Wissenswert Journal Nr. 8
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WissensWert, Nr. 8 April, 2018 Stoffliche Belastungen im Nidda-Einzugsgebiet Regen- und Schmutzwasser) das durch Regenwasser 1 Einleitung verdünnte Abwasser auch ungereinigt in Fließgewässer Wie die meisten durch den Menschen beeinflussten eingeleitet. Durch diese Mischwasserentlastungen können Fließgewässer in Deutschland, sind auch die Gewässer auch in den Fließgewässern, die nicht als regulärer Vor- des Nidda-Einzugsgebiets einer Vielzahl stofflicher Be- fluter von Kläranlagen genutzt werden, kurzzeitig relativ lastungen ausgesetzt. Anthropogene Spurenstoffe gelan- hohe Konzentrationen abwasserbürtiger Spurenstoffe gen über Punktquellen wie kommunale Kläranlagen, auftreten. Zudem gelangen durch Mischwasserentlastun- Regen- und Mischwasserentlastungen und industrielle gen vorübergehend auch die Substanzen in höheren Kon- Direkteinleiter sowie über diffuse Quellen wie Oberflä- zentrationen in die Gewässer, die sonst im Rahmen der chenabflüsse und den Zustrom von oberflächennahem biologischen Reinigung in Kläranlagen effizient zurück- Grundwasser in die Gewässer (Gerecke et al., 2002; Eg- gehalten werden (u. a. leicht abbaubare Substanzen, wie gen et al., 2014). Das gereinigte Abwasser konventionel- z. B. der Arzneistoff Ibuprofen oder sorptive Stoffe, wie ler kommunaler Kläranlagen enthält aufgrund des oftmals z. B. Polyaromatische Kohlenwasserstoffe (= PAK)) nicht vollständigen Rückhalts durch Abbau- und Sorpti- (Launay et al., 2016). Aufgrund des ereignisbezogenen onsprozesse noch ein breites Spektrum anthropogener Auftretens ist der Einfluss von Mischwasserentlastungen Spurenstoffe, wie z. B. Arzneistoffe und deren Human- auf die (maximalen) Stoffkonzentrationen in Fließgewäs- metabolite, Inhaltsstoffe von Körperpflegeprodukten, sern bisher nur unzureichend untersucht worden. Auch Biozide, Tenside, Süßstoffe, Flammschutzmittel und die Einträge von Pflanzenschutzmitteln (PSM) aus Ober- Tenside (Richardson & Ternes, 2014; Ternes et al., flächenabflüssen und dem Zustrom von belastetem 2004). Aber auch in der Industrie verwendete Chemika- Grundwasser können nicht im Rahmen eines regulären lien, wie z. B. Lösungsmittel oder Synthesechemikalien, Monitoringprogramms, das vorwiegend auf der regelmä- werden teilweise über kommunale Kläranlagen eingelei- ßigen Entnahme von Stichproben beruht, erfasst werden. tet (Sánchez-Avila et al., 2009). Viele Substanzen aus Deshalb fordert beispielsweise der „Nationale Aktions- industriellen Quellen sind nicht bekannt und werden plan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutz- somit bei einem regulären Oberflächenwassermonitoring mitteln“ (NAP) die Überprüfung der Einhaltung „Regula- nicht erfasst. Neue, nicht auf einzelne ausgewählte Ziel- torisch Akzeptabler Konzentrationen“ (RAK) durch ein substanzen ausgerichtete, massenspektrometrische Mess- ereignisbezogenes Monitoring. Bisher fehlen allerdings verfahren (Nontarget-Analytik) können dazu beitragen, Konzepte für eine ereignisbezogene und zeitlich hoch- ortsspezifische (industrielle) Einträge zu ermitteln und aufgelöste Probenahme, die auch an entlegenen Standor- einzelne Substanzen zu identifizieren (Schlüsener et al., ten mit vertretbarem Aufwand angewendet werden kön- 2015). nen. Ist in Folge starker Regenereignissen die Aufnahmefä- Abhängig von ihrer chemischen Struktur und ihren phy- higkeit des Kanalnetzes oder der Kläranlage erreicht, sikochemischen Eigenschaften unterliegen anthropogene wird bei einer Mischkanalisation (keine Trennung von Spurenstoffe im Gewässer Abbau- und Sorptionsprozes- 2 WissensWert, Nr. 8 sen. Substanzen, die nicht oder nur unvollständig durch mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie, ge- die biologische Abwasserbehandlung in kommunalen koppelt an ein Tandem-Massenspektrometer (HPLC- Kläranlagen entfernt werden, weisen zumeist eine recht MS/MS). hohe Polarität und damit Wasserlöslichkeit sowie eine Es wurden gezielt Leitsubstanzen berücksichtigt, die i) geringe Sorptionsaffinität auf. Diese Substanzen, wie über unterschiedliche Eintragsquellen in die Gewässer z. B. Arzneistoffe und Biozide, liegen entsprechend gelangen (Quellenindikatoren), ii) Unterschiede hinsicht- hauptsächlich im Wasser gelöst vor und binden nur zu lich ihres Umweltverhaltens (Abbau, Sorption) aufweisen einem relativ geringen Anteil an Schwebstoffe und Sedi- (Abbauindikatoren) und/oder iii) die ein hohes ökotoxi- mente. Ihre Konzentration im Gewässer sinkt zumeist in kologisches Wirkpotenzial besitzen (ökotoxikologisch Folge der Verdünnung sowie des Abbaus durch Mikroor- relevante Stoffe). Das analysierte Stoffspektrum umfasste ganismen und/oder die UV-Strahlung des Sonnenlichts sowohl Stoffe, die hautsächlich über kommunale Kläran- (Kunkel & Radke, 2012). Dabei wurde bisher nur unzu- lagen eingetragen werden (z. B. Arzneistoffe, deren Hu- reichend berücksichtigt, dass "Abbau" oft nicht eine voll- manmetabolite sowie Süßstoffe und Biozide), als auch ständige Entfernung der Stoffe im Sinne einer Minerali- Stoffe, die vornehmlich in der Industrie (z. B. sierung bedeutet, sondern vielmehr zu einer Bildung von Phosphoniumverbindungen) oder der Landwirtschaft Transformationsprodukten (TP) führt. Deren Identität und (Pflanzenschutzmittel) eingesetzt werden. Es wurden (öko-)toxikologisches Potenzial ist oftmals unbekannt. gezielt Substanzen ausgewählt, deren Vorkommen in der Die bisherigen Kenntnisse über das Umweltverhalten von Nidda sowie ihren Zuflüssen innerhalb der letzten Jahre Stoffen beruhen weitestgehend auf standardisierten La- regelmäßig durch die Monitoringprogramme des Hessi- bortests, deren Ergebnisse allerdings nur bedingt auf schen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie Fließgewässer übertragbar sind (Radke & Maier, 2014). (HLNUG) nachgewiesen wurde. Zusätzlich wurden auch Bisher gibt es nur wenige Studien, die untersucht haben, Stoffe und TP berücksichtigt, die bisher kaum und noch inwieweit polare anthropogene Spurenstoffe in Fließge- gar nicht in Oberflächengewässern untersucht wurden. wässern durch Abbauprozesse zurückgehalten werden An den Hauptmessstellen der Nidda (N-1 bis N-6), der können (Radke et al., 2010; Kunkel & Radke, 2012; Ma- Horloff (H-1 bis H-4) und der Usa (U-1 bis U-4) wurden tamoros & Rodríguez, 2017). Durch im Zeitraum Juli 2015 bis Juni 2016 jeweils 12 Stichpro- Renaturierungsmaßnahmen, z. B. durch Wiederherstellen ben, begleitend zu Freilanduntersuchungen der Universi- von naturnahen Mäandersystemen, können Austauschra- tät Frankfurt analysiert (Abbildung 1). Im Rahmen einer ten zwischen Oberflächenwasser und dem Sediment er- Sonderuntersuchung wurden zwischen dem 21. und 30. höht (Kasahara & Hill, 2008) und dadurch möglicherwei- September 2015 zahlreiche weitere Messstellen im Unter- se auch Abbauraten von Spurenstoffen erhöht werden. lauf der Horloff und der Nidda sowie weitere Nebenflüs- Ziel der Untersuchungen von stofflichen Belastungen im se der Nidda (Urselbach, Eschbach, Erlenbach, Wetter Rahmen von NiddaMan war eine umfangreiche Be- und Nidder) viermal beprobt. Zusätzlich wurden zwi- standsaufnahme des Vorkommens verschiedener schen dem 20. Februar und 6. April 2016 an vier Mess- anthropogener Spurenstoffe im Wasser und in Sedimen- stellen entlang der Nidda (N-1, N-2, N-3 und N-6) paral- ten des Nidda-Einzugsgebiets. Darüber hinaus lag der lel zu Freilanduntersuchungen der Universität Tübingen Fokus der Untersuchungen auf i) der Identifizierung mit Forellen alle zwei Tage Stichproben entnommen und spezifischer Eintragsquellen mit Hilfe neu entwickelter analysiert. Außerdem wurden an der Usa und Horloff im Nontarget-Methoden, ii) der Durchführung von ereignis- Juli 2016 noch zwei weitere Sonderuntersuchungen zur gesteuerten hochaufgelösten Probenahmen mit automati- Stoffbilanzierung mit mobilen Probensammlern durchge- schen Probenehmern zur Erfassung kurzzeitiger Belas- führt (siehe 2.4). tungsspitzen in Folge von Regenereignissen und iii) der In Ergänzung zur Analyse der Wasserproben wurden an Untersuchung des Abbauverhaltens polarer Spurenstoffe den Hauptmessstellen auch fünf bis acht Sedimentproben entlang unterschiedlich strukturierter Fließgewässerab- entnommen und auf das Vorkommen von hauptsächlich schnitte. partikelgebundenen Schadstoffen wie Schwermetalle, Polychlorierte Biphenyle (PCB) und Polyaromatische 2 Untersuchungsmethoden Kohlenwasserstoffe (PAK) untersucht. 2.1. Target-Analytik 2.2. Nontarget-Analytik Unter Verwendung einer neu entwickelten Mit Hilfe der Nontarget-Analytik können Einleiter von massenspektrometrischen Analysemethode (Hermes et (unbekannten) Substanzen identifiziert werden, die bisher al., 2017) wurden insgesamt etwa 150 hauptsächlich im nicht im Rahmen eines Routinemonitorings untersucht Wasser gelöste organische Spurenstoffe erfasst. Die werden. Dazu wurden die während der Sonderuntersu- quantitative Analytik beruht auf einer Direktinjektion der chungskampagne im September 2015 an 30 verschiede- 0,45 µm gefilterten Wasserprobe und einer Messung 3 nen Messstellen entnommenen Proben mittels hochauflö- 2.3. Ereignisbezogene Probenahme sender Massenspektrometrie analysiert. Die Messung Aufgrund der geringen Verdünnung sind insbesondere in erfolgte per Direktinjektion unter Verwendung eines kleinen Bächen und Gräben der Agrarlandschaft hohe Hochleistungsflüssigkeitschromatographen, gekoppelt an kurzzeitige Stoffbelastungen durch Einträge aus Misch- ein Quadrupol-Time-of-Flight-Massenspektrometer wasserentlastungen, Oberflächenabläufen und dem (HPLC-Q-ToF-MS). Grundwasser zu erwarten. Deshalb wurden an einem Bei der Nontarget-Analytik werden,