Ravensberg (EMR). Ernst Nolting, (Bildmitte, KAH).

Kreisleitung der NSDAP Die Kreisleitung war arbeitsteilig in verschiedenen Ämtern organisiert. Die Amtsleiter, die ehrenamtlich arbeiteten, wurden auch wegen ihres Haupt- berufes ausgesucht, dessen Kompetenzen sie in ihr Kreisamtsleiteramt einbringen sollten. Besonders wichtige Ämter waren: Kreisgeschäftsführer, Kreispropagandaleiter, Organisationsamtsleiter, Personalamtsleiter, Schu- lungsamtsleiter und Kassenleiter.

Die Mitglieder der Herforder Kreisleitung waren großenteils zwischen 30 und 50 Jahre alt und wohnten fast ausschließlich in der Stadt Herford, was ihre regelmäßige Anwesenheit in der Geschäftsstelle erleichterte. Eine personelle Veränderung bei den Funktionen war relativ selten. Anfang 1935 wurde zwecks weltanschaulicher Schulung eine „Kreisführerschule der NSDAP“ eingerichtet, die Lehrgänge in Herford und anderen Orten des Landkreises abhielt.

Erich Hartmann (KAH)

Erich Hartmann Als Landrat Franz von Borries, der noch einige Mo- nate vorher NSDAP-Mitglied geworden war, Ende September 1933 in den Ruhestand versetzt wurde, kam mit Erich Hartmann (1896 - 1976) ein Nach- folger in das Amt des Landrats des Kreises Herford, der zwar keine für das Amt übliche Fachqualifikati- 14 on hatte, aber durch und durch Nationalsozialist war. Er war zugleich Gau- inspekteur der NSDAP und vereinigte damit Staats- und Parteiamt in sei- ner Person, wobei für ihn die Parteiinteressen immer Priorität hatten.

„Säuberungen“ Aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 kam es zu einer „Säuberung“ in den Gemeindeverwaltun- gen und bei der Polizei. Besonders ins Visier gerieten Mitglieder von SPD und KPD sowie Juden. In der Stadt Herford wurden 1933 sechs Beamte, drei Angestellte und 17 städtische Arbeiter entlassen. Beim Herforder Kreis und den Verwaltungen im Landkreis Herford, bei der Stadt- und Kreissparkasse mussten ebenfalls Mitarbeiter gehen. Extrem war es auch beim Herforder Arbeitsamt, wo nicht nur der stellvertretende Direktor, der ein führender Herforder Sozialdemokrat war, sondern noch acht weitere Angestellte wegen ihrer „marxistischen Einstellung“ ausscheiden mussten. Wohl auf Kosieks Druck wurden 1933 bzw. Anfang 1934 fünf Polizeibeam- te, davon zwei Kriminalbeamte, in den Ruhestand versetzt. Weitere Poli- zeibeamte, die SPD-Mitglieder gewesen und der NSDAP und der SA „sehr brutal entgegengetreten“ waren, wurden nicht entlassen, aber versetzt. Die freigemachten Stellen wurden „mit arbeitslosen, langjährigen Anhä- ngern der nationalsozialistischen Bewegung“ besetzt. Nur waren die NSDAP-Mitglieder nicht immer qualifiziert für den in Aussicht gestellten Posten.

Städtische Arbeiter Am 15.8.1933 beschloss der Herforder Magistrat, 17 Arbeiter aus dem städtischen Dienst zu entlassen (8 aus Fuhrpark, Kanalreinigung und Friedhof, 8 vom Gaswerks und 1 des Schlachthofs). Die Kündigungen soll- ten keinen Hinweis auf den Kündigungsgrund oder ein Beschwerderecht enthalten und wurden verschleiernd als tarifvertragliche Kündigung hinge- stellt. Auch hier wurden die frei werdenden Stellen mit „alten Kämpfern“ besetzt. Die Bitte eines 55jährigen Arbeiters um Rücknahme wurde abge- lehnt. Er hatte 20 Jahre bei der Stadt als Pflasterer gearbeitet, Ende der 20er Jahre in Ausübung seines Berufes ein Auge durch einen Steinsplitter verloren und sah es als unmöglich an, mit einem Auge wieder Arbeit zu finden.

Rathausputzfrau L. W. Am 31.8.1933 kündigte die Stadt die das Rathaus reinigende Frau W., weil sie Ehefrau eines „eifrigen Kommunisten“ wäre. Ihr Ehemann beschwerte sich als Mitglied der DAF bei dieser über die Kündigung. Der Kündigungs- grund sei unbekannt, „Doppelverdienertum“ liege nicht vor, da er selbst nur kurze Zeit Notstandsarbeiten verrichtet habe und nun schon wieder 5 Wochen arbeitslos sei. Der Lohn der Frau werde unbedingt zum Lebensun- terhalt gebraucht. Einige Tage später informierte Oberbürgermeister Kleim: „Die ganze Familie W(.) ist nach unseren Feststellungen kommu- nistisch eingestellt. Nach ministerieller Anordnung müssen kommunistisch 15 eingestellte Arbeitnehmer entlassen werden. Eine Belassung der Frau W. in ihrer Stellung ist daher nicht möglich.“ (KAH)

Dr. Anne Marie Morisse (KAH).

Dr. Anne Marie Morisse

Prominentestes Opfer der „Gleichschaltung“ an den Schulen war die Leiterin der Staatlichen Oberschule für Mädchen (ab 1939 Königin- Mathilde-Schule), Dr. Anne Marie Morisse, die der DDP angehörte und 1921 für den Preußischen Landtag kandidiert hatte. Sie war für die Herfor- der NSDAP nicht akzeptabel. Zunächst wurde lan- ciert, sie sei nicht arisch. Sie erhielt Drohbriefe und die Fenster ihrer Dienstwohnung wurden ein- geworfen. Schließlich wurde sie ab dem 1.9.1933 beurlaubt. Eine Unterschriftensammlung des Kollegiums blieb erfolglos. Dr. Morisse ging mit 55 Jahren in den Ruhestand. Ihr Nachfolger Ernst Oh- le war zwar erst am 1.April 1933 der NSDAP beigetreten, hatte aber be- reits in der Partei mitgearbeitet und in den 1920er Jahren der berüchtig- ten Brigade Erhardt angehört.

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4 „Ehrentag der treuen Hände“ Der 1. Mai 1933 und die „Gleichschaltung“ der Arbeiterschaft

Kurz vor dem 1. Mai 1933 benannte die Stadt Herford die Spielwiese an der Bismarckstraße in „Maiwiese“ um. Sie rief auch zum neuen „Feiertag der Arbeit“ am 1. Mai 1933 auf und finanzierte großzügig Kosten für 2.000 Fackeln, das Entgelt für Kapellen, die öffentliche Radioanlage mit zwei Großlautsprechern zur Übertragung der Hitler-Rede in Berlin und den Transport eines Findlings, der als „Weihestein“ auf der Maiwiese aufge- stellt werden sollte.

Am 2. Mai 1933 besetzten Polizei, SA und SS das „Dorado der Roten“, wie die National-sozialisten in Herford das „Volkshaus“ am Alten Markt be- zeichneten. Hier hielten sich zu diesem Zeitpunkt Gewerkschafts- und SPD-Personal und eine Gruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend auf. Die neuen Machthaber benannten es in „Haus der deutschen Arbeit“ unter Führung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) um. Viele Kommunisten, Sozi- aldemokraten und Gewerkschafter kamen in „Schutzhaft“.

Das „Haus der deutschen Arbeit“ 1939 (KAH).

Gleichschaltung der Gewerkschaften Die Herforder SA besetzte am 2. Mai 1933 die Büros der Gewerkschaften, deren Buchhandlung wurde aufgelöst. In der Folge zerstörte die NSDAP die bisherige Organisationsstruktur der Gewerkschaften vollständig. Die Gewerkschaftsmitglieder wurden zwangsweise in die am 10.5.1933 ge- gründete „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) eingegliedert. Das „Volkshaus“ wurde in „Haus der deutschen Arbeit“ umbenannt. Dort befanden dann sich der Sitz der Deutschen Arbeitsfront, Gau Westfalen-Nord, die Kreis- verwaltung Herford und die Verwaltungsstelle der DAF Herford, die NS- Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ und NS-Kulturgemeinde, die Rechtsbe- ratungsstellen für Gefolgschaftsmitglieder und Betriebsführer, die NSDAP- 17

Ämter für Volksgesundheit, Volkswohlfahrt, Handwerk und Handel und die NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation).

Zeitzeugenberichte zum 2. Mai 1933 in Herford (alle drei Zeitzeugenberichte aus: Herforder erinnern sich: „Von einem Krieg zum ande- ren Krieg“. Bilder und Geschichte(n) über das Leben in Herford (…), Broschüre von: Ar- beit + Leben DGB/VHS, nach einer Veranstaltung am 7.11.1987 in der Aula der VHS, Münsterkirchplatz 1):

Dora Töpfer: „Und dann stürmten die Nazis das Volkshaus. Wir standen alle auf den Tischen und sangen die „Internationale“. Dann kamen sie und haben uns umzingelt und wir mussten fluchtartig unser Volkshaus verlas- sen.“ (S. 18f.) Karl Reese: „Am 2. Mai ’33 habe ich auf dem Alten Markt gestanden. Man sah nur braune Uniformen. Einige andere waren aber auch dazwischen. Dann stieg Culemann, der SA-Sturmführer, auf das Dach vom Volkshaus. Ja, der stand plötzlich oben auf dem Dach und holte die rote Fahne runter, die da immer flatterte, und dann hat er die Nazi-Fahne gehißt und alle ha- ben geschrien: ‚Heil Hitler‘, ‚Unser Führer‘ und was weiß ich. Dann bin ich gegangen. Das konnte ich nicht mehr mit ansehen.“(S.19) Willi Wiedemann: „Es ist mir noch in Erinnerung, als dann im Volkshaus am Alten Markt die Hakenkreuzfahnen aufgezogen wurden. Ich stand auf dem Marktplatz mit den Fäusten in den Taschen. Das war der Tag, an dem die Gewerkschaftshäuser besetzt wurden.“ (S.19).

Verhaftungen Gewerkschaftssekretäre waren schon im April 1933 verhaftet und in soge- nannte Schutzhaft genommen worden, so Hans Binöder (in Schutzhaft vom 26.4. - 13.5.1933), August Niemeyer (20.4. - 6.5.1933), Paul Volk- mann (20.4. - 16.6.1933), Wilhelm Borchard (20.4. - 13.5.1933). Auch Arbeiter und Angestellte, die der SPD angehörten, wurden im März und April 1933 meistens wegen Verdachts „staatsfeindlicher Bestrebungen“ in Schutzhaft genommen. Gegen die KPD ging das NS-Regime besonders hart vor. Polizei und Hilfspolizei verhafteten in Herford im März und April 1933 mindestens 36 Funktionäre und Amtsträger.

Eduard Aleff, vergleicht den Häftling im Rechtsstaat mit dem „Schutzhäftling“: Häftling im Rechtsstaat: Von einem Gericht nach ordentlichem Verfahren förmlich verurteilt wegen einer gesetzlich bestimmten nachgewiesenen Straftat zu einer Strafe von ihm bekannter Dauer mit –eingeschränkten- Rechten „Schutzhäftling“ Von der politischen Polizei nach deren Ermessen festgesetzt wegen eines nur vermuteten künftigen Verhaltens zur vorbeugenden Ausschaltung für unbefristete Zeit ohne irgendwelche Rechte. (in: Eberhard Aleff (Hrsg.), Das Dritte Reich, mit Beiträgen von Walter Tormin, Eberhard Aleff, Friedrich Zipfel, 9. Aufl., Hannover 1972, S…..)

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Prominenter Schutzhäftling: Der SPD- Reichstagsabgeordnete Julius Finke (1930 mit Familie, KAH).

1. Mai 1933 Die offiziellen Feierlichkeiten begannen am 1. Mai 1933 mit der Pflanzung einer „Hitler-Eiche“ auf dem Uhlandplatz als Zeichen der Hitlerverehrung, Sinnbild „deutschen Wagens“ und „Abbild der deutschen ech- ten Art“. Pastor Hartmann, Pfarrer der Münsterkir- chengemeinde, sah Hitler in seiner „Weiherede“ als Gesandten Gottes. Auch auf dem Hof Ellerbrok pflanzten mehrere „Volks- genossen“ mit Reden und Gedichten u. a. des Herforder Strafanstaltsober- lehrers Christian Mohr eine „Hitlereiche“.

Auf der Maiwiese traten Abordnungen der SA und anderer, auch militä- risch ausgerichteter Organisationen zu einer Hissung der Hakenkreuzfahne und der „alten“ schwarz-weiß-roten Reichsfahne an. Pastor Meinhold, Pfar- rer der Münsterkirchengemeinde, pries Hitler als von „Gott in letzter Stun- de“ geschickten Retter, „der unser Volk vom Abgrund zurückgerufen hat“.

Lübberbruch Um 17 Uhr formierte sich auf dem Lübberbruch ein Festzug, der – beglei- tet von Kapellen und Gesangsvereinen - 11.000 Teilnehmer umfasst ha- ben soll und ca. eine Stunde lang um die Innenstadt zog. Der Festzug en- dete wieder dort. Die Teilnehmer konnten um 19.30 Uhr die Rundfunk- übertragung der Berliner Rede Hitlers hören. Um 21 Uhr zog noch einmal eine große Menschenmenge unter Musik und mit brennenden Fackeln zum Rathausplatz, wo die Fackeln zu einem großen Feuer zusammengeworfen wurden. Große Teile der Arbeiterschaft hatten Vorbehalte und konnten sich mit dieser „Inszenierung“ nicht identifizieren. Beschäftigte von Gewerbebe- trieben hatten geschlossen an der Maifeier teilzunehmen, ihre Nichtteil- nahme fiel auf und wurde mit Lohnentzug für diesen Tag und eventuell Kündigung sanktioniert. (Vgl. zum Thema insgesamt auch: Remco Schaumann, Im permanenten Gleichschritt. Der 1. Mai 1933 als „Tag der nationalen Arbeit“ in Herford, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1995, hrsg. vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1994, S. 123 – 136)

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Zusammenstellung von Ausschnitten aus den „Lageberichten“ aus Herford über die Arbeiterschaft, Zeitraum 28.9.1934 – 27.1.1936 (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

1) Lagebericht vom 28.9.1934 „Die Stimmung unter der Arbeiterschaft ist nach wie vor gedrückt. Die Arbeiter klagen über niedrige Löhne, die nach ihrer Ansicht nicht im Verhältnis zum Lebensindex stehen.“

2) Lagebericht vom 27.11.1934 „Die Stimmung unter der Arbeiterschaft ist immer noch etwas ge- drückt. Sie hat sich aber in letzter Zeit wesentlich gebessert. Das Ver- trauen der Arbeiterschaft zur Reichsregierung, besonders aber zum Führer, wird immer fester. Sehr begrüßt von der gesamten werktätigen Bevölkerung wird die Einrichtung der Preisüberwachungsstellen. Die Mißstimmung, die sich früher durch eine ungerechtfertigte Preissteige- rung bemerkbar machte, ist durch die Maßnahme der Reichsregierung erheblich vermindert worden.“

3) Lagebericht vom 28.12.1934 „Die Stimmung unter der Arbeiterschaft war im letzten Monat zufrie- den. Die hervorragenden Maßnahmen der Regierung in Bezug auf Weihnachtsbescherung hat in der armen Bevölkerung einen nachhalti- gen Eindruck hinterlassen. Wenn auch hin und wieder über die niedri- gen Löhne geklagt wird, so erkennt der größte Teil der Arbeiterschaft die großen Verdienste des Führers um ihre Belange an. Nörgler wird es immer geben und auf diese ist keine Rücksicht zu nehmen.“

4) Lagebericht vom 28.1.1935 „Die Stimmung bei der Arbeiterschaft ist z.Zt. unzufrieden. Der Lebens- standard des Arbeiters ist zu gering, um ihn zufrieden zu stellen. Hin- zukommt, daß in letzter Zeit das Vertrauen zwischen der Arbeiterschaft und Betriebsführung immer mehr schwindet. Die Arbeiterschaft klagt darüber, daß 90% der Betriebsführer immer wieder in die alten libera- listischen Sünden verfällt und nur widerwillig dem Druck des Gesetzes folgt.“

5) Lagebericht vom 25.2.1935 „Die Stimmung bei der Arbeiterschaft im hiesigen Ortsbezirk ist nicht gut. Die Löhne der Holz- und Tabakarbeiter sind z.Zt. katastrophal niedrig. Der größte Teil der Möbelindustrie (95%) arbeitet verkürzt. Ei- nige Möbelfabriken arbeiten nur 2 oder 3 Tage in der Woche. Lager lie- gen voll! Die übrigen Tage müssen die Arbeiter aussetzen und deshalb reicht der Lohn für den notwendigsten Lebensunterhalt nicht aus. Es kommt vor, daß ein junger Arbeiter im Alter von 21 Jahren mit einer Lohntüte von 5 bis 10 RM nach Hause kommt. Dieser Mann steht in

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seiner vollsten Jugendkraft und kann seinem Körper nicht das Notwen- digste zuführen, um arbeitsfähig zu bleiben. Nach den Angaben verschiedener Amtsverwalter der Deutschen Ar- beitsfront soll ein Zigarrenarbeiter mit Familie 40-60 RM im Monat ver- dienen. Dieses können die Zigarrenarbeiter nicht verstehen, weil die Zigarrenindustrie über einen Arbeitsmangel nicht zu klagen hat. Somit sind die Arbeiter über die hiesigen Löhne, die nicht zum Lebensunter- halt ausreichen, sehr verärgert. Hinzukommt, daß die Arbeiterschaft das flotte Leben der Betriebsführer mit ansehen muß, während ihnen Hungerlöhne gezahlt werden. Großes Ärgernis unter der Zigarrenarbei- terschaft soll darüber entstanden sein, daß der Inhaber der Firma B (.) sich in Lübbecke eine Villa in Lipsenformat bauen läßt, die 1 Million Reichsmark kosten soll. Auf der einen Seite wird gepraßt, während die Arbeiterschaft hungern muß. Die Amtswalter der Deutschen Arbeitsfront klagen stark über das unfai- re Benehmen der Betriebsführer. Sie sind der Meinung, daß die Be- triebsführer immer mehr und mehr in das liberalistische Fahrwasser eintauchen und die Arbeiter bewußt und absichtlich unterdrücken, um den Beweis zu führen, daß auch der heutige Staat gegen den Arbeiter eingestellt ist. Ein hiesiger Amtswalter der Deutschen Arbeitsfront äu- ßerte sich dahingehend, daß er gelegentlich einer Ansprache an die Ar- beiterschaft eines Betriebes verhöhnt und ausgepfiffen wurde. Der Ar- beiter will sich nicht mehr etwas vorreden lassen.“

6) Lagebericht vom 24.5.1935 „In den einzelnen Betrieben muß z.Zt. eine verheerende Stimmung herrschen. Dieses wird von den Amtswaltern der Deutschen Arbeits- front bestätigt. Der Leiter der Deutschen Arbeitsfront klagte darüber, daß die politische Arbeit außerordentlich schwer geworden sei. Es sind keine Amtswalter zu finden, die sich ehrenamtlicher Arbeit zur Verfü- gung stellen und leider ist festgestellt worden, daß gerade Parteigenos- sen unter den fadenscheinigsten Begründungen ihre Mitarbeit ableh- nen. Auch PG., die Betriebsführer sind, machen der Deutschen Arbeits- front viel Schwierigkeiten. Die Stimmung in der Arbeiterschaft ist sehr schlecht. Anlaß hierzu ge- ben die niedrigen Löhne und die verkürzte Arbeitszeit. In der Möbelin- dustrie will man die Löhne für die Maschinenarbeiter, die bisher Fach- arbeiterlohn erhielten, noch kürzen. Die Auswirkung ist dementspre- chend. Sehr verärgert sind die Erdarbeiter. Eine ganze Reihe von Fir- men, die mit öffentlichen Bauten bedacht waren, haben sich zum 1. Mai sehr schofel benommen. Die Arbeiten, die sie für den Reichsfiskus vor- zunehmen hatten, waren am 30.4.35 beendet und man hat die Arbeiter entlassen, ohne mit ihnen den 1. Mai zu feiern, geschweige denn ihnen den 1. Mai 35 auszuzahlen.“

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7) Lagebericht vom 26.8.1935 „Die Stimmung unter der Arbeiterschaft ist beunruhigend. Die Arbeiter- schaft hat seit Jahren auf Besserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse gehofft. Man erkennt wohl an, daß Millionen Arbeitskameraden wieder in Brot und Arbeit gekommen sind, bemängelt jedoch auf der anderen Seite das niedrige Lohnniveau, das oft so klein geworden ist, daß es dem Arbeiter einfach unmöglich ist, anständig weiterzuleben. Kommen zu den niedrigen Löhnen dann noch Preissteigerungen der täglichen Bedarfsartikel, dann reicht es einfach nicht mehr. Kurzarbeit hat Lohn- ausfall zur Folge. Lohnausfall bedingt Einschränkung in der Lebenshal- tung. Schlußfolge – Verbitterung. Aus der Holzindustrie kommen die meisten Klagen. Die augenblickliche Lage ist hier sehr schlecht. Eine ganze Reihe von Betrieben arbeitet verkürzt. Die Lohn- und Ferienfrage gibt zu Besorgnissen Anlaß. Der seit Monaten zugesagte Tarif ist immer noch nicht gekommen. Bezüg- lich der Ferienerteilung mußte in verschiedenen Fällen der Treuhänder der Deutschen Arbeit eingreifen. Die Tatsache, daß bei Erteilung von Heeres-Aufträgen die Bescheinigung der Deutschen Arbeitsfront vorge- legt werden muß, hat reinigend gewirkt. Es konnte in mehreren Fällen erreicht werden, daß Firmen, die sich bisher sträubten, ihren sozialen Verpflichtungen nachzukommen, sich nun schleunigst bemühen, alle Mängel zu beseitigen.“

8) Lagebericht vom Dezember 1935 „In Arbeiterkreisen wird Klage darüber geführt, daß der Lebensunter- halt teurer geworden, die Einkünfte aber dieselben geblieben seien. Es wird nicht verstanden, daß selbst Unternehmungen, die dazu in der La- ge sind, Lohnaufbesserungen nicht vornehmen. Was dem Bauer recht sei, der vom Staat weitgehendst unterstützt würde, müsse auch den anderen arbeitenden Schichten billig sein, hört man den Arbeiter sa- gen. Man spricht über Riesengewinne einzelner Industrien auf Kosten der breiten Masse, hauptsächlich sei es die Margarine-Industrie, die überhöhte Gewinne einheimste. Dieses ist auch der Grund, daß die Stimmung in der Arbeiterschaft keine rosige ist.“

9) Lagebericht vom 27.1.1936 „Die Stimmung der Arbeiterschaft richtet sich immer nach den jeweili- gen Lohnverhältnissen. Diese sind im Augenblick bei bestimmten Be- rufsgruppen nicht gerade günstig. Daran sind im Wesentlichen solche Betriebsführer schuld, die selbst bestehende Tarifordnungen nicht be- achten, wie dieses vielfach in der Möbelindustrie zu verzeichnen ist. Daß die Tarifordnung für die Möbel-Industrie eine Grundlage für Ak- kordberechnung nicht hat, ist ein großer Mangel und gibt zu Klagen An- laß. Die ewigen Nörgler finden umso mehr offene Ohren, als berechtig- te Unzufriedenheit durch gewinnsüchtige Betriebsführer, die sich dazu ihren Gefolgschaften noch als Nationalsozialisten ausgeben, heraufbe- schworen wird. Ständige Lohnkontrollen durch Amtswalter der Deut- 22

schen Arbeitsfront führen nach und nach zur Beseitigung dieser Miß- stände.“

Kundgebungsteilnehmer auf der Maiwiese und am Lübberbruch (KAH).

Zum Tag der Arbeit

O schöner Tag! Geschmückt mit tausend Fahnen Und frischem Grün an allen unsern Türen Steht Herford heut, ein Stammsitz der Germanen, Und sieht die Massen durch die Stadt marschieren.

Das ganze Volk ist wahrlich auf den Beinen, Um heut die deutsche Arbeit froh zu ehren. Das bringt uns neues Glück, so will mir scheinen Und wird gewißlich unsern Wohlstand mehren.

Welch froher Zug bewegt sich durch die Straßen? Wie blitzen hoffnungsfreudig aller Augen? Es strömt das Volk herbei aus allen Gassen, Und alle freuen sich, die etwas taugen.

Der 1. Mai, der Tag des neuen Lebens Ist jetzt der Ehrentag der treuen Hände. Wir rufen auf zur Freude nicht vergebens Und bitten, daß Gott unser Elend wende.

Mög unserm Volk ein neues Glück erblühen Und alle fleißgen Hände Arbeit finden, Mög heilge Liebe überall erglühen, Daß sich die Menschen endlich wiederfinden.

Dann kommt die Zeit der schönsten reinsten Freude, Wenn alles eins ist, aller Haß begraben Und alle bauen an dem Reichsgebäude Mit aller Kraft und allen ihren Gaben. 23

Fest steht ! Es halten seine Führer Von Hindenburg und Hitler treu zusammen, Und alle Werke loser Volksverführer Verbrennen heut in der Begeistrung Flammen.

Das deutsche Volk geeinigt, leidverbunden, Stellt seine Zukunft unter Gottes Segen, Um damit seinen Glauben zu bekunden. Heil Hindenburg! Heil Hitler! allerwegen.

Christian Mohr (zitiert nach: Zur Erinnerung an die Pflanzung der „Hitlereiche“ auf dem Hofe des Herrn Wilhelm Ellerbrok in Herford, In der Masch 76 am 1. Mai 1933)

Rotes Kreuz Auch viele andere Vereine und Verbände wurden gleichgeschaltet bzw. in das NS-Regime einbezogen. Der NS-Bürgermeister Fritz Kleim wurde „Kreisführer“ des Herforder Roten Kreuzes. Die meisten Organisationen übernahmen das Hakenkreuz als Symbol an Uniformen und auf Publikatio- nen. Veranstaltungen bekamen immer mehr militärischen Charakter.

Titel und Fotos aus einem Erinnerungs- album des Roten Kreuzes von 1937 (KAH).

Gegner des Regimes wurden öffentlich isoliert und gebrandmarkt, in Geschäf- ten hingen Aufforderungen wie:„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns! Er- kennt Deutschlands Gegner, sie grü- ßen nicht mit: Heil Hitler!“ (KAH)

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5 „Trägerin von Blut und Rasse“ Frauenbild, Frauenschaft und Mutterkreuz

Die nationalsozialistische deutsche „erbgesunde“ und kinderreiche Frau, „Kameradin“ ihres ebenfalls vom Nationalsozialismus überzeugten Man- nes, sollte als Mutter Trägerin von „Blut und Rasse“ sein. Politische Betäti- gung war unerwünscht, der weibliche Parteimitgliederanteil stieg nie über 10 Prozent. Finanzielle Anreize wie Ehestandsdarlehen, Kinder- und Fami- lien-geld sollten den Kinderwunsch anfeuern, das „Mutterkreuz“ gab ge- sellschaftliche Anerkennung. Mädchen wurden zur Ehe erzogen. Ab 1938 gab es verbindlich ein „Pflichtjahr“ in der Haus- oder Landwirtschaft. Frau- en wurden wegen sog. „Doppelverdienertum“ in der Familie entlassen. Der NS-Staat entließ Frauen in Führungspositionen, schränkte die durch ein Studium erreichte Berufstätigkeit und den Studienzugang ein. Abtreibun- gen wurden verschärft sanktioniert. Die „Nationalsozialistische Volkswohl- fahrt“ (NSV) bot den Schwangeren neben „seelischer Betreuung“ Ernäh- rungsbeihilfen, Plätze in Mütterheimen und Kindertagesstätten und Haus- haltshilfen für kinderreiche Familien an. Die Säuglingssterblichkeit sollte reduziert werden.

Mütterschulung der NSV in Herford 1938 (KAH, Slg. Fenske).

Hitlers Frauenbild „Analog der Erziehung des Knaben kann der völkische Staat auch die Er- ziehung des Mädchens von den gleichen Gesichtspunkten leiten. Auch dort ist das Hauptgewicht vor allem auf die körperliche Ausbildung zu legen, erst dann auch die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte. Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein.“ (, , München 1932, S. 459f., zitiert nach: zeit- reise 3, Stuttgart, Leipzig 2010, S. 97)

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„Wenn man sagt, die Welt des Mannes ist der Staat, die Welt des Mannes ist sein Ringen, die Einsatzbereitschaft für die Gemeinschaft, so könnte man vielleicht sagen, daß die Welt der Frau eine kleinere sei. Denn ihre Welt ist der Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus.“ (Hitler 1934 vor den Reichsparteitag über die Rolle von Mann und Frau; aus: Max Domanus, Hitler. Reden und Proklamationen, Bd.1, Würzburg 1962, S. 52, zitiert nach: Entdecken und Verstehen 4, Ausgabe NRW Realschule, Berlin 2007, S.70)).

NS-Frauenschaft in Herford Ab 1.7.1931 gab es eine NSDAP-Frauengruppe in Herford. Die etwa 12 Frauen und 15 Mädchenkümmerten sich hauptsächlich um die Betreuung der arbeitslosen SA-Männer im SA-Heim in der Lübberstraße.

Im Oktober 1931 wurde durch die reichsweite Gründung der NS- Frauenschaft die NSDAP-Frauengruppe zu einer Ortsgruppe der NS- Frauenschaft (NSF), erste Frauenschaftsleiterin war Victoria Blaake.

Im Frühjahr 1933 kam es zu einer Aufteilung in drei eigenständige Orts- gruppen: Altstadt (Leiterin: Anna Fahrenholz) Neustadt-Stiftberg (Adel- heid Cremer), Radewig (Annemarie Schiebel).

NS-Frauenschaftsleiterin Herford-Stadt war 1933 - 1934 Elsbeth Busold, auf sie folgte Adelheid Cremer von 1934 - 1945. Sie bestimmte – nach Maßgabe der NSDAP-Kreisleitung - über zehn Jahre lang zum großen Teil die Arbeit der NS-Frauenschaft.

E. Busold und A. Cremer entstammten dem bürgerlichen Milieu. Ehefrauen von Parteifunktionären waren vielfach auch in führenden Positionen der NS-Frauenschaft.

1935 wurde die NS-Frauenschaft eine Gliederung der NSDAP und seit dem Jahreswechsel 1935/36 in das Deutsche Frauenwerk (DFW) eingebunden.

Die Ortsgruppen der NS-Frauenschaft Herford wurden wegen des starken Anwachsens im Januar 1939 neu organisiert. Es entstanden insgesamt 11 Ortsgruppen: Altstadt, Bismarck, Hansa, Pantföder, Lübbertor, Neustadt, Deichtor, Otto-Weddigen, Radewig, Renntor und Stiftberg.

Die Leiterinnen der NS-Frauenschafts -Ortsgruppen stammten aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum, sechs der elf NSF- Ortsgruppenleiterinnen waren NSDAP-Mitglied. Um Mitglied in einer NS- Frauenschaftsgruppe zu werden, musste eine Frau nicht unbedingt NSDAP-Mitglied sein oder werden.

Frauenturnen bei der Deutschen Ar- beitsfront (KAH, Slg. Fenske).

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„Doppelverdienertum“ und Entlassungen Der Erlass des Preußischen Innenministers über die Entlassung weiblicher Angestellter zum Zweck der Einstellung erwerbsloser männlicher Ange- stellter vom 29.9.1933 diente dem NS-Regime zur Herausdrängung weib- licher Arbeitskräfte. Die Stadtverwaltung fertigte Listen der weiblichen An- gestellten an, die durch verdienende Ehepartner oder Verwandte als „ver- sorgt“ gelten konnten. Sogenanntes „Doppelverdienertum“ sollte ausge- schlossen werden.

So wurde die städtische Büroangestellte Stenotypistin Hanna L. gekündigt, da sie durch das Zusammenleben mit ihrer Schwester, die als Lehrerin tä- tig war, als versorgt galt. Frau L. klagte gegen die Kündigung und den Entzug der Pension mit dem Argument, dass das Betriebsrätegesetz ver- biete, jemandem wegen seines Geschlechts zu kündigen.

Die Verwaltung gab dann Gründe wie Sparmaßnahmen und Organisati- onsänderungen vor, obwohl das Kündigungsschreiben als Grund ausdrücklich die gesicherte wirtschaftliche Existenz angegeben hatte. Weil ihre Schwester ab 15.11.1933 eine Stelle als Lehrerin an der deutschen Schule in Venedig antrat, entfiel der Grund und der Magistrat nahm die Kündigung nun wieder zurück. Zahlreiche andere städtische weibliche Angestellte wurden aber dauerhaft aus ihren Berufen verdrängt.

Einsatz für die Sache: Im Roten Kreuz und anderen Organisationen waren Frauen willkommen (KAH).

Ehestandsdarlehen Frauen sollten im NS-Staat die ihnen zugewiesene Rolle als Mutter erfüllen und gleichzeitig zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen, indem sie ihre Arbeitsplätze für Männer räumten. Wenn eine Frau wegen Heirat aus dem Berufsleben ausgeschieden war, konnte der neu gegründeten Familie ein „Ehestandsdarlehen“ gewährt werden, meist nicht in Geld, sondern als „Bedarfsdeckungsschein“, z. B. für den Erwerb von Möbeln und Hausgerä- ten in zugelassenen Verkaufsstellen, wodurch zugleich noch die Wirtschaft angekurbelt werden sollte.

1933 betrug ein Ehestandsdarlehen 1.000 RM. Da für jedes in einem be- stimmten Zeitraum geborene Kind 25% des Darlehens nicht zurückgezahlt werden mussten, war es mit der Geburt von vier Kindern getilgt („abge- kindert“). Bis 1938 wurden fast eine Million „Ehestandsdarlehen“ bewilligt. Ab 1938 wurde das Darlehen auf 500 RM gekürzt, was aber immer noch eine große Summe war, wenn man bedenkt, dass ein Industriearbeiter 27 etwa 140 RM monatlich verdiente. Bewerber um „Ehestandsdarlehen“ mussten sich – natürlich auch in Herford - vom Gesundheitsamt untersu- chen und beurteilen lassen.

Mutterkreuz Für kinderreiche Mütter wurde 1939 ein „Ehrenzeichen“ geschaffen, das Mutterkreuz, wie es im Volksmund genannt wurde. Die offizielle Ordens- bezeichnung lautete „Ehrenkreuz der deutschen Mutter.“ Der NS-Staat verlieh es je nach Kinderzahl in Bronze (4 Kinder), Silber (6 Kinder) und Gold (ab 8 Kindern).

Nach der propagandistischen Aufwertung des „Muttertags“ im Nationalso- zialismus in vorangegangenen Jahren verlieh der NS-Staat am Muttertag 1939 drei Millionen Frauen für Kinderreichtum dieses neue Ehrenzeichen. Auch in Herford wurden am 21.5.1939 365 Mütter durch das Mutterkreuz geehrt, nachdem kinderreichen Familien der Stadt schon am 18.12.1938 die ersten 125 „Ehrenbücher“ überreicht worden waren. Das „Ehrenbuch für die deutsche kinderreiche Familie“ wies die Familie als Mitglied des Reichsbundes der Kinderreichen aus. Nur Mütter im NS-Sinn erhielten das Mutterkreuz. Mütter sogenannter „Großfamilien“, die zwar als kinderreich, aber nicht als deutsch, geordnet oder „erbgesund“ galten, wurden nicht aner- kannt und erhielten kein Mutterkreuz. Ebenso erging es Müttern, wenn sie oder der Vater der Kinder nicht rein „arisch“ waren und Müttern, die wegen Abtrei- bung verurteilt waren oder ihre Mutter- und Hausfrauenpflichten vernachlässig- ten. Das Mutterkreuz konnte wieder entzogen werden, falls sich herausstellte, dass die Mutter nicht würdig sei.

Mutterkreuz, dritte Stufe, verliehen am 16.12.1938, mit kleiner Spange für die Alltagskleidung und Aufbewahrungsum- schlag (KAH).

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6 „Nur für arische Bewerber“ Siedlungsbau und neue Straßennamen

1938 begann der Bau- und Sparverein e.G.m.b.H. Herford auf einem Ge- lände nördlich der heutigen Mozartstraße zwischen Vlothoer Straße und Bismarckstraße an zwei neuangelegten Straßen 80 Wohnungen in Doppel- häusern mit je einer Einliegerwohnung und in der ebenfalls neu angeleg- ten Grazer Straße (heute Beethovenstraße) 24 Kleinsiedlerstellen zu er- richten. Diese Straße wurde auch „Kleinsiedlung Bergerheide“ genannt. Die drei Siedlungsstraßen wurden parallel zur Bismarckstraße durch die Braunauer Straße (heute Schubertstraße) untereinander und mit der Ös- terreicher Straße verbunden. Die Benennung der Straßen des neuen Sied- lungsgebietes erfolgte am 22.3.1938, gut eine Woche nach dem Ein- marsch deutscher Truppen in Österreich, der im NS-Sprachgebrauch als „Anschluss“ bezeichnet wurde. Der Volksmund erfand daher die Bezeich- nung „Klein Österreich“.

Stadtplan-Ausschnitt von 1935 (KAH).

Neue Straßennamen Mit der Um- und Neubenennung von Straßen machte die Herforder Stadt- verwaltung die neuen Machtverhältnisse auch im Stadtbild deutlich. NSDAP-Helden wurden gewürdigt und SPD-Politiker ausgemerzt.

Schon Ende April 1933 wurden umbenannt: Unter den Linden in Adolf- Hitler-Wall, Bahnhofsplatz in Horst-Wessel-Platz (Horst Wessel wurde als NSDAP-„Märtyrer“ verehrt. Er war Verfasser des Liedes „Die Fahne hoch“, das neben der 1. Strophe des „Deutschlandlieds“ zur Nationalhymne erho- ben worden war.), Rathausplatz in Hindenburgplatz, August-Bebel-Straße in Leo-Schlageter-Straße, Eugen-Richter-Straße in Manfred von Richth- ofen-Straße sowie Schillerstraße in Pantföderstraße.

Straßen in neuen Baugebieten benannte die Stadt nach Repräsentanten des Imperialismus bzw. Kolonialismus, wie Carl-Peters-Straße und Gus-

29 tav-Nachtigal-Straße, oder nach Gebieten, die nach dem 1. Weltkrieg durch den Versailler Vertrag verloren gegangen waren, wie Memelstraße, Danziger Straße, Marienburger Straße, Eupener Straße und Saarstraße.

Straßen in der Nähe der Kasernenbauten bekamen Namen von Helden o- der Schlachten des 1. Weltkriegs, wie Ludendorffstraße, Kirdorfstraße und Otto-Weddigen-Ufer, Boelkestraße, Immelmannstraße und Tannenberg- straße. Die Straßen im Kleinsiedlungsgebiet zwischen Vlothoer- und Bismarck- straße an der Bergerheide bekamen nach dem im März 1938 erfolgten „Anschluss“ Österreichs die Namen des Landes und österreichischer Städ- te: Österreicher Straße (heute Mozartstraße), Innsbrucker Straße (Lortzingstraße), Linzer Straße (Wagnerstraße), Grazer Straße (Beethovenstraße) und Braunauer Straße (Schubertstraße). Die Salzbur- ger Straße ist die einzige, die nach 1945 nicht umbenannt wurde. (Anm. zu Straßenum- und –neubenennungen während der NS-Zeit siehe: a) Adreßbuch der Stadt Herford einschließlich Amt Herford – Hiddenhausen 1939, b) „Als die Amerika- ner kamen…“ 50 Jahre danach. Dokumente und Materialien zu Kriegsende und Befreiung in Herford. Archivpädagogische Materialien Nr. 2, bearbeitet von Christoph Laue M.A., Dr. Heinrich Pingel-Rollmann, im Eigendruck Herford 1995, hier: M29 Straßenumbenennun- gen, c) Wolfgang Günther, Straßennamenändeungen und Neubenennungen in Herford während des Nationalsozialismus, in: Spurensuche – Das andere Herford. Stadtführung durch die Herforder Geschichte 1900 – 1950, Arbeitsgemeinschaft Arbeit+Leben DGB/VHS im Kreis Herford, S. 14f.)

Innenstadtplan von 1937 mit den neuen Namen (KAH) 30

Siedlungsbau Im Raum Herford war Wohnraum knapp. Besonders die Arbeiter lebten als Eltern oft mit einer größeren Anzahl Kinder auf sehr beengtem Raum, manchmal nur in zwei Zimmern, deren Wände dazu noch feucht waren. Für jede Kleinsiedlerfamilie war der Einzug in ein neues Haus eine wesent- liche Verbesserung von Wohnqualität und Lebensmittelversorgung durch eigene Gärten und Ställe.

Der Siedlungsbau in der NS-Zeit war daher auch ein Teil der Vorgehens- weise der NSDAP, die Arbeiter in das nationale Denken der „Volksgemein- schaft“ zu integrieren. In Stadt und Kreis Herford gab es zahlreiche Pro- jekte dieser Art, die sich vor allem an Arbeiter und Angestellte richteten.

Klein Österreich Mit der Bebauung des Geländes zwischen Vlothoer Straße und Bismarck- straße hatte sich der „Gemeinderat“ der Stadt Herford erstmals am 25.1.1938 beschäftigt. Im gesamten Neubaugebiet wurden die Bewerber nach folgenden Kriterien ausgesucht: Größe der Familie, Höhe des vor- handenen Eigenkapitals, Höhe des Einkommens der Bewerber (des Famili- envorstands) und Lebensalter des Bewerbers.

Selbstredend gab es nur „arische“ Bewerber. Sie alle wurden einer erbbio- logischen Begutachtung, in einigen Fällen darüber hinaus einer ärztlichen Untersuchung durch Medizinalrat Dr. Siebert, dem Amtsarzt des Gesund- heitsamts Herford-Stadt, unterzogen. Außerdem gaben die Ortsgruppen- leiter der damals in Herford bestehenden drei Ortsgruppen eine Einschät- zung darüber ab, ob der Bewerber im Sinne der NSDAP politisch „zuver- lässig“ sei. Beide Bewertungen waren für die Vergabe der Häuser aus- schlaggebend.

Die Verlosung der Doppelhaushälften fand am 31.5.1938 statt. Nicht alle ursprünglichen Bewerber waren berücksichtigt worden, vier Bewerber mussten ausscheiden.

Oberbürgermeister Kleim schrieb ihnen verschleiernd, „daß die Übertra- gung einer Siedler-stelle an Sie, wie sich jetzt herausgestellt hat, nach den vom Reich erlassenen Richtlinien nicht möglich ist.“ (Schreiben Kleims v. 18.6.1938, KAH)

Ausschlaggebend für die Ablehnung war wohl die erbbiologische Untersu- chung durch Medizinalrat Dr. Siebert, der zwei Antragstellern attestierte, dass sie als „erbbiologisch minderwertig“ anzusehen seien, und bei zwei weiteren einen „Verdacht auf erbbiologische Minderwertigkeit“ äußerte. (Schreiben Dr. Sieberts v. 16.6.1938, KAH)

Die Häuser wurden ca. drei Wochen vor dem Kriegsbeginn am 1. Septem- ber 1939 bezogen. Nach dem Einzug unterstanden alle Hausbesitzer und 31

Mieter von „Klein Österreich“ der Kontrolle der NSDAP durch einen Block- wart. Zum Zeitpunkt der Bewerbung für die Grazer Straße waren von 24 angenommenen Bewerbern nur drei NSDAP-Mitglieder.

Auszug aus “Gemeinnütziger Wohnungsbau im Dritten Reich“, Sonderdruck aus „Zeit- schrift für Wohnungswesen“ 1936, Heft 20 des Hauptverbandes Deutscher Wohnungsun- ternehmen (Baugenossenschaften und –gesellschaften) e.V. und der gesetzlichen Prü- fungsverbände der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, Punkt 4e, KAH: „Die Kleinsiedlung: Sie charakterisiert sich als nicht bloß gesunde Woh- nung, auch nicht bloß Eigenbesitz, sondern als Wirtschaftsheimstätte mit der Möglichkeit zusätzlicher Ernährung; daher größere Parzelle, die aber nicht kanalisiert ist; Trockenklosett! Nicht bloß Gemüse- und Obstbau auf dem Hausgrundstück, sondern auch Kleintierhaltung (Hühner und Kanin- chen, in selteneren Fällen auch Ziegen, Schafe, Schweine, deren Haltung Zusatzland von größerer Ausdehnung und daher mehr ländliche Verhält- nisse bedingt). Die Parzellengröße ist in den Reichsrichtlinien mit mindes- tens 600 qm angesetzt. Schwere Böden verlangen für das Unterbringen der Hausabwässer Flächen von 800 bis 1000 qm. (…) Der Kleinsiedlung sind natürliche Grenzen gezogen hinsichtlich Bodenvorrat und Geeignet- heit der Siedlerfamilien; richtig durchgeführt und aufmerksam betreut er- weist sie sich als eine der besten Wohnformen des deutschen Arbeiters. (…) Ziel ist die Gemeinschafts- siedlung als soziale Volks- gemeinschaft im neuen Staat...“

Doppelhäuser an der Grazer Straße, von der Rückseite gesehen (KAH, Slg. Fenske).

„Politisch unzuverlässig“ „Dagegen scheint die politische Zuverlässigkeit bei dem Arbeiter X noch zweifelhaft. X war bis zur Machtübernahme als Arbeiter bei der Stadtver- waltung Herford beschäftigt, wurde wegen seiner politischen Einstellung und seines Verhaltens bei der Machtübernahme entlassen und er soll sich seit etwa einem halben Jahr ruhig verhalten. Von der zuständigen Orts- gruppenleitung wird zwar bemerkt, dass X als ein strebsamer Familienva- ter gilt, seiner Arbeit regelmäßig nachgeht, es wird aber auch nicht uner- wähnt gelassen, dass X sowohl als auch sein Vater den Juden noch sehr zugetan sind. Wir würden empfehlen, X erst zu allerletzt bei der Verge- bung der Siedlungshäuser zu berücksichtigen.“ (Auszug aus einem Schreiben des Kreisgeschäftsführers Schulze der NSDAP-Kreisleitung Herford an Oberbürgermeister Kleim am 15.1.1938, KAH). Der Bewerber wurde nicht berücksichtigt. 32

„Erbbiologisch geeignet“ „Die Bewerber um die neu zu errichtenden Wohngebäude zwischen Vlothoer- und Bismarckstraße sind hinsichtlich ihres erbbiologischen Ge- sundheitsbildes begutachtet worden. Es hat sich dabei herausgestellt, daß der Schlosser Y unter 2 Kindern einen 13jährigen Sohn hat, der die Hilfs- schule besucht. Außerdem ist der Bewerber Maler Z gleichfalls Hilfsschüler gewesen. Ich stelle anheim, diese beiden Bewerber einer ärztlichen Unter- suchung zu unterziehen.“ (Auszug aus einem Schreibens des Amtsarztes des Ge- sundheitsamtes Herford-Stadt, Medizinalrat Dr. Siebert vom 24.1.1938 an die Stadt Herford, KAH). Oberbürgermeister Kleim bat um Untersuchung der beiden Bewerber. Am 18.2.1938 teilte Dr. Siebert mit: „Ärztliche Bedenken be- stehen diesseits nicht, daß den beiden Bewerbern eines der neu zu errich- tenden Wohngebäude zugewiesen wird.“

Veränderungen: Zwei Blicke vom Bismarckturm über die Stadt Herford machen die Verän- derungen deutlich. 1930 (oben) ist der Stiftberg noch kaum bebaut, 1940 (unten) prägen die Kasernen und Siedlungsbauten das Bild (KAH).

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7 „Wer die Jugend besitzt, hat die Zukunft“ Die Hitlerjugend

Der NS-Staat wollte systemtreue Kinder und Jugendliche heranziehen, die das „arische Erbe“ weitertragen und für Deutschland kämpfen. Die Jungen wurden „Pimpfe“ in der DJ (Deutsches Jungvolk als Vorstufe zur HJ) und „Hitlerjungen“, Mädchen kamen zu den „Jungmädeln“ und in den BDM (Bund deutscher Mädel). In ihrer Freizeit hatten sie „Dienst“, der die „Weihe“ einer notwendigen Pflicht im Interesse der „Volksgemeinschaft“ erhielt.

In Herford gab es schon früh eine HJ-Gruppe als Vorläuferin des nach der „Machtergreifung“ entstehenden „HJ-Bannes 183 Herford“. Zudem exis- tierten Sondereinheiten der HJ, wie die Flieger- und Marine-HJ. Auch in Herford wurden andere Jugendorganisationen aufgelöst oder übernommen. Die Angebote von HJ und JV waren für viele Kinder und Ju- gendliche trotz strengem „Drill“ interessant. Nur wenige entzogen sich dem Dienst.

Hitlerjugend (bei der Aufnahme in die HJ ?) auf der Herforder Rathaustreppe, Datum unbekannt (KAH).

Organisation Schon Ende der 1920er Jahre gab es eine HJ-Gruppe in Herford, vermut- lich auf Initiative der örtlichen SA-Formation. Die frühen Mitglieder kamen hauptsächlich aus dem bürgerlichen Milieu. Die HJ-Gruppen der Stadt und des Landkreises Herford gehörten anfangs zum Bezirk Bielefeld.

Seit Anfang 1932 gab es einen selbstständigen HJ-Unterbann Herford- Lübbecke. Dieser wurde nach der „Machtergreifung“ zum „HJ-Bann 183

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Herford“ (Stadt und Landkreis Herford und Landkreis Lübbecke) „erho- ben“. 1941 trennte sich der Landkreis Lübbecke als eigenständiger HJ- Bann ab, Herford behielt die Bannbezeichnung 183.Zunächst war die HJ in mehreren Räumen in verschiedenen Stadtteilen untergebracht, seit 1934 befand sich das zentrale HJ-Heim in einem von der Stadtsparkasse in der Clarenstraße 18 angemieteten Gebäude.

Uniform Hitlerjungen trugen eine Uniform, bestehend aus schwarzer Hose, braunem Hemd, Schulterklappen, Halstuch mit Lederknoten, Schulterriemen, Koppel- schloss und Fahrtenmesser mit Hakenkreuz, außer- dem die zu jedem Rang gehörenden Abzeichen oder Kordeln und die Leistungsabzeichen

Sammlung Heese KAH

Lieder Siehst du im Osten das Morgenrot, Ein Zeichen zur Freiheit, zur Sonne? Wir halten zusammen, ob Leben, ob Tod, Mag kommen, was immer da wolle! Warum jetzt noch zweifeln? Hört auf mit dem Hadern! Noch fließt uns deutsches Blut in den Adern. Volk ans Gewehr! Volk, ans Gewehr! (HJ-Lied) (in: W. Klose, Generation im Gleichschritt, Oldenburg 1964, S. 127; zitiert bei: Angela Kahre, Die HJ-Bannführerschule „Herzog-Widukind“ in Vlotho 1938 – 1945, in: Jugendhof Vlotho, Bildungsstätte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Hrsg.), Fahne flattert stolz im Wind, wo wir Kameraden sind. Die HJ-Bannführerschule „Herzog Widukind“ in Vlotho 1938 - 1945, S. 25)

„Unsre Fahne flattert uns voran, In die Zukunft ziehn wir Mann für Mann. Wir marschieren für Hitler durch die Nacht und durch Not, Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.“ (HJ-Fahnenlied) (in: L. Helbig, Und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben. Weinheim/ Basel 1982, S. 37; zitiert bei: Angela Kahre, a.a.O., S. 26)

HJ-Fahne

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Aufnahme Die Aufnahme ins Deutsche Jungvolk erfolgte jährlich zu Ostern. Jeder neu aufgenommene Pimpf musste eine Verpflichtungsformel nachsprechen: „Ich verspreche, in der Hitler-Jugend allzeit meine Pflicht zu tun in Liebe und Treue zum Führer und unserer Fahne.“ ( in: Harald Focke/ Uwe Reimer, Alltag unterm Hakenkreuz. Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten, rororo aktuell 4431, Hamburg 1979, S.44)

Hatte ein Junge im ersten Jahr die „Pimpfenprobe“ bestanden, war das nächste Ziel das DJ-Leistungsabzeichen. Im April, häufig zu Hitlers Ge- burtstag am 20. April, übernahmen HJ und BDM die 14jährigen „Pimpfe“ und „Jungmädel“ (JM) in den BDM (Bund Deutscher Mädel). Die Vereidi- gung auf Hitler fand in einer öffentlichen Veranstaltung auf dem Herforder Rathausplatz statt. Das Programm bestand am 20.4.1939 aus: Fahnen- einmarsch, Spruch eines Hitlerjungen, Ansprachen der DJ- und HJ-Führer sowie der JM- und BDM-Führerinnen, Treuegelöbnis der neuen Mitglieder auf Hitler, Fahnenlied „Vorwärts, vorwärts…“, Abschlussrede von Kreis- und Ortsgruppenleiter und Ausmarsch der Fahnen.

„Pimpfenprobe“ “Der Pimpfenprobe soll sich jeder Junge innerhalb der ersten sechs Mona- te nach Eintritt in das Deutsche Jungvolk unterziehen: 1. 60 m Lauf 12 Sekunden 2. Weitsprung 2,75 m 3. Schlagballweitwerfen 25 m 4. Tornisterpacken 5. Teilnahme an einer 1-tägigen Fahrt 6. Kenntnis der Schwertworte des Jungvolkjungen 7. Kenntnis des Horst-Wessel- und des HJ-Fahnenliedes. Vom Horst- Wessel-Lied und HJ-Fahnenlied war lediglich der Text, nicht das Singen erforderlich“. (in: L. Helbig, a.a.O., S. 38; zitiert bei: Angela Kahre, a.a.O., S. 16)

Schwertworte“ der Pimpfe (Deutsches Jungvolk) (DJ) „Unsere Schwertworte lauten: Jungvolkjungen sind hart, schweigsam, tap- fer und treu. Jungvolkjungen sind Kameraden. Des Jungvolkjungen Höchs- tes ist die Ehre.“ (in: Focke/ Reimer, a.a.O., S.44)

Fahnenspruch „Wer auf die Fahne des Führers schwört, hat nichts mehr, was ihm selbst gehört.“ (in: W. Klose, a.a.O., S.37; zitiert bei: Angela Kahre, a.a.O., S. 26)

Lager des Jungbanns 183 „Herzog Wittekind“ in Espohl bei Lemförde 1938 (KAH, Slg. Fenske). 36

Staatsjugend Nach der „Machtergreifung“ gab es eine rasche Entwicklung zur Massenor- ganisation, unter anderem durch die erzwungene Auflösung anderer Ju- gendorganisationen, wie der Übernahme der Mitglieder evangelischer Ju- gendverbände in die HJ am 22.2.1934. Ende 1935 waren von den Schü- lern und Schülerinnen im Alter von 10 - 14 Jahren 63,5% der Jungen und 39,7% der Mädchen im Deutschen Jungvolk und bei den Jungmädeln. Am 1.1.1936 gab Reichsjugend-führer zum „Jahr des Deutschen Jungvolks“ aus, dass erstmalig ein Jahr-gang geschlossen am Vorabend des Führer-Geburtstages „freiwillig“ in die HJ eintreten sollte. Darauf folgten massive Werbung und „Erfassung“ auch in Herford. Ab 1.12.1936 blieb mit dem „Gesetz über die Hitler-Jugend“ die Teilnahme zumindest formal noch freiwillig, aber nahezu alle Herforder Kinder und Jugendlichen von 10 - 18 Jahren gehörten nun zur „Staatsjugend“. Mit der am 25.3.1939 erlassenen 2. Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend gab es eine Jugenddienstpflicht mit jahrgangsweiser Er- fassung aller Kinder ab 10 Jahren.

Sport “Hart wie Krupp-Stahl, zäh wie Leder und flink wie Windhunde“. Sportliche Betätigung war eine der zentralen Aufgaben der HJ, die sich im Laufe der Zeit immer mehr zur Wehr-erziehung entwickelte. Zu den sportlichen Auf- gaben traten Marschübungen, Schießen, Geländedienst und weltanschauli- che Schulung.

Seit Mitte der 1930er Jahre gab es Serienspiele im Hand- und Fußball in- nerhalb des HJ-Bannes 183 zwischen den einzelnen „Gefolgschaften“, dann auch jährliche HJ-Bannsportfeste.

„Zur Erlangung des HJ-Leistungsabzeichens in Silber (ab 16 Jahren) muss- ten folgende Leistungen erbracht werden: 100-Meter-Lauf in 14 Sekun- den; 3.000-Meter-Lauf in 14 Minuten; Weitsprung, 4,25 m; Keulenweit- werfen auf 35 m; Kugelstoßen (5 kg) auf 7,50 m; vier Klimmzüge; Schwimmen (300 m) in 10 Minuten. Zu den sportlichen Aufgaben traten Marschübungen, Schießen, Geländedienst und weltanschauliche Schu- lung.“ (in: W. Klose, a.a.O., S. 118; zitiert bei: Angela Kahre, a.a.O., S. 24)

„Kulturarbeit“ Ende 1935 gründete sich eine Spielschar durch Angehörige des HJ-Bannes 183. 1937 gab es zwei Schulungswochen für HJ-Bann-Mitglieder im Laien- spiel, Singen und Musizieren. Vom 7. bis 13.2.1938 veranstaltete die HJ in Herford eine „Kulturwoche des Bannes und Unter-bannes 183“, mit Prä- sentation der Ergebnisse der Schulungswochen. Im Frühjahr 1939 grün- deten einige Herforder Hitlerjungen ein Bannorchester, das bald auf 20 Musiker anwuchs und in den folgenden Jahren viele öffentliche Auftritte hatte, auch mit Werken der klassischen Musik.

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Flieger-HJ Jüngere Mitglieder bauten Modell-Flugzeuge, ältere Mitglieder unter Anlei- tung eigene Segelflugzeuge und wurden als Segelflieger ausgebildet. Am 5.1.1936 verunglückte ein Angehöriger der Herforder Flieger-HJ mit einem Segelflugzeug in Oerlinghausen tödlich. Die Beerdigung nutzte man zu ei- ner Demonstration für die NSDAP und die HJ. Im Mai 1936 benannte die Flieger-HJ ein neues Segelflugzeug nach dem Verunglückten. Am 5.1. 1938 weihten sie auf dem alten Friedhof einen Gedenkstein ein. Ein zwei- tes Mitglied der Herforder Flieger-HJ starb im Mai 1938.

Mit Flieger-HJ, Marine-HJ, Motor-HJ und Nachrichten-HJ sollte der spätere reibungslose Übergang in die entsprechenden Einheiten der Wehrmacht vorbereitet werden, denn diese brauchte technisch interessierte und ver- sierte Soldaten.

Flieger-HJ (KAH, Foto H. Wagner).

Marine-HJ in Herford (KAH, Slg. Brenker).

Bannführerschule Die jugendlichen Führer von „Jungvolk“ und „Jungmädeln“ waren Mitglie- der der HJ oder des BDM und oft nur wenige Jahre älter als ihre „Gefolg- schaften“. Auch in Herford bildeten häufig Schüler und Schülerinnen von Gymnasien die Führungsschicht. Zur ihrer Qualifizierung richtete die NSDAP die HJ-Bannführerschule „Herzog Widukind“ auf dem Amtshaus- berg in Vlotho ein.

Die Einweihung fand in Anwesenheit des Gauleiters Dr. Meyer und anderer regionaler NS-Größen am 16.10.1938 statt. Bannführer Hotz sagte in sei- ner Ansprache: „Hier wird die Führerschaft Weg und Weisung bekommen, um draußen im Lande deutsche Jugend zu den treuesten und tatkräftigs- ten Gefolgsmannen des Führers zu machen. Die Jugend muß hart werden, wie Kruppstahl, hat der Führer gesagt, dieses Haus wird uns immer an unsere Aufgabe gemahnen.“ (s. Herforder Kreisblatt v. 17.10.1938). Un- gefähr zur gleichen Zeit erstellte der Landkreis Herford für die BDM- Führerinnen in Löhne ein Schulungsgebäude.

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8 „Straff, aber nicht stramm, herb, aber nicht derb“ (BDM-Losung) Bund deutscher Mädel – BDM

Die Mädchen und jungen Frauen wurden bei den Jungmädeln (JM, 10 - 14jährige Mädchen), dann im BDM (14 - 18jährige weibliche Jugendliche) und ab 1938 im BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ (17 - 21jährige Frau- en) organisiert. Das Hauptgewicht im JM und BDM lag auf der körperlichen Ausbildung durch Sport und Gymnastik, was viele sportlich interessierte Mädchen reizte. Die geistigen Werte hatten keinen hohen Stellenwert. NS-Ideologie war für viele Mädchen uninteressant. Auch für Mädchen war es wichtig, an Fahrten und Lagern teilzunehmen. Viele Mädchen waren von der Gemein- schaft und Kameradschaft begeistert. Mädchen sahen im BDM eine Mög- lichkeit, mehr Freiheit vom Elternhaus zu erlangen.

Tanz an der Aa in Herford 1939 (KAH, Slg. Fenske)

"Glaube und Schönheit" Das BDM-Werk gründete sich am 19. Januar 1938 als Unterorganisation des BDM. Damit wollte das NS-Regime die Lücke in der Erfassung der 17- bis 21jährigen Frauen zwischen BDM und NS-Frauenschaft (NSF) schlie- ßen. Die Mitgliedschaft war formal freiwillig, teil-weise übernahm man aber die älteren Jahrgänge direkt aus dem BDM. Laut Reichsjugendführer Baldur von Schirach sollte das Werk "Glaube und Schönheit" die Erziehung zur "körperlich vollendet durchgebildeten Träge- rin nationalsozialistischen Glaubens" gewährleisten. Ziel war die dem ras- sischen Ideal entsprechend körperlich vollendete Frau, die als Mutter "ari- scher" Kinder der Volksgemeinschaft dienen sollte.

Musterung Ehe die 10jährigen Mädchen (wie auch die Jungen) zum Dienst bei den „Jungmädeln“ einberufen wurden, mussten sie ab 1939 wie Soldaten zur 39

Musterung. „Es wird keinen Jungen und kein Mädel geben, die nicht unge- duldig auf ihre Aufnahme in die Jugendorganisation des Führers warten. Und Eltern und Kinder wird berechtigter Stolz erfüllen, wenn der Unter- suchungsbescheid des HJ-Arztes ‚tauglich’ lautet“ (Herforder Kreisblatt“ v. 7.9.1939).

Uniform JM und BDM trugen dunkelblau- en Rock, weiße Bluse, schwarzes Halstuch mit Lederknoten und NS-braune Kletterweste. Außer- dem gab es das „Berchtesgade- ner Jäckchen“ in Schwarz mit buntem Kragen.

Uniform und Kletterwesten (KAH, Slg. Spanuth).

Programm Sonntagmorgens gab es die Jugendfilmstunde. NS-Propagandafilme soll- ten die Ideologievermitteln und emotional beeinflussen.

Es wurden Turnnachmittage durchgeführt, wo Schwimmen und Ballspiele, wie „Völkerball“ im Angebot waren. An Heimnachmittagen oder –abenden wurde gesungen, gebastelt und auch mal vorgelesen. Ehemalige JM- oder BDM-Mitglieder können sich noch an Lieder wie „Nur der Freiheit gehört unser Leben“, „Die blauen Dragoner“, „Kein schöner Land“, „Hohe Nacht der klaren Sterne“, „Ein junges Volk steht auf“ und andere erinnern. Die BDM-Gruppen zelteten, wanderten und sangen abends am Lagerfeuer. Auf einer Fahrt sollten die Mädchen nur nach dem Grundsatz „Einer für Alle, Alle für Einen“ leben. Klassenschranken sollte es nicht mehr geben in der „Volksgemeinschaft“.

Fahrradwanderungen (KAH, Slg. Spanuth).

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Aufgaben BDM und JM mussten sich auch an Sammlungen, z. B. für das Winter- hilfswerk beteiligen. Sie mussten unter anderem zu Hitlers Geburtstag an- treten und an Maiparaden teilnehmen. Die Mädchen konnten besondere Funktionen übernehmen, wie Sportwartin, Singewartin oder „GD-Mädel“ (Gesundheitsdienst-Mädel) sein. Die „Führerinnen“ hatten bestimmte Auf- gaben zu erledigen, aus denen ihnen auch ein kleines Machtgefühl er- wuchs. Sie organisierten alle möglichen Aktivitäten, kontrollierten die An- wesenheit, gaben Ermahnungen und machten sogar Hausbesuche, wenn jemand unentschuldigt fehlte.

Bahnhofsdienst in Herford (KAH Slg. Spanuth).

Spielwarensamm- lung 1939 (KAH, Slg. Fenske).

Jungmädellager Steinhude 1939 (KAH, Slg. Fenske).

Geschlechter Den Mädchen blieb nicht verborgen, dass Jun- gen über Mädchen und Män- ner über Frauen standen. Private Kontakte zum anderen Geschlecht, beispielsweise zwischen BDM und HJ waren in dieser eher prüden Zeit nicht erwünscht. Die BDM-Mädchen sollten ein rein kameradschaftliches Verhältnis zu den Jun- gen von der HJ haben. Jungen sagten manch- mal, um die Mädchen zu ärgern, die Abkürzung BDM bedeute „Bubi drück mich“ oder „Bald deut- sche Mutter“. Mädchen und Jungen auf einem Ausflug 1939 (KAH Slg. Fenske).

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„Nicht mehr frei“ „Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln. Und wenn nun dieser Knabe und dieses Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisationen hinein-kommen (…), dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann neh- men wir sie sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK ( Anm.: Nationalsozialistisches Kraftfahr- Korps) und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Stan- desdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben, und sie sind glücklich dabei.“ (Adolf Hitler, Rede in Reichenberg, 2.12.1938, in: Völkischer Beobachter, 4.12.1938, zi- tiert nach: Zeitreise, NRW, Bd. 3, Leipzig 2003, S.99)

„Beherrschung“ „Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. (...) Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. (...) Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. (...) Aber Beherrschung müssen sie lernen.“ (Hitler über die Jugenderziehung, in: H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich/ New York 1940, S. 237f., zitiert nach: Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Paderborn 2001, S. 149)

Mädelführerin Baldur von Schirach, der Reichsjugendführer, war allgemein bekannt, den Namen der obersten Mädelführerin Jutta Rüdiger kannte kaum eine BDM- Maid oder ein Jungmädel.

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9 „Jüdische Schulkinder - unzumutbar“ Ideologie und Ausgrenzung in der Schule

Das NS-Regime nutzte die Schulen und Lehrer zur Vermittlung seiner Ide- ologie. Jüdische Schülerinnen und Schüler wurden durch Drangsalierungen und Gesetze aus dem Alltag in Schule und Freizeit ausgegrenzt. Am 15.11.1938, kurz nach dem Novemberpogrom, verordnete der Reichsmi- nister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung: “Juden ist der Be- such deutscher Schulen nicht gestattet.“ Als Begründung wurde – ganz im Sinne der NS-Ideologie - angeführt: „Es kann keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.“ Jüdische Schülerinnen und Schüler muss- ten sofort aus den Schulen entlassen werden.

Das Kollegium der städtischen kaufmännischen Berufsschule Herford 1935 unter dem Hitlerbild, Schulleiter Werner Flörke (KAH).

Sonderklasse Die beiden aufeinander folgenden Schulleiter der Herforder Kaufmänni- schen Berufsschule Werner Flörke und Walter Klawitter übten gegen jüdi- sche Berufsschüler massiven Antisemitismus aus.

Zunächst „beurlaubte“ Flörke widerrechtlich jüdische Berufsschüler vom gesetzlich vor-geschriebenen Unterricht. Sein Nachfolger Klawitter konnte mit Unterstützung des Oberbürgermeisters Kleim im Oktober 1937 mit Genehmigung des Regierungspräsidenten die Bildung einer „Sonderklasse“ durchsetzen. Dort musste der jüdische Diplom-Kaufmann Albert Ostwald jüdische Schüler der gewerblichen und kaufmännischen Berufsschule ge- meinsam in einer „Sammelklasse“ gegen Bezahlung von Berufsschulbei- trägen unterrichten. Ostwalds Privathandelsschule in Herford war im April 43

1933 auf Anordnung des Preußischen Ministers für Wirtschaft und Arbeit geschlossen worden.

Ab Beginn des Jahres 1938 fand der Unterricht für zunächst zehn Lehrlin- ge aus der Stadt und dem Kreis Herford, die ausschließlich in jüdischen Betrieben ausgebildet wurden, an zwei Nachmittagen der Woche in einer Baracke statt. Durch die „Arisierung“ von immer mehr Betrieben verloren auch die jüdischen Lehrlinge ihren Ausbildungsplatz, so dass die „Sonder- klasse“ noch vor dem Novemberpogrom im Herbst 1938 aufgelöst wurde.

Bis zu seinem Tod 1942 unterrichtete Ostwald noch privat jüdische Ju- gendliche im gewerblichen und kaufmännischen Bereich.

Gleichschaltung Seit 1932 gab es eine Ortsgruppe des NS-Lehrerbundes (NSLB). Die Mehrzahl der Lehrer war aber eher in demokratischen Parteien organisiert. Von den Schulleitern vor 1933 war lediglich Werner Flörke, Leiter der städtischen kaufmännischen Berufsschule in Herford schon seit August 1932 Mitglied der NSDAP. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Lehrer trat der NSDAP erst 1937 bei, als die im Mai 1933 erlassene Aufnahme- sperre aufgehoben wurde. Die Lehrer waren eine wichtige Zielgruppe des NS-Regimes. Ihre „Gleichschaltung“ begann mit dem „Gesetz zur Wieder- herstellung des Berufsbeamtentums“ 1933. Allein das Ausfüllen der Fra- gebogen mit Angaben zu Parteimitgliedschaft und Religion führten zu Ein- schüchterung und Anpassung. Die nach 1933 im Raum Herford neu er- nannten Schulleiter waren ausnahmslos Mitglieder der NSDAP. Mehrere Posten wurden als Belohnung für aktives Mittun in Partei und NSLB verge- ben.

Unterrichtsfremde Aktivitäten, z. B. Spalier stehen Ab 1933 häuften sich Schulausfälle durch die vorgegebenen Feiern der NS-Zeit. Schüler wurden verpflichtet, an Rundfunkübertragungen teilzu- nehmen. Sie mussten Spalier stehen, als Hitler und Mussolini am 27.9.1937 den Herforder Bahnhof passierten, auch beim Besuch der „Alten Garde“ der NSDAP am 16.6.1939 war schul- frei und die Aufstellung an den Straßen vorgeschrieben.

Jubeln für die „Alte Garde“ 1939 (KAH, Slg. Fenske).

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Erlasse Ab August 1933 wurde der Hitlergruß in den Schulen verbindlich. Das Füh- rerprinzip in den Schulleitungen setzte sich durch, allein der Schulleiter entschied. Zahlreiche Erlasse griffen in den Schulalltag ein. So wurden po- litische Schulungslager für Gymnasiasten u. a. der Königin -Mathilde- Schule und der Herforder Oberschule für Jungen eingeführt. Ihr Ziel war die Erzeugung einer nationalsozialistischen Grundhaltung. Jedes Schul- halbjahr wurde mit einem Flaggenappell begonnen und beschlossen. Die Schülermützen wurden abgeschafft, da sie nicht mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft zu verbinden wären. Mützen der Herforder Schüler verbrannten zusammen mit ausgesonderten Büchern auf dem Alten Markt, eine weitere Mützenverbrennung soll am Vorabend des 1. Mai 1934 auf der Egge stattgefunden haben. 1938 begann die Verkürzung der neunjährigen Oberrealschule auf 8 Jahre, 1938 gab es einen doppelten Abschlussjahrgang. Die jungen Er- wachsenen sollten schnell in Wehr- macht und Reichsarbeitsdienst ein- gefügt werden.

Abiturienten des Friedrichsgymnasi- ums 1937 (KAH, Archiv FGH).

Durchdringung mit NS-Ideologie Die Schulbücher und Schulbibliotheken wurden von allen „marxistischen und jüdischen“ Autoren gesäubert. Die Lehrpläne veränderten sich rasant. Bereits im September 1933 gab es den ersten Erlass zur Rassenkunde. Verbunden mit Vererbungslehre und Bevölkerungspolitik wurde sie in Bio- logie, Geschichte, Erdkunde und Deutsch verbindlich vorgegeben. Den Sportunterricht stockte man 1938 auf 5 Wochenstunden auf. Geländesport und paramilitärische Ausbildung, inkl. Schießen, setzten sich durch. Auch außerhalb der Schule gab es Wehrsportgemeinschaften.

Im Deutschunterricht stellten die Lehrer des Herforder Friedrichsgymna- siums 1935/36 - Aufsatzthemen zur NS-Weltanschauung, zum Führerge- danken und Führertypus. Neben den Aufsatzthemen gab es weitere Mög- lichkeiten, durch Lesebuch-texte und Lektüreauswahl die NS-Ideologie in voller Breite einzubringen. Es ging um Heimat, Bauern und Acker (= „Blut und Boden“), Auslandsdeutsche, Heldenverehrung, germanische Götter- und Heldensagen, Hitlerkult, Fahnenkult, die „deutsche“ Mutter, völkische Selbstbehauptung und Volksbewusstsein, um nur einiges zu nennen. Die deutsche Sprache sollte „rein“ bleiben, Fremdwörter waren verpönt und wurden sogar im Aufsatz als Fehler angestrichen. Im Fach Mathematik wurden Aufgaben nationalsozialistisch durchsetzt, im Musikunterricht san- gen z.B. die Schülerinnen der Herforder Oberschule für Mädchen NS- Lieder aus dem Liederbuch „Die Garbe“. In Geschichte sollten die Germa- 45 nen und die letzten 20 Jahre vor der „Machtergreifung“ 1933 Schwer- punkte sein.

In jedem Klassenraum hing ein Hitler- bild. Insgesamt sollte die Schule im NS-Staat eine Schule zur Erziehung im Sinne der NS-Ideologie sein. Vermitt- lung von intellektuellem Wissen trat zurück.

Musikunterricht unter dem Hakenkreuz an der Oberschule für Mädchen (KAH, Slg. Spanuth)

Räume in der Landwirtschaftsschule Herford mit Hitlerbüste und Sinnsprü- chen (KAH, Slg. Fenske)

Schulkasse der Mittelschule Herford 1937 (KAH)

Schule und HJ Zur Beilegung der Spannungen zwischen der HJ und der Schule gab es Vertrauenslehrer auf Emp- fehlung der NSLB.

Von 1934 bis 1936 gab es sams- tags den „Staatsjugendtag“, er sollte u.a. der HJ- Mitgliederwerbung dienen. An diesem Tag war schulfrei für die HJ- Mitglieder, sie hatten HJ-Dienst. Die übrigen Schülerinnen und Schüler – mit Ausnahme der jüdischen- hatten nationalpolitischen Unterricht, wobei der Personenkult um Hitler und die Geschichte und Ideologie der NSDAP im Vordergrund standen. Später wurde der HJ-Dienst auf den Mittwoch- nachmittag verlegt. Wenn „Dienst“ war, gab es keine Hausaufgaben. Eini- 46 gen Schülern des Bünder Realgymnasiums gelang es 1933, durch „beson- dere Betätigung in der nationalen Bewegung“ nachträglich ein Reifezeug- nis oder die Versetzung in die Oberprima zu bekommen. Wenn 90 % der Schüler Mitglieder der HJ waren, gab es die Erlaubnis zur Führung der HJ- Flagge in der Schule. Von den höheren Schulen Herfords erhielten die Be- rechtigung das Friedrichsgymnasium im Januar 1936, die Oberrealschule im Februar 1936, die Oberschule für Mädchen (spätere Königin-Mathilde- Schule) im Mai 1936, auch die Städtischen Handelsschulen durften sich zu diesem Kreis zählen.

Rolf Weinberg Er war nach 1933 Schüler des Friedrichs-Gymnasiums und berichtete vor Schülern dieses Gymnasiums Ende Mai 1989: „Von einem Tag auf den an- deren wurde es dunkel um mich. Schulkameraden, die jahrelang bei mir zu Hause verkehrt hatten und die Gastfreundschaft meines Elternhauses genossen hatten, schlugen mich und spuckten mir ins Gesicht, nannten mich ‚Du verdammtes Judenschwein.’“ Weinberg erwähnte aber auch, dass viele Kameraden zu ihm hielten und sich bis zur Auswanderung der Familie Weinberg für ihn einsetzten. (zitiert nach: Christoph Kaleschke, Martin Kroeger, Alexander Wurm, Das Friedrichs-Gymnasium in der Zeit der nationalsozialisti- schen Herrschaft 1933 bis 1945, in: Friedrichs-Gymnasium Herford 1540 – 1990, Fest- schrift zum 450jährigen Bestehen, Herford 1990, S. 81)

Erika Schöngut Sie fühlte sich von ihren Mitschülern als Jüdin diskriminiert und hatte auch einen Zusammen-stoß mit einem Studienrat, der sich abfällig über Juden geäußert hatte. Erika (geb. Weinberg) verließ das Friedrichs-Gymnasium deshalb schon nach der Obersekunda (11.Klasse) im Jahre 1933. Im In- terview mit zwei Schülerinnen des Gymnasiums sagte sie 2005: „Wie Hit- ler an die Macht gekommen ist, habe ich gesagt: ‚In diese Schule setze ich keinen Fuß mehr!’ Die beiden ersten Gymnasialjahre hatte Erika Weinberg an der Oberschule für Mädchen (heutiges Königin-Mathilde-Gymnasium) verbracht. Weil sie in den 1920er Jahren schon dort Antisemitismus verspürte, war sie auf das Fried- richs-Gymnasium gewechselt, da dort – laut Aussage des Direktors - weniger Judenhass herrschen soll- te.(zitiert nach: Hannah Schwier und The- resa Lampenscherf (im Rahmen des Unter- richts am Friedrichs-Gymnasium Herford), Interview mit der jüdischen Zeitzeugin Frau Erika Schöngut (geb. Weinberg) am 24.3.2005)

Erika Weinberg (rechts) 1929 am Friedrichs-Gymnasium mit Schülermütze (Slg. Kuratorium)

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Schulverbot 1938 „Es gab eine offizielle Versammlung in der Aula. Der Schulleiter sprach, und er befahl, daß die jüdischen Schülerinnen die Aula augenblicklich zu verlassen hätten. Daraufhin gingen zwei Schülerinnen raus. Sie mußten an allen vorbei, es war ein regelrechtes Spießrutenlaufen. Eine weinte. Wir waren alle entsetzt. Ich habe das nicht vergessen können. Da war ich zwölf.“ (Zeitzeugin an der Oberschule für Mädchen, heute Königin-Mathilde- Gymnasium, zitiert nach: Ilse Spanuth, Prägungen. Biographie einer Mädchenklasse der Königin-Mathilde-Schule Herford 1937 – 1946. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich und Uli Kutter, Bielefeld 2005, S. 186)

Erich Lewins kleine Klasse Nach dem Schulverbot für Juden unterrichtete der Rabbiner Erich Lewin eine kleine Handvoll verbliebener jüdischer Kinder und Jugendlicher, aber auch mindestens ein Mädchen aus Vlotho im jüdischen Gemeinhaus an der Komturstraße, bis er im Dezember 1941 mit seiner Frau Ella ins Ghetto Riga deportiert wurde. Beide überleb- ten nicht. Auch die Mehrzahl der von ihm unter- richteten Kinder wurde deportiert und ermordet.

Erich Lewin mit Thekla S. und Kläre F. (links) und jüdischen Kindern (Slg. Kuratorium).

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10 „Pflegestätte des Volkstums“ Kindergärten und Mütterfürsorge

Obwohl nach der NS-Ideologie der Platz der Kinder bei der Mutter zu Hau- se sein sollte, richtete die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) auch wegen des Arbeitskräfte-mangels Kindergärten ein. Da in der Land- wirtschaft Frauen bei der Einbringung der Ernte gebraucht wurden, gab es dort sogenannte „Erntekindergärten“.

Insgesamt unterhielt die NSV in der Stadt und im Landkreis Herford eine Reihe von Kinder-gärten. Die am 27.9.1937 eingeweihte Kindertagesstätte Maiwiese in Herford lag in einem ausgesprochenen Arbeiterviertel. Ihre Einweihung wurde mit großem Propagandaaufwand betrieben. Dieser Vor- zeigekindergarten bekam einen deutlich ideologischen Hintergrund. Wie NSDAP-Kreisleiter Nolting betonte, sei das „Hochziel“ der NSV „die Schaf- fung der rassisch reinen und erbgesunden deutschen Familie“. Der Kin- dergarten sei die „Pflegestätte national-sozialistischen Volkstums“. (Her- forder Kreisblatt v. 28.9.1937, KAH)

Eltern geben ihre Zwillinge in die Obhut der am 27.9.1937 eingeweihten und von der NSV unterhaltenen Kindertagesstätte Maiwiese (KAH, Slg. Fenske).

Die „heilige“ Mutter, NS- Propagandaspruch (Slg. Kurato- rium).

Widersprüche Im NS-Staat hätte es eigentlich keine Kindergärten geben dürfen, da das in der NS-Ideologie vermittelte Frauenbild darauf hinauslief, dass die deutsche Frau und Mutter als

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Trägerin von „Blut und Rasse“ ihre möglichst vielen „erbgesunden“ Kinder zu Hause im nationalsozialistischen Sinn erziehen sollte. Dass Mütter we- gen Berufstätigkeit ihre Kinder in einen Kinder-garten gaben, lag nicht auf der Linie der NS-Weltanschauung, vielmehr wurden Frauen zu-nächst sys- tematisch aus dem Berufsleben gedrängt.

Schwer Erziehbare raus Für schwer erziehbare Kinder hatten die Nationalsozialisten in Herford nichts übrig. Schon wenige Monate nach der „Machtergreifung“ wurde Mit- te Juli die für diese Kinder im städtischen Kindergarten eingerichtete Gruppe geschlossen. Oberbürgermeister Kleim begründete dieses Vorge- hen damit, dass der NS-Staat kein Geld für teure Einrichtungen ausgeben wolle, die nur wenigen „erblich belasteten“ Kindern zu gute kämen.

Kreisleiter Nolting und der Aufmarsch der Parteigliederungen bei der Ein- weihung der Kindertagesstätte (KAH, Slg. Fenske).

NSV Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt war die wohl bekannteste und auch in der Bevölkerung akzeptierteste Massenorganisation. In der Stadt Herford hatte sie bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 42.000 1938 über 19.000 und 1939 knapp 23.000 Mitglieder. Aufgebaut war sie nach den gleichen Prinzipien wie die NSDAP, beginnend mit den Ortsgruppen. In Herford gab es 3 NSV-Ortsgruppen: Altstadt, Radewig und Neustadt. Ab 1934 war der frühere Ortsgruppenleiter der Neustadt, Uhrmacher Karl Behnke, NSV-Kreisleiter, ab 1936 der Kontrolleur Wilhelm Wehrmann. Ih- re Dienststelle hatte die NSV zunächst in der Elisabethstraße und ab 1935 im ehemaligen Stadttheater Auf der Freiheit. Enge personelle Verbindun- gen gab es zu NS-Frauenschaft.

Fürsorge überall Scheinbar ideologiefrei, gab es aber auch von der NSV nur für „rassisch wertvolle“ Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ Unterstützung. Die NSV or- ganisierte – größtenteils ehrenamtlich – das Winterhilfswerk, das Hilfswerk Mutter und Kind, die Mütterverschickung und Kinderlandverschickung, die

50 sogenannten „Hitlerurlauber“, den NSV-Bahnhofsdienst, die NS- Schwesternschaft, das Tuberkulosehilfswerk, die Instandsetzung baufälliger Häuser, aber auch das „Hilfs- werk für deutsche bildende Kunst“. Sie sorgte für die Eintopf- und andere Samm- lungen. In der Weihnachtszeit bot sie jähr- lich Feiern für hilfsbedürftige Kinder. Die NSV betreute während der Sudetenkrise 1938 auch mehrwöchige Aufenthalte von Sudetendeutschen im Kreis Herford. Zu- dem betrieb sie das Ernährungshilfswerk, das ab 1937 in der Herforder Schweine- mastanstalt jährlich 200 bis 450 Schweinen mit Haushaltsabfällen mästete und dessen Erlöse dem Hilfswerk Mutter und Kind zu Gute kamen.

Aus einer Werbebroschüre der NSV von 1937 (privat).

Kind mit WHW-Luftfahrtabzeichen (KAH, Slg. Heese).

Hilfswerk Mutter und Kind Das Hilfswerk MuK wurde 1934 gegründet und hatte die Aufgabe, als „arisch“ geltende schwangere, junge Mütter und deren Nach- wuchs zu betreuen. Das Hilfswerk unter- stand dem Hauptamt für Volkswohlfahrt in der Reichsleitung der NSDAP. Es bot für die Familie Hilfe durch die der NS- Schwesternschaft, Unterstützung durch Wohnungs-, Siedlungs- und Arbeitsplatzhil- fe. Die Fürsorge für die Mutter bestand in Hilfe für die werdende Mutter, die Wöchnerin und die ledige Mutter, in Müttererholungsfürsorge mit Einrichtung von Hilfs-stellen sowie in der Mütterverschickung. Bis 1937 wurden 77.169 Mütter in „Urlaub“ geschickt. Das Hilfswerk beteiligte sich an den erzieherischen und gesundheitlichen Aufgaben in den Kindertagesstätten und Kindergärten, übernahm die Ver- pflegung der Kinder und gesundheitliche Maßnahmen für die Kleinkinder. Auch die Jugendhilfe durch Jugenderziehungsberatungsstellen und NS- Jugendheimstätten, sowie die Jugenderholung durch Verschickung von Schulkindern und schulentlassenen Jugendlichen in Landpflegestellen, 51

Heime und Tageserholungsstätten gehörte zu den Aufgaben. Die Arbeit leisteten vorwiegend ehrenamtliche Helfer, besonders Mitglieder der NS-Frauenschaft und der NS-Volkswohlfahrt.

Plakat des Hilfs- werks MuK (Wi- kipeda)

Auszug aus einer Werbebroschüre der NSV von 1937 (privat)

Kinderlandverschickung Schon in der Weimarer Republik gab es Aktivitäten, um bedürftige und gesundheitlich gefährdete Stadtkinder zu Erholungsaufenthalten in Pflege- stellen aufs Land zu schicken. Ab Mai 1933 schaltete sich die NSV als neu gegründeter Verein in der Funktion eines Staats-organs neben einigen verbliebenen Wohlfahrtsorganisationen in diese Aufgaben ein. Reichsweit nahmen ab 1934 jährlich etwa 650.000 Kinder bis 14 Jahren an der nun allgemein so genannten „Kinderlandverschickung“ teil. Nach Kriegsbeginn hielt die NSV diese An-gebote weiter aufrecht.

Kinderbücher Auch Kinderbücher transportierten mit einem extrem übersteigerten Nationalismus, dem „Mythos von Blut und Boden“, dem Mutterbild, dem Kampfgedanken, der Heldenverehrung, der Pflicht der Aufopferung für die Gemein- schaft, der Rassenlehre mit einer extremen Verunglimpfung und Herabsetzung der Juden, dem Bild von der zukunftstragenden Jugend und dem „Führermythos“ und „Führerkult“ die NS-Ideologie.

Das antisemitische Kinderbuch „Der Giftpilz“, erschienen 1938 im Stürmer-Verlag (Slg. Ku- ratorium).

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11 „Feste wahrer Volksgemeinschaft“ Der NS-Feierkalender

NS-Feste waren Veranstaltungen der „Volksgemeinschaft“, durch die öf- fentliche Kontrolle ausgeübt wurde. In der Bevölkerung gab es breite Zu- stimmung, Vorbereitung und Durch-führung brachten den vielen Mitwir- kenden Erfolgserlebnisse. Alle, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gezählt wurden, waren ausgegrenzt. Durch Führermythos und Führerkult wurden Sehnsüchte und Erwartungshaltungen der Menschen angesprochen: Der „starke Führer“, der alles zum Guten wenden würde. So konnte eine per- manente Vertiefung der Herrschaftsbeziehung zwischen dem charismati- schen „Führer“ und seiner „Gefolgschaft“, dem deutschen Volk, erreicht werden. Der NS-Kalender brachte nicht nur Ergänzungen, sondern auch Um-formungen schon bestehender Festtage.

Sonnenwendfeier der NSDAP-Ortsgruppe Radewig 1939 (KAH, Slg. Dümm).

Sonnenwendfeiern Nach der „Machtergreifung“ hielten SS und HJ zur Sommer- und Winter- sonnenwende im Juni und Dezember in jedem Jahr gemeinsame Sonnen- wendfeiern ab. Diese nach einem festgelegten Schema ablaufenden Feiern fanden auf dem Herforder Luttenberg statt, wo bei ein-brechender Dun- kelheit ein schon vorher aufgerichteter Holzstoß angezündet wurde. Wäh- rend der Holzstoß brannte, wurden Reden, besonders die „Feuerrede“ ge- halten, Lieder gesungen und Sprüche aufgesagt. Vor allem auf die ju- gendlichen HJ-Mitglieder wirkte die nächtliche Inszenierung, durch die de- ren „völkische“ Einstellung gestärkt werden sollte. Die Feier sollte eine en- ge Verbindung zwischen HJ und SS herstellen. Auch die Ortsgruppen der NSDAP veranstalteten solche Feiern.

“Führers Geburtstag“ Entweder am 20. April oder zeitnah fand die Vereidigung der neuen politi- 53 schen Leiter, Amtswalter und Warte der Parteigliederungen statt, die sich dadurch an Hitler persönlich gebunden fühlen sollten. Hitlers 50. Geburts- tag 1939 wurde einmalig zu einem offiziellen Nationalfeiertag erklärt. In der Herforder Innenstadt wehten zahlreiche Fahnen. OB Kleim hielt eine den „Führer“ Hitler verherrlichende Ansprache auf dem Rathausplatz. An- schließend läuteten die Glocken. Danach fand am Spätvormittag eine gro- ße Parade der in Herford stationierten Wehrmachtseinheiten statt. Wie immer am 20. April wurden am späten Nachmittag die neuen Jahrgänge aus dem Jungvolk in die Hitlerjugend und aus dem Jungmädelbund in den BDM aufgenommen. Am Abend feierten dann mit feucht-fröhlichem Aus- klang die Herforder Ortsgruppen der NSDAP in der Gaststätte Brinkmann.

Schaufenster- schmuck mit Hit- lerbildern und - büste (Geschäfte Wöller-Wolle im Gehrenberg und Remmert am Al- ten Markt) zum Geburtstag 1939 und 1940 (KAH, Slg. Fenske).

Tag der deutschen Arbeit Der 1. Mai, der alte „Kampftag“ der Arbeiterschaft, wurde von der NS- Regierung am 10.4.1933 per Gesetz zum (bezahlten) nationalen Feiertag erklärt. Die Nationalsozialisten bemächtigten sich des traditionellen Feier- tags der Arbeiter, um ihre Ideologie einer „Volks-gemeinschaft“ zu insze- nieren, die von Arbeiterschaft und Bürgertum gleichermaßen getragen werden sollte. Dass es in der Arbeiterschaft durchaus noch Ablehnung gab, darauf wies der Lagebericht aus Herford vom 24.5.1935 hin (LA NRW Detmold, Bestand M4A, Auszug): „Bei dem Festzug am 1. Mai 1935 konnte man beobachten, daß bei ei- ner großen Anzahl von Betrieben kein einziger Teilnehmer, einschließ- lich des Betriebsführers, die deutsche Arbeitsfront-Mütze trug. Viele Teilnehmer haben die Mützenabzeichen mit dem Zahnrad und dem Ha- kenkreuz von der blauen Mütze genommen. Hier handelt es sich um rein marxistische Betriebe, denn bekanntlich verabscheuen die alten Marxisten das Mützenabzeichen mit dem Hakenkreuz und tragen es nicht. Weiter ist beobachtet worden, daß viele betrunkene Leute im Festzug mitmarschierten. Diese grölten zotige Lieder und gaben somit durch ihr Benehmen dem Festzug ein unwürdiges Bild. Die Betriebsfüh- rer sind gegen diese Leute nicht eingeschritten. Viele Betriebe sind nur

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bis zur Festwiese mit marschiert und verschwanden dann, um sich die Rede des Kreisleiters nicht anhören zu brauchen. Der Kreisleiter ist in seiner Rede von einem Teilnehmer durch einen Zwischenruf unterbro- chen worden, als er sagte, daß nunmehr vieles besser im deutschen Vaterlande geworden wäre. Der Zwischenruf lautete: „Ja, aber nicht für den deutschen Arbeiter.“ Der Zwischenrufer konnte leider nicht ermit- telt werden.“

Ge- schmückte Renn- und Lübber- straße in Herford (KAH, Slg. Middel- mann, Slg. Fenske)

Neues NS-Brauchtum? Ende Juli 1938 erhielt OB Kleim ein vertrauliches Schreiben mit Fragebo- gen, worin „das bereits vorhandene außerkirchliche Brauchtum bei Taufe, Hochzeit und Beerdigung (bzw. Einäscherung)“ und der Umgang mit der Hakenkreuzfahne abgefragt wurden. Kleim gab den Fragebogen an den Kreisleiter Nolting weiter, der einige Angaben auch zu Taufe und Hoch- zeitsfeier machen konnte. Insgesamt geht aus seinem Schreiben hervor, dass in Noltings Kreisleitungsbereich solche Feiern nach den Regeln der NS-Ideologie und unter Hinzunahme von NS-Symbolen höchst selten stattfanden. Beerdigungen und Einäscherungen ohne kirchliche Mitwirkung gab es nach seiner Kenntnis überhaupt nicht.

Auszug aus Noltings Schreiben vom 24.10.1938, KAH: „A1. Taufe. Eine Taufe ohne Mitwirkung von Kirche und Pfarrer hat m.W. im Kreise Herford der NSDAP. noch nicht stattgefunden. Jedenfalls ist mir davon nichts bekannt bezw. ich habe eine solche noch nicht vollzogen. Ich weiss wohl, dass Taufen stattgefunden haben für Kinder von Parteigenossen, die entweder aus der Kirche ausgetreten waren oder persönliche Abneigung gegen den betreffenden Pfarrer ihrer zuständigen Gemeinde hatten. Sol- che Taufen sind dann vorgenommen worden von der Bewegung der deut- schen Christen, Thüringer Richtung. Wie diese Taufen vor sich gegangen 55 sind, weiss ich nicht mehr, trotzdem ich selber einer solchen einmal bei- gewohnt habe.(…) Kürzlich trat an mich ein Pg. Heran mit der Frage, wie er sein Kind ohne Mitwirkung von Pfarrer und Kirche taufen lassen könne. Ich habe ihm geraten, es nicht Taufe zu nennen und auch nicht so zu voll- ziehen, sondern es in Form einer Familienfeier mit der Bezeichnung „Na- mensgebung“ zu machen. Ich habe ihm auch geraten, von der Verwen- dung von Wasser oder Erde dabei Abstand zu nehmen und lediglich die Namensgebung im kleineren oder grösseren Familienkreise in feierlicher Form zu vollziehen. Diese Namensgebung könne durch den Hoheitsträger der Partei erfolgen. Ob er danach gehandelt und der zuständige Ortsgrup- penleiter sie vollzogen hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiss auch nicht mehr, um welche Ortsgruppe es sich handelte.

A 2. Hochzeitsfeier. Eine ausserstandesamtliche Hochzeitsfeier ohne Mitwirkung von Pfarrer und Kirche hat einmal, soweit ich weiss, in meinem Kreise stattgefunden. Es handelte sich dabei um einen Parteigenossen und Parteigenossin, die aus der Kirche ausgetreten waren, aber trotzdem eine feierliche Handlung ausserhalb des Rahmens des Standesamtes wünschten. Diese Feier habe ich selbst geleitet bezw. dabei gesprochen. Sie fand in unserer Kreisschu- le in Herford, einem schönen und würdigen Raum, statt. Eingeladen waren dazu die Familienangehörigen der beiden Ehegatten sowie Freunde und Freundinnen aus der Partei. Mitwirken taten ausser einem Streichquartett einige Mädchen aus dem B.d.M. An der Kopfseite des Saales war ein Tisch mit der Hakenkreuzfahne aufgestellt. Auf dem Tisch standen grosse Blu- men. Vor dem Tisch lag ein Teppich, auf dem aus Blumen geformt ein Kreis hergestellt war. Unter den Klängen eines entsprechenden Musikstückes betrat dann das Brautpaar den Saal, schritt auf den Kreis zu, während die Anwesenden mit erhobener Hand grüssten. Das Brautpaar trat dann in diesen aus Blumen gebildeten Kreis, das symbolisch die Aufnahme in den Kreis der Familien, also der Sippen der beiden Ehegatten, darstellen sollte. Der Kreisleiter hat dann eine kurze Rede gehalten, die vollkommen frei war von irgendwel- chen Andeutungen kultischer oder religiöser Dinge oder Bezeichnungen, sondern lediglich die völkische Bedeutung der Ehe behandelte. Am Schluß wechselte dann das Brautpaar in der üblichen Form die Ringe, wobei der Kreisleiter darauf hin wies, dass nunmehr die Aufnahme der Frau in die Sippe des Mannes erfolgt sei. Das Ganze war eingerahmt von entspre- chenden Musikstücken und nahm einen sehr schönen und würdevollen Verlauf. Es wurde von den Anwesenden später mehrfach versichert, dass sie jedenfalls viel schöner gewesen sei, als wenn sie durch einen Pfarrer in der üblichen Form vollzogen worden wäre.“

Tag der „Machtergreifung Am 30. Januar 1934 hielt der Herforder Superintendent Niemann einen Festgottesdienst in der vollbesetzten Münsterkirche. In seiner Predigt stellte er als wichtig heraus, dass die Deutschen „wieder ein gottesfürchti- 56 ges Christenvolk“ würden. Er relativierte Hitler und stellte ihn nicht als von Gott gesandten „Führer“ dar, wie andere evangelische Geistliche es taten. Als der Kirchenkampf begann, wurden diese Dankgottesdienste einge- stellt. Die Ortsgruppen richteten nun in nationalsozialistischer Manier die Feiern aus.

Erntedanktag Der Erntedanktag, am ersten Sonntag nach Michaelis gefeiert und weiterer offizieller NS-Feiertag, bot eine große Plattform für die NS-Blut- und – Boden-Ideologie. Die zentrale Feier fand bis 1937 in jedem Jahr in Verbin- dung mit dem Reichsbauerntag auf dem Bückeberg bei Hameln in Hitlers Anwesenheit statt. Auch die Herforder Bevölkerung, besonders die Verei- ne, wurden massiv aufgefordert, daran teilzunehmen. Der Erntedanktag auf dem Bücke-berg sollte als „Hochfest der Nation“ und „Fest wahrer Volksgemeinschaft“ begangen werden. Trachtengruppen und Gesangsver- eine traten auf. 1937 veranstaltete die 1935 wieder eingeführte Wehr- macht dort vor mehr als einer Million Besuchern eine Schauübung ver- schiedener Waffengattungen. Der Reichsbauernführer sprach, doch der Höhepunkt war die längere Festrede Hitlers. Der Erntedanktag endete mit einem Volksfest. In Herford und in den Orten des Landkreises wurden die Straßen und Häuser am Ernte- danktag mit Hakenkreuzfahnen ge- schmückt.

Herforder 1933 auf dem Bückeberg (KAH)

Volkstanz in Herford (KAH, Slg. Fenske)

„Aufregend“ „Und das war eine Aufregung! Leute aus unserm Hause wollten mit ihrem Auto zum Erntedankfest auf den Bü- ckeberg fahren, und da sagte mein Vater: „Da fahren wir mal mit!“ Das war ein Gedränge! Ich hatte Glück, ich stand in der ersten Reihe und war wahnsinnig aufgeregt. Als „er“ kam, glaubte ich, er winkte mir zu. Die Menschen tobten vor Begeisterung. Alle schrien. An dem Tag war ich ge- nauso begeistert wie alle. Später nie mehr.“ ( Aussage einer Zeitzeugin in: Spanuth, Prägungen, a.a.O., S. 71)

9. November Das Gedächtnis an den 9. November 1923 war kein offizieller Staatsfeier- 57 tag, sondern die Feiern stellten mehr oder weniger interne Parteiveran- staltungen dar. Die NSDAP sah den 9.11.1923 als die Geburt des „Dritten Reiches“ an. Die Partei gedachte der am Tag des gescheiterten Hitlerput- sches in München Gestorbenen und knüpfte dabei eine Traditionslinie von den Opfern des Ersten Weltkrieges zu den eigenen in der „Kampfzeit“ der Partei zu Tode gekommenen Männern. Nach dem von der Reichspropa- gandaleitung gemachten Vorschlag, der in Herford und Umgebung einge- halten wurde, bestand die Feier aus drei Teilen: Fahneneinmarsch und Fahnenspruch, Verlesung der Namen der Toten und Gedenkrede, danach zweiter Fahnenspruch, Treuegelöbnis und Ausmarsch der Fahnenträger. Zwischen den drei Teilen wurden getragene Musikstücke gespielt, darüber hinaus sorgten die Dekoration des Raumes und sparsames Licht für eine feierliche Stimmung.

Aufmarsch am Rathaus (KAH, Slg. Fenske).

„Heldengedenktag“ 1925 war der „Volkstrauertag“ auf den Fastenmonat März verlegt wor- den. 1934 wurde er in „Heldenge- denktag“ umbenannt, wurde jeweils am 5. Sonntag vor Ostern began- gen und war offizieller Staatsfeiertag. Nach der Wiedereinführung der all- gemeinen Wehrpflicht bestimmte Hitler die Wehrmacht zum Ausrichter der Feiern. In Herford waren Rathausplatz, das Kriegerdenkmal vor der Müns- terkirche und der Alte Markt Schauplätze der Veranstaltung. Es gab eine Ehrenkompanie am Kriegerdenkmal, einen Feldgottesdienst auf dem Rat- hausplatz, die Rede eines höheren Militärs, eine Kranzniederlegung vor dem Kriegerdenkmal und den Vorbeimarsch der militärischen Verbände und Vereinigungen auf dem Alten Markt. In der Garnisonsstadt Herford dominierte am „Heldengedenktag“ die Wehrmacht.

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12 „Sozialismus der Tat“ Sammeln und Spenden für die Volksgemeinschaft

Von den deutschen „Volksgenossen“ erwarteten die Parteiorganisationen, bei den zahlreichen Sammelaktionen immer wieder zu spenden. Schon bei der ersten großen Spendenaktion zu Hitlers Geburtstag 1933 hielten sie die Bevölkerung zu Sach- und Geldspenden an. Unter dem Motto „Am 20. April soll niemand in Deutschland Hunger leiden“ forderten sie die „Volks- gemeinschaft“ zum „Sozialismus der Tat“ auf.

Im Mai 1933 bündelte die Partei das Spenden- und Sammlungswesen in der „National-sozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV), die ein Beispiel für die totale Erfassung aller Bürger durch den NS-Staat war, aber von großen Teilen der Bevölkerung durchaus akzeptiert wurde. Die NSV organisierte unter anderem das „Winterhilfswerk“ (WHW), das „Hilfswerk Mutter und Kind“ und den „Eintopfsonntag“.

Metallspenden zum „Geburtstag des Führers“ im Schaufenster des Kauf- hauses Köhler, Gehrenberg (KAH, Slg. Fenske).

Eintopfsonntag Der erste „Eintopfsonntag“ zugunsten des „Winterhilfswerks“ (WHW) fand am 13.10.1935 statt. Jeweils am ersten Sonntag in den Monaten Septem- ber bis März sollte nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in Hotels und Gaststätten auf ein „aufwändiges“ Essen wie den Sonntagsbraten ver- zichtet werden. Das eingesparte Geld von etwa 2 RM pro Mahlzeit wurde eingesammelt. Besonders Familien mit Kindern hielten den „Eintopfsonn- tag“ ein, damit die Kinder nicht ausplaudern konnten, dass es doch einen Braten gegeben habe, was einen unangenehmen Besuch des Blockwarts nach sich zog. Herforder konnten sogar an einem durch die Wehrmacht organisierten „Eintopfessen“ teilnehmen.

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Erbsensuppe aus dem Kochgeschirr „Das Geld sammelten aber Erwachsene ein. Man konnte übrigens auch richtigen Eintopf aus der Gulaschkanone der Soldaten essen, zum Beispiel nicht weit von uns an den Kasernen Mindener Straße. Da gab es dann Mili- tärmusik, und es war beinahe wie Kirmes. Ein Schlag Erbsensuppe kostete 20 Pfennig, und dann konnte jeder umsonst nachfordern, so viel er wollte. Viele fanden das praktisch und gingen immer dahin. Es war ja billig, und die Mütter sparten das Kochen und den Abwasch. Wir waren aber nur einmal da zum Kennenlernen. Ich glaube, meine Mutter fand die ‚Kochge- schirre’ etwas eklig. Wenn ich ehrlich bin, ich eigentlich auch.“ (Aussage einer Zeitzeugin, in: Spanuth, Prägungen, a.a.O., S.145).

Aufruf zum WHW 1933/34

Sammeln mit der Büchse am Linnenbauer in Herford (KAH, Slg. Brenker).

Mit dem Bollerwagen zum Sammeln „Wenn wir Altmaterial sammelten, zogen wir in kleinen Gruppen mit Bollerwagen los und san- gen: ‚Lumpen, Eisen, Knochen und Papier, Hermann Göring, wir helfen dir’, oder manch- mal hieß die letzte Zeile auch: ‚Ausgeschlag’ne Zähne sammeln wir’. Und jede Menge Heilkräuter und was nicht alles. Es war lustig. Nicht alle mach- ten das gern, aber ich.“ (Aussage einer Zeitzeugin, in: Spanuth, Prägun- gen, a.a.O., S.145).

Spenden fürs WHW In jedem Jahr wurde zu Spenden für das „Winterhilfswerk“ aufgerufen. Das Spenden-spektrum erstreckte sich von Nahrungsmitteln und Beklei- dung bis zu Haushaltsgegen-ständen, Heizmaterial, Büchern, Musikin- strumenten, Spielsachen und anderem. Frauen kochten als Mitglieder der NS-Frauenschaft in Gemeinschaftsaktionen gespendetes Obst, Gemüse 60 und Fleisch im Rahmen des „Winterhilfswerks“ ein. Jedes Jahr gab es auch in Herford Weihnachtsfeiern für Kinder hilfsbedürftiger Familien. Die Eltern wurden zu einem Kaffeetrinken eingeladen, die Kinder durch den Nikolaus beschenkt und anschließend hörte man gemeinschaftlich die Rund- funkübertragung der Rede des Pro- pagandaministers Goebbels zur „Volksweihnacht“.

Spielzeugsammlung des BDM zu Weihnachten 1939 (KAH, Slg. Fens- ke).

Sammelabzeichen Bei den Straßensammlungen, bei denen auch die Mitglieder der NS- Jugendorganisationen eingesetzt wurden, wurden für 20 Pfennige Sam- melabzeichen verkauft. Mit dem Tragen des Abzeichens musste jeder be- kunden, dass er sich für die Unterstützung der „leidenden Volks-genossen“ einsetzte. Wer gespendet hatte, steckte sich die Plakette deutlich sichtbar an, sonst wurde man weiter von den Sammlern „verfolgt“. Es gab unterschiedliche Serien aus über zehn verschiedenen Materialien. Das Abzeichen in der Vorweihnachtszeit 1933 war eine Christrose. Die Sammelabzeichen wurden in wirtschafts- schwachen Gebieten wie dem Riesen- und Erzgebirge, dem Thüringer Wald, dem Wes- terwald, in der Eifel oder dem Bayerischen Wald in Heimarbeit hergestellt, so dass der NS-Staat sich damit zugute schreiben konn- te, in diesen strukturarmen Gebieten für Ar- beit gesorgt zu haben. Wer keine Leistungen für das „Winterhilfs- werk“ erbrachte, wurde unter Druck gesetzt. Diese öffentliche Bloßstellung setzte auch Freunde und Bekannte eines so Geächteten unter Druck und sollte allgemein Abschre- ckungsfunktion haben.

Sammelabzeichen (KAH).

„Sabotage“ „Jedem deutschen Volksgenossen, der mit irdischen Gütern finanzieller und wirtschaftlicher Art reich gesegnet ist, ist es allmählich klar geworden, daß er im Dritten Reich für die Ärmsten der Armen zu opfern hat, (...) nur Frau M in Herford Hollandstr. 18, hat das noch nicht begriffen. Frau M, ei- ne in den denkbar besten Verhältnissen lebende Frau, zeichnet sich durch 61 ein unsoziales Verhalten aus, das nicht scharf genug gebrandmarkt wer- den kann. Sie hat es fertig gebracht, im vergangenen Jahre für das Win- terhilfswerk nicht einen Pfennig zu geben, unseren Sammlerinnen gegen- über hat sie sich entweder verleugnen lassen, oder sie abgewiesen mit der Bemerkung, daß sie für das Winterhilfswerk nichts gäbe. (...) Das ist Sa- botage am Winterhilfswerk, das ist Sabotage schlimmster Art an der Volksgemeinschaft. Ich stelle das Verhalten von Frau M hiermit öffentlich an den Pranger, sie hat sich durch ihr Verhalten außerhalb der Volksge- meinschaft gestellt und verdient die Verachtung der gesamten Bevölke- rung.“ (NSDAP-Kreispropagandaleiter Bruno Otto Schulze im Herforder Kreisblatt, 10.12.1934, KAH)

„Nur wer Opfer bringt, hat Rechte, darum opfere für das WHW“, Banner bei ei- nem Umzug (KAH, Slg. Brenker).

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13 „Dem Vaterlande gilts, wenn wir zu spielen scheinen“ Sport und Kultur

Die körperliche Ertüchtigung durch Sport war einer der wichtigsten Be- standteile der national- sozialistischen Erziehungsvorstellungen. Intellektuelle Erziehung war ver- pönt. Sport war letztendlich ein wichtiges Instrument der Hinführung zur „Wehrtüchtigkeit“. Es galt die Gleichsetzung von Volkssport und Wehr- sport. Die Sportstundenzahl in den Schulen wurde bis auf fünf Stunden erhöht.

Auch die Kultur wurde im „Dritten Reich“ gleichgeschaltet. Bei der Grün- dungsversammlung eines „NS-Kulturbundes“ in Herford stellte die NSDAP heraus, dass die „Kulturfrage“ nur aus der nationalsozialistischen Weltan- schauung heraus „gelöst“ werden könne. Das der NSDAP-Kreisleitung an- geschlossene Amt für Kultur leitete Oberbürgermeister Kleim.

SS-Sportfest 1938 (KAH, Slg. Fenske).

SS-Sportfest Für die SS hatte die sportliche Ausbildung ebenfalls einen hohen Stellen- wert. In jedem Jahr traten die Sturmbanne I und II der 82. SS-Standarte gegeneinander zu sportlichen Frühjahreswettkämpfen mit Weitsprung, 100-Meter-Lauf, Kugelstoßen, Keulenweitwurf, Staffelwett-bewerben und Handballspielen zwischen den Mannschaften der beiden Sturmbanne an. 1938 fand das SS-Sportfest in der Jahn-Kampfbahn in Herford statt.

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Funktionäre und Kugelstoßer beim SS- Sportfest 1938 (KAH, Slg. Fenske).

Wettkampf Bezeichnend ist, dass auch im Sport der in der NS-Zeit allgemein propa- gierte Gedanke des Wettkampfes, der immerwährenden Leistungssteige- rung für die Ziele der „Volksgemeinschaft“ durchgesetzt wurde. Im Blick- punkt stand dabei die „Wehrhaftma- chung des deutschen Volkes“.

Reichssportabzeichen in Bronze (KAH)

Turmspringer im neu errichteten Otto- Weddigen-Bad 1939 (KAH, Slg. Dümm).

Stuckenberg Für die Sportfeste in Herford legte die Stadt im Stuckenberg auf dem Vorplatz des Bis- marckturms Gruben für Weitsprung an. Auch Weitwurf konnte dort ausgeführt wer- den und eine Aschenbahn oberhalb der Mer- gelkuhle war Austragungsort von Laufwett- bewerben. Jährlich fanden HJ- Bannsportfeste statt. Innerhalb des HJ- Bannes 183 (Herford Stadt und Land) fanden zwischen den einzelnen ört- lichen „Gefolgschaften“ Hand- und Fußballspiele statt.

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SA-Leute beim Marsch Richtung Schweicheln für das Sportabzei- chen(KAH Slg. Fenske).

Gepäckmärsche Die Mitglieder der SA sollten jedes Jahr das SA-Sportabzeichen er- werben. Die sportlichen Aktivitäten der SA verlagerten sich immer mehr auf eine paramilitärische Ausbildung mit Gepäckmärschen und Vergleichsschießen zwischen den Herforder SA-Stürmen in den Schießständen der Reichswehr an der Stiftbergstraße. Auch die von der Herforder SA veranstalteten Sport-feste dienten der Wehrertüchtigung.

Kulturgemeinde Die „NS-Kulturgemeinde, Ortsverband Herford-Stadt“ besorgte und kon- trollierte die Programmauswahl der Theater- und Musikstücke, die im „He- lipa“ (späteres „Capitol“) aufgeführt wurden, wobei meist Klassiker, Ko- mödien und Schwänke auf dem Programm standen.

Der Herforder Licht Palast, Kino und Aufführungsort (KAH, Archiv Geschichtsverein).

Konzertveranstaltung der SS in Herford (KAH, Slg. Fenske).

Presse Natürlich wurde auch die Herforder Presse „gleichgeschaltet“. Am Ende eines Ausdünnungsprozesses gab es nur noch die „Westfälischen Neuesten Nachrichten“. Seit 1934 konnten nur noch Zeitungsredakteure mit „ari- scher“ Abstammung arbeiten. Das Reichspropagandaministerium gab auf täglichen Pressekonferenzen die zugelassenen Nachrichten – bis hin zu einzelnen Sprachregelungen - heraus. Natürlich lasen die Herforder auch die NSDAP-Parteizeitung, den „Völkischen Beobachter“ und das NS- Hetzblatt „Der Stürmer“.

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Volksbildung Das seit 1935 in Herford bestehende „Deutsche Volksbildungswerk“ wollte neben seiner Hauptaufgabe der Verbreitung der NS-Ideologie Anregungen für die Freizeitgestaltung und konkrete allgemeinbildende und berufliche Qualifikationen vermitteln. Die „Heimatarbeit“, die eine große Breitenwir- kung durch Heimatabende, Heimatfeste, Ausstellungen und Ein-richtung von Museen mit lokalem Bezug hatte, sollte die Identifikation der Men- schen mit ihrer Heimatregion festigen. Der Herforder Verein für Heimat- kunde war zuständig für ein Museum und eine Bücherei und veranstaltete Vorträge. Das Museum „Haus der Hei- mat“ war seit 1931 im heutigen „Haus unter den Linden“ untergebracht und wurde 1941 in die Schönfeldsche Villa am Deichtorwall verlegt.

Das Heimatmuseum Unter den Linden und die dortige Ausstellung 1936 (KAH, Archiv Geschichtsverein).

Kino In den Filmen, die im Kino gezeigt wurden, war die Propaganda zwar de- zenter, die Beeinflussung war subtiler, weil die Aufnahme der NS- Propaganda durch das Publikum unterschwellig erreicht wurde. Auch unter dem Deckmantel der „großen Literatur“ wurde NS-Propaganda betrieben, ebenso in NS-Tendenzfilmen wie „Jud Süß“ oder „Der ewige Jude“ oder in den den Nationalsozialismus verherrlichenden Olympia-Filmen von Leni Riefenstahl.

Oberbürgermeister Kleim erklärt 1936 das Haus Höckerstraße 4 zum Ge- burtshaus von Matthäus Daniel Pöp- pelmann, dem Erbauer des Dresdner Zwingers (KAH).

Rundfunk Der Rundfunk war das wichtigste Mit- tel der Massenbeeinflussung im NS- Staat. Wichtige Hitler-Reden wurden im Rundfunk übertragen und auch gemeinschaftlich bei Großveranstal- tungen oder am Arbeitsplatz gehört. Ein Radiogerät war eine teure An- schaffung gewesen, bis der ab 1936 angebotene „Volksempfänger“ für alle „Volksgenossen“ erschwinglich sein sollte. 66

14 „Unsere Arbeit soll Kampf sein“ Wirtschaftspolitik, Betriebsgemeinschaft und Landwirtschaft

Schon Ende März 1933 bildete sich in Herford eine Ortsgruppe des „Kampfbundes des gewerblichen Mittelstands“. Seine Mitglieder aus Handwerkerschaft, Einzelhandel und Kleingewerbe hatten besonders radi- kale Forderungen. Sie wandten sich gegen Filialgeschäfte, Konsumgenos- senschaften und Warenhäuser, insbesondere gegen jüdische Geschäftsin- haber, denen sie unlauteres Vorgehen im Geschäftsleben vorwarfen. Die Führung der Herforder Ortsgruppe Altstadt des „Kampfbundes“ plante schon im Sommer 1933 sogar die Überwachung der jüdischen Geschäfte und die Erfassung aller Kunden. Diese sollten mit Repressalien von der Verwarnung durch einen „Blauen Brief“ bis hin zur öffentlichen Brandmar- kung als „Saboteure des Dritten Reiches“ in der örtlichen Presse bedroht werden.

Gefolgschaftsversammlung der Sperrholzfabrik Rottmann an der Hei- destraße in Herford (KAH, Slg. Dümm).

Arbeitsfront Die Ende Oktober 1934 erlassene Verordnung Hitlers über die DAF schuf eine Einheitsorganisation „der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust“. Ihr gehörten die ehemaligen Gewerkschaften, die ehemaligen An- gestelltenverbände und die ehemaligen Unternehmer-vereinigungen an. Tarifverhandlungen und Streiks waren abgeschafft. Das Ziel der DAF sollte „die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deut- schen“ sein. Die DAF wurde Trägerin der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF).

Führer und Gefolgschaft In den Betrieben wurde das „Führer-Prinzip“ eingeführt. Der Unternehmer

67 war der „Führer“ des Betriebs, die Arbeiter und Angestellten die „Gefolg- schaft“. Die Betriebsgemeinschaft sollte harmonisch und konfliktfrei sein und auf gegenseitiger Treue beruhen. Für die „Gefolgschaftsmitglieder“ gab es reichsweit jährlich Berufswettkämpfe, die über mehrere Ebenen zum „Reichsberufswettkampf“ führten. Prüfungsgebiete waren die berufs- bezogene praktische Arbeit, aber auch die weltanschauliche „Festigkeit“ und sportliche Leistungsfähigkeit. Auch Herford Stadt und Land konnten sich im Lichte der Reichs- sieger sonnen. 1935 wurde eine in Herford ausgebildete Friseurin Reichssiegerin im Damenfriseur- handwerk, 1937 eine in der Zigar- renindustrie Beschäftigte aus Süd- lengern und 1938 ein Zigarrensor- tierer aus Spradow.

Betriebsappell beim Elektrizitäts- werk Minden-Ravensberg 1939 (KAH,. Slg. Fenske)

NS-Hago Die radikalen Forderungen des „Kampfbundes“ waren schnell sogar der NSDAP zu viel. Er wurde im August 1933 reichsweit aufgelöst. Die Nach- folgeorganisation „NS-Hago“ (Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation) wurde 1936 in die Betriebsgemeinschaften Handel und Handwerk der DAF (Deutsche Arbeitsfront) ein-gegliedert. Ei- ne der wenigen öffentlichen Veranstaltungen der „NS-Hago“ in Herford war die „Deutsche Messe“ im Schützenhof vom 16. bis 23. September 1933, auf der Herforder Handwerker, Händler und Industrieunternehmen ihre Erzeugnisse zeigten. Jüdische Unternehmen waren ausgeschlossen. Etwa 18.000 Besucher sollen bei freiem Eintritt die Messe besucht haben.

„Schönheit der Arbeit“ Schon 1933 war mit dem KdF das Amt „Schönheit der Arbeit“ mit als Reichsleiter eingerichtet worden. Die Betriebstätigen sollten in verbesserten und verschönerten Arbeitsstätten mehr Leistung erbringen. Es ging um Sauberkeit, Grünanlagen, Lärmreduzierung, gutes Licht und gute Luft und warmes Essen im Betrieb. Alle Aktionen wurden als „Kampf“ bezeichnet und verlangten von den Arbeitern als Mitgliedern der Volksge- meinschaft zusätzliche Arbeitseinsätze. Viele Unternehmen weiteten ihre Sozialleistungen mit Blick auf die Motivation der Beschäftigten und die Produktivitätserhöhung der Betriebe aus. So nahmen 1939 „Gefolg- schaftsmitglieder“ der Firma Leineweber an einer Fahrt mit dem KdF- Schiff „Wilhelm Gustloff“ zu den norwegischen Fjorden teil.

Gemeinschaftsbuch Das Eindringen und die Übernahme von nationalsozialistischen Strukturen 68 lässt sich an der Schokoladenfabrik Barmeier und Flachmann deutlich ma- chen. Otto Büter, Prokurist der Firma, führte dort ein Gemeinschaftsbuch, das den Betriebsalltag darstellte. Am 1.Mai 1933 mussten die Beschäftig- ten zu einem Betriebsappell antreten. Die Belegschaft stand Spalier, als Robert Ley, der „Führer“ der DAF, am 6.11.1933 Herford besuchte. An je- dem 30. Januar fanden zur Erinnerung an die „Machtergreifung“ Be- triebsappelle statt. Wichtige Reden Hitlers hörte die „Gefolgschaft“ ge- meinsam während der Arbeitszeit im Rundfunk. Zum Goldenen Arbeitsju- biläum beschenkte sie den Jubilar und schmückte seinen Arbeitsplatz fest- lich. Für verstorbene Betriebsangehörige hielt man Totenehrungen ab.

„Betriebsführung“ und „Gefolgschaft“ modernisierten gemeinsam die Auf- enthaltsräume. Zu Weihnachten gab es kleine Geldgeschenke und „süße Tüten“. Im Sommer 1937 wurde erst-mals ein Betriebsausflug unternom- men.1938 nahmen mehrere Beschäftigte am Reichs-berufswettkampf teil, ein „Gefolgschaftsmitglied“ als Gausieger. Die Firma wurde im Rahmen des Leistungskampfes der Betriebe ausgezeichnet. Im April 1939 wurde die Einführung einer KdF- Reisesparkasse beschlos- sen.

Arbeitsjubiläum bei Bar- meier und Flachmann (aus dem Gemeinschafts- buch, KAH).

Musterbetriebe Ende August 1936 unterzeichnete Hitler eine Verfügung, in der zu einem Wettkampf der Betriebe um die Ehrenauszeichnung „Nationalsozialisti- scher Musterbetrieb“ aufgerufen wurde. Hitler übertrug der DAF das Aus- wahlverfahren und das Vorschlagsrecht. Das „Ehrenzeichen“ war eine Fahne mit goldenem Zahnrad und goldenen Fransen. Die Auszeichnung galt für ein Jahr, konnte aber erneuert werden und sollte jedes Jahr am 1. Mai, dem „Feiertag der natio- nalen Arbeit“, verliehen werden. Die ersten 30 natio- nal-sozialistischen Musterbetriebe erhielten die Aus- zeichnung 1937. Die Einführung des Wettkampfes steht in engem Zusammenhang mit Hitlers Denk- schrift über den neuen Vierjahresplan im August 1936, dem „Hochleistungsbefehl“, die deutsche Wirt- schaft innerhalb von vier Jahren kriegsfähig zu ma- chen.

HJ-Junge mit der Goldenen Fahne (KAH, Slg. Dümm). 69

Im Stadt- und Landkreis Herford zeichnete die DAF drei Unternehmen als „Nationalsozialistische Musterbetriebe“ aus: 1938 das „Westf. Margarine- werk Wilhelm Lindemann“ in Bustedt und 1939 das „Bünder Tonwerk“ mit Inhaber Heinrich Hensiek und das „Westfälische Textilwerk Adolf Ahlers“ in Elverdissen. Zu den Sozialleistungen der Firma Ahlers, die auch stark von der „Arisierung“ der Elsbach AG profitiert hatte, gehörten im Rahmen des KdF durchgeführte Ur- laubsfahrten, Werkswoh- nungen für langjährig Be- Beschäftigte, eine Werksküche, eine Biblio- thek, ein Theaterring und eine Orchestergemein- schaft. Es gab eine sehr gut ausgestattete Lehr- werkstatt, im Aufbau be- fanden sich 1939 eine betriebliche Unterstüt- zungskasse und eine Pensionsversicherung.

„Stereofotos“ aus dem Tonwerk und bei Ahlers (KAH).

Weibliche und männliche, uniformierte „Werk- schar“ 1938 bei Adolf Ahlers (KAH, Slg. Fenske).

Autarkie Auf dem 8. Parteitag der NSDAP in Nürnberg im September 1936 verkün- det Hitler den Vierjahresplan, der - auch zur Kriegsbereitschaft - eine weitgehende Autarkie der Rohstoff produzierenden Industrie vorsah. 70

So zielte auch die NS-Landwirtschaftspolitik auf die Autarkie im Bereich der Nahrungsmittelproduktion ab. Dazu wurde die Landwirtschaft in eine strenge Hierarchie von Landes-, Kreis-, Amts- und Ortsbauernschaften eingebunden. Die Kreisbauernschaft Herford gründete sich Anfang Juli 1933. Mit dem Gesetz über den „Reichsnährstand“ vom 13.9.1933, dem alle in der Landwirtschaft, im Handel mit Agrarprodukten und in der Verarbeitung Tätigen angehören mussten, kam die Landwirtschaft unter strenge Kon- trolle. Die „Blut- und Boden“–Ideologie des NS-Regimes kam im „Reichserbhofgesetz“ vom 29.9.1933 zum Ausdruck. Dieses Gesetz sollte „das Bauerntum als Blutsquelle des deutschen Volkes“ erhalten.

Buch vom Bauern Die „Herforder Bauern“ widmeten dem Reichsbauernführer Walter Darré „ein hand-geschriebenes, handgezeichnetes und handgefertigtes Buch vom deutschen Volkstum“ über das Bauerntum im Ravensberger Land. Hier zeigt sich „Führerverehrung“ für einen Mann, der vom besonderen Wert des Bauerntums überzeugt war und der Verstädterung des deut- schen Volkes entgegenwirken wollte. Walter Darré war ab 29.6.1933 Mi- nister für Ernährung und Landwirtschaft, seit Januar 1934 Reichsbauern- führer. Seinen Schriften entnahmen die Nationalsozialisten das Schlagwort „Blut und Boden“.

„Dir, Walther Darré, unseren deutschen Bauernführer, widmen wir, die Bauern der Kreise Herford, in brüderlicher Treue dies Buch. Dies Buch soll dir in Stunden stiller Besinnung, schlicht, gerade und einfach, wie wir selbst sind, erzählen vom Leben unserer starrsinnigen Vorfahren, von der Geschichte unserer fruchtbaren Herforder Scholle, von unserem festen Gottesglauben, von den Besonderheiten unserer Bauernhäuser, vom Klang unserer unvergleichlichen Muttersprache. Es soll dir Kunde geben von un- serer unerschütterlichen Treue zum Deutschtum, von unserer Wesensart und Lebensweise.“ (Auszug, KAH).

Schweine Da jede Möglichkeit zur Steigerung landwirtschaftlicher Erzeugung genutzt werden sollte, betrieb das Ernährungshilfwerk (EHW) der Nationalsozialis- tischen Volkswohlfahrt (NSV) seit 1937 in Herford die Schweine- mastanstalt Laukampshof. Meh- rere 100 Schweine wurden mit Futterabfällen gemästet, die in Herford gesammelt waren. Der Erlös ging an das „Hilfswerk Mut- ter und Kind“.

Schweine im Stall des EHW 1938 (KAH, Slg. Fenske).

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15 „Juden unerwünscht“ Ausgrenzung, Boykotte, Verfolgung, Flucht

Der Ausschluss der Juden aus der Gesellschaft war integraler Bestandteil der NS-Ideologie. Schon über ein Jahr vor der „Machtergreifung“ verteilten Hitlerjungen am 20.12.1931 in der Herforder Innenstadt antijüdische Flugblätter der NSDAP-Ortsgruppe Herford. Für Samstag, den 1. April 1933, 10 Uhr, war ein reichsweiter Boykott gegen jüdische Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte angesetzt. Die Federführung hatte dabei ein Ak- tionskomitee der NSDAP unter Leitung von , dem Heraus- geber des berüchtigten NS-Hetzblattes „Der Stürmer“. In der internationa- len Presse hatten sich Berichte über die Diskriminierung deutscher Juden gehäuft. Begründet wurde der Boykott offiziell als „Bekämpfung der jüdi- schen Greuelpropaganda im Ausland“. Die NS-Regierung, die erst 2 Mona- te im Amt war, befürchtete große wirtschaftliche Einbußen durch einen ausländischen Boykott deutscher Waren.

Schild mit der Aufschrift „Juden nicht erwünscht.“ (KAH, Slg. Heese).

In Herford begann dieser Boykott schon am Dienstag, dem 28.3.1933 ge- gen 18 Uhr mit der Postierung von SA-Leuten mit Schildern, auf denen die Käufer dazu aufgefordert wurden, nur noch in „deutschen“ Geschäften zu kaufen. Die SA hatte dabei besonders das Kaufhaus „Wohlwert“ im Geh- renberg 1 im Blick, das sehr preiswerte Ware anbot. Schilder diffamierten den Besitzer Albert Nathan als Juden, alle Eingänge wurden mit Eisenket- ten verschlossen. Am 30.3.1933 fand abends eine organisierte „ Massen- veranstaltung“ im Ev. Vereinshaus statt, um die Zuhörer auf den Boykott am 1. April einzuschwören. Der Druck auf mögliche Käufer sollte dadurch erhöht werden, dass die aufgestellten SA- und SS-Posten jeden einzelnen Kaufwilligen aufschreiben würden. Auf dieser Versammlung fand die Grün- dung der „Ortsgruppe Herford des nationalsozialistischen Kampfbundes 72 deutscher Mittelständler“ statt. Streicher hatte in einer Boykottanordnung vom 30.3.1933 die Gründung örtlicher Aktionskomitees verfügt. Daraus sollen einige Abschnitte zitiert werden:

„2. Die Aktionskomitees (dessen Mitglieder keinerlei Bindung mit Juden haben dürfen) stellen sofort fest, welche Geschäfte, Warenhäuser, Kanz- leien usw. sich in Judenhänden befinden. 3. Es handelt sich bei dieser Feststellung selbstverständlich um Geschäf- te, die sich in den Händen von Angehörigen der jüdischen Rasse befinden. Die Religion spielt keine Rolle. Katholisch oder protestantisch getaufte Ge- schäftsleute oder Dissidenten jüdischer Rasse sind im Sinne dieser Anord- nung ebenfalls Juden. 7. Die Aktionskomitees übergeben das Verzeichnis der festgestellten jüdi- schen Geschäfte der SA und SS, damit diese am Samstag, dem 1. April 1933, vormittags punkt 10 Uhr die Wachen abstellen können.“ In Herford hatte schon am 29.3.1933 abends im Ev. Vereinshaus das örtli- che Boykott-Aktionskomitee getagt. Der Wortlaut eines Streicher-Aufrufes sollte am 31.3.1933 im ganzen Reich z.B. an sämtlichen Plakatsäulen zu lesen sein also wohl auch in Herford.

Weitere Boykottaufrufe, Ausschreitungen und Diskriminierungen gegen jüdische Geschäfte gab es ab 1933 besonders in der Vorweihnachtszeit.

Weihnachtszeit 1933 In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember wurden die Schaufenster aller jüdischen Geschäfte mit antijüdischen Parolen beschmiert, wie z.B. „Boy- kott den Juden. Nur der Lump kauft hier.“ Am 23.12.1933 veröffentlichte der Herforder „Stadtwerbeausschuß“ in der Presse einen Aufruf mit der Überschrift „Deutsche Weihnacht – Deutsche Gaben!“ Herforder Geschäftsleute, alle Mitglieder der NS-Hago (National- sozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation), warben um „deutschbewußte“ Käufer. Das christliche Weihnachten wurde umfun- tioniert zu einem Fest im nationalsozialistischen Sinne. Hitler wurde als „herrlicher Führer“ gepriesen, der das Volk geeinigt habe. Ein geschickter Propagandazug war die Aufforderung, nur „deutsche Gaben“ zu schenken, weil durch einen Einkauf bei einem „deutschen“ Geschäftsmann auch die Arbeitsplätze der „deutschen“ Arbeiter gesichert würden.

Weihnachtszeit 1934 Im Jahre 1934 wurden von der NS-Hago in der Vorweihnachtszeit so weit gehende judenfeindliche Maßnahmen organisiert, dass es dazu im „Lage- bericht“ aus Herford vom 28.12.1934 hieß: „So wird von der Bevölkerung kein Verständnis für die unfairen angewand- ten Sabotageakte gegen die jüdischen Geschäftsinhaber, wie sie hier be- sonders am Kupfersonntag zu Tage traten, aufgebracht.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A) (Anm.: Als „Kupfersonntag“ wurde der 3. Sonntag vor Weihnachten be- zeichnet.)

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Weiter hieß es: „Es wird noch bemerkt, daß derartige Geschehnisse, wie sie in Herford stattgefunden haben, in anderen Städten Deutschlands nicht vorgekom- men sind. Andererseits ist beobachtet worden, daß der Andrang zu den jüdischen Geschäften sehr stark war. Die hiesige Bevölkerung hat leider noch nicht den Geist der erfaßt und unterstützt den Juden nach wie vor. Man konnte Wahrnehmungen machen, daß sogar Beamte und deren Frauen ihre Ein- käufe in jüdischen Geschäften tätigten.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

Was war am 9.12.1934, dem „Kupfersonntag“, geschehen? Hier soll eine längere Passage aus einem Bericht vom 23.12.1934 zitiert werden, der wohl wegen der Brisanz der Geschehnisse schon als Vorin- formation zum „Lagebericht“ vom 28.12.1934 geschickt wurde: „Der Andrang von Kauflustigen an den jüdischen Geschäften war jeden Tag ab Sonntag, den 9. Dezember 1934, sehr stark. Als die jüdischen Ge- schäftsinhaber ihre Geschäfte am Kupfersonntag um 14 Uhr öffneten, fan- den sich Kauflustige in Massen vor den Geschäften ein und warteten be- gierig auf Einlaß. Kurz nach Eröffnung versuchten Angehörige der ver- schiedenen Parteiorganisationen in bürgerlicher Kleidung das kauflustige Publikum vom Betreten der jüdischen Geschäfte abzuhalten. Diese Perso- nen formierten sich zu kleinen Gruppen von je vier Mann und postierten sich vor die Geschäftseingänge. An das kauflustige Publikum sind Hand- zettel verteilt worden mit der Beschriftung: „Kaufe nicht beim Juden.“ Als nach und nach der Andrang immer größer wurde, verstärkten sich auch die Posten vor den Eingängen. Jetzt wurden auch Rufe laut wie: „Pfui, Volksverräter, Christen kaufen nicht bei Juden, Juda verrecke u.s.w.“ Die jüdischen Geschäftsinhaber und Angestellten, die sich vor den Geschäften sehen ließen, wurden mit den Worten „Judenknechte“ empfangen. Halb- wüchsige Burschen brachten auch kleine Papierböller vor den Eingängen zur Explosion.

Die Lage hat sich inzwischen vor allem vor dem Kaufhaus „Merkur“ derar- tig verschärft, dass die Geschäftsleitung sich gezwungen sah, den Laden um 17.30 Uhr zu schließen. Nach und nach schlossen auch die anderen jüdischen Geschäfte. Jugendliche in Stärke von 15 bis 20 Mann formierten sich zu Sprechchören, zogen an den jüdischen Geschäften vorbei und rie- fen immerfort: „Haut’se Haut’se in die Schnautze, hängt’se hängt’se, Juda verrecke u.s.w.“

Die ganze Geschichte wirkte sich zu einer sogenannten jüdischen Ge- schäftssabotage aus. Nach diesseitigem Dafürhalten ist die Sabotage von dem Kreisleiter der NS Hago, August Rixe, organisiert worden. Rixe soll die Störenfriede fortgesetzt aufgemuntert haben.

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Die Vorgänge vom Kupfersonntag haben sich an den darauffolgenden Wo- chentagen nicht wiederholt. Ausgestellte Polizeiposten wirkten vorbeugend und duldeten keine Ansammlungen auf der Straße und vor Geschäften. Am Silbersonntag versuchten abermals Angehörige der SA in bürgerlicher Kleidung sich vor die Geschäftseingänge zu postieren. Sie wurden aber von diensttuenden Polizeibeamten zum Weitergehen aufgefordert. Zu ernsten Störungen ist es am Silbersonntag nicht gekommen.“ (LA NRW Det- mold, Bestand M4A)

Neben den Ausschreitungen vom 9.12.1934 gab es in diesem Dezember noch weitere judenfeindliche Vorkommnisse. Im Bericht vom 23.12.1934 heißt es dazu: „In der Nacht zum 9. Dezember, wurden von unbekannten und unbemerk- ten Tätern die Schaufenster der jüdischen Geschäfte mit einigen Zeitungs- blättern beklebt. Es handelt sich hier um Zeitungsblätter „Der Stürmer“. Um welche Uhrzeit die Tat ausgeführt worden ist, konnte nicht festgestellt werden, da die Tat erst in den Morgenstunden bemerkt worden ist.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A) Dringend tatverdächtig war ein früherer SS- Mann, der aber nicht der Tat überführt werden konnte.

„In der Nacht zum 23. Dezember 1934, gegen 2.30 Uhr wurde an dem Kaufhaus „Merkur“ im Gehrenberg eine Schaufensterscheibe in Größe von 2.5 x 3.0 m mit einem Backstein von einem unbekannten Täter zertrüm- mert. Einige Minuten später wurden an dem Kaufhaus Herzfeld zwei weite- re Schaufensterscheiben in Größe von 2.5 x 3.5 m mit Fließensteinen zer- trümmert. Trotz eingehender Ermittlungen konnten die Täter bis heute nicht festgestellt werden. Kurz vor der Tat ist der Feuermelder in der Wittekindstrasse in Tätigkeit gesetzt worden. Allem Anschein nach besteht zwischen beiden Taten ein Zusammenhang. Zweifellos wollte man zuerst die Polizei an eine andere Stelle locken, um dann ungestört die Schaufens- terscheiben zertrümmern zu können.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A) Auch dieser Tat war der oben erwähnte SS-Mann dringend verdächtig.

Der Bericht fährt fort: „Wie schon erwähnt, kommen für die ganze Sabotage Angehörige der ver- schiedenen Parteiorganisationen in Frage. Am Silbersonntag konnte man SA-Leute in Zivil in Gruppen bis zu 20 Mann stark beobachten, wie sie sich an jüdischen Geschäften aufhielten und kleine Störungsversuche unter- nahmen. Unter den SA-Leuten bemerkte man auch den Ortsgruppenleiter Steinkühler. Ganz besonders hervorgetan haben sich die drei Personen, die im Frühjahr dieses Jahres die Synagoge in Brand gesteckt haben.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A) (Zum besseren Verständnis des „Lageberichts“ wurde die Rechtschreibung –wenn erforderlich- korrigiert.)

In immer schnellerer Folge erließ das NS-Regime weitere antijüdische Maßnahmen und Gesetze.

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Stürmerkasten Im September 1935 gab es in Herford 12 „Stürmerkästen“ im Stadtgebiet. Die Stürmerkästen trugen die Beschriftung „Die Juden sind unser Unglück. Die Judenfrage lernt man durch den Stürmer kennen.“ Hier stellte das NS- Hetzblatt „Der Stürmer“ seitenlang und reichsweit Juden in herausragen- den Positionen und jüdische Firmen an den Pranger. Nichtjüdische Firmen und Unternehmungen legten Wert darauf, auf derselben „Briefkasten“- Seite ihr „Ariertum“ festzustellen. So landeten auch der Arzt Dr. Krüger und der Rechtsanwalt Dr. Wunram aus Herford auf einer dieser Seiten. An allen Stadtausgangsstraßen gab es Schilder mit der Aufschrift „Juden sind in dieser Stadt nicht erwünscht.“

„Rassenschande“ Am 5.4.1933 wurde Kurt Steinitz, der Geschäftsführer der Wohlwert- Filiale, festgenommen. Er war „wegen sittlicher Verfehlungen an seinem Personal“ angezeigt worden und wurde der „Rassenschande“ bezichtigt. Ebenfalls im Zellentrakt des Herforder Rathauses wurde am 8.3.1934 Max Less inhaftiert, der in Hämelinger Straße eine Zoohandlung betrieb. Her- forder SA-Leute denunzierten ihn. Less wurde mit einem Schild um den Hals („Ich Judenlump habe ein deutsches Mädchen geschändet!“) durch die Straßen der Stadt getrieben. Gegen Unterschrift unter einen „Ver- pflichtungsschein“ wurde Less am 17.3.1934 aus der „Schutzhaft“ entlas- sen und musste Herford unter Aufgabe seines Geschäfts sofort verlassen. Auch die junge Frau wurde verhaftet.

Verbot der Eheschließung Schon am 10.8.1935 hatte der Reichsinnenminister die Standesbeamten angewiesen, keine Ehen mehr zwischen Nichtjuden und Juden zu schlie- ßen. Auch das Standesamt Herford verweigerte einem heiratswilligen Paar die Bestellung des Aufgebots mit der Begründung, dass die Braut eine ge- taufte Jüdin sei.

Provokation im Kino Als am 16.3.1934 im Wittekind-Kino die Aufführung des Films „Früchtgen“ mit einer jüdischen Hauptdarstelle- rin anstand, provozierten SA-Leute in der Nachmittagsvorstellung die Besucher. Zwei führende SA-Leute stürmten das Büro des Kinos und beschimpften, bedrohten und de- mütigten die Besitzerfamilie Salfeld Diese verließ Herford. Das Kino kam durch Zwangsverpachtung in soge- nannte „arische“ Hände, die Ge- schäftsführung wurde einem Partei- genossen übertragen. Kinosaal des Wittekind, Höckerstraße 5 (KAH). 76

Zwangsvornamen und das stigmatisierende „J“ im Ausweis Nach einer Verordnung vom 17.8.1938, die zum 1.1.1939 in Kraft trat, mussten Juden, die keinen vom Innenministerium anerkannten „jüdischen“ Namen trugen, einen zusätzlichen Zwangsnamen annehmen: „Israel“ für Männer und „Sara“ für Frauen. Die Reisepässe bekamen ab dem 5.10.1938 einen Stempel mit einem roten „J“. Auch die Ausweise erhielten ein „J“(KAH).

Der September-Boykott 1935 Vor der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ am 15.9.1935 wurden reichsweit Boykottpropaganda und Hetzkampagnen gegen Juden ver- stärkt. So organisierte die NS-Hago (Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation) Herford um den 1.9.1935 herum ei- nen weiteren Geschäftsboykott. In fast allen Stadtteilen wurden juden- feindliche Transparente über die Straßen gezogen. Mitte September hing in der Herforder Markthalle ein Schild mit judenfeindlicher Aufschrift. Aus dem Vergleich der „Lageberichte“ aus Herford vom 26.8.1935 und vom 25.9.1935 geht eindeutig hervor, dass die jüdischen Geschäfte deut- liche Einbußen hinnehmen mussten. Im „Lagebericht“ vom 26.8.1935 hieß es noch: „Die jüdischen Geschäfte können einen sehr guten Kundenzuspruch ver- zeichnen. Marxisten, Zentrumsleute und alle übrigen Staatsfeinde tätigen ihre Einkäufe jetzt erst recht nur in jüdischen Geschäften. Verschiedene jüdische Geschäfte setzen heute 30 bis 50 Prozent mehr um, als in der Zeit vor der nationalen Erhebung. Im hiesigen Stadtbezirk wird ganz be- sonders der jüdische Schlachter Löwenstern genannt, der heute das beste Geschäft macht. Trotz der heute stark in den Vordergrund getretenen Ju- denfrage oder gerade deshalb tätigen mehrere Schlachtermeister ihre Ge- schäfte mit dem Juden Löwenstern. Die jüdische Firma Spanier, Rohtaba- ke in Herford, soll, wie von gutunterrichteter Seite berichtet wird, in den letzten 6 Monaten genau soviel umgesetzt haben, wie in den beiden Vor- jahren.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

Der „Lagebericht“ vom 25.9.1935 lässt sich relativ knapp über die Auswir- kungen der antijüdischen Maßnahmen aus: „Die jüdischen Geschäfte haben im vergangenen Monat einen großen Teil ihrer Kundschaft verloren. Die Aktion der NS-Hago gegen die Juden war von Erfolg gekrönt. Die in den Hauptstraßen angebracht gewesenen Schil- der haben gute Aufklärungsarbeit geleistet. Trotzdem gibt es aber noch 77

Volksgenossen, die die Juden in Schutz nehmen und sich für sie einset- zen.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A) Solche Volksgenossen wollte der NS-Staat nicht haben, aber dieser Satz zeigt, dass auch in Herford im September 1935 noch nicht alle auf NS- Linie waren.

„Arisierung“ Ab Anfang 1938 wurde die „Arisierung“ von staatlicher Seite systemati- siert. Jüdische Vermögen, die im Rahmen des „Entjudungsprogramms“ auf Sperrkonten einzufrieren waren, sollten dem Staat zufließen. Ende April 1938 wurde eine Anmeldepflicht für alle jüdischen Vermögen über 5.000 RM (=Reichsmark) eingeführt. Die Anmeldung musste innerhalb weniger Tage erfolgen. Ab Mitte Juni war die Registrierung aller jüdischen Gewerbebetriebe in einem geson- derten Verzeichnis vorgeschrieben. Die Ortsbehörden mussten die öf- fentliche Kennzeichnung der Be- triebe veranlassen.

Das Kaufhaus Herzfeld nach der Übernahme durch Klingenthal 1938 (KAH).

Ausschluss aus Vereinen Auch in Herford mussten jüdische Mitglieder ab Ende April 1933 aus Sport-und Turn-vereinen austreten. Noch vor dem Gesetz von Ende Mai 1936 wurden Juden in Herford vom Besuch der Badeanstalten ausge- schlossen, obwohl Adolf Obermeier 1934 für das Otto-Weddigen-Bad eine große Summe unter der Bedingung gespendet hatte, dass auch jüdische Herforder das Bad benutzen könnten.

Ausschluss aus dem Berufsleben Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 war es durch den „Arierparagraphen“ möglich, Juden von der Beamtenlaufbahn auszuschließen und jüdische Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst zu entlassen. Jüdische Honorarprofessoren, Privatdozenten und Notare verloren ihre berufliche Existenz, so die Her- forder Rechtsanwälte Davidsohn und Herzfeld. Die private Handelsschule von Diplom-Kaufmann Albert Ostwald musste am 19.4.1933 geschlossen werden.

Verhaftungen Am 10.1.1934 erfolgte die Verhaftung Fritz Meyers, der Leiter der Abtei- lung Herrenwäsche der Firma Elsbach war. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Vorwürfe gegen Juden, die in einer Textilfachzeitschrift erhoben worden waren, Angestellten der Firma Elsbach gegenüber als Lügen be- 78 zeichnet. Meyer drohte das KZ Papenbrück. Nur durch persönliche Kontak- te kam es auf Anweisung der Gestapozentrale Berlin am 21.3.1934 zur Entlassung. Meyer war im Polizeigefängnis (=Zellentrakt) inhaftiert. Ebenfalls im Januar 1934 wurde der jüdische Geschäftsmann Sch. Verhaf- tet, der Inhaber einer Kleiderfabrik. Gegen den Kaufmann Albert Rosen- baum lief im November 1933 ein Verfahren, in dem ihm vorgeworfen wur- de, Lügen verbreitet und damit der NS-Regierung geschadet zu haben. Er wurde zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt. 1934 verließ Albert Rosenbaum Herford. 1937 konnte er nach Guatemala zu seiner schon vorher dorthin „ausgewanderten“ Tochter emigrieren, kehrte jedoch 1950 nach Deutsch- land zurück.

In der Pogromnacht 1938 und am folgenden Tag wurden mindestens 17 Juden aus der Stadt und dem Kreis Herford im Zellentrakt festgehalten. Es waren vor allem vermögende Juden.

Die Verhafteten transportierte die GESTAPO in ein extra für in der Reich- pogromnacht Verhaftete angelegtes Sonderlager im KZ Buchenwald. Dort erlitten sie unvorstellbare Torturen. Die meisten kamen als gebrochene Menschen aus dem Lager zurück. Die Mehrzahl der aus Herford stammen- den Männer entließ man Ende November/Anfang Dezember 1938 unter der Bedingung, ihre Häuser, Geschäfte und Fabriken zu verkaufen und möglichst bald auszuwandern.

Was jüdische Kinder aus Herford im Zusammenhang mit dem No- vemberpogrom 1938 erlebten:

„ ,Am 9. November 1938 morgens (gemeint ist der 10. November) wurde mein Vater verhaftet. Ich war im Haus, als sie meinen Vater abholten, oh- ne Nennung irgendwelcher Gründe. Mein Vater war drei Wochen in Bu- chenwald. Er kam völlig zerschlagen und zerbrochen zurück. Er war ein alter, gebrochener Mann geworden; völlig verschüchtert, verängstigt.‘“ (Marion Lust, geborene Spanier in einem Interview in Herford 1988)

„ ,In vier Wochen hatte sich mein Vater furchtbar verändert. (…) Ich weiß noch, daß er Tränen in den Augen hatte, als ich ihn gefragt habe „ Ach Kind, frage mich nicht!“ ‘ “(Ruth Salomon, geborene Franke in einem In- terview in Herford 1988; beide Zitate in: 9.1.1938. Reichspogromnacht in Ostwestfalen – Lippe, Landesarchiv Detmold, o.J.o.O., S.19).

Beispiele für die Verdrängung jüdischer Herforderinnen und Her- forder aus dem Wirtschaftsleben

- Adolf Berghausen, Viehhändler und Tochter Herta Berghausen (kleine Damenschneiderei) Komturstraße 35: Das Gewerbe Adolf Berghausen wurde im September 1938 gelöscht, das Gewerbe von Herta Berghausen Ende 1938/Anfang 1939 79

- Fa. Elsbach und von Nordheim, Herrenkleiderfabrik Die Firma wurde insgesamt als jüdisches Unternehmen angesehen. Am 17.6.1936 erfolgte der Verkauf an Oskar Tovote.

- Fa. J. Elsbach & Co., Wäschefabrik, Goebenstraße: Schon seit der Machtergreifung hatte die Firma massive Angriffe abzu- wehren. Curt Elsbach musste am 14.4.1938 aus dem Vorstand aus- scheiden. Die NS-Behörden forderten ihn 1938 massiv auf, die Firma zu verkaufen. Elsbach, der inzwischen in Berlin lebte, wurde vom 10.5. bis 3.7.1938 im Berliner Polizeipräsidium in Sicherungshaft gehalten unter dem Vorwand, er habe einen „deutschen“ Partner in die Firma aufge- nommen, um die jüdischen Eigentumsverhältnisse zu verschleiern. Die Verkaufsvereinbarung zur Aufgabe der Firma mit dem Käufer Adolf Ah- lers wurde während dieser Inhaftierungszeit am 21.5.1938 unterschrie- ben.

- Goldberg, Bettenfachgeschäft, Gehrenberg 12: Der Handler Sally Goldberg war Ende 1930 in Herford verstorben. Das Geschäft wurde in der NS-Zeit von seiner Tochter Frieda betrieben. Der Zwangsverkauf erfolgte am 23.3.1939 an die Firma Hill AG., Hattingen.

- Grundmann, Herrenkleiderfabrik, Neuer Markt 4: Der Fabrikant Hermann Grundmann war Inhaber der Firma Jacob Grundmann, Kleiderfabrik, seine Schwester Selma, die bei ihrem Bru- der und ihrer Schwägerin lebte, war Teilhaberin. 1934 musste die Fab- rik geschlossen werden, da die Einnahmen stark zurückgegangen wa- ren. 1939 wurde das Haus an das Büroeinrichtungshaus Dahlmann weit unter Wert verkauft.

- Gumpert-Damenmoden, Alter Markt 12: Schon im September 1933 gab der Kaufmann Eugen Heydt sein Einzel- handelsgeschäft „Gumpert-Damenmoden“ auf und emigrierte mit Frau und Tochter.

- Philipp Hecht, Malergeschäft, Brüderstraße 3: Das Gewerbe wurde Ende 1938/Anfang 1939 gelöscht.

- Kaufhaus Hermann Herzfeld, Gehrenberg 15: Nachdem von Verkaufsabsichten im Jahre 1935 wieder Abstand ge- nommen worden war, wurde das Kaufhaus, dessen Inhaber nach dem Tod Hermann Herzfelds im Jahre 1934 sein Sohn Paul war, 1938 von dem Kaufmann Franz Klingenthal sen. Aus Salzkotten übernommen.

- Fa. Julius Koch Nachfolger (=Schiff), Herrenkleiderfabrik, Kreishausstr. 6:

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Nach dem Tod von Bernhard Schiff 1931 führten seine Söhne Ernst und Albert die Fabrik weiter, die im Zuge der Reichspogromnacht in das KZ Buchenwald verbracht wurden. Ende 1938 musste der Zwangsverkauf der Firma unterschrieben werden. Sie wurde von Edmund Steinhäuser und vier weiteren Kommanditisten gekauft und unter dem Namen Juli- us Koch Nachf. KG weitergeführt.

- Felix Kreuz, Schumacherei, Hollandstr. 30: Das Gewerbe wurde Ende 1938/Anfang 1939 gelöscht.

- Fritz Leeser, Modewarengeschäft, Bäckerstraße 26/28: Warenlager und Geschäftseinrichtung wurden vor der Emigration 1938 an Walter Kox verkauft, der gleichzeitig das Haus Bäckerstraße 26/28 von Paul Weinberg erwarb.

- Julius Löwenstern, Schlachterei, Bügelstraße 5: Die Schlachterei wurde in der NS-Zeit vom Sohn Johann (John) Lö- wenstern geführt. Das Grundstück mit Wohn- und Geschäftshaus wur- de 1940 zwangsverkauft, möglicherweise fiel es an das Deutsche Reich, und an die Schlachterei Berger vermietet.

- Meier Löwenstern, Viehhändler, Credenstraße 35: Meier Löwenstern erlitt große wirtschaftliche Einbußen, er musste sein Geschäft aufgeben und schlug sich, seine Frau und Tochter von 1935 bis zur Emigration 1937 mit der Führung eines Privatmittagstisches durch.

- Adolf Obermeier, Mitinhaber der Herforder Süßrahm-Margarinefabrik Jursch & Schwake, Lübbertorwall 18: Von November 1910 bis Mitte 1938 war Adolf Obermeier gleichberech- tigter Mitinhaber der Firma. Seine Geschäftsbeteiligung ging per Ver- trag an Fritz Schwake über. Adolf Obermeier schied zum 1.7.1938 aus der Firma aus. Auswanderungsabsichten realisierte er nicht. Er starb 1942 in Herford.

- Kaufhaus Max Rosenbaum, Alter Markt 13: Kaufhaus und Gebäude gingen vor der Emigration im Februar 1939 durch Zwangsverkauf im November 1938 in den Besitz der Köhler & Co.OHG über.

- Herrenkleiderfabrik A. Ruben OHG., Sophienstraße Hugo Ruben, der Alleininhaber der Firma, wurde Ende Oktober 1937 während einer Geschäftsreise in Leipzig verhaftet. Im Prozess wurde er wegen des Verstoßes gegen die Nürnberger Gesetze zu einer längeren Zuchthausstrafe verurteilt. Dieses Urteil wurde 1956 aufgehoben. Während der Haft wurde die Firma in eine KG umgewandelt, sein erst

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20-jähriger Sohn als Prokurist eingesetzt. Anfang Juni 1938 wurde die Firma an Oskar Tovote verkauft.

- Arthur Spanier, Rohtabake, Bahnhofstraße 2: Schon vor der Verhaftung Arthur Spaniers im Zuge der „Reichspogrom- nacht“ im November 1938 und seiner Verbringung in das KZ Buchen- wald hatte es Verkaufsverhandlungen gegeben. Besonders die Stadt Herford hatte ein gezieltes eigenes Interesse an dem Zwangsverkauf, weil Oberbürgermeister Kleim die Vergrößerung eines am Bahnhofvor- platz liegenden Hotels zur Ausweitung der Bettenkapazität anstrebte, was sich aber zerschlug. Nach der Rückkehr aus dem KZ musste Arthur Spanier seine Rohtabakhandlung an die Fa. Gebr. Sahrmann zwangs- verkaufen.

- Herforder Dampfziegelei Paul Weinberg, Otternbuschweg: Eigentümer dieses Unternehmens waren zwei Brüder, der Arzt Dr. Alf- red Weinberg und der Fabrikant Dr. Ing. Paul Weinberg. Zwangsver- kaufs-Verhandlungen wurden schon im Sommer 1938 geführt. Da die Eigentümer die Festsetzung eines Schleuderpreises nicht akzeptieren wollten, endete der Streit erst 1940 mit noch geringerem Kaufpreis. Vom Anteil des einen Eigentümers, der im November 1938 mit seiner Familie emigriert war, wurde u.a. eine hohe „Judenvermögensabgabe“ abgezogen, der verbleibende Rest wurde als „Teilzahlung auf die Reichsfluchtsteuer“ an das Finanzamt Herford überwiesen. Der Ertrags- anteil des anderen Eigentümers, der in Herford geblieben war, wurde auf ein nur beschränkt verfügbares Sicherungskonto überwiesen.

- Lederhandlung Weingarten, Komturstraße: Ludwig Weingarten, der das elterliche Geschäft übernommen hatte, er- litt nach 1933 ständige Einnahmeverluste. Sein Geschäft und das Wa- renlager wurden während der Pogromnacht verwüstet. Die Häuser Komturstraße 14/16 und das Geschäft wurden am 18. November 1939 an Gustav Kunst zwangsverkauft. Ludwig Weingarten musste einen großen Teil seiner Hauseinrichtung unter Wert verkaufen, als er die Räume des Dachgeschosses beziehen konnte.

- Kaufhaus „Wohlwert“, Gehrenberg 1: Albert Nathan, ein Kaufmann aus Paderborn eröffnete 1931 das Ein- heitspreisgeschäft „Wohlwert“, ein Kaufhaus mit billigen Preisen, in den Geschäftsräumen des Hauses Gehrenberg 1, das den Brüdern Hoff- mann gehörte. Das Kaufhaus musste Mitte 1938 verkauft werden. Franz Klingenthal erwarb das Wohn- und Geschäftshaus ebenfalls 1938.

(vgl. dazu und zur Judenverfolgung allg.: Christine und Lutz Brade, Juden in Herford. Verfolgung und Vernichtung während des Nationalsozialismus – Herforder Bürger werden entrechtet, deportiert und ermordet, in: dies (hg) Juden in Herford, Bielefeld 1990, S. 76 – 93. Zur Löschung jüdischer betriebe aus der Handwerksrolle vgl. Schreiben der Hand- 82 werkskammer zu Bielefeld an den OB als Ortspolizeibehörde vom 20.2.1938 (KAH, Sammlungen)).

Emigration/Flucht Laut einer amtlichen Aufstellung der Stadt Herford aus dem Jahre 1960 lebten zum Stichtag 16.6.1933 in Herford 193 Juden, bis zum Stichtag 17.5.1939 waren 71 jüdische Menschen aus Herford zum größten Teil emigriert, einige wenige waren in andere deutsche Städte verzogen. Wer emigrierte, wanderte nicht freiwillig aus, sondern sah auch im nationalso- zialistischen Herford keine Zukunftschance für sich und seine Familie. Der Emigration waren viele Bedingungen vorgeschaltet: Visa mussten be- schafft, Reisekosten bezahlt werden, oftmals musste ein Startkapital für das Leben im neuen Land nachgewiesen werden oder wie für die Emigrati- on in die USA – ein Affidavit, d. h. eine schriftliche eidesstattliche Versi- cherung vorhanden sein, in dem z. B. Verwandte, die schon in den USA lebten, die Bürgschaft für den Lebensunterhalt der Emigranten übernah- men. Zudem beschränkten Länder ihre Aufnahmequoten, teilweise bis Null. Verbliebenes Geld konnte nicht frei ins Ausland transferiert werden, sondern unterlag einer sehr hohen Abschöpfung durch die „Dego-Abgabe“. Der Neubeginn in einem fremden Land – oft auch mit Sprachproblemen verbunden - war extrem angstbesetzt.

Kindertransporte In den Jahren 1938 und 1939 entschlossen sich auch in Herford einige El- tern, ihr Kind schweren Herzens mit einem Kindertransport ins Ausland (England, USA, Schweden) zu retten. Es handelte sich um drei Mädchen und einen Jungen im Alter von knapp 3 bis 14 ½ Jahren. Mindestens zwei angestrebte Ausreisen mit einem Kindertransport konnten nicht realisiert werden. Diese beiden Kinder wurden in den nächsten Jahren deportiert und ermordet.

Synagogenbrand vom 12.4.1934 und Novemberpogrom 1938 Schon am 12.4.1934 hatte es einen Brand in der Herforder Synagoge ge- geben. Die „Saarbrücker Zeitung „Volksstimme“ berichtete Ende Oktober 1934, „SA-Leute im Suff“ hätten das Feuer gelegt. Drei Männer wurden verurteilt, ihre Entlassung erfolgte jedoch wenig später aufgrund eine Ge- setzes vom 7.8.1934, das Straffreiheit für Straftaten gewährte, „zu denen sich der Täter durch Übereifer im Kampfe für den nationalsozialistischen Gedanken habe hinreißen lassen“.

Am 7. November 1938 verübte der 17jährige Jude Herschel Grynszpan in Paris ein Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath. Auch Angehörige der Familie Grynszpan waren unter den rund 17000 Ju- den polnischer Staatsangehörigkeit, die Ende Oktober 1938 verhaftet und nach Polen abgeschoben worden waren.

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Den Tod vom Raths am 9.11.1938 nahmen die Nationalsozialisten in der Person des Propagandaministers Goebbels zum Anlass, einen ge- gen die Juden in Deutschland und im seit März 1938 angeschlossenen Ös- terreich zu initiieren.

Am Abend des 9.November 1938 brannte die Synagoge in Herford zum zweiten Mal. Die herbeigerufene Feuerwehr begann erst zu löschen, als Explosionsgefahr für die benachbarte Färberei drohte. Die Inneneinrich- tung und die Orgel wurden total zerstört, die Fensterscheiben zertrüm- mert, das Archivgut verbrannte. Am nächsten Tag wurde der Innenraum weiter zerstört, Gegenstände wurden nach draußen geworfen, die Syna- goge wurde geplündert. Ein Herforder kletterte auf das Dach der Synago- ge und schlug mit einem Hammer den Davidstern herunter. Das Gebäude selbst blieb großenteils erhalten. Das Zerstörungswerk beobachteten viele schaulustige Bürgerinnen und Bürger.

Auch im angrenzenden Predigerhaus wurden im dort befindlichen Ver- sammlungsraum Schäden angerichtet. Sämtliche Fensterscheiben und Türfüllungen wurden eingeschlagen, Einrichtungsgegenstände vernichtet oder stark beschädigt.

Der Herforder Oberbürgermeister als Baupolizeibehörde verlangte vom Vorstand der Synagogengemeinde Herford, dass die Synagoge entspre- chend der von der Stadt Herford gemachten Auflage abgerissen werde. Die Kosten musste die Synagogengemeinde zahlen. Im November 1939 kaufte die Stadt das Grundstück weit unter Wert zur Anlage eines Park- platzes. Über den Verkaufserlös konnte die Synagogengemeinde nicht frei verfügen, er kam auf ein Sperrkonto.

Auch Geschäfte und Geschäftsräume wurden bis in die Nachmittagsstun- den des 10.11.1938 beschädigt. Schon in der Pogromnacht war die Büro- einrichtung der Geschäftsräume des Tabakgroßhändlers Arthur Spanier am heutigen Bahnhofsplatz 2 „völlig zertrümmert“ worden. Zwei Herforder stahlen Wertsachen aus Spaniers Wohnung. Vieles geschah unter den Au- gen der Polizei, die nur hin und wieder bei entstehenden Ansammlungen von Zuschauern zum Weitergehen aufforderte, wie ein Augenzeuge be- richtete. Auch gegen Privathäuser richteten sich Angriffe. Fensterscheiben wurden eingeworfen, Haus- und Wohnungstüren beschädigt, Wohnungs- einrichtungen demoliert und durchwühlt, Diebstähle fanden statt und auch Schüsse fielen. (s. zu den Vorgängen in Herford während des Novemberpogroms auch den Bericht des Oberbürgermeisters als Ortspolizeibehörde an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Bielefeld vom 18.11.1938 (LA NRW Detmold, Bestand M1 IP1714)

Nach der Reichspogromnacht wurden Juden zum 1.1.1939 völlig aus dem deutschen Wirtschaftsleben ausgeschlossen. Ihnen wurde die Ausübung praktisch aller Berufe untersagt, sie verloren bei der Entlassung alle An- sprüche auf Rente, Pension und Versicherungen. Schon am 10.11.1938

84 fragte ein Geschäftsmann aus Köthen vertraulich beim Herforder Magistrat an, ob die Herrenkleiderfabrik Julius Koch Nachfolger in „arischen Händen“ sei. Er hatte es eilig, seine Lieferantenliste zu „bereinigen“. (KAH)

Alle Schäden an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen mussten auch in Herford sofort auf eigene Kosten vom jüdischen Inhaber oder Ge- werbetreibenden beseitigt werden. Versicherungsansprüche wurden zu Gunsten des Staates beschlagnahmt.

Außerdem mussten die Juden in ihrer Gesamtheit eine Summe von einer Milliarde RM (Reichsmark) an das Deutsche Reich zahlen. Perfiderweise wurde diese Ausplünderung als „Sühneleistung“ deklariert. Die Ende April 1938 verfügte Anmeldepflicht für alle jüdischen Vermögen über 5000 RM wurde nun dazu benutzt, die „Kontribution“ als „Judenvermögensabgabe“ (JVA) über die Finanzämter (in Herford über das Herforder Finanzamt) einzutreiben. Die Zahlungen betrugen bei insgesamt vier Raten in viertel- jährlichen Abständen je 5 Prozent des Vermögens. Die Finanzämter waren angewiesen, in erster Linie Bargeld einzuziehen. Die JVA wurde noch um eine zum 15.11.1939 fällige 5. Rate erweitert, so dass sich die gesamte „Kontribution“ schließlich auf 1,25 Milliarden RM belief, d.h. auf 25 Prozent des Vermögens der Zahlungsverpflichteten.

Neben dieser Ausplünderung wurden die Juden praktisch aus dem öffentli- chen kulturellen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Ende No- vember 1938 wurden Juden räumliche und zeitliche Beschränkungen auf- erlegt.

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16 „Feinde des heutigen Staates“ Verfolgung, Widerstand, Anpassung von Arbeiterschaft und Kirche

Den Reichstagsbrand am Abend des 27.2.1933 nutzte die NSDAP-Führung sofort politisch und propagandistisch aus, in dem sie ihn als „Fanal“ eines kommunistischen Aufstands-versuchs bezeichnete. In Herford verhaftete die Polizei im März 33 Kommunisten. Im April folgte die Verhaftung von 8 Sozialdemokraten. Sie alle kamen in sogenannte „Schutzhaft“, bei der der Inhaftierte völlig ausgeliefert war. Im Mai 1933 wurde das Vermögen der SPD und des Reichsbanners beschlagnahmt. Auf Anordnung des Herforder Magistrats war der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) das Jugendheim neben der Schule Wilhelmsplatz schon Anfang April 1933 entzogen worden. SAJ und Arbeiter-Samariterbund lös- ten sich auf, die Arbeitersportvereine wurden bis zum Sommer 1934 gleichgeschaltet. Auch die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften sollten „gleichgeschaltet“ werden. Die Amtsträger und engagierten Mitglieder wurden überwacht und verfolgt. Gleichzeitig nutzte die NS-Propaganda religiöse Aspekte, um Hitler als gottgegebenen Führer darzustellen.

Tagebuch des „Schutzhäftlings“ Max Swiniarski. Der Herforder Schlachter kam unter dem Vorwurf, „Funktionär der KPD“ zu sein, am 25.3.1933 in Schutzhaft in das Herforder Zellengefängnis. Sein dort geführtes Tagebuch wurde beschlagnahmt. Vom 18.7.1933 bis 15.2.1934 war er im KZ (LA NRW, Detmold).

Wilhelm Osterhagen (KPD) Der Händler Wilhelm Osterhagen war seit 1926 Mitglied der KPD. Er wurde am 9.3.1933 nach einer Denunziation, er sei Leiter der Musikgruppe „Ro- ter Stern“, verhaftet und ins Polizeigefängnis im Rathaus eingeliefert. Bei seiner Entlassung am 18.5.1933 musste er – wie alle anderen Schutzhaft-

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Entlassenen auch - einen „Verpflichtungsschein“ unterschreiben: „Ich ver- pflichte mich, mich in Zukunft jeder staatsfeindlichen politischen Betäti- gung, insbesondere jeder Teilnahme an hoch- und landesverräterischen Umtrieben zu enthalten. Irgendwelche Ansprüche auf Grund der gegen mich getroffenen polizeilichen Maßnahmen werde ich nicht erheben. Es ist mir eröffnet, dass ich mich g. F. (=gegebenenfalls) erneut freiwillig in Schutz-haft begeben kann.“ Osterhagen wurde noch zweimal denunziert und entging nur knapp dem KZ.

Widerstand In den Lageberichten der GESTAPO wurde von viele Handlungen und Hal- tungen, die bewusst gegen das NS-Regime gerichtet waren, berichtet. Diese führten oft zu Verfolgung und Verhaftung: Flugblattaktionen der KPD, Versuch, die KPD-Organisationen neu aufzubauen, ein Trauerzug aus ehemaligen Kommunisten, Lotterieverkauf „Glückauf“, der als SPD- Tarnorganisation verboten war, Verweigerung des Eintritts in die DAF, Verweigerung des Eintritts in NS-Jugendorganisationen, Verweigerung der Winterhilfe, Verweigerung des Mitmarschierens am 1. Mai im Rahmen der DAF, geglücktes Verstecken einer Fahne durch Arbeitersportler unter dem Fußboden im Haus eines Mitglieds, Verteilung illegaler Schriften der SPD, Malen von drei Pfeilen als Zeichen für die SPD an Häuserwände, Entfernen von NS-Fahnen aus einem Saal durch den Leiter des Kinder-Volkschores vor dem Auftritt, Umdrehen des Hitlerbildes im Betrieb oder ironische Um- kränzung, demonstratives Fernbleiben von einer Betriebsversammlung, Aufsetzen von Ohrenschützern während einer Rede des Ortsgruppenleiters beim Reichsbetriebsappell, Besitz eines Vervielfältigungsapparats und eventuelle Benutzung, Aufbewahrung und Transport des Apparates, mit „Nein“ stimmen bei „Wahlen“, bei denen hundertprozentige Zustimmung zur NSDAP erwartet wurde, Transport von politischem Material, Grüßen statt mit „Heil Hitler“ mit „Rot Front“ oder „Heil Moskau“ und mit geballter Faust, Singen kommunistischer Kampflieder, Äußerungen gegen Hitler... (Vgl. zum Arbeiterwiderstand in Herford ab 1933: Bernd Uhlmannsiek, Arbeiterwider- stand in Herford 1933 – 1945, in: Herforder Zeitzeugen 1900 – 1950… den Erinnerungen nachspüren, (Arbeit + Leben Herford), S. 5 -11)

Mitglieder der Herforder Sozialistischen Arbeiter- jugend vor 1933 (KAH, Slg. Arbeit und Leben).

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Julius Finke (SPD) Aufgrund einer Denunziation beschlagnahmte die Polizei 43 Briefe mit po- litischem Inhalt, die Julius Finke Parteisekretär und Reichstagsabgeordne- ter der SPD, einen Tag vorher bei der Post aufgegeben hatte. Die Polizei durchsuchte das „Volkswacht“- und SPD-Parteibüro im Herforder „Volks- haus“ und Finkes Wohnung in der Sandbrede 2 und leitete ein Straf- verfahren wegen Verstoßes gegen das Reichspressegesetz ein. SA- Standartenführer Pantföder erklärte Oberbürgermeister Althaus, dass die SA als Hilfspolizei Finke verhaften werde, wenn die reguläre Polizei dazu nicht in der Lage wäre. Da Althaus, der durch Pantföder ziemlich unter Druck gesetzt war, befürchtete, dass Parteifreunde und Gesinnungsgenos- sen Finkes dessen Verhaftung durch SA-Uniformierte nicht einfach hin- nehmen würden, sondern dass es zu Ausschreitungen kommen werde, ließ er Finke am Sonntagmittag des 19. März 1933, von einem Kriminalbeam- ten verhaften. Finke wurde am 23.5.1933 - wohl nach Fürsprache aus der NSDAP überraschenderweise aus der Haft entlassen, konnte aber in der SPD nie wieder Fuß fassen.

Weil Finke Reichstagsabgeordneter war, kann davon ausgegangen wer- den, dass er in erster Linie wegen der Reichstagsabstimmung über das „Ermächtigungsgesetz“ am 23. März 1933 verhaftet wurde (verschleiernd betitelt „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“). Dieses Ge- setz änderte die Verfassung, deshalb brauchten die Nationalsozialisten ei- ne Zweidrittel-Mehrheit für seine Annahme. Es gestattete der Reichsregie- rung, die Gesetzgebung an sich zu ziehen. Reichsgesetze konnten nun auch von der Reichsregierung beschlossen werden, damit ging die Legisla- tive (gesetzgebende Gewalt) auf die Exekutive (ausführende Gewalt) über, was die Aufhebung des demokratischen Grundprinzips der Gewal- tenteilung bedeutete. Der Reichstag hatte sich selbst entmachtet, hatte sich überflüssig gemacht. Er bestand zwar pro forma bis zum Ende des NS-Regimes, nach dem Verbot oder der erzwungenen Selbstauflösung al- ler anderen Parteien bestand der Reichstag nur noch aus NSDAP- Mitgliedern, deren Aufgabe war, Beifall zu klatschen zu den Entscheidun- gen der NS-Reichsregierung.

Die 81 Mandate der KPD wurden für ungültig erklärt, d.h. dass es keine KPD-Reichstagsabgeordneten mehr gab. Die Zahl der an der Abstimmung teilnehmenden SPD-Reichstagsabgeordneten sollte so gering wie möglich gehalten werden. So gehörte Finke zu den 26 Sozialdemokraten, die durch den NS-Terror nicht an der Abstimmung teilnehmen konnten. Das Reichs- tagsprotokoll vermerkte sie zynischer weise als „unentschuldigt“. Die SPD- Fraktion stellte zwar den Antrag, die inhaftierten Abgeordneten freizulas- sen, damit sie an der Abstimmung teilnehmen könnten, das wurde jedoch abgeschmettert. Die 94 anwesenden SPD-Reichstagsabgeordneten stimm- ten als Einzige gegen das „Ermächtigungsgesetz“.

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(Vgl. zu Julius Finke: Dieter Begemann, Eine rote Hochburg mit „möglichst viel Sonnenseite“. Die „Siedlung“, in: 1200 Jahre Herford, Spuren der Geschichte, hrsg. im Auftrag der Stadt Herford von Theodor Helmert-Corvey und Thomas Schuler. Herforder Forschungen Band 2, hrsg. vom Kom- munalarchiv Herford/Archiv für Kreis und Stadt Herford, Herford 1989, S. 146 – 148)

Verhaftungsanzeige Julius Finke (LA NRW, Detmold).

„Jeder Dritte“ „Bei der Volksabstimmung am 19. August 1934 hat die Stadt Herford mit am schlechtesten gewählt. Es wurden 78,8% Ja-Stimmen abgegeben. Auf- fallend schlecht gewählt haben die früheren marxistischen Bezirke. So ist jeder Dritte in der Siedlung und den Randbezirken ein Marxist. ... Die hie- sigen Marxisten haben von der Revolution wenig abbekommen. Sie fühlen sich heute sehr sicher, zumal sie auch in leitenden Stellen bei Behörden, in öffentlichen Betrieben und Privatbetrieben verblieben sind. Sie gebär- den sich heute als 110prozentige Nationalsozialisten, heben nach Möglich- keit beide Hände zum deutschen Gruß und überschlagen sich in einer krie- cherischen Weise vor Unterwürfigkeit ihren Vorgesetzten gegenüber. In Wirklichkeit aber sind sie aus ihrem Innern heraus die großen Feinde des heutigen Staates.“ (Lagebericht vom 30.8./ 31.8.1934, LA NRW, Detmold, Bestand M4A)

Der Lagebericht vom 27.11.1934 spricht für sich: „Die früheren marxistischen Parteien sind im letzten Monat mit Flug- blättern, Hetzschriften usw. nicht an die Öffentlichkeit getreten. Es macht sich aber bemerkbar, daß ehemals führende Marxisten sich wie- der sicher fühlen und freier auftreten. In ihren Redensarten und Be- merkungen sind sie jedoch sehr vorsichtig. Im Spätsommer dieses Jahres konnte beobachtet werden, daß frühere Angehörige von „Rot Front“ sich zusammenfanden und mit Fußballspiel auf dem Stork’schen Gelände an der Stadtholzstraße beschäftigten. Es hatte den Anschein, als sollte eine Sportbewegung unter kommunisti- scher Führung wieder aufgebaut werden. Fest steht, dass der frühere Leiter der Sportabteilung „Rot Front“, F(.) W(.), wohnhaft in Herford, (folgt Straße und Hausnummer), einen neuen Fußball in einem hiesigen Sportgeschäft gekauft hat und daß mit demselben Fußballspiele ausge- tragen wurden von Leuten, die sich aus ehemaligen Rotfrontkämpfern zusammensetzten. In letzter Zeit hat das Fußballspiel aufgehört. An- scheinend sind die Betroffenen von dritter Seite aus gewarnt worden. Die Beobachtungen in dieser Hinsicht werden fortgesetzt. Ein Einschrei- ten ist z.Zt. nicht angebracht. Da in dieser Sache auch SS-Leute be- schäftigt waren, scheint die ganze Angelegenheit verfahren zu sein. Im 89

geeigneten Augenblick wird eingeschritten. (Anmerkung: Roter Front- kämpferbund, Wehrverband der KPD, gegründet 1924. 1929 wurde der RFB zunächst in Preußen, dann in den übrigen deutschen Ländern verboten. Er bestand jedoch ille- gal weiter.) (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

Mitglieder der Herforder Sozia- listischen Arbeiterjugend nach 1933 (KAH, Slg. Arbeit und Le- ben).

Plakate der KPD und der Polizei 1933 (LA NRW Detmold).

„Zerschlagen“ „Die illegale kommunistische Bewegung ist hier seit einem Jahre vollstän- dig zerschlagen. Nach der Festnahme der Führer im Dezember 1934, sind die Kommunisten im Stadtbezirk Herford nicht mehr tätig geworden. Die Aufrollung der illegalen KPD - Unterbezirk Bielefeld - durch die Geheime Staatspolizei ist in diesem Monat zum Abschluß gelangt. Im Verfolg der Aktion wurden 135 Personen festgenommen, darunter eine große Anzahl aus dem Landkreise Herford, allein in Vlotho 15 Personen. ... Man muß aber immer wieder feststellen, daß auch hier unter den Marxisten beider Gruppen auch heute noch ein großer innerer Zusammenhalt besteht. Die früheren marxistischen Musikvereine Bandonion-Musikverein, Zitterklub

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Alpenrose und Mandolinenklub Herford brachten am Sonnabend, den 18. Januar 1936 ihre Winterfeste bei Tiemeyer-Stiftberg, im Tanzpalast „Neue Welt“ und in Brinkmanns Festsälen zur Durchführung. Alle drei Lokale wa- ren überfüllt.“ (Lagebericht vom 27.1.1936, LA NRW, Detmold, Bestand M4A)

Deutsche Christen Einzelne Herforder Pfarrer traten der NSDAP bei. Ein Pfarrer der Münster- gemeinde war NSDAP-Mitglied und zudem Mitglied der Bekennenden Kir- che. Auch in Herford etablierten sich die „Deutschen Christen“ (DC). Sie strebten eine „kirchliche Machtergreifung“ an. Im August 1933 gab es in allen fünf Kirchengemeinden DC-Gemeindegruppen mit DC- Gemeindegruppenleitern, die überwiegend aus bürgerlichen Kreisen stammten. Die Bildung einer DC-Ortsgruppe erfolgte im August 1933. Wenig später gab es auch eine DC-Kreis-leitung. Insgesamt war aber der Übergang zu den „Deutschen Christen“ in Stadt und Land Herford relativ gering. Ein „Deutscher Christ“ bezeichnete seine Konfession als „gottgläu- big“ (ggl.).

Auf Plakaten der der DC in Herford stand im November 1936: „Älter als Kirchen und Klöster ist unser Väter Land, Fester als Priesters Taufe bindet des Blutes Band. Unser Reich, ihr Brüder, ist von dieser Welt. Es gesund zu bauen hat uns Gott bestellt.“

Hitler begrüßt Ludwig Mül- ler, den Leiter der Deut- schen Christen und seit 27. September 1933 Reichsbi- schof, auf dem Reichspar- teitag 1934 (Bildarchiv Preuß. Kulturbesitz).

Die Nationalkirche, auch in Herford gelesene Zeitschrift der DC (Archiv Geschichtsverein).

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Bekennende Kirche In Abwehr zu den DC formierte sich die „Bekennende Kirche“. Die Pfarrer und Presbyterien im Raum Herford schlossen sich fast einheitlich und sehr schnell der Bekennenden Kirche an. Friedrich Niemann, Superintendent des Kirchenkreises Herford, hatte eine führende Rolle inne.

Der NS-Staat überwachte die Gottesdienste. Dabei ging es um die Predig- ten, in erster Linie aber um die Kanzelabkündigungen und die zweckbe- stimmten Kollekten. Dabei machten Pfarrer der Bekennenden Kirche auf staatliche Übergriffe gegen Pfarrer und Laien aufmerk-sam. Bis Febru- ar/April 1938 gab es allein acht Strafanzeigen gegen evangelische Geistli- che Herforder Kirchengemeinden. Die meisten Strafanzeigen erstattete die GESTAPO wegen Vergehens gegen das „Sammlungsgesetz“, der Rechtmä- ßigkeit von Kollekten, die oft polizeilich beschlagnahmt wurden.

Zwei Geistliche der Mariengemeinde kamen in Haft. Der Lehrvikar Max Lackmann wurde am 6.12.1937 wegen Verbreitung eines sogenannten „Strahlenbriefes“ der Bekennenden Kirche verhaftet, am 9.12.1937 wurde Pastor Wilhelm Blum wegen des Vorwurfs einer nicht rechtmäßigen Kollek- te festgenommen. Lackmann wurde am 23.12.1937 aus der Unter- suchungshaft entlassen, nach einer Denunziation durch ein Gemeindemit- glied wegen des Inhalts seiner Predigten erneut verhaftet, ebenso im April 1942. Er überlebte das KZ Dachau und konnte im Sommer 1945 nach Herford zurückkehren.

Beschlagnahmtes Beitrittsformular der Be- kenntnisgruppe „Evangelium und Kirche“ an der Stiftberger Kirche 1934 (LA NRW, Detmold).

Lageberichte zur evangelischen Kirche: 1. 28.9.1934: „Im Vordergrunde des Interesses steht augenblicklich der evangelische Kirchenstreit. Aus der letzten Pfarrerversammlung in Herford ist zu erse- hen, daß mit einer Verschärfung dieses Streites zu rechnen ist. Durch Gründungen von Bekenntnisgemeinschaften und Einsetzung von Bruderrä- ten versucht man das Werk des Reichsbischofs zu sabotieren. Der Pfarrer- notbund fühlt sich durch die orthodoxe, tiefreligiöse Einstellung des Min- 92 den-Ravensberger-Landes, besonders seiner bäuerlichen Bevölkerung, äußerst stark und ist gewillt, den Kampf gegen den Reichsbischof mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln durchzuführen.“ 2. 28.1.1935: „Obwohl im evangelischen Kirchenstreit z. Zt. Ruhe herrscht, wird im Stil- len weitergewühlt. Am 10. Januar 1935 mußte Nr.2 und am 17. Januar 1935 Nr. 3 des „Herforder Evgl. Gemeindeboten“ beschlagnahmt werden. In verschiedenen Artikeln wird in einer versteckten Form versucht, gegen den nationalsozialistischen Staat zu hetzen, um Unruhe in die evangeli- sche Bevölkerung hineinzutragen.“ 3. 26.3.1935: „ Zur Zeit steht die sogenannte Bekenntnisgemeinde in einem scharfen Kampf gegen die „Völkische Religion“. Die bekannte Kanzelabkündigung, die sich gegen die völkische Religion richtet, wurde am letzten Sonntag in den hiesigen evangelischen Kirchen verlesen. Von einer Verlesung am Sonntag, den 10.3., und Sonntag, den 17.3.1935, haben die Pastöre Ab- stand genommen. Am Dienstag, den 19.3.35, veranstaltete die Bekennt- nisgemeinde in der Münsterkirche um 20 Uhr einen Gottesdienst, der von etwa 1500 Personen besucht wurde und als Protestkundgebung gegen die völkische Religion anzusehen war.“ 4. 25..9.1935: „ In Kreisen der sogenannten Bekenntnisfront ist man sehr gespannt auf die weitere Entwicklung der Kirchenfragen, die durch den Herrn Reichsmi- nister Kerrl durchgeführt werden sollen. Gegen die alte Hetzschrift der Be- kenntnissynode „Der Rundbrief“ hat die Staatspolizeistelle Bielefeld am 29.8.1935 die Vorzensur angeordnet. Somit ist diesem Hetzblatt die Mög- lichkeit genommen, weiter gegen den Staat und seine Organe zu hetzen. Einer der größten Fanatiker in der Bekenntnisfront ist der Superintendent Friedrich Niemann aus Herford. Über ihn hat die Staatspolizeistelle Biele- feld die Postkontrolle verhängt.“ (Alle vier Lageberichte: LA NRW Detmold, Be- stand M4A)

Katholische Kirche: Im „Lagebericht“ vom 28.9.1934 hieß es: „Bei der überwiegenden evange- lischen Bevölkerung macht sich die katholische Kirche nicht bemerkbar.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A). Die Polizei löste am 1.7.1933 den Katholi- schen Volksverein und den Jungmännerverein auf und beschlagnahmte Kassen- und Sparbücher sowie einige Akten. Am 10. Juli wurden die Maß- nahmen gegen den Jungmännerverein aufgehoben. Auch katholische Got- tesdienste wurden überwacht. Im August 1935 verlas der Herforder Pfar- rer Hermann Kleine, mehrfach eine Kanzelabkündigung des Paderborner Erzbischofs Kasper, der sich darin besonders gegen das NS- Sterilisationsgesetz wandte. Die katholische Kirchengemeinde in Herford suchte keinen Konflikt mit den NS-Organen, sie zeigte sogar Entgegen- kommen, indem sie am Erntedankfest 1935 nur mit der Hakenkreuzfahne flaggte, während die evangelischen Kirchen daneben noch die Kirchenfah-

93 ne aufzogen. Auch betete man in den Gottesdiensten in der Regel „für die Führer des Volkes“.

Lagebericht vom 25.9.1935 zur katholischen Kirche: „Der Katholizismus ist im vergangenen Monat hier wenig in Erscheinung getreten. Der Gottesdienst wurde auf Anordnung der Geheimen Staatspo- lizei regelmäßig überwacht. Irgendwelche Feststellungen, die ein Ein- schreiten gegen Geistliche rechtfertigten, wurden nicht getroffen. Die Be- obachtungen haben ergeben, daß die früheren Zentrumsanhänger nach wie vor gegen den Nationalsozialismus eingestellt sind. Niemand bedient sich des deutschen Grußes. Sie sind aber schlau genug, ihre wahre Gesin- nung durch Äußerungen oder Gebärden nicht zu verraten. Diese Kreise sind auffallend judenfreundlich gesinnt und tätigen in der Regel ihre Ein- käufe in jüdischen Geschäften.“ (LA NRW Detmold, Bestand M4A)

Zeugen Jehovas Die „Internationale Bibelforschervereinigung“ wurde am 24.6.1933 vom Preußischen Innen-ministerium verboten. Das NS-Regime verdächtigte sie der kommunistischen Unterwanderung. Ende Mai 1933 fand bei dem Leiter der Herforder Gruppe eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahme von Druckschriften statt. Über eine geschlossene Veranstaltung der Bi- belforscher berichtete der Herforder Oberbürgermeister dem Bielefelder Polizeipräsidenten am 7.6.1933: „Die Veranstaltung war von musikali- schen Darbietungen und Vorstellungen umrahmt, die auf kommunistische Ideen schließen ließen.“( s. Norbert Sahrhage, Diktatur und Demokratie in einer pro- testantischen Region. Stadt und Landkreis Herford 1929 bis 1953, Herforder Forschungen Bd.18, hrsg. vom Kommunalarchiv Herford und vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 2005, Anm. 924 zu Kap. 4, S. 650)

Die „Zeugen Jehovas“ verweigerten den Hitlergruß und die Teilnahme an Wahlen und Volksabstimmungen. Mitglieder der Bibelforscher, die im öf- fentlichen Dienst beschäftigt waren, verloren ihre Arbeitsplätze, so bei der Sparkasse wegen Verweigerung des Hitler- Grußes und beim Amtsgericht wegen Verbrei- tung illegaler Schriften. In Herford wurden im Herbst 1936 22 Mitglieder der „Zeugen Jehovas“ verhaftet. Der Prozess fand vor der zweiten Kammer des Sondergerichts Dortmund im Herforder Amts- gericht statt. Dabei wurden 1937 Gefängnis- strafen zwischen 18 Monaten und 6 Wochen verhängt.

Friedrich Meyer, als Justizangestellter entlas- sen, wurde 1937 zu 3 Monaten Gefängnis ver- urteilt (privat).

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17 „Erbgesunde Volksgenossen“ Die Verfolgung von Kranken und sozial Schwachen

Der NS-Staat forderte den „erbgesunden Volksgenossen“. Gesunde und „hochwertige“ Nachkommenschaft aus gesunden „arischen“ Familien sollte durch Ehestandsdarlehen gefördert werden. Kranke oder „minderwertige“ Menschen sollten durch Zwangssterilisation und Eheverbote von der Fort- pflanzung ausgeschlossen werden. „Erbpflege“ und „Rassenreinheit“ wur- den auch mit dem ökonomischen Aspekt „Gesundheit gleich Leistungsfä- higkeit“ verbunden. Der „eugenische“ Rassismus richtete sich auch gegen Menschen, die eigentlich „deutsche Volksgenossen“ waren, doch vom NS- Staat als „minderwertig“ und als „Schädlinge am Volkskörper“ angesehen wurden. Der Nationalsozialismus konnte an „rassen-hygienische“ Ideen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anknüpfen. Seit 1933 wurden zahlreiche Gesetze erlassen, mit denen der NS-Staat massiv in Sexualität, Ehe und Familie eingriff, alles Vorstufe zur späteren Ermordung „unwerten Lebens.“

Erbbiologischer Untersuchungsbogen von Wilhelmine M. aus dem Gesund- heitsamt Herford-Land. Die Diagnose des Amtsarztes Dr. Angenete lautete auf „Schwachsinn“ (KAH).

Gesundheitsämter Die seit dem 1. April 1935 im ganzen Deutschen Reich bestehenden Ge- sundheitsämter hatten die Aufgabe, die Bewertung und Auswahl nach Wert oder Unwert für die „Volks-gemeinschaft“ durchzuführen. Gesetzliche Grundlage war das Anfang Juli 1934 verabschiedete „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“. In Herford wurde neben dem bestehenden Gesundheitsamt für die Stadt, das einen staatlichen Amts- arzt erhielt, ein staatliches Gesundheitsamt für den Landkreis Herford neu eingerichtet. Verantwortliche Amtsärzte waren Dr. Hermann Angenete und Dr. Heinrich Siebert.

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Dr. Angenete 1953 und Dr. Siebert 1967 (KAH).

Erbbiologie Die erbbiologischen Untersuchungen und Beurteilungen erstreckten sich auf Bewerber für Ehestandsdarlehen und Kinder- und Ausbildungsbeihilfen an kinderreiche Familien, für das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“, für bäuerliche Neusiedlerstellen und Anwärter bei Kleinsiedlerprojekten, für den „Führer-Nachwuchs“ der HJ und für die Feststellung der Ehetauglich- keit Heiratswilliger. Sie dienten auch der Verwaltung der so genannten „Erbkartei“ und der „erbbiologische Bestandsaufnahme des deutschen Vol- kes“.

„Erbkrankheiten“ Auch die Gesundheitsämter für Herford-Stadt und Herford-Land beteiligten sich federführend an der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erb- kranken Nachwuchses“. Auf der Grundlage dieses Gesetzes, das am 1.1.1934 in Kraft trat, wurden Zwangssterilisationen bei einer Reihe von sogenannten „Erbkrankheiten“ durchgeführt: Angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, Epilepsie, manisch-depressives Irresein, erbliche Taubheit, erbliche Blindheit, erblicher Veitstanz (eine seltene Krankheit des zentra- len Nervensystems), schwere körperliche Missbildungen, schwerer Alkoho- lismus.

Anzeigepflicht Ärzte, Schwestern, Pfleger, Hebammen, Fürsorgerinnen und alle Staats- beamten waren nach diesem Gesetz verpflichtet, dem Gesundheitsamt Personen zu melden, die sie für „erbkrank“ hielten. Nicht nur niedergelas- sene Ärzte zeigten ihre Patienten und Patientinnen an, sondern auch Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten der Umgebung, Fürsorgeerzie- hungsheime, Amtsbürgermeister und andere staatliche Stellen und Einrichtungen. Aber auch viele An- gehörige selbst zeigten ihre Ver- wandten vorsätzlich oder unwis- sentlich an und gaben Informatio- nen.

Karl K. (Fotos vom Untersuchungs- bogen, KAH).

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Erbkartei Jedes Gesundheitsamt führte zwei Karteien, die „Geburtsortkartei“ über Personen, die in ihren Bezirk geboren waren, und die „Wohnortkartei“ über die jeweils aktuelle Wohnbevölkerung. Bei Umzug wurde dem nun zuständigen Gesundheitsamt die jeweils relevante Karteikarte zugeschickt. Nach einem Bericht des Gesundheitsamts der Stadt Herford an den Regie- rungspräsidenten umfasste am 1.10.1938 die „Wohnortkartei“ 3302 und die „Geburtsortkartei“ 388 Karteikarten bei insgesamt 42227 Einwohnern. Der Leiter des Gesundheitsamtes nannte dabei folgende Personengrup- pen: „Erbkranke, Trinker, Selbstmörder, Geschlechtskranke, Fürsorgezöglinge, Entmündigte. Personen, die in der Psychiatrischen Außenfürsorge und in der Krüppelberatung erfaßt wurden. Kinder, die in die Hilfsschule einge- schult wurden. Siedler, Kinder- und Erziehungsbeihilfe-Empfänger. Perso- nen, die das Ehrenbuch der Kinderreichen oder Ehestandsdarlehen bean- tragten. Personen, die durch Eheberatung (Ehetauglichkeit) und durch Ausstellung eines amtsärztlichen Zeugnisses erfaßt wurden.“

Sippentafel von Luise K. (KAH).

„Sippentafeln“ Die Fürsorgerinnen hatten bei ihren Hausbesuchen die Aufgabe, Informatio- nen über die angezeigten Personen zu vervollständigen. Auf „Sippentafeln“, die die Fürsorgerinnen aufzustellen hatten, wurden Krankheiten in der Familie und damit der Verdacht eines „erblichen Lei- dens“ dokumentiert. Schulen und Ar- beitgeber mussten Auskünfte geben; schlechte Noten, öfteres Sitzenbleiben, ein Hilfsschulbesuch oder eine schlechte Beurteilung durch den Arbeitgeber schlugen negativ zu Buche. Weitere In- formationen über eine angezeigte Per- son lieferten Akten von anderen Behör- den oder Institutionen.

Zwangssterilisierung Über die Hälfte aller Zwangssterilisationen hatte die „Diagnose“ „angebo- rener Schwachsinn“ zur Grundlage. Dies begründete sich oft in Versagen in Schule und Beruf oder bei der Intelligenzprüfung, in der Einstufung als unordentlich, schmutzig, faul oder sexuell triebhaft. Als nächsten Schritt stellte der Amtsarzt einen Antrag auf Sterilisation beim zuständigen „Erb- gesundheitsgericht“ in Bielefeld. Ein Jurist als Vorsitzender und zwei Ärzte als Beisitzer entschieden meist nach Aktenlage in den überwiegenden Fäl- len für die Zwangssterilisation. Die beiden Herforder Amtsärzte waren 97 auch als Sterilisationsrichter tätig. Eine Einspruchs-möglichkeit gab es beim „Erbgesundheitsobergericht“ in Hamm. Insgesamt wurden dort je- doch nur 10 bis 20% der angeordneten Sterilisationen zurückgenommen. Beschlüsse dieses Gerichtes waren endgültig.

„Intelligenztest“

Aus der Untersuchung ergab sich ei- nerseits ein „amtsärztliches Gutach- ten“, andererseits mussten die Vorge- ladenen einen „Intelligenzprüfungsbo- gen“ beantworten. Es wurde vielfach bildungsbürgerliches Wissen aus un- terschiedlichen Bereichen standardi- siert und unter Zeitdruck abgefragt. Die Fragen hatten meistens wenig mit dem Leben der Betroffenen zu tun, die größtenteils Arbeiter oder Arbeiterin- nen oder auch Fürsorgezöglinge oder Pfleglinge waren.

Intelligenzprüfungsbogen von Richard B. (KAH).

Eheverbote Mit dem am 18.10.1935 von der Reichsregierung beschlossenen „Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ verbot der Staat Ehen in folgenden Fällen: „a) wenn einer der Verlobten an einer mit Ansteckungsgefahr verbun- denen Krankheit leidet, die eine erhebliche Schädigung der Gesundheit des anderen Teils oder der Nachkommen befürchten läßt, b) wenn einer der Verlobten entmündigt ist oder unter vorläufiger Vor- mundschaft steht, c) wenn einer der Verlobten, ohne entmündigt zu sein, an einer geisti- gen Störung leidet, die die Ehe für die Volksgemeinschaft unerwünscht erscheinen läßt, d) wenn einer der Verlobten an einer Erbkrankheit im Sinne des Geset- zes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses leidet.“ Absatz a) bezog sich vor allem auf tuberkulöse- und geschlechtskranke Menschen, der Begriff „geistige Störung“ in Absatz c) war bewusst un- präzise formuliert, um alle Personen und Personengruppen fassen zu können, die sich nicht in die „Volksgemeinschaft“ einfügen wollten, z.B. Betrüger, Rückfall- und Frühverbrecher, Zuhälter, chronisch Arbeits- scheue, Landstreicher, Fürsorgeschmarotzer, Süchtige, Alkoholiker, Hysteriker.

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Laut Gesetz sollte dem Standesbeamten vor jeder Eheschließung ein vom Gesundheitsamt ausgestelltes „Ehetauglichkeitszeug- nis“ vorgelegt werden. Wegen der damit verbundenen organisatorischen und personellen Überforderung der Gesundheitsämter musste ein Paar, das das Aufgebot bestellte, das Zeugnis zunächst nur auf Verlangen vor- legen, wenn der Standesbeamte die „Ehetauglichkeit“ des Paares bezweifelte.

Frieda B. und Walter A. als Verlobte 1936. Ihnen verbot das Gesundheitsamt die Eheschließung wegen „angebo- renem Schwachsinn“. Erst nach erfolgter Sterilisierung konnten sie 1937 heiraten (KAH).

Aufbau einer „erbbiologischen Kartei“ = „Erbkartei“ Im Rahmen der vom NS-Staat angestrebten totalen „erbbiologischen Be- standsaufnahme des deutschen Volkes“ sollten schrittweise die Ergebnisse aller Untersuchungen in den Gesundheitsämtern dokumentiert und zentral erfasst werden. Mit dieser „Erbkartei“ sollte die „negative Auslese“ der „Minderwertigen“ und „Erbkranken“ gesteuert werden. Die Gesundheits- pflegerin legte von jedem neugeborenen oder in Fürsorge genommenen Kind beim ersten Besuch eine erbbiologische Karteikarte an. Die Gesund- heitsämter vervollständigten die „Erbkartei“ zudem durch Daten aus ande- ren Ämtern und Behörden. Es wurden in jedem Gesundheitsamt zwei Kar- teien geführt, eine „Geburtsortkartei“ über Personen, die im Bezirk des jeweiligen Gesundheitsamts geboren waren, und eine „Wohnortkartei“ über die jeweils aktuelle Wohnbevölkerung.

Bei Umzug einer Person wurde dem nun zuständigen Gesundheitsamt die jeweils relevante Karteikarte zugeschickt. Nach einem erhalten gebliebe- nen Bericht des Gesundheitsamts der Stadt Herford an den Regierungs- präsidenten in Minden umfasste die „Wohnortkartei“ 3302 Karteikarten und die „Geburtsortkartei“ 388 Karteikarten zum Stichtag 1.10.1938 bei insgesamt 42227 Einwohnern. Der Leiter des Gesundheitsamtes nannte dabei folgende Personengruppen: „Erbkranke, Trinker, Selbstmörder, Ge- schlechtskranke, Fürsorgezöglinge, Entmündigte. Personen, die in der Psychiatrischen Außenfürsorge und in der Krüppelberatung erfaßt wurden. Kinder, die in die Hilfsschule eingeschult wurden. Siedler, Kinder- und Er- ziehungsbeihilfe-Empfänger. Personen, die das Ehrenbuch der Kinderrei- chen, Ehestandsdarlehen beantragten. Personen, die durch Eheberatung (Ehetauglichkeit) und durch Ausstellung eines amtsärztlichen Zeugnisses erfaßt wurden.“1)

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1)LA Detmold, D2, Dez.24, Nr. 208: GA HF-Stadt an RP Minden, 30.9.1938: Bericht über die Durchführung der Erbbestandsaufnahme; zitiert bei Johannes Vossen, Die Gesund- heitsämter im Kreis Herford während der NS-Zeit. Teil 1: Die Durchsetzung der „Erb- und Rassenpflege“, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1993, hrsg. von Kreishei- matverein Herford e.V., Bielefeld 1992, S112f. Dieser Aufsatz ist sehr informativ in Bezug auf das Thema.

Bombrede Die sozial schwachen Bewohner der städtischen Obdachlosensiedlung Bornbrede (im Volksmund „Bombrede“) waren wie auch die anderen Ob- dachlosenheime und die Wohnwagen-Lager der „Zigeuner“ (Roma und Sinti) regelmäßig Ziel polizeilicher und gesundheitsamtlicher Aufsicht. Die dort lebenden Familien wurden erbbiologisch untersucht und katalogisiert. Ab 1935 begann „eine gründliche rassenkundliche Erfassung und Sichtung aller Zigeuner und Zigeunermischlinge“ durch die ab 1936 von Robert Rit- ter geleitete „Rassenhygieni- sche und bevölkerungsbiologi- sche Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“. Auch dieses diente als Vorstufe zu Verfolgung und Mord.

Baracken an der Bornbrede (1960er Jahre, KAH).

„Zigeunerwagen“ bei Vlotho 1935 (KAH, Foto H. Wagner).

Die „Dohle“ im Käfig “Zu den regelmäßigen Kunden des Herforder Polizeigefängnisses zählt der in ganz Herford unter dem Namen Dohle bekannte Mister Rabe aus der Bombrede. Augenblicklich sitzt er seit 14 Tagen, nachdem er zuvor inner- halb von zwei Wochen nicht weniger als sechsmal eine kurze Gastrolle gab. ... Als ich gestern Gelegenheit nahm, mir das Herforder Zellenge- fängnis anzusehen, da spazierte Meister Rabe, gerade wie ein Wilder auf dem Hof herum und in respektabler Entfernung hielten sich zwei Juden auf, der eine war der Mädchen-Schänder Lees und der andere ein früherer Angestellter der Firma Elsbach, der in gröblichster Weise Einrichtungen der Arbeitsfront beschimpfte.“ (Auszug aus dem NS-Volksblatt, 15. 3.1934, KAH).

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Homosexuelle Auch gegen Homosexuelle ging der NS-Staat scharf vor. Homosexualität wurde als „Entartung“ angesehen und stand im Gegensatz zur NS- Bevölkerungspolitik. Zum 1.9.1935 verschärfte die Reichsregierung die Bestimmungen des §175 StGB. Homosexuelle aus Herford-Stadt und – Land wurden in Schutzhaft genommen, demütigenden Verhören und auch Misshandlungen ausgesetzt und zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt. Viele Homosexuelle konnten auch verhaftet werden, weil bei Verhören un- ter Druck ihre Namen genannt wurden. Seit 1938 drohte einem Homose- xuellen nach der Strafverbüßung die KZ-Einweisung. Für die Verführung Minderjähriger wurden sehr hohe Strafen (bis hin zur Todesstrafe) ver- hängt.

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18 „Stiftberg Hurra! Die Soldaten sind da!“ Herford als Wehrmachtsstandort

Mit der Verkündung der Wehrhoheit und der Wiedereinführung der Wehr- pflicht in Deutschland 1935 erkannte Hitler auch offen die Rüstungsbe- schränkungen des Versailler Vertrags nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr an. Oberbürgermeister Kleim setzte sich sehr für Herford als Wehrmachts- standort ein. Es konnte an eine alte Garnisonstradition angeknüpft wer- den, ausschlaggebender war aber wohl, dass die Stadt durch den Einsatz von Unter-nehmen beim Bau und langfristig durch die Kaufkraft der Trup- pe auf eine starke Belebung der städtischen Wirtschaft hoffte. In Herford begannen die Bauarbeiten bereits 1934. Es entstanden insgesamt drei Ka- sernenkomplexe. Das Gelände wurde großenteils von der Stadt unentgelt- lich zur Verfügung gestellt. Neben Ankäufen kam es zu Geländetausch, besonders mit der Stiftberger Mariengemeinde, aber auch zu Enteignun- gen. Der „Storksche Kotten“, ein großes Fachwerkbauernhaus, wurde in Vlotho auf dem Amtshausberg 1937/38 als HJ-Bannführerschule „Herzog Widukind“ wieder aufgebaut.

Die Stobbe-Kaserne zwischen Vlothoer Straße und Stadtholz-/Ulmenstraße nach der Namensgebung 1938 (KAH).

„Wieder Garnison“ „Das zweite Jahr der nationalsozialistischen Staatsführung hat uns weitere erhebliche Fortschritte gebracht. (…) Als für Herford wichtigstes Ereignis ist zu berichten, daß die Stadt wieder Garnison geworden ist und im Herbst 1934 den ersten Truppenteil erhalten hat. Die gleichzeitig einset- zenden Arbeiten zum Bau neuer Kasernen an der Vlothoer Straße und an der Mindener Straße haben vielen Herfordern Arbeit und Verdienstmög- lichkeiten geschafft.“ (Friedrich Kleim, Herforder Oberbürgermeister im Verwaltungsbericht der Stadt Herford 1934/35, KAH).

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Enteignungen Die Wehrkreisverwaltung übte zur Wahrung ihrer eigenen Interessen star- ken Druck auf die Stadt Herford aus. In einem Schreiben forderte sie 1934 zur Denunziation und Androhung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen ge- genüber kooperationsunwilligen Eigentümern auf: „Die Wehrkreisverwal- tung ist nicht gewillt, ihre Bauvorhaben durch Überstunden und Nacht- schichten infolge Verzögerung des Grunderwerbs verteuern zu lassen, nur weil die Eigen-tümer der Wehrhaftmachung des deutschen Volkes nicht gebührend Rechnung tragen. Die Gründe, die zur zwangsweisen Inan- spruchnahme der benötigten Grundstücke führen, müssen der Enteig- nungsstelle mitgeteilt werden, damit diese die Stichhaltigkeit prüfen und bei der Entschädigungsfestsetzung berücksichtigen kann. Eine nicht stich- haltige und sogar grundlose Weigerung der Eigentümer ist für die Preis- bemessung im Enteignungsfalle von ungünstigem Einfluß, wie erst kürzlich festgestellt werden konnte. Es wird Ihnen anheimgestellt, von dieser Mit- teilung den in Frage kommenden Eigentümern in geeigneter Form Kennt- nis zu geben, damit diese sich der Tragweite ihres Entschlusses bewußt werden.“ (KAH).

So konnten im Laufe der Ent- eignungsverfahren Grundstü- cke für 1,50 Mark durch die Stadt erworben werden - weit unter dem bisher gültigen Preisniveau von 3 bis 6 Mark pro Quadratmeter.

Bautätigkeit an den Infante- riekasernen 1934/1935 (KAH, Foto H. Wagner).

„Gemeinsamkeit“ Major Karst, Standortältester und Bataillonskommandeur in Herford, sah in seiner Rede bei der feierlichen Übergabe der ersten Infanteriekaserne zwischen Vlothoer Straße und Stiftskamp am 3. Oktober 1935 die Garni- son als ein „Sinnbild deutscher Erstarkung“ und zu-nehmender „Wehrbe- reitschaft“. Er beschwor die Einheit von Volk und Militär, die Integration der Wehrmacht in die „Volksgemeinschaft“, die sich in der gemeinsam ge- leisteten (Auf-)- Bautätigkeit gezeigt habe:

„In aller dieser Zeit arbeiteten wir immer still und fleißig hier an unseren Kasernen, nachts im Lichte der Scheinwerfer, am Tag unter glühender Sonne unermüdlich, Bauleitung, Hand-werker und Unternehmer Hand in Hand mit dem Ziel, ihr Bestes herzugeben für die Erstarkung Deutsch- lands. In dreifachen Schichten wurde gearbeitet. Man kannte keine Ruhe, alle wollten ihre Aufgabe bis zum Herbst 1935 allen Schwierigkeiten zum Trotz erfüllen, und sie haben es geschafft! Wir wollen dabei nicht verges- 103 sen, daß diese Kasernenbauten vielen Volksgenossen Brot und Arbeit ga- ben und manchem Unternehmer und Gewerbetreibenden in der schlimmen Zeit das Fortbestehen gesichert haben. So arbeiteten Volk und Wehrmacht in ständiger Gemeinsamkeit zusammen.“ (Neue Westfälische Volkszeitung, Sonderbeilage 4.10.1935, KAH).

Karst 1935 beim Auszug aus den provisorischen Kasernen an der Hansas- traße 33 und 1937 bei einer Parade auf der Mindener Straße (KAH).

Weddigen Die Artillerie-(später: Panzerabwehr-)Kaserne an der Saarstraße/Mindener Straße/Ringstraße (erbaut 1934/35) bezog die Panzer-Abwehr-Abteilung 6 am 16.10.1935. Am 3.7.1938 erhielt sie in Anwesenheit der Familie Wed- digen und einer Marineabordnung den Namen Otto-Weddigen-Kaserne. Der gebürtige Herforder Otto Weddigen war im 1. Weltkrieg U-Boot- Kommandant, versenkte mehrere britische Schiffe und kam bei einem Einsatz im Frühjahr 1915 ums Leben. Er wurde nicht nur in Herford, son- dern reichsweit als großer Held verehrt.

Die Kaserne an der Mindener Straße vor der Benennung und die Estorff- Kaserne (Archiv Geschichtsverein)

Estorff und Stobbe Die Infanteriekaserne zwischen Vlothoer Straße und Stiftskamp (erbaut 1934/35) bezog am 3.10.1935 das I. Bataillon des Infanterieregiments 58

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(ehemaliges Ausbildungsbataillon des Infanterieregiments Osnabrück). Es war schon ab Oktober 1934 provisorisch in zwei leerstehenden Herforder Fabrikgebäuden untergebracht. Die Namensgebung Estorff-Kaserne er- folgte am 17.7.1938. Die Infanteriekaserne zwischen Vlothoer Straße und Stadtholzstra- ße/Ulmenstraße (errichtet 1936/37) wurde am 7.10.1937 durch zwei Er- gänzungsbataillone des Infanterieregiments 58 bezogen. Sie bekam am 17.7.1938 den Namen Stobbe-Kaserne. Beide Namensgebungen erfolgten zu Ehren von Kommandanten des In- fanterieregiments Nr.17, das während des Ersten Weltkriegs in Herford stationiert war. Generalmajor von Estorff war der letzte Friedenskomman- dant, Generalmajor Stobbe der letzte Kriegskommandant.

Schießstände Außerdem entstanden ein Standortübungsplatz auf dem Wittel in der Ge- meinde Bischofshagenmit über 123 ha Größe, ein großer Schießstand in der Gemeinde Schwarzen-moor sowie ein Schießstand mit Munitionslagern und –bunkern im Stuckenberg (Nähe Bismarckturm).

Kasino und Wohnungen Die Wehrmacht errichtete zusätzlich das Offizierskasino (Offiziersheim) der Stobbe-Kaserne an der Von-Kluck-Straße (heute: Liststraße), zahlrei- che Offiziershäuser nahe dem Otto-Weddigen-Ufer und etwa 40 Wohnun- gen für Unteroffiziere und Wehrmachtsangestellte in der Boelkestraße (heute Brahmsstraße). (Vgl. zum Thema insgesamt, auch zu Teilen des Kapitels 19 (Militarisierung): Annette Huss, „Die ganzen Verhältnisse werden hier erheblich krisenfester werden“: Die Kaser- nenbauten in Herford 1934 bis 1937, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford, hrsg. vom kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1998, S. 103 bis 127)

Offizierskasino an der Vlothoer Straße kurz nach Fertigstellung (Archiv Ge- schichtsverein).

Der „Storksche Kotten“ auf dem Stiftberg vor dem Abbruch (Archiv Geschichtsverein).

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19 „Dem Führer verschworen“ Die Militarisierung der Bevölkerung

Den Erstbezug der Kasernen beging die Wehrmachtmit großen Veranstal- tungen und Bürgerbeteiligung. Am 16.10.1935 begrüßten Landrat Hart- mann und Herfords Honoratioren die neue Garnison auf dem Herforder Rathausplatz. Dort fand am 7.11.1935 auch erstmals eine Vereidigung der neuen Rekruten auf Hitler statt. In der „Estorff-Kaserne“ richtete das Mili- tär das Traditionszimmer des früher in Herford beheimateten Infanteriere- giments 17 ein. Alljährlich gab es ein Kasernenfest, wozu die ganze Bevöl- kerung eingeladen war. Auch prägte die Garnison das gesellschaftliche Le- ben der „besseren“ Kreise in Herford mit, während die einfachen Soldaten Garnisonslokale besuchten. Der Reichsluftschutzbund bereitete zusammen mit den Militärs die Herforder Bürgerschaft mit Gasmasken- und Luft- schutzübungen auf den kommenden Krieg vor.

Gasmasken- und Handgranatenübung am Führergeburtstag (KAH, Slg. Fenske).

Gasmasken 1938 waren die „für Herford zur Verfügung gestellten 6.000 Volksgasmas- ken restlos verkauft“. An besonderen Tagen wie dem Führergeburtstag fanden öffentliche Übungen statt.

Luftschutz Am 29.11.1933 gründete sich eine Ortsgruppe des Reichsluftschutzbun- des. In einer Versammlung der Parteigliederungen und der nationalen Verbände wurden Stadtoberinspektor Schnier, Tierarzt Dr. Schiebel, Stu- dienrat Fischer, Stadtsekretär Biermann und Stadtbaurat Messerschmidt in die Leitung berufen. Es gab mehrere Lichtbildervorträge zur Notwendigkeit des Luftschutzes, am 16.3.1934 wurden die Blockwarte als Verantwortli- che für den Luftschutz in ihre Ämter eingeführt.

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Am 3. Mai 1934 gab es die erste Verdunkelungsübung, es folgten in den nächsten Jahren zahlreiche Luftschutzübungen. Die Ausbildung der Luft- schutzwarte wurde intensiviert.

Vereidigung Bei der Rekrutenvereidigung am 7.11.1935 hielt Hermann Kunst, der auch als Standortpfarrer fungierende Pfarrer der Mariengemeinde Stiftberg, ei- ne Ansprache an die Soldaten, in der sich die zunächst weitverbreitete Un- terstützung der NS-Regierung durch die evangelische Kirche, basierend auf der Tradition des preußisch-deutschen Nationalismus und der Luther- schen Theologie des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit ausdrückte: „Ihr seid bis an Euer Lebensende keine Privatpersonen, sondern eine dem Füh- rer des Volkes verschworene Kampfgemeinschaft. Keine Überlegung, kein Reiferwerden entbindet Euch von dem Eid. Das sage ich Euch nicht als ir- gendeine Meinung, das sage ich Euch als ein berufener Diener am Wort.“ (Herforder Kreisblatt, 8.11.1935, KAH).

„Leben einsetzen“ Die Soldaten, die am 7.11.1935 „mit klingendem Spiel“ von ihrer Stiftber- ger Kaserne in die Stadt marschiert waren, leisteten auf dem Herforder Rathausplatz den Eid nicht mehr auf die Verfassung oder das Vaterland, sondern auf Hitler persönlich. Am 1.8.1934 hatte die Reichsregierung das „Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches“ beschlossen:

1. „Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers ver- einigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsiden- ten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Er bestimmt sei- nen Stellvertreter. 2. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung von dem Zeitpunkt des Ablebens des Reichspräsidenten von Hindenburg in Kraft.“ 1)

Da Hindenburg als Reichspräsident auch Oberbefehlshaber der Reichswehr gewesen war, wurde die Reichswehr bei seinem Tod am 2.8.1934 sofort auf den neuen Oberbefehlshaber vereidigt. Ab dem 2.8.1934 lautete die Eidesformel: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deut- schen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehr- macht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“2) ( Anm. 1 und 2 zi- tiert nach Walter Tormin, 1933 – 1934: Die Machtergreifung, in: Eberhard Aleff (Hrsg.), Das Dritte Reich, 9. Aufl., Hannover 1979, S. 59)

Die letzten Worte dieses Eides mussten eigentlich jedem Soldaten klar machen, dass es im Fall eines Krieges für ihn persönlich um Tod oder Le- ben gehen würde.

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Rekrutenvereidigung am 7.11.1935 (KAH).

12.000 Menschen besichtigten im Juni 1937 die neue Kaserne an der Mindener Straße, die nach dem U-Boot-Kommandanten Otto Weddigen benannt wurde (KAH, Slg. Fenske).

Ein Rundgang durch die Ka- sernen „Um es gleich vorweg zu sagen, unsere Soldaten werden sich in den neuen Räumlichkeiten auf dem Stiftberg sicherlich sehr wohlfühlen. Jedes einzelne Zimmer ist mit Zentralheizung versehen. Wenn erst die Soldaten zur Ausschmückung ihrer Unterkunftsräume von sich aus beige- tragen haben, eine Note der Gemütlichkeit in die einzelnen Mannschafts- stuben hinein zu tragen, dann wird es an nichts mehr fehlen. Selbstver- ständlich hat jedes Gebäude seinen Waschraum, so daß auch vom hygie- nischen Standpunkt aus alles in bester Ordnung ist. Man hat es bei alledem nicht versäumt, auch für die geistigen Interessen unserer Soldaten zu sorgen. So sind Lesezimmer vorhanden, in denen zu ‚studieren‘ ganz gewiß viel Freude macht. In einem großen Unterrichts- raum kann man auch Lichtbilder zeigen, was gewiß als Fortschritt zu ver- zeichnen ist und dazu beitragen wird, die umfassende Schulung der Wehrmachtsangehörigen auf eine bedeutsame Höhe zu bringen. In der Küche, aus der wir gestern eine wohlschmeckende Suppe mit Speck und Wurst serviert bekamen, bewundern wir riesige Kessel, Fischbratöfen usw. …“ (Dr. Gustav Röttger, Hauptschriftleiter, in „Stiftberg Hurra, die Soldaten sind da! Ein Rundgang durch die Kasernen.“,Herforder Kreisblatt, 4.10.1935, KAH).

Soldatenlied Im Juni 1935 schlug der Schriftleiter des Kreisblattes vor: „Ein Soldaten- lied für Herford. Es wäre ein Text und die Musik für einen Marsch zu

108 schreiben, der von der Stadtverwaltung dem hier ansässigen Militär ge- widmet ist. Dieser Marsch ist im Kehrreim so abzufassen, daß die Melodie im Charakter eines Marsch- oder auch Soldatenliedes gehalten ist.“ Die Urauf-führung dieses Stückes fand am 16. Oktober 1935 statt.

Musterung Es begann die Musterung aller „wehrfähigen“ Männer. Im ersten Jahr 1936/37 mussten sich 691 junge Wehrpflichtige der Prozedur unterziehen. Aber auch ältere Jahrgänge blieben nicht verschont: 926 Wehrpflichtige der Jahrgänge 1890 bis 1912 erfasste die Wehrmacht. Zur Kriegsvorberei- tung diente auch die „Musterung von Fahrzeugen (150 Krafträder und 128 Kraftfahrzeuge) und die sogar namentliche Erfassung von 426 Pferden.

Treffen der Traditionsgemein- schaft der 17er 1938 in Herford. Das Quartieramt be- fand sich im Verkehrsbüro am Bahnhof, Reden und Aufmär- sche gab es u. a. auf dem Wilhelmsplatz (KAH, Slg. Fenske).

Frontkämpfertreffen In den Jahren vor dem Krieg war das Militär fast täglich in Herford prä- sent. Insbesondere die „Frontkämpfer“ und Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges wurden als Vorbilder gewürdigt. Am 13.3.1937 veranstaltete der Soldatenbund, Verband Herford, auf dem Rathausplatz eine Fahnenweihe. 800 Frontkämpfer suchten den Weg zum Regimentstreffen der ehemaligen 55er Reserve am 30.5.1937. Eine Wo- che später hatten am 6.6. die ehemaligen 369er ihre Wieder-sehensfeier. Am gleichen Tag besichtigten 12.000 Menschen die neuen Kasernen an der Mindener Straße. Wieder eine Woche später fanden sich die ehemali- gen Nachrichtentruppen in Herford ein. Am 20.7.1937 begann der Bau einer Kriegsopfersiedlung an der Frie- denstal- und Oberingstraße. 300 Marine-Hitlerjungen wurden am 18.8.1937 von Partei und Wehrmacht empfangen. Am 5.9.1937 nahmen 25.000 Besucher an einem „Großflug- tag“ an der Elverdisser Straße teil. Am 6.11. desselben Jahres gab es die Feier zum 25jährigen Bestehen der 55er Kameradschaft. Für 1938 berichtet die Stadt: „Die übrigen jährlich wiederkehrenden be- sonders feierlichen Handlungen wie Rekrutenvereidigungen, Heldenge- denktag, Tag der Wehrmacht usw. wurden unter großer Beteiligung der Bürgerschaft abgewickelt“ (KAH). 109

Literaturverzeichnis

A) Primärliteratur − Adreßbuch der Stadt Herford einschließlich Amt Herford- Hiddenhausen 1939 − Aktenmaterial des Kommunalarchivs Herford, Archiv der Stadt und des Kreises Herford (KAH) − Landesarchiv (LA) NRW Detmold, Bestand M4A − Landesarchiv (LA) NRW Detmold, Bestand M2 IP1714 − Das Buch vom Herforder Bauern. Ein handgeschriebenes, handge- zeichnetes und handgefertigtes Buch vom deutschen Volkstum. Dir, Walther Darré, unserem deutschen Bauernführer, widmen wir, die Bauern der Kreise Herford, in brüderlicher Treue dies Buch (KAH) − 15 Jahre treu zum Führer. Zum 15jährigen Bestehen der Ortsgruppe der NSDAP am 7. Mai 1940, o.O.a.J. (Herford 1940) (KAH) − Leistungen der nationalsozialistischen Wohlfahrtspflege, Schriften- reihe der NSV, Heft 4, Zentralverlag der NSDAP., Franz Eher Nachf. GmbH., München-Berlin 1937 − Zur Erinnerung an die Pflanzung der „Hitlereiche“ auf dem Hofe des Herrn Wilhelm Ellerbrok in Herford, in der Masch 76 am 1. Mai 1933 (KAH) − Zeitungen: Herforder Kreisblatt, Neue Westfälische Volkszeitung, NS-Volksblatt für Westfalen (KAH)

B) Interview − Hannah Schwier und Theresa Lampenscherf (im Rahmen des Unter- richts am Friedrichs-Gymnasium Herford), Interview mit der jüdi- schen Zeitzeugin Frau Erika Schöngut (geb. Weinberg) am 24.3.2005

C) Die Texte basieren hauptsächlich auf dem Werk. − Norbert Sahrhage, Diktatur und Demokratie in einer protestanti- schen Region. Stadt und Landkreis Herford 1929 bis 1953, Herforder Forschungen Bd. 18, hrsg. vom Kommunalarchiv Herford und vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 2005

D) Außerdem wurden folgende Aufsätze aus verschiedenen Jahr- gängen des Historischen Jahrbuches für den Kreis Herford ge- nutzt:

− Annette Huss, „Die ganzen Verhältnisse werden hier erheblich kri- senfester werden“. Die Kasernenbauten in Herford 1934 bis 1937, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford, hrsg. vom Kreishei- matverein Herford e.V., Bielefeld 1998, S.103-127

− Norbert Sahrhage, „Völkisch gesinnte Herren gesucht…“ Die An- fänge der NSDAP im Kreis Herford, in: Historisches Jahrbuch für den 110

Kreis Herford 1995, hrsg. vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1994, S.89-122

− Remco Schaumann, Im permanenten Gleichschritt. Der 1. Mai 1933 als „Tag der nationalen Arbeit“ in Herford, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1995, hrsg. vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1994, S.123-136

− Johannes Vossen, Die Gesundheitsämter im Kreis Herford wäh- rend der NS-Zeit. Teil 1: Die Durchsetzung der „Erb- und Rassen- pflege“ in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 1993, hrsg. vom Kreisheimatverein Herford e.V., Bielefeld 1992, S.89-118

E) Weitere Literatur

− Eberhard Aleff (Hrsg.), Das Dritte Reich, mit Beiträgen von Walter Tormin, Eberhard Aleff, Friedrich Zipfel, 9.Aufl., Hannover 1972

− „Als die Amerikaner kamen…“ 50 Jahre danach. Dokumente und Materialien zu Kriegsende und Befreiung in Herford. Archivpädagogi- sche Materialien Nr. 2, bearbeitet von Christoph Laue M.A., Dr. Heinrich Pingel-Rollmann, im Eigendruck Herford 1995

− Dieter Begemann, Eine rote Hochburg mit möglichst viel Sonnen- seite“: Die „Siedlung“ in: 1200 Jahre Herford, Spuren der Geschich- te, hrsg. im Auftrag der Stadt Herford von Theodor Helmert-Corvey und Thomas Schuler. Herforder Forschungen Bd. 2, hrsg. vom Kommunalarchiv Herford/Archiv für Kreis und Stadt Herford, Herford 1989, S.131-156, daraus die Teile: Julius Finke, S.146-148, der 1. Mai 1933, S.149f., Musterkindergarten und Lagerbaracken, S.152- 154

− Stefan Birnbaum, Im Namen der Bürger: Stadtrat und Behörden, in: 1200 Jahre Herford. Spuren der Geschichte, hrsg. im Auftrag der Stadt Herford von Theodor Helmert-Corvey und Thomas Schuler, Herforder Forschungen Bd.2, hrsg. vom Kommunalarchiv Herford/Archiv für Kreis und Stadt Herford, Herford 1989, S.245- 306; daraus der Teil „Die Zeit des Nationalsozialismus“, S.264-266

− Christine und Lutz Brade, Juden in Herford. Verfolgung und Ver- nichtung während des Nationalsozialismus – Herforder Bürger wer- den entrechtet, deportiert und ermordet, in: Christine und Lutz Brade, Jutta und Jürgen Heckmanns (Hg.) Juden in Herford.700 Jah- re jüdische Geschichte und Kultur in Herford, Herforder Forschungen Bd.4, Bielefeld 1990, S.76-93

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− Lutz Brade, Die Aberkennung der Menschenrechte in Deutschland zwischen 1933 – 1945 am Beispiel der Juden aus Herford, Bad Oeynhausen 2001

− Fahne flattert stolz im Wind, wo wir Kameraden sind. Die HJ- Bannführerschule „Herzog Widukind“ in Vlotho 1938-1945, Münster 1996

− Harald Focke, Uwe Reimer, Alltag unterm Hakenkreuz. Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten. Ein aufklärendes Lese- buch, Rowohlt Taschenbuch 580/A4431, Reihe: rororo aktuell, Rein- bek bei Hamburg, 29.-40. Tausend 1980

− Harald Focke, Uwe Reimer, Alltag der Entrechteten. Wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen. „Alltag unterm Hakenkreuz“, Bd.2, Rowohlt Taschenbuch 680/A4625, Reihe: rororo aktuell, Reinbek bei Hamburg 1980

− Markus Fulle, Christoph Laue, Heinrich Pingel-Rollmann, Sandra Schön, “Ein spontaner Ausbruch der Erregung…“. Reich- spogromnacht und Judenverfolgung im Kreis Herford, hrsg. von Ar- chivpädagogen am Kommunalarchiv Herford, Archivpädagogische Materialien Nr. 5, im Eigendruck Herford 2000; daraus: Gunnar Flume, Die Entwicklung der Verfolgung der Juden von 1933 bis zur Reichspogromnacht, S.9-18, mit Materialien; Markus Fulle, Auswan- derung und , S.39-52, mit Materialien; Sandra Schön, Jüdische SchülerInnen in der NS-Zeit, S.29-38, mit Materialien, Kerstin Sudhoff, Die Ereignisse des 9.November 1938 und die nach- folgenden Einschränkungen, S.19-28, mit Materialien

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− Ilse Heidemann, Station 3: Alter Markt, in: Spurensuche – Das andere Herford. Stadtführung durch die Herforder Geschichte 1900 – 1950, Arbeitsgemeinschaft Arbeit + Leben DGB/VHS im Kreis Herford, S.6f.

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F) Schulbücher − Entdecken und Verstehen 4, Ausgabe NRW Realschule, Berlin 2007 − Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Paderborn 2001 − Zeitreise, NRW, Bd. 3, Leipzig 2003 − Zeitreise 3, Stuttgart/ Leipzig 2010

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