SCHICKSAL DER BURGENLANDROMA mit Blick auf

Anna Mayer-Benedek SKANDINAVIEN FINNLAND 1584 n. Chr. 1515 n. Chr. WANDERBEWEGUNG DER SINTI UND ROMA BRITISCHE INSELN 1440 n. Chr. POLEN 1509 n. Chr. DEUTSCHLAND 1407 n. Chr.

BÖHMEN 1399 n. CHR. SERBIEN 1348 n. Chr. SPANIEN GRIECHENLAND 1425 n. Chr. 1320 n. Chr. BYZANZ 855 n. Chr.

PERSIEN 750 n. Chr.

VON INDIEN

WOHER SIE KAMEN

as Ursprungsland der Maria Theresia versuchte die „drohm“ (Sanskrit) war Roma und Sinti 1763 zur Sess- Indien. Dort lebten sie haftigkeit zu zwingen, Wagen Dals Kaste der Spielleute mit einge- und Zugpferde wurden konfis- schränkten Berufsmöglichkeiten. ziert. 1773 verfügte Josef II, der Drei Subkasten kamen im Laufe Sohn von Maria Theresia. einen jahrhundertelanger Wanderbewe- Erlass, durch den die „Zigeun- gungen in das Gebiet des heutigen erkinder“ über fünf Jahren ih- Österreich: Roma, Sinti und Lovara. ren Eltern weggenommen und den Bauern und Handwerkern Zwischen dem 5. und 9. Jahrhun- zur „Erziehung“ übergeben dert verließen die Vorfahren der wurden. Zusätzlich durften die Roma ihre ursprüngliche Heimat Roma ihre traditionelle Klei- und siedelten im persischen, spä- dung nicht tragen und ihre ter im armenischen und schließlich Sprache nicht mehr sprechen! im 10. - 11. Jahrhundert im griechi- Im 16. und 17. Jahrhundert kamen Viele Roma flohen vor diesen grau- schen Gebiet des Byzantinischen Roma im Dienste des türkischen samen Maßnahmen, sie versteckten Reichs. Sie verließen das Land aus Heeres als Musiker, Waffen- und sich, um ihre Kinder zu retten, und ökonomischen und sozialen Grün- Hufschmiede nach Ungarn. Nach gingen wieder auf die Wanderschaft. den, wegen klimatischer Katastro- Abzug der Türken blieben viele im phen, aber auch wegen politischer Lande. In Westungarn führten sie Nach dem Tod von Josef II wurde und religiöser Konflikte. Die Men- ein halbnomadisches Leben. Im die Politik gegenüber den sesshaf- schen haben sich auf ihren Wande- Winter blieben sie an einem Platz ten Roma weniger rigoros und es rungen längere Zeit - oft auch über in einfachsten Behausungen und im folgten 150 Jahre einer teils sym- mehrere Generationen - im Iran, in Sommer zogen sie von Ort zu Ort biotischen Beziehung zwischen Armenien und im Byzantinischen und boten den Bauern ihre Dienst- den „Zigeunern“ und den Gadsche Reich aufgehalten. leistungen und Produkte an. (Nicht-Roma).

2 DIE SPRACHE DER ROMA

m 18. Jahrhundert erkann- ten Sprachwissenschaft- ler die Zugehörigkeit der Džanes romanes? Sprache der Roma, des ROMANES I jevend gadžemišto zur indischen Sprachgruppe. Das manuš Romanes oder Romani gehört wie buti viele europäische Sprachen (z.B. kalo Deutsch, Englisch, Italienisch) zur bango indoeuropäischen Sprachenfamilie. DAND halls Die Verwandtschaft mit neu-indi- schen Sprachen wie Panjabi, Hindi KALO und Urdu zeigt sich im Wortschatz, drakh jevend in der Grammatik und im Laut-

bestand. Anhand der Lehnwörter gadže Jipen Du hal miro jevend konnten die Migrationsbewegun- kalo šukar RUKH gen der Roma von Indien nach MANUŠmišto Europa nachvollzogen werden. Ro- manes, wurde von den jeweiligen Kontaktsprachen (Persisch, Arme- ŠUKARmanuš RAT nisch, Griechisch) stark beeinflusst. jevend Zum späten Lehngut zählen Wörter Sepeči dand aus dem Neugriechischen, Slawi- džal Kalderaš schen, Ungarischen und Deutschen. dem die Roma ausgesetzt sind, In Nord- und Westeuropa wer- ging der Gebrauch des Roman den verschiedenen Sinti-Sprachen auch innerhalb der Volksgrup- gesprochen, wogegen die Roma- pe zurück. Um dem drohen- ni-Sprachen in Zentral- und Süd- den Sprachtod und dem damit europas sehr stark von den sie um- verbundenen Identitätsverlust gebenden Sprachen wie Albanisch entgegenzuwirken, startete der und Türkisch auf dem Balkan, sowie Obmann vom „Verein Roma von Rumänisch, Ungarisch und an- Oberwart“, Emmerich Gärt- deren slawischen Sprachen beein- ner-Horvath, zusammen mit flusst wurden. dem Institut für Sprachwissen- schaft an der Universität Graz Romanes ist daher eine sehr hetero- und in engem Kontakt mit der gene Sprache mit unterschiedlichen Volksgruppe ein Projekt zur Dialekten, die seit Jahrhunderten Verschriftlichung und Erstellung ausschließlich mündlich tradiert von Text- und Lehrmaterialien. wird. Die Verschriftlichung begann erst im 19. Jahrhundert. Seit September 1999 wird der Roman-Sprachunterricht erst- Fundierten Schätzungen zufolge le- Bis vor einigen Jahren war das mals an einer öffentlichen Schule, ben in Europa 8–12 Millionen Roma, Roman, die Sprache der Roma im der Volkschule Oberwart, angebo- von denen ungefähr 6–10 Millionen , eine kaum bekann- ten. Die Kinder erwerben auf spie- Romani sprechen. Verlässliche Zah- te Minderheitensprache. Infolge lerische Weise Grundkenntnisse des len liegen aber nicht vor. des starken Assimilationsdrucks, Roman.

3 WIE SIE LEBTEN

Romasiedlung in Oberwart, vor 1931 „Zigeunerklasse“ in Stegersbach, 1930er Jahre

„Zigeunerbanda“, vor 1938 Rutensesselflechter, 1934

eit den 17. Jahrhundert sind Roma und Sinti auf Die Lebensbedingungen der Burgenlandroma ver- dem Gebiet des heutigen Österreich beheima- schlechterten sich im 20. Jahrhundert nach der Überga- tet. Die am längsten ansässige Gruppe bilden be Westungarns an Österreich. Durch Mechanisierung, dieS Burgenland-Roma. Industrialisierung und Rationalisierung der Wirtschaft wurden sie nach und nach ihrer Lebensgrundlage als Die Roma spezialisierten sich in Marktnischen und fan- zum Teil wandernde Handwerker, Musiker und Händler den als Scherenschleifer, Ruten- und Sesselerzeuger, beraubt und als Gelegenheitsarbeiter an den untersten Korbflechter, Besen- und Bürstenbilder, Pinselerzeuger, Rand der sozialen Hierarchie gedrängt. In der Krise ver- Kesselflicker, Rastelbinder, Schmiede und Musikanten loren sie meist auch diese Gelegenheitsarbeiten. Die Be- ihr Auskommen. Die Frauen konnten die von ihnen ge- hörden machten ihnen das Leben schwer: Sie mussten sammelten Kräuter, Beeren, Blumen und Pilze sowie Papiere einer österreichischen Gemeinde vorweisen, die aus Tierfetten hergestellten Medikamente verkau- hatten sie nur gültige ungarische Reisepässe wurden fen und verdingten sich auch als Wahrsagerinnen. Die sie aus Österreich abgeschoben. 1924 wurde ein „Fest- im 19. Jahrhundert zugewanderten Lovara waren meist setzungserlass“ beschlossen, der die Burgenland-Roma Pferdehändler mit Niederlassungen im Seewinkel. Um am Verlassen ihrer Dörfer hinderte und die Ausübung die Mitte des 19. Jahrhunderts kamen auch die ersten des ohnehin kaum mehr möglichen Wandergewerbes Sinti aus Böhmen und Bayern nach Österreich. endgültig unterband.

Die Bauern nahmen die Dienste und Waren in Anspruch Die Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung vom Landesarchiv und bezahlten oft mit Lebensmitteln. zur Verfügung gestellt. Die Aufnahmen wurden hauptsäch- lich zu Beginn der 1930er Jahre von der Gendarmerie gemacht und dienten auch dazu, die Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren.

4 Bei eine Zählung im Jahre 1933 in Mattersburg 444 „Zigeuner“ registriert, die sich wie folgt aufteilen: Mattersburg 57 Forchtenau 15 Wiesen 36 Walbersdorf 46 Marz 59 38 Rohrbach 43 Neudörfl 52 Draßburg 19 29 Sigleß 20 14

Gendarm nimmt einem Rom Fingerabrücke ab, vor 1938 MARGINALISIERUNG, DISKRIMINIERUNG UND VERFOLGUNG ie alle „Zigeuner“ waren auch die Burgen- im Tragen bunter Kleider, Vorliebe für Rauchen, fettes landroma an den Rand der Gesellschaft Essen, Branntwein und Vielweiberei definiert. gedrängt und sozial ausgegrenzt. Die Dis- kriminierungW der Burgenlandroma erlebte im 20. Jahr- Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 stellen die Ver- hundert ihren verbrecherischen Höhepunkt. folgung der Roma und Sinti, als Menschen „artfremden Blutes“, auf eine Stufe mit der Verfolgung der Juden. In den 1920er Jahren löste die Krise Not, Arbeitslosigkeit und politische Unsicherheit aus. Durch den Der burgenländische NS-Landeshauptmann Tobias Westungarns an Österreich verloren die Burgenlandro- Portschy publiziert 1938 eine rassistische Denkschrift „ ma das Recht auf Quartier während der Wanderschaft. Die Zigeunerfrage“, die er unter das Motto „Willst du, Es wurde eine eigene Gendarmerie für die „Zigeuner“ Deutscher, Totengräber des Nordischen Blutes im Bur- geschaffen. „Zigeunergendarmen“ führten Razzien in genlande werden, so übersehe nur die Gefahr, die ihm den Siedlungen durch. 1928 werden in einer von der die Zigeuner sind!“ stellte. Seine Lösungsvorschläge zur Bundespolizeidirektion Eisenstadt geführten Kartothek „Zigeunerplage“ zielen vor allem auf Sterilisation und die Burgenlandroma erfasst. Alle Zigeuner über 14 Jahre Zwangsarbeit in Internierungslagern. werden durch Fingerabdrücke und Lichtbild registriert, jedes Jahr wird die Kartei ergänzt. Als Zigeuner wurden 1938 wurde den Romakindern der Schulbesuch unter- zunächst alle anders gearteten, asozialen Personen be- sagt. Die ersten Deportationen nach Dachau und Ra- zeichnet. Das Anderssein wird durch dunkle Hautfarbe, vensbrück begannen.

5 erfamilienlager“ in Birkenau. Zwi- schen dem 1. März 1943 und dem 20. Juli 1944 wurden 22.600 „Zigeune- rinnen“ und „Zigeuner“, zum über- wiegenden Teil aus Deutschland und Österreich, nach Auschwitz-Bir- kenau deportiert. Über 90 Prozent von ihnen sollten die Liquidierung des Lagers am 2. August 1944 nicht mehr erleben.

Von den insgesamt in den Jahren 1940 bis 1945 rund 4.000 im Lager Lackenbach internierten „Zigeunern“ erlebten nur einige hundert Häftlinge die Befreiung des Lagers durch sow- jetische Truppen im April 1945. Verwaltungsgebäude Lackenbach Von den vor 1938 im Burgenland le- benden ca. 7000 Roma überlebten PORAJMOS geschätzte 10% den Holocaust. Die Opferzahlen spiegeln jedoch nur einen Teil des zugefügten Leids wi- orajmos ist Roman und 4. und 8. November 1941 fuhr täglich der. Wie viele der Burgenlandroma bedeutet „Verschlingen“. ein Zug mit 1000 Opfern nach Łodz. von den Sterilisierungsprogrammen Das Wort bezeichnet den Allein aus Lackenbach wurden 2000 und medizinischen Versuchen be- VölkermordP an den europäischen Roma und Sinti deportiert. Aus Łódz troffen waren, lässt sich nicht fest- Roma in der Zeit des Nationalsozi- gab es keine Überlebende. 1943 be- stellen. Die physischen Schäden alismus. gannen die Deportationen in das KZ und die psychischen Folgewirkun- Auschwitz-Birkenau. Bestimmungs- gen waren enorm und sind bis in die 1939 erfolgt die Einweisung von rund ort war das sogenannte „Zigeun- Gegenwart spürbar. 3.000 Roma in Konzentrationslager, Frauen nach Ravensbrück, Männer nach Dachau, später nach Mauthau- sen, Buchenwald und Ausschwitz.

Am 23. 11. 1940 wird das „Zigeun- erfamilien-Anhalte- und Zwangs- arbeitslager“ Lackenbach eröffnet. Für die meisten der Internierten wird es zur Durchgangsstation zu den Vernichtungslagern. Im Winter 1941/42 brach eine Typhusepide- mie aus. Es gab keine medizinische Versorgung. Der Seuche fielen ca. 250-300 Menschen zum Opfer. Am 1. Oktober 1941 ordnete Himmler die Deportation von 5000 Roma und Sinti aus Österreich in das Ghet- to von Łódz (Litzmannstadt) an, die überwiegende Mehrheit waren Burgenland-Roma. Ganze Familien wurden deportiert. Zwischen dem Krematorium Ravensbrück

6 ROMA IM RAUM MATTERSBURG

Romasiedlung

Mattersburg, Kastenwagen um 1926 Rom aus Walbersdorf, 1926

is 1938 waren am Rande Verwandtschaftsverhältnisse, Per- Heute leben kaum noch Roma im von Mattersburg Roma sonenbeschreibung und Angaben Ort. Die wenigen, die nach dem angesiedelt - bei der zum KZ-Aufenthalt wurden erfasst. Krieg zurück kamen wurden sess- RohrbrückeB in Richtung Forchtenau In den Karteiblättern aus dem Jah- haft und vermischten sich mit der und in Walbersdorf vor den Ziegel- re 1948 der Mattersburger Roma Bevölkerung. Volle Akzeptanz und werkgründen. ist immer wieder unter der Rubrik Gleichberechtigung waren aber „KZ-Aufenthalt“ zu lesen: „durch nicht gegeben. Die meisten Kinder Nach dem Krieg kehren überleben- Schläge mißhandelt“ oder „… Kin- wurden bis in die 1960er Jahre noch de Roma teilweise in ihre burgen- der aus unbekannter Ursache im automatisch in die Sonderschule ländischen Heimatdörfer zurück, Lager verstorben“. Bei allen findet geschickt, Arbeitsmöglichkeiten andere gehen in Städte, wo sie man die Anmerkung: „keine Ent- gab es nur gelegentlich. anonym ein neues Leben aufzu- schädigung erhalten“. bauen versuchen. In den Bezirk Seit Jahrzehnten lagen noch im- Mattersburg kamen höchstens 50 Erst Jahre später wurden Ent- mer zwei Mal im Jahr Romafamili- Roma zurück. 1933 lebten hier noch schädigungen für die erlittenen en aus Rumänien und Frankreich 444 Roma. Schäden und den Verlust ihrer unter dem Viadukt und bieten ihre Wohnstätte und gesamten Habe Fertigkeiten und Produkte der Be- Über die zurückgekehrten Roma gewährt. Es dauerte bis zum Ende völkerung an. Sie werden von der wurden Evidenzverzeichnisse ge- der 1980er Jahre zur Durchführung Gemeinde wohlwollend geduldet führt. Ihre persönlichen Daten, von Wiedergutmachungsverfahren. und fallweise versorgt.

7 GEDENKSTÄTTE AM MATTERSBURGER FRIEDHOF

Gedenkstätte am Friedhof in Mattersburg, Foto: Georg Luif

arl Horvath, geb. 1950, tersburger Friedhof. Der Torso drückt war Mattersburger Kunst- „die Demut vor dem Leben“ aus. schmied und Angehö- Kriger der Roma-Volksgruppe. Sein Die Gedenkstätte wurde 2007 ein- Vater, geb. 1931, war im Lager La- geweiht. Sie erinnert an die 63 Mat- ckenbach, seine Mutter Walpurga, tersburger und 61 Walbersdorfer geb. 1923, in den Konzentrationsla- Sinti und Roma, die als Opfer des gern Ravensbrück und Bergen-Bel- Holocaust ihr Leben verloren haben. sen interniert. Karl Horvath besuchte die Hauptschule und trat eine Lehre Der Künstler starb 2013. Einige Jah- in Wr. Neustadt an. In Mattersburg re davor half er bis zu seinem Tod wurde er von möglichen Lehrherren der Mattersburger Künstlerin und abgelehnt. Er war ein zielstrebiger Gymnasiallehrerin Frau Friederike Mensch und schaffte es, eine eigene Lorenz-Hartl bei der Realisierung Werkstatt aufzubauen. Er verwirklich- ihrer Metall-Skulpturen. te sich auch als Kunstschied. Er baute Frau Friederike Lorenz-Hartl mit Karl die Skulptur eines gebeugten Torsos Horvath vor ihrem Kunstwerk für bei der Gedenkstätte auf dem Mat- Mattersburg im Jahre 2002.

8 Denkmal in Lackenbach

ROMA- UND SINTI Sie mussten leiden und sterben, GEDENKSTÄTTEN nur weil sie anders waren ...

LACKENBACH Ende März 2.300 bis 2.400 Am 6. Oktober 1984 wurde unweit Häftlinge getötet wurden. des ehemaligen „Zigeunerlagers“ Andere wurden erschos- Lackenbach ein Mahnmal für die sen, starben aufgrund der hier internierten und von hier de- katastrophalen Lebensbe- portierten Roma und Sinti errichtet. dingungen oder nach me- Es wurde von Architekt Matthias dizinischen Experimenten. Szauer gestaltet. Die Basaltblöcke Man geht davon aus, dass als Elemente des Denkmals bringen insgesamt 28.000 Häftlin- den direkten Bezug zur damaligen ge in diesem KZ ums Leben Zwangsarbeit der Zigeuner zum gekommen sind. Selbst die Ausdruck. Anlässlich der 50. Wie- Denkmal in Ravensbrück Leichen wurden bis aufs derkehr der Errichtung des „Zigeu- Letzte ausgebeutet. Ihre Asche nerlagers“ Lackenbach wurde im 440 Roma und Sinti mit ihren Kin- diente als Dünger für die Felder, aus Jahre 1990 erstmals eine Gedenk- dern aus dem Burgenland hierher den Knochen wurde Seife herge- feier beim Denkmal organisiert, die deportiert. Im Jahr 1940 machten stellt und vieles andere. seither jährlich im November statt- die „Asozialen“, darunter zahlreiche findet. „Zigeunerinnen“, den Großteil der Das von der SS bereits geräumte Häftlinge aus. Lager wurde am 29. April 1945 von RAVENSBRÜCK den sowjetischen Truppen erreicht. Das Konzentrationslager Ravens- Rund 123.000 Frauen aus über 40 Es waren lediglich 2.000 nicht mehr brück (auch KZ- oder KL-Ravens- Nationen durchlitten das KZ Ra- marschfähige Frauen und Männer brück) war das größte deutsche vensbrück, unter ihnen rund 2.446 zurückgeblieben Konzentrationslager der Schutz- Österreicherinnen. Im Februar 1945 staffel (SS) für weibliche Häftlin- wurden in Ravensbrück ein Richt- Seit 1959 befindet sich auf dem Ge- ge im Deutschen Reich. Bereits platz sowie eine provisorische lände die Mahn- und Gedenkstätte Ende Juni 1939 wurden erstmals Gaskammer errichtet, in der bis Ravensbrück.

9 ROMA-ATTENTAT IN OBERWART 1995

m 4. Februar 1995 werden vier Roma aus der Ober- warter Roma-Siedlung Avon einer Rohrbombe getötet. Die zum Teil grässlich verstümmelten Leichen von Josef Simon (40), Peter Sarközi (27), Karl Horvath (22) und Erwin Horvath (18) werden am Mor- gen des 5.Februar entdeckt. Dieses Attentat war das schlimmste politi- sche Attentat gegen Roma seit dem Ende des nationalsozialistischen Re- gimes (und der zweiten Republik). Gedenkstätte in Oberwart Epochen österreichischer Geschich- der Täter gefunden. Franz Fuchs Eine Tafel mit der Aufschrift „Roma te, die längst der Vergangenheit an- verübte eine ganze Serie von Brief- zurück nach Indien!“ wird neben den gehören: Die Täter wurden zuerst in bombenattentaten. 1999 wurde er Toten gefunden. Nach dem Attentat den Reihen der Opfer gesucht, Hin- wegen Vierfachmords, zahlreicher wurde die gesamte Oberwarter Ro- terbliebene mussten Rede und Ant- Mordversuche und Körperverlet- masiedlung penetrant durchsucht wort stehen anstatt Unterstützung zungen zu lebenslanger Haft verur- und die Angehörigen vernommen. und Mitgefühl zu erfahren. teilt. Er beging in seiner Zelle in der Die Durchsuchungen und Verneh- Justizanstalt Graz-Karlau im Febru- mungen der Roma erinnerten an Nach langen Recherchen wurde ar 2000 Selbstmord.

10 ANERKENNUNG UND GEDENKEN

nde der 80er Jahre er- reichten Diskriminierun- gen eine Selbstverständ- lichkeit,E die eine Gruppe engagierter Roma und Nichtroma nicht länger bereit war hinzunehmen.

Die Einstellung einiger Gastwirte, jungen Roma generelles Lokalver- bot zu erteilen, war das auslösen- de Moment für die Gründung der ersten Roma-Organisation in Ös- terreich – des „Verein Roma Ober- anderen fünf Volkgruppen in Ös- nanzielle Hilfe bei der Ausbildung wart“. In den nächsten Jahren ent- terreich mit großem Engagement und Weiterbildung von Roma. standen weitere Roma-Vereine in eingesetzt. Seit 1995 ist er Vorsit- Wien, Linz und Villach. zender des Volksgruppenbeirates 2013 wurden 20 Jahre Anerkennung der Roma. Er ist Obmann des Kul- der Roma als Volksgruppe im Par- Am 24. 12. 1993 erfolgte die Aner- turvereins österreichischer Roma, lament gefeiert. Bundespräsident kennung der Roma (Oberbegriff der 1991 gegründet wurde. Er setzt Heinz Fischer würdigt in seiner Fe- für Roma, Sinti, Lovara und klei- sich auch stark für die Gedenkstät- strede im Parlament den „langen nere Gruppen der Minderheit) als tenarbeit für Roma und Sinti ein. und steinigen Weg“, den die Volks- sechste Volksgruppe* in der Ver- gruppe in den vergangenen zwei fassung. Im Juni 1995, nach dem Attentat Jahrzehnten zurückzulegen hatte. in Oberwart, gründete Prof. Rudolf Zum diesem Erfolg hat Prof. Rudolf Sarközi den Roma-Bildungsfonds * Anmerkung: die sechs Volksgruppen sind die Burgenlandkroaten, Slowenen, die un- Sarközi sicher wesentlich beigetra- mit Sitz in Wien. Die Tätigkeit des garische, die tschechische und die slowa- gen. Er hat sich für die rechtliche Fonds erstreckt sich über das ge- kische Volksgruppe sowie die Volksgrup- Gleichsetzung der Roma mit den samte Bundesgebiet. Er leistet fi- pe der Roma.

11 DIE WICHTIGSTEN VEREINE DER ROMA

ie Veränderungen durch Industrialisierung, Krieg und massenhafte Vernichtung hat die Volksgruppe der Roma vor die Aufgabe ge- stellt,D eine neue Identität aufzubauen. Sie müssen Ar- mut, Segregation und Diskriminierung abwehren. Darü- Kulturverein Österreichischer Roma ber hinaus wird derzeit insbesondere im Kulturbereich Dieser Verein wurde im Juni 1991 in Wien gegründet die Frage nach einer Roma-Identität neu gestellt. In und erstreckt seine Tätigkeit über ganz Österreich. Sei- Österreich gibt es verschiedene Vereine, die zur Entwick- ne Aufgabe besteht in der Verbesserung der sozialen lung einer neuen Identität der Volksgruppe beitragen. Ihre und politischen Stellung der Roma und in der Neubele- Arbeit konzentriert sich einerseits auf die Aufarbeitung der bung und Förderung der Kultur und Sprache. Geschichte, Schaffung von Gedenkstätten und damit die Entwicklung einer Erinnerungskultur, andererseits auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse sowie auf die Förde- rung von Bildung und Ausbildung. Verein Romano Centro Der Verein setzt seinen Schwerpunt auf die Einhaltung der Menschenrechte für die Roma in ganz Österreich.

Verein Roma Oberwart In Oberwart wurde im Juni 1989 der „Verein Roma – zur Roma-Service Förderung von Roma“ als erste Roma-Organisation in Aufgabe des Vereins Roma-Service ist die Forderung, Österreich gegründet. Neben der Kulturarbeit ist ein er- Bewahrung und Dokumentation der Kultur der Bur- heblicher Bestandteil der Volksgruppenarbeit des Ver- genland-Roma. Im Zentrum der Aktivitäten steht der eins die Verbesserung der schlechten Lebenssituation Erhalt des Roman, des Romani-Dialekts der Burgen- der Roma sowie Information und Aufklärung. land-Roma. Von ROMA-SERIVE wurden unter vielen anderen Publikationen 15 Lebensgeschichten Burgen- Verein Ketani ländischer Roma (je ein Hefte und eine CD) herausge- Ketani wurde 1998 gegründet und versteht sich als Inte- geben, darunter auch Walpurga und Karl Horvath aus ressensvertretung für Sinti und Roma in Westösterreich. Mattersburg.

12 MONGO STOJKA

HARRI STOJKA

CEIJA STOJKA KARL STOJKA

DIE STOJKAS

ie Familie Stojka zählt nach dem Krieg herrschten, gelang und Pflichten hinzuweisen. Ceija heute zu den bekann- es Ceija, Karl und Mongo Stojka, starb 2013. testen Künstler-Familien nach dem Krieg eine neue Existenz Österreichs.D Ceija, Karl und Mongo aufzubauen und ihre Lebensfreude Karl thematisierte seine traumati- sind als bildende Künstler, Schrift- wiederzufinden. schen Erlebnisse während der Na- steller und Sänger Kunstfreunden zizeit in Bildern. 1985 begann er als in ganz Europa ein Begriff. Karl Mitte der 1980er Jahre begannen Autodidakt mit der Malerei. Seine Ratzer, der Sohn Karls, und Harri die Geschwister das ihnen zuge- Bilder wurden in Japan, USA und in Stojka, der Sohn Mongos, erbten fügte Leid und die Ignoranz der Ge- Europa ausgestellt. 1992 erhielt er das künstlerische Talent von ihren sellschaft gegenüber dem Schicksal den höchsten Orden des Holocaust Vätern und sind heute Jazz-Musiker der Volksgruppe künstlerisch zu Memorial Center. 1994 veröffent- von Weltruf. verarbeiten. Ceija und Karl malten licht Karl Stojka seine Autobiogra- erschütternde Erinnerungsbilder, in phie „Auf der ganzen Welt zu Hau- Die Familie gehörte einer Lova- denen sie die erfahrenen Schrecken se“. Er starb 2003. ra-Untergruppe an, einer Roma- des Holocaust schonungslos dar- gruppe, die in Österreich seit dem stellen. Mongo Stojka verarbeitete sein 19. Jahrhundert meist als Pferde- Schicksal durch Musik und Schrei- händler lebte. Ceija Stojka trug mit ihren Auto- ben. Von ihm kam im Jahr 2000 der biographien, „Wir leben im Verbor- Band „Papierene Kinder“ heraus. Von den insgesamt 200 Familien- genen“ und „Reisende auf dieser Ermutigt durch eine zunehmend mitgliedern der Stojkas haben nur Welt“, wesentlich dazu bei, dass sensibilisierte Öffentlichkeit und sechs Personen die Konzentrations- die Roma Österreichs in den fol- den Erfolg ihrer Literatur und Bil- lager überlebt. genden Jahren zunehmend an die der, gingen Ceija und Mongo Stojka Öffentlichkeit gingen, um auf ihre auch mit den überlieferten Liedern Trotz der kontinuierlichen Diskrimi- Geschichte und ihr aktuelles Leben ihrer Vorfahren an die Öffentlich- nierung, der Ignoranz und des Zy- aufmerksam zu machen und die keit. Konzerte und CD-Produktio- nismus, die gegenüber Roma auch Gesellschaft auf ihre Versäumnisse nen folgten. Mongo starb 2014.

13 ANTIZIGANIMUS HEUTE

oma sind die größte Min- werden im besten Fall mit Mitleid derheit in Europa. Insge- und im schlechtesten mit Verfol- samt leben 10-12 Millio- gung und tätlichen Angriffen be- Rnen Roma im europäischen Raum, straft. die meisten in Rumänien und am Balkan. In Österreich sind es an Angefangen bei Beleidigungen die 3.000. Eine starke Dunkelzif- gegen Sinti und Roma bis hin zur fer ergibt sich aus jenen Roma, die Verfolgung und Ermordung durch aus Angst vor Diskriminierung ihre extreme Gruppierungen: In Ungarn, ethnische Zugehörigkeit verbergen. Tschechien und Bulgarien kommt Die Vorurteile gegen Minderheiten es derzeit zu progromartigen Aus- im Allgemeinen sind trotz Europä- schreitungen gegen Roma. Faschis- ischer Menschenrechtskonvention ten sammeln sich in Roma-Sied- und EU-Recht sowie vieler Initiati- lungen, demonstrieren, randalieren ven von Organisationen noch immer Antiziganismus in Ungarn ... und hetzen gegen die Bewohner. sehr groß. Auch in Österreich gibt es immer wieder Übergriffe und Miss- In Ungarn wurden bereits Roma handlungen gegen Menschen ande- ermordet, darunter auch Kinder. rer Herkunft, Religion und Kultur. Auch in Tschechien spitzt sich die Lage immer weiter zu, man be- Besonders Roma werden überall fürchtet neue, noch gewalttätigere in Europa diskriminiert, benutzt, Ausschreitungen gegen Sinti und verleumdet, gedemütigt und ver- Roma. Seit den 1980er und 1990er trieben. Arbeitsmöglichkeiten für und Schweiz ... Jahren gab es in Rumänien viele Roma gibt es nicht. Ausbildungsför- grausame Ausschreitungen. Re- derungen und gesundheitliche Ver- gelrechte Progrome fanden statt. sorgung sind äußerst mangelhaft Ganze Siedlungsgebiete wurden in oder gar nicht vorhanden. Brand gesteckt, Leute verprügelt, vergewaltigt, vertrieben und auch Vor kurzem wurde eine Umfrage getötet. Die Polizei greift nicht ein, in einigen Ländern Europas zur die Täter werden nicht bestraft. Vie- Ablehnung von Roma, Muslimen le Roma flüchten daher aus dem und Juden durchgeführt mit dem Land nicht nur vor der Armut, son- Ergebnis, dass die Roma die am dern auch vor Verfolgung und Le- stärksten angefeindete Minderheit bensbedrohung. mit 50% der Befragten ist, dahinter stehen mit 46% die Muslime und Was man als osteuropäisches Phä- danach mit 18% die Juden. nomen abtun könnte, findet ebenso in Frankreich und Italien statt. Und Die Roma sind die größte Minder- auch in Deutschland und Österreich heit Europas, aber auch diejenige, gibt es Antiziganismus – nicht nur über die die Bevölkerung am we- in den Köpfen, sondern auch im nigsten weiß, gegen die sie aber die konkreten Handeln. größten Vorurteile und Pauschal- verurteilungen haben. Die Armut, Rassismus wendet sich gegen eth- Arbeitslosigkeit, unwürdige Wohn- Gegenprotest in Rumänien: Demonstran- nische Minderheiten, tatsächlich ist tin mit T-Shirt- Aufdruck Ţigancă împuţită verhältnisse, Benachteiligung im (ro. „Dreckige Zigeunerin“), 2007 Rassismus vorallem ein Angriff auf Bildungs- und Gesundheitswesen Quelle Wikipedia die Demokratie.

14 Das Geschichtenhaus veröffentlicht zu seinen Ausstellungen begleitendes schriftliches Material. Dies dient einer- seits als Dokumentation und anderseits zum Nachlesen.

Das „70er Haus der Geschichten“ in Mattersburg, Hintergasse 70, ist Informationsstelle, Archiv, Kontakt- und An- sprechort für diejenigen, die die Vergangenheit erforschen und daraus Fragen für die Zukunft stellen. Die Texte dieses „Büchlein“ wurden im Frühjahr 2014 von Anna Mayer-Benedek zusammengestellt. Anna Mayer-Benedek hat 10 Jahre ihrer Kindheit und Jugend in Mattersburg verbracht, nach der Matura im Jahre 1968 ging sie in ihre Geburtsstadt Wien zurück. Eine zufällige Begegnung mit Dr. Georg Luif lenkte ihr Interesse wieder nach Mattersburg.

Fotonachweis: Umschlagseite vorne: Nationalbibliothek: Romasiedlung in Walbersdorf Seite 2, 3 und 12 Thinkstock Seiten 4 und 5 Landesarchiv Eisenstadt, Thinkstock Seite 6 Johann-Maria Schlorke Fotografie: Krematorium Ravensbrück Landesarchiv Eisenstadt: Verwaltungsgebäude Lackenback Seite 7 Landesarchiv Eisenstadt Seite 9 Kulturverein Österreichischer Roma: Denkmal in Lackenbach Johann-Maria Schlorke Fotografie: Denkmal im KZ Ravensbrück Seite 10 Landesarchiv Eisenstadt Seite 11 Dragan Tatic/HBF: Prof. Rudolf Sarközi mit Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, 2011 Peter Lechner/HBF: Festveranstaltung im Parlament zu 20 Jahre Anerkennung der Volksgruppe der Roma Umschlagseite hinten: Landesarchiv Eisenstadt Alle weiteren Abbildungen sind private Aufnahmen

Graphische Gestaltung: Patricio Handl, Wien Herausgeber und Verantwortlicher: Dr. Georg Luif Hintergasse 70, 7210 Mattersburg

15 Lovariza in Walbersdorf, vor 1931 Handlesende Lovariza in Walbersdorf, vor 1931

„Zigeunerbanda“, 1934 Schrerenschleifer, vor 1938