Aus aktuellem, traurigen Anlass

In den letzten Wochen folgte eine traurige Nachricht der nächsten. weiter belastbar sind. Resignation, Niedergeschlagenheit und Depres- Innerhalb kurzer Zeit verstarben drei Menschen aus dem Umfeld sion, Selbstaufopferung und Burnout, Ausgrenzung und beeinträchti- unseres Magazins. Sie waren Werbekundin, Wiederverkäufer_innen gtes Sozialleben, finanzielle Selbstlosigkeit und materielle Sorgen sind oder Lebenshofbetreiber. Sie alle starben in jungen Jahren, teilweise Zustände, die uns alle treffen können. Wenn uns der soziale Halt, den durch Selbsttötungen. Alle drei wollten die Welt verändern oder sie wir uns aufgebaut haben, auch noch wegbricht oder andere persönliche zumindest etwas besser machen und Impulse setzen – was sie auch Katastrophen eintreten, kann dies dazu führen, dass manche der Bewe- taten. Dies wird kein weiterer Nachruf, diese findet ihr auf den Seiten gung wegbrechen oder sogar ihr Leben beenden. 87 bis 90. Auch weitere Menschen aus der Bewegung haben sich in diesen Wochen das Leben genommen. An dieser Stelle richten wir Allen, auch jenen, die nicht unserer „Gruppe“ angehören, schulden uns als Redaktion an die Bewegung, ohne zu glauben, die Gründe für wir einen respektvollen Umgang. Wir sollten sparsamer und zielori- die Selbsttötungen zu kennen und erklären oder verallgemeinern zu entierter mit dem „Angreifmodus“ umgehen und uns nicht verhärten. können. Für Menschen, die uns nahe stehen oder die wir mögen, sollten wir da sein und auf sie aufpassen. Genauso sollten wir auch auf uns selbst Wenn wir uns die Zustände und Strukturen in der Welt und in un- aufpassen und vor Verschleiß schützen. Jede Person ist wertvoll, nicht serer Gesellschaft ansehen, dann können wir nur schlicht verzweifeln. nur Vollaktive. Unterdrückung, Ausbeutung und Leiden sind sowohl gesetzlich fest institutionalisiert als auch scheinbar in den Köpfen zementiert. Dass Wir sollten Sensoren dafür entwickeln, ob es konkreten Menschen in sich innerhalb der (kapitalistischen) Gesellschaft etwas merklich zum unserem Umfeld nicht gut gehen könnte. Und auch registrieren und Guten ändern könnte, erscheint utopisch. Dennoch ist es wichtig, dass kommunizieren, wenn es uns selbst schlecht geht. Wir sollten Ande- sich soziale Bewegungen bilden und viele Menschen ihren Teil dazu ren ein auffangendes und unterstützendes soziales Umfeld sein und beitragen, indem sie die Zustände nicht nur ablehnen, sondern auch uns selbst gegebenenfalls solch ein Umfeld oder gar professionelle gegen sie vorgehen. Diese Arbeit und Lebenseinstellung kann stark Hilfe suchen. Wir müssen Wege finden, wie wir mit dieser Welt und belastend sein, zumal die Gesellschaft unsere Werte (noch) nicht teilt. uns selbst und unserem Leben zurechtkommen können. Wir müssen abschalten und uns von den negativen Eindrücken befreien können Umso wichtiger ist es, freundlich miteinander umzugehen, nicht an sowie positive Inhalte aufbauen. Regeneration und Ausgeglichenheit positiven Rückmeldungen zu geizen und bei Kritik möglichst nicht sind unerlässlich im sozialen Kampf gegen Ausbeutungsstrukturen. von der sachlichen Ebene auf die persönliche Ebene zu wechseln. Wir Bei uns wie bei anderen. sollten uns jederzeit gewahr sein, dass andere Menschen – vor allem Aktive innerhalb sozialer Bewegungen – verletzbar und nur begrenzt Die Redaktion Inhalt Titelthema 06 Politischer Veganismus und Lifestyle-Veganismus Pelz 28 Meldungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Polen Tierversuche 29 Filmbesprechung: Unter Menschen 30 Meldungen 32 Rückblick auf ein Jahr LPT-Kampagne 36 Neue Ziele des Gateway to Hell-Netzwerks 37 Covance 38 SHAC - ein Protest der Superlative ist vorerst beendet Repression 41 Verfassungsschutzbericht 42 Österreichischer Tierschutzprozess Kultur 48 Rezension: Tierstudien 04/2013 und Tierstudien 05/2014 50 Rezension: Am zwölften Tag Warum „nur vegan“ nicht genug ist: Politischer Verschiedenes 06 Veganismus und Lifestyle-Veganismus 52 Rezension: Veganismus – Für die Befreiung der Tiere 53 Nachbericht zur „Sag Nein zu Milch“-Aktionswoche 54 Interview zur Plattform Tierrechtsinfos auf Facebook 55 Aktionsaufruf zur Grünen Woche 2015 56 Aktionsbericht: Wiesenhof-Schlachtfabrik blockiert 60 Vorstellung der Initiative Tierfabriken-Widerstand Vegan 61 Vegan Street Day in Stuttgart 62 Neues von der Fleischfront Jagd 70 Jagd ist für Wildtierbestände irrelevant 71 Meldungen Zoo & Zirkus 73 Erste tierzirkusfreie Stadt / Weihnachtszirkus 74 Der Münsteraner „Allwetterzoo“ 77 Zoos manipulieren Besucherzahlen Theorie 51 Human-Animal-Studies 78 Rezension Sammelband TIERBEFREUNG Verein/Ortsgruppen Ein Protest der Superlative ist vorerst beendet: SHAC hat Geschichte geschrieben 80 Aktionsbericht Leipzig 38 81 Bericht vom VSD 82 Mahnwachen gegen Air France-KLM 84 Neuigkeiten 85 Rechtshilfe 86 OG Dresden / Aufruf zur Demo für Tierrechte in Düsseldorf Nachrufe 87 Tobias Graf 88 Stefanie Haupt 89 Ralf „Kalle“ Kalkowski 90 Dennis Vahlenkamp Lebenshöfe 90 Erdlingshof 92 Endstation Hoffnung 93 Lebenshof Röhn

94 Briefe von Leser_innen 85 Impressum 98 Abo-Formular 96 Quartalsreport: Befreiung und Sabotagen 99 Rundbrief der Offensive gegen die Pelzindustrie 104 Termine Aktionsbericht: Wiesenhof-Schlachtfabrik in Möckern blockiert Titelbild: © Daniela Marquardt; Foto vom Vegan Street Day 56 2014 Dortmund Editorial

Liebe Leser_innen, seit letztem Jahr haben kritische Beiträge zum Thema Veganismus spürbar zugenommen. Mit dem Titelthema dieser Ausgabe möchten wir uns an der Diskussion beteiligen und zu weiteren Auseinander- setzungen anregen. In den Texten werden verschiedene Aspekte und Auswirkungen eines Veganismus thematisiert, der sich als Lifestyle in unzähligen, ständig neuen Produkten vermarkten lässt und in den letzten Jahren immer akzeptierter und beliebter geworden ist. Auch das Thema Identitätspolitik und weiterführende Erklärungen der Antispeziesistischen Aktion Tübingen konnten in den Themenkom- plex einfließen.

Die Rubrik „Neues von der Fleischfront“ ist, wie in früheren Aus- gaben üblich, wieder länger geworden. Der Magazinteil zum Thema Tierversuche ist mit Beiträgen der LPT-Schließen- und der Kampa- gne gegen Air France-KLM oder zum Gateway to Hell-Netzwerk ebenso recht umfangreich ausgefallen. Die erst kürzlich zurücklie- Tierversuche: Rückblick auf gende Nachricht über das Ende der SHAC-Kampagne haben wir ein Jahr LPT-Kampagne 32 noch mit aufnehmen und eine kurze Übersicht zur Kampagne er- stellen können. Das Bündnis Tierfabriken-Widerstand stellt sich vor, und in einem Interview möchte die Facebookgruppe Tierrechtsinfos erklären, weshalb es trotz aller Nachteile immer noch sinnvoll sein soll, Facebook zu nutzen. Hintergründe zu den abschließenden drei Prozessen innerhalb der Verfolgungswelle gegen österreichische Tier- rechtsaktivist_innen seit 2008, die als der Tierschutzprozess bekannt wurde, findet ihr ab Seite 42.

Neben den Berichten von Ereignissen auf Lebenshöfen enthält der hintere Teil des Magazins leider auch Nachrufe auf vier junge Men- schen, die in den letzten Monaten verstorben sind und Bezug zum Magazin hatten.

Da die Belastungen, denen politische Aktivist_innen ausgesetzt sind und denen sie sich aussetzen, wie zum Beispiel die drohende Repres- sion, zusätzlicher Stress, die Auseinandersetzung mit vielerlei Arten von Gewalt, aber auch der in Bewegung und Umfeld existierende Lei- stungsdruck, Streitereien und verschiedene Diskriminierungen, dazu führen können, dass Menschen ihren Aktivismus beenden oder sich sogar das Leben nehmen, wollen wir in einer der nächsten Ausgaben Erneut Freisprüche in teilweiser Neuauflage des diese Probleme thematisieren. Für Anregungen, Kritik, Leser_innen- österreichischen „Tierschützerprozesses“ 42 briefe und Texte, die ihr für das nächste Magazin einreichen wollt, sind leider nur noch wenige Wochen Zeit. Schreibt uns.

Und nun gute Unterhaltung mit unserer Herbstausgabe! Maria Schulze

Achtung, von einigen Abonnent_innen/Mitgliedern benötigen wir neue Daten im Rahmen der SEPA-Umstellung. Bitte schaut auf das Adressetikett eurer TIERBEFREIUNG, ob dort über eurer Adresse BM für „Bitte melden“ steht. Mailt in dem Fall an [email protected]. Vielen Dank, das würde uns Porto sparen. Außerdem haben wir ein neues Verwaltungs- und Abbuchungs- system. Sollte euch etwas an den Einzügen komisch vorkommen, meldet euch bitte.

Nächste TIERBEFREIUNG: Betonierter 70er Jahre-Albtraum: Redaktions- und Anzeigenschluss für die Ausgabe 85 74 Der Münsteraner „Allwetterzoo“ ist der 2. November 2014. Titelthema

menue

1st course Hauptsache vegan? ab Seite 8

2nd course Quo Vadis Vegan? ab Seite 15

3rd course Veganismus als Teil des Problems ab Seite 19

dessert Interview: Der Vegan-Hype im Kapitalismus ab Seite 25 Titelthema

ApÉritif

Politischer Veganismus und Lifestyle-Veganismus

Wir erleben seit einiger Zeit einen Vegan-Hype. Zum einen können wir uns darüber freuen, weil er für Reduzierung von Tierausbeutung steht und die notwendige Grundlage für einen gesellschaftlichen Wandel schafft. Die Schattenseite ist jedoch, dass die wesentlichen politischen Aspekte kaum noch sichtbar sind und der hippe Veganismus das Ausbeutungssystem an sich nicht bedroht, sondern von diesem eingenommen wird.

Der Veganismus stellt keinen Zweck an sich dar, sondern ist eine Konsequenz des ethischen Veganismus, welcher nichtmenschliche Tiere nicht als Ausbeutungsmittel ansieht. Selbstoptimie- rung auf hohem Niveau betreiben, ist vielen Menschen nicht möglich. Wenn es nicht gelingt, Tieren grundsätzlich einen anderen moralischen und rechtlichen Status zu verleihen als Eigentum und Produktionsmittel, dann kann die Tierausbeutung zwar reduziert, jedoch nicht beendet werden. Es gilt, gesellschaftlich ein politisches Bewusstsein dafür zu fördern, dass nichtmenschliche Tiere nicht für unsere Zwecke da sein sollten.

Die eher unpolitisch auftretende vegane Bewegung setzt sich vor allem für die Ausweitung der veganen Infrastruktur ein, die politischere Tierbefreiungsbewegung eher für den politischen Rahmen. Beide sind wichtig. Mit dem Titelthema möchten wir vor allem den politischen Veganismus in unterschiedlichen Facetten darstellen und bewerben.

Markus Kurth unterscheidet in seinem Artikel den „identitären“ und den „utopischen“ Veganismus voneinander. Ersterer definiert sich über die Inhaltsstoffe, letzterer über die Produktionsverhältnisse bei veganen Produkten. Ist für den Veganismus lediglich wichtig, „was“ drin ist und nicht, „wie“ produziert wurde? Bio-veganer Landbau und Lebenshöfe stellen eine tiersolidarische Gegenkultur zur Schlachthofrealität dar. Das Interview mit Knoti von der Antispeziesistischen Aktion Tübingen erläutert die erforderliche Kritik am Kapitalismus aus tierbefreierischer Sicht. Knoti erklärt, wie der Kapitalismus funktioniert und welche Handlungsmöglichkeiten sich ergeben. Maria Schulze sieht selbst den Veganismus als Teil des Problems. Sie benennt und bewirbt alternative Versorgungsmög- lichkeiten zum ethischen Konsum und erläutert, weshalb ethischer Konsum kaum möglich und Konsum- sowie Systemkritik geboten seien. Am Zutatenlistenveganismus lasse sich nicht messen, ob ein Produkt ohne Ausbeutung hergestellt wurde. In meinem Artikel untersuche ich die unter- schiedlichen Facetten des Veganismus und setze sie in Beziehung zueinander. Während der Life- style-Veganismus in erster Linie ichbezogen ist und sich auf den Konsum von einzelnen Menschen bezieht, setzt sich der politische Veganismus vor allem für einen gesellschaftlichen Wandel ein. Doch auch der als Lifestyle gelebte Veganismus kann als Leitmotiv haben, die Gesellschaft verändern zu wollen.

Manche Texte verwenden als grammatikalische Form das (fiktive) generische Femininum, das heißt, dass unabhängig vom biologischen Geschlecht die weibliche Form als generische verwendet wird. Generische Bezeichnungen sind geschlechtsneutral. Emil Franzinelli

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HAUPTSACHE VEGAN? Warum „nur vegan“ nicht genug ist von Emil Franzinelli Immer mehr (Neu-)Veganer- Der Veganismus ist in unserer Gesellschaft de von Anfang an (seit 1944) im Begriff innen identifizieren sich angekommen. Er stellt nicht nur einen verankert. Der Veganismus ist in erster mit dem Veganismus ernäh- zeitweisen Hype dar, sondern es finden Linie eben nicht eine Ernährungsform. rungsbezogen, jedoch und strukturelle Änderungen statt, die für Dau- Vielmehr ist er eine bewusste ethische und nicht (mehr) im politischen erhaftigkeit stehen. Die vegane Infrastruk- politische Entscheidung, so zu leben, dass tur wird ausgebaut: Vielerorts entstehen (zumindest) nichtmenschliche Tiere mög- Sinne. Zentraler als die vegane Supermärkte, Restaurants und Ca- lichst nicht benutzt oder getötet werden. Befreiung der Tiere aus fés; vegane Gerichte und Produkte werden dem Ausbeutungsverhältnis weitflächiger verfügbar, und Wirtschafts- Lifestyle-Veganismus ist heute vielen Veganerinnen, unternehmen investieren Geld, um vegane wie schmackhafte und/oder Produkte zu entwickeln und zu vertrei- Heute spricht die Marktforschung zu- gesunde vegane Gerichte ben – zum Beispiel die Entwicklung von recht vom „New “. Eine aktuelle Eiersatz oder die angestrebte pflanzliche Studie3 ergibt folgende Ergebnisse: „Bei zubereitet werden können. Produkterweiterung des Fleischkonzerns den ,neuen Veganern‘ handelt es sich um Während der Veganismus Rügenwalder Mühle.1 Der Büchermarkt einen neuen Konsumtypus, der mit den (in nichtdogmatischer Form) wird aktuell überschwemmt mit veganen verzichtsgeprägten Veganern bisheriger als alternative Lebensform Kochbüchern und auch anderen Büchern, Prägung nicht mehr viel gemein hat. Hin- immer populärer wird, bleibt die den Veganismus propagieren. Manche ter der neuen Veganer-Generation stecken der Tierrechts- und Tierbefrei- Medien gehen mittlerweile sogar schon zu Konsumenten, denen hedonistische und dem Schritt über, über den Veganismus als pragmatische Werte weitaus wichtiger sind ungsgedanke kaum bekannt. 2 Trend herzuziehen. Das ist grundsätzlich als weltanschauliche Motive.“, „Neu ist au- Wo bleiben da die Tiere? Wo ein gutes Zeichen und gehört dazu. ßerdem, dass der neue vegane Lebensstil die Systemkritik und vor auch offen ist für ,Teilzeitveganer‘ und allem wo der gesellschaftliche Bisher ist der Veganismus jedoch noch eher ,Flexitarier‘, die punktuell wieder alte Le- Wandel? Wer sich am Unrecht eine elitäre, exklusivere Lebensweise. Zwar bensweisen annehmen (z.B. situativ wieder lediglich nicht mitschuldig werden auch immer mehr Volksküchen Fleisch essen). Damit besteht Potential, vegan betrieben, und auch in alternativen dass der Trend in den Mainstream ein- machen möchte, betreibt Szenen setzt sich der Veganismus allmäh- zieht.“ David Schmidt meint in der ZEIT: Selbstveredelung und lebt lich durch. Doch nicht jede kann ihn sich „Die neuen Veganer pflegen keinen Über- vegan. Wer die Gesellschaft leisten oder sich mit ihm identifizieren. legenheitsmythos. Sie gehen nicht mit verändern möchte, sollte zu- Die Preise für vegane Ersatzprodukte und ihren politisch-moralischen Ansprüchen sätzlich politisch aktiv werden. in veganen Restaurants sind bisher eher hausieren und sie begreifen Veganismus auf die Mittelschicht ausgelegt. Fleisch nicht als Ideologie.“4 Eine ähnliche Bilanz und tierliche Produkte hingegen sind bil- zieht (2011 bereits) Attila Hildmann, der lig, von der Politik her offensichtlich so ge- „modernes veganes Kochen ohne mora- wollt. Oftmals laufen beide Konsumsträn- lischen Zeigefinger“ betreibt und damit ge (mit/ohne Tierausbeutung) parallel und wesentlich mehr Menschen erreicht als Hand in Hand. Nichtmenschliche Tiere weltanschaulich Auftretende: „Veganismus bleiben Produktionsmittel, so wie der Ve- hat längst die Ecke vermeintlich kauziger ganismus Privatsache bleibt. Die Populari- Exoten verlassen und ist gerade im ge- tät des Veganismus geht nicht oder kaum sundheitsbewussten Amerika unaufhalt- einher mit der Verurteilung, Aufhebung sam auf dem Vormarsch“.5 oder Reduzierung von Tierausbeutung und führt auch nicht oder kaum zu einem an- Immer mehr Prominente bekennen oder deren Mensch-Tier-Verhältnis oder -Ver- bekannten sich zur veganen Ernährung. ständnis in unserer Gesellschaft. Der Ve- Manche ernähr(t)en sich vegan, weil sie ganismus-Begriff ist kaum noch jener, der die „unnötigen Leiden“ oder aber die er ursprünglich und zuvor war und wieder Tiernutzung an sich ablehnen. Andere vor mehr werden sollte: in zentraler Hinsicht allem aus gesundheitlichen oder Fitness- ein ethischer/politischer. Der politische gründen. Diese beiden Einstellungen loh- Aspekt – gegen alle Formen der Unterdrü- nen, unterschieden zu werden. Besonders ckung und Ausbeutung einzutreten – wur- letztere kann leicht kippen: Wer sich aus

8 | TIERBEFREIUNG 84 1st course „Wer sich am Unrecht lediglich nicht mitschuldig machen möchte, betreibt Selbstveredelung und lebt vegan. Wer die Gesellschaft verändern möchte, sollte zusätzlich politisch aktiv werden.“ Foto: Flickr.com, mengHe (CC BY 2.0 DE) 1st course

egoistischen Gründen vegan ernährt, hat „Kleine Kinderhände bringt. kaum Gründe, sich nicht (gelegentlich) nähen schöne Schuhe. Er ist propagierender Pflanzenköstler, der wieder nichtvegan zu ernähren. Doch auch seinen „Veganismus“ hauptsächlich auf wer das immense Tierleid ungerecht fin- Meine neuen Sneaker sind die Ernährung beschränkt. Die Gründe det und reduzieren möchte, bräuchte nicht leider geil“ für „Veganismus“, die er anderen Men- gänzlich „verzichten“. Tierliche Ausbeu- schen nennt, sind vor allem Gesundheit tungsprodukte konsequent abzulehnen, (Deichkind: „Leider geil“) und Fitness, das heißt egoistische Motive. erfordert die Einstellung, dass diese aus Er schließt nicht aus, irgendwann einmal Prinzip keine Nahrungsmittel sind – aber wieder Fleisch zu essen und möchte sich auch insgesamt keine Nutzmittel, eben Entweder sie lebt direkt und nach stren- nicht Definitionen und Normen unterwer- weil nichtmenschliche Tiere nicht für un- gen Kriterien „vegan“, oder sie gehört zur fen.9 Sich selbst bezeichnet er als „Marke“, sere Zwecke benutzt werden sollten.6 Seite derjenigen, die zu verachten und zu und tatsächlich wird er sehr professionell bekämpfen sind. Es scheint, dass es man- vermarktet. Er hat seine Bücher bisher Vielleicht konnte es überhaupt erst da- chen wichtiger ist, dass von Einzelnen ein bereits im sechsstelligen Bereich verkauft, durch zum Vegan-Hype kommen, weil bei veganes Ideal und Dogmen erfüllt wer- ist in den Medien präsent und den Men- der Bewerbung des Veganismus die poli- den, anstatt dass deren Grundeinstellung schen in der Gesellschaft ein Begriff. Sein tischen, ethischen und emanzipatorischen stimmt und sie sich in ihrer Entwicklung Auftreten als Fitness- und Gesundheitsve- Inhalte oftmals weitgehend fehlen. Der bemühen. Ich möchte diese Haltung nicht ganer – und eben nicht als Ethikveganer Lifestyle-Veganismus wird gerade dadurch überstilisieren, weil ich denke, dass diese – dürfte seinen Erfolg ausmachen. Mit attraktiv, dass er weder ethisch noch poli- destruktive Haltung in der Tierrechts- einer Sichtweise, die sich auf das eigene tisch ist. Er fordert nicht, sondern er bie- bewegung relativ isoliert ist. Der Exkurs gute Leben bezieht und eben nicht poli- tet an. Dieser neue, flachere Veganismus soll aber einen Hinweis darauf geben, in tisch-ethisch auf das gute Leben Anderer, ist mainstreamtauglich. Er droht zugleich welche Entwicklung oder Abwehrhaltung Marginalisierter, wirkt man in unserer ich- aber auch, den ursprünglichen (politi- Hildmann (und sicherlich nicht nur er) bezogeneren Konsumgesellschaft vernünf- schen) Veganismus abzulösen und auszu- möglicherweise gedrängt wurde. In Vegan tig, locker, frei, sympathisch. Niemandem hebeln.7 for Fun erzählt er, dass er ursprünglich vom wird vorgehalten, wie zu leben wäre. Und Tierleid motiviert war, dass er aber früh Hildmann verbiegt sich nicht, versucht Attila Hildmann abgeschreckt wurde: „Da wird man fast sich nicht „besser“ hinzustellen als er ist. wie bei einer Sekte bei einem Überzeu- Vor allem mit seinen konsequent inkon- Auf Attila Hildmann „als Phänomen“ wird gungscheck genau unter die Lupe genom- sequenten Ansichten und abwertenden im Interview mit der Asatue eingegangen. men, wo noch unvegane Dinge im Haus- Bemerkungen bezüglich der konsequent An dieser Stelle möchte ich versuchen, sei- halt stehen oder ob noch Daunendecken, veganen Lebensweise eckt er in der poli- ne Position aufzuzeigen und ihm persön- Schafwollpullover oder Lederschuhe im tisch motivierten veganen Szene an. Die- lich auch gerecht zu werden. persönlichen Besitz sind. Wer hier noch se versucht zum einen, den Vegan-Begriff Zugeständnisse machen muss, ist eines Ve- vor Verwässerung zu schützen und dem Attila Hildmann kritisiert das „Ich bin ein ganers nicht wert.“ (Seite 25) Veganismus den politischen Rahmen zu besserer Veganer als du“-Phänomen, das bewahren („vegan“ ist mehr als nur sich Propagieren und Einfordern einer ideo- Die folgenden Zitate sind einer Social- rein pflanzlich zu ernähren), zum anderen logischen Reinheit. Wer sich nicht einem mediadiskussion entnommen. Mit Bezug gibt es jedoch auch destruktiv Auftretende, strikten Reglement unterwirft oder aber auf Attila Hildmann meinte jemand: „Es die von manchen als „Veganpolizei“ ange- zugibt, nicht immer konsequent vegan zu gibt Leute, die ernähren sich vegan, und sehen werden: Menschen, die sich darauf leben, wird von manchen als Pseudo- oder andere, die leben vegan. Das ist ein mei- konzentrieren, Inkonsequenzen bei Ve- Unveganerin bezeichnet und angegriffen. lenweiter Unterschied.“ Jemand anderes ganerinnen aufzudecken und ihnen une- Es ist zwar richtig und wichtig, Begriffe meinte: „Jeder, der zumindest vegan isst, ist thisches Verhalten vorzuwerfen. In einem und Konzepte zu definieren und vor Ver- für die Tiere besser, als wenn er nicht ve- Interview10 antwortet Hildmann auf die wässerung zu schützen. Es ist auch gut, gan isst. Der Grund ist dem Tier, das nicht Frage „Warum wird die Debatte über den Unternehmen und der Gastronomie gefressen wird, herzlich egal.“ Und jemand Fleisch und tierische Produkte eigentlich aufzuzeigen, dass Veganerinnen gewisse drittes: „Wenn er die Leute dazu bringen mit so einer Vehemenz und Leidenschaft Dinge nicht konsumieren und keine Kom- kann, sich vegan zu ernähren und dadurch geführt?“ mit „Ich glaube, dass viele Leute promisse eingehen (möchten). Aber es ist umzudenken, hat er mehr für die Umwelt für sich das Tierleid in den Mittelpunkt fraglich, ob es angemessen ist, den Vega- und die Tiere erreicht als manch anderer.“ stellen. Das heizt Emotionen an. Das war nismus dermaßen als Selbstzweck hinzu- Das sind alles zutreffende Ansichten. Was bei mir am Anfang auch nicht anders. stellen und ihn kompromisslos und auf allen dreien fehlt, ist der Aspekt der öf- Aber man erreicht nichts, wenn man ver- hohem Niveau von Anderen zu erwarten fentlichen Wirkung und der Folgen. Hild- sucht, auf andere Leute einzudreschen. Es – ungeachtet der breit geteilten Definition mann ist allgemein bekannt und wird ge- wird von den Hardcore-Leuten immer nur der Vegan Society, dass es darum gehe, „so sellschaftlich als „Prototyp des Veganers“ die 100-Prozent-Lösung angeboten: ,Ent- weit wie möglich und praktisch durchführ- angesehen. Mit ihm wird der Veganismus weder ernährst du dich zu 100 Prozent ve- bar“ vegan zu leben.8 Der Einzelnen wird verbunden und an ihm beurteilt. Für viele gan oder du bist ein böser Arsch.‘“ Gerade, damit die Freiheit abgesprochen, sich zu Menschen ist er die erste und zentralste wenn man die Massen erreichen wollte, entwickeln und selbstbestimmt zu leben. Person, die ihnen den Veganismus nahe müsste man daher anders vorgehen: „Man

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muss diese ideologiebeladene Ernährungs- den oder die Laktose beinhalten. Manche weise, bei der es in den letzten Jahren im- „eigentlich“ veganen Produkte können auf mer nur um Zwang ging, attraktiv machen Tierleid oder -tötungen basieren (Nager- für den Mainstream.“ Doch ebenso wie die fallen im Lager, Gelatine für Getränkeklä- „Veganpolizei“ verkennen auch Menschen rung) oder versteckte tierliche Bestandteile wie Hildmann, dass es beim Veganismus aufweisen (Kasein im Etikettenkleber). Es nicht um die 100 Prozent gehen sollte. ist gut und wichtig, dass manche Vegane- rinnen massenweise Produktanfragen stel- Hildmann will nicht Ethikveganer sein, len, aktualisieren und diese veröffentlichen zumindest nicht im konsequenten Sinne. sowie der Wirtschaft verdeutlichen, dass es Dabei hätte er möglicherweise auch eine eine Konsumentinnengruppe gibt, die auf andere Entwicklung nehmen können, hin strikt vegane Produkte und Produktionen zum politischen Ethikveganer. Ich nehme entschiedenen Wert legt. Diesen Aufwand es ihm als glaubwürdig ab, dass er vor etwa können und wollen jedoch nicht alle Vega- 14 Jahren neben dem Gesundheitlichen nerinnen betreiben. vor allem tierethisch motiviert war („Tier- schutz“, „Tierleid“), als er Veganer wurde. Und dass er diesem Motivationsstrang Die Nachfrage bestimmt den Markt? nicht lange folgen wollte, weil er im In- ternet auf abstößernde Veganismusseiten Wie förderlich ist der Vegan Outreach stieß, wie er im Vorwort von Vegan for Fun Reicht die Forderung für eine vegane für die Tierrechtsbewegung? Regelt die schreibt. Vielleicht hat er sich zu wenig be- Gesellschaft, nur gelegentlich mal vegan Nachfrage das Angebot und reduziert zu konsumieren? müht, weniger abstößernde Veganerinnen damit die Tierausbeutung? Wenn mehr kennenzulernen, oder er möchte grund- Menschen sich rein pflanzlich ernähren, sätzlich nicht sonderlich eingeschränkt dung oder alle anderen Zwecke zu vermei- dann sieht entsprechend auch das Angebot leben. Heute provoziert er mit direkt Ve- den“.12 Damit bleibt ein gewisser individu- in den Verkaufsläden aus. Denn es macht ganfeindlichen (im Schulterschluss mit eller Spielraum bestehen. Weder wird eine für sie keinen Sinn, etwas anzubieten, das Tierausbeutung) und hält sich – seine schlagartige Umstellung abverlangt, noch dann nicht gekauft wird. Mehr pflanzliche Marke – damit im Gespräch. Hildmann muss ins Detail „vegan“ gelebt werden. Produkte kämen ins Sortiment, während meint, dass er für „modernes veganes Ko- Die Gesinnung ist hier bedeutender als die weniger tierliche angeboten werden. Das chen ohne moralischen Zeigefinger“ stehe. konsequente Handlung. Sinnvollerweise ist gut und sollte weiter gefördert werden. Weniger neutral könnte man sagen: An- gibt es jedoch gewisse (veränderbare) Kon- Durch das erweiterte Angebot greifen stelle von Verantwortungsbewusstsein und ventionen, die „Veganerinnen“ und „Fast- vielleicht auch mehr Menschen zu pflanz- Mitgefühl vermittelt er anderen eher eine Veganerinnen“ voneinander unterscheid- lichen Produkten – und vielleicht werden egoistische Sichtweise auf veganes Essen bar machen, um den Begriff Veganismus sie ja auch mal günstiger und damit auch und hat (dies zeigt er zumindest) kein zu schützen. Menschen, die gelegentlich für Weniger-Privilegierte erschwinglicher. grundsätzliches Problem mit Tierausbeu- Käsebrötchen oder Käsepizza essen, ei- Doch heißt die veränderte Nachfrage tung. gentlich jedoch die Tierausbeutung und auch, dass die Produktion entsprechend den Konsum ablehnen, leben nicht konse- angepasst wird? Tatsache ist: Trotz des 100 Prozent vegan? quent nach ihren Ansichten, unterscheiden Anstiegs des Vegetarierinnenanteils in der sich jedoch von der Einstellung her deut- Bevölkerung steigt auch die Fleischpro- Marc Pierschel hielt auf dem VSD Dort- lich von Vegetarierinnen. duktion an.13 mund 2014 einen Vortrag mit dem Titel „100 Prozent vegan – Wie vegan lebst du Käseprodukte sollten für die meisten Der Dokumentarfilm Schweine für den wirklich?“.11 Basierend auf dem ethischen Menschen relativ leicht verzichtbar sein. Müllcontainer14 macht deutlich, dass die Veganismus verdeutlichte er, dass es nicht Die größte Schwierigkeit dürfte für viele kapitalistische Wirtschaftsordnung sich oder kaum möglich sei, 100 Prozent ve- Menschen aber sein, die alten Gewohn- weniger an der Nachfrage orientiert als gan zu leben, weil sich in vielen Produk- heiten gegen neue auszutauschen, sich an Marktanteilen und den Subventionsbe- tionsprozessen indirekte Tierausbeutung konsequent umzustellen. Doch 100 Pro- stimmungen. Innerhalb des Kapitalismus versteckt. Aber die 100 Prozent werden zent vegan können auch die Engagier- wird nicht nach Bedarf oder Nachfrage auch nicht verlangt. Die verbreitetste De- testen nicht leben, weil unsere Gesellschaft produziert, sondern nach kalkuliertem finition von Veganismus stellt eben nicht schlicht auf Tierausbeutung basiert: Viele größten Profit. Die Politik begünstigt ein Verbotskatalog dar (nach dem es nur Substanzen werden an Tieren getestet, zudem die rücksichtslose Tierausbeu- ganz wenige Veganerinnen gebe und die in etliche Produktionsprozesse fließen tung. Die vielfachen Subventionen für meisten sich vegan nennenden Menschen Tierausbeutungsprodukte ein oder führen die „Landwirtschaft“ und die gesetzlichen „Unveganerinnen“ seien), sondern jene der Tiertötungen mit sich. Es kann immer Bestimmungen für die Tierausbeutung er- britischen Vegan Society: Es geht darum, „so nur darum gehen, so weit wie möglich und möglichen diese krassen Bilder, die eigent- weit wie möglich und praktisch durchführ- praktikabel vegan zu leben. Es macht kei- lich niemand sehen will/soll, Zustände, die bar“ „alle Formen der Ausbeutung von und nen Sinn, in jedem Fall auf Medikamente gesellschaftlich abgelehnt, jedoch nicht Grausamkeiten an Tieren für Essen, Klei- zu verzichten, die an Tieren getestet wur- verboten werden. Dabei landet ein Drit-

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tel des produzierten Schweine„fleischs“ sammen. Der entscheidende Unterschied Seite spielen die verschiedenen Ansätze scheinbar auch noch im Müll. Das be- zwischen dem ethischen und dem politi- auch zusammen und greifen ineinander. deutet, dass jedes Jahr in Deutschland schen Veganismus liegt im Handeln. So So führen die sehr wichtigen Dokumen- rund 20 Millionen Schweine vollkommen kann jemand ethisch Motiviertes ihr Han- tationen der realen Tierausbeutung dazu, „umsonst“ gezüchtet, gemästet, gehalten deln auf den eigenen Konsum oder zusätz- dass Menschen sich für Konsumalterna- und getötet werden. Tiere sind in unserer lich auf die Verbreitung des Veganismus tiven interessieren, das attraktiv gemachte Wegwerfgesellschaft eben auch Müll. Er- (Vegan Outreach) beschränken, ohne sich Angebot dieser Alternativen führt dazu, schreckend ist dabei auch: Wir können gesellschaftlich zu engagieren. Unpolitisch dass Menschen ihre Identität umstellen uns diesem System kaum entziehen. Die ist, wer sich nicht um gesellschaftliche können, und der veränderte Konsum man- Produktion des konsumierten oder weg- Veränderungen bemüht oder gar schert. che dazu, dass sie sich mit weiterführenden geworfenen „Fleisches“ wird von Ethik- Wer die Vorstellung hat, mit dem eigenen politischen Fragen beschäftigen und viel- veganerinnen über die Steuern indirekt (Nicht-)Konsum die Gesellschaft und die leicht auch selbst aktiv werden. mitfinanziert. Produktion bereits zu beeinflussen, ist im Grunde bereits politisch (vor)eingestellt. Die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung Vieles, was nicht in Deutschland ver- Wer jedoch im Konsum der Einzelnen das muss sich als politische und soziale Be- konsumiert wird, wird anders verwertet, größte Problem sieht, sich vor allem um wegung ihrerseits vor Augen halten, dass zum Beispiel exportiert. Da bei uns vor den individuellen Veganismus bemüht und ihr Hauptfeld ein anderes ist, als den Ve- allem die Hühnerbrust gefragt ist, wer- lediglich oder primär die Konsumentinnen ganismus zu bewerben. Sie unterscheidet den andere Teile des „Mast“huhns dort in der ethischen Verantwortung sieht, ver- sich in ihren Zielen, Methoden und „im hinverschifft, wo Nachfrage besteht, zum kennt die gesellschaftlichen Zusammen- Gegenstand“ von der veganen Bewegung.15 Beispiel nach Afrika und Ostasien. Dort hänge. Von politischen Veganerinnen ist die För- wird jedoch nicht nur bestehende Nach- derung und das Bewerben des Veganis- frage bedient, sondern mit der Billigware Die Rolle des Veganismus mus nicht das eigentliche „Ziel“, sondern zusätzlich auch noch welche geschaffen. die notwendige „Konsequenz“. Was ist Bei uns wird viel mehr produziert als kon- Natürlich ist es auch schon gut, wenn der Unterschied? Politische Veganerinnen sumiert, als gegessen werden kann. Wenn Menschen sich aus gesundheitlichen streben nicht primär danach, dass das ve- einige Prozent Menschen in Deutschland Gründen vegan ernähren. Es scheint auch gane Angebot größer wird und mehr Ve- sich vegan ernähren, dann wirkt sich das so, dass sich Menschen eher von egois- ganes konsumiert wird (was aber auch be- leider kaum auf die Produktion aus. Der tischen Motiven dazu bringen lassen, ihre grüßt und gefordert wird)16, sondern dass größte globale Nutzen des sich ausbrei- Ernährungsweise umzustellen und einzu- die Gesellschaft ihre Einstellung und ihre tenden Lifestyle-Veganismus könnte schränken, als durch solidarische. Und viele Ansichten gegenüber Tieren ändert und darin liegen, dass andere Gesellschaften entwickeln sich auch in ihrem Denken sich ihnen gegenüber künftig anders ver- diesen Lebensstil – das heißt: diese Er- und ihrer Einstellung weiter. Sie entde- hält. Mehr veganer Konsum bedeutet zwar, nährungsform – zunehmend als modern cken weitere Zusammenhänge und passen dass weniger Tiere konsumiert werden. Bei ansehen und mit Lebensqualität verbin- ihre Identität allmählich ihren Ansichten steigenden Bevölkerungszahlen bedeutet den. Der Fleischkonsum steigt weltweit an. Der Verzicht auf tierliche Produkte ist dies aber nicht oder kaum, dass weniger kontinuierlich – nicht nur, weil immer schon einmal eine gute Basis dafür, sich Tiere ausgebeutet und getötet werden – mehr Menschen nicht (mehr) in absolu- der Frage des Mensch-Tier-Verhältnisses erst recht nicht in globaler Hinsicht. ter Armut leben und sich „Fleisch“ leisten zu stellen. Druck auf Einzelne auszuüben, können, sondern auch, weil „Fleisch“ mit scheint dabei kontraproduktiv zu sein. Die Hauptfelder der politischen Tier- Wohlstand und Lebensqualität verbunden Sinnvoller scheint, Informationen und rechts-/Tierbefreiungsbewegung sind wird. Argumente anzubieten, damit die ethi- „Tierbefreiung“ oder „Tierrechte“. Tierbe- schen und politischen Zusammenhänge freiung bedeutet vor allem, nichtmensch- Motive für den Veganismus erkannt werden können. Wenn die vegane liche Tiere aus dem vorherrschenden Bewegung positiv auftritt, Vegan Outre- Mensch-Tier-Verhältnis und -Verständnis Wer sich vegan ernährt, kann ichbezogen ach betreibt und sich dafür einsetzt, dass zu befreien, das heißt, gesellschaftlich zu motiviert sein (vor allem Gesundheitsve- die vegane Infrastruktur weiter ausgebaut bewirken, dass sie als Individuen angese- ganerinnen), ethisch (Ethikveganerinnen) wird, dann ist es gut. Angesichts der be- hen werden. Ihre Verdinglichung, Entindi- oder politisch (politische Veganerinnen). stehenden Offenheit gegenüber dem Ve- vidualisierung und ihre Marginalisierung Es lohnt, die Reinformen zu unterscheiden ganismus wäre es wünschenswert, wenn sie (sie zu Dingen, Exemplaren oder etwas und zu betrachten. Erstere entscheiden die ethischen und politischen Argumente Nebensächlichem machen) werden abge- sich vor allem aufgrund des Eigennutzes nun noch stärker (als bisher schon) beto- lehnt und ihnen stattdessen ein Selbst- für die vegane Ernährung, müssen entspre- nen würde. wert zugesprochen. Tierrechte bedeuten, chend auch nicht konsequent sein. Ihnen dass Tieren nicht nur Tierschutzrechte fehlt gewöhnlich das tierbezogene Motiv. Die Förderung der Konsumumstellung zugesprochen werden, sondern vor allem Zumindest ist ihnen das eigene gute Le- Einzelner führt zwar dazu, dass mehr Grundrechte, die sie – ebenso wie Men- ben wesentlich wichtiger als das Leben Menschen anders konsumieren und viel- schen – vor Verdinglichung und Abwä- nichtmenschlicher Tiere. Die „Tier-Frage“ leicht etwas weniger Leid produziert wird, gung schützen sollen. ist für sie kein Grundsatzthema. jedoch nicht zu einem Bewusstseins- und Letztere beiden fallen nicht unbedingt zu- Gesellschaftswandel. Auf der anderen

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„dick wie ne Kuh?“ – Fatshaming in der Öffentlichkeit Kreidebotschaft in Frankfurter U-Bahn-Station im September 2014

Politischer Veganismus naus für die Veränderung der Gesellschaft ximierung ausgelegt und richtet sich nicht einsetzt und dies auch so benennt, damit nach Bedürfnissen. Im Workshop „Kritik am unpolitischen andere dazu angeregt werden, ihre politi- Veganismus“ auf dem Total Liberation schen Einstellungen zu ändern. Im engen Emanzipatorischer Veganismus Congress im Juni in Darmstadt hat die Sinne, wenn die Grundlage für Ausbeu- Anarchistische Tierbefreiungsoffensive Kiel tung und Verdinglichung angegriffen wür- Der emanzipatorische Veganismus be- (ATOK) folgende Fragen zur Diskussion de: der Kapitalismus. trachtet die ethischen Fragen in größeren gestellt: Was sind die Mechanismen der Anders als beim unpolitischen Veganismus Zusammenhängen und stellt sich Diskri- Entpolitisierung? Ist die Art der Motiva- geht es politischen Veganerinnen nicht minierungen entgegen. Manchmal wird tion für den Veganismus wichtig? Ist es primär um den eigenen veganen Konsum Veganismus auf eine Weise oder in einem schlecht, wenn der Veganismus in der Mit- oder den Konsum Anderer, sondern um Zusammenhang propagiert, die schädlich te der Gesellschaft ankommt? Ist es elitär, gesellschaftliche Fragen, zum Beispiel für ihn sind oder als schädlich angesehen richtigen von falschem Veganismus zu das Mensch-Tier-Verhältnis, Gesetze und werden. Umstritten sind zum Beispiel unterscheiden? Wie lässt sich Veganismus Subventionen oder die Produktion und das gewisse PETA-Aktionen, die Beteiligung mit Herrschaftskritik verbinden? System. Der Veganismus drückt lediglich an den Friedensmahnwachen und das Der Workshop ergab als ein Ergebnis, dass die Abwesenheit von Tierausbeutung aus scheinbar wenig reflektierte Kreiden von es nicht ganz einfach ist, zu bestimmen, (und/oder das gesellschaftliche Gebot auf- politisch wie wissenschaftlich Fraglichem. was unter „politischem Veganismus“ zu grund anderer politischen Motive). Er ist Selbst eine komplett vegane Welt wäre verstehen sei. Wo ist die Grenze zu zie- eine Konsequenz, die ethisch wie gesell- ohne Weiteres noch lange keine gute und hen zum unpolitischen Veganismus? Ist schaftlich eingefordert wird. Das eigent- gerechte. der Gegenbegriff „Lifestyle-Veganismus“ liche Feld für politische Veganerinnen ist (mit dem Fokus auf Eigeninteressen und die Befreiung der Tiere (auch der mensch- Gruppen von Veganerinnen konzentrie- den eigenen Konsum) oder auch schon lichen) aus dem Ausbeutungsverhältnis ren sich darauf, per Kreidebotschaften „(tier)ethischer Veganismus“, der sich zwar und -verständnis. Das bisherige Ausbeu- den Film Earthlings zu bewerben und vor für ein neues Mensch-Tier-Verhältnis tungssystem soll bekämpft und abgeschafft allem die Kuhmilch zu verteufeln. Über ein einsetzt, sich jedoch nicht dem großen werden. Tiere sollen nicht mehr als Pro- neues Medium (Kreiden) wurde ein Weg Ganzen – den allgemeinen Herrschafts- duktionsmittel angesehen und benutzt gefunden, die Gesellschaft mit Pro-Vega- strukturen – widmet? Im weiten Sinne werden.17 Als Grundproblem wird häufig nismus-Slogans zu erreichen. Scheinbar wäre es politischer Veganismus, wenn der auf Ausbeutung basierende Kapitalis- wird jedoch zu wenig überlegt, was ver- sich jemand über die eigenen Belange hi- mus angesehen. Er ist einzig auf Profitma- mittelt wird und wie es rüberkommt. So

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wird behauptet, dass Veganismus schön, orienoffenen Friedensbewegung und der Der vegane Lifestyle stellt eine notwendige schlank und sexuell potent mache sowie veganen Bewegung herzustellen. Manche Basis für eine gesellschaftliche Verände- Konzentrationsprobleme, unreine Haut, befürchten noch mehr Schaden für den rung dar. Vegane Infrastruktur, die attrak- Haarausfall, Neurodermitis, Osteoporose Veganismus als er bisher schon durch die tive Darstellung des Veganismus und ve- und Cellulite verhindere. Der häufig ge- Veganesoterik verursacht werde und for- ganer Konsum sind wichtig und hilfreich, kreidete Spruch „dick wie ne Kuh?“ zum mulieren ihre Kritik als „Veganismus gegen damit sich der Veganismus gesellschaftlich Beispiel ist von der Aussage her lächerlich die Querfront“. etablieren kann. Damit er jedoch nicht nur und als Fatshaming diskriminierend. Die als eine gleichwertige Ernährungsweise Effekthascherei damit kann als ärgerlich Fazit neben der tierausbeuterischen erscheint, empfunden werden. Die Medien gehen auf ist es unabdingbar, ethische und politische die Aktivismusform ein, was an sich gut Der politische Veganismus macht nun Aspekte mitzutragen. Außerdem erfor- wäre. Sie setzen sich mit den Botschaften Folgendes deutlich: Sein zentrales Feld ist derlich ist, dass der Veganismus nicht nur auseinander, stellen jedoch fest, dass sie die Bekämpfung der Tierausbeutung. Sein „Lifestyle“ für die privilegierte gebildete teilweise unzutreffend oder diskriminie- zentrales Ziel ist die Veränderung der Ge- Mittelschicht bleibt, sondern alltäglich rend sind.18 sellschaft, hin zu einer ohne Ausbeutung wird – für die gesamte Gesellschaft. Die- (von Menschen und nichtmenschlichen se gilt es zu gewinnen und umzukrempeln. In der veganen Bewegung regt sich zudem Tieren). Sein zentrales Anliegen ist, in Und zwar nicht primär aus ichbezogenen Widerstand gegen die Mahnwachen und der Öffentlichkeit als ernstzunehmende Lifestylegründen, sondern wegen der gewisse Akteurinnen, die sich darum be- Zukunftsperspektive wahrgenommen zu Ausgebeuteten, menschlichen wie nicht- mühen, eine positive Verbindung zwischen werden. Entsprechend kann er nicht auf menschlichen. der rechts-, eso- und verschwörungsthe- Abgrenzung verzichten.

Fußnoten:

[1] Das vegane Ei soll das Hühnerei mittelfristig ersetzen, humans choose to become ,plant-eaters‘ or ,vegans‘?“ Und [12] Siehe Fußnote 8. siehe Dokumentation: www.daserste.de/information/ eine aktuelle „Love vegan“-Werbekampagne der Vegan So- [13] Das Statistische Bundesamt erklärte am 6. Februar politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/schnappschuss- ciety meint: „You don’t have to be vegan to love vegan ice- 2014 in einer Presseerklärung, dass 2013 die Fleischpro- usa-das-eilose-ei-100.html. Die Firma Rügenwalder cream.“ Siehe www.vegansociety.com/sites/default/files/ duktion in Deutschland um 0,4 Prozent leicht gestiegen Mühle hat angekündigt, innerhalb der nächsten fünf Jahre LV_Eat.jpg. Beide Vorfälle werden zwar diskutiert und in ein sei, siehe www.bit.ly/1vCNTsS. Im selben Jahr ist bei uns mindestens 30 Prozent ihres Umsatzes mit vegetarischen besseres Licht gestellt (www.vegansociety.com/node/71/ der Fleischkonsum „durchschnittlich um zwei Kilogramm und veganen Produkten zu erzielen. Diese Ankündigung ist statement-ceo), doch die breite Außenbotschaft ist, dass pro Einwohner zurückgegangen“, siehe www.bund.net/ durchaus beeindruckend und verspricht, Bevölkerungsgrup- die Menschen einfach nur mehr vegan essen sollten, und fleischatlas. pen zu erreichen, die sich bisher nicht für fleischlose Wurst sei es nur aus kulinarischen Gründen. interessierten. Es werden zwei Gründe für die Entschei- [14] Siehe www..com/watch?v=wxiQSa-tKYU. Der [7] Auch den Medien fällt mittlerweile auf, dass sich die Film wurde 2012 von Edgar Verheyen produziert. dung angegeben: Das schlechte Image der Wurst („die ethischen Aspekte des Veganismus hin zu Lifestylea- Zigarette der Zukunft“) und die erhöhte Nachfrage nach spekten verschieben, siehe zum Beispiel www.taz. [15] Siehe den Artikel „Die moderne Tierbewegung“, in dem vegetarischen Produkten. Siehe www.welt.de/wirtschaft/ de/!143053. Dort resümiert die Autorin Elisabeth Bauer, Einzelbewegungen voneinander unterschieden werden: article132219982. dass es erfolgreicher sei, Bilder von Seitanschnitzeln zu www.tierbefreiung.de/archiv/76/tierbewegung.html oder [2] Siehe zum Beispiel den Artikel in der Frauenzeitschrift verbreiten anstelle von Bildern von grausamer Ausbeutung. im Sammelband TIERBEFREIUNG – Beiträge zu Profil, Cosmopolitan von August 2014, mit dem passenden Titel Und sie fragt, ob es sinnvoll sei, den strengen Veganismus Strategien und Methoden der Tierrechtsbewegung. „Ein Herz für Hack – Gegen den Vegan-Wahn“. Online: www. einzufordern, ob diese Forderung nicht zu sehr ausschlie- [16] Eine interessante Kampagne stellt die „Sag Nein bit.ly/1x5FQUu. Die „moralische“ Kernaussage des Artikels: ße, abschrecke, abhalte und zu einer Glaubensfrage zu Milch“-Kampagne von die tierbefreier, ARIWA und „Jeder soll in Ruhe und ohne Verurteilung das bestellen verkomme. Nandu dar (www.sagneinzumilch.de). Hier geht es darum, können, was ihm wirklich schmeckt.“ Die Ernährung sei [8] Den Veganismus definiert dieVegan Society als eine vor allem mit ethischen Argumenten für den Wechsel Privatangelegenheit. Die zweite Kernaussage ist, dass die „Philosophie und Lebensart, die versucht – so weit wie zu Pflanzenmilch (und veganer Ernährung) zu werben angeblichen Vorteile des Veganismus Mythen seien. Ein möglich und praktisch durchführbar – alle Formen der Aus- und gleichzeitig der veganen Bewegung eine Brücke zur zweiter tendenziöser Artikel erschien im ZEITmagazin Nr. beutung und Grausamkeiten an Tieren für Essen, Kleidung Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung zu bauen. Siehe Andre 30 vom 17. Juli 2014 (online: www.zeit.de/zeit-magazin/ oder andere Zwecke zu vermeiden und fördert darüber Gamerschlags Antworten auf die Fragen 4 und 5 im Inter- essen-trinken/2014-07/fleisch-argumente-vegetarier- hinaus, zum Wohle von Menschen, Tieren und der Umwelt, view: www.tierrechtsbewegung.info/2013/09/interview- veganer), nachdem ein halbes Jahr zuvor die ZEIT den die Entwicklung und Nutzung tierfreier Alternativen. Bezüg- anti-milch-kampagne. Veganismus als Themenwoche behandelte (siehe www. lich der Ernährung bezeichnet es die Praxis des Verzichts [17] Matthias Rude beschreibt in „Vegane Revolution zeit.de/schlagworte/themen/veganismus). Der Leitartikel auf alle Produkte, die ganz oder teilweise aus Tieren gewon- im Silicon Valley“ (in Hintergrund vom 7. Mai 2014) die erklärt eingangs: „Veganismus ist das neue Heilsverspre- nen werden.“ Siehe ihr Memorandum von 1979 auf Eng- Notwendigkeit einer politischen Bewegung: „Nun geschieht chen der Konsumgesellschaft. Die Bewegung gewinnt lisch: www.vegansociety.com/pdf/ArticlesofAssociation.pdf. ein Wandel – aber anders, als die Pioniere des Veganis- Einfluss – und bietet Raum für Selbstdarsteller, Verkäufer Aktuelle und kürzere Version: „Veganism is a way of living mus in der Tierrechts- und Tierbefreiungsszene sich das und Glaubenskrieger.“ that seeks to exclude, as far as possible and practicable, vorgestellt haben. Diese ,Revolution‘ bringt keine politische [3] Siehe den auswertenden Artikel „New Veganism: ,Du all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, Umwälzung, sondern propagiert lediglich eine Veränderung bist, was du isst‘“: www.bit.ly/1ujc7b2. Ausgewertet wurde clothing and any other purpose.“ Siehe www.vegansociety. von Konsumgewohnheiten.“ „Wer daran grundlegend etwas die im November 2013 erschienene Marktforschungsstudie com/about/who-we-are.aspx. ändern will, darf nicht in bloßen Appellen an das Konsum- „New Veganism: Mode, Hype – oder echte Konsumströ- [9] Siehe Fußnote 5: „Im Sinne des Erfolgs sage ich: Es geht verhalten der Menschen verharren, sondern sollte eine mung?“, siehe www.bit.ly/1BDlOBp. viel besser ungezwungen und mit Spaß an der Sache. Man politische Bewegung aufbauen, die so stark werden muss, [4] Siehe www.zeit.de/community/2013-11/veganismus- sagt zu Recht, dass jede noch so lange Reise mit einem dass sie Einfluss auf die Sphäre der Produktion ausüben social-media-blogs. kleinen Schritt beginnt. Welches Ziel man verfolgt und kann.“ Siehe www.hintergrund.de/201405073095/feuille- ton/zeitfragen/vegane-revolution-im-silicon-valley.html. [5] Siehe die Leseprobe von Vegan for Fun: www.vegan- ob man Pausen beim Reisen einlegt, sollte jedem selbst for-fun.de/VeganForFun_download.pdf (Seite 6). überlassen sein! Ob ich jemals wieder Fleisch und andere [18] Siehe Leo Fischer in der März-Ausgabe der konkret tierische Produkte essen werde – ich weiß es nicht und (online: www.leogfischer.com/p/earthlings.html) und [6] Die „weltanschaulichen Motive“ gehen mittlerweile möchte mich darauf nicht festlegen. Mir geht es wunderbar weitere Artikel, zum Beispiel www.spiegel.de/gesundheit/ immer mehr verloren. Der Fokus weicht von der allgemei- mit der veganen Küche, und ich fühle mich rundum wohl. ernaehrung/-a-985707.html. Ein Satz hier: „Ich weiß nicht, nen Tierausbeutungsfrage und nicht-ernährungsbedingten Und ich tue es für mich, für eine bessere Welt und lasse ob es im Sinne des Veganismus ist, wenn Milch so verteu- Ausbeutung ab zugunsten der rein pflanzlichen Ernährung. mich nicht vor irgendeinen Karren spannen.“ (Seite 25) felt wird, dass tote Tiere demgegenüber okay wirken.“ Das Am 30. Juni wurde folgende Auseinandersetzung geführt, Beste an den Artikeln ist, dass sie am Rande anführen, in die die Vegan Society England eingebunden war: Eine [10] Interview vom 4. September 2014 mit Attila Hildmann, siehe www.planet-interview.de/interviews/45858. dass es auch gute Gründe gibt, sich vegan zu ernähren. Anne meint: „Is there anything wrong in being a plant based Das Schlimmste, dass sie diese Aktionen auf die vegane eater? It’s getting a bit muggle/mudblood/half blood/true [11] Siehe Pierschels sehenswerten Vortrag: www.youtube. Bewegung hochstilisieren. blood for my liking.“ Und ein Mario schrieb im Namen der com/watch?v=P6gVfO_2NnA. Vegan Society: „Exactly Anne. Do exploited animals care if

14 | TIERBEFREIUNG 84 2nd course „Selbstredend ist es schön, wenn Menschen sich für eine vegane Lebensweise entscheiden. Aber haben sie dadurch unbedingt einen anderen Blick auf Tiere?“ Foto: Flickr.com, JonasIngold (CC BY 2.0 DE) 2nd course

QUO VADIS VEGAN? Utopie und Potenzial des Veganismus jenseits des „Vegan Hypes“

von Markus Kurth Dass der Veganismus eine politische Hal- näher rückt.2 Indem ich den Trend des der- 1. Direkte Unterstützung von Fleisch- tung und Handlung darstellt, stellte sich für zeitigen Lifestyle-Veganismus als logische konzernen: Eine Produktlinie wird mich lange Zeit als nicht hinterfragenswert Fortführung des identitären Veganismus als vegan deklariert, selbst wenn sie dar. Veganismus hatte seinen Platz fest in kennzeichne, möchte ich versuchen, die von Vion, dem größten Konzern für den Strukturen linker und autonomer Zen- darin fehlenden utopischen Momente des Schweine,fleisch‘verarbeitung Europas, tren und gehörte in dieser gesellschaftlichen Veganismus darzustellen und für einen ver- hergestellt wird.3 Nische zum eigenen Selbstverständnis: Wer änderten strategischen Umgang nutzbar zu 2. Zweifelhafte Produktentwicklungen: Ein gegen Herrschaft sei, habe auch den Kon- machen. Produkt wird als vegan deklariert, selbst sum von Tierprodukten abzulehnen. Diese wenn es durch künstliche Aromen, Zu- Vorstellung änderte sich erst Ende 2011 Veganismus als Lifestyle-Trend sätze und Konservierungsstoffe mehr mit mit meinem Besuch der ersten veganfach- und Absatzmarkt Lebensmittelchemie als mit einem Le- Messe in Berlin. Beispielhaft war hier der bensmittel zu tun hat. Beginn eines „neuen“ Veganismus zu beo- Mag die Idee und konsequente Praxis des 3. Die unkritische Verknüpfung zum Bio- bachten: Bio-Unternehmen, Rohkostlabels, Veganismus auch schon wesentlich älter Boom: Ein Produkt wird auch als vegan Pulverfabrikantinnen, Showköche und die sein, in ihrer (post-)modernen Form ist sie deklariert, obwohl es aus bio-dyna- Vegane Gesellschaft präsentierten einen hip- ein Kind der Tierrechtsbewegung – und des mischem Demeter-Anbau kommt – und pen Lebensstil, auch für Menschen jenseits individuellen Konsumstils. Der Kampf für dieser die Tierhaltung im eigenen Be- politischer Subkultur. Diese Mischung be- Tierrechte/Tierbefreiung mag sich konsti- trieb zwingend vorschreibt.4 geisterte in den letzten zwei, drei Jahren so tutiv im veganen Lebensstil äußern, um- viele (medienschaffende) Menschen, dass gekehrt muss der vegane Lebensstil kein Der Markt saugt den veganen Trend auf und Veganismus mittlerweile „in“ ist. Doch was Eintreten für Tierrechte nach sich ziehen. regt kleine, idealistische(re) Bio-Firmen ge- am Veganismus ist jetzt „out“, wenn die po- Entsprechend problemlos vereinnahmt der nauso wie große Lebensmittelkonzerne litische Motivation fehlt? Und welche Kon- Kapitalismus den veganen Konsum, wie so dazu an, ihrer Produktion neue vegane Kre- sequenzen sind daraus für eine Tierrechts- viele Lebensstile zuvor. Der „neue“ hippe ationen hinzuzufügen und entsprechend zu und Tierbefreiungsbewegung zu ziehen? und verspielte Lifestyle-Veganismus artiku- vermarkten. Es versteht sich von selbst, dass liert an seinen Rändern zwar noch politische der Hauptumsatz bei letzteren liegt. Ver- Vor ziemlich genau fünf Jahren versuchte Botschaften, erzeugt aber nur noch ein dif- bleibt der Veganismus also stur innerhalb ich in der TIERBEFREIUNG darzulegen, fuses Gefühl davon, dass es nicht nur für die des „Nur die Zutaten zählen“-Musters der dass Veganismus vielfach nur ein vorüber- konsumierende Person besser ist, vegan zu Auswahl aus einem großen Warenangebot, gehendes Identitätsangebot für Jugendliche leben. Es geht zwar auch um die Vorteile für verschafft er vorrangig den etablierten An- und junge Erwachsene darstellt – und dass Menschen, Tiere und die Umwelt, viel zen- bieterinnen neue Absatzmärkte. Erreicht er trotzdem das Potenzial enthält, über die traler sind aber Begriffe wie Lebensqualität, wird aber keine grundsätzliche Umstellung bestehenden Verhältnisse hinauszuweisen.1 Gesundheit, Jugend und Vitalität: Themen, des Marktes oder gar der tierfeindlichen Diesen Gedanken möchte ich im Spiegel die gemeinhin mit dem Begriff „LOHAS“ Produktionsweise. Dass kein einfacher der aktuellen Entwicklungen noch einmal (Lifestyle of Health and Sustainability) kausaler Zusammenhang zwischen einer aufgreifen. verbunden sind. Die starke Fixierung auf steigenden Anzahl an Veganerinnen und käufliche Waren und den Veganismus als einer verringerten Tierprodukterzeugung Ich unterschied damals einen „identitären“ Ernährungsform aktualisiert (m)eine alte zu erwarten ist, wurde bereits am Beispiel Veganismus und einen „utopischen“ Ve- Frage: Erschöpft sich das Potenzial des Ve- der Vegetarierinnen festgestellt. Deren An- ganismus. Unter identitärem Veganismus ganismus nicht bereits in den Regalen der teil an der Bevölkerung stieg jahrelang an – verstehe ich noch immer eine Praxis, welche Discounter, Super- und Biomärkte, wenn es ohne direkten Einfluss auf die Produktion sich einzig über Ausschlüsse und Absichten dort doch immer neue, schönere Produkte von ,Fleisch‘.5 definiert: Vegan ist, wer bestimmte Produkte für den täglichen Bedarf gibt? konsumiert und andere meidet. Es zählen Selbstredend ist es schön, wenn Menschen die Inhaltsstoffe, nicht die Produktionsver- So wirklich neu ist diese Kritik an der In- sich für eine vegane Lebensweise entschei- hältnisse. Anders der utopische Veganismus. dividualisierung und Entpolitisierung von den. Aber haben sie dadurch unbedingt Dem ist der Veganismus zunächst einmal Konsumentscheidungen nicht. Neu ist aber, einen anderen Blick auf Tiere? Immerhin „nur“ ein Mittel zur Erreichung eines ge- dass der Widerspruch zwischen Produzen- führt der Weg zum Veganismus häufig nicht sellschaftlichen Fernziels. Entsprechend tin/ Herstellung und Produkt nun auch lesbar mehr über das politische Umfeld oder ei- wird hier das Mittel Veganismus auch dis- wird. Siegel und Werbeversprechen rühmen nen empathischen Impuls gegenüber nicht- kutiert und verändert, wenn klar wird, dass Produkte offensiv als „vegan“. Daran sind zu- menschlichen Tieren – und damit gleichzei- das Ziel durch eine bestimmte Praxis nicht mindest drei Tendenzen besorgniserregend: tig über die Überzeugungen der Tierrechts-/

16 | TIERBEFREIUNG 84 2nd course

Tierbefreiungsbewegung. Stattdessen haben darf jedoch gerade – im wahrsten Sinne und nichtmenschlichen Tieren. Versuche sich in den letzten Jahren vermehrt Vega- des Wortes – an der Wurzel des Problems der bio-veganen Lebensmittelproduktion nismen herausgebildet, in denen das Leben noch weiterer Schritte. So gibt es nur eini- und befreite Tiere, deren Zukunftsperspek- und Sterben der Tiere nur eine untergeord- ge wenige Projekte, die einen bio-veganen tive nun ein Lebens- und kein Schlachthof nete Rolle spielt. Das beginnt mit dem Ar- Anbau vorantreiben.7 Solche Projekte auf- ist, weisen über die gewalt- und herrschafts- gument der besseren Klimabilanz und dem zubauen, zu unterstützen und am Leben zu förmige Gegenwart hinaus. Eine mögliche grünen Image des Veganismus und endet bei erhalten, Wissen zu sammeln, zu kultivieren Antwort der Tierbefreiungsbewegung auf Anrufungen zur Selbstoptimierung an die und weiterzugeben, ist notwendig für einen den Vegan Hype ist es, diese starken uto- Individuen mit (vermeintlich) leichter(er) utopischen Veganismus, welcher nicht nur pischen Aspekte des Veganismus wieder Kost für Gesundheit, Fitness, Jugend und auf Konsumentinnen-, sondern auch auf verstärkt zu thematisieren. (Norm-)Gewicht. Wie kann nun eine Tier- Produzentinnenseite die Möglichkeit eines rechts-/ Tierbefreiungsbewegung auf diese veganen Lebens nachweisen will. „Entpolitisierung“ beziehungsweise Ver- schiebung des Fokus reagieren? Auch die konkreten Mensch-Tier-Bezie- hungen fließen in diesen utopischen Vega- Die Utopie der veganen Lebensweise nismus ein. Der Bewegung sind die Tiere nicht so fremd, wie einem Veganismus, der Auch die Praxis eines politischen – und uto- sich primär in deren Nicht-Konsum er- pischen – Veganismus hat einen Teil ihrer schöpft. Die Befreiung von Tieren aus den Wurzeln in individualisierenden ethischen Tierindustrien und ihre Versorgung auf Überlegungen. Demzufolge sei Tieraus- Lebenshöfen sowie auch der Umgang mit beutung abzulehnen. Und wenn ich keine den Lebewesen im Umfeld des bio-veganen Tierprodukte esse, bin ich kein Teil dieser Landbaus zeigen ein anderes Mensch-Tier- Ausbeutung. Steht der einzelne Mensch Verhältnis, andere Beziehungen zu Tieren als ethisches Wesen im Mittelpunkt, kann auf, die nicht auf Gewalt und vordefinierter der Nicht-Konsum von (offensichtlichen) Hierarchie fußen. Der Veganismus als Teil Tierprodukten durchaus sinnstiftend und dieser Praktiken ist mehr als nur ein be- im Sinne einer klassisch-liberalen Ethik stimmter Konsum. Er ist Teil dieser um- des guten, tugendhaften Lebens sein. Weil fassenden Anerkennung von nichtmensch- diese individuelle Herangehensweise jedoch lichen Tieren als Individuen: Jedes Tier hat leicht in die herrschenden ökonomischen als Individuum Bedürfnisse, auch in einem Strukturen integriert werden kann, birgt anonymisierenden Ausbeutungssystem. Das sie politisch kaum Sprengkraft. Deshalb wird u.a. spürbar im Umgang mit geretteten ist der Veganismus für die politische Praxis Tieren und ihren individuellen Charakteren der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewe- oder den komplexen praktischen Überle- gung auch nur ein Baustein innerhalb eines gungen eines tierschonenden Lebensmit- weiten Spektrums an Aktionen und Bemü- telanbaus. Dies sind direkt erfahrbare Mo- hungen. Es ist zwar kein unwichtiger und mente der Mitarbeit an einer Utopie. Ein oftmals der identitätsprägendste, weil per- wie viel stärkeres Symbol ist ein solcher uto- Fußnoten: sönlichste Baustein, aber er gehört fest zu pischer Veganismus, der sich seinen eigenen [1] „Ich mal mir eine neue Welt“, in: TIERBEFREIUNG 64. einer kollektiven Strategie der Angriffe auf Ort aus der Utopie (hier auch wörtlich: ou- [2] Lebensweisen wie Freeganismus (Warenbeschaffung jen- die Tierausbeutung. topos, also Nicht-Ort) schafft?8 seits kapitalistischer Verkaufslogik, z.B. Containern), kollektive Praktiken wie Foodcoops (Lebensmitteleinkaufsgemein- schaften direkt bei den Erzeugerinnen) oder die Kopplung der individuellen veganen Kaufentscheidung an eine ökologische Für die Nachhaltigkeit dieser Bemühungen Fernab von Widersprüchen in der Nah- und faire Erzeugung der Lebensmittel mögen einige Reaktionen bedarf es der notwendigen Infrastruktur. rungsmittelproduktion und der Gewissheit auf die unzureichende Basis-Definition der veganen Lebens- weise sein. Einst gründete der Internationale Sozialis- darüber, dass ein hundertprozentiger Vega- [3] Gemeint ist die Marke „Vegetaria“. Auf diesen Zusammen- tische Kampfbund vegetarische Gaststätten, nismus im Bestehenden nicht möglich sein hang macht die Antispeziesistische Aktion Tübingen aufmerk- sam: www.asatue.blogsport.de/2014/03/22. um seinen politischen Kampf gegen den wird, gilt es, die Orte der Utopie zu ermög- [4] Ein besonders augenfälliges Beispiel ist die kürzliche deutschen Faschismus zu finanzieren. Zu- lichen, zu unterstützen und weiterzuentwi- Verleihung des Vegan-Siegels des VEBU an die Säfte der Marke Voelkel, deren Grundlage Demeter-Erzeugnisse bilden: mindest in einigen Großstädten existiert ckeln. Einem verflachten Verständnis von www.demeter.de/verbraucher/aktuell/voelkel_saefte_jetzt_ derzeit eine solche Infrastruktur im veganen Veganismus kann die Tierrechtsbewegung vegan_zertifiziert. [5] Dazu genügt ein Blick in den aktuellen Fleischatlas des Bereich und unterstützt die Bewegung und die Vision von tiersolidarischen Anbau- und BUND (z.B. Seite 20f.): www.bund.net/fleischatlas. ihre Projekte. Was jedoch in weiten Teilen Lebensorten entgegensetzen. Die kompro- [6] Siehe Text der Fußnote 3, Abschnitt „Fazit für die Bewegung“. fehlt, ist ein breites Bewusstsein für die Pro- misslose Einwirkung auf die tierausbeu- [7] Siehe Titelthema der TIERBEFREIUNG 82. blematik einer tierfreundlichen Lebensmit- tenden Industrien ist wichtig, aber sie kann [8] Damit soll nicht relativiert werden, dass auch andere poli- telproduktion. So weist die Antispe Tübingen die Gewalt gegen Tiere nur zurückweisen. tische Aktionen derart prägende Erfahrungen liefern können, aber die Orte, die sie schaffen, sind vorrangig Orte des Wider- richtigerweise darauf hin, dass letztendlich Hoffnungen auf einen grundlegenden Wan- standes und keine Erprobungen eines neuen mensch-tierlichen Zusammenlebens. Utopisches Potenzial wird hier eher für ein die Lebensmittelindustrie vergesellschaf- del benötigen darüberhinaus die Erprobung menschliches Zusammenleben freigesetzt, wie z.B. bei Aktions- tet und veganisiert werden müsste,6 es be- neuer Beziehungen zwischen Menschen Camps oder längeren Besetzungen.

TIERBEFREIUNG 84 | 17 3rd course

VEGANISMUS ALS TEIL DES PROBLEMS Konsumwahn und Umweltzerstörung innerhalb der globalisierten industrialisierten Zivilisation und mögliche Alternativen von Maria Schulze Es wird Zeit für Kritik an vermeintlichen Wie wir in dem Text „Vegan-Hype“ der Antispe Produkte werden vor allem entwickelt, um Be- Selbstverständlichkeiten und Übereinkünf- Tübingen gesehen haben, haben verschiedene dürfnisse erst zu erzeugen, die dann durch den ten zu veganem Konsum und damit einher- Konzerne, Branchen und ganze Wirtschafts- Konsum der Produkte befriedigt werden sol- gehenden Konsequenzen weitgehend undis- zweige den Veganismus bereits für sich ent- len. Der Bedarf nach formbaren Unterhosen, kutierter politischer Praxen innerhalb und im deckt und erfolgreiche Vermarktungsstrategien künstlichen Haaren und Fingernägeln oder Umfeld der Tierrechts- und Tierbefreiungs- entwickelt. Statt um weniger Gifteinsatz, weni- Cremes gegen Falten, Cellulite, Hautfarben (ob bewegung. Für Kritik am reinen „Zutaten- ger Gentechnik oder vorgeblich „artgerechtere“ Selbstbräuner, die vor allem in westlichen Län- listenveganismus“ ebenso wie an einem un- Tierhaltung bei „Bio“produkten dreht es sich dern oder hautaufhellende Chemiebomben, politischen Konsumveganismus, der wenig bei der Bewerbung eines veganen Lebensstils die in asiatischen Ländern Absatz finden) wird bis nichts an den Mensch-Tier-Verhältnissen mit seinen veganen Produkten zunehmend durch den Schönheitsterror der Kosmetik-, ändert und der in der Gesamtbilanz nicht um Gesundheit oder „Klimarettung“. Es geht Fitness- und Modeindustrie, Werbung, Film für weniger Ausbeutung und Umweltzerstö- um die Erhaltung von Jugend, Fitness und und Fernsehen geschaffen, ging ohne diese aber rung verantwortlich sein muss wie unveganer Potenz, um ein individuelles besseres Lebens- sicher nicht von den Käuferinnen aus. Waffen, Konsum. Der folgende Text handelt daher gefühl oder auch mal um Ökologie. „Vegane“ Bomben, Überwachungskameras, Gefängnisse, von Problemen, Irrtümern und Widersprü- Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik haben sich Psychiatrien, Finanzämter, Kriegsdenkmäler, chen im Umgang und der Bewerbung sowie vervielfacht, vegane Kochbücher und Berichte Grenzbeseitigungsanlagen, Psychopharmaka der Kommunikation über einen Veganismus, in Zeitungen und Fernsehen boomen. Vegan will kaum jemand, außer denen, die daran ver- der unreflektiert propagiert und unpolitisch ist in, hipp, modern, macht jung und schön, dienen oder die am Erhalt von Ordnung, der konsumiert, weder theoretisch noch prak- bringt Spaß, gibt mir als Konsument_in einen Privilegien der Mächtigen und Zwangsstruk- tisch etwas für Tierrechte und Tierbefreiung kritischen und verantwortungsvollen Anstrich turen interessiert sind.5 Und mit Veganismus beitragen kann. und macht mich zu etwas Besonderem. allein wird Tierausbeutung nicht eingeschränkt. Diese Logik hilft der kapitalistischen Verwert- Sie kann sogar gefördert werden. Warum ist eine Orientierung an einem Zuta- barkeit. Deren Grundsatz lautet Profitstreben, Denn vegane Produkte von Herstellern, die vor tenlistenveganismus unzureichend oder kann Gewinnmaximierung, die Vermehrung von Ka- allem Produkte aus Tieren vermarkten, können zum Gegenteil der beabsichtigten Ziele füh- pital. Alles, was konsumierbar ist, auch Nach- die Umsätze von Tierausbeutungsunterneh- ren? Wieso sollte es auch für Tierrechtler_in- haltigkeit, Gesundheit oder irgendein neues men erhöhen. Auch Fleisch- oder Milchkon- nen und Tierbefreier_innen als nicht unpro- und besseres Bewusstsein, wird vermarktet. Auf zerne profitieren vom Wachstumsmarkt Ve- blematisch angesehen werden, Ersatzprodukte utopia.de, auf karmakonsum.de oder transfair. ganismus. Bekannte Beispiele sind AlproSoya zu Fleisch oder Käse zu konsumieren und zu org, bei konsumguerilla.de oder ethicalcon- und Provamel, die von 2009 bis 2013 der US- bewerben? Was sind grundsätzliche Probleme sumer.org, auf ecotopten.de oder lohas.de, in Molkereigruppe Dean Foods gehörten, welche des durch den zivilisierten, zunehmenden groß- Büchern wie Shopping hilft die Welt verbessern, vor allem auf Tierausbeutung und Gentechnik städtischen Lebenswandel oft notwendigen Die Einkaufsrevolution oder Gute Marken, böse setzt, oder die Marke Vegetaria, die dem Kon- (Kauf )konsums1, und wie sehen Alternativen Marken gibt es praktischen Beistand und mora- zern Vion gehört, der laut Eigenangaben in der dazu aus?2 lischen Überbau zum besseren Konsumieren.3 Fleischvermarktung weltweit Platz 2 belegt Aber eine Propaganda vom ethisch korrekten und in Deutschland und den Niederlanden Veganismus im globalisierten Kaufkonsum verschleiert nur, dass Geld zum führend ist. Somit kann der Kauf von „veganen“ Kapitalismus – Unterstützung von Erhalt von System, Macht und Unterdrückung Ersatzprodukten dazu beitragen, Umsatz und Ausbeutung durch „vegane“ Produkte dient. Gewinn dieser zu erhöhen und deren Märkte und Hauptgeschäftsfelder, die auf Tierausbeu- Wenn vegane Ernährung vor allem mit dem Trotz der Zunahme an vegetarisch und vegan tung und Mord basieren, stabilisieren zu helfen. Umstieg auf Ersatzprodukte von Milch, Käse lebenden Menschen in Deutschland steigen die Auch für viele Sojaprodukte gilt: Auch wenn und anderen Tierprodukten realisiert oder be- Zahlen von Mastanlagen sowie gehaltener und der überwiegende Teil der Sojaernte zur Fütte- worben wird, entspricht das der kritisierten getöteter Tiere.4 Die Fleischindustrie profitiert rung von „Nutztieren“ verwendet wird, stammt Lebens- und Konsumweise des veganen Life- immer noch zunehmend vom Produktions- Soja für Tofu, Sojamilch und sonstigen Ersatz- styles, die nichts am bestehenden System aus standort Deutschland. Die dümmlichen Phra- produkten oft nicht aus Europa, sondern aus Ausbeutung und Gewalt zu verändern vermag. sen über die Verbrauchermacht und bekannte China oder Kanada.6 Selbst als bio gelabeltes Innerhalb globaler kapitalistischer Produktions- Marktmythen, wie dass das Angebot die Nach- Soja kann aufgrund der Transportarten7 und und Warenkreisläufe kann Ausbeutung so frage bestimmen würde, kann angesichts der zurückgelegten Distanzen eher nicht mit ernst kaum eingeschränkt werden, weil für fast oder Förderung von Gentechnik oder Fleisch aus gemeinten und konsequent ökologischen Stan- ausnahmslos alle Produkte Leid in irgendeiner Massentierhaltung (obwohl diese nach Umfra- dards vereinbar sein. Hinsicht entstanden ist und bei finanzieller gen von über 90 Prozent der Befragten abge- Die türkischen Aktivist_innen des Manifestes Nachfrage wörtlich „in Kauf“ genommen wird. lehnt werden) widerlegt werden. der rastlosen Veganer_innen8 betonen daher,

18 | TIERBEFREIUNG 84 3rd course Wer sagt, dass Veganismus das Ziel ist, vermittelt nur, dass er keinen weiteren Plan über darüber hinausgehende um- stürzlerische Aktionen und weiterführenden Aktivismus gegen zerstörerische Industrien hat, die Kriege und Aus- beutung produzieren. Es geht nicht darum, ob man über- all vegan essen kann, sondern darum, dass die Industrie zerstört wird, die nicht nur Tiere ausbeutet, sondern auch Menschen und Umwelt. Foto: Flickr.com, PierreSelim (CC BY 2.0 DE) 3rd course

dass es auch positive Auswirkungen hätte, wenn Bau und die Nutzung von Straßen getötet ckungen kaufen, in einer Tierrechtstheorie und es in einigen Städten, Restaurants und Super- wurden) in die Kategorie erlaubter Produkte -praxis vergessen oder absichtlich ignoriert wer- märkten keine veganen und vegetarischen An- einordnet, nur weil auf der Zutatenliste kein den. Antispeziesistischer Veganismus geht über gebote gäbe. Statt Verkaufslogik und Stärkung tierlicher Inhaltsstoff enthalten ist? Kaufkonsum hinaus. Auch (unnötige) Mobili- des wirtschaftlichen Systems, könnte die entste- Aus einer emanzipatorischen (alle Freiheits- tät könnte stärker diskutiert werden. Das Ver- hende Lücke durch die „Do It Yourself“-Kultur bestrebungen für Lebewesen, die ein Interes- kehrsmittel, das für die Nutzung im Verhältnis und das Prinzip der Solidarität gefüllt werden. se auf Leben, Freiheit, Unversehrtheit haben) die meisten Flächen und Ressourcen benötigt Ersatzprodukte werden aber als Möglichkeit Tierbefreiungsperspektive wäre ein Veganis- und die meisten Tiere je transportierten Men- für eine Übergangsperiode gesehen, weil für die mus beziehungsweise eine Ernährungs- und schen tötet, ist der motorisierte Individualver- meisten Aktivist_innen Fleischkonsum normal Konsumform diskutierbar und anstrebenswert, kehr. Schätzungen gehen von jährlich 250.000 war. Jedoch sollte die Bewerbung veganer Pro- die alle von Herstellungsprozessen betroffenen Wildunfällen allein in Deutschland aus, das dukte nicht Bestandteil von Tierrechtskampa- Lebewesen einbezieht und nicht nur die, die als sind größere Säugetiere ohne nicht mitgezähl- gnen sein, damit Konsumpropaganda nicht die Inhaltsstoffe lesbar nicht zu übersehen sind. te Igel, Mäuse, Ratten, Marder, Eichhörnchen, Theorien und Kritik gegen Unterdrückung und Frösche, Vögel und viele andere. Wieso müssen Ausbeutung überschattet. Veganismus und Speziesismus hunderte Kilometer mit dem Auto zurückge- legt werden, wenn zur gleichen Zeit ein Zug Grenzen und Probleme von Wenn Menschen veganen Konsum damit be- fährt? Zutatenlistenveganismus werben, dass dafür keine Tiere sterben müs- sen, verbreiten sie Unsinn. Einfach auf vegane Zu einem Antispeziesismus, der die Diskrimi- Ich habe es oft erlebt, dass unter Veganismus Produkte umzusteigen, ist nicht zwangsläufig nierung, Benachteiligung, Unterdrückung und/ vorwiegend die Vermeidung von „Produkten“ eine antispeziesistische Praxis. Wer nur auf oder Ausbeutung von Lebewesen aufgrund (die von Tieren stammen und in denen tierliche Inhaltsstoffe Wert legt, blendet das Ausmaß ihrer Zugehörigkeit zu einer Spezies ablehnt, Inhaltsstoffe enthalten sind) und das Auswei- tatsächlicher Gewalt aus. „Normales“, also gehören sowohl Insekten, andere Gliederfüßer, chen auf Ersatzprodukte verstanden wird. Al- durchschnittliches Kaufkonsumieren und eine Tiere anderer Stämme (zum Beispiel Weich- lerdings werden bei einer nicht weitergehenden Veganpropaganda, die ständig vegane Alter- tiere, Unterstamm: Schnecken) und Klassen Definition von Veganismus Herstellungspro- nativen zu Tierprodukten bewirbt, können so (Amphibien wie Frösche, Säugetiere wie Feld- zesse für diese Produkte nicht berücksichtigt, ebenfalls zum Töten beitragen. Häufig wird hamster, Hasen, Mäuse) dazu. Die Tötungen die nicht weniger Probleme mit sich bringen vergessen: Für den Anbau von Lebensmitteln, dieser Tiere beispielsweise bei Anbau und als die für Milch- oder Fleischproduktion not- ob in industrieller oder biologischer Landwirt- Ernte von Kulturpflanzen sind keine „Kolla- wendige Tierhaltung und -tötung. schaft, sterben unzählige Tiere auf den Feldern, teralschäden“, sondern bewusst einkalkulierte Die Definition der Vegan Society ist in diesem durch Düngemittel- und Pflanzenschutzmittel, Tötungen – durch die Wahl von Anbaume- Sinne umfassender, wenn sie den Ausschluss Bodenbearbeitung und Erntemaschinen. „Aber thoden, Erntemaschinen oder Pflanzenschutz- – soweit wie möglich und praktizierbar – al- nicht nur die industrielle und ökologische mittel zum Beispiel. Das sind keine Versehen, ler Formen von Ausbeutung und Grausamkeit Landwirtschaft tötet im Akkord. Radikaler sondern bekannte Vorgänge, für oder gegen die gegenüber Tieren für Nahrung, Kleidung oder gedacht: Überall wo es Acker gibt, gibt es kein sich entschieden werden kann. Schließlich sind andere Zwecke meint. Denn nur weil vegan artenreiches Biotop mehr. Und es sind im- auch die Tötungen männlicher Küken in der drauf steht, heißt das noch lange nicht, dass mer Menschen, die entscheiden, wer wo leben Eierproduktion, der sogenannte Beifang der etwas frei von tierlichen Inhaltsstoffen ist oder kann.“10 Fischereiindustrie oder die toten Näherinnen dass für dessen Herstellung keine Tiere getö- Durch den Transport auf Straßen, Flüssen, den in eingestürzten Textilfabriken in Asien keine tet wurden. Irreführende Siegel, unvollständige Meeren, in der Luft werden unzählige Tiere unvermeidbaren Auswirkungen, die wir tolerie- Zutatenlisten und ausgeblendete Bestandteile, getötet. Der Straßenbau, der dafür nötig ist, ren sollten, sondern unmittelbare Folgen aktiv die zur Herstellung genutzt werden, auf Tier- zerstört enorme Flächen an Lebensraum für gestalteter Prozesse und veränderbarer Herstel- tötung basieren und nicht auf die Packung Wildtiere. Viele werden während und nach lungsbedingungen. kommen, machen sehr viele Produkte, die laut dem Bau getötet. Durch Infrastruktur und Ver- Ist es Antispeziesismus, wenn es als wich- der Listen vermeintlich tierfrei sind, unvegan.9 kehrswege werden Lebensräume zerschnitten tiger erachtet wird, dass Lebensmittel keine Hinzu kommt, dass Veganlabel und -bezeich- und machen Rückzugsorte von Wildtieren oft tierlichen Inhaltsstoffe enthalten als die An- nungen weder eindeutig geregelt noch recht- zu deren Gefängnissen. Für die Herstellung von zahl an Tieren oder Menschen, die unter der lich geschützt sind. Sie verschleiern nur, dass Verpackungsmaterialien werden Tiere getötet, Herstellung leiden oder getötet wurden? Ist es keine hundertprozentig veganen Produkte zum Beispiel bei der Erschließung, Gewinnung es nicht speziesistisch, wenn nicht alle Arten gibt. Zudem kann das Kaufen nach Labeln und und dem Transport von Erdöl, das im Plastik von Ausbeutung gleichwertig kritisiert werden Zutatenlisten zum Ausblenden von Produkti- von Lebensmittelverpackungen enthalten ist. und nur die Benutzung bestimmter Arten von onsschritten, Ressourcen, Arbeitskräften, Gif- Dabei werden Regenwälder, Meere, ganze Tieren thematisiert und verurteilt wird? Wenn ten und Zerstörungen führen, die dafür nötig Landstriche und Biotope verschmutzt; im Erd- gesagt wird, dass „veganer“ Käse zu kaufen ok waren und die nicht auf der Verpackung stehen öl starben und sterben Millionen von Tieren. oder gar anstrebenswert ist, weil dafür keine oder dem Produkt anzusehen sind. Kühe ausgebeutet wurden, aber bei dem An- Im Manifest wird die Frage gestellt: Was ist Es ist kein antispeziesistischer Veganismus, bau der dafür benötigten Pflanzen unzählige das für ein Veganismus, der abgepackte Super- wenn Tiere, nur weil sie kleiner sind oder im andere Tiere gestorben sind, ist das nicht spe- marktprodukte (für deren Zutaten Menschen Meer herumschwimmen und am Erdöl ersti- ziesistisch? Die Verurteilung des Konsums von anderer Kontinente wie Arbeitssklaven leben, cken, weil wir Autos fahren und unsere Woh- Hühnereiern vom Kommunehof, auf dem nicht Land vernichtet wird, Tiere für Ackerbau, den nungen heizen oder Essen in Plastikverpa- geschlachtet wird und die gleichzeitige Befür-

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wortung und Ausübung von Kaufkonsum von oder nicht als solche bezeichnete Regionen), zeigen die Carrotmobs, bei denen möglichst in Plastikverpackungen gehüllten Pflanzenkäse durch Landgrabbing, die Vertreibung Einhei- viel in kurzer Zeit eingekauft werden soll, weil oder Tofuwürsten (bei deren Herstellungspro- mischer durch die Schaffung von Anbauflä- ein Teil des Umsatzes in irgendwas investiert zessen auf alle Fälle Tiere getötet wurden) ist chen für Monokulturen und die Ausbeutung wird, was dem Klimaschutz dienen soll, wie ein Widerspruch. Es offenbaren sich die unter- von Rohstoffen, aber auch durch den Export die Idee möglichst nachhaltig und verantwor- schiedlichen Werte, die bestimmten Tierarten der Produkte.15 tungsbewusst zu leben, umgekehrt wird und im zugemessen werden, die Hierarchisierung dieser Landgrabbing16 und Vertreibungen, Mono- unkritischen Konsumwahn endet. Ein anderes bei der Berücksichtigung von Konsumentschei- kultur und Megaplantagen, Regenwaldab- Beispiel ist der Versuch, irgendetwas „Gutes“ dungen und zeigt letztlich eine speziesistische holzung und Vernichtung von Ökosystemen, an der Grünen Woche zu finden, beispielswei- Haltung. Da Speziesismus aber nach außen Lohndumping, Massentierhaltung, irrefüh- se wenn der Vegetarierbund oder der Vorsit- angeprangert und angeblich selbst bekämpft rende Verpackungen, verblendende Werbe- zende der Veganen Gesellschaft Deutschland wird, müssen diese Widersprüche aufgezeigt kampagnen sind nicht nur eine Folge indus- die Verhältnisse zwischen der Präsentation und unreflektierte Praxen dieser Art angegrif- trieller oder konventioneller Landwirtschaft. veganer Produkte und der Gewalt durch die fen werden. Wenn der Konsum von Produkten Sie können auch zu Begleiterscheinungen für Ausstellung von Tieren oder den Massen an mit tierlichen Inhaltsstoffen vermieden und die Herstellung von Bio-Produkten werden, Leichenteilen völlig verdrehen.19 verurteilt wird, aber Produkte, für die Wildtiere wenn die Zertifizierungsstandarts wie für das getötet und Menschen ausgebeutet wurden, so- EU- oder Deutschland-Öko-Siegel sehr nied- Das heißt nicht, dass auf bio, fair, vegan ver- gar mittels Kaufkraft nachgefragt werden, ist rig sind, zumindest was die Tierhaltung und zichtet werden soll. All das ist immer noch das das speziesistisches Handeln. Antispeziesistisch die Berücksichtigung der Ökosysteme betrifft. kleinere Übel. Es sollte nur bedacht werden, wäre: Töten wird vermieden, zumindest aber Denn Tierhaltung für Bioprodukte von Tieren dass die Vermarktung und Materialisierung nicht beworben, auch wenn es andere Arten als oder mit tierlichen Inhaltsstoffen bedeuten ne- von Ideen und Idealen, die eigentlich zur Be- höhere Säugetiere oder sogenannte Nutztiere ben der letztlich willkürlichen Ermordung der freiung unterdrückter Massen führen sollte, in betrifft. Tiere selten etwas anderes als eine Haltungs- einem globalen kapitalistischen Wirtschafts- form, die in keinster Weise ihren Bedürfnissen system ihre Wirkung verlieren und sich zum Die Lüge vom ethischen Konsum: Label entspricht, ob nach EU-Öko-Verordnung oder Gegenteil verkehren können. Das Nachdenken und Zutatenlisten beruhigen nur und nach höheren Standards. Für den Anbau von über die Auswirkungen vom Handeln wie dem helfen selten Biolebensmitteln werden die Böden legal mit Konsum sollte nur nicht deshalb aufhören, weil Fungiziden (unter anderem auf Kupfer- oder tolle Label große Versprechen abgeben. Geht es darum, dass Kennzeichnung und Zu- Schwefelbasis), Insektiziden (gegen Kartof- Entsprechend den Zielen, für ein gewaltfrei- tatenlisten eines Produktes frei von tierlichen felkäfer oder Maiszünsler) und Molluskiziden eres Verhältnis zwischen menschlichen und Inhaltsstoffen ist, oder darum, dass es mög- (gegen Weichtiere) behandelt und vergiften nichtmenschlichen Tieren einzutreten, sollten lichst wenig Ausbeutung, Leid und Tod ver- ebenso dort lebende Tiere.17 statt nur Ersatzprodukte zu bewerben auch ursacht hat? Wenn Kaufkonsum also das globale kapitali- über Alternativen zum Kaufkonsum nachge- Wenn Zutatenlisten das wichtigste Kriterium stische Wirtschaftssystem und die damit ein- dacht werden. bei Konsumentscheidungen sein sollen, wer- hergehenden Ausbeutungs- und Gewaltspira- den andere Ursachen und Zusammenhänge len unterstützt, kann die Absicht, Gewalt und Alternative Versorgungsmöglichkeiten von Lebensmittelproduktion, Marktmechanis- Ausbeutung zu verringern und abzuschaffen, men und Konsummöglichkeiten geleugnet.11 zum Gegenteil verkehren und eine Bewegung Aus Tierbefreiungsperspektive, die nicht igno- Ebenso wenig ausreichend wie die Orientie- gegen Herrschaft sich selbst an der Herrschaft riert, dass auch für Anbau und Produktion vega- rung an Zutaten und Inhaltsstoffen ist die an beteiligen, wodurch die Herrschaft erneuert ner Lebensmittel Tiere auf Feldern und Straßen anderen Labeln wie bei als bio oder fair ge- und stabilisiert wird.18 sterben (Gliederfüßer, Amphibien, Säugetiere), handelten Produkten.12 Für Arbeiter_innen, Die allermeisten Produkte fördern Strukturen, Treibhausgase produziert, Natur verschmutzt die Rohstoffe für später fair gelabelte Produkte die an der Ausbeutung von Menschen, Tieren und zerstört wird, können Alternativen zum anbauen/ernten, bedeutet es oft keinen posi- und Umwelt beteiligt sind. Dadurch werden Kaufkonsum helfen, Leid und Tod zu vermei- tiven Unterschied in einem von Fairtrade aner- Unternehmen unterstützt, deren Größe, Ver- den. Eine Möglichkeit der Verringerung oder kannten System zu arbeiten.13 Für (im Handel breitung und Profit nur mittels einer kapita- kompletten Vermeidung von Kaufkonsum, zu- erhältlichen) Tabak gibt es entgegen anzutref- listischen und unsozialen Preisdruckpolitik mindest für Lebensmittel, ist das sogenannte fenden Verlautbarungen keinen fairen Handel existieren, mit all ihren Folgen für Händler_in- Containern. Da dabei aber nicht immer genü- oder „ökologische“ Erzeugung. Dafür sterben nen, Nahrungsmittelproduzent_innen, Anbau- gend Obst, Gemüse, Grundnahrungsmittel und Menschen und Tiere, und die Anbauflächen gebiete und die dort zerstörte Natur samt ihrer vegane Zutatenlistenprodukte gefunden wer- werden langfristig vernichtet.14 Auch für an- tierlichen Bewohner_innen. den, wird hin und wieder darüber gestritten, wie dere neokoloniale Produkte wie Kakao und Die Illusion ethischen (Kauf )konsums sollte vertretbar der Konsum unveganer containerter damit sämtliche (auch vegane) Schokolade, Teil der Kritik werden. Gutes Gefühl beim Lebensmittel ist.20 Kaffee, Baumwolle oder Tee, die kein Fairlabel Kaufen ist Ziel und Grund des Erfolgs der Unabhängig von den Argumenten für und ge- tragen, aber auch als fair gehandelt ausgezeich- Märkte die bio, öko, vegan verkaufen und de- gen (un)veganes Containern sind die direkten nete Produkte sowie Industriegüter, die Me- ren Zielgruppe eher die Besserverdienenden sozialen, marktwirtschaftlichen, ökologischen talle enthalten wie technische Geräte, werden sind. Konsum kann auch zu einer Art des Auswirkungen beim Konsum von weggewor- unzählige Menschen direkt ausgebeutet und Ablasshandels werden. Eine politische Idee, fenen Lebensmitteln geringer als bei sämtlichen getötet. Einerseits durch sklavenähnliche Ar- deren Konsequenz sich einzig im Kaufkonsum finanziell nachgefragten Produkten, da sie aus beitsbedingungen (ob in Bürgerkriegsgebieten niederschlägt, wird letztlich unpolitisch. So dem kapitalistischen Verwertungsprozess raus-

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gefallen sind, keine Nachfrage messbar ge- fés oder per Anleitungen, die im Internet zu Mehr als Veganismus – Menschen, Um- schaffen wird und kein neuer Bedarf entsteht, finden sind. Seiten mit Reparaturanleitungen welt und kleinere Tiere mitdenken! die (Ausbeutungs-)Produkte nachzuprodu- nehmen stark zu, da immer bekannter wird, zieren. Eine Förderung von „Nutztier“haltung dass viele Produkte absichtlich so hergestellt Veganismus, vor allem der weit verbreitete Zu- entsteht so nicht mehr, egal ob Käse, Toma- werden, dass sie nach einem bestimmten Zeit- tatenlistenveganismus, kann nicht DAS oder ten oder Schinken aus dem Container geholt raum nicht mehr funktionieren (auch Obso- eines der wichtigsten Ziele von Tierrechtsar- werden. Wenn durch den Konsum von Abfall leszenz genannt). Daneben gibt es Tausch- beit sein. An ihm lässt sich nicht messen, ob ein (auch von Produkten mit tierlichen Inhalts- ringe wie Klamottentauschpartys (ohne Produkt ohne Ausbeutung hergestellt wurde. stoffen), der marktwirtschaftlich keinerlei Tauschzwang) oder Schenkökonomie in Form Zu viele Formen von Unterdrückung, Gewalt Auswirkungen auf die Erzeugung unveganer von Umsonstläden oder Netzwerken, in denen und Zerstörung werden dabei ausgeblendet. Produkte hat, kein neues Leid erzeugt wird, sich geholfen und Materialien vergeben wer- Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik, Medizin ist dieser im Sinne von ernstgemeinter Tier- den, für die im Gegenzug nichts verrechnet und alles andere, wofür Tiere direkt unter der befreiung daher konsequenter und näher an wird. Herstellung leiden müssen, Nachfrage nach einem Tierbefreiungsgedanken, der sich Leid- Zur Lebensmittelbesorgung eignen sich Ver- und Gebrauchsgegenständen und fast alle vermeidung als Handlungsmotiv und Ziel zu- Selbstversorgung durch Mitgliedschaft in bio- Handlungen über Konsum hinaus, haben Aus- schreibt, als jeglicher Kaufkonsum. veganen Netzwerken, durch Anbau in Ge- wirkungen auf Natur und Tiere. Mit dem Kauf Das alles macht Fleisch noch längst nicht zu meinschaftsgärten, im eigenen Garten und so- von jedem einzelnen Produkt wird irgendwo einem Lebensmittel für Menschen. Es geht gar auf Terrassen und Balkonen. Gesünder und etwas zerstört, Pflanzen und Tiere umgebracht bei dieser Diskussion weniger um den Schin- erholsamer als einkaufen gehen, kann ethisches und die Zerstörung finanziell unterstützt. Für ken oder das Steak aus der Tonne, sondern um Wildpflanzen sammeln22 sein. Nachhaltig und Energieerzeugung und damit Heizen, moto- die Mehrzahl containerter Produkte, die nach ethisch sinnvoll ist daneben das Pflanzen von risierte Mobilität und Stromnutzung sterben einem Zutatenlistenveganismus nicht korrekt Wildpflanzen, zum Beispiel Wild- und Heil- Tiere, auch für die sogenannten erneuerbaren vegan wären, wie Chips und Kekse, Waffeln kräutern (oft Unkraut genannt), Nussbäumen, Energien. Windräder zermetzeln jährlich Mil- und Pralinen, Margarine und Brotaufstriche, Obstbäumen und -sträuchern, nicht nur im ei- lionen von Vögeln. Für den Bau von Anlagen Salatdressings oder Fertigsoßen, bei denen genen Garten, sondern wild, das heißt überall zur Wasserkrafterzeugung werden Millionen manchmal eine von zehn Zutaten „unvegan“ da, wo es Flächen gibt. Das wird auch Gueril- von Menschen vertrieben, verletzt, einige ge- ist und zum Beispiel Süßmolkenpulver, Honig, la-Gardening genannt und kann die Förderung tötet, ganze Landschaften und Ökosysteme Butterreinfett oder Eiklar heißt. Eine Diskus- von Kultur-Zierpflanzen beinhalten, ist aber zerstört und die darin lebenden Tiere getötet. sion darüber, ob diese Produkte dann politisch nicht so sinnvoll wie heimische und „nützliche“ Das gilt auch für Rohstoffe und Produkte aus korrekt vegan sind, ist aufgrund der vermie- Wildpflanzen zu verbreiten. Beschränkt eignet Übersee. Wenn schon auf diese Art des Neo- denen Nachfrage, die im Gegensatz dazu beim sich Schnorren/Spenden veganer Lebensmit- kolonialismus nicht verzichtet werden kann, Kaufen immer mit Ausbeutung einhergeht, tel, da auch beim kostenlosen Weitergeben kommt Konsument_in an Abfall oder fair und nicht mehr politisch, sondern absurd. In einer Nachfrage entsteht, wenn die Produkte nicht bio nicht vorbei, möchte er_sie nicht für die ethischen Diskussion, welche Produkte nun für den Müll bestimmt waren. Klauen als Al- Vergiftung von Böden und Menschen, die da- als Lebensmittel betrachtet werden können ternative kann ebenfalls selten marktneutral durch selten ihr 50. Lebensjahr erreichen, mit- und welche nicht, sollte die Berücksichtigung ablaufen, wird jedoch von manchen Menschen, verantwortlich sein. Dann wird es aber meist von Herkunft, Entstehungsprozessen samt die Geld sparen müssen und sich dazu in der teuer, und das können oder wollen sich nicht benötigter Energie und anderer Rohstoffe, de- Lage fühlen, als sinnvolle Option angesehen. alle leisten. ren Abbau und Verwertung auch Tiere tötet, Foodsharing23 bringt Privatverbraucher_in- Am wenigsten zerstörerisch und konsequenter nicht unwichtiger sein als die Betrachtung der nen, Händler_innen und Produzent_innen wäre es ohnehin, ohne Kaufkonsum fruktarisch Inhaltsstoffe. Bei der Bewerbung von Müll- zusammen, damit Lebensmittel, die von die- zu leben, sich also nur von Früchten, Nüssen, konsum ist auch eine Diskussion über dessen sen voraussichtlich nicht verbraucht werden, Kernen (dem, was Pflanzen „abgeben“) oder Grenzen, weiteren Alternativen der Besor- kostenlos angeboten und abgeholt werden ausgeweitet auf Pflanzenteile, die Pflanzen gung von Essen und anderen Konsumgütern, können. Zudem kann bei Bioläden, Standbe- nicht dabei töten, zu ernähren. über die eigenen Ansprüche sowie Luxus an treiber_innen von Wochenmärkten und in Re- Gegen Ausbeutung (in dem Sinne, wie der sich sinnvoll. Denn auch Wohlstandsmüll ist staurants oftmals mit Erfolg gefragt werden, Begriff von der Tierrechts- und Tierbefrei- begrenzt und dessen Verringerung ein Ziel auf ob diese ihre Lebensmittel, die sie am Tages- ungsbewegung genutzt wird) kämpfen heißt dem Weg in eine nichtkapitalistische emanzi- ende nicht verwerten oder verkaufen konnten, auch: Nicht beim Zutatenlistenveganismus patorische Welt. kostenfrei abgeben. FoodCoops/Lebensmit- stehenbleiben, aufhören, Supermarkt- und telkooperativen sind eine weitere Möglichkeit, Überseeprodukte, Fastfood, Chemiekosmetik, Subsistenz21 als Basis oder zur Orientierung um die Direktvermarktung ohne anonyme Smartphones, Kleidung von H&M und an- für Erzeugung oder Handel von benötigten Zwischenstationen zu fördern und einen Han- deren Konzernen, Ikea-Möbel, Mikrowellen, Produkten ist eine Alternative zum kapitalis- del zwischen Erzeuger_in und Konsument_in Flachbildschirme, Autos, alles was mit Bat- tischen Wirtschaften und hilft bei der Nach- zu ermöglichen. Dafür könnten sich Wohn-, terien und Strom betrieben wird, Dinge in frage, beziehungsweise wenn der Bedarf nicht Haus- oder größere Gemeinschaften zusam- Plastikpackungen, vor allem aber Tetra Paks ausschließlich durch Selbstversorgung gedeckt menschließen, um sich Lebensmittelkisten aus (das heißt auch Pflanzenmilch)24 und anderen werden kann. Alternativen zum Kaufkonsum Obst und Gemüse aus der Region günstiger Scheiß zu kaufen, über die Kommerzialisierung für Gebrauchsgegenstände wie Geräte, Mö- liefern zu lassen. Damit werden kleine lokale von Gesundheit25 und den Sinn von Mobili- bel oder Fahrzeuge ist das Reparieren, zum Betriebe und der ökologische Anbau saisonaler tät (inklusive Reisen wie Urlaubs-, Welt- oder Beispiel bei Selbsthilfewerkstätten, Repairca- Lebensmittel gefördert. Selbstfindungsreisen) nachzudenken und

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[9] Foodwatch 2014: Energieverbrauch so weit wie möglich einzu- schen Unternehmen und Forschung zusam- www.foodwatch.org/de/informieren/versteckte-tiere/mehr-zum- 26 27 schränken oder Energie selber zu machen! men, da laut Propaganda die Eigenschaften thema/vegetarismus-veganismus-kennzeichnung. Auch für die Herstellung von Farben und Klebstoffen für Etiketten von Verpa- von Spinnenseidenfäden technologisch wert- ckungen werden Bestandteile von Tieren verwendet, ohne dass es 29 auf der Verpackung steht. Veganismus kann nicht das Ziel, sondern nur voll und vielfältig einsetzbar seien. [10] Jörg Bergstedt: „Vegan – ökologisch – politisch“, in: Mensch ein Schritt von vielen sein. Frei nach dem Macht Tier. Fragend voran ... Nr. 2, Seite 49-57, Seite 52. [11] Neben der Tatsache, dass für den Markt geschaffene vegane Manifest: Eine vegane Revolution würde Ausbeutung ist global und speziesübergrei- Produkte auch Unternehmen und kapitalistische Strukturen unter- keine Lösung gegen Umweltverschmutzung, fend für die meisten Produkte. Die Reduk- stützen können, sollte nicht vergessen werden, dass Ersatzprodukte meist mehr als Tierprodukte kosten. Die Umstellung auf vegane Er- schädliche Gase, Trinkwasserprobleme, die tion von Veganismus auf Zutatenlisten und nährung gestaltet sich unterschiedlich schwierig, da Möglichkeiten und Zugänge für Menschen zu Geld/Einkommen und Nahrung/ Ausbeutung von Natur und Arbeiter_innen die Bewerbung von einem Veganismus ohne Lebensmitteln abhängig von Herkunft, Bildung, sozialem Status bieten. Eine fleischverpackende Industrie weitere System- und Kapitalismuskritik, geht und Klasse sehr unterschiedlich aussehen. [12] Die Mindestquote von 50 Prozent an fair gehandelten Zutaten würde durch eine andere ersetzt. Wer sagt, nicht über die Kritik an der Nutzung und Tö- für ein Produkt, damit es ein Fairsiegel tragen durfte, wurde 2011 dass Veganismus das Ziel ist, vermittelt nur, tung sogenannter Nutztiere hinaus und bietet auf Drängen von Fairtrade-Organisationen anderer Länder in Deutschland nach unten gesetzt, sodass ab diesem Zeitpunkt teil- dass er keinen weiteren Plan über darüber hi- keine Ideen für Alternativen zu den globalen weise 20 Prozent an „fairen“ Zutaten ausreichen, um ein Produkt als fair labeln zu können. Marcus Rohwetter: „Märchen zum Kaffee“ nausgehende umstürzlerische Aktionen und und speziesübergreifenden Gewalt- und Un- in: Die Zeit, 34/2014, Seite 17-18. weiterführenden Aktivismus gegen zerstö- terdrückungsverhältnissen, die Wildtiere in [13] „Research finds Fairtrade fails the poorest workers in Ethiopia and Uganda“, University of London, 24. Mai 2014, www.soas.ac.uk/ rerische Industrien hat, die Kriege und Aus- einem nicht weniger umfangreichen Ausmaß news/newsitem93228.html beutung produzieren. Es geht nicht darum, ob als „Nutztiere“ betrifft. [14] Siehe www.alles-ueber-tabak.de. [15] Da die Bewohner_innen der erzeugenden Länder Rohstoffe man überall vegan essen kann, sondern darum, Daher muss neben Veganismus und der Ab- und Produkte für den Export abbauen/anbauen und daher nicht dass die Industrie zerstört wird, die nicht nur schaffung von Tierhaltung und -tötung auch selber nutzen oder essen können, entsteht ein Mangel an Zeit und Anbauflächen für die Selbstversorgung. Durch den daraus Tiere ausbeutet, sondern auch Menschen und die Befreiung aller Ausgebeuteten, der Erhalt folgenden Armut und Hunger entsteht wiederum Abhängigkeit von der Entwicklungshilfeindustrie und den Lebensmittelimporten aus Umwelt. der Natur, Selbstorganisation und Selbstver- den Industrieländern, die zwar Grundnahrungsmittel liefern, aber sorgung, die Kritik an Wohlstand, Zivilisation gleichzeitig mit ihren billigeren – weil extrem subventionierten – Le- bensmitteln und Direkterzeugnissen die Märkte der Entwicklungs- Wenn schon Rechte oder Befreiung, dann und den eigenen Selbstverständlichkeiten und länder überschwemmen und deren nichtexportierte Erzeugnisse für den eigenen Markt unrentabel machen. Ein Teufelskreis, der die nicht nur für sogenannte Nutztiere, Tiere in Lebensgewohnheiten gefördert werden, nicht Entwicklungsländer in Armut und Abhängigkeit der Industrieländer Zoos und Zirkussen oder gejagte Wildtiere. der Konsum und ein „Hauptsache vegan“- hält, deren Konzerne sich auf Kosten der hungernden und schuf- tenden Billigarbeitskräfte bereichern. Die stärkere Einbeziehung ökologischer Aus- Lebensstil. [16] Siehe www.land-grabbing.de. wirkungen des eigenen Lebens und Handelns [17] Siehe www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/04_Pflanzen- schutzmittel/psm_oekoliste-DE.pdf?__blob=publicationFile. in die Theorie und Praxis von Tierbefreiung [18] Antispeziesistische Aktion Tübingen: „Vegan-Hype: Ursachen ist wichtig, da Umweltverschmutzung und Fußnoten: und Vereinnahmung aus kämpferischer Perspektive“, siehe www. asatue.blogsport.de/2014/03/22/vegan-hype-ursachen-vereinnah- [1] In Unterscheidung zum Wort „Konsum“, das lediglich den -zerstörung immer Wildtiere betreffen. Frei- mung-aus-kaempferischer-perspektiven. Verbrauch von etwas, zum Beispiel von Lebensmitteln, meint, soll lebende Tiere müssen vielleicht nicht aus „Kaufkonsum“ den finanziell nachgefragten Konsum meinen, [19] Pressemitteilung, 17. Juli 2014, „Internationale Grüne Woche der mit der Erwerbung eines Ver- oder Gebrauchsgegenstandes Berlin 2015 setzt auf vegetarisch-vegan“, siehe www.vebu.de/ unterdrückenden Mensch-Tier-Verhältnissen einhergeht. presse/pressemitteilungen/2061-2014-07-15-07-41-22; Berliner Morgenpost, 23. Januar 2014, „Wie sich die Grüne Woche für Vega- [2] Andere Begleiterscheinungen von Veganismuspropaganda wie befreit werden. Aber sie müssen eine Chance ner anfühlt“, www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article124130980 vegane Identitätskonstruktionen, szeneinterne Verhaltensregeln, haben, zu überleben. Deren Vertreibung und die ausschließende Normen schaffen sowie Deutungshoheiten zum [20] Zum Containern siehe zum Beispiel die Pro-Kontra-Auseinan- Ermordung sollte nicht zugunsten verkürzter Veganismus und Konsum generell, werden in einem längeren Text dersetzung in TIERBEFREIUNG 76: „Ob gekauft oder containert auf www.antispedd.noblogs.org erscheinen. – Mord bleibt Mord!“ und „Warum auch der Gouda nicht liegen bleiben sollte“. Veganismusdefinitionen und Tierbefreiungs- [3] Ralf Hoppe: „Der Kunde als Krieger“, in: Spiegel 36/2008, www.spiegel.de/spiegel/print/d-59673681.html [21] „Subsistenz“ meint dem globalen kapitalistisch-patriarchalen theorien oder eines bequemen Lebensstils Modell/Wirtschaftssystem entgegengesetzte Strategien von Ver- [4] Die Haltungszahlen von Truthühnern, Gänsen, „Schlacht- und sorgung, die auf Lokalität/Regionalität, Gemeinwohlorientierung, ausgeblendet und verharmlost werden. Da un- Masthühnern“, „Legehennen“ oder Ferkeln und „Mastschweinen“ Schrumpfung statt Wachstum und Solidarität beruhen. Siehe Texte ab 80 Kilogramm Lebendgewicht sind im Vergleich der letzten zu Subsistenzperspektiven und -prinzipien von Claudia Werlhof, sere Handlungen und unser Lebensstandard Jahrzehnte 2014 am höchsten, siehe www.destatis.de. Nach einer Maria Mies oder Veronika Bennholdt-Thomsen. Konsequenzen für Wildtiere hat, müssen auch Untersuchung der Grünen-Bundestagsfraktion 2013 erreichten die Mastanlagen ihr Rekordhoch: www.gruene-bundestag.de/filead- [22] „Wildgewordene Pflanzen! Ethisches Wildsammeln neu die, die nicht von Jäger_innen und Angler_in- min/media/gruenebundestag_de/themen_az/agrar/Erhebung- definieren“ („Plants gone wild“), abrufbar unter anderem auf www. Tierhaltungsanlagen-2009-2012.pdf. Die Zahlen der „Masthähn- antispedd.noblogs.org. nen verfolgt und getötet werden, endlich mit- chen“ steigen am stärksten. Nach einer Erhebung des BUND plant [23] Siehe www.foodsharing.de. gedacht und mitdiskutiert werden. die Agrarindustrie die Ausweitung des Masthähnchenbestandes [24] Die meist viereckigen Verpackungen aus Papierfasern, von 68 Millionen um weitere 34 Millionen Stallplätze. Aluminium und Kunststoff (zum Beispiel für Getränke) sind aus Dass gerade kleinere Tiere wie Gliederfüßer [5] Weitere Beispiele und Ausführungen finden sich in: Jörg Berg- ökologischer Sicht eine der verschwenderischsten, die existieren. stärker Eingang in die Tierbefreiung finden stedt: Konsumkritik-Kritik. Leben im Öko-Hamsterrad. Kritik der Dafür werden unter anderem Urwälder gerodet. Hierzulande wird Selbstreduzierung auf‘s Dasein als Konsument_in, Seite 7. höchstens ein Drittel des Materials recycelt. müssen, bedingen zudem Entwicklungen, [6] Aus China zum Beispiel für Alnatura, Provamel, Rapunzel oder [25] Neben der Tatsache, dass die von der Pharmaindustrie durch die sie zunehmend als Ressourcen ange- Soyatoo; aus Kanada für Alnatura, Alpro oder Provamel. Dass das erfundenen und vertriebenen Medikamente nur für lukrative meiste hier für zum Beispiel Tofuprodukte benötigte Soja nicht aus Absatzmärkte und nicht aufgrund von Krankheiten oder der Not sehen und massenhaft ausgebeutet und getötet Deutschland oder Österreich stammen kann, wird verständlich, von Menschen entwickelt werden und fast ausnahmslos gefährlich wenn die zunehmende Menge an Produkten mit unserer ländlichen für Menschen sind, gehen sie immer mit Naturzerstörung und werden. Nicht nur aufgrund des weltweiten Umgebung und deren landwirtschaftlichen Nutzung verglichen Tierversuchen einher. Naturheilverfahren, Herbalismus/herbalism Nahrungsverteilungsproblems werden Insek- wird. Bestätigung erhaltet ihr durch Recherchen auf den jeweiligen sind sinnvolle Alternativen. Webseiten der Anbieter oder aus Ergebnissen aus Anfragen an [26] Die Bewertung davon, ob etwas nicht tun/nicht konsumieren ten als Nahrungsquelle zunehmend genutzt diese Unternehmen. als überflüssiger Luxus oder entbehrliche Handlung gesehen wird, [7] Das gilt vor allem für Waren, die mittels Containerschiffen weil deren Unterlassung weniger Schaden und Zerstörung anrichtet und sogar von den Vereinten Nationen be- transportiert werden, die mit Schweröl betrieben werden. Schweröl oder ob und inwieweit sie als Verzicht wahrgenommen wird, ist worben, wobei Technologien der Massenpro- ist der wohl giftigste und schmutzigste Treibstoff, der eingesetzt subjektiv, abhängig von der Intensität der Auseinandersetzung, werden kann. von Prioritäten, aber auch von Privilegien und Möglichkeiten (zum duktion zur Innovationssteigerung gefördert [8] Das Manifest türkischer Tierbefreiungsaktivist_innen erschien Beispiel aufgrund der physischen und psychischen Verfassung, werden sollen.28 Dabei sind im Vergleich mit am 2. November 2013. Damit soll zu einer zweiten Welle der Biografie, Klasse/soziale Schicht, Herkunft). Tierrechtsbewegung aufgerufen werden, weil die vegane Propa- [27] Hilfreich bei einer möglichst ökologischen Energieerzeugung, „Nutztieren“ ein Vielfaches von Käfern oder ganda die Theorie gegen Unterdrückung durch eine auf Konsum der Herstellung von Fahrzeugen oder anderer für den Alltag basierende Praxis überschatten würde. Ziel des Manifestes ist die sinnvollen Gegenständen sind beispielsweise die Hefte der Reihe Grashüpfern nötig, um effizientes „Ausbeu- Selbsthinterfragung von Menschen, die dem Tierbefreiungsdiskurs „Einfälle statt Abfälle“. Siehe www.einfaelle-statt-abfaelle.de. ten“ zu erreichen. Um Spinnen auszubeuten, und dem Veganismus nahe stehen. Auf englisch: www.issuu. [28] Siehe www.fao.org/docrep/018/i3264g/i3264g.pdf. com/yeryuzuneozgurluk/docs/restless_vegans_manifesto, auf [29] Anschaulich zu sehen: www.youtube.com/ das heißt möglichst viel ihrer Fäden durch deutsch: www.antispedd.noblogs.org/files/2013/11/Rastlose- watch?v=yUtxnXjFFlE. Melken stehlen zu können, arbeiten inzwi- Veganerinnen.pdf.

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DER VEGAN-HYPE IM KAPITALISMUS Antispeziesistische Aktion Tübingen im Interview

Unbestritten gibt es einen anhaltenden Vegan-Hype. Die Aktion Tübingen (Asatue) betrachtet ihn differenziert: Sie steht ihm kritisch gegenüber, weil er vom Politischen nahezu losgelöst ist, erkennt in ihm jedoch auch ein gewisses Potential. Im März 2014 veröffentlichte die Asatue einen Artikel mit dem Titel „Vegan-Hype: Ursachen und Vereinnahmung aus kämpferischer Perspektive“.1 Zu ihrem lesenswerten Text haben wir Knoti Fragen gestellt.

Frage: Seit wann kann man deiner Meinung nach von einem „Vegan- wenigen Konzernen, deren Shareholder kein Interesse an der Vermas- Hype“ reden, und was denkst du, hat ihn bewirkt? sung einer solchen widerständigen Idee haben. Um also nun wirklich Ich weiß nicht, ob der Hype ein genaues Geburtsdatum bekommen Geld mit dem Veganismus zu machen, musste ein neues Image von Ve- kann, seit dem letzten Jahr ist er aber hierzulande offensichtlich. Ich ganerinnen und Veganern aufgebaut werden. Der Veganismus musste plädiere dafür, die Frage, was den Hype verursacht hat, mit zwei ganz aus dieser Sicht gewissermaßen von seinem „Ballast“, der ihn noch verschiedenen Akteuren zu beantworten: Einerseits sind es Tausende daran hinderte, für die Profitmaximierung vollständig zur Verfügung Aktive, die seit Jahrzehnten für den Veganismus kämpfen. Angefangen zu stehen, frei gemacht werden. Und genau dafür steht Attila Hild- von Jugendlichen, die ihren Freunden davon erzählen und ihre Eltern mann, und deshalb wurde er ausgewählt und von ProSieben, Sat1 und „zwingen“, ihre Speiseplanwünsche zu berücksichtigen, bis hin zu Ak- Co. groß gemacht. Sein Beschimpfen von politischen Veganerinnen als tivistinnen und Aktivisten, die mit veganen Kochaktionen, Flyerakti- „ideologisch“ und „extremistisch“, seine teilweise sexistische Sprache, onen, Infoständen, Die-ins, Straßentheater und Kampagnen sich dafür seine Fixierung auf egoistische Interessen wie Gesundheit und Geld einsetzen, zu zeigen, dass eine Ernährung, die nicht die Ausbeutung ist das, wie das Kapital den Veganismus sehen will, um Kapital daraus von Tieren als Grundlage hat, auch lecker, gesund und erschwinglich zu schlagen. Bewerten würde ich das Phänomen daher nicht groß, es ist. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir vor vielen Jahren als ist absolut logisch für das Kapital, so vorzugehen. Schwein und Metzger verkleidet in der Fußgängerzone in Tübingen Verfolgungsjagd gespielt haben, um auf diese Ausbeutung hinzuwei- Würdest du Attila Hildmann der veganen Bewegung zuordnen? sen. Einige älter gewordene Veganerinnen und Veganer haben dann Sagen wir es so: Wenn Hildmann als Teil der veganen Bewegung an- Vegan-Restaurants und -Imbisse aufgemacht, vegane Erfolgsskater gesehen wird, dann als denjenigen, der die profitorientierte Vereinnah- gestalten vegane Skateschuhe, und in diesem Low-Level-Kommerz- mung der Bewegung vorantreibt. Oder vielleicht noch besser: Der sich bereich etabliert sich ein erster kleiner veganer Markt. Diese ganze für diese Vereinnahmung einspannen lässt. Vielleicht ist es übertrie- Bewegung hat die Grundlage für den Vegan-Hype geschaffen. Auf ben, aber ich finde, er ist irgendwie für den Veganismus wie Friedrich der anderen Seite, der des großen Kapitals, gibt es eine ganz andere Ebert für die Arbeiterbewegung war: Sich von den radikalen Ideen di- Motivation als die Tierbefreiung: Der Kapitalismus braucht ständiges stanzieren und die Masse in das Ausbeutungssystem integrieren. Hof- Wachstum, sonst bricht er zusammen. Die Finanzkrise von 2007 dau- fentlich wird er nicht so weit wie Ebert gehen, welcher der Ermordung ert an, der Wachstumsdruck wächst. Da entdeckt das Kapital, also die von Luxemburg und Liebknecht zustimmte. großen Konzerne und Investoren, den veganen Markt als Wachstums- markt (im Gegensatz zu Tierprodukten, wo es hier kaum noch Wachs- Kannst du kurz erklären, wofür LOHAS steht? tum gibt), und so nimmt der Hype dann seinen Lauf: Veganköche LOHAS bedeutet „Living on Health and Sustainability“ und ist eine bekommen Sendezeit, Veganwerbung wird gefahren, eine vegane Pro- von Marktforscherinnen erdachte Kategorie, um Gruppen Konsumie- duktpalette wird aufgebaut und so weiter. Es wird aus unseren Kämp- render zu erfassen. Umgangssprachlich würde vielleicht der abwer- fen für eine andere Ernährung jetzt Geld geschöpft; unsere Aktionen tende Begriff Öko-Yuppie oder Öko-Spießer passen: Leute, denen auf der Straße werden zu Werbung für ihre Produkte umfunktioniert. zwar, angeregt durch die Bio-Bewegung, Gesundheit und Nachhal- tigkeit wichtig ist, die aber genug Geld verdienen und zu wenig infor- In eurem Text „Vegan-Hype“ analysiert ihr auch das Phänomen Atti- miert sind, um wirklich politisch aktiv zu sein, sondern sich individuell la Hildmann. Was macht seinen Erfolg aus und wie bewertet ihr das das gute, gesunde Leben, beziehungsweise die Illusion davon, einkau- Phänomen? fen. Dadurch fühlt diese Gruppe sich dann auch noch besser als die Du sagst ganz richtig, dass wir nicht Attila Hildmann selbst, sondern anderen Menschen und grenzt sich ab. Aber die meisten haben einfach das „Phänomen Attila Hildmann“ betrachten. Als eine Alternativbe- nicht die materiellen Ressourcen, um so zu leben. wegung von unten hat der Veganismus Eigenschaften, die das Kapital bei der Verwertung stört: Eine negative Bewertung der herrschenden Die eher unpolitisch auftretende vegane Bewegung setzt sich vor Zustände, eine Akzeptanz von Verzicht als gangbaren Weg, der Fokus allem für die Ausweitung der veganen Infrastruktur ein, die politische auf das Wohl der Ausgebeuteten anstatt auf die egoistische Selbster- Tierbefreiungsbewegung eher für den politischen Rahmen. Während füllung (mit der sich so viel Geld machen lässt) – und vor allem der die vegane Bewegung es nun mit dem Vegan-Hype zu tun hat, der von politische Anspruch. All das hatten die bürgerlichen Medien bei ihren politischen Fragen und ethischen Belangen sehr oft auch abgespalten Berichten über Veganismus vor dem Hype bemängelt und als lächer- ist, wird nicht klar, inwiefern die Tierbefreiungsbewegung vom Ve- lich dargestellt – schließlich gehören die Mainstreammedien ein paar gan-Hype betroffen ist. Ist es nicht schon „die halbe Miete“ und zu

24 | TIERBEFREIUNG 84 DESSERT „Als radikale Tierbefreierinnen und Tierbefreier sollten wir nicht fragen: „Lebst du vegan?“, wenn wir gemein- sam auf die Straße gehen. Denn auch Menschen, die nicht vegan leben, können der Forderung nach Tierbefreiung und nach Alternativprodukten für alle zustimmen.“ Foto: Flickr.com, lain_farell (CC BY 2.0 DE) dessert

begrüßen, wenn die Menschen anfangen, (mehr) vegan zu essen, seinen Minimalbedingungen eine Aushöhlung der ursprünglichen wenn die vegane Infrastruktur sich ausweitet und die Menschen da- Intention dar. Der Veganismus hat bisher jedoch eine andere, be- durch empfänglicher werden für die Politik einer ausbeutungsfreien scheidenere Grundintention als die ursprünglichen Bio- und Fair- Lebensweise? Ist es in euren Augen im Ganzen betrachtet eher gut trade-Bewegungen: Er versucht zunächst vor allem, tierliche Pro- oder eher schlecht, dass es den Vegan-Hype überhaupt gibt? dukte durch vegane zu ersetzen. Ist das allein zu wenig, so dass es Natürlich ist der Vegan-Hype für die Tierbefreiungsbewegung am- sich nicht als Ziel lohnt? bivalent zu betrachten. Wenn mehr Leute vegan leben, ist eine Welt Ich sehe das nicht so, dass die Grundintention des Veganismus be- ohne Tierausbeutung für alle leichter vorstellbar. In einer kommenden scheidener ist als die der Bio- und Fairtrade-Bewegung. Auch die- Gesellschaft, die sich nicht mehr am Gewinn, sondern an Bedürfnis- se wollen lediglich unfaire durch faire Produkte und konventionelle sen orientiert, könnte dann leichter durchgesetzt werden, dass wir kein durch biologisch angebaute Produkte ersetzen. Im Grunde sind daher Bedürfnis nach echten Leichenteilen befriedigen wollen und keine alle drei Bewegungen erst mal bescheiden wie konsequent. Solange die Tiere gefangen halten wollen, um sie ihrer Sekrete zu berauben und so Wirtschaft aber an der Profitorientierung festhält, sie also kapitalistisch weiter. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass gleichzeitig die Fleisch- ist, gibt es immer die Tendenz, die Konsumierenden zu täuschen und produktion in Deutschland relativ stabil ist und die Exportmenge des so die Labels (bio, fair, vegan) zu verfälschen und „grün zu waschen“. Fleisches sich während der letzten Jahre sogar verdreifacht hat. So Wenn zum Beispiel ein Soja-Hersteller durch Umweltverschmutzung werden auch Märkte in Afrika, wo die Massentierhaltung noch nicht und Niedriglohn Kosten einsparen kann, wird er sich immer wieder so ausgeprägt ist wie hier, mit billigem Fleisch überschwemmt. Das gegen „echte“ Fair- und Bioprodukte durchsetzen, mit Pseudo-Fair- steigert dort die Existenznot und den Qualitätsverlust der Nahrung und Pseudo-Bio-Labels oder sonst wie. Und wenn er die Produktion und gleichzeitig die Ausbeutung der Tiere. Bei aller Kritik finde ich durch Abholzung von Wald oder Regenwald steigern kann, wird er es wichtig, den Vegan-Hype auch als einen sichtbaren Erfolg für die auch das tun, auch wenn Tausende Tiere dabei umkommen. Auf den Bemühungen, eine alternative Ernährungsweise zu verbreiten, anzu- Produkten wird trotzdem „vegan“ stehen. Verstehst du, was ich meine? erkennen. Er zeigt uns, dass unsere Kämpfe wirkungsvoll waren. Und Die Probleme im Kapitalismus dürfen nicht vergessen werden: Die gleichzeitig sollte er ein Zeichen der Wende für uns sein: Wir können Notwendigkeit Geld zu verdienen, die Undurchsichtigkeit auf dem an den meisten Orten aufhören, Werbung für den Veganismus zu ma- Markt und die Verfälschung von Labels, die mangelnde Möglichkeit, chen, das machen Leute jetzt für Geld. Wir sollten unsere Politik an sich zu Informieren, sich zu bilden, bei der Gestaltung der Welt mitzu- die veränderten Gegebenheiten anpassen – aber dazu kann ich gerne entscheiden und die Macht der Konzerne und deren Profitinteressen. später mehr sagen. Es ist deshalb „zu wenig“, anders zu konsumieren, weil es nicht funk- tioniert, weil es alleine nichts ändern kann. Und mal ehrlich, wenn wir Gerne. Ich würde gerne noch einmal konkreter fragen. Ihr kritisiert eine wirklich (basis-)demokratische Welt haben könnten, eine Welt vegane Produktlinien von Fleischkonzernen, weil sie billiger produ- ohne Ausbeutung, in der das Schicksal des Planeten und der Lebe- ziert werden können als jene von veganen Firmen. Ebenso, dass der wesen, die auf ihm leben, nicht von Konzerninteressen geleitet wird, Kapitalismus mit dem Veganismus einen neuen Markt für sich ent- warum sollten wir etwas anderes wollen? Man muss sich außerdem die deckt. Sollten vegane Produkte also teure Nischenprodukte eines Frage stellen: Können wir es uns überhaupt noch leisten, die Macht alternativen Marktes bleiben oder sein und der Veganismus folglich weiterhin den Konzernen zu belassen, ohne dass der Planet in eine fa- nicht zum Massenphänomen werden? tale Klimakatastrophe geführt und auf lange Sicht unbewohnbar wird? Das ist die ständige Ambivalenz des Kapitalismus. So wie er histo- risch auch Leute aus patriarchalen Familienabhängigkeiten befreit Ihr führt eine These des italienischen Philosophen und marxistischen hat – natürlich zum Preis der Ausbeutung –, so kann er heute den Antispeziesisten Marco Maurizi2 an. Demnach könne der Veganis- Veganismus massentauglich machen und gleichzeitig die Menschen- mus nicht die Ausbeutung der Tiere beenden. Was ist damit gemeint? und Tierausbeutung intensivieren. Ich denke, für eine wirkliche Ver- Es gibt viele Gründe, warum der Veganismus die Ausbeutung der massung des Veganismus, und das wäre ein Ziel, wenn die Revolu- Tiere nicht abschaffen kann. Nur ein Beispiel: Wenn die Einen mas- tion, auf welche die ganze Natur wartet, auch die Tierbefreiung mit senhaft vegan leben, wird das Fleisch billiger (weil mehr Angebot), sich bringen soll, könnte es von Vorteil sein, wenn Fleischkonzerne und dann kaufen sich wieder mehr Leute Fleisch, nämlich diejeni- vegane Produkte herstellen. Solange sie ihr Geld aber hauptsächlich gen, die es sich davor schlicht nicht leisten konnten. Die Wirtschaft ist mit Fleischprodukten verdienen, werden sie das nur begrenzt tun. Ziel komplex, sie funktioniert nicht so gradlinig wie sich das viele vorstel- sollte es ohnehin sein, dass vegane Produkte für alle zur Verfügung len, und die Konsumierenden haben nicht so viel Macht, wie oft sug- stehen und vernünftig verteilt werden. Deshalb verteilten wir auf der geriert wird. Es kann aber ein Zusammenspiel in verschiedenen gesell- letzten Blockupy-Demonstration am 17. Mai dieses Jahres die Flyer schaftlichen Feldern geben, um die Welt zu verändern. Auch wir alle, aus Hamburg mit der Parole: „Fleischkonzerne enteignen!“. Im Zuge die wir selbst über kein Kapital verfügen (also Fabriken, Finanzkapital, der Enteignung müssten die Fabriken der Schlüsselindustrien unter Aktien, Land oder Immobilien) und deshalb beinahe täglich unsere eine vernünftige und echt demokratische Kontrolle gestellt und die Arbeitskraft verkaufen müssen, haben eine enorme Macht, wenn wir Konversion hin zu einer veganen Produktion durchgeführt werden. am Arbeitsplatz zusammenhalten. Zu dieser „Streik-Macht“ kommen noch andere Bewegungsfelder, auf der Straße, in den Medien, im In- In eurem Text vergleicht ihr „Bio“ und „Fairtrade“ (also deren ur- ternet, in den Haushalten und so weiter. Maurizi sagt, dass wir keine sprünglich antikapitalistische Absichten sowie deren spätere kapi- Gesellschaft haben, in der wir bestimmen können, was passiert – das talistische Vereinnahmung und Anpassung) mit dem Veganismus. Kapital bestimmt. Deshalb müssen wir diese Gesellschaft stürzen und Der Bio-Sektor sei nicht mehr transparent, lokal und fair, sondern eine bedürfnisorientierte Gesellschaft erkämpfen. Er betont bei seiner häufig lediglich noch durch minimale Siegel-Anforderungen von Kritik aber auch die positiven Seiten des Veganismus, etwa, dass er er- konventionellen Produkten verschieden. Und auch der Fairtrade- möglicht, jetzt schon vorzuleben, wie eine Welt ohne Tierausbeutung Sektor stelle aufgrund des „Fairtrade-Siegels“ der Supermärkte mit aussehen könnte. Deshalb verstehe ich Maurizi so, dass er sagt, der

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Veganismus alleine kann die Ausbeutung der Tiere nicht beenden. Wir profitieren nicht, sondern leiden unter den herrschenden Verhältnis- müssen politisch durchsetzen, die Tierausbeutung zu beenden. sen. Der Kampf um Befreiung, gegen die Interessen der Kapitaleigner, die ihren Profit durch die Ausbeutung von uns und von den Tieren Seid ihr entschieden historische Materialisten? Was bedeutet dies? machen, ist für Tiere und uns derselbe! Speziesismus als Ideologie Grenzt ihr euch damit von der Strategie ab, den Speziesismus als Ide- versucht die Tierausbeutung unsichtbar zu machen, die Ideologie des ologie anzugreifen (mit dem Hintergrund, dass die Aufklärung nichts Privateigentums und des „gerechten Lohns“ macht die Ausbeutung bringe)? von uns unsichtbar. Aufzuzeigen, wie Tiere ausgebeutet werden, muss Ich würde sagen, ja, wir folgen in unserer Theorie dem historischen auch aufzeigen, dass diese Verhältnisse umgeworfen werden müssen. Materialismus, aber das ist keine einseitige Sicht. Materialismus be- Wenn so gedacht wird, dann ist der Befreiungskampf auch einer ge- deutet, dass hauptsächlich nicht die Ideen der Menschen ihr Handeln gen Verzicht, die Forderung nach mehr gutem Leben für alle, gegen bestimmt. Das scheint meistens nur so zu sein. Tatsächlich bestim- moralische Normen – und zwar auf Kosten der Kapitalisten. Kritik men aber die materielle Lebensgrundlage und das tägliches Handeln an Ideologie ist sehr wichtig, sie darf aber nicht mit Produktion von der Leute ihre Ideen und Ansichten. Aber auch Marx betont, dass das Ideologie verwechselt werden. Verstehst du, was ich meine? keine ganz einseitige Geschichte ist, also auch die Ideen sich auf das Handeln zurück auswirken. Aber er stellt fest, dass letztendlich die In eurem Fazit schreibt ihr, dass emanzipatorische Politik nicht mit materiellen Interessen gegenüber der Idee das letzte Wort haben. So einem Konsumstil verknüpft sein muss oder darf und wir uns statt- gibt es zum Beispiel Massentierhaltung, weil sie Profit bringen, nicht dessen vielleicht auf den Aufbau einer politischen Bewegung abseits weil Leute es gut finden – faktisch sind ja die meisten Leute gegen des Veganismus konzentrieren sollten. Was meint ihr damit? Massentierhaltung. Eine materialistische Herangehensweise hat viele Einerseits können wir versuchen, an den Lifestyle-Veganismus an- Vorteile: Erstens resultieren aus ihr nicht nur radikalere Lösungsan- zudocken und ihm das verlorene kritische Bewusstsein wieder ein- sätze, sondern auch linkere, auf Befreiung ausgerichtete: Es werden zuimpfen; andererseits sollten wir uns auf die politische Arbeit kon- die Verhältnisse beschuldigt, nicht Menschen. Auch nicht Leute, die zentrieren: Nicht die Möglichkeit für einige, sich scheinbar von der noch Fleisch essen oder sich als Schlachter verdingen müssen. Gerade Schuld am Tierleid freizukaufen, ist unser Ziel, sondern tatsächlich letztere sind potentielle Verbündete und nicht Gegner, weil auch sie die Befreiung der Tiere aus den Ställen und Käfigen, aus dem Leid durch die Fleischindustrie ausgebeutet werden. Zweitens erklärt diese und aus der Todesangst. Wir könnten also auch versuchen, Leute an- Theorie auf der Ebene der Gesellschaft und der Geschichte viel mehr zusprechen, die keineswegs vegan leben, aber dafür spüren, dass Tiere, als ein idealistisches Weltbild es vermag. Drittens verrät uns der Ma- wie sie selbst, für Profitinteressen ausgebeutet werden. Der ärmere Teil terialismus auch, wie wir diese Verhältnisse ändern können: Wenn wir der Arbeiterinnen und Arbeiter, häufig migrantisch oder wenig aus- entdecken, wo Menschen und Tiere gemeinsame Interessen haben, gebildet, meist prekär beschäftigt oder arbeitslos, ist diejenige Bevöl- dann kann die Befreiung der Tiere auch Teil der Befreiung der Men- kerungsgruppe, die am ehesten mit den herrschenden Verhältnissen schen sein. Wir sagen: Weder Mensch noch Tier will gerne im Ka- brechen werden. In Frankreich, aber auch in Berlin oder Hamburg, ist pitalismus ausgebeutet werden, der Kampf gegen Kapitalismus muss zu sehen, wie sich vor allem Jugendliche dieser Bevölkerungsschicht also als Kampf gegen die Ausbeutung von beiden gesehen werden. Die an radikalen Demonstrationen und Aufständen beteiligt. Als radikale Tierbefreiungsbewegung hat im Gegensatz zu so manch anderer sozi- Tierbefreierinnen und Tierbefreier sollten wir nicht fragen: „Lebst du alen Bewegung ziemlich viel Erfahrung darin, den Konzernen direkt vegan?“, wenn wir gemeinsam auf die Straße gehen. Denn auch Men- in die Profite zu fahren. Ich erinnere da an die Antipelzkampagnen schen, die nicht vegan leben, können der Forderung nach Tierbefrei- und Schlachthofblockaden. Das ist materielle, praktische Kritik, die ung und nach Alternativprodukten für alle zustimmen. Mit politischer sehr effektiv ist. Viertens und zu guter Letzt legt der historische Mate- Bewegung meinen wir eine Bewegung, die sich auf ihre Forderungen rialismus eine antispeziesistische Perspektive auf Menschen und Tiere konzentriert, gesellschaftliche Akteure angreift und versucht, mit den nahe, weil er vom Menschen als einem Tier ausgeht. Marx hat gesagt, Massen für deren Bedürfnisse zu kämpfen: Weniger und bessere Ar- dass der Mensch erst mal Teil der Natur ist und sich dadurch, dass beit, Selbstbestimmung, Solidarität, Erfüllung der Bedürfnisse, kurz: er sich Kultur schafft (also Technologie und so weiter), sich immer Kommunismus – den Karl Marx übrigens als „die wahrhafte Auflö- weiter von der Natur entfernt. Dadurch ist diese Theorie im Kern an- sung des Widerstreits zwischen dem Menschen mit der Natur und mit tispeziesistisch, auch wenn Marx selbst viele speziesistische Aussagen dem Menschen“ bezeichnete. Bedürfnisorientierte Gesellschaft, freie traf (zum Beispiel, Tiere hätten keinen Willen). Zur Kritik am Spe- oder befreite Gesellschaft, Anarchismus oder echte/wirkliche Demo- ziesismus: Speziesismus als Ideologie zu kritisieren ist aber gerade für kratie sind doch letztlich nur andere Begriffe für ein gemeinsames Ziel. den Materialismus auch sehr wichtig! Wir müssen aufzeigen, was für Um diesen Zustand aber je noch Wirklichkeit werden zu lassen, müs- Ausbeutung betrieben wird und wie diese durch Speziesismus und viel sen politische Bündnisse geschmiedet, Teilziele diskutiert und dafür andere Ideologie verschleiert wird. Der Unterschied zwischen materi- gesorgt werden, dass die gesellschaftlichen Kräfte, die hierfür in Be- alistischer und idealistischer Kritik ist meiner Meinung nach Stand- tracht kommen, sich organisieren. punkt der Betrachtung: Idealistische Kritik behauptet, „der Mensch“ Das Interview führte Emil Franzinelli. sei Speziesist, „wir“ sollten „uns“ verändern, verzichten, zurückstecken, demütig sein und uns und unseren Mitmenschen den moralischen Grundsatz des Veganismus und einer antispeziesistischen Sprache einbläuen und wir würden dadurch die Welt verändern. Verstehe mich nicht falsch, Veganismus und antispeziesistische Sprache können Teil Fußnoten: der Veränderung sein, aber wir dürfen nicht suggerieren, dass das al- [1] Siehe www.asatue.blogsport.de/2014/03/22. leine die Veränderung bringt. Das wäre sonst Teil der Verschleierung [2] Zu Marco Maurizi siehe zum Beispiel seine Beiträge im Sammelband Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen: Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere (2007) und Vernebelung der Welt und würde uns nicht weiterhelfen. Als sowie ein Interview mit ihm von der Tierrechtsgruppe Zürich 2010: www.tierrechtsgruppe-zh. Materialistinnen und Materialisten sagen wir: Die meisten Menschen ch/?p=1344.Tur a arunt volor asimus earciis dipitatusant quidest, aboremporeni te prature,

TIERBEFREIUNG 84 | 27 Pelz Mecklenburg-Vorpommerns letzte Nerzfarmen schließen 2017

(rg) In Mecklenburg-Vorpommern gibt und ein zusätzliches Wasserangebot in tierhaltungsverordnung deutlich größere es aktuell noch zwei Nerzfarmen: in Gü- Form eines Schwimmbeckens anbieten. Käfige. Jetzt ist als nächsthöhere Instanz strow-Klueß und Wesenberg-Zirtow (gilt Die Nerzfarm in Rhaden-Varl steht wäh- das Oberverwaltungsgericht Münster zu- als die größte Nerzfarm Deutschlands). renddessen in der Kritik, weil der Betrei- ständig. Man geht davon aus, dass eine Die Betreiber dort verpflichten sich, ab ber sich weigert, die seit Dezember 2011 Entscheidung frühestens Ende des Jah- dem 1. Januar 2018 keine sogenannten gültigen Haltungsbedingungen für seine res gefällt wird. Die Klage hat eigentlich Pelztiere mehr zu halten. Bis es zu die- Tiere umzusetzen. Er hat nun Rechts- keine Aussicht auf Erfolg, aber es geht ja sem Ergebnis kam, gab es jahrelang einen mittel gegen die Ablehnung seiner Klage auch vielmehr darum, Zeit zu schinden. Im Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichten vor dem Verwaltungsgericht Minden ein- Februar 2013 hatte die Kreisverwaltung Schwerin und Greifswald. Den Pelztierhal- gelegt. Hierbei handelt es sich vermutlich versucht, per Verfügung einen sofortigen tern wurden Ausnahmen von Vorgaben der um eine reine Hinhaltetaktik, da der Be- Vollzug der Schließung durchzusetzen. Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung treiber weiterhin Nerze züchten und töten Das Verwaltungsgericht Minden hatte zugestanden. Um sie zum endgültigen darf, solange es kein rechtskräftiges Urteil jedoch im April 2013 die aufschiebende Ausstieg zu bewegen, müssen sie den Tie- gibt. Gefordert hat die Kreisverwaltung Wirkung der Klage wieder hergestellt. ren nicht die erhöhten Platzanforderungen in Berufung auf die Tierschutz-Nutz-

Nerz auf einer deutschen „Pelz“farm Foto: Christian Adam

Boom bei polnischen Pelzfarmen

(rg) Die Haltung auf polnischen Pelztier- vom Deutschen Pelzinstitut in Polen zu- lag es mit 500.000 Fellen auf Platz zwei. farmen ist aufgrund der Enge und den gange. Die Vorgaben für Pelztierfarmer Doch auch in Polen wächst der Wider- Verletzungen, die die Tiere aufweisen, die hierzulande sind ihnen zu streng bezie- stand gegen diese Tierausbeutung. Bür- Hölle für die dortigen Individuen und mit hungsweise erfordern zu viel Aufwand und ger_innen protestieren vor Farmen, und den bekannten, sehr grausamen Bildern Investitionen, was dazu führt, dass die Hal- in einem Ort in Westpolen haben An- aus anderen Ländern vergleichbar. Pol- tung nicht mehr rentabel ist. In Deutsch- wohner_innen Wachen eingerichtet, um nische Rechtsverhältnisse bieten der Bran- land gibt es noch neun Nerzfarmen. Polen zu verhindern, dass eine neue Farm von che allerdings sehr gute Bedingungen, und gilt aufgrund der betreiberfreundlicheren einem dänischen Investor mit Nerzen nicht nur Einheimische, sondern vermehrt Gesetze als das neue Mekka der Pelzin- beliefert wird. Ein Feuerwehrauto ver- auch ausländische Investoren, vor allem dustrie: Nach Angaben des Europäischen sperrt dem Transporter schlicht den Weg. aus den Niederlanden und Dänemark, er- Pelztierzüchterverbandes (EFBA) stieg die Füchsen steht in Polen eine Fläche von richten weitere Farmen. In Polen darf ein Produktion dort von 4,3 Millionen Nerz- einem Quadratmeter zu. Die Fuchsfarmen Nerz auf einer Fläche von 0,18 Quadrat- fellen im Jahr 2010 auf 5,4 Millionen im sind nicht so stark gesichert wie Nerz- metern gehalten werden, für jedes weitere Jahr 2012. Damit ist Polen nach Däne- farmen, mit denen viel Geld zu machen Tier sind vom Gesetzgeber weitere 0,068 mark zum zweitgrößten Nerzproduzenten ist. Immer besser gesicherte Anlagen mit Quadratmeter vorgesehen. Das entspricht in Europa aufgestiegen. Auch bezüglich bis zu 100.000 Nerzen entstehen in weiten der EU-Norm. Auch deutsche Pelztier- der Anzahl der produzierten Felle nimmt Teilen des Landes. farmer sind laut Susanne Kolb-Wachtel Polen einen wichtigen Rang ein: 2008 Tierversuche

Besprechung Auf schmalem Grat Tier-Mensch-Beziehung unter Laborbedingungen

Der deutsch-österreichisch koproduzierte Dokumentarfilm „Unter Menschen“ (2013) zeigt einen verblüf- fenden Ort tier-menschlicher Begegnung. Die Filmemacher Christian Rost und Grimme-Preisträger Claus Striegel zeigen in ihrer 90minütigen Dokumentation das Affenrefugium in der Nähe von Wien, das für die 40 Schimpansen gebaut wurde, die mehr als 20 Jahre lang vom österreichischen Pharmaunternehmen Immuno unter grausamen Bedingungen gehalten und für zweifelhafte Versuche missbraucht wurden.

Bereits im Untertitel „Redemption Impossi- Als die unumkehrbare Verstrickung in einen ble“ („Wiedergutmachung unmöglich“) wird Beziehungsapparat schuldhafter Unschuld, die die Dramaturgie der moralischen Anklage an- fortgeführt oder verlassen – nicht aber geän- geschlagen. Das Wiener Pharmaunternehmen dert werden kann. Wenn sie jetzt mit den Tie- Immuno hatte von 1977 an bis in die späten ren spricht, erklärt, unter welchen psychischen Neunziger grausame Experimente an Schim- Folgen das Tier gelitten hat – von erlernter pansen durchgeführt. Unter dem Deckmantel Hilflosigkeit bis zu hoch aggressiven Verhal- des wissenschaftlichen Speziesismusses wurde tens –, dann ist auch eine große Erleichterung in der Erforschung von HIV und Hepatitis- bei ihr zu sehen. Ihre Kollegin Annemarie Viren die Verwendung von Schimpansen Kuthi bringt es, beinahe mit Tränen in den als notwendig und unerlässlich gebilligt. Die Augen, auf den Punkt: „Entweder man geht aus ihren Herkunftsländern entführten Tiere raus oder nie wieder hier rein oder man ist ge- waren jahrelang nicht nur den Versuchen fangen und sagt, jetzt erst recht, und wir müs- ausgesetzt, in denen sie mit den gefährlichen sen sie unterstützen. Die Tiere schauen einen Erregern infiziert wurden, sondern wurden in an und sagen: Bitte hilf uns“. Die Arbeit in der steriler Gitterhaft einzeln und ohne Kontakt Hochsicherheitseinrichtung – die Schimpan- zu Artgenossen gehalten. 1997 übernimmt sen sind schließlich Träger gefährlicher Über- der US-amerikanische Konzern Baxter das tragungskrankheiten – besteht darin, die Tiere österreichische Pharmaunternehmen und lässt überhaupt erst an ein artgerechtes Leben zu Unter Menschen – für die ausgedienten Affen einen Safari-Park gewöhnen und sie miteinander zu vergesell- Redemption Impossible bauen. Doch auch das macht 2007 Pleite. schaften, um ihren Lebensabend so erfüllend von Christian Rost Erst mit der finanziellen Hilfe und unter der wie möglich zu gestalten. Die Pflegerinnen und Claus Striegel Schirmherrschaft der Tierschutzorganisation erfüllen diese Aufgabe mit Leidenschaft, um Originalsprache: deutsch Gut Aiderbichl wird ein sicheres Fundament auch ihre Schuld abzutragen. Ihnen ist be- Untertitel: englisch, spanisch, geschaffen. wusst, dass eine Wiedergutmachung unmög- französisch lich ist. Freigegeben ab 6 Jahren Der Film beginnt mit einem typischen Mor- In den Film einmontiert sind alte Aufnahmen 91 Minuten Hauptfilm, gen in dem Affenrefugium. Das ohrenbe- des Österreichischen Rundfunks, in denen die Bonusszenen, farbiges Beiheft täubende Geschrei der Tiere ist zu hören in ehemaligen „Forscher“ Statements abgeben 16 Euro inklusive Versand Erwartung ihres Frühstücks und das freudige oder die Tiere in den Labors gezeigt werden. Lächeln der Betreuerinnen, die mit Leiden- Es ist ein krasser Bruch zwischen einst und Zu beziehen ist die DVD direkt schaft und Erleichterung ihrer Arbeit nach- jetzt, worin sich auch der Hintersinn des Titels beim Filmmacher: gehen können. Zwei der vier Betreuerinnen offenbart. Die Affen waren unter Menschen DENKmal-Film Strigel GmbH haben die Tiere bereits während der Jahre in „Untermenschen“ – wie es im Nazi-Jargon Schwindstr. 2 der „wissenschaftlichen“ Forschung begleitet. heißt. Zwar dem Menschen am Nächsten 80798 München Renate Foidl, die Hauptbetreuerin, ist eine da- und daher auch prädestiniert für die Infektion www.denkmal-film.de von. Im Wechsel zwischen alltäglichen Routi- mit Krankheiten, die es bei Tieren nicht gibt. sowie im Shop von nearbeiten wie etwa der Fütterung oder Spiel Dennoch „Untermenschen“, mit denen sol- Ärzte gegen Tierversuche: und Einzelbetreuung, gibt sie Interviews und che Experimente stellvertretend durchgeführt www.aerzte-gegen-tierver- berichtet von ihrer Arbeit. Wenn sie von der werden dürfen. Die einstige „Forschung“ hat suche-shop.de/unter-menschen Zeit bei der Immuno erzählt, wird ihr großes nie zu einem verwertbaren Ergebnis geführt, Unbehagen spürbar. Ihr ist die Last der Schuld außer, dass sie nutzlos war. noch körperlich anzumerken. Der schmale Grat, auf dem sie sich bewegt hat, wurde – Die Dokumentation zeigt das Refugium zu frei nach dem Soziologen Zygmunt Bauman einem Zeitpunkt, von wo an ein Außengehege – einmal als „social engineering“ bezeichnet: für die Affen zugänglich gemacht wird. Es ist

TIERBEFREIUNG 84 | 29 das emotionale Zentrum des Films. Die Tiere deten Politskandal um die illegale Beschaf- dall, die berühmte englische Verhaltensfor- waren vorher noch nie im Freien, außer in den fung von Versuchstieren. So war 1982 mit scherin, kommt zu Wort. kurzen Momenten nach ihrer Geburt. Einige dem Beitritt Österreichs zum Washingtoner Unter Menschen lief auf einigen internationa- Affen wurden auch erst in Gefangenschaft Artenschutzabkommen die Belieferung mit len Filmfestivals, unter anderem auf der Ber- geboren. Wir sehen, wie sich die Tür zur Schimpansen eigentlich verboten. Trotzdem linale 2013 – zu Recht. Es ist ein hervorra- Außenanlage öffnet, die Schimpansen kurz wurde weiterhin Tiermaterial für den öster- gend gemachter Film über eine dramatische hinaus schauen und sich anschließend voller reichischen Pharmakonzern eingeflogen. Tier-Mensch-Beziehung und dadurch auch Angst umarmen. Bevor sie das Terrain auch viel mehr als bloß eine Dokumentation mit erkunden, blendet der Film ab – die Filmema- Der Schnitt ist mit viel Fingerspitzengefühl tierschützerischer Botschaft. Die Filmema- cher überlassen diesen Moment den Tieren durchweg gelungen, routiniert, und rechtzei- cher gehen sensationell professionell mit der (allerdings kann dies – ein Zugeständnis an tig wird in die verschiedenen Erzählstränge Chance und auch Bürde um, einen medial die menschliche Neugier – in den Bonussze- gewechselt, bevor eine Szene zu drastisch ins überlagerten Ort zwischen Zoo, Tierheim, nen nachgeholt werden). Pathetische oder in eine Schuld-und-Süh- Resozialisierungsprogramm und traum- Das Moralische an dem Film bleibt behut- ne-Schablone abbiegt. Die Filmperspektive haftem Luxussanatorium, mit ernsthafter sam und gibt ein komplexes Phänomen auch wechselt unterhaltsam zwischen den Tieren, Sachlichkeit, Anteilnahme und auch Distanz vielschichtig wieder. So wird die Politik um den Pflegerinnen und den an den politischen zu würdigen. Dieser Film ist absolut sehens- die Verwaltung der Tiere zu einem Thema ge- Seilschaften um die illegale Entführung der wert und ein Juwel des engagierten Doku- macht. Der zweite erzählerische Hauptzweig Affen beziehungsweise den an der Aufde- mentarfilms. rankt um den bis heute nicht restlos geahn- ckung derselben Beteiligten. Auch Jane Goo- Tomas Cabi

Tierversuchshochburg Münster

(vk) In einem aktuell erschie- zen auf Gefahren für den Nach- über den Globus geflogen, um nenen Faltblatt informieren die wuchs oder erbgutschädigende Tierversuchslabore wie Covance Ärzte gegen Tierversuche über Wirkungen zu untersuchen. zu beliefern. Air France ist welt- tierexperimentelle Forschung Meist mehrmals täglich werden weit die letzte große Fluggesell- in Münster und bringen damit die Stoffe schwangeren Affen mit schaft, die sich noch an diesem grausame Fakten ans Licht, die einem Schlauch in den Magen grausamen Geschäft beteiligt. nach dem Willen der Experi- gepumpt oder in die Blutbahn mentator_innen der Öffentlich- injiziert. Die Folge können starke Dem tierbefreier e.V. ist es als ein- keit verborgen bleiben sollen. Schmerzen sowie Totgeburten zigem Verein untersagt, Bilder oder Missbildungen sein. Die zu zeigen, die von einem Journa- Covance, eines der größten Af- Tiere stammen aus Ländern wie listen vor über zehn Jahren heim- fenlabore in Deutschland mit Mauritius, China oder Vietnam, lich aufgenommen worden sind Sitz in Münster, führt im Auf- wo sie mit brutalen Methoden – deshalb ist es schön zu sehen, trag der Pharma- und Chemie- aus der freien Wildbahn gefan- dass die Bilder und Informatio- industrie Tierversuche durch. gen und unter unsäglichen Be- nen von anderen immer wieder Hier leiden und sterben Lang- dingungen gezüchtet werden. in die Öffentlichkeit getragen schwanzmakaken unter anderem Als Ladung im Rumpf von Pas- werden. in Giftigkeitstests, um Substan- sagiermaschinen werden sie quer

30 | TIERBEFREIUNG 84 Her mit der roten Pille!

(vk) In dem neuen Film gegen Tierversuche „Woran Krasse Protestaktion in London soll man denn sonst testen?“ (verfügbar auf YouTu- be) wird in einer halben Stunde wunderbar erklärt, welche Vorteile die tierversuchsfreie Forschung mit sich bringt und auch, mit welchen Schwierigkeiten

Foto: Screenshot Foto: sie zu kämpfen hat, um anerkannt zu werden.

Dieter Runge von Primacyt Cell Culture Techno- logy (Schwerin), Diplombiologin Jessica Rach von Culture Laboratories (Hannover), Dr. med. Meret Bauer von der Universitätsfrauenklinik Kiel, Dr. rer. nat. Eleonore Haltner-Ukomadu von Across Barriers GmbH (Saarbrücken) und Dr. Ing. Eva Materne von der Technischen Universität Ber- lin führen deutlich vor Augen, dass Tierversuche nicht nur überflüssig, sondern schädlich sind. Im Film von Uwe Plasger, produziert von friendship film production, abgerundet mit Musik von auvid- Service stimmt einfach alles. (vk) Um ein Zeichen gegen Tierversuche zu setzen, hat Perfor- mancekünstlerin Jacqueline Traides im Juni gemeinsam mit Lush Und das Beste – beide Daumen hoch für diese Cosmetics und The Human Society in London eine schockierende Idee! – ist der Sprecher: Tom Vogt – die deutsche Stimme unter anderem von Morpheus im Film Aktion gestartet: Zehn Stunden lang ließ sich die Künstlerin in Matrix. Das Unterbewusstsein drängt hoffentlich einem Schaufenster quälen und foltern. Traides ließ sich unter auch bisherigen Tierversuchsbefürworter_innen anderem den Kopf rasieren, mit Nadeln stechen, bekam diverse geradezu die rote und die blaue Pille auf: „Das ist Pasten auf den Kopf geschmiert. Sie wurde gefesselt, geknebelt, deine letzte Chance. Danach gibt es kein Zurück. Nimm die blaue Pille – die Geschichte endet, du geschlagen, mit Elektroschocks gequält. wachst in deinem Bett auf und glaubst, was du • www.youtube.com/watch?v=f4K9iSyj_lk auch immer glauben willst. Nimm die rote Pille – du bleibst hier im Wunderland, und ich werde dir zeigen, wie tief das Kaninchenloch reicht.“

Tierversuche für Gentechnik stoppen LPT-Fahrrad-Demo

(vk) In einem offenen Brief fordert ein Bündnis von Organisationen Bundes- landwirtschaftsminister Christian Schmidt auf, gegen den Anstieg von Tier- versuchen im Bereich Gentechnik aktiv zu werden. Die Organisationen Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, Ärzte gegen Tierversuche e.V., Gen-ethisches Netzwerk, Gesellschaft für ökologische Forschung, Menschen für Tierrechte – Bun- desverband der Tierversuchsgegner, Kein Patent auf Leben!, TASSO e.V., Testbio- tech und Wild Chimpanzee Foundation beziehen sich dabei auf die offiziellen Statistiken des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Demnach ist die Anzahl „verbrauchter“ transgener Tiere im Jahr 2012 auf fast (vk) Am 19. Juli 2014 nahmen etwa 50 Akti- eine Million gestiegen. Das entspricht einer Erhöhung um 78 Prozent inner- vist_innen an einer Fahrraddemo gegen LPT halb von nur fünf Jahren. In dem Brief wurden zehn Fragen formuliert und teil. Gemeinsam fuhren sie von der Veddel zum konkrete Maßnahmen gefordert. Notwendig seien unter anderem gesetzliche LPT-Hauptsitz nach Neugraben, um gegen Tier- Vorgaben zum Schutz der genetischen Integrität von Tieren sowie kurzfristig versuche und für die Schließung des Tierversuchs- wirksame Maßnahmen, um den Verbrauch an Versuchstieren einzudämmen. unternehmens LPT zu demonstrieren. Mit Musik, Redebeiträgen, lautstarkem Skandieren, Rücken- Gefordert wird auch ein Verbot der Patentierung von Tieren, da über Patente aufnähern und Schildern an den Fahrrädern war ein Anreiz geschaffen wird, Tierversuche auch aus rein wirtschaftlichen Motiven der Protest für Anwohner_innen und Passant_in- durchzuführen. Das Europäische Patentamt hat bereits mehr als 1.500 Patente nen auf der ganzen Strecke deutlich seh- und auf Tiere erteilt, unter anderem sogar auf Schimpansen, die mit synthetischen hörbar. Nach insgesamt vier Stunden erreichte die Genen manipuliert wurden.1 Rückenwind kommt unter anderem aus Hessen Fahrradkolonne am frühen Nachmittag das Ziel. von der Agrarministerin Priska Hinz. LPT wurde wieder einmal daran erinnert, dass Fußnote: Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen nicht [1] www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/presse/aktuelle-pressemitteilungen/1569 eher ruhen, bis sie aufhören, Tiere für die For- schung zu ermorden.

TIERBEFREIUNG 84 | 31 Tierversuche

ls Ende Juni 2013 rund 350 TierrechtsaktivistInnen und TierversuchsgegnerInnen durch Hamburg-Neugraben liefen, um gegen das dort ansässige Tierversuchsunternehmen LPT zu demonstrieren, konnte niemand wirklich einschätzen, wie sich die Kampagne entwickeln würde. Würde sich ein „Green-Hill-Effekt“ einstellen und tausendeA Menschen dazu motivieren, gegen das Labor Sturm zu laufen? Würden die Proteste bald wieder abebben und sich auf die immer gleichen vier oder fünf Aktiven reduzieren? Letztendlich zeigte sich, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Nach etwas über einem Jahr aktiver Kampagnenzeit möchten wir, die Kampagne LPT-Schließen, die Chance für einen kleinen Rückblick nutzen, der jedoch nicht mit einer strategischen Auswertung oder einem Fazit über weitere Erfolgschancen und Entwicklungen zu verwechseln ist.

32 | TIERBEFREIUNG 84 Tierversuche

Als wir Ende 2012 damit anfingen, die Kam- pagne gegen LPT vorzubereiten, sah die Situ- ation für uns wie folgt aus: Wir wussten, dass in den 1980er und sporadisch in den 1990er Jahren Aktionen gegen LPT stattfanden. Darunter auch die beiden ersten Aktionen der Animal Liberation Front, die Beagles aus Mienenbüttel befreite. Seither war es still geworden, vor allem beim Hauptsitz in Neu- graben. In Mienenbüttel gab und gibt es eine Bürgerinitiative, die zur Zeit der Kampag- nenplanung vor allem politische Lobbyarbeit bei der lokalen Politik durchführte und hin und wieder zu Infoabenden einlud. Für uns, die aus der Graswurzel-Tierrechtsbewegung stammen, reichte das nicht, und wir wollten unsere jahrelange Erfahrung aus Kampagnen gegen pelzverkaufende Modehäuser, Tierver- Beagles im „Sammellager für Versuchstiere“ in Mienenbüttel suchslabore und Versuchstierzüchter auch auf LPT anwenden. Es muss an dieser Stelle je- die Forderung der vollumfänglichen Abschaf- werden und die richtigen Hebel zur richtigen doch auch betont werden, dass wir LPT als fung von Tierversuchen gehören, konnten und Zeit in Gang gesetzt werden. Das gelingt nicht Ziel ausgewählt haben, da es einige wichtige, können alle Teil der Kampagne werden, die vor immer, aber der Versuch ist der Schlüssel zum strategische Vorteile bot, aber aus rein ethi- allem Hintergrundrecherchen durchführen, Erfolg. Wer nur Demos vor dem Labor macht schen und politischen Gesichtspunkten hät- offizielle AnsprechpartnerInnen sind, Material oder nur Infoabende in der Uni organisiert, nur ten wir genauso gut ein anderes Tierversuchs- bereitstellen und neue Kampagnenstrategien auf die Hilfe durch PolitikerInnen hofft oder labor in Hamburg, einen Schlachthof oder entwickeln. nur auf Aktionen zivilen Ungehorsams pocht, eine andere Firma auswählen können, die von schmälert die Erfolgschancen enorm. der Ermordung von Tieren profitiert! Die Kampagne begann offiziell mit der Großdemonstration am 29. Juni 2013, und So verbreiterte sich die Arbeit der Kampa- Was viele vielleicht nicht wissen, ist, dass wir die Resonanz war aus unserer Sicht durchaus gne stetig: Es gab neben „klassischen“ Demos die Kampagne LPT-Schließen nicht lediglich positiv. Auch die (sehr laute) Folgedemo mit vor den beiden Laboren auch Telefon- und gestartet haben, um Druck auf LPT aufzubau- rund 120 Teilnehmenden an einem frühen Emailaktionstage, eine Mahnwache, eine en mit dem Ziel, das Labor ein für alle Mal Nachmittag unter der Woche (!) war für uns Lichterdemo, eine Fahrraddemo, Flyerakti- dicht zu machen. Neben diesem offensicht- ein voller Erfolg. Danach flachten die Pro- onen und weitere Protestformen. Erstmals lichen und wichtigen Ziel waren und sind für teste etwas ab, was uns aber nur bedingt be- wurden auch GeschäftspartnerInnen und Zu- uns zwei weitere Punkte wichtig: Zum einen unruhigte, da wir es gewohnt waren, dass mit lieferbetriebe des Labors veröffentlicht und wollen wir über das Thema Tierversuche Men- der Zeit immer weniger Leute zu Aktionen unter dem Motto „Kein Geschäft mit LPT“ schen an eine generelle Kritik der Tierausbeu- kommen. Relativ schnell wurde deutlich, dass mit Protesten konfrontiert. Es wurden Bünd- tung führen. Wir wollen klar machen, dass es sich keine Situation einstellen würde, die die nisse mit anderen politischen Gruppen inner- völlig unerheblich ist, ob ein Tier für die „For- Dynamik der Proteste gegen die Versuchs- halb und außerhalb der Tierrechtsbewegung schung“ oder für die „Nahrungsmittelproduk- tierzucht Green Hill in Italien enthielt. An- gesucht, es wurde mehr Kampagnenmaterial tion“ stirbt, ob wir seine Haut verarbeiten oder dererseits wurde auch schnell deutlich, dass produziert und über den Verein die tierbefreier ob wir es einsperren und zur Schau stellen. LPT unsere Proteste ernst nimmt und auch ein Versand organisiert. Die Website und die Tierversuche, so unsere feste Überzeugung, die MitarbeiterInnen der Labors alles andere Facebookseite wurden regelmäßig mit Inhal- sind lediglich ein Ausdruck einer Gesellschaft, als erfreut über unsere Anwesenheit sind. So ten gepflegt, der Kontakt zu den an der Kam- zu deren Grundstruktur die Ausbeutung von fanden in den ersten Monaten der Kampagne pagne beteiligten Gruppen wurde intensiviert Tieren gehört. Zum anderen wollten wir mehr im Durchschnitt ein bis zwei Aktionen gegen und allerlei Anfragen von Presse und Privat- Menschen an eine aktive, graswurzelorientierte LPT statt, unter anderem eine mehrtägige personen beantwortet. Form der politischen Beteiligung bringen – sie Mahnwache im Oktober. in Proteste einbinden, sie eigenverantwort- Mit dem Jahreswechsel kam erneut Fahrt in lich aktiv werden lassen und aus der Passivität Das Kampagnenteam versuchte im Laufe der die Kampagne, indem mehrere neu gegrün- der „DemokonsumentInnen“ herausführen. Kampagne stets, neue Akzente zu setzen, Akti- dete Gruppen Aktionen im Rahmen der Wir wollten eben nicht die allesbestimmende onspluralismus zu fördern und das Labor LPT Kampagne organisierten. Mittlerweile finden Kampagnenführung sein, sondern die Ak- auf möglichst vielen, unterschiedlichen Wegen mehrere Demos pro Monat im Rahmen der tiven dazu ermutigen, sich selbst in Gruppen unter Druck zu setzen. Es entspricht unserem Kampagne statt. Zusätzlich finden mit einer zusammenzuschließen und gegen LPT aktiv Verständnis von Kampagnen, dass diese stra- erstaunlichen Beharrlichkeit seit dem Winter zu werden und dabei ihre eigenen Akzente zu tegisch gut durchgeplant werden. Hierfür 2013 mehrmals die Woche frühmorgendliche setzen. Sofern die Grundsätze der Kampagne müssen Schwachstellen des Tierversuchs- Mahnwachen statt, die jedoch von Menschen geteilt werden, zu denen unter anderem eine labors identifiziert werden, möglichst viele organisiert werden, die sich leider nicht der generelle Ablehnung der Tierausbeutung und Hintergründe zum Unternehmen recherchiert Kampagne LPT-Schließen zugehörig fühlen.

TIERBEFREIUNG 84 | 33 Tierversuche

LPT (Laboratory of Pharmacology and Toxicology) ist eines der größten deutschen Auftragslabore mit Sitz in Hamburg- Neugraben. Neben dem Hauptsitz in Neugraben betreibt LPT ein „Labor und Sammellager für Versuchstiere“ in Neu Wulmstorf-Mienenbüttel. Auf dem Gelände werden u. a. hunderte Beagles gehalten (die Bürgerinitiative Lobby Pro Tier spricht von derzeit 300-500 Beagles), deren Zwingeran- lagen von außen einzusehen sind. Der LPT-Standort in Mie- nenbüttel gehört darüber hinaus zu den wenigen deutschen Auftragslaboren, die Versuche an Primaten durchführen.

Foto: Daniel Müller

Wir respektieren dies, auch wenn wir es nicht können, da eben nicht Argumente, sondern von Tierversuchen politisch derzeit durch- wirklich verstehen und es uns gegenüber auch Profite die Motivation des Labors sind. Auch setzbar und somit realistisch ist, was nicht nie begründet wurde, und freuen uns auch haben wir wenig Hoffnung, dass ein Verbot zuletzt an der enormen wirtschaftlichen über diese Proteste gegen LPT. Wir hoffen Macht der Pharma- und Chemieindustrie vor allem, durch unsere Kampagne und die liegt. Neben Argumenten, die wir hoffentlich Impulse, die wir setzen konnten, Menschen Kommt zur Demo am 11. Oktober! überzeugend vortragen, und dem Druck auf dafür motiviert zu haben, selbst aktiv zu wer- Die Kampagne LPT-Schließen ruft zu politische EntscheidungsträgerInnen bedarf den, statt nur mitzumachen. Die Quantität einer überregionalen Demonstration es unserer Meinung nach vor allem ökono- und Qualität der Aktionen gegen LPT im auf. Treffpunkt für die Demo ist der mischen Drucks, denn das ist die Sprache, Rahmen der Kampagne und außerhalb der Neugrabener Marktplatz (Nähe S-Bhf. die Unternehmen wie LPT verstehen. Jedes Kampagne sind merklich gestiegen und für Neugraben) um 12 Uhr. Von dort geht Unternehmen hat eine politische Verantwor- LPT unübersehbar geworden. Wenn wir dazu es lautstark zum Labor und LPT-Haupt- tung, die sich zum Beispiel in der Auswahl einen Teil beigetragen haben, sind wir mehr sitz in Hamburg-Neugraben. der GeschäftspartnerInnen ausdrückt. Wer als zufrieden und hoffen, auch weiterhin Mo- mit Tierversuchslaboren kooperiert, trägt eine tivation, Entschlossenheit und die notwen- LPT-Kampagne Mitverantwortung an der Aufrechterhaltung dige Portion Wut und Leidenschaft zu ver- Mail: [email protected] dieser Orte. Auf diese Verantwortung wollen mitteln, um LPT dicht zu machen! Web: www.lpt-schliessen.org wir insistieren und LPT zu dem machen, was facebook.com/lpt.schliessen sie längst sein sollte – eine „Firma non grata“. Für die kommenden Monate erhoffen wir Aktuelle Termine: uns ein stabil bleibendes und bestenfalls stei- www.lpt-schliessen.org/termine Rückblickend können wir sagen, dass nicht gendes Aktionsniveau. Vor allem erhoffen wir jedes Ziel erreicht wurde, aber unterm Strich uns unter den Aktiven auch eine kritische Be- Spendenkonto: wir ein durchaus positives Bild sehen. Wir sind schäftigung mit unserem Aktionsvorschlag, die tierbefreier e.V. motiviert und entschlossen, den Druck auf die GeschäftspartnerInnen des Labors mehr Frankfurter Sparkasse von 1882 LPT weiter zu erhöhen und hoffen, dabei auf in den Fokus zu rücken. Wir sind fest davon Verwendungszweck: LPT möglichst breite Unterstützung zu treffen. überzeugt, dass wir LPT nicht mit guten IBAN: DE94 5005 0201 0000 2968 21 Argumenten zur Schließung oder Einstel- Swift: FRASDEFFXXX Bis jeder Käfig leer steht! lung des Tierversuchsbetriebs „überzeugen“ Kampagne LPT-Schließen

34 | TIERBEFREIUNG 84 Tierversuche

DHL und ATSG sind neue Ziele des internationalen Gateway to Hell-Netzwerks Nach Passagierfluggesellschaften rücken nun auch Frachtfluggesellschaften in den Fokus der Proteste gegen Tierversuchstransporte.

Seit dem Start der Gateway to Hell-Kampa- Durch die Logistik per Cargounternehmen gne wurden zahlreiche Teilerfolge1 im Kampf entstehen neue Hindernisse, die zu bewälti- gegen Tierversuchstransporte erzielt. Mehr gen sind. So müssen pro Flug in etwa 800 bis als zwanzig Fluggesellschaften haben inner- 2.000 Primaten für eine Maschine gebucht halb der letzten vier Jahre Primatentransporte werden, um die Überquerung des Pazifischen für beendet erklärt. Die Tierversuchsindustrie Ozeans profitabel zu halten. Seit Kurzem ist bezeichnet die Lage seit Anfang 2014 als zu beobachten, dass das große Tierversuchs- handfeste Krise2, eine internationale Allianz unternehmen Charles River Laboratories so- aus Tierschutz-, Tierrechts- und Tierbefrei- gar einige Frachtflächen in den Maschinen an ungsinitiativen hat offensichtlich reichlich weitere Labore vermietet, um die Transport- Protest von „The Bunny Alliance“ in Los Angeles Druck aufbauen können. kosten pro Tier zu verringern. Die stetig stei- genden Kosten bereiten dem Industriezweig Momentan verlagert sich das Geschäft auf mehr und mehr Probleme – eine Krise, die Grund der Ausstiege zwangsläufig von preis- auch auf Kongressen der Lobby heiß disku- günstigen Passagierfluglinien hin zu kostspie- tiert wird. ligen Frachtfluggesellschaften – eine Situa- tion, die der Tierversuchsindustrie ein Dorn Strategische Überlegungen im Auge ist. Damit auch Druck auf Fracht- zum neuen Kampagnenziel DHL fluggesellschaften ausgeübt wird, erklärt das Gateway to Hell-Netzwerk die Unternehmen Doch wie kann eine US-amerikanische DHL (der deutsche Paket- und Brief-Ex- Frachtfluggesellschaft, die deutlich weniger press-Dienst) und ATSG (Air Transport Ser- Präsenz als Passagierfluggesellschaften hat, vices Group) als neue Kampagnenziele. dazu bewegt werden, die eigenen Tierver- suchstransporte einzustellen? Als lohnens- Um sich einen Überblick zu verschaffen, wie wertes strategisches Ziel stellt sich der deut- die Situation zur Zeit bei Tierversuchstrans- sche Paket- und Brief-Express-Dienst DHL porten von Primaten aussieht, lohnt es sich, heraus, wie das Gateway to Hell-Netzwerk auf einen Blick auf die größten Flugrouten zu der eigenen Webseite berichtet.3 Das weltweit werfen. Mittlerweile ist nur noch Air France- umsatzstärkste Logistikunternehmen DHL KLM bereit, Affen von Mauritius aus in ist der größte Kunde von ATSG. Die Partner- nordamerikanische und europäische Labore schaft der beiden Konzerne geht so weit, dass zu befördern. Keine andere Airline ist neben Neue Ziele des „Gateway-Netzwerks“ mehr als die Hälfte der ATSG-Maschinen in Air France-KLM gewillt, dieses Geschäft zu den Farben von DHL lackiert sind und das übernehmen! Transport International (ATI). Jegliche ande- Logo des deutschen Dienstleisters unüber- Für Unternehmen wie Charles River Labora- ren Fluggesellschaften aus Asien haben sich sehbar auf dem Rumpf prangert. Wie kann tories und Covance ist auch die zweite große innerhalb der letzten Jahre dazu verpflich- es sein, dass DHL derart eng mit Fluggesell- Flugroute, die Asien-Pazifik-Route, unent- tet, keine Primaten mehr für die Forschung schaften zusammenarbeitet, die Affen in den behrlich. Da die Forscher_innengemeinschaft zu transportieren. Sowohl China Southern Tod fliegen? stetig neue Tiere mit unterschiedlichen Erb- Airlines als auch China Eastern Airlines, anlagen benötigt, können die Tiere nur sehr Philippine Airlines, Air China oder Vietnam DHL erhält die Partnerschaft mit ATSG begrenzt in den USA gezüchtet werden. Uni- Airlines sind nicht mehr bereit, weitere Pro- nach wie vor aufrecht, obwohl sich die Un- versitäten und Auftragslabore in den USA teste in Kauf zu nehmen. Somit ist ATSG das ternehmenspolitik des Logistikriesen konse- sind darauf angewiesen, den Großteil der letzte Unternehmen, welches noch Primaten quent gegen jegliche Versuchstiertransporte Tiere von anderen Kontinenten einfliegen zu von China und Südostasien aus in nordameri- stellt. Es ist äußerst wichtig, dass wir DHL lassen. Auch der Transport auf dem Seeweg kanische Labore befördert. Die Tierversuchs- davon überzeugen, ihren Einfluss zu nutzen, ist aus logistisch-wirtschaftlichen Gründen industrie ist mittlerweile gezwungen, Fracht- um die Tierversuchstransporte von ATSG keine Option. fluggesellschaften für die Affentransporte zu ein für alle Mal zu stoppen! Das Kampa- beauftragen. Das ist zwar wesentlich teurer, gnennetzwerk Stop Vivisection sowie Gateway Die Asien-Pazifik-Route hat mittlerweile die als die Tiere mit Linienflügen von Passagier- to Hell rufen deshalb dazu auf, DHL und Frachtfluggesellschaft ATSG aus Ohio, USA fluggesellschaften zu befördern – doch den ATSG in die weltweiten Proteste gegen Tier- übernommen. Zu ATSG gehören die Toch- Auftraggeber_innen bleibt inzwischen keine versuchstransporte miteinzubeziehen. DHL terunternehmen ABX Air (ABX) und Air andere Wahl mehr. hat den Einfluss, die Primatentransporte von

TIERBEFREIUNG 84 | 35 Tierversuche

ATSG zu stoppen. Folgende Forderungen KLM-Kampagne zuträglich sein. Als Beispiel werden deswegen an DHL gerichtet: sind die vergangenen Air France-Proteste im deutschsprachigen Raum zu nennen, die • DHL soll ihren Einfluss auf ATSG dazu dazu beigetragen haben, dass die asiatischen nutzen, die Transporte von sogenannten Airlines aus den Transporten von Primaten Versuchstieren zu stoppen. ausgestiegen sind. Die Proteste sind durchaus • Alternativ soll DHL die Verträge mit abschreckend. Der Kampf gegen Tierver- ATSG aussetzen, bis die grausamen Tier- suche wird bekanntlich global ausgefochten. versuchstransporte beendet werden. Eine Je größer der gesellschaftliche Druck gegen Kooperation mit Profiteuren von Tier- Transporte von sogenannten Versuchstieren quälerei ist nicht hinnehmbar! ist, um so eher wird auch der französisch- niederländische Konzern aus diesem blutigen DHL nimmt die Kritik der Tierversuchsgeg- Geschäft aussteigen. Sollte die ATSG es den ner_innen bisher sehr ernst. Im deutschspra- asiatischen Fluggesellschaften gleich tun, in- chigen Raum wurden von Stop Vivisection dem sie die Primatentransporte für Versuchs- bereits zwei Telefon- und Online-Aktionstage zwecke stoppt, so ist davon auszugehen, dass mit Bezug auf DHL organisiert. Das Unter- Air France-KLM den eigenen Geschäfts- nehmen bemühte sich stets darum, jede Email zweig erneut überdenken muss. zu beantworten und sich telefonisch zuvor- Kisten, in denen sich Affen befinden, werden Was bedeutet das für die Individuen? Kei- kommend mit der Kritik auseinanderzusetzen. in China in ein Flugzeug von ABX Air geladen. ne verfügbaren Tiere heißt: keine Tierver- Nach eigenen Angaben hat DHL auch schon Ziel ist die USA. Hauptabnehmer ist dort der suche! Viele Tiere wie Javaneraffen (auch weltweit größte Versuchstierhändler, Charles die Frachtfluggesellschaft ATSG kontaktiert. Langschwanzmakaken genannt) oder Rhe- River Laboratories. In einer Antwort auf ihrer Facebookseite susaffen werden in Zuchtfarmen großgezo- schreibt das Unternehmen: „DHL hat dem gen, nachdem sie systematisch ihrer Freiheit Dienstleister gegenüber seine Bedenken hin- beraubt wurden. Die meisten Versuchsla- sichtlich der Unterstützung solcher Forschun- bore können keine eigenen Primaten züch- gen zum Ausdruck gebracht, wie sie auch von ten, daher bleibt für sie nur die Möglich- Tierschutzorganisationen geäußert wurden. keit, die Tiere aus Zuchtländern wie China, Der Dienstleister hat mitgeteilt, dass er die Be- Mauritius und Vietnam zu importieren. denken von DHL in eine Überprüfung seiner Geschäftsbeziehungen zu Kunden aus dem Wenn wir die Proteste weiterhin engagiert fort- Bereich der Forschung einbeziehen wird.“ führen, knickt sicherlich auch die letzte Flug- Wenn wir weiterhin Druck auf DHL und gesellschaft ein, die Affen für die Forschung ATSG ausüben, könnte DHL tatsächlich die transportiert. Keine Airline möchte derartige Geduld verlieren und ihren vollumfänglichen Proteste gerne über sich ergehen lassen! Da Einfluss nutzen, um die Tierversuchstrans- Demo in den USA nur noch so wenige Fluggesellschaften gewillt porte von ATSG zu stoppen. Der Konzern sind, Tierversuchstransporte durchzuführen, Deutsche Post-DHL ist stets um ein grünes mend in der Stadt eintrafen. Der Widerstand kann das auch heißen, dass Zuchtfarmen und soziales Image bemüht, deren Marke gegen die ATSG ist mit viel Engagement im geschlossen werden müssten, da der geringe „Living Responsibility“ soll die eigene Ver- Aufbau. Vor Ort finden facettenreiche Akti- Umsatz sich nicht mehr rentieren würde. antwortung in den Vordergrund rücken. Pro- onen gegen die Frachtfluggesellschaft statt, teste, die der hochgehaltenen „Corporate Re- die noch immer von Tierversuchen profitiert. DHL wird sicherlich eine Vielzahl an Protest- sponsibility“ schaden könnten, möchte DHL aktionen rund um den Globus erleben, bis de- sicherlich tunlichst vermeiden. Für die Tierrechtsbewegung in Europa lohnt ren enger Partner, die Air Transport Services es sich, deren Partnerunternehmen DHL als Group (ATSG), alle Tierversuchstransporte In den Vereinigten Staaten gab es bereits vor neues Kampagnenziel auszurufen, um strate- endgültig beendet! DHL-Büros Protestaktionen gegen die Part- gisch clever zu handeln und die Proteste auf Stop Vivisection nerschaft DHL-ATSG sowie USA-weite eine neue Ebene auszuweiten. In Deutschland Telefon-Aktionstage. Besonders das Bündnis sind unter anderem die folgenden Aktions- Infos und Kontakt: The Bunny Alliance ist in Nordamerika gegen formen geeignet: Proteste vor Paketzentren www.stopvivisection.net die Transporte aktiv. Als Teil des Gateway To der Deutschen Post-DHL und DHL-Büros www.facebook.com/stopvivi Hell-Netzwerks veranstalten sie unter an- wie dem Post-Tower in Bonn. Auch eine rege [email protected] derem immer wieder Demonstrationen vor Beteiligung an zukünftigen Telefon- und

ATSG-Büros und Frachthangars. Sie orga- Online-Aktionstagen ist für die Kampagne Fußnoten: nisieren sogenannte Homedemos und pro- Gold wert. [1] Erfolge und Teilerfolge der Kampagne: www.stopvivisection. testieren vor dem ABX Air Hauptquartier in net/erfolge [2] Artikel „Tierversuchslobby spricht von Krise bei Versuchstier- Wilmington, Ohio, USA. Die neuen Kampagnenziele bauen transporten“: www.stopvivisection.net/aktuelles/tierversuchs- Auch in Houston, Texas gab es bereits eine weiteren Druck auf Air France-KLM auf lobby-spricht-von-krise-bei-versuchstiertransporten [3] DHL und ATSG sind neue Ziele des Gateway to Hell-Netz- Mahnwache, als ein geheimer Transport auf- Die neue Ausrichtung wird ohne Zweifel werks: www.gatewaytohell.net/campaign-targets-update-abx- flog und hunderte Affen von China aus kom- auch für die bereits etablierte Air France- air-and-dhl

36 | TIERBEFREIUNG 84 Tierversuche COVANCE – weitere Angriffs- Uni Mainz baut versuche gegen Tierversuche … Tierversuchs- Tierschützer_innen schalten ganzseitige Werbe- forschung aus anzeigen, erstatten Anzeigen und starten Petitionen (vk) Die Ärzte gegen Tierversuche kritisie- Trotz eindeutiger Beweise, dass das Tierversuchslabor COVANCE gegen deutsche ren in einer Pressemitteilung Mitte Juli den Tierschutzgesetze verstößt, gab es keine Konsequenzen. Außer, dass Tierrechtler_in- Neubau eines weiteren 42 Millionen teuren nen und Tierbefreier_innen mundtot gemacht werden sollen – dem tierbefreier e.V. Tierversuchslabors an der Universität Mainz. ist es bis heute verboten, Material aus einer Undercover-Recherche in Münster zu Tausende Mäuse und Ratten sollen hier unter veröffentlichen. Leider vergessen viele Menschen die skandalösen Enthüllungen von anderem als „Modell“ menschlicher Schizo- 2003. In einem Video1 war unter anderem zu sehen, wie Angestellte die Versuchstiere phrenie herhalten und in Hirnversuchen lei- anschrien und beschimpften und sie zu ihrer Unterhaltung benutzten, indem sie sie an den. Der Verein fordert von Bund und Land, den Händen tanzen ließen oder Körperteile der narkotisierten Tiere im Takte lauter Steuermittel in moderne, sinnvolle Forschung Musik bewegten. ohne Tierversuche zu investieren.

Berlin soll tierver- suchsfrei werden

(vk) Berlin soll künftig auf Tierversuche ver- zichten und die Forschungshauptstadt für Makaken in Camarles (Spanien), Europas größte Affensammelstelle für Tierversuche. Alternativmethoden werden. Alle fünf Frakti- Infos unter www.tierversuche.org, Quelle: Animal Equality Deutschland onen stimmen einem entsprechenden Antrag im Abgeordnetenhaus zu. Es solle erreicht Auf change.org2 gibt es eine Petition, die das sofortige Einstellen aller Tierversuche werden, dass Berlin sich von der Hauptstadt bei COVANCE sowie die Freilassung der physisch noch zu rettenden Affen fordert. der Tierversuche möglichst schnell zu einem Mit einer Anzeigenkampagne geht die Organisation Tierversuchsgegner Bundesrepublik echten Kompetenzzentrum für tierversuchs- Deutschland e.V. 3 an die Öffentlichkeit: Unter dem Motto „unmenschlich“ wurde am freie Forschung wandelt.1 Wissenschaft- 1. Juni in der WELT am Sonntag und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor ler_innen der Freien Universität (FU) Berlin allem das Tierversuchslabor COVANCE in Münster, eines der größten seiner Art in wollen Tierversuche langfristig reduzieren Europa, unter Beschuss genommen. oder ganz ersetzen. Der Weg dorthin wird derzeit an der Berlin-Brandenburgischen Nun scheint es neue Bewegung zu geben: Eine Gruppe von Tierschützer_innen hat Forschungsplattform BB3R erforscht.2 Die eine Strafanzeige gegen das Landesamt für Natur-, Umwelt und Verbraucherschutz Gegenseite meint, Tierversuche seien das NRW, Recklinghausen (LANUV NRW) erstattet. Hintergrund ist, dass im Rahmen Fundament des medizinischen Fortschritts; des Informationsfreiheitsgesetzes Transparenz über die Tierhaltung bei COVANCE Politik und Medien dürfen sich nicht die eingefordert, aber zunächst nicht geliefert wurde. Ein Streitpunkt waren die Kosten pseudowissenschaftliche Argumentation der für die Beantwortung der angefragten Informationen. Ende Juli 2014 wurden die Fra- Tierversuchsgegner_innen zu eigen machen gen mehr oder weniger beantwortet, hierzu wurde von der Antragstellerin Stellung und dadurch das Misstrauen gegen eine genommen. „Schul- und Apparatemedizin mit ihren Tier- Es wird unter anderem angemahnt, dass die genehmigende Behörde LANUV NRW versuchen“ säen.3 Ob an dem in Berlin-Buch offensichtlich nicht selbstständig Informationen einholt und auswertet, sondern auf geplanten Neubau festgehalten wird? Für 24 Auskünfte der Stadt Münster oder gar auf Selbstauskünfte des Affenlabors COVAN- Millionen Euro aus Steuergeldern soll dort CE angewiesen ist. Umso dringlicher scheint allerdings ein selbstständiges Überprü- für das Max-Delbrück-Centrum ein Tier- fen bei Genehmigungen von Tierversuchen und für die Tierhaltung überhaupt in versuchslabor für zigtausend Mäuse entste- einem Labor zu sein, je mehr bekannt ist, dass dieses Labor bereits eine erschreckende hen. Aktuelle (Meta-)Studien belegen, dass Vorgeschichte hat. Tierversuche nicht nur nicht aussagekräftig Im August wurden bei der Staatsanwaltschaft Bochum gegen das LANUV NRW sind, sondern oftmals auch gefälschte Daten Anzeigen erstattet4 – wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz §§ 1, zugrunde gelegt werden.4 2, 7, 8 und 11 bei der Genehmigung der Tierhaltung (bezogen auf COVANCE und

Fußnoten: die Universität Bochum). Ebenso folgte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine [1] www.welt.de/print/welt_kompakt/berlin/article129723340 Mitarbeiterin im Fachbereich 8, Tierschutzangelegenheiten. [2] www.focus.de/regional/berlin/_id_3968039.html Viola Kaesmacher [3] www.spektrum.de/news/1300766 Fußnoten: [4] www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/presse/aktuelle- [1] Siehe die Frontal 21-Beiträge zu Covance: www.vimeo.com/17462958. Weiteres Material auf YouTube. pressemitteilungen/1539 [2] Stand 25. August 2014: 11.457 Unterschriften www.change.org/p/sofortiges-einstellen-aller-tierversuche-bei- covance [3] Webseite: www.tierversuchsgegner.de – dort ist auch das Anzeigenmotiv einsehbar. [4] Anfragen, Anzeigen, kompletter Schriftwechsel: www.jocelyne-lopez.de/blog/2014/08/strafanzeige-gegen-lanuv- nrw-wegen-affenlabor-covance-in-muenster TIERBEFREIUNG 84 | 37 Tierversuche

ie Kampagne gegen Euro- Wie so oft begann alles mit Undercover- Kinderkrippen. HLS ist das Tierversuchs- pas größtes Tierversuchs- Aufnahmen, die den schrecklichen Alltag labor, das in der bisherigen Geschichte die labor HLS (Huntingdon im Labor zeigen. HLS testet Produkte wie meisten Proteste auf sich zog. Tausende Life Sciences) wurde am Haushaltsreiniger, Pestizide und Lebens- Aktionen fanden statt – alleine in einem 12. August 2014 für beendet erklärt. In mittelzusatzstoffe pro Jahr an rund 75.000 Jahr gab es fast 800 Demonstrationen Dden letzten fast 15 Jahren haben sich Tieren, von Ratten bis zu Primaten. weltweit. viele Menschen zusammengeschlossen, Nichtmenschliche Tiere, die vergiftet Allein 2007 nahmen acht große Unter- um eine der bisher weltweit größten werden; Primaten, die ohne Betäubung nehmen Abstand von HLS, einschließlich und effektivsten Tierrechtskampagnen aufgeschnitten werden; Welpen, denen ihrer beiden größten Investoren, AXA und durchzuziehen. HLS kämpft nun ums ins Gesicht geschlagen wird … HLS wur- Wachovia. Über 250 Unternehmen gaben Überleben, die Jahresendgewinne neh- de zum Synonym für Grausamkeit und insgesamt im Laufe der Kampagne ihre men ständig ab. Das Unternehmen hat Mord. Viele Menschen haben sich zum Geschäfte mit HLS auf, darunter die Ci- über 100 Millionen Euro Schulden Ziel gesetzt, diesem Treiben nicht tatenlos tibank, das weltweit größte Finanzinstitut, und existiert lediglich noch am Tropf zuzusehen, sondern dagegen anzukämp- HSBC, die weltweit größte Bank, Marsh, der britischen Regierung. Die Lobby fen – und zwar auf eine Weise, die Schule der weltweit größte Versicherungsmakler, der Vivisektoren und Pharmaindustrie gemacht hat und auch auf andere Kampa- sowie die Bank of America. wird geschützt von dieser Politik, die gnen übertragen wurde. offensichtlich ein starkes Problem damit Bahnbrechende neue Taktik hat, dass die Auswirkungen von Tier- Ziel des Kampfes gegen die widerliche Mit Intelligenz und harter Arbeit wurde rechts- und Tierbefreiungsaktionen ein Tierausbeutung war nicht nur primär die finanzielle Situation von HLS stark Unternehmen wie HLS kaputt machen das Tierversuchslabor selbst, sondern angegriffen, das Unternehmen von seinen können. Das „SHAC-Modell“ wird auch (sämtliche) andere Unternehmen, Partner_innen isoliert und der Ruf der kopiert für andere emanzipatorische mit denen HLS in geschäftlichen Bezie- Firma vernichtet. Ausführliche Recher- Bewegungen, denn die Effizienz ist tat- hungen stand. Es wurden sekundäre und chen führten dazu, dass diejenigen Ge- sächlich bisher einmalig gewesen. tertiäre Ziele in Angriff genommen, da- schäftspartner_innen, die an der Finanzie- runter nicht nur Banken und Versicherer, rung von HLS und der Aufrechterhaltung sondern auch Caterer, Reinigungsunter- der Infrastruktur beteiligt sind, Ziel von nehmen, sonstige Lieferanten und sogar Protesten wurden.

38 | TIERBEFREIUNG 84 Tierversuche

HAT GESCHICHTE GESCHRIEBEN

Eine große Stärke der SHAC-Kampagne zum Beispiel die britische Labour-Partei. durch Vergabe eines 15 Millionen Dollar- war die Vielfalt an Aktionen. Aus einer Zwei Wochen heftige Demonstrationen Kredits gerettet. Die Folge war, dass das großen Anzahl möglicher Protestformen genügten – und viele Aktionäre verkauf- ursprünglich europäische Unternehmen konnten Aktive dort mitmachen, wo sie ten ihre Anteile. Schließlich wurden 32 seinen Hauptsitz in die USA emigrierte sich wohl fühlen. Zwar gab es auch legale Millionen Aktien an der London Stock – zumindest finanziell. Dort gab es laxere Proteste im Rahmen der SHAC-Kampa- Exchange für je einen Penny gehandelt Gesetze, die Aktionär_innen mehr An- gne, doch vor allem wurden harte ALF- – die HLS-Aktien stürzten ins Boden- onymität zusichern. Das war allerdings Aktionen gegen HLS-Lieferant_innen, lose. Im anschließenden Chaos vergab die auch der Startschuss, die Kampagne in -Kund_innen und -Geldgeber_innen ge- Royal Bank of Scotland ein 11,6 Millio- den USA verstärkt zu beleben. startet. Mutige Aktivist_innen riskierten nen Pfund-Darlehen im Gegenzug für ihre eigene Sicherheit, um Direkte Akti- die Zahlung eines Pfunds, lediglich um SHAC USA wurde im Januar 2001 gegrün- onen für die Freiheit der Tiere durchzu- sich von HLS zu distanzieren. Die bri- det, gerade als Stephens, Inc. HLS vor dem führen. tische Regierung hat der staatlichen Bank Bankrott gerettet hatten. Ebenso wie die Einerseits wurden symbolisch einige Tiere of England angeordnet, HLS ein Konto Bank zog es einige Aktive in den Ort Little befreit (beispielsweise 129 Kaninchen von einzurichten – keine andere Bank wollte Rock, Arkansas. Im April des Jahres wur- Huntingdon-Anbieter Highgate oder mit dem Tierversuchsunternehmen noch den 14 Beagles aus dem neuen HLS Labor auch 14 Beagles von einem US-Standort), in geschäftliche Beziehungen treten. Der in New Jersey befreit; Ende Oktober ver- andererseits gab es auch ALF-Sabota- Aktienkurs von HLS fiel von einem Wert sammelten sich Hunderte von Menschen geakte wie zum Beispiel die Versenkung von rund 300 Pfund in den 1990er Jahren in Little Rock für ein Home-Demo-Wo- eines Bootes der Bank of America mit der auf einen Wert von 1,75 Pfund im Januar chenende vor dem Haus und den Büros Meldung: 2001 und stabilisierte sich Mitte 2001 bei des Bankers Warren Stephens. Im nächsten 3 Penny. Frühjahr brach Stephens den Fünf-Jahres- „money means nothing – Vertrag nach nur einem Jahr ab. life means everything“ Nachdem HLS sowohl in New York als Im Januar 2000 veröffentlichten britische auch in London an der Börse nicht mehr Mobilisation: „Time for Action!“ Aktive eine Liste der größten HLS-Akti- gehandelt werden konnte, wurde das Un- Wer kennt sie nicht, die „Time for onäre, einschließlich derer, die Aktien an- ternehmen von seinem größten verblie- Action“-Videos von SHAC, an denen man onym durch Dritte erworben hatten, wie benen Gesellschafter, der Stephens Bank, sich gerne mit Mut und Kraft betankt. Zu

TIERBEFREIUNG 84 | 39 Tierversuche

finden auf YouTube – und das schon zu Zeiten, vielen anderen sozialen Kampagnen war nicht als viele unserer Leser_innen vermutlich noch Die strukturellen Gege- Antriebslosigkeit der Grund der vorläufigen gar nichts mit Tierbefreiung am Hut hatten. Aufgabe, sondern es war die geballte Faust Die SHAC-Kampagne war von Anfang an benheiten der globalen der Staatsorgane nötig, um die Aktiven erst Richtung „Rund-um-die-Uhr-Aktivismus“ Tierausbeutung ändern einmal zu stoppen. Schließlich wurde der Er- ausgerichtet – die HLS-Mitarbeiter arbeiten folg der Kampagne zu seinem Niedergang: Je auch Vollzeit, also müssen wir mindestens so sich – und mit ihnen die mehr Unternehmen einknickten, desto mehr aktiv sein wie sie, war die Devise. Doch man Gesetze, die diese zu Aufmerksamkeit erzeugten die Aktivist_in- kann nicht kämpfen, als gäbe es kein Morgen; nen bei den Behörden. zumindest nicht auf unbestimmte Zeit. Die schützen sucht. Nun wird ständige „Wiederauferstehung von den To- es erst einmal darum ge- Eigentlich waren die Aktiven nicht so leicht ten“ – dieses leidige HLS-Syndrom –, obwohl einzuschüchtern. Wenn es bis dato über- das Unternehmen schon mehrmals am Boden hen müssen, sich strate- haupt einmal zur Verfolgung, Verurteilung war, ist ein Rückschlag, der den verbleibenden gisch weiterzuentwickeln. und Bestrafung kam, dann war dies leicht zu Aktiven vielleicht mehr zu schaffen macht, verschmerzen, da die Leute sowieso kaum als man denken mag. Neben der allgegenwär- Geld oder Einkommen hatten, wie sie selbst tigen Repression ist sicherlich auch Burnout über sich scherzten. Also mussten andere Ge- ein Thema, das in der Bewegung grassiert. Schritt weiter zu sein in einem wirksamen schütze her. Die US-amerikanische und die Befreiungskampf. Diese schnellen Erfolge britische Regierung verschärften die Repres- Die SHAC-Kampagne ist unvergleichbar was trugen zu einer scheinbar unaufhaltsamen sion über die Jahre stetig; mit zunehmendem Umfang und Effizienz betrifft. Teils dank or- Dynamik der SHAC-Kampagne bei. Erfolg der Kampagne nahmen auch die Re- dentlichen Spendenaufkommens, teils dank pressionsaktivitäten zu. SHAC-Aktivist_in- der gut funktionierenden Mobilisierung. Die Motivation: „Deal with HLS – nen wurden mit Schikanen, Verhaftungen, Ziele waren für Interessierte greifbar, und Deal with us“ Razzien und Inhaftierungen überzogen. Seit die Durchsetzung schien möglich – Mobi- SHAC-Aktivist_innen unterschieden sich von 2007 wurden Dutzende von Aktiven festge- Spots im Internet waren bunt und aufregend Teilnehmer_innen in den meisten anderen nommen und mit hohen Haftstrafen belegt –, herzzerreißende Clips von Tierquälerei sozialen Bewegungen dadurch, dass sie weder – in einigen Fällen bis zu elf Jahre! Andere mit inspirierendem Demo-Material, immer besonders darstellungswillig waren in Form wurden mit Sanktionen und Maulkorber- wieder eingestreut bisherige Erfolge und von positiver Presse, noch dass es sie gestört lässen abgestraft, um sie zum Schweigen zu Originalzitate aus Fernsehberichten zu mo- hätte, negativ in die Schlagzeilen zu kommen. bringen und aus der Bewegung zu isolieren. tivierender Musik. Die Kampagne bot den Ihr Ziel war lediglich, Unternehmen aus der Die Protestkampagne, die gegen ein Tier- Teilnehmer_innen eine breite Palette von Geschäftsbeziehung mit HLS rauszukicken versuchslabor begann, weitete sich zu einem Optionen, neben Petitionen, Call-ins und und nicht etwa, besonders gut dazustehen bei Kampf gegen einen viel mächtigeren Gegner Home-Demos auch Akte des Zivilen Unge- anderen Tierrechts-/Tierbefreiungsaktiven aus: die Regierung. horsams wie Bürostörungen und Zerstörung oder potentiellen Interessent_innen. von Eigentum. Dadurch, dass Zwischenziele Distanzierung von Tierschützer_- und (bestimmte Zulieferer von HLS zu trennen) Je gefährlicher und verrückter sie durch Me- Tierrechtler_innen schnell erreicht wurden, gab es eine gewisse dien dargestellt wurden, desto einfacher war Doch trotz all der Repression und Schikane: Form der Befriedigung aller SHAC-Akti- es, ihre Ziele zu erreichen – potentielle In- Die Aktivist_innen haben es nachhaltig ge- vist_innen und dadurch immer wieder neue vestor_innen und Geschäftspartner_innen schafft, ein öffentliches Bewusstsein zu schaf- Kraft, das Hauptziel weiter zu verfolgen. von HLS einzuschüchtern. In anderen Be- fen für die rund 70 Tausend Tiere, die hinter wegungen legt man Wert auf die Netiquette, Stacheldrahtzäunen weggesperrt und in La- Während eine Person sich leicht unbedeu- damit man nicht zu extrem wirkt – für SHAC boren von HLS jährlich zu Tode gequält wer- tend vorkommen kann bei einer „Latsch- war es gut: Je extremer und unberechenbarer den. Dennoch wurden andere Organisationen demo“ mit abstraktem Ziel, kann beispiels- sie erschienen, desto besser. aus der Tierbewegung gegen sie aufgehetzt weise jemand Aktives bei einer kleinen, aber Das war allerdings auch die Achillesferse: Die oder bashten sie gerne von sich aus. effektiven Home-Demo etwas ganz anderes SHAC-Organisator_innen waren sehr an- Viele Gruppen aus dem Bereich „Tierschutz empfinden. So wurde insgesamt der Tier- greifbar; es war ein Leichtes, sie als Vertreter_ und Tierrechte“ kritisierten die SHAC-Kam- rechtsprotest radikalisiert, denn es kann sich innen von „terroristischen Organisationen“ pagne. Solche Aktionen des Zivilen Unge- schnell ein Gefühl der kollektiven Macht für Jahre wegzusperren und mundtot zu ma- horsams und Akte der Direkten Aktionen entwickeln, wenn beispielsweise an einem chen. Der Zeitpunkt der besonders krassen würden das Bild von Tierschützer_innen ins Nachmittag ein HLS-Zulieferer einknickt. Sabotageakte war auch denkbar ungünstig – unrechte Licht rücken und letztendlich der Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl war gerade als es zu den 9/11-Anschlägen kam, „Sache der Tiere“ schaden. Auch wird von stark – das Laufen im Schwarzen Block vor verzichteten SHAC-Sprecher nicht darauf, Kritiker_innen angeführt, dass HLS sich an HLS-Unternehmen, das Vor-der-Polizei- auf die Wichtigkeit von Direkten Aktionen die britischen Tierschutzgesetze halte. Wür- Flüchten, gemeinsam inspirierende Reden zu hinzuweisen, um das Ziel zu verfolgen. de das Unternehmen geschlossen, würden die hören, Parolen in Megafone zu rufen, die Be- Dennoch – die SHAC-Kampagne schaff- Testlabors in andere Länder verlagert werden, richte von anderen Aktiven zu lesen... All das te es über viele Jahre, die Dynamik aufrecht die weniger strenge Gesetze haben. Kritisiert kann einer_m das gute Gefühl geben, auf der zu erhalten, bis schließlich die Repression in werden zudem Spendensammlungen durch richtigen Seite zu stehen und vor allem, einen vollem Umfang zuschlug. Im Gegensatz zu SHAC, da die Organisation nicht als gemein-

40 | TIERBEFREIUNG 84 Repression

nützig anerkannt ist und die Verwendung dieser Spen- Verfassungsschutzbericht den nicht kontrolliert werden könne. Vermutlich war ein Hauptgrund, SHAC nicht zu mögen, dass einige 2013 erschienen Spenden von eher bürgerlichen Sympathisant_innen komplett wegbrachen und andere Spenden umzogen. Köln. Am 18. Juni veröffentlichte das Bundesamt für Ver- fassungsschutz (BfV) seinen Jahresbericht 2013. Die Tier- Nicht nur, dass sich Mitglieder von Tierschutzverei- rechts-/Tierbefreiungsbewegung spielte bisher keine Rolle nen von SHAC distanzieren mussten – es gab zudem in den Berichten oder wurde bestenfalls am Rande erwähnt. Verbote an die eigenen Leute, mit SHAC-Aktiven Im Bericht 2013 werden Bemühungen für Tiere nur im zu verkehren, jene wurden auch nicht auf Veranstal- Kontext des Themas „Rechtsextremismus“ genannt. tungen geduldet, eher radikalere Redner wurden von bestimmten Konferenzen ausgeschlossen... Derartiges Für den Verfassungsschutz (VS) ist die Tierrechts-/Tierbe- Verhalten gipfelte 2008 darin, dass Organisationen freiungsbewegung nach eigenen Angaben nicht relevant. Das wie Humane Society of the United States (HSUS) qua- geht zum einen auf Niedersächsischer Landesebene aus An- si ein Kopfgeld auslobten – es wurden 2.500 Dollar gaben des Verfassungsschutzes über das Innenministerium geboten für Hinweise zur Ergreifung von militanten hervor, aber auch aus Aussagen von Pressevertreter_innen, Tierrechtler_innen. Das FBI hat sich über diese Zu- zu denen die tierbefreier e.V. in den letzten Monaten Kontakt sammenarbeit sehr gefreut. PETA stoppte bereits hatten. Diese hatten Probleme, Interviews mit der Polizei 1999 jede Zusammenarbeit gegen HLS, als mit recht- oder dem VS zu bekommen, weil sich keine Behörde für das lichen Schritten gedroht wurde. Thema zuständig fühlte. Diese Aussagen erscheinen durch- aus glaubhaft, da die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung Die Kehrseite der Medaille nicht als verfassungsfeindlich einzustufen ist. Selbst für den Trotz aller möglichen Maßnahmen, die Aktivitäten Polizeilichen Staatsschutz, also die politischen Kommissariate von SHAC einzudämmen (wie beispielsweise Abschot- der Kriminalämter, spielt der Bereich „Tierschutz“ unter den ten aus der Tierbewegung, Herunterfahren der Web- „politisch motivierten Straftaten“ eine geringe Rolle, weil der seiten und Newsletter, Kriminalisierung und Repressi- gesamte verursachte Sachschaden weit unter dem anderer teils on), musste die größte Keule herausgeholt werden, die militant agierender Bewegungen liegt. Das Fehlen der Bewe- es überhaupt gibt: neue Gesetze. Und zwar gegen be- gung in den Berichten unterstreicht dies. stimmte Formen des Protestes wie Home-Demos und gegen Tierschutzaktivismus allgemein. Dies gipfelte Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Straf- in den USA mit dem Prozess gegen die so genannten verfolgung in Einzelfällen immer wieder die Rechte unbetei- SHAC 7: sechs Organisator_innen und die SHAC USA ligter Menschen massiv beschränkt. Unzureichend gerecht- Corporation selbst. Den Angeklagten mussten über- fertigte und daher erfolglose Hausdurchsuchungen, jüngste haupt keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten Anquatschversuche sowie ein Spitzel im Herzen einer Tier- nachgewiesen werden – es reichte, dass sie in Verbin- rechtskampagne belegen dies. dung mit der SHAC-Kampagne standen. Das schlimm- ste Nachweisbare waren schwarze Faxe, die verschickt Im aktuellen Bericht finden sich auf den Seiten 67 und 130 worden waren. Die Verfolgungen und Verhaftungen bis 132 „Tierschutz“-Erwähnungen – ausschließlich im gingen weiter – weltweit. Die Gesetze verschärften sich Kontext „Rechtsextremismus“. Insgesamt wird erneut darauf überall, die Repressionen wurden immer härter. hingewiesen, dass rechte Gruppierungen gesellschaftliche Diskurse und Bewegungen zum Transport ihrer Ideologie Neue Fronten instrumentalisieren. Dazu heißt es auf Seite 132: „Rechtsex- Die SHAC-Kampagne war mehr als zehn Jahre lang tremisten knüpfen in ihrer Agitation an den Protest bekann- sehr aktiv und hat erfolgreich mehr als ein Zittern in ter Tierschutzorganisationen an, indem sie im Internet oder der Tierversuchsbranche erzeugt. Doch die struktu- auf Flugblättern auf deren Stellungnahmen verweisen und so rellen Gegebenheiten der globalen Tierausbeutung eine Seriosität vortäuschen.“ Laut VS-Bericht gab es in Süd- ändern sich – und mit ihnen die Gesetze, die diese zu deutschland verstärkt Neonazi-Tätigkeiten für Tiere. Konkret schützen sucht. Nun wird es erst einmal darum gehen werden nur Demos gegen die Wildtierhaltung in Zirkussen müssen, sich strategisch weiterzuentwickeln. Nach sowie ein „nationales Themenflugblatt“ aus dem Umfeld von dem ungeheuren Anstieg von Repressionsaktivitäten „Freies Netz Süd“ genannt. Nicht eindeutig scheint im Be- gegen Tierrechtler_innen ist es nun an der Zeit, neue richt, wie die Tierschutz-Bemühungen von Neonazis bewertet Taktiken zu entwickeln. Vor allem ist es wichtig, ein werden. Einerseits heißt es, Neonazis würden stets betonen, Solidaritätsnetzwerk aufzubauen. Auch wenn die dass ihre Ideologie nachrangig sei und es um den Tierschutz Kampagne für beendet erklärt ist: Der Kampf gegen gehen würde. Anderseits heißt es, der Tierschutz sei nur ein Tierausbeutung – bei HLS und überall – wird weiter- Mittel zum Zweck, also zum Transport ihrer Ideologie. gehen. Nicht gebrochen, sondern gestärkt! Viola Kaesmacher Andre Gamerschlag die tierbefreier e.V. Rechtshilfe

Quellen: Wikipedia, Time-For-Action-Videos auf YouTube, Quelle: www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfas- www.shac.net, www.crimethinc.com sungsschutzberichte/vsbericht-2013

DER ÖSTERREICHISCHE „TIER- SCHÜTZERPROZESS“ ENDET IN TEILWEISER NEUAUFLAGE ERNEUT MIT FREISPRÜCHEN. SECHS JAHRE NACH BEGINN DER REPRESSION GEGEN TIERRECHTLERINNEN FINDET DER SKANDAL DAMIT ENDLICH EIN JURISTISCHES ENDE.

TEXT UND FOTOS: ULF NAUMANN Repression

Jürgen Faulmann musste sich als erster der Angeklagten er- neut vor Gericht verantworten

m 21. Mai 2008 stürmten Sonder- einheiten der österreichischen Polizei insgesamt 23 Wohnungen von Tier- PROZESS AM 13. MAI 2014 rechtlerInnen in ganz Österreich, zehn Personen wurden für mehr als drei Monate in U- Im Prozess gegen Jürgen Faulmann ging es um eine Schweinebefreiung aus einer HaftA genommen. Erst im März 2010 kam es dann Massentierhaltung mit 400 Schweinen am 30./31. März 2008, bei der das Tor der zu einem mehr als ein Jahr dauernden Gerichts- Anlage und die Buchten geöffnet worden waren und die Schweine zum Teil auf die verfahren, österreichweit bekannt als sogenanntes umliegenden Wiesen gelangt sind. Faulmann habe sich an dieser Aktion beteiligt, Tierschützerverfahren, in dem den 13 Beschuldigten so der Staatsanwalt, und habe somit bei den Tieren Schmerzen, Stress und Hun- nicht nur einzelne Taten angelastet wurden, sondern ger verursacht sowie Sachbeschädigung durch das aufgebrochene Tor begangen. Bis allen gemeinsam auch die Bildung einer kriminellen auf eine Entlastungszeugin wurden keine Zeugen gehört, da die Zeugenaufnahme Vereinigung nach §278a des österreichischen Straf- in der Vorinstanz, also dem mehr als ein Jahr dauernden Hauptverfahren, ausführ- gesetzbuches. Im Mai 2011 wurde schließlich das lich genug gewesen seien. Insbesondere ging es um die Aussage des persönlichen Urteil gefällt, in dem alle Angeklagten von sämt- Tierarztes des Schweinezüchters sowie zweier Stellungnahmen von Amtstierärz- lichen Vorwürfen freigesprochen wurden. Das wollte ten aufgrund von vorgelegtem Fotomaterial. Der Schweinezüchter hatte behauptet, die Staatsanwaltschaft nicht auf sich beruhen lassen, dass tote Schweine (Fotos von ihnen waren unter anderem einer anonymen Beken- immerhin hatte der Einsatz der SOKO, die 2006 ge- nungsmail zur Befreiung beigefügt gewesen) sowie Verletzungen der Tiere auf die gründet worden war, Millionen an Euro verschlung- Befreiung zurückzuführen seien. Der persönliche Tierarzt des Züchters hatte aus- en. Sie ging wegen Einzeldelikten in Berufung, so gesagt, die Schweine hätten „Fundamentsverletzungen [Anmerkung: Verletzungen dass die Angelegenheit für fünf der ehemals 13 An- der Füße und Beine] sowie leichte äußerliche Verletzungen“ gehabt, vorher habe er geklagten weiterging, auch wenn der Hauptvorwurf „noch nie“ Verletzungen bei den Tieren festgestellt. Der langjährige Tierarzt eines des §278a fallengelassen worden war. Die Beschwer- Massentierhaltungsbetriebs will noch nie Verletzungen an den Tieren festgestellt den gegen die Berufung wurden abgewiesen, das haben? Eines Betriebes, der eine Haltungsform hat, bei der in jedem Betrieb re- Oberlandesgericht verwies die Angelegenheit erneut gelmäßig Tiere allein aufgrund der Haltungsbedingungen zu Tode kommen? So an das Landesgericht Wiener Neustadt, so dass nun sagten auch die beiden Amtstierärzte aus, dass die erwähnten Verletzungen genauso Mitte bis Ende Mai 2014, also sechs Jahre nach gut durch die Haltungsbedingungen zustande kommen können. Interessanterweise Beginn des Martyriums für die Angeklagten, drei sagte auch der Anwalt des Schweinezüchters, der beim Prozess anwesend war, dass weitere Verhandlungen anstanden. Jürgen Faulmann niemand bestreite, dass es Schweinen im Mastbetrieb nicht gut gehe. Am Ende des wurde wegen Sachbeschädigung und Tierquälerei (!) knapp zweistündigen Prozesses fällte der Richter das Urteil: Freispruch. Er hielt es wegen einer Schweinebefreiung angeklagt, Sabine zwar für wahrscheinlich, dass Faulmann etwas mit der Aktion zu tun gehabt hat, je- Koch, Kevin K. und Christof M. wegen versuchter doch könne ihm weder Sachbeschädigung noch Tierquälerei nachgewiesen werden. schwerer Nötigung sowie Felix Hnat wegen ver- Die toten Schweine seien offensichtlich schon vor der Befreiung tot gewesen, da die suchter schwerer Nötigung, Sachbeschädigung und der Bekennungsmail beigefügten Fotos am Tage fotografiert worden seien und die Widerstand gegen die Staatsgewalt. Allen drei Pro- Befreiung in der Nacht erfolgt sei und am nächsten Morgen bemerkt worden sei. zessen saß der gleiche Richter vor, Erich Csarmann, Die Verletzungen könnten nicht der Aktion zugeordnet werden, und ein Vorsatz der aber jeweils unterschiedliche StaatsanwältInnen. Tierquälerei sei dem Angeklagten erst recht nicht zuzuordnen.

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Die Staats- anwältInnen in den Prozessen gegen Felix Hnat, Jürgen Faulmann und die drei BAT- AktivistInnen (v.l.n.r.)

PROZESS AM 19. MAI 2014

Sabine Koch, Christof M. und Kevin K. sollen versucht haben, Kleider es sich so zugetragen hätte, wie von Firouz zuletzt angegeben, die Be- Bauer durch die Ankündigung und Durchführung von Dauerde- weisaufnahme hätte aber anderes ergeben. Sie sei in eine Demonstra- monstrationen im Rahmen einer Anti-Pelz-Kampagne schwer mit tion hineingefahren und habe deshalb stoppen müssen. Es habe kein wirtschaftlichem Schaden zu nötigen sowie das Auto der Pressespre- Kommando gegeben: „Umzingelt das Auto!“, aber wenn man in eine cherin des Konzerns, Marjan Firouz, bei einer Demonstration vor der Demonstration hineinfahre, könne es auch vorkommen, dass an das Kleider-Bauer-Firmenzentrale in Perchtoldsdorf umzingelt, auf es Auto geklopft werde. Direkt nach dem Vorfall habe sie bei der Polizei eingeschlagen und durch drohendes Verhalten mit Sachbeschädigung den Vorfall nur beiläufig erwähnt, sie sei leicht verängstigt gewesen, gedroht zu haben. Sabine Koch wird ebenfalls vorgeworfen, als Akti- eine Arbeitskollegin habe ausgesagt, es sei ihr unangenehm gewesen. onärin bei einer Aktionärsversammlung von Escada in Deutschland Nachdem sie mit ihrem Chef [Anmerkung: Werner oder Peter Graf, während einer Rede mit einer Kampagne und somit Vermögensbe- beide sind die Geschäftsführer von Kleider Bauer] gesprochen habe, schädigung gedroht zu haben, für den Fall, dass Escada nicht aus dem habe dieser die SOKO informiert (die ja gemeinsam mit den Grafs Pelzhandel aussteige, und dadurch den Versuch einer schweren Nöti- 2006 gegründet worden war, um der Kampagne gegen Kleider Bauer gung vorgenommen zu haben. ein Ende zu setzen) und ausgesagt, Frau Firouz sei „schwer terrorisiert“ und „außer sich“ gewesen. Graf (nicht Firouz) habe dann Anzeige er- Nach der Anklage und den Stellungnahmen der VerteidigerInnen stattet. Am Abend desselben Tages sei Firouz dann von der SOKO be- wurden die Angeklagten einvernommen. Als einzige Zeugin war die raten worden. Nach der Beratung sei sie dann am nächsten Tag wegen Kleider-Bauer-Pressesprecherin geladen, ansonsten wurde sich auf der Anzeige einvernommen worden. Im Gegensatz zu ihrem Gespräch zusammengefasste Verlesungen von Zeugenaussagen aus der ersten mit der Polizei am Vortag hätte sie nun auf einmal angegeben, sie sei Instanz beschränkt. Frau Firouz erschien jedoch unentschuldigt nicht. in große „Furcht und Unruhe“ versetzt worden [Anmerkung: bei der Nach den Abschlussplädoyers wurde dann nach zweieinhalb Stunden Formulierung handelt es sich um den genauen Wortlaut des Gesetzes, das Urteil gefällt: Freispruch für alle drei Angeklagten. Die angekün- was bereits den Einfluss der „SOKO Beratung“ am Vorabend zeigt], digten Demonstrationen gegen Kleider Bauer und die Ankündigung auf das Auto sei eingeschlagen worden. Und in der Hauptverhandlung einer Demonstrationskampagne gegen Kleider Bauer und Escada mehr als zwei Jahre später habe sie angegeben, dass sie Todesangst ge- seien keine versuchte Nötigung. Zwar habe die in der Escada-Rede er- habt hätte, dass heftig auf das Auto eingeschlagen worden sein soll und wähnte Kampagne gegen Peek&Cloppenburg auch illegale Aktionen dass „große vermummte Personen“ gedroht hätten, mit Steinen auf das beinhaltet, damit habe Koch aber nicht gedroht, und es sei aus den Ak- Auto zu werfen. Je länger der zeitliche Abstand zu der vermeintlichen ten ersichtlich, dass nicht automatisch davon auszugehen sei, dass der Tat, desto dramatischer sei die Schilderung geworden [die Anwälte Escada-Vorstand von illegalen Aktionen gegen Peek&Cloppenburg hatten auch angeführt, dass es immer heiße, aus psychologischer Sicht gewusst habe. Erst die österreichische SOKO habe daraus einen sei die erste Aussage die Wichtigste, bei der sie den Vorfall nur bei- Nötigungsvorwurf konstruiert. Was jedoch die Ankündigungen von läufig erwähnt hat], das sei sehr ungewöhnlich und nicht glaubhaft Demonstrationen angeht, so sei es schlicht denkunmöglich, dass das und als Hünen (Stichwort „große vermummte Personen“) könne man Aufklären mündiger KonsumentInnen für sich selbst gesehen einen die Angeklagten vor ihm sicher auch nicht bezeichenen. In den Akten Schaden darstellen kann. Zwar könnten die Angeklagten hoffen, dass sei auch von Sachbeschädigung durch das Einschlagen aufs Auto die es zu einem Umsatzrückgang kommt, aber dies heiße nicht, dass man Rede, das Auto sei von der SOKO aber penibelst untersucht worden, tatsächlich einen großen Einfluss auf einen Umsatzrückgang habe, wie und es sei nicht die kleinste Delle oder auch nur ein Kratzer entdeckt beispielsweise eine Gewerkschaft, die Millionen von Mitgliedern zu worden. Bei einem Einschlagen oder gar heftigem Einschlagen auf ein etwas Konkretem aufrufen kann. Auch eine etwaige Schadensfreude Auto könne man aber zumindest kleine Dellen erwarten. Kochs Fin- über illegale Aktionen sei strafrechtlich nicht relevant. gerabdrücke seien zwar gefunden worden, wenn man aber mit dem Auto in eine Demonstration hineinfahre, womit man die Demons- Zu Perchtoldsdorf 2008 führte der Richter aus, dass sich dort nichts trantInnen auch gefährde, könne man damit rechnen, dass an das Auto Strafrechtliches abgespielt habe. Zwar wäre es solches gewesen, wenn geklopft oder sich drauf abgestützt werde.

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Rechtsanwalt Bischof (o. r.), Verteidiger der BAT-AktivistInnen, und Felix Hnat, Obmann der Veganen Gesellschaft Österreich (u. r.), geben Interviews

„Freispruch in allen Punkten. Ich bin PROZESS AM 27. MAI 2014 sooo erleichtert und gleichzeitig so fassungslos, dass so ein Prozess Felix Hnat soll versucht haben, die Firmen Fürnkranz und Kleider Bauer „durch Dro- hung mit Verletzung des Vermögens zu Unterlassungen [des Pelzhandels] genötigt überhaupt stattfinden hat können! zu haben“, indem er den Firmen und Mitarbeitern Emails schrieb, mehrmals anrief 6 Jahre meines Lebens hat er mich und eine Kampagne ankündigte, sollten sie nicht aus dem Pelzhandel aussteigen. begleitet. Das war ein Prozess, der Außerdem wurde ihm Sachbeschädigung vorgeworfen und zwar einmal durch das Zerschneiden von Plakaten einer „Reptilienmesse“ und einmal durch das Einwer- von Anfang an darauf abgezielt hat, fen eines Fensters an einem Tagungsort einer rechtsradikalen Gruppierung mit zwei eine dynamische, vielseitige und sehr Steinen. Auf einem der Steine war seine DNA sowie die zweier weiterer unbekannter erfolgreiche Bewegung wie die Tier- Personen gefunden worden. Zudem soll er mit Gewalt Widerstand gegen Polizis- tInnen im Rahmen einer Festnahme nach einer Aktion gegen eine Pelzmodenschau rechtsbewegung zu kriminalisieren und begangen haben. Existenzen zu zerstören. Mit soviel Solidarität, kritischer Öffentlichkeit Nach der Anklage und dem Eröffnungsplädoyer des Verteidigers begann die Befra- gung des Angeklagten. Als Zeugen waren Peter und Werner Graf, die beiden Ge- und weltweiter Empörung haben sie schäftsführer von Kleider Bauer, geladen. Auf weitere Zeugenvorladungen wurde nicht gerechnet.“ verzichtet, statt dessen wurden Aussagen aus dem ersten Rechtsgang verlesen. Auch Sabine Koch nach dem Freispruch in diesem Verfahren kam es nach fünfstündiger Verhandlung zu einem Freispruch in allen Punkten. Zum Vorwurf der Nötigung durch Ankündigung einer Kampagne gegen die genannten Firmen sei auf die Begründung des Prozesses am 19. Mai ver- wiesen, die in den Hauptpunkten für den Freispruch sehr ähnlich war. Bezüglich der Sachbeschädigung an den Plakaten gäbe es weder Hinweise noch Belege. Was die eingeworfene Fensterscheibe angeht (Hnat hatte angegeben, dass er einen Stein zur Selbstverteidigung bei sich gehabt habe, da er und eine Bekannte sich auf dem Weg zur Demonstration von seines Erachtens feindlich gesonnenen Personen bedroht ge- fühlt hätten, die Steine hätte er dann am Ort der Demonstration gegen die rechtsra- dikale Gruppierung abgelegt): Man habe eine eingeworfene Fensterscheibe und zwei Steine, auf einem sei die DNA des Angeklagten sowie weiterer Personen. Das sei je- doch alles, was an objektiven Informationen vorläge. Man könne nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit feststellen, dass es der Angeklagte war, der den Stein durch das Fenster geworfen hat. Die Entlastungszeugin, die Hnats Aussage bestätigt hat, sei nicht unglaubwürdig. Bezüglich des Widerstands gegen die Staats- gewalt hatten die beiden Polizisten, die Hnat abgeführt hatten, entgegengesetzte Aus- sagen gemacht. Der eine Polizist habe angegeben, Hnat hätte sich aus einem festen Griff gelöst, sich umgedreht, beide Polizisten gestoßen und sei dann weggerannt. Der andere Polizist könne all das nicht bestätigen. Da der belastende Polizist überfordert und persönlich verärgert schien und es unwahrscheinlich sei, dass wenn jemand weg- rennen wolle, er sich erst umdreht, beiden Polizisten einen Stoß verpasst und dann erst wegrennt, sei die Version unglaubwürdiger als die des anderen Polizisten.

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Erleichterung und Zorn

Allen Angeklagten an den drei Prozesstagen war eine große Erleich- terung nach den Freisprüchen anzumerken, die eine oder andere Träne floss. Da die Staatsanwaltschaft keine Erklärung nach dem Urteil ab- gab, musste allerdings erst die Frist von drei Tagen abgewartet werden, ob sie gegen das Urteil angeht, was aber bei allen Urteilen dann nicht der Fall war. Die Erleichterung nach den Freisprüchen ist aber nur ein schwacher Trost für die ehemals Angeklagten. Exakt sechs Jahre hat es gedauert, bis sie schlussendlich in allen Punkten rechtskräftig freigesprochen wurden. Zunächst mehr als drei Monate Untersu- chungshaft, danach mehr als zwei Jahre warten und vorbereiten auf einen Mammutprozess, der seinesgleichen sucht. Dann der Hauptpro- zess von mehr als einem Jahr Dauer, der mit einem Freispruch endete. Danach langes Warten auf das schriftliche Urteil, die Berufung der Staatsanwaltschaft, Beschwerde dagegen beim Oberlandesgericht, das den Fall zurück an das Landgericht Wiener Neustadt gegeben hat. Dann das Warten, bis endlich ein Richter für die teilweise Neuauflage des Verfahrens gefunden worden war. Dann erneut vorbereiten auf die neuen Prozesse und schließlich auch dort Freisprüche. „Ich bin sehr erleichtert, aber auch zornig“, sagt Sabine Koch nach dem Freispruch auch in diesem Verfahren. Die letzten sechs Jahre habe das Verfahren ihr Leben bestimmt, ein normales Leben sei kaum möglich gewesen.

Rechts: Sabine und Christof nach der Verhandlung Unten: Richter Csarmann

Schadensersatz?

Man fragt sich, wie es sein kann, dass die Angeklagten sechs Jahre in den Mühlen der Justiz gefangen sind und es in dem Hauptverfah- ren und den Nebenverfahren durch die Reihe Freisprüche gibt. Eine wildgewordene SOKO hat hier durch den §278a, Bildung einer krimi- nellen Vereinigung, ein Monster an die Wand gemalt und versucht, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, um (vermeintlich) irgendet- was gegen die Angeklagten in der Hand zu haben. Die Rede von Koch als Aktieninhaberin bei der Aktionärsversammlung von Escada hat aus strafrechtlicher Sicht niemanden in Deutschland, wo die Versamm- lung stattfand, in irgendeiner Weise interessiert. Die vermeintliche Nötigung der Pressesprecherin war für sie erst eine Nebensächlich- keit und wurde dann durch den Drill der SOKO zu einem terrorar- tigen Überfall. Diese Eskalationsstrategie läuft wie ein roter Faden durch die gesamte SOKO-Arbeit seit 2006. Immerhin wurde 2013 der §278a in Österreich abgewandelt. Der Zusatz „oder erheblichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft“ wurde in der Definition des Straf- tatbestands einer kriminellen Organisation gestrichen. Dadurch soll verhindert werden, dass der Paragraph missbräuchlich zur Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verwendet werden kann. Das nützt den ehemals Angeklagten jedoch wenig. Für die knapp drei- einhalb Monate Untersuchungshaft bekommt jeder rund 10.000 Euro Haftentschädigung. Die Chance, weitere Schadensersatzforderungen durchzubekommen, schätzen die Anwälte der ehemals Angeklagten als sehr gering ein, und es ist mit einem hohen Kostenrisiko verbun- den. Deshalb wird vermutlich kaum jemand über die bloße Forderung hinaus prozessieren.

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Doppelrezension Metamorphosen/Tiere und Tod Tierstudien 04/2013 und Tierstudien 05/2014

Tierstudien 4 Tierstudien 5

Neun Beiträge zu dem Thema „Metamorphosen“ sind in den Tier- Die bedeutsamste Frage, der in den Tierstudien 5: Tiere und Tod nachge- studien 4 erschienen. Die Mehrzahl dieser Beiträge behandelt dabei gangen wird, lautet sicherlich: „Können Tiere sterben?“. Was zunächst literarische Themen, die schwerpunktmäßig stets auf Ovids Meta- wie eine rhetorische Frage oder eine Banalität klingt, erhält besonderes morphosen zurückgreifen. Die ersten Artikel sind entweder kunst- Gewicht aufgrund des anthropozentrischen Standpunktes einiger historisch oder literaturwissenschaftlich relevant und untersuchen Philosoph_innen, allen voran Heideggers, der den Tieren ein Sterben verschiedene Ausprägungen von Verwandlungen. ab- und stattdessen ein Verenden zusprach. Auf diese Weise perpetu- Hauptsächlich geht es dabei um die Verwandlungen des Körpers iert Heidegger und jene, die ihm anhängen, die Mensch-Tier-Grenze von einem Menschen in ein Tier oder umgekehrt, dazu gehört auch aufgrund einer Differenzierung der Art des Ablebens. die Verwandlung der Sprechfähigkeit/der Stimme. Die Sprache Der Beitrag von Christian Sternad befasst sich mit dem Tod des Tieres (logos) definiert die Grenze zwischen Mensch und Tier (Seite 25). aus phänomenologischer Sicht. Er zeigt das Problem auf, dass die Phä- Die Stimme (phoné) hingegen nicht, sie verbindet den Menschen nomenologie anthropozentrisch ist und daher nicht im Stande sei, ge- eher mit dem Nichtmenschen, anstatt die Speziesgrenzen aufrecht rechtfertigt den Tod der Tiere zu beschreiben, gleichzeitig ihnen aber zu erhalten. Der Entzug der Sprache oder Sprechfähigkeit kam in auch ein Empfinden daher abspricht. Dennoch ist der Tod eines Tieres antiken Vorstellungswelten einer Entmenschlichung oder Vertierli- bedeutsam, wie aus dem Mit-Sein hervorgeht. Die Stärke des Artikels chung gleich und galt als Strafe der Götter. Kári Driscoll zeigt, wie liegt im Fazit, das eine Verantwortung der Philosophie heraufbeschwört, mit diesem Thema in Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ sich dem Thema zu widmen und nicht die Augen zu verschließen vor gespielt wird. dem Sterben der Tiere in den Schlachthöfen, Tierversuchslaboren und anderen verborgenen Orten. Der Artikel Martin Huths greift die The- Bei diesen nicht-bewegungsrelevanten Beiträgen1 wird deutlich, matik auf. Durch die Erfahrung/das Leben und insbesondere durch das dass Vermischungen, Mischwesen, Metamorphosen die Mensch- Auftreten des „Anderen“ und dem Erwidern des Blickes ist eine Aus- Tiergrenze verwischen und sie auflösen. Die Durchbrechung dieser einandersetzung mit dem Sterben der Tiere notwendig. Tod und Ver- Grenze zwischen den Spezies wird in den Beiträgen von Alexandra letzlichkeit dürfen nicht ausgesperrt und verschleiert werden, sondern Böhm und Markus Kurth thematisiert. sie müssen offen gemacht werden, da sie sich ohnehin nicht auslöschen Böhm analysiert vor dem Hintergrund Donna Haraways Konzept lassen (Traumata bei Schlachthofmitarbeiter_innen). Es ist Recht und des ntanglements, einer transformierenden Interspeziesbeziehung, Pflicht des Bürgers, den Tod des Anderen wahrzunehmen, um eine Er- den Roman Bear der kanadischen Autorin Marian Engel. Das Be- greifung der Verantwortung erst zu ermöglichen. wegungsrelevante dieses Beitrags ist die Vorstellung Haraways Kon- Nicht bewegungsrelevant, aber einen Einblick darin, wie sich die Ver- zepts der Begegnung zwischen den Spezies. Dieses Konzept, das schiebung der Einstellung zum tierlichen Tod im Laufe der Geschichte interessante Ansatzpunkte für die Erforschung von Mensch-Tier- verändern kann, zeigt Theresa Eisele, die sich mit der Corrida beschäf- Begegnungen darstellt, kann hier nur angerissen werden. In ver- tigt. Ursprünglich ein paganes Ritual, das auf der iberischen Halbinsel schiedenen Beiträgen, wie dem Companion Species Manifesto (2003), in der frühen Neuzeit zu einem Volksfest in den Straßen der Innenstadt versucht Haraway die Grenzziehung zwischen Mensch und Nicht- wurde und durch das ausgelöste Chaos/die Unordnung von der Elite mensch zu überwinden. Schlüsselbegriffe sind dabei Haraways Neo- abgelehnt wurde – nur der berittene, also von der Oberschicht durch- logismen companion species – nicht zu verwechseln mit companion geführte, Stierkampf galt zu der Zeit als ehrenhaft, wurde zunächst animals – und becoming-with (Werden-Mit), also einer Konzeption der Matador inszeniert, der stellvertretend für die Masse kämpfte und eines beständigen, unaufhörlichen Aneinander-und-miteinander- die Kämpfe aus der Innenstadt in die außerhalb der Städte gelegenen Lebens und -Werdens, einer Konzeption schließlich, die das traditio- Arenen verlagert. Aus einer wilden Hatz wurde ein zeitlich getaktetes, nelle Subjektdenken der westlichen Philosophietradition ebenso sehr angeblich perfektioniertes Töten der Stiere in den Arenen. Dass der in Frage stellt wie die Speziesgrenzen. Stierkampf von der spanischen Regierung als immaterielles Kulturgut Ein weiteres Werkzeug zur Erforschung der Mensch-Tier-Verhält- angesehen wird, unterstreicht den politischen Charakter, den dieses nisse behandelt Markus Kurth. Er stellt das Konzept des Tier-Wer- Töten angenommen hat. dens vor und bezieht sich dabei auf Arbeiten von Gilles Deleuze und Ebenfalls Morde von politischer Tragweite waren die sogenannten Félix Guattari. Das Tier-Werden wird von Kurth verstanden als Af- Leopardenmorde in Afrika, die zur Zeit der Kolonisation aufkamen. fekttheorie, als widernatürliche Anteilnahme, die in einer Lossagung Dieser Thematik widmet sich Stephanie Zehnle. Für die Bewegung des Anthropozentrismus münden kann. liefert dieser Artikel jedoch wenig Impulse, außer vielleicht, dass die Macht über den Leoparden mit der Macht über die Wildnis/Natur Die Auflösung der Speziesgrenze, ob nun durch ein Tier-Werden gleichgesetzt wurde, ein Motiv, das hintergründig auch heute bei der oder durch ein Werden-Mit, vermag sicherlich die Sichtweise auf die Zähmung/Vorführung und Jagd auf Wildtiere eine Rolle spielt. Mensch-Tier-Verhältnisse maßgeblich zu verändern und dadurch Die Artikel von Kai Artinger und Jan Henschen zeigen auf, wie Bilder auch die Ontologie der Gesellschaft. und Filme, also auch moderne Werbung und andere öffentliche Lob- byarbeit, für propagandistische Zwecke genutzt werden können. In-

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haltlich beziehen sie sich einerseits auf die sozialdarwinistisch inspirierten Tierkampfbilder des 19. Jahrhunderts, die vor allem in Deutschland sehr Kulturtermine beliebt waren und Artgenossen im Kampf zeigen und damit die Unterle- genheit des Schwächeren naturalisieren. Im Kontext einer ausbeuterischen Ausstellungsreihe we, animals. kapitalistischen Praxis ein Paradebeispiel. Jan Henschen zeigt auf, wie die Künstlerische Positionen zu Mensch- Filmindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Tier und insbesondere Tier-Verhältnissen die Jagd auf Tiere instrumentalisierte. Trotz einer Anklage wegen Tierquä- lerei wurde ein Film über eine Löwenjagd zu einem großen Erfolg. Hier we, animals – scenarios offenbart sich einmal mehr das ambivalente Verhältnis, das die Gesellschaft mit Arbeiten von Neozoon, Lissette Olivares & den nichtmenschlichen Tieren entgegenbringt, welches aus Haustier und Cheto Castellano, Lucy Powell, Uli Westphal Gefährte einerseits und Nutztier und Wildtier andererseits besteht. 10. bis 26. Oktober 2014 Nicht bewegungsrelevante Artikel sind der Artikel von Ariane Koller/Anna Vernissage: 9. Oktober, 19 Uhr Pawlak zu Walstrandungen in den Niederlanden der frühen Neuzeit und Meinblau Projektraum Berlin ihre Rezeption in Künstlerkreisen. Die bildhaften Darstellungen wurden www.meinblau.de auch für politische Zwecke missbraucht, da die Strandung eines so gewal- www.we-animals.de tigen Meeressäugetiers als böses Omen galt. Der aus dem Französischen übersetzte Beitrag von Éric Baratay geht der Sonderausstellung über Fliegen Methode einer Tiergeschichtsschreibung nach und verfolgt hierbei in erster im Naturkundemuseum Berlin Linie die Geschichte des Ersten Weltkrieges mit den tierlichen Protago- nisten Hund, Pferd und Brieftaube. (ms) Die Vielfalt der Körperformen und -funktionen Melanie Augsteins Artikel geht den Tierdeponierungen (Grab, Opfer, von Fliegen, ihrer Entwicklungsstadien, Fähigkeiten Beigabe) im archäologischen Kontext nach. Die Deutungen sind sehr (manche können die optischen Signale von mehr als traditionell und bescheinigen den tierlichen Beigaben symbolischen oder 1.000 Einzelaugen verarbeiten) und Arten (130.000 materialistischen Charakter. Das Tier als agens wird hier ausgeblendet, die bekannte Zweiflüglerarten) ist faszinierend und kann Co-Abhängigkeit von Mensch und nichtmenschlichem Tier wird hier nicht durch diese Ausstellung mit ihren Riesenbildern si- thematisiert und steht unter gänzlich anthropozentrischem Blickwinkel. cher vermittelt werden. Denn das Museum hat den Der Artikel von Ramona Sickert beschreibt die Geschichte und Rezep- Anspruch, Fliegen eher als unterschätzte Zeitgenossen tion der Eule als Nachtvogel, Unglücksbringer und Todesvogel. Auch der denn als Plagegeister vorzustellen. Beitrag von Jonathan Kassner ist nicht bewegungsrelevant und beschreibt Leider ist die Benutzung lebender Tiere für Museen anhand einer Lesung Kleists („Das Bettelweib von Locarno“) die Rolle üblich und ein immer noch sehr aktuelles Problem. des Hundes als Grenzgänger zwischen dem Leben und dem Tod – hier Da in der Ausstellung 20.000 Fliegen in zwei Volie- wird einmal mehr Heideggers Ansicht bemüht, dass Tiere nicht sterben, ren gefangen sein sollen, ist es wichtig, das Personal, sondern verenden und der Hund in der Erzählung daher auf der Schwelle möglichst den Kuratoren Uwe Moldryzk und die Mu- steht zwischen Jenseits und Diesseits. seumsleitung, zu kontaktieren und die Probleme zu be- nennen. Wenn nicht vor Ort persönlich, ist das auch Beide besprochenen Bände der Tierstudien sind vorbehaltlos zu empfeh- per Brief und Telefon möglich. len. Wenngleich nicht alle Beiträge relevant für die Tierbefreiungsbewe- gung sind, lassen sich zumindest zwischen den Zeilen Anregungen für Zeit: 16. August 2014 bis 15. Januar 2015 einen neuen Blickwinkel auf Mensch-Tier-Verhältnisse gewinnen. Die Ort: Naturkundemuseum Berlin, Invalidenstraße 43, vorgestellten bewegungsrelevanten Artikel können als Ausgangspunkt 10115 Berlin für weiterführende Diskussionen betrachtet werden und geben Hinweise www.naturkundemuseum-berlin.de auf eine Richtung, in welcher ein möglicher (politischer) Dialog geführt werden kann, mit dem Ziel, Menschen und Nichtmenschen zu befreien. Daniel Lau Fußnote: [1] Beiträge in Sammelbänden behandeln stets eine Vielzahl von Themen, die nicht alle bewegungs- relevant sein müssen. Für die TIERBEFREIUNG bespreche ich daher nur die für die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung relevanten Beiträge. Andere Artikel sollen dadurch hinsichtlich ihres wissen- schaftlichen Gehaltes nicht geschmälert werden.

Jessica Ullrich/ Jessica Ullrich/ Antonia Ulrich (Hrsg.) Antonia Ulrich (Hrsg.) Metamorphosen Tiere und Tod Tierstudien 04/2013 Tierstudien 05/2014 Neofelis Verlag Neofelis Verlag 156 Seiten, broschiert 198 Seiten, broschiert 12 Euro, als E-Book 11 Euro 12 Euro, als E-Book 11 Euro

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Rezension Am zwölften Tag Fleisch als Krimi

Der Politkrimi „Am zwölften Tag“ von Wolfgang Schorlau wird gerade für das Fernsehen verfilmt. Es ist ein Buch, das für Aufmerksamkeit gesorgt hat, sowohl in Bestsellerlisten als auch in der Tierrechtsszene. Behandelt wird als Kriminalstück die moralisch verkommene Welt der Fleischindustrie. Wolfgang Schorlau Am zwölften Tag Denglers siebter Fall Georg Dengler ist ein ehemaliger BKA-Mit- letzt Edmund Haferbeck und PETA. Daher KiWi Verlag arbeiter, der jetzt als Privatdetektiv tätig ist. mag auch das entstellte Singer-Zitat kommen, 2. Auflage 2014 Angestachelt von seiner Exfrau, nach seinem das dem Buch als Motto vorangestellt ist: „Für 341 Seiten, Taschenbuch achtzehnjährigen Sohn Jakob zu fahnden, der die Tiere ist jeden Tag Treblinka“ – zum Glück 9,99 Euro angeblich mit Freunden im Urlaub in Barcelo- folgen keine weiteren Shoa-Vergleiche. Gleich- na sein soll, entdeckt er nach und nach, dass Ja- wohl ist das Handlungszentrum nicht bei den kob ein Schattenleben führt und für eine fiktive „Kids“ zu finden, deren Gefangennahme nur Tierrechtsorganisation, die legal, aber heim- als Handlungsursache für den Detektiv Den- liche Videoaufnahmen von Missständen macht, gler dient. Erst als er nach und nach enthüllt, operativ tätig ist. Wie sich herausstellt, wurde womit sich sein Sohn beschäftigt, bekommen der Urlaub als Vorwand genutzt, um auf einer die Jugendlichen Handlungsmacht. Der Vater Putenmastanlage nachts Videoaufnahmen zu Dengler ist gezwungen, sich mit dem Video- machen. Zusammen mit seinen drei Freunden material aus bereits erfolgten Observationen wird Jakob gleich nach Erreichen der Puten- von Tierverladungen auseinanderzusetzen. Bis farm von Rockern entführt und eingesperrt. zum Ende des Buches wird er zwar nicht vegan, Die verdutzten Jugendlichen wissen nicht, wie aber immerhin setzt er sich mit dem Thema ihnen geschieht und überlegen hin und her, Essen und Fleisch auseinander, findet sogar bei wie sie sich aus ihrer Lage befreien können. sich selbst längst verdrängte Kindheitserinne- Gleichzeitig sucht Georg Dengler nach seinem rungen an eine traumatische Hausschlachtung Sohn und stellt Ermittlungen an, die ihn auch wieder. Wie Schorlau die vier Jugendlichen mit den Eltern der anderen Jugendlichen in beschreibt und ihren Werdegang zu Aktivisten Kontakt bringt. Gerahmt wird der Roman von präsentiert, zeugt von Einfühlungsvermögen. den zynischen Monologen des selbsternannten Innovativ ist auch die Figur Cem, ein Junge mit Hühnerbarons Carsten Osterhannes. Er ist die muslimischen Eltern, der mit seiner veganen graue Eminenz der Fleischindustrie und erzählt Lebensweise auf besondere Probleme gestoßen freimütig und menschenverachtend von den ist und aussagt, dass er vor seinem Vater mehr Tricks und Machenschaften innerhalb seiner Angst habe als vor den Rockern. Zunft; auch auf höchster politischer Ebene. Er hat die Rocker beauftragt, die Jugendlichen ge- Die Rocker sind in mehrdeutiger Weise un- fangenzunehmen, um sie für eine mörderische terentwickelt und bilden einen Schwachpunkt Anti-PR-Aktion zu benutzen. Ganz wichtig ist des Romans. Ihre antihumanistische Gesin- dem Autor auch die menschliche Komponente nung wird mit allen Klischees überdeutlich in Form von ausbeuterischen Arbeitsbedin- zum Ausdruck gebracht. Während der zwölf gungen, die er etwas holzschnittartig an zwei Tage auf der Putenmastanlage saufen sie palet- rumänischen Nebenfiguren vorführt. Der Titel tenweise Bier, wollen ständig Laura, das weib- „Am zwölften Tag“ bezeichnet die Dauer der liche Mitglied der Jugendlichen, vergewaltigen, Handlung und gibt die Kapiteleinteilung vor. schwingen Fahrradketten, ballern mit Maschi- Der zwölfte Tag gipfelt in einem unerwarteten nenpistolen und gebärden sich wie absolute und höchst grausigen Mord. Vollprolls. Als es zu einem Schusswechsel mit geprellten Osteuropäern kommt, wird Ron- Der Roman ist facettenreich und beleuchtet nie, einer der Rocker, tödlich getroffen. Als sie die Struktur der Fleischindustrie in seinen später den Leichnam wegschaffen, beugt sich vielen hässlichen Farben. Wolfgang Schorlau einer der Rocker „über den Toten und kotzt

Fußnote: hat intensiv recherchiert und gibt auch seine durch den Riss im Leichensack Ronnie mit- [1] www.schorlau.com/Laudatio auf Quellen preis; angefangen vom Fleisch-Atlas ten ins Gesicht“. Das ist grotesk, erfüllt aber Wolfgang Schorlau.htm bis zu Safran Foers Tiere essen und nicht zu- keine Funktion. Weder ist es lustig, noch ein

50 | TIERBEFREIUNG 84 Theorie

entlarvender Ernst – es ist schlicht überzeich- net. Auf der anderen Seite verhalten sich die Human-Animal Studies Rocker außerordentlich schlau. So kassieren sie die Handys der Jugendlichen ein, erpressen Termine die SIM-Codes und verschicken später nicht nur fingierte Nachrichten an die Eltern, son- 31. Oktober – 2. November 2014: Forschungswerkstatt des Chimaira Arbeitskreises dern haben sogar eine Fototapete vorbereitet, zum Thema tierliche Agency. Ein Sammelband mit den Ergebnissen ist für 2015 ge- auf der eine typische Ansicht aus Barcelona plant. Abstracts für Redebeiträge werden noch bis zum 15. August angenommen. zu sehen ist. Davor stellen sie die vier jungen Menschen und verschicken Bildnachrichten 15. – 16. Januar 2015: Radical Philosophy Conference zum ThemaAnimality und an die Eltern, um ihren wahren Aufenthalt zu kritische Tierstudien im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. verschleiern. Die tiefe Kluft zwischen primitiv und überlegt, gerissen macht aus den Rockern 6. Februar 2015: Tagung zum Thema Tiere unserer Heimat: Zur Auswirkung der SED- leblose Abziehbilder. Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR. Die Veranstaltung findet an der Technischen Universität Berlin statt, und bis zum 15. September 2014 In der Lobrede1 auf das Buch anlässlich der können noch Abstracts für Redebeiträge eingereicht werden. Verleihung des Stuttgarter Krimipreises 2014 wird das Werk im gleichen Atemzug genannt 29. – 30. März 2015: Tagung zum Thema Ökonomien tierischer Produktion. Mensch- mit Upton Sinclairs modernem Klassiker Der Tier-Beziehungen in industriellen Kontexten. Die Veranstaltung findet am Institut für Dschungel von 1906. Bei beiden Büchern gleich Europäische Ethnologie an der Universität Wien statt und Abstracts können noch ist das Thema des moralischen Verfalls durch bis zum 31. Oktober eingereicht werden. die Existenz von industriellen Mastanlagen. Wolfgang Schorlau verfolgt in seinen bislang sieben erschienen Dengler-Romanen stets eine Neuerscheinungen sozialkritische beziehungsweise gesellschafts- kritische Mission. Gleichwohl – und hier ist es Tierstudien 06 Tiere und Raum erscheint im September. Für Ausgabe 07 läuft noch vorbei mit den Gemeinsamkeiten zu Sinclair bis zum 1. August ein Call for Papers zumThema Zoo. – tritt er nicht für Sozialismus oder Systemän- derung ein. Es sind moderne Zeiten angebro- angekündigt für Juli 2014: Renate Brucker, Melanie Bujok, Birgit Mütherich, Mar- chen. Die Schlachthofszenen bei Sinclair lasen tin Seeliger, Frank Thieme (Hg.), Das Mensch-Tier-Verhältnis. Eine sozialwissen- sich als bedrohliche Mischung aus Faszination schaftliche Einführung. Springer. und Anklage an technische Beherrschung von Tieren, in denen sich der kraftvolle Mensch angekündigt für November 2014: Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.), Lexikon der beziehungsweise der Mann als Akkordar- Mensch/Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript. beiter noch behaupten konnte. Bei Schorlau fehlt die Faszination, Fakten beherrschen das angekündigt für Dezember 2014: Reingard Spannring, Karin Schachinger, Gabriela Geschehen. Die menschliche Kraft ist ein Kompatscher-Gufler, Alejandro Boucabeille (Hg.), Disziplinierte Tiere? Perspektiven Humankapital, das gnadenlos ausgeschöpft der Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen. Bielefeld: transcript. wird. Die Fleischindustrie macht nicht bei der restlosen Verwertung des Materials Tier Halt, Unter der Website www.archaeo-has.de entsteht eine archäologisch-historische sondern überträgt das Effizienzdenken auch Bibliographie zu den frühen Mensch-Tier-Verhältnissen. auf die menschlichen Arbeiter*innen. Schor- laus Kritik zielt auf die Großen, auf die Elite, die das System konstruiert haben und mit al- Vortragsreihe len Mitteln am Leben erhalten wollen. Nein, große Literatur wurde hier nicht geschrieben, Von Tieren und Menschen, Grenzen und Widerständen vielmehr aber solide Recherche betrieben und Neue Perspektiven auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse kein Aspekt ausgelassen. Ab dem 15. Oktober 2014: Das politische Potential des Veganismus jenseits des „Vegan Hype“, Von der Tierethik zur Tierpolitik – aber wie?, Gesellschaftliche Mensch-Tier-Ver- Für knapp zehn Euro ist das Buch auf jeden hältnisse in der DDR, Eine Recherche zum Tierbild in der Gestaltung von Zoogehegen Fall seinen Kauf wert. Das System Fleisch wird sowie Ein anthropozentrismus-kritischer Blick auf Arbeit und die Mensch-Tier-Grenze. faktenreich in all seiner Unmenschlichkeit und Alle Veranstaltungen finden im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin statt. Grausamkeit gegen Tiere hervorragend abge- Der Eintritt ist frei. bildet. Die Handlung besteht aus vielen ver- Weitere Informationen unter www.chimaira.human-animal-studies.de/vortragsreihe schiedenen Perspektiven, die geschickt inei- nander verzahnt sind. Zwar ist das Buch nicht unbedingt spannend, hilft vielleicht aber, we- niger sensibilisierte Menschen an das Thema Webportal für die Human-Animal Studies im deutschprachigen Raum: heranzuführen. www.human-animal-studies.de Tomas Cabi

TIERBEFREIUNG 84 | 51 Kultur

Rezension Veganismus zum Nachlesen

Da veröffentlicht ein bis dato in der veganen Szene Unbekannter im März 2014 mal eben ein über 600 Seiten dickes Buch mit dem schlichten Titel „Veganis- mus“ und wirft damit das umfassendste und detaillierteste Buch zu diesem Thema überhaupt auf den Markt. Christian Koeder, Jahrgang 1979, hat viel Zeit, gute Recherche und sicherlich auch einiges an Herzblut investiert, bis das Buch zu dem wurde, was es ist: eine Art „Bibel“ für Veganer_innen.

Christian Koeder Veganismus – Es geht um das, was den Veganismus ausmacht: ten. Ich kenne kein vergleichbares Buch, in dem Für die Befreiung die Tiere, die Situation der hungernden, ausgebeu- so viele Details angesprochen werden und die so der Tiere teten, versklavten Menschen, darum, was der Kon- gut durch namhafte Quellen abgesichert sind. Selbstverlag sum tierischer Produkte für die Erde beziehungs- Koeder geht im vierten Teil auf das Thema Refor- März 2014 weise die Umwelt bedeuten. Der seit 1997 vegan mismus versus Abolitionismus ein, verweist auf 674 Seiten lebende Autor entwirft eine gelungene Übersicht die ausbeuterische Sklavenhaltung (auch diese ist Taschenbuch über sämtliche Aspekte, die nur irgendwie mit Ve- noch nicht abgeschafft), führt diverse Aktivitäten 23,99 Euro ganismus und veganer Ernährung in Zusammen- an, die helfen können, den Veganismus zu verbrei- hang stehen. Allein die Quellenangaben im An- ten und widmet der ALF ebenso ein Kapitel wie hang umfassen 160 Seiten, alle wichtigen Themen dem zukunftsträchtigen Thema Laborfleisch. An- werden ausführlich behandelt. tispeziesismus wird erwähnt, der Student der Er- Wusstet ihr, dass die Anzahl der vegan lebenden nährungswissenschaften gibt aber auch Antworten Menschen für Deutschland (wie auch für andere darauf, ob man Wildtieren in der Natur helfen soll. Länder) anscheinend nicht bekannt ist? Will das mal jemand nachholen? Wem das ganze Buch zu viel an Lesestoff er- scheint, der möge einzelne Kapitel auswählen, das Das Buch, das in vier Kapitel unterteilt ist, beginnt ist problemlos möglich. An manchen Stellen fließt mit einem informativen Einstieg in die Geschichte Koeders eigene Meinung mit ein, man kann, man beziehungsweise mit einer Definition und einem muss aber nicht seine Ansichten teilen, der Quali- chronologischen Überblick. tät tut es keinen Abbruch, ob man ihm zustimmt Im zweiten Teil werden die Begriffe Tierrechte, oder nicht. Ich habe die Lektüre dieses „lexikon- Speziesismus und andere genau erläutert, es wer- haften“ Buches sehr genossen, habe durchaus da- den Zahlen zu sogenannten Schlachttieren an- zugelernt, mir bislang unbekannte Dinge erfahren geführt (unvorstellbar, aber dennoch eine gute und weiß, dass es nicht im Schrank verstauben Übersicht, wenn man mal dringend Fakten zur wird, weil ich immer wieder nachlesen werde. Das Hand braucht), die „Rettungsboot“-Problematik Buch beeindruckt nicht nur durch seinen schieren (es gilt, einen Mensch und einen Hund zu ret- Umfang, sondern auch durch Genauigkeit, Schlüs- ten, aber es gibt nur ein Rettungsboot, wie sieht sigkeit und Fakten. die Lösung aus?) wird ebenso thematisiert wie Auf der Seite www.christiankoeder.com kann man Zoonosen, die Ausbeutung der Menschen in der sich das Inhaltsverzeichnis als Appetizer ansehen. Fleischindustrie, die Entwaldung und der Kli- Das Buch ist nur über Amazon erhältlich. mawandel oder die Ernährungssicherung. Das Raffaela Göhrig Buch ist durchgehend leicht verständlich und trotz der Fülle an Information war ich nicht ein- mal gelangweilt oder geneigt, das Buch weg zu legen und nicht mehr in die Hand zu nehmen. Teil 3 beschäftigt sich vorwiegend mit gesun- der Ernährung, Nährstoffen, gesundheitlichen Aspekten, vegan in den unterschiedlichen Le- bensstadien (Baby bis Senior, inklusive Schwan- gerschaft) und natürlich mit Vitamin B12, aber auch mit veganer Hunde- und Katzenernährung, Soja und dem sozialen Umfeld. Nicht nur dieser Teil eignet sich hervorragend als Nachschlage- werk und ist absolut zu empfehlen für diejenigen, die sich stichfeste Argumente anlesen möch-

52 | TIERBEFREIUNG 84 Vegan

Nachbericht zur „Sag Nein zu Milch“-Aktionswoche

Insgesamt kann die diesjährige Aktionswoche zum „Tag der Milch“ als durchweg erfolgreich bezeichnet werden. Die Kampagne „Sag Nein zu Milch“ wurde von ARIWA, die tierbefreier und dem Nandu-Netzwerk zum „Tag der Milch“ 2013 gestartet.

In der Aktionswoche fanden zwischen dem milchtag“ am 24. September statt. Auch 31. Mai und dem 7. Juni über 20 Aktionen dann soll eine Stimme gegen die Milchlobby in verschiedenen Städten statt, mit denen laut werden. diverse Tierrechtsgruppen und aktive Ein- zelpersonen die Öffentlichkeit auf das Leid Wir danken den zahlreichen Tierrechtler*- von „Milchkühen“ aufmerksam machten. innen, die sich während der letzten Akti- In der Regel handelte es sich um Infostän- onswoche gegen das Leid von „Milchkühen“ de und Flyeraktionen. Viele Aktive haben eingesetzt haben und hoffen auch bei der zusätzlich pflanzliche Milchalternativen an nächsten Aktionswoche auf Unterstützung. Passant*innen verteilt. Die Reaktionen auf Auch hoffen wir, weitere Gruppen gewinnen die verschiedenen Alternativen waren über- zu können. wiegend positiv, allerdings scheint es noch Unter www.aktiv.sagneinzumilch.de bieten weiteren Aufklärungsbedarf hinsichtlich wir diverses Kampagnenmaterial wie Flyer pflanzlicher Ersatzprodukte zu geben, es oder Pressemitteilungen, Ideen für Aktionen, wurde zum Beispiel häufiger hinterfragt, ob Übersichten vergangener und zukünftiger es sich auch wirklich um laktosefreie Speisen Aktionen sowie Hintergründe zur Kampagne und Getränke handelt. und unser Selbstverständnis an. Einige Gruppen haben sich auch von den Außerdem können Gruppen bei uns Zu- gesammelten Ideen zu Aktionen auf unserer gangsdaten für die Seite anfordern, die sie Bielefeld: Kuh im Urlaub Aktivenseite inspirieren lassen, so wurden bei- dazu berechtigen, eigene Termine und Nach- spielsweise in Bielefeld (NRW) und Marburg schlossen, um gemeinsam gegen die Milch- berichte im Rahmen der Kampagne auf der (Hessen) Aktivist*innen im Kuhkostüm sym- industrie aktiv zu werden. Durch solche Seite zu veröffentlichen. Zudem besteht das bolisch in den Urlaub geschickt. Hierdurch Kooperationen wird sicherlich der Austausch Angebot, dass wir das Erstellen von Presse- wurde besonderes Interesse bei Passant*innen (zwischen den Gruppen) gefördert und auch mitteilungen für Gruppen übernehmen, so- geweckt, sich an den Infoständen über die in Orten, in denen einzelne Gruppen nicht fern dies erwünscht wird. Kampagne zu informieren. über ausreichend Aktive verfügen, um grö- Text und Foto: Einzelne Ortsgruppen haben die Kampagne ßere Aktionen zu bewerkstelligen, können „Sag Nein zu Milch“-Kampagnenteam zudem erfolgreich nutzen können, um Spen- diese über Zusammenschlüsse letztlich doch den für Tierbefreiungshöfe zu sammeln. In realisiert werden. Oldenburg (Niedersachsen) konnten so durch die Abgabe von diversen veganen Leckereien Leider berichteten einzelne Gruppen auch wie Kuchen oder Shakes insgesamt 130 Euro von negativen Erfahrungen. So wurden gesammelt werden. Tierrechtler*innen des Vereins Vegan Con- Erwähnenswert ist auch, dass es Spen- nection bei ihrem Infostand in Gelnhausen den von Gastronom*innen und Lebens- (Hessen) von Passant*innen beleidigt. Erfreu- mittelhersteller*innen gab: Ein Bielefelder licherweise fanden dort aber auch viele posi- Pizzaimbiss spendete mehrere mit Wil- tive Gespräche statt, und die ortsansässigen mersburger überbackene Pizzen, und den Tierrechtler*innen sind unangemessenen Kampagnen-Infoseite: tierbefreier*innen Osnabrück wurden von zwei Kommentaren von Passant*innen mit Humor www.sagneinzumilch.de Vertrieben insgesamt 156 Liter Pflanzen- begegnet. Aktiven-Webseite: milch gespendet. www.aktiv.sagneinzumilch.de In einigen Städten haben sich auch ver- Die nächste Aktionswoche findet vom 20. Facebook: schiedene Tierrechtsgruppen zusammenge- bis 27. September rund um den „Weltschul- www.fb.com/sagneinzumilch

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Nah am Puls der Bewegung Interview zur Plattform Tierrechtsinfos auf Facebook

Im März 2012 wurde mit der Facebookseite „Tierrechtsinfos“ ein neues Projekt bekannt. Wir wollten von den Betreiber_innen wissen, was ihre Gründe für das Projekt waren, wie es läuft und wie sie zu Facebook stehen.

Frage: Was ist Tierrechtsinfos und wieso Wie wollt ihr dem konkret etwas entgegen habt ihr das Projekt gestartet? halten? Was zeichnet euch selbst eurer Mei- Tierrechtsinfos ist im Wesentlichen eine nung nach aus? Facebookseite, die als Plattform für interna- Nun, zum einen posten wir nur Dinge, die Das Profilbild von „Tierrechtsinfos“. tionale News rund um das Thema Tierrechte unmittelbar mit der Tierrechts-/Tierbefrei- Gezeichnet wurde diese Faust-und- Pfote-Version von der Hamburger und Tierbefreiung dient. Motivation war zum ungsbewegung zu tun haben. Sie müssen be- Illustratorin Katharina Rot, einen, dass wir eine Lücke schließen wollten, wegungsrelevant sein und sich inhaltlich mit die hauptsächlich zu Themen die uns aufgefallen war. Und zwar sammeln den Themen der Bewegung befassen. Zudem der Tierausbeutung arbeitet. die Leute hinter dem Projekt über diverse müssen sie ein Mindestniveau erfüllen, für das www.katharina-rot.de Kanäle Informationen und News aus der (in- man sich nicht schämen muss. Hinzu kommt, ternationalen) Tierrechtsbewegung, die im dass wir eben aus vielen Kanälen und Quellen deutschsprachigen Raum kaum gestreut wer- unsere Infos erhalten – viele internationale den. Da wir viele dieser Infos aber für sehr re- Kontakte, Mailinglisten und anderes – und levant oder eben interessant halten, war es uns somit sicherstellen können, häufig Dinge zu Aber fördert ihr nicht genau das Gegenteil? ein Bedürfnis, diese Streuung mitzugestalten. posten, die sonst auf deutschsprachigen Sei- Also wir wollen das zumindest nicht und Wir wollten schlichtweg mehr Leuten ein- ten nicht oder nur selten zu finden sind. Man versuchen, das zu verhindern. Zum Beispiel fachen Zugang zu all diesen Geschichten und könnte sagen, dass wir aufgrund unserer jah- verbreiten wir eigentlich nie irgendwelche Neuigkeiten geben. Zum anderen waren wir relangen Erfahrung einfach oftmals „nah am Onlinepetitionen, dafür aber häufig Aufrufe aber auch ein Stück weit geschockt darüber, Puls der Bewegung“ sind. Darüber hinaus zu überregionalen Demos. Wir versuchen, wie wenig vernünftig recherchierte und die möchten wir aber natürlich Kampagnen und unseren Usern klar zu machen, wieso es so Tierrechtsbewegung wirklich repräsentieren- Projekte hierzulande unterstützen, indem wir immens wichtig ist, den Protest auch auf de Facebookseiten es gibt. deren News verbreiten. die Straße zu tragen und sich mit den realen Verhältnissen zu reiben, statt sich coole ALF- Was meint ihr damit? Wer steckt denn hinter Tierrechtsinfos? Bilder ins Profil zu setzen. Das ist zuweilen Also, uns fällt zum Beispiel oft auf, wie viele Sagen wir mal so: Wir vertreten keine Orga- vergebens, aber wie gesagt wollen wir einfach Seiten sich dort tummeln, die sehr tierschutz- nisation oder Gruppe und fühlen uns somit auch eine Alternative aufzeigen, wie die Tier- lastig sind, die also keinen Ansatz vertreten, nur uns selbst verpflichtet. Ansonsten finden rechtsbewegung im Web 2.0 auch auftreten demzufolge alle Formen von Tierausbeutung wir es unerheblich, wer konkret die Seite be- kann. Auch versuchen wir möglichst klar- abgeschafft werden sollen. Zudem ist das Ni- treibt. zustellen, dass das Bewegen im Internet mit veau dort zum Teil schlichtweg unterirdisch. Risiken wie Überwachung verbunden ist, und Oft kommt es einem so vor, als würde man Was haltet ihr vom Facebookaktivismus? versuchen, einen verantwortlichen Umgang eine Art BILD-Zeitung für Tierschützer le- Eher wenig. Das mag paradox klingen, weil damit zu fördern. sen, und noch die verrücktesten Leute krie- wir eine Facebookseite betreiben, aber ehr- gen dort ein Podium. Reißerische Bilder, auf lich gesagt machen wir das eher nebenbei. Wie steht ihr Facebook gegenüber, wenn denen verletzte Hunde zu sehen sind, gepaart Hauptsächlich sind wir in lokalen Gruppen ihr das Netzwerk nutzt? Die „Datenkrake mit populistischen Textchen bekommen tau- und überregionalen Netzwerken und Kam- Facebook“ ist in der Linken ja nicht gerade sende Likes. Tierquäler werden per Steckbrief pagnen beteiligt, organisieren eben Gras- beliebt. gesucht, und die dort zum Teil ausgedrückten wurzelaktivismus. Aktivismus 2.0, wie er so Und trotzdem nutzt es die halbe Welt und Gewaltphantasien sind schon heftig. Ein re- schön bezeichnet wird, ist sicher nicht völlig auch die halbe linke Szene. Die Kritik ist völ- gelrechtes Gruselkabinett wird geboten, und wirkungslos und gerade als Werkzeug für Öf- lig richtig, aber die Folgerungen daraus zum die emsig hinterlassenen Kommentare erin- fentlichkeitsarbeit mittlerweile einfach uner- Teil etwas weltfremd. Das Ganze ist eben nern böse an den Stammtisch. Wir wollten lässlich. Aber wirkliche soziale Veränderung sehr ambivalent, wie Kommunikationstechnik dem etwas entgegen setzen. passiert immer noch im echten Leben. im Allgemeinen. Anstatt mein Internet ganz

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abzustellen, nutzt man eben Linux, Festplat- mit alles auch dem politischen Gegner preis, seiten völlig widerspricht. Hinzu kommt, dass tenverschlüsselung und Proxyserver. Anstatt der sich problemlos die Infos holen kann, was das oft auch ziemlicher Tierschutzkram ist. nie wieder zu telefonieren, passt man eben da so geplant wird. Einige Leute machen es Es scheint, dass diese Leute einfach die Ra- auf, was man am Telefon so erzählt. Unserer zudem den Verfolgungsbehörden extrem ein- dikalität „geil“ finden, die die ALF ausstrahlt, Ansicht nach sollte das bei Facebook und Co. fach, Informationen über Tierrechtsaktivis- und sich in diesem Licht gerne mit darstellen ebenso sein. Aufpassen, was man schreibt, mus zu sammeln. Solche Beispiele kommen wollen. Da „die ALF“ als Gruppe aber eben möglichst TOR- oder VPN-Verbindungen aber häufig nicht von erfahrenen, etablierten nicht existiert, kann sie sich gegen so eine nutzen und einfach ein bisschen nachdenken, Gruppen, sondern eben von neuen, unerfah- Vereinnahmung auch kaum wehren. bevor man etwas kommentiert. Aber es ist renen Gruppen – zum Teil im Binnenbereich leider illusorisch, zu glauben, man könnte die zwischen Tierrechten und Tierschutz. Bei- Vielen Dank für das Interview! Leute davon abbringen, Facebook zu nutzen, spiele gäbe es aber noch wie Sand am Meer. Vielen Dank auch von unserer Seite und im bloß weil man ihnen erklärt, wie viele Risiken Man muss Leuten aber auch Lern- und Ent- Namen des Projekts! Wir freuen uns immer, es mit sich bringt. wicklungsprozesse zugestehen und nicht alles wenn unsere Seite empfohlen wird, weil wir ja immer von oben herab verteufeln. möglichst viele Menschen erreichen wollen. Könnt ihr für den unvernünftigen Umgang Hoffentlich können wir unser Ziel, die Tier- mit Facebook Beispiele nennen? Was haltet ihr von den vielen Pro-ALF- rechtsbewegung einigermaßen authentisch zu Tausende! Beispielsweise haben wir schon öf- Seiten auf Facebook? repräsentieren, auch erfüllen! ters gesehen, wie Leute berichten, sie hätten Die ALF selbst hat keine Facebookseite und illegale Aktionen gemacht. Wie doof kann wird auch nie eine haben. All die Leute, die Das Interview führte Emil Franzinelli. man denn bitte sein? Erstens prahlt man sich auf Facebook als ALF ausgeben, haben mit so etwas nicht und zweitens sollte man entweder so manchen Schuss nicht gehört so etwas erst recht nicht öffentlich machen. oder vereinnahmen eine sehr wichtige Sa- Aber auch harmloser: Da organisieren sich che für ihre privaten Zwecke. Das geht nicht Tierrechtsinfos auf Facebook: ganze Gruppen oder Netzwerke – für alle klar! Uns macht das wirklich wütend, weil die www.fb.com/Tierrechtsinfos einsehbar – in Facebookgruppen. Geben da- Struktur der ALF diesen ganzen Facebook- Mail: [email protected]

Aktionsaufruf zur Grünen Woche im Januar 2015!

Das Aktionsbündnis Grüne Woche demaskie- genen Informations- und Protestveranstal- Wie könnt ihr aktiv werden? ren! hat im Januar 2014 zum ersten Mal an- tungen gegen diese unsägliche Propaganda Wenn ihr mit euren Freund*innen, mit eurer lässlich der Messe Internationale Grüne Woche vorgehen. Gruppe oder als einzeln Aktive Lust habt, mit vielen kreativen und bunten Aktionen selbst etwas nach eurem Geschmack zu orga- gegen das heutige Landwirtschafts- und Er- Wir, die aufrufenden Aktiven und Gruppen, nisieren, kündigen wir eure Aktion im Vor- nährungssystem protestiert. fokussieren in unserem politischen Alltag feld auf der Aktionswochen-Webseite gerne vor allem den Kampf gegen Tierausbeutung. an und mobilisieren dafür. Meldet euch dafür Warum gegen die Grüne Woche? Während der Grünen Woche nimmt die Prä- oder wenn ihr mit uns zusammen am organi- Als weltgrößte Messe für Ernährung, Land- sentation von Tierhaltung einen bedeutenden satorischen Rahmen der Aktionswoche arbei- wirtschaft und Gartenbau steht die Grüne Platz ein und bietet so Anknüpfungspunkte für ten wollt gerne einfach bei aktionen-gruene- Woche für all die Unterdrückung, Tieraus- Protest und Widerstand gegen die grauenhafte [email protected]. beutung und Umweltzerstörung des kapitalis- weltweite Unterdrückung und Ausbeutung tischen Landwirtschaftssystems. Die Grüne von Milliarden von fühlenden Individuen. Für ein kraftvolles und wahrnehmbares Woche bedeutet jedes Jahr zehn Tage Propa- politisches Signal gegen die allumfassende ganda und Werbung für eine ausbeuterische Darüber hinaus möchten wir andere Aktive Ausbeutung von Tier, Mensch und Umwelt und umweltzerstörerische (Land-)Wirtschaft und Gruppen motivieren, eigene Aktionen zu im kapitalistischen System!

– ein Landwirtschaftssystem, das auf die Be- ihren bevorzugten Themenschwerpunkten zu Grüne Woche demaskieren! wird vom Tierrechtstopf der Stif- dürfnisse und das Wohlergehen von Mensch organisieren. Denn nicht nur die Tierausbeu- tung Tiernothilfe gefördert. Mehr Informationen zum Tierrechts- topf findet ihr hier: www.ariwa.org/aktivitaeten/745. und Tier scheißt, die Grundlage für alles Le- tung gilt es in der kapitalistischen Landwirt- ben auf diesem Planeten zerstört und einzig schaft zu kritisieren. Es gibt genug Anknüp- am Profit für Wenige interessiert ist. fungspunkte für zahlreiche Proteste gegen die Grüne Woche. So soll auch 2015 wieder Beteiligt euch auch 2015! ein buntes Ensemble sich ergänzender Akti- Auch 2015 findet die Grüne Woche vom 16. onen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und bis 25. Januar auf dem Messegelände Berlin Kommunikationsstrategien am Messegelände Mehr Infos: statt. Auch dann wollen wir wieder mit ei- entstehen. www.gruene-woche-demaskieren.org

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WIESENHOF-SCHLACHTFABRIK IN MÖCKERN BLOCKIERT Ein Aktionsbericht Text: Andreas Schachtner | Fotos: ©Gustav Pursche, visual rebellion

Blockaden stoppt, wird sogar angefahren Es ist Montag, kurz vor 6 Uhr früh an und ein paar Meter auf der Motorhau- einem Parkplatz irgendwo in der Nähe be des Autos mitgeschleift. Wir haben von Möckern (Sachsen-Anhalt). Der ja durchaus nicht mit einem warmen Tag begrüßt uns mit klarem Himmel, als Empfang gerechnet, aber die Abge- das letzte unserer Autos auf den Park- brühtheit, mit der Mitarbeiter*innen des platz einbiegt. Wir sind vollzählig, und Konzerns das Leben und die körperliche bis jetzt gab es keine Auffälligkeiten, kei- Unversehrtheit von Lebewesen auch ne Polizeikontrollen, nichts. Mit einem außerhalb des betrieblichen Massen- Grinsen auf den Lippen steigen wir wie- mordes aufs Spiel setzen, verblüfft uns der in unsere Autos und fahren in vorher dann doch immer wieder. Auch die in- genau geplanter Kolonne in Richtung zwischen angerückte örtliche Polizei ist Wiesenhof-Schlachthof in Möckern. von soviel Gewaltbereitschaft schockiert, und der scharfe Tonfall der Beamt*innen Ausgesucht haben wir uns Möckern auf- führt dann letztlich doch dazu, dass die grund des ganz normalen Wahnsinns, lebensgefährlichen Durchbruchversuche der dort tagtäglich passiert. Nicht nur der Arbeiter*innen aufhören. Langsam gibt es in Möckern einen Schlachthof, füllt sich jetzt die Hauptzufahrt mit Po- in dem täglich 160.000 fühlende Le- lizeifahrzeugen, aber auch Sendewagen bewesen zu handelsüblichen Kadaver- und Kamerateams trudeln ein. portionen verarbeitet werden, nein, auch gibt es eine Brüterei sowie ein riesiges In den Interviews geht es vor allem da- Gelände mit etwa 40 Mastanlagen. Mö- rum, weshalb wir den Schlachthof blo- ckern hat alles, was Wiesenhof braucht, ckieren und warum ein bisschen mehr um sich mit Misshandlung und Mord Tierschutz das Morden für den Fleisch- eine goldene Nase zu verdienen. Weil konsum nicht besser macht. Es geht dadurch Arbeitsplätze für die lokale schlichtweg nicht darum, den 160.000 Bevölkerung entstehen, hat die Stadt Hühnern, die in Möckern täglich er- Möckern dem Konzern sogar ein Denk- mordet werden, ein schöneres Leben mal gesetzt. Also höchste Zeit, den Frie- zu ermöglichen, bevor sie für den Profit den zu stören und Wiesenhof zu zeigen, dass das blutige Geschäft mit eines Konzerns abgeschlachtet werden. Es geht darum, dass jedes Lebe- der Ermordung fühlender Lebewesen nicht hinnehmbar ist. wesen ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit verdient hat. Betroffene der Maschinerie Wiesenhof werden in riesigen Brutkästen geboren, Jetzt fahren wir an dem Hühnermorddenkmal vorbei auf die Zufahrt ohne je ihre Mutter kennengelernt zu haben. Zusammen mit tausenden zur Schlachtfabrik. Einige Autos bleiben gleich auf der Hauptzufahrt anderen Neugeborenen werden sie in engen Kisten auf Lastwagen ver- stehen, andere fahren weiter zu den restlichen beiden Zufahrten, die laden, um kurz nach ihrer Geburt den ersten Transport zur Mastanlage wir blockieren werden. Türen werden aufgerissen, und Leute begin- durchzustehen. Dort angekommen werden sie in eine Halle geschüttet, nen damit, Betonfässer mit Ankettrohren auf die Straßen und vor Tore die für die nächsten 30 Tage ihr Zuhause sein wird. In der Halle gibt es zu rollen, Bäume zu beklettern, Straßen zu sperren, Autos zu stoppen nichts außer Futter- und Wassertröge, Kunstlicht und sehr wenig Platz. und Fotos zu machen. Innerhalb von fünf Minuten stehen alle drei Dafür stapeln sich innerhalb der 30 Tage Aufenthalt die Exkremente. Blockadepunkte. Es hat geklappt, die Einfahrten sind blockiert! Die Beißender Ammoniakgeruch liegt in der Luft. Da die Insassen der Anspannung der letzten Stunden verfliegt ein wenig. Zeit zum Ausru- Mastanlage speziell auf Wachstum gezüchtet wurden, wächst ihr Fleisch hen haben wir aber nicht viel. Ziemlich schnell bekommen wir es mit schneller als die Knochen. Das führt dazu, dass einige sich nicht ein- Wiesenhofmitarbeiter*innen zu tun, die trotz alldem versuchen, an un- mal mehr zur Futterstelle bewegen können, da die Knochen unter dem seren Blockaden vorbeizukommen. Mit einer irrsinnigen Geschwindig- Gewicht des Fleisches zusammenbrechen. Die Betroffenen verhungern keit fahren sie auf die an den Betonfässern Angeketteten zu und legen oder verdursten einfach und liegen dann, bis sie entdeckt werden un- erst wenige Zentimeter vor den Aktivist*innen, die sich den Autos in ter den Anderen, die den langsamen Tod mit ansehen müssen. Nach den Weg stellen, eine Vollbremsung hin. Eine Person, die Autos vor den 30 Tagen in dieser Hölle werden die Überlebenden in Kisten gestopft

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und treten ihren letzten Transport den Journalist*innen nur mit zur Schlachtfabrik an. Wer bis da- dem Satz „Zu widerrechtlichen hin durchhält, wird kopfüber an ein Aktionen äußern wir uns prin- Fließband gehängt und fährt durch zipiell nicht.“ abgewimmelt. ein elektrisches Wasserbad, um Scheinbar fällt Wiesenhof auch nachher die Kehle aufgeschnitten nichts mehr ein, womit sie ver- zu bekommen. Viele werden durch suchen könnten, ihr Handeln zu das Wasserbad betäubt, manche rechtfertigen. Inzwischen sind erleben aber auch die Schlachtung auch Passant*innen an der Blo- noch bis sie letztlich kollabieren. ckade eingetroffen, und neben All das wollen wir nicht verbessern. Unterstützungsbekundungen Wir wollen es schlichtweg abschaf- und konstruktiven Gesprächen fen. Keine*r hat das Recht, seine kommt es auch zur Bildung Mitlebewesen umzubringen. Nicht für einen kurzen Gaumenschmaus eines Mobs, der mit rechten, sozialdarwinistischen oder auch nur stumpf und erst recht nicht, um Profit daraus zu schlagen. Genau deswegen ha- beleidigenden Sprüchen um sich wirft. Mit Ausnahme von den verbalen ben wir die Zufahrten zur Schlachtfabrik blockiert, und genau deswegen Übergriffen bleibt die Zusammenrottung aber friedlich. Auch die Po- werden wir die Blockade auch nicht freiwillig auflösen. lizei, die währenddessen einen beachtlichen Fuhrpark aufgefahren hat, hält Abstand. Hin und wieder kommt der Einsatzleiter vorbei und ver- Während einige von uns Interviews geben, sickert die Information zu sucht uns zu überreden, die Blockade aufzugeben. uns durch, dass auch die Rothkötter-Schlachtfabrik in Wietze blo- ckiert wird. Ein richtig mieser Tag für die Betreiber*innen von Mord- Gegen 16 Uhr sieht er wohl dann selbst ein, dass wir nicht einfach so un- fabriken. Wiesenhof zeigt sich auch entsprechend überrumpelt und ist sere Sachen packen und dem Schlachten tatenlos zusehen werden. Zu- zu keinerlei Interviews bereit. Bei der Pressestelle des Konzerns wer- nächst werden alle Personen, außer die Angeketteten und ihre Betreu-

TIERBEFREIUNG 84 | 57 ungspersonen von der Blockade Beitrag dazu leistet, dass Firmen weggeschleppt, akribisch abfoto- wie Wiesenhof weiterhin durch grafiert und die Personalien fest- die Ausbeutung fühlender In- gestellt. Dann beginnt die Polizei dividuen Milliardenumsätze er- mit Winkelschleifern und Bohr- zielen kann. Die Räumung einer hämmern die Betonfässer, in de- Schlachtfabrikblockade ist keine nen sich Aktivist*innen angekettet stille Akzeptanz, sondern aktive haben, abzutragen. Weit über eine Mithilfe im Tötungsbetrieb ei- Stunde und viele im Beton verges- ner Gewinn- und Wachstums- sene Überraschungen später sind logik, die letztlich für das Leid die Arme der Aktivist*innen aus von Milliarden menschlichen dem Betonklotz herausgeschnit- und nichtmenschlichen Indi- ten. Die Angeketteten werden viduen und die Zerstörung un- ebenfalls akribisch abfotografiert seres Planeten verantwortlich und einer Personalienfeststellung ist. Dem kann nicht entgegen- unterzogen. Neben den Fässern gewirkt werden, indem mensch befinden sich aber auch noch „nur seinen Job“ macht. Egal, Aktivist*innen, die eine Seilver- ob als Wiesenhofmitarbeiter*in, bindung über die Straße gespannt Polizist*in oder in anderen Teilen haben, in den Bäumen. Aus dieser der Maschinerie. Stilles Weiter- Seilverbindung heraus können die machen heißt Mitschuld am Leid. Kletteraktivist*innen auch LKWs am Befahren der Zufahrt hindern. Als dann ein Zufahrtsweg zur Sie werden vom Spezialeinsatz- Schlachtfabrik frei wird, entschei- kommando (SEK) der Polizei den sich die verbliebenen Blo- aus den Bäumen geholt. Dass die ckierenden, sich selbst zu befreien, Polizei sogar zu Spezialkräften und so war um 18 Uhr die Blo- greift, die eigentlich für die Terro- ckade der Schlachtfabrik nach elf rismusbekämpfung und Geiselbe- Stunden beendet. Als wir in unse- freiungen ausgebildet sind, zeigt re Autos steigen, begrüßte uns das deutlich, mit welchen Mitteln der Radio schon mit allerlei Berichten Profit Wiesenhofs geschützt wird. über unsere Blockade. Auch wenn die Polizei nicht der Grund unserer Blockade ist, darf Natürlich war das mit Sicherheit an dieser Stelle nicht verschwie- nicht unsere letzte Aktion gegen gen werden, dass der Polizei- Wiesenhof. Das Aktionsbündnis apparat seinen entscheidenden Mastanlagen Widerstand wird

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auch weiterhin daran arbeiten, dem Treiben Wiesenhofs möglichst schnell ein Ende zu setzen. Wir arbeiten beispielsweise durch Interventionen im Genehmigungsverfahren Die Aktion in Möckern wurde von Mastanlagen, Öffentlichkeitsarbeit zu unter anderem von Unstumm bestehenden Anlagen oder eben Blockaden Film begleitet. Die sehens- des Schlachtbetriebs. Wenn du auch Lust werte Kurzdoku mit dem Titel „Widerstand vor den Toren hast, dich daran zu beteiligen, schreib uns an Wiesenhofs“ ist auf YouTube [email protected]. Wir sind zu sehen: www.youtube.com/ derzeit lokal auf den Süden Deutschlands unstummfilm konzentriert, freuen uns aber über deine Mit- arbeit, egal woher du kommst.

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Tierfabriken-Widerstand – Bündnis für Aktionen und Vernetzung Vorstellung und erster Aktionsbericht einer neuen Initiative

Im März 2014 gründete sich das Bündnis Bewegung. Aus diesem Anspruch heraus po- Kontramast voraus. Gemeinsam wurde über- Tierfabriken-Widerstand. Unser Ziel ist es, sitioniert sich Tierfabriken-Widerstand gegen legt, was getan werden kann und welche un- den Neubau von Mastanlagen, „Legehennen“- Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, serer Ideen umsetzbar sind. Die Frage, was wir Ställen, Milchbetrieben und Schlachthöfen Sexismus oder Nationalismus. eigentlich wirklich anbieten und ob wir kon- zu verhindern. Durch Unterstützung lokaler struktiv den Widerstand voranbringen können, Widerstandsinitiativen, kreativen Protest und Erstes Aktionswochenende am hat uns dabei im Vorfeld sehr beschäftigt. Im überregionale Vernetzung wollen wir das wei- 21. und 22. Juni 2014 Gegensatz zum BUND sind wir nicht klage- tere Wachstum der Tierindustrie erschweren. in Stemmern bei Magdeburg berechtigt, noch (!) keine Expert_innen in Sa- Damit gehen wir effektiv gegen die Ausbeu- chen Genehmigungsverfahren, effektiver Ver- tung und Tötung von Tieren, Umweltzerstö- Am Wochenende vom 21. bis 22. Juni rief netzung und zielführender Unterstützung. Wir rung und menschliche Unterdrückung vor. Tierfabriken-Widerstand gemeinsam mit der hatten keine Vorstellung davon, was uns vor Bürgerinitiative Kontramast zum großen Akti- Ort erwartet, wie die Menschen auf uns rea- Da die meisten Aktiven in Berlin leben, fokus- onswochenende in Stemmern bei Magdeburg gieren, ob sie die Warnungen vor uns, wir seien sieren wir dabei auf Ostdeutschland und dort auf. In dem Ortsteil von Sülzetal will der In- radikale Spinner, ernst nehmen würden, wie auf Tieranlagen für alle Tierarten. Wir sehen vestor Gerrit Tonkens eine Hühnermastanlage viele Menschen zur Demo erscheinen und wie uns nicht als Konkurrenz zu Mastanlagen Wi- mit 350.000 Plätzen bauen, in der jährlich 2,8 viele Menschen wir dazu bewegen könnten, derstand, die in Bayern aktiv sind und dort ge- Millionen Hühner bis zur „Schlachtreife“ ge- Einwendungen zu schreiben. Alle Fragen und gen Wiesenhof-Neubauten vorgehen, oder die mästet werden sollen. Zweifel wurden jedoch von der überwälti- Wietze/n-Kampagne. Im Gegenteil sind wir genden Resonanz beseitigt. An der Demo be- eng vernetzt und unterstützen uns gegenseitig. Mit dem Aktionswochenende sollte der Pro- teiligten sich über 150 Menschen aus den um- test gegen die Anlage gebündelt und weitere liegenden Gemeinden, darunter viele Familien. Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit ist die Menschen motiviert werden, Einwendungen Zahlreiche Menschen schrieben ihre Einwen- Recherche bei den zuständigen Behörden in zu schreiben und sich gegen das Vorhaben dungen direkt in unserer mobilen Schreib- Ostdeutschland, die Genehmigungsverfahren einzusetzen. Dazu wurde eine Demonstration werkstatt oder nahmen sich Anregungen mit für Tierfabriken bearbeiten. Die Informatio- von Stemmern zum Nachbarort Altenwed- nach Hause. In regen Diskussionen machten nen werden so aktuell wie möglich auf unserer dingen, entlang des Weges, auf dem der Hüh- die Anwohner_innen ihrer Wut auf das Vor- Homepage veröffentlicht. Mittels Pressearbeit nerkot abtransportiert werden soll, organisiert. haben Luft. Und nicht zuletzt kamen unsere wird die lokale Öffentlichkeit auf geplante Den ganzen Samstagnachmittag gab es je veganen Kuchen sehr gut an. Auch die Presse Vorhaben aufmerksam gemacht und Wider- einen Infostand mit veganen Kuchen am war vor Ort und berichtete über das Ereignis, stand initiiert und unterstützt. In öffentlichen Start- und Endpunkt der Demo, organisiert so Volksstimme2 und der MDR. Debatten sollen sowohl konkrete Anlagen als von VegAnimal1 und Tierfabriken-Widerstand. auch die grundsätzliche Problematik der Tier- Während beider Tage konnten Einwoh- Für uns bot dieses Wochenende auch eine haltung thematisiert werden. ner_innen und Angereiste in einer Einwen- gute Möglichkeit, uns mit Magdeburger Tier- dungsschreibwerkstatt ihre Gründe gegen die rechtsinitiativen für weitere Aktionen zu ver- Der Fokus darauf, neue Tieranlagen zu ver- geplante Mastanlage formulieren. Zusätzlich netzen. Insgesamt war die Atmosphäre sehr hindern, ist eine strategische Entscheidung. wurden in Vorträgen Einblicke in die Hühner- herzlich und unser Engagement sehr will- Durch das erfolgreiche Verhindern von Tier- fleischindustrie und Informationen zu Mast- kommen. Alle Beteiligten fühlten sich wohl, anlagenneubauten werden Millionen von anlagen in Ostdeutschland und dem Bündnis und zusammen haben wir an diesem Wo- Tieren nicht für ein Leben unter schlimmsten Tierfabriken-Widerstand gegeben. chenende viel erreicht. Auch wenn wir in Sa- Bedingungen und einen gewaltsamen Tod al- chen Tiernutzung sicher anderer Meinung als lein für die Profitsteigerung von Konzernen Dies war unsere erste große Aktion. Das Ge- die meisten Menschen vor Ort sind, konnten der Tiernutzungsbranche produziert. Mit dem nehmigungsverfahren für die Anlage in Stem- wir unsere generelle Kritik an der Tierausbeu- Protest und Widerstand gegen Tieranlagen mern war zu der Zeit in der Phase der Öffent- tung anbringen, ohne auf offene Gegenwehr wird zeitgleich versucht, deutlich zu machen, lichkeitsbeteiligung. Bis zum 7. Juli konnten zu stoßen oder als Spinner abgetan zu wer- dass diese lediglich Symptome einer Gesell- Privatpersonen ihre Gründe gegen das Vorha- den. Und vielleicht haben wir ja bei der einen schaft sind, die auf Ausbeutung von Men- ben schriftlich an die zuständigen Behörden oder anderen Person einen Umdenkprozess in schen und Tieren beruht. senden. Gang gesetzt. Denn lokal und kurzfristig geht es um die Verhinderung dieser einen Anlage, Das Bündnis kämpft für die Befreiung von Dem Aktionswochenende gingen mehre- aber global und langfristig geht es um nicht Mensch und Tier und sieht sich als Teil einer re Wochen des Mail- und Telefonkontakts weniger als das Ende der Tierausbeutung! emanzipatorischen und herrschaftskritischen mit Gabriele Siegel von der Bürgerinitiative 60 | TIERBEFREIUNG 84 Vegan

Vegan Street Day in Stuttgart

Dieses Jahr meinte es das Wetter am Pfingstsonntag mit den rund 10.000 Besucher_innen beim Stuttgarter Vegan Street Day gut. Bei über 30 Grad konnte man das umfangreiche kulinarische Demonstration in Stemmern gegen eine geplante Angebot, das von Döner und Sojaschnitzel, Pizza mit Käse bis Hühnermastanlage mit 350.000 Plätzen zu Kuchen, Torten, Smoothies und Eis reichte, genießen. Ein Schlemmerparadies für alle Veganer_innen.

Und wie geht es in Stemmern weiter? Diverse Tierrechtsor- In den darauffolgenden Wochen wurden durch Mithilfe von Hei- ganisationen, darunter mat- und Sportvereinen zahlreiche Informationsveranstaltungen SOKO Tierschutz, die und Möglichkeiten, Einwendungen zu schreiben, durch die Bür- Tierrechtsinitiative Regi- gerinitiative organisiert. Zusätzlich wurden Flyer verteilt und die on Stuttgart (TIRS), Sea Präsenz in den öffentlichen Medien verstärkt. So sollten noch mehr Shepherd, Animal Equa- Menschen erreicht und Druck auf den Investor und die Genehmi- lity oder Animal Rights gungsbehörde aufgebaut werden. Watch (ARIWA), infor- mierten über ihre Arbeit, Mit diesem Vorgehen konnten auch die Gemeinderäte, die Ver- und das bunte Showpro- waltung und der Bürgermeister gegen das Bauvorhaben mobilisiert gramm sorgte für die werden. Sie erklärten, dass sie hinter der Bürgerinitiative stehen nötige Abwechslung. Bei und diese nach ihren Möglichkeiten unterstützen werden. Alle den rund 100 Ständen sind sich einig: keine Hühnermastanlage im Sülzetal. Insgesamt waren auch Anbieter von konnten durch das gemeinsame Vorgehen etwa 1.500 Einwen- Bio-Fair-Trade-Klei- dungen bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. Erör- dung, lederfreien Schu- terungstermine waren auf den 12., 13. und 14. August angesetzt. hen und Accessoires Dies wäre nicht die erste Tieranlage, die durch aktiven Widerstand sowie tierversuchsfreier der direkt betroffenen Menschen verhindert werden kann. Kosmetik vertreten. Das Angebot an Informationen rund um die vegane Lebensweise war facettenreich und gelungen. Was könnt ihr tun? Auf der Showbühne konnte man dem bekannten veganen Koch Bitte informiert uns, wenn ihr von einem Tieranlagenneubau in Björn Moschinski ebenso zuschauen wie dem Vegan Strength Ostdeutschland hört. Um in verschiedenen Regionen schnell aktiv Team Germany oder unter anderem der Musik von Rapper werden zu können, ist es sehr hilfreich, Ansprechpartner_innen Albino lauschen. Im Infozelt gab es beispielsweise Vorträge von vor Ort zu haben. den Ärzten gegen Tierversuche, Frank Albrecht von ENDZOO, Friedrich Mülln von SOKO Tierschutz, und Chris Moser stellte Wenn ihr unsere Arbeit sinnvoll findet und uns unterstützen wollt bei einer Lesung seine Bücher Die Kunst, Widerstand zu leisten – also zum Beispiel bereit wärt, mal in eurer Stadt Akteneinsicht und M. E. vor. zu nehmen oder an lokalen Aktionen mitzuwirken – dann schreibt uns eine Email an kontakt@tierfabriken-widerstand! Eines der intellektuellen Highlights des fünften Stuttgar- Auch wenn ihr in einer Gruppe aktiv seid und es für sinnvoll hal- ter VSD war sicherlich die Podiumsdiskussion zu Tier- tet, mit uns Kontakt aufzunehmen, zum Informationsaustausch ethik und Tierbefreiung. Unter der Moderation von Ria und zur gegenseitigen Unterstützung, freuen wir uns sehr. Und Rehberg (Animal Equality und Emil Franzinelli (die tierbefreier) wenn ihr als Mitglieder_innen einer lokalen Bürgerinitiative Un- wurde das Publikum Schritt für Schritt an das Thema herange- terstützung für Aktionen sucht, seid ihr bei uns ebenfalls richtig. führt. Friederike Schmitz, Philosophin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin und Heraus- Übrigens: Auch nicht direkt betroffene Menschen können Ein- geberin des Sammelbandes Tierethik, Matthias Rude, Doktorand wendungen schreiben. Auf unserer Homepage findet ihr Informa- der Philosophie und Autor von Antispeziesismus und Chris Mo- tionen und Beispieleinwendungen zu geplanten Anlagen. Nutzt ser, österreichischer Aktivist, Opfer des „Tierschutzprozesses“ diese Informationen und schreibt Einwendungen! und ebenfalls mehrfacher Buchautor, erklärten zunächst die Un- Bündnis Tierfabriken-Widerstand terschiede zwischen Tierbefreiung, Tierrechten und Tierschutz,

Fußnoten: debattierten über reformistische und abolitionistische Ansätze [1] www.magdeburg-vegan.de/tierrechtsgruppe- und über politischen Veganismus und den Trend zum Lifestyle- veganimal-magdeburg Veganismus. Die Diskussion wurde dabei stets mit Praxisbezug [2] www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/wanzleben/ 1298104_Radelnd-und-zu-Fuss-Protest-zeigen.html geführt, da alle Beteiligten selbst für Tiere aktiv sind und so wertvolle Erfahrungen in die Diskussion einbringen konnten. Für alle, die nicht dabei waren und neugierig geworden sind: Die Beiträge sind auf YouTube einsehbar, die Links gibt es auf Kontakt und Infos: www.vegan-street-day.de/vsd/stuttgart-2014. kontakt@tierfabriken-widerstand Raffaela Göhrig und Andreas Pfrengle www.tierfabriken-widerstand.org

TIERBEFREIUNG 84 | 61 Von der Fleischfront gibt es diesmal viele tragische und absolut katastrophale Neuigkeiten. Um nicht völlig zu verzweifeln angesichts des Elends, gibt es auch eine gute Nachricht: Der Schächtschlachthof in Aßlar wird geschlossen. Der durch Schächtprozesse im ganzen Land bekannt gewordene Metzger Rüstem Altinküpe gibt den Schlachthof auf. Betäubungsloses Schlachten ist in Deutschland nur per „Ausnahme- genehmigung“ (§ 4a Abs.2, Nr.2 TierSchG) erlaubt. von Raffaela Göhrig und Viola Kaesmacher

(K)eine Frage der Haltung spalten einschlägiger Berichterstattungsseiten sprechen die Tiernutzer_innen angesichts des Zum Image der „Internet Prangers“ dann gerne von „übler „modernen Tierhaltung“ Diffamierung“, „Hetze“, „Aufruf, Minder- heiten anzugreifen“ und holen auch sehr ger- Tierausbeuter_innen sprechen gerne davon, ne die Nazi-Keule heraus. dass den „Landwirten“ viel an ihren Tieren läge – schließlich sei dies ja deren Kapital. Die Es gibt tatsächlich auch Versuche in eigenen einschlägigen Verbände werden auch nicht Reihen, die „Schwarzen Schafe“ bloßzu- müde zu betonen, dass man ja selbst auch ger- stellen. So gibt es auf Animal Health online ne Transparenz möchte, und die „Schwarzen (AHO) viele Berichte, die krasse Missstände Schafe“ seien lediglich Ausnahmen in der dokumentieren – und das unter dem Stich- heilen Bauernwelt. wort „Gelungene Imagepflege“ (Humor, Galgenhumor oder satirisch gemeint?), hier Infokarte ist Internetpranger? einige Beispiele: Elf Schweine im Saale- Mit einer Karte möchte die Landtagsfrak- Holzland-Kreis (im Osten von Thüringen) tion von Bündnis 90/Die Grünen das Aus- wurden von der Staatsanwaltschaft euthana- maß von großen Tierhaltungsanlagen in siert und beschlagnahmt (21. Juli 2014), zwei Sachsen-Anhalt transparent darstellen. Als Kälber wurden in einer Böschung entsorgt – Datengrundlage für die Erstellung der Kar- nahe einem Kindergarten im Landkreis Pfaf- te diente die Antwort der Landesregierung fenhofen in Oberbayern (14. April 2014), 200 auf eine Kleine Anfrage zur Schweine- und Schweinekadaver lagen jahrelang in einem Geflügelhaltung in Sachsen-Anhalt. Ge- Stall herum in Südkirchen bei Coesfeld, Nor- fragt wurde nach Tierhaltungsanlagen, die www.gruene-fraktion-sachsen-anhalt.de/ drhein-Westfalen (24. März 2014). Besonders nach Bundes-Immissionschutzgesetz (BIm- fraktion/positionen/massentierhaltung viele Übertretungen – bei Stichproben rund SchG) der Genehmigung bedürfen (ab 560 www.massentierhaltung-sachsen.de/karte Zweidrittel – treten im Bereich des Trans- Mutterschweinen, 1.500 „Mast“schweinen, portgeschäfts auf, auch dieser Zweig gehört 15.000 „Lege“hennen, 15.000 Puten, 30.000 zu ökologischen Nährstoffkreisläufen und ein zur „modernen Tierhaltung“ – ist Bindeglied „Mast“hähnchen). Vielfaches der Wertschöpfung von reinem zwischen Mast und Schlachtung. Ackerbau leiste und überhaupt erst eine Nut- Alleine sieben neu beantragte Hühner- (und zung des ökologisch wertvollen Grünlands Vorzeitige Tode billigend in Kauf sieben neu genehmigte) und vier neu bean- ermögliche. genommen: Tiertransporte tragte Schweinemastbetriebe (sowie sieben Eigentlich müsste man diesen Leuten mal Die Polizei hat Mitte März 2014 auf den neu genehmigte) sind dort auszumachen – ein bisschen Nachhilfe zum Thema Footprint Autobahnen im Bereich der Polizeidirektion und das in nur diesem einen Bundesland! So geben. Allerdings ist die Agrarwirtschaft eine Oldenburg 104 Fahrzeuge mit Lebendtier- eine Karte gibt es auch für Sachsen. Parallelwelt – gepampert und am Leben er- transporten kontrolliert. Hierbei waren 69 halten durch exorbitante Subventionsleis- Verstöße zu beanstanden. Auf AHO werden Beim Landesbauernverband (LBV) Sachsen- tungen, so dass die Aussagen in deren Augen einige besonders krasse Beispiele beschrie- Anhalt und bei der CDU-Landtagsfraktion tatsächlich Sinn machen. ben.2 Auch in der Folgezeit wird von vielen ist dieses Vorgehen auf heftige Kritik gesto- Übertretungen berichtet, besonders drama- ßen und hat sich massiv in der Berichterstat- Der „Bauern“verband betont: Die Landwirte tisch im heißen Sommer. Hier werden 185 tung niedergeschlagen. Es sei ein Angriff auf reflektierten ihr Tun und versuchten im Rah- Schweine ohne Einstreu und Wasser mehr als die heimische Landwirtschaft, die insbeson- men des Möglichen stets Verbesserungen für elf Stunden durch die Gegend gekarrt, dort dere mit der „Nutztier“haltung einen Beitrag ihre Tiere zu erreichen.1 In den Kommentar- 207 Kälber über zwölf Stunden ohne Wasser

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(beziehungsweise mit Ferkeltränken, die sie Stunden, da in dem Stall die Belüftungsanlage Anlagen wird nicht zwischendurch sauber nicht bedienen können) eingepfercht... An- ausgefallen war. Ursache war ein Blitzschlag gemacht – erst wieder bei der nächsten „Ein- fang Juli konnten 1.000 Ferkel mit Hilfe der während eines nächtlichen Gewitters. Am stallung“) entstehen Entzündungen und Ge- Polizei davor bewahrt werden, in einem über- Morgen waren die Tiere bereits tot. Laut Me- schwüre an den Fußballen, die schlecht oder hitzten Lastwagen elendig zu sterben. Auf der dienberichten überlebten 450 Tiere den Aus- gar nicht heilen, weil es meist offene Wunden A3 in Unterfranken stoppte die Polizei den fall. Das Notsystem, welches in solchen Fällen sind, die ständig mit neuen Bakterien infiziert Tiertransporter im Raum Aschaffenburg – eine automatische Öffnung der Fenster und werden. Diese Verletzungen sind schmerz- die Tiere schmorten in der Hitze, da der Fah- einen Alarm per SMS vorsieht, versagte. Der haft, wodurch die Tiere weniger gern „laufen“ rer die Kühlung abgeschaltet hatte, um Sprit wirtschaftliche Schaden geht laut Angaben und dadurch auch weniger essen. zu sparen. Der LKW stand bei einer Außen- des Geschäftsführers in die Hunderttausende. temperatur von 30 Grad in der prallen Son- Wie mit geschwächten, kranken Tieren dann ne im Stau. Die Tiere waren völlig erschöpft Gegen die Schweinezuchtanlage der Heide- umgegangen wird, zeigen Videoaufnah- und ausgetrocknet, da einige Tränken nicht land Gutsverwaltung GmbH in Thiemendorf men, die zum Beispiel in Report Mainz am funktionierten. Die Feuerwehr berieselte die (ebenfalls Saale-Holzland-Kreis) ermittelt 11. Januar 2010 ausgestrahlt wurden („Der Ferkel mit Wasser. Gegen den 44-jährigen das Thüringer Landeskriminalamt und die Wiesenhof-Skandal“). Eklatante Verstöße Fahrer wird wegen Verstoßes gegen das Tier- Staatsanwaltschaft Gera wegen Verdacht des gegen das Tierschutzgesetz wurden in einer schutzgesetz ermittelt. Nach ein paar Stunden Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Dort Elterntierhaltung für Masthühner im nieder- wurde die Fahrt fortgesetzt. wurden 2013 von Aktivisten_innen der Or- sächsischen Twistringen, Nähe Rechterfeld, ganisation Animal Rights Watch verheerende aufgedeckt. Das Unternehmen Wiesenhof Nicht nur bei Langzeittransporten, die quer Zustände dokumentiert und Anzeige wegen (PHW Gruppe) hat die Verstöße zugegeben durch Europa passieren, sind solche Zustän- Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erstat- und „personelle Maßnahmen angekündigt“, de anzutreffen. So wurde ein Fahrer erwischt, tet, da trächtige Sauen zu lange in kleinen sprach von Einzelfällen und schob vor, die der von Rendsburg (Schleswig-Holstein) nach Ständen vegetieren mussten und kein Be- eigenen Tierschutzbeauftragten würden sich Laatzen (Niedersachsen) fuhr und 3.500 „Ki- schäftigungsmaterial vorhanden war. Diesmal der Sache annehmen und alle Mitarbeiter_in- logramm“ zu viel geladen hatte beziehungs- liegen Anzeigen gegen zwei Beschäftigte des nen gut schulen. Tatsächlich wurden diejeni- weise 30 Quadratmeter zu wenig Fläche hatte. Unternehmens vor, die Durchsuchungen dau- gen angezeigt, die die Aufnahmen in Umlauf erten mehrere Tage, und rund 60 Beamte der gebracht haben. Verluste werden von vornherein einkalkuliert. Bereitschaftspolizei sowie Tierärzte des Thü- Die „Überladung“ entspricht teilweise genau ringer Landesamtes für Verbraucherschutz Bereits „schon“ rund vier Jahre später kommt der „Verlustrate“, zum Beispiel bei einem (TLV) kamen zum Einsatz. Die einst be- Mitte Juli 2014 vom Landwirtschaftsmini- kontrollierten Rindertransport. Aber es sind kannt gewordenen Mängel seien in Koopera- sterium Niedersachsen die Nachricht, dass ja nur Tiere, und der Rest, der es irgendwie tion mit dem Veterinäramt beseitigt worden, Agrarminister Christian Meyer (Die Grünen) überlebt, ist so geschwächt, dass die Tiere wie der Geschäftsführer der Anlage mitteilte. einen Erlass herausgegeben hat, der vorsieht, dann vermutlich leichter zu „handhaben“ dass in den Schlachthöfen in Zukunft die sind. Die Quetschungen, Prellungen, Brüche Mehr Kontrollen gefordert: Fußballen der Hühner kontrolliert werden sieht man dem Stückchen Fleisch hinterher Der Fußballen-Erlass sollen. Treten hintereinander bei mehr als nicht mehr an, und kaum ein Amtsveterinär Die Haut der Fußballen bei Hühnern besteht 20 Prozent der Masthühner schwere Ver- scheint sich an solcherart geschundenen Kör- aus einer harten (Keratin-)Hornhaut. Diese letzungen an den Füßen auf, müsse der ent- pern zu stören. Hornhaut schützt normalerweise gegen äu- sprechende „Landwirt“ die Besatzdichte im ßerliche Schädigung. Wenn allerdings diese Stall senken (maximal zulässig sind aktuell 39 Vorzeitige Tode systemimmanent: Hornhaut länger feucht wird, wird sie weich Kilogramm pro Quadratmeter). Sind mindes- Tierhaltung und verliert die Schutzfunktion; Bakterien tens 80 Prozent der Füße in Ordnung, dür- Nicht nur bei Tiertransporten gibt es furcht- können dann bis in die Unterhaut eindrin- fe die gesetzlich zulässige Besatzdichte vom bare Erstickungstode: Im Juni sind in einer gen. Der Körper wird diese bakterielle In- Mäster weiterhin genutzt werden, ansonsten Mörsdorfer Schweinezuchtanlage im Saale- fektion mit Entzündungszellen bekämpfen.3 solle verringert werden, zunächst auf 35 Kilo- Holzland-Kreis etwa 2.000 Schweine gestor- Aufgrund der immer schmutziger werdenden gramm und dann auf 32 Kilogramm pro Qua- ben. Als Grund gab der Geschäftsführer der Fläche in den Masthallen (in „modernen“ dratmeter. Ziel sei mehr Platz für die Tiere. Mörsdorfer Agrar GmbH den Ausfall der Lüftung an, verursacht durch einen Strom- ausfall. Da die Alarmanlage nicht ausgelöst wurde, ist der Lüftungsausfall zu spät bemerkt worden. Gegen die zuständige Technikfirma wurde Anzeige erstattet. Die toten Schweine wurden in eine Tierkörperbeseitigungsanlage gebracht. Nach dem Vorfall forderte die Thü- ringer Landtagsfraktion der Grünen höhere Standards in der Tierhaltung.

Ende Juni erstickten in Halbenrain in der Südoststeiermark (Österreich) rund 1.800 Schweine einer Mastanlage innerhalb weniger Die neuen Regeln seien laut Meyer gemein- wurden. Neuland wurde vom Bund für Um- statt der üblichen durchgehend mit Spalten sam mit Politik, Expert_innen, Tierschützer_ welt und Naturschutz Deutschland (BUND), versehenen Böden wurden von den Tieren innen und Geflügelbranche im Rahmen des dem Deutschen Tierschutzbund und der Ar- bekotet! Der Schlachtkonzern Vion macht Tierschutzplanes erarbeitet worden. beitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft für die geringe Verbreitung des Siegels vor gegründet. Die Stiftung Warentest empfiehlt allem die Preispolitik des Lebensmittelhan- Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang Neuland als Alternative zu Bio. Neuland ist dels verantwortlich; Fleisch-Sonderangebote ist, dass die zugrundeliegenden Messverfahren ein so genanntes Gütesiegel, das für „ethisch lassen die Mehr-Tierschutz-Produkte teuer und Richtwerte bezüglich Fußverletzungen korrekten Konsum“ und „artgerechte Tierhal- aussehen. War das denn nicht zu erwarten? bei Hühnern von der Geflügelwirtschaft ent- tung“ stehen soll und wurde fast 25 Jahre lang Den fleischessenden Menschen, die es inte- wickelt wurden. Im Herbst soll der Erlass auf als das Vorzeigeprojekt für landwirtschaft- ressiert, wie die Tiere vor ihrem Tod gelebt die Putenhaltung ausgeweitet werden. liche Tierhaltung angesehen. haben, geht das Label nicht weit genug – und Doch was nutzen derartige Erlasse, wenn der die anderen wollen sowieso nur das billigste.7 Vollzug nicht ausreichend kontrolliert wird Im Frühjahr 2014 ändert sich dieses Image. (außer ab und an von Tierbefreiungsakti- Im April kam heraus (durch einen Landwirt Resonanz auf Medienberichte vist_innen)? und Schlachter), dass in großem Stil „kon- ventionelle“ Hähnchen als Neuland-Tiere Ohne Undercover-Recherchen Keine Kontrollen durchgeführt: vermarktet wurden. Ebenso – wie zwischen- keine Änderungen Alle Augen zugedrückt zeitlich aufgedeckt wurde – auch „konven- Auch in der Putenmast gibt es extrem grau- tionell produziertes“ Lammfleisch sowie Käfig-Kaninchen wieder bei REWE same Zustände. So steht das Landratsamt Hähnchenfleisch aus Frankreich, das von un- Vielen Verbrauchern ist wohl nicht bewusst, Dillingen in der Kritik, weil in einem Puten- genehmigten, konventionellen französischen dass auch Kaninchen in industriellen Mastan- mastbetrieb in dessen Zuständigkeitsgebiet Betrieben stammte. Jochen Dettmer, Bundes- lagen gehalten werden. Die Veröffentlichung Tiere flatternd in den Müll geworfen oder geschäftsführer des Neuland-Vereins: „Das von heimlich aufgenommenem Bildmateri- auch totgeprügelt wurden, wie Aufnahmen ganze Neuland-System wird auf neue Füße al, das die Bedingungen in der industriellen von Aktivisten_innen der SOKO Tierschutz gestellt, denn die Glaubwürdigkeit ist unser Kaninchenmast zeigt, sorgt daher immer beweisen. Das Landratsamt hat die Überwa- höchstes Gut.“4 Dennoch hat der Neuland- wieder bundesweit für Schlagzeilen und Ent- chung und Kontrolle der Mastbetriebe stark Verein entschieden, auch nach den bekannt setzen bei den Konsument_innen. Nach der vernachlässigt und steht für das Versäumnis gewordenen Betrugsfällen weiter mit den ver- Veröffentlichung solcher Bilder listete der jetzt scharf in der Kritik. Es wurde eindeu- antwortlichen Firmen und Managern zusam- Handelskonzern REWE gleich zweimal me- tig gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, wie menzuarbeiten.5 dienwirksam Kaninchenfleisch aus, 2007 und heimlich gemachte Videoaufnahmen deutlich 2010. Das Deutsche Tierschutzbüro hat Anfang machen. Der Betrieb bei Dillingen ist einer Topagrar.com dazu – und ausnahmswei- des Jahres herausgefunden, dass REWE jetzt von mehreren bayerischen Geflügelmastbe- se muss man denen mal zustimmen: „AbL, wieder Kaninchenfleisch aus Käfighaltung trieben, der von den Aktivist_innen aufge- BUND und andere werden nicht müde, der verkauft. Das Fleisch stammt von der bel- sucht wurde und wo schwere Missstände fest- modernen Landwirtschaft Vorwürfe zu ma- gischen Firma Lonki. gestellt wurden. Basierend auf der Rechtslage chen und deren Qualitätssiegel zu kritisieren. und den einschlägigen Richtlinien der Euro- Nun trifft es ihr eigenes Vorzeigeprojekt Neu- Schlachtung schwangerer Kühe päischen Kommission sei das Landratsamt land. Statt hier aber nun offensiv und ehrlich Nachtrag zum Artikel in TIERBEFREI- selbst zu unangemeldeten Regelkontrollen mit der Krise umzugehen, wird vertuscht und UNG 83 (Seite 48): Nach dem NDR-Beitrag verpflichtet, wie der Bund Naturschutz Bayern abgewiegelt. Eigeninteressen und persönliche Ende März zur Schlachtung von trächtigen in einer Pressemitteilung bekannt gab. Gera- Vorteile stehen plötzlich über den selbst pro- Kühen nahm bereits die Bundestierärzte- de nicht vorhersehbare Kontrollen sind ja ei- pagierten Idealen. Ein seltener Einblick in kammer (BTK) zum Thema Stellung. Aus der gentlich Sinn der Sache, um Missstände, die das streng gehütete Innenleben einiger Ver- Antwort einer Kleinen Anfrage der Fraktion so und anders bestehen, aufzudecken und ge- eine, die nicht selten wirtschaftliche Interes- Bündnis 90/Die Grünen geht nun hervor, genzusteuern. Die Vollzugshinweise diesbe- sen und den Selbsterhalt zum Ziel haben, dass die Bundesregierung diesen Zustand aus züglich können laut dem Bund Naturschutz als meinen Kritiker.“6 Tierschutzgründen nicht mehr hinnehmen verbindlich betrachtet werden. Landratsamt möchte. Außer, wenn es eine Notschlachtung und Regierung äußerten sich bisher weder zu Labelflop: Tierwohl sei oder wenn die Tiere versehentlich der den Vorwürfen, noch wurde eine Aussage zu Das vom BVELM hochgelobte „Mehr Schlachtung zugeführt werden. Allerdings der Frage gegeben, ob Landratsämter unan- Tierschutz“-Siegel für Fleisch verliert Lie- bestehe EU-weiter Regelungsbedarf, und gemeldete Kontrollen durchführen müssen. feranten. Hätten bis vor Kurzem noch 16 die Betäubungs- und Tötungsverfahren für Höfe Schweine geliefert, seien es jetzt nur Föten müssten in der Verordnung (EG) Nr. Labelbetrug: Neuland noch sieben. Die Zahl der Hühnermäster sei 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Klar, ein Skandal ist es immer, wenn füh- von 44 auf 38 gesunken. Das ist extrem we- Zeitpunkt der Tötung geändert werden. Im lende Lebewesen zu „Nutztieren“ degradiert nig im Vergleich zu den insgesamt 200.000 Klartext: Schade, aber da können wir nichts werden und für den Menschen gezüchtet, ge- Betrieben, die in Deutschland Tiere halten. gegen machen. mästet, gemordet werden. Dennoch scheinen Einerseits gibt es „praktische“ Probleme. Es die Mainstream-Medien dann besonders in- gab Schwierigkeiten, überhaupt Ferkel mit Wenn die Tierhalter_innen zu blöde sind, um teressiert zu berichten, wenn irgendein Siegel komplett langen Schwänzen zu bekommen – bei 180.000 Kühen zu übersehen, dass eine oder Standard nicht eingehalten wurde oder diese dann nicht zu kupieren, habe „mal funk- Schwangerschaft besteht, dann mutet der besser: wenn Verbraucher_innen getäuscht tioniert, mal nicht“. Und die feste Liegefläche Aufruf zu „Zitzenversieglern statt Antibio-

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tika“ geradezu albern an. Kann man solchen Verstümmelungen, die in den „modernen Menschen zutrauen zu beurteilen, ob ein Eu- Tierhaltungsanlagen“ nötig zu sein scheinen. ter oder vielleicht gar nur ein „Euterviertel“ gesund oder krank ist? Exkurs: Noch mehr Tierleid aus Tierschutzgründen? Exkurs: Milchkuh-Elend „Die Verstümmlung von Tieren muss ein Antibiotika sollten in der Tierhaltung aus Ende haben”, fordert Niedersachsens Agrar- Verbraucherschutzgründen möglichst wenig minister Christian Meyer (Die Grünen). gegeben werden. Kühe werden vor der Ge- Ende 2015 solle Schluss sein mit der betäu- burt des nächsten Kalbes „trocken gestellt“, bungslosen Ferkelkastration, Ende 2016 mit also nicht mehr gemolken. Zum einen, um dem Kupieren von Schweineschwänzen und der Brust Zeit zu geben, Krankheiten auszu- dem Wegbrennen von Schnäbeln bei Lege- heilen, und zum anderen, weil danach mehr hennen. Niedersachsen gehe zwar voran, sei Milch gebildet wird, als wenn durchgängig aber auf dem Weg nicht allein.8 gemolken wird. Besonders zum Thema „Eberfleisch“ kursie- Das Problem in der „modernen Tierhaltung“ ren allerhand Artikel, um Verbraucher_innen ist allerdings, dass die Kühe auf Hochleistung zu suggerieren, dass es quasi nicht möglich sei. gezüchtet und getrimmt sind, so dass der Im tierbefreier-Shop gibt es Man findet furchtbare Bilder und Geschich- Natur hier abermals nachgeholfen werden neue Flyer – auch zu den ten von Penisverstümmelungen, Hoden- und muss. Normalerweise bildet sich beim Abstil- Ernährungsthemen Fleisch, Eier, Rückenverletzungen bei Schweinen, die nicht len ein Keratinpfropfen in den Milchgängen Milch: www.tierbefreiershop.de kastriert sind; lernt, dass man als Sportler_in der Zitzen als Schutz gegen Keime von au- Eberfleisch besser meiden sollte, weil das ßen. Bei den „modernen“ Milchkühen aller- Hormon Nandrolon als Doping gelte und dings nicht, so dass leicht Keime eindringen zu tun“ und zeigte sich entsetzt angesichts überhaupt gebe es beim „Schlachtkörper“ und dadurch Krankheiten entstehen können. solch eines Skandals. Auch das Tierärztliche durch die Hormone Androstenon und Skatol Dagegen werden standardmäßig Antibiotika Forum für verantwortbare Landwirtschaft einen „Fehlgeruch“: Das Fleisch stinkt.9 Und gegeben. Seit einiger Zeit wird das „Selektive nimmt zu den tierschutzwidrigen Zuständen die/der Verbraucher_in will ja keinen Kadaver Trockenstellen“ beworben, das bis zu 55 Pro- in der deutschen Ferkelzucht Stellung. Dass essen, der stinkt! zent weniger Antibiotika nötig machen soll. sich Tierärzte an diesem System beteiligen, Antibiotika bekommen dann nur die Kühe, führe zu Kontroversen innerhalb der Tierärz- Unter Narkose zu kastrieren, wie es seit 2010 die offensichtlich kranke Euter haben, die an- teschaft. In einer Pressemitteilung sprach man in der Schweiz üblich ist, soll auch nicht so deren Trockensteherinnen (also trocken be- davon, dass diese „rechtswidrigen Praktiken optimal sein. Wissenschaftler_innen der Uni- zeichnet nicht den Platz, auf dem sie stehen, Auswüchse einer völlig falschen Landwirt- versitäten Zürich und Bern haben zusammen denn „Aufstallung auf Tretmist“ hört sich für schaft sind“. Die Tierärzt_innen des Forums mit Mitarbeiter_innen der SUISAG, Ge- mich ziemlich feucht an) in Betrieben mit fordern den Ausstieg aus diesem Agrarsystem. schäftsbereich SGD, in Sempach untersucht, „hohem Infektionsdruck“ sollen lediglich eine wie die Narkosen in der Praxis durchgeführt Versiegelung der Zitzenzisternen mit einem Kurz darauf haben die Bundesländer Nie- werden. Erstens verabreichen die „Landwirte“ internen Zitzenversiegler erhalten. dersachsen und Nordrhein-Westfalen in die Schmerzmittel nicht richtig dosiert, zwei- einem Erlass verkündet, dass schwächliche tens soll es unter Narkose zu vermehrten Blu- Tötungen überzähliger Ferkel Ferkel ab sofort nicht mehr aus wirtschaft- tungen kommen. Und drittens verursacht das Mitte Juli sorgten zutiefst schockierende lichen Gründen getötet werden dürfen. Es Narkosegas Unwohlsein und Kopfschmerzen Aufnahmen aus Schweinezuchtbetrieben im wurden verbindliche Angaben gemacht, auf – bei den Menschen wohlgemerkt, die diese ARD-Magazin Exclusiv im Ersten für ein welche Art und Weise diese „Kümmerlinge“ „chirurgischen Eingriffe“ durchführen: Die bundesweites Echo. Die von ARIWA in zehn getötet werden müssen. Nicht lebensfähige Arbeitsplatzsicherheit ist nicht gewährleistet! deutschen Zuchtbetrieben heimlich gewon- Ferkel müssen in Zukunft vor der Tötung Statt Gas lieber Injektion wählen? Bei mehr nen Bilder zeigten, wie Mitarbeiter_innen betäubt werden und dürfen nicht durch Ge- als einem Drittel war das Injektionsnarkose- dieser Ferkelfabriken systematisch junge, als nickbruch oder Schläge auf den Boden getö- präparat schlecht dosiert, sodass Ferkel Ab- nicht lebensfähig erachtete Ferkel totschla- tet werden. Die Ministerien ziehen mit die- wehrreaktionen zeigten. Es dauerte durch- gen, indem sie sie gegen Buchtenkanten, sem Beschluss Konsequenzen aus derartigen schnittlich 48 Minuten bis die Hälfte der Wände oder den Boden schlagen. Noch le- Filmaufnahmen. Die Veterinärämter sollen Tiere in Brustlage war und 112 Minuten bis bende Ferkel werden einfach zu den Toten durch Vor-Ort-Kontrollen die Einhaltung die Hälfte wieder koordiniert gehen konnte. geworfen. Es wäre nicht wirtschaftlich, diese dieser Vorgaben kontrollieren. Und das scheint nicht nur „Zeitverschwen- Tiere durch vermehrte Pflege großzuziehen. dung“, sondern vor allem auch Gewichts- Sie durch totschlagen umzubringen, ist natür- Die BTK fordert nach Ausstrahlung der Re- verlust zu bedeuten – die Körpertemperatur lich nicht legal. portage „Deutschlands Ferkelfabriken“ des sank 60 Minuten nach der Kastration im Nachrichtenmagazins Report Mainz eine Durchschnitt um 3,1 Grad ab, wobei sie vor Der Bauernpräsident des Bauern- und Win- Abkehr des züchterischen Ziels, große Würfe allem bei kleineren Ferkeln kritische Werte zerverbandes Rheinland-Nassau, Leo Blum, um jeden Preis zu erzielen. erreichte. Untersuchungen belegen, dass Fer- reagierte auf das Filmmaterial mit den Wor- kel durch die Injektionsnarkose bis zu sechs ten „Das hat nichts mehr mit Landwirtschaft Nicht nur die Tötung ist grausam, auch die Säugephasen versäumen. Mehr als die Hälfte

TIERBEFREIUNG 84 | 65 der „Betriebsleiter“ gaben verstärktes Nach- dersächsischen Tieren gefunden. Betroffen bluten an. Nur rund 20 Prozent hatten keine Interessant für Veganer sind Schweine und sogenannte Milchkühe.13 kastrationsbedingten „Verluste“. Ist doch vegan? Erdbeeren, Niederländische Medien spekulierten über Als eines von 30 Beispielen für überflüssige Brokkoli, Grapefruits … die Möglichkeit, dass 567 Kälber von zwei und absurde Subventionen im Bundeshaus- Betrieben und rund 50.000 Schweine von Leider geht es nicht nur darum, dass in halt nennt der Bund der Steuerzahler (BdSt) 97 Betrieben „entsorgt“ werden müssten. den Unternehmen mutwillig verunrei- in seiner „Aktion Frühjahrsputz 2014“ die 1,2 Tatsächlich waren vor Redaktionsschluss nigt wird, sondern Chinas Boden ist so Millionen Euro Subventionen für das Projekt vier Betriebe für Kälbermast mit insgesamt vergiftet, dass es kaum möglich scheint, „Strategien zur Vermeidung von Geruchs- 2.474 Kälbern betroffen. Keiner der Betriebe gesunde Lebensmittel von dort bezie- abweichungen bei der Mast unkastrierter machte von der Möglichkeit Gebrauch, die hen zu können. Wie sollen qualitativ männlicher Schweine“. Gesucht wird in die- Tiere einzeln testen zu lassen, alle Tierbabys hochwertige Nahrungsmittel für 1,4 sem Forschungsprojekt ein Biomarker, der die wurden vorsorglich für den Verbraucher- Milliarden Menschen plus für den Ex- Gene im Erbgut der Eber markiert, die für schutz sofort getötet. Untersuchungen von port produziert werden, wenn die Böden den Ebergeruch verantwortlich sind. Emp- Schweinen stehen noch aus.14 in China durch Industrie und Bergbau fänger der Subventionen sind die Universität schwer belastet sind? Chinas Umwelt- Bonn, Schlachtunternehmen, Besamungssta- Bei Redaktionsschluss lag die Quelle der schutzbehörde stellte in einer neunjähri- tionen und ein Biotechnologieunternehmen. Kontamination noch im Dunkeln, in den gen Untersuchung fest, dass bereits jetzt Niederlanden wurden mehr als 100 Tierhal- rund ein Fünftel von Chinas Agrarland Sicherheit und Hygiene tungen durch die niederländische Lebens- verseucht ist, unter anderem mit Kad- mittelsicherheitsbehörde gesperrt.15 mium, Nickel und Arsen. Wer darauf Sanktionen gegen McDonald’s In dem Zusammenhang ein verwirrender Getreide oder Gemüse anbaut, riskiert, Der Konflikt zwischen Moskau und Kiew Aspekt: Der Futtermittelhersteller hat laut die Gifte in Umlauf zu bringen. Kon- einerseits und zwischen den USA und Russ- Stern16 etwa 490 Tonnen Getreideerzeug- taminierte Lebensmittel gelangen auch land andererseits umfasst zunehmend den nisse allein nach Niedersachsen gebracht – nach Europa. So wurden beispielsweise Bereich Lebensmittel. Die russische Ver- und zwar hauptsächlich für Biogasanlagen! in Deutschland kontaminierte Erdbee- braucherschutzbehörde hat Klage gegen Sind diese Anlagen so empfindlich, dass ein ren aus China entdeckt. 435 mal fielen McDonald’s eingereicht und will offenbar „Reserve“-Antibiotikum beigemischt wer- Chinaimporte im vergangenen Jahr auf, ein Verkaufsverbot von einigen Burgern und den muss? etwa mit Hinweisen auf verdächtigen Milchshakes erreichen. Zuvor hatte die Be- Brokkoli, Grapefruits oder belasteten hörde aus Qualitätsgründen den Import von 12 Zu viel Zink im Ferkelfutter Tee. Milch und Käse aus der Ukraine gestoppt. Während in den meisten EU-Mitglieds- Auch über Fleisch- und Milchprodukte staaten der Einsatz von Zink in Futtermitteln von 15 österreichischen Molkerei- und zabäcker Papa John’s und Chinas drittgrößte begrenzt ist, wird in Dänemark das Schwer- Fleischerzeugern wurde Wochen zuvor ein Fastfood-Kette Dicos kündigten kurz danach metall in großem Maßstab und hochdosiert Importverbot verhängt. McDonald’s ist seit auch an, sie würden das Fleisch dieses Liefe- in der Ferkelaufzucht gegen Erkrankungen Januar 1990, kurz vor dem Zusammenbruch ranten nicht mehr verwenden. Ikea hatte die durch Colibakterien eingesetzt. Der Einsatz der Sowjetunion, in Russland präsent. Im Zusammenarbeit laut eigenen Angaben be- von großen Mengen Zink im Ferkelfutter März 2014 schloss das Unternehmen seine reits Mitte 2013 beendet. Auch in Japan habe fördert multiresistente Colibakterien, wie in Filialen auf der Krim, angeblich aus pro- McDonald’s Produkte von Husi verkauft, der der Fachzeitschrift International Journal of duktionstechnischen Gründen. McDonald’s Verkauf zumindest der Chicken McNuggets Medical Microbiology berichtetet wird. Auch betreibt mehr als 400 Filialen in Russland. wurde nun gestoppt.11 in Deutschland wird Zink über Ergänzungs- Das Land gehört zu den sieben wichtigsten futtermittel vertrieben, die es dem Ferkel- Märkten des Unternehmens außerhalb der Chinas Führung hat Lebensmittelsicherheit züchter erlauben, hohe Mengen an Zink USA und Kanada. McDonald’s macht heute zwar zu einer nationalen Priorität erklärt, zu verfüttern. Die Europäische Behörde für rund 70 Prozent seiner Umsätze außerhalb allerdings geschehen staatliche Kontrollen Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat für alle der USA. Die schlechte Nachricht: Nicht selten und nachlässig. Wenn nicht Menschen Tierarten eine Reduzierung der maximal zu- etwa eine vegane (oder zumindest vegeta- aus den Firmen auspacken oder engagier- lässigen Zinkkonzentrationen in Futtermit- rische) Kette wird die Lücke füllen, sondern te Journalist_innen etwas enthüllen, erfährt teln vorgeschlagen – Schätzungen zufolge wie es aussieht ein einheimisches Unterneh- kaum jemand etwas von den Machenschaf- könnten so die in die Umwelt ausgebrachten men namens „Rusburger“.10 ten. China und McDonald’s scheint für uns Zinkgehalte durch Wirtschaftsdünger um deutschsprachigen Veganer_innen weit weg etwa 20 Prozent verringert werden. Gammelfleisch in China zu sein. Deshalb ein kleiner Exkurs. Berichten Ende Juli zufolge verarbeitet das Dänemark: DES-Spuren US-amerikanische Unternehmen Husi Food Verbotenes Antibiotika im Tierfutter Anfang Juli hat das dänische Schlachtunter- Company in China abgelaufenes Fleisch. Das Ein aus den Niederlanden bezogenes Tier- nehmen Danish Crown insgesamt 11,5 Ton- Fleisch soll bereits grün gewesen sein und ge- futter beinhaltet das in der EU seit 1995 für nen Schweinefleisch zurückgerufen, welches stunken haben. Die Fabrik beliefert unter an- Veterinärmedizin verbotene Antibiotikum das Unternehmen an zwei schwedische Su- derem chinesische Filialen von McDonald’s, Furazolidon, das bereits in Kälbermastbe- permarktketten geliefert hatte. DES wurde Starbucks, Kentucky Fried Chicken und trieben festgestellt wurde. Nun wurde es im in den 70er Jahren als Wachstumshormon Pizza Hut. Starbucks, Burger King, der Piz- Futter von nordrhein-westfälischen und nie- in der Rindermast eingesetzt. Die Substanz

66 | TIERBEFREIUNG 84 Wassertiere

Plastikmüll im Meer verschwindet

Tonnenweise Plastikmüll schwimmt weltweit in den Ozeanen. Große Gute Nachricht: Armer Inselstaat Kiribati wagt mutigen Schritt Müllinseln aus Plastiktreibgut, wie der Great Pacific Garbage Patch im Eines der artenreichsten Ökosysteme der Welt liegt im Pazifik zwi- Nordpazifik, machen das Ausmaß dieser Umweltverschmutzung auf schen Hawaii und den Fidschi-Inseln. Die so genannte Phoenix erschreckende Weise sichtbar. Der sogenannte Great Pacific Garbage Islands Protection Area besitzt intakte Korallenarchipele mit ein- Patch ist ein auf den Ozeanen der Welt treibender Müllteppich, der zigartigen Riffen, unberührten Atollen und einem großen Fischvor- mehr als 7,25 Millionen Tonnen wiegt. Zuzuschreiben ist der gigan- kommen. Dort leben mehr als 200 Korallenspezies und mehr als 550 tische Müllteppich der Wegwerfkultur unserer Gesellschaft, laschen Korallenfischarten. Hinzu kommt noch eine große Population von Bestimmungen und der Schifffahrt. Der Teppich verschmutzt das Meeresschildkröten, Seevögeln, Delfinen und Walen. Mit einer Fläche Meer und ist für viele Tiere eine tödliche Falle. Meeressäuger verfan- von rund 410.000 Quadratkilometern stellt die Region das weltgrößte gen sich in den Müllfragmenten, während insbesondere Vögel und Meeresschutzgebiet dar. Um es zu schützen, ist ab 2015 hier keine Fi- kleine Fische kleine Plastikstücke mit verwertbarer Nahrung verwech- scherei mehr erlaubt, und das obwohl die Inselnation nicht nur selbst seln und diese mit verheerenden Folgen fressen. vom Fischfang lebt, sondern auch Fischereilizenzen an Japan, Taiwan und China verkauft. Aufgrund des Klimawandels und des Anstiegs Umweltschutzorganisationen und offizielle staatliche Einrichtungen des Meeresspiegels wird Kiribati übrigens bis 2070 im Meer versunken verschiedener Nationen standen bisher vor dem Rätsel, wie der Tep- sein.22 pich aus Plastik entfernt werden kann. Der jetzt 19 Jahre alte Nieder- länder Boyan Slat hat das sogenannte Ocean Cleanup Array bereits Zu viel Gülle: Dramatisches Fischesterben in Seen und Flüssen 2012 präsentiert, mit dem das Plastik von der Oberfläche der Welt- In der Elbe hat ein Fischesterben begonnen. Lachse, Aale, Meerforel- meere innerhalb von fünf Jahren entfernt werden könnte (www.bo- len und Stinte schnappen nach Luft, der Strom führt immer weniger yanslat.com). Sauerstoff. Ende Juli sind in nur einer Woche Fische im Gesamtge- wicht von rund 100 Tonnen gestorben. Betroffen ist die Elbe bei We- del genauso wie vor Blankenese. Experten machen für das Fischsterben in der 24 Grad warmen Elbe mehrere Faktoren verantwortlich. Dazu gehört die verstärkte Algenblüte. Die Hamburger Umweltbehörde nennt als eine der wichtigen Ursachen für das intensive Algenwachs- tum die hohe Nährstoffbelastung der Elbe durch die Düngemittel der Landwirtschaft und die Klärwerke. Die Einträge, insbesondere Stick- stoff, resultieren wesentlich aus dem Düngemitteleinsatz in der Land- wirtschaft.23

Auch Seen bleiben von den Auswirkungen der „modernen Tierhal- tung“ nicht verschont – so kippte bereits der Westerwerker See bei Glücksburg um („Es sei bekannt, dass zum Beispiel ein Teil der auf die Äcker aufgebrachten Gülle, durch die Drainage abfließe und in die Gewässer gelange.“).24 Neue Ergebnisse aus Spanien21 lassen nun vermuten, dass viel we- niger Abfall und kleinste Kunststoffteile, so genanntes Mikroplastik, Doch erlaubt: Fisch-Spa-Behandlung im Wasser treiben als bisher angenommen: Statt der noch 1997 ge- Wer kommerziell Tiere hält, benötigt laut §11 des Tierschutzgesetzes schätzten 6,4 Millionen Tonnen pro Jahr dürften es tatsächlich nicht eine Genehmigung hierfür. Diese hatte eine Frau nicht, die in ihrem mehr als 7.000 bis 35.000 Tonnen sein. Die Menge an Plastikmüll, Friseursalon einen besonderen Service bot. Kund_innen konnten sich die Menschen in die Meere leiten, sei viel höher als die Menge, die an Armen und Beinen von Kangal-Fischen beknabbern lassen; dies ist letztendlich in den Meeren schwimmt. Die Meeresströmungen füh- besonders beliebt bei Schuppenflechte und Neurodermitis. Auf An- ren Plastikteile mit sich, die durch die Sonneneinstrahlung in immer weisung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz kleinere Fragmente zersetzt werden. Dieses sogenannte Mikropla- NRW (LANUV) untersagte die Stadt Essen Ende 2011 diese Durch- stik kann Hunderte von Jahren überdauern. Obwohl 88 Prozent der führung der Behandlungen. Die Fischausbeuterin klagte mit erfolg- Meeresoberfläche mit Plastik bedeckt ist, fanden die Forscher kaum reichem Ausgang, denn – so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kleine Plastikteilchen. Wo diese Teilchen bleiben, weiß keiner so ge- – „Nicht nur medizinische sondern auch kosmetische Zwecke könnten nau. Möglich wäre, dass sie ans Ufer gespült wurden oder auf Na- als nachvollziehbar und billigenswert anzusehen sein.“ Die beantragte nogröße zerfallen sind. Ebenso denkbar sei, dass auf den im Wasser Erlaubnis zur gewerblichen Haltung der Fische sei daher zu erteilen.25 schwebenden Plastikfragmenten viele kleine Organismen mitsegeln – durch die Mitfahrer könnten die Fragmente an Gewicht gewinnen und in größere Tiefen absinken. Die wahrscheinlichste Erklärung scheint zu sein, dass Meerestiere und Seevögel das Mikroplastik in ihren Körpern aufnehmen. Die meisten Auswirkungen der Umwelt- verschmutzung durch Kunststoffe seien aber bislang noch unbekannt, warnen die Forscher.

TIERBEFREIUNG 84 | 67 wurde in der EU mit anderen Hormonen für Aus Seuche wird Gesundheit den Einsatz in der Tierproduktion verboten, Warnungen Zum 1. Mai 2014 wurde das bisherige weil der Verdacht bestand, dass DES krebs- Tierseuchengesetz vom neuen Tiergesund- auslösend ist und genotoxische Eigenschaf- Auf der Seite www.lebensmittelwar- heitsgesetz (TierGesG) abgelöst. Mit dem ten besitzt.17 nung.de finden sich Hinweise an Ver- Tiergesundheitsgesetz soll insbesondere im braucher_innen; aktuell zum Beispiel präventiven Bereich eine Verbesserung ein- Fleisch – so unsicher wie nie zuvor mikrobielle Kontamination bei Fisch- treten und vor allem eine effizientere Über- Aber selbst wenn nicht – absichtlich – Hor- produkten, Verdacht auf Kontamination wachung möglich werden; das Gesetz sollte mone, Antibiotika und andere Stoffe, die mit Escherichia coli in Ziegenrohmilch- also eigentlich Tierverbraucherschutzgesetz in Nahrung in der Höhe nichts zu suchen käse, Salmonellen in Rohmilchkäse heißen. Zudem wird am Friedrich-Loeffler- haben, zugeführt würden, bleiben noch die aus Frankreich, Hepatitis A Viren in Institut eine „Ständige Impfkommission Ve- Keime – ein Dauerbrenner, der vor allem Beeren-Mix-Buttermilch-Schnitten, terinärmedizin“ etabliert, die Empfehlungen auch direkt die Gesundheit der Menschen Höchstmengenüberschreitung von zur Durchführung von Impfungen erarbeiten betrifft. Oxytetracyclin in Riesengarnelen, über- und abgeben wird. Eine in der Humanmedi- höhter Jodgehalt in Spezialnahrung für zin vergleichbare Kommission ist beim Ro- Bereits während des Schlachtprozesses wird Frühgeborene (Milchpulver), Listerien bert Koch-Institut angesiedelt. das Fleisch von Keimen befallen. Beim in geriebenem und gestifteltem Käse. Schlachten kann es zu starken Verschmut- Aber auch andere Dinge sind im Es- All diese Bemühungen, Fleisch und andere zungen der Oberflächen kommen, die in sen zu finden, zum Beispiel rote Pla- tierliche „Nahrungs“mittel möglichst ge- erster Linie durch kothaltige Partikel zum stikfremdkörper in Rinderhackfleisch, sund und gut kontrolliert aussehen zu lassen, Beispiel von der Tierhaut hervorgerufen Glassplitter in Schmelzkäsezubereitung, könnten sich zum großen Teil vielleicht bald werden. Es sind folglich vor allem Darm- Glasstücke in Bolognese- und Napoli- erübrigen – insbesondere für die Hygienebe- bakterien, die als erste die Oberfläche von Sauce, Glassplitter in Milchbreigrieß dingungen bei Zucht, Mästung und Schlach- frischem Fleisch besiedeln: Enterobakte- für Babys und auch mal ein falsches tung zeigen uns doch mal wieder die Ameri- rien, Mikrokokken, fäkale Streptokokken, Mindesthaltbarkeitsdatum (um neun kaner, wie es geht. Pseudomonaden, Laktobazillen sowie aerobe Monate vertan) bei frischer Puten- Sporenbildner. Neben der Entwicklung einer Zwiebelmettwurst. Deutschland wirbt für Verderbnisflora kann es auch zu einer Ver- Chlorhühnchen-Praktik mehrung von krank machenden Bakterien Diese Auflistung ist nicht vollständig Bisher galten US-Chlorhühnchen in der kommen, die selbst keine sensorischen An- – und Achtung, auch vor als vegan gel- Debatte um das Freihandelsabkommen zeichen von Verderb, wie verändertes Aus- tenden* Produkten wird hin und wieder mit den USA (TTIP) als Schreckgespenst sehen, veränderte Konsistenz, veränderten gewarnt! für Verbraucher_innen. Allerdings sei „das Geruch oder Geschmack verursachen. Zu * Nach der Lektüre des Titelthemas der TIERBEFREIUNG deutsche Huhn [also das Fleisch für Kon- 82 (Tierbefreiung & Landwirtschaft) mag man Produkte, den wichtigsten Erregern sind in diesem die nicht aus dem bio-veganen Landbau stammen, fast nicht sument_in] auf keinen Fall gesünder als das Zusammenhang Salmonellen, Staphylokok- mehr „vegan“ nennen. US-Chlorhuhn. Ganz im Gegenteil: Wir ken, EHEC (enterohämorrhagische E. coli), müssen leider feststellen, dass wir ein mas- Bazillen und Clostridien zu zählen.18 sives Keimproblem auf deutschem Geflügel und leiden unter Durchfall, säugende Fer- haben“, so Prof. Lüppo Ellerbroek, Fach- Angesichts komplexer und häufig internati- kel bekommen schlimmen Durchfall und gruppenleiter Lebensmittelhygiene und Si- onaler Warenströme kann es lange dauern, sterben an einem kaputten Verdauungstrakt cherheitskonzepte des BfR (Bundesinstitut die Ursache eines Krankheitsausbruchs he- und Flüssigkeitsmangel. Das Virus trägt den für Risikobewertung) in einem Beitrag des rauszufinden. Vor diesem Hintergrund soll Namen „Porcine Epidemic Diarrhea Virus“ ARD-Politmagazins Report Mainz. Es wür- eine neu entwickelte wahrscheinlichkeits- – kurz PED. Bereits im Mai 2013 war das de Jahr für Jahr festgestellt, dass es einen sehr basierte Methode dazu beitragen, verun- Virus zum ersten Mal in Iowa, dem größ- hohen Anteil an Campylobacter und Salmo- reinigte Lebensmittel zu identifizieren und ten Schweinezuchtstaat der USA, aufge- nellen als krank machende Erreger auf dem Krankheitsausbrüche schneller aufzuklären. treten. Im Laufe der Zeit hat es sich in 31 „Geflügel“ gäbe. Dieser Trend konnte bislang Der computergestützte Vergleich von Ver- Bundesstaaten verbreitet. Es ist der bislang nicht gestoppt werden. Die Behandlung von teilungsmustern einzelner Lebensmittel mit schlimmste Ausbruch der Seuche in Ame- „Geflügel“fleisch mit Chlorverbindungen in dem Verteilungsmuster von Krankheitsfäl- rika. 62 Millionen Schweine gibt es in den den USA hingegen sei eine effektive Methode, len, die dem Ausbruch zugeordnet werden, Vereinigten Staaten. Eine Ansteckungsge- um die Keimbelastung deutlich zu reduzieren soll eine schnelle Eingrenzung auf die Grup- fahr für den Menschen solle nicht bestehen. und damit Erkrankungen wegen Keimen zu pe von Lebensmitteln, die als Ursache des Durch den hohen Verlust an Tieren hat sich verhindern. Deswegen spricht sich das BfR Ausbruchs in Frage kommt, ermöglichen.19 der Preis für Schweinefleisch um 15 Prozent dafür aus, auch in Deutschland die Behand- erhöht – Tendenz steigend. lung von Fleisch mit Chlorverbindungen als Schweinevirus in den USA zusätzliche Maßnahme ergänzend zu „hohen In den USA wütete im Sommer ein Schwei- Letztendlich geht es nicht um das Wohl Erzeugungsstandards“ einzuführen.20 nevirus, das wöchentlich 100.000 Ferkel oder die Gesundheit der Tiere, sondern le- sterben ließ. Ende Juli ging man bereits von diglich darum, dass Konsument_innen mög- Bitte lest die Infos in dieser Ausgabe von bis zu zehn Millionen toter Tiere aus. Eine lichst unbeschwert zugreifen können. Wen Mastanlagen Widerstand und beteiligt euch an Übertragung des Virus erfolgt durch den wundert da folgende Namensänderung. Protesten gegen all diesen Irrsinn! Kot der Schweine. Die Tiere erbrechen sich

68 | TIERBEFREIUNG 84 Vegan

Fußnoten: ZDF verbrennt sich an seiner „Grillshow“ die Finger [1] www.topagrar.com/news/ Home-top-News-Internet-Pranger- Am 2. August 2014 wollte das ZDF eigentlich „Die große Grillshow“ als absolutes Highlight prä- fuer-Tierhalter-stoesst-auf-Kri- tik-1428537.html sentieren. Verschiedene Organisationen und Soziale Netzwerke riefen zum Protest gegen diese [2] www.animal-health-online.de/ weitere Dauerwerbesendung für die Fleischindustrie auf. Laut dem Medienmagazin www.dwdl.de gross/2014/03/19/kontrolle-von- lebendtiertransporten-beanstan- schalteten gerade mal 2,12 Millionen Zuschauer zur besten Sendezeit ein und damit sogar weniger dungsquote-bei-66-prozent als bei einer „Bergdoktor“-Wiederholung am Vorabend. [3] www.gvp-emmen.de/tier- krankheiten/entzungungen-der- fussballen Nach Protesten: Stiftung wirft McDonald’s aus Schulbündnis [4] www.br.de/radio/bayern2/ sendungen/notizbuch/neuland- Verbraucher- und Ernährungsbildung an den Schulen sollte unabhängig von Unternehmen sein. betriebe-unregelmaessig- Die Stiftung Verbraucherschutz hat die Zusammenarbeit mit McDonald’s bei der Bildungsarbeit keiten-100.html [5] www.zeit.de/wirt- beendet. Die Einrichtung reagiert damit auf den Protest von mehr als 37.000 Bürgern über eine schaft/2014-04/neuland-fleisch- foodwatch-Aktion. Im März 2013 hatte die Stiftung ein Bündnis ins Leben gerufen (TIERBE- gefluegel-betrug [6] www.topagrar.com/news/ FREIUNG berichtete), das unter Beteiligung von Unternehmen wie McDonald’s Projekte zur Er- Home-top-News-Neuland-wirft-die- nährungsbildung in Schulen durchführen soll. Betrueger-nicht-raus-1486395. html [7] www.taz.de/!142759 Amputationsschinken – ethisch unbedenkliches Fleisch? [8] www.animal-health-online.de/ Schweine müssen schnell fett werden und bekommen unter anderem flüssige Kalorienbomben zu gross/2014/04/10/agrarminister- meyer-ende-2015-soll-betaubungs- fressen. Dies fördert massiv Diabetes vom Typ 2. Die schmerzleitenden Nervenfasern in den Beinen losen-ferkelkastration-enden-ende- 2016-schwanzekupieren-und- der erkrankten Tiere werden geschädigt, und es kommt vor, dass ihre Füße zwischen den Stangen im schabelkurzen Käfigboden zu faulen beginnen. Gesa Schäfer hat sich überlegt, wie man den Tieren helfen könnte, [9] www.euleev.de/lebensmittel- und-ernaehrung/452 damit sie noch ein paar Wochen bis zur ihrer Schlachtreife (über)leben können, selbst noch etwas [10] www.handelsblatt.com/ verdienen kann und Lifestyle-Veggies echtes Fleisch andrehen könnte. Wenn man von taz.de die unternehmen/handel-dienstlei- ster/10252718.html und www. Meldung „Hinkend, aber glücklich“ von Ende Juli 2014 liest, denkt man erst an eine übernommene diepresse.com/home/wirtschaft/ Meldung von Postillon oder muss sich vergewissern, dass dies keine veraltete April-Ente ist. Vete- international/3844491 und www. faz.net/aktuell/wirtschaft/unter- rinärmedizinisch indizierter Amputationsschinken soll ein neuer Trend für tierethisch bewusste nehmen/-13065217.html und Inte- ressantes zu Hintergründen: www. Genießer werden. Die 34jährige Veganerin Gesa Schäfer hat sich eine mobile Amputationspraxis manager-magazin.de/magazin/ geschaffen und klappert die Massentierhaltungsbetriebe ab, um an Patienten und Schinken zu kom- artikel/a-970739-5.html [11] www.taz.de/!142866 und men. Der Verzehr von Amputationsfleisch sei gelebte Solidarität mit der geschundenen Kreatur. www.20min.ch/panorama/news/ Viola Kaesmacher story/19361228 [12] www.wirtschaftsblatt.at/ home/nachrichten/internatio- Anzeige nal/3843800 [13] www1.wdr.de/studio/ muenster/themadestages/ verseuchtestierfutter100.html www.merkur-online.de/aktuelles/ welt/-3732895.html [14] www.animal-health-online.de/ gross/2014/07/23/furazolidon- 2-474-kalber-sterben-fur-den- verbraucherschutz [15] www.animal-health-online. de/gross/2014/07/23/quelle- liegt-noch-im-dunkeln-mehr-als- 100-niederlandische-tierhaltungen- wegen-furazolidon-gesperrt [16] www.stern.de/panora- ma/2126696.html [17] www.animal-health-online.de/ gross/2014/07/03/danemark- des-spuren-in-schweinefleisch- entdeckt [18] Siehe auf www.fleischwirt- schaft.de unter „Service“, “Fragen/ Antworten“, „Verdorbenes Fleisch“ (auf Seite 5) [19] www.bfr.bund.de/de/pressein- formation/2014/20/-191169.html [20] www.animal-health-online.de/ gross/2014/06/11/das- chlor-huhn-es-geht-nicht-um- verbraucherschutz [21] www.focus.de/wissen/natur/ meeresforschung/_id_3962512. html [22] www.feelgreen.de/70030388 [23] www.abendblatt.de/hamburg/ article130506303 [24] www.shz.de/lokales/schleswi- ger-nachrichten/-id7191036.html [25] www.rechtsindex.de/ verwaltungsrecht/4333-vg-gelsen- kirchen-urteil-16-k-5116-12

TIERBEFREIUNG 84 | 69 Die Jagd ist für Wildtierbestände irrelevant Jäger geben am Beispiel von Wildschweinen zu: Große Populationen sind menschengemacht

In Wild und Hund, einem Magazin für Jäger und Jägerinnen des Paul Parey Verlages, wird in Ausgabe 9/2014 Klartext gesprochen.1 Tatsächlich – entgegen dem in der Vergangenheit propagierten Dogma – ist die Jagd kein geeignetes Mittel, um Populationen zu regulieren.

Diese mutige Äußerung wird anhand der Es wird nicht erklärt, warum dies so ist, son- Warum es viele Wildschweine gibt Wildschwein-„Problematik“ erläutert. Die dern es wird lediglich gefordert, „diese Fakten Wo diese Ursachen liegen, wird zumindest in Wildschweinbestände steigen (trotz eben- in die Öffentlichkeit [zu] tragen, um nicht dem Wild und Hund-Artikel verschwiegen, falls massiv steigenden Abschusszahlen), immer wieder als Sündenbock für das soge- aber es liegt auf der Hand, dass das angebliche und die Ursachen (milde Winter, optimale nannte Schwarzwildproblem durch die Me- Überpopulationsproblem menschengemacht Futterbedingungen und hohe Anpassungs- dien gehetzt zu werden. Die Ursachen dafür ist, wie selbst auf sehr jagdfreundlichen Quel- fähigkeit der Tiere) sind von Jäger_innen liegen im Wesentlichen ganz woanders.“ len wie beispielsweise www.wildschweine.net durch das Abschießen nicht beeinflussbar. („Das Problem der so genannten Überpopu- lation“) nachzulesen ist. Leider werden in dem Artikel keine Al- • Natürliche Feinde wurden in Deutschland ternativen, sondern lediglich „Probleme“ vom Menschen ausgerottet. Auch wenn es erwähnt. Es drängt sich fast der Verdacht noch Füchse bei uns gibt – mehr als ein al- auf, als wollten jagende Menschen zwar lein herumirrendes Wildschweinbaby wird weiterhin ihre Rechte auch entgegen von kaum drin sein. Dazu wäre schon ein Luchs, Tierschutz- und sonstigen Gesetzen (Tiere Wolf oder Bär notwendig. Das wohl größte abschießen), nicht aber ihre Pflichten (unter Problem in diesem Zusammenhang ist, dass anderem „Wildschaden“ verhüten) wahr- es bis auf wenige Ausnahmen kaum noch nehmen und dadurch wieder mehr Freude große zusammenhängende Waldflächen in an ihrem Tun erlangen. Lapidar wird be- Europa gibt, die ein Ansiedeln solcher Tier- hauptet: „Die Sauen vermehren sich unauf- Im Jagdjahr 2012/13 haben die Jäger arten möglich machen würden. Aber sobald haltsam weiter. Immer häufiger dringen sie in Deutschland 644.233 Wild- es dann doch mal einzelne Tiere oder sogar in Städte vor und besiedeln auch bislang schweine getötet. Verglichen mit dem kleine Grüppchen schaffen, Fuß zu fassen, ungenutzte und ungeeignete Lebensräume.“ Mittelwert der vorangegangenen werden sie entgegen aller – noch so schar- Wobei noch die Frage zu klären wäre, was fünf Jahre sind dies 26 Prozent mehr fer – Gesetze „versehentlich“ zusammenge- „ungeeignet“ sei … Wildschweine. schossen – von übereifrigen, fehlsichtigen, verwirrten, völlig uninformierten oder sadis-

70 | TIERBEFREIUNG 84 Jagd

bewirtschaftete Flächen. Durch den Anbau Wolf in Sachsen Ein Foto und von zum Beispiel Mais (eigentlich vor allem als Tierfutter für die Massentierhaltung oder abgeschossen seine Geschichte für Biogasanlagen angebaut) werden landwirt- schaftliche Nutzpflanzen zum Basis-Wild- (rg) Der Wolf steht in Deutsch- schweinfutter. Landwirt_innen stehen unter land unter Schutz und darf massivem ökonomischen Druck, sodass auch nicht geschossen werden. Genau nach der Ernte viele verwertbare Reste auf dies ist jedoch einem Tier nahe den Feldern bleiben, wenn auch untergepflügt. Malschwitz im Kreis Bautzen Beim Suchen verursachen die Wildschweine im Juli passiert. Die Staatsan- „Schaden“ auf den Feldern. Eine Art Teu- waltschaft und das Landeskrimi- felskreis – die Jäger_innenschaft schimpft auf nalamt haben die Ermittlungen die Landwirt_innenschaft, die Landwirt_in- aufgenommen. Bislang gibt es nenschaft schimpft auf die Jäger_innenschaft, keine Hinweise zum Täter oder Eine Wildschweingruppe suchte bei denn Jäger_innen müssen für „Flurschäden“ der Schusswaffe. Analysen be- Leipzig nach einer ausgiebigen Mahl- aufkommen. stätigten, dass das ein Jahr alte zeit im Rapsfeld offenbar dringend • Hobbyjäger_innen, die auch bei Treibjagden Wolfsweibchen erschossen wurde. eine Abkühlung – und wurde in Thre- ihr Unwesen treiben, haben nicht nur kein Laut dem Kontaktbüro „Wolfsre- na fündig. Die Tiere flitzten durch ethisches Bewusstsein anderen Lebewesen ge- gion Lausitz“ wurden in den letz- einen Garten und stürzten sich in den genüber, sondern noch nicht einmal Ahnung ten zehn Monaten zwei weitere Swimmingpool – bei strahlendem über die Konsequenzen, die ein von ihnen ver- Wölfe illegal in Ostsachsen abge- Sonnenschein und knapp 30 Grad ursachter Mord anrichtet. Bei groß angelegten schossen. Der Landesjagdverband im Schatten sicher eine willkommene Treibjagden wird das erlaubte Gewicht meist distanzierte sich von der Tat und Erfrischung. Wildschweine sind gute bei Weitem überschritten. Liegt nun ein 120 verurteilte das Vorkommnis. Schwimmer und fühlten sich in dem Kilogramm schweres Wildschwein „auf der Allerdings gibt es auch eine er- kühlen Nass offensichtlich sehr wohl. Strecke“, das die zum Beispiel erlaubten 40 Ki- freuliche Nachricht: Der erste Sie drehten Runde um Runde. Die logramm und die tolerierten 60 Kilogramm bei Wolfsnachwuchs des Jahres er- Besitzerin des Pools rief den zuständi- Weitem überschreitet, zahlt der Schütze oder blickte im Frühjahr in Sachsen- gen Jagdpächter und dieser ermor- die Schützin lediglich ein Strafgeld. Konse- Anhalt das Licht der Welt. In dete – „alternativlos“ – die Tiere. Sie quenzen wie beispielsweise einen Ausschluss der Altengrabower Heide (nähe wurden erschossen beziehungsweise von weiteren Treibjagden gibt es nicht. Da- Magdeburg) lebt seit 2009 ein mit einem Jagdspieß getötet. Lediglich bei kann ein solcher Abschuss weitreichende Wolfsrudel, welches bislang jedes ein Tier konnte rechtzeitig fliehen. Folgen für die soziale Struktur einer Wild- Jahr Welpen großgezogen hat. schweingruppe haben. Es konnten bisher sechs Welpen • Eingriffe in soziale Strukturen bei einer ausgemacht werden. Im Bun- tischen Jägern (siehe auch Kurzmeldungen in Wildschweingruppe haben heftige Konse- desland Sachsen-Anhalt leben dieser oder früheren Ausgaben). quenzen. Wird eine sogenannte Leitbache aktuell sechs Wolfsrudel und ein • Wildschweine werden sichtbarer, weil sie (also das Cheftier einer Gruppe) ermordet, territorialer Einzelwolf. Man gezwungen sind, sich mit neuen Begeben- ist die Gruppe erst einmal ohne Führung, rechnet laut Medienberichten heiten abzufinden und anzupassen. Die Tiere und bestimmte Kontrollmechanismen fehlen, auch in anderen Gegenden mit büßen stetig und ständig Lebensraum ein. Es wie beispielsweise, wer sich fortpflanzen darf Wolfsnachwuchs, zum Beispiel werden immer mehr geschlossene Wald- und und wann dies geschieht. Bis sich ein anderes bei dem Rudel bei Gartow in Wiesenflächen durch Straßen, Wohngebiete Tier diesen Platz erkämpft hat, dauert es eini- Niedersachsen. Landesweit findet und Industrie auseinandergerissen. Einerseits ge Zeit. Währenddessen kommt es dazu, dass beim Wolfsmonitoring eine enge sind die sozialen Gruppen zwar kleiner gewor- weibliche Tiere sich paaren und für „unkon- Zusammenarbeit zwischen dem den, andererseits haben die Tiere allerdings trollierten“ Nachwuchs, auch mehrmals im Landesamt für Umweltschutz, in den vergangen Jahren gelernt, sich besser Jahr, sorgen. den Bundesforstbetrieben, Mit- zu verteilen und jedes Areal nutzbar zu ma- • Intensiver Abschuss von Wildschweinba- arbeiter_innen der Landesforst- chen. So kommt es einem vielerorts vor (zumal bies führt dazu, dass Wildsäue mehrmals pro verwaltung und ehrenamtlichen gepusht durch negative Medienberichterstat- Jahr Nachkommen bekommen. Groteskerwei- Naturschützer_innen statt. Seit tung), dass es viel mehr Wildschweine gibt als se wird diese Tatsache nicht einmal bestritten, März 2014 liefern Jäger_innen vor einigen Jahren oder gar Jahrzehnten noch. sondern sogar in der einschlägigen Literatur aufgrund einer Kooperationsver- • Übermäßiges Futterangebot verhindert zu ausführlich beschrieben. Jäger_innen sind einbarung mit dem Land Sach- einem großen Teil die „natürliche“ Auslese. sich dieser Tatsache also bewusst, und es wird sen-Anhalt vermehrt Hinweise Einerseits gibt es die sogenannten Kirrungen mutwillig die Population kräftig angekurbelt. zu Wolfsbeobachtungen. Der Na- – also Plätze, an denen Futter ausgelegt wird, In manchen Gegenden geht es sogar soweit, turschutzverband WWF engagiert damit Jäger_innen einen todsicheren Ab- dass sogenannte Herodes-Prämien auf erlegte sich gegenwärtig in einem Projekt schussplatz haben. Die veränderten Lebensbe- „Frischlinge“ ausgesetzt werden. zum Wolfsmanagement und un- dingungen durch unsere Monokulturen (kaum Viola Kaesmacher terstützt das Monitoring. noch Waldrandgebiete: entweder Wald oder Fußnote: Acker) locken Wildschweine immer mehr auf [1] Siehe www.wildundhund.de/home/8246-ende-eines-dogmas.

TIERBEFREIUNG 84 | 71 Jagd

Waschbären gelten zunehmend als Plage führe, sondern dass Fressfeinde reduziert werden müssten, unter an- (rg) In der Jagdsaison 2012/2013 wurden so viele Waschbären wie derem auch mit Fallen bei nachtaktiven Beutegreifern. Bezüglich der noch nie getötet, allein in Brandenburg töteten Jäger_innen 20.000 Fallen spricht sich der DJV dafür aus, dass die in Deutschland zum von ihnen. Im Spreewald richten die Allesfresser laut jüngsten Zei- Einsatz kommenden Fallen nach internationalen Standards zertifiziert tungsberichten große Schäden an. Waschbären scheinen in ganz werden sollen, entsprechend des „Übereinkommens über internationa- Deutschland auf dem Vormarsch zu sein, worüber sich Naturschüt- le humane Fangnormen“ (kurz AIHTS). zer_innen und Jäger_innen nicht freuen, da sie sie als Plage betrachten. Am Nachmittag wurde das „Zukunftsforum Jagd“ abgehalten, und Waschbären, die kaum natürliche Feinde haben, finden in der Natur Expert_innen aus Jagd und Naturschutz beantworteten Fragen. Der reichlich Nahrung: Schnecken, Insekten, Würmer, aber auch Nüsse DJV nutzte die Gelegenheit, um die neue Broschüre zur Aufklä- und Obst stehen auf ihrem Speiseplan. Sie stellen jedoch angeblich rungskampagne „Fakten statt Vorurteile“ zu präsentieren. Diese soll auch eine Gefahr für mehrere andere Tierarten dar, da sie auch Gelege Vorurteile gegenüber der Jagd sachlich und wissenschaftsbasiert wi- und – wohl seltener – Jungtiere (zum Beispiel von Singvögeln) ver- derlegen. Mit einer weiteren Maßnahme möchte die Jägerschaft ihr speisen. Waschbären werden erschossen oder in Fallen gefangen und schlechtes Image in der Öffentlichkeit verbessern: 50.000 Postkarten, getötet. Im Spreewald haben sie ihre Scheu so sehr verloren, dass man die in Berliner Gaststätten und Kneipen ausgelegt wurden, sollen die sie bei Kahnfahrten sieht oder sogar in Dörfern bei den Obstbäumen. Jäger_innen ins rechte Licht rücken. Sicherlich sind die Karten das Welche Auswirkungen die unkontrollierte Ausbreitung der Wasch- Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. bären für manche Tierarten hat, ist aktuell nicht absehbar. Die Jagd auf sie ist aufwendig, und es gibt so gut wie keine Abnehmer für die Felle. Jäger_innen erachten eine Erlegungsprämie vom Staat als eine Wettangeln: PETA erstattet Anzeige mögliche Lösung. (rg) Ende Juni fand in Trennfeld im Landkreis Main-Spessart (Bayern) das unterfränkische Königsangeln statt. Die 44 Teilnehmer_innen des Wettangelns wurden von der Organisation PETA anschließend ange- Jagdunfälle zeigt, weil Wettfischen gemäß einer Verfügung der Staatsanwaltschaft (rg) Am 16. Juli kam es in der Nähe von Wildsachsen bei Hofheim Münster vom März 2014 gegen das Tierschutzgesetz verstößt und am Taunus (Hessen) gegen 21 Uhr zu einem Jagdunfall. Teilneh- damit strafbar ist. Das vom Fischereiverband Unterfranken organi- mer eines dort stattfindenden Jagdseminars schossen auf flüchtende sierte Königsangeln hat bei den Fischer_innen Tradition. Seit 1971, Wildschweine, und eine Kugel traft einen 37-Jährigen, der mit sei- eventuell sogar schon länger, findet die Veranstaltung statt. Die Po- nem Mähdrescher ein Rapsfeld erntete. Das Geschoss durchschlug kale gehen an diejenigen, die die größte Menge an gefangenen Fischen die Scheibe des Mähdreschers und erwischte den Mann unterhalb pro Angler_in oder Mannschaft vorweisen können. Meist nehmen vom Knie. Die Polizei konnte bei Redaktionsschluss nicht angeben, zwischen 40 und 60 Angler_innen teil. Dieses Jahr wurden mehr als ob es ein direkter Schuss war oder ob es sich um einen Querschläger 1.200 Fische getötet, was PETA als Verstoß gegen Paragraf 17 des handelte. Ebenso steht die Frage im Raum, ob der Mann das Feld Tierschutzgesetzes sieht, da es keinen „gerechtfertigten Grund im mähte, um die Tiere hervorzuscheuchen oder ob er nur seine Arbeit Sinne des Gesetzes“ gab. 60 Kilogramm Fische wurden bei dem Wett- verrichtete. Der 69-jährige Schütze aus Hofheim muss sich nach dem angeln gefangen – wobei allein der Grund zum Nahrungserwerb das Vorfall einer Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung stellen. Angeln nach Paragraf 17 rechtfertigt. Wettangeln hingegen ist auch Ein Unfall der besonderen Art ereignete sich am 11. Juli in Lindewer- dann strafbar, wenn die Fische im Anschluss gegessen werden. Der ra (Landkreis Eichsfeld, Thüringen) kurz vor 21 Uhr: Ein Jäger stieg Obmann des gut 12.000 Mitglieder umfassenden Fischereiverbandes auf seine Kanzel, und beim Öffnen der Türe flog ihm ein Hornissen- gab an, dass dies beim Königsangeln gewährleistet ist. Fische wie Aitel schwarm entgegen, sodass der Mann einen Schritt zurück wich und und Barbe wurden gegessen, aber rund 1.200 Grundeln (diese wiegen von der Kanzel fiel. Hierbei brach er sich das Bein. Mehrere Feuer- nur 50 Gramm) wurden von ihm laut einem Bericht in der regionalen wehrmänner mussten den Mann aus dem unwegsamen Gelände ber- Zeitung an Wildschweine verfüttert – er ist gleichzeitig auch Jäger. gen. Es wurde extra ein Rettungshubschrauber aus Kassel angefordert. Die Fischer_innen nehmen die Anzeige gelassen und vermut- lich nicht wirklich ernst. Anscheinend gibt es in Angler_innen- kreisen bislang keinen Fall, bei dem eine solche Anzeige ge- Bundesjägertag 2014 gen sie Erfolg gehabt hätte. Die meisten Verfahren dieser Art (rg) Unter dem Motto „Jagd zwischen Tradition und Moderne“ lud der werden eingestellt. Ein Bußgeld wurde bisher nie verhängt. Deutsche Jagdverband (DJV) am 27. Juni in Berlin zum Bundesjäger- Die Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigte den Eingang der Anzeige tag ein. Über 300 Delegierte und Gäste wurden von Hartwig Fischer, – die erste dieser Art in Unterfranken. Präsident des DJV, begrüßt. Das höchste Entscheidungsgremium der Jägerschaft tagte 2014 zum 65. Mal. Etwa 250.000 Jäger_innen sind Mitglied im DJV. Der Verband rief das „Jahr des Niederwildes“ aus und Verbot von Haustierabschüssen verdeutlicht anhand eines Videoprojektes die Bedeutung der Fangjagd in Nordrhein-Westfalen? für den Artenschutz. Die Videos sind auf dem YouTube-Kanal des DJV zu sehen. Dort kann man ebenfalls das auf dem Bundesjägertag (rg) In Nordrhein-Westfalen steht die Novellierung des Jagdgesetzes vorgestellte Filmprojekt anschauen, bei dem überregional bedeutende bevor, und Jagdgegner_innen fordern immer lauter ein Verbot des Ab- Artenschutzprojekte in vier Bundesländern vorgestellt werden, in de- schussrechts so genannt wildernder Haustiere. Allein in diesem Bun- nen die Fangjagd ein wichtiger Bestandteil ist. Diese gilt nämlich aus desland wurden 2012/2013 gemäß offizieller Jagdstatistik über 10.000 Sicht des DJV als tierschutzgerecht und als praktizierter Artenschutz. Katzen und 77 Hunde erschossen. Tierärzt_innen behandeln immer Naturschutzprojekte würden zeigen, dass Artenschutz mit alleinigem öfter angeschossene Katzen. Nach Paragraf 23 des Bundesjagdgesetzes Fokus auf die Lebensraumgestaltung nicht zu dem erhofften Erfolg dürfen Jäger Katzen erschießen, wenn diese sich 200 bis 500 Meter – je

72 | TIERBEFREIUNG 84 Zirkus

nach Bundesland – von der Bebauung entfernen. Dann gelten sie als wildernd. Alle Jahre wieder … Auch Hunde dürfen erschossen werden, wenn sie wildern und sich außerhalb des Einwirkungsbereiches ihres Halters befinden. Ob der Hund gewildert hat, ist oft Weihnachtszirkusse – exotische Tiere umstritten. Der Abschuss von sogenannten Haustieren sorgt immer wieder für bei eisigen Temperaturen Empörung bei der Bevölkerung, gilt er doch aufgrund der oft engen Bindung der Tiere an den Menschen und angesichts des hohen Stellenwertes dieser Individuen Alle Jahre wieder fängt insbesondere für exotische Tiere als nicht mehr zeitgemäß. Das Gesetz geht auf das Jahr 1934 zurück, das Um- im Zirkus eine besondere Leidenszeit an. Wenn zu den weltministerium NRW hat die Absicht, das Gesetz zu verschärfen beziehungs- stundenlangen Transporten, der zwanghaften Dressur weise das Abschussrecht abzuschaffen. Der Deutsche Jagdverband hält selbst- und der monotonen Gefangenschaft noch eisige Tem- verständlich am Abschussparagrafen fest und verweist auf die durch wildernde peraturen hinzukommen – dann ist wieder die Zeit der Haustiere verursachten Schäden. Der Ökologische Jagdverband (ÖJV) ist jedoch Weihnachtszirkusse. gegen einen solchen Abschuss und teilt mit, dass es keine Hinweise gibt, die belegen würden, dass sich der Abschuss von Katzen positiv auf die Vogelpopula- Tierrechtler_innen sollten bei Kontrollen dann ein be- tion auswirkt. Richtig erkannt wurde zudem, dass der Verlust von Lebensräumen sonderes Augenmerk auf die klimatischen Bedingungen durch Bebauung und Agrarwirtschaft eine viel größere Gefahr darstellen. Darü- haben. Zirkusse müssen gemäß Zirkusleitlinien beispiels- ber hinaus findet der ÖJV das Argument, dass wildernde Katzen junge Feldhasen weise für Elefanten und Giraffen eine Temperatur von erlegen würden, wenig glaubhaft. Er appelliert deshalb an das Verantwortungs- mindestens 15 Grad, für Löwen und Tiger (mit Ausnah- bewusstsein der Halter und fordert eine Kastration von Freigängerkatzen. Diese me des Sibirischen Tigers) immerhin noch zehn Grad Forderung wird vom Deutschen Tierschutzbund unterstützt, er setzt sich zudem für im Stallzelt beziehungsweise im Käfig aufrecht erhalten. eine bundesweite Kastrations- und Kennzeichnungspflicht von Freigängern ein. Für viele Zirkusse eine echte Herausforderung. Die nach Ein Problem ist, dass die Abschüsse bislang nicht geahndet werden und die mei- langer Leidenszeit bei Circus Voyage mit nur 30 Jahren sten Verstöße gegen das Abschussgesetz im Sand verlaufen. gestorbene Elefantin Mausi hatte ein prägnantes Er- kennungsmerkmal: vom Frost zerfressene Ohren. Der Anmerkung: gängigen Praxis einiger Zirkusse, Tiere zur Vermeidung Die Novellierung ist mittlerweile durch und muss nur noch verabschiedet wer- von Frostschäden nachts auf meist unbeheizte LKW- den. Schlagfallen, Bleimunition, das Lernen am lebenden Tier (ob flugunfähig Transporter zu packen, sollte durch eine Meldung beim gemachte Vögel oder Füchse), der Abschuss von Katzen (komplett) und der Veterinäramt begegnet werden. Allerdings sind solche Abschuss von Hunden (mit wenigen Ausnahmen) werden somit verboten. Die Missstände nur mit einem gewissen Aufwand zu recher- Jäger-Lobby ist entsprechend wenig begeistert. chieren.

Weihnachtszirkusse sind meist eine Zusammensetzung Premiere in Deutschland: verschiedener Acts aus diversen Zirkusbetrieben, die im Erste Tierzirkusfreie Stadt Winter nicht auf Tournee sind. Sie sind für die Veran- stalter äußerst lukrativ und wirtschaftlich bedeutsam, da (vk) Im Rahmen seiner Tätigkeit als parteiloser Kommunalpolitiker hatte Volker diese Events auf die sentimentale Stimmung der Bevöl- Arndt einen Antrag an das Stadtparlament in Mörfelden-Walldorf (Hessen) kerung zur Weihnachtszeit sowie die vorhandene Freizeit gestellt, Zirkusvorstellungen nur noch ohne den Einsatz von Tieren zuzulassen, über die Feiertage abzielen. Dies sorgt vielerorts für hohe mit dem Ziel, eine aufgrund von Zirkusvorstellungen durch und durch unnötige Umsätze, was in den letzten Jahren zu einem regelrechten Tierquälerei nicht mehr zu bewilligen. Wildwuchs dieser Veranstaltungsform führte. Sein Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen, lediglich die SPD stimmte dagegen. Trotz einer schwarz-grünen Landesregierung führte diese re- Um ein Zeichen gegen diese Tierausbeutung zu setzen, gionale Zirkusdebatte erstmalig dazu, dass in dieser Legislaturperiode Christ- lohnt neben den üblichen Demos inklusive Pressearbeit demokraten und Grüne in Mörfelden-Walldorf gemeinsam einem Antrag zu- sowie Kontrollen der Tierhaltung mit etwaiger Mel- gestimmt haben. dung an die Veterinärbehörden auch weiterhin die lo- Was in der südhessischen Doppelstadt somit Gültigkeit erlangte, ist eine Pre- kalpolitische Initiative. Fraktionen des Stadtparlaments miere und erstmalig in Deutschland geschehen. „Tierschützer sind derweil ganz sollten mit der Bitte kontaktiert werden, ein kommunales fixiert darauf, „Wildtiere“ schützen zu wollen, also Tiger = im Zirkus nicht er- (Wild-)Tierverbot auf den Weg zu bringen. laubt, Tauben aus dem Hut zaubern = erlaubt. Für mich als Mensch ist es be- schämend, dass andere Menschen immer noch Unterschiede aufgrund der äu- Um rechtlichen Unsicherheiten bezüglich der Ausgestal- ßeren Lebenshülle machen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Tauben besitzen tung und Implementierung einer kommunalen Regelung Federn und Flügel, mit denen sie üblicherweise fliegen (was Menschen nicht zu begegnen, sollte den Fraktionen die Ausarbeitung des können). Ihr Lebensraum ist daher der Himmel, wenn sie nicht in Bäumen sit- Landestierschutzbeauftragten Dr. Christoph Maisack zen mit all der Vielfalt um sie herum, die ein Wald bietet. Wie können „manche vom Oktober 2013 mitgereicht werden (siehe hierzu auch meiner Artgenossen“ nur glauben, ein Zylinder sei der geeignete Aufbewah- TIERBEFREIUNG 82). In diesem Papier, das auf der rungsort für solch ein Lebewesen, in dem – wie in jedem „Tier“ – ein natürlicher Internetseite des baden-württembergischen Verbraucher- Freiheitsdrang steckt?“ schutzministeriums abrufbar ist, erläutert der versierte Jurist ausführlich, wie ein kommunales Wildtierverbot – Viele Jahrzehnte musste es dauern, bis nun endlich eine Entscheidung gefallen trotz zweier ungünstiger Gerichtsentscheide in den letz- ist, überhaupt keine Tiere in einem Vergnügungsbetrieb zuzulassen. Kontakt zu ten Jahren – rechtskonform umgesetzt werden kann. Volker Arndt zum Beispiel über www.tierrecht21.eu. Peter Höffken

TIERBEFREIUNG 84 | 73 Zoo

Der Münsteraner „Allwetterzoo“ Betonierter 70er Jahre-Albtraum

Am 2. Mai 1974 öffnete eines der scheußlichsten Betonmonster der an vergleichbaren Monstrositäten nicht eben armen 70er-Jahre-Republik seine Pforten: der schönfärberisch als „Allwetterzoo“ bezeichnete „neue Zoo“ der Stadt Münster.

Schon seit 1875 hatte es in Münster einen kamen Leoparden, Tiger, Paviane, Gibbons der Zoo auch bei schlechtem Wetter ohne Zoologischen Garten gegeben, der indes An- und Schimpansen hinzu. Regenschirm besucht werden kann (daher die fang der 1970er an den Stadtrand ausgelagert Bezeichnung „Allwetterzoo“) . werden musste. Begründet worden war der Der Wiederaufbau setzte sich bis in die „alte Zoo“ auf Initiative des Theologen und 1960er hinein fort, als 1967 völlig unerwartet Seit 2002 befindet sich auf dem Zoogelände Heimatdichters Hermann Landois (1835- das Aus kam: Die Westdeutsche Landesbank das „Westfälische Pferdemuseum“, das auf 1905), der sich neben seinem Theologiestu- war auf der Suche nach einem geeigneten 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die dium auch mit Vogel- und Insektenkunde Grundstück für einen Verwaltungsneubau „Natur- und Kulturgeschichte des Pferdes“ befasst hatte. Seiner Neigung zu Hochpro- an die Stadt Münster herangetreten, die ihr zu präsentieren vorgibt. Tatsächlich werden zentigem wegen aus dem Priesteramt entlas- letztlich das zentral in der Stadt gelegene Pferde nicht nur als universell einsetzbare sen, berief er sich selbst zum ersten Direktor. Gelände des Zoos anbot; dieser sollte im Ge- „Nutztiere“ vorgestellt, sondern vor allem als Seine deutschtümelnde Idee, ausschließlich genzuge ein fast fünfmal so großes Areal am „Sportgeräte“: Eine eigene Abteilung gibt Tiere der heimischen Fauna zu präsentieren, Rande der Stadt erhalten. einen „Überblick über die vielen Disziplinen, wurde allerdings schnell aufgegeben: Bald die den Reitsport so faszinierend machen“ schon verfügte der Zoo über Exoten aller Art. (vor allem in der Region Westfalen, die sich mit mehr als 500 Reitvereinen als „Hoch- Schon ab 1879 gab es unter der Regie Lan- burg des Pferdesports“ versteht). Jede Menge dois’ Konzert-, Varieté-, Theater- und Zirkus- Goldmedaillen und Filmausschnitte sind zu vorstellungen, selbst Sportwettkämpfe fanden besichtigen, die von „Erfolgen und Ruhm“ im Zoo statt; regelmäßig wurden, wie in vie- der westfälischen Reiterschaft berichten. In len anderen Zoos auch, sogenannte „Völker- einer angeschlossenen „Arena“ werden regel- schauen“ veranstaltet, bei denen Nubier, Su- mäßig Pferdeshows – einschließlich Zirkus- danesen, Samoaner, auch australische Koori und sonstiger Dressuren – vorgeführt. oder „Buschmänner aus Deutsch-Ostafrika“ vorgeführt wurden. Erst Ende der 1920er Seelenloses Betonmonster wurden die „Völkerschauen“ in Münster ein- In weiten Teilen entspricht der Allwetterzoo gestellt. Münster bis heute der Kritik, die schon zu sei- ner Eröffnung im Jahre 1974 gegen ihn vorge- In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bracht wurde: Nämlich ein tierfeindliches, see- stagnierte der Zoobetrieb, für einige Zeit lenloses Betonmoster zu sein. In der Tat macht stand er kurz vor der Auflösung. Neuen Auf- der von Bernhard Grzimek mitgeplante Re- schwung erhielt er erst wieder ab Mitte der tortenzoo einen ausgesprochen unwirtlichen 1920er durch steuerliche Freistellung und Ohne Worte Ersteindruck – der Eingangsbereich ist bis Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln. Bei heute eine einzige Betonwüste –, der sich auch schweren Bombardements gegen Ende des Ab 1969 wurde auf dem knapp 24 Hektar im Verlaufe des Rundganges nicht wirklich Zweiten Weltkrieges wurden die meisten Zoo- großen Gelände eine neue Zooanlage aus dem löst: Viele der Betonkästen, die in den frühen gebäude zerstört, kaum ein Tier überlebte. Boden gestampft. Die veranschlagten Bauko- 1970ern als Gehegebauten erstellt wurden, ste- Schon im August 1946 wurde der Zoo indes sten von 28 Millionen D-Mark wuchsen sich hen unverändert heute noch da, allenfalls farbig wiedereröffnet und Schritt für Schritt mit letztlich auf 41 Millionen aus. Zum Jahresen- angestrichen oder kaschiert mit davorgesetzten neuen Tieren bestückt; die meisten wurden de 1973 wurde der „alte“ Zoo aufgelöst, die Bäumen, Sträuchern und Rankgewächsen. Die über die berüchtigte Ahlener Tierhandels- Tiere zogen in den mittlerweile fertiggestell- Behauptung des Zoos, sein Bild habe sich über firma Ruhe angekauft, die jedes gewünschte ten „neuen“ Zoo um. Dieser war komplett in die Jahre hinweg „grundlegend gewandelt“, er Tier aus Afrika oder Fernost importierte. Im Sichtbetonbauweise erstellt worden, sozusa- sei längst „grün“ geworden, ist grotesk. Jubiläumsjahr 1950 hielt der Zoo schon wie- gen „aus einem Guss“, wie seinerzeit schon der mehr als 400 Tiere aus 140 Arten vor, da- spöttisch angemerkt wurde. Als Besonderheit Während es Schimpansen bereits im „alten“ runter mehrere Affen, zwei Löwen, einen Eis- wurde ein etwa ein Kilometer langes Teilstück Zoo gab, kamen Gorillas und Orang Utans bären und einen Elefanten; kurze Zeit später des Besucherrundweges überdacht, so dass erst mit der Eröffnung des „neuen“ Zoos

74 | TIERBEFREIUNG 84 Vollverfliester Betonbunker

1974 dazu. Sie wurden unter beengtesten Ver- Orang Utans in derartigen Gräben ertrunken bereich findet sich ein gefliestes Betonbecken hältnissen in einem eigens für sie errichteten sind, keine ausreichende Rettungsvorrichtung für nordatlantische Kegelrobben, die in re- „Menschenaffenhaus“ untergebracht, einem aufweist). Der Boden des Geheges ist teils be- gelmäßig stattfindenden Dressurshows vor- vollverfliesten Betonbunker, der bis heute un- sandet, teils mit Holzschnitzeln beziehungs- geführt werden; direkt daneben ein weiteres verändert genutzt wird. weise Rindenmulch bedeckt. An Ausstattung Becken für südafrikanische Brillenpinguine. finden sich die zooüblichen Totholzkletterge- Welcher Bildungs- oder sonstige Anspruch Die Orang Utans konnten im Jahre 2000 in rüste, Seile und Hängematten. Im Eingangs- damit verfolgt wird, die Orang Utans zusam- einen als „ZoORANGerie“ bezeichneten men mit Tieren völlig anderer Art und Her- neuen Gehegebau umziehen, der auf dem kunft zu präsentieren, erschließt sich nicht. Betonfundament des abgerissenen Eisbären- geheges errichtet worden war. Der über ein Auch das etwa 500 Quadratmeter umfas- transparentes Foliendach tageslichterhellte sende Außengehege der Orang Utans ist mit Innenraum des neuen Orang Utan-Hauses Betonwänden in Felsoptik umgeben und zur vermittle durch seine „üppige Begrünung“, Besucherseite hin durch einen Wassergraben wie es in einer Werbeverlautbarung des Zoos begrenzt. Das Gelände weist Naturboden, heißt, „Dschungelfeeling in Westfalen“. Ob künstliche Felsformationen und Totholz auf, die Besucher tatsächlich von solchem „Fee- Lebendbäume sind elektrisch verdrahtet, um ling“ erfasst werden, steht dahin. Die Orang ein Emporklettern der Affen zu verhindern. Utans jedenfalls – derzeit werden sechs Tiere vorgehalten – haben von der „üppigen Begrü- Die Gorillas sind nach wie vor im „Men- nung“ des Hauses überhaupt nichts: Ihr gera- schenaffenhaus“ von 1974 untergebracht, das de einmal 150 Quadratmeter großes Gehege sich, im Gegensatz zur „ZoORANGerie“, ist auf drei Seiten von meterhohen künst- noch nicht einmal darum bemüht, eine Illu- lichen Felswänden und zur Besucherseite sion von „Regenwald“ zu vermitteln (bis 2000 hin durch einen steil abfallenden Wassergra- waren hier auch die Orang Utans und bis ben begrenzt (der, obgleich mehrfach schon Juli 2014 eine mittlerweile nach Magdeburg 60 Quadratmeter pure Tristesse

TIERBEFREIUNG 84 | 75 Zoo

abgegebene Gruppe von acht Schimpansen Jonny, Gana, Sakina … untergebracht). Der zusammen mit einigen Erweiterungsbauten heute als „Affricane- Bezeichnend für die Gefangenhaltung um“ bezeichnete Betonkasten weist mehrere Großer Menschenaffen im Münstera- ineinander übergehende Gehegeabteile auf, ner Betonzoo ist die Tragödie um Orang die zur Besucherseite hin mit Panzerglas- Utan Jonny, der, geboren 1972 im Kölner scheiben und zur Rückseite hin mit einer Zoo, im Alter von 14 Jahren nach Mün- Gitterwand versehen sind. Die Böden, des- ster gekommen war. Er lebte 14 Jahre lang gleichen die erhöhten Sitzpodeste, bestehen unter beengtesten Verhältnissen in dem aus nacktem Beton, an Ausstattung finden als „Menschenaffenhaus“ bezeichneten sich ein paar Stahlrohrklettergerüste, Seile Betonbunker, bis er im Jahre 2000 in die und Hängematten. Zusätzlich steht den der- neugebaute „ZoORANGerie“ umzie- zeit sieben vorgehaltenen Gorillas seit 2003 hen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ZoORANGerie mit Seehundbecken ein als „Wintergarten“ bezeichneter Anbau er bereits – vermutlich aufgrund falscher zur Verfügung, der zur Besucherseite hin mit Ernährung – zehn Backenzähne verlo- – 3,2 Millionen Euro, großenteils aus Steu- einer großflächigen Panzerglasfront versehen ren. Zudem hatte er sich eine chronische ermitteln – eine neue Schimpansenanlage, in ist; Versteck- oder Rückzugsmöglichkeiten Lungenentzündung und einen massiven die die Münsteraner Gruppe überführt wur- bietet dieser Anbau ebenso wenig wie die Nierenschaden zugezogen. Unter großen de. Der freiwerdende Platz im Münsteraner sonstigen Gehege des „Affricaneums“ (zu de- Schmerzen vegetierte Jonny noch weitere „Affricaneum“ soll den derzeit sieben Gorillas nen auch ein paar winzige Abteile zählen, in neun Jahre vor sich hin. Bei einer erneuten zugeschlagen werden, um die bundesmini- denen Mangaben, Varis und Kattas vorgehal- Operation im Mai 2009, bei der ihm wei- steriellen Vorgaben zu erfüllen (gegen die in ten werden). Seit 2003 gibt es für die Gorillas tere vier Zähne gezogen wurden, verstarb mehr als der Hälfte der 38 deutschen Zoos, zudem eine relativ großzügige Außenanla- er noch in der Narkose. Die Obduktion in denen große Menschenaffen zur Schau ge- ge, die auf den ersten Blick einen durchaus im Primatenzentrum Göttingen zeigte, stellt werden, verstoßen wird). „naturnahen“ Eindruck erweckt; bei näherer dass nicht nur sein Gebiss, sondern auch Hinsicht zeigt sich indes, dass sämtliche Bäu- sein linker Lungenhauptlappen stark ver- Groteskerweise findet sich ausgerechnet in me auf dem Areal, desgleichen die entlang des eitert waren. In einer Mitteilung des Zoos dem Betonbunker, in dem die Gorillas un- Begrenzungsgrabens angepflanzten Bambus- hieß es ebenso lapidar wie zynisch, Jonny tergebracht sind, eine Plakatwand mit der und sonstigen Stauden, mit stromführenden „wurde in den letzten Jahren zunehmend Aufforderung an die Besucher, die eige- Weidezaundrähten gesichert sind und daher lethargischer, fraß nicht mehr gut und ne Ernährung zu überdenken: „Achten Sie für die Tiere keinerlei Nutzen haben. bewegte sich zeitweise schwerfällig. Ihm beim Kauf von Fleisch auf die Herkunft! fehlte wohl die Luft.“ (...) Fragen Sie beim Metzger in Ihrer Nähe Säugetiergutachten nach der Herkunft des Fleisches. Kaufen Im Mai 2014 wurde die überarbeitete Version Eine endlose Leidensgeschichte ist auch Sie Fleisch aus der Region“. Und als Gipfel des bundesministeriellen Säugetiergutachtens die Haltung von Gorillas im Zoo Münster: der Groteske: „Verzichten Sie weitgehend vorgestellt, das die Haltung von Säugetieren Bis 2010 lebte hier Gorilladame Gana; auf Sojaprodukte!“, die, so der mitgelieferte in Zoos regelt. Schon im Vorfeld der Verab- sie nahm – nicht selten in Zoogefan- Subtext, schuld seien an der Zerstörung des schiedung war den Zoos klar geworden, dass genschaften – ihr erstes Kind Mary Zwo Regenwaldes und damit dem Aussterben der trotz des vehementen Widerstandes der an nicht an, das man deshalb zur Aufzucht Großen Menschenaffen. Es versteht sich, dass der Überarbeitung beteiligten Zoodirektoren in den Zoo Stuttgart brachte. Ihr zweites die Angebote des Zoo-Restaurants, wie in al- die für die Haltung von Menschenaffen vor- Kind Claudio starb an einer mysteriösen len Zoos der Republik, extrem fleisch- und gegebenen Gehegeflächen erheblich erwei- Darmentzündung, tagelang trug sie das wurstlastig sind. tert werden würden.1 Für den Zoo Münster tote Baby mit sich herum. Sie brachte ein bedeuteten die Vorgaben des neuen Säuge- drittes Kind zur Welt, starb aber aus un- Auch Erfreuliches gibt es aus dem Münstera- tiergutachtens ein unlösbares Problem, da an geklärtem Grunde ein halbes Jahr später ner Betonzoo zu berichten: Vor dem Hinter- den viel zu kleinen Innengehegen des Beton- selbst. Auch dieses Kind, Claudia, kam zur grund der konsequenten Öffentlichkeitsarbeit „Affricaneums“ – den Schimpansen standen Aufzucht nach Stuttgart. Nach dem Tod verschiedener Tierrechtsgruppen wurde die darin rund 100 Quadratmeter, den Gorillas Ganas bemühte man sich um ein „neues katastrophale Haltung von Delfinen Anfang rund 60 Quadratmeter plus „Wintergarten“ zuchtfähiges Gorilla-Weibchen“ und 2013 eingestellt. zur Verfügung – keine baulichen Erweite- holte letztlich die im Durell Zoo auf der Colin Goldner rungen möglich waren. Man entschied sich Kanalinsel Jersey geborene Sakina nach Alle Bilder: © Great Ape Project letztlich dafür, die Schimpansenhaltung Münster. Nach massiven Problemen mit komplett aufzugeben: Die acht Tiere wurden Silberrücken N’Kwango wurde sie isoliert Fußnote: [1] Während Menschenaffen bislang ein Innen- sowie ein Au- Anfang Juli 2014 an den Zoo Magdeburg und ein Jahr später an den holländischen ßengehege mit einer Grundfläche von je 25 Quadratmetern für überstellt, der aus nämlichem Grunde wie Zoo Kerkrade abgegeben, wo sie kurz da- bis zu zwei Tiere plus zusätzliche zehn Quadratmeter für jedes weitere Tier zugestanden worden war – für eine vierköpfige der Zoo Münster in Konflikt mit den neuen rauf starb. Der Zoo Münster holte sich Gorillagruppe ein Innenraum von gerade einmal 45 Quadrat- metern –, sehen die neuen Vorgaben für Gorillas Innen- und Vorgaben geraten war. Die bisherige Haltung als Ersatz Gorilladame Shasha aus dem Außengehege von je 200 Quadratmetern für eine vierköpfige zweier Schimpansen in einem hierfür völlig Hawletts Zoo in England, mit der fröh- Gruppe plus 30 Quadratmeter für jedes weitere Tier vor. Ähnlich erweitert wurden die Vorgaben auch für Schimpansen. Die ungeeigneten Gebäude ohne Außenanlage lich „weitergezüchtet“ wurde. Zoovertreter hatten für eine dreiköpfige Gorilla- beziehungs- weise Schimpansengruppe im Innen- und Außenbereich je 70 wäre nicht länger hinnehmbar gewesen. Mag- Quadratmeter plus zehn Quadratmeter für jedes weitere Tier, deburg baute mit enormem Kostenaufwand sprich: 80 Quadratmeter für vierköpfige Gruppen gefordert.

76 | TIERBEFREIUNG 84 Zoo

Zoos manipulieren Besucherzahlen

Kaum ein Zoo des deutschsprachigen Raumes Dass an den Besucherzahlen der einzelnen ab, reduziert sich die Zahl der Zoobesuche- wirtschaftet kostendeckend. Dass die einzel- Zoos gnadenlos herummanipuliert wird, rinnen und Zoobesucher auf unter 15 Millio- nen Einrichtungen für ihren Fortbestand auf stellte der VdZ-Mitgliedszoo Zürich1 Anfang nen pro Jahr. In anderen Worten: Nicht „fast Sponsorengelder wie auch auf Dauersubven- des Jahres – unfreiwillig – unter Beweis. Im jeder Deutsche“ geht in den Zoo, vielmehr tionen aus Steuermitteln angewiesen sind, ist Jahresbericht des Zoos für 2013 wurde der liegt die Zahl der Zoobesucherinnen und insofern bekannt. Es nimmt deshalb nicht neugestaltete Eingangsbereich samt elektro- Zoobesucher bei weit unter einem Viertel wunder, dass sie, um ihre gesellschaftliche Be- nischem Zugangssystem hervorgehoben, das dessen, was der VdZ angibt. Im Übrigen sind, deutung zu dokumentieren, mit geschönten, die Zahl der Zoobesucher exakt zu erfassen entgegen der Behauptung des VdZ, die Besu- um nicht zu sagen: vorsätzlich gefälschten erlaubt. Bis dahin waren die Zahlen aus den cher- beziehungsweise Besuchszahlen in den Besucherzahlen operieren. verkauften Tages- und Jahrestickets über ei- einzelnen Zoos seit Jahren massiv rückläufig. nen vom VdZ vorgegebenen Multiplikati- Der in der Szene wortführende Verband der onsfaktor hochgerechnet worden. Nach die- Die immer wieder vorgetragene Behauptung, Zoologischen Gärten e.V. (VdZ) – bis Juni ser dubiosen, seit Jahren aber in VdZ-Zoos Zoos seien wichtige Attraktionsfaktoren für 2014 bekannt als Verband Deutscher Zoodi- üblichen Berechnung hätte der Zoo Zürich eine Stadt oder Region, die über Umweg- rektoren (VDZ) – behauptet fortgesetzt, allein im Geschäftsjahr 2013 genau 2.003.043 Be- rentabilität – Stärkung von Einzelhandel, die deutschen Zoos zögen Jahr für Jahr rund sucher ausgewiesen, was in ebendieser Höhe Hotel- und Gaststättengewerbe – die ihnen 65 Millionen Besucher an; besonders eifrige und weiter nicht hinterfragt in die VdZ- zuteil werdende massive Subventionierung Zoobefürworter sprechen gar von „bis zu 80 Statistik eingeflossen wäre. Tatsächlich aber rechtfertigten, ist nachweislich falsch: Aus Millionen“, was bedeute, dass „fast jeder Deut- zählte das elektronische Zugangssystem nur tourismuspolitischer Sicht machen Zoos sche jedes Jahr einmal in den Zoo geht“. 1.079.919 Besucher, knapp 55 Prozent der keinen Sinn. Gleichwohl werden sie von Die VdZ-Berechnung hat einen geflissentlich hochgerechneten Zahl. Der VdZ, der bis heu- Kommunal- und Landespolitikern über das übersehenen Haken: Viele Menschen besu- te an dem untauglichen Hochrechnungssy- Argument der Umwegrentabilität mit Mil- chen ein und denselben Zoo per Dauerkarte stem festhält, hat allein für den Zoo Zürich lionenbeträgen aus Steuergeldern gefördert. mehrfach pro Jahr, manche regelmäßig jede für das Jahr 2013 fast eine Million ( Jahreskar- Zudem sind nach Angaben des Verbandes Woche (oder gar täglich!) und/oder suchen ten-)Besucher dazuhalluziniert. Deutschsprachiger Zoopädagogen e.V. mehr reihum verschiedene Zoos auf, sodass die Zahl als 60 Prozent der Zoobesucher unter 14 zoobesuchender Menschen tatsächlich nur Unabhängig davon, dass der VdZ die Zahlen Jahre alt, was die Behauptungen der Umweg- einen Bruchteil der Zahl registrierter Zoobe- für die nicht dem Verband zugehörigen Zoos rentabilität vollends unsinnig erscheinen lässt. suche ausmacht: Statten von den behaupteten den eigenen einfach als Schätzung zuschlägt, Colin Goldner

65 Millionen Besuchern pro Jahr nur fünf bleiben von den behaupteten 65 Millionen Fußnote: Prozent monatlich einem Zoo einen Besuch Besuchern bei abgezogenen 45 Prozent Fehl- [1] Dem VdZ gehören Zoos des gesamten deutschsprachigen ab – eine konservative Schätzung –, verringert berechnung nur gut 36 Millionen über. Stat- Raumes an, insofern auch der Zoo Zürich. sich die Zahl der Menschen, die jährlich Zoos ten wie oben angeführt nur fünf Prozent der besuchen, schlagartig um mehr als die Hälfte. Besucher monatlich einem Zoo einen Besuch AKTIV GEGEN TIERAUSBEUTUNG … ... in einer Ortsgruppe von die tierbefreier e.V. die tierbefreier Bochum die tierbefreier Düsseldorf die tierbefreier*innen Leipzig [email protected] [email protected] [email protected] die tierbefreier Bonn Tierbefreiung Hannover www.leipzig.die-tierbefreier.de (Tierrechtsgruppe Bonn) (OG von die tierbefreier) die tierbefreier_innen Osnabrück [email protected] [email protected] [email protected] www.ti-bo.org www.tbf-hannover.die-tierbefreier.de die tierbefreier Paderborn die tierbefreier Döbeln Tierrechtskollektiv Hannover (Tierrechtsinitiative Paderborn) (Grüne Toleranz) (OG von die tierbefreier) [email protected] [email protected] [email protected] www.ti-pa.de www.gruenetoleranz.de www.tikoh.die-tierbefreier.de die tierbefreier Rhein-Neckar antifaschistische tierbefreier_innen die tierbefreier Jena [email protected] Dortmund [email protected] die tierbefreier*innen Thüringen Mitte-Süd (die tierbefreier*innen Dortmund) Cologne Animal Liberation Activists [email protected] [email protected] (die tierbefreier*innen Köln) Weitere Tierrechtsgruppen: die tierbefreier Dresden [email protected] www.tierrechtstermine.de (Tierbefreiung Dresden) www.vegane-gruppen.de [email protected] www.tierbefreiung-dresden.org Theorie

Rezension Profilverschaffung durch Abgrenzung? Diskussionen nachvollziehen und aus ihnen lernen

Die TIERBEFREIUNG hat sich selbst und Frage nach geeigneten Strategien die Bewe- vermitteln etliche der in diesem Buch ver- der Bewegung ein wirklich schönes Geschenk gung immer wieder umtreibt, zeigen unter sammelten Artikel. Ob es aber für das Selbst- zu ihrem 20jährigen Jubiläum beschert: einen anderem die Kontroverse um den inzwi- verständnis einer Sozialbewegung auf Dauer Reader mit einer Auswahl von rund 30 Ar- schen berühmt-berüchtigten KZ-Vergleich gut sein kann, wenn sie sich in erster Linie tikeln, die in den vergangenen zehn Jahren (Sina Walden, Susann Witt-Stahl) sowie durch Abgrenzung ein Profil verschafft, mag im Magazin abgedruckt wurden. Darin geht die Diskussion darüber, ob die Verleihung man bezweifeln. Zum gegenwärtigen Zeit- es durchaus um die großen Fragen: Wer ist unverletzlicher Grundrechte an alle Großen punkt dürfte dies allerdings auch ein Indiz da- eigentlich diese Tierrechts-/Tierbefreiungs- Menschenaffen tatsächlich ein Fortschritt für sein, wie jung die Tierrechts-/Tierbefrei- bewegung, was will sie, und wie glaubt sie, darstellt (Sina Walden, Franziska Brunn), ungsbewegung noch ist. Tatsächlich ist sie in ihre Ziele zu erreichen? Das Unterfangen, aber auch Grundsatzdebatten über die Rol- gewisser Hinsicht immer noch auf der Suche eine repräsentative Textauswahl zusammen- le der militanten Politik – etwa in Form des nach sich selbst, und dafür unerlässlich sind zustellen, dürfte kein leichtes gewesen sein, Schwarzen Blocks (Konrad Eckstein, vas) gerade auch kritische Debatten, wie sie in die- wie auch die beiden Herausgeber, Emil Fran- – oder darüber, inwieweit Direkte Aktionen sem Reader dokumentiert werden. Sicher, ab zinelli und Andre Gamerschlag, in ihrer Ein- primär der Selbstinszenierung dienen statt einem bestimmten Zeitpunkt wird es unum- leitung zu bedenken geben. Tatsächlich ist produktiv nach außen zu wirken (Espi Twel- gänglich sein, die Bedeutung solcher Debatten die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung ein ve, Demo-Orga). für die Bewegung zu hinterfragen – nämlich äußerst heterogenes Netzwerk, in dem sich Um besondere Formen Direkter Aktionen dann, wenn sie dermaßen viel Raum, Zeit Menschen mit sehr unterschiedlichen Ideen, dreht sich der letzte Textblock. Ausgehend von und Energie einnehmen, dass die Bewegung Visionen und Fähigkeiten treffen, austau- einem Artikel von Steven Best geht es um die vor lauter Sich-Abgrenzen nicht mehr weiß, schen und – auch gerne mal streiten. moralische und pragmatische Legitimität von wohin sie sich eigentlich bewegen soll. So ge- Sabotageakten im Stile der Animal Liberation sehen könnte die Rolle dieses Readers auch Diese Vielfalt der Diskurse zu dokumentie- Front (ALF), um Tierbefreiungen (etwa aus darin bestehen, dass man gewisse Diskussi- ren, ist eines der Ziele des Sammelbandes, Versuchslabors) und Tierfreilassungen (zum onen nachvollzieht und aus ihnen lernt, ohne der in drei Blöcke unterteilt ist. Im ersten Beispiel aus Pelzfarmen) sowie um die Kritik sie zum wiederholten Male zu reproduzieren. Block, „Profil und Identität“, geht es vor an solchen Aktionen sowohl seitens der Öf- Klaus Petrus allem um das Selbstverständnis der Bewe- fentlichkeit als auch innerhalb der Bewegung gung (vergleiche zum Beispiel die Beiträge (Dave Palmer, Mela, Ulf Naumann). von Emil Franzinelli) und hier insbesondere darum, wie tolerant sie gegenüber anderen Der Sammelband bietet eine umfassende und sein darf, die „im Namen der Tiere“ agieren zugleich kurzweilige Lektüre, was auch mit (Maria Schulze) – so etwa Tierschützer_in- dem sehr unterschiedlichen Format der Bei- nen (Franziska Klein), Vegetarier_innen träge zusammenhängen dürfte; das Spektrum (Heiko Weber) oder gar Neonazis (Seba- reicht von Hintergrundartikeln bis hin zu In- stian Vollnhals). Die Diskussionen darüber, terviews und Redebeiträgen. Bei aller Vielfalt wer „dazu gehört“, führen mitunter auch ins der Themen und Herangehensweisen erhält Zentrum der Bewegung und werfen etwa die man doch bisweilen den Eindruck, einige der Fragen auf, wie substanziell der Unterschied Debatten hätten sich zunehmend verhärtet zwischen Konzepten wie „Tierrechte“ und und seien dementsprechend festgefahren – so „Tierbefreiung“ eigentlich ist (BerTA) oder etwa der Konflikt zwischen Tierschutz und ob ein eher konsumorientierter veganer Life- Tierrechte, die „ewige Diskussion“ über den style zum identitätsstiftenden Merkmal einer KZ-Vergleich oder die Sache mit der Gewalt. Sozialen Bewegung werden darf (Markus Wer schon länger in der Bewegung aktiv ist, Kurth). Letztlich betreffen derlei Auseinan- wird sich diesbezüglich bereits eine eigene Emil Franzinelli, dersetzungen immer auch die Rolle der The- Meinung gebildet haben und sich also kaum Andre Gamerschlag, oriearbeit (TAN) und deren Verhältnis zum noch dafür interessieren. Für jene, die noch die tierbefreier e.V. (Hrsg.) tagtäglichen Aktivismus (Ulf Naumann). nicht lange dabei sind oder neu hinzukom- TIERBEFREIUNG – Beiträge zu Genau mit diesem Spannungsfeld befasst sich men – und an sie dürfte dieser Reader primär Profil, Strategien und Methoden der zweite Block des Readers, übertitelt mit gerichtet sein –, wird sich die Brisanz oder der Tierrechtsbewegung „Strategien und Methoden“: Welche Mittel Wichtigkeit solcher Debatten vor allem da- compassion media, Januar 2014 sind legitim, welche sind erfolgversprechend durch erschließen, dass man sich von (allen) 262 Seiten, Taschenbuch und welche kontraproduktiv? Wie sehr die anderen Positionen abgrenzt. Das jedenfalls 15 Euro

78 | TIERBEFREIUNG 84 TIERBEFREIUNG 84 | 79 Verein/Ortsgruppen

AKTIONSBERICHT Mit dem Beamer an die Hauswand Aktionstipp und Bericht

Wir haben Ende April versucht, mit einer Beamer nicht notwendig!), einen Begleit- wägen, was zu beiden Seiten ausfallen kann. Aktion im öffentlichen Raum auf die Schön- flyer und ein Video eurer Wahl. Die Vi- Hier kann auch der Ort eine Rolle spielen. färberei und die grausamen, unerträglichen deo-Gegenüberstellung von Werbung und Wird irgendeine Hauswand verwendet? Zustände in der Tierausbeutungsindustrie Realität und den Flyertext können wir euch Wird die eines Unternehmens genutzt, ge- aufmerksam zu machen. Dabei projizierten auf Anfrage schicken: gen die der Protest zielt? Wir haben keine wir bei Dunkelheit ein großes Videobild [email protected]. Firmenschilder überdeckt oder in Fenster auf eine Häuserwand in einer hochfrequen- gestrahlt. Unsere Aktion hat keine Konse- tierten Straße. Auf diesem wurde die Dis- Wie sieht es rechtlich aus? Die Vorführung quenzen nach sich gezogen. Ein vorbeifah- krepanz zwischen propagierter Illusion in brutalen Videomaterials über Tierausbeu- render Streifenwagen hat die Aktion entwe- der Werbung für speziesistische Produkte tung in der Öffentlichkeit hat unserem der nicht bemerkt oder ignoriert. und der brutalen Realität der Tierausbeu- Wissen nach noch zu keiner Verurteilung tung verdeutlicht. Währenddessen stellten geführt. Es gab ein Verfahren gegen Die Für die Befreiung von Mensch und Tier! wir uns mit verbundenen Augen vor den Tierfreunde e.V., die ein Video auf einer die tierbefreier*innen Leipzig Film, um die Scheuklappenmentalität in den Demonstration zeigten, obwohl für Kin- gegenwärtigen gesellschaftlichen Zuständen der verstörendes Videomaterial durch die zu versinnbildlichen. Wir verteilten au- Auflagen untersagt war. Die Auflage wurde ßerdem Flyer und versuchten, interessierte rückwirkend für rechtswidrig erklärt. Die Menschen zu informieren. Wir hoffen, mit Aktion kann jedoch eine Beeinträchtigung dieser Aktion etwas Aufklärungsarbeit ge- des Eigentums im Sinne von § 1004 I BGB leistet und vielleicht Menschen zum Nach- darstellen. Dies ist nicht in Ordnungswid- denken und -fühlen angeregt zu haben. rigkeiten- oder gar strafrechtlicher Hinsicht relevant (Staat klagt). Es besteht jedoch Außerdem möchten wir für diese Aktions- die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Un- form werben. Ihr braucht nur einen Ge- terlassungsklage (Eigentümer_in klagt). In nerator für der Stromversorgung (15 Euro diesem Fall muss das Gericht zwischen dem Leihgebühr pro Tag im Baumarkt), einen Recht des Eigentümers (Art. 11 GG) und normalen Beamer (Tageslicht- oder HD- dem auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) ab-

80 | TIERBEFREIUNG 84 Bericht VSD Dortmund

(tb) Am 9. August fand in Dortmund der mittlerweile schon traditionelle Vegan Street Day statt, an dem die tierbefreier mit einem Infostand, einem Pavillon zum Band „Galerie des Entsetzens“ und der Gestaltung und Moderation des Programms im Vortragszelt beteiligt waren.

Das Zelt war ebenso wie im vergangenen Jahr sehr gut besucht. Das Programm umfasste dieses Jahr 13 Kurzvorträge von etwa 20 Minu- ten zu den Themen Tierrechte, Tierrechtsaktivismus und Veganismus und war wieder auf (Neu-)Veganer_innen ausgerichtet, die bisher noch keinen oder wenig Kontakt zur Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung hatten. Der Hauptzweck des Vortragszeltes lag darin, jenen Besu- cher_innen, die sich bisher eher nur für den Veganismus als Lifestyle interessierten, den breitgefächerten Aktivismus vorzustellen und nä- herzubringen. Auch den Veranstalter_innen von ARIWA ist es wichtig, dass beim VSD die Tierrechte im Vordergrund stehen. Viele Vorträge wurden als Video aufgenommen und können nun mit den Vortragsbe- schreibungen und Präsentationsfolien auf unserer Webseite eingesehen werden. Das Infozelt war auch in diesem Jahr wieder ein voller Erfolg: Aktive konnten ihre Organisationen und aktivistischen Themen vorstellen, es kam zu Diskussionen und Kontakten, wir wurden angesprochen, ob wir auch bei anderen Straßenfesten beim Aufstellen eines aktivisti- schen Infoprogramms helfen könnten, und mit Sicherheit hat sich bei manchen Zeltbesucher_innen das Interessensspektrum nun auch auf den Aktivismus erweitert. Unser Infotisch am Vortragszelt, an dem TIERBEFREIUNG-Magazine und thematisch passende Bücher an- gesehen und erworben werden konnten, war ebenfalls gut besucht.

Mit der Buchvorstellung und musikalischen Lesung „Galerie des Ent- setzens“, für die auch Chris Moser aus Tirol anreiste, einer Vorstellung des Vereins sowie des Magazins und Sammelbandes TIERBEFREI- UNG und einem Vortrag über Aktionsformen der Tierrechts-/Tierbe- freiungsbewegung, konnten die tierbefreier mehrere Programmpunkte füllen. Am „Galerie des Entsetzens“-Pavillon konnten zwischenzeit- lich die Beiträger Chris Moser und Tobias Hainer angetroffen werden. Hier wurde ein Großteil der 20 Zeichnungen ausgestellt, die Chris Moser zum Band beigetragen hat und deren Originale er an die tierbe- freier für Soli-Verkäufe gespendet hat.

Auch der Info- und Verkaufsstand von die tierbefreier Düsseldorf war sehr gut besucht. Er spielte Mittel zur Finanzierung der Tierrechtsde- mo Düsseldorf im Oktober ein. Neben Infomaterial und Magazinen wurden Bücher, Buttons, Patches, Aufkleber und Produkte aus dem tierbefreier-shop.de angeboten.

Es ist möglich und sinnvoll, den Veganismus wieder an den Aktivis- mus und den ursprünglich politischen Hintergrund zu binden. Der bestehende Vegan Hype muss nicht zur Folge haben, dass der Vega- nismus zum reinen Lifestyle verkommt. Wir danken dem VSD-Orga- team, ARIWA und dem Vegan Kanal und sind auch nächstes Jahr gerne wieder dabei!

Videos, Präsentationen, Beschreibungen, Bericht: www.tierbefreier.de/vsd

TIERBEFREIUNG 84 | 81 Verein/Ortsgruppen

AKTIONSBERICHT Längste Mahnwachen gegen den Versuchstierhandel durch Air France-KLM in Düsseldorf und Hannover

Anlässlich des internationalen Aktionswochenendes am 5. und 6. Juli, zu dem die Kampagnennetzwerke Stop Vivisection und Gateway to Hell gemeinsam aufgerufen haben, fanden erneut zahlreiche Protest- +aktionen gegen Air France-KLM statt. Auch die Aktiven von die tierbefreier Düsseldorf und Tierrechts- kollektiv Hannover (OG von die tierbefreier) beteiligen sich regelmäßig an den Protesten. So fanden zeit- gleich in den Flughäfen Düsseldorf und Hannover-Langenhagen erneut Mahnwachen gegen Tierversuche und die Versuchstiertransporte durch Air France-KLM statt. Die Mahnwachen wurden auf eine Dauer von jeweils 30 Stunden ausgeweitet und waren damit die bisher längsten Aktionen im Rahmen der Kampagne gegen Air France-KLM.

82 | TIERBEFREIUNG 84 Hannover

Am Flughafen Hannover-Langenhangen die Nacht zeitgleich bis zu 20 Teilnehmer_in- dem Tod aufmerksam zu machen. Bis 18 Uhr folgten dem Aufruf zur 30-stündigen Mahn- nen vor Ort waren. des Folgetages konnte so durchgehend eine wache insgesamt rund 30 Aktive. Am Samstag Aufgrund des Ferienbeginns in Nordrhein- breite Masse an Leuten angesprochen, infor- startete die Mahnwache mit etwa zehn Teil- Westfalen war ein erhöhtes Passagierauf- miert und aufgeklärt werden. nehmer_innen um 12 Uhr vor dem Check-In kommen gerade in den Nachtstunden zu ver- Schalter der Fluggesellschaft, um dort auf die zeichnen, wodurch zusätzlich eine sehr große Wie in Hannover üblich, kam es erneut bereits schmutzigen Machenschaften von Air France Anzahl an Fluggästen über die Geschäfte von im Vorfeld der Mahnwache zu massiven Schi- aufmerksam zu machen. Nach dem Ende des Air France aufgeklärt werden konnten. Das kanen durch die Polizei. Mit kleinlichen Aufla- parallel stattfindenden „Tag der Tiere“ im Verlesen von detaillierten Informationen über gen sollte die Veranstaltung eingeschränkt und Zentrum von Hannover kamen im Laufe des den Handel mit den „Versuchstieren“ war da- die Durchführung somit behindert werden. Nachmittags und des Abends weitere Akti- bei ein sehr gutes Mittel, um Passagiere über Tierrechtskollektiv Hannover vist_innen hinzu, sodass am Abend bis spät in das im Verborgenen liegende Geschäft mit (OG von die tierbefreier)

Düsseldorf

Am Flughafen Düsseldorf beteiligten sich winnen und die Mahnwache auf Abstand zu zeitweilig bis zu 30 Aktive gleichzeitig und halten. Blieben die Versuche erfolglos, kamen insgesamt rund 50 Aktive an der Mahnwa- neue Beschwerden von Seiten der Flugha- che, um so gegen die im Verborgenen stattfin- fensicherheit. Sei es, morgens um 4 Uhr, dass denden Geschäftspraktiken von Air France- plötzlich auffiel, dass eines der Transparente KLM zu protestieren und aufzuklären. Das einen halben Meter zu weit links positioniert Aktionswochenende fiel auf den Beginn der worden sei, oder dass das Megaphon urplötz- Sommerferien in NRW. Der Zulauf im Flug- lich auf Grund der Lautstärke den ordnungs- hafen war aufgrund dessen außergewöhnlich gemäßen Check-in-Vorgang behindere. Die hoch, und erstmals bildeten sich auch vor den offensichtlichen Schikanen führten letztlich Schaltern von Air France-KLM lange Warte- zu Diskussionen zwischen Polizei und Flug- reihen. Hinzu kam das monatliche Flugha- Während bei vergangenen Aktionen keiner- hafensicherheit, die sich um das über dem fenevent, das zusätzliche Besucher_innen lei Behinderungen seitens der Polizei oder Hausrecht stehende Versammlungsrecht anlockte. Die Resonanz von Besucher_innen, des Flughafens stattfanden, beschränkte sich drehten. Gegen Ende der Aktion war auch Fluggästen und Mitarbeiter_innen anderer diesmal lediglich die Polizeipräsenz wie üb- der Einsatzleiter der Polizei derart genervt, Fluggesellschaften war beinahe ausnahmslos lich auf eine kurze Vorstellung zu Beginn dass er damit drohte, die Mahnwache 60 Mi- positiv. Lediglich die Angestellten von Air der Aktion und zum Schichtwechsel. Das nuten vor Ende aufzulösen, konnte jedoch France-KLM übten sich weiterhin in Igno- Personal der Flughafensicherheit hingegen keinen triftigen Grund dafür nennen und be- ranz beziehungsweise ließen sich zu der einen versuchte massiv, die Aktion einzuschränken ließ es bei dem Versuch, möglichst dominant oder anderen provokanten Äußerung hinrei- und die Teilnehmer_innen durch regelmäßi- aufzutreten. ßen. Zusätzlich zum Verteilen von Flyern und ge Schikanen zu demotivieren. Nachdem die die tierbefreier Düsseldorf Protestpostkarten wurden regelmäßig Infor- Mahnwache zunächst offensichtlich komplett mationen über die „Versuchstier“transporte vergessen und somit keine der sonst üblichen via Megaphon verlesen, wodurch auch die Vorkehrungen getroffen waren, wurden eilig Fluggäste erreicht werden konnten, die der Absperrbänder gezogen und erste Diskussi- Mahnwache ansonsten keine Aufmerksam- onen geführt. Es wurde versucht, möglichst keit geschenkt hätten. viel Raum um die Check-in-Schalter zu ge- TIERBEFREIUNG 84 | 83 Verein/Ortsgruppen

NEUIGKEITEN

Neue OG in Dortmund symbol (durch Vermummung oft als Mann interpretierte Frau mit (tb) In Dortmund wurde im Juli unter dem Namen antifaschistische Hund) zu aktualisieren. In gleichem Stil soll ein neues Symbol ent- tierbefreier*innen Dortmund (die tierbefreier*innen Dortmund) eine stehen, was ein befreites Schwein zeigt, das möglichst von einer als neue Ortsgruppe von Aktiven gegründet, die sich zuvor bei Aktionen Frau interpretierbaren Person getragen wird. Damit gehen wir auf die der Ortsgruppen in Düsseldorf und Bochum beteiligt hatten. Die Kritik ein, dass die Symbolik der Bewegung „Haustiere“ und männ- neue Gruppe wird sich in der nächsten Ausgabe vorstellen. lich wirkende Aktive ins Zentrum stellt. Anfang Oktober werden wir • www.fb.com/tierbefreierDo uns für eine Einsendung entscheiden. Sie wird nicht nur für unsere • [email protected] neuen Shirts und Taschen verwendet, sondern der Bewegung auch als Vektorgrafik zur Verfügung gestellt. Neue OG in Köln (tb) Bereits im März hat sich auch in Köln eine neue Ortsgruppe Bewegungsarchiv mit dem Namen Coalas: Cologne Animal Liberation Activists (die tierbefreier*innen Köln) gegründet, die im gleichen Monat im Rah- men der Anson’s-Aktionstage mit ihrer ersten eigenen Aktion aktiv wurde. Eine Vorstellung folgt. • www.fb.com/coalas.org • www.coalas.org • [email protected]

(tb) Die Arbeit am Tierbefreiungsarchiv mit integriertem Vereinsar- Neue Flyerserie gestartet chiv in Döbeln geht weiter. ARIWA hat einen Finanzierungsantrag an (dtb) Die neue Flyerserie star- den Tierrechtstopf 2014 in Höhe von 900 Euro bewilligt. Mehrere tete im Juli mit den Themen (frühere) Aktive haben sich auf unseren Aufruf „Ins Archiv statt in Fleisch, Milch, Eier, Lebens- den Müll“ (siehe TIERBEFREIUNG 80) gemeldet und ihre Privat- höfe und Animal Liberation archive oder ehemaligen Gruppenarchive übergeben. Dabei kamen Front & Direkte Aktionen. etliche Aktenordner, Flyersammlungen, VHS-Kassetten, Magazine Anfang August erschien auch und so weiter zusammen. Wir suchen weiter und bitten Aktive, ihre der neue Werbe- und Selbst- Sammlungen nicht zu entsorgen, sondern an uns abzugeben. Mo- verständnisflyer. Weitere Flyer mentan wird der Raum renoviert. Einen Eröffnungstermin für das sind in Arbeit. Insgesamt sind Archiv gibt es bisher nicht. Das Archiv bittet um Sachspenden in etwa 20 Themenflyer geplant, Form von Bürobedarf und um Unterstützung bei der Renovierung die nach und nach erscheinen und Einrichtung. werden: Ziviler Ungehorsam, • tierbefreiungsarchiv.de Zirkus, Pelz, Vegan-Broschüre, Tierversuche, Jagd und Angeln, Zoo, • www.facebook.com/tbarchiv Fische und Meerestiere, Tierechte – Artenschutz – Tierschutz, Re- pression & Rechtshilfe, Haustiere, Honig, Stadttauben, Fische und Meerestiere, Leder, Wolle, Pferde(sport). IARC gesponsert • www.tierbefreier-shop.de (tb) Die diesjährige International Animal Rights Conference wurde aus der tierbefreier-Kasse wieder mit 300 Euro gesponsert. Die Kon- ferenz fand vom 11. bis 14. September in Luxemburg statt. YouTube-Kanal gestartet (tb) die tierbefreier e.V. haben jetzt einen gleichnamigen YouTube- Kanal. Nachdem der Verein über ein Jahrzehnt keine Videos mehr Tour: Galerie des Entsetzens produziert hat, wird zukünftig auch dieses Medium wieder genutzt. (tb) Am 14. Juni starteten die Vorstellungen von Band 2 der tierbe- Momentan sind nur wenige Videos abrufbar. Eines davon ist ein Un- freier-Schriftenreihe Galerie des Entsetzens auf dem Total Liberation terstützungsaufruf für die OGPI, der im Zuge der Anson’s-Aktions- Congress in Darmstadt. Für die Vorstellung am 21. Juni in Berlin rei- tage von die tierbefreier Bochum erstellt wurde. Wenn ihr dieses Heft ste auch Künstler und Beiträger Chris Moser aus Tirol an. Er spen- in der Hand haltet, sollte auch ein Trailer zu Galerie des Entsetzens dete die 20 Zeichnungen aus dem Buch an die tierbefreier. Sie können sowie zwei Demo-Stücke der musikalischen Gedichtlesung online für 400 Euro pro Zeichnung erstanden werden. Auf Wunsch können sein. Darüber hinaus vereint eine Playlist Beiträge Dritter, in denen die Käufer_innen entscheiden, dass der Erlös zweckgebunden ein- Verein und Ortsgruppen zu sehen sind. gesetzt wird (Aktionen, Lebenshöfe, Rechtshilfe etc.). Anschließend • www.tierbefreier.de/youtube tourte Tobias Hainer mit seiner musikalischen Gedichtslesung weiter in Leipzig, Dresden, Frankfurt, Bonn, Kiel, Hamburg, Wietzen-Hol- te und Dortmund. Weitere Stationen sind in Planung. Neues Symbol für die Tierbefreiungsbewegung • www.fb.com/GalerieDesEntsetzens (tb) Ende Juli riefen wir dazu auf, das klassische Tierbefreiungs- • [email protected]

84 | TIERBEFREIUNG 84 RECHTSHILFE

Pressearbeit 3 Euro Daueraufträge verdoppelt (tb) Die Presseanfragen an die tierbefreier und andere Tierrechtsorga- (tb) Im Februar rief die Facebookseite „Tierrechtsinfos“ dazu auf, nisationen sind deutlich gestiegen. Am 3. Juli berichtete MDR Exakt unsere „3€ helfen“-Aktion zu unterstützen und kleine Dauerauf- unter dem Titel „Die fragwürdigen Aktionen militanter Tierschützer“ träge auf das Rechtshilfekonto einzurichten. Eine Auswertung der über Sabotageaktionen und in diesem Zuge auch über die Arbeit des Kontoauszüge eines halben Jahres hat ergeben, dass sich die Zahl Vereins. Obwohl der Beitrag wieder ein Verriss war, der sich mit den der Spendenden von 45 auf 90 verdoppelt hat. Sie zeigte aber auch, Inhalten nicht auseinandersetzte, haben wir viele positive Rückmel- dass Aktive, die in letzter Zeit von der Rechtshilfe profitiert haben, dungen von Menschen außerhalb der Tierrechtsbewegung erhalten. nicht unbedingt dazu übergehen, sie zu unterstützen. Wir halten Wir werden uns mit der Art der Pressearbeit und ihren Nachteilen aus- den Anteil der Aktiven, der sich an der finanziellen Rechtshilfe einandersetzen und noch ausführlicher dazu Stellung nehmen. Wäh- beteiligt, leider noch für gering. Die Rechtshilfe steht allen Aktiven renddessen arbeiten wir weitere Presseanfragen der letzten Zeit ab. offen und ist eine bewegungsübergreifende Dienstleistung und un- • www.tierbefreier.de abhängig vom Vorwurf (egal ob durch legale Tierrechtsarbeit oder anonym durchgeführte Direkte Aktionen). Journal TIERethik und Sammelband-Rezensionen (tb) Die aktuelle Ausgabe der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Prügelvideo-Verfahren beendet TIERethik beinhaltet einen Standpunkt-Artikel der TIERBEFREI- (tb) Mitarbeiter von Zirkus Aeros zeigten einen tierbefreier-Ak- UNG-Redakteure Emil Franzinelli und Markus Kurth mit dem Ti- tiven aufgrund eines vermeintlichen Verstoßes gegen das Recht tel „Anerkennung von nichtmenschlichen Tieren“. Zudem wird der am eigenen Bild an. Er filmte eine kurze Sequenz, in der Zirkus- Sammelband Tierbefreiung. Beiträge zu Profil, Strategien und Methoden Mitarbeiter andere Aktive angriffen. Die Staatsanwaltschaft er- der Tierrechtsbewegung besprochen. Er wurde bisher außerdem von ve- klärte nun, dass sie das Verfahren mangels öffentlichen Interesses gan-news.de, veganguerilla.de, neues deutschland, Kochen ohne Knochen, einstellt. Den Mitarbeitern steht jetzt noch der zivilrechtliche Weg Underdog Fanzine und Anima aufgegriffen. Nur in der letztgenannten offen. Somit hat die Gegenanzeige von Zirkus Aeros ein schnelles Vereinszeitschrift der Österreichischen Vegetarier Union kam der Band, Ende gefunden, gegen das wir selbstverständlich keine Einwände der „Einblick in Denken und Handeln Radikaler“ und eine „Außensei- haben. Andererseits hoffte Andre Gamerschlag als Vorsitzender terposition“ gibt, schlecht weg. von die tierbefreier darauf, dass er vor Gericht muss beziehungs- weise darf, um dort einen Sieg zu erstreiten. Denn ein Freispruch wäre sehr realistisch gewesen und hätte signalisiert, dass das Video animalliberationfront.de – Aktionsarchive aufgrund des Angriffs berechtigt ist. (tb) Auf unserer Sonderseite für Direkte Tierrechtsaktionen gingen • www.youtube.com/watch?v=nxdo1OIi0ng Überblicksseiten über Aktionen der Jahre 1981 bis 2001 und 2004 bis 2008 online. Weitere Inhalte folgen. Die Seite berichtet aktuell über das Geschehen. Gleichzeitig werden die Archive auf Basis der frühe- Billigung von Straftaten – Einspruch ren ALF-Sonderseite von die tierbefreier schrittweise eingepflegt. (tb) Andre Gamerschlag, 1. Vorsitzender und Pressesprecher von die tierbefreier e.V. , erhielt am 19. Juni einen Strafbefehl über 470 Euro wegen „Billigung von Straftaten“ (§ 140 StGB). Hintergrund Anwält_innen gesucht! siehe TIERBEFREIUNG 83. Darüber, ob das Verfahren im Zu- sammenhang mit einem erneuten Brand auf dem Fleischereige- (tb) Neben der Bereitstellung finanzieller Mittel ist auch die Ver- lände steht, bei dem ein Gebäude vollständig ausbrannte, kann nur mittlung von Anwält_innen, die Erfahrung in den typisch rele- spekuliert werden. Auffällig ist, dass der Verein in fast 30 Jahren, vanten Rechtsgebieten haben, eine wichtige Hilfestellung in der trotz häufiger Repression in Form von Hausdurchsuchungen und Rechtshilfearbeit. Daher wäre es ideal, für möglichst viele Re- Prozessen, erstmals mit diesem Vorwurf konfrontiert wurde. Ge- gionen und Rechtsgebiete Ansprechpartner_innen nennen zu gen den Strafbefehl wurde durch Tierrechtlerin und Strafvertei- können. Wichtig ist erst einmal die Erfahrung in Bezug auf die digerin Inga Berg von der Tierrechtsbewegungs-Rechtshilfe von typischen Repressionsfälle, mit denen wir konfrontiert werden. die tierbefreier Einspruch einlegt. Der Verein wird weiterhin über Wenn darüber hinaus noch Sympathie für die Aktiven bezie- Aktionen für Tierbefreiung und gegen Tierausbeutung berichten hungsweise für Tierrechts- oder Tierbefreiungsaktivismus besteht und sich offen mit ihnen solidarisieren. Sollte eine Einstellung des oder sogar die Möglichkeit, die Kosten der Rechtsvertretung zu Verfahrens ausweglos sein, wird das Recht vor Gericht erstritten senken, sind wir selbstverständlich froh. Zudem brauchen wir als werden müssen. Im Arbeitsbereich „DA/ALF-Soli-Gruppe“ sind Verein gelegentlich rechtliche Beratung und würden uns über Un- keine Änderungen geplant. terstützung von Jurist_innen aus dem Kreis unserer Mitglieder und Sympathisant_innen freuen. Dies ist als Aufruf an alle Rechtsanwält_innen zu verstehen, die Aktuelle Rechtshilfefälle Fälle in Verbindung mit Tierrechtsaktivismus übernehmen wür- (tb) Wir haben weitere Fälle durch Beratung unterstützt. Außer- den und entsprechende Kenntnisse haben, sich bei uns zu melden. dem unterstützen wir ein momentan laufendes Verfahren durch Wir bitten um Hilfe! Dies ist ebenfalls als Aufruf an alle zu ver- Vermittlung und halbe Kostenübernahme von Verteidigerinnen, stehen, die aus eigener Erfahrung oder aus Antirepressionsarbeit über das in einer kommenden Ausgabe berichtet wird. gute Anwält_innen kennen – bitte schreibt uns an und helft uns, Kontakt herzustellen: [email protected] TIERBEFREIUNG 84 | 85 Verein/Ortsgruppen

AKTIONSBERICHT AUFRUF Aktion und Umbennung Demo für Tierrechte – der OG Dresden Düsseldorf

Ein Bündnis von Ver- braucher-und Agrar- verbänden demons- trierte am Samstag, 5. Juli 2014, in Dresden für eine „zukunftsfä- hige Landwirtschaft“. Die Initiator_innen der Demonstration hofften noch vor der Landtagswahl am 31. August 2014 ein Zeichen für eine „umweltgerechte und soziale Agrarpolitik“ setzen zu können. Wie die Veranstalter_innen der “Wir haben es satt!”-Demo in Dresden, sagen auch wir von Tierbefreiung Dresden NEIN zu Massentierhaltung, Lebensmit- telspekulation und Gentechnik. Da uns diese Forderungen nicht weit genug gingen, begleiteten wir die Demo kritisch. Mehr als 600.000 Schweine und über acht Millionen Hühner werden heute in Sachsen gehalten – in über 150 Großmastbetrieben. Die im Demonstrations- Am Samstag, den 25. Oktober findet zum zweiten Mal aufruf geforderten Tierschutzaspekte stellen die Ausbeutung dieser Tiere jedoch die Demo für Tierrechte – Düsseldorf statt. Dabei ver- nicht weiter in Frage, sondern fordern lediglich eine andere Form. Uns geht es zichten wir diesmal bewusst auf den Namenszusatz nicht um bessere Tierschutzkriterien wie größere Käfige und eine “artgerechte „Pelzfrei“ im Untertitel und möchten verdeutlichen, Haltung”, sondern darum, die Ausbeutung von Mensch und ‘Tier’ als Ganzes dass die Demonstration sich nicht ausschließlich gegen zu bekämpfen und zu beenden! Wir sagen NEIN zu jeder Form von (Tier-) den Pelzhandel, sondern gegen jede Form der Tieraus- Ausbeutung, dem Konsum von nichtmenschlichen Tieren und Tierprodukten. beutung richtet. Tierliche Lebewesen sind empfin- dungsfähige Individuen mit eigenen Bedürfnissen, Aus Tierrechtsgruppe wird Tierbefreiung die aus menschlichen Verfügungszwecken befreit und Nach der Sommerpause starten wir in die zweite Hälfte des Jahres und zwar deren Lebens- und Freiheitsrechte anerkannt und ver- im neuen Gewand mit frischer Webseite. Aus Tierrechtsgruppe Dresden wird teidigt werden müssen. Sie sind weder Lebensmittel, Tierbefreiung Dresden. Wir haben uns entschlossen, mit unserer Gruppe ein Kleidungsstücke noch Versuchsobjekte oder Unterhal- neue Richtung einzuschlagen und haben einiges strukturell verändert. tungsnummern. Wir demonstrieren gegen jede Form In den letzten 10 Jahren verstand sich unsere Gruppe als sehr offen und hete- von Tierausbeutung und für die Befreiung aller Tiere rogen. Wir boten interessierten Menschen in und um Dresden die Möglichkeit aus menschlichen Unterdrückungs- und Ausbeutungs- sich für Tierrechte, Tierbefreiung und Veganismus zu informieren oder selbst verhältnissen. aktiv zu werden. Durch unterschiedlich politische Ausrichtungen und Interes- sen der Aktiven innerhalb unserer Gruppe kam es immer wieder zur Fluktu- In der Zeit von 11 bis 18 Uhr werden im Rahmen der ation und dem Gefühl, auf der Stelle zu treten. Deshalb entschlossen wir uns, Demonstration diverse Infostände von Tierrechts- und unsere Gruppe neu aufzustellen. Unsere persönlichen Einstellungen haben sich Tierbefreiungsgruppen auf dem Schadowplatz in der in den letzten Jahren verändert und wir wollen diese Weiterentwicklung mit der Düsseldorfer Altstadt vertreten sein. Der Demozug Umbenennung unterstreichen. durch die Innenstadt beginnt etwa um 12:30 Uhr und Tierrechte und (gesellschaftliche) Tierbefreiung meinen vielleicht in erster Li- wird an verschiedenen tierausbeutenden Geschäften nie das Gleiche. Jedoch sehen wir “Recht” als Konstrukt, das von privilegier- wie Fastfood-Ketten, Metzgereien sowie – entspre- ten Menschen an andere Gruppen von Individuen verliehen werden. Für uns chend der „Modehauptstadt“ Düsseldorf – an diversen steht der Begriff “Befreiung” vielmehr für die Suche einer gesellschaftlichen Leder und Pelz verarbeitenden Läden vorbei führen. Auseinandersetzung, die nicht durch die Gewährung oder Erkämpfung von Redebeiträge werden über die Hintergründe der aus- Rechten beendet ist, sondern immer wieder nach einschränkenden Lebensbe- beutenden Industrie aufklären. Am Abend wird es im dingungen und der sozialen Stellung von nichtmenschlichen Tieren in unserer Linken Zentrum „Hinterhof“ eine After-Demo-Party Gesellschaft fragt, mit eben dem Ziel, sie aus diesen Verhältnissen zu befreien. mit Solikonzert geben. Wir wünschen uns Selbstbestimmtheit und Freiheit von menschlicher Willkür (oder Gnade) für alle Menschen und nichtmenschlichen Tiere. Until every cage ist empty! Außerdem haben wir uns dazu entschlossen, Facebook den Rücken zu kehren die tierbefreier Düsseldorf und unser Profil zu löschen. Wir hatten schon immer ein eher mulmiges Ge- fühl, was den Datenschutz betrifft. Privatpersonen werden trotzdem an pas- www.tierrechtsdemo-duesseldorf.de senden Stellen Infos über unsere Veranstaltungen streuen. Ansonsten gibt es ja immer noch den Newsletter und die Webseite. die tierbefreier Dresden 86 | TIERBEFREIUNG 84 Tobias Graf, Pionier des Veganismus – Ein Rückblick! (7. August 1979 – 2. September 2014)

Die Nachricht vom Tod unseres lieben Kollegen, Freundes und Firmengründers Tobias Graf hat uns alle sehr getroffen. Tobias ist kürzlich infolge einer langen Krankheit verstorben. Als Pionier der veganen Ernährung hat er das Erfolgsrezept seiner Firma AVE – absolute vegan empire, an die der vegane Onlineshop alles-vegetarisch.de ange- schlossen ist, erschaffen und weiterentwickelt. Der Veganismus und die Rechte von Tieren haben die zentralen Bezugspunkte seiner täglichen Arbeit gebildet. Auf die- se Weise hat er vielen Menschen den Zugang zur veganen Lebensweise ermöglicht.

Mit seinen innovativen Ideen hat Tobias immer wieder bewiesen, wie abwechs- lungsreich fleischfreie Ernährung sein kann. Er hat die besondere Fähigkeit gehabt, die Menschen in seinem Umfeld von seiner Leidenschaft zu überzeugen. Auch in seinen Mitarbeitern hat er die Leidenschaft und Freude, an dieser großartigen Idee mitzuwirken, entfacht. Dieses Feuer brennt noch immer. Seine Idee wird mit aufrichtiger Hingabe weitergeführt, und jeder Einzelne steckt viel Liebe und Aufmerksamkeit in seine Arbeit, um das Lebenswerk von Tobias weiterzutragen. Mit seinem herzlichen Wesen, seiner aufgeschlossenen und einfüh- lenden Art war und bleibt er ein Vorbild.

In Liebe und in Dankbarkeit, Dein AVE-Team

3 Euro helfen! Mit ein paar Euro im Monat kannst du dafür sorgen, dass Rechts- Rechtshilfekonto des tierbefreier e.V. kannst du praktische hilfe dauerhaft gewährleistet werden kann. Wir sind nicht viele, Solidarität leisten und dafür sorgen, dass unsere Bewegung aber gemeinsam können wir uns gegenseitig helfen. Die Logik handlungsfähig bleibt: ist ganz einfach: Wenn 100 Personen jeden Monat 3 Euro auf Rechtsanwalt Loukidis das Rechtshilfekonto einzahlen, stehen im Monat mindestens Betreff: Rechtshilfe-Soli 300 Euro zur Verfügung, die in sinnvolle Unterstützung fließen Konto-Nr.: 0255180901 · BLZ: 14080000 können. IBAN: DE40 1408 0000 0255 1809 01 · BIC: DRESDEFF140 Jeder regelmäßige Beitrag hilft – egal wie hoch er ausfällt! Aber Institut: Dresdner Bank 3 Euro sind für die meisten bezahlbar und tun nicht weh. Mit einem Dauerauftrag auf folgendes, treuhänderisch verwaltetes www.tierbefreier.de/dreieurohelfen.html Nachruf auf eine Kämpferin Stefanie Haupt (9. Juli 1977 – 24. Juni 2014)

Dass sie kein biblisches Alter erreichen würde, war klar. Und doch ging bildete sich zur Ernährungsberaterin fort und übernahm schließlich am Ende alles wesentlich schneller, als die meisten Menschen dach- im Jahr 2004 den radix. Anfangs führte sie den Versand noch aus ihrer ten. Stefanie Haupt, den meisten als Inhaberin des radix, vielen aber Wohnung heraus, dann eröffnete sie einen kleinen, urigen Laden in auch als kompromisslose Tierrechtsaktivistin bekannt, ist im Alter von der Werinher Straße. nur 36 Jahren gestorben. Seit gut zwei Jahrzehnten waren wir beste Freunde. Und nun ist sie einfach nicht mehr da... Der Krebs Nach einer kurzen Ehe traf sie auf dem Münchner Tierrechtstag 2010 Unsere Anfänge auf die Liebe ihres Lebens: André Pix. Schon bald zog er zu ihr und Ich traf sie das erste Mal 1994 auf einer Demonstration gegen Tier- unterstützte sie im Laden und im Versand. Es schien alles besser zu versuche. Dank ihrer kommunikativen Art kamen wir sofort ins Ge- werden, doch dann – im Jahr 2011 – die erste Krebsdiagnose und auch spräch. Ich war noch gar nicht vegan, sie noch nicht lange. Sie bot mir Operation. Im Jahr darauf der Nachschlag: Ein Krebs, der nicht nur aber gleich ihre Unterstützung an und wurde eine meiner wichtigsten auf die Lunge drückte, sondern sich an einer Schlagader festgefressen Verbindungen in die Tierrechtsbewegung und damit zum Veganismus. hatte. Die Münchner Ärzte gaben sie auf – in Heidelberg rettete man Immer wieder trafen wir uns auf Demonstrationen und Aktionen, ihr das Leben. Eine an den Nerven zerrende Zeit. Wer aber glaubte, störten Jagden oder ließen uns von Zirkusleuten verprügeln. Steffi würde sich davon aufhalten lassen, kannte sie schlecht. Sie plante lieber die Vergrößerung ihres radix. Und tatsächlich eröffnete sie im Mai 2013 Bayerns ersten veganen Supermarkt. Wobei sie großen Wert darauf legte, dass es kein Super-, sondern ein Einkaufsmarkt ist. Denn schließlich soll man nicht durch den Markt hetzen, sondern sich darin wohlfühlen.

Steffi bei einer Tierrechtsdemonstration in Frankfurt 1996

Schwere Kindheit Mit der Zeit wurde unsere Freundschaft enger. Sie erzählte mir von ih- rer Familie. Ihr Vater verließ die Familie schon früh – wie Steffi meint, wegen der von der Krankheit Neurofibromatose gezeichneten Mutter. Mit dem Vater entfernten sich auch die Großeltern väterlicherseits. Eröffnung von Bayerns erstem veganen Einkaufsmarkt am 25. Mai 2013 Steffi erbte die Krankheit und bekam am ganzen Körper Geschwüre, was dazu führte, dass sie immer wieder gehänselt und ausgegrenzt Leider blieb ihr wenig Zeit, den Erfolg des Marktes auszukosten, denn wurde. Dies nagte auch noch nach Jahren an ihrem Selbstwertgefühl. schon bald wurden neue Krebsdiagnosen gestellt: Ein Tumor zerfraß Was Steffi wieder aufrichtete, waren die Ziele, die sie sich steckte: Ein ihren Oberschenkelknochen, ein weiterer saß an der Wirbelsäule. eigener veganer Laden und der Kampf für Tier- und Menschenrechte. Überall fanden die Ärzte Metastasen. Wieder fuhren Steffi und André nach Heidelberg. Obwohl sie von einem tollen Team unterstützt wur- Der Weg zum eigenen veganen Laden den, musste der Onlineshop immer wieder Versandpausen einlegen. Steffi begann eine Ausbildung in einem Frankfurter Reformhaus und sorgte damit dafür, dass dessen Sortiment immer weiter veganisiert Steffi wurde erfolgreich operiert und erhielt eine Oberschenkelprothe- wurde. Im Herbst 1997 eröffneten Lars Hafner und Hans-Peter Her- se aus Titan. Doch an Genesung war nicht zu denken. Die Schmerz- zog in Frankenthal Deutschlands ersten veganen Onlineshop radix mittel wirkten nicht. Stattdessen schlugen sie auf den Magen und und machten Steffi von veganem Nougat regelrecht abhängig. Immer schwächten sie. Das hielt Steffi allerdings nicht davon ab, am 12. April wieder fuhr sie mit dem Zug in die Pfalz, um dort für dreistellige Be- im Rollstuhl sitzend an der Demonstration Frankfurt pelzfrei teilzu- träge (primär Nougat) einzukaufen. nehmen. Es sollte ihre letzte Demonstration sein.

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter 1998 starben auch ihr Großvater Die letzten Wochen und ihre geliebte Katze. Drei herbe Verluste innerhalb eines Jahres wä- Steffi wurde immer schwächer und lag nur noch im Bett. Die Che- ren für manch einen unüberwindbar gewesen, doch Steffi blieb stark motherapie musste abgebrochen werden. Wegen der unglaublichen und verfolgte weiter ihre Ziele. Nach dem erfolgreichen Abschluss ih- Schmerzen wurde sie nur noch selten umgelagert, was zu einem ausge- rer Ausbildung zog sie von Kelsterbach bei Frankfurt nach München, prägten Dekubitus führte. Nach einer wenig erfolgreichen Operation,

88 | TIERBEFREIUNG 84 Sie erlebte so viel Missgunst, Traurigkeit und Leid. Sie hatte in vieler- lei Hinsicht alles andere als ein leichtes Leben. Und doch gab sie nicht auf. Ich kenne keine Person, die so stark war. Und diese Kraft verstärk- te sich noch, als André in ihr Leben trat. Er bewies ihr bis zu ihrem letzten Atemzug (und selbst darüber hinaus), dass er sie bedingungslos und über alles liebt.

Dass Steffi diese Erfahrung machen durfte – dass sie einen Partner hat, der sie über Jahre hinweg durch die schwierigste Zeit ihres Le- bens begleitet und mit übermenschlicher Kraft unterstützt –, ist so viel mehr wert als ein um Jahrzehnte längeres Leben. Trotz all der uner- träglichen körperlichen Schmerzen sind die letzten Wochen vermut- lich die schönsten ihres gesamten Lebens gewesen. Denn sie erfuhr die Tierrechtsarbeit und die Liebe ihres Verlobten André gaben ihr Kraft: wahre, grenzenlose Liebe. Steffi auf ihrer letzten Demonstration am 12. April 2014 Kämpferin und Freundin die die Wundheilung fördern sollte, ging es weiter bergab. Der Körper In jedem Nachruf heißt es, die Verstorbene sei ein wundervoller sah sich bald nicht mehr in der Lage, Nährstoffe zu verarbeiten. Eine Mensch gewesen. Steffi war es wirklich. Ja, auch wir haben uns gezofft, bakterielle Infektion schwächte sie weiter. In den letzten Wochen hat- waren hier und da voneinander genervt. Aber das hielt nie lange an. te sie immer seltener wache Momente und konnte nur noch wenige Wir waren einfach echte Freunde. Und eine echte Freundschaft hält Worte sprechen. Doch es reichte, um André zu sagen, er solle ihren so was aus. Wir waren füreinander da: Wenn wir uns freuten, wenn engen Freunden eröffnen, wie es wirklich um sie steht. Sie war sich wir Liebeskummer hatten, wenn wir beruflich erfolgreich waren oder ihrer Lage bewusst und hatte sich offenbar damit arrangiert, denn sie auch mal eine Niederlage einstecken mussten. Wir wussten, dass wir hatte ihre Ziele erreicht: einen veganen Laden und einen liebenden uns aufeinander verlassen können und füreinander da sind, wenn es Partner. Am Abend des 22. Juni wachte sie kurz auf und sagte Andrés darauf ankommt. Auch, wenn wir etwa die Hälfte der Zeit hunderte Namen. Als er sich nahe an ihren Mund bewegte, um zu hören, was Kilometer voneinander entfernt wohnten. sie möchte, gab sie ihm nur einen dicken Kuss und schlief daraufhin sofort wieder ein. Steffi war eine ausgesprochene Kämpferin. Nicht nur gegen Neurofi- bromatose und Krebs, sondern auch für Menschenrechte, Tierrechte Am 24. Juni starb Stefanie Haupt nach langer und schwerer Krankheit und die Natur. Sie verabscheute Ungerechtigkeit. Wenn sie helfen im Alter von nur 36 Jahren im Beisein ihres Verlobten André, ihrer konnte, half sie. Auch dann, wenn es für sie mit finanziellen Einbußen Tante und ihrer Schwester im Nordwest-Krankenhaus Frankfurt. Am verbunden war. Solche Menschen sind selten. 4. Juli wurde sie im Beisein von fast 90 Freund_innen, die aus ganz Europa angereist waren, im Familiengrab auf dem Friedhof in Kelster- Obwohl Steffi nur 36 Jahre alt wurde, hat sie deutliche Spuren hinter- bach beigesetzt. lassen. Beruflich, gesellschaftlich und auch in meinem Herzen. Denn sie war nicht nur Kundin, sondern vor allen Dingen eine meiner besten Verliererin oder Gewinnerin? Freundinnen. Ich werde sie niemals vergessen und ihr Andenken in Viele denken, Steffi hätte letzten Endes verloren. Ich weiß, was sie da- Ehren halten. mit meinen. Aber sie liegen falsch. Es kommt nicht auf die Anzahl der Andreas Bender Lebensjahre an. Viel wichtiger ist, was am Ende unter dem Strich steht. Steffi hat nicht verloren, sondern sogar unglaublich viel gewonnen.

Wir nehmen Abschied von Ralf „Kalle“ Kalkowski Ein Nachruf Unerwartet, still, ohne ein Wort bist Du von uns gegangen. Für uns alle warst Du weit mehr als nur ein Chef, ein Vorgesetzter. Viel mehr hast Du uns vereint, uns vertraut und uns mit Deiner wunderbaren Art ein schönes und freies Arbeiten ermöglicht.

Deine größte Motivation und Dein Ansporn, war es, das Tierleid auf der Welt zu mindern. Vielleicht war Dir nie bewusst, wie viel Du erreicht hast, welches Wunderland Du geschaffen hast.

Wir alle jedoch wissen es und werden Dich nie vergessen.

Ruhe in Frieden, Kalle. Dein Team vom Vegan Wonderland

TIERBEFREIUNG 84 | 89 Nachruf Dennis Vahlenkamp (9. September 1988 – 2. August 2014)

Liebe Leser_innen, der Erdlingshof nimmt Abschied von Dennis Vahlenkamp (geboren am 9. September 1988 in Oldenburg, gestorben am 2. August 2014 in Kollnburg).

In großer Trauer und gleichzeitig tiefer Dankbarkeit, Dich kennen- gelernt zu haben, nehmen wir Abschied von Dir, lieber Dennis.

Ohne Dich wäre der Erdlingshof nicht das, was er nun ist, und wir sind sehr froh, dass Du hier in den vergangenen Monaten noch so viele glückliche Momente erleben durftest.

Du hast lange mit Deiner Krankheit gekämpft und Dich nun doch geschlagen geben müssen. Wir hoffen, dass Du jetzt Deinen Frieden gefunden hast.

Wir werden Dich nie vergessen und sind Dir für immer dankbar!

Johannes, Kira, Patrik, Florian, Prinz, Totoro, Hannah, Bueno, Taubsy, Bonzy, Monti, Sepp, Erika, Felix, Bonnie, Sophie, Sternchen, Mike, Marie, Benno, Maxi, Bobby, Jonny, Tommy, Jordan, Klärchen, Möp Möp, Claudia, Eveliina, Pfiffikus, Lorenzo, Heike, Sonja, Ilona, Regina und alle anderen, die Dich lieb hatten.

Der Erdlingshof wird natürlich weiterhin bestehen – nichts anderes hätte auch Dennis gewollt.

Folgenden Artikel hatte Dennis noch kurz vor seinem Tod für diese Ausgabe geschrie- ben. Wir veröffentlichen ihn deshalb unver- ändert:

In der letzten Ausgabe hatten wir euch ver- sprochen, Näheres über die Neuzugänge auf dem Erdlingshof zu berichten. Dem kommen wir hiermit nach.

Zu den Neuzugängen auf dem Erdlingshof Sie entschied sich, den Tieren ihre ganze Für- Patrik, das kleine, braune Kalb, das damals erst gehören die Jungbullen Patrik und Florian. sorge entgegenzubringen. wenige Tage alt war, einfach verschwunden. Sie Patrik und Florian wurden von einer Frau wollte wissen, wo Patrik steckt und erkundigte aus ihrer traurigen Situation befreit. Sie kam Sie sprach mit dem verantwortlichen Land- sich beim Landwirt. Dieser erklärte ihr, dass beim Spazierengehen mit ihrem Hund immer wirt, ob die Mütter nicht zu den Kindern Patrik bereits an einen Tierhändler verkauft ist an Kuhweiden vorbei, und sie empfand diese gelassen werden könnten. Aber es änderte und Patrik sich bereits auf dem Weg nach Hol- von außen betrachtet als idyllisch. Eines Tages sich nichts. Die Mütter blieben weiterhin land befindet. Sie nahm ihre ganze Kraft zu- kam sie dann auch an jenem Stall vorbei, wo weggesperrt von denen, die sie so sehr lie- sammen, um die Adresse ausfindig zu machen. die Kuhmilch gewonnen wird. Die Tür stand ben, ihren Kindern. Dies hat die Frau nicht Zum Glück schaffte sie es noch rechtzeitig, offen, und ihre Neugierde verleitete sie dazu, ertragen, sie dachte: „Eine Mutter gehört zu den Tierhändler zu erreichen, den sie ausfin- diesen Stall zu betreten, so dass sie einen Ein- ihrem Kind!“ Deshalb kümmerte sie sich täg- dig gemacht hatte. Patrik wurde von ihr frei- blick bekam in das, was diese Tiere tagein, tag- lich fürsorglich und mit viel Liebe um diese gekauft, und so konnte Patrik von der Tötung aus ertragen müssen. Sie sah das ganze Leid Tiere. Einfach weil sie tiefes Mitgefühl und gerettet werden. Patrik war aber nicht alleine dieser Tiere, die Kälber, die um ihre Mütter Verständnis für diese Lebewesen empfand. beim Tierhändler, neben ihm lag das kleine, trauerten, von denen sie weggesperrt waren, Lebewesen, die es nicht verdient haben, schwarze Kälbchen Florian. Der ebenfalls da- und die Mütter, welche ebenfalls um ihre dass ihnen ein solches Leid zugefügt wird, mals nur wenige Tage alt war. Sie hat es einfach Liebsten trauerten. Sie hörte diese Schreie, die welches sich wiederholt – von Jahr zu Jahr. nicht übers Herz gebracht, Florian dazulassen, ihr sehr nahe gingen. Ihr Mitgefühl sagte ihr, sodass sie Florian und Patrik freigekauft und dass sie den hilflosen Tierkindern helfen muss. Eines Morgens kam sie in den Stall, und da war somit vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Sie

90 | TIERBEFREIUNG 84 hat Florian und Patrik aufgepäppelt und sich Die Jungbullen Patrik und Florian ein halbes Jahr lang liebevoll um die beiden ge- kümmert. Da die Kälber durch die gute Pflege stetig wuchsen, schaute sich die Frau nach ei- ner Möglichkeit um, wo sie den Kälbern ein sicheres und dauerhaftes Zuhause bieten kann. Sie fragte sämtliche Lebenshöfe und Organi- sationen an, leider war aber kein freier Platz ausfindig zu machen. Zudem fragte sie bei ei- ner befreundeten Stiftung nach, welche dann an uns herangetreten ist und gefragt hat, ob wir den beiden ein Zuhause bieten können. Nach einigem Abwägen entschlossen wir uns, Flori- an und Patrik auf unserem Hof ein dauerhaftes und sicheres Zuhause zu bieten. Hier dürfen sie so sein wie sie sind. Ihre Hörner können sich normal entwickeln. In der Milchindustrie werden ihnen diese für gewöhnlich entfernt, und auch eine Kastration bleibt ihnen bei uns erspart.

Die Beiden leben bei uns auf dem Erdlings- hof und haben sich auch schon sehr gut einge- lebt. Sie lieben es, mit uns zu kuscheln und zu Patrik ist der verschmustere von unseren bei- Florian ist ein wenig ruhiger und zurückhal- spielen. Sie werden bei uns zusammen mit den den Jungbullen. Er ist sehr anhänglich und tender als Patrik, auch er hat mit seiner Ver- Pferden auf einer großen Koppel gehalten. Die hat einen starken Menschenbezug. Patrik gangenheit zu kämpfen. Er reagiert sehr emp- Pferde und Rinder verstehen sich gut, sodass es macht der Verlust seiner Mutter noch sehr zu findlich auf die unterschiedlichen Tonlagen ein sehr schönes Herdenleben ist. Florian und schaffen, so dass er sich die Liebe und Zunei- von uns Menschen. Anfangs machten wir uns Patrik haben sehr viel Spaß auf der Weide mit gung nun von uns abholt. Auch wenn wir sei- große Sorgen um Florian, denn obwohl Flo- den Pferden. Sie ergänzen sich sehr schön. ne Mutter natürlich nie ersetzen können, so rian ein wenig älter als Patrik ist, war er viel sind wir doch für ihn da. Patrik verfügt auch leichter und wollte nicht zunehmen. Daher immer noch über einen starken Saugtrieb, kümmerten wir uns ganz besonders um ihn weshalb er sich auch sehr freut, wenn wir ihm und versorgten Florian zusätzlich mit spezi- Hafermilch aus der Nuckelflasche anbieten. ellem Kälberfutter. Inzwischen hat sich sein Trotz dessen ist Patrik sehr selbstbewusst und körperlicher Zustand sehr schön entwickelt, nicht ängstlich gegenüber Neuem. Er ist neu- er hat ein gesundes Fell bekommen und hat gierig und betrachtet alles ganz genau. Patrik auch gut zugenommen. Auch wenn er sich in- ist verspielt und fordert Florian regelmäßig zwischen zu einem gutgewachsenen Jungbul- zu kleinen Rangeleien auf. Dabei ist Patrik len entwickelt hat, so verraten seine runden fair und macht sich auch mal kleiner, damit Augen doch, wie zärtlich er ist. Auch wenn er Florian eine Chance gegen den wesentlich oft schon so reif und erwachsen wirkt, wissen Wir planen, unseren Schwerpunkt in Zukunft schwereren Patrik hat. Wenn Florian keine wir nicht, was ihn innerlich beschäftigt, wenn auch mehr auf Bullen zu richten, da Kälber Lust auf den starken Patrik hat, dann kommt er sich manchmal scheu wie ein Reh zurück- den „Abfall“ der Milchindustrie darstellen. er in seinem Übermut zu uns und dann müs- zieht. Ohne das Töten von Kälbern gibt es keine sen wir mit ihm diskutieren. Wir erklären ihm Milchprodukte. Das wollen wir mit den hier dann, dass wir das keine so gute Idee finden, Über die Entwicklung der beiden und über lebenden Bullen auch aufzeigen. Nämlich, mit ihm seine wilden Rangeleien zu Ende zu weitere Geschehnisse auf dem Erdlingshof dass es einfach untrennbar ist: Tiere töten, spielen. halten wir euch gerne auf dem Laufenden und Tiere schlachten und Milchprodukte gehören zwar unter: www.facebook.com/erdlingshof zusammen. Wir hoffen, mit unserer Arbeit und www.erdlingshof.de. die Menschen dazu zu ermutigen, mehr auf pflanzliche Alternativen zurückzugreifen und so die Kälber vor dem entsetzlichen Leiden und dem Tod zu bewahren.

Herzliche Grüße Bisher wurde das Hofprojekt entscheidend durch die berufliche Tätigkeit von euer Erdlingshof-Team Johannes finanziert. Aufgrund des Wegfalls von Dennis wird Johannes nicht mehr in der Lage sein, im bisherigen Umfang arbeiten zu gehen. Damit der Hof weiter existieren kann, ist das Projekt auf planbare, regelmäßige Hofpatenschaften angewiesen. Wer kann, bitte hier anmelden: www.erdlingshof.de/patenschaft.

TIERBEFREIUNG 84 | 91 Endstation Hoffnung

Hallo liebe Leser_innen, während ich das hier schreibe, liegen um mich herum fünf Hunde, einen habe ich auf dem Schoß. So geht es oft zu im Arbeitszimmer, wenn ich am PC arbeite. Am anhänglichs- ten im Haus ist Jojo, sie ist auch abends die erste, die mit ins Bett hüpft. Jeder Hund hat einen festen Liegeplatz im Haus, jeder hat sich einen anderen Fleck gesucht, ob Sessel oder Körbchen. Oxana liegt immer irgendwo im Wohnzimmer, ebenso Remo. Chaplin hat seinen Platz, ein Hundebett im Wohnzim- mer, und Santos liegt immer auf dem gleichen Sessel. Ich finde das interessant. Oxana wür- Busti de zum Beispiel nie auf die Idee kommen, auf dem Sessel von Santos zu liegen. Oder sich in Chaplins Bett zu quetschen. Jeannie ist die ein- zige, die mal hier und mal da ist. Und Tomek hat sich neulich doch tatsächlich auf das Bett im Gästezimmer gelegt. Er kennt das ja nicht.

Ein Ereignis, auf das ich gut hätte verzich- Jojo ten können, ist mir vor ein paar Wochen beim Spaziergang mit Tomek passiert. Irgendwie beziehungsweise die Brennnesseln so hoch, ist die Schnalle von seinem Brustgeschirr auf- dass er stehen blieb. Ich, die längst keine gegangen, und bevor ich irgendetwas machen Puste mehr hatte, habe ihn am Fell gepackt konnte, hat er sich, aus welchem Interesse und festgehalten. Ich hätte keinen Meter wei- heraus auch immer, innerhalb von Millise- ter laufen können, ich war so am Ende, aber kunden aus dem Geschirr gewunden und ist total erleichtert. Solche Erlebnisse machen Liesel und Louis – er, der sonst immer nur hinterhertrottet – mich auf einen Schlag zehn Jahre älter. Es einfach mal losgerannt, in einem Tempo, das gibt Hunde, bei denen man überhaupt nicht weil wir beim Ums-Eck-Biegen genau auf- ich ihm nie zugetraut hätte. Instinktiv habe in Panik ausbricht, wenn sie sich losreißen einander gestoßen sind und ich den Hund ich ihm nachgerufen, aus lauter Verzweiflung, oder wegrennen, weil man weiß, sie kommen zu spät gesehen habe, als dass ich Busti noch was ich sonst machen soll, wohlwissend, dass wieder, sie finden heim, alles wird gut. Und hätte halten können. Dem Hund ist Gott Tomek, selbst für den Fall, dass er nicht kom- dann gibt es Hunde wie Tomek, bei denen es sei Dank überhaupt nichts passiert, die Frau plett taub ist, doch extremst selektiv hört, und einer Katastrophe gleicht, wenn sie ohne Lei- war trotzdem beim Tierarzt, Kosten 90 Euro, bin so schnell ich konnte hinterher gerannt. ne sind... taub, nicht besonders menschenbe- das musste ich aufgrund der Selbstbeteili- Dabei hatte ich noch drei Hunde an der Lei- zogen (ich bin mir sicher, dass er auf keinen gung von Bustis Versicherung selbst zahlen. ne, die anderen waren frei. Tomek ist also Fall zu einem Fremden hin wäre, er kommt Leider viel zu selten fahre ich mit ein paar weitergerannt, und in mir stieg die nackte Pa- ja nicht mal von sich aus zu mir) … Es gibt Hunden zum Schwimmen an den Main. nik hoch, wie ich um alles in der Welt diesen einfach diese „eigenständigen“ Hunde. Liesel und Louis, zwei Kaninchen, sind so Hund wieder einfangen soll … Tomek wäre herrlich zusammen anzusehen, weil sie eine vermutlich nicht wie die anderen von alleine Der Dogo-Argentino-Rüde Busti wurde innige Bindung haben. Ihr seht sie auf dem nach Hause zurück gelaufen. Er scheint mir im Juni aufgrund seiner „Knubbel“ operiert Foto. Von den Kaninchen und Meerschwein- einfach nicht dieses Zugehörigkeitsgefühl zu – diese Umfangsvermehrungen der Haut chen gibt es diesmal nichts Wichtiges zu be- haben, und bei ihm bin ich mir auch nicht si- sind immer größer geworden, und die Stel- richten, sie genießen ihr Leben und das gute cher, ob er den Weg kennt, er ist auch nicht le im Nacken (sah aus wie eine riesengroße Wetter. eine Sekunde stehen geblieben. Ich bin mir Warze, fast zwei Zentimeter dick) hat plötz- sicher, er wusste selbst nicht, wo er eigentlich lich angefangen zu bluten, also musste er Herzlichen Dank für eure Unterstützung und hinlaufen will. Es blieb mir also nichts an- endgültig unters Messer. Er wurde an drei einen schönen Herbst. deres übrig, als hinter ihm her zu rennen, in Stellen operiert, die Nähte sind gut verheilt, der Hoffnung, dass ich ihn erwische oder er und ich habe ihm die Fäden selbst gezo- Liebe Grüße stehen bleibt. Das Problem war, dass ich mit gen. Er bekam zur besseren Wundheilung Raffaela den anderen in der Hand nicht sonderlich ein paar Globuli und ist soweit fit, auch schnell war...zum Glück stand da, mitten auf wenn ich mir nach wie vor sicher bin, dass Da bei mir immer wieder Renovierungs- dem Weg, ein Traktoranhänger, sodass ich die in Busti irgendeine böse Sache schlummert. und Ausbesserungsarbeiten anfallen, Leinen derjenigen, die ich an der Leine hat- würde ich mich sehr über Hilfe von hand- te, erst mal daran festmachte und dann „ohne Das nächste Malheur hat dann nicht lange werklich begabten Menschen freuen. bremsenden Anhang“ hinter ihm her bin. Er auf sich warten lassen: Beim Spazierengehen Wer mir helfen möchte, meldet sich bitte lief auf den Wald zu, und dort waren das Gras hat Busti einen anderen Hund angefallen, unter: [email protected] 92 | TIERBEFREIUNG 84 Lebenshof Röhn

Hallo liebe Leser_innen, abgelegt werden, beim Essen stabilisiert werden, ich möchte den ganzen Artikel diesmal Asta genauso beim Trinken, stolperte des Öfteren im widmen, unserer lieben alten Schäferhunddame, Garten und fiel um und so weiter. Als es dann die wir leider am 3. Juni gehen lassen mussten. immer öfter vorkam, dass Asta Kot oder Urin Asta kam im Mai 2011 zu uns, nachdem sie verloren hatte, wenn man zum Beispiel gerade viele ihrer besten Jahre in einem kleinen Zwin- nicht in ihrer Nähe war, um ihr beim Aufstehen ger in einem deutschen Tierheim hatte verbrin- zu helfen, und sie dann verzweifelt hechelnd in gen müssen. Nach allem, was ich weiß, hatte sie ihren Exkrementen lag, kam der Punkt, an dem wohl vom Welpenalter an bei einem Ehepaar man merkte, sie hatte einfach keine Lust mehr. gelebt, wobei der Mann die Hauptbezugsperson Der „Lebensfunke“ war aus ihren Augen ver- war und Asta ihn überallhin begleitete. Als ty- schwunden. pischer Schäferhund hat sie sich sicher sehr eng an diese Person gebunden. Und als der Mann Mit der Tierärztin wurde besprochen, dass starb, war das bestimmt eine Tragödie für Asta. man noch einmal einen Versuch unternehmen Obendrein entschied die Ehefrau dann, Asta wollte, Asta mit Schmerzmitteln und Herzme- ins Tierheim zu geben, da sie nach eigenen dikamenten soweit auf die Beine zu bringen, Angaben keinen Bezug zu der Hündin hatte. dass sie wieder ausreichend am Leben teilneh- Asta war damals um die acht oder neun Jahre men kann und ihr damit noch ein paar zufrie- alt. Da sie irgendwann unter Gelenkproblemen dene Wochen oder Monate geschenkt werden litt, entschied das Tierheim, dass sie keine Spa- könnten. Allerdings brachte das nur kurz Bes- ziergänge mehr machen darf. Das muss für Asta serung. Es ging auf und ab. An manchen Tagen noch größeres Leid bedeutet haben. Nun saß sie schien sie ziemlich zufrieden, an anderen, wo sie als so treue und anhängliche Seele Tag für Tag zum Beispiel mehrfach gestürzt war oder ähn- einsam in einem kleinen Außenzwinger, ohne liches, merkte man wieder, dass es nur noch eine wirkliche Beschäftigung und Ablenkung. Qual für sie ist. Glücklicherweise erfuhren wir von Astas An dem Tag, an dem sie schließlich zum Ein- Schicksal, als bei uns durch den Krebstod un- schläfern gebracht werden sollte, schien sie sehr seres lieben Rüden Nikki mal wieder „ein Platz auf mich auf. Auch wenn ihr die langen Wege entspannt und in sich ruhend. Beim Tierarzt frei“ wurde. Als ich dann schließlich vor Astas hier manchmal zu schaffen machten, vom Ka- war es an diesem Tag durch Zufall auch sehr Zwinger stand, war sie außer sich vor Freude. ninchengehege zum Hühnerstall und wieder ruhig, die Tierärztin war alleine in der Praxis, Sie sprang vor den Gittern auf und ab, machte zurück, sie lief alles mit, in ihrem Tempo eben, und ansonsten waren in dem Moment auch kleine Glückslaute, wedelte wie wild mit dem mich aber niemals aus den Augen lassend. keine weiteren Patienten dort. So konnte sich Schwanz. Kaum war die Gittertür geöffnet, Für unseren Rüden Vio, der ein paar Monate die Ärztin besonders viel Zeit für Asta nehmen. sprang sie quasi direkt in meine Arme. Sie nach ihr bei uns auf den Hof kam und als ganz Asta lief erst eine kleine Runde im Hof vor der konnte es dann auch kaum erwarten, von dem kleiner Welpe in Rumänien ausgesetzt wor- Praxis, trank noch einmal, und dann durfte ich Tierheimgelände wegzukommen. Trotz ihrer den war, wurde Asta quasi „Mama-Ersatz“. Er sie wieder in ihr Bettchen im Kofferraum legen. nun bereits 14 Jahre und ihrer Gelenkprobleme kuschelte sich im Bett immer eng an sie, und Als wir auf die Tierärztin warteten, schweifte konnte ich sie kaum bremsen, direkt einen sie ließ sich auch gerne seine manchmal stür- Astas Blick noch einmal über den Hof, dann Sprungversuch in meinen geöffneten Koffer- mischen Annäherungen gefallen. Richtung Himmel, als wollte sie alles noch ein- raum zu unternehmen. Sie war einfach über- Asta war wie die „Mutter“ des ganzen Hofes ei- mal in sich aufsaugen. Leider musste sie noch glücklich, noch mal in ein neues Leben zu star- gentlich. Die anderen Hunde haben sie immer die Spritze in ihre empfindlichen Beine ertra- ten. Als wir auf der Heimfahrt eine kurze Pause sehr respektiert, und wenn sie einmal alleine, gen, aber alles ging schnell und relativ ruhig, und machen wollten und Asta kurz im Auto bleiben ohne die anderen, vom Hof weg war, wurde sie direkt nach einer knappen Minute konnte auch sollte, fing sie verzweifelt an zu quietschen und immer besonders liebevoll und intensiv begrüßt. schon ihr Herzstillstand festgestellt werden. wollte über die Sitze klettern. Sie wollte nun einfach keinen Moment mehr alleine sein. Die Gelenkprobleme, vor allem der Hüfte, Zuhause angekommen durften erst einmal Auf unserem Hof angekommen, fing sie sofort wurden bei Asta schleichend aber stetig schlim- die anderen Hunde endgültig Abschied von an, das Leben noch einmal voll auszukosten. Sie mer. Auch mit den Nerven hatte sie Probleme. ihr nehmen. Unsere Hündin Glory, die auch war fast wieder wie ein junger Hund. Sie hat Leber und Niere waren aufgrund ihrer jetzt 17 ein besonders enges Verhältnis zu Asta hatte, sich fröhlich im Gras gewälzt, ist übermütig Jahre auch nicht mehr topfit. Mit einer Reihe hat Astas Körper immer wieder angestupst als in Bäche gesprungen, was bei ihren wackeligen Hilfsmittel konnte ihr aber längere Zeit noch wollte sie sie wieder aufwecken. Es war rührend, Beinen nicht immer ganz gut ging, aber das Lebensqualität erhalten werden. Zum Beispiel wie alle Hunde sich um Asta sammelten und ihr war ihr egal. Sogar Ballspiele hat sie manches bekam sie „Schuhe“ für die Hinterbeine, damit noch einmal die letzte Ehre erwiesen. Mal noch gerne gemacht, die anderen jüngeren sie stabiler stehen konnte. Als das Aufstehen an- Asta bekam ein schönes Grab im Garten, wo Hunde verspielt mit ihrer Nase angestupst. Sie fing, schwierig zu werden und sie bei den Versu- auch schon viele andere Lebenshoftiere ruhen. war mittendrin und froh, am Leben teilnehmen chen manchmal „auslief“, nahmen wir auch ab In Gedanken ist sie sehr viel bei uns. Es war zu können. und zu Windeln zur Hilfe. Doch irgendwann schön, diese letzten Jahre mit ihr verbringen zu konnte sie sich kaum noch selbstständig bewe- dürfen und mitzuerleben, wie sie noch einmal Mich verfolgte sie von Anfang an auf Schritt gen. Sie musste Treppen hoch und runter getra- so richtig aufgeblüht ist in ihrem hohen Alter. und Tritt, passte schäferhundtypisch immer gen, beim Aufstehen angehoben, auch wieder Lebenshof Rhön TIERBEFREIUNG 84 | 93 Briefe von Leser_innen

Solidarität statt Ausgrenzung allerdings schwierig. Viele Betroffene füh- Bei manchen krampft sich schon alles zusam- Zu: Esst was ihr wollt!, TIERBEFREIUNG 83 len sich krank, leiden unter Mangelerschei- men, wenn sie nur an Ärztinnen oder Ärzte Ich fand den Artikel „Esst was ihr wollt“ nungen oder fühlen sich ihrer, ihr Leben be- in weißen Kitteln denken; und jede Ausei- in der letzten Ausgabe total gut und freue stimmenden „Essstörung“, die sie willentlich nandersetzung mit dem eigenen Essverhalten mich, dass das Thema angesprochen wurde nicht beeinflussen können, hilflos ausgeliefert. ist unmöglich, weil vergangene Traumata von (und hoffe auch, dass damit ein weiterge- Auch die Darstellung von „Essstörungen“ als Zwangsernährung alles überlagern. Insbe- hender Diskurs angeregt wurde). Meiner eine Art emanzipatorischen Akt finde ich sondere bei Menschen, die Opfer sexueller Wahrnehmung nach werden problematische/ problematisch, auch wenn die Verweigerung Gewalt waren, machen diese „Behandlungen“ problematisierte Essverhalten sowohl in der (oder das Erbrechen) von Essen tatsächlich alles nur noch viel schlimmer, fühlen sich an Mainstreamgesellschaft als auch in „der lin- der einzige Bereich sein kann, in dem Betrof- wie erneute Vergewaltigungen und zerstö- ken Szene“ weitestgehend tabuisiert, und fene Autonomie über ihren Körper und ihr ren das Vertrauen auf Jahre, wenn nicht für dementsprechend gibt es bei Betroffenen viel Leben haben und nicht fremdbestimmt sind. immer. Ich wünschte, die Szene würde ihre Scham und beim Umfeld viel Unsicherheit, Schade finde ich auch die negative Darstel- eigenen Ansprüche, was Antisexismus und was das Thema angeht. Ich würde auch gern lung von Therapien und Beratungsstellen. Emanzipation angeht, so ernst nehmen, wie noch mal die Wichtigkeit von Solidarität Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass dieses den Anspruch an hundert Prozent vegane Er- mit den Betroffenen unterstreichen. In dieser Thema endlich zur Sprache kam und andere nährung. Welt voller Gewalt und Ausbeutung lösen wir Betroffene sehen, dass sie nicht alleine sind. anonym keine Probleme damit, indem wir Menschen Wenn mit dem Thema offen und konstruk- ausgrenzen, denn das ist Teil des Problems. tiv umgegangen wird, motiviert das vielleicht Wenn wir irgendwie zu einer besseren Welt Betroffene, sich für Tierrechte und Tierbe- Absurde Replik zu Goldners Zoostudie kommen wollen, dann braucht es dafür Em- freiung zu engagieren, die das zuvor nicht ge- Zu: Zoos als Foltereinrichtungen, Tötungsma- pathie und Unterstützung für alle, sowohl macht haben, weil sie es nicht schaffen, hun- schinerien und Verdummungsanstalten, nichtmenschliche als auch menschliche Tiere! dert Prozent vegan zu leben. Die Bewegung TIERBEFREIUNG 83 Super fand ich auch, dass das Thema Fatsha- hat die Möglichkeit, sich mit dem Thema aus- Eine gute Rezension von Maria Schulze zu ming angesprochen wurde, denn das ist mei- einanderzusetzen und Strukturen zu schaffen, einem hervorragenden Buch. Bemerkenswert ner Wahrnehmung nach kein kleines Problem die es auch Menschen mit „Essstörungen“ ist eine ähnlich umfangreiche Besprechung in der Tierbefreiungsbewegung. ermöglichen, an Veranstaltungen teilzuneh- des Buches, die der Direktor des Münste- Karl Heinz men und sich gegenüber den Problemen Be- raner Zoos, Jörg Adler, stellvertretend für troffener offen und ohne Vorverurteilungen seine Standeskollegen zu Papier brachte zu zeigen. (www.zoopresseschau.info/goldner.html). Strukturen schaffen für Teilnahme Brigitte Müller Angesichts der in dem Buch vorgetragenen Zu: Esst was ihr wollt!, TIERBEFREIUNG 83 Zookritik (und wohl auch der Rezension in Maria Schulze hat mit ihrem Artikel „Esst TIERBEFREIUNG) fühlte Adler sich an was ihr wollt!“ ein wichtiges und längst über- Unmenschlicher Druck finstere DDR-Zeiten erinnert und an seine fälliges Thema angesprochen. Ich selbst habe Zu: Esst was ihr wollt!, TIERBEFREIUNG 83 seinerzeitigen Versuche, „z. B. nach den Mon- keine „Essstörung“, kenne aber mehrere Be- Die Tier*bewegung hat den Anspruch, eman- tagsgebeten in der Leipziger Nikolaikirche troffene und deren Probleme, die sich aus zipatorisch zu sein, mit der praktischen Um- (...), mit meinen politischen ,Gegnern‘ zu dem Umgang mit Essen ergeben. Es kann setzung ist es aber nicht weit her. Die Repro- diskutieren. Welch ein absurdes Unterfangen, eben nicht jede_r mal eben einen Kuchen für duktion gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, mit der indoktrinierten Staatsmacht ein ver- eine Veranstaltung backen, weil die Befürch- wie von der Autorin beschrieben, war mir bis- nünftiges Gespräch zu führen.“ Soweit dem tung besteht, ihn selbst aufzuessen und wie- her nicht wirklich bewusst. Es fiel mir beim widersinnigen Vergleich zu folgen ist, meint er der auszukotzen, oder wie viel Angst ein frei Lesen wie Schuppen von den Augen. Der un- wohl, mit TierrechtlerInnen könne man nicht zugängliches Buffet machen kann. Diese The- menschliche Druck, den Menschen mit von vernünftig sprechen. „Ähnlich hilflos“ wie bei men wurden nun erstmals angesprochen und der Norm abweichendem Essverhalten in der seinen Diskussionsversuchen in der DDR, so die Nöte Betroffener sichtbar gemacht. Das Bewegung aushalten müssen, ist noch um Ei- Adler, habe er sich bei der Lektüre des Buches Thema ist ohnehin schon tabuisiert; inner- niges größer als der gesellschaftliche Druck. gefühlt: „Die Hilflosigkeit entsprang [...] der halb einer Bewegung, in der vegane Ernäh- Eine Offenbarung innerhalb der Szene würde Erkenntnis, dass ein Autor [also Goldner] auf rung den Grundpfeiler darstellt, ist es noch zum Ausschluss führen, jedenfalls dann, wenn knapp 500 Seiten es schafft, ein hoffnungs- problematischer, dieses Thema anzusprechen. mensch sich nicht sofort einer Therapie un- los mit Un- und Halbwahrheiten, mit pene- Trotz allem habe ich auch einige Kritik- terwirft, um gesellschaftlich normiertes Ess- tranter, nahezu triefender Polemik und herab- punkte. Ich kann die Problematik von Begrif- verhalten zu lernen, um den Normen der Be- lassenden Kommentaren derart überfrachtetes fen wie „krank“ und „Störung“ und die damit wegung gerecht werden zu können. Therapien Buch zu schreiben, dass sein eigentliches An- einhergehende Pathologisierung jeden, von können hilfreich sein, müssen es aber nicht. liegen, die Situation der Menschenaffen in der Norm abweichenden Verhaltens nachvoll- Das ist so unglaublich individuell und von Zoologischen Gärten zu verändern [...], glatt ziehen, finde das beim Thema „Essstörungen“ Erfahrungen in der Vergangenheit abhängig. untergeht.“ Was genau un- oder halbwahr sein

94 | TIERBEFREIUNG 84 Impressum 22. Jahrgang Fotonachweis: Heft 84, Oktober 2014 Bildunterzeilen, ISSN 1438-0676 tierbefreier-Archiv Herausgeber: Druck: die tierbefreier e.V. Druckwerk GmbH Offsetdruck Vorstand: Andre Gamerschlag und Reprographie [email protected] soll an dem „hasserfüllten Pamphlet“, wie Adler die Schwanenstr. 30 Verantwortlicher Redakteur: Goldner-Studie nennt, erschließt sich in seinen – in 44135 Dortmund Emil Franzinelli (gedruckt auf 100 % der Tat hilflosen – Ausführungen nicht. [email protected] Recyclingpapier) Sabine Hufnagl Kontakt: Abo: die tierbefreier e.V. Einzelpreis: 3,- Euro Postfach 15 03 25 Abonnement: 15,- Euro jährlich 44343 Dortmund Gefahren im Zoo (inkl. Versand) Fax +49 40 380 17 85 46 12 Zur Artikelserie über Menschenaffen Erscheinungsweise: in deutschen Zoos So erreicht ihr uns per E-Mail: vierteljährlich Mal ein dickes Lob für die Artikelserie über Men- TIERBEFREIUNG: Kontakt: [email protected] [email protected] schenaffen in deutschen Zoos. Eben gerade ist der Anzeigen: die tierbefreier e.V.: Es gilt die Preisliste von Serengetipark Hodenhagen (siehe TIERBEFREI- [email protected] September 2013. UNG 83 wieder mal in negative Schlagzeilen geraten: tierbefreier-Shop: Mediadaten & Preisliste zu erfragen [email protected] Am 19. Juli ist ein 150 Kilo-Löwe gegen einen der unter: [email protected] Parkbusse gesprungen und hat dabei ein Seitenfenster Internet: Wiederverkaufsstellen: www.tierbefreiung.de zerdeppert. Es ist weiter nichts passiert, aber die Fahr- Ab 5 Exemplaren und vor www.tierbefreier.de gäste haben gleich darauf in BILD und RTL von ihrer Erscheinungstermin (Faustregel: www.tierbefreiershop.de „Todesangst“ berichten dürfen. Der Löwe wurde so- ca. 6 Wochen nach Redaktions- fort weggesperrt, glücklicherweise hat man ihn nicht Spenden und Bankverbindung: schluss) gewähren wir 30% WVK- die tierbefreier e.V. Rabatt. Bei kleineren Mengen oder gleich erschossen. Wirklich gefährlich ist im Seren- Nassauische Sparkasse Bestellungen nach Erscheinungster- getipark das sogenannte Amboseli-Reservat, in dem Konto: 113064056 min gewähren wir 15 % WVK-Rabatt, Schimpansen auf einer künstlichen Insel gehalten BLZ: 51050015 jeweils zzgl. Versandkosten. Zahlung werden. Sie sind nur durch einen fünf Meter breiten IBAN: DE59 5105 0015 0113 30 Tage nach Erhalt der Rechnung, Wassergraben von den Besuchern getrennt. Manche 0640 56 die der Lieferung beiliegt. Kommis- Swift-BIC: NASSDE55XXX sionsgeschäfte können wir nicht der Schimpansen planschen gerne in dem von ihrer anbieten. Seite her seichten Wasser. Die Gefahr besteht darin, Redaktion, V.i.S.d.P.: Emil Franzinelli, Raffaela Göhrig, Kontakt: [email protected] dass sie in tieferes Wasser geraten und ertrinken, wie Viola Kaesmacher, Markus Kurth, Ältere Ausgaben: das in anderen deutschen Zoos bereits mehrfach ge- Daniel Lau, Ilona Müller, Ältere Hefte können nachbestellt schehen ist. Es besteht aber auch die Gefahr, dass sie Maria Schulze werden. Bitte sendet 3,80 Euro in den Graben überwinden und Besucher verletzen, was Layout: die tierbefreier e.V. Briefmarken an die tierbefreier e.V. auch bereits mehrfach in deutschen Zoos passiert ist. Verlag: Selbstverlag oder schaut in den tierbefreier-Shop. Muss erst etwas Schlimmes passieren, bis die Leitung des Parks wach wird? Gabi Hesel Wichtige Hinweise Leser_innenbriefe Die TIERBEFREIUNG wird von die tierbefreier e.V. herausgegeben, ist aber Die Redaktion freut sich über Post: ein Bewegungs- und kein Vereinsmagazin. Vereinsmeinungen finden sich nur E-Mail: [email protected] im Vereinsressort oder werden als solche gekennzeichnet. Die Redaktion Post: die tierbefreier e.V., hat weitestgehend freie Hand bei der Gestaltung des Magazins. Für nament- Postfach 15 03 25, 44343 Dortmund lich gekennzeichnete Artikel sind die Autor_innen/Gruppen verantwortlich. Die Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und/oder des Leser_innenbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der herausgebenden Vereins wieder. Für unverlangt eingesandte Artikel und Fotos Redaktion wieder. Wir behalten uns eine sinnwahrende wird keine Haftung übernommen. Es ist nicht unsere Intention, durch Beiträge Kürzung vor. in Wort und/oder Bild zu Straftaten aufzurufen! Es besteht kein Anspruch auf die Veröffentlichung. Erklärung Mit Urteil vom 12. Mai 1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Dies kann - so das LG - nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distan- ziert. Wir verweisen in dieser Ausgabe der TIERBEFREIUNG auf Seiten im Internet. Für all diese Links gilt: Wir möchten ausdrücklich betonen, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. 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TIERBEFREIUNG 84 | 95 QUARTALSREPORT: BEFREIUNGEN UND SABOTAGEN

Umbenennung: Der „Animal Liberation Front-Report“ hat einen neuen Namen. ALF ist der weitverbreitetste und bekannteste Name für anonym agierende Tierbefreiungsgruppen. Trotzdem stehen die drei Buchstaben im deutschsprachigen Raum immer seltener unter Bekenner_innenschreiben, in denen zunehmend auf Gruppenbezeichnungen verzichtet wird. Die Umbenennung soll dem Rechnung tragen und klar machen, dass nicht alle Befreiungs- und Sabotageaktionen im Namen der ALF durchgeführt werden.

Aufgrund erfolgter und drohender Repression wird folgender Hinweis allen abgedruckten Schreiben und Berichten vorangesetzt: Es handelt sich bei den genannten Aktionen nicht um Aktivitäten des Vereins die tierbefreier e.V. Der Verein berichtet seit 1985 über anonyme Direkte Aktionen, wie sie etwa unter dem Namen Animal Liberation Front laufen, solidarisiert sich mit ihnen, führt jedoch keine durch. Die Veröffentlichung erfolgt im Rahmen der Informations- und Pressefreiheit. Weder Verein noch Redaktion rufen damit zu Straftaten auf.

Bekanntgewordene Aktionen des letzten Quartals im deutschsprachigen Raum

23./24. Juli, Greifswald 20./21. Juni, Bopfingen 19. Mai, Wietze (Niedersachsen) und (Mecklenburg-Vorpommern): (Baden-Württemberg): Möckern (Sachsen-Anhalt): Etwa 150 Zirkusplakate von Zirkus Probst Vier Hochsitze wurden zerstört. Bereits eine Doppelblockade von Wiesenhof- und wurden zerstört. Woche zuvor zerlegte es eine Kanzel und zwei Rothkötter-Schlachtfabriken (siehe Beitrag Hochsitze in einem anderen Waldstück. TIERBEFREIUNG 83, Seite 3) 11. bis 13. Juli, Berge (Niedersachsen): Die Befestigung eines Hochsitzes wurde zu- 18. bis 23. Juni, Damme (Niedersachsen): 15./16. Mai, Hannover (Niedersachsen): nächst mit einer Machete zerhackt und die Eine Jagdkanzel wurde zerstört. Fleischerei mit roter Farbe markiert (siehe wackelige Holzkonstruktion anschließend Bekenner_innenschreiben) einen Abhang hinuntergestürzt. 14./15. Juni, Habscheid (Rheinland-Pfalz): Stützbalken, Innenverkleidung und Fenster 5. Mai, Solingen (Nordrhein-Westfalen): 9. bis 11. Juli, Gerolstein (Rheinland-Pfalz): eines Hochsitzes wurden beschädigt. Ein Hochsitz brannte vollständig aus. Ein Hochsitz wurde zunächst aus seiner Ver- ankerung gerissen und anschließend mit einer 13. bis 15. Juni, Günzburg-Riedhausen Mai, Herne (Nordrhein-Westfalen): Axt bearbeitet. (Bayern): Aktionen gegen Zirkus Probst (siehe Beken- Ein Hochsitz wurde demontiert und verfeuert. ner_innenschreiben) 9./10. Juli, Pottum (Rheinland-Pfalz): Ein Hochsitz wurde beschädigt. 5./6. Juni, Högling bei Bad Aibling April, Lingen (Niedersachsen): (Bayern): Plakate des Zirkus Charles Knie wurden be- Juli, Vahlde (Niedersachsen): Eine auf dem Zubringergleis der ehemaligen schmiert und überklebt. Eine fahrbare Jagdkanzel wurde zunächst US-Kaserne montierte Jagdkanzel wurde um- entwendet und dann zerstört. gestürzt. April, Freiburg (Baden-Württemberg): Mehr als 30 Plakate des Zirkus Montana und 22./23. Juni, Taunusstein (Hessen): 27./28. Mai, Düsseldorf ein Zoo-Werbebanner wurden zerstört.. Ein Hochsitz wurde aus der Verankerung ge- (Nordrhein-Westfalen): hoben und umgestürzt. Hochsitz zerstört (siehe Bekenner_innen- schreiben)

Bei die tierbefreier e.V. eingegangene Bekenner_innenschreiben

30. Mai, Düsseldorf zum start des circusprogramms. auch viele gleichgesinnte und nachahmer an- (Nordrhein-Westfalen): probst entfernte immer wieder unsere aufkle- zusprechen, so dass sich irgendwann eine dy- Hochsitz zerstört: ber, auch kleine gelbe wie wir feststellten, die namik entwickelt, die nicht mehr aufzuhalten „In der Nacht vom 27. auf den 28. Mai wurde nicht von uns waren. es gibt also mitstreiter, ist und wir nur noch tierbefreite circusse vor- erneut in einem Waldgebiet bei Düsseldorf super. finden, so wie es in vielen eu-ländern bereits ein Hochsitz zerstört. Die Reste der Kanzel diese art des protestes werden wir so lange der fall ist.“ wurden mit ,Jagd = Mord‘ und ,A.L.F.‘ fortführen, bis sich der politische wille in die- beschriftet.“ sem land zugunsten der gequälten circustiere 18. Mai, Hannover (Niedersachsen): ändert und ein verbot für wildtiere (tiere) in Fleischerei mit roter Farbe markiert: 29. Mai, Herne (Nordrhein-Westfalen): circussen in kraft tritt. „nach unserer aktion gegen das jagdgeschäft Aktionen gegen Zirkus Probst: Auch werden wir weiterhin weder kosten frankonia haben wir in der nacht vom 15.05. „nachdem die ersten circus probst plakate auf- noch mühen scheuen, mit auffälligen plakaten auf den 16.05. eine filiale des Wurstbasar mit tauchten, starteten wir mit dem überkleben zu agieren. schöner roter farbe verschönert. ,abgesagt wegen tierquälerei‘ in schwarz. wir hoffen, mit unseren aktionen, die wir seit alf hannover“ es folgten weitere einzelne kampagnen bis jahren im gesamten ruhrgebiet durchführen, International: Direkte Aktionen Eine Auswahl bekannt gewordener internationaler Direkter Aktionen und Übersetzungen internationaler Bekenner_innenschreiben.

14. Juli, Kanada: 11. Juli, Schweden: der Funktionalität einer Industrie, die täglich „Am 14. Juli 2014 spritzte die Animal Libe- In der Nähe von Ølgod wurden 1.000 Minks Millionen fühlender Tiere unterwirft und ration Front Buttersäure in die Büroräume aus Käfigen einer „Pelztier“farm freigelassen. ermordet. der Canadian Association for Laboratory „Stoppt das Leiden“ und andere Parolen Diese kleinen Taten wurden begangen in So- Animal Science (CALAS) in Toronto. Die waren auf den die Anlage umgebenden Zaun lidarität mit dem Tierbefreiungsgefangenen Organisation CALAS besteht aus Vivi- geschrieben. Kevin Olliff. - Die Rache der Kühe“ sektoren, die Untersuchungen an Tieren befürworten. Die Buttersäure wird durch den 10. April, USA: April, Frankreich: Teppich in die darunterliegenden Holzdielen „In der Nacht des 10. April wurden die „Unsere Zelle steckte den Transporter des ihrer Büros sickern und es werden umfang- Schlösser an der Market Supply Co. (139 Bürgermeisters von Rodilhan (Frankreich) reiche Sanierungsarbeiten notwendig, um SE Taylor St, Portland, OR) verklebt und in Brand: Serge Reder ist ein bedeutender den Gestank wieder loszuwerden. Gebäu- auch das Schloss zu McGraw Marketing Unterstützer des qualvollen Stierkampfes. deverwalter_innen, die darüber nachdenken, Co. (2514 SE 23. Ave, Portland OR) wurde Man kann, wenn man will, jede Organisation die CALAS als Mieter anzunehmen, sollten mit eingeschmolzenen Nägeln versiegelt. zerbrechen, aber man kann niemals eine Idee sich darüber bewusst werden, dass auch ihren Diese Unternehmen wurden ausgesucht, da zerstören. Büroräumen das Gleiche widerfahren kann, sie Ausrüstung und logistische Unterstüt- An jede_n Pro-Stierkampf-Fanatiker_in: also denkt zweimal darüber nach, bevor ihr zung bieten, für Schlachthöfe und Fleisch- Wir werden bis zur vollständigen Abschaf- euch auf Geschäfte mit diesen Mördern ,Verarbeitungs‘einrichtungen entlang des fung (des Stierkampfes) weitermachen. einlasst. - ALF“ gesamten Pazifischen Nordwesten. Beide Das Blut muss aufhören zu fließen. Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in ALF Frankreich“

Zur Erinnerung:

Pressearbeit: Rechtshilfe: Spenden: Aktive können Bekenner_innenschreiben Von Repression und Strafverfolgung betrof- Die Rechtshilfekasse finanziert sich durch an die tierbefreier e.V. schicken. Wir machen fene Tierrechtsaktive, egal ob durch legale Spenden. Sie wird ausschließlich zu diesem über unsere Internet- und Facebook-Seite Tierrechtsarbeit, Zivilen Ungehorsam oder Zweck verwendet, ist von der Vereinskasse auf die Aktion aufmerksam und listen sie auf Direkte Aktionen, können sich an unsere getrennt und wird treuhänderisch verwaltet. der ALF-Sonderseite www.animal-liberati- Rechtshilfe wenden. Wir vermitteln kosten- Neben Einzelspenden sind wir auch für kleine on-front.de. Bei größeren Aktionen und auf freie juristische Beratung sowie, im Idealfall, Daueraufträge und Gruppen, die Solipartys ausdrücklichen Wunsch auch bei kleineren vergünstigte Verteidigung, unterstützen die organisieren, dankbar. Aktionen geben wir eine Pressemitteilung an Betroffenen finanziell bei der Begleichung die lokale bis bundesweite Presse heraus und von Prozess-, Verteidigungs- und Strafkosten Rechtshilfe-Konto: Rechtsanwalt Loukidis stehen für Nachfragen und Interviews zu den und können, auf Wunsch, Öffentlichkeit für Dresdner Bank Hintergründen von Direkten Tierrechtsakti- den Fall schaffen. Wir empfehlen in allen IBAN: DE40140800000255180901 onen zur Verfügung. Repressionsfällen im Kontext von Direkten BIC: DRESDEFF140 Aktionen, die Rechtshilfe möglichst früh zu [email protected] informieren. Die Rechtshilfe ist ein Angebot Jurist_innen gesucht: (PGP-Key online) für die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung Wir suchen Strafverteidiger_innen und ande- [email protected] und nicht von einer Mitgliedschaft bei die re Jurist_innen, die sich mit den Zielen der oder: tierbefreier e.V. abhängig. Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung identi- die tierbefreier e.V. fizieren und die Rechtshilfe durch Beratung Postfach 15 03 25 [email protected] oder die Übernahme von Fällen unterstützen 44343 Dortmund würden. www.animalliberationfront.de Aktuelle Sonderseite von die tierbefreier e.V. über anonyme Direkte Tierrechtsaktionen, Repression und Rechtshilfe: Hintergründe, Neuigkeiten, Bekenner_innenschreiben, Aktionsarchive, Presse [email protected] (PGP-Key online)

TIERBEFREIUNG 84 | 97 Coupon per Post an die tierbefreier e.V. Postfach 150325 44343 Dortmund oder per Fax an 040/38017854612 JA, ICH MÖCHTE...... die tierbefreier e.V. im Kampf für die uneingeschränkten Lebensrechte der ...die TIERBEFREIUNG abonnieren und 4x im Jahr zugeschickt bekommen. Tiere unterstützen. Die Höhe meines Mitgliedsbeitrages bestimme ich selbst Der Abopreis beträgt 15 Euro (inkl. Versand) und wird jährlich abgebucht. (Mindestbeitrag 31 Euro/Jahr). Als Unterstützer_in bekomme ich das Magazin Mir ist bekannt, dass ich das Abo innerhalb von 14 Tagen widerrufen kann TIERBEFREIUNG 4x jährlich zugeschickt. (e-Mail an [email protected]). Mitgliedschaft Zeitungsabo

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Mein jährlicher Unterstützungsbeitrag beträgt: Tel. oder E-Mail (optional) Mitgliedsbeitrag 31 Euro Mitgliedsbeitrag Euro

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Die Höhe meines Mitgliedsbeitrages bestimme ich selbst (Mindestbeitrag 31 Euro/Jahr). Als Unterstützer_in bekomme ich das Magazin TIERBEFREIUNG 4x jährlich zugeschickt. Das Zeitungsabo kostet 15,- Euro/Jahr. Ich ermächtige die tierbefreier e.V. den Unterstützungsbetrag/Zeitungsabo von meinem Konto abzubuchen.

Coupon ausfüllen, zutreffendes bitte ankreuzen und per Fax oder Post einsenden: die tierbefreier e.V. │ Postfach 150325 │ 44343 Dortmund oder per Fax an: 040/380 17 85 46 12 Mitgliedschaft und Abo auch online unter www.tierbefreier.de

ISSN 1438-0676 ZKZ 12673

Einzelexemplar 3,00 Euro Abo bestellen unter www.tierbefreiung.de

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Termine

11.10.2014 Hamburg 25.10.2014 Stuttgart Überregionale Demonstration gegen LPT Großdemo gegen Tierversuche - MPI Affen retten! www.lpt-schliessen.org www.soko-tierschutz.org/de/kampagne-und-demos.html

11.10.2014 Bielefeld 15.11.2014 Stuttgart Bielefeld Pelzfrei Demo für Tierrechte - Stuttgart Pelzfrei www.bielefeld-pelzfrei.de/demo www.demo-für-tierrechte.de

18.10.2014 Augsburg 17.01.2015 Wiesbaden Augsburg Pelzfrei Wiesbaden Total Liberation Demo www.tierrechte-augsburg.de www.wpf.tierrechtsdemo.de

25.10.2014 Düsseldorf Termine ohne Gewähr; aktuelle Infos im Internet auf Demo für Tierrechte - Düsseldorf www.tierrechtstermine.de www.tierrechtsdemo-duesseldorf.de