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3 »Bin ich hässlich?«

Der Journalist Tobias Lehmkuhl porträtiert eine der schönsten Frauen der Sechziger: die Sängerin Christa Päffgen alias .

Von Felix Bayer Stattdessen bettet Lehmkuhl Nicos biograf- schen Soloalben, die Nico zwi- sche Stationen und die dazugehörigen Anekdoten schen 1968 und 1974 aufge- ’LL BE YOUR MIRROR, refect what you immer wieder in den kulturhistorischen Kontext nommen hat. Sie sind stilis- I are, in case you don’t know« – es sind wohl ein. Gelegentlich geht dabei der Literaturkritiker tisch so eigenständig, so voller die berühmtesten Zeilen, die Nico mit ihrer mit ihm durch, etwa wenn er Nicos Jahre als Model emotionaler Kraft, dass sie eigenartigen tiefen Stimme gesungen hat. »I’ll Be in Paris dadurch kennzeichnet, dass der Teo re - Fragen danach rechtfertigen, Your Mirror«, der Song auf dem ersten tiker Jacques Derrida womöglich in denselben was in dem Leben derjenigen von Te Velvet Underground, der von einer Per- Cafés anzutrefen gewesen wäre wie sie. Parbleu! vorgegangen sein muss, die son handelt, die gar nicht weiß, wie schön sie ist. Die Erkenntnis fördernder sind die Erzählungen solche Musik erschaft. Es ist Tobias Lehm- Lou Reed hat ihn geschrieben für Nico, für diese der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharof über dunkle Musik, die an die euro - kuhl: Nico. Frau, die damals, Mitte der Sechzigerjahre, zu Ibiza in den Siebzigerjahren, als Nico dort ihren päische Romantik anknüpft. Biographie den schönsten überhaupt gezählt wurde. Lebensmittelpunkt hatte. »Nico, wie, bitte schön, ver- eines Rätsels. In diesem Sommer, da sich der Tod von Nico In den Jahren davor hatte Nico Filmauftritte kauft man Selbstmord?«, frag- Rowohlt Berlin; zum 30. Mal jährt – mit 49 Jahren stürzte sie auf in Fellinis »La Dolce Vita« und Warhols »Chelsea te der Produzent , 288 Seiten; 24 Euro. Ibiza vom Fahrrad, ein Aneurysma, Hirnblu- Girls« gehabt, die drei Songs auf dem Velvet-Un- der das kommerzielle Poten- tung –, ist ein Film über die letzten Jahre der Sän- derground-Debüt, Afären mit Brian Jones und zial der Alben bezweifelte. gerin in die Kinos gekommen: »Nico, 1988« von – und natürlich die eine Nacht mit Lehmkuhls Biografe könnte gerade in den Susanna Nicchiarelli. Die dänische Schauspielerin Alain Delon, aus der Nicos Sohn Ari folgte, auch Passagen über die Soloalben etwas mehr Leiden- Trine Dyrholm spielt die vom jahrelangen Drogen- wenn Delon die Vaterschaft bis heute nicht aner- schaft vertragen. Zugleich ist man dem Autor für missbrauch zerrüttete Sängerin und fragt an einer kennt. Es war die Phase, für die die Bezeichnung seine vergleichsweise zurückhaltende Schreib- Stelle: »Bin ich hässlich?« Als die Antwort Ja lau- It-Girl fast schon untertrieben wirkt. weise dankbar, wenn es um die tragischen Wen- tet, sagt Nico: »Gut. Als ich hübsch war, war ich Wäre das alles, würden wir eine Nico-Biografe dungen in Nicos späterem Leben geht: der Tod auch nicht glücklich.« nur mit nostalgischem Blick lesen, so ähnlich wie der Mutter, der vernachlässigte Sohn, die Heroin- Der Gipfel ihrer popkulturellen Bedeutung, Leser in 50 Jahren vielleicht eine Biografe über sucht – das hätte auf durchaus geschmacklosere der Niedergang am Ende ihres zu kurzen Lebens – Kim Kardashian lesen werden. Weise ausgewalzt werden können. all das kommt natürlich auch in der ersten Aber es gibt einen künstlerischen Grund, So löst dieses Buch bei Weitem nicht alle Rät- deutschsprachigen Biografe über Nico vor, die warum es noch heute lohnt, die Nico-Rätsel zu sel um Nicos Leben, aber das macht gar nichts: der Berliner Journalist und Literaturkritiker To- ergründen: die Musik auf »Te Marble Index«, Ein Rest an Geheimnis gehört zur großen Kunst bias Lehmkuhl nun vorlegt. Doch das Buch trägt »« und »Te End …«, den drei klassi- dazu. den Untertitel Biographie eines Rätsels, und das Rät- selhafte sucht der Biograf vor allem in der An- fangszeit, als aus Christa Päfgen Nico wurde. »Was war ihr Talent?«, schreibt Lehmkuhl: »Model wurde sie mit fünfzehn, Schauspielerin mit zwan- zig, Sängerin mit fünfundzwanzig Jahren. Ihr Talent war wohl zuallererst, Nico zu sein.« Dass »Nico zu sein« mit Schönheit zu tun hat, darüber kann kein Zweifel herrschen. Groß, blond, kühl, so beeindruckte die junge Deutsche die Modewelt in Paris ebenso wie die Filme - macher in Rom und die Pop-Art-Künstler in New York. Doch dazu kam noch der Klang, ihre tiefe Tonlage, ihr deutscher Akzent. »Es dürfte auch dieser Kontrast von eindringlicher Stimme und äußerer Schönheit gewesen sein, der das Interesse an Nico immer wieder befeuert hat«, schreibt Lehmkuhl. Lehmkuhls besonderes Interesse gilt Christa Päfgens Anfangsjahren: Geburt in Köln, Kriegs- kindheit im brandenburgischen Lübbenau, Ju- gend im zerstörten Berlin. Eine Zeit, über die we- nige Dokumente erhalten sind, was Lehmkuhl durch manche Mutmaßung, manches Zusammen- reimen wettzumachen versucht. Zusätzlich er- schwert wird die Spurensuche dadurch, dass Nico in Interviews und in Gesprächen mit Wegbeglei- tern etliche Legenden über ihre jungen Jahre ver- breitet hat, manche leicht zu falsifzieren, andere einfach nicht verifzierbar. Zum rätselhaften Charakter kommen also auch noch Faktenrätsel. So kann auch Lehmkuhl nicht erhärten, ob die 13-jährige Christa tatsäch- lich von einem afroamerikanischen GI vergewal- tigt worden ist – was, wenn es stimmte, einen Er- klärungsansatz ergäbe für abweisende Reaktio- nen, für rassistische Bemerkungen, für schwierige Bindungen. Doch Nico. Biographie eines Rätsels ist kein Enthüllungsbuch. Tobias Lehmkuhl hat mit Fleiß die greifbaren Quellen ausgewertet, ihm war ofenkundig mehr daran gelegen, eine gut lesbare Erzählung hinzulegen als kleinteilig Re- cherche-Nachweise aufzulisten.