DAS TÄGERMOOS Ein deutsches Stück Schweiz

— Anton und Genofeva Hörenberg mit Tochter Karoline: Konstanzer GEMÜSE- Tobias Engelsing GÄRTNER im Schweizer Tägermoos, 1903.

„Der Rat ermahnt die Bürger- schaft, sich der Vexierwort und Schimpfreden zu enthalten, so etlich Unbedächtliche gegen die Thurgäuer pflegen zu gebrauchen.“

Der Rat der Stadt an seine Bürger, 1628 Erschienen anlässlich der gleichnamigen Sonderausstellung des Rosgartenmuseums Konstanz 2016 INHALT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-87800-098-3 8 ALTER STREIT UM GRÜNE FELDER Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. 10 Expansionsgelüste einer Reichsstadt Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung 18 Die Nase des Kaisers und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 20 Wird Konstanz eidgenössisch? 24 Ein Kloster verkauft Land 26 Woher kommt der Name? — DIE DRUCKLEGUNG WURDE GEFÖRDERT DURCH 28 Schwedische Belagerung 38 Hinrichtungen auf Schweizer Boden 44 Ein Gefängnis am Rande der Felder Gesellschaft der Freunde des Rosgartenmuseums e.V. 46 Napoleon und das Tägermoos 52 Ein Staatsvertrag schafft Rechtsfrieden 62 Wo verläuft die Grenze im See? 64 Das „Trompeterschlössle“ zahlt keine Steuern 68 Der entwischte Gefangene 70 Tägermoos gegen Raubgold 74 Ehetragödie im Wirtshaus — IMPRESSUM Herausgegeben von Tobias Engelsing für das Rosgartenmuseum Konstanz mit heutigen Aufnahmen von Hella Wolff-Seybold 76 MENSCHEN AUS DEM PARADIES 1. Auflage, Juli 2016 Gestaltung: bbv Siegrun Nuber, Konstanz 78 Von Nonnen und Turmwächtern Katalogredaktion: Annette Güthner (Südverlag), Lektorat: David Bruder, Korrektorat: Pfr. i.R. Hans-Jürgen Stöckl 84 Ein Liberaler greift durch Bildvorbereitung: Rosa-Maria Pittà-Settelmeyer, Ursula Benkoe, Ines Stadie 88 Als Magd begonnen Mitarbeit bei Archivrecherchen: stud. phil. Lukas-Daniel Barwitzki, stud. phil. Daniela Schilhab 90 „Arbeitsam im höchsten Grad“ Exponatfotografie: Annette Weiske, Konstanz 106 Der Erste Weltkrieg: Zugang gesperrt Abbildungen: s. Bildnachweis im Anhang 112 Die Grenze durchs Lokal Scans: Ursula Benkoe 114 Schmuggelware im Paradies Druck und Bindung: MMC, Memminger MedienCentrum, Memmingen 120 Zwei Freunde am Zaun Südverlag GmbH 122 Braune Schatten über dem Tägermoos Schützenstr. 24, 78462 Konstanz 128 Flucht über den Seerhein Tel. 07531-9053-0, Fax: 07531-9053-98 130 Jauchedüngung und Rettichfliege www.suedverlag.de 146 Zwei Künstler als Jäger 148 Die „Belchenschlacht am Untersee“ 154 Ein europäischer Arbeitsplatz 156 Eine Autobahn durch das Gemüseland 164 Treffpunkt „Grüntal“ 166 Der „Pappelstreit“ 174 Die letzten Kühe 176 Siedlungsdruck und alte Rechte

184 ANHANG

184 Anmerkungen 185 Literaturhinweise 186 Bildnachweise 187 Danksagung 188 Der Autor 189 Die Fotografen

— OCHSENGESPANN mit Pflug des Gemüsegärtners Wilhelm Martin, um 1900.

— links: TASCHENUHREN UND LESEZWICKER von Paradieser Gemüsegärtnern, um 1900. EXPANSIONSGELÜSTE EINER REICHSSTADT — Konstanz zwischen Reich und Eidgenossenschaft

Das linksrheinisch gelegene histori- einen Beistandspakt, wenige Jahre später, 1459, folgte sche Stadtzentrum von Konstanz ist umgeben von Stein am Rhein. Grenzen und Begrenzungen: im Osten die weite Flä- Während des Konstanzer Konzils (1414– che des Bodensees, nördlich der Seerhein, im Westen 1418) errang der Rat endlich einen großen Erfolg: Kö- und Süden die Staatsgrenze zur Schweiz. Das Gefühl nig Sigismund verlieh der Stadt gegen die stattliche der Begrenztheit empfanden schon die Konstanzer Pfandsumme von 3 100 Goldgulden 1417 das bis da- Ratsherren des Spätmittelalters, denn bislang war es hin in Winterthur beheimatet gewesene Landgericht der Reichsstadt nicht gelungen, jenseits der Stadtmau- (die Rechtsprechungskompetenz) über den ern ein eigenes Territorium zu bilden. Ähnlich war es und die Vogtei über die Stadt Frauenfeld. Der bishe- dem Bischof als einstigem Herrn der Stadt ergangen: rige Inhaber dieser Rechte, der österreichische Her- Zwar herrschte er über ein ausgedehntes geistliches zog Friedrich, hatte sie verloren, weil er während des Territorium, das im Süden bis zum Gotthard und nach Konzils dem mittlerweile abgesetzten Papst Johannes Bern, im Westen bis in die Gegend von Breisach und XXIII. zur Flucht aus der Konzilsstadt verholfen hatte.1 im Norden bis nach Ludwigsburg reichte, doch seine Die neuen Hoheitsrechte dehnten den Einflussbereich weltliche Herrschaft war auf das engere Umfeld seiner der Stadt wesentlich aus: Der Bezirk des Landgerichts Stadt und auf einige weit verstreut liegende ländliche reichte im Westen von Diessenhofen am Hochrhein Vogteien beschränkt geblieben. über Stein am Rhein bis hinauf nach Der Rat der reichsfreien Handels- und am und südlich bis zur höchsten Erhebung Kaufmannsstadt hielt begierig Umschau nach Mög- des Thurgaus, dem oberhalb des Klosters Fischingen lichkeiten, freie Hoheitsrechte, etwa Vogteien, Ge- gelegenen Hörnli. Bis zu 20-mal jährlich tagten die richtsherrschaften oder Zehntrechte für die Stadt zu ausschließlich adlig besetzten Kammern dieses Land- gewinnen, um das Einflussgebiet endlich zu vergrö- gerichts. Sie verhandelten Streitfälle des Zivilrechts ßern. Das natürliche Hinterland, der Thurgau, bot sich und urteilten über Vergehen und schwere Verbrechen, als Expansionsfläche an. Wachsam beobachteten die darunter auch über den Vorwurf der Ketzerei. Konstanzer in dieser Zeit, wie der Bauernbund der Eid- 1460 griffen die Eidgenossen, von Papst genossen seinen territorialen Einfluss von den „alten Pius II. dazu ermutigt, in ihrer Expansionspolitik zu Orten“ in der Zentralschweiz immer weiter in Rich- kriegerischen Mitteln: Eine wilde Kampagne junger tung des Bodensees ausdehnte und herrschaftliche kampfeslustiger Leute aus Unterwalden, Luzern und Strukturen aufbaute. So hatten die sieben Orte Zürich, aus dem Ort Rapperswil am oberen Zürichsee entwi- — EIDGENÖSSISCHE SOLDATEN, erkennbar am Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug 1411 ckelte sich mit Billigung der eidgenössischen Obrig- Schweizerkreuz auf ihren Hosen, kapern das Appenzell in ihr Burg- und Landrecht aufgenom- keit zum Eroberungszug in den Thurgau. Die Krieger während des Schwaben- oder Schweizerkrieges men und 1412 mit St. Gallen ein Bündnis geschlossen. nahmen nacheinander die letzten habsburgischen im Frühjahr 1499 auf dem Bodensee ein Schaffhausen schloss 1454 mit der Eidgenossenschaft Landvogteien und andere Herrschaftsgebiete des vom Verpflegungsschiff des Schwäbischen Bundes. Diebold-Schilling-Chronik 1513. 10 | 11 Papst gebannten Herzogs Siegmund von Tirol unter neten. Bei solcher Tonlage war keine Verständigung anderem im Thurgau in Besitz. Der Eroberungszug mehr möglich, die Nachbarn entfremdeten sich von- richtete sich auch gegen Konstanz und sein Landge- einander. Zu tief saß im schwäbischen Adel die Angst richt über den Thurgau. Diese Rechte blieben Konstanz vor dieser unbekannten Bauernmacht aus den nahen zwar erhalten, doch die Stadt musste alle Hoffnungen Schweizer Bergen, die den eigenen Herrschaftsverhält- auf den Thurgau als Territorium aufgeben. In den fol- nissen bedrohlich zu werden schien. genden Jahren nahm der Druck auf die Stadt noch zu, Konstanz saß zwischen den Stühlen. denn 1480 beschlossen die Eidgenossen, das Landge- Mehrfach erwog die Stadt einen Beitritt zur Eidgenos- richt notfalls auch mit Gewalt an sich zu bringen. senschaft, doch König Maximilian hatte ein Auge auf Das Expansionsstreben der Eidgenos- die unsicheren Kantonisten geworfen und erhöhte den sen alarmierte die benachbarten Schwaben. Hier Druck auf Konstanz, endlich dem Schwäbischen Bund — DER KONSTANZER STADTSCHREIBER, begleitet von einem Melde- prallten zwei Gesellschaftssysteme aufeinander: auf beizutreten. Das Lavieren endete am 9. Mai 1497. An läufer, liest den Luzernern die Einladung zu einem Schützenfest vor. der einen Seite die sich selbst organisierende Genos- diesem Tag mussten Rat und Bürgerschaft dem König Im Hintergrund machen sich die ersten Luzerner Schützen senschaft freier Bauern und eigenständiger Städte, auf Gehorsam schwören, der zugleich verbot, sich mit den bereits auf den Weg nach Konstanz. Diebold-Schilling-Chronik 1513. der anderen Seite die von adliger Denk- und Lebens- Eidgenossen zu verbünden. Im Jahr darauf trat Kons- art geprägte Feudalgesellschaft des 1488 gegründeten tanz dem Schwäbischen Bund bei.2 Schwäbischen Bundes. Dieser Bund war ein von Kö- Die gegenseitige Hasspropaganda stei- nig Maximilian initiiertes Schutz- und Trutzbündnis, gerte sich zum Krieg: Grenzstreitigkeiten zwischen dem hohe und niedere Adlige, geistliche Herrschaften Tirol und den Eidgenossen in Graubünden und das und 20 schwäbische Reichsstädte angehörten. Die Ver- damit verbundene Interesse des neuen deutschen Kö- schiedenartigkeit der Gegner artikulierte sich auch nigs und späteren Kaisers des Reiches, Maximilian I., rhetorisch: In derben Spottversen und mit regelrech- an den Bündner Passwegen nach Italien lösten im Ja- ter Hasspropaganda diffamierten die Wortführer des nuar 1499 im Bündner Münstertal kriegerische Ereig- Schwäbischen Bundes die Gegenseite. Vor allem eini- nisse aus. Im folgenden halben Jahr breitete sich der ge jüngere Vertreter des ritterschaftlichen Adels im Schwaben- oder Schweizerkrieg in mehreren Schlach- taten sich als Hetzer gegen die Eidgenossen ten westwärts über Konstanz bis nach Dornach bei besonders hervor. Das böse Wort vom „Kuhschweizer“ Basel aus. In Konstanz waren bereits im Januar 1499 entstand. Der sei so hässlich und stinke so sehr, dass eine Kriegsordnung verkündet und Sammelplätze er nur eine Kuh heiraten könne, wurde bei jeder Gele- für die Truppen bestimmt worden. Die Eidgenössi- genheit verbreitet. Die sodomitischen Anklänge dieser sche Tagsatzung in Zürich, das oberste Exekutivorgan Schmähung waren beabsichtigt. Die Eidgenossen re- des Bauernbundes, entwarf zur selben Zeit Pläne zur vanchierten sich, indem sie die Mitglieder des Schwä- Besetzung der Grenze an Bodensee und Rhein. Die — Konstanz aus der Vogelperspektive, MIT DEM TÄGERMOOS am bischen Bundes pauschal als „Sauschwaben“ bezeich- Gegner rechneten mit einer Auseinandersetzung vor oberen Bildrand. Kolorierte Federzeichnung, Nikolaus Kalt, 1600.

12 | 13 WIRD KONSTANZ EIDGENÖSSISCH? — Kurz vor dem Ziel gescheitert

Der Schwaben- oder Schweizerkrieg den.5 Dem potenziellen Zugewinn an Sicherheit stand endete für Konstanz verheerend: Die Niederlage des eine erhebliche Forderung gegenüber: Konstanz wollte Schwäbischen Bundes brachte die Stadt um ihr wich- als Entschädigung für den absehbaren Verlust seiner tiges Hinterland, damit um bedeutende Einnahmen schwäbischen Besitzungen und Rechte das Landgericht und um politischen Einfluss. In den Jahren nach dem über den Thurgau zurückbekommen. Um die Vertre- Friedensschluss von Basel unternahm der Rat der Stadt ter von Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden für deshalb intensive Versuche, über ein Bündnis mit den diese Forderung gnädig zu stimmen, war Konstanz so- Eidgenossen den vorherigen Einfluss im Thurgau zu- gar bereit, 14 000 Goldgulden zu bezahlen. Doch auch rückzugewinnen. Die Alten Orte der Eidgenossen- dieser Versuch scheiterte kläglich, diesmal an der Gier schaft waren nicht abgeneigt, doch der inzwischen der Konstanzer: Die katholischen Alten Orte und am zum Kaiser erhobene Maximilian I. vereitelte diese di- Ende selbst Zürich waren nicht bereit, die einträgliche plomatischen Bestrebungen in letzter Minute: Im Sep- Landgrafschaft Thurgau an Konstanz abzutreten; ei- tember 1510 erschien er mit einem beachtlichen Trup- ner Beteiligung an den Einkünften aus dem Thurgau penkontingent in Konstanz, erzwang den Abbruch andererseits wollten die Konstanzer nicht zustimmen. der Verhandlungen, verpasste der Stadt eine weniger Wenige Jahre später fiel die gegen den demokratische neue Ratsverfassung und drängte ihr katholischen Kaiser bis zuletzt widerständig gebliebe- einen neuen Schirmvertrag mit dem Haus Österreich ne, seit mehreren Jahren streng reformatorisch regier- auf, der Konstanz weitere außenpolitische Unterneh- te Stadt an Österreich. Sie verlor 1548 ihre Reichsun- mungen nahezu verunmöglichte. mittelbarkeit und wurde zur vorderösterreichischen Erst 1536, die Stadt war inzwischen re- Landstadt herabgestuft. Außenpolitische Ambitionen formatorisch geworden und hatte zum ebenfalls pro- in Richtung Eidgenossenschaft waren damit ausge- testantischen Zürich enge Verbindungen geknüpft, träumt. Ein späterer Versuch, Konstanz während des wagte Konstanz einen neuen Anlauf: Der Rat beantrag- Dreißigjährigen Kriegs unter den Schutz der Eidgenos- te die förmliche Aufnahme als 14. Ort in die Eidgenos- senschaft zu stellen und so aus dem Kriegsgeschehen senschaft. Um vor allem die zögerlichen katholischen zu lösen, scheiterte an der Haltung Österreichs, das Orte der Eidgenossenschaft von diesem Begehren zu diesen strategisch wichtigen Brückenkopf niemals überzeugen, legte der Rat ein Dossier vor, das die be- aufgegeben hätte. sonderen militärischen Vorzüge der „mechtig, wer- Eine letzte Chance schien sich 1799 hafft, mit muren, gräben, geschütz“ und anderen nach der Zerschlagung der alten Eidgenossenschaft Verteidigungseinrichtungen versehenen Reichsstadt durch Napoleon I. zu bieten. Das neue Regierungsdi- — BLICK VON DER RUINE CASTELL oberhalb von Tägerwilen über anpries. Durch seine zentrale Lage am einzigen Brü- rektorium der Helvetischen Republik schlug vor, die das 1958 abgerissene „Pfaffenschlössle“ nach Konstanz. ckenübergang zu Schwaben bilde Konstanz ein „Boll- inzwischen französisch besetzte vorderösterreichi- Nach Emanuel Labhart, Aquatinta von Johannes Hausheer, 1820. werck der Aidgenoßen“ gegen jeden Einfall aus Nor- sche Stadt der Schweiz anzugliedern und Konstanz zur

20 | 21 EIN KLOSTER VERKAUFT LAND — Die Stadt wird Grundeigentümerin

Die niederen Hoheitsrechte aus spät- ten angeblich zustehende niedere Gerichtsbarkeit mittelalterlichen Zeiten allein hätten die starke Po- über das Tägermoos unterstreichen. Der österreichi- sition der Stadt Konstanz auf einem Stück Schweizer sche Stadthauptmann und der Konstanzer Rat wand- Staatsgebiet nicht dauerhaft erhalten können. Etwa ten sich ausgerechnet an die Eidgenössische Tagsat- ein Menschenalter nach der Niederlage im Schwaben- zung, die in anderen Streitfällen meist als Gegnerin oder Schweizerkrieg von 1499 konnte Konstanz ein der Stadt auftrat. In diesem Verfahren aber fällte das wichtiges Grundstücksgeschäft abschließen: Für die oberste Exekutivgremium der Eidgenossenschaft ei- überraschend niedrige Summe von 1 400 Gulden er- nen Schiedsspruch zugunsten von Konstanz: Felder, warb die Stadt 1560 den größten Teil der Grünflächen Weiden und Wiesen des Tägermooses sollten der Stadt im Tägermoos und die damit verbundenen Rechte. Ver- Konstanz „allein zugehörig sein und bleiben“, befan- käuferin war das Augustiner-Chorherrenstift Kreuzlin- den die eidgenössischen Räte.6 Ein Jahrhundert spä - gen. Das 1125 durch den Konstanzer Bischof Ulrich I. ter standen sich Konstanz und die Eidgenossenschaft von Kyburg-Dillingen gegründete Kloster stieß das erneut als streitende Parteien gegenüber: Es ging um weitläufige, teils sumpfige Wiesengelände am Ufer des die Reichweite der Konstanzer Hoheitsrechte im so- Seerheins ab, sicherte sich aber weiterhin Bezugsrech- genannten „Konstanzer Trichter“, der Bucht vor dem te aus der dortigen Ziegelbrennerei und verpflichtete Hafen am anderen Ende der Stadt. In einem Vertrag, Konstanz, die althergebrachten Weiderechte der Ge- der nach dem österreichischen Verhandlungsführer meinde Tägerwilen zu achten. Den wichtigsten Vorteil Rassler benannt wurde, einigten sich Konstanz und aus dem Verkauf zog das Kloster jedoch aus der Ver- die Eidgenossen schließlich darauf, dass die Hoheits- einbarung, wonach ein Teil der Kaufsumme mit dem rechte der Stadt auf eine Distanz von 1 500 Schritten Einkauf des Klosters ins Konstanzer Bürgerrecht ver- in den Trichter hinausreichen sollten. rechnet wurde. Mit dem Erwerb des größten Teils des Tägermooses war die Stadt Konstanz zur Gerichtsher- — rin über ihr neues eigenes Land auf Schweizer Boden geworden. Das Tägerwiler Weiderecht verursachte al- lerdings weitere ausdauernde Streitigkeiten. Einige Jahre später mischte sich ein dritter Beteiligter in die komplizierten Rechtsverhält- nisse ein: 1574 setzte der bischöfliche Vogt von Gottlie- — GESICHERTER ÜBERGANG INS TÄGERMOOS: Das im Jahr 1818 ben im Auftrag seines Herrn, des Konstanzer Bischofs, abgerissene Äußere Paradieser Tor mit der im selben der Stadtregierung am Emmishofer Tor einen neuen Jahr eröffneten Gaststätte „Schweizergrenze“. Aquarell Markstein vor die Nase. Damit wollte nun auch der von Karl Müller-Friedberg, 1836. Bischof seinen Anspruch auf die ihm aus alten Rech-

24 | 25 WOHER KOMMT DER NAME?

Das Tägermoos hat seinen Namen von der lehmi- gen feuchten Erde, die dort vorherrscht: Das altgermanische „dig- ra“ bezeichnet etwas Dichtes, Kompaktes, der althochdeutsche Ausdruck „teger“ wird für Lehmerde benutzt. In Verbindung mit dem Begriff „Moos“, der auf ein ausgesprochen feuchtes Gebiet hinweist, finden sich alle Eigenschaften des seenahen Schwemm- lands: Die festen, teils lehmigen Böden, die der städtischen Zie- gelhütte einst den Ton lieferten, und die nur maximal zwei Meter über dem Seeniveau liegenden Felder und Wiesen des Tägermoo- ses gaben dem Gewann schon in sehr früher Zeit, vermutlich zwi - schen dem 6. und 8. Jahrhundert, seinen Namen. Damals wurde Konstanz gerade Sitz eines Bistums, das sumpfige Gelände im Westen der Stadt wurde vermutlich als „tegeres Moos“ bezeichnet. Das benachbarte, am Hang über dem Tägermoos gelegene Dorf Tägerwilen dürfte folglich dem Grünland seinen Namen verdan- ken: der Weiler, der am Rande des „tegeren Mooses“ gegründet wurde. Namengeschichtliche Verwandtschaft teilt Tägerwilen so mit den gleichfalls wasser- oder sumpfnah gelegenen Degersheim im Kanton St. Gallen, Tägertschi im Kanton Bern, aber auch mit dem Tegernsee und dem schwäbischen Degerloch bei Stuttgart.

— BLICK über die Felder entlang der Konstanzer — Über 150 Hektar Gemüseland mit frucht- Straße Richtung Tägerwilen. barem Boden: DAS TÄGERMOOS. 26 | 27 „ARBEITSAM IM HÖCHSTEN GRAD“ — Frühaufsteher aus dem Paradies

Das Tägermoos wird bis heute über- „Im Paradies nähren sich wirklich 50 Familien wiegend von Familienbetrieben bebaut. Während in- von der Gärtnerei. Ein paar kleine Gartenfelder zwischen Maschinen die pflegeintensive Arbeit in den sind Ausstattung für Kinder, die sich heiraten Gemüsekulturen deutlich erleichtern, stand noch bis wollen, und sie heiraten hier mit 15 und 22 Jahren; weit in die Nachkriegszeit die Handarbeit im Vorder- unter sich machen die Paradieser eine eigene grund. Ältere Familienmitglieder und auch Kinder Nation aus. Sie heiraten nicht in die Stadt, und mussten mithelfen: Es galt, Setzlinge in den Boden Stadtkinder verheiraten sich höchst selten in das zu bringen und die Jungpflanzen von Hand zu gießen Paradies. Arbeitsam sind die Leute im höchsten – es gab ja noch keine Rohrbewässerung mit motor- Grad, im Sommer gehen sie früh schon um zwei getriebenen Pumpen und Seewasser. Kinder der Ge- Uhr aufs Feld, bauen alles mit der Hacke, mit müsegärtner- und Bauernfamilien aus dem Paradies, der Hand, nehmen ihr Essen und ihre Kinder mit aus Tägerwilen und kannten kaum Frei- und kommen vor Nacht nicht zurück. Jene zeit im heutigen Sinne: Nach Unterricht, Mittagessen 50 Familien machen über 400 Menschen aus, und Hausaufgaben-Machen standen „Jäten“ oder „Bü- die alle hier wohnen und recht gut leben.“ 30 scheln“ von Radieschen als Nachmittagsbeschäftigung auf dem Programm. Kleinkinder lagen mit dem „Most- Schon damals fielen dem Beobachter die nucki“ (einem most- und honiggetränkten Schnuller) überregionalen Handelsbeziehungen auf, die von den im Mund im Korbwagen am Rande des Feldes oder Gemüsegärtnern unterhalten wurden. So beschreibt spielten, nicht selten zur Sicherheit an einen Strick ge- er, dass ein großer Teil von Schwaben und der Schweiz bunden, im Schatten eines Obstbaumes. Sobald sie in aus diesem Paradies regelmäßig „alle möglichen Ar- der Lage waren, einen kleinen Handwagen zu ziehen, ten von Gartengewächsen“ erhalte. Jeden Freitag ver- wurden sie von daheim aus mit Brot, Speck und einer lasse ein großes Segelschiff das Paradies in Richtung Korbflasche Most auf die Felder geschickt. Schaffhausen. Ein weiteres, „mit allen Gattungen von Die früheste Quelle, die uns vom Alltag Gartenkräutern“ beladenes Schiff segle seine grüne auf den Gemüsefeldern im Pardies und Tägermoos Fracht auf den Markt nach Rorschach. Dort deckten berichtet, stammt von einem badischen Reiseschrift- im Herbst vor allem die Appenzeller ihren Bedarf an steller und Gymnasiallehrer für Naturgeschichte und Weißkraut. Sander nannte sogar Zahlen: Danach er- Beredsamkeit: In seiner 1783/84 posthum erschienenen zielten die Paradieser auf dem Rorschacher Markt Beschreibung seiner „Reisen durch Frankreich, die Nie- durch den Verkauf ihres Weißkohls („Kabbis“) in je- derlande, Holland, Deutschland und Italien“ skizziert dem November mehr als 5 000 Gulden, für die etwa Heinrich Sander das beschwerliche und doch einträgli- 50 Familien auch nach heutigen Maßstäben ein gutes che Leben und die Eigenheiten dieser damals noch vor- Zusatzgeschäft. Neben Weißkraut und Zwiebeln wur- — „Salese“, wie er genannt wurde, war KNECHT derösterreichischen Gemüsebauern: den schon damals mehrere Kohlsorten, Bohnen, Spi- —IM PARADIES.Über 150 HektarAuf der Grünland Aufnahme auf von feuchtem Boden:1903 schiebt DAS TÄGERMOOS. er einen „Schwingekarren“. 90 | 91 nat, Rettiche und Meerrettich, Lauch, Sellerie, Fenchel, Schwarzwurzel und diverse Salatsorten angebaut. Manche Familie erwarb sich so durch Fleiß und den einträglichen Verkauf hochwertiger Feldprodukte an Schweizer Händler einen bescheide- nen Wohlstand. In Zeiten günstiger Umtauschkurse des Schweizer Frankens zur Mark profitierten die „Pa- radiesler“, wie man sie in Konstanz nannte, von ihren Einkünften in der Schweiz. Automobil und Eisenbahn trugen wesentlich zum Erfolg des Gemüseanbaus bei. Begünstigt durch die Fertigstellung der neuen Eisen- bahnlinien von Schaffhausen und Romanshorn nach Konstanz konnten auch weiter entfernt liegende Ab- satzmärkte erschlossen werden. Häufig taten sich mehrere Paradieser zusammen und beluden einen ganzen Schweizer Eisenbahnwaggon mit ihrer Ware. In die weitere badische Region wurde hingegen nicht exportiert. Die im Tägermoos heimischen Paradieser sind bis in unsere Tage stark auf Schweizer Märkte bezogen. Erst seit wenigen Jahren liefern Paradieser Gemüsebauern ihre Produkte auch an die Reichenau- er Vermarktungszentrale und verkaufen mancherlei in eigenen Hofläden. Der Konstanzer Wochenmarkt, früher Stammmarkt der Paradieser, ist hingegen fast völlig aus dem Blickwinkel geraten. —

— FAMILIE HÖRENBERG hat sich mit Gerätschaften der täglichen Arbeit 1902 zum Erinnerungsfoto vor dem Wohnhaus in der Fischenzstraße 6 aufgestellt. Das Haus fällt in Kürze einer großen Überbauung zum Opfer.

92 | 93 — FRAUENARBEIT AUF DEM FELD, aufgenommen um 1904. Während den Männern vor allem die Arbeit mit Zugtieren und schwerem Gerät vorbehalten war, oblag den Frauen die mühevolle Arbeit der Gemü - seernte.

— KEINE FRÖHLICHE BOOTSPARTIE: Bis in die 1920er- Jahre bebauten die Paradieser Gemüsegärtner auch Felder im heutigen rechtsrheinischen Industrie- gebiet. Die vier Frauen kommen von den Feldern „über Rhi“, wie das seenahe Anbaugebiet genannt wurde.

— Anna Kerker mit einem Bund „GELBER RÜBLE“. Porträtaufnahme um 1900. 94 | 95 — FRÜHES LUFTBILD DES SEERHEINS: Gegenüber der Zeltfabrik Stromeyer (links) ist das noch von Grün - land und Sumpfgebieten umgebene Paradies mit der kleinen Bucht „Rohrspitz“ zu sehen.

— DIE GEMÜSEGÄRTNERIN Maria Hörenberg posiert 1904 mit ihren wohlgenährten, freilaufenden Schweinen für den Fotografen. rechts: — Nach 1860 erhellten Gaslaternen einen Teil der Innenstadt und des Paradieses. Jeden Abend mussten die Laternen vom „LAMPEMA“ einzeln angezündet werden. 1911 wurde die Konstanzer Straßenbeleuch - tung elektrifiziert.

— Der nur MÄSSIG BEGEISTERTE NACHWUCHS ist zu einem Erinnerungsfoto (1902) im Gemüsekorb von Thomas Hörenberg versammelt.

104 | 105 „Eine verlumpte oder unzuver- lässige Familie ist unter den Gemüsegärtnern im Paradies überhaupt nicht vorhanden.“

Der Konstanzer Stadtrat 1916 über die nationale Zuverlässigkeit der Paradieser. nen und Deserteuren geworden, die versucht hatten, schwimmend in die sichere Schweiz zu entweichen. Wegen solcher „unerwünschter Elemente“, wie es im Behördendeutsch hieß, wurde die Grenzsicherung durch die Schweizer Armee bis 1920 beibehalten. Im selben Jahr erlaubte Baden wieder den Automobilver- kehr über die Grenze. Nach Ende des Krieges belasteten das durch den Verfall der Mark ausgelöste Währungsgefäl- le, die zunehmende Konkurrenz zwischen dem Kons- tanzer und Thurgauer Einzelhandel und verschärfte Zuzugsreglementierungen das grenznachbarschaftli- che Verhältnis. So wurden etwa für Dauerpassierschei- ne immer höhere Gebühren in Schweizer Franken verlangt. Die Schweiz schottete sich in einer zunehmend ideologisch gefärbten Ausländer- feindlichkeit auch gegen Deutschland ab. Von den seither schärferen Kontrollen der Grenzen waren auch die Paradieser Gemüsegärtner betroffen, dies umso mehr, als sich etliche von ihnen in den Jahren der Nachkriegsnot am blühenden Ausfuhrschmuggel beteiligt hatten. —

— Während des Ersten Weltkriegs durften die Konstanzer — ERFRISCHUNGSGETRÄNK FÜR GEMÜSEGÄRTNER: Gemüsegärtner nur während der behördlich festgesetzten Zeiten Zur Feldarbeit wurden solche Korbflaschen jenseits der Grenze arbeiten. Die Beschaffung der dazu nötigen mitgenommen, in denen sich als Durstlöscher SONDERAUSWEISE belastete den Arbeitsalltag sehr. Aufnahme aus mit Wasser verdünnter saurer Most befand. dieser Zeit.

110 | 111 BRAUNE SCHATTEN ÜBER DEM TÄGERMOOS — Spitzeleinsatz gegen Gemüsegärtner

Mit Beginn der nationalsozialisti- gemacht, zeigten sich nun immun gegen den staatlich schen Diktatur veränderte sich auch das Zusammenle- verordneten Judenhass und machten trotz der Boy- ben an der deutsch-schweizerischen Grenze. Die neue kottaufrufe weiter Geschäfte mit diesen Händlern. Regierung forderte die grenznah wohnenden Bürger Das Gleiche galt für die Schweizer Gemüsehändler. auf, nur noch deutsche Waren zu kaufen. Konstanzer, Auch hielten die Paradieser an ihrer über Generatio- die weiterhin in den Schweizer Nachbarorten einkauf- nen geübten Gepflogenheit fest, die Sonntage in den ten, wurden öffentlich angeprangert. Hinzu kamen Sommerwirtschaften der Schweizer Unterseeorte zu zunehmende Schikanen an den Grenzübergängen: Die verbringen, wo sie Zeitungen lasen oder mit Nachbarn Pässe der Grenzgänger wurden auffällig gestempelt, es ins Gespräch kamen. gab peinliche Körperdurchsuchungen und Pöbeleien. Andererseits war die Stadtverwaltung Deutsche wurden an den Grenzübergängen bespitzelt, auf die damals 54 Gemüsegärtner und auf die große ihre Namen an die Gestapo weitergegeben, Schwei- Anbaufläche auf Schweizer Hoheitsgebiet angewiesen, zer Besucher wurden wegen Devisenvergehen straf- um die Versorgung des Wochenmarkts mit Frischge- rechtlich verfolgt. So blieb bald auch ein Großteil der müse sicherzustellen. Die neuen Herren im Konstan- Schweizer Kundschaft aus. Besonders aufrechte Kun- zer Rathaus bemühten sich auch um einen moderaten den ließen sich bis zum Pogrom 1938 auch nicht davon Ton im geschäftlichen Umgang mit den Thurgauer abschrecken, weiterhin bei den letzten jüdischen Ein- Nachbargemeinden, zumal einige Unterseegemein- zelhändlern einzukaufen. den selbst während des gesamten Zweiten Weltkriegs Wegen ihrer engen Beziehungen zur Schweiz erregten einige Paradieser Gemüsegärtner schon früh die Aufmerksamkeit von Staat, Partei und Kommunalverwaltung, galten sie den strammen Par- teichargen doch als „halbe Schweizer“. Es begann da- mit, dass politikinteressierte Paradieser in Deutsch- land bereits verbotene Tageszeitungen oder das Satireblatt „Nebelspalter“ über die Grenze schmuggel- ten. „Wir waren einfach anders und besser informiert und haben nicht alles geglaubt“, erinnerte sich Jahr- zehnte später die Gemüsegärtnerin Gerda Schneider. Auch wenn Paradieser Bauern der damals verbreitete Antisemitismus nicht fremd war, hatten doch etliche — DER WOCHENMARKT AUF DER LAUBE, Buntstift- und Familien mit den jüdischen Viehhändlern der Höri — ALTE FELDHÜTTE AM GALGENWEG, Bleistiftzeichnung Ölkreidezeichnung von Hans Sauerbruch, 1970. und aus dem Hegau über Jahrzehnte gute Erfahrungen von Klaus Baeuerle, 1985.

122 | 123 JAUCHEDÜNGUNG UND RETTICHFLIEGE — Die Anfänge des biologischen Landbaus

Die 1930er-Jahre und die Nachkriegs- das Ammoniakwasser erwies sich als sehr scharf, trotz zeit markieren im Gemüsebau im Tägermoos, wie an- der Verdünnung verbrannte es häufig die Pflanzen. derswo auch, einen Umbruch in den Erzeugungstech- Auch granuliertes Ammoniaksalz fand damals bereits niken. Die für die Felder vorgesehenen Jungpflanzen Verwendung. Schließlich traten auch schon vor dem wurden in eigenen glasgedeckten Frühbeeten, die sich Zweiten Weltkrieg Handelsvertreter auf, die im Para- nahe bei den Wohnhäusern befanden, vorgezogen und dies Werbung für den biologischen „Fellmann-Dün- von dort ins Tägermoos gebracht. Erst nach dem Krieg ger“ machten. Doch dieses Horn- und Knochenmehl- wurde es üblich, Jungpflanzen von großen Zuchtbe- gemisch war, so nachhaltig es wirkte, sehr teuer und trieben aus Deutschland, später auch aus Holland, vorzubestellen und direkt mit Hilfe von Setzmaschi- nen in den Boden zu bringen. Die Frühbeete wurden ganz selbstverständlich mit dem „Bschütt“ gedüngt. Den pumpte man mit Handpumpen aus der eigenen Jauchegrube in kleine Jauchekarren und goss dann mit sogenannten „Gülleschapfen“ die Jungpflanzen von Hand an. Im Tägermoos befanden sich mehrere große öffentliche Jauchegruben, die mit dem Gruben- inhalt der städtischen Haushalte gefüllt wurden. Diese Form der Düngung nannten die Paradieser die „Brü- he“. Niemand wäre in dieser Zeit auf die Idee gekom- men, das Verfahren für unhygienisch zu halten. Wäh- rend des Krieges regte die Reichsregierung an, auch die normalen Abwässer aus den Haushalten wegen der darin enthaltenen Phosphate in der Landwirtschaft zu verwenden. Das lehnte Konstanz mit dem Hinweis ab, dass die Abwässer „ohne Vorschaltung einer Kläran- lage direkt in den Bodensee und Rhein geleitet“ wür- den.41 Ein Teil der städtischen Fäkalien wurde — Seit den 1950er-Jahren wurde das Paradies zum überdies seit den 1930er-Jahren mit Ammoniakwasser ZUZUGSGEBIET, alte Bauernhäuser wie das „Kreuz- — AUSBRINGEN DES „BSCHÜTT“, der heimischen aus der Gasproduktion der Stadtwerke in der Gottlieber Karle-Haus“ in der Gottlieberstraße wichen modernen Jauche, mit der „Güllenschapfe“ auf das junge Straße aufgemischt und als Dünger verwendet. Doch Wohnblocks. Gemüse – eine aus heutiger Sicht unhygienische Form der Düngung. 130 | 131 BILDNACHWEISE DANKSAGUNG

Umschlagbild, S. 1, 7, 8/9, 13 u., 15, 16/17, 19, 20, 22/23, 24, 31, 32, 33, 35, 38, 41, 42, S. 62, 106, 116, Zollsammlung / Hans Tischhauser 43, 46, 49, 50 (Aktenvorlage Stadtarchiv Konstanz), 51, 56/57, 58 o., 60/61, 72, S. 44, 58 u., 78, 82, 96, 99 o., 100/101, 104 o., 118, 119, 122, 123, 125, 128, 131, 134 o., Für vielfältige Unterstützung danken wir den Urs und Doris Meli 74, 83, 84, 90, 92/93, 94, 95, 97, 98, 99 u., 103, 104 u., 105, 108/109, 110, 111, 113, 135, 148, 162, 164 u., 168 u., 174, 175, Archiv Engelsing, sowie 136 o. und 138, 139, 114, 117, 127, 130, 146, 184, 186, 188, 189 u., 191, Rosgartenmuseum Konstanz (u. a. 143 Heinz Finke im Archiv Engelsing folgenden Personen und Institutionen: Familie Miltschitzky Nachlass Karl Hörenberg) S. 26, 27, 66, 67, 68, 120, 133, 136 u., 137, 140, 141, 143 o., 154, 155, 156, 163, 166, 168 Ernst Möhl, Mosterei Möhl Arbon S. 64, 86/87 (aus: „Zähringer-Sammlung“, erworben mit Mitteln der Baden- o., 169, 170, 171, 172, 173, 176, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 189 o., Hella Wolff-Seybold Württemberg-Stiftung GmbH), 144/145, Städtische Wessenberg Galerie Hannelore und Rudolf Bachmeier Nationalmuseum Zürich, Sammlungszentrum S. 167, Dr. Henning Hülsmeier, Bürgerinitiative Pappelallee Tägermoos S. 52, Generallandesarchiv Karlsruhe Klaus und Ruth Baeuerle-Engelsing Rosmarie Obergfell, Gemeinde Tägerwilen S. 73 u., Richard Hörenberg S. 10, 13 o., 41 o., alle Chronik des Diebold Schilling, mit frdl. Genehmigung der Hildegard Barinka Freddy Ostertag Korporation Luzern. S. 73 o., 76/77, 102, 134 u., 151, 152, 153, Familie Hans Leib Lukas-Daniel Barwitzki Walter Pilz S. 18 Kaiser Maximilian, 1519, Albrecht Dürer, Kunsthistorisches Museum Wien, S. 81, Nachlass Familie Wild-Konstanz über: picture alliance Peter Bertscher, Historisches Museum Thurgau Lisa Raduner, Gemeindepräsidentin Gottlieben S. 164 o., 165, Urs Meli (Gouache von Peter Zahrt) S. 28 Feldmarschall Horn, 17. Jh., Stich von Jeremias Falck, über: picture alliance Stiftung Bodmanhaus Gottlieben Dorena Raggenbass, Vizestadtpräsidentin Kreuzlingen S. 88, 89, Hildegard Barinka S. 36/37, 59, Bildsammlung Wolf, Stadtarchiv Konstanz Kurt Brunnschweiler, UBS Kreuzlingen Mary Sauter, Kehlhof Ermatingen S. 70, 80, Nachlass Emmy Kerker S. 160, 161, Nachlass Luftbild Sokolowski (Familie Sokolowski) Vesna Debeljevic-Della Casa Bernd Schächtle S. 112, Familie Wild, „Trompeterschlössle“ S. 159, Archiv Bodensee-Kreis Otto Egloff, Stiftung Saskia Egloff Dieter Schächtle Jan Ellenbroek Elke Schächtle-Rau Prof. Dr. Susanne Engelsing Ernst Schächtle Generallandesarchiv Karlsruhe Maja und Fritz Schächtle Gesellschaft der Freunde des Rosgartenmuseums e.V. Rainer Schächtle Albert und Doris Grundler Thomas und Elfriede Schächtle Michael Hepp, Hepp-Optik Daniela Schilhab Dr. Rainer Hildmann Gerda Schneider † Karl Hörenberg jun. Julia Schulz Richard Hörenberg Schwarz Außenwerbung GmbH Konstanz Reinhard Hörenberg René Singer, Gartenbau Singer, Ermatingen Sebastian Hörenberg Sparkasse Bodensee Hildegard Kerker † Angelika Speck, SÜDKURIER-Archiv Johann Kläsle Dr. Jürgen Stadelhofer, Köln Barbara Kohler-Hippenmeyer Dr. Jakob Stark, Regierungsrat Thurgau Karin Kremser Werner Stör, Bauerngerätesammlung Ermatingen Familie Hans Leib Bruno Sutter Dr. Klaus Lichtenberger Markus Thalmann, Gemeindepräsident Tägerwilen Lotteriefonds Thurgau Hans Tischhauser, Zollsammlung Kreuzlingen Ingrid Lutze-Wild Familie Wild, „Trompeterschlössle“ — FÜNF MANN IN EINEM BOOT: Gemüsegärtner in einer Bernhard Martin Günter Wild Holzgondel, im Hintergrund die Firma Stromeyer. Robert Martin Thomas Wyss, Grenzwachtkorps Kreuzlingen

186 | 187 DER AUTOR DIE FOTOGRAFEN

Tobias Engelsing (geb. 1960) Hella Wolff-Seybold (geb. 1937) Dr. phil., Studium der Geschichte, Rechtswissenschaft Geboren in Werneck/Franken. Ausbildung zur Foto- und Politik an der Universität Konstanz. 1992 bis grafin im renommierten Atelier Gundermann in 2006 Redaktionsleiter bei der Tageszeitung Südkurier. Würzburg. Nach erster Zeitungstätigkeit seit 1960 im Seit 2007 Direktor der Städtischen Museen Konstanz. Pressebüro Heinz Finke in Konstanz, später als Lehrbeauftragter der Universität Konstanz, Fach- selbständige Pressefotografin für die Tageszeitung bereich Geschichte. Autor zahlreicher Publikationen Südkurier und verschiedene Zeitschriften tätig. zur Geschichte der Bodensee-Region. Journalistische Daneben Veröffentlichung von Bildbänden über Tätigkeit u. a. für DIE ZEIT, verschiedene deutsche deutsche und Schweizer Städte und den Bodensee. und Schweizer Tageszeitungen und Fernsehsender. Fotoreportagen beispielsweise aus dem Jemen, aus Israel, China, von den Galapagosinseln und aus Australien. Lebt und arbeitet in Konstanz.

Karl Hörenberg (1876 – 1942) 1876 als zweitältestes von 12 Kindern der Gemüse- gärtnerin Maria Hörenberg und ihres Mannes Richard in einem kleinen Bauernhaus im Konstanzer Stadtteil Paradies geboren. Infolge eines Geburts- schadens – eines seiner Beine war verkürzt – war er für den Gärtnerberuf nicht geeignet. Früher Ausbruch aus der Enge der elterlichen Welt: Lithographenlehre in Leipzig, Tätigkeit in einer lithograpischen Anstalt sowie eigene Arbeit als Fotograf. Um die Jahrhundert- wende porträtierte er mehrfach den bäuerlichen Arbeitsalltag im Tägermoos. 1942 ist Karl Hörenberg in Leipzig gestorben.

188 | 189 „Arbeitsam sind die Leute im höchsten Grad, im Sommer gehen sie früh schon um zwei Uhr aufs Feld, bauen alles mit der Hacke, mit der Hand, nehmen ihr Essen und ihre Kinder mit und kommen vor Nacht nicht zurück.“

Der badische Reiseschriftsteller Heinrich Sander über die Paradieser Gemüsegärtner, 1783

— Ein Paradieser „BUTZELE“ in der Gemüsewaage seiner Mutter. Aufnahme um 1910.

190 | 191 Seit Jahrhunderten bestimmt die deutsche Stadt Konstanz Tobias Engelsing über ein kleines Stück Schweiz mit: Es ist das westlich der alten Stadtmau- ern und jenseits der Landesgrenze gelegene „Tägermoos“, ein 150 Hektar DAS großes Grünland mit Gemüsefeldern, Gewächshäusern, einem Badeplatz am Rhein und Kleingärten. Diese idyllische Schweizer Gemarkung gehört überwiegend der Stadt Konstanz. Nach einem Staatsvertrag von 1831 nimmt Konstanz die Rechte einer quasi Schweizer Gemeinde wahr. Bebaut werden die Felder von Gemüsegärtnern aus dem Konstanzer Stadtteil Paradies. DAS TÄGERMOOS Auch sie genießen Privilegien aus alter Zeit: ein Stück lebendiges Mittelalter mitten in Europa, das derzeit wieder Grenzzäune baut und über national- staatlich motivierte Abschottung diskutiert. TÄGERMOOS Ein deutsches Stück Schweiz

ISBN 978-3-87800-098-3 Tobias Engelsing Tobias