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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Kulturlandesrat Helmut Bieler ...... 4

Einleitung ...... 5

Pia Bayer Konsens und Konflikt

I Burgenländische Landespolitik 1922–1927...... 6

Dieter Szorger Demokratie am Wendepunkt

I Die Wehrverbände ...... 12 I Der Republikanische Schutzbund ...... 16 I Die Frontkämpfervereinigung ...... 22 I Die Heimwehrbewegung ...... 27

Pia Bayer, Dieter Szorger 1927

I Schattendorf am Vorabend des 30. Jänner 1927 ...... 30 I Das Ereignis von Schattendorf und die politischen Folgen...... 32

Pia Bayer, Dieter Szorger Biografien

I Josef Grössing ...... 47 I Matthias Csmarits ...... 48 I Josef Tscharmann ...... 49 I Hieronymus Tscharmann ...... 51 I Johann Pinter...... 52

Zeittafel 1921–1927...... 54

Literaturverzeichnis...... 56

Danksagung ...... 58 begleitband kern 21.02.2007 9:49 Uhr Seite 2

VORWORT

Sehr geehrte Damen und Herren!

ie „Schüsse von Schattendorf“ tischen Kontrahenten, die dann im Bür- stehen in der burgenländischen gerkrieg des Jahres 1934 gipfelten. Dund österreichischen Geschichte Wenn wir heute, 80 Jahre nach den für den Beginn des Scheiterns eines erst „Schüssen von Schattendorf“, der Opfer jungen Demokratisierungsprozesses in der von damals gedenken, rufen wir uns nicht Ersten Republik. Die triste wirtschaftliche nur die Vorgänge in der Ersten Republik in Lage führte zu einer Radikalisierung und Erinnerung, sondern wollen auch jene po- in weiterer Folge auch Militarisierung der sitive politische Entwicklung sehen, die politischen Lager. Am Ende dieser Ent- unser Land nach 1945 stark gemacht hat: wicklung standen zwei aufeinanderfol- Ein Miteinander der Parteien nach demo- gende diktatorische Regime, die der jun- kratischen Grundsätzen, den Aufbau eines gen Demokratie in Österreich ein jähes sozialen Netzes sowie die Austragung un- Ende setzten. terschiedlicher Standpunkte im Dialog. Das Ereignis von Schattendorf und Die Ereignisse von Schattendorf sollen der Brand des Justizpalastes symbolisie- uns daher stets als mahnendes Beispiel die- ren heute noch die vermehrte Gewalt- nen, dass Toleranz, Gesprächsbereitschaft bereitschaft in der Gesellschaft durch und das Akzeptieren anderer Meinungen paramilitärische Verbände und eine ge- Grundlagen einer demokratischen Gesell- waltsame Auseinandersetzung von poli- schaft sein müssen.

Helmut Bieler Kulturlandesrat

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EINLEITUNG

as tragische Ereignis von Schatten- „Privatarmeen“ blieben nicht aus. Die Kon- dorf vom 30. Jänner 1927 leitete in- flikte wurden zahlreicher und heftiger und er- Ddirekt jene Radikalisierung der reichten ihren ersten tragischen Höhepunkt österreichischen Innenpolitik ein, an deren am 30. Jänner 1927 in Schattendorf, als bei Ende die Abschaffung der parlamentari- einer Auseinandersetzung zwischen Front- schen Demokratie und die Auflösung der kämpfern und Schutzbündlern auf sozialde- Parteien standen. mokratischer Seite der Klingenbacher Schutz- bündler Matthias Csmarits und der sechsjäh- Im Burgenländischen Landtag herrschte rige Josef Grössing erschossen wurden. zwischen Sozialdemokaten und Christlich- sozialen darüber Konsens, keine Wehrfor- Als ein Geschworenengericht die ver- mationen zu gründen. Konflikte sollten mit meintlichen Todesschützen am 14. Juli Worten und nicht mit Waffen ausgetragen 1927 freisprach, kam es in Wien zu heftigen werden. Diese Vereinbarung hielt bis Massendemonstrationen und am 15. Juli 1925/26 als die Frontkämpfervereinigung zum Justizpalastbrand. Die blutigen Aus- damit begann, in den Bezirken , schreitungen forderten letztendlich 89 Tote und Ortsgrup- und über 600 Verletzte. pen zu gründen. Dem folgte der planmäßige Aufbau des Republikanischen Schutzbundes. Österreich stand am Rande eines Bürger- Reibereien und erste Schlägereien dieser krieges.

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KONSENS UND KONFLIKT

„Ernster Wille, Schaffensfreude und Begeisterung für das öffentliche Wohl wir- ken zu wollen, sind die Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Das burgenländische Volk muß auch zur Erkenntnis gelangen, daß politische Gegnerschaft nicht Feindschaft bedeutet, daß wir trotz gegensätzlicher An- schauungen nebeneinander leben müssen und daß dieses Leben für uns alle nur dann erträglich wird, wenn jeder die Rechte seines Mitmenschen achtet, wenn niemand in der Ausübung seiner Rechte gestört und wenn auch bei Meinungs- verschiedenheiten ein mittlerer Weg gefunden wird, der auch für den politi- schen Gegner gangbar ist.“

(aus der Antrittsrede von Landeshauptmann Josef Rauhofer am 4.1.1924, Stenographisches Protokoll)

BURGENLÄNDISCHE LANDESPOLITIK 1922–1927

m 1. Jänner 1922 fand die Land- zialdemokraten, 10 für die Christlichsozia- werdung des Burgenlandes mit len, 6 für den Bauernbund und 4 Mandate Ader Übergabe des Ödenburger für die Großdeutsche Volkspartei. Abstimmungsgebietes an Ungarn (bis auf Die ersten Wahlen im spie- kleine Grenzkorrekturen) ihren Abschluss. gelten deutlich die politische Struktur des Am 18. Juni 1922 erfolgte die erste Land- Landes wider: Die Sozialdemokratische Ar- tagswahl im Burgenland und diese brachte beiterpartei rekrutierte den Großteil ihrer einige Überraschungen: Die Sozialdemo- Wähler aus den Wanderarbeiterorten des kraten erreichten 38,1% der Stimmen und nördlichen Burgenlandes. Darüber hinaus wurden damit stärkste Fraktion im Land- war es ihr gelungen, auch viele Landarbei- tag, während die Christlichsozialen mit ter der Gutshöfe, Kleinbauern und Klein- 31,2% nur den zweiten Platz errangen. pächter, die wirtschaftlich und gesellschaft- Der Sieg der Sozialdemokraten war ge- lich nicht besser gestellt waren als die Ar- nauso überraschend wie das gute Ab- beiter, für sich zu gewinnen. schneiden des Burgenländischen Bauern- Das mittlere Burgenland (Bezirk Ober- bundes, der mit 17,1% deutlich die Groß- pullendorf) teilte sich in zwei politische deutsche Volkspartei mit 12,8% überflü- Landschaften – in die sozialdemokrati- gelte. Umgemünzt auf die Mandatsvertei- schen Dörfer des nördlichen Stoobtales lung bedeutete dies 13 Mandate für die So- und des Beckens von Deutschkreutz – die

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KONSENS UND KONFLIKT

vorwiegend Wanderarbeiter bewohnten, Während es auf Bundesebene Dr. Ignaz sowie in den konservativen Süden und Seipel gelungen war, eine Koalition von Westen des Bezirkes, wo vor allem bäuerli- Christlichsozialen und Großdeutschen zu che Strukturen vorherrschten. bilden (im Mai 1922 und damit am Höhe- Die drei südlichen Bezirke waren über- punkt des burgenländischen Wahlkamp- wiegend konservativ, wobei aber nicht die fes), gelang es dem sozialdemokratischen Christlichsoziale Partei, sondern der Bau- Parteiführer Ludwig Leser, im Burgenland ernbund die stärkste Partei stellte. eine bürgerliche Koalition zu verhindern. Die Kroaten – rund 15% der burgenlän- Am 19. Juli 1922 konstituierte sich die ers- dischen Bevölkerung – wählten nicht ein- te Regierung des Burgenlandes als Konzen- heitlich eine Partei, sondern waren in zwei trationsregierung. Landeshauptmann wur- Lager gespalten: Während jene des mittle- de der parteiunabhängige bisherige Landes- ren und südlichen Burgenlandes dem verwalter Dr. Alfred Rausnitz. christlichsozialen Lager angehörten, hatten sich ihre nördlichen Volksgenossen der So- Zu den heikelsten Problemen, die es um- zialdemokratie angeschlossen. gehend zu lösen galt, zählte die Schulfrage.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Die erste burgenländische Landesregierung (1922-1923) Stehend (von links nach rechts): LR Viktor Voit (BBd), er folgte am 30.1.1923 LR Gustav Walter, LR Dr. Alfred Walheim (GdP), LAD Dr. Hugo Reissig, LR Alfred Ratz (CsP), LR Ernst Hoffenreich (SdP). Sitzend (von links nach rechts): LH-Stv. Franz Stesgal (CsP), LH Dr. Alfred Rausnitz (parteilos), LH-Stv. Ludwig Leser (SdP).

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KONSENS UND KONFLIKT

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Die erste burgen- ländische Land- tagssitzung in einem Vortrags- saal der heutigen Martinskaserne, 15. Juli 1922.

Im Unterschied zu Österreich, wo seit dem gert wurde, konnte im Juli 1923 durchge- Reichsvolksschulgesetz von 1867 der Staat bracht werden. Der Schulstreit blieb nach für die Schule verantwortlich war und im wie vor brisant und war indirekt auch die Wesentlichen deren Lerninhalte be- Ursache für den Sturz des Landeshaupt- stimmte, standen die Schulen in Ungarn mannes Rausnitz, der in dieser Angelegen- bis auf geringe Ausnahmen unter der Auf- heit immer mehr zur Christlichsozialen sicht der Kirche, insbesondere unter jener Partei tendierte. Zum unmittelbaren Anlass der katholischen. Diese Zustände waren für den Sturz von Rausnitz wurde seine für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Haltung in der Landeshauptstadtfrage, in sowohl ideologisch als auch machtpolitisch der sich dieser für das „ unerträglich – das „klerikale Monopol“ auf Projekt“ exponierte. Dieses sah vor, die Bildung sollte ein für alle mal gebrochen alte Theresianische Akademie aus der übri- werden. Der „Angriff“ auf das Schulgesetz gen Stadt herauszulösen und zum burgen- erfolgte aber nicht von sozialdemokrati- ländischen Regierungssitz zu machen – ein scher Seite selbst, sondern wurde vom Plan, den man Rausnitz ankreidete. Schulreferenten und großdeutschen Abge- Um einem Misstrauensantrag zu ent- ordneten Dr. Alfred Walheim eingebracht. gehen, demissionierte Rausnitz selbst am Der Antrag wurde auch von den Bauern- 14. Juli 1923. Dieser Rücktritt erfolgte in bündlern unterstützt. Mit dieser Mehrheit der gleichen Landtagssitzung, in der die gelang es, die Christlichsoziale Partei zu politischen Parteien die Übereinkunft ge- überstimmen, allerdings wurde das Gesetz schlossen hatten, keine privaten Wehrfor- auf Bundesebene blockiert. Nur das Schul- mationen aufzustellen bzw. solche zu un- pflichtgesetz, in dem die bisherige sechs- terstützen. Noch am selben Tag wurde jährige Schulpflicht auf acht Jahre verlän- Dr. Alfred Walheim zum neuen Landes-

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KONSENS UND KONFLIKT

hauptmann gewählt. Die dadurch freige- legt, ihre radikalen und dem Partner unan- wordene Landesratstelle, die proporzmäßig genehmen Forderungen beiseite zu lassen den Sozialdemokraten zufiel, wurde von oder nur gemeinsam zu lösen. Zur ersten Ignaz Till besetzt. Die neue Stärke der Sozi- Bewährungsprobe der großen Koalition aldemokratischen Arbeiterpartei kam de wurde wiederum die Schulfrage. Der über- facto kaum mehr zum Tragen, da das ganze raschend schnelle Kompromiss in dieser Jahr 1923 von einem scharfen Wahlkampf Angelegenheit hatte seinen Grund vor al- – zuerst Gemeinderatswahlen (25. März), lem in der Tatsache, dass beide Parteien dann Nationalrats- und Landtagswahlen massive parteiinterne Probleme – in erster (21. Oktober) – erfüllt war. Linie Flügelkämpfe und interner Wider- stand gegen die Koalition – zu lösen hatten Die Landtagswahlen mit einer erschre- und sich einen Bruch der Koalition nicht ckend niedrigen Wahlbeteiligung von nur leisten konnten. Im Frühjahr 1925 erlitt die 70% brachten für die Sozialdemokraten, mit Koalition einen schweren Rückschlag: Lan- einem Verlust von 3.000 Stimmen, eine deshauptmann Rauhofer sah sich außer große Enttäuschung. Die geringe Wahlbe- Stande, seine Partei weiter zu führen und teiligung hatte eine ihrer Ursachen in der kapitulierte. Er nahm die Landeshauptstadt- Wahlmüdigkeit, die sich besonders bei den frage zum Anlass, am 30. April 1925 über- Wanderarbeitern, die fast ausschließlich so- raschend zurückzutreten. An diesem Tag zialdemokratische Wähler waren, auswirkte. entschied der Landtag, aus den drei in die Der Christlichsozialen Partei hingegen engere Auswahl kommenden Orten Eisen- gelang es, über 5.000 Stimmen dazu zu ge- stadt, Sauerbrunn und Pinkafeld ersteren winnen, und darüber hinaus den Ruf einer zum „Sitz der Landesregierung“ zu wählen „Magyaronenpartei“ loszuwerden. – Rauhofer hatte sich für Sauerbrunn einge- Die Großdeutsche Partei musste die setzt und hielt das „Eisenstädter Projekt“ schwersten Verluste hinnehmen, sie verlor für finanziell nicht durchführbar. 80% ihrer Stimmen. Nach langen Verhandlungen kam es Die Demission Rauhofers führte zu einer Ende 1923 zum Abschluss eines rot- schweren politischen Krise, die sich bis De- schwarzen Koalitionsabkommens und am zember 1925 hinzog („Lesers Interre- 4. Jänner 1924 schließlich zur Konstituie- gnum“ kontra der Versuch einer Christlich- rung des neuen Landtages und zur Wahl sozialen-Landbund-Koalition). Erst dann der neuen Regierung. Zum Landeshaupt- kam es wieder nach längeren Parteienver- mann wurde der Christlichsoziale Josef handlungen zu einer Konzentration aller Rauhofer gewählt. drei Parteien des burgenländischen Landta- Der Beginn der Ära Rauhofer verlief ges. Der neuen Regierung standen erneut überraschend ruhig und politisch ausgegli- Rauhofer und als sein Stellvertreter Leser chen. Die beiden Regierungsparteien hatten vor. Die folgenden Monate verliefen ruhig in ihren Koalitionsvereinbarungen festge- und konstruktiv, die gespannte Atmosphäre

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KONSENS UND KONFLIKT

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

„Eisenstadt muss Hauptstadt wer- den!“ Bereits im Jahre 1923 fand hinsichtlich der Landeshaupt- stadtfrage ein De- monstrationszug in Eisenstadt statt, 3. Juli 1923.

bei den Landtagsdebatten war einem sach- Was den Wahlkampf für die Landtags- lichen Ton gewichen und auch die Partei- und Nationalratswahlen betraf, so hatten presse gab sich moderat. Dieses friedliche die Sozialdemokraten und die Christlichso- Bild der burgenländischen Politik wurde zialen in Hinblick auf die Ereignisse von allerdings durch die so genannte Mandats- Schattendorf ein Übereinkommen getroffen: aberkennungsaffäre Walheim und Voit ge- „die Parteien verpflichten sich, den Wahl- trübt, im Zuge derer die Christlichsozialen kampf mit sachlichen Argumenten zu füh- und Bauernbündler aneinander gerieten. ren und auf ihre Angehörigen nachdrück- Es kam wieder zu einer politischen Krise, lich einzuwirken, daß jede Störung der geg- bis die Bauernbündler im April 1926 in nerischen Agitation mit gewaltsamen Mit- Opposition gingen. teln unterbleibe. Insbesonders verpflichten Wenige Monate später begann der Wahl- sich die unterfertigten Parteienvertreter, ihre kampf für die am 24. April 1927 stattfin- Parteiangehörigen von Störungen und denden Landtags- und Nationalratswahlen. Sprengungen der Versammlungen abzu- Diese sollten, so hofften die beiden großen halten.“ (Eisenstadt, am 7. März 1927, un- Parteien, eindeutige Mehrheiten bringen. terzeichnet von Ludwig Leser und Johann Bei den Gemeinderatswahlen am Thullner, Burgenländische Heimat, 20. März 1927, die sich durch eine er- 11.3.1927) höhte Wahlberechtigung und eine starke Wie im übrigen Bundesgebiet bemühte Wahlbeteiligung auszeichneten, gelang es sich die Christlichsoziale Partei im Wahl- sowohl den Sozialdemokraten als auch den kampf auch im Burgenland, eine Einheitsli- Christlichsozialen, im Vergleich zu den Ge- ste aller bürgerlichen Parteien aufzustellen. meinderatswahlen 1923 beträchtliche Stim- Während das christlichsoziale Werben um men zu gewinnen. den Landbund wieder einmal fehlschlug,

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KONSENS UND KONFLIKT

gelang mit den Großdeutschen und der tagsmandat gewonnen, die erhoffte Ent- Kroatenpartei eine Einigung auf eine Ein- scheidung aber war ausgeblieben. heitsliste. Den beiden kleineren Parteien Nach vierwöchigen Verhandlungen war wurden entsprechende Mandate einge- das Ergebnis wieder ein Kompromiss: eine räumt, so auch dem Führer der Kroaten- Konzentrationsregierung unter Landeshaupt- partei, Dr. Lorenz Karall, der sich bald an mann Josef Rauhofer. Sein Stellvertreter die Spitze der Christlichsozialen Partei em- wurde erneut Ludwig Leser. porarbeiten sollte. Die Wahl ergab dann folgendes Resultat: Die Einheitsliste erhielt 42,38%, auf die Sozialdemokratische Arbeiterpartei entfie- len 40,80% und der Landbund errang 16,66% der Stimmen. Für die Mandatsver- teilung bedeutete dies: 14 für die Einheits- liste (3 für den NR), 13 für die Sozialdemo- kraten (3 für den NR) und 5 Mandate für den Landbund (1 für den NR). Damit hat- ten die beiden großen Parteien je ein Land- „Gleichenfeier“ des Landhauses, 22. Oktober 1927. Fotos: Burgenländisches Landesmuseum

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

„Wir haben uns hier im Gespräch mit den führenden Herren der christlich- sozialen Partei wie auch des Landbundes immer auf dem Wege begeben, daß im Burgenland die Bewaffnung irgendeiner Formation etwas sehr schädliches ist, was man unterdrücken muß. Wir haben das nicht nur aus innerpolitischen Gründen …, sondern auch aus außerpolitischen Gründen getan, weil wir fin- den, daß es direkt eine Gefährdung des Landes ist, wenn hier irgendwelche be- waffnete Gruppen errichtet werden. Die Waffen gehören in die Hand des Solda- ten, Gendarmen oder Polizisten. Im politischen Kampfe sollen wir in diesem Grenzland den Grundsatz gelten lassen: die Waffen nieder.“

(SdP-Landesrat Ernst Hoffenreich in der Landtagssitzung vom 14. Juli 1923, Stenographisches Protokoll)

DIE WEHRVERBÄNDE

er Ursprung der paramilitärischen stärkt wurde. Diese Heimatwehren bildeten Verbände liegt in der Zeit unmit- den Kern der späteren Heimwehrbewe- Dtelbar nach dem Ersten Weltkrieg gung. begründet. Als ehemalige Soldaten und ent- Auch die Arbeiterbewegung schritt zur lassene Kriegsgefangene der geschlagenen Selbsthilfe, indem sich in den Industrieorten k.u.k. Armee in ihre Heimat zurückkehren so genannte Arbeiterwehren formierten, die wollten, kam es immer wieder zu Plünde- den Schutz der Industriebetriebe und somit rungen und Zwangsrequirierungen. Eine der Arbeitsplätze zum Ziel hatten. Bereits Zentralmacht vermochte den Landbewoh- 1919 kam es in Neufeld als Reaktion auf nern „Deutschösterreichs“ nicht zu helfen die Zwangsmaßnahmen des Horthy- und sie schritten zur Selbsthilfe. Spontan Regimes zur Gründung der ersten burgen- formierten sich Volksmilizen oder Heimat- ländischen Arbeiterwehr. Ende August wehren. In Kärnten und der Steiermark 1921, als im Zuge der ersten Landnahmen wurden die Wehrformationen zur militäri- die österreichische Gendarmerie bei Agen- schen Abwehr der Gebietsansprüche Slowe- dorf in schwere Gefechte verwickelt wurde, niens eingesetzt. Dazu kam in der ländli- war es die Neufelder Arbeiterwehr, die den chen Bevölkerung eine sich verstärkende Gendarmen zu Hilfe eilte. Als Wehrforma- Abneigung gegenüber dem sozialdemokra- tion der Sozialdemokratischen Arbeiterpar- tisch geführten „roten Wien“, die durch die tei wurde im Jahr 1923 in Wien der Schutz- revolutionären Strömungen in Europa, be- bund gegründet. Dessen planmäßiger Auf- sonders in Bayern und Ungarn, noch ver- bau im Burgenland begann im Jahr 1926.

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Die SS bzw. SA der Nationalsozialisten lastes stellte schließlich auch das bürgerli- und die Frontkämpfervereinigung Deutsch- che Lager seine Wehrformation auf: die österreichs sind die bedeutendsten Wehr- Heimwehr bzw. den „Heimatschutzver- formationen, die dem „Dritten Lager“ zu- band Burgenland“. zurechnen sind. Während erstere im Bur- Ende 1927 standen sich im Burgenland genland in den Jahren vor 1927 kaum eine ca. 10.000 Heimwehrler, 3.000 Schutz- Rolle spielten, leitete die Gründung der bündler und einige Hundert Frontkämpfer Ortsgruppen der Frontkämpfervereinigung schwer bewaffnet gegenüber. Die politi- eine für das Burgenland und die Erste Re- schen Konflikte verlagerten sich mehr und publik verhängnisvolle Entwicklung ein. mehr auf die Straße, das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Demokratie Der von den burgenländischen Parteien sank und besonnene Politiker verloren zu- in den Anfangsjahren der „Ersten Repu- sehends an Einfluss. Die jeweiligen Positio- blik“ gemeinsam getragene Kurs des politi- nen wurden immer gegensätzlicher und schen Konsenses war ausschlaggebend da- alle Parteien ließen den Willen zum Kon- für, dass es – anders als in den übrigen sens zunehmend vermissen. Bundesländern – vorerst nicht zur Grün- dung von „Privatarmeen“ der Parteien In einem Auszug aus dem Lagebericht kam. Aus Rücksicht auf die bevorstehende des Bezirkshauptmannes von Mattersburg Aufbauarbeit und mit Bedacht auf die sen- vom 1. November 1927 beschrieb dieser sible Situation im Bezug auf den auf Revi- die politische Situation wie folgt: sion des Vertrages von St. Germain hoffen- „Die allgemeine politische Lage im den ungarischen Nachbarn, einigten sich Bezirke ist unverändert, die Spannung die im burgenländischen Landtag vertrete- zwischen den zwei politischen Parteien nen Parteien im Zuge einer Landtagssit- dauert naturgemäss fort. Es ist eine all- zung (14. Juli 1923), auf den Aufbau von gemeine Rüstung beider Parteien, bezw. Privatarmeen zu verzichten. Dieser Grund- Parteigarden wahrzunehmen, welcher Um- konsens wurde von der Frontkämpferverei- stand früher oder später unbedingt zu ei- nigung 1925/26 verlassen. Auf die Grün- nem katastrophalen Ende führen wird. dung von Ortsgruppen in den Bezirken Ei- An Sonn- und Feiertagen finden Aufmär- senstadt und Mattersburg reagierte die So- sche statt, die weder der Oeffentlichkeit zialdemokratische Arbeiterpartei mit der noch den Veranstaltern nützlich sind Aufstellung des Republikanischen Schutz- und vom Standpunkte der Sicherheit für bundes. Als Reaktion auf die „Schüsse von das Volk eine unmittelbare Gefahr dar- Schattendorf“ und den Brand des Justizpa- stellen.“

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Wehrverbände im Burgenland: Heimatschutzverband Republikanischer Frontkämpfervereinigung Burgenland: Schutzbund: Deutschösterreichs: 327 Ortsgruppen, Landesver- 61 Ortsgruppen, Landes- 23 Ortsgruppen, Landesleitung band in Mattersburg, Bezirks- organisation in Eisenstadt, in Eisenstadt, vertreten nur in organisationen in Neusiedl, Bezirksorganisationen in Eisen- den Bezirken Eisenstadt, Eisenstadt, Mattersburg stadt, Mattersburg, Neutal Mattersburg und Oberpullendorf (für den Bezirk Oberpullendorf), Oberwart

Ort Heimatschutz Schutzbund Frontkämpfer X X X Baumgarten X X Draßburg X X X X X X X X X X Loipersbach X X X Marz X Mattersburg X X X Neudörfl X X Neustift X Pöttelsdorf X Pöttsching X Rohrbach X X X Schattendorf X X X X Sigleß X X X Stöttera X X X Walbersdorf X X Wiesen X X X Zemendorf X X Wehrformationen im Bezirk Mattersburg Quelle: BLA, Vereinsakten

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Ort Heimatschutz Schutzbund Frontkämpfer Breitenbrunn X Donnerskirchen X Eisenstadt X X X Großhöflein X X Hornstein X X Kleinhöflein X Klingenbach X X Leithaprodersdorf Loretto X Mörbisch X X Müllendorf X X Neufeld X X Oggau X X Oslip X X Purbach X Rust X St. Georgen X St. Margarethen X X X Schützen a. G. X Siegendorf X X Steinbrunn X X Stotzing X Trausdorf X X X Wimpassing X Wulkaprodersdorf X Zagersdorf X X X Zillingtal X X Wehrformationen im Bezirk Eisenstadt Quelle: BLA, Vereinsakten

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

„Die burgenländische Sozialdemokratie hat den Knüppel als politisches Argu- ment bisher abgelehnt. Wer aber glaubt, daß sie ruhig zuschauen wird, wie an- dere Prügelgarden organisieren, um auf sie loszustürzen, der irrt … Wir werden den Frontkämpfern unseren Republikanischen Schutzbund auch im Burgenland entgegenstellen.“ (Burgenländische Freiheit, 21. Mai 1926)

DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND

ie Gründung des Republikani- und die Gendarmerie in ihrem Kampf ge- schen Schutzbundes, der „Partei- gen die ungarischen Freischärler unter- Darmee“ der Sozialdemokrati- stützt. Der Schutzbund verfügte über ein schen Partei, erfolgte am 19. Februar 1923. beachtliches Waffenarsenal. Zahlenmäßig Zur eigentlichen Geburtsstunde wurde aber war die Organisation in Wien sowie in den bereits der Parteitag der Sozialdemokrati- Industriegebieten Oberösterreichs, Nieder- schen Arbeiterpartei Deutschösterreichs österreichs, Kärntens und der Steiermark (SDAP) von 1922. Kurz nach dem Aus- am stärksten. scheiden der Sozialdemokratie aus der Re- gierungsverantwortung und dem Verlust Ein erstes Auftreten des Schutzbundes der Macht und damit des Einflusses auf im Burgenland erfolgte am 10. Juli 1925, Exekutive und Volkswehr sah man in der am sozialdemokratischen Ordnertag in Ei- Gründung des Schutzbundes die einzige senstadt. Daran nahmen Schutzbundeinhei- Möglichkeit, die Interessen der Sozialdemo- ten aus Niederösterreich teil. Die Veranstal- kratie zu schützen. Mit Dr. Julius Deutsch tung wurde zur Machtdemonstration. Ne- stand nicht nur ein guter Organisator an ben einer politischen Kundgebung standen der Spitze, Deutsch war auch der erste ursprünglich auch militärische Gelände- Heeresstaatssekretär der Ersten Republik übungen im Leithagebirge am Plan. Diese gewesen. wurden allerdings nach Protesten der Der Schutzbund entstand aus der Tradi- Christlichsozialen Partei abgesagt. tion der Arbeiterwehren und war als Ge- genpol zu den Wehrformationen der 1925/26 begann die monarchistische „Rechten“ konzipiert. Die Arbeiterwehren Frontkämpfervereinigung, vermehrt Orts- hatten bereits bei den Kämpfen um das gruppen zu gründen, was die SDAP als Af- Burgenland eine wichtige Rolle gespielt front wertete. Zunehmend kam es zu Aus-

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Sozialdemokratischer Ordnertag in Eisenstadt, 10. Juli 1925.

einandersetzungen, die von Frontkämpfern Christlichsozialen Partei, das den Verzicht provoziert wurden. Als Reaktion darauf be- auf Wehrverbände vorsah, gebunden. Auf gann die Sozialdemokratische Arbeiterpar- dieses „Wettrüsten“ der beiden Waffenver- tei bis Jahresmitte 1926, erste Schutzbund- bände musste schließlich auch das bürger- ortsgruppen zu gründen – zu Beginn in liche Lager reagieren. Nur wenige Monate den „roten Hochburgen“ Neufeld und nach dem Schutzbund begann die Aufstel- Steinbrunn. Bis zu diesem Zeitpunkt fühlte lung der Heimwehr, die im Burgenland die man sich an ein Parteiabkommen mit der Bezeichnung „Heimatschutz“ führte.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Schutzbundauf- marsch in Eisen- stadt, (ohne Jahresangabe).

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

18 begleitband kern 21.02.2007 9:49 Uhr Seite 17

DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung – Parteiarchiv SDAP

Beitrittserklärung

Anfangs war es Strategie der SDAP, auf ge- Konflikte der beiden Gruppen zu verhin- meldete Veranstaltungen der Frontkämpfer dern, sah sich die Bezirkshauptmannschaft durch das Anmelden von Gegenveranstal- oftmals dazu gezwungen, beide Veranstal- tungen der Partei zu reagieren. Um offene tungen behördlich zu untersagen. In Schat-

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung – Parteiarchiv SDAP

Aufforderung zum Ordnerdienst

tendorf verließ man am 30. Jänner 1927 die- starken des „linken“ Schutzbundes sah man sen Weg und verzichtete darauf, die Gegen- eine ernste Gefahr für die eigene Sicherheit. veranstaltung behördlich zu melden. Man konnte sich schließlich auf ein Aufrüs- Jenseits der Grenze, in Ungarn, beobach- tungsverbot aus dem Friedensvertrag von tete man das Aufrüsten im Burgenland mit St. Germain beziehen. Ungarische Zeitungen einem wachsamen Auge. Besonders im Er- äußerten sich sehr kritisch gegenüber den –

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

aus ihrer Sicht vom Schutzbund provozier- ten Schutzbündler das Feuer. Der folgende ten – Auseinandersetzungen im Burgenland. Bürgerkrieg kostete 239 Österreichern das Über die Ereignisse von Schattendorf wurde Leben. Auch im Burgenland kam es im Fe- in ungarischen Medien ausführlich berich- bruar 1934 zu Kampfhandlungen zwischen tet. Als zu den Begräbnissen der Opfer des dem Schutzbund und der Gendarmerie, die 30. Jänner mehr als 10.000 Personen – da- bei der Niederschlagung des Aufstandes von runter viele Schutzbündler in Uniform – ka- der Heimwehr unterstützt wurde. men, mobilisierte die ungarische Seite die Gendarmerie. Allein in Agendorf gingen 150 Der Schattendorfer Schutzbund war ei- ungarische Gendarmen in Stellung. ner der ältesten des Landes. Am 18. Mai 1926 gab die „Zentralleitung“ des Republi- Die Leitung des Schutzbundes war jener kanischen Schutzbundes in Wien die not- der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei un- wendige Zustimmung zur Gründung einer terstellt. Neben der Landesleitung, die lange Ortsgruppe Schattendorf, die Obmann von Koloman Tomsich geführt wurde, exis- Julius Deutsch persönlich gegenzeichnete. tierte noch eine hierarchische Struktur auf Die Gründungsanzeige wurde dem Amt Bezirksebene. Die Mitglieder des Republika- der Burgenländischen Landesregierung nischen Schutzbundes entstammten fast aus- bzw. der Bezirkshauptmannschaft Matters- schließlich deutschen und kroatischen Arbei- burg am 13. Juli 1926 übermittelt. Propo- terfamilien bzw. waren Land- oder Wander- nent und erster provisorischer Leiter war arbeiter. In der Folgezeit sollte es der Schutz- Andreas Allram. Am 5. September 1926 bund bis auf 3.000 Mitglieder im Burgen- kam es schließlich zu der Gründungsver- land bringen, österreichweit waren es mehr sammlung, im Zuge derer Michael Tranker als 80.000 (1928). Im März 1930 wurde zum Obmann gewählt wurde. Bei dieser eine eigenständige Landesorganisation ge- feierlichen Versammlung waren 240 gründet, die in Bad Sauerbrunn, Schulgasse Schutzbündler anwesend, darunter auch 130, ihren Sitz hatte. Gleichzeitig entstan- Genossen aus den Ortsgruppen Sauer- den in Eisenstadt, Neutal, Mattersburg und brunn, Wiesen und Sigleß, die dazu eigens Oberwart Bezirksorganisationen. mit dem Zug angereist waren. Nach einem Bericht des Polizeikommissariates Eisen- Am 30. März 1933 wurde die Wehrfor- stadt zählte der Schattendorfer Schutz- mation der Sozialdemokratie verboten, be- bund ca. 200 Mitglieder. Der Wirkungsbe- stand im Untergrund als schlagkräftige Or- reich der Ortsgruppe war auf den Bezirk ganisation aber noch weiter. Am 12. Fe- Mattersburg beschränkt. Ihr Ende kam am bruar 1934 kam es schließlich zur Katastro- 30. März 1933, die Streichung des Vereins phe: Im Zuge von Hausdurchsuchungen im aus dem Vereinsgrundbuch folgte am Arbeiterheim „Hotel Schiff“ in Linz eröffne- 16. Mai 1933.

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

In den Satzungen der „Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs“ steht gleich zu Beginn ihr Leitspruch, der lautet: „Allgemeines Volkswohl geht vor kleinlicher Parteipolitik.“ Und weiter: „Zweck des Verbandes (ist die) Pflege der Liebe zur Heimat und zum deutschen Volk bei Ausschaltung aller Partei- und Klassengegensätze, Un- terstützung der öffentlichen Sicherheitsorgane zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung (und) Schutz von Personen gegen jeden Terror …“

DIE FRONTKÄMPFERVEREINIGUNG

nmittelbar nach Kriegsende fan- Salzburg und in der Steiermark. Im Bur- den sich ehemalige Offiziere genland fasste die Organisation im Jahr Uzum „Bund für Ordnung und 1923 Fuß. Wirtschaftsschutz“ zusammen. Kurze Zeit später wurden auch niedrigere Chargen in Das ideologische Korsett der Bewegung die Vereinigung aufgenommen und so die hatte eine auffallende Nähe zur NSDAP. Organisation zusehends verbreitert. Man Neben einem Arierparagraphen, einem be- gab sich den Namen Frontkämpfervereini- tonten Antimarxismus, dem Führerprinzip, gung Deutschösterreichs. Ziele der Verei- dem expliziten Anschlusswunsch, der Ab- nigung waren die „Vereinigung aller ari- lehnung der demokratischen Republik und schen Frontkämpfer“ sowie die „Pflege einem profunden Militarismus fanden sich der Liebe zur Heimat“. Juden, Kommunis- auch legitimistische Ansätze im Programm ten und Sozialdemokraten waren von An- der Bewegung. fang an ausgeschlossen. Das Rekrutie- rungspotential dieser militanten Vereini- Die Frontkämpfer trugen eine eigene Uni- gung ist nicht zu unterschätzen: Immer- form mit einer markanten Uniformmütze. hin wohnten der konstituierenden Vollver- Gefährlich war die Vereinigung auf Grund sammlung am 30. April 1920 bereits mehr ihrer Entschlossenheit und der guten Aus- als 2.000 Mitglieder bei. Gründungsmit- bildung ihrer Mitglieder. Kaum ein Mitglied glieder der Frontkämpfervereinigung wa- war nicht geübt im Umgang mit Schusswaf- ren u. a. Oberst Hermann Ritter von Hiltl, fen. Die Rekrutierungsbestrebungen wur- Hauptmann Anton Seifert (beide traten im den mit der Verabschiedung des Linzer Pro- Jänner 1927 im Burgenland in Erschei- gramms der Sozialdemokratie von 1926 nung) und Major Emil Fey. Es folgte der noch beschleunigt. Die Frontkämpfer boten organisatorische Aufbau in Oberösterreich, sich infolge allen nichtmarxistischen Par-

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Erste Tagung der burgenländischen Frontkämpfer Deutsch- österreichs, Bahn- hof Eisenstadt, 12. August 1923.

teien als Saalschutz an. Sitz der Frontkämp- verbandes Oberst Hiltl die Gründung eines fervereinigung Deutschösterreichs war die eigenständigen Landesverbandes der Front- Rasumofskygasse im III. Bezirk in Wien. kämpfervereinigung behördlich an. Vom dortigen „Reichsverband“ ging die Ver- breitung der Bewegung aus. Die Vereinigung war durchaus erfinde- Im Burgenland sind bis ins Jahr 1927 risch in der Art der Verbreitung. Nachdem zwei Gründungswellen zu konstatieren. die burgenländischen Behörden Neugrün- 1923 wurden die Ortsgruppen Eisenstadt dungen von politischen Organisationen auf und St. Margarethen gegründet. An der Basis des Vereinsgesetzes aus dem Jahr ersten Tagung der burgenländischen Front- 1867 nur sehr eingeschränkt zuließen, ging kämpfer in Eisenstadt am 12. August 1923 man in den burgenländischen Gemeinden nahmen bereits über 400 Mitglieder, da- dazu über, „Zahlstellen“ anstatt selbststän- runter sehr viele Kameraden aus Wien, teil. diger Vereine einzurichten. Eine Zahlstelle sollte lediglich zur Abwicklung der Mitglie- Zur Jahreswende 1925/26 folgte eine derbetreuung des Bundesverbandes dienen. weitere Gründungswelle. Ortsgruppen- Derart umging man geschickt ein zu erwar- gründungen wurden aus Oslip, Deutsch- tendes Verbot der Gründung, da der Haupt- kreutz, Nikitsch, Wiesen, Rohrbach, Loi- verband in Wien regulär gemeldet war. Im persbach und Schattendorf gemeldet. Bis Laufe des Jahres 1928 wurde eine neue zum Jänner 1927 gab es Stützpunkte in Satzung genehmigt, was schließlich die den Bezirken Eisenstadt, Oberpullendorf Umwandlung in Ortsgruppen ermöglichte. und Mattersburg. Die Ortsgruppen wurden „Führer“ der Bewegung war der 1872 in nicht nur in Gemeinden mit bürgerlicher Olmütz (Mähren) geborene Hermann Ritter Mehrheit gegründet, sondern auch in sozi- von Hiltl, der von 1907 bis 1912 als Lehrer aldemokratischen Gemeinden. Im Mai an der Infanteriekadettenschule in Wien 1928 meldete der „Führer“ des Bundes- wirkte und als Oberst aus der k.u.k. Armee

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Gründung des Landesverbandes Burgenland der Frontkämpfervereinigung

abrüstete. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er wurde rasch zum Feindbild der Sozialdemo- in Serbien und zuletzt in Italien, wo er auch kraten. Wo immer Hiltl auftauchte, konnte – als Kommandant des Feldjägerbataillons die Polizei mit Unruhen rechnen. Nr. 21 – in Kriegsgefangenschaft geriet. 1925/26 intensivierten die Frontkämpfer Kurz nachdem er aus der Gefangenschaft ihre Werbungstätigkeit im Burgenland. Die zurückgekehrt war (August 1919), wurde Veranstaltungen liefen meist nach demselben Oberst Hiltl zu einem der Gründer der Schema ab: Ein hoher Funktionär – meist der Frontkämpferbewegung. Er trat auch mehr- „Führer“ der Bewegung – hielt eine Rede, fach im Burgenland in Erscheinung und welche die Gefahren des Marxismus zum In-

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

halt hatte. Die Kundgebungen waren von der Umstritten sind die Finanzierungskanäle Zentrale in Wien organisiert und immer be- der Organisation. Von den im burgenländi- hördlich korrekt gemeldet. Die ansässigen So- schen Landtag vertretenen Parteien muss- zialdemokraten fühlten sich durch diese Ver- ten sich die Frontkämpfer den nicht unbe- anstaltungen provoziert. Im Laufe des Jahres gründeten Vorwurf gefallen lassen, ein In- 1926 trat die SDAP-Parteileitung solchen strument der ungarischen Irredenta zu sein Veranstaltungen zusehends entschlossener und sich von ungarischen Kreisen finan- entgegen, was dazu führte, dass die Front- ziell unterstützen zu lassen. kämpfer Verstärkung aus Wien und den um- Von Waffenverstecken in der Umgebung liegenden „Ortsgruppen“ hinzuzogen. von Ödenburg war die Rede und von ge-

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heimen Depots in den Ortschaften. Auch chen Anteil der Mitglieder ausmachten. die Auswahl der Ortschaften, in denen Hiltl war bereits 1929 persönlich mit Adolf Frontkämpferorganisationen bzw. „Zahl- Hitler zusammengetroffen. Das Ende der stellen“ gegründet wurden, unterlag einem Frontkämpferbewegung kam im Jahr 1935. strategischen Konzept. Diese Gründungen Die offizielle Auflösung der Frontkämpfer- gruppierten sich einerseits um die Stadt vereinigung Deutschösterreichs folgte mit Ödenburg bzw. fanden in Orten statt, die Bescheid vom 15. Juni 1935, da der Verein für den militärischen Nachschub in einem seine satzungsgemäße Widmung als „unpo- potentiellen Bürgerkrieg in Österreich von litischer“ Verein überschritten hatte. Bedeutung sein konnten. Dies waren im Besonderen die Bahnhöfe auf der Strecke Was die Frontkämpferbewegung in Schat- Wr. Neustadt-Ödenburg. tendorf betraf, so existierte vereinsrechtlich im Jahr 1927 keine eigenständige Orts- Die politische Bedeutung der Frontkämp- gruppe Schattendorf der Frontkämpferverei- fervereinigung im Burgenland und in Öster- nigung Deutschösterreichs. Die am 30. Jän- reich war vergleichsweise gering. Insgesamt ner in Schattendorf geplante Veranstaltung wurden im Burgenland bis 1927 14 Grup- war entsprechend § 6 der Satzung eine pen bzw. „Zahlstellen“ eingerichtet. Die „Vollversammlung“ aller Mitglieder. Die Mitgliederzahl dürfte bei 500 – 700 gelegen Führung der Ortsgruppe („Zahlstelle“) über- sein. Österreichweit lag die Mitgliederzahl nahm Josef Grafl. Die offizielle Einrichtung der Frontkämpfer Mitte der 1920er Jahre der „Zahlstelle“ war am 25. Juli 1926 er- nach eigenen Angaben bei ca. 100.000. Bis folgt und bereits unmittelbar nach dieser 1929 halbierte sich die Mitgliederzahl. Gründungsversammlung hatte es eine Schlä- gerei mit den Sozialdemokraten gegeben. Die Organisation geriet sukzessive stärker Das Vereinslokal der Frontkämpfereinigung ins Fahrwasser der Nationalsozialisten, die in Schattendorf war das Gasthaus von Josef mit Beginn der 1930er Jahre den wesentli- Tscharmann.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Frontkämpferauf- marsch vor dem Landhaus in Eisenstadt, 1933.

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„…. daß wir im Burgenland nun starke Heimwehren haben, liegt einzig und allein in der klassenkämpferischen Tätigkeit der sozialdemokratischen Politik“.

(Burgenländische Heimat, 31. August 1928) DIE HEIMWEHRBEWEGUNG ie Heimwehren, auch Heimatweh- Erste Bemühungen zur Gründung von ren, Heimatschutz oder Heimat- Heimwehren im Burgenland erfolgen im Ddienst genannt, bildeten die wich- Herbst 1927. Die Initiative ging nicht vom tigsten „austrofaschistischen“ Organisationen. Burgenland aus. Noch unter dem Einfluss der Sie entstanden 1918 in den Bundesländern Unruhen vom 15. Juli 1927 traten bürgerliche und dienten dem Schutz der von benachbar- Kreise aus Wien an den christlichsozialen ten Mächten bedrohten Heimat. Ideologisch Nationalratsabgeordneten Franz Binder mit dominierten Antimarxismus, Großstadtfeind- dem Ansinnen zur Gründung eigener burgen- lichkeit, Antisemitismus und „Heimattreue“. ländischer Ortsgruppen heran. Landtagsabge- Das wesentliche Rekrutierungsfeld war die ordneter und späterer Landeshauptmann Jo- Landbevölkerung, aber auch Angestellte spiel- hann Wagner (1956–1961) wurde Burgen- ten eine wichtige Rolle. Die Kommandokorps lands erster Ortsführer. Die Anhänger der entstammten provinziellen Führungsschich- Heimwehrbewegung rekrutierten sich aus der ten. Ideologisch teilten sich die Heimwehren Christlichsozialen Partei wie auch aus dem in die Gruppe der deutsch-nationalen und Landbund. Die politischen Führer der Bewe- jene der katholisch-österreichischen Bewe- gung waren Franz Binder (CSP) und Michael gung. Gemeinsam war ihnen die Schutzfunk- Vass (Landbund). Daneben gab es eine militäri- tion gegen die Sozialdemokratie bzw. den sche Führung: Oberst Gustav Berger und Ma- Schutzbund. jor Wilhelm Stipetic. Im Südburgenland, wo Einen ersten Höhepunkt erhielt diese hete- bislang keine Wehrformationen Fuß fassen rogene Bewegung unmittelbar nach dem Er- konnten, entstanden die ersten Ortsgruppen. sten Weltkrieg. In der Zeit von 1924 bis zum Zuvor war noch ein Versuch, die Frontkämp- Juli 1927 ging österreichweit der Einfluss der fer des Nordburgenlandes zu „übernehmen“, Heimwehren zurück. Das änderte sich am Widerstand ihres Führers, Oberst Hiltl, schlagartig mit dem 15. Juli 1927, als die fehlgeschlagen. Die burgenländische Heim- Heimwehren in den Bundesländern zum Bre- wehrbewegung wurde zum Teil von ungari- chen der sozialdemokratischen Streikbewe- schen Großgrundbesitzern finanziert, die von gung eingesetzt wurden. Ab diesem Zeit- den radikalen Bodenreformplänen der Sozial- punkt konnten sich die Heimwehren als Ge- demokraten beunruhigt waren. genkraft zur „linken Macht der Straße“ profi- Die Führungsriege der burgenländischen lieren. CSP stand dem Projekt anfangs eher skep-

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte den Schutzbund damit um ein Vielfaches. Ein erstes offizielles Auftreten von burgenländischen Heimwehren erfolgte am 7. Okto- ber 1928 am berühmt geworde- nen Aufmarsch in Wr. Neustadt, an dem die Heimwehren von Mat- tersburg, Wiesen, Rohrbach, Groß- warasdorf, Neudörfl, Eisenstadt und Wimpassing teilnahmen. An diesem Tag fand die erste macht- volle Demonstration der Heim- wehren in einer sozialistischen Hochburg statt. Die sozialdemokra- tische Vormacht der Straße war da- mit gebrochen. Die sich häufenden Zusammen- stöße der beiden Wehrverbände führten 1929 zu einem von Juni bis September befristeten Auf- marschverbot. Unmittelbar danach gingen die gegenseitigen Provoka- tionen unvermindert weiter. Im Nordburgenland, das bis dahin vom Schutzbund dominiert wor- den war, hielt die burgenländische Heimwehr erstmals am 27. Okto- ber 1929 eine Veranstaltung in Schützen am Gebirge ab. tisch gegenüber, ließ es aber geschehen. In Der politische Einfluss der Bewegung stieg der Anfangsphase des Bestehens war der in den kommenden Jahren und gipfelte in in- Landbund der Motor der Bewegung. In kür- ternen Auseinandersetzungen mit der Partei- zester Zeit entstanden in nahezu allen bur- leitung der CSP, die den autoritären Kurs der genländischen Orten Heimwehrgruppen. Ob- Heimwehren nicht mittragen wollte. Das än- wohl viele Vereine nur auf dem Papier exi- derte an der politischen Orientierung der Be- stierten, zählte die burgenländische Heim- wegung nichts. Mit dem Korneuburger Eid wehrbewegung, die sich die Bezeichnung des Jahres 1930 wurde der antidemokra- „Heimatschutzverband Burgenland“ gab, tisch-autoritäre Kurs der Bewegung zemen- bald über 10.000 Mitglieder und übertraf tiert.

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Auszug aus dem Lagebericht der BH Jennersdorf vom 28. September 1927

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Frühe Ansicht von Schattendorf. SCHATTENDORF AM VORABEND DES 30. JÄNNER 1927

chattendorf, unmittelbar an der un- reich die Lösung der traditionellen wirtschaft- garischen Grenze gelegen, gehörte lichen und verkehrsmäßigen Bindungen zu Sbis 1921 dem Ödenburger Komitat Ödenburg. Gezwungenermaßen verlagerte an, wurde dann vorerst dem Bezirk Eisen- sich danach der Handel von Ödenburg nach stadt zugewiesen, schließlich aber doch Mattersburg und Wiener Neustadt. Ein bis- dem Bezirk Mattersburg einverleibt. her wesentlicher Teil des Absatzmarktes war Die erste Volkszählung im Burgenland durch die Grenzziehung verlorengegangen. aus dem Jahre 1923 ergab eine Bevölke- rungszahl von 2.173. Davon gaben 2.169 Später als in anderen Orten, erst im Au- Katholisch und 4 Evangelisch als ihre kon- gust 1922, wurde eine Gemeindeverwal- fessionelle Zugehörigkeit an. Schattendorf tungskommission gebildet. Die ersten Ge- war fast rein deutschsprachig, die Volks- meinderatswahlen im Burgenland vom gruppenzugehörigkeit ergab: 2.154 deutsch 25. März 1923 brachten der Sozialdemokra- – 10 kroatisch – 9 ungarisch. tischen Arbeiterpartei (SDAP) 617 Stimmen In der Grenzgemeinde wurde 1921 ein (8 Mandate), der Christlichsozialen Partei Gendarmerieposten eingerichtet. Schwierig- (CSP) 460 Stimmen (6 Mandate). Erster Bür- keiten bereitete in den ersten Jahren nach germeister wurde der Sozialdemokrat Johann dem des Burgenlandes an Öster- Grafl, er übte dieses Amt bis 1931 aus. Der

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SCHATTENDORF 1927

Versuch, die konfessionelle Schule in eine Während die Politiker auf Landesebene Gemeindeschule umzuwandeln, sowie die um Konsens bemüht und übereingekommen Durchführung des Straßenbaus entzweiten waren, keine paramilitärischen Wehrver- die politischen Fraktionen. 1924 kam es zu bände im Burgenland aufzustellen, erfolgte einem Misstrauensantrag der CSP-Fraktion diese Entwicklung seit 1925 von Seiten der gegen den Bürgermeister, schließlich zur Frontkämpfer. Auf Betreiben der Wiener Füh- Selbstauflösung des Gemeinderates und am rung begann die Frontkämpfervereinigung 8. November 1925 zu Neuwahlen. Bei die- Deutschösterreichs auch im Burgenland aus sen Wahlen erlangte die SDAP 679 Stimmen strategischen Gründen, insbesondere in Ort- (10 Mandate), die CSP 424 Stimmen schaften entlang der Bahnlinie Ödenburg- (6 Mandate). Die politischen Meinungsver- Wr. Neustadt, so genannte Zahlstellen, die schiedenheiten beherrschten auch die folgen- der Mitgliederrekrutierung dienen sollten, den Jahre und verhinderten weitgehend eine einzurichten. Als Reaktion darauf reagierten konstruktive Arbeit. Immer wieder kam es die Sozialdemokraten mit der Gründung von zu Berufungen der CSP-Fraktion gegen Ge- Republikanischen Schutzbundgruppen. meinderatsbeschlüsse, die von der Landesre- Seit Aufstellung beider Gruppierungen in gierung zum Teil als berechtigt anerkannt, Schattendorf im Sommer 1926 äußerten sich teilweise aber auch abgewiesen wurden. die politischen Gegensätze nun verstärkt Bei den Gemeinderatswahlen vom durch Raufereien, Drohungen und Versamm- 20. März 1927 erreichte die SDAP 728 Stim- lungsstörungen. Immer wieder kam es zu men (9 Mandate), die CSP 456 Stimmen kleineren Zusammenstößen. (6 Mandate). Da sich die politischen Parteien Am 30. Jänner 1927 allerdings wurde über die Zusammensetzung des Gemeinde- Schattendorf zum Schauplatz eines Ereig- vorstandes nicht einigen konnten, musste die nisses, das noch weitreichende Folgen ha- Landesregierung schlichtend eingreifen. ben sollte.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Aufnahme von Schattendorf aus der NS-Zeit.

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SCHATTENDORF 1927

„Die Geschehnisse selbst hätten damals auch in einer anderen Gemeinde statt- finden können und ich bin überzeugt, dass die handelnden Personen die politi- schen Hintergründe gar nicht einschätzen konnten. Es war jedenfalls eine tragi- sche Verstrickung, die den Beginn des Zerfalls der Demokratie in Österreich be- deutete. Mehr kann ich dazu in einem kurzen Brief nicht darlegen – meine Anteilnahme gilt jedenfalls allen Opfern dieser schicksalshaften Zeit.“

(Zitiert aus einem Brief von Dr. Fred Sinowatz an Josefa Trimmel-Tscharmann vom 21. Juli 2004)

DAS EREIGNIS VON SCHATTENDORF UND DIE POLITISCHEN FOLGEN

Sonntag, 30. Jänner 1927 lung an, die im Vereinslokal Gasthaus Moser stattfinden sollte. Es wurde verab- ie Werbetätigkeiten der Front- säumt, diese Versammlung behördlich zu kämpfervereinigung im Bezirk melden. Beide Veranstaltungen waren DMattersburg seit Beginn der zeitgleich für 15.00 Uhr angesetzt. Da 1920er Jahre wurden in sozialdemokrati- die Schattendorfer Frontkämpfervereini- schen Kreisen als blanke Provokation auf- gung nur an die 30 Mitglieder und der gefasst. Für den 30. Jänner 1927 war in örtliche Schutzbund mehr als 70 Mann Schattendorf eine solche Frontkämpferver- zählte, wiegte sich letzterer in Sicherheit. anstaltung geplant, gemeldet und auch be- Was man in Schattendorf nicht wusste: hördlich genehmigt. Zu der Veranstaltung wurden nicht nur Um dieser Provokation entsprechend die Ortsgruppe Loipersbach, sondern entgegenzutreten, setzte die Sozialdemo- auch Frontkämpfer aus Wien erwartet. Es kratische Arbeiterpartei* – trotz warnen- war vorgesehen, dass die Loipersbacher der Stimmen – ebenfalls eine Versamm- Frontkämpfer die Wiener Funktionärs-

* In diversen Quellen wird fälschlich angeführt, dass es sich nicht um eine Veranstaltung der örtlichen Parteileitung, sondern des Republikanischen Schutzbundes handelte. Allerdings ist in den Erhebungsma- terialien der Gendarmerie immer von einer Veranstaltung der SDAP-Leitung die Rede. Da diese nicht be- hördlich der Bezirksverwaltung gemeldet, sondern lediglich „ausgetrommelt“ wurde, ermittelte die Gen- darmerie gegen den Ortsgruppenleiter der SDAP Johann Pinter und nicht gegen den Schutzbundführer Michael Tranker.

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SCHATTENDORF 1927

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Anmeldung der Frontkämpferver- sammlung für den 30. Jänner 1927.

gruppe vom Bahnhof abholen sollten, um Wien kommenden Friedrich Hofmann sie zum Gasthof Tscharmann zu begleiten. Kenntnis. Oberleutnant Friedrich Hofmann diente in der Wiener Volkswehr, war Lan- ca. 10.00 Uhr desführer des Wiener Schutzbundes, Se- Vom Plan der Schattendorfer Frontkämp- kretär der Schutzbund-Reichsleitung und fer erhielten die hiesigen Schutzbündler am als Referent der SDAP-Veranstaltung in Vormittag des 30. Jänner durch den von Schattendorf vorgesehen.

Foto: Josefa Trimmel-Tscharmann

Gasthaus Tscharmann, das Vereinslokal der Frontkämfer, in den 1920er Jahren.

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SCHATTENDORF 1927

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

Am 18. Mai 1927 erhält der Schattendorfer Schutzbund vom Obmann des Zentralver- bandes, Dr. Julius Deutsch, die offizielle Genehmigung zur Gründung einer Ortsgruppe.

ca. 11.00 Uhr fasste einen Brief, der zur Teilnahme an Gerüchteweise war zu vernehmen, dass der Veranstaltung aufforderte. Ein Fahrrad- die Frontkämpfer versuchen würden, die bote brachte den Brief nach Klingenbach. sozialdemokratische Veranstaltung zu Preschitz mobilisierte die Gruppen Baum- sprengen. Eine Beratung über die weitere garten und Draßburg persönlich. Vorgangsweise fand im Gasthof Paul Moser statt. Daran nahmen neben Hofmann auch Es war abzusehen, dass kein hoher bur- der Bezirksleiter des Schutzbundes und genländischer Parteifunktionär in Schatten- Leiter der Ortsgruppe Baumgarten Thomas dorf anwesend sein würde, da zeitgleich in Preschitz, die Gruppenleiter Michael Tran- Neufeld eine Veranstaltung der Sozialde- ker (Schattendorf) und Josef Wild (Draß- mokratischen Jugendorganisation geplant burg), der SDAP-Obmann von Schatten- war, an welcher die Führungsriege der dorf Johann Pinter und mehrere andere SDAP teilnehmen sollte. Es darf aber ange- Mitglieder teil. Man kam überein, eine ak- nommen werden, dass die Mobilisierung kordierte Aktion gegen die Pläne der vierer Schutzbundeinheiten nicht die Zu- Frontkämpfer zu starten, in welche auch stimmung der Parteileitung erhalten hätte, andere Schutzbundgruppen der Umgebung da diese versuchte, möglichen Provokatio- eingebunden sein sollten. Hofmann ver- nen aus dem Weg zu gehen.

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Gasthaus Moser (spätere Abbil- dung), das Vereinslokal der Schattendorfer So- zialdemokraten.

ca. 11.30 Uhr ca. 13.15 Uhr Der Fahrradkurier erreichte am späten Die Schutzbundgruppen von Schatten- Vormittag Klingenbach, wo im Zuge einer dorf, Baumgarten, Draßburg und Klingen- improvisierten Versammlung der Brief ver- bach trafen beim Gasthaus Moser ein. lesen wurde. Nach kurzer Diskussion ent- schied man, dem Ruf Hofmanns und der Aus Klingenbach marschierten 25 Mann Schattendorfer Genossen Folge zu leisten. an, die Gruppe Schattendorf war die zah- Die Abteilung trug Zivil und die Schutz- lenmäßig stärkste mit 39 Schutzbündlern. bundkappe, verstieß aber dennoch gegen Aus Draßburg kamen 28, aus Baumgarten ein behördlich verhängtes Uniformierungs- folgten 20 Mann dem Aufruf Hofmanns. verbot und überschritt gleichzeitig den in Insgesamt sammelten sich 112 Angehörige den Klingenbacher Statuten festgelegten des Republikanischen Schutzbundes und Wirkungsbereich, der auf den Bezirk Ei- nach einer kurzen Lagebesprechung er- senstadt eingeschränkt war. folgte der Abmarsch mit Ziel Bahnhof Loi- persdorf-Schattendorf, um – wie vorgese- ca. 12.00 Uhr hen – den Einmarsch der Frontkämpfer Der Schattendorfer Postenkommandant, nach Schattendorf zu verhindern. Gruppeninspektor Johann Wittwer, infor- mierte sich bei Bürgermeister Johann Grafl ca. 13.30 Uhr über die geplante Veranstaltung der SDAP, Auf der Höhe des Gasthauses Tschar- von der er gerüchteweise erfahren hatte. mann, des Vereinslokales der Frontkämp- Im Laufe des Gesprächs, bei welchem fer, brach eine Gruppe von 10-15 Schutz- auch Hofmann anwesend war, kam auch bündlern, darunter Thomas Preschitz, aus zur Sprache, dass Schutzbündler aus ande- der Marschkolonne aus und dang ins Lokal ren Orten in Schattendorf erwartet wür- ein. Dort kam es zur ersten Auseinander- den. setzung des Tages, im Zuge derer der

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SCHATTENDORF 1927

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Liste der beteiligten Schutzbündler aus Schattendorf

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SCHATTENDORF 1927

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Liste der beteiligten Schutzbündler aus Klingenbach, darunter befindet sich an zweiter Stelle der Name von Matthias Csmarits. 37 begleitband kern 21.02.2007 9:49 Uhr Seite 36

SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Bahnhof Loipers- bach-Schattendorf

Wirtssohn Josef Tscharmann einen ersten das Gendarmeriebezirkskommando Mat- Schuss abgab, um die Gendarmerie zu alar- tersburg um Verstärkung. mieren. Unter Vermittlung der Gendarmerie ver- Dem herbeigeeilten Gruppeninspektor ständigte man sich darauf, die Veranstal- Johann Wittwer gelang es, den Streit zu tung im Gasthaus Tscharmann abzusagen. schlichten. Die Frontkämpfer zogen sich entlang der Bahnlinie Richtung Mattersburg zurück. Der Großteil der Gruppe marschierte in- des zum Bahnhof weiter. Dort bezogen die ca. 14.45 Uhr Schutzbündler vorerst Stellung. Nachdem die etwa 40 Mitglieder der Frontkämpfer Ortsgruppe Loipersbach bei- ca. 14.40 Uhr nahe zeitgleich den Bahnhof erreicht hat- Der Zug mit den aus Wien erwarteten ten, kam es zu der erwarteten Schlägerei, Frontkämpfern traf ein. Dieser Gruppe, die bei der die ersten Schüsse fielen. Die Loi- nur aus 10 Personen bestand, gehörten ne- persbacher traten auf Grund des unglei- ben acht Mattersburger Frontkämpfern chen Kräfteverhältnisses den Rückmarsch zwei hohe Funktionäre aus Wien an: an. Niemand wurde ernsthaft verletzt, le- Hauptmann a. D. Anton Seifert sowie der diglich der Kommandant der Loipersba- Sekretär der Österreichischen Frontkämp- cher Frontkämpfer erlitt durch einen Streif- fervereinigung, Josef Landgraf. Es kam zu schuss am Ohr eine leichte Verletzung. einer Rauferei mit einem Teil der Schutz- bündler, woraufhin sich die Frontkämpfer ca. 15.45 Uhr im Bahnhofsgelände verschanzten. Der Schutzbund hatte seine Ziele ge- Die Situation geriet außer Kontrolle und waltsam durchgesetzt: Den auswärtigen Revierinspektor Anton Schmied ersuchte Frontkämpfern wurde der Einmarsch in

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Beim Rückmarsch vom Bahnhof zum Gasthaus Moser passierten die Schutzbündler erneut das Gasthaus Tscharmann.

den Ort verweigert und die Schattendorfer ten. Aus der am Ende marschierenden Klin- Frontkämpfer mussten ihre Generalver- genbacher Ortsgruppe lösten sich einige sammlung absagen. Im Bewusstsein, sich Schutzbündler aus dem Verband und dran- in voller Linie gegen den politischen Geg- gen ins Gasthaus ein, darunter auch der ner durchgesetzt zu haben, marschierten Klingenbacher Schutzbündler Matthias die Schutzbündler zurück zum Gasthof Csmarits. Steine flogen auf die Außenfas- Moser. Sie wurden begleitet von Parteigän- sade des Gebäudes und Drohungen wur- gern der SDAP, aber auch von Unbeteilig- den geäußert. Einige Frontkämpfer, darun- ten – darunter Frauen und Kinder. ter auch die beiden Wirtssöhne Josef und Im Ort verbreitete sich inzwischen aber Hieronymus Tscharmann sowie deren bereits das Gerücht, dass der Loipersba- Schwager Josef Pinter, fühlten sich bedroht cher Frontkämpferkommandant erschos- und zogen sich in die Privatwohnung des sen worden sei. Gasthauses zurück, in der schon auf Grund der Vorkommnisse des frühen Nachmittags ca. 16.00 Uhr geladene Gewehre bereitstanden. Ein weiteres Mal passierte der Zug des Während Josef Tscharmann einige Schutzbundes das Gasthaus Tscharmann, Schüsse auf die gegenüberliegende Hof- in dem sich etliche Frontkämpfer aufhiel- mauer abgab, um die bereits in den Hof

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Privathaus Tscharmann: Straßenansicht mit Beschädigungen an der Hausmauer, die von Steinwürfen verursacht wurden.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Gasthaus Tschar- mann – Innenhof: Um die ins Gast- haus eingedrunge- nen Schutzbünd- ler zu vertreiben feuert Josef Tscharmann ei- nige Schüsse auf die gegenüberlie- gende Gasthaus- mauer ab.

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SCHATTENDORF 1927

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Tatortskizze

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Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Standorte, an denen Josef Grössing und Matthias Csmarits tödlich getroffen wurden.

und in die Küche eingedrungenen Schutz- von hinten in Kopf und Nacken getroffen. bündler zu vertreiben, feuerten Hierony- Der kleine am gegenüberliegenden Stra- mus Tscharmann und Johann Pinter von ßenrand stehende Junge starb an einem einem straßenseitigen, vergitterten Fenster Herzschuss. auf die Straße. Auch Josef Tscharmann kam in das vordere Zimmer und gab noch Später Nachmittag mindestens einen Schuss ab, wie er später Fahrradkuriere der Sozialdemokraten selbst gestand. verbreiteten die Nachricht über die Ge- walttat in Neufeld und Eisenstadt. Nur mit Die Schüsse hatten verheerende Folgen: Mühe konnte die spontane Mobilisierung Mehrere Personen, zum Teil unbeteiligte einzelner Schutzbundgruppen (darunter Schaulustige, wurden verletzt, zwei Men- der Eisenstädter Schutzbund) verhindert schen aber, der sechsjährige Josef Grössing werden. aus Schattendorf und der Klingenbacher Auch die Frontkämpfer von Mattersburg Schutzbündler Matthias Csmarits, blieben hatten am Nachmittag eine Mobilisierung inmitten der auseinander tobenden Men- erwogen, nachdem Seifert und Landgraf schenmenge tödlich getroffen liegen. von dem Vorfall am Schattendorfer Bahn- Csmarits wurde von einer Schrotladung hof berichtet hatten.

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Ehrenwache an der Stelle, wo Matthias Csmarits zu Tode kam.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Totenwache am Grab Josef Grössings

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Nach dem Begräb- nis von Josef Grössing, das um 14.00 Uhr stattge- funden hatte, zog ein 10.000 Men- schen umfassender Trauerzug nach Klingenbach, wo um 16.00 Uhr Matthias Csmarits beerdigt wurde.

Abends 2. Feber 1927 Als einziges Mitglied der SDAP-Landes- Die Begräbnisse der beiden Opfer in Klin- leitung kam Landesparteisekretär Hans genbach und Schattendorf wurden beein- Bögl persönlich nach Schattendorf, um druckende sozialdemokratische Kundge- sich ein Bild der Lage zu machen. bungen, an denen mehr als 10.000 Perso- nen teilnahmen. In ganz Österreich wurde 31. Jänner 1927 um 11.00 Uhr ein 15minütiger General- Der Unmut über das Schattendorfer Er- streik abgehalten. eignis äußerte sich in spontanen Protest- kundgebungen in mehreren Großbetrieben 3. Feber 1927 Wiens und Wr. Neustadts. Bei der Nationalratssitzung kam es zu Im Burgenland reagierte die SDAP-Par- tumultartigen Szenen. Die Sozialdemokra- teileitung sofort und versuchte die Protest- tischen Abgeordneten forderten in einer welle in geordnete Bahnen zu lenken; für dringlichen Anfrage die Regierung auf, die den Vormittag wurde in Neufeld eine Pro- Schuldigen von Schattendorf zur Verant- testversammlung angekündigt. Die Sirenen wortung zu ziehen und die Frontkämpfer- der Neufelder Industriebetriebe gaben um vereinigung aufzulösen. 11.00 Uhr das Signal, die Arbeit niederzu- legen. Landtagsabgeordneter Franz Schön, 8. Feber 1927 der Bürgermeister von Neufeld und Lan- In der Landtagssitzung verurteilten alle deshauptmannstellvertreter Ludwig Leser im Landtag vertretenen Parteien die Ereig- sprachen bei der Protestversammlung, an nisse von Schattendorf auf das Schärfste. der 6.000 Personen teilnahmen. Eine gemeinsam getragene Resolution be-

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SCHATTENDORF 1927

inhaltete die ernste Mahnung, politische überraschende Freispruch war darin be- Kämpfe mit geistigen Waffen auszutragen gründet, dass es die Anwälte geschickt ver- und die Absicht, gegen „hochverräterische standen hatten, die eigentliche Schuld dem Elemente“ mit aller Strenge vorzugehen. Schutzbund zuzuweisen.

5.–14. Juli 1927 15. Juli 1927 Am 5. Juli begann im Wiener Landesge- Die Nachricht über den Freispruch der richt für Strafsachen II der Prozess gegen Angeklagten und ein Artikel von Friedrich Josef Tscharmann, Hieronymus Tschar- Austerlitz, Chefredakteur der Arbeiter-Zei- mann und Johann Pinter. Dieser Geschwo- tung, lösten in Wien spontane Demonstra- renengerichtsprozess verlief unter reger tionen aus. Kristallisationspunkt des Unmu- Anteilnahme der Presse und der Öffent- tes war der Justizpalast, der infolge in lichkeit. Die Anklage lautete auf: „Verbre- Brand gesetzt wurde. Die Intensität der chen der öffentlichen Gewalttätigkeiten Proteste überraschte den Schutzbund ge- durch boshafte Handlungen unter beson- nau so wie die Polizei. Trotz intensivster ders gefährlichen Verhältnissen nach § 87 Bemühungen der handelnden Personen des Österreichischen Strafgesetzes“. Über (Dr. Julius Deutsch und Polizeipräsident 100 Zeugen wurden vorgeladen, 42 Zeu- Dr. Johann Schober) eskalierte die Situation. genaussagen verlesen. Die Angeklagten Der 15. Juli 1927 kostete 89 Menschen selbst bestritten nie, die tödlichen Schüsse das Leben, über 600 Personen wurden ver- abgegeben zu haben, gaben jedoch an, letzt. Österreich stand am Rande eines nicht in der Absicht geschossen zu haben, Bürgerkrieges – und die Demokratie am zu töten oder zu verletzen. Der für alle Wendepunkt.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Wien, 15. Juli 1927: Mit Karabi- nern bewaffnete Polizei.

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SCHATTENDORF 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Feuerwehr nach dem Brandeinsatz vor dem zerstörten Justizpalast.

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BIOGRAFIEN

JOSEF GRÖSSING (12.2.1920–30.1.1927)

osef Grössing war der Sohn des Ei- Grab von Josef Grössing sprachen Bundes- senbahners Josef sen. (geb. 1881) rat bzw. Obmann des Vereins „Freie Jund der Susanne Grössing (geb. Schule – Kinderfreunde“ Max Winter, Lan- 1884). Vater Josef war zwar nicht Mitglied deshauptmannstellvertreter Ludwig Leser des Schutzbundes, stand der Sozialdemo- und Bürgermeister Johann Grafl. Jahr- kratie allerdings ideologisch nahe. Josefs zehnte nach dem Begräbnis sorgte seine Schwester Susanne war 14 Jahre alt, als ihr letzte Ruhestätte für Aufsehen, da diese im Bruder starb. Mutter Susanne sollte ihren Zuge von Straßenarbeiten verlegt werden Sohn nur um zehn Jahre überleben – sie musste. Im Jahr 1984 errichtete die SPÖ starb im Jahr 1937. eine Gedenktafel, die an die Opfer des 30. Am Tag des tragischen Ereignisses be- Jänner 1927 erinnert. gleitete Josef mit einer Gruppe von Gleich- 1997, 70 Jahre nach seinem Tod, be- altrigen den Aufmarsch des Schutzbundes nannte die Gemeinde Wien nach ihm eine durch den Ort. Als es am Nachmittag beim Freizeitanlage am nördlichen Stadtrand: Gasthof Tscharmann zu Auseinanderset- den Josef-Grössing-Park. zungen kam, stand Josef auf der gegen- Foto: Burgenländisches Landesarchiv überliegenden Straßenseite. Aus dem Tscharmannhaus wurden mehrere Schüsse abgegeben. Dabei traf ihn eine Schrotla- dung ins Herz. Er lief noch wenige Schritte bis zum benachbarten Haus und brach dort tot zusammen. Der neben Josef stehende Josef Haring wurde leicht an Hand und Oberschenkel verletzt.

Das am 2. Februar stattfindende Begräb- nis gestaltete sich zu einer sozialdemokrati- Nachstellung aus dem Polizeiakt, zeigt schen Machtdemonstration, an der mehr den Standort der Kindergruppe um Josef als 10.000 Trauergäste teilnahmen. Am Grössing.

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BIOGRAFIEN

MATTHIAS CSMARITS (15.9.1892–30.1.1927)

er Bauarbeiter Matthias Csmarits Umgebung. Im Laufe des Vormittages wurde 1892 in Klingenbach ge- machte sich der Klingenbacher Schutz- Dboren. Er war verheiratet mit bund, darunter Matthias Csmarits, auf den Maria (geb. Reisner) und hinterließ einen Weg nach Schattendorf. Csmarits war auch sechsjährigen Sohn namens Franz. an der Auseinandersetzung mit Front- Im Ersten Weltkrieg wurde Csmarits kämpfern am Bahnhof Schattendorf-Loi- dreimal verletzt und verlor ein Auge. Nach persbach beteiligt. Dabei geriet Csmarits dem Fall der Räteregierung Bela Kuns floh mit der Gattin des Bahnhofvorstehers Mar- Csmarits, wie viele Arbeiter der Umge- gera in ein kurzes Wortgefecht. Darin be- bung, aus Angst vor ungarischen Zwangs- klagte er, dass seine Kinder Hunger leiden maßnahmen ins nahegelegene Niederöster- müssten. Kurz vor 16.00 Uhr marschierte reich. Im Jahr 1921 beteiligte er sich an der Zug der Schutzbündler zurück in Rich- den Kämpfen um das Burgenland. Matthias tung Gasthof Moser. Die Klingenbacher Csmarits war dann vorübergehend arbeits- Gruppe war am Ende der Marschkolonne los, erhielt aber bald eine Beschäftigung als gereiht. Auf der Höhe des Vereinslokales Bauarbeiter bei den Elektrizitätswerken der Frontkämpfer lösten sich einige der Stadt Wien. Seit Mitte Jänner 1927 Schutzbündler aus der Formation und war er erneut arbeitslos. Der gebürtige drangen ins Gasthaus Tscharmann ein. Kroate war fest im Organisationsgeflecht Darunter befand sich auch Matthias Csma- der Sozialdemokratie verankert: Mitglied rits. Es fielen Schüsse. Wieder auf der der Sozialdemokratischen Partei, der Frei- Straße, versuchte Csmarits hinter einem denker, des Unterstützungsvereins der Baum Deckung zu nehmen. Mehrere Elektrizitätswerke und Mitglied des Klin- Schrotkugeln trafen ihn in den Kopf. Mat- genbacher Schutzbundes. thias Csmarits war sofort tot, sein Leich- Nachdem die Schutzbündler erfahren nam wurde im Gemeindegasthaus Moser hatten, dass am 30. Jänner auch auswär- aufgebahrt. tige Frontkämpfer in Schattendorf erwartet wurden, erfolgte umgehend die Mobilisie- Am 2. Februar fand das Begräbnis statt. rung von Schutzbundgruppen der näheren Grabreden hielten der Parteiideologe Otto

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BIOGRAFIEN

Foto: Burgenländisches Landesarchiv Bauer, Landeshauptmannstellvertreter Lud- wig Leser, der Führer des Republikani- schen Schutzbundes Julius Deutsch und Landtagsabgeordneter Anton Propst. Mehr als 10.000 Trauergäste nahmen am Be- gräbnis teil. Das Grab von Matthias Csmarits wurde zur „Pilgerstätte“ für die Arbeiterbewe- gung. Matthias Csmarits und Josef Grös- sing waren die ersten politischen Opfer des Burgenlandes. Bis heute legen die Roten Falken am 30. Jänner an seinem Grab ei- Das Bild zeigt die Stelle, an der Matthias nen Kranz nieder. Csmarits tödlich getroffen wurde.

JOSEF TSCHARMANN JUN. (2.7.1896–15.11.1972)

„Josef Tscharmann jun. geboren am 2. JULI 1896 in Schattendorf Bezirk Mat- tersburg im Burgenland und zuständig, österr. Bundesbürger kath.verheiratet, dessen Gattin heisst Maria Tscharmann hat ein Kind im Alter von 1 1/2 Jahren, vermögenslos, Landwirtsohn, kann lesen und schreiben, hat 6 klassige Volks- schulbildung, dessen Eltern heissen Josef und Maria Tscharmann, zuletzt in Schattendorf Nr. 59 wohnhaft und ist bisnun straflos.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

osef Tscharmann war Sohn der Gast- ein tüchtiger Wirt und brachte es zu eini- hausbesitzer Josef und Maria Tschar- gem Wohlstand. Das Gasthaus „Zum lusti- Jmann. Er besuchte die Volksschule in gen Bauern“, wie das Lokal auf Postkarten Schattendorf. Vater Josef führte neben dem bezeichnet wurde, war das erste private Gasthaus auch eine Landwirtschaft. Er war Wirtshaus im Ort und galt als Treffpunkt

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BIOGRAFIEN

der Bürgerlichen. Das Lokal wurde zum erte zunächst drei Schüsse aus dem hinte- Vereinslokal der Frontkämpfervereinigung, ren Wohnzimmer in das gegenüberlie- die am 25. Juli 1926 in Schattendorf ge- gende hofseitige Gebäude und begab sich gründet wurde. Josef Tscharmann jun., der dann in das straßenseitig gelegene Wohn- bereits früh mitarbeitete, übernahm zimmer. Nach eigenen Aussagen soll er schließlich das Gasthaus und führte es bis von dort aus einen einzigen Schuss auf die zu seinem Tod. Die Familie pflegte gute Straße abgegeben haben. wirtschaftliche und private Kontakte nach Gerüchten zufolge gewährte ihm der Ungarn, die durch den Anschluss des Bur- Dorfpfarrer Josef Kleindl, dem ein Nahver- genlandes an Österreich erschwert wur- hältnis zur Frontkämpferbewegung nach- den. Als Jagdpächter lud die Familie zu gesagt wurde, nach seiner Flucht Unter- Jagdgesellschaften ein, an denen auch Un- schlupf. Kleindl war außerdem der Onkel garn teilnahmen. von Josefs Gattin Maria, wodurch auch eine verwandtschaftliche Bindung exi- Für den 30. Jänner 1927 war im väterli- stierte. Am 31. Jänner wurde Josef Tschar- chen Gasthaus die „Jahreshauptversamm- mann verhaftet und ins Bezirksgericht lung“ der Frontkämpfer von Schattendorf Mattersburg überstellt. angesagt. Gegen 13.30 Uhr drangen meh- rere Schutzbündler in das Gasthaus ein Am 5. Juli begann der Schwurgerichts- und verlangten nach Wein. Es kam zu hef- prozess, im Zuge dessen er am 14. Juli tigen Wortgefechten. Auf Ersuchen seines überraschend freigesprochen wurde. Vaters feuerte Josef, mit der Absicht die Daran waren die drei „Staranwälte“, die Gendarmerie zu alarmieren, mehrere die Frontkämpfer organisiert hatten, nicht Schüsse in die Luft ab. Die heraneilende unbeteiligt. Als Josef enthaftet wurde, wa- Gendarmerie konnte die Lage vorerst wie- ren die Unruhen des 15. Juli bereits im der beruhigen. Gang. Dadurch beunruhigt und verängstigt Nach einer Auseinandersetzung zwi- entschied er sich gemeinsam mit den bei- schen Loipersbacher Frontkämpfern und den Mitangeklagten, in Ungarn Zuflucht den Schattendorfer Schutzbündlern beim zu suchen. Nachdem es im Burgenland zu Bahnhof marschierte gegen 16.00 Uhr der keinen Ausschreitungen gekommen war, Schutzbund ein weiteres Mal am Gasthof kehrten sie wieder nach Schattendorf zu- vorbei. Durch das abermalige Eindringen rück. von Schutzbündlern ins Lokal verängstigt, zog sich Josef mit einer Gruppe von Front- Josef Tscharmann war als Hilfsgendarm kämpfern ins gegenüberliegende Wohn- (HIGA) im Zweiten Weltkrieg und lebte bis haus der Familie zurück und ergriff ein für zu seinem Tod im Jahr 1972 in Schatten- diesen Fall bereitgestelltes Gewehr. Er feu- dorf. Politisch wurde Josef nicht mehr aktiv.

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BIOGRAFIEN

HIERONYMUS TSCHARMANN (15.2.1905*–18.2.1994)

„Hieronymus Tscharmann ist am 15. Feber 1905 in Schattendorf Bezirk Matters- burg im Burgenlande geboren und zuständig, österr. Staatsbürger, röm.kath. ledig, wirtschaftlicher Hilfsarbeiter, in Schattendorf Nr. 59 wohnhaft, kann lesen und schreiben, besitzt kein Vermögen hat für niemanden zu sorgen, Eltern Josef und Maria Tscharmann geborene Pinter und sind hier keine Vorstrafen bekannt.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

ieronymus war Sohn der Gast- deranschluss an Ungarn agitierten. Wider- hausbesitzer Josef und Maria sprüchlich scheint hingegen, dass er als HTscharmann. Er hatte zwei Nicht-Weltkriegsteilnehmer – Hieronymus Schwestern – Theresia und Maria – sowie war zu Kriegsbeginn gerade neun Jahre alt die zwei Brüder Josef und Paul. Paul – einer Vereinigung der ehemaligen Kriegs- Tscharmann fiel im Ersten Weltkrieg. An- teilnehmer beitrat. fang der 1920er Jahre kaufte Josef Tschar- mann sen. die Mühle, die sein Sohn Hiero- Am Vorabend des 30. Jänner 1927 be- nymus bis zu seinem Tode als letzter suchte Hieronymus Tscharmann wie viele Schattendorfer Müllermeister führte. Wie seiner Altersgenossen eine Ballveranstal- sein Vater und sein Bruder pflegte auch tung der Sozialdemokraten. Gezeichnet Hieronymus gute wirtschaftliche und pri- vom Vortag schlief er in der Mühle, bis er vate Kontakte nach Ungarn. Sein Taufpate am frühen Nachmittag von Familienange- stammte aus Ödenburg. Vom Anschluss hörigen um Hilfe gerufen wurde. Zuvor des Burgenlandes an Österreich erwartete war es im väterlichen Gasthaus bereits zu Hieronymus wirtschaftliche Nachteile. einer ersten Kontroverse mit Schutzbünd- Darin könnte auch das Motiv seiner Mit- lern gekommen. Als gegen 16.00 Uhr die gliedschaft bei der Frontkämpfervereini- Schutzbundgruppe erneut das Gasthaus gung liegen, da die burgenländischen passierte und Drohgebärden äußerte, zog Frontkämpfer gerüchteweise für den Wie- sich Hieronymus mit seinem Bruder Josef,

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BIOGRAFIEN

dem Schwager Johann Pinter und mehre- sten zu können, musste die Familie meh- ren Frontkämpfern in die elterliche Woh- rere Grundstücke veräußern. Nach dem nung zurück. Mit den dort bereitgestellten unerwarteten Freispruch zog es Hierony- Schusswaffen wurde straßenseitig auf die mus vor, die folgenden Tage in Ungarn zu vorbeimarschierende Menschengruppe das verbringen. Nach seiner Rückkehr in sein Feuer eröffnet. Bis heute ist nicht geklärt, Heimatdorf war er dann weiterhin als Mül- wer tatsächlich die tödlichen Schüsse ab- ler tätig. gab. Als Soldat der Deutschen Wehrmacht Unmittelbar nach der Tat hielten sich die geriet er in jugoslawische Kriegsgefangen- Schützen versteckt. schaft, aus der er 1946 entlassen wurde. Hieronymus Tscharmann vermied jede Beim folgenden Schwurgerichtsprozess weitere politische Tätigkeit im Ort. Erst wurden Hieronymus Tscharmann und die seine Tochter Josefa wurde wieder kom- Mitangeklagten von einer Gruppe von munalpolitisch tätig. „Staranwälten“ vertreten, unter welchen Zeit seines Lebens vermied Hieronymus sich auch der Nazijurist Dr. Walter Riehl Tscharmann jegliche Diskussion über die befand. Um sich die Rechtsvertretung lei- Ereignisse von 1927.

* Das Standesamt von Schattendorf vermerkt den Geburtstag am 14.3.1905.

JOHANN PINTER (16.4.1901*–8.5.1985)

„Johann Pinter ist am 16. April 1901 in Schattendorf Bezirk Mattersburg im Burgenlande geboren und zuständig, in Schattendorf 190 wohnhaft österr. Staatsbürger, röm.kath.verheiratet, kann lesen und schreiben, besitzt kein Ver- mögen hat für seine Gattin Maria und 1 Kind im Alter von 2 1/2 Jahren zu sor- gen, Eltern Johann und Barbara Pinter und erscheint ha. nicht vorbestraft auf.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

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BIOGRAFIEN

ohann Pinter entstammte einer Schat- Feuer eröffnet. Johann Pinter wurde dabei tendorfer Bauernfamilie. Er übernahm erkannt, mehrere Schüsse abgegeben zu Jden elterlichen Hof und führte diesen haben. Ungeklärt bleibt, ob er einer der To- bis zu seiner Pensionierung. Seine Gattin desschützen war. Maria war die Schwester von Josef und Hie- Johann Pinter hielt sich aus Angst vor ronymus Tscharmann, mit denen er auch der Rache der Schutzbündler versteckt, freundschaftlich verbunden war. Während wurde aber bald gefasst. Die Freundschaft seiner Schulzeit litt er besonders unter der zu Josef Tscharmann war auf Grund der durch eine restriktive Magyarisierungspoli- Tatsache, dass dieser ihn bei der ersten tik verordneten ungarischen Schulsprache. Vernehmung schwer belastete, auf eine Ganz in diesem Sinne befürwortete er den harte Probe gestellt. Anschluss des Burgenlandes an Österreich. Nach eingehender Untersuchung wurde Seine politische Orientierung war also eher gegen Johann Pinter und die anderen Be- Großdeutsch. Infolge dessen stand seine teiligten die Anklage wegen „Verbrechen Motivlage bezüglich einer Mitgliedschaft in der öffentlichen Gewalttätigkeiten durch der Frontkämpfervereinigung jener der Brü- boshafte Handlungen und besonders ge- der Tscharmann konträr gegenüber. Im Ge- fährlichen Verhältnissen nach § 87 des gensatz zu seinen beiden Schwagern, pas- Österreichischen Strafgesetztes“ erhoben. sionierte Jäger, war Johann im Umgang mit Sowohl Johann Pinter als auch seine bei- Schusswaffen eher ungeübt. den Schwager bestritten nie, die tödlichen Nachdem es am besagten 30. Jänner ge- Schüsse abgegeben zu haben, doch gaben gen 13.30 Uhr zu ersten Auseinanderset- sie an, nicht in der Absicht geschossen zu zungen mit Schutzbündlern gekommen haben, zu töten oder zu verletzten. war, fand sich auch Johann Pinter im Gast- Nach dem Freispruch und seiner Rück- haus seines Schwiegervaters ein. Bereits zu kehr nach Schattendorf stellte sich für ihn Mittag desselben Tages waren Gewehre im nie die Frage, aus seinem Heimatort weg- Wohntrakt des Hauses positioniert wor- zuziehen. den. Um ca. 16.00 Uhr wurde das Gast- Auch in der Familie Pinter wurden die haus Tscharmann ein weiteres Mal Schau- Geschehnisse verdrängt. Von der Beteili- platz von Auseinandersetzungen. Zu die- gung an den tragischen Ereignissen, die sem Zeitpunkt befand sich Johann Pinter zum Tod zweier Menschen führten, erfuhr bereits im Gasthof, bereit den Schutzbünd- Johann Pinters Sohn erst mit 16 Jahren im lern entschieden entgegenzutreten. Die Zuge einer Wahlveranstaltung. Während in Unterzahl befindlichen Frontkämpfer sich Johann Pinter allen Fragen seiner flüchteten aus der Gaststube und begaben Kinder verschloss, war es die Mutter, sich, wie vorgesehen, in den Wohntrakt die diesen vom tragischen Ereignis des der Tscharmanns. Von hier wurde das 30. Jänner 1927 erzählte.

* Das Standesamt von Schattendorf vermerkt den Geburtstag am 13.4.1901

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ZEITTAFEL

1 9 2 1 1 9 2 3 09.01. 25.03. Konstituierung der „Burgenländischen Lan- 1. Gemeinderatswahlen im Burgenland desorganisation der Sozialdemokratischen 12.07. Arbeiterpartei“ in Wiener Neustadt – Ob- Gesetz über die Einführung der 8jährigen mann: Johann Fiala Schulpflicht im Burgenland 25.01. 14.07. „Burgenlandgesetz“ – Bundesverfassungsge- Demission von Landeshauptmann Rausnitz setz über die Stellung des Burgenlandes als – Dr. Alfred Walheim wird zum neuen selbstständiges und gleichberechtigtes Bun- Landeshauptmann gewählt desland 21.10. 14.04. Nationalrats- und Landtagswahlen im Bur- Konstituierung der „Christlichsozialen Lan- genland desparteileitung für das Burgenland“ in 13.11. Wien – Obmann: Rudolf Gruber Beginn der II. Wahlperiode (= Legislaturpe- riode) des Burgenländischen Landtages

1 9 2 2 01.01. 1 9 2 4 Das durch die „Ödenburger Volksabstim- 04.01. mung“ verlorene Gebiet wird an Ungarn Neuwahl der Burgenländischen Landesre- übergeben gierung – Landeshauptmann: Josef Rauhofer 02.02. 29.04. Konstituierende Sitzung der Landespartei- Gemeindeordnung für alle burgenländi- leitung der „Großdeutschen Volkspartei für schen Gemeinden mit Ausnahme der Frei- das Burgenland“ in Sauerbrunn – Ob- städte Eisenstadt und Rust mann: Karl Wollinger, Dr. Alfred Walheim 19.07. 18.06. Eröffnung der Burgenländischen Arbeiter- Im Burgenland werden die ersten Wahlen kammer für den Landtag und zugleich für den Na- 30.07. tionalrat durchgeführt Eröffnung der Burgenländischen Handels- 15.07. kammer Konstituierende Sitzung des Burgenländi- schen Landtages in der ehemaligen Militär- oberrealschule in Eisenstadt 19.07. Wahl der ersten Burgenländischen Landes- regierung – Landeshauptmann: Dr. Alfred Rausnitz

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ZEITTAFEL

1 9 2 5 1 9 2 7 13.03. 30.01. Eröffnung der Burgenländischen Landwirt- Schattendorf – Zusammenstoß des Republi- schaftskammer kanischen Schutzbundes mit der Front- 30.04. kämpfervereinigung Eisenstadt ist Landeshauptstadt – Eisen- 02.02. stadt wird vom Landtag mit 20 gegen Die Begräbnisse der beiden Opfer in Schat- 9 Stimmen zum Sitz der Landesregierung tendorf und Klingenbach werden beein- und zum Tagungsort des Landtages ge- druckende sozialdemokratische Trauer- wählt kundkundgebungen; in ganz Österreich 15.05. wird ein 15minütiger Generalstreik abge- Der Landtagspräsident Oskar Brugnak halten nimmt die Demission von Landeshaupt- 03.02. mann Rauhofer zur Kenntnis; gleichzeitig Tumulte bei der Nationalratssitzung wird Landeshauptmann-Stellvertreter Lud- 08.02. wig Leser mit der Weiterführung der Agen- Landtagssitzung ist befasst mit dem Ereig- den des Landeshauptmannes betraut („In- nis Schattendorf terregnum Leser“) 20.03. 09.06. Gemeinderatswahlen im Burgenland Neuwahl des Landeshauptmannes – Josef 24.04. Rauhofer Nationalrats- und Landtagswahlen im Bur- genland 20.05. 1 9 2 6 Beginn der III. Wahlperiode des Burgenlän- 15.01. dischen Landtages Gesetz über die Verfassung des Burgenlan- 14.07. des Der „Schattendorfer Prozess“ vor einem 03.11. Wiener Schwurgericht endet mit dem Frei- Sozialdemokratisches Parteiprogramm („Lin- spruch der Angeklagten zer Programm“) 15.07. 29.11. Brand des Justizpalastes. Blutiger Aufstand Neufassung des Christlichsozialen Partei- in Wien programms 14.12. Grundsteinlegung zum Regierungsgebäude in Eisenstadt

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LITERATURVERZEICHNIS

Allgemeine Landestopographie des Burgenlandes. Der Verwaltungsbezirk Mattersburg, Hg. Amt der Burgenländischen Landesregierung, Eisenstadt 1993

Hans Arthofer, Vom Selbstschutz zur Frontmiliz, 1918–1936, Wien 1936

Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, Wien-München 2001

50 Jahre Burgenland, Burgenländische Forschungen Sonderheft III, Eisenstadt 1971

Charlotte Heidrich, Burgenländische Politik in der Ersten Republik, Bd. 4, Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte, Wien 1982

Norbert Leser, Paul Sailer-Wlasits (Hg.), Als die Republik brannte. Von Schattendorf bis Wien, Wien 2001

Hugo Portisch, Österreich I. Die unterschätzte Republik, Wien 1989

Schattendorf, Seine Geschichte und seine Menschen, Hg. Marktgemeinde Schattendorf, Schattendorf 2003

Fred Sinowatz, Gerald Schlag, Walter Feymann, Aufbruch an der Grenze. Die Arbeiter- bewegung von ihren Anfängen im westungarischen Raum bis zum 100-Jahre-Jubiläum der Sozialistischen Partei Österreichs, Wr. Neustadt 1989

Mario Strigl, Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigung in Österreich, Diplomarbeit Institut für Zeitgeschichte, Wien 2000

Felix Tobler, Zur Frühgeschichte der NSDAP im Burgenland, in: Burgenland 1938, Burgenländische Forschungen Bd. 73, Eisenstadt 1989

Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Hg. AG zur Erforschung und Dokumentation der Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung, Eisenstadt 1984

Günther M. Unger, Die Christlichsoziale Partei im Burgenland, Burgenländische Forschungen Bd. 49, Eisenstadt 1965

Günter M. Unger, 60 Jahre ÖVP, Familienalbum zur Geschichte der ÖVP im Burgenland, Hornstein 2005

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LITERATURVERZEICHNIS

Bibliografische Literatur

Johann Bögl, Burgenland. Ein Bericht zur Zeitgeschichte, Wien 1974

Julius Deutsch, Ein weiter Weg, Zürich-Wien-Leipzig 1960

Oskar Helmer, 50 Jahre erlebte Geschichte, Wien 1957

Quellenverzeichnis

Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

Burgenländisches Landesarchiv, Erhebungsakt der Gendarmerie „Frontkämpfer und Republikanischer Schutzbund. Zusammenstoß in Schattendorf“ III-317/1927, Konvolut ca. 210 Seiten

Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung, Polizei – Vereine

Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung, Parteiarchiv SDAP

Stenographische Protokolle des Burgenländischen Landtages, 1922–1927

Burgenländische Heimat

Burgenländische Freiheit

Arbeiter-Zeitung

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DANKSAGUNG

WIR BEDANKEN UNS FÜR DIE FREUNDLICHE UNTERSTÜTZUNG BEI:

Dr. Evelyn Fertl, Schattendorf

Erwin Kurz, Schattendorf

Josefa Trimmel-Tscharmann, Schattendorf

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