<<

Austrian Flavors Wie HipHop nach Österreich kam

Masterarbeit

zur Erlangung des Titels „Master of Arts“ (MA) an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Masterstudium Europäische Ethnologie) am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie

Fach: Europäische Ethnologie

vorgelegt von Mag. Manuel Obermeier, BA (0176641)

betreut von Univ.-Prof. Dr. Ingo Schneider

Innsbruck 2018

II

1. EINLEITUNG 1

2. FORSCHUNGSFRAGE, -STAND UND -DESIGN 9

2.1. Forschungsfrage 9

2.2. Forschungsstand 17

2.3. Forschungsdesign 20

3. HIPHOP IN DEN USA UND DER WELT 30

4. HIPHOP IN ÖSTERREICH, ÖSTERREICHISCHER HIPHOP UND AUSTRIAN FLAVORS 36

4.1. HipHop in Österreich? Noch nie gehört! 37

4.2. Epigonen, Imitate und Authentizität 41

4.3. Von Urlauben, Kinderzimmern und dem Hörensagen 47

4.4. Tags, Parties und Buh-Rufe 52

4.5. Medien? Welche Medien? 58 4.5.1. Fernsehen 58 4.5.2. Zeitungen 60 4.5.3. Radio 64

4.6. Der wöchentliche Gottesdienst 66

4.7. Bandcontest, Sampler und Vernetzung 69

4.8. Austrian Flavors und die Etablierung einer österreichischen Szene 74

4.9. Österreichischer HipHop im Jahr 2018 78

5. CONCLUSIO UND AUSBLICK 80

6. INTERVIEWS 84

6.1. Karl Fluch, Wien, 10.1.18 84

6.2. Martin Forster, Wien, 14.1.18 95

6.3. Alexander Hertel, Innsbruck, 4.5.18 103

6.4. Holger Hörtnagl, Wien, 20.2.18 122

III

6.5. Oliver Kartak, Wien, 18.2.18 136

6.6. Daniel Shaked, Wien, 19.1.18 147

6.7. Katharina Weingartner, Wien, 14.2.18 158

6.8. Christoph Weiss, Wien, 17.1.18 169

7. QUELLENVERZEICHNIS 188

7.1. Filme 188

7.2. Fernsehen 188

7.3. Youtube 188

7.4. Radio 189

7.5. Print 189

8. LITERATURVERZEICHNIS 190

9. EIDESSTAATLICHE ERKLÄRUNG 203

IV

V

1. EINLEITUNG

Es war 2009, als HipHop endgültig im österreichischen Mainstream ankam. Und im selben Moment auch zu Grabe getragen wurde, wie einige HipHop-Künstler*innen in Österreich meinen. In ganz Europa und auch in Österreich bestimmte der Wahlkampf um die EU-Parlamentswahlen das politische Tagesgeschäft und Heinz-Christian Strache von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) schaffte es, mit einer für die politischen Verhältnisse Österreichs bisher einzigartigen medialen Inszenierung für Aufsehen zu sorgen: Am 26. Mai 2009 veröffentlichte die FPÖ das Lied „Österreich zuerst ;-) – HC Strache“. Im dazugehörigen Video1 sieht man den Chef der rechtspopulistischen Partei und heutigen Vizekanzler auf dem Dach in der Wiener Innenstadt und im spartanisch eingerichteten Tonstudio. In seinem Rap wettert er gegen die „Volksverräter“ in Österreich, die Europäische Union, das Fremde im Allgemeinen und die Türkei im Speziellen. Es sind klassische freiheitliche Themen, doch die Form, in der diese transportiert werden, ist neu: HC Strache und die FPÖ bedienen sich der Kultur- und Musikform HipHop. Und der damalige Oppositionsführer scheint Gefallen an dieser Ausdrucksform gefunden zu haben, 2013 folgt „Steht auf, wenn ihr für HC seid!“2, 2014 „Patrioten zur Wahl!“3 und 2015 „Good Men[sch] Rap“4. Urbanität, Jugendlichkeit, Rebellentum, Sampling, Rap, zum Teil auch Graffiti und DJing, die FPÖ und ihr Vorsitzender eigneten sich klassische Codes und Kulturtechniken des HipHop an, um mit diesen in die politische Auseinandersetzung zu gehen. Dabei sind die Freiheitlichen nicht die einzigen, die sich dieser Ausdrucksform bemächtigten: Ebenfalls bereits 2009 initiierte die Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) in Wien das Projekt „Ich bin Wien“, im dazugehörigen Rap-Song5 wird die Schönheit und Einzigartigkeit der Stadt thematisiert. Auch hier werden Urbanität, Jugendlichkeit, Sampling, Scratching, das Einmaleins des HipHop als Wahlkampfinstrument eingesetzt.

1 Österreich zuerst ;-) – HC Strache, https://youtu.be/pVnzYs4HYBQ (1.5.2018). 2 HC Strache Rap 2013 – „Steht auf, wenn ihr für HC seid!“, https://youtu.be/8aWgT7dlAY0 (1.5.2018). 3 HC Strache Rap 2014 feat. Leopold Figl: Patrioten zur Wahl!, https://youtu.be/zAEP08ps-JM (1.5.2018). 4 HC Strache feat. MC Blue – Good Men[sch] Rap, https://youtu.be/J9pMh3Aipv4 (1.5.2018). 5 Ich bin Wien – HipHop Collabo, https://youtu.be/-bCFiT0TghI (1.5.2018) 1

Unabhängig von der musikalischen oder inhaltlichen Qualität der hier angeführten Werke zeigt der Umstand, dass Parteien wie die FPÖ und SPÖ sich einer Kulturform bedienen, die lange Zeit einen äußerst schweren Stand in Österreich hatte, dass HipHop spätestens in den 2010er Jahren auch hier im Mainstream6 angekommen ist. Das war in dieser Form vor rund dreißig Jahren noch nicht abzusehen, denn bevor Rap, DJing, Graffiti und B-Boying, die vier Elemente des HipHop, durch die österreichische Politik instrumentalisiert werden konnten, hatten die Protagonist*innen dieser Kulturform mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen. HipHop galt im besten Fall als amerikanischer Kulturimport, als etwas Fremdes, als schwarze7 Musik, die im weißen Österreich keinen Platz hätte, als kurzlebige Modeerscheinung, die genauso schnell verschwinden würde, wie sie gekommen war.

HipHop, so die offizielle Geschichtsschreibung, ist gegen Ende der 1970er Jahre in New York als eine Reaktion auf die beengten und ärmlichen Verhältnisse in der Bronx entstanden. Es war die Zeit, als der Stadtteil von Kriminalität und Jugendbanden beherrscht wurde und ganze Viertel dem Verfall preisgegeben wurden; vor allem die galt als sozialer Brennpunkt und Schandfleck. Deprivation und Frustration bestimmten das Leben im New Yorker Stadtteil. Arbeitslosigkeit und Armut nahmen erschreckend hohe Ausmaße an, vor allem die Jugend hatte mit großen Entbehrungen zu kämpfen. Dabei kann ein rassistischer Hintergrund nicht geleugnet werden: Während die weiße Bevölkerung sukzessive die Bronx hinter sich ließ und in wohlhabendere Gegenden ziehen konnte, mussten Schwarze und Hispanics auf Grund ihrer weitreichenden Exklusion aus dem ökonomischen Leben in diesem Stadtteil verbleiben. Die Bronx entwickelte sich in den 1960er und 70er Jahren immer mehr zu einem Ghetto, dessen Einwohner*innen von der Politik missachtet und vergessen wurden. In diesem Klima bildete sich eine neue Kulturform heraus, die zu

6 Der Begriff Mainstream wird in dieser Arbeit ausschließlich in kursiver Schriftweise verwendet, um auf die überholte Dichotomie von Subkultur und Mainstream hinzuweisen. Der Dualismus der beiden Begriffe erscheint vor allem in der Auseinandersetzung von Musik- und Kulturformen des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, darunter ist auch HipHop zu zählen, als überholt und durch die ungenauen Definitionen nicht mehr anwendbar. Vgl. hierzu: Huber, Alison: Mainstream as Metaphor: Imagining Dominant Culture. In: Baker, Sarah/Bennett, Andy/Taylor, Jodie (Hg.): Redefining Mainstream Popular Music. Abingdon 2013, 3-13. 7 Begriffe wie weiß und schwarz werden hier stets kursiv geschrieben, um auf die soziale Konstruktion dieser Definitionen hinzuweisen. Denn mit den Begriffen schwarz und weiß wird mehr als nur die Hautfarbe beschrieben, es sind politische Begriffe, die eng mit sozialen Stellungen, Privilegien und Rassismus verbunden sind. 2

Beginn vor allem einen Ausweg aus der Tristesse der lebensweltlichen Realität schaffen sollte. HipHop gebar sich in seiner Anfangszeit nicht unbedingt als ein politisches Statement, zumindest nicht auf den ersten Blick, sondern als eine Form der Selbstverwirklichung und -bemächtigung. Personen wie Kool DJ Herc, oder Grandwizard Theodore waren die ersten Protagonisten einer sich rapide ausbreitenden Kultur, die sich innerhalb von zwei Jahrzehnten über die gesamte Welt ausdehnte. Mit den Block Partys, die in der Öffentlichkeit der Nachbarschaft gefeiert wurden, setzten die frühen Proponent*innen des HipHop den exklusiven -Clubs New Yorks etwas entgegen. HipHop begehrte auf, noch bevor diese Musik unter dem Namen HipHop bekannt wurde. Sie war früh gewissermaßen eine „oppositional subculture“, eine Subkultur, die sich gegen bestehende Werte und Normen richtete.8 Baudrillard empfand vor allem die Einschreibung in und die Besetzung von Räumen durch Graffiti als eine „Revolte [und] Auflehnung gegen bürgerliche Identität und Anonymität“.9 Erst mit „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang Ende der 1970er Jahre wurde dieser Kulturform ein Label zugeschrieben und sie war fortan als HipHop bekannt.10 Mit der Benennung trat HipHop auch den Siegeszug um den Globus an, „Rapper’s Delight“ sollte der erste große Hit dieser neuen Musikform werden, und tausende sollten noch folgen.

Ausgehend von New York und der amerikanischen Ostküste, über Los Angeles und den weiteren anglosächsischen Raum verbreitete sich HipHop über den gesamten Globus. Dabei wird auf die mythisierte Entstehungsgeschichte nie vergessen; sie bleibt im Habitus des HipHop durchwegs inhärent, unabhängig von der geografischen Verortung der lokalen Spielarten. HipHop versichert sich seiner Geschichte stetig selbst und ist stark in der Vergangenheit verortet, was sich auch in der essentiellen Methode des Samplings, die neue Zusammensetzung alter Musikstücke,

8 Blair, M. Elizabeth: Commercialization of the Rap Music Youth Subculture. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 497-504, hier 497f. 9 Baudrillard, Jean: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. 1978, 37ff. 10 In dieser Arbeit soll bewusst nicht auf die lange und komplizierte Entstehungsgeschichte des HipHop eingegangen werden, diese wurde bereits ausführlich beschrieben. Eine besonders ausführliche und übersichtliche Geschichtsschreibung des HipHop in seinen sozialen und ökonomischen Bedingungen lieferte Jeff Chang mit „Can’t Stop Won’t Stop. A History of the Hip-Hop Generation“. 3 widerspiegelt.11 Der Entstehungsmythos fungiert im HipHop12 wie in kaum einer anderen Musikform als ein fixer und wesentlicher Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses und der gegenseitigen Zusicherung, obwohl bis heute keine Einigung darüber herrscht, wann und wo HipHop seinen Ursprung nahm, und vor allem wer die wesentlichen Pionier*innen dieser Kulturform waren. Die genaue Bestimmung hängt auch mit den zum Teil ungenauen Definitionen zusammen: Noch immer ist unklar, was als Rap zu bezeichnen ist und was nicht.13 Vor allem an den Last Poets, einer Dichter- und Musikergruppe aus der späten 1960er Jahre, lässt sich dieser Widerspruch nachvollziehen: für die einen die Pioniere des Raps, für die anderen wegweisende Sprachakrobaten, aber eben keine Rapper. Auch in der stetig perpetuierten Selbstreflexion, die mitunter geradezu religiöse Formen annehmen kann, bleibt im HipHop Raum für Interpretation.

Als gesicherter gilt innerhalb der HipHop-Szene – Szenen sollen hier nach Ferchhoff als „posttraditionelle Gesinnungsgemeinschaften“ verstanden werden, die sich durch einen hohen Grad an Offenheit und Transität auszeichnen14 –, vor allem der amerikanischen Szene, aber die vermeintliche Tatsache, dass HipHop als schwarze Kultur, als eine afroamerikanische Antwort auf den tradierten weißen Rassismus verstanden werden muss. Ähnlich wie Blues, Rock, Soul oder Jazz sei auch HipHop eine schwarze Kultur, die im Laufe der Zeit durch die weiße Bevölkerungsmehrheit angeeignet wurde, cultural appropriation fungiert als häufig zitiertes Stichwort für diesen von vielen als schamlos betrachteten Akt, und zwar nicht erst seit den weltweiten Erfolgen des weißen Rappers Eminem. Tricia Rose, US-amerikanische Afrikanistin, sieht HipHop in einer Linie mit schwarzen oralen Traditionen und als eine Artikulation schwarzer Marginalität in den Vereinigten Staaten von Amerika.15 Paul Gilroy versteht wiederum HipHop nicht zwingend als US-amerikanische Kultur und inkludiert in seine Überlegungen den transnationalen Charakter von Kulturen, definiert

11 Mager, Christoph: HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie. Stuttgart 2007, 70ff. 12 Schneider, Ingo: „Ich weiß noch genau, wie das alles begann ...“. Der Mythos der Anfänge der Kultur – Ein Erklärungsversuch. In: Mythos, Mythen, Mythologien. 7. Tagung der Kommission für Erzählforschung in der DGV. Hrsg. von Harm-Peer Zimmermann. Marburg 2015, S. 278-287. 13 Dyson, Michael Eric: The Culture of Hip-Hop. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 61-68, hier 61f. 14 Ferchhoff, Wilfried: Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert. Lebensformen und Lebensstile. Wiesbaden 2011 (1. Aufl. 2007), 202f. 15 Rose, Tricia: Black Noise. Rap Music und Black Culture in Contemporary America. Hanover 1994, 3ff. 4

HipHop aber dennoch als „black culture“, auch wenn diese durch Offenheit, Hybridität und Diversität geprägt sei.16 Durch diese Definitionen kippen die mythisierten Entstehungsbedingungen jedoch in einen plumpen Essentialismus ab, in dem Ethnizität die kulturelle Identität einer gesamten Kultur bestimmt. Nur über diese ethnisierten und essentialisierten Begrifflichkeiten sei die im HipHop so bedeutende Authentizität, die zitierte realness, zu erreichen. Doch diese exklusive Beschreibung verkennt eine grundlegende Tatsache: HipHop war schon in seinen Anfängen eine durchwegs hybride, diversifizierte und fluide kulturelle Erscheinung. Treffender, weil inklusiver, beschreibt Nelson George, Musik- und Kulturkritiker, die Entstehungsbedingungen des HipHop:

„At its most elemental level hip hop is a product of post civil-rights era America, a set of cultural forms originally nurtured by African-American, Caribbean-American, and Latin-American youth in and around New York in the ‘70s. Its most popular vehicle for expression has been music, though dance, painting, fashion, video, crime, and commerce are also playing its fields. It’s a postmodern art in that it shamelessly raids older forms of pop culture – kung fu movies, chitlin’ circuit comedy, ‘70s funk, and other equally disparate sources – and reshapes the material to fit the personality of an individual artist and the taste of the times.“17

Für Nelson George ist HipHop mehr als eine schwarze Kultur, durch die Inklusion karibischer und lateinamerikanischer Jugendlicher, sowie den deutlichen Hinweis auf die dieser kulturellen Erscheinungsform inhärenten Bricolage, bestätigt er ihren hybriden und offenen Charakter. Nur dadurch konnte HipHop auch in die unterschiedlichen Kontexte übersetzt werden. Der Grundmythos wird so nicht mehr in seiner ethnisierenden und essentialisierenden Funktion, sondern als eine Schablone für die späteren lokalen Nachahmungen und Aneignung betrachtet.18 HipHop soll in dieser Arbeit nach diesen Kriterien verstanden werden: als eine hybride und fluide Kultur, die ihren Ausgang in den marginalisierten Projects der New Yorker South Bronx nahm, sich in der globalen Verbreitung aber lokal manifestierte – als ein „global verbreitetes Geflecht alltagskultureller Praktiken, die in sehr unterschiedlichen lokalen

16 Gilroy, Paul. The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness. Cambridge 1993, 72ff. 17 George, Nelson: Hip Hop America. New York 1998, 4. 18 Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter: HipHop als Phänomen kulturellen Wandels. In: Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld 2007, 313-324, hier 315ff. 5

Kontexten produktiv angeeignet werden.“19 HipHop, eine globale Kultur mit lokalen Spezifika, glokal im Wortsinne.

Und so ist es möglich, dass „echter“ und „authentischer“ HipHop auch außerhalb der USA praktiziert werden kann, denn Authentizität20 oder, um einen genuinen Szenebegriff zu verwenden, realness entsteht nicht durch die Nachahmung globaler Trends, sondern durch die produktive Aneignung im Lokalen. „Keeping it real means keeping it culturally local“,21 lautet das Motto der glokalen Kultur HipHop. Das Globale im Lokalen zu finden, dafür eignet sich HipHop in herausragender Weise, auch weil er die bis dato erfolgreichste und am längsten relevante Popkultur darstellt. Graffiti, Rap, DJing und B-Boying, die vier zentralen Elemente der sogenannten „Straßenkultur“, dominieren heute die popkulturelle Welt – vor allem die musikalische Spielart des HipHop – und orientieren sich in ihrer Globalität an lokalen Kontexten.

Das ist auch der Grund, warum HC Strache diese vermeintlich schwarze Kultur für seine politischen Zwecke instrumentalisieren konnte. Er und sein Team verwenden klassische Kulturtechniken des HipHop und rekontextualisieren diese in einem österreichischen Rahmen neu. Als authentischen HipHop, das heißt als die Artikulation der eigenen Lebensrealität mit den Mitteln subkultureller Codes und Werkzeuge, oder gar als künstlerisch wertvoll sollen die vier Stücke nicht verstanden werden, das dürfte auch nicht die Intention gewesen sein. Vielmehr waren es Instrumente im Wahlkampf, mit denen HipHop mehr nachgeahmt denn angeeignet wurde.22 Doch wenn man die Qualität der Produktion, den spezifischen Inhalt der Texte und die von vielen HipHop-Proponent*innen kritisierte plumpe Anbiederung an eine Kultur, die historisch auf Seiten der Marginalisierten und Entrechteten stand und steht, außer Acht lässt, so zeigt sich, dass HipHop zwar global vermittelt wird, in seiner Funktion aber nur lokal verstanden werden kann.23 Das trifft auch, aber nicht nur, auf die HipHop-Ausflüge des FPÖ-Obmanns zu.

19 Androutsopoulos, Jannis: Einleitung. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 9-23, hier 11. 20 Menrath, Stefanie: Represent what… Perfomativität von Identitäten im HipHop. 2001. 21 Reitsamer, Rosa u. Prokop, Rainer: Postmigrantischer HipHop in Österreich. Hybridität, Sprache, Männlichkeit. In: Yildiz, Erol u. Hill, Marc (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft, Bielefeld 2014, 251-271, hier 256. 22 Dass darin vor allem im Umgang mit HipHop in Österreich ein großer und wesentlicher Unterschied besteht, wird sich noch im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen. 23 Krims, Adam: Rap music and the poetics of identity. Cambridge 2000, 155ff. 6

HipHop in Österreich, beziehungsweise österreichischer HipHop,24 das sind nicht politische Vereinnahmungsversuche durch Parteien unterschiedlicher Couleurs, das sind heute tausende Musiker*innen, Künstler*innen und Tänzer*innen, sowie hunderttausende Hörer*innen und Konsument*innen. All diese Menschen bilden die österreichische HipHop-Szene und machten aus der globalen Kultur HipHop eine lokale, österreichische Spielart. Doch der Weg zum österreichischen HipHop, zu den Austrian Flavors, war ein ereignisreicher und mitunter steiniger. Die Kulturform wurde vor allem zu Beginn als das exotisierte Andere konstruiert und als etwas bewusst Fremdes wahrgenommen.25 Misstrauen und Ablehnung bestimmten für einen langen Zeitraum den medialen und öffentlichen Umgang mit HipHop in Österreich. Der Prozess dauerte, österreichischer HipHop entwickelte sich nicht über Nacht, es brauchte Zeit, bis sich eigene diversifizierte Stile, eine rudimentäre Infrastruktur und in weiterer Folge eine österreichische Szene etablieren konnten. Und noch länger dauerte es, bis Plattenlabels, Radios oder Zeitungen auf diese neue Kulturform aufmerksam wurden, österreichischer HipHop entstand und entwickelte sich zum überwiegenden Teil abseits der medialen und öffentlichen Wahrnehmung.

Dem Enthusiasmus hunderter Einzelner ist es zu verdanken, dass HipHop auch einen Platz in Österreich finden konnte. Schon lange bevor eine aktive und vernetzte Szene entstehen konnte, waren es private und individuelle Initiativen, die das Feld bereiteten: Band- und Labelgründungen, Videodrehs, Konzerte, DJ-Gigs, Graffitis, Jams, Mailorder, Fanzines und Radiosendungen, all dies scheint heute selbstverständlich, ist aber nicht ohne die passionierten Ambitionen einer ersten HipHop-Generation in Österreich zu verstehen. Sie war es, die Mitte der 1980er Jahre zum ersten Mal mit einer neuartigen musikalischen und kulturellen Erscheinungsform in Kontakt gekommen ist und von dieser nicht mehr losgelassen wurde. Durch Fernseh- und Radiosendungen, einschlägige Musikmagazine, private Auslandsreisen und den individuellen Austausch mit Gleichgesinnten wurde HipHop aus den USA nach Österreich importiert und in einen heimischen Kontext übersetzt. Mit der Zeit wurde das zu Beginn noch als fremd und exotisch Empfundene immer mehr zu etwas genuin

24 Die Unterscheidung dieser beiden Begrifflichkeiten spielt in dieser Arbeit eine wesentliche Rolle und wird im weiteren Verlauf ausführlich erläutert. 25 Mager (wie Anm. 11), 76ff. 7

Eigenem, über die Jahre wurde die globale Kultur des HipHop adaptiert und rekontextualisiert und es entstand österreichischer HipHop, der Austrian Flavor.

Diese Entwicklung möchte „Austrian Flavors. Wie HipHop nach Österreich kam“ nachzeichnen, und vom Ankommen und Andocken, von der Entwicklung und der Etablierung des HipHop in Österreich erzählen, sowie von Pionieren und Aktivist*innen. Kurzum, „Austrian Flavors“ ist die Entstehungsgeschichte des österreichischen HipHop.

8

2. FORSCHUNGSFRAGE, -STAND UND -DESIGN

2.1. Forschungsfrage

Wann, wie, wo und durch wen kam HipHop nach Österreich? Und wann, wie, wo und durch wen wurde aus der globalen Kultur eine österreichische Spielart? Das sind die beiden wesentlichen Fragen, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen.

Obwohl die Fragen eindeutig und einfach wirken, gestaltet sich ihre Beantwortung komplex. Bereits der Begriff HipHop bereitet dabei Probleme. Zu Beginn ist nämlich zu klären, was genau unter HipHop verstanden wird.

Bekannt ist, dass HipHop aus vier grundlegenden Elementen besteht: aus DJing, MCing, den beiden musikalischen Ausdrucksformen, sowie aus B-Boying als die tänzerische und Graffiti als die malerische Erscheinungsform des HipHop. Afrika Bambaataa, der Begründer der Zulu Nation, die sich das Ziel auf die Fahnen schrieb, die Gewalt in der Bronx durch HipHop in etwas Positives zu verwandeln, erweiterte das Periodensystem des HipHop um ein fünftes, für viele heute zentrales Element: Knowledge.26 Für Kool DJ Herc, einen der Ahnen des HipHop, und unzählige andere Protagonist*innen der ersten Generation war HipHop eine Lebenseinstellung, ein Habitus, den es zu inkorporieren galt:

„People talk about the four hip-hop elements: DJing, B-Boying, MCing, and Graffiti. I think that there are far more than those: the way you walk, the way you talk, the way you look, the way you communicate.„27

Genau das versuchte die Zulu Nation mit Knowledge zusammenzufassen. Darunter ist also der intellektuelle Überbau zu verstehen, das Bekenntnis zu Werten wie Gewaltverzicht, Freiheit, Gerechtigkeit oder Weisheit. Afrika Bambaataa und seine Zulu Nation statteten die noch junge Kulturform folglich mit einem politischen Impetus aus, der über viele Jahre eine zentrale Rolle spielen sollte. Ist es dann aber

26 Verlan, Sascha: HipHop als schöne Kunst betrachtet – oder: die kulturellen Wurzeln des Rap. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 138-146, hier 140ff. 27 Chang, Jeff: Can’t Stop Won’t Stop. A History of the HipHop Generation. New York 2005, 1. 9 ausschließlich HipHop, wenn alle fünf Elemente vorkommen, wenn alle Ausdrucksformen derselben Kultur im Gewand des ideologischen Überbaus präsent sind? Wohl kaum, zu exklusiv wäre eine solche Definition, viele moderne Spielarten des HipHop, die heute das populäre Gesicht dieser Kultur weitestgehend bestimmen, würden ohne Weiteres aus diesem engen Definitionsrahmen herausfallen. In dieser Arbeit soll die Definition von HipHop etwas weiter gefasst werden, wobei vor allem die beiden musikalischen Ausdrucksformen – das DJing und das MCing – im Mittelpunkt stehen werden. HipHop ist damit alles, was zumindest eines der vier, beziehungsweise fünf zentralen Elemente beinhaltet. Bei diesem Verständnis besteht jedoch die Gefahr, Musik- und Kulturformen mit in die Definition zu integrieren, die vermeintlich wenig mit HipHop zu tun haben, sich aber seiner Kulturtechniken bedienen. Wo sind also die Grenzen zu ziehen? Anzunehmen ist, dass es klare und nachvollziehbare, das heißt objektiv definierbare, Grenzen nicht geben kann. HipHop ist in seiner Form und Struktur eine durch und durch synkretistische Kultur und das, was sich Claude Lévi-Strauss wohl unter Bricolage vorgestellt hat. HipHop bedient sich einer Vielzahl an Referenzen und Zitaten, kombiniert vermeintlich traditionelle mit modernen Kulturtechniken, nimmt das Alte und adaptiert es zu etwas Neuem, während der DJ, das Sinnbild des Bricoleurs, unzählige Versatzstücke zu etwas Eigenem zusammensetzt. Wo HipHop beginnt und was wiederum nicht als HipHop zu gelten hat, darüber scheiden sich seit Jahrzehnten die Geister, in- und außerhalb der Szene. Es bleibt also zu weiten Teilen Interpretationssache, was HipHop ist, selbst österreichische Pionier*innen können darauf nicht immer eine befriedigende Antwort geben,28 vor allem auch weil Schubladendenken für eine Kulturform wie HipHop, die für so gut wie alle Einflüsse offen ist, als der kulturelle Antipode betrachtet werden muss. Eben dieser offene Charakter ermöglichte es jedoch, HipHop als ein global verbreitetes Geflecht alltagskultureller Praktiken zu verstehen, welche wiederum von Menschen in sehr unterschiedlichen lokalen Kontexten produktiv angeeignet werden.29 Dadurch sind allgemeingültige Definitionen geradezu unmöglich.

So viel zum Begriff „HipHop“. Doch wann kam diese Kulturform nach Österreich, an welchen Orten und Städten tauchte sie zum ersten Mal auf und wer zeichnete sich

28 Siehe Kapitel „Epigonen, Imitate und Authentizität“. 29 Androutsopoulos (wie Anm. 19), 11. 10 dafür verantwortlich, dass der vermeintlich amerikanische HipHop auch in Österreich heute eine bedeutende Rolle spielt?

Wohl am komplexesten dürfte die Frage nach dem Wann zu beantworten sein. Neben der schwierigen Periodisierung von kulturellen Strömungen stellt sich unter anderem auch die Frage, wann eine Kultur, in diesem Fall HipHop, als angekommen gelten kann und soll. War HipHop bereits Anfang der 1980er Jahre in Österreich angekommen, als „Rapper’s Delight“ von der New Yorker Band Sugarhill Gang das erste Mal in den Radios lief und vor allem im Großraum Wien erste Graffitis sichtbar wurden, die man bisher nur aus Paris oder der Bronx kannte? Oder war HipHop erst ein paar Jahre später heimisch geworden, als sich an der Technik des Rappens versuchte und die Erste Allgemeine Verunsicherung 1983 das Lied „Alpenrap“ veröffentlichte? Dies sind zwei besonders frühe Datierungsversuche, die jedoch nur sehr wenig über das tatsächliche Ankommen des HipHop in Österreich aussagen. Doch bleibt die Beantwortung der Frage nach dem Wann schwierig. Ist HipHop bereits Teil der Kulturlandschaft in Österreich, wenn HipHop lediglich „passiv“ konsumiert wird oder erst wenn die Kulturtechniken aktiv angeeignet werden? Sowohl als auch. Der „passive“ Konsum und der aktive Prozess sind untrennbar miteinander verbunden.30 Und so kann es auch keine allgemeingültige und objektiv nachhaltige Datierung geben, sie bleibt zu großen Stücken subjektiv und geht auch mit der Frage nach der Definition von HipHop an sich einher. HipHop kam in Österreich, wie auch in vielen anderen Ländern, in Wellen an, die für die heimische Szene und passive wie aktive Protagonist*innen mal bedeutender und mal weniger bedeutend waren. Die Frage nach dem Wann ist also nicht mit einem Zeitpunkt, sondern vielmehr mit einem Zeitraum zu beantworten, der sich im österreichischen Fall über fast drei Jahrzehnte bis heute hinzieht. Innerhalb dieses Zeitraums, der an beiden Enden offene Grenzen aufweist, entwickelten sich lokale und regionale Strukturen, in denen die globale Kultur praktiziert und adaptiert wird und so etwas wie eine österreichische Spielart entstehen konnte.

30 Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess. München 1995, 115ff.

11

In den meisten Fällen entstanden diese Strukturen in der Urbanität der in Österreich rar gesäten Großstädte. Vor allem Wien spielte eine herausragende Rolle, mit großem Abstand folgen Linz, Salzburg oder Innsbruck. Doch es ist augenscheinlich, dass HipHop, der sich bisweilen als eine Straßenkultur versteht und in diesem Verständnis immer wieder die eigene Geschichte in der Bronx rezipiert,31 allerorts in urbanen Kontexten andockte - hier, wo so etwas wie eine kritische Masse bestand, eine Vielzahl an Gleichgesinnten, die offener für das Neue waren und darauf rasch mit der Etablierung von Strukturen reagieren konnten. Wichtige und frühe Pioniere der österreichischen HipHop-Geschichte entstammen alle aus einem mehr oder weniger urbanen Umfeld, die ersten Labels, Magazine oder Mailorder entwickelten sich in den wenigen größeren Städten des Landes. Vor allem Wien nahm schnell eine bis heute etablierte Vorreiterrolle ein.

Doch während in den wenigen urbanen Zentren Österreichs bereits HipHop konsumiert und produziert wurde, gab es weite, vor allem ländlich geprägte Teile des Landes, die der städtischen Entwicklung hinterherhinkten. HipHop kam anfangs viel mehr in österreichischen Städten an als in Österreich als Ganzes. In dieser Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen32 entwickelten sich unterschiedliche Räume in unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Wien schneller als zum Beispiel das Tiroler Oberland. Doch ist das kein Spezifikum des HipHop, Ähnliches lässt sich von Punk, Blues oder Rock sagen; auch hier spielten Städte eine entscheidende Vorreiterrolle, auch wenn die Lokalisierung des HipHop in der Urbanität eine kulturelle Besonderheit darstellt.

An die Fragen nach dem Wo und Wann schließt sich auch die Frage nach dem Wer an: Wer waren die wichtigsten Protagonist*innen für das Ankommen des HipHop in Österreich? Dabei erscheint es wenig sinnvoll, den oft als passiv diffamierten Konsum von Kultur und die aktive Aneignung und Adaption derselben getrennt voneinander zu denken. Denn die Rezeption der Konsumobjekte, in diesem Fall das Hören von HipHop, geht in jedem Fall den kreativen Praktiken der handelnden und ausführenden Protagonist*innen voraus. Die Aufrechterhaltung dieser Dichotomie erweist sich

31 Mager (wie Anm. 11), 71. 32 Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt am Main 1962. 12 demnach als hinderlich für die Beschreibung der Etablierung und Aneignung kultureller Erscheinungen.33 Und dennoch sollen in dieser Arbeit vor allem die handelnden Personen beschrieben werden, jene Protagonist*innen, die sich als Kulturvermittler*innen und -übersetzer*innen dafür verantwortlich zeichnen, dass sich HipHop in Österreich nach und nach festsetzen konnte. Welche Personen das sind und warum eben diese für diese Arbeit ausgewählt wurden, wird in einem späteren Kapitel erörtert.

An diese Fragen – wann, wie, wo und durch wen kam HipHop nach Österreich – schließt sich die Frage, wann, wie, wo und durch wen eine österreichische Spielart der globalen Kultur entstand. Es soll der Frage nachgegangen werden, wann und unter welchen Umständen aus HipHop in Österreich österreichischer HipHop wurde. Auch wenn es sich bei diesen beiden Begriffen im Weber‘schen Sinne um Idealtypen in Reinform handelt und eine exakte und objektive Trennlinie zwischen diesen beiden wohl nicht gezogen werden kann, so hängt von dieser Unterscheidung eine bedeutende Frage ab: Ist HipHop eine amerikanische, vermeintlich fremde Kulturform, die im besten Fall nur kopiert werden kann, oder handelt es sich um eine globale Kultur, die als Rahmen und Vorlage für die regionalen Aneignungen und Adaptionen dient? In dieser Arbeit soll das Verständnis von HipHop als schwarze Kultur und die damit einhergehenden ethnisierenden und essentialisierenden Ein- und Zuschreibungen überwunden, und stattdessen eine Definition von HipHop verhandelt werden, die durch Offenheit und Hybridität geprägt ist.34 Mit diesem Verständnis kann es auch österreichischen HipHop geben, das heißt eine lokale Spielart einer globalen Kultur:

„Lokale Popkulturen können als Dialekte einer globalisierten Popsprache verstanden werden. […] Lokale Varianten einer globalen Popkultur bringen ähnliche Ästhetiken und Stile hervor und provozieren oft auch einen ähnlichen Lebensstil ihrer Anhänger. Zugleich aber wird die globale Sprache des Pop durch lokale Einflüsse verändert und gebrochen.“35

33 Winter, Rainer: HipHop als kulturelle Praxis in der globalen Postmoderne. Die kultursoziologische Perspektive der Cultural Studies. In: Nünning, Ansgar u. Sommer, Roy (Hg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Tübingen 2004, 215-230, hier 223ff. 34 Klein, Gabriele u. Friedrich, Malte: Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt am Main 2011 (4. Aufl., Orig. 20039, 70ff. 35 Villányi, Dirk u. Witte, Matthias D.: Jugendkulturen zwischen Globalisierung und Ethnisierung. Glocal Clash – Der Kampf des Globalen im Lokalen am Beispiel Russlands. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaften. 7 (2004), H.4, 58-70, hier 63. 13

Doch wann entstand der österreichische HipHop-Dialekt? Und wer sprach ihn? Auch hier kann es keine eindeutigen Antworten geben, erweist sich doch schon die Definition des Österreichischen, abgesehen von der Verwendung österreichischer Mundart in den Texten des lokalen HipHop, als ein schwieriges Unterfangen. Kann es nur österreichischer HipHop sein, wenn auf Deutsch gerappt wird oder können auch englische Texte Teil des österreichischen Raps sein? Müssen zwangsläufig österreichische Samples verwendet werden oder können österreichische DJs auch „fremde“ Musikstücke so rekontextualisieren, dass sie „österreichisch“ werden? Oder ist österreichischer HipHop ganz einfach HipHop, der von österreichischen Musiker*innen produziert wird, unabhängig von der Machart und den Inhalten? Eine einfache Antwort auf diese Fragen kann es nicht geben, darum soll es in dieser Arbeit auch nicht gehen. Vielmehr soll nachvollzogen werden können, wann und wie etwas „Eigenes“ entstand, wann die globale Kultur lokalisiert und hybridisiert wurde. Dabei gab es niemals nur HipHop in Österreich oder österreichischen HipHop, auch sind diese beiden Idealtypen nicht als Antagonismen zu verstehen, viel eher gab und gibt es unzählige Graustufen zwischen diesen beiden Polen. Gleichermaßen kann es nicht den einen österreichischen HipHop geben. Trotz der Überschaubarkeit der Szene existiert eine Vielzahl an Erscheinungsformen, auch der österreichische HipHop- Dialekt besticht durch seine Heterogenität und Hybridität, durch seine Unterschiede und Fragmentierungen, ähnlich wie die globalisierte Popsprache selbst, um bei dem vorhin verwendeten Sprachbild zu bleiben. Um eine möglichst inklusive Definition von „österreichischem HipHop“ zu wählen, wird auf den Begriff der Authentizität zurückgegriffen, der als „realness“ im HipHop ohnehin eine wichtige Rolle spielt.

Zum einen wird Authentizität im HipHop durch Lokalität, die Bezugnahme auf einen lokalen Kontext also, hergestellt,36 und zum anderen in der Artikulation der eigenen Lebenswelt.37 Authentizität wird hier also nicht als eine Kopie des essentialisierten Originals verstanden, sondern als eine Anpassung desselben an die eigenen Lebensumstände:

36 Bennett, Andy: Hip-Hop am Main, Rappin’ on the Tyne: Hip-Hop Culture as a Local Construct in Two European Cities. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 177-200, hier 196ff. 37 Mager (wie Anm. 11), 246. 14

„Authentizität äußert sich dementsprechend darin, das Hybride der eigenen kulturellen Identität sichtbar zu machen. Authentizität ist keine Wesenhaftigkeit oder Eigenschaft, sondern muss auf Grund der Fragilität kultureller Identität immer wieder neu hergestellt werden.“38

Als österreichischer HipHop soll also HipHop verstanden werden, der das Globale im Lokalen verortet und sich mit der eigenen Lebenswelt auseinandersetzt. Österreichische HipHopper*innen, und nicht nur solche, sind nach Michel de Certeau Personen, die in einer

„Kombination von praktischem Handeln und Genuss von außen ‚aufgezwungene‘ Produkte in Besitz [nehmen], indem sie sie in einem aktiven Prozess des Umdeutens, Weglassens und neu Kombinierens „in die Ökonomie ihrer eigenen Interessen und Regeln >umfrisieren<„ und damit sinnhaft in ihre Alltagswelt integrieren.“39

Während also zu Beginn der Konsum von HipHop steht, in dem de Certeau „eine aktive und spielerische ‚Fabrikation‘, die auf dem eigensinnigen ‚Gebrauch‘ des Gegebenen basiert“,40 sieht, was mit der Chiffre „HipHop in Österreich“ beschrieben werden kann, entwickelt sich im weiteren Verlauf nach der Ausführung der kreativen Praktiken des HipHop die Aneignung eines reflexiven und kritischen Charakters, sowie die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt,41 also der österreichische HipHop in all seinen Ausprägungen und Unschärfen.

Um hier nun wieder auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, stellen sich die Fragen, ab wann sich die österreichischen HipHopper mit ihrer eigenen Lebenswelt beschäftigten und ab wann die „eigene kulturelle Identität“ den Ausgangspunkt für das künstlerische Schaffen darstellte. Auch hier wird es schwierig sein, ein genaues und objektivierbares Datum festzumachen. Vielmehr soll die Hinwendung und die Entstehung zu einer österreichischen Spielart des globalen HipHop als eine lange und keineswegs zielgerichtete oder gar teleologische Entwicklung verstanden werden, die auch heute keineswegs als abgeschlossen betrachtet werden darf. Diese Entwicklung

38 Klein (wie Anm. 34), 70. 39 Michel de Certeau zit. nach Krönert, Veronika: Michel de Certeau: Alltagsleben, Aneignung und Widerstand. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 47-57, hier 50. 40 Ebd. 41 Winter (wie Anm. 33), 224. 15 hin zu einem österreichischen HipHop soll in dieser Arbeit ebenso skizziert werden wie die Ankunft des vermeintlichen Originals in Österreich.

16

2.2. Forschungsstand

Während das Phänomen HipHop in seiner Ganzheit wohl zu den meistbeforschten Musikrichtungen der Geschichte gehört, weist die Forschungsbilanz zu österreichischem HipHop beziehungsweise zu HipHop in Österreich große Lücken auf. Bis auf wenige Ausnahmen blieb dieses Feld zu weiten Teilen unerforscht.

Bereits ausführlich beschäftigte sich die Wissenschaft mit der Entstehung und den Inhalten des HipHop in der Bronx. Vor allem die neu entstandenen Cultural Studies, aber auch African Studies, sowie die Jugend- und Subkulturforschung nahmen sich dankbar des Themas an. HipHop wurde und wird in all seinen Facetten erforscht und analysiert, vor allem der Gründungsmythos, der lange Zeit auch in der Wissenschaft als schwarze Reaktion auf soziale und ökonomische Isolation und Deprivation gelesen wurde, rückte schnell in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Maßgeblich dazu beigetragen haben die Pionier*innen dieser noch jungen Kulturform, welche die Entstehungsbedingungen früh stilisierten. Das ist auch daran zu erkennen, dass sich HipHop nur sehr langsam von diesem Gründungsmythos zu emanzipieren scheint. Vor allem die Afrikanistin Tricia Rose perpetuiert mit „Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America“ aus dem Jahr 1994 das Missverständnis von HipHop als schwarze Kultur und liefert eine lange unhinterfragte essentialistische Geschichte. Doch war diese Ansicht – HipHop als eine schwarze und amerikanische Kulturform, die im besten Fall kopiert werden kann – für lange Zeit die bestimmende Ansicht, sowohl innerhalb von Teilen der wissenschaftlichen Community als auch innerhalb der Szene selbst.

Bis Stimmen wie jene von Nelson George mehr Gehör fanden, verging einige Zeit. Der Kultur- und Musikkritiker beschreibt HipHop nicht durch essentialistische Formeln, sondern in seiner Hybridität und Offenheit, wodurch das New Yorker „Original“ lediglich als Schablone für die lokalen Aneignungen dient. HipHop wird fortan als eine globale Kultur verstanden, als eine kulturelle Praxis, die in weiten Teilen der Welt Anklang findet.

Mit der Ausbreitung der HipHop-Kultur über den Globus, sowie der Etablierung lokaler und regionaler Spielarten entdeckt auch die Wissenschaft das Hybride im HipHop:

17

Arbeiten, wie jene von Abdoulaye Niang über die HipHop-Kultur im senegalesischen Dakar42 oder von Peter Stanković über die lokale Aneignung in Slowenien,43 fluten förmlich den wissenschaftlichen Kanon. Es gibt kaum ein Land, dessen HipHop- Geschichte nicht erforscht wurde. Vor allem der deutsche HipHop beziehungsweise HipHop in Deutschland gilt als Paradebeispiel für die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dieser neuen kulturellen Erscheinung. Bereits im Jahr 2000 schrieben Hannes Loh und Sascha Verlan über „20 Jahre HipHop in Deutschland“, mittlerweile wurde das Buch zum 25-jährigen und zum 35-jährigen Jubiläum im Jahr 2015 neu aufgelegt.44 Detailgetreu zeichnen sie die Geschichte des HipHop in Deutschland nach und verweisen in ihrer Historiografie auch auf den Einfluss des deutschen HipHop auf die österreichischen Nachbarn. Die Arbeit gilt mittlerweile als Standardwerk. Daneben lieferten Gabriele Klein und Malte Friedrich mit „Is this real? Die Kultur des HipHop“ eine viel beachtete und wegweisende Analyse, die HipHop als kulturelle Praxis versteht und die Lebensstile und -welten der Protagonist*innen in den Mittelpunkt stellt. Klein und Friedrich verweisen auf das Spannungsfeld zwischen dem Globalen und dem Lokalen und beschreiben, wie auch in Deutschland Authentizität innerhalb der HipHop-Szene hergestellt werden kann. Ebenfalls mit Authentizität und Identität im deutschen HipHop beschäftigt sich Stefanie Menrath in „Represent what... Performativität von Identitäten im HipHop“. In Anlehnung an Homi Bhabha und Judith Butler versteht sie die Identitätsbildung im deutschen HipHop als eine performative Arbeit, durch welche die eigene Marginalität überwunden werden soll.45 Auch sie verabschiedet sich dadurch von essentialistischen Mustern und betont das Hybride und Glokale im HipHop.

Die hier beschriebenen Werke bilden jedoch nur eine kleine Auswahl aus dem schier unendlichen Kanon der wissenschaftlichen Literatur. Es scheint, als ob HipHop in all seinen Facetten ausreichend erforscht und analysiert wurde. Soziolog*innen und Ethnolog*innen, Linguist*innen und Anglist*innen, Zeit- und Kunsthistoriker*innen, Musikwissenschaftler*innen und Afrikanist*innen, sowie unzählige andere

42 Niang, Abdoulaye: Bboys: hip-hop culture in Dakar, Sénégal. In: Nilan, Pam u. Feixa, Carles (Hg.): Global Youth? Hybrid Identities, plural worlds. London 2006, 167-185. 43 Stanković, Peter: HipHop in Slovenien: Gibt es Muster lokaler Aneignung eines globalen Genres? In: Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld 2007, 89-115. 44 Verlan, Sascha u. Loh, Hannes: 35 Jahre HipHop in Deutschland. Höfen 2015. 45 Menrath (wie Anm. 20). 18

Wissenschaftler*innen arbeiteten sich an HipHop ab. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Kulturform, mit den Entstehungsbedingungen im New Yorker Stadtteil Bronx, mit den Inhalten der gerappten Texte, mit Bricolagen wie dem Sampling, mit Fragen nach Hybridität, Globalität und Lokalität und mit vielem mehr. Heute gibt es kaum mehr eine Frage, die nicht gestellt und beantwortet wurde.

Umso erstaunlicher erscheint die Tatsache, dass HipHop in Österreich bisher nur wenig wissenschaftliche Beachtung geschenkt wurde. Mit einigen wenigen Ausnahmen, so zum Beispiel Rosa Reitsamer und Rainer Prokop, die sich mit postmigrantischem HipHop in Österreich beschäftigten,46 bleibt HipHop in Österreich wissenschaftliches Neuland. Monografische Überblicksdarstellungen fehlen zur Gänze, die Geschichte des HipHop in Österreich scheint zwar vor allem innerhalb der Szene selbst bestens bekannt, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit fand jedoch bisher nicht statt. Nur wenige universitäre Abschlussarbeiten nahmen sich dieses Themas an, meist jedoch musik-, kommunikations- oder politikwissenschaftlicher Schlagrichtung. Kulturwissenschaftliche oder ethnologische Analysen, die ähnlich der deutschen Arbeiten das Hybride im heimischen HipHop herausarbeiten, sind bisher nicht verfasst worden. Das mag auch daran liegen, dass HipHop zum einen erst seit relativ kurzer Zeit in Österreich angekommen ist und wissenschaftliche Institutionen nur sehr behäbig auf Neuerungen reagieren, und zum anderen, dass HipHop in Österreich nie ein derart großer Erfolg war wie im nahen europäischen Ausland, das Phänomen also nie richtig in den wissenschaftlichen Elfenbeinturm vordringen konnte.

Während die internationale Forschung mittlerweile also breit aufgestellt ist und HipHop stark in die wissenschaftliche Auseinandersetzung integriert wurde, bestehen in Österreich große weiße Flecken. Die hier vorliegende Arbeit soll daher auch als Versuch verstanden werden, dieser Leere etwas entgegenzusetzen, und mit einer ersten Darstellung über die Entstehung und Etablierung des österreichischen HipHop den Weg für eine weitere und tiefgreifende wissenschaftliche Auseinandersetzung bereiten

46 Reitsamer (wie Anm. 21).

19

2.3. Forschungsdesign

Wie auch HipHop als eine Kultur verstanden werden muss, in der Synkretismus und Bricolage mehr die Regel denn die Ausnahme sind, so soll auch das Forschungsdesign dieser Arbeit daran angepasst werden. „Austrian Flavors“ bedient sich in klassischer HipHop-Tradition eines breiten Samplings an Methoden und Herangehensweisen, in der Hoffnung, so die Divergenzen und Differenzierungen dieser Kulturform adäquat abbilden zu können. Auch das Forschungsdesign soll daher ein Hybrid sein.

In diesem Hybrid werden theoretische Überlegungen mit empirischen Beobachtungen zu einer möglichst ganzheitlichen Analyse kombiniert. Was den theoretischen Zugang zu dieser Thematik betrifft, treten vor allem drei Autoren und ihre Überlegungen zur Verbreitung, Hybridisierung, Adaption und Aneignung von kulturellen Erscheinungen hervor: Arjun Appadurai, Homi Bhabha und Stuart Hall. Doch stehen diese Autoren hier lediglich stellvertretend für die Ideen und Theorien, die in dieser Arbeit Anwendung finden sollen.

Arjun Appadurai steht mit seinem Werk „Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalizations“ stellvertretend für eine Vielzahl an globalisierungs- und glokalisierungstheoretischen Überlegungen. Der Anthropologe beschreibt Deterritorialisierung, ein Konzept, das auf Gilles Deleuze und Félix Guattari zurückgeht,47 als kulturelle Globalisierung, die nicht mehr an den Ort gebunden ist. Im „kulturellen Prozess der Enträumlichung“, so Appadurai,48 werden kulturelle Identitäten durcheinandergebracht. Um diese Entwicklung treffend beschreiben zu können, führt er den Begriff der „scapes“ ein, mit denen er auf den fluiden, perspektivischen und zum Teil imaginativen Charakter kultureller Erscheinung hinweist.49 Mit Appadurai kann es keine Idealtypen im Weber’schen Sinne geben, stattdessen spricht der Anthropologe von „indigenization“ und hybriden Kulturformen. Legt man diese Theorie und das Denkmodell rund um die scapes auf das Phänomen

47 Deleuze, Gilles u. Guattari, Félix: A thousand plateaus: capitalism and schizophrenia. London 1988. 48 Appadurai, Arjun: Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen Anthropologie. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 11-40, hier 13f. 49 Appadurai, Arjun: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis 1998, 33ff. 20

HipHop um, so wird deutlich, unter welchen Umständen Kulturtransfer in einer (post)modernen Welt vonstattengeht. Im Zuge der fünf globalisierenden scapes emanzipierte sich HipHop früh und schnell von seinen lokalen Kontexten, und verbreitete sich zuerst an den beiden Küsten der USA und in weiterer Folge über den gesamten Globus. HipHop deterritorialisierte sich. Und obwohl lokale Bezüge nach wie vor eine große Rolle im internationalen HipHop spielen, besticht diese kulturelle Erscheinung vor allem auch durch ihre „translocality“ und die unzähligen „virtual neighbourhoods“, die keineswegs an nationale oder ethnische Grenzen gebunden sind.50

Ähnlich wie Arjun Appadurai argumentieren weitere Globalisierungstheoretiker*innen, die Kultur nicht mehr eingerahmt und an lokale Bedingungen fixiert denken wollen. Autor*innen wie Anthony Giddens, Mike Featherstone, Tony Mitchell oder Anita Harris werden nicht müde, den starken Konnex zwischen dem Lokalen und dem Globalen zu beschreiben. In einem musikalischen Kontext ist dies als „reinscribing global musical practices in local contexts“ zu verstehen.51 HipHop, so die Argumentation, diese globalisierte und globalisierende Kultur, schreibt sich in die lokalen Bedingung ein und wird zu etwas Neuem, zu einer Bricolage oder, wie es der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha nennen würde, zu „third spaces“.

In „Die Verortung der Kultur“ beschreibt Bhabha ausführlich, „wie das Neue in die Welt kommt“,52 und geht auf die Entstehung hybrider Kulturen ein. Bhabha lehnt mit seinen „dritten Räumen“ ein essentialistisches Verständnis von Kultur ab. Im Prozess der kulturellen Hybridisierung, so Bhabha, entstehen vielmehr Neukonstruktionen, die neue Formen mit inhärenten Differenzen, Ambivalenzen und Widersprüchen aufweisen.53 Für den HipHop bedeutet das, dass diese globale Kultur, die sich in ständiger Veränderung befindet, in lokale Bedingungen integriert, sowie neu konzipiert und adaptiert wird. Oder anders ausgedrückt:

50 Appadurai, Arjun: The production of locality. In: Fardon, Richard (Hg.): Counterworks. Managing the Diversity of Knowledge. London 1995, 204-225, hier 126ff. 51 Mitchell, Tony: Popular Music and Local Identity. Rock, Pop and Rap in Europe and Oceania. London 1996, 264. 52 Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000. 53 Bonz, Jochen u. Struve, Karen: Homi K. Bhabha: Auf der Innenseite kultureller Differenz: „in the middle of differences“. In: Moebius, Stephan u. Quadflieg, Dirk (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden 2011 (1. Aufl. 2006), 132-147, hier 136. 21

„Popkulturelle Stile werden an bestimmten Orten und in kulturellen Räumen entwickelt, als kulturindustrielle Ware global verbreitet, in verschiedenen Gegenden der Welt angeeignet. An diesen Orten bilden sich wiederum lokale Stile heraus, die auf die globale Produktion zurückwirken.“54

Die oft befürchtete Homogenisierung einer globalen Kultur, oft auch als Amerikanisierung stilisiert, wie sie unter anderem bereits von Adorno und Horkheimer beschrieben wurde, bleibt damit ein Mythos. HipHop ist keine amerikanische oder gar schwarze kulturelle Erscheinung, die sich wie ein Mantel über die örtlichen wie regionalen Kontexte legt und zur Erosion des „genuin“ Lokalen führt, vielmehr soll HipHop, auch im Sinne Bhabhas, als eine kulturelle Praxis in der globalen Postmoderne verstanden werden.55 Die Translokalität und Hybridität kultureller Erscheinungen stehen im Mittelpunkt, die sowohl von lokalen als auch globalen Einflüssen geformt wurden. „Third cultures“ stehen demnach gewissermaßen „zwischen den Kulturen“ und sind glokal geprägt. Das beste Beispiel dafür ist der österreichische HipHop in Abgrenzung – auch wenn diese Abgrenzung zwar, wie bereits beschrieben, diffus und ungenau ist – zu HipHop in Österreich.

Bevor jedoch österreichischer HipHop entstehen kann, muss die globale Kultur, HipHop in Österreich, angeeignet und adaptiert werden. Diese Leistung geschieht in der Regel, wie bereits beschrieben, in lokalen Kontexten, im österreichischen Fall in den wenigen urbanen Räumen in Wien, Linz oder Innsbruck. Dabei soll diese Aneignung nicht als „passive Assimilation, sondern [als] ein aktiver und kreativer Prozess der Interpretation und Bewertung, in der die Bedeutung eines medialen Textes [...]“56 konstituiert wird, verstanden werden. Der Konsum von kulturellen Erscheinungen an sich – in diesem Fall von amerikanischem HipHop in Österreich – produziert bereits neue Sinnbezüge, die stark durch die lokalen Zwänge und Rahmungen bedingt sind. Für die Konsument*innen derselben kulturellen Erscheinung hat diese also unterschiedliche und durchwegs differente Bedeutungen und Konsequenzen. Stuart Hall beschreibt dieses Phänomen mit seiner Theorie vom Encoding und Decoding, die eine Absage an lineare Kommunikationsmodelle, in der

54 Klein (wie Anm. 34), 88. 55 Winter (wie Anm. 33). 56 Winter (wie Anm. 30), 116. 22 lediglich die Variablen sender, message, receiver vorkommen, darstellt. Hall versteht Kommunikation und Aneignung vielmehr als einen Kreislauf, führt die Begriffe production, circulation, distribution/consumption und reproduction ein und verweist damit auf das diskursive Moment der Kommunikation.57 Bedeutung, so Hall, ergebe sich so erst in der Praxis, „if the meaning is not articulated in practice, it has no effect.“58 HipHop in seiner globalen Form, wie er im Laufe der 1980er Jahre und spätestens mit Beginn der 90er Jahre in Österreich konsumiert wurde, wurde erst zu österreichischem HipHop, als er in die lokalen kulturellen Kontexte gestellt wurde – Kontexte im Plural, weil, um dies hier gleich vorwegzunehmen, auch nicht von dem österreichischen HipHop die Rede sein kann, sondern es gab und gibt auch innerhalb dieser Spielart unzählige Differenzierungen. Im Sinne von Michel de Certeau sind HipHopper*innen, und nicht nur die österreichischen, Bricoleure, deren große Stärke im „Umfunktionieren des Vorhandenen“59 besteht, in der Aneignung und Übersetzung „fremder“ kultureller Erscheinungen, des globalen HipHop also.

Damit sind die theoretischen Überlegungen vorerst abgeschlossen. Auf empirischer Seite erweist sich das Material als ungleich weniger dicht. Es zeigt sich, dass HipHop in Österreich beziehungsweise österreichischer HipHop in zeithistorischen Quellen – das heißt in Quellen der vergangenen 35 Jahre – nur äußerst selten vorkommt. HipHop hat in Österreich kein Gedächtnis und existierte für lange Zeit außerhalb der medialen und öffentlichen Wahrnehmung.

Große einschlägige Tageszeitungen, die österreichweit publizieren, so zum Beispiel die Kronen Zeitung, Der Standard oder Die Presse, nahmen sich dem Phänomen HipHop in seiner österreichischen Anfangsphase nur in absoluten Ausnahmefällen an; und auch heute beschränkt sich das mediale Interesse an dieser Kulturform auf wenige Marginalien. HipHop führte vor allem in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ein mediales Schattendasein, auch in Printmedien, die gemeinhin als kultur- und jugendaffin galten, wie die Wiener Wochenzeitung Falter. Über HipHop wurde nicht berichtet, und wenn doch, dann meist über die bereits prominenten US-

57 Hall, Stuart: Encoding/Decoding. In: Hall, Stuart (Hg.): Culture, Media, Language. Working Papers in Cultural Studies, 1972-79. Birmingham 1980, 128-138. 58 Ebd. 129. 59 de Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns. Berlin 1988, 78f. 23 amerikanischen Stars des frühen HipHop. Die großen österreichischen Tageszeitungen können also nicht dabei helfen, die Etablierung des österreichischen HipHop nachzuvollziehen. Die Absenz und Ignoranz der medialen Berichterstattung über die Kulturform, die heute als bestimmende popkulturelle Erscheinung gilt, zeugt jedoch vom weitverbreitenden Desinteresse, das HipHop in Österreich entgegenschlug.

Inhaltlich spannender sind die – wenigen – einschlägigen Musikmagazine, die auch über die Frühphase des österreichischen HipHop berichteten. Allen voran nahm sich das skug, das ab 1990 vom „Verein zur Förderung von Aktivitäten im Bereich Subkultur“ als ein Magazin für Musikkultur herausgegeben wurde und heute nur mehr online erscheint, immer wieder diesem neuen Phänomen an, wenn auch in äußerst geringem Ausmaß und in unregelmäßigen Abständen. Auch der Rennbahn Express, gegründet und geführt als Magazin, das „klassische Jugendthemen“ behandeln sollte, berichtete nur sporadisch von der vermeintlichen Jugendkultur HipHop. Daneben bestanden einige, auf Wien begrenzte Szene- und Musikmagazine, die sich in ihrem Bestehen jedoch fast ausschließlich der Gitarrenmusik widmeten. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Chelsea Chronicle, herausgeben von Othmar Bajlicz, dem Gründer und Inhaber des 1986 eröffneten Clubs und Konzert-Veranstaltungsorts Chelsea. Auch in diesen Magazinen, die sich intensiv mit Musik- und Subkultur auseinandersetzten, hatte HipHop einen schweren Stand und kam, wie auch im Feuilleton der Tageszeitungen, nur sehr selten vor. Der Print ignorierte das Entstehen dieser neuen Kulturform fast zur Gänze. Einzig The Message, gegründet unter anderem von Daniel Shaked und im Sommer 1997 erstmals erschienen, beschäftigte sich intensiv und nahezu ausschließlich mit österreichischem HipHop. Als ein Magazin „von der Szene für die Szene“ wollte das Magazin als Plattform für den „in Österreich fehlenden Informationsaustausch diverser Kulturaktivitäten“ zur Verfügung stehen.60 So entwickelte sich The Message, das heute online publiziert, zu Österreichs wichtigstem HipHop-Magazin, das zu Beginn noch in unregelmäßigen Abständen von und aus der Szene berichtete. Trotz der späten Gründung der Journaille – HipHop war Ende der 1990er, vor allem in globaler Perspektive, bereits zu einer maßgeblichen popkulturellen Größe geworden – gilt The Message als wichtigste österreichische

60 The Message, 1 (1997), H.1. 24

Informationsquelle für HipHop im Printbereich, kein anderes Magazin hat sich derart intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt.

Auch der Österreichische Rundfunk (ORF) nahm sich des Themas nur in äußerst geringem Ausmaß an, trotz Sendereihen wie X-Large oder Wurlitzer, die als Musik- und Jugendmagazine konzipiert waren. Ähnlich wie in den österreichischen Printmedien kam HipHop auch im österreichischen Fernsehen mit wenigen Ausnahmen nicht vor. Wer zu dieser Zeit HipHopper*innen in Bewegung sehen wollte, musste auf den amerikanischen Musiksender MTV ausweichen: Dieser produzierte mit Yo! MTV Raps die erste und für lange Zeit bedeutendste HipHop-Sendung, die auch im europäischen Raum im Originalton ausgestrahlt wurde. Andere Sendungen gab es nicht, zumindest nicht in Österreich oder dem nahen deutschsprachigen Ausland, daher musste diese neue Kulturform in der Anfangsphase des österreichischen HipHop – heute kaum mehr nachvollziehbar – ohne das Medium Fernsehen auskommen. Im alltäglichen Programm fand HipHop schlicht keinen Platz, einzig die einschlägigen und für die damalige Zeit bahnbrechenden (Kino-)Filme wurden ab und an ausgestrahlt, für viele HipHopper*innen war dies jedoch stets zu wenig.

Umso bedeutender war für die erste und zweite HipHop-Generation in Österreich die Etablierung einer wöchentlich ausgestrahlten Radiosendung, die sich dieser neuen Subkultur verschrieben hatte. 1990 wurde innerhalb der Ö3-Musicbox, einer bereits in den 1960er Jahren begründeten, zu Beginn noch täglich ausgestrahlten einstündigen Sendereihe, einmal wöchentlich ein fünfzehn-minütiges Zeitfenster installiert, das sich fortan dem Thema HipHop widmete. Für geradezu jede*n HipHop-Interessierte*n wurde Tribe Vibes & Dope Beats, wie die Sendung getauft wurde, fortan zur wichtigsten österreichischen Informationsquelle. Knapp fünf Jahre lief Tribe Vibes & Dope Beats innerhalb der Musicbox, bis zur Gründung des Radiosenders FM4, auf dem noch heute die mittlerweile einstündige Sendung einmal wöchentlich ausgestrahlt wird. Archiviert und aufbewahrt wurden kaum Sendungen, nur vereinzelt fanden einige wenige Ausschnitte der für die österreichische HipHop-Geschichte maßgeblichen Sendereihe den Weg in das Internet.

25

Geblieben ist aber die Erkenntnis, dass es zum einen zu Beginn des österreichischen HipHop für die Interessierten nur sehr wenige Bezugs- und Informationsquellen gab, und dass zum anderen das zeithistorische Quellenmaterial – sieht man von wenigen Ausnahmen ab – äußerst dürftig ist, auch weil keine Interesse daran bestand, wichtige Zeitdokumente zu archivieren und für die Nachwelt zu erhalten. Die wenigen Artikel in Zeitungen und die noch geringere Sendezeit im österreichischen Fernsehen, sowie der Verlust der Tonaufnahmen der bedeutendsten Radiosendung können auch nicht durch Sendungen wie Yo! MTV Raps oder Szene- und Spartenmagazine wie skug oder The Message relativiert werden. „HipHop ist das, was da ist.“61, soll HipHop- Pionier DJ DSL alias Stefan Biedermann gesagt haben, und nach Ein- und Durchsicht des vorhandenen und zur Verfügung stehenden Quellenmaterials scheint es so, als ob dem nicht viel hinzuzufügen ist.

Umso wichtiger sind die persönlichen Erzählungen und Erinnerungen der für diese Arbeit interviewten Personen. Dabei handelt es sich mit einer Ausnahme bei allen um Pionier*innen des frühen österreichischen HipHop, die auf ihre Art und Weise dazu beigetragen haben, dass der österreichische HipHop heute in dieser Form besteht. Die Interviews, die in ihrer Vollständigkeit im Anhang nachzulesen sind, bilden daher die wichtigste Informationsquelle für diese Arbeit, handelt es sich hier doch um klassische Zeitzeug*inneninterviews, um Oral History im besten Sinne. Der achte Interviewpartner nimmt dagegen als Musikkritiker und Beobachter eine Außenposition ein und soll als Stellvertreter für die österreichischen Medienschaffenden stehen. „Austrian Flavors“ baut somit zu großen Stücken auf die Erfahrungen und Erzählungen involvierter und prägender Persönlichkeiten der österreichischen HipHop-Geschichte und verdichtet diese Erinnerungen mit den in diesem Kapitel vorgestellten theoretischen Überlegungen und dem spärlich vorhandenen übrigen Quellenmaterial. Zum Abschluss dieses Kapitels und zum besseren Verständnis für die Auswahl der Interviewpartner*innen sollen diese hier in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt werden:

61 Interview mit Oliver Kartak, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 18.2.18. 26

Karl Fluch Karl Fluch ist als einer der bekanntesten österreichischen Musikkritiker*innen in dieser Reihe der einzige, der nicht aktiver Teil der österreichischen HipHop-Szene war. Als Journalist und Musikenthusiast beobachtete er unter anderem für die Tageszeitung Der Standard die Entwicklung und Etablierung des HipHop in Österreich von außen.

Martin Forster aka Sugar B Martin Forster gilt als Urgestein, nicht nur des österreichischen HipHop, sondern der österreichischen Musiklandschaft als Ganzes. Bereits 1988 war er Mitglied der Gruppe Edelweiss, die für österreichische Verhältnisse schon sehr früh klassische Kulturtechniken des HipHop verwendete. Daneben ist er Gründungsmitglied der Band The Moreaus, deren vordatiertes Album „Swound Sounds“ von 1990 heute als erstes HipHop-Album Österreichs gilt.

Alex Hertel aka DJ Phekt Alex Hertel gilt als Vertreter der Linzer Szene, die nach Wien die wohl zweitgrößte in Österreich darstellt. Als DJ Phekt war und ist er Teil zahlreicher heimischer HipHop- Produktionen, unter anderem von Markante Handlungen oder Kayo, und moderiert heute zusammen mit Stefan Trischler die FM4-Sendung Tribe Vibes. Damit führt er die Geschichte jener Sendung fort, die vor annähernd dreißig Jahren mithalf, HipHop in Österreich zu etablieren.

Holger Hörtnagl aka DJ DBH Holger Hörtnagl ist Gründungsmitglied und DJ der Innsbrucker HipHop-Band Total Chaos. Zusammen mit Clemens Fantur alias Manuva gilt er als erfolgreichster und wichtigster HipHop-Pionier aus dem lange in der HipHop-Peripherie gelegenen Westen Österreichs. 1989 noch als Trio gegründet entwickelte sich Total Chaos rasch zu einer fixen Größe in der noch jungen und kleinen Szene, bereits vor der Veröffentlichung des ersten Albums „... aus dem wilden Westen“ war die Band Teil des Samplers „Austrian Flavors Vol. 1“.

Oliver Kartak aka SETAROC Oliver Kartak, heute Grafikdesigner und Professor an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, gilt als der erste österreichische Graffitikünstler. Breits Mitte der 1980er 27

Jahre importierte Oliver Kartak Graffiti nach Österreich, während Begriffe wie „top-to- bottom“ oder „tag“ noch Fremdwörter waren. In weiterer Folge zeichnete sich Oliver Kartak auch für unzählige Plattencovers österreichischer HipHop-Acts verantwortlich, so auch für den Sampler „Austrian Flavors Vol. 1“.

Daniel Shaked Daniel Shaked gründete 1997 zusammen mit drei Freunden das erste österreichische HipHop-Magazin. Im Intro zur ersten Ausgabe von The Message heißt es: „Es geht uns vielmehr um den in Österreich fehlenden Informationsaustausch diverser Kulturaktivitäten, denen wir als Plattform zur Verfügung stehen.“62 Während das Magazin „von der Szene für die Szene“ zu Beginn noch in unregelmäßigen Abständen erschien, publizierte Daniel Shaked The Message bald in vierteljährlichen Abständen. In weiterer Folgewurde das Magazin zur wichtigsten HipHop-Zeitschrift des Landes und Shaked zum wichtigen Wegbegleiter und Dokumentar der sich etablierenden Szene. Heute besteht das Magazin online weiter.

Katharina Weingartner Katharina Weingartner kann ohne Zweifel als die wesentliche Geburtshelferin des österreichischen HipHop beschrieben werden. Über ihre Arbeit bei einer deutschen Plattenfirma kam sie früh in New York mit HipHop in Kontakt und war fortan von dieser jungen wie rebellischen Kulturform begeistert. Sie lizensierte New Yorker Oldschool HipHop für den deutschen, österreichischen und Schweizer Markt, schrieb in weiterer Folge beim deutschen Musikmagazin Spex über HipHop und initiierte 1989 die Radiosendung Tribe Vibes & Dope Beats, die einmal wöchentlich ein viertelstündiges Fenster innerhalb der Ö3-Sendung Musicbox erhalten sollte. Die Sendung entwickelte sich „zum wöchentlichen Gottesdienst“ und zur Hauptbezugsquelle von Informationen und neuen Releases und hatte damit wesentlichen Einfluss auf die Etablierung einer österreichischen HipHop-Szene. Darüber hinaus organisierte Katharina Weingartner zusammen mit Werner Geier und Stefan Biedermeier den Dope Beats Freestyle Contest im Wiener Volksgarten im Dezember 1991, aus dem einige Zeit später der erste österreichische HipHop-Sampler „Austrian Flavors Vol. 1“ entstand.

62 The Message 1 (1997), H.1, 3. 28

Christoph Weiss aka Operator Burstup/Böastab Christoph Weiß gilt als einer der Pioniere des österreichischen HipHop und ist Gründungsmitglied, Producer und DJ der Band Schönheitsfehler. Schönheitsfehler gilt heute gemeinhin als die erste österreichischer HipHop-Band, die sich sowohl textlich als auch musikalisch sehr stark von den amerikanischen und deutschen Vorbildern abgrenzte, und einen eigenen, österreichischen Weg einschlug. Dies führte dazu, dass Schönheitsfehler die erste HipHop-Crew Österreichs war, die auf mediale Resonanz stieß, während das Genre als Ganzes noch weitestgehend ignoriert wurde.

29

3. HIPHOP IN DEN USA UND DER WELT

„[…] Planet Rock took it a whole ‘nother way. That was the record that initiated that it wasn’t just an urban thing, it was inclusive. It was okay for rockers, new ravers, uptown coming downtown. That was when they started pouring in from France and England to cover hip-hop. That’s when hip-hop became global.“63

1982 sollte Afrika Bambaataa, HipHop-Pionier, Begründer der Zulu Nation und bis heute bekannteste und wichtigste Inklusionsfigur der internationalen HipHop-Szene, mit „Planet Rock“ die noch junge und weitgehend unbekannte Kulturform HipHop globalisieren. Noch heute gilt das Lied, das unter anderem auf zwei Samples der deutschen -Pioniere Kraftwerk beruht – was wiederum einen jahrzehntelangen Rechtstreit zwischen diesen beiden Künstlern zur Folge hatte – als Meisterwerk und mit „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five, sowie „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang als einer der ersten internationalen Hits. HipHop überwand sehr bald die Grenzen der Bronx, des mythisierten und bis heute stilisierten Geburtsorts jener popkulturellen Erscheinung, die sich binnen kürzester Zeit global ausbreiten sollte.

Eben zu jener Zeit begann sich die Kulturform, für welche die Bezeichnung HipHop wohl erst Anfang der 1980er Jahre gefunden wurde, zu diversifizieren. Ausgehend von New York verbreitete sich HipHop über die gesamten USA und traf dabei auf unzählige regionale und lokale Besonderheiten. Es entstanden Genres und spezifische Stilmerkmale innerhalb dieser kulturellen Erscheinungsform, die noch vor nur wenigen Jahren sowohl örtlich als auch inhaltlich und musikalisch begrenzt war. So gut wie jeder amerikanische Bundesstaat und eine Vielzahl an Großstädten entwickelten eigene Stile, die bis heute wirkmächtig und prägend sind: Miami Bass in Florida, Crunk in Tennessee, Ghetto House in Chicago oder Mafioso Rap in und um New York, um nur einige wenige zu nennen. Besonders bedeutend aber wurde, vor allem auch in der medialen Wahrnehmung, die immer aggressiver postulierte Unterscheidung zwischen East-Coast- und West-Coast-Rap, die nicht nur das bis heute dominante Genre des Gangster-Raps hervorbrachten, sondern auch eine Explosion krimineller Energie und einer Vielzahl von Toten. Von dem amerikanischen

63 Chang (wie Anm. 27), 173. 30

HipHop zu sprechen, war schon Mitte der 1980er Jahre kaum mehr möglich, ohne allzu große Unschärfen zu riskieren. Ausgehend von der Bronx wurde HipHop in den urbanen Räumen der USA – zu allermeist waren es jedoch Graffitis, die von der Ankunft einer neuen Kulturform berichteten – an die jeweiligen lokalen Begebenheiten angepasst und dadurch zu etwas genuin Eigenem gemacht. Der frühe HipHop aus New York fungierte dabei nur mehr als eine Schablone, als ein Rohling, der noch in Form gebracht werden musste.

Das galt auch in Großbritannien. Auch hier kamen zuerst Graffiti und Breakdancing an, nicht MCing und DJing, und auch hier wurde HipHop rasch an die lokalen Bedingungen angepasst. Verbunden durch dieselbe Sprache und das gemeinsame angelsächsische Erbe entwickelte sich HipHop in der splendid isolation Großbritanniens, vor allem in den heterogenen und internationalen Großstädten des Landes, allen voran in der Metropole London, besonders früh und besonders rasch zu einer unverkennbar eigenen Stilrichtung innerhalb des globalen Kanons.64 Vor allem in England, dem Land der Beatles und der Rolling Stones, der Sex Pistols und von The Clash, ein Land mit langer Tradition innovativer und zum Teil auch subversiver Musik- und Kulturformen, fand HipHop schnell ein breites Publikum. Und dabei spielten die inhaltlichen Parallelen zum Rock ’n’ Roll der 1960er und 1970er, sowie zum Punk der 1980er Jahre eine nicht unwesentliche Rolle: Auch HipHop gebar sich als eine Kulturform, die aufbegehren und den Jahrzehnten der konservativen Torries- Regierung und dem prekarisierenden Thatcherismus etwas entgegenhalten wollte. Doch verblieb britischer HipHop, von vielen auch Brit Hop genannt, lange Zeit im Underground, was unter anderem auf das breite Desinteressen der heimischen Medien und insbesondere der Radiostationen zurückzuführen ist – mit Ausnahme von Tim Westwood, einem englischen DJ und Radiomoderator, der nicht nur für die britische HipHop-Szene von herausragender Bedeutung war.65 Das wiederum hatte zur Folge, dass sich innerhalb kürzester Zeit eine genuin britische Spielart herausbilden sollte: Abseits des Mainstreams konnte das US-amerikanische Vorbild mit jamaikanischen, indischen, asiatischen sowie schottischen, walisischen und englischen Einflüssen in Kontakt kommen und oblag keinem allzu großen

64 Wood, Andy: „Original London Style“: London Posse and the birth of British Hip Hop. In: Atlantic Studies 6 (2009). H.2, 175-190. 65 Siehe Interview mit Holger Hörtnagl, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 20.2.18. 31

Kommerzialisierungsdruck. Dub und Reggae, aber auch Hardcore, Punk und Techno sind noch heute deutlich erkennbare Bestandteile des britischen HipHop, der sich in weiterer Folge zusehends selbst diversifizierte: Grime mit Künstlern wie Skepta oder Dizzee Rascal, UK Garage mit Mike Skinner, TripHop mit Massive Attack und Portishead und im weitesten Sinne auch Jungle mit Künstlern wie Goldie oder Andy C. All diese Genres entwickelten sich auf den britischen Inseln und stehen in enger Verbindung zum US-amerikanischen HipHop.

Ungefähr zur selben Zeit, also Anfang der 1980er Jahre, kam die Kulturform auch in Frankreich an, in dem im Jahr 2018 nach den USA weltweit zweitgrößten Markt für HipHop. Anders als in Großbritannien orientierten sich die ersten Künstler*innen des französischen HipHop aber noch stark am amerikanischen Vorbild, damit einher gingen auch die noch heute rezipierten vermeintlichen Parallelen zwischen den US- amerikanischen Ghettos und den französischen Banlieues. Vor allem aus den Bewohner*innen dieser als Elendsquartiere denunzierten Stadtteile, die oft prekarisiert und marginalisiert am geografischen und sozialen Rand der Gesellschaft leben mussten, stammt das Gros der Künstler*innen sowie des Publikums.66 Doch obwohl bereits Mitte der 1980er Jahre der Privatsender „Télévision Francaise 1“, der größte französische Fernsehsender, mit „H.I.P. H.O.P.“ weltweit die erste Sendung, die sich dem Thema HipHop widmete, ins Programm nahm, dauerte es bis zum Beginn der 1990er Jahre, bis HipHop im französischen Mainstream angekommen war. Heute sind Künstler*innen wie Kenny Arkana, IAM, Diam’s oder MC Solaar67 weit über die Grenzen der Französischen Republik hinaus bekannt, auch oder gerade weil sie diasporische und migrantische Erfahrungen, die im Frankreich des 20. und 21. Jahrhunderts mannigfaltig sind, mit den Besonderheiten des Storytellings im französischen Chanson und den Techniken und Attributen des HipHop kombinierten und damit zu etwas genuin Französischem machten.

66 Durand, Alain Philippe: Black, Blanc, Beur: Rap Music and Hip-Hop Culture in the Francophone World. Lanham 2002. 67 MC Solaar gilt wohl als Paradebeispiel für einen Protagonisten einer glokalisierten Kultur: Geboren im Senegal als Sohn zweier Flüchtlinge aus dem Tschad, lebt er seit seinem ersten Lebensjahr in Frankreich. HipHop lernte er über Afrika Bambaataas Zulu Nation kennen, mit der er während seines neunmonatigen Aufenthalts in Kairo in Kontakt kam. Heute gilt MC Solaar, der im bürgerlichen Leben auf den Namen Claude M’Barali hört, zu Frankreichs erfolgreichsten Rappern und versteht es wie kaum ein anderer, das Hybride und Heterogene in seinen Texten zu artikulieren. 32

Und auch in Deutschland fand HipHop rasch ein breites Publikum – vor allem in der BRD, aber auch in der großteils abgeschotteten DDR fand dieses junge popkulturelle Phänomen Anknüpfungspunkte. Noch mehr als in anderen vergleichbaren Ländern spielten in Deutschland die drei frühen stilprägenden HipHop-Filme eine nicht unwesentliche Rolle. „Beat Street“, „Style Wars“ und insbesondere „Wild Style“, ein 1983 produzierter und vom Zweiten Deutschen Fernsehen kofinanzierter Spielfilm über einen in New York heimischen Graffiti-Künstler popularisierten HipHop auf prominente Art und Weise. Und auch die Radiostationen der in Deutschland stationierten amerikanischen Soldaten spielten HipHop um einiges früher als ihre deutschen Pendants. Dabei gestaltete sich der in Deutschland produzierte HipHop in der Phase der glokalen Aneignung, in der sich auch deutsche Rapper*innen als Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft verstanden, durchaus politisch.68 Allen voran Advanced Chemistry gehören zu den unbestrittenen Pionieren des deutschen politischen HipHop. In Stücken wie „Fremd im eigenen Land“ thematisieren sie die soziale Exklusion dunkelhäutiger Menschen im deutschen Alltag und knüpfen damit bewusst an die Ideen der Zulu Nation an. Erst später differenzierte sich HipHop innerhalb der BRD aus: Mit den Erfolgen der Fantastischen Vier zu Beginn der 90er Jahre, die oft als „Spaßrapper“ diffamiert und mit Begriffen wie „Mittelstand-HipHop“ belegt wurden, setzte nicht nur eine enorme Popularisierung des Genres ein, damit begann auch eine stetige Nationalisierung und Selbstethnisierung.69 HipHop hieß ab sofort „Deutschrap“ und wurde von weiten Teilen der Medienlandschaft und Hörerschaft auch als deutsche Musik akzeptiert.70 Heute gilt HipHop in Deutschland als Mainstream, vor allem Battle- und Gangster-Rapper wie Kollegah, Farid Bang oder 187 Straßenbande verkaufen hunderttausende Musikträger und werden millionenfach geklickt und gestreamt.

Doch nicht nur in der westlichen Welt konnte sich HipHop etablieren. Auch im arabischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Raum konnte HipHop an lokale Bedingungen andocken und sich zu etwas spezifisch Englischem entwickeln. In den Ländern des Nahen Ostens und des nordafrikanischen Maghreb kombinierten junge

68 Verlan (wie Anm. 44), 90ff. 69 Ebd. 70 Klein (wie Anm. 34), 85ff. 33

Rapper*innen und DJs HipHop mit arabischer Volks- und Popmusik.71 Vor allem die palästinensische Gruppe DAM brachte es zu internationaler Prominenz. In ihren arabischen, hebräischen, englischen und französischen Texten thematisieren sie den israelisch-palästinensischen Konflikt und greifen damit ein klassisches HipHop-Motiv der ersten Stunde auf: die politische Unterdrückung und soziale Exklusion einer Minderheit durch eine ökonomisch bevorteilte Mehrheit. Die inhaltlichen Parallelen zum amerikanischen Vorbild sind nicht zu übersehen. Ob in Slowenien, dem Senegal, Lateinamerika oder dem asiatischen Raum, HipHop fand, unabhängig von der politischen oder ökonomischen Situation, den sozialen und politischen Rahmenbedingungen, in jeder Ecke der Welt eine Nische, in der er sich einnisten konnte. Spätestens mit Beginn der 1990er Jahre war HipHop zu einer globalen Kultur geworden. Auch in Gesellschaften, die als konservativ und mitunter reaktionär gelten, wie etwa dem Senegal, konnte sich eine urbane Minderheit etablieren und HipHop zu einem Kristallisationspunkt für eine Vielzahl von Jugendlichen werden. „Hip-hop everywhere offers a framework of expression for youth touched by a lack of identity references in a rapidly globalizing world.“72 Das trifft auf den afrikanischen Senegal ebenso zu wie auf das kubanische Havanna, wo die HipHopper Orishas zu den Lieblingsbands des bereits verstorbenen kommunistischen Diktators Fidel Castro gehört haben sollen. HipHop fungierte hier als ein Mittel der Auf- und Ablehnung des autoritären Regimes und wurde zugleich von dessen Spitzen bestätigt und legitimiert.73

„Die eigenen Lebensumstände am unteren Ende der Skala von Ungleichheit zu artikulieren und die soziale Krise unmittelbar zu dokumentieren“,74 dafür eignet sich HipHop wie kaum eine andere sub- und popkulturelle Erscheinung; ob in den amerikanischen Ghettos, den französischen Banlieues, in Städten wie Ramallah, Dakar oder Mexico City. Durch seine Offenheit liefert HipHop viel Interpretationsspielraum und die Möglichkeit zu (Re-)Kontextualisierungen entlang der Linien lokaler sozialer und kultureller Bedingungen. HipHop ist somit geprägt

71 Kahf, Usama: Arabic Hip Hop: Claims of Authenticity and Identity of a New Genre. In: Journal of Popular Music Studies, 19 (2007), H.4, 359-385. 72 Niang (wie Anm. 42), 182. 73 Tickner, Arlene: Aquí en el Ghetto: Hip-Hop in Colombia, Cuba, and Mexico. In: Latin American Politics and Society, 50 (2008), H.3, 121-146. 74 Mager (wie Anm. 11), 254. 34 durch große Flexibilität, die in weiterer Konsequenz in Diversität, Differenz und Heterogenität mündet.75

Wie diese knappe und unvollständige Überblicksdarstellung gezeigt hat, gibt es nicht den HipHop, HipHop muss, wie auch alle anderen kulturellen Erscheinungen, immer im Plural gedacht werden. Nur so ist zu erklären, dass der Sammelbegriff HipHop derart viel in sich vereinen kann: eine politische Anklage in französischen Banlieues, „Spaßrap“ für die deutsche Mittelklasse, misogyne und homophobe Auswürfe im global verbreiteten Gangsterrap, Auflehnung gegen soziale und ökonomische Unterdrückungen oder auch der Versuch der politischen Legitimation mit Hilfe von HipHop.

Im Laufe der Jahre entstand eine translokale Gemeinschaft, unter deren Dach synkretistische glokale Subkulturen entstanden sind,76 die durch ihren hybriden Charakter bestechen. Rapper*innen, DJs, Breakdancer*innen und Graffiti- Künstler*innen kreierten ganz im Sinne Bhabhas einen dritten Raum, in dem das Globale mit dem Lokalen vereint wurde: Das amerikanische Vorbild wird mit lateinamerikanischen Klängen, arabischen Texten, deutschen Inhalten und senegalischen Instrumentals kombiniert, der global verbreitete HipHop wird lokal angeeignet, adaptiert und sich zu eigen gemacht. Durch diese Verbreitung wurde HipHop differenzierter und heterogener, die Stile und Stilrichtungen pluralistischer und das Erscheinungsbild bunter, während die Homogenisierung, die meist als Amerikanisierung gelesen und im Zuge des internationalen Erfolgs erwartet und befürchtet wurde, größtenteils ausblieb. Versteht man die Pop- und Subkultur HipHop als globalisierte und translokale Sprache, so kommt diese in abertausenden Dialekten daher. Ein einheitliches musikalisches Esperanto konnte sich niemals etablieren – auch nicht in Österreich.

75 Bock (wie Anm. 18), 319ff. 76 Reitsamer (wie Anm. 21), 255. 35

4. HIPHOP IN ÖSTERREICH, ÖSTERREICHISCHER HIPHOP

UND AUSTRIAN FLAVORS

Und in Österreich? Wie und wann kam HipHop nach Österreich? Und wer zeichnete sich dafür verantwortlich? Welche Menschen, welche Medien und welche Zufälle? Das folgende Kapitel geht diesen Fragen nach und folgt dabei vor allem den Erinnerungen und Erzählungen zentraler Protagonist*innen des frühen HipHop in Österreich.

HipHop in Österreich und österreichischer HipHop, diese Unterscheidung wird auf den kommenden Seiten eine entscheidende Rolle spielen. Die folgenden Fragen gilt es dabei zu beantworten: Wann entwickelte sich HipHop in Österreich zu etwas Eigenem, wann wurde er hybrid, heterogen und pluralistisch? Wann entstand der Austrian Flavor, wann wurde HipHop spezifisch österreichisch? Und was bedeutet es überhaupt, spezifisch österreichisch zu sein?

HipHop in Österreich und mutatis mutandis österreichischer HipHop, so viel sei vorweggenommen, bilden, verglichen mit anderen Ländern, keine Ausnahme. Den österreichischen Sonderweg gibt es nicht. Und dennoch ist die Entwicklung des österreichischen HipHop in den 1990er Jahren einzigartig und speziell. Es sind die unzähligen Besonderheiten, Unschärfen und Zufälle, die österreichischen HipHop im globalen Kanon als etwas genuin Eigenes verorten lassen. Auch hier wurde HipHop an die lokalen Bedingungen angepasst, auch hier wurde der örtliche Bezug in den translokalen Charakter des HipHop übersetzt. Auch in Österreich wurden globale musikalische Praktiken in lokale Kontexte eingeschrieben77 und die Schablonen, die HipHop zur Verfügung stellt, genutzt, um die eigene soziale, politische und ökonomische Verfasstheit zu artikulieren.

Und obwohl sich dieser Prozess kaum von jenen anderer unterscheidet, entwickelte sich HipHop in Österreich zu etwas, das nur hier möglich war: zu österreichischem HipHop.

77 Mitchell (wie Anm. 51), 263ff.

36

4.1. HipHop in Österreich? Noch nie gehört!

Wie bereits ausführlich beschrieben, popularisierte eine erste Generation meist US- amerikanischer Künstler*innen Anfang der 1980er Jahre HipHop auf dem gesamten Globus, nur kurz nachdem im New Yorker Stadtteil Bronx die ersten Block Partys gefeiert, Häuserwände und U-Bahn-Waggons mit Graffiti überzogen und wegweisende Kulturtechniken wie das Scratching entwickelt wurden. HipHop eroberte die Welt in einem unnachahmlichen Tempo. Und in Österreich?

Österreich streifte diese erste Phase der Deterritorialisierung von kulturellen Erscheinungen nur peripher. Doch zu behaupten, dass der österreichische Blick in die Vergangenheit gerichtet war oder das Land stagnieren würde, wäre grundlegend falsch. Die Republik Österreich erlebte gerade die vierte und letzte Amtszeit des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky, welche von Aufschwung und Neuorientierung geprägt war. Der Wohlfahrtsstaat wurde ausgebaut, die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden beschränkt, der Zugang zu Bildung erheblich vereinfacht, Homosexualität entkriminalisiert und der kirchliche Einfluss auf die Gesellschaft stark zurückgedrängt. Kurzum, die 1970er und frühen 1980er Jahre waren geprägt durch sozialpolitische Modernisierung, durch eine Öffnung des Landes und infolgedessen auch des Geistes. Auch wenn 1968 in Österreich eine geringere Rolle spielte als anderswo und die Skepsis und Angst vor dem vermeintlich Fremden und Neuem groß blieb, ist eine Neuausrichtung der Republik für diese Phase nur schwer zu leugnen.

Das gilt auch in kultureller Hinsicht. Schon zu Beginn der 1960er Jahre provozierten Künstler*innen wie Hermann Nitsch oder Otto Muehl mit dem Wiener Aktionismus, Romane von Thomas Bernhard, Peter Turrini oder Elfriede Jelinek setzten der österreichischen Gesellschaft einen bisweilen als provokant befundenen Spiegel vor, und auch in musikalischer Hinsicht schienen sich die Kulturschaffenden des Landes zu emanzipieren. Ein prominentes Beispiel ist Stefan Weber, der mit der Band Drahdiwaberl ein Tabu nach dem anderen brach, und wie auch die übrigen hier genannten Künstler*innen als „Nestbeschmutzer“ diffamiert wurde.

37

Just in dieser Phase feierte auch der Austropop seine größten Erfolge. Interpreten wie Falco, Wolfang Ambros, Georg Danzer oder Ludwig Hirsch wurden zu Nationalhelden stilisiert, ihre oftmals im Dialekt vorgetragenen Lieder gelten heute als moderne Klassiker. Die Spitzen der Hitparaden mussten sie sich aber mit einer Vielzahl an internationalen Stars teilen: Mit Peter Alexander oder Udo Jürgens standen Bands wie ABBA, Smokie oder Boney M ganz oben in den heimischen Charts.78 Der gemeine österreichische Musikgeschmack changierte also stark zwischen heimischem Austropop und internationalen Disco- und Pop-Rock-Bands. Die Beatlemania war zu dieser Zeit schon wieder lange vorbei, die Rolling Stones feierten ihre größten Erfolge in den USA und der sich in Entstehung befindliche Punk wurde zu dieser Zeit nur von einer kleinen Minderheit gehört. Pathos und Feel-Good-Musik bestimmten nicht nur die österreichischen Charts, das vor kurzem noch als provokant empfundene Credo „Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll“ wurde mit den dazugehörigen Interpret*innen in den Mainstream integriert und zusehends kommodifiziert. Für Aufbegehren war nur wenig Platz, die Mehrheitsgesellschaft sehnte sich nach Unterhaltung, nicht nach Politik. Damit stellte Österreich im europäischen Vergleich, trotz des permanenten Beharrens auf Neutralität und einer geografischen wie politischen Randstellung in der westlichen Welt, keineswegs eine Ausnahme dar. Vielmehr wurden internationale Trends übernommen und in das Programm der öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalten integriert.

Auf diesen kulturellen, sozialen und lebensweltlichen Kontext stießen die ersten internationalen Hits des HipHop: „Rapper’s Delight“ konnte sich ganze zwölf Wochen in den österreichischen Top 40 halten, zwei Wochen sogar auf Platz 5; zum Vergleich: in Deutschland verblieb das Pionierstück der HipHop-Geschichte mit 25 Wochen ein knappes halbes Jahr in den Charts und stürmte bis auf Platz 3 vor. Der erste Hit einer noch jungen Subkultur feierte weltweite Erfolge und stieg am 1. März 1980, rund sechs Monate nach der Veröffentlichung der Platte in den USA, in die heimischen Hitparaden ein. HipHop hat zum ersten Mal angeschrieben. Nachhaltig festsetzen konnte sich HipHop hierzulande aber danach genauso wenig wie in anderen europäischen Ländern. „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five feat. Melle Mel &

78 Bei allen künftigen Hinweisen auf Chartplatzierungen wird auf die Datenbank www.austriancharts.at zurückgegriffen. (13.7.18) 38

Duke Bootee, das vom erdrückenden Alltag im New Yorker Ghetto erzählt und heute als eine der bedeutendsten und am meisten zitierten HipHop-Produktionen gilt, schaffte zwar noch den Einstieg in die österreichischen Charts, verbliebt dort aber nur acht Wochen und kletterte nicht höher als auf Platz 9. „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa, wie „The Message“ ebenfalls aus dem Jahr 1982, schaffte den Sprung in die Top 40 schon nicht mehr, selbiges gilt für den ersten großen Superstar der HipHop-Geschichte Kurtis Blow. HipHop schien eine Alltagsfliege zu bleiben, zumindest in Österreich. Denn nicht einmal „Rapture“ von Blondie, der erste weiße Rap,79 interpretiert von Debby Harry, konnte reüssieren, obwohl die New Yorker Band in eben jener Zeit ihre größten Erfolge feierte.

HipHop blieb in den frühen 1980er Jahren noch eine kulturelle Randerscheinung, daran konnten auch die drei stilprägenden Kinofilme dieser Zeit nichts ändern. Die Zeit schien noch nicht reif für diese neue und fremde Kulturform, welche alte und bis dato praktizierte Ordnungen auf den Kopf zu stellen vermochte. Und dennoch kam diese neuartige und noch fremd anmutende Kultur bei einigen an. Bei manchen hinterließ „Rapture“ einen – zumindest in der Retrospektive – gewichtigen Eindruck:80 In Linz etablierten sich schon in den frühen 1980er Jahren erste Breakdance- Szenen,81 und auch erste Tags und Graffitis zierten, motiviert von Filmen wie „Wild Style“, bereits Anfang der 1980er Jahre Wiener Hauswände.82

HipHop hatte auch in Österreich erstmals Spuren hinterlassen. Diese waren jedoch mit wenigen Ausnahmen abseits des Mainstreams zu finden, ohne dass die heimischen Medien davon berichtet hätten, was jedoch in Anbetracht der relativen Neuheit dieses kulturellen Phänomens nicht weiter verwundern darf. HipHop konnte zu Beginn der 1980er noch nicht lokal angeeignet und adaptiert werden, nicht in Österreich und auch nirgends sonst auf der Welt. HipHop war noch zu sehr amerikanischer HipHop und war in dieser Phase noch zu stark in seinen

79 Besondere Aufmerksamkeit erlangte auch das dazugehörige Musikvideo: Neben dem HipHop- Pionier Fab Five Freddy und dem Graffiti-Künstler Lee Quinones tritt Jean-Michel Basquiat, der erste international bekannte Star der noch jungen Graffiti-Szene als DJ auf. Grandmaster Flash, der ursprünglich die Rolle übernehmen sollte, hatte kurzfristig abgesagt. 80 Siehe Interview mit Karl Fluch, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 10.1.18. 81 Siehe Interview mit Alexander Hertel, geführt von Manuel Obermeier, Innsbruck, 4.5.16. 82 Kartak (wie Anm. 61). 39

Entstehungsbedingungen verortet. HipHop konnte nicht in dem Maße „reisen“, als dass sich um den Kern eine kulturelle Peripherie entwickeln hätte können.83

Doch viele Menschen waren mit dieser unbekannten Kultur in Kontakt getreten und somit wurde früh eine Basis für die spätere Entwicklung gelegt. Abseits der medialen oder gesellschaftlichen Wahrnehmungen beschäftigten sich schon zu Beginn der 1980er Jahren zahlreiche, vor allem junge Menschen mit Graffiti, Breakdancing und Rap, lange bevor sich etwas wie eine Szene entwickeln konnte. Wer sich für Grandmaster Flash, die Sugarhill Gang und Kurtis Blow zu begeistern wusste, war zum überwiegenden Teil auf Zufälle angewiesen, für eine strukturelle Auseinandersetzung mit dem Thema reichten die zu diesem Zeitpunkt in Österreich angekommenen Kulturfragemte des HipHop nicht aus. Und auch für den Austausch unter Gleichgesinnten war es noch zu früh, die ersten Fans waren isoliert und individuell.

Schon bald aber sprangen erste österreichische Musiker*innen auf den Trend an. HipHop war, und das bezeugt diese frühe Aneignung klassischer Kulturtechniken des HipHop, an den heimischen Künstler*innen nicht spurlos vorübergegangen. Diese amerikanische Kultur war durchaus bemerkt worden und drängte bald auch in Form österreichischer Produktionen in die heimischen Charts.

83 Clifford, James: Traveling Cultures. In Grossberg, Lawrence/Nelson, Cary u. Treichler, Paula (Hg.): Cultural Studies. London 1992, 96-116, hier 100ff. 40

4.2. Epigonen, Imitate und Authentizität

„Zur Erholung kommt ein Musikproduzent in die Obersteiermark es ist der Agent, mit dem Riecher für den Trend, er kommt direkt aus New York!

[...]

Sepp, Sepp, are you ready for the Nepp? Die Zukunft ist der Alpenrap! Sepp, Sepp, mach sie heiß mit Deinem Edelweiß!“84

1983 veröffentlichte die Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV) ihr drittes und bis dato erfolgreichstes Album „Spitalo Fatalo“. Zwölf Lieder umfasst das Album, für die Texte fast aller zeichnete sich Thomas Spitzer verantwortlich, so auch für den „Alpenrap“, eine von drei Singleauskopplungen. Sechs Wochen hielt sich die Produktion in den österreichischen Charts, die musikalisch und textlich sehr stark auf den ersten internationalen HipHop-Hit „Rapper’s Delight“ anspielt. In einer Art Sprechgesang, welcher durchaus Parallelen zum Rap aufweist, ist von der „Zukunft des Alpenrap“, die der New Yorker Agent mit dem Riecher prophezeit, die Rede. Und weiter:

„Er sagt: ‚Mann der Berge, jetzt kommt unsere Zeit, ich hör schon den Applaus. Die Masse schreit nach Seppl's Delight, komm laß die Gemse raus!‘„

Es war tatsächlich der erste große Erfolg der EAV, die schnell auf Trends zu reagieren wusste und diese auch in ihr Werk integrierte. Thomas Spitzer als Komponist und Texter, sowie Klaus Eberhartinger, der Sänger der Band, verwendeten Versatzstücke der jungen HipHop-Kultur, mit der sie aus einer alternativen und mitunter avantgardistischen Szene kommend wohl auch schon früh in Kontakt gekommen sind. Sie nahmen Anleihen an der Kulturtechnik Rap und spielten damit auch auf die

84 Erste Allgemeine Verunsicherung: Alpenrap. Wien 1983. https://youtu.be/l563OzYvZXw (15.7.18) 41 amerikanischen HipHop-Pioniere an. Rapmusik waren ihre Lieder jedoch nicht, als solche wollte die EAV ihre Musik auch nicht verstanden wissen, vielmehr lösten sie eine Kulturtechnik aus ihrem Bezug heraus und rekontextualisierten sie. Eine große Zukunft war dem Alpenrap aber dennoch nicht beschieden.

Doch schon zwei Jahre vor der Veröffentlichung von „Spitalo Fatalo“ soll der für viele erste österreichische Rap entstanden sein, wenn nicht überhaupt der erste weiße Rap. 1981 veröffentlichte Johann Hölzel, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Falco, das Lied „Der Kommissar“. Es entstammt dem ersten Album des österreichischen Musikers, das ihn binnen kürzester Zeit zum internationalen Star machen sollte. Falco galt schon lange vor seinem Erfolg als Virtuose, war als Mitglied der Bands Hallucination Company und Drahdiwaberl der subkulturellen Alternativszene durchaus bekannt, mit seiner Solo-Karriere und dem Album „“ schaffte er jedoch den lang ersehnten Durchbruch und wurde in den folgenden Jahren „Österreichs einziger Popstar“. Was „Der Kommissar“ in diesem Zusammenhang jedoch so besonders macht, ist weniger seine textliche und musikalische Form als die Art, in der Falco die Inhalte widergibt: Während der Refrain gesungen wird, handelt es sich bei den Strophen um Sprechgesang, um Rap, eine der vier Säulen des HipHop. Im Dezember 1981, weniger als zwei Jahre nach dem Einstieg von „Rapper’s Delight“ in die österreichischen Charts, rappte also ein weißer Österreicher, der bis dahin weitestgehend unbekannt war, sich aber diese fremden Kulturtechniken aneignete und einverleibte. „Der Kommissar“ wurde prompt in unzähligen Ländern zur Nummer 1 in den Hitlisten, in den deutschsprachigen Ländern hielt sich das Lied viele Wochen in den Charts, aber auch in Italien, Japan oder den USA wurde die erste Singleauskopplung aus „Einzelhaft“ in den Radios gespielt.

Doch war das, was Falco produzierte, HipHop? War Falco der erste österreichische, vielleicht der erste weiße Rapper? Darüber wird bis heute heftig debattiert. Für die einen ist Johann Hölzel ohne jeden Zweifel als HipHop-Pionier zu betrachten, „hat [er] das [HipHop, Anm.] [doch] quasi schon instinktiv zehn Jahre vor den Fanta 4 realisiert.“85 Für die anderen war Falco eine Kopie des schwarzen HipHop, ein Imitat

85 Interview mit Christoph Weiss, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 17.1.18. 42 des vermeintlich echten HipHop, mit dem man lediglich Geld verdienen wollte.86 Vielen galt Falco schlicht als Epigone, der zwar versuchte, den amerikanische Rap zu kopieren, daran jedoch kläglich scheiterte. Er sei „ein Schwamm [gewesen], der alles aufgesaugt hat“, auch den Rap, der jedoch nur „gimmickhaft“ war.87 Für viele stellte sich die sprichwörtliche Frage nach „Schmied oder Schmiedl“: Konnte ein weißer österreichischer Musiker rappen? Und sollte er dies überhaupt, immerhin handle es sich dabei um eine vermeintlich schwarze Kulturtechnik, die in den Ghettos der Bronx entwickelt worden sei. Es geht also um die Frage der Authentizität.

Für Falco selbst scheint sich diese Frage nie gestellt zu haben. Vielmehr dürfte er HipHop und Rap als eine von vielen popkulturellen Erscheinungen betrachtet haben, die er wie ein „Schwamm“ aufsog und in sein künstlerisches Schaffen integrierte. Immerhin soll auch Afrika Bambaataa „Der Kommissar“ in seine DJ-Sets in New York eingebaut haben, zu einer geplanten Zusammenarbeit zwischen den beiden Künstlern ist es aus unterschiedlichen Gründen jedoch nie gekommen. Falco war offen für HipHop, galt er doch bis zu seinem Tod als ein Musiker, der durchaus experimentierfreudig war und nicht vor Genregrenzen zurückschreckte. Die Kunstfigur, die Johann Hölzel erfunden hatte, war immer Popmusiker, und vereinte eine Vielzahl an Einflüssen in seiner Musik. Selbiges gilt für „Der Kommissar“:

„Ich habe den Kommissar nicht aufgenommen, weil ich HipHop machen wollte, sondern weil ich mir gedacht habe, es ist irgendwie geil, in der deutschen Sprache zu rappen. Und das hat noch keiner gemacht und das kann ich. [...] Aber mit der politischen Aussage des HipHop in dem Sinne habe ich genauso wenig zu tun gehabt, wie mit der Kunstfigur, die mir immer angedichtet worden ist.“88

In Tribe Vibes, einer Radiosendung auf FM4, die das Erbe der Ö3-Musicbox89 antrat und bis heute als Österreichs einzige HipHop-Sendung gilt, erzählte Falco im Gespräch mit Werner Geier von eben jenem Missverständnis: Natürlich sei er kein HipHopper, habe sich auch nie als solcher verstanden, war aber vor allem von der

86 Interview mit Katharina Weingartner, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 14.2.18. 87 Fluch (wie Anm. 81). 88 Falco im Interview mit Werner Geier, FM4 Tribe Vibes, 25.4.1996. https://fm4.orf.at/stories/2893821/ (19.7.18). 89 Welche Bedeutung die Sendung MusicBox für die Entstehung und Etablierung des HipHop in Österreich sowie des österreichischen HipHop hatte, darauf wird weiter unten noch ausführlich eingegangen. 43

Kulturtechnik Rap von Beginn an fasziniert. In der Sendung von 1996, die mit einem Ausschnitt aus einer 1982 aufgenommenen Musicbox-Sendung beginnt, in der Falco „The Message“ in seinem Stil, und vor allem auf Deutsch, interpretiert, diskutieren Werner Geier und Johann Hölzel zusammen mit der Band Schönheitsfehler und einem Teil von Texta über die Entstehung und Bedeutung des HipHop, auch in Österreich. Zwar habe die sozialkritische und gesellschaftspolitische Geschichte nie etwas mit ihm zu tun gehabt, doch habe er sich genommen, was er hatte, „und versucht, das Beste daraus zu machen.“ Ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt, aber Falco spricht damit einen wesentlichen Charakter des HipHop an: die Selbstermächtigung. Die Kunstfigur Falco war immer ein Bricoleur, nahm sich Versatzstücke einer Vielzahl an kulturellen Erscheinungen und setzte sie zu einem neuen Ganzen zusammen. Im HipHop würde man diese Technik Sampling nennen. Und dennoch wird „Österreichs einzigem Popstar“ immer wieder Authentizität abgesprochen.

Dagegen schlug der Band Edelweiss der Vorwurf, ein Imitat zu sein, sowie den schwarzen HipHop lediglich für die eigenen Zwecke zu kopieren, nur sehr selten entgegen, und das obwohl auch hier sehr starke Anleihen genommen wurden. „Bring me Edelweiss“ scheint oberflächlich nur sehr wenig mit HipHop zu tun zu haben, doch bei genauerer Analyse fällt auf, dass es auch hier starke Parallelen gibt: Vor allem das im HipHop etablierte und perfektionierte Sampling, eine Form der musikalischen Bricolage, sticht hervor. Insgesamt fünf Lieder wurden in ihre Einzelteile zerlegt und zu etwas Neuem zusammengesetzt, darunter internationale Hits wie ABBAs „S.O.S.“ oder auch Falcos „“.90 Aber auch DJing und Rapping sind in dem Lied zu hören, das die klischeebeladene Romantik rund um das Edelweiß behandelt. Edelweiss, zu deren Mitgliedern bekannte Namen wie Stefan Biedermann, besser bekannt als DJ DSL, Martin Forster alias Sugar B oder auch Christian Clerici gehörten, war keine HipHop-Band, doch verstanden die Protagonisten, gängige Österreich- Stereotype wie Lederhosen, Dirndln oder eben das Edelweiß samt neuer Kulturtechniken zu interpretieren und Sampling, Rap und DJing in ihrem eigenen kulturellen Kontext zu verorteten. Auch Edelweiss war ein Musikprojekt, das mit dem Neuen experimentierte, und dafür mit großem Charterfolg belohnt wurde.

90 Siehe https://www.whosampled.com/Edelweiss/Bring-Me-Edelweiss/ (19.7.18). 44

Weder EAV, Falco noch Edelweiss waren HipHop-Musiker und wollten sich als solche auch nicht verstanden wissen. Der Einfluss der amerikanischen und schwarzen Kultur HipHop auf Teile ihres Œuvres ist aber unabdingbar. Unterschiedlich stark sowie auf unterschiedliche Art und Weise verwendeten die drei Künstler Kulturtechniken des HipHop, sie enthoben Sampling, Rap und DJing aus ihrem Rahmen und rekontextualisierten diese neu. „Authentischer“ HipHop waren weder „Alpenrap“, „Der Kommissar“ noch „Bring me Edelweiss“, doch arbeiteten sie wie HipHop- Künstler*innen; ihre Produktionen bestachen durch Synkretismus und die Integration verschiedener Einflüsse. Und genau darin liegt die Stärke und Attraktivität dieser kulturellen Erscheinung: Nicht in einem idealisierten, mythisierten und exklusiven Ursprungspunkt, sondern vielmehr in den integrativen und inklusiven Anwendungsmöglichkeiten der Kulturtechniken.91

Umso erstaunlicher erscheint der Diskurs um Authentizität, Imitation und Epigonentum, der vor allem rund um Falco geführt wird. Viele sahen sich geradezu beleidigt von der künstlerischen Aneignung schwarzer Kulturtechniken durch den weißen Österreicher. Dadurch wird augenscheinlich, dass Dekontextualisierung, also die Herauslösung des HipHop aus seinen Ursprungsbedingungen, allzu oft mit einem Verlust von Authentizität einhergeht,92 dass weißer oder österreichischer HipHop lediglich eine Annäherung an das amerikanische Original sein kann, vor allem wenn es sich dabei um Popmusiker wie Falco handelt. Authentizität entsteht vielmehr in der Betonung der eigenen Hybridität und der Integration fremder Kulturtechniken in die eigenen sozialen Bedingungen. Selbst wenn die hier erwähnten Musiker also keinen HipHop produzierten, so war ihr Ansatz dennoch als authentisch zu werten, auch wenn der Grat zwischen „kommerzieller Trivialisierung und kreativer Neubestimmung“ vor allem im HipHop ein äußerst schmaler sein kann.93

91 Bennet, Andy: HipHop am Main: Die Lokalisierung von Rap-Musik und HipHop-Kultur. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 26-42. 92 Klein (wie Anm. 34), 53ff. 93 Mikos, Lothar: „Interpolation und sampling“: Kulturelles Gedächtnis und Intertextualität im HipHop. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 64-84. 45

All jene Fragen zu Authentizität und Imitation, zu Aneignung und (Re)Kontextualisierung, sowie zu Trivialisierung und Interpolation waren für die späteren HipHop-Enthusiast*innen noch weit entfernt. Denn auch wenn die Kulturtechniken bereits angewendet wurden, war HipHop an sich in Österreich noch weitestgehend unbekannt. Doch schon bald liefen in den Kassettenrekordern der heimischen Kinderzimmer Tapes voller amerikanischer und fremdklingender Musik in Rotation.

46

4.3. Von Urlauben, Kinderzimmern und dem Hörensagen

„Meine erste Begegnung mit HipHop war mit 14 auf einem England-Urlaub, wo ich in einer Rollerdisco ‚The Message‘ von Grandmaster Flash gehört hab. Das war mein erster Rap, den ich gehört hab, und der hat mich so weggeblasen, dieser Sound, dieser Sprechgesang, den hat man vorher noch nie gehört hat, also das war eine erste Initialzündung. Und als ich dann wieder nach Hause gekommen bin und meinen Freunden das erzählt hab und das versucht hab, vorzurappen, da habe ich nur Gelächter geerntet, was soll das sein. Das war mit 14. Mit 15 kam dann der Film ‚Wild Style‘ ins Kino, woran ich mich sehr gut erinnere, weil da war ich mit dem Sugar B gemeinsam im Kino, und der Film ist ja so eine Art Spielfilmdoku über die HipHop-Szene in New York und der Film, vielleicht einer der wichtigsten Filme in meinem Leben. Weil am nächsten Tag habe ich mir sofort Spraydosen gecheckt und mein eigenes Haus angemalt. Also da war ich vollkommen infiziert von diesem Kulturvirus, weil HipHop ist ja quasi die Union aus Musik, Sprechgesang, Graffiti und Tanz.“94

Was Oliver Kartak, einer der ersten, wenn nicht der erste österreichische Graffiti- Künstler, erzählt, gilt stellvertretend für unzählige frühe HipHop-Enthusiast*innen: Es bedurfte nur wenig, um mit dem „Kulturvirus infiziert“ zu werden, der dann für ein Leben lang anhalten sollte.

Anfang bis Mitte der 1980er Jahre entkoppelte sich HipHop von seinen Ursprungsbedingungen in den USA, die Deterritorialisierung dieser noch so neuen kulturellen Erscheinung begann sich mit großen Schritten abzuwickeln. HipHop war nicht mehr örtlich gebunden, Rap, DJing, Graffiti und Breakdancing verbreiteten sich über die gesamte Welt, enorm erleichtert durch die einfache technische Reproduzierbarkeit des HipHop.95 Die Bottom-Up-Mentalität des HipHop, sowie das immer wieder rezipierte Do-It-Yourself-Mantra vereinfachten es maßgeblich,96 in allen Ecken der Welt anzukommen, sowohl für Graffiti und Breakdancing als auch für Rap und DJing waren weder ein großes Vorwissen noch allzu teures technisches Equipment vonnöten. Die Grenzen zwischen „passivem“ Konsum und „aktiver“ Produktion waren im HipHop immer äußerst schmal.97 Wer wie Oliver Kartak also an

94 Kartak (wie Anm. 61). 95 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt am Main 1963. 96 Huq, Rupa: Beyond Subculture. Pop, youth and identity in a postcolonial world. New York 2006, 116ff. 97 de Certeau (wie Anm. 59), 20ff. 47 einem Tag Graffiti konsumierte, konnte am darauffolgenden schon selbst zum Graffiti- Künstler werden.

Dabei standen am Beginn der Faszination oftmals Auslandsaufenthalte und Urlaube. Vor allem in Großbritannien, das durch die geteilte angelsächsische Tradition und die gemeinsame englische Sprache eine deutlich engere Verbindung zu den USA aufweist als Kontinentaleuropa, waren Bezugsquellen zum HipHop mannigfaltig. Aber auch durch Reisen in Länder wie die Niederlande, Belgien oder Frankreich und in die Vereinigten Staaten selbst wurde Kulturgut Stück für Stück nach Österreich transferiert. Und auch die in den frühen 1970er Jahren eingeführten Interrailrouten beförderten den Kulturtransfer zwischen den europäischen Staaten immens, vor allem die Graffiti-Szene sollte davon maßgeblich profitieren.98 Es waren bereits sehr früh die globalisierten Reisenetzwerke insbesondere in der westlichen Welt, in denen sich, um mit Appadurai zu sprechen, die scapes ohne große Hindernisse deterritorialisieren konnten.99 Localities, die Verortung in spezifischen Räumen also, verloren immer mehr an Bedeutung und wurden infolge des Globalisierungsdrucks moderner Medien sukzessive durch „translocalities“ und „virtual neighborhoods“ ausgetauscht.100 HipHop war nicht mehr an die USA gebunden, Menschen in Bewegung trugen diese neue Kultur zunehmend nach außen.

Den Reisenden kam dabei eine besondere Rolle zu: Sie wurden zu Kulturimporteuren, sie sorgten für den ständigen Fluss von neuen Informationen. Auch was HipHop in Österreich anbelangt spielten diese „interpersonal relations“ eine außerordentliche Rolle in der Diffusion von neuem Wissen.101 Meist führten persönliche Kontakte zur Ansteckung mit dem „Kulturvirus“. Oft waren es von Freund*innen und Klassenkamerad*innen ausgeliehene Kassetten oder Schallplatten, die einen in eine bis dato neue Welt einführten. Zwischen Bekannten und Freunden wurden Musikträger und Informationsmaterialen getauscht, über neue modische Erscheinungen debattiert und ganz einfach über HipHop gefachsimpelt. Vor allem aber versicherte man sich gegenseitig dieser neuen Gruppenidentität, die erst im

98 Hertel (wie Anm. 82). 99 Appadurai (wie Anm. 49). 100 Appadurai (wie Anm. 50). 101 Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step Into the Two-Step Flow of Communication. In: American Sociological Association, 47 (1982), H.6, 764-773. 48

Entstehen war, zu wenige waren in den für österreichische HipHop-Verhältnisse noch frühen Zeiten in Kontakt mit dieser neuen Kulturform gekommen, als dass ein enges Netzwerk entstehen konnte. Umso wichtiger waren Gleichgesinnte, mit denen man zum einen über denselben Geschmack für Mode und Musik kommunizierte, und zum anderen Teil einer sich etablierenden translokalen Gemeinschaft wurde.102

Diese translokalen Gemeinschaften entwickelten sich trotz der kaum vorhandenen medialen Berichterstattung. Die globalisierende und vernetzende Kraft des Fernsehens spielte vor allem in Österreich zu Beginn kaum eine Rolle – einzig die Kinofilme „Beat Street“, „Wild Style“ und „Style Wars“, die mitunter auch im öffentlich- rechtlichen Fernsehen gezeigt wurden, bildeten eine Ausnahme. Doch es war auch möglich, wie Stefan Biedermann, der als DJ DSL Pionierstatus in Österreich hat, erzählt, durch die spärlich vorhandenen medialen Berichterstattungen mit dem „Kulturvirus“ angesteckt zu werden. Oft reichten nur wenige Sekunden, um nachhaltig begeistert zu werden:

„Bei mir hat es begonnen mit dem Fernsehen. Das war eine kleine Sensationsmeldung mehr oder weniger, wo der Sprecher gesagt hat ‚In New York machen die Typen jetzt ganz was Irres, die zerkratzen Platten, die haben da das Scratching erfunden.‘ Und da hat man halt den Grandmaster Flash gesehen oder irgendwen, hat ‚wup wup wup‘ gemacht, und ich habe mir gedacht, das ist super.“103

Daneben orientierten sich nur wenige an Magazinen wie dem deutschen Spex oder dem US-amerikanischen Rolling Stone, und selbst in diesen auf Popkultur getrimmten Zeitschriften war HipHop für lange Zeit im besten Falle eine Randnotiz.104 Es waren meist Zufälle und Glücksfunde, die anfänglich auf HipHop aufmerksam machten: Manche erfuhren von einem Bravo-Artikel zum ersten Mal von HipHop,105 andere fanden über den Umweg eines 8-Bit-Videospiels, das die Melodie von Grandmaster Flash imitierte, das erste Mal zu dieser neuen Kulturform.106

102 Hodkinson, Paul: Translocal Connections in the Goth Scene. In: Bennett, Andy u. Peterson, Richard A. (Hg.): Music Scenes. Local, Translocal, and Virtual. Nashville 2004, 131-148. 103 Stefan Biedermann in: Wailand, Markus: A HipHop Story. Österreich 2002. 104 Welche Rolle die Medien, insbesondere die österreichischen, bei der Diffusion und Etablierung von HipHop spielten, darauf wird in einem weiteren Kapitel noch genauer eingegangen. 105 Hörtnagl (wie Anm. 66). 106 Weiss (wie Anm. 86). 49

Durch seinen hybriden Charakter, die inhärenten vier Elemente und den Do-It- Yourself-Charakter gelang es HipHop sehr rasch, Teil der jugendlichen Lebenswelten zu werden. HipHop war auch schon zu Beginn in vielen Nischen zu finden, allerdings nicht in dieser Ubiquität wie heute: In Jugendzeitschriften wie Bravo, im Kino, vereinzelt im Fernsehen und im Radio, in Computerspielen und Musikvideos – HipHop entwickelte sich auch in Österreich als eine von Beginn an undogmatische, heterogene und vor allem äußerst adaptive Kulturform. Wer Augen und Ohren offen hielt und sich vor allem für Differenz und Diversität interessierte, der konnte schon früh auf HipHop stoßen. Denn HipHop in Österreich war von Beginn an auch ein Mittel zur Distinktion:

„Und was man natürlich nicht leugnen kann, also ich glaub schon, dass uns das getaugt hat, etwas Besonderes zu sein. Das kann man sich heute vielleicht gar nicht mehr vorstellen, aber in Innsbruck waren wir damals wirklich etwas Außerirdisches, mit unseren offenen Turnschuhen und den Raidersjacken und den Baseballkappen. Allein schon die Baseballkappen, du bist damals mit Baseballkappen durch die Straßen gegangen und bist hundertprozentig zehn Mal angeredet worden, weil es einfach, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, das war einfach abartig. Von jung bis alt, da hat jeder irgendeinen Kommentar dazu schieben müssen.“107

Man kleidete sich anders, man bewegte sich anders, man sprach eine andere Sprache, hörte fremdartige Musik, kurzum der gesamte Habitus veränderte sich mit der Entdeckung des HipHop. Wer Raidersjacken und Baseballkappen trug, der symbolisierte damit auch eine Form der Subversion und Differenz. Und HipHop lieferte dafür nicht nur die passenden Äußerlichkeiten, sondern auch treffende Inhalte: HipHop stilisierte Marginalität und Diversität, Andersartigkeit wurde nicht mehr ausschließlich als eine Bürde verstanden. Gerade darin lag die Faszination an dieser neuen Subkultur, im Reiz des Neuen genauso wie im rebellischen und aufbegehrenden Charakter. HipHop konnte all dies in sich vereinen und verschiedene Gruppen ansprechen.108

107 Hörtnagl (wie Anm. 66). 108 Klausegger, Isabella: HipHop als subversive Kraft. Zur Konzeption von Machtverhältnissen und deren Dynamik in den Cultural Studies. Wien 2009, 249ff. 50

Doch selbst wenn sich die neu gewonnenen Fans immer mehr als Teil einer translokalen Gemeinschaft fühlen sollten, so war diese Gemeinschaft für lange Zeit isoliert und insular. Zu Beginn begeisterten sich nur wenige für HipHop, und auch wenn diese neue Kultur für viele sinnstiftend wurde, blieben sie gewissermaßen Außenseiter, bis sich eine Szene etablieren konnte:

„In der Schule war man das schwarze Schaf. Das werden alle unisono sagen, dass man halt deppert angeschaut worden ist. [...] Aber relativ schnell hat sich dann eine Gruppe gebildet, die wir vor allem an den Wochenenden getroffen haben und zum Weggehen, das war um den Stephansplatz herum, da haben wir die Leute kennengelernt, die sich für HipHop interessiert haben.“109

Diesen ersten, oft unbefangenen Begegnungen folgte rasch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Es fanden sich immer mehr Gleichgesinnte, Netzwerke entstanden, Partys wurden organisiert und die Ersten wagten den Schritt vom „passiven“ Konsumenten zum „aktiven“ Produzenten. Und dennoch verblieb HipHop noch für lange Zeit eine kulturelle Randerscheinung.

109 Interview mit Daniel Shaked, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 19.1.18. 51

4.4. Tags, Parties und Buh-Rufe

Vor allem in den wenigen urbanen Räumen Österreichs entwickelten sich Strukturen und Netzwerke, von denen eine zu diesem Zeitpunkt weitestgehend inexistente HipHop-Szene profitieren sollte. In den Großstädten fand HipHop eine kritische Masse vor, in der sich die junge Kulturform etablieren konnte. Diese urbanen Räume sind durch Telepartizipation gekennzeichnet, durch „heterogene symbolische Angebote von lokalen, nationalen und transnationalen Kommunikationsnetzwerken“, die zu einer „sozialen Mediatisierung“, einer Bereitstellung eines zentral geteilten Sinnhorizonts, führen würden.110 Dies bedeutet nichts anderes als die „Dekollektivierung kultureller Systeme“, das Aufbrechen und Vermischen kultureller Güter in urbanen Räumen, oder anders ausgedrückt: In Großstädten wie Wien, Linz oder Innsbruck ist es möglich, auf eine Vielzahl verschiedener Kulturprodukte zurückzugreifen, die neben- und miteinander existieren.

In diesen Städten Österreichs fanden Begeisterte schneller Zuspruch, trafen eher auf Gleichgesinnte und gelangten einfacher an Informationen. Daneben wurde das Urbane im HipHop seit jeher stilisiert und durch die enge Bindung an den Ursprungsmythos in der Bronx, sowie dessen stetige Rezeption zu einem Marker für vermeintliche Authentizität. Auch in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Japan oder dem Senegal waren es die Haupt- und Großstädte, wie bereits illustriert wurde, in denen die ersten Spuren einer sich etablierenden HipHop-Kultur hinterlassen wurden. Österreich stellte in dieser Entwicklung keine Ausnahme dar.

Vor allem in Wien, der einzigen österreichischen Metropole, entwickelten sich nach und nach Strukturen. Mit zeitlicher Verspätung und quantitativen Unterschieden folgten des Weiteren vor allem das oberösterreichische Linz und im Westen des Landes Innsbruck nach. In der Bundeshauptstadt war die Entwicklung und Etablierung einer neuen Kultur am frühesten zu erkennen, auch für jene, die der subversiven Kunst des HipHop gleichgültig bis feindselig gegenüberstanden. Das Stadtbild begann sich

110 Hepp, Andreas: Néstor García Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung und „cultural citizenship“. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 165-175.

52 zusehends zu ändern, Graffitis nach New Yorker und Pariser Vorbild sollten ab Mitte der 1980er Jahre auch unzählige Wiener Häuser und Waggons zieren. Als Österreichs erster Graffiti-Künstler gilt Oliver Kartak mit seinem Pseudonym SETA- ROC. Angetrieben durch seine ersten Kontakte mit HipHop in Großbritannien und motiviert durch Charlie Ahearns Film „Wild Style“ experimentierte SETA-ROC schon sehr früh mit Spraytechniken und Schriftzügen. Dass er und andere sich damit außerhalb des legalen Rahmen begaben, spielte keine allzu große Rolle, wichtiger war die Einschreibung in die Stadt selbst:

„Und das hatte etwas, wo man etwas machen kann, was den Vorteil hat, dass es wahnsinnig viele Leute sehen. Und es hat natürlich den Touch des Illegalen und wird dadurch total aufregend. Und es hat etwas, es ist ein Code, den nur wenige verstanden haben, es ist wie eine Geheimsprache, und dadurch hat man sich mit einem größeren Ganzen verbunden gefühlt, der damaligen Geheimloge HipHop.“111

Baudrillard beschrieb dies schon in einer Frühphase des Writings als ein Einbrechen „in die Sphäre der erfüllten Zeichen der Stadt, die sie durch ihre bloße Präsenz auflösen“ und verstand im Graffiti „eine Revolte und zugleich Auflehnung gegen die bürgerliche Identität und Anonymität.“112 Und so waren es – wie auch in anderen Städten – die Graffitis, die als Erste von der Ankunft einer neuen subversiven Kulturform zeugten. Doch blieb Oliver Kartak für lange Zeit Österreichs einziger Graffiti-Künstler, eine Art Szene konnte sich nicht gleich etablieren, obwohl die Wiener Linien bereits 1984 einen Wagon der Straßenbahnlinie J, die täglich zwischen Ottakring und dem noblen 1. Bezirk verkehrte, zur Verfügung stellten, um ihn Window- down mit Graffiti zu überziehen. Und auch Galerist*innen, wie etwa Grita Insam, entdeckten früh das Potential dieser Ausdrucksform: Ebenfalls bereits 1984 kamen internationale Szenegrößen wie Phase 2 und Delta 2 in die beschauliche Galerie in die Wiener Köllnerhofgasse.113 Schon früh changierte Graffiti in Wien also gewissermaßen zwischen künstlerischer Beachtung und juristischer Verfolgung, fand hohen Anklang in der Kultur- und HipHop-Szene, wurde aber weitestgehend polizeilich untersagt und fand größtenteils in der Illegalität statt, einzig am Donaukanal wurde das Sprayen teilweise geduldet. Nach einem ersten Höhepunkt in der Mitte der

111 Kartak (wie Anm. 61). 112 Baudrillard (wie Anm. 9), 26ff. 113 Kartak (wie Anm. 61). 53

1980er Jahre wurde es jedoch wieder ruhig um die Wiener Graffiti-Szene, auch Oliver Kartak hörte 1990 auf zu sprayen, doch zu diesem Zeitpunkt war bereits ein breites Fundament für die nachkommenden Generationen gelegt.

Denn auch abseits des öffentlichen Blickes entstanden erste Formen der HipHop- Kultur in Österreich auf sehr behutsame Art und Weise. Die Betreiber*innen und Besitzer*innen der Clubs, in denen sich Menschen treffen konnten, und die offen waren für neue Subkulturen, reagierten mitunter nur sehr behäbig auf ein immer größer werdendes HipHop-Publikum. Auf den Tanzflächen wurde zu Rock, Disco oder auch Austropop getanzt, Breakbeats waren nicht bekannt und wurden auch nicht gespielt. Nur nach und nach wurden der neuen Generation an DJs die Plattenspieler der Clubs anvertraut und dabei misstrauisch beäugt. Nicht nur die neue Musik irritierte viele, auch die Art und Weise, wie diese produziert wurde, verwunderte Clubbetreiber*innen und Tontechniker*innen ebenso wie Gäste: Dazu gehörte der Aufbau der Plattenspieler, welche um 90 Grad gedreht wurden, die Verwendung anderer Tonabnehmersysteme und spezieller Nadeln und vor allem das im HipHop so wichtige Scratchen, in dem viele schlichtweg mangelnden Respekt gegenüber den Schalplatten erkannten.114 Vieles war neu, sowohl für die enthusiastischen HipHopper*innen als auch für die zum Teil schockierten Lokalbesitzer*innen. Daneben kam es auch immer wieder zu Buh-Rufen und Sitzstreiks mitten auf der Tanzfläche, mit denen verunsicherte Gäste gegen diese neue Musik protestierten.

Doch entgegen all dieser Widerstände öffneten sich immer mehr Lokale und Clubs für HipHop. HipHop begann gegen Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er vor allem in Wien seine semi-öffentlichen Nischen zu finden. Das waren vor allem kleine Lokale und Clubs, in denen einmal wöchentlich oder einmal monatlich eine HipHop-Party veranstaltet wurde. In Wien zählten dazu das „Bach“ mit seiner Reihe Basic, das „Flex“, das bis 1995 nicht am Donaukanal, sondern im 12. Wiener Gemeindebezirk beheimatet war, und vor allem der „Volksgarten“, dem seit jeher eine Affinität zu schwarzer Musik nachgesagt wird.115 Hier versuchte Martin Forster als Sugar B eine

114 Weiss (wie Anm. 86). 115 Fluch (wie Anm 81). 54 erste regelmäßig stattfindende Partyreihe zu installieren, die jedoch rasch wieder eingestellt werden musste:

„[Wir] haben [...] vier Folgen gemacht, und das war’s dann auch schon wieder, weil da hat’s dann geheißen, was soll das denn für Musik sein? Da kann man ja nicht dazu tanzen.“116

Die Musik und der dazugehörige Habitus schienen Ende der 1980er Jahre schlicht noch zu unbekannt zu sein, und auch ein breites Publikum konnte in dieser Phase nicht nachhaltig überzeugt werden. Aber HipHop schrieb erstmals in der Wiener Club- und Ausgehkultur an, auch wenn dies zu bedeuten hatte, dass DJs wie Burstup, DSL oder Sugar B immer wieder nur für eine Handvoll von Menschen scratchten, mixten und cutteten. Der vermeintliche Widerstand begann jedoch zu bröckeln, selbst Lokale, die traditionell enge Verbindungen zu Gitarrenmusik unterhielten, wie der der Meidlinger Club „U4“, öffneten sich nach und nach für HipHop. Diese Öffnung war zu Beginn äußerst partiell, beschränkte sich in vielen Fällen auf wenige Stunden vor oder in den Pausen von Clubnächten, aber in einer Stadt, in der HipHop keine Öffentlichkeit bekam, waren diese kurzen DJ-Sets willkommene Abwechslungen. Immer mehr drängte HipHop ins Hauptabendprogramm und schon bald entwickelten sich kleine, aber umso bedeutendere Treffpunkte für die im Entstehen begriffene Szene:

„Und das hat sich dann langsam halt so aufgebaut, und dann ist diese Gruppe an Menschen halt dort hingegangen, wo was war und dann siehst du halt eh immer dieselben Leute, und dann lernt man sich halt kennen.“117

Die Überschaubarkeit dieser Events hatte aber auch einen gewichtigen Vorteil: Die wenigen, die sich für HipHop begeisterten, trafen sich regelmäßig, es kam zu einem Zusammenrücken und zu einer Verdichtung der Szene. Bei diesen knapp bemessenen Veranstaltungen, die sich auf die nahezu immer gleichen Orte konzentrierten, war die Möglichkeit zum Austausch mit Gleichgesinnten gegeben, es entstanden Netzwerke, die mitunter bis heute, rund 30 Jahre nach den ersten Partys, bestehen. Diese Abende waren darüber hinaus wichtige Informationsquellen, insbesondere in modischer Sicht: Eine Infrastruktur, um die Besorgung der nötigsten

116 Interview mit Martin Forster, geführt von Manuel Obermeier, Wien, 14.1.18. 117 Shaked (wie Anm. 109). 55

Kleidungsstücke, mit denen der neu erworbene HipHop-Habitus auch nach außen hin präsentiert wurde, war schlicht nicht gegeben, und diejenigen, für die Reisen ins deutsche Ausland, wo einzelne Läden bereits die einschlägige Mode im Sortiment hatten, keine Alternative darstellten, bestellten Baseballkappen, Hoodies und Basketball-Shirts bei einem Mailorder.118 An den wenigen Tagen, an denen die Tanzflächen von HipHop dominiert wurden, lagen in den Clubs die Prospekte und Kataloge von Versandhändlern wie „Back to Back“ aus Passau auf, welche das modische Erscheinungsbild der jungen Wiener HipHop-Szene über Jahre bestimmen sollten.

Doch auch in kleineren Städten entwickelten sich gegen Ende der 1980er Strukturen und Netzwerke: In Linz sollte über Jahre vor allem das „Kapu“ eine außerordentliche Rolle spielen. Das Kulturzentrum, das unweit der Linzer Innenstadt 1985 gegründet wurde, entwickelte sich schnell zu einem Ausgangs- und Fixpunkt in der oberösterreichischen HipHop-Szene. Hier, wo 1989 unter anderem die Grunge-Band Nirvana einen ihrer wenigen Österreichauftritte absolvierte, wurden früh Jams und HipHop-Konzerte organisiert, unter anderem mit der bayerischen Gruppe Blumentopf oder den bis heute aktiven Texta. Und in Innsbruck traf man sich in unregelmäßigen Abständen in den mittlerweile geschlossenen Lokalen „Innkeller“ und „Utopia“. Auch im „Treibhaus“ oder dem „Hafen“ fanden vereinzelt Konzerte statt, diese bildeten jedoch die absolute Ausnahme, das Publikum war zu klein, als dass sich bereits eine größere Szene hätte etablieren können.119

Die Institutionalisierung des HipHop blieb zu dieser Zeit zwar aus, doch trotz der relativen Isolation und der lediglich im Kleinen und Lokalen erfolgten Vernetzung gelangte HipHop in Österreich Anfang der 1990er zu immer mehr Akzeptanz, auch abseits der eigenen Fangemeinde. Die DJ-Kultur hielt Einzug in die Clubs, mit zwei Plattenspielern aufzulegen war keine Seltenheit mehr, und mit der Etablierung dieser Kulturtechnik fand auch HipHop immer mehr positive Resonanz.120 Im Sog dieser Entwicklung wurden die Künstler*innen der grafischen, tänzerischen und musikalischen Bereiche zusehends selbstbewusster. Es schien, als ob HipHop keine

118 Ebd. 119 Hörtnagl (wie Anm. 66). 120 Fluch (wie Anm. 81). 56 kurzlebige Modeerscheinung bleiben sollte, wie von vielen prophezeit wurde. Stattdessen war etwas Nachhaltiges am Entstehen, auch weil immer mehr vor allem junge Menschen begannen, selbst Musik zu produzieren. In Innsbruck gründete sich die Band Total Chaos, aus Linz kamen Texta und in Wien drängten eine ganze Reihe Musikbegeisterter in die erste Reihe, allen voran The Moreaus und Schönheitsfehler. Und all dies geschah, ohne dass die österreichische Medienlandschaft davon Kenntnis genommen hätte.

57

4.5. Medien? Welche Medien?

Während im internationalen Vergleich vor allem das globalisierte und globalisierende Fernsehen ohne Zweifel zur „dislocation of culture“,121 zur Lösung aus dem örtlichen Kontext, beitrug und kulturelle Erscheinungen auf einem „world bazaar“ anbot,122 beschränkte sich das mediale Interesse in Österreich auf ein Minimum. Weder Fernsehen noch Radio oder Printmedien berichteten von der Ankunft oder Etablierung dieser neuen kulturellen Erscheinung. Nur in Ausnahmefällen war eine Meldung mehr als eine Randnotiz.

Informationsträger und -übermittler gab es daher nur überaus begrenzt, die Erfolge der nationalen und internationalen Künstler*innen konnten daran kaum etwas ändern. HipHop spielte sich in Österreich für sehr lange Zeit, und das gilt unter veränderten Voraussetzungen auch zum Teil noch heute, abseits der medialen Berichterstattung ab. Es ist vor allem den Initiativen Einzelner zu verdanken, dass HipHop heute zumindest in Ansätzen im medialen Gedächtnis wiederzufinden ist.

4.5.1. Fernsehen Medienbetriebe, insbesondere öffentlich-rechtliche, können, und das ist auch gewissermaßen ihren Strukturen geschuldet, nur äußerst behäbig auf neue Entwicklungen und Trends reagieren. In den 1980er und 1990er Jahren trifft das vor allem auf das österreichische Fernsehen zu: FS1 und FS2, die 1992 mit einer neuen Corporate Identity ausgestattet wurden und fortan unter den Namen ORF1 und ORF2 bekannt sind, waren die einzigen beiden Fernsehender auf dem österreichischen Markt, österreichisches Privatfernsehen gab es zu dieser Zeit nicht und ausländische Privatsender wie etwa MTV waren nur äußerst schwer zu empfangen. Mit einem Marktanteil von über 90 Prozent123 bestimmten die beiden öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund ihrer Monopolstellung die mediale Berichterstattung und fungierten als gate keeper: Subkulturen wie HipHop fanden dabei nur wenig Berücksichtigung.

121 Barker, Chris: Television, Globalization and Cultural Identities. New York 2009, 59ff. 122 Morley, David u. Robins, Kevin: Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes und Cultural Boundaries. London 1995, 113. 123 Stark, Birgit: Qualitätsmedien und ihr Publikum in Zeiten des Medienwandels – das Fallbeispiel ORF. In: Gonser, Nicole (Hg.): Die multimediale Zukunft des Qualitätsjournalismus. Public Value und die Aufgaben von Medien. Wiesbaden 2013, 53-68, hier 57. 58

Einzig das 1987 installierte und von Arabella Kiesbauer moderierte Format X-Large, das ein jugendliches Publikum ansprechen sollte, näherte sich der neuen, fremden Kultur behutsam an. So wurde schon 1988 ein Interview mit Afrika Bambaataa geführt,124 1992 wurde Martin Neumayer, der Produzent der Band Edelweiss, über die Besonderheiten der Musik befragt125 und wiederum zwei Jahre später machte sich die Sendung auf die Suche nach der „Geschichte des Raps“.126 Bereits 1995 wurde das Jugendmagazin jedoch wieder abgesetzt. Da eine nachhaltige Auseinandersetzung mit HipHop in diesen knapp acht Jahren nie stattgefunden hatte, war diese Sendung für HipHop-Interessierte auch keine ernstzunehmende Informationsquelle. Dasselbe gilt für andere Formate des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Österreich: Wenn über HipHop berichtet wurde, dann meist in Form von Konzertankündigungen großer internationaler Stars. Auch als Bands wie The Moreaus, Total Chaos, Schönheitsfehler oder Texta zum Aushängeschild eines österreichischen HipHop wurden und sich bereits abzeichnete, dass HipHop kein kurzlebiger Modetrend sein würde, nährte das nicht das Interesse des Österreichischen Rundfunks. Nur in wenigen Ausnahmen wurde österreichischer HipHop thematisiert, und noch seltener außerhalb von Kinder- und Jugendformaten. Diese neue Kulturform galt als subversiv und rebellisch, als eine Subkultur, die nicht ins Programm des Mainstream- Fernsehens passte, wodurch das visuelle Element des HipHop, insbesondere Musikvideos, für lange Zeit stark unterrepräsentiert war.

Bedeutend wichtiger war hingegen die Sendung Yo! MTV Raps, die erstmals im August 1988 auf Sendung ging und täglich eine Stunde über alles informierte, was im Entferntesten mit HipHop zu tun hatte – dies obwohl der Sender nur mit einigen Mühen zu empfangen war und als verhältnismäßig teuer galt. Fab 5 Freddy, ein früher New Yorker HipHop-Pionier, führte durch die zweistündige Sendung, die an der globalen Verbreitung des HipHop maßgeblichen Anteil hatte.127 Zahlreiche Szenegrößen waren Gäste, übten sich im Freestyle, stellten ihre neuesten Hits in Studiosessions vor und präsentierten ihre aktuellen Musikvideos. Yo! MTV Raps war nicht die einzige Sendung, die sich intensiv mit HipHop beschäftigte, aber die mit großem Abstand

124 X-Large, ORF, 5.6.1988. 125 X-Large, ORF, 20.9.1992. 126 X-Large, ORF, 9.9.1994. 127 Chang (wie Anm. 27). 59 bedeutendste, auch weil sie als authentisch wahrgenommen wurde. Die Sendung, die in der Originalfassung vom regionalen Ableger MTV Europe ausgestrahlt wurde, wurde auch in Österreich zur zentralen Bezugsquelle und ergänzte die spärlich vorhandenen Berichte im Radio und den Printmedien.

4.5.2. Zeitungen „Es gab ein paar Artikel in Tageszeitungen [...], die [Journalist*innen, Anm.] haben sich aber schwer getan mit dem Thema. HipHop, Rap, das war halt irgendwie dieses amerikanische Ding oder irgendein Ding, das man halt mit Afroamerikanern in Verbindung gebracht hat, oder es war halt dieser Sprechgesang, den man auf einmal auch in Deutschland gehört hat von den Fantastischen Vier, wo grad ‚Die da‘ in den Charts war. Und da gibt’s jetzt halt auch in Österreich solche deutschsprachigen Rapper.“128

Auch die österreichischen Printmedien taten sich mit HipHop äußerst schwer und wussten nicht, sofern darüber berichtet wurde, wie diese neue Subkultur dargestellt werden sollte.129 Neben der Missachtung und Ignoranz, mit welcher HipHop von den Redaktionsstuben begegnet wurde, beherrschten vor allem Unwissen und eine bisweilen verächtliche Hybris den medialen Diskurs um diese fremde und schwarze Kultur. Der österreichische Boulevard, der auch in den 1980er und 1990er Jahren eine marktbeherrschende Stellung innehatte, verzichtete nahezu gänzlich auf eine mediale Auseinandersetzung mit dieser Thematik, aber auch liberale und durchwegs kulturaffine Tages- und Wochenzeitungen verabsäumten es weitestgehend, HipHop in die Berichterstattung zu integrieren. Wie auch das Fernsehen informierten die österreichischen Printmedien in Ansätzen zwar über internationale Stars im Zuge ihrer Auftritte in Österreich, die heimischen Protagonist*innen mussten sich hingegen in den meisten Fällen mit wenigen Zeilen zufriedengeben. Auch als Total Chaos, die Moreaus oder Schönheitsfehler Alben und Musikvideos veröffentlichten, in regelmäßigen Abständen vor hunderten Fans spielten und die österreichische Kultur- und Musiklandschaft aufwirbelten, wusste der Feuilleton wenig bis gar nichts zu berichten. Auch hier wurde für die Subkultur kein Platz im vermeintlichen Mainstream gefunden.

128 Weiss (wie Anm. 86). 129 Ebd. 60

Aber auch die wenigen österreichischen Musik- und Jugendzeitschriften wussten vor allem am Anfang nur sehr wenig mit HipHop anzufangen. Während für viele das deutsche Spex nicht relevant war, das jedoch schon sehr früh das Potential dieser neuen Kultur erkannte und darüber intensiv berichtete, fand HipHop in einigen Spartenmagazinen eine Nische. Neben dem Chelsea Chronicle, das vom Wiener Lokal Chelsea herausgegeben wurde und sich im Wesentlichen auf Gitarrenmusik konzentrierte, war es in erster Linie das skug, das „Journal für Musik“, das sich zumindest in Teilen des Themas annahm – immerhin steht skug auch für „subkultureller Untergrund“. Eine nachhaltige und tiefgreifende Auseinandersetzung führte aber auch dieses Magazin nicht mit HipHop, auch das skug legte den Fokus traditionell auf Pop- und Rockmusik. Aber einige Redakteur*innen, allen voran Harald „Huckey“ Renner, der Mitglied der oberösterreichischen HipHop-Band Texta ist, beschäftigte sich in seinen Artikeln immer wieder ausführlich mit HipHop, sowohl mit der internationalen Entwicklung als auch mit der heimischen Szene. Artikel über Rapmusik, DJing, Graffiti und Breakdancing blieben aber weitestgehend die Ausnahme, nur sehr selten wurden HipHop mehrere Seiten eingeräumt, wie im Artikel „Neandertal auf der Fährte des Vibes“.130 In diesem Artikel geht Daniela Aichinger auf die „alpen-republikanische Hip Hop Begeisterung“ ein und zieht in Interviews mit Werner Geier, DJ DSL und Rodney Hunter eine Bilanz über das bisherige HipHop- Geschehen in Österreich. Dabei handelt es sich um eine Überblicksdarstellung, in der auch Total Chaos und die Moreaus erwähnt werden. Somit stellt der Artikel eine erste journalistische Annäherung an ein Thema dar, das für lange Zeit ausgeklammert wurde. Sowohl Leser*innen als auch die Redaktion scheinen Gefallen daran gefunden haben: In den darauffolgenden Ausgaben ist immer wieder auch ein Artikel über HipHop zu finden. In Heft 11 wird die britische Band Stereo MCs vorgestellt, ein Heft später sind die US-Amerikaner Gang Starr auf dem Cover zu sehen und wieder nur eine Ausgabe später freut sich Harald Renner über den Sampler „Austrian Flavors Vol. 1“, der nun „hoffentlich einen Stein ins Rollen bringt.“131

Das skug verblieb für lange Zeit das einzige österreichische Printmedium – nimmt man die Jugendzeitschrift Rennbahn Express aus – das sich in unregelmäßigen Abständen

130 Skug, 10 (1992), H.3, 38-41. 131 Skug, 13 (1993). 61 mit HipHop auseinandersetzte. Meist dominierten Plattenkritiken und Porträts internationaler Stars, doch im Laufe der Zeit wurde der Fokus auch immer stärker auf die österreichische Szene gelegt. Schon 1994, nur ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums „Broj Jedan“, belichtete die Coverstory die Wiener Band Schönheitsfehler.132 In einem mehrseitigen Interview erzählen die drei von ihrer Entstehung, dem Kampf um Anerkennung und die Faszination für diese neue Kultur. Zum ersten Mal wurde einer österreichischen HipHop-Produktion in medialer Hinsicht derart viel Raum gegeben. Das hinterließ auch bei der Band einen nachhaltigen Eindruck.133 Doch auch wenn es Schönheitsfehler Jahre später nochmals auf das Cover schaffen sollten, beschäftigte sich auch das skug – abgesehen von Plattenkritiken, Kurzartikeln und Konzerttipps – nur peripher mit HipHop, obwohl das Magazin HipHop schon 1994 attestierte, „eine fixe Größe am Pop-Markt [und] Teil des Mainstreams“134 zu sein.

Davon konnte Mitte der 1990er Jahre aber noch nicht die Rede sein, schon gar nicht wenn man sich die österreichische Medienlandschaft dieser Zeit ansieht. Die großen Tages- und Wochenzeitungen berichteten nicht über dieses neue Phänomen und auch Jugend- und Nischenmagazine wie das skug konnten und wollten nicht als Informationsquelle für österreichische HipHop-Enthusiasten fungieren. Erst The Message, das Magazin, das 1997 unter anderem von Daniel Shaked gegründet wurde, konnte diese Lücke schließen. Im Vorwort der ersten Ausgabe heißt es:

„Vom Inhalt her werden wir versuchen alle Elemente dieser Kultur (DJ’ing, MC’ing, Bboying und Writing) zu behandeln. […] In erster Linie soll diese Zeitschrift von der Szene für die Szene in ganz Österreich werden […]. Nur so kann verhindert werden, daß es im Nachhinein nicht heißt, da hat schon wieder jemand seine Spuren hinterlassen, der überhaupt keine Ahnung von Hip Hop hat. [...] Es geht uns vielmehr um den in Österreich fehlenden Informationsaustausch diverser Kulturaktivitäten, denen wir in Zukunft als Plattform zu Verfügung stehen.“135

Und weiter:

132 Skug, 20 (1994), 14-16. 133 Weiss (wie Anm. 86). 134 Skug 20 (1994), 16. 135 The Message, 1 (1997). 62

„Leider besuchen in unserer Stadt noch immer mehr Leute die Sonntagsmesse im ‚Steffl‘, als ein richtig gutes Jam. Doch mit viel Einsatz, Engagement und gutem Willen ist einiges zu schaffen. Also alles selber in die Hand nehmen und sich nicht auf Andere verlassen, wei‘ sunst gschicht nix.“136

In klassischer HipHop-Do-it-yourself-Manier gründeten Daniel Shaked und drei seiner Freunde das erste und bis heute wichtigste HipHop-Magazin Österreichs. Sie wollten der fehlenden medialen Präsenz eine Plattform entgegenhalten, mit Hilfe derer sich die Szene besser austauschen sollte.137 Die erste Ausgabe umfasste lediglich 14 Seiten, hatte kein einheitliches Layout, war in Schwarz-Weiß gehalten und wurde handkopiert – doch das Druckwerk stieß auf große Begeisterung, so dass neun Monate später eine zweite Ausgabe gedruckt wurde. Hier wird die Blattlinie nochmals ausführlich erläutert: „THE MESSAGE versteht sich als Magazin, welches diverse Szeneaktivitäten und somit den künstlerischen Aspekt der Hip Hop Kultur dokumentiert.“138 Und so ist es nicht verwunderlich, dass in diesem Magazin zum Großteil österreichische Künstler*innen zu Wort kommen: In der zweiten Ausgabe spricht Manuva von Total Chaos über seinen Zugang zu HipHop, während Operator Burstup von Schönheitsfehler Tipps rund um Tonstudio, Touren und Business gibt. Und auch Graffitis finden prominent in der Heftmitte ihren Platz. The Message war von Beginn an ein integratives Magazin, das versuchte, die gesamte Bandbreite des HipHop in Österreich abzudecken. Nach und nach professionalisierte sich The Message auch, die Erlöse von Partys und der vorherigen Ausgabe wurden umgehend in das darauffolgende Heft investiert, das Blatt entwickelte sich immer mehr von einem Fanzine zum einheitlich und übersichtlich gestalteten HipHop-Magazin. The Message wurde innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten medialen Partner der damals noch immer äußerst jungen österreichischen HipHop-Szene, zum einen weil sich die etablierten Printmedien nicht auf diese neuen musikalischen und kulturellen Entwicklungen einzustellen vermochten, zum anderen aber vor allem da es Daniel Shaked verstand, auf die Bedürfnisse und Wünsche der österreichischen HipHop- Fans einzugehen: „[D]a ist man dann nicht mehr rausgekommen, weil doch eine Response von der Community da war [...] und dann bist du irgendwann drinnen.“139

136 Ebd. 137 Shaked (wie Anm. 109). 138 The Message, 2 (1998). 139 Shaked (wie Anm. 109). 63

Bis heute bleibt The Message ein Magazin „von der Szene für die Szene“, auch wenn die Artikel mittlerweile nur mehr online erscheinen. An der tiefen Verankerung innerhalb des österreichischen HipHop hat dies aber nichts geändert. Das Magazin ist bis heute eine der wichtigsten Informationsquellen in Sachen HipHop.

4.5.3. Radio Ähnlich dem Fernsehen bestand auch der österreichische Hörfunk für lange Zeit ausschließlich aus öffentlich-rechtlichen Sendern, private Radiosender gab es nicht, erst Mitte der 1990er Jahre wurde das Monopol gebrochen. Was das für die Sendezeit von mitunter rebellischen und subversiven Musikformen bedeutete, wie etwa Punk oder eben auch HipHop, darf nicht weiter überraschen: Es gab sie nicht. Und das obwohl der Radiosender Ö3 explizit jugendliche Inhalte ausstrahlen sollte und darüber hinaus auch über die passenden Formate verfügte. Doch weder Ö3 noch der Kultursender Ö1 oder die neun öffentlich-rechtlichen Regionalradios fühlten sich für diese Inhalte verantwortlich.

Das wog für viele frühe HipHopper umso schwerer, da ausländische Radiosender nur schwer zu empfangen waren und diese nur in den wenigsten Fällen offener mit der neuen Kulturform umzugehen wussten.140 In den Radios wurde gespielt, was in den Hitparaden war, und in die Hitparaden gelangte nur, was im Radio zu hören war. Diesen musikalischen Zitierzirkel zu durchbrechen war für HipHop so gut wie unmöglich, auch weil diese Musik- und Kulturform für lange Zeit als das exotisierte Andere betrachtet wurde, von einer Vielzahl von Hörer*innen, aber auch von den meisten Musikredakteur*innen:

„Die haben das verachtet und gemeint, das ist halt so ein Modetrend und das alles völlig unterschätzt, und nicht verstanden, dass eine richtige musikalische Revolution im Gang ist. Aber überhaupt auch mit so einer gewissen weißen Überheblichkeit, mit ihrer weißen Rock-’n’- Roll-Geschichte.“141

140 Weiss (wie Anm. 86). 141 Weingartner (wie Anm. 87). 64

Als Katharina Weingartner 1990 zur Ö3-Musicbox kam, einer einstündigen Sendung, die zwischen 1967 und 1995 täglich lief und sich auf jugendliche und alternative Inhalte konzentrierte, bestimmte weiße Gitarrenmusik das Programm. HipHop verstanden viele in der Musicbox-Redaktion geradezu als einen Affront gegenüber den tradierten Strukturen:

„Ich glaub, das war schon ein Umstoßen von alten Gewohnheiten, von alten Hörgewohnheiten, von so etablierten Wegen. Ich mein, wenn man sich da schon mal 20 Jahre damit beschäftigt, dann ist man verunsichert, wenn man das Gefühl hat, das wird alles umgestoßen und umgewertet.“142

HipHop wurde ver- und missachtet. Nur gegen großen Widerstand und mit der Unterstützung des Sendungsverantwortlichen Werner Geier war es Katharina Weingartner möglich, innerhalb der Musicbox ein 15-minütiges Fenster zu bekommen, in dem einmal wöchentlich über HipHop berichtet wurde. Am Freitag, den 11.5.1990, ging Tribe Vibes & Dope Beats zum ersten Mal auf Sendung und nahm innerhalb kürzester Zeit geradezu sakralen Charakter an.

142 Ebd. 65

4.6. Der wöchentliche Gottesdienst

„Es gab viele Leute, vor allem am Land, die richtig dankbar waren, dass sie durch die Sendung diese Musik hören konnten und uns auch häufig Briefe geschickt haben. Damals gab es sonst keine wirklichen Möglichkeiten an Informationen über Hip Hop und die Musik selbst heran zu kommen. Ich habe auch später immer wieder kennengelernt, die sich zu der Zeit jede Sendung auf Tape aufgenommen haben. Für die war das wie der wöchentliche Gottesdienst.“143

Mit der wöchentlichen Ausstrahlung von Tribe Vibes & Dope Beats begann für viele HipHop-Begeisterte in Österreich eine neue Ära. Erstmals war es möglich, ohne große Umstände über die neuesten Trends und Entwicklungen in- und außerhalb Österreichs informiert zu werden. In der Sendung wurden die neuesten Veröffentlichungen präsentiert, Interviews mit internationalen Stars geführt und ein Klima geschaffen, in dem die österreichische Szene enger zueinander finden konnte. Die Sendung ermöglichte es auch Menschen in der kulturellen Peripherie, am österreichischen HipHop teilzuhaben, nun musste man nicht mehr zwingend in Wien, Linz oder Innsbruck leben, um an die relevantesten Informationen zu kommen.

Katharina Weingartner, die schon sehr früh enge Kontakte zur New Yorker HipHop- Szene knüpfte und das Tribe Vibes-Publikum sehr stark davon profitieren ließ, brachte durch ihre redaktionellen Beiträgen ein internationales Verständnis in den österreichischen HipHop-Diskurs: Die USA waren nun nicht mehr ganz so weit weg, Tribe Vibes brachte die Translokalität in die heimischen Wohnzimmer. Die Sendung emanzipierte die Hörer*innen von ihren lokalen Bezügen, integrierte sie in eine translokale und hybride Gemeinschaft von Gleichgesinnten und half, kulturelle Grenzen zu verschieben, wenn nicht gar einzureißen.144 Tribe Vibes gestattete es dem Publikum, die graue und bisweilen nicht existente österreichische HipHop-Welt zu vergessen, und stiftete einen neuen Sinnhorizont: HipHop und Österreich, das waren keine Widersprüche mehr.

143 Katharina Weingartner zit. nach: Jan Braula: „Wie der wöchentliche Gottesdienst“: Interview mit Katharina Weingartner. In: The Message, 20.2.2011. https://themessage.at/wie-der-wochentliche- gottesdienst-interview-mit-katharina-weingartner/ (29.7.2018). 144 Harris, Anita: Shifting the boundaries of cultural spaces: young people and everyday multiculturalism. In: Social Identities, 15 (2009), H.2, 187-205. 66

Maßgeblichen Anteil daran hatte auch Stefan Biedermann, der unter dem Namen DJ DSL die Zuhörerschaft wöchentlich mit einem neuen, aus aktuellen HipHop-Platten zusammengestellten Mix begeisterte. Diese Kombination, die redaktionelle Beiträge von Katharina Weingartner, welche die Sendung nach nur wenigen Monaten von New York aus betreute, und den einzigartigen, weil in der Form nicht bekannten Musikstücken von DJ DSL machten Tribe Vibes & Dope Beats zum wöchentlichen Highlight eines jeden österreichischen HipHop-Fans.145

Nach etwa einem Jahr stieß auch Werner Geier zur Sendung dazu, die auf eine Sendezeit von einer Stunde ausgedehnt wurde und in weiterer Folge maßgeblich daran beteiligt war, dass österreichische HipHop-Künstler*innen immer mehr mediale Resonanz bekamen. Dank Tribe Vibes & Dope Beats, das mit der Rundfunkreform von 1995 zum neu installierten Sender FM4 wanderte und bis heute einmal wöchentlich ausgestrahlt wird, wurden die frühen österreichischen HipHop- Produktionen sehr bald im Radio gespielt. Die ersten, die davon profitieren sollten, waren die Moreaus, die lange Zeit auch unter dem Namen Dr. Moreau’s Creatures bekannt waren. 1990 veröffentlichte die Band um Sugar B, DJ DSL, Peter Kruder und Rodney Hunter mit „Swound Vibes“ das erste österreichische HipHop-Album. Produziert wurde das Album von Thomas Rabitsch, dem damaligen Bandleader von Falco, unter Vertrag standen die Moreaus bei Markus Spiegel, dem Manager von Johann Hölzel, was wiederum ihre Professionalität illustriert. Gegründet wurde die Gruppe aber nicht als HipHop-Band, vielmehr habe man, wie auch Falco, alle möglichen Einflüsse aufgesaugt, und gegen Ende der 1980er Jahre kamen diese Einflüsse sehr stark aus New York.146 Gerappt wurde auf Englisch und auch musikalisch erinnern die Stücke sehr stark an das US-amerikanische Vorbild, mitunter auch, um auf dem internationalen Markt reüssieren zu können.147 Doch das Album, das ein Jahr vordatiert wurde, um dem Trend etwas voraus zu sein, wurde nicht zum erhofften Verkaufsschlager, auch weil sich in Österreich zu diesem Zeitpunkt noch kein Markt etablieren konnte, es fehlte schlicht das Publikum.148

145 Hörtnagl (wie Anm. 66). 146 Forster (wie Anm. 116). 147 Ebd. 148 Kartak (wie 61). 67

Bereits ein Jahr später gaben die Moreaus ihr Karriereende bekannt, doch mit „Swound Vibes“ haben sie erstmals veranschaulicht, dass HipHop in Österreich produziert werden kann. Sie legten ein Fundament, auf dem die nachkommenden Künstler*innen aufbauen konnten. Im Zuge dieses Albums und der Möglichkeit, durch Tribe Vibes & Dope Beats ein breites Publikum zu erreichen, sahen sich fortan unzählige österreichische Musiker*innen dazu ermutigt, selbst HipHop zu produzieren.

Die neue Öffentlichkeit, welche die Radiosendung stiftete, wirkte wie ein Katalysator auf die österreichische HipHop-Szene und beschleunigte die Entwicklung hin zu einer hybriden österreichischen Form. Dabei hatte die Sendung, trotz der außerordentlich positiven Resonanz, redaktionelle wie finanzielle Hürden zu bewältigen: Noch immer schlug HipHop eine große Skepsis entgegen, vor allem was den spezifischen handwerklichen Umgang mit der Technik anbelangte. Erst ein Bandcontest sollte die lang ersehnte technische Unabhängigkeit bringen und darüber hinaus zum zentralen Integrationspunkt des österreichischen HipHop werden.

68

4.7. Bandcontest, Sampler und Vernetzung

Aber auch als zentraler Integrationspunkt einer neuen und ankommenden Kultur und als wöchentlicher Höhepunkt einer gesamten Generation unterlagen die Sendungsmacher*innen einigen Restriktionen. Tribe Vibes & Dope Beats wurde innerhalb der Musicbox von Anfang an stiefmütterlich behandelt, zu sehr war die Sendung auf Rock- und Gitarrenmusik ausgerichtet; dieser schwarzen und aufbegehrenden Musik, mit Hilfe derer sich zudem häufig Prekarisierte äußerten und festgefahrene Strukturen in Frage stellten, wurde durch die Redakteur*innen in den meisten Fällen mit Ignoranz, immer wieder aber auch mit offener Abneigung begegnet. Alles an HipHop war fremd, die musikalische Umsetzung, die akzentuierten Inhalte und, was in einem Radiostudio besonders schlagend wurde, der handwerkliche Umgang mit der Technik. Das Misstrauen gegenüber dieser neuartigen Kulturform war äußerst groß:

„[...] wir hatten im Studio dort Plattenspieler, die wir nicht selber bedienen durften, das war so absurd so eine HipHop-Sendung zu machen, weil man musste dem Tontechniker die Schallplatten geben und der musste dann die Nadel draufgeben, wir durften nicht einmal das.“149

Die Macher*innen von Tribe Vibes & Dope Beats sahen sich in ihrer Arbeit stark eingeschränkt, an Cutten oder Scratchen, zwei Techniken, ohne die eine moderne HipHop-Sendung nicht auskommen konnte, war nicht zu denken, weil die Plattenspieler der ORF-Radios als sakrale Werkzeuge galten, die nicht von vermeintlichen Dilettant*innen verwendet werden sollten. Schon ein Jahr nach der Gründung dieses so wichtigen Formats wurde die Fortsetzung desselben massiv in Frage gestellt, auch weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur sehr wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stellte. Um Tribe Vibes & Dope Beats jedoch professionell und dem HipHop entsprechend produzieren zu können, wurden vor allem moderne Plattenspieler benötigt, die das Budget dieser Sendung bei Weitem überstiegen.

149 Weingartner (wie Anm. 87). 69

„Und dann war die Idee, um zu Geld zu kommen, um uns ein Studio einzurichten können, geben die [Technics, Anm.] uns Sachspenden, aber dafür müssen wir dieses Event machen, und da war der erste Preis ein Technics-Plattenspieler. Dann haben wir das halt organisiert.“150

Dieses Event, das am 7. Dezember 1991 im Wiener „Volksgarten“ über die Bühne ging und aus einer finanziellen Not heraus geboren wurde, sollte in weiterer Folge zu einem der wichtigsten Abende der österreichischen HipHop-Geschichte werden. Nicht nur, weil HipHop erstmals medienwirksam in die Öffentlichkeit trat und dabei zu wesentlichen Teilen vom landesweit wichtigsten Radiosender unterstützt wurde, viel wichtiger war die Vernetzung im Inneren einer bis dato de facto inexistenten österreichischen HipHop-Szene. Von außen betrachtet war der Tribe Vibes & Dope Beats Contest ein Ereignis, auf das nur sehr wenige Menschen aufmerksam wurden, für die Involvierten selbst wurde der 7. Dezember 1991 aber zu einer Art Geburtsstunde:

„[...] ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal getroffen haben bei diesem Contest, das war halt so aufregend für alle, weil wir haben uns ja alle aus der Radiosendung irgendwie gekannt. Ich hab die Songs gekannt, die Katharina hat Telefoninterviews mit uns gemacht, ich hab die Stimme vom Mathias, vom Functionist, gekannt schon, wir haben uns wirklich ausgemalt, wie die ausschauen. Und dann trifft man sich da und es war wie so ein Veteranen-Klassentreffen, grad dass nicht die Tränen geflossen sind, ja. Das war schon heftig. Wir haben damals schon gewusst, bevor wir uns getroffen haben, dass die genau das Gleiche machen nur halt in Gmunden, und dass die total in der gleichen Situation sind. Die sind total isoliert, die stehen auf dieselbe Kultur wie wir, warum auch immer das zu Stande kommt, und die haben die gleichen Probleme, den gleichen Hussle.“151

Der Contest enthob die unzähligen HipHop-Begeisterten aus ihrer isolierten und insularen Lage, das gilt insbesondere für jene Protagonist*innen, die nicht in Wien aktiv waren. Mit dem Contest begann sich der österreichische HipHop zu vernetzen und zu verdichten, und während man sich bis dorthin nur über das Radio kannte, bildeten sich an diesem und den darauffolgenden Tagen Freundschaften, die eine solide Basis für die beginnende Etablierung einer österreichischen Szene bieten sollten.

150 Ebd. 151 Hörtnagl (wie Anm. 66). 70

Dabei wurde nur eine kleine Auswahl österreichischer HipHop-Schaffender in den „Volksgarten“ eingeladen, lediglich die zehn besten unter hunderten Einsendungen schafften den Sprung auf die Contest-Bühne. Organisiert wurde der Contest von Werner Geier, er war es auch, der österreichische Musikgrößen wie Markus Spiegel, Rudi Dolezal und Falco als Juroren gewinnen konnte. Katharina Weingartner wiederum brachte mit Pete Rock & CL Smooth ein aufstrebendes New Yorker HipHop- Duo auf die Bühne. Prominenter hätte der Contest also kaum besetzt sein können. Und das war auch die Intention von Werner Geier. Der langjährige Radiojournalist, der zu Beginn nichts mit HipHop anzufangen wusste, bereits kurze Zeit später aber als DJ Demon Flowers selbst zu den wichtigsten Pionier*innen des Landes wurde, wollte HipHop in die österreichische Kulturlandschaft integrieren und zu einem diskursiven Umgang beitragen. Werner Geier verstand sich als Botschafter einer neuen, vielerorts misstrauisch beäugten Kultur:

„Es ist sicher noch so, dass Österreich in Bezug auf HipHop ein Entwicklungsland ist, wirklich ein Dritte-Welt-Land. Aber […] viele sagen, HipHop ist schwarze Musik, und HipHop ist hier nicht gewachsen und HipHop klingt ganz monoton, im HipHop klingt alles gleich. Nur Rock ’n’ Roll ist auch keine weiße Erfindung, Rock ’n’ Roll ist auch importiert, HipHop ist jetzt auch importiert, und es ist nur eine Sache des Lebensgefühls, und wenn man das im Radio hört, dann wird das selbstverständlich. Das ist eine Sache des Gefühls und der Einstellung und nicht der Hautfarbe.“152

Werner Geier wollte Österreich „ein wenig HipHop-Flavor“ einhauchen und machte sich daran, dafür Strukturen und Netzwerke zu entwickeln. Der Contest war dabei nur ein Anfang – schon früh in der Planungsphase wurde beschlossen, die Gewinner des Contests auf einem Sampler zu veröffentlichen und somit ein Bild von der noch jungen österreichischen HipHop-Szene zu zeichnen. Es sollte die erste Bestandsaufnahme in Sachen HipHop sein und gilt bis heute als eine der wichtigsten Etappen auf dem Weg zu österreichischem HipHop.

Nur wenige Monate nach dem Contest wurde Austrian Flavors Vol. 1 im ORF Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße aufgenommen. Produziert wurde der Sampler von DJ DSL und DJ Demon Flowers, als Tontechniker zeigte sich Karl

152 Werner Geier, Ö3 Musicbox, 7.12.1991. https://soundcloud.com/the-message-magazine/tribe- vibes-dope-beats-contest (4.8.2018). 71

Petermichl verantwortlich. Acht Titel fanden auf der Platte Platz, vier pro Seite, wobei auf der B-Seite die Instrumentals überwiegen.

Strong Force, eine Gruppe bestehend aus Rodney Hunter, Blunted Source und DJ DSL führen mit dem Lied „Exotic Flow“ in die Platte ein, den zweiten Track, produziert von Peter Kruder, steuerten Total Chaos mit „Muthaland“ bei, danach sind mit Compact Phunction und dem Lied „Back To Attack“ Musiker wie DJ Demon Flowers und DJ Northcoast, der heute wiederum als DJ Functionist wichtiger Bestandteil des Radiosenders FM4 ist, zu hören. Abgerundet wird die Seite A mit Family Bizness, einem Zusammenschluss aller hier bereits Genannten, sowie DJ Cutex, DJ Megablast und MC Graffiti.

Austrian Flavors Vol. 1, dessen Cover Oliver Kartak gestaltete, gilt vielen als Geburtsstunde des österreichischen HipHop,153 trotz der Tatsache, dass mit „Swound Vibes“ von den Moreaus bereits zwei Jahre zuvor ein HipHop-Album einer österreichischen Band veröffentlicht wurde. Denn obwohl auf dem Sampler ausschließlich auf Englisch gerappt wird, stellt die Platte einen Meilenstein in der Entwicklung einer österreichischen Spielart dar – deutsche Raps waren 1992 schlicht noch kaum bekannt, auch die deutschen Pioniere Advanced Chemistry, die auch vielen österreichischen Protagonist*innen ein wichtiges Vorbild sein sollten, veröffentlichten just in diesem Jahr ihr deutschsprachiges Album „Fremd im eigenen Land“. Unabhängig von der Verwendung der deutschen Sprache aber, die ohnehin bald darauf tonangebend werden sollte, zeigte Austrian Flavors Vol. 1 erstmals, welches Potenzial in Österreich vorhanden war. Zwar bestanden in dieser Zusammensetzung lediglich Total Chaos für längere Zeit weiter, doch DJs und Rapper wie Rodney Hunter, DJ Cutex oder DJ DSL sollten von hieran das österreichische HipHop-Geschehen maßgeblich mitbestimmen. Werner Geier und Katharina Weingartner, sowie die Jury des Contests im „Volksgarten“ bewiesen viel Gespür für die Qualität der teilnehmenden Musiker*innen und können somit ohne Zweifel als wichtige Wegbereiter*innen eines österreichischen HipHop bezeichnet werden. Denn

153 The Message: Trailer 20 Jahre österreichischer HipHop – Austrian Flavors. https://youtu.be/oLKM9Bkxna8 (4.8.2018). 72 innerhalb der immer größer werdenden Szene wurde der Contest und insbesondere der Sampler als Bestätigung und Aufforderung verstanden:

„Mit viel Liebe und vor allem viel Arbeit hergestellt ist ‚tribe vibes-dope beats‘ ganz sicher ein mehr als brauchbarer Beitrag zur Community. Hoffentlich bringt das den Stein ins Rollen, jedenfalls ist der Anfang gemacht, und das kann nur eines heißen: jeder ist eingeladen, seinen Beitrag zur Community zu bringen. In welcher Form auch immer; laßt knallen Leute, jetzt geht’s los!“154

Dementsprechend muss Austrian Flavors Vol. 1 als der Startschuss zu einer beschleunigten Entwicklung hin zu österreichischem HipHop gelesen werden. In den Monaten und Jahren nach dem Sampler veröffentlichten immer mehr heimische Musiker*innen ihre Alben und drängten mitunter sogar in den österreichischen Mainstream. Das Jahr 1992 kann somit als ein Wendepunkt verstanden werden, für die HipHop-Szene genauso wie für die mediale und gesellschaftliche Öffentlichkeit. Denn mit der stetigen Professionalisierung der österreichischen Produktionen und dem zusehends wachsenden Erfolg des internationalen HipHop veränderte sich auch die allgemeine Einstellung gegenüber dieser neuen Kulturform. Auch wenn die Ignoranz und das Misstrauen nur langsam abnahmen, stieß HipHop nach und nach auf mehr Akzeptanz und konnte sich in dieser Entwicklung als eine glokale Spielart etablieren.

154 Harald Renner in: skug 13 (1993), 45. 73

4.8. Austrian Flavors und die Etablierung einer österreichischen Szene

Ermutigt von den neu entdeckten Möglichkeiten und dem vorhandenen Potential wagten sich immer mehr österreichische HipHop-Protagonist*innen daran, selbst zu produzieren und zu veröffentlichen. Allen voran Schönheitsfehler, die gemeinhin als erste österreichische HipHop-Band gelten. Während die Moreaus sich ihrer Zeit voraus noch sehr stark an den amerikanischen Vorbildern orientierten und mitunter weniger spezifisch klangen,155 versuchten Schönheitsfehler sehr rasch einen eigenen Stil zu finden und mit Hilfe dessen die eigenen Lebensumstände zu thematisieren. Angefangen als Ghetto Hip Hop Sound System und Gainful Gallivants, zwei Projekte, in denen noch eine Vielzahl unterschiedlicher Einflüsse aufeinandertrafen, entwickelte sich Schönheitsfehler spätestens 1993 zu Österreichs wichtigster HipHop-Band.

„[...] bei Schönheitsfehler haben wir dann den Wunsch gehabt, dass wir mehr auf Deutsch machen, dass wir schon noch anderen Sprachen verwenden, wenn wir Lust dazu haben, dass wir aber der Verständlichkeit halber, weil wir halt Inhalte vermitteln wollten, vermehrt auf Deutsch rappen. Bei Schönheitsfehler war auch von Anfang an klar, wir machen keine Dubplates und keine Kassetten, sondern wir wollen so schnell wie möglich eine eigene Platte auf Vinyl draußen haben.“156

„Broj Jedan“ hieß das erste Album der Band und wurde in Eigenregie produziert, gepresst und vertrieben. In Zuge dessen wurde mit Duck Squad auch das erste österreichische HipHop-Label begründet, das in weiterer Folge von enormer Wichtigkeit für die nachkommenden Musiker*innen sein sollte. „Broj Jedan“, Serbokroatisch für „Nummer Eins“ und somit auf die multi- und transnationale Lebenswelt der Bandmitglieder anspielend, war des Weiteren das erste deutschsprachige HipHop-Album einer österreichischen Band. Knapp tausend Stück konnten von dem wegweisenden Album abgesetzt werden und mit „Ich dran“ schaffte es auch erstmalig eine HipHop-Nummer zum Ö3-Treffpunkt-„Hit der Woche“. In dem Lied, das mit einem Helmut-Qualtinger-Sample beginnt, prangern Schönheitsfehler den alltäglichen Rassismus gegenüber jugoslawischen Gastarbeiter*innen, den „Tschuschen“ an, und adaptieren den politischen Impetus des internationalen HipHop

155 Kartak (wie Anm. 61). 156 Weiss (wie Anm. 86). 74 den österreichischen Verhältnissen entsprechend. Auf „Broj Jedan“ thematisieren Schönheitsfehler wie kaum ein österreichisches HipHop-Projekt vor ihnen die ihnen bekannte Lebenswelt im habituellen Gewand dieser transnationalen Kulturform.

Auch Total Chaos aus Innsbruck, die sich Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre sehr stark am US-amerikanischen Gangsterrap orientierten und in einem ersten Schritt versuchten, diesen detailgetreu zu imitieren, entwickelten sehr rasch eine eigene Sprache. Während der Beitrag der Tiroler HipHop-Band auf dem Sampler Austrian Flavors Vol. 1 noch in englischer Sprache gestaltet war, erwies sich das Debutalbum aus dem Jahr 1995, das auf dem Label Duck Squad veröffentlicht wurde, in seiner Entwicklung als sehr viel weiter.157 „... aus dem wilden Westen“ zeugt nicht nur vom Mut, die deutsche Sprache zu verwenden, sondern auch vom Selbstvertrauen, einen eigenen Weg eingeschlagen zu haben, nicht umsonst gelten Total Chaos mitunter als die ersten, die Conscious Rap samt seiner politischen und sozialkritischen Aussagen nach Österreich übersetzten.

Mit Texta aus Oberösterreich betrat auch eine dritte Band, die auf Duck Squad veröffentlichte, österreichisches HipHop-Neuland. 1995 produzierte sie ihre erste EP „Geschmeidig“ und war von diesem Zeitpunkt an das österreichische Aushängeschild in Sachen Dialektrap. Wie Total Chaos erregten auch Texta in Deutschland großes Aufsehen, auch weil beide Bands regelmäßig mit deutschen HipHop-Größen wie , Massive Töne oder Blumentopf tourten. Schon Mitte der 1990er Jahre war österreichischer HipHop über die Grenzen hinaus bekannt und gefragt, vor allem weil neben Duck Squad das Label Uptight, das von Werner Geier und Rodney Hunter betrieben und geführt wurde, österreichischen HipHop mit internationaler Ausrichtung produzierte.

Bands wie die Untergrund Poeten, die Fünfhaus Posse, Illegal Movement, Das dampfende Ei oder die Aphrodelics, die alle Anfang und Mitte der 1990er Jahre begründet wurden, zeugen vom nachhaltigen Wachstum der österreichischen Szene. Alle diese Projekte waren keine Kopien oder Imitate des US-amerikanischen HipHop, vielmehr waren diese Bands eine erste Generation österreichischer HipHopper, die

157 Hörtnagl (wie Anm. 66). 75 es verstanden, den transnationalen HipHop „mit bestehenden kulturellen Traditionen und sozialen Bedingungen zu kombinieren, [diesen] zu (re)kontextualisieren [und] umzudefinieren.“158 Sie waren Bricoleure, welche ihre genuine Lebenswelt im glokalisierten Kontext des HipHop thematisierten.

Mitte der 1990er Jahre begann sich mit den hier erwähnten Musiker*innen – und zahlreichen mehr, die hier nicht alle aufgezählt werden können – ein österreichischer Kanon aufzutun und sich zu einer österreichischen Besonderheit zu entwickeln. Die HipHop-Begeisterten Österreichs nutzten das vermeintliche US-amerikanische Original als Schablone und rekontextualisierten dieses in einem dritten Raum samt der inhärenten Differenzen, Ambivalenzen und Widersprüche zu einer neuen Form.159

Total Chaos, Schönheitsfehler und Texta überwanden die essentialistischen und ethnisierten Zuschreibungen, die HipHop für lange Zeit anhängten, und stifteten eine eigene Spielart. Um mit de Certeau zu sprechen, wurde Mitte der 1990er Jahre die dritte Phase der Aneignung erreicht: Nach einer ersten Rezeption der Musik und dem Kauf von Konsumobjekten, der erstmaligen selbstständigen Ausführung der kreativen Praktiken des HipHop, eigneten sich die österreichischen HipHop-Künstler*innen zusehends einen reflexiven und kritischen Charakter an, mit Hilfe dessen sie sich in ihren Raptexten mit der eigenen Lebenswelt auseinandersetzten.160

„Ich glaub, so funktioniert überhaupt Aneignung, nicht? Zuerst imitierst du und dann entweder du selber oder andere, weil sie aufbauen auf dem, was andere schon nachgemacht haben, entsteht was Eigenes.“161

Authentizität, „realness“ also, wurde nicht mehr über die möglichst detailgetreue Imitation des US-amerikanischen HipHop hergestellt, sondern vielmehr durch die Emanzipation vom großen Vorbild:

158 Bock (wie Anm. 18), 321. 159 Bonz (wie Anm. 53), 136. 160 Winter (wie Anm. 33), 224f. 161 Kartak (wie Anm. 61). 76

„Es kommt immer nur darauf an, wie du damit umgehst, ob du das einfach fladerst und sagst ich bin der lässigste, nur weil ich diese Musik mache, oder ob du dich wirklich damit beschäftigst und was Eigenes machst.“162

Immer mehr österreichische HipHop-Musiker*innen wagten, „etwas Eigenes“ zu machen, und die eigene Lebenswelt mit Hilfe der alltagskulturellen Praktiken, die HipHop zur Verfügung stellt, zu thematisieren. Mitte der 1990er Jahren und in den darauffolgenden Jahren glokalisierte sich HipHop in Österreich, vereinte internationale Trends und Entwicklungen, sowie lokale Bedingungen und vermeintliche Traditionen zu etwas Neuem, zu einem hybriden Dritten – zum Austrian Flavor, dem österreichischen HipHop.

162 Stefan Biedermann, zit. nach: skug, 10 (1992), H.3, 40. 77

4.9. Österreichischer HipHop im Jahr 2018

Rasch wurde aus dem Austrian Flavor Austrian Flavors im Plural, sehr bald nach der Etablierung einer österreichischen Lesart diversifizierte sich HipHop – in Österreich und auch anderswo. Den österreichischen HipHop gibt es im Jahr 2018 nicht, und hat es wohl auch zwanzig Jahre zuvor nicht gegeben.

Mit den Erfolgen von Texta, Schönheitsfehler und Total Chaos, die zwar in den heimischen Charts nie wirklich reüssieren konnten, aber für einige Jahre aus dem deutschsprachigen HipHop nicht wegzudenken waren, stiegen auch immer mehr große Plattenfirmen, sogenannte Major Labels, in das Geschäft ein. Spätestens seit der Jahrtausendwende war klar, dass HipHop keine schnelllebige Modeerscheinung war, kein Trend, der wieder verschwinden sollte, sondern vielmehr die bis dato dominanteste und vor allem auch finanziell erfolgreichste popkulturelle Erscheinung darstellt, auch in Österreich. Schon bald entstanden innerhalb des österreichischen Kanons Spielarten, die sich einerseits an internationalen Trends orientierten und andererseits sehr stark an die österreichischen kulturellen und musikalischen Traditionen anknüpften. Prominentestes, weil auch offensichtliches Beispiel ist der Dialekt-Rap, der in seiner sprachlichen Ausdrucksform von Region zu Region variiert und sich sehr stark auf das Lokale bezieht. Heute bestehen in Österreich unzählige Stratifikationen und Diversifizierungen neben- und miteinander, die von einer österreichischen HipHop-Landschaft voller Variationen zeugen.

Was den österreichischen Markt aber grundlegend von anderen vergleichbaren unterscheidet, ist die Tatsache, dass sich in den heimischen Charts kaum österreichische HipHop-Künstler*innen wiederfinden. Anders als in Deutschland, wo schon früh Bands wie oder Fettes Brot zum Inbegriff des deutschen HipHop wurden und bereits Mitte der 1990er an den Spitzen der Hitparaden standen, stellte sich der ökonomische Erfolg für den österreichischen HipHop bisher nicht ein. Ob dies an der fehlenden Urbanität163 oder an mangelnder Professionalität164 liegt, kann hier nicht beantwortet werden, doch bleibt es augenscheinlich, dass dem Großteil der österreichischen HipHop-Künstler*innen der

163 Hertel (wie Anm. 82) 164 Shaked (wie Anm. 109). 78

Eingang in den Mainstream verwehrt blieb, obwohl sich HipHop in Österreich durchaus großer Beliebtheit erfreut. In den heimischen Charts, welche durch die veränderten Hörbedingungen vor allem jüngerer Menschen nicht mehr zwingend ein allumfassendes und ganzheitliches Bild des nationalen Musikkonsums abbilden, stehen immer wieder internationale und insbesondere deutsche HipHop- Künstler*innen an der Spitze.

Einen österreichischen HipHop-Nummer-Eins-Hit gab es bis heute überhaupt nur einmal: Die oberösterreichische Band Trackshittaz gelangte mit „Oida Taunz“ im November 2010 bis an die Spitze der Hitparaden und wurde zwei Jahre später sogar als österreichische Vertreter zum Eurovision Songcontest nach Baku geschickt. Einen vergleichbaren Erfolg konnte nur Skero, ehemaliges Mitglied von Texta, erreichen: „Kabinenparty“ wurde 2012 zum österreichischen Sommer-Hit. Diese beiden bilden jedoch eine Ausnahme, österreichischer HipHop spielt sich auch 2018 weitgehend abseits der Charts und des Mainstreams ab, und nur wenige können nachhaltig davon leben. RAF Camora oder Nazar, der sich 2016 prominent mit dem damaligen Bundespräsidentenkandidaten Alexander van der Bellen auf einem Foto präsentierte, gehören heute neben Yung Hurn zu den erfolgreichsten österreichischen HipHoppern, feiern ihre größten Erfolge aber in Deutschland.

Die österreichische HipHop-Szene ist auch im Jahr 2018 eine kleine und verhältnismäßig übersichtliche geblieben, während der Markt für HipHop in Österreich von Jahr zu Jahr zu wachsen scheint. Warum dieser jedoch hauptsächlich von ausländischen Künstler*innen bespielt wird, und warum sich in Österreich bis dato kein Star von internationalem Format etablieren konnte, bleibt schwer zu beantworten. An der Qualität und dem Selbstverständnis der österreichischen Musiker*innen liegt es wohl nicht, dieses gilt vor allem innerhalb der Szene als unbestritten. Denn der Austrian Flavor erfreut sich auch fernab von Chartserfolgen und vom Interesse des Mainstreams großer Beliebtheit und hat seine Nischen gefunden. Nischen, die vor rund dreißig Jahren so noch nicht denkbar gewesen wären. Doch trotz anfänglicher Ignoranz und Abneigung, trotz großer Hindernisse und einer zähen Opposition ist österreichischer HipHop heute etabliert. 2018 ist der Austrian Flavor facettenreicher Bestandteil eines globalen popkulturellen Phänomens und reiht sich in die mannigfaltige und differenzierte historische Entwicklung des HipHop ein. 79

5. CONCLUSIO UND AUSBLICK

Wann genau HipHop nach Österreich kam und wann wiederum daraus österreichischer HipHop wurde, lässt sich auch nach der intensiven Beschäftigung mit der Thematik nicht zweifelsfrei feststellen – zu starr und festgefahren sind derartige Fragestellungen, um sie mit dem fluiden und hybriden Charakter kultureller Erscheinungen in Verbindung zu setzen. Eine eindeutige und objektivierbare, das heißt allgemeingültige, Antwort kann es daher nicht geben: Für diejenigen, die ein offenes und inklusives Verständnis von HipHop haben, kann diese Kulturform schon mit den ersten, auch in österreichischen Radios gespielten Hits sowie der Aneignung typischer Kulturtechniken durch Künstler*innen wie EAV, Falco oder Edelweiss in Österreich angekommen sein. Andere wiederum, die ein exklusives Verständnis von HipHop vertreten, sehen diese Kulturform erst mit der Begründung rudimentärer Strukturen und der Veröffentlichung erster heimischer Tonträger als tatsächlich etabliert. Die Beantwortung der Frage hängt somit sehr stark von subjektiven Empfindungen ab.

Dabei bleibt der Blick aber immer – so auch in dieser Arbeit – auf die „Aktiven“ gerichtet, jene Personen, die HipHop nicht nur „passiv“ konsumierten, sondern sich diesen auch produktiv aneigneten. Vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung spielen diese „Passiven“ aber eine wesentliche Rolle: Durch den differenten Kleidungsstil und die sprachlichen Besonderheiten, sowie durch die habituellen Veränderungen im Allgemeinen, die HipHop mit sich brachte, drängten sich die Codes und damit das Verständnis um die Entwicklung einer neuen kulturellen Erscheinungsform auch der Mehrheit der Gesellschaft auf, die bisweilen keine Kenntnis von diesen Prozessen hatte. Wie auch Graffiti schrieben sich „Passive“ wie „Aktive“ in die Städte ein und wurden im diskursiven und subversiven Umgang mit dem hegemonialen Zeichensystem zu Markern für die Ankunft und Etablierung des HipHop. All dies geschah nicht ad hoc, sondern spielte sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten bis heute ab.

Dabei ist die Aufrechterhaltung der dichotomen Zuschreibungen „passiv“ und „aktiv“, wie weiter oben schon beschrieben, ebenso wenig zielführend wie die strikte Differenzierung zwischen „HipHop in Österreich“ und „österreichischem HipHop“. Die

80

Hinwendung zu einer österreichischen Spielart, zum Austrian Flavor, kann lediglich als eine durchwegs fluide und keineswegs teleologische Entwicklung verstanden werden. Die Identifikation als österreichischer HipHop lässt sich weder über die Verwendung der österreichischen Sprache und Dialekte oder über die Verwendung österreichischer Samples noch über die Bestimmung als österreichische Künstler*innen herstellen – österreichischer HipHop ist nicht per essentialistischen und ethnisierten Zuschreibungen zu definieren, sondern vielmehr durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt. Darüber hinaus sind die Grenzen zwischen diesen beiden Idealtypen unscharf und im Kontext einer glokal agierenden kulturellen Erscheinungsform auch nicht zwingend nötig. Wer sich wie der Großteil der in Österreich aktiven HipHop-Künstler*innen als Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft fühlt, für den- und diejenige werden ethnische und nationale Zuschreibungen zusehends unwichtiger. Als österreichischer HipHop kann also die sprachliche, musikalische, tänzerische und künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt im Gewand der global verbreiteten und lokal angeeigneten Kulturtechniken des HipHop verstanden werden. Österreichischer HipHop ist, das Globale im Lokalen zu finden.

Besonders bemerkenswert dabei ist, wo HipHop-Enthusiast*innen überall fündig wurden: Manche wurden durch die frühen HipHop-Filme beeinflusst, andere kamen über die Computerkultur in Kontakt, wieder andere durch Tapes von Freunden, durch Reisen, eine Schlagzeile im Bravo oder schlicht durch Zufall. Die Tatsache, dass so viele unterschiedliche Menschen auf verschiedenen Wegen zu HipHop gekommen sind, zeugt vor allem auch von der großen Diversität der HipHop-Kultur. Als eine Kultur, die zu großen Stücken als eine Bricolage verstanden werden muss – man denke nur an das so typische Sampling der DJs – konnte HipHop in so gut wie jeder Nische einen Platz finden und dort auch entdeckt werden. HipHop war schon früh diese globale Kultur, die es perfekt verstand, auf die jeweiligen lokalen Verhältnisse einzugehen und sich diese zu eigen zu machen.

Heute gilt HipHop als die erfolgreichste und am längsten relevante Popkultur aller Zeiten. Und auch in Österreich ist ein bedeutender Markt für HipHop entstanden, auch wenn dieser nicht von österreichischem HipHop bespielt wird. Die heimischen Hitlisten werden bestimmt von internationalen und bisweilen auch deutschen Produktionen, 81 weder Künstler*innen der ersten und zweiten Generation noch aktuelle Musiker*innen konnten sich – mit einigen wenigen Ausnahmen – im Mainstream etablieren. Während der Markt immer größer wurde, verblieb die heimische Szene klein und überschaubar. Warum das so ist, bleibt auch für Kenner*innen und Protagonist*innen weiterhin eine bedeutende Frage. Ob eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen zu befriedigenden Antworten kommen kann, kann hier nicht weiter erörtert werden.

Auch in dieser Arbeit mitunter vernachlässigte gender- und geschlechterspezifische Fragen können möglicherweise auch nach weitergehender Forschung nicht beantwortet werden: Trotz der in Österreich kaum vorhandenen Kommodifizierung des heimischen HipHop dominieren die kleine Szene fast ausschließlich männliche Künstler. Warum weibliche Protagonistinnen auch in Österreich meist exkludiert und in die „passive“ Rolle der Konsumentinnen gedrängt werden, bleibt eine spannende Frage. Zudem bedarf es in der weiteren wissenschaftlichen Beforschung von österreichischem HipHop einer vertieften Auseinandersetzung mit den textlichen Inhalten. Auch dieser Detailfrage – wie zahlreichen anderen – konnte in der vorliegenden Arbeit nicht der entsprechende Platz eingeräumt werden.

Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass „Austrian Flavors. Wie HipHop nach Österreich kam“ als eine erste und einführende Überblicksdarstellung gelesen werden will. Dass nach der Lektüre daher mehr offene Fragen als verbindliche Antworten stehen, soll nicht als ein Manko, sondern vielmehr als eine Aufforderung an die geistes-, kultur-, sozial- und sprachwissenschaftlichen Institutionen verstanden werden. Denn die Erforschung des österreichischen HipHop steht erst am Anfang.

82

83

6. INTERVIEWS

6.1. Karl Fluch, Wien, 10.1.18

Bitte stell dich mal vor: wer bist du, was machst du? Karl Fluch, 50 Jahre alt, nichts gelernt, bin seit 28 Jahren beim Standard, seit über 20 Jahren schreibenderweise, und hab mich davor immer schon für Musik interessiert seit meiner Kindheit, Schuld ist wahrscheinlich meine Mutter, weil die immer Platten gekauft hat und dann angefangen hat, mir Platten zu kaufen. Und so ist das, glaub ich, losgetreten worden. Ich schreib seit über 20 Jahren über Popmusik, hauptsächlich über Popkultur-Phänomene, Literatur, Film, Fernsehen, etc.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit dem Popphänomen HipHop erinnern? Erinnern kann ich mich nicht, nein. Weiß ich nicht, was das war. Wahrscheinlich war’s retrospektiv betrachtet die Nummer von Blondie, die mit dem, die mir jetzt gerade nicht einfällt, „Rapture“ heißt die natürlich, wo sie so das erste Mal die Props verteilt an die Jungs. Aber ob ich das damals mitkriegt hab und ob das was mit HipHop zu tun gehabt hat, glaub ich nicht. Das ist später aufgetaucht. Ich hab‘ damals Spex gelesen und Musicbox gehört, also die beiden Quellen, die es damals gab, und dann ist das halt daher gekommen und dann hat man sich das halt auch angehört. Aber quasi den inition moment gab es nicht.

Blondie würde man jetzt per se ja nicht unbedingt mit HipHop verbinden: was macht den für den Musikkritiker Karl Fluch HipHop aus? HipHop ist eine Straßenkultur, das ist eine, also die Fortsetzung der afroamerikanischen Musikkultur, die sie aus dem Blues, eigentlich geht es noch weiter, wenn man die Diaspora, oder eigentlich ist ja alles Diasporamusik. Wenn wir zurückgehen nach Westafrika, quasi begraben liegt als Keim – also es ist Straßenmusik und es ist auch ein Destillat aus dem, was die Nachkommen der afrikanischen Sklaven in Amerika daraus gemacht haben, die halt aus Jazz und Blues und Rock n Roll und was halt da alles entstanden ist destilliert wurde, aus Soul natürlich, dann später aus Funk, und es gibt ja sogar die Housemusic bezieht sich unmittelbar auf die Basstrommel aus dem Gospel, das hängt ja alles zusammen, ja.

84

Und der Geier hat mal was Schönes gesagt, er hat gesagt, für ihn ist das quasi ein Aggregat, es geht ihm um die Aggregatzustände des Funk, ja, grad beim HipHop, später dann auch mit diesen TripHop-Geschichten. Und das ist, glaub ich, für die, nachdem das quasi der Anschluss war nach Funk und Disco ist das wahrscheinlich eine sehr schöne Beschreibung für HipHop, so als der Aggregatzustand des Funk damals.

Was hast du denn bei solchen Künstlern wie Grandmaster Flash, Kool DJ Herc, etc. gedacht? Das hab ich nicht gehört, eine der ersten Sachen, die ich gehört hab, waren LL Cool J und Public Enemy, das war dann auch mein erstes HipHop-Konzert, das ich gesehen hab und vor allem Public Enemy war für mich so eine Art Fortsetzung der anderen Dinge, die ich gehört habe, so Industrial, also Einstürzende Neubauten und Public Enemy haben für mich durchaus Verwandtschaft gehabt. Das war lärmige, aggressive Befreiungsmusik, das mit dieser, natürlich ein bisschen mit dieser Unterdrückungshistorie, die auch aus der Schule kannte, also Sklaverei, Bürgerrechtsbewegung, das habe ich in der Schule gelernt, und dann war das so ein Nachwehen der Punkmusik und überhaupt vom Gestus des Rock n Roll her quasi stimmig, weil das halt so Musik war, die aufbegehrt hat. Das hat sich dann auch mit der Zeitenwende ’89 gut ergeben mit dem Fall der Mauer und quasi die guten Kräfte schienen da eine Zeit lang überhand zu haben. Es hat sich damals so gefügt, dass Sonic Youth mit Chuck D mal was gemacht haben plötzlich und REM mit KRS One und so, das hat alles zusammengepasst und war stimmig. HipHop war da plötzlich Teil von einem großen Ganzem schon, also nimmer dieses Isolierte, weil schwarze New Yorker Ghetto-Ding, wo man sich nicht hin traut, sondern das war dann sehr schnell in einem viel größerem Kontext. Also schnell im Sinne meiner Wahrnehmung, weil das Ganze hat natürlich schon viel früher begonnen, als ich das mitgekriegt habe, oder wir hier, aber als Mitte der 80er Jahre, 86 oder so, wie ich das bekommen hab mitzukriegen, da hat’s sich das peu à peu so gefügt.

Aus welchen Medien hat man denn – auch als außenstehender Beobachter wie du – die Informationen bezogen? Das war Spex und die Musicbox. Also da hat mein Hausaufleger, der Geier, angefangen, nicht nur mehr weiße Sensenmänner in schwarzen Kostümen zu spielen, 85 sondern ist plötzlich mit dieser komischen „Negermusik“ daherkommen und hat nicht nur mich, sondern viele seiner Hörer vor dem Kopf gestoßen. Wobei es eine lustige Anekdote von der Katharina Weingartner gibt’s um den Mythos Werner Geier als großer Beförderer der HipHop: die hat gesagt, sie hat eigentlich die ersten HipHop- Platten mitgebracht und er hat damals zu ihr gesagt, „was da der Unterschied zwischen MiniVanilli und dem is, musst mir aber a zerst erklären.“ Also es war für alle hier komplettes Neuland, das lässt sich zumindest an dieser Anekdote ablesen und das waren definitiv meine ersten beiden Wahrnehmungsquellen.

Wie hat sich das dann weiterentwickelt? Hat man dann selbst angefangen, Platten zu kaufen? Klar, es gab sofort die Platten über die einschlägigen Bezugsquellen. Ich kann mich erinnern, ich weiß es jetzt nicht mehr genau, im Why Not nein da gab’s auch schon HipHop, frühe Platten, die ich gekauft hab, waren Boo-Yaa Tribe, LL Cool J, Public Enemy natürlich und Rave Up gab’s dann auch plötzlich HipHop zu kaufen. Also es gab’s dann schon überall, ja. Es gab halt dann, ich weiß jetzt nicht genau, wann die Stereo MCs angefangen haben, aber das ist auch stark über eine Werner Geier Verbindung dann halt hier in die österreichische Öffentlichkeit getragen worden, wenn ich das richtig in Erinnerung hab, das war so späte 80er Jahre wiederum, wo ich damals aufgehört hab, Musicbox zu hören, weil sie dann am Abend, in den Abend verlegt worden ist und ich nie zu Hause war. Aber es gab dann schon die ersten Konzerte, also ich kann mich erinnern, die Stereo MCs in der Szene Wien war ein sehr einschneidendes Erlebnis für viele. Es gab im „Volksgarten“ natürlich mit seiner Affinität für schwarze Musik erste Sachen, wobei ich nicht dort war damals, also vielleicht ist das auch ein Blödsinn und es war erst später mit der ganzen Galliano- Abteilung, da müsste man den Samir Köck vielleicht mal fragen, der war der sehr involviert. Und dann ging eh das Spex über mit Schwerpunkten zu dem Thema, dann sind ja in Deutschland erste Acts aufgetaucht, wobei das hat ja niemand richtig ernst genommen. Da gab es ja die große Frage, ob man das als weiße Mittelschichtkids überhaupt darf und so.

86

Wie war denn die Reaktion, als diese „weißen Mittelschichtkids“ angefangen haben, HipHop zu machen? Ich hab mir das kaum angehört, ich kann mich erinnern, ich hab vor ein paar Jahren ein altes Spex in Händen gehabt, an das musste ich gerade beim Hergehen denken, da waren vorne drei pampige, weiße, 18-jährige Hamburger oder von sonst wo, so mit Baseball-Mützen und blöden Gesten, so richtige Pickelgesichter, ich weiß nicht mehr wie die hießen, und das hab ich mir damals, wie das Spex wieder gefunden hab, also fast 30 Jahre später auf YouTube angehört und es war erstaunlich funky. Also ich hab‘ das damals nicht wahrgenommen oder ich hab das nicht ernst genommen und wahrscheinlich auch ein bisschen abgelehnt, weil Authentizität ist so bei relativ Jugendlichen, von einer relativ jugendlichen Attitüde her war das halt wichtig. Und es war ganz einfach so die Frage „Schmied oder Schmiedl“? Also lass ich mir von einem schwarzen aus der Bronx was über Streetlife erzählen oder von dem Typen aus Bochum? Und da fiel die Wahl nicht schwer.

Wer waren neben Katharina Weingartner und Werner Geier in deinen Augen noch weitere wichtige Protagonist*innen beim Transfer der Kulturform HipHop nach Österreich? Also mir fallen nur die beiden ein. Also es gab da natürlich über solche Bands wie Moreau’s Creatures erste Vereinnahmungen und Eingemeindungen dieses Stils, oder in die Richtung gehend, das haben wir dann bei Sugar B und Kruder und der ganzen Partie, wobei ich jetzt nicht im Kopf habe, wann das war. Es war dann halt wirklich, sehr viel ging über Spex hauptsächlich bei mir, ich hab‘ damals auch keine schwarzen Musikmagazine gelesen, also Source oder so, keine Ahnung, ob’s das überhaupt schon gab. Ich hab dann angefangen ’91, nach Amerika zu fahren, jedes Jahr eigentlich immer mindestens zwei Mal, weil ich Freunde in New York hatte, und dann hab ich dann immer Sachen mitgebracht, da hab ich dann auch immer Sachen gesehen, da war ich dann auch im SOBs, da hat der KRS One einmal in der Woche einen Club gehabt, ich weiß nicht, ob das damals noch Boogy Down Productions war oder schon KRS One, kann ich gar nicht mehr sein. Das war nicht Sons of Bitches, sondern Sounds of Brazil, da bin ich einmal dort gewesen, irrsinnig spät und er hat da tatsächlich aufgelegt und gescratcht und gerappt, den hab ich dann auch mal im Central Park gesehen, ich glaub, ein Jahr später. Ja, so ging das dahin. Und dann hab 87 ich halt in irgendwelchen Plattenläden, die es damals noch zu Hauf gab in New York, bin ich reingegangen, hab gehört, was da läuft und hab halt was mitgenommen.

Also auch für die waren die USA als Ursprungsland des HipHop der wichtigste Bezugspunkt? Das ganz klar, ja.

Wo waren in Österreich die Hotspots? Naja, die Punks in Linz haben ja entdeckt, dass das genauso aufbegehrerisch ist und renitent sein kann und haben, ich weiß nicht wann Texta begonnen haben, aber ich glaub, die gibt’s 30 Jahre oder so, um den Dreh, das war halt wahrscheinlich ein Hotspot. Also Hotspot ist ein großes Wort, das waren wahrscheinlich eine Hand voll Kasperln und genauso in Wien, ja. Also da war’s dann wieder der Geier, der so angefangen hat mit Scratchen, mit HipHop Fingers hat er ja „Boundaries“ gemacht, die Wiener Contest Nummer, die dann gleich international ein Hit geworden ist, das war ’89 oder so. Das war das erste Mal, als der Werner gescratcht hat, das weiß ich noch, weil das hat er mir mal erzählt, also um die Zeit war das halt. Also den Hotspot hat er gemacht, weil er hat halt aufgelegt. Ich weiß nicht, ob er bei dem Abend im U4 noch gehabt hat, aber der hat ja eine Gemeinde nach sich gezogen und Jünger und aus denen heraus sind ja viele gekommen und ist ja vieles entstanden. Der Makossa zum Beispiel kann da sicher was sagen.

Wie viel Punk, wie viel politisches Aufbegehren war denn zu Beginn im HipHop in Österreich? Das weiß ich nicht, weil ich hab mir das damals nicht freiwillig angehört. Ich hab gewusst, dass es diese Texta gibt, also mit deutschsprachigen Rap stehe ich eigentlich bis heute auf Kriegsfuß, also nicht auf Kriegsfuß, aber er ist mir egal. Also sowas wie Fanta 4, das hat vielleicht seine Momente gehabt, mir waren die aber immer vollkommen egal. Es ist für mich genauso belanglos wie Gabalier, ich hab das wirklich mit großer Leidenschaft ignoriert, und jedes Mal, wenn ich was gehört hab, hab ich mir gedacht „Oh Gott!“ Also ich find so Sachen wie „Kabinenparty“ vom Skero, das ist mittlerweile so weit weg, das besitzt eine Eigenständigkeit, die sich ein Selbstverständnis erarbeitet hat, dies es damals noch nicht gab. Damals war das so eine Form von plumper Aneignung, und ich sprich denen gar nicht die Begeisterung 88 ab, ich fand nur die Resultate schlecht meistens. Und ich find, es klingt halt einfach besser, wenn da ein Schwarzer, der gegen die Frau von Al Gore schimpft, als wenn mir Smudo irgendwie sein Leid klagt. Also das ist so, nein.

Was war denn das Faszinierende für die Jugend? Naja, es hat mit Punk schon insofern was gemeinsam, weil es eine Do-It-Yourself- Kultur war, eine Straßenkultur. Die frühe HipHop-Kultur, das war ja diese bekannte Mischung aus Rap, Graffiti und Breakdance, das hat in der Wahrheit auf der Straße stattgefunden, und man hat in Wahrheit überhaupt nichts gebraucht, außer den eigenen Körper und eine Dose Farbe. Mit der Blockparty-Kultur und dem Auflegen im Freien, was wiederum aus der Not der beengten Verhältnisse entstanden ist, das war ja eine Straßenkultur. Und das konnte man sich halt auch leicht aneignen, also man musste keine Gitarre spielen können, um zu rappen. Wenn man ein loses Mundwerk gehabt hat und halbwegs gut war, dann ging da was vielleicht, mit welchen Resultaten auch immer. Also das sind sicher Verwandtschaften, die die beiden Kulturen haben, ja das Politische ist quasi dem HipHop als Ventil gegen die Verhältnisse in die Wiege gelegt, wobei man darf auch nicht den Spaßfaktor unterschätzen. Das ist so eine sehr europäische Sicht, dass man die sagt, „die armen Neger aus den Projects“, die haben natürlich schon ihren Spaß auch gehabt. Viele haben ja gar nicht gewusst, wie arm sie sind, vor allem Kinder wissen das nicht, die leben trotzdem ihr Leben, und können glücklich aufwachsen in Verhältnissen, die wir jetzt schrecklich finden. Aber sehr viel von dieser Kultur ist halt auch was gewesen, was man gar nicht nachvollziehen konnte, darum gab’s da große Sensibilitäten, wie man sich dem als weißer Europäer adäquat nähert. Und das schwingt da mit in der ganzen Überladung der politischen Interpretation, also da muss man ein bisschen vorsichtig sein, das waren damals die Themen, ob man das darf, ob man das soll, ob man das versteht überhaupt. Zum Glück gibt’s die Diskussion nimmer. Fanta 4 machen heute deutschen Schlager, die Helene Fischer tritt mit HipHop-Beats auf, alles ist gut.

Wie haben denn die Medien, der Feuilleton, die Musiklandschaft auf diese neue Musikform reagiert? Ich glaub, außer dem Standard hat jemand irgendwas darüber berichtet, wenn dann vielleicht eher im Zusammenhang von so Blödheiten wie dem Battle zwischen Shakur und Biggie B, das war dann halt auf den Chronikseiten behandelt. Aber ich kann mich 89 nicht erinnern, dass sich das irgendwo niedergeschlagen hat, lange nicht. Also da muss man auch wissen, dass der Sperl vom Standard, der damalige Chefredakteur, hat explizit Popkultur zugelassen und erkannte, dass das vom Lebensgefühl her und der Lebenswelt von jungen Leuten nicht zu ignorieren ist, und hat quasi die Leute machen lassen. Und das waren halt auch zu Beginn mit dem Schachinger allein, der war halt quasi der Reflektor von diesen Dingen, wobei der hat seine Informationen aus denselben Quellen bezogen wie wir alle, nämlich aus dem Radio und dem Spex. Weil große Plattenfirmen, ich weiß nicht, wie das vertriebsmäßig damals war mit den großen österreichischen Plattenfirmen, wann die die ersten HipHop-Platten vertrieben haben, kann ich mich nicht erinnern, weiß ich nicht mehr.

Ab wann hat man denn erkannt, dass hier etwas Neues am Entstehen ist? Naja, es hat zu der Zeit auch begonnen, dass man in solche Clubs, abgesehen von , die tatsächlich solche Clubs waren im Sinne von Dancefloor und Tanzpublikum, dass man auch in solchen Säuferclubs, wo man an der Bar steht und sich fünf reinstellt, dass da DJs aufgelegt haben. Und da war dann schon so ein, da gab’s vom Chelsea angefangen, die hatten so ein eigenes Fanzine und die musste das ja auch irgendwie wahrnehmen, weil da war die halbe Belegschaft vom Plattengeschäft wie dem Why Not oder dem Rave Up, die haben halt auch diese Fanzines geschrieben, die es damals gab, war hauptsächlich eh das Chelsea Chronicle, wobei ich jetzt die Hand ins Feuer legen kann, ob die groß über HipHop berichtet haben, aber es hat sich niedergeschlagen. Und durch diese DJs in immer mehr Lokalen, was bedeutet hat, dass Musik halt so als Alltagsaccessoire verstärkt sich niedergeschlagen hat, ist diese HipHop-Kultur irgendwo durch die Hintertür mit eingeschlichen, weil es halt eine Plattenspielerkultur mit dem Scratchen war. Damals gab’s halt wirklich noch, das hat dann mit Nirvana begonnen sich aufzulösen, dieses Denken in Underground und Mainstream, und es hat, da ist Österreich immer noch hinten nach, es hat auch da länger gedauert. Das heißt, man hat quasi aus dieser Nischenszene, aus dieser Subkultur gar nicht damit gerechnet, dass das irgendwo in den „Mainstream-Medien“ oder den Tageszeitungen irgendwo reflektiert wird, nein. Da war eben der Standard lange Zeit das einzige Medium, glaub ich, Profil vielleicht hin und wieder, aber das hat sicher auch bis Mitte ’90 gedauert, bis das dann so gesickert ist, beim Kurier oder bei der Presse, dass man dann ein bisschen mehr tun

90 muss. Und das war eher so mit Gummihandschuhen, damit man sich nicht dreckig macht.

Warum, glaubst du, war das so? Naja, das ist halt dieses konservative Schnöseldenken, dass Österreich als Museum strenger klassischer Musikalienkammer, dass das einfach mehr wert ist, als dieses komische Gebelle, das man ohnehin nicht versteht.

Wie viel HipHop steckte denn schon in Falco und der EAV? Schwieriges Thema. Man kann dem Falco wahrscheinlich zugestehen, dass er mal gerappt hat, oder den Rapgesang, also er hat ja Sprechgesang verwendet, und natürlich hat er das mitgekriegt, das ist, glaub ich, auch historisch belegt, nur das war halt so gimmickhaft. Der Falco war ja ein Schwamm, der alle aufgesaugt hat, auch diese, ich glaub, „Der Kommissar“ war diese Nummer, ich mag ja Falco nicht, „Der Kommissar“, der einzige richtige Hit, das war ein Rip-Off von einer Rick James Nummer, also eine schwarze Funk- und Disco-Nummer. Also, dieses „Rock me Amadeus“, das war ja in Wahrheit auch eine schrecklich peinliche, so eine Mischung aus Provinzialismus und großkotziger Welteroberungsgeste, ich meine, das darf man Pop schon zugestehen, diese Großkotzigkeit, aber mir ist das am Arsch vorbeigegangen. Was war noch? Aja, EAV. Ich weiß nicht, ob das so als Rap durchgeht, möglicherweise, aber…

Falco hat zum Beispiel schon relativ früh auch Grandmaster Flash’s „The Message“ gerappt. Viele sehen dort erste Ansätze einer österreichischen HipHop-Kultur. Ja, ich glaub das auch, das ist wahrscheinlich historisch richtig, dass das Anleihen sind. Also es ist natürlich dieselbe Kulturtechnik, ja, nur zu einer Kulturtechnik, gerade zu der Zeit, war halt nur Attitüde, dass man sagt, okay, man kann alles nachstellen, man kann’s auch gut nachstellen meinetwegen, aber es bleibt halt nachgestellt. Wie ich vorher gesagt hab, Schmied oder Schmiedl.

91

Wann gab es denn nicht mehr HipHop in Österreich, sondern österreichischen HipHop? Das ist keine schlechte Observation, ja. Ich meine, du merkst eh, wie ich mich schon plage beim Memorieren und genauso verkrampft war das auch damals: was darf man? Ist das okay? Natürlich ist das okay, man kann ja nicht Punk hören und dann sagen, der darf die jetzt nicht nachmachen, also das geht sich nicht aus vom Zugeständnis der Freiheit der Künstlerischen, also überhaupt nicht. Natürlich, wie gesagt, ist es an den Ergebnissen gemessen worden, und „Rock me Amadeus“ im gepuderten Amadeus-Kostüm, du kennst das Video, wie er mit der Perücke und so, also da dreht sich mir heute noch der Magen um an schlechten Tagen. Also es liegt wahrscheinlich auch daran, ich hab damals, also ich bin aus einer Generation kommen, die haben halt alle Austropop gehört, Ambros, Danzer und diesen ganzen Scheiß, und ich habe das immer gehasst, ja. Ich hab das Glück gehabt, die haben sehr früh in Australien Platten bestellt in den 80ern und England, Joy Division-Platten gekauft und Talking Heads, und da war ich gerade 13. Also ich von Black Sabbath umgeschwenkt, ich hab den Ambros-Mist natürlich auf Skikursen und Partys mitkriegt, da ist man nicht auskommen, aber ich hab das nie mögen, das war mir immer zu blöd, so nichtssagend, so schlechte Radiomusik. Darum setzt sich das wahrscheinlich bei mir auch als Aversion beim Falco und auch weiter rauf fort, wobei umgekehrt in der Neuen Deutschen Welle waren durchaus Sachen, die auch deutsch waren und sehr gut waren und sehr originell auch. Alles war schwierig.

Doch wo und wann haben sich im HipHop die österreichischen Spezifika entwickelt? Wann war der Mut da, etwas Eigenes zu machen? Ich glaub, es hat begonnen für mich zu akzeptieren, es gab da so einen HipHop- Sampler, einen österreichischen HipHop-Sampler, und ich glaub, ich weiß auch nimmer, wer da aller drauf war, aber so jemand wie der DSL zum Auflegen angefangen hat, da hat man dann gemerkt, das ist etwas Besonderes, weil der Typ hat echt ein Talent, also der kann Sachen, die können viele überhaupt nicht. Und da hat man gemerkt, dass auch über das Feeling etwas geht, und Feeling war ganz wichtig, weil der Stefan jetzt kein Intellektueller ist, sondern sein Zugang war richtig der über das Bauchgefühl und die Lässigkeit. Der wird dir die Geschichte erzählen, wie er daheim den Plattenspieler auf das Bügelbrett gestellt hat und stundenlang 92 gescratcht, weil sein Bruder damit angefangen hat oder so. Und das war so eine Form von Besessenheit, die dann halt auch wirklich eine sehr eigenständige Geschichte gezeitigt hat, und die, glaub ich, wenn man ihm dann auch in irgendeinem Club beim Auflegen zuschauen konnte, wobei man ihn am Anfang zwingen musste, dass er das macht, dass man das akzeptieren konnte, dass das auch tatsächlich etwas ist, was man auch bei uns als „Okay“ betrachten kann. Da gibt’s ein ganz berühmtes Foto, das der Geier von ihm gemacht hat, wo er mit Tschik in der Hand scratcht und in der anderen Hand hat er ein Bier, also das war eine Form von Lässigkeit. Weil sonst war dieses DJ-Posing ja immer unerträglich, und der DSL war halt einfach so ein Antiheld, so komplett Nicht-Popstar. Das war, glaub ich, eine Zäsur von meiner Wahrnehmung. Und dann, wie ich mitkriegt hab, dass der Werner in Amerika Remixes macht und produziert für andere Acts, hab ich mir gedacht, da verschränken sich Sachen, die wohl doch lässig zu sein scheinen. Er hat dann auch so Sachen erzählt wie, sie waren in irgendeinem Studio und irgendwelchen schwarzen Jungs sind da gesessen und haben gesagt „cool beats“, und das war wurst, ob der grün, gelb oder weiß ist im Gesicht.

Woher hat sich denn die Authentizität in Österreich gespeist? Authentisch ist es für mich, ich glaub, es ist um diese reine DJ-Auflegerei um den Dreh entstanden. Es war dann halt auch immer so, es war ja nicht er allein, es gab dann so einen Rattenschwanz und Bewunderer auch, und Leute aus derselben Neigungsgruppe, der Herbs oder so, und überhaupt die ganze Partie, die dann ganze Tage und Nächte beim Geier verbracht hat in der Corneliusgasse, wo er sein Studio gehabt hat und gewohnt hat, und auch mit dem ersten Output, der damit verbunden war. Eben solche Sachen wie HipHop Finger, Linger Conquest, das waren dann schon, es war zwar schon eine Stufe kommen, aber es ist natürlich aus dem HipHop gekommen mit dem Scratching, aber da ist dann mehr daraus worden, und das ist dann wieder über die britische Connection Stereo MCs gegangen. Das heißt, es war wieder ein Außenposten, der quasi nicht Amerika war, England hat zwar eine größere multikulturelle Kultur als wir, aber das hat dadurch schon einen anderen Drive gekriegt, wenn man gemerkt hat, okay, es geht auch dort, vor allem, die sind auch Weiße und waren unfassbar funky. Da hat man schon gemerkt, dass man das ein bisschen großzügiger sehen muss.

93

Gab’s noch andere Außenposten, zum Beispiel in Deutschland, Frankreich, Niederlande? Ich kann mich an den MC Solaar erinnern, aber wann ich den genau mitkriegt hab, weiß ich nicht. Aber das war eher zu einer Zeit schon, in der ich HipHop-Platten rein nach Humor gekauft hab, da hat man den Gangsta-Rap schon über gehabt, Ice-T und Ice Cube und so waren da schon ein bisschen vorbei, NWA hat’s gar nicht mehr gegeben. Aber sonst nicht viel, nein.

94

6.2. Martin Forster, Wien, 14.1.18

Kannst du dich kurz vorstellen? Ich heiße Sugar B und bin quasi ein Urgestein der Wiener Musikszene oder HipHop- Szene. HipHop ist zwar ein bisschen ins Hintertreffen gekommen, aber die Musik bewegt mich nach wie vor. Radio ist eine Sache, die mich mehr oder minder zur Musik gebracht hat, und deswegen bin ich froh, dass ich heute noch in dem Medium arbeiten kann, darf, tu.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit HipHop erinnern? Meine erste Begegnung mit HipHop war, glaub ich, „The Message“ und ein , das ich vom Kool DJ Red Alert bekommen hab, und das hat mich nachhaltig beeindruckt irgendwie. „The Message“ kann ich mich erinnern, hat der Gottschalk mit irgendeinem zweiten eine deutsche Version gemacht, also quasi den ersten deutschen HipHop, aber um dieselbe Zeit, das war so ’78 oder sowas. „The Message“ ist ja auch durch die ganzen Medien gegangen, das war dann aber auch… Mir fällt grad auch noch „Kick it 9 to 5“ von der Sugarhill Gang ein, die hab ich im Tamtam Records gekauft, da war im Großen und Ganzen die erste HipHop-Schwemme in den frühen 80ern, so ’84, ’85. Hab mir dann immer wieder ein Vinyl geholt und da sind wir dran gehängt irgendwie. Die Kassetten aus meiner Schulzeit, also das war früher, aber da hab ich immer Kassetten aus New York mitgebracht kriegt, das hat mich ein bisschen hochegewiegelt. Da sind wir dann ein bisschen reingekippt, mit einem damaligen Klassenkollegen, dem Setarocker, der hat auch Graffiti gemalt, und heute ist er als Oliver Kartak Professor an der Angewandten und hat auch auf dem ersten Moreaus Album eine Stimme dazu geben. Also wir zwei haben uns ziemliche aufgewiegelt beim HipHop, das hat uns nachhaltig beeindruckt.

Was hat dich denn am HipHop so fasziniert? Ich hab zur der Zeit auch Last Poets und so Zeug gehört, die waren ja weitaus früher. Ich mein, ich hab damals sehr viel Soul und Funk gehört, und dementsprechend sind mir solche Playbacks dann total eingefahren. Und dann diese Lyrics, „The Message“ war immer eine wichtige Sache, das hat mich einfach total geflasht, dass sowas überhaupt auftaucht. „The Message“ war ein großer Hit, auch in Europa dann später, ist dann natürlich auch wieder verschwunden. Im Nachhinein hab ich dann solche

95

Sache recherchiert wie Soul Train, wo auch verschiedene HipHop-Bands aufgetreten sind. Aber Soul und Funk haben mich eben sehr beeindruckt und dann liegt HipHop natürlich sehr nahe. Was mich als nächstes beeindruckt hat, war De La Soul, also eher diese weicheren und intellektuelleren Geschichten, die dann auch von diesem Bad Boy Rap weg sind, das war dann leiwand, weil da sind andere Themen aufkommen. Der Q-Tip ist dahergekommen und hat smooth dahin gejammt, das war schon sehr beeindruckend. Gleichzeitig war auch die Zeit, wo die Moreaus das auch aufgenommen haben und mit mehr Live-Instrumenten das verarbeitet haben. Ich hab den Markus Spiegel überredet, dass er uns Equipment schenkt oder kauft, so einen Sampler, dann hat er uns, nachdem wir ihn so lange penetriert haben, nach New York geschickt, weil wir da unser Video drehen wollten. Dann haben wir ein bisschen was gedreht, war auch recht lustig, aber dann sind diese HipHop-Einflüsse natürlich noch intensiver worden, da haben wir uns Golddinger über die Zähne gezogen und diesen ganzen Blödsinn, der uns sehr lustig eingefallen ist.

Wie hat das mit den Moreaus denn überhaupt angefangen? Wie wurden die Moreaus denn zur ersten österreichischen HipHop-Band? Also mir fällt keine davor ein, natürlich hat’s Breakdance Crews und so gegeben, zum Beispiel die MC Suckercrew, aber die Moreaus waren interessiert daran möglichst viele Einflüsse geltend zu machen. Wir haben alles reingehaut, unsere ganzen Phantasien, wir haben fliegende Gitarristen gehabt, ich habe Feuer gespuckt, es hat ein HipHop-Set gegeben am Anfang bei der ersten Konzertreihe und dann ist das halt immer intensiver worden, es sind immer mehr die Instrumente weggefallen und ist intensiver worden. Das Augenmerk ist einfach immer mehr auf HipHop gekommen, auch wenn wir Overdubs mit Instrumenten gemacht haben und versucht haben, möglichst Samples, die man nicht erkennt, zu verwenden.

Die Moreaus sind also nicht als HipHop-Band gegründet worden, sondern sind zu einer HipHop-Band geworden. Ja, mutiert. Im Endeffekt haben sich die Moreaus immer gemorpht. Auch Edelweiss hat uns in dieser Zeit natürlich stark beeinflusst.

96

Von wem haben sich denn die Moreaus am stärksten beeinflussen lassen? War der Blick noch in die USA gerichtet? Ich kann mich noch genau erinnern, das war stark der Blick in die USA, und ich kann mich stark ans erste De La Soul-Album und das erste -Album erinnern. Das war für uns total ein Meilenstein. Abgesehen von der Parallele, dass eine Geschichte durchs Album durchgegangen ist und so weiter, dass es Interludes gegeben hat, das haben wir alles mehr oder minder im Moreaus-Album, im „Swound Vibes“, im goldenen, das ist dann da drinnen alles zufälligerweise auch vorgekommen.

Wann war klar, dass die Moreaus eine HipHop-Band sind? Auf das hätte ich mich nicht festlegen wollen, das haben wir auch, das ist erst im Nachhinein gesagt worden, dass wir eine HipHop-Band waren. Aber in Wirklichkeit ist es eine Downtempo-Gründer-Band oder eine Gitarrenband, das war halt so eine lange Zeit, wo es die Band gegeben hat, ein Thema war, das uns sehr beschäftigt hat. Die Moreaus hat’s circa sechs Jahre gegeben, da kannst dich schon vier oder fünf Jahre mit HipHop befassen, wenn’s aktuell grad ist, ja. Das ist nicht so viel Zeit. Zumal eben auch eine ganz wichtige Persönlichkeit, die das nachhaltig auch noch geprägt hat, war die Legende DSL. DJ DSL ist halt zu uns gestoßen und mit dem bin ich dann mit dem Soundsystem spazieren gefahren und hab die Rettung des Vinyls propagiert, wir haben das erste fahrende Soundsystem gemacht, wo wir eigentlich lauter HipHop- Instrumentals gespielt haben und ich halt ein bisschen Stimme gemacht hab, nicht Rap, sondern halt die Vorboten von der Radiosendung, Animation würd ich dazu sagen. Ich bin kein Rapper in dem Sinne, deswegen könnte ich nicht sagen, dass wir eine HipHop-Band waren.

Wie fühlt es sich aber jetzt an, als HipHop-Pionier zu gelten? Schön, dass ich da irgendwem in Gedanken bleib, mir taugt das. Ich hab auch den Dubclub gemacht für 13 Jahre, bin deswegen aber auch nicht mit Dreadlocks am Weg. Ich hab vorher in Bands gespielt wie Vorwärts Traktor Sopron oder so, Mannigfaltigkeit ist mein Gewand und ich liebe es. Alles was irgendwie mir aktuell erscheint oder grad zur Stimmung passt, da fühl ich mich wohl. Wenn jetzt, jetzt sind eh diese Heimlich- Jungs mit diesem ganzen langsamen Zeug wieder, da kann man sich schön drinnen suhlen, aber wenn jetzt angesagt wär nur 4/4-Bassdrum, dann ist das normal, dass

97 man das irgendwie runterzieht. Vielleicht bin ich morgen der Acid-Profi und mach nur mehr Acid-Tunes.

Wie hast du dich denn zu Beginn in der HipHop-Szene zurecht gefunden? Naja, wir waren zur der Zeit sehr amerika-affin und sehr amerika-orientiert, das was uns wichtig war, war neuer Sound. Und das ist halt zu der Zeit von dort gekommen. Heißt, man hat von irgendwelchen Freunden Tapes bekommen und die haben Radio mitgeschnitten, das war schon mal ganz toll. Dann hörst dir das an und die schärfsten Shows waren die HipHop-Shows. Die haben wir gefressen, diese Tapes. Und auch Yo! MTV Raps geschaut und diese ganzen Filme, die es gegeben hat, das kommt alles so auf dich zu, und du recherchierst und du findest die Samples dazu. Das Fieber ist groß, das dich da gleich erreichen kann, weil es einfach ein weites Feld ist. Dieses Unbekannte aus einer Wohlstandsgesellschaft, unter Anführungszeichen diese ghettoisierte Musik ist ja interessant, weil es bei uns, natürlich hat’s arm und reich gegeben, aber auch die Mittelschicht, wir sind alle aus einer Mittelschicht gekommen. Aber das Unbekannte lockt natürlich und dann hat man sich da umgeschaut, wie die Leute wohnen, man will da hin, man will sich das anschauen, man will am Time Square sein. Damals war das auch noch nicht nur Bronx und Harlem und so weiter, sondern da war diese sogenannte Ghettoisierung noch am Time Square, also mittendrin in Manhattan. Aber das war irgendwie sehr magisch, dieses Zwielichtige, das Kleinkriminelle und interessant. Kulturflash.

Wo hat sich das jetzt in Wien alles abgespielt? Wir haben versucht, auch den ersten HipHop-Club zu machen: das war der Spider und ich mit Cookiepuss im Volksgarten, haben wir vier Folgen gemacht, und das war’s dann auch schon wieder, weil da hat’s dann geheißen, was soll das denn für Musik sein? Da kann man ja nicht dazu tanzen.

Burstup hat erzählt, dass die Musik zum Teil bestreikt worden ist: wie war das bei dir? Ja, das kenn ich, das war verbreitet, da ist man schon als Outlaw da gestanden, wenn man einmal auf die Platten draufgegriffen hat und gescratcht hat. „Seids deppert, was macht’s ihr da?“ Also wie das bei uns gekommen ist, da hast keine 12-10er gehabt, da hast Plattenspieler gehabt, ich kann mich erinnern an das erste Mal, wie wir 98 scratchen ausprobiert haben, haben wir eine Fotodose auf den Headshell vom Plattenspieler drauf montiert und in das Glaskugeln reingelegt, mit Auflage bis zum Abwinken, damit das ja nicht hupft irgendwie. Auf Riementrieb ausprobiert, alles. Als Buben scheißt man sich ja nichts. War schon sehr lustig.

Wie lange hat es denn gedauert, bis man akzeptiert wurde? Das ist bei uns relativ leicht gegangen, weil wir verschiedene Aspekte dazu genommen haben: wir haben Optik dazu genommen und eine Typen, der der volle Nerd war, der DSL. Der hat damals einfach schon einen Stil gehabt, also eine sehr individuellen, tollen Stil. Gelobt sei er. Auf jeden Fall ist es dann relativ leicht zu beeindrucken, wenn einer das exakt und gut machen kann. Wenn in einer Probierphase die Leute damit konfrontiert werden, dann sehen sie nur halbseidene Ergebnisse, dann ist das nicht leiwand. Natürlich haben wir auf dem Weg dahin Konzerte gespielt, die teilweise dilettantisch waren, aber trotzdem wichtig in der Entwicklung. Überall wo etwas neu ist, darf der Dilettantismus noch da sein.

Wo warst du noch neben dem Volksgarten? Sonst hat man HipHop, wir haben ja auch immer sehr mannigfaltig aufgelegt, der Stefan hat puristisch aufgelegt, der hat seine Instrumentals gespielt und das war herrlich. Mit dem Peter [Kruder, Anm.] hab ich im Moulin Rouge aufgelegt, da waren viel verschiedene Locations, die schnell in Clubs umgewandelt wurden.

Wie haben denn die Medien auf das alles reagiert? Das ist so wie bei allem, dass wenn man früh dran ist mit Sachen, dass das natürlich… ich kann mich erinnern, der Peter Hofer, der ist glaub ich schon tot, war damals bei GiG Records der E&A und der hat nach vier Jahren nach dem Release hat er gesagt, „du, ich hab jetzt mal die Platte gehört, die ist ja garnicht so schlecht“. Und der hätte für uns damals die Promotion machen sollen. Wir haben auch damals das Erscheinungsdatum vordatiert, damit wir unserer Zeit voraus sind.

Wie war das Verhältnis zu anderen in der Szene? Wir haben uns alle an Hand eines Samplers, langsam hat sich da bisschen eine Szene entwickelt. Der Werner war da mit Tribe Vibes Gründung, dann war der Stefan eben auch mit seiner Ecke drinnen, und da ist dann aufgekommen, dass wir einen Sampler 99 rausbringen. An Hand dieses Samplers hat man sich ein bisschen besser kennengelernt. Da hat’s auch den Megablast gegeben, die haben damals auch HipHop gemacht, und das Dampfende Ei, und und und. An Hand dieser Präsentation von der Platten sind dann die Gruppierungen auch zusammengeführt worden.

Hat man sich also als Teil einer größeren Community verstanden? Ursprünglich war’s mal interessant, anders zu sein als die anderen, in einer gewissen Lebensphase, wenn man jung ist, möchte man entweder mitschwimmen mit allen oder ein bisschen anders sein als die anderen. Wir wollten eher ein bisschen anders sein und da war’s garnicht so interessant, sehr viele Mitstreiter zu haben, sondern individuell zu sein. Anschließend war’s natürlich geil, wenn man Gleichgesinnte gefunden hat, weil da hat man dann schon mal den gemeinsamen Gesprächsstoff gehabt. Das hat sich dann so entwickelt, dass es dann immer größer geworden ist und dann eine große Community da war. Das war schön.

War HipHop für dich auch ein politisches Instrument? Naja, ich könnte nicht sagen, dass meine Motivation politisch war. Das würde ich gern auf mein Banner schreiben, aber das kann ich nicht. Meine Motivation war eigentlich immer auffallen und Komplexe kompensieren. Ich kann mich auch erinnern, dass sich die Moreaus nicht gescheut haben zu sagen, dass wir Popstars werden wollen, und nicht politisches Statements bringen wollen. Das würde ich zwar gerne sagen können, kann ich aber nicht.

Würdest du sagen, dass in Österreich zu Beginn vor allem Menschen mit „Migrationshintergrund“ HipHop betrieben haben? Nein, das würde ich auf keinen Fall sagen. Weil im Großen und Ganzen musst dir das so vorstellen, dass in der Zeit, wenn da zum Beispiel ein Schwarzer auf der Straße war, dann haben sich alle Köpfe umgedreht, weil das eine Sensation war. Migrantentum war unter Anführungszeichen so merkbar, dass halt sehr viele Jugoslawen da waren, und die haben etwas Anderes zu tun gehabt, als sich mit einer Kleinrevolution zu beschäftigen. Im Großen und Ganzen muss man schon sagen, war es zu der Zeit die gesättigte Mittelklasse, die interessiert war, Musik zu konsumieren, und nicht eine Revolution auf ihre Banner zu schreiben.

100

Stichwort gesättigte Mittelklasse: waren die Fanta 4 ein Thema oder hat man sich an Deutschland garnicht orientiert? Torch und Advanced Chemistry, die waren ja davor, die haben wir auch nach Wien geholt.

Wer, wann und wohin habt ihr die geholt? Die waren da im, gleich wie die Platte rausgekommen ist, auf den Kinoplatz in das Kino, das da ist. Das war ein Gig mit Tribe Vibes.

Was waren noch erste HipHop-Acts in Wien? Stereo MCs zum Beispiel, die waren auch sehr früh am Start. Die waren auch bei diesem Tribe Vibes Dope Beats Contest damals. Guru war auch sehr früh, die Kathi [Weingartner, Anm.] hat immer wieder Leute hergebracht.

Wer waren in deinen Augen österreichische Pioniere? Werner Geier, DSL als Legende beim Auflegen, die Kathi Weingartner mit ihren Auslandskorrespondenzen, die auch immer wieder kleinere HipHop-Acts gefeaturet haben, das war schon sehr interessant.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass es zu Beginn HipHop in Österreich gegeben hat und irgendwann dann österreichischen HipHop? Auf jeden Fall, das würde ich auch sagen. Es hat HipHop in Österreich gegeben, dann war mal lang nichts, also da hat’s wenn dann möglichst amerikanisch klingen müssen oder maximal britisch, dann war eigentlich relativ lang nichts, und dann hat’s erst eine Identität davon gegeben. Ursprünglich ist das dann alles auch eigentlich mit diesem deutschen Akzent irgendwie abgelaufen, was nicht für die Identität spricht. Respektive einer der da ganz früh schöne Sache gemacht hat, war der Kroko Jack. Der war der erste Slangtang-Typ, der auch wirklich schön ordinär abgegangen ist, deswegen war der am Anfang auch nicht so beliebt. Aber der hat sich einfach nichts geschissen. Und Falco war auch beeindruckend, aber den hätte man nicht als HipHopper identifiziert.

101

Wann und mit wem hat sich österreichischer HipHop in deinen Augen herausgebildet? Da muss ich sagen mit den Moreaus. Wir haben uns schon in einer Zeit gesehen… als deutschsprachigen Rap, also wir damals auch ein Zitat auf Deutsch gehabt irgendwann einmal, aber das ist uns total uncool eingefahren zu der Zeit.

Warum uncool? Warum habt ihr auf Englisch gerappt? Na, weil wir den internationalen Markt gesucht haben, der österreichische Markt ist nicht vorhanden gewesen, wir wollten Popstars werden, also wollten wir von allen verstanden werden, und dass da einer Deutsch verstanden hat, das waren ganz geringe Anteile irgendwie. Es war kein großer Markt, so einfach war das.

Die Moreaus waren also österreichischer HipHop und nicht HipHop in Österreich? Ja, weil wir eine Variante davon gemacht haben. Mit den Musikanten und den Leuten, die wir gekannt haben und dem freudigen Dilettantismus… Aber es hat ja beides seine Berechtigung. Wenn einer seine Qualitäten darin findet, dann kann einer Englisch singen, dann hat das seine Berechtigung, das heißt dann nicht, dass das keine Identität hat, weil der Typ ja seine Identität reinbringt. Also es sind beide Begriffe möglich. Also mit diesem Mundart-Rap tut man sich einfach leichter zu kategorisieren, dann sagt man, das ist es jetzt wirklich, das hat Identität, das erkennt man sofort, dieser Tiroler oder Oberösterreicher Akzent. Bilderbuch zum Beispiel könnte auch kein Deutschpop sein, die haben so viel österreichische Identität in sich. Ist schwierig die Frage. Dinge mit Begriffen zu belegen ist immer schwer, vor allem in der Musik mag man das nicht so gern. Das Label ist ja eigentlich egal, Hauptsache es ist ehrlich. Authentizität ist schon essentiell.

102

6.3. Alexander Hertel, Innsbruck, 4.5.18

Wer waren die ersten, die auf HipHop in Österreich gekommen sind und wie ist das passiert? In Österreich hat es, glaub ich, und da kann ich jetzt keine genaue Jahreszahl sagen, aber ich glaub, es war so ‘83, ‘84, in der Zeit gab es generell durch Filme wie „Wild Style“ zum Beispiel, der vom ZDF kofinanziert worden ist damals. Diese Doku von Charlie Ahearn, die in Amerika gedreht wurde, und die hat diesen HipHop Spirit in New York eingefangen in Form von einem Spielfilm, der aber semidokumentarisch war, wo auch voll viele Original HipHop-Pioniere aus Rap, Graffiti, Breakdance, DJing mitgemacht haben. Und der Film ist gezeigt worden, unter anderem weil es ja auch eine ZDF-Koproduktion war, beim ZDF und hat dadurch HipHop rübergeschwemmt in den deutschsprachigen Raum, unter anderem. Und generell nach Europa und um die Welt. Und „Wild Style“ war da ganz ein wichtiger Zündungsmoment, weil dann gab es Anfang der 80er Jahre einen weltweiten Breakdance-Hype. Und ich hab, ich bin geboren 1979, das heißt zu dieser Zeit war ich noch ein Kind, aber ich weiß zum Beispiel, dass auch zu dieser Zeit in Steyr, meiner Heimatstadt, so 84/85 herum lokale Breakdance-Gruppen lose gab. Die würde ich jetzt nicht großartig als wirklich HipHop- Aktivisten, also die waren in erster Linie an Breakdance interessiert, die haben noch keine große Szene aufgebaut oder so. Aber da gabs tatsächlich schon Jugendliche, die sich für Breakdance interessiert haben und das gleiche ist auch mit Rapmusik. Rapmusik ist auch zu dieser Zeit überregional geworden und nach Europa gekommen, und hat natürlich auch Österreich erwischt. In erster Linie natürlich schon auch noch über Deutschland, aber gewisse Songs wie Sugarhill Gangs „Rapper‘s Delight“ oder auch Dinge, die später passiert sind, haben auch bei uns Airplay bekommen. Und was ein ganz wichtiger Zündungsmoment war, und das ist ja irgendwie, da ist Österreich auch eine Art Insel gewesen, war halt Ö3 mit dem Sendefenster Musicbox, wo unter anderem der Werner Geier, ein Radiojournalist, Musikliebhaber und DJ, DJ Demon Flowers, der hat damals unter anderem mit der Katharina Weingartner und DJ DSL, die haben da ein kleines Fenster gehabt und die haben da - die Katherina Weingartner ist eine Radiojournalistin gewesen, die zu dieser Zeit auch in Amerika war, und die hat diese HipHop-Bewegung in den 80ern hautnah miterlebt und hat für den ORF, die war eigentlich eine Jazzliebhaberin und hat wegen Jazz in erster Linie ihre Zeit in Amerika verbracht und ist aber dann in dieses HipHop-

103

Ding hineingerutscht und hat dann immer Wien versorgt, den DJ DSL mit Platten und die haben sie dann wieder in ihrer Musicbox A Tribe Called Quest oder was auch immer, oder Pete Rock & CL Smooth vorgestellt, und so hat das in Österreich eine Generation von Leuten geprägt. Ich kann mich an das selber erinnern, Ö3 Muiscbox zufällig beim Durchzappen als kleiner Bub, und da hat man Sounds gehört, die man sonst nirgends gehört hat bei uns.

War das täglich? Nein, das war nicht täglich. Das war ein Fenster, ich glaub es war immer am Freitag, ich getrau mich die Uhrzeit nicht zu sagen. Ich bild mir ein, es war immer einmal in der Woche am Freitag zumindest, da weiß ich es. Und aus dem wurde später Tribe Vibes, die Sendung, die ich heute mit Trishes mach. Die hat ja auch Katharina Weingartner mit DSL, mit DJ Demon Flowers und einigen anderen Leuten, Functionist, et cetera betreut. Aber die Sendung ist ja schon 25 Jahre alt, 26 Jahre mittlerweile. Und die hat für Hip Hop in Österreich ganz einen riesengroßen Effekt gehabt, weil durch diesen speziellen Connect, dass die Katharina Weingartner eben in Amerika war und zum Beispiel mit dem jungen DJ Shadow, der damals 14 oder 15 war, einen Roadtrip gemacht hat von der Westcoast nach New Orleans, auf der Suche nach Eddie Bo sind sie in Plattenläden gefahren. Und das hat sie dokumentarisch festgehalten zu einer Zeit, zu der noch kein Mensch auf der Welt gewusst hat, wer der DJ Shadow ist, hat sie schon eine Reportage gemacht für den ORF. Und sowas hat man bei uns hören können. Und wie gesagt, sie hat die Kontakte zu den Labels gehabt, sie hat irgendwelche White Label Testpressungen nach Wien geschickt, wo plötzlich Dope Beats und irgendwelche Pete Rock-Remixes gelaufen sind, die sonst wirklich nirgends im Radio zu hören waren, außer in New York oder in Wien bei Tribe Vibes. Also in Österreich. Und da sind dann auch Leute in Oberösterreich schwer angesteckt worden, oder in Innsbruck, oder in Salzburg, wobei dort aber auch eine riesengroße Stellung gehabt hat. Wien und Linz waren die ersten starken Szenen, und ich bin selbst geprägt von dieser ganzen oberösterreichischen Szene, wo sich dann in den frühen 90ern die Texta-Jungs in Linz formiert haben und es dort auch schon eine Writer-Szene gab und Leute wie der Skero, die schon in den 80er Jahren mit Graffiti angefangen haben. Und auch die ganze Graffiti-Kultur in Österreich verbreitet haben, am Anfang noch sehr in Wien zentriert, dann Richtung Linz und so weiter. Da reden

104 wir jetzt von den 80er Jahren. Und so richtig los in Linz ging es dann späte 80er, Anfang 90er. Und Wien in Wahrheit ein bisschen davor.

Also man kann ohne Weiteres sagen, dass es mehr oder weniger direkt aus den USA, durch importierte Platten, durch Fernsehen, direkt von Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa, von dort rübergekommen ist? Es ist fix von den Medien beeinflusst worden, aber auch hundertprozentig von Leuten, die gereist sind. Weil ich weiß das selbst: meine Familie ist zum Teil aus Rotterdam, Holland, und Holland hat wiederum schon viel früher eine aktive HipHop-Szene gehabt als Österreich, hat auch viel mehr urbane Räume und dort war HipHop auch viel durch die vielen ehemaligen Kolonien, die Holland früher hatte, dadurch gibt‘s in Holland einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund. Und dort sind viele Leute aus der Karibik, von den Antillen, viele Leute aus Surinam zum Beispiel, und ich hab dort auch immer viele Menschen mit dunkler Hautfarbe gesehen, die sich halt auch zu HipHop hingezogen gefühlt haben, zu einer Zeit, wo bei uns das noch kein Mensch gemacht hat. Und da gab es in Holland schon Shops mit HipHop-Vinyl, und Shops mit Mode mit Karl Kani und Timberland Boots, Malcolm X-Kapperln und irgendwelche Devotionalien, die man aus Yo! MTV Raps gekannt hat, oder aus dem, das wir hier rübertransportiert bekommen haben. Das haben die dort schon verkauft, es hat schon einen Markt dafür gegeben. Und ich kann mich erinnern, das hat mich zum Beispiel total geflasht, und ich hab immer im Sommer mit meinem Taschengeld ein Malcolm X-Kapperl gekauft, oder einen Crosscolour-Pullover, und mit dem bin ich dann wieder nach Steyr zurückgekommen und dort waren dann wieder die fünf Jahre Älteren, die auch MTV geschaut haben und die haben dann „Wow, wo hast du das Kapperl her? Wo gibt’s das?“. Das hat’s halt in Steyr nicht gegeben. Ich glaub, dass das auch, es gab ja auch Leute aus Wien, die nach New York sind, oder in Paris waren - in Paris war auch eine starke Szene - und die haben dann schon auch viel zurückgetragen in die eigene Stadt. Diese ganzen Interrailtouren, vor allem aus dem Graffitibereich, und Vernetzungen mit Szenen, Jams, es gab dann so Jams wie der „Stay Original“ Jam, wo ab 1995 regelmäßig in Linz einmal im Jahr dieser Jam stattgefunden hat. Ein Treffen, ein riesengroßes Event, wo Leute von der Rocksteady Crew nach Linz gekommen sind und mit uns in Auwiesen auf einem Parkplatz Breakdance trainiert haben. In den 90er Jahren. Grandmaster Caz von den Cold Brush Brothers, einer der ultimativen Rap-Pioniere, war in Linz und hat seine 105

Mixtapes, seine Cold Brush Brothers Original-Tapes von früher verkauft, und T-Shirts. Und Fabel, einer der Tanzpioniere von Popping und Locking, war da. Ist in Linz am Urfahrmarktgelände herumgelaufen, an der Donaulände. Ken Swift, also Pioniere, die man kennt aus Filmen wie „Beatstreet“ oder „Wild Style“ oder „Style Warz“, sind plötzlich bei unseren Jams in Linz gewesen. Und halt auch Rapper aus Deutschland, Bboys und Bgirls aus Hamburg, Writer aus Hamburg und von überall, das war ein Schmelztigel, wo auch wir aus den Bundesländern, aus den Einzugsgebieten zusammengekommen sind und uns vernetzt haben. Und wir reden da aber eh nur von ein paar Handvoll von Leuten, das waren zwar gut besuchte Veranstaltungen, aber es war jetzt nicht so, dass die aktive Szene sehr viel Menschen waren, das war sehr überschaubar. Und diese Freundschaften und Netzwerke, die am Anfang der 90er entstanden sind in Österreich, die halten bis heute. Das sind noch immer dieselben Schlüsselfiguren in Wahrheit, die da noch immer das machen.

Weil du gesagt hast, dass schon etablierte Crews von den USA nach Linz gekommen sind in den 90ern: war das nur Linz? Ich glaub, dass in Österreich schon Wien, naturgemäß hier schon … zum Beispiel gibt’s die Gruppe Dr. Moreaus, das waren Leute wie der Sugar B, der Peter Kruder, der DJ DSL, der Rodney Hunter, die haben in den 80er Jahren, da hat der Bruder vom DSL, Klaus Biedermann heißt der, ich glaub der war da auch in den Produktionen involviert, der hat zumindest auch schon sehr bald HipHop inspirierte Instrumentals produziert, und dann eben die Moreaus mit ihrem Release, die dann auch eine Platte herausgebracht haben, die vor ihrer Zeit war irgendwie und schwer inspiriert war von HipHop. Der Falco natürlich, weiß man auch, war auch in New York, hat auch den Afrika Bambaataa getroffen. Falco würde ich jetzt nicht also HipHop bezeichnen, aber er war definitiv einer, der österreichischen Dialekt, diesen Wiener Charme mit HipHop- Ästhetik und Rap-Ästhetik vermischt hat. Und auch die EAV ganz bald, die haben auch gespielt mit dem. Zwar auf einer sehr holprigen Art, möchte ich jetzt mal sagen. Die haben auch einen Song, der heißt eh irgendwas mit „Alpenrap“ oder so, den haben Texta jetzt lustigerweise gesampelt für den Song „Alpen Raps“, aber die waren ein bisschen so klamaukartig, das war jetzt kein tighter Rap. Aber die Idee war schon da, der Falco hat deutsch gerapt, wenn man so will. Und dann gab’s auch eine Phase, wo sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Leute Amerika kopiert haben. Da gab’s dann diesen „Austrian Flavor“-Sampler, eine Compilation, wo Leute zu, also 106

Total Chaos aus Innsbruck zum Beispiel rappen darauf, oder aus Gmunden gab’s Compact Function, später die Afrodelics, wo der Functionist damals noch als DJ North Coaster involviert war, wo auch alle noch Englisch gerappt haben. Auch in Deutschland haben viele Rapper mit Englisch angefangen und das hat aber einfach nie so gut geklungen wie das Englisch-Englisch, das war halt einfach irgendwie mit einem deutschen Akzent und das war irgendwie cheesy und das haben die Leute irgendwie nicht so richtig ernst genommen. Und irgendwann gab’s dann halt diesen Knackpunkt, wo Leute das auf Deutsch probiert haben und sich getraut haben und Leute, wie Advanced Chemistry mit „Fremd im eigenen Land“ oder auch andere in der Zeit deutsch… oder LSD, diese Gruppe aus Deutschland, die haben das halt auf deutscher Sprache probiert und das hat auch Wien beeinflusst. Ich denk da an so Gruppen wie Schönheitsfehler ganz am Anfang und die Untergrundpoeten, und eben Texta aus Linz und Total Chaos und Illegal Movement, und davor die Moreaus. Da gab’s schon so einen Pool von Leuten.

Du hast davor gesagt, dass die Niederlande eine große HipHop-Szene hatten, in Frankreich, Paris und auch in Großbritannien auch schon früher. Und du hast auch gesagt, dass in den Niederlanden auch viele aus dem Surinam waren, aus der Karibik, aus Afrika, man könnte im Grunde sagen, sozial Benachteiligte, in etwa wie damals in der Bronx… Das ist ein Grundmissverständnis: HipHop ist ein Überbegriff für diese Subkultur und Rap ist die Musikform davon. Man sagt HipHop heute, aber Rap ist die Musikform davon. Aber das ist auch dogmatisch, von den Medien so dargestellt worden, weil teilweise haben die Graffitisprüher Rockmusik gehört und waren gar keine Raphörer, und teilweise haben die Bboys Funk gehört und und nicht Rap. Also es ist nicht so, dass die alle…

Auf das wollte ich gar nicht hinaus. Worauf ich hinauswollte: Es gibt ja immer diese Geschichte im HipHop, diese Entstehungsgeschichte, dass etwas spezifisch Schwarzes oder auch Lateinamerikanisches ist, dass nur sozial Benachteiligte und ethnische Minderheiten HipHop gemacht haben. Wie ist das in Österreich? Naja, schau, das ist so: die Wurzeln, wie HipHop entstanden ist, oder diesen verschiedenen Zufälle, die dazu geführt haben, dass verschiedene Jugendliche diese 107 urbanen Ausdrucksformen entwickeln, waren auch den Umständen damals geschuldet. Wie man weiß, New York damals fast bankrott, irrsinnig arme Stadt, die Bronx ein Desaster, wo Leute, Immobilienhaie Wohnblocks angezündet haben für Versicherungsbetrug, wo Stromausfälle waren, wo Jugendliche in der Nacht eingebrochen sind in irgendwelche Elektrohändler, weil keine Strom war und die Alarmanlagen aus waren und sich eingedeckt haben mit Plattenspielern und Boxen, damit sie am nächsten Tag die Laterne anzapfen konnten, wenn wieder Strom war und im Park ihre Auflegerei machen konnten. Da haben viele Faktoren zusammen gespielt. Aber ja, naturgemäß war das ein Mittel für Menschen, die in einem Chaos leben, einem urbanen, die sich dort irgendwie die Zeit vertreiben. Und davor haben wir jetzt viel in den frühen 70ern war alles sehr viel von Gangs dominiert. Da gab’s die Ghetto Brothers und die Black Spades, die ganzen Vierteln in New York waren sehr geprägt von Gangkultur, und irgendwann ist aber sozusagen bei einigen dieser Gangmitglieder auch dieses destruktive… da gab’s ein paar Vorfälle, die dieses Gangleben dort ziemlich erschüttert haben, mit Morden - und mit Versuchen Frieden zu schließen, da kam dann die Zulu Nation später, Bambaataa war davor bei den Black Spades, aber das hat auch was damit zu tun. Dass die Leute versucht haben, etwas Positives aus ihrer Community zu machen und aus ihrem Leben, und in eine Competition, eine sportlich-kulturelle Competition zu treten. Und HipHop hat halt den Vorteil: du musst kein Geld haben, du kannst breaken auch auf einem Karton und in einer Jogginghose, du kannst sprühen, wenn dir Sprühdosen organisierst, die kannst dir kaufen, die kannst dir von der Garage vom Opa holen oder die kannst, wie es eben viele Leute früher gemacht haben, einfach auch stehlen. Oder auf die Altwarendeponie am Flohmarkt gehen. Bei Rap das gleiche. Also HipHop spricht einfach auch sehr viele kreative Kanäle an, visuelle Kunst, Sport quasi mit Breakdance, tänzerisch, poetischen, lyrischen Ansatz, musikalischen Ansatz als DJ. Du kannst dich fast in jeder kreativen Richtung ausleben in der HipHop-Subkultur, und ich glaub das ist etwas, das völlig unabhängig ist von Migration, oder von arm oder reich. Ich glaub, das spricht grundsätzlich Menschen an, weil Menschen eben auch auf der Suche sind nach Ausdrucksformen, wie sie sich verwirklichen können, wie sie Respekt kriegen, wie sie Wertschätzung erfahren, wie sie in ihrer Community Aufmerksamkeit erregen, sowohl bei ihren Freunden, als auch ihren Altersgenossen, und auch bei Frauen zum Beispiel. Da war HipHop auch ein schönes Instrument für junge Burschen Aufmerksamkeit zu generieren und irgendwie Respekt zu kriegen für 108 etwas, ohne was kaputt zu machen, ohne Stress zu machen. Du gehst am Wochenende irgendwo hin und tanzt oder stehst auf einer Bühne und rappst, und machst was, drückst dich aus, hast eine Plattform für deine Kreativität. Ich glaub deswegen ist HipHop auch so etwas Magisches, was bis heute so viele Leute fesselt, weil das macht das. Das war auch das, was mich so gecatcht hat in den 90er Jahren. Die Umstände, die sozialen, sind bei uns ganz andere wie dort, aber es ist auch nicht ganz repräsentativ, weil selbst in New York gab’s rich kids unter Anführungszeichen ganz bald, die Graffiti gemacht haben. Oder es gab irgendwelche Typen, die dann Galerien eröffnet haben, oder die selbst irgendwie im Tanz aktiv waren und… Bei uns gibt’s genauso Kids mit Migrationshintergrund, die in dem ihre Insel finden, wie auch Mittelstandskids, wie auch rich kids. Also ich glaube, das hat nicht wirklich was mit dem zu tun. Das ist ja auch das Schöne am HipHop, das eigentlich die Hautfarbe und die Herkunft wurscht sind.

Aber es gibt doch diesen master narrative, dass HipHop als Ausdrucksform von Menschen kommt, die sozial benachteiligt sind. Das stimmt, es wird sozusagen gesagt. Es kommt aus einem Milieu, wo Menschen perspektivenlos sind, wo Menschen wenig Geld haben, wo Menschen Kriminalität ausgesetzt sind und wenig Zufluchtsmöglichkeiten für - weil vielleicht die Strukturen dort nicht so sind, weil die Stadt diese Gebiete dort vielleicht benachteiligt oder ghettoisiert. Es stimmt, wenn man über die Herkunft spricht, dass die Bronx eine wesentliche birthplace, Geburtsort von HipHop ist, aber die Geschichte hat sich ja schon Dekaden weiter gedreht. Wir sind ja schon ganz woanders, wir sind ja schon 2016. Wenn man so will, der HipHop-Baum war in den 70er Jahren ein kleines Bäumchen mit fünf Ästen, wir stehen jetzt fast vor einem Wald, oder einem Riesenbaum mit hundert Ästen, und auf jedem Ast sind nochmal Seitenstränge und da wachsen verschiedene Blätter und verschiedene, ein dichter Wald eigentlich, oder ein dichter Riesenbaum mit ganz vielen Zweigen. Also es ist ganz bunt.

Würdest du sagen, dass diese Entstehungsgeschichte überbewertet wird? Diese Ghetto-Zitate kommen doch schon immer wieder vor? Das Ghetto-Image ist halt ein Teil vom Image. Oder was meinst du mit Ghetto-Image? Geld, Frauen, Autos?

109

Nein, gar nicht das. So klassische HipHop-Videos sind ja auf der Straße… Schau, es ist so, es ist ein Phänomen, das kennt man. Leute, die zum Beispiel nie was hatten, wenn die mal Geld haben, haben sie den Komplex und diesen Drang, all das zu kompensieren, was sie nie hatten. Und die kaufen dann ganz besonders viel Glumpert. Und sind ganz besonders anfällig für irgendwelche Statussymbole. Weil sie’s ja nie hatten. Und weil sie allen zeigen wollen, „ich hab’s geschafft“. Deswegen hat man halt auch in Rapvideos ganz oft diese Statussymbole. Wenn man aber weiß, dass diese Menschen aus Familien kommen, wo die Väter oft gar nicht da waren, wo die Mütter arm waren. Das ist nicht, weil die Leute so dumm sind, sondern weil die Leute einfach irgendwie den Drang haben zu zeigen, dass sie es geschafft haben. Und das ist eigentlich etwas, was ich nachvollziehen kann. Und bei uns ist es zum Glück, wenn man in Österreich aufwächst, gibt’s durchaus auch Siedlungen, die rough sind oder tough, und es wird wahrscheinlich auch Siedlungen geben, wo man sagen kann vielleicht im Verhältnis ist das das Ghetto der Stadt, so, aber es ist anders wie in Amerika der 70er Jahre. Es gab bei uns nie Straßenschießereien und wirklich Crystal Meth- oder Crack-Epidemien, das ist uns zum Glück - wir haben auch Heroin- Epidemien in Europa gehabt - aber ein bisschen erspart geblieben. Wir haben andere Krisen da. Und in Österreich, oder in Deutschland gibt’s andere Probleme und andere sozial andere Brennpunkte wie jetzt vielleicht in der Bronx. Aber im Wesen sind’s alle gleich, nämlich dass Menschen schlecht geht und dass Menschen irgendwie raus wollen aus der Scheiße und irgendwas brauchen, wo sie sich anhalten können. Und da war halt Hip Hop für solche Leute einfach ein Weg, zum Glück. Für andere Leute ist es vielleicht Sport oder Gewalt, irgendeine Gang. Jeder findet dann… Und HipHop hat es dann, glaub ich, relativ gut geschafft, dass es viele Leute anspricht und vielleicht auch vor der Scheiße bewahrt hat. Und dadurch, dass HipHop halt aus diesem Eck kommt, hat es halt auch dieses Image und es gibt auch Leute, die dieses Image füttern, diese Ghetto-Image. Aber im Grunde will jeder raus aus dem und keiner will da bleiben. Jeder, der mal Geld hat, schaut, dass er rauskommt aus dem Schas. Das heißt aber nicht, dass man vergisst, wo man herkommt. Das muss man eh noch immer trotzdem in seinem Herzen tragen und man soll auch die Leute nicht vergessen dort. Aber es ist nicht so, dass HipHop krampfhaft versucht ein Ding zu bleiben. Es gibt halt Künstler, die sich gern über das verkaufen, weil’s das ist, wo sie herkommen. Und dann gibt es Künstler, die sich über das verkaufen, das ist dann aber nicht authentisch, gibt’s auch. Dann gibt’s Künstler, die verkaufen sich wieder als Spaßrapper… 110

Was ist authentischer HipHop, authentischer Rap? Für mich ist Rap, und ich sag nicht, dass Rap immer authentisch sein muss, für mich kann Rap auch entertainmentmäßig gesehen werden, wie zum Beispiel Schauspielerei, man kann auch einen Charakter annehmen, so wie der Marsimoto das macht, der ist halt dann der Marsi mit der Heliumstimme und schlupft in die Rolle von Marsimoto. Und das ist absolut okay. Und es gibt dann halt auch Künstler, die irgendwie in eine andere Rolle schlüpfen. Ich persönlich bin Fan von Rappern, die Dinge erzählen, die ich ihnen abnehme, in welcher Weise auch immer. Also das ist mir eben wichtig, deswegen find ich das authentisch. Was ich nicht mag, sind Leute, die irgendwas vorgeben zu sein, was sie aber überhaupt nicht sind, wo es auch nicht irgendwie den Witz hat, wo man sagt, das ist charmant, ein Alter Ego oder so, sondern die versuchen ihre Traumwelt zu leben und was zu verkaufen, und das spricht einfach nicht an, ja. Ich glaub, dass es nicht schlecht ist als Rapper, wenn man hinter dem steht, was man sagt und völlig, egal was das jetzt ist, völlig wertfrei, ob das jetzt eine Geschichte ist über das Ghetto oder über die Straße oder über irgendeinen fünffach- doppel Reim-Limerick, irgendwie superlyrisches Spiel mit Wortspiel und Metaphern, gibt‘s ja auch genug Leute, die ihren Fokus auf das legen, find ich auch super. Die einfach mit der Sprache spielen und da ihren Fokus voll drauflegen.

Rap kann für dich also alles sein? Das ist ja das Schöne, es ist irgendwie so bunt. Das heißt nicht, dass ich alles, was ich erwähnt hab, höre oder dass ich von allen Fan bin. Aber es ist Platz für alles im Grunde da und die Hörer und Hörerinnen sollen oder können selbst entscheiden, welchen Stil von Rap sie mögen, und auf welches Fantasie- oder Nicht- Fantasiegebilde sie sich einlassen. Das ist ja auch das Schöne an Kunst und Musik. Und Kollegah, ich persönlich, ich weiß, dass er ein super talentierter Lyriker eigentlich ist, also er hat super humorvolle Punchlines und Vergleiche und er kann irrsinnig gut schreiben und ist ein super Geschäftsmann. Aber mit dem Macho-Habitus, den er verkörpert, der törnt mich ab. Mit dem kann ich nichts anfangen, dieses maskuline, ich bin der toughe Bulldozer, Bulldogge, Pitbull, braungebrannte Bodybuildertyp in Bomberjacke, der immer akkurat trainiert, gangbangt und immer 20 Weiber ficken kann. Des beeindruckt mich nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich respektier‘s, dass er‘s macht, und ich versteh auch, dass es vielleicht 12- oder 14-jährige Kids beeindruckt oder Kids, die so drauf sind wie er, ich persönlich zieh aus dem kein Entertainment 111 und auch keine Weisheit oder nichts. Ich find seine Lines zum Teil lustig oder schätze sie als jemand, der sich mit Rap beschäftigt, aber ich kann das leider das Rundherum nicht ausblenden, deswegen hör ich Kollegah jetzt weniger, weil mir einfach das machoide ein bisschen abtörnt. Aber ich respektier ihn. Es hat Berechtigung und ich respektier ihn für das, was er macht, das kann ich einfach so sagen. Und ich respektier auch einen Haftbefehl, wo ich trotzdem auch genau weiß, wo das herkommt. Ich weiß, dass der auch schwer geprägt ist von französischem Rap, für mich ist Haftbefehl auch auf eine Art und Weise definitiv inspiriert, aber er macht was Eigenständiges draus, kann ich auch respektieren. Haftbefehl wiederum find ich sogar so lustig, das kann ich auch auflegen manchmal. Der hat wieder das Augenzwinkern dabei. Aber ich spiel auch genauso einen Marsimoto, Motrip, ich spiel aber auch die Beginner, und ich spiel, wenn‘s passt, was von Dendemann und ich kann, also ich bin da sehr offen als DJ und als jemand, der Rap sehr gern mag. Und ich spiel auch was aus Österreich, ich spiel Skero, ich spiel Texta, ich spiel Sachen aus Wien, ich spiel Kreiml & Samurai, ich spiel Monobrothers aus Niederösterreich, ich mag T-Ser aus Salzburg, ich spiel gern Crack Ignaz-Sachen, es gibt in Innsbruck den Drummin, der eh in Wien lebt, die IBK Tribe-Jungs von früher, es gibt eh in ganz Österreich, es tut sich was. Und ich versuch das auch eben als DJ immer abzubilden und es gibt dann halt auch Künstler, die mir wieder weniger taugen, aber das ist auch okay. Es muss ja nicht alles mir taugen.

Warum ist österreichischer HipHop in Österreich nicht in demselben Maß erfolgreich, wie deutscher HipHop in Deutschland? Das ist ein interessantes Phänomen, wenn man jetzt mal den Skero mit „Kabinenparty“ ausnimmt, weil das schon auch irgendwie, da haben halt viele Zufälle zusammengespielt, aber in Österreich gibt‘s, ich hab vorige Woche mit für FM4 ein Telefoninterview aufgenommen, und da haben wir sogar über das geredet, in Österreich gibt‘s keinen Rapsuperstar. Also es gibt in Österreich kein Äquivalent zu Samy Deluxe oder Absolute Beginner oder Casper oder Cro. Es gibt kein Äquivalent. Es gibt Texta, die für ihre Verhältnisse schon ewig dabei sind und schon viel bewegt haben und viel geprägt haben und viele Platten verkauft haben, große Hallen gefüllt haben. Die sind das eine, der eine Name. Aber dann gitb‘s das nicht wirklich. Es gibt den Nazar, aber der Nazar ist auch ein bisschen über Deutschland trotzdem gegangen, und der Nazar muss, die sind alle aus Deutschland, reden wie Berliner, 112 haben einen Berliner Slang adaptiert und klingen wie Deutsche, also die haben eher versucht, sich ein bisschen anzupassen und haben‘s aber auch geschafft.

Aber warum ist HipHop in Österreich im Vergleich zu Deutschland kommerziell so unerfolgreich? Ich sag dir meine Theorie und ich weiß nicht, ob meine Theorie stimmt. Die Theorie, die ich hab, und ich bin seit vielen, eigentlich seit über 20 Jahren in Österreich unterwegs als DJ, in verschiedensten Bandkollektiven, mit dem Kayo, mit Markante Handlungen, auch mit Texta, mit der Fiva, ich hab verschiedenste Stationen quasi schon durchgemacht als DJ, wo ich verschiedene Ecken des Landes, und Venues, und Clubs und Festivals besucht hab, und bisschen ein Gefühl gekriegt hab für Österreich, ein sehr gutes Gefühl. Und was Österreich halt, und das ist nur eine Theorie, wir haben halt, also HipHop ist eine urbane Kultur, und Rap, und Österreich hat sehr wenig urbane Räume. Österreich hat Wien, Österreich hat Linz, Österreich hat Salzburg und Graz, aber im Grunde hast du diese Ballungszentren nicht so, wie zum Beispiel im Ruhrpott, in München, Hamburg, Berlin, Frankfurt, in Deutschland gibt‘s da einfach so viele urbane Räume, dass das organisch normal einfach wesentlich größer hat werden können. Ich mein, wenn du jetzt in einem Land leben würdest, wo sechs Wien wären, dann wär Rap in Österreich auch größer, aber das ist halt nicht so. Und ich glaub zum Beispiel, aber die Schweiz, die Schweiz ist klein und da ist Rap auch groß, aber die Schweiz ist dichter, und in dem Sinn glaub ich, haben die auch einen engeren Support, dass zum Beispiel Schweizer Rap im Radio läuft dort, auf großen Sendern. In Österreich hast das Problem, dass Rap nie von einem Massenmedium wie Ö3 ernst genommen worden ist. FM4 hat da wirklich, und das sag ich nicht nur, weil ich da arbeit, sondern das mein ich neutral als Künstler, hat FM4 da richtig viel Arbeit geleistet. Und früher Ö3 mit der Musicbox. Die haben da wirklich den Grundstein gelegt und noch immer, dass Künstler aus Österreich überhaupt irgendwelche Leut erreichen, wenns das nicht geben würd. Natürlich es gibt Youtube, es gibt Facebook und so weiter, aber trotzdem macht das was, wenn ein öffentlich- rechtlicher Sender dahintersteht und Künstler ernst nimmt, Künstler interviewt, Künstler in Rotation nimmt, Künstler einlädt ins Studio, über Künstler schreibt, über Künstler berichtet, Events organisiert, wo die eingeladen werden. Das macht FM4, das ist ganz wichtig, das ist ein Segen für uns. Aber wenn‘s Ö3 machen würde, dann würden wir wahrscheinlich auch die Leute irgendwie breiter erreichen. Aber das hat 113 auch was damit zu tun, was man den Leuten zumutet, bei Ö3 würdest wahrscheinlich argumentieren, der Ö3-Chef würde sagen „Ja, aber der österreichische Rap ist nicht massenkompatibel, der klingt so szenig, so scheiße“. Ich glaub, das stimmt nicht immer, erstens und zweitens glaub ich, dass man auch dem österreichischen Volk zum Beispiel zumuten könnte, auch der breiten Masse, sich für deutschsprachigen Rap zu öffnen, das muss nicht immer so ein gefälliger Allerweltspop sein, ja. Man kann durchaus auch ein bisschen Ecken und Kanten haben. Aber das hat auch sicher einen Mitgrund. Jetzt könnte man auch sagen, vielleicht sind die Künstler nicht professionell genug, ist vielleicht auch ein Argument. Vielleicht ist der Unterschied zwischen manchen deutschen und österreichischen Künstlern, den ich auch am eigenen Leib erlebt hab, dass die tatsächlich oft viel fokussierter, zielstrebiger, akkurater, auch wenn das ein blödes deutsches Stereotyp ist, und gründlich ihre Karrieren machen. Die sind Workaholics und die nehmen das bierernst, die stecken da dahinter und da gibts einen Manager und da gibts einen Timeplan und da gibts einen Masterplan dahinter und da wird alles so gemacht, wie es gehört und noch besser. Und in Österreich ist halt oftmals so ein bisschen Laissez-fair, der Soundcheck ist um 4, man kommt um halb 5, ja FM4 spielt‘s, ja leiwand, FM4 spielt‘s nicht, ja trotzdem leiwand, auch alles in Ordnung. Es ist halt ein einfach ein bisschen anders. Rap ist oft einfach auch nur ein Hobby, das halt ein bisschen nebenbei läuft, es sind die wenigsten, die wirklich alles auf ein Pferd setzen.

Also mehr Biss und mehr Städte als der große Unterschied zwischen Deutschland und Österreich? Glaub ich, aber das ist nur meine Theorie. Das ist nicht wissenschaftlich fundiert oder so. Das ist mir irgendwann bewusst worden. Ich bin draufkommen, hey, bei uns gibts eigentlich echt außer Wien und Salzburg, und Salzburg ist jetzt auch kein mega urbaner Raum, es gibt Linz, Oberösterreich, Graz, Innsbruck und Wien. Aber dann hast halt nur kleine Ortschaften, kleine Provinzstädte. Dann gibts Lienz, dann gibts Villach, und dann gibts Steyr und Weyr und Hallein, es gibt dann halt lauter so kleine Ortschaften, wo auch was passiert, aber das ist alles irrsinnig lokal und da kommen lokal dann schon Leute, aber das ist halt für eine urbane Subkultur wie Rap und HipHop schwierig, da so einen geeinten Rapsuperstar hervorzubringen. Ich glaub, dass das Potential schon prinzipiell da ist, wirklich. Es ist eigentlich schad für die Rapper in Österreich, dass keiner das Loch füllt, denn es wär eigentlich möglich. Mit 114 guter Rapmusik in Österreich, davon bin ich überzeugt, mit guter Rapmusik, die breite Masse zu erreichen und zu erhalten und zu entertainen und große Hallen zu füllen. Ich bin überzeugt, es muss ein Äquivalent zu einem Peter Fox in Österreich genauso geben, einer, der, so ähnlich wie Bilderbuch. Wie Bilderbuch das jetzt mit ihrem Sound geschafft haben, die lokale aber auch die deutsche Bevölkerung so einen auf den eigenen Sound, das haben hundertprozentig auch Rapper aus Österreich die Fähigkeit dazu. Also man kann auch nicht mehr sagen, spätestens seit Bilderbuch, dass die Deutschen uns nicht wollen. Also es liegt schon natürlich auch an den Rappern und ihren Inhalten, und wenn die jetzt in Mundart rappen, österreichischer Dialektrap hat‘s natürlich schwierig in Deutschland, ich hör auch keinen Schweizer Rap und ich hör auch keinen französischen Rap und ich hör auch keine Rap, der im sächsischen Rap unbedingt - regionale Dialekte beeinflussen schon deine Reichweite, aber der Crack Ignaz hats wiederum aus Salzburg erreicht mit seiner Salzburger Dialektstylerap, hat auch Leute in Köln.

Cloud Rap ist zur Zeit auch ein österreichisches Spezifikum, oder? Das ist lustig, weil es ist eigentlich ein bisschen, und auch da wiederum Respekt an Crack Ignaz und Respekt an Yung Hurn, aber im Grunde ist das auch für mich ein Phänomen. Oder ein Money Boy, das ist eigentlich was, ganz ehrlich, wenn das im Graffiti machst, oder gemacht hättest, und ich weiß aber, dass sich der Yung Hurn eh mit Graffiti auskennt, also den Vorwurf will ich ihm garnicht machen, er hat mir das auch erklärt, wie sein Zugang ist, nämlich so Antistyle, gibts im Graffiti auch, das war für mich dann so ein Aha-Moment, weil ich mir gedacht hab, okay, wenn er bewusst so Antistyle rappt oder Antistyle sprüht, das ist eine Ansage. Und das passt auch zu dem, was er macht. Und Crack Ignaz ist für mich, aber der macht auch keinen Antistyle, sondern der macht im Grunde eben genau das, was ihm taugt, aber das machen eh auch alle anderen auch, ist auch kein Vorwurf. Aber er lässt sich halt auch schwer inspirieren von diesem swaggy Cloudrapding und übersetzts quasi auf Deutsch. Was zum Beispiel der Money Boy macht, dafür hättest in der Graffitiwelt keinen Tag Existenzberechtigung, wenn quasi einen fremden Style nimmst, eins-zu- eins kopierst und als dein Ding verkaufst. Das geht halt nicht. Money Boy der nimmt quasi Songs von einem Soulja Boy und übersetzt‘s auf Deutsch, aber es ist halt nicht raffiniert oder so, find ich. Es ist nicht gecovert auf eine charmante Art, es ist plump. Und das nenn ich dann eigentlich Biting, es hat für mich nicht die Ästhetik, wenn zum 115

Beispiel ein jamaikanische Artists irgendwelche Pophits covern, gibt‘s auch, ja. Es gibt „Genie in a Bottle“ von Christina Aguilera, gibt‘s Reggae-Versionen mit dem Houston, mit Michael Jackson, aber die gehen anders an das ran, die nehmen das nicht eins- zu-eins und die verkaufen es nicht als ihres, das ist irgendwie, ich weiß auch nicht, das ist so ein Problem, das ich ein bisschen mit Money Boy hab, auch nicht persönlich, menschlich kenn ich ihn garnicht, aber mit seiner Kunst, dass das halt für mich zu sehr gebitet ist. Und Biting ist halt ein No-No, HipHop muss originell sein. Du musst irgendwas Originelles reinbringen und ich mein, es würd genügend Leute sagen, originell ist er wirklich, er ist wahrscheinlich einer der originellsten Rapkünstler im Sinn, dass er ein Charakter ist. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich selbst einen Money Boy auf diesem Baum HipHop akzeptier, dass ich sag, es soll auch das Asterl Money Boy geben, aber auch da als DJ und HipHop-Kenner tu ich mich sehr schwer, die Kunst wirklich zu schätzen. Also ich weiß, dass der Falco aus Deutschland, ein Journalist, Falk Schacht, der ist dem Money Boy wieder eher wohlwollend gegenüber. Aber ich weiß nicht, ich hab dann einfach trotzdem zu viel Respekt vor dem Originator und das fehlt mir da ein bisschen. Aber das könnten wir jetzt wahrscheinlich auch alles gleich wieder mit Gegenargumenten killen, was ich da sage.

Kann man zur Zeit nicht sagen, dass Money Boy der österreichische HipHop Superstar ist? Auf eine Art und Weise ja, das tut mir eigentlich irrsinnig weh zuzugeben. Für mich, ganz ehrlich, die Frage stellst mir jetzt zwar nicht, aber die beantworte ich dir jetzt, mein persönlicher Rap-Superstar in Österreich ist der Kroko Jack. Der Jack Unterwega, der Maki, mit dem wir früher Markante Handlungen gemacht haben, das war unsere Band, oder er noch mit Rückgrat, oder er auch noch mit Stimafoku, das ist für mich ein Rapkünstler aus Österreich, der wäre, der wär‘s, so quasi. Der hätte das Charisma, der hat das Feuer und der hat auch den Humor und die Wortwahl, der ist hochintelligent, der versteht Rap, der atmet Rap, der weiß, wie HipHop und Rap geht, also der kennt das alles, der hat verstanden was Jamaica und Reggae-Dancehall für einen Einfluss auf Rap haben, der hat auch das integriert in seinem Sound. Der wär für mich und ist das, der nicht, der ungeschliffene Superstar quasi, der sich leider halt selber mit gewissen Moves, glaub ich, in seiner Karriere im Weg gestanden ist, zumindest was kommerziellen Erfolg angeht, weil ich glaub, künstlerisch würde er das nicht so unterschreiben, würde ich auch nicht so unterschreiben, weil künstlerisch ist 116 er top und ist, was er macht leiwand, aber ich glaub halt, er hat sich selbst bewusst oder unbewusst den kommerziellen Erfolg verbaut, immer wieder. Und deswegen ist er nicht der Rap-Superstar, aber er hätte das Potential. Er hat eigentlich all die, das Problem ist, den ganzen Fame und den ganzen Erfolg, die solche Leute wie die Vermummtn abcasht haben, der hätte meiner Meinung nach ihm gebührt. Er hat nur leider auf das falsche Pferd gesetzt zu der Zeit, drum er hat das nicht geschafft. Oder auch solche Leute, wie Haftbefehl, das wäre alles er, alles er, nur dreimal besser und zehnmal besser. Ich kenn Leute, die sagen, dass er der dopeste Rapper weltweit ist, nicht einmal nur in Österreich, sondern weltweit. Und ich hab gerade mit dem RAF Camora geredet, der sagt zum Beispiel, für ihn ist er einer der Top 3 Rapper auf der ganzen Welt. Wie er rappt, spittet. Jack Unterwega, Kroko Jack, das wär er. Er ist halt leider, wie gesagt, er hat halt Moves gemacht oder macht Moves, Business Moves, bewusste auch, die halt dann gewisse Schritte wahrscheinlich verhindern und eine Entwicklungen.

Im HipHop spielt also auch das Business, auch in Österreich, ein große Rolle, oder? Was heißt Business? Die Frage war eigentlich, warum gibts keinen Superstar? Und ein Superstar beinhaltet Business, sonst wär er kein Superstar, weil Business, Superstars erreichen die Masse, machen viel Geld, weil sie die Locations füllen, weil sie viel Platten verkaufen oder so weiter und das ist ja genau der Punkt. Der Maki oder der Kroko Jack sozusagen ist ja eh ein Rap-Superstar, aber halt für eine Undergroundszene. Jeder, der sich für Rap aus Österreich interessiert, muss ihn kennen, und kennt ihn. Da ist er dann sozusagen eh ein kleiner Rap-Superstar, aber er ist kein Rap-Superstar, weil er wird keine Hallen füllen. Im Idealfall kommen ein paar Hundert Leute, wenn er wo spielt, aber auch nicht dauernd und auch nicht jede Woche.

An der Qualität in Österreich kann’s ja nicht scheitern, aber in Deutschland zum Beispiel stehen HipHop-Acts an der Spitze der Charts. Wie kommt das? In Deutschland aber, das weiß ich auch, in Deutschland ist das halt so: wenn eine Single im Radio läuft, dann läuft die in allen größeren Städten im Radio. Und dann ist das ein Riesending. Du hast viel Privatradios, du hast viel Charts-orientierte Radios, es geht voll viel um die Charts, wenn du in die Charts kommst, bist du automatisch für 117 die Radios interessant. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn bei uns nicht in die Charts kommst, und das wirst nicht, außer in die FM4-Charts, dann spielt dich auch sonst nichts, und wenn dich nichts spielt, kann dich auch keiner kennenlernen und dann bleibst immer so ein Nischending, außer es passiert so ein Youtube-Phänomen, wie bei den Vamummtn, die jetzt ausbrechen aus dem. Aber das ist auch sehr schwierig dann langfristig zu bleiben. Außer halt ein One-Hit-Wonder oder so. Und in Deutschland hast halt dann einfach, da wird auf die Charts geschaut und wenn es schaffst über Bahnen, dass du genug Leute mobilisierst, die deine Sachen kaufen, dann bist du in den Charts, dann spielen dich alle Radios, dann lernen dich mehr Leute kennen, dann kaufen noch mehr Leute deine CDs, dann gehen in allen Städten mehr Leute zu den Konzerten und du hast diesen Kreislauf.

Aber Deutschrap ist in Österreich ja auch in den Charts. Ja, eh. Das ist ja das Absurde. Deutscher HipHop ist, drum sag ich ja, es wäre den Leuten zuzumuten auch österreichischen HipHop zu spielen, weil ich weiß, dass es ihn gibt. Es gibt österreichischen Rap, den man auf Ö3 spielen könnte.

Liegt die Verantwortung dann beim ORF? Nein, nicht nur, bei allen. Auch bei den Privatradios, es sollten alle mehr sich trauen in die Richtung. Es sind halt alle so konform, alle in ihrer Comfortzone, spielen halt die Hits, die Top 100. Es ist halt schade, aber es ist halt irgendwie trotzdem so, dass man sich auch nicht nur auf das rausreden kann. Wenn genug Leute gewisse Songs sich wünschen oder die Künstler auch wirklich was machen. Vielleicht hat’s auch was mit dem Nerv zu tun. Vielleicht ist es wirklich auch noch nicht gelungen, diesen Zeitgeist, dieses Momentum hat ja auch viel mit Glück zu tun, es ist ja, in der Musik gibt‘s ja ganz viele unberechenbare Faktoren, und es hat halt irgendwie in Österreich in den letzten Jahren keiner geschafft, das Momentum mit seinem Sound so zu vereinen, dass es ausbricht aus den klassischen stereotypen Hörerkreis. „Kabinenparty“, das war so der Zeitgeist, zufällig. Da hat er halt den brasilianischen Zeitgeist eingefangen, auf Deutsch übersetzt im Grunde, im Grunde hat er auch das gleiche gemacht wie der Money Boy, nur besser. Er hat’s halt ironisch und mit Augenzwinkern gemacht und offiziell, er hat den Beat gekauft und den brasilianischen Producer an den Verkäufen beteiligt, der mit denselben Instrumentals schon einen Riesenhit in Brasilien hatte. Das gibt‘s ja das Lied, es heißt nicht „Kabinenparty“, aber es gibt den Beat mit einem 118 anderen Interpreten drüber. Und der Skero hat dem Produzenten den Beat abgekauft und hat das offiziell gemacht, also anders wie Money Boy, und hat das übersetzt und das ist dann halt ein Hit geworden, weil er im Sommer rauskommen ist, das Video hat einen Riesenanteil an dem Hit gehabt, ohne Video wäre das nie so ein Hit geworden. Und plötzlich ist er da wie die Jungfrau zum Kind gekommen, der Skero mit seinem österreichischen Sommerhit und hat mal kurz in die Welt hineinschnuppern dürfen, das war auch interessant.

Was sagt es über Österreich aus, wenn Money Boy seit einigen Jahren als bekanntester österreichischer HipHop-Act gefeiert wird? So viel Schwachsinnige erreichen die breite Masse, ich würde einmal sagen, die österreichischen HipHop-Szene ist sehr gesund, weil sie eben nie diesen Prozess durchgemacht hat, diesen Fantastischen Vier-Prozess, dieses „Wir werden jetzt Superstars und werden jetzt arrogant“ und was auch immer, obwohl die Fantastischen Vier eh nicht arrogant geworden sind. Diese ganze Popidentitätskrise hat’s in Österreich nie gegeben, weil es eh nie irgendwer geschafft hat.

Aber steht man zu Money Boy in der österreichischen HipHop-Szene? Naja, schau, ich glaub, dass Money Boy von manchen einfach belächelt wird, andere finden ihn lustig und sehen ihn halt wie ein Maskottchen und nehmen das halt als Entertainment, er ist ja Entertainment und das ist ja auch ein Faktor von Rap. Entertainment, der Flavor Flav von Public Enemy ist auch ein Maskottchen, der macht es halt anders, ist auch okay. Ich will den Money Boy auch gar nicht hochstilisieren zu einem Feindbild oder so, der hat schon seine Berechtigung. Ich versteh’s nicht ganz, ich find’s ein bisschen traurig, dass er tatsächlich der Bekannteste ist, aber soll sein, sagt auch was aus. Jeder kriegt das, was er verdient.

Wir reden jetzt schon länger darüber, wie viel guten HipHop es in Österreich gibt, aber der Bekannteste ist derjenige, der sich einen Scherz auf Kosten dieser Szene erlaubt. Schau, der Skero hat „Kabinenparty“ gemacht und trotzdem ist es nicht so, dass sich so viele Leute mit seinem Werk auseinandergesetzt haben. Leider. Es ist sicher so, dass wenn jetzt 50 Leute fragst, kennen 45 Kabinenparty, aber von den 45 kennt wahrscheinlich nur einer einen zweiten Song Skero. Also es nicht so, dass ein Hit 119 bedeutet, dass sich die Leute sich für dich als Künstler interessieren, sondern sie wollen den Hit hören. Wir leben in einer Zeit, der kurzen Aufmerksamkeitsspannen. Und Menschen haben gar keinen Nerv mehr für Alben teilweise, oder für, das ist eine Nische. So wie die Nische, die intelligente Zeitungen liest, oder die Nische, die intelligente Parteien wählt, so interessiert sich die Nische für anspruchsvollen Rap oder für mehr wie nur den Hit oder die eine Single.

Dann geht der HipHop in Österreich aber doch vor die Hunde, oder? Nein, der kann gar nicht vor die Hunde gehen, weil da gibt‘s nichts vor die Hunde zu gehen, weil er gar nie groß war. Der HipHop in Österreich ist sowieso, basiert sowieso auf einer gesunden kleinen Szene, die sie supportet, und auf Künstler und Künstlerinnen, die das auch machen aus Liebe und nicht wegen dem Geld und die auch alle nebenher Jobs haben, die das auch nicht machen müssen, und die das machen aus Liebe zur Kunst, oder weil sie es wollen und weil sie trotzdem irgendwie glauben oder die Vision haben, dass das noch größer werden kann und da kann gar nichts so tief runter fallen. Das ist eh schon alles so tief unten, wenn man so will, blöd gesprochen. Aber dadurch, dass das auch schon so lange gibt, hat es einen sehr gesunden Boden, es gibt gesunde Venues: es gibt die Kapu in Linz, es gibt in Wien ein paar Veranstaltungen, es gibt eine gesunde Szene, es gibt Tribe Vibes noch immer, wir sind auch, glaub ich, ein wichtiges Lichtchen, die eine Plattform darstellt. Uns geht‘s nicht schlecht in Österreich, aber es gibt halt nicht - die großen Träume sind halt für manche geplatzt, die großen Illusionen. Aber ich glaub, es wird in den nächsten Jahren Rapper geben, so ähnlich wie Bilderbuch, der so einen Erfolg feiern wird. Aber ich sag dir, auch davon kannst du nicht ewig leben, also selbst Bilderbuch, das funktioniert super und das wird hoffentlich noch ein paar Jahre super funktionieren, aber selbst das ist nur ein Momentum. Und daher, es wird die Zeit uns sicher irgendwann einen Rapper präsentieren, der dann genau diese Lücke füllt. Das weiß ich. Ich weiß nur noch nicht, wer es ist. Es wäre ja auch mal interessant zu schauen, in wie vielen Ländern es das so gibt, weil ich weiß, dass es in Holland Megastars gibt, es gibt in Belgien und es gibt in Deutschland Megastars im Rap und es gibt in Frankreich Megastars, wo zum Konzert 20.000 Leute kommen, und in Afrika genauso und in allen anderen Ländern auch. In England zum Beispiel Dizzee Rascal und so weiter. Keine Ahnung, warum es in Österreich nicht den einen oder die paar zwei, drei Bands gibt, mit denen die Stadthalle zweimal füllen kannst. 120

Ist HipHop in anderen Ländern dann viel populärer? Das ist so schwierig zu beantworten, die Gefühlsduselei. Ob es beliebter ist oder nicht, das kann man nur schwer messen, und ich weiß auch nicht, was irgendwelche in Niederösterreich in irgendwelchen Orten jetzt sagen zu HipHop. In den Charts ist HipHop bei uns weniger abgebildet wie in anderen Ländern, das stimmt. Beliebt ist es trotzdem. Aber ja, auch FM4 Tribe Vibes ist jetzt keine Massensendung, wir erreichen auch nicht 500.000 Leute pro Show, obwohl bei uns der Kendrick Lamar in der Sendung sitzt oder der 50 Cent, also die kommen auch zu uns. Aber genau so Kreiml & Samurai und der Kroko Jack, das macht auch Tribe Vibes irgendwie aus. Aber deswegen sind wir eine Nischensendung und bleiben wir wahrscheinlich auch.

Aber vielleicht ist das ohnehin ein Vorteil, oder? So lange wir die Insel füllen dürfen, glaube ich, und wenn man uns vertraut und wenn man uns nicht auf Zahlen festnagelt, weil Zahlen, eine gefällige HipHop-Sendung mit den aktuellen HipHop-Hits müsste anders klingen als Tribe Vibes. Aber wir haben halt die ganzen Grauwerte dazwischen.

121

6.4. Holger Hörtnagl, Wien, 20.2.18

Kannst du dich mal kurz vorstellen? Ich bin der Holger Hörtnagl, DJ DBH von Total Chaos, mach zwar auch noch andere Sachen, aber von 16 weg bis 17 Jahre lang hab ich Total Chaos mit dem Manuva zusammen gemacht und das eigentlich, so lang man das sagen kann, professionell, also ich hab zwar nebenher studiert, aber die Musik war schon die Haupteinnahmensquelle und die Hauptlebenssache.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit HipHop erinnern? Ja, so wie bei vielen war das eher eine peinliche: das war so mit zehn, elf eine holländische Produktion, MC Miker G und DJ Sven, „The Holiday Rap“ hat das geheißen, also eher so eine Dancehall Produktion, und da hab ich zum ersten Mal, wo ich mich bewusst dran erinnere, jemanden rappen gehört. Und das war total schlecht, ja. Und ich hab das dann auch scheiße gefunden. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu meiner Mama gesagt hab „Schau mal, der singt ja garnicht wirklich. Das kann ich ja auch. Der redet ja nur.“ Und das war quasi eher eine negative Erfahrung, aber irgendwie hab ich die Platte dann trotzdem behalten und dann die erste richtige, ernsthafte Auseinandersetzung mit HipHop war dann mit dem zweiten Run DMC-Album, das wir im WOM in München beim Ausflug mit den Eltern gekauft haben. Diese Jungs mit den Brillen und den Kappen, die hab ich irgendwie cool gefunden, und das Album hat mich, also uns beide, der Clemens und ich waren ja Nachbarn, wir haben sehr viel Zeit unserer Freizeit zusammen verbracht, und haben auch das Run DMC-Album gehört und das dann auch nachgespielt. Also die Texte irgendwie niedergeschrieben, das dann versucht nachzurappen, auch so cool sein und so.

Wie ist dann weitergegangen? Was hat euch denn daran so fasziniert? Ich hab mit dem Clemens oft darüber geredet, diesen Moment, festzustellen, was war der Anlass, als wir damals in Wilten in Innsbruck gesessen sind, wo alle andere Heavy Metal gehört haben oder Cosmic. Also ich hab mich schon mit Musik und DJing auseinandergesetzt und da waren alle einfach Cosmic, das war Standard. Aber irgendwas hat uns daran nicht gefallen und wir haben einfach etwas anderes gesucht, und ich hab aus irgendeinem Grund immer schon Gitarren gehasst, und dann kam

122 das irgendwie daher. Das war dann diese goldene Anfangszeit, wo Public Enemy, Run DMC, so diese großen Big Names rausgekommen sind. Und bei Public Enemy zum Beispiel, da hat das dann schon auch diese Komponente gehabt mit diesem Logo, das Fadenkreuz, ich war elf, zwölf, dreizehn Jahre alt und irgendwie hat mir das schon imponiert. Das war halt hart und rough und das ist halt ein Alter, wo man vielleicht aus den falschen Gründen Sachen cool findet. Und das nächste war dann N.W.A, was halt dann, also wenn’s davon Videoaufnahmen gäbe, das muss unfassbar sein, wir beide in dem Kinderzimmer, wir zwei Whiteys, die N.W.A, Niggaz Wit Attitudes, hören und das voll cool finden. Und wir haben uns dann auch solche Raidersjacken gekauft und das wirklich nachgestellt und unsere eigene Nische gefunden. Also es war so eine Kombination aus dem, dass mich Gitarren nicht angesprochen haben, und dieses bewusste Abgrenzen. Und natürlich diese Komponente, dass das halt hart und cool für uns gewirkt hat. Und erst später dann haben wir den Switch gemacht, also die ersten Demos, die wir gemacht haben, die waren ja so Pseudo-Gangster-mäßig, jetzt rückwirkend betrachtet voll peinlich, aber ich steh dazu, mit 13, 14, 15 waren wir halt so. Und dann sind wir halt irgendwann später auf diese A Tribe Called Quest-Schiene gewechselt, das ist dann schon etwas anderes gewesen, da haben wir uns natürlich auch mehr mit den Inhalten beschäftigt, haben auch mehr verstanden, am Anfang als 12-Jähriger war das schwierig. Aber trotzdem hab ich auch schon als 11-, 12-Jähriger diesen Rassismus und so als total ungerecht empfunden hab. Das war vielleicht noch ein Grund, dass sich das zusammen gestückelt hat und eine Faszination entstanden ist. Und was man natürlich nicht leugnen kann, also ich glaub schon, dass uns das getaugt hat, etwas Besonderes zu sein. Das kann man sich heute vielleicht garnicht mehr vorstellen, aber in Innsbruck waren wir damals wirklich etwas Außerirdisches, mit unseren offenen Turnschuhen und den Raidersjacken und den Baseballkappen. Allein schon die Baseballkappen, du bist damals mit Baseballkappen durch die Straßen gegangen und bist hundertprozentig zehn Mal angeredet worden, weil es einfach, das kann man sich heute garnicht mehr vorstellen, das war einfach abartig. Von jung bis alt, da hat jeder irgendeinen Kommentar dazu schieben müssen.

Woher hab ihr denn in dieser frühen Phase eure Informationen bezogen? Ganz eindeutig München, Innsbruck ist ja nahe zu München und das war früher Gang und Gebe, dass man fast einmal im Monat mit den Eltern nach München gefahren ist 123 zum Einkaufen, wo’s den H&M nur in München gegeben hat und noch nicht in Österreich. So Sachen halt. Lass es alle sechs Wochen sein. Und dann ist man halt mitgefahren, hat sich von den Eltern einkleiden und aufzwingen lassen, aber dann nur, wenn wir noch ins WOM gehen. Und im WOM war’s, das war ja damals überschaubar, ja, da sind 30, 40 Alben im Jahr rauskommen, also man hat da auch nichts verpasst. Im Grunde, wenn du drei, vier Mal im Jahr im WOM warst, hast du die aktuellen Platten alle gehabt, und die hat man dann wirklich von vorne bis hinten durchgehört, hunderte Male, jedes Intro, alles. Das war halt so, da war weniger Ablenkung, da hast du dich wirklich auf das fokussieren können. Der Schritt von Run DMC zu Public Enemy ist ja ein logischer und dann N.W.A, natürlich hast du dann auch nach dem Cover gekauft, die bösen Jungs und so haben uns damals halt beeindruckt.

Und die Mode kam auch aus München? Ja, das schon auch, aber das war dann eher vom Army Shop in Innsbruck, das war halt ein Ami, und da bist du hin und der hat das dann bestellt für uns. Bei den Raidersjacken, das weiß ich noch, da hab ich zu Weihnachten alles Geld, die war sündhaft teuer, die hat umgerechnet sicher 200€ oder so gekostet, wirklich alles zusammengespart, die Jacke bestellt und dann haben wir wirklich, ich glaub, sechs oder sieben Monate auf diese Jacke gewartet. Also das hat einfach so lange gedauert. Dem Typen hat man halt das Geld Cash auf den Tresen gelegt und dann sieben Monate später ist die gekommen. Also ich hasse ja eigentlich Army Shops, aber der war damals wirklich der einzige, der dran gekommen ist.

Habt ihr euch auch durch Zeitschriften, Radio oder dergleichen informiert? Klar, das war das zweite. Also erster Step, als wir ganz jung waren, war natürlich WOM, und dann, wo wir dann 13, 14 waren, ist es losgegangen mit der Musicbox. Wie wir da draufgekommen sind, weiß ich auch nicht mehr, aber irgendwann haben wir halt mitgekriegt, dass es da eine HipHop-Show gibt und das war dann wirklich Donnerstag von A bis Z mitgeschnitten auf Kassette. Die besten Sendungen hab ich immer noch, genau beschriftet und datiert, welche Gäste dort waren, alles. Und bis zur nächsten Sendung ist das dann durchgelaufen. Und bei Tribe Vibes, also das war halt auch ein Glücksfall, weil was die Sendung journalistisch geleistet hat, das kann man gar nicht mehr genug wertschätzen. Das war, glaub ich, in Europa ziemlich 124 einzigartig neben Tim Westwood in England. Also die Katharina hat den Wu Tang Clan eineinhalb Jahre bevor die einen Release gemacht haben interviewt. Das heißt, die Leute in Österreich haben Wu Tang Clan gekannt, wahrscheinlich lang bevor viele Amis das gekannt haben. Die war da einfach wirklich dran, weil die auch viel in New York und eine gute Journalistin war und das halt irgendwie gecheckt hat. Und dann die ganzen Leute, die zu den Sessions gekommen sind, das war wirklich auch ein sehr, sehr guter Input. Diese Kombination aus ihren Geschichten, der Werner hat moderiert, der DSL, der die Mixes macht, das war halt einfach, also viel besser geht’s garnicht. Und da kannst du jeden aus der Zeit fragen, das war für alle genau das Gleiche. Also WOM, dann Tribe Vibes und das in einer religions- und sektenmäßigen Verbissenheit, also das war wirklich eine Tragödie, wenn man da mal eine Sendung verpasst hat. Und dann war noch zu den Anfängen von Total Chaos, da waren wir ja noch zu dritt, da war der Tom noch dabei, ein Engländer, und der hat damals Satellitenradio gehabt, und für den war das halt Tim Westwood. Der macht jetzt ganz peinliche Sachen, aber früher war er der Promo-DJ für alle Amis, das heißt, der hat die Sachen auch ganz früh gekriegt und gespielt. Und der Tom hat das Gleiche mit Tim Westwood gemacht, und wenn wir immer bei ihm waren, hat er halt Tim Westwood laufen gehabt und bei uns halt Tribe Vibes. Und das waren eh schon total super Quellen eigentlich. Also ich glaub, dass wir den Amis garnicht so hinterher waren, obwohl es noch kein Internet und nichts gegeben hat, es war damals halt auch einfacher, weil es nicht so viel gegeben hat.

DJ DSL soll gesagt haben „HipHop ist das, was da ist.“ War das für dich auch so? Also natürlich hat’s damals natürlich auch gleich viel HipHop gegeben, es ist nur wesentlich weniger rausgekommen und es war diese Hürde eine größere. Es ist damals niemand auf die Idee gekommen Anfang der 90er, selber Platten zu pressen, das hat es alles nur mit Tapes gegeben. Und ich bin mir sicher, dass es ganz viele Rapacts gibt, die nie gesignt worden sind, dass man davon in Europa gar nichts mitbekommen hat. Aber das, was die DJs aufgelegt haben, das musste halt auf Vinyl sein und das waren dann meistens Major. Erst Mitte der 90er ist das dann mit Wild Pitch, die haben dann auch in kleineren Auflagen veröffentlicht, da ist das dann halt so losgegangen. Natürlich hat’s lokale Rapstars gegeben, von denen wir genau nichts mitbekommen haben. Ich versteh das dann auch nicht, wenn die Leute sagen, früher 125 war alles besser, das stimmt natürlich nicht. Es gibt das genauso nach wie vor. Es gibt unfassbar geile HipHop-Sachen, es gibt aber extrem viel Scheiße, aber da muss man sich halt durchwühlen. Es gibt halt so viel anderes jetzt. Also rückblickend bleiben ja immer nur Zahlen hängen, wie viel verkaufte Platten, wann das erste Gold. Aber so Momente, wo zum Beispiel das erste Nas-Album rausgekommen ist, das kann man nicht in Geld aufwiegen. Sogar ich als damals Teenie hab das mitbekommen, diesen globalen Respekt, dass das jetzt jeder feiert, das sind so Sachen, die kann man im Nachhinein garnicht mitkriegen. Man kann Nas anhören, sagen „Ja, gefällt mir, gefällt mir nicht“, aber das spiegelt das nicht wieder. Das gleiche bei Mobb Deep, die haben ein, zwei gute Alben und dann nur Bullshit gemacht, aber trotzdem werden die immer Helden sein. Das war einfach für ein Jahr lang das heißeste, was es gibt. Dieser Moment, das hat mich einfach so geprägt, das zu hören: „What the fuck? Wie macht der das? Was ist das? Ist das ein Western Sample? Nein, das ist irgendwas anderes.“ Dann war’s halt Jazzklavier runtergepitcht.

Inwieweit haben dich auch noch Magazine oder Filme beeinflusst? Also dieses ganze Graffiti- und Breakerding, da sind wir erst später dazugekommen durch die Jams in Deutschland, da war’s natürlich ein Megathema. Ganz ehrlich gesagt, hab ich diese Filme dann erst später gesehen, nicht zu der Zeit, wo in Deutschland die ganzen Leute das geschaut haben. Das war echt so ein bisschen ein deutsches Ding. Ich hab das aber cool gefunden, ich hab das auch respektiert, aber das hat mich nicht so interessiert. Also ich war schon immer extrem auf die Musik fokussiert, und dieses gebetsmühlenartige Predigen von den vier Elementen, das war mir ein bisschen zu - also es war ja wirklich so, als das Musikding so groß geworden ist, haben ja viele ein Problem damit gehabt, weil sie gefunden haben, das ist unfair, dass Graffiti und Breakdance im gleichen Maße wahrgenommen werden müssen. Ich weiß nicht, ich hab das halt immer anders gesehen, für mich war’s halt immer die Musik. Ich hab das schon auch irgendwie cool gefunden diese Jams, das war sehr, sehr cool, aber, wir haben ja auch viel mit Deutschland zu tun gehabt, und man hat echt gemerkt, dass die andere Quellen gehabt haben. Also wirklich über diese Videos, die waren da, glaub ich, auch besser vertrieben. Bei uns war das dann erst später.

126

Wie schaut es mit MTV, Viva aus? Ja, Yo! MTV Raps, aber da kann ich jetzt garnicht mehr sagen, wann das dazu gekommen ist. Aber das war natürlich auch dabei. Wir waren dann eh ziemlich busy, mit Donnerstag Radio hören, dann Tim Westwood hören, dann Yo! MTV Raps war, glaub ich jeden Tag eine Stunde oder eine halbe Stunde, eh, das war eine Verknüpfung von allem. Dann hast du das Album vom DSL-Mix gehört und eine Woche später waren die dann bei Yo! MTV Raps. Also das war schon immer sehr cool. Und je mehr Informationen wir gekriegt haben, umso mehr haben wir uns damit auseinandergesetzt, und umso mehr sind wir dann auch von diesem Pseuo-Gangster- Ding weggegangen. Das war wirklich so ein Jugendding. Das Demo, das wir zu dem Tribe Vibes-Contest geschickt haben, das war wirklich Hardcore. Auf Englisch gerappt, schlechtes Englisch, also es war wirklich ein Beispiel von white kids spielen N.W.A nach.

Am Anfang ist also noch stark imitiert worden und erst später wurde etwas Eigenes daraus? Ja, genau. Ich glaub sogar, bei unserem allerersten Auftritt im Utopia, da haben wir noch nicht einmal Total Chaos geheißen, da haben wir einen andere Namen gehabt, zum Glück, da war wirklich ein Song, wo der Clemens einen Text von Run DMC gerappt haben, weil wir einfach nicht so viele Texte gehabt haben. Er hat da wirklich einen total bekannten Run DMC-Text über ein Instrumental drüber gerappt. Also alles, was eigentlich nicht erlaubt ist, außer man macht irgendwie sein Ding, aber das war ein aktueller Song, der heraußen war. Also wenn man’s heute macht, dann ist das wie eine Huldigung, aber das war’s halt nicht. Es war wirklich so, dass wir bei den ersten ein, zwei Auftritten noch mit der Gaspuffen da waren, da waren wir wirklich dumme Jungs mit 14, 15, und Pressefotos mit Baseballschlägern gemacht haben. Das hat sich dann aber schnell gelegt und zum Glück gibt’s keine Fotos und Dokumente, das gibt’s dann erst später, zwischen 16 und 18. Das muss Anfang der 90er gewesen sein, ‘89 haben wir das Demo gemacht, ‘90 war der Contest, ‘91 ist die Platte rausgekommen und ‘92/‘93 war dann „Traurig aber wahr“, das war vom Beat ja schon ganz anders, mit deutschen Texten. „Traurig aber wahr“ war schon auch der Wunsch, irgendwie mal auch etwas Politisches zu machen. Aber dann kamen eh A Tribe Called Quest, De La Soul und so, und das waren einfach Platten, die haben uns dann

127 nochmal mehr angesprochen. N.W.A war cool, aber De La Soul und A Tribe Called Quest, das war halt nochmal mehr, man entwickelt sich einfach auch.

Wie bist du denn überhaupt zum DJing gekommen? Da ist noch ein Einfluss, den ich vergessen hab: das Bravo. Also ich habe nicht Bravo gelesen, aber irgendwie hat man das damals schon in die Hände gekriegt, und ich hab da einmal ein Bild gesehen von Bomb The Bass, Tim Sinemon, drinnen mit vier Plattenspielen. Also das Bravo war HipHop-mäßig überhaupt kein Einfluss, aber der Bravo muss ich wirklich danken, da war ich zehn Jahre alt, da hab ich das Bild gesehen, und ich weiß nicht warum, das hab ich mir ausgeschnitten und behalten. Und mich hat das immer total fasziniert und ich hab mich gefragt „Was macht der Typ da mit diesen Plattenspielern?“ Und ich hab’s nicht gewusst. Es ist auch nur dabei gestanden „Mixt seinen neuen Song live“, irgend sowas. Dann hab ich das auch gehört, das ist ja so ein Sample Madness, schon auch ein bisschen HipHop. Und wir haben dann auch solche Soundcollagen gemacht, selber recordet und aufgenommen, Stimmen von Platten eingespielt und das einfach versucht, nachzumachen. Wie gesagt, da hab ich noch nicht wirklich HipHop gehört, ich hab das dann mit Samantha Fox und Bee Gees und so Zeug gemacht. Aber das war halt schon ganz, ganz früh die Vorstufe. Dann hab ich Comedy-Platten von meinem Vater genommen und diese Sätze rausgeschnitten, damit der dann was sagt und oft hat das dann ineinander Sinn ergeben. Das war oft nicht im Takt geschnitten, sondern nur knapp dran, weil’s halt schwierig war. Wir haben aber ziemliche Techniken entwickelt, damit es knapp dran ist und es zumindest im Takt war. Manchmal ist es gelungen und dann waren wir halt total stolz. Das war halt diese Vorstufe zum DJing, dass man halt checkt, was ist ein 4/4-Takt, wie muss das im Rhythmus sein. Dann muss man die von uns so gehasst Cosmic-Szene, der ich im Nachhinein totale Props gib, aber damals halt nicht, dadurch hat man schon relativ viele DJs um sich herum gehabt. Die Jungs, die ein bisschen älter waren, da waren viele DJs, und da sind wir oft zu denen nach Hause gegangen und haben einen Plattenspieler gesehen und dann hab ich das gecheckt und hab mir dann irgendwann selber einen Technics-Nachbau gekauft. Dann hat’s ein halbes Jahr gedauert, bis ich gecheckt hab, man braucht zwei Plattenspieler, dann hat’s wieder ein halbes Jahr gedauert, bis ich gecheckt hab, wie man einen Übergang macht. Das hat man sich alles selber beigebracht und dann kam gleichzeitig dieses HipHop-Ding, das hat das halt nochmal verstärkt. Aber ich zum Beispiel auch schon auf den 128

Schleicherparties in der ersten Klasse Gymnasium aufgelegt, ein Plattenspieler, 7 Inches und La Boum-Songs gespielt. Ich weiß nicht warum, das hab halt ich gemacht. Das war immer schon meine Rolle.

Wann und warum habt ihr dann beschlossen Total Chaos zu gründen? Der Clemens war mein Nachbar und wir haben zwar einen anderen Rhythmus gehabt, aber die Nachmittage haben wir uns im Hof zum Fußball spielen getroffen. Der Clemens ist dann irgendwann auf Basketball umgeschwenkt, was ein weiterer Einfluss war, da hat zum Beispiel sein Basketballtrainer, das war auch ein Ami, der hat uns diesen Army Shop-Tipp gegeben. Der hat nämlich solche Baseballkappen aufgehabt und ich zum Clemens „Frag ihn mal, wo er die her hat!“, das hat dann geholfen. Dadurch haben wir dann nicht mehr zusammen Fußball gespielt, sondern haben andere Sachen gemacht hat. Und es war immer klar, dass ich musiktechnische Sachen machen werde, wir haben da nie drüber geredet, das war klar, dass der Clemens rappen muss. Das war einfach so. Und am Anfang haben wir sogar noch beide gerappt, bei diesem Tribe Vibes-Demo gibt’s einen Song, wo wir Run DMC- mäßig abwechselnd jeder einen Satz rappen, und irgendwie hat sich dann aber herausgestellt, dass der Clemens ein Gefühl dafür hat und ich nicht. Damit war das klar.

Wie war das zu Beginn in Innsbruck? Hat’s andere auch noch gegeben? Nein, es hat wirklich niemanden gegeben. Es waren der Tom, ich und der Clemens, es hat sonst wirklich niemanden gegeben, was aber auch irgendwie cool war, wir waren wirklich etwas Besonderes. Sobald unser erster Song im Radio gelaufen ist bei Tribe Vibes, noch lange vor dem Contest, hat uns jeder in Innsbruck gekannt, der sich irgendwie für Musik interessiert. Bei jedem Rapkonzert, nicht einmal bei jedem Rapkonzert, weil so viel Rapkonzerte hat’s nicht gegeben, bei jedem Konzert, das irgendwie Reggae, Funk, Soul, HipHop war, waren wir die Vorgruppe. Das war einfach so „Wer macht das? Ja, soll Total Chaos das machen!“ Das heißt, das war irgendwie ganz cool, dass wir dann schon von Anfang echt viele Gigs gehabt haben und was man nicht vergessen darf, dass die ganzen Punkleute, von denen es in Innsbruck sehr viele gegeben hat, an unserem Anfang, am Ende vom Hafen, waren wir auch oft im Hafen, die haben irgendwie HipHop akzeptiert. Also das war so. Die haben das irgendwie cool gefunden, dass wir das machen. Vielleicht weil das auch irgendwie so 129

Außenseiter-mäßig war. Im Hafen war echt ein paar harte Jungs, aber da haben irgendwie uns blutjunge Buben nicht verhauen, sondern uns eher unterstützt. Von dem her war das irgendwie, ich hab das damals nicht so empfunden, aber jetzt im Nachhinein denk ich mir, wenn du 16 bist und du gehst so durch die Stadt und du weißt, die wissen alle, wer du bist und was du machst - natürlich verstärkt dich das.

Wo waren die ersten Konzerte? Utopia und Hafen. Und dann die größeren Sachen, das war dann aber schon später, im Treibhaus, mit Fettes Brot und so. Auch mit Reggaebands, N-Factor, so haben wir immer Leute kennengelernt. Das war schon irgendwie, und für die Leute war das auch flashig: zum Beispiel der Rapper von N-Factor, eine Band, die man heute nicht mehr kennt, aber die damals relativ groß war, der war total geflasht, dass sich zwei weiße Kids sich mit HipHop auskennen in Innsbruck. Das war lustig.

Ihr hab also im Grunde von der nicht vorhandenen Szene in Innsbruck profitiert? Ich glaub schon. Ich mein, wir haben sehr darunter gelitten, dass man sich mit niemanden austauscht, das war aber auch der Grund, warum zum Beispiel diese Anfangszeit mit Tribe Vibes und dem Contest, ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal getroffen haben bei diesem Contest, das war halt so aufregend für alle, weil wir haben uns ja alle aus der Radiosendung irgendwie gekannt. Ich hab die Songs gekannt, die Katharina hat Telefoninterviews mit uns gemacht, ich hab die Stimme vom Mathias, vom Functionst, gekannt schon, wir haben uns wirklich ausgemalt, wie die ausschauen. Und dann trifft man sich da und es war wie so ein Veteranen- Klassentreffen, grad dass nicht die Tränen geflossen sind, ja. Das war schon heftig. Wir haben damals schon gewusst, bevor wir uns getroffen haben, dass die genau das gleiche machen nur halt in Gmunden, und dass die total in der gleichen Situation sind. Die sind total isoliert, die stehen auf dieselbe Kultur wie wir, warum auch immer das zu Stande kommt, und die haben die gleichen Probleme, den gleichen Hussle. Wir sind zum Beispiel bei der Eröffnung vom Sillpark aufgetreten, grad dass wir nicht von der Bühne gebuht worden sind, da war total gemischtes Publikum und dann hast du da 50-jährige Tiroler unten stehen, die dann „Was isn des für a Schas? Was machtsn es da? Was seids ihr für Hampelmänner? Was hupfts ihr da so umma?“ Das sind dann schon so Momente, wo man sich denkt, die checken ja garnichts. Aber sowas bestärkt einen ja auch ja. 130

Ihr habt euch aber auch in eurer Isolation als Teil eines größeren Ganzen verstanden? Wir sind dann ja auch viel unterwegs gewesen und diese Punkszene war ja früher gut verbunden, da war eben das Flex dabei, da hat’s in Schwertberg ein Kulturzentrum gegeben, Kapu in Linz, das heißt, ehrlich gestanden, als junge Band, die noch nicht einmal einen Tonträger draußen gehabt hat, haben wir schon relativ viel gespielt und relativ hohe Gagen gekriegt. Wenn ich es mir zum Beispiel heute anschaue, auf dem Label, auf dem wir releasen, die Acts, die da echt super Sachen releasen, die müssen echt fighten, dass sie Shows kriegen. Da gibt’s dann eine Release-Party in Wien, aber das heißt noch lange nicht, dass die dann in Innsbruck einen Auftritt kriegen. Und bei uns war das damals halt so, der Richie Bock zum Beispiel, der hat so ein Fanzine gemacht und da waren alle alternativen Musikrichtungen drinnen. Der hat auch früh über uns geschrieben, über T.B.C. What?, der hat auch Tape-Sampler gemacht, da haben wir auch immer Sachen dazu beitragen. Diese Fanzines und Tapes haben dann halt alle irgendwie gekriegt und dann hat’s halt am Telefon meiner Eltern geklingelt und irgendwer aus Schwertberg angerufen, ob wir nicht da auftreten wollen. Und die haben damals auch noch Förderungen gekriegt und dann hast halt oft vor 30, 40 Leuten gespielt und hast halt 8.000 Schilling Gage gekriegt, was für uns damals mega viel war. Und so haben wir wieder alles in Platten investiert. Ich kann sagen, es gibt einen Zeitraum von zehn Jahren, wo ich jede Platte gekauft hab, die rausgekommen ist. Ich hab dann irgendwann 15.000 Platten gehabt.

Welchen Einfluss hatte denn deutscher HipHop auf euch? Fanta 4 zum Beispiel haben wir unfassbar scheiße gefunden, ich kann das garnicht in Worte fassen, wie scheiße ich die gefunden hab, auch heute noch. Es ist oft in meinem Alter, dass dann Gleichaltrige kommen „Hey, Fanta-Konzert, gehen wir hin? Voll cool!“ Und ich denk mir „Um Gottes Willen.“ Und ich hab die dann im Laufe der Zeit alle persönlich kennengelernt und wir waren auch beim Smudo auf seinem total abgedrehten Musiker-Bauernhof irgendwo am Land. Alles nette Jungs und trotzdem unfassbar, wie schiarch ich die Musik find, und zwar alles. Ich kann das echt nicht in Worte fassen. Also Fanta 4 war eher das, was wir gehört und uns gedacht haben, das muss man besser machen, und Advanced Chemistry war einfach eine totale Bestätigung. Wir haben natürlich auch so eine Unsicherheitsphase gehabt, irgendwann hat man gecheckt, dass Englisch nicht ausreicht, diese Phase haben wir 131 auch gehabt, das waren so ein, zwei Jahre. Das war aber weniger die Begeisterung für Deutsch, sondern mehr die Erkenntnis, dass unser Englisch zu schlecht ist, das wir einem dann irgendwann einfach bewusst. Und dann kam auf einmal Advanced Chemistry und das bestärkt einen dann.

Viele lehnen Fanta 4 ja ab, weil ihnen die Authentizität abgesprochen wird: wie wichtig war es denn euch authentisch zu sein? Super schwieriges Thema. Also natürlich hat es schon auch Leute gegeben, also als Junger machst du dir darüber keine Gedanken, ich glaub, dass wir das am Anfang nicht gehört haben, weil wir, zum Glück weiß das niemand mehr, aber ein paar Leute werden das schon verstanden haben, aber unsere Texte waren am Anfang ziemlich radikal, und zwar so pro Black Music. Und ich glaub deshalb, haben wir auch nie etwas gehört so von wegen „Warum macht’s ihr das jetzt? Das ist ja eigentlich black culture! Ihr seid’s ja gar keine Gangster!“ Im Nachhinein stell ich mir schon die Frage, ich seh’s halt so, ich glaub halt, dass beim HipHop und beim Rap viel um Ausdruck geht, dass das wie ein Sprachrohr ist. Ich glaub, dass dieses harte Seite, dass wir das halt durch Rap ausgelebt haben und andere sind halt in den Schulhof gegangen sich prügeln. Das haben wir halt weniger gemacht, wir haben das halt eher so ausgelebt. Es war ja der Tom auch dabei, Tom hat diese Street Credibility gehabt, der war im Häfen, der war Drogendealer, das heißt irgendwie waren wir nie mit dem konfrontiert, erst viel später dann, dass wir uns da wirklich ernsthaft Gedanken drüber gemacht haben. Ich seh das ja auch so, die ersten Block Parties in New York waren eher jamaikanisch angehaucht, für mich ist es schon so ein globales Ding. Natürlich ist es in Amerika entstanden, aber es waren schon immer von allen Kulturen Einflüsse dabei. Und das ist HipHop, für mich ist HipHop nicht ein Ding, das so entstanden ist, sondern es ist ein Schmelztiegel aus allen möglichen Einflüssen, da gehört dann eben auch Graffiti und Breakdance dazu, das find ich einfach das Coole. Aber auch von allen Musikrichtungen, Funk, Soul, Jazz, Disco, es ist ja alles aus dem raus entstanden, ganz viel Latin, das ist ja auch ein Teil, der total untergeht. Deswegen wenn dann jemand zu mir sagt „Hey, wieso beutet ihr diese Kultur aus? Das ist eigentlich eine schwarze Kultur, ihr als Weiße dürft’s das eigentlich garnicht machen.“, ganz ehrlich, da fühl ich mich garnicht verpflichtet, irgendwas zu sagen. Für mich ist das so eindeutig. Genauso ist es aber, das ist der einzige Punkt, den ich am heutigen HipHop kritisier, früher, wenn man HipHop gehört hat, hat man kein Rassist gewesen sein 132 können, das ging nicht. Heute bin ich mir da leider nicht mehr so sicher. Erstens weil es natürlich so groß geworden ist, ich bin überhaupt keiner von der Zulu Nation, aber diese Grundsätze, dass du andere respektierst, diese Sachen, das war einfach total normal. Aber dass du dann konservativ warst, das ging einfach nicht, und heute geht das. Das ist wirklich völlig unpackpar, ein totaler Widerspruch.

Hat es bei euch ganz spezifische Tiroler Einflüsse gegeben? Über solche Sachen haben wir uns keine Gedanken gemacht, in den ersten Jahren waren wir nicht authentisch, sondern haben halt nachgespielt. Und irgendwann haben wir unsere eigene Schiene gefunden, und die war eben nicht von Deutschland beeinflusst, das ist auch so etwas, wenn ich heute lies „Österreichische HipHop- Geschichte“, dann kommt der Teil zum Beispiel nie vor: wir haben extrem viel als Vorband gespielt, für Eins Zwo, für Blumentopf, waren extrem viel auf Tour, haben viele Konzerte gespielt, mit einem Album, das noch nicht heraußen war. Also unser erstes, das „5W“, hat uns eineinhalb Jahre gebraucht bis die Plattenfirma das rausgebracht hat, aus welchen Gründen auch immer, und wir haben mit dem Material aber schon gespielt. Und das war in Deutschland unique, das klingt jetzt blöd, wenn ich das sag, aber wir sind extrem gut angekommen, die Leute haben uns total gefeiert, weil es eben was Anderes war. Und da haben wir uns halt von den deutschen Bands unterschieden, weil wir halt nicht aus diesem Umfeld gekommen sind, natürlich klingt dann doch immer alles ein bisschen ähnlich. Es hat nur zwei Studios gegeben, dann zwei Leute, die das mischen, dann hat’s sieben, acht Produzenten gegeben, also das war schon ähnlich, man gibt sich auch gegenseitig Tipps, verwendet das gleiche Equipment. Und wir waren da halt irgendwie anders und das war halt cool. Ich bin halber Holländer, das heißt ich hab immer relativ Hochdeutsch gesprochen, der Clemens hat auch relativ Hochdeutsch gesprochen, wahrscheinlich weil wir uns da gegenseitig so beeinflusst haben, wir haben nicht so sehr Tirolerisch gesprochen, beim Fußball hab ich den Beinamen gehabt „Der Deutsche“. Und deswegen wär’s auch total komisch gewesen, wenn der Clemens so gerappt hätte, der Clemens hat so gerappt, wie er geredet hat. Und das wiederum war einer der Mitgründe, warum wir in Deutschland relativ gut angekommen sind, zum Beispiel in Unterschied zu Texta, in Hamburg verstehen die Leute Texta nicht oder sie tun sich schwer. Bei uns war das nie ein Thema, das hat vielleicht ein bisschen einen lustigen Klang, aber nur ganz leicht. Und deswegen waren wir auch immer bei den deutschen Labels immer 133 gefragt in Gegensatz zu Texta, das hat für die einfach schlampig geklungen, obwohl es nicht schlampig war, es war halt einfach österreichisch. Ich find’s auch nach wie vor komisch, wenn Leute Mundart rappen, die mit mir aber normal reden, da gibt’s auch in Oberösterreich ein paar Leute, wo ich das komisch find. Ich kenn die Leute ja alle persönlich und der hat noch nie so mit mir geredet, dann find ich das komisch.

Hat’s in Innsbruck irgendwelche Förderer gegeben, die wichtig für die lokale Szene waren? Wie gesagt so verbindungs- und strukturmäßig war es der Richie Bock vom Büro Diderot, der hat uns halt irgendwie viel Kulturpolitisches beigebracht, wie man halt so an Konzerte kommt, wie das alles funktioniert, mit Förderungen und diese Sachen. Aber auch, dass wir uns für andere Musikrichtungen interessiert haben. Der hat uns auch mit der Punkszene in Verbindung gebracht, zum Beispiel unser erster Auftritt in Wien war im Flex über diesen Boiler Room, da haben die Live-Konzerte mitgeschnitten und dann auf CD rausgebracht. Das war etwas Österreichisches, das hat jeder Journalist gehört und da war alles drauf, von Reggae, Ska, Punk, Rock und dann halt auch ein, zwei HipHop-Sachen, Schönheitsfehler und eben wir, und Texta. Das war schon sehr cool. Der Tom hat uns auf jeden Fall beeinflusst. Dann der Innkeller war für uns wichtig, da haben wir einmal in der Woche aufgelegt, wo dann der erste Austausch stattgefunden hat, es sind dann schon junge Leute nachgekommen oder mitgekommen mit uns, Wisdom and Slime zum Beispiel, da hat’s schon ein paar Leute gegeben, viele haben dann nie etwas gemacht, aber zumindest als DJs und MCs interessiert. Für uns war das damals halt wichtig, dass wir so Treffpunkte haben. Und dann eben bald das Utopia, wir haben dann ja auch veranstaltet, Blumentopf, die Afrodelics, die haben wir alle nach Innsbruck geholt.

Die Szene war in Innsbruck zu Beginn also relativ klein? Ja, wo es das Haus am Hafen gegeben hat, war das schon noch so, das ist dann irgendwann geschlossen worden. Aber im Haus am Hafen hab ich zum Beispiel den DJ DSL mit MC Shank, das war so ein Ami-Rapper, das würde es heute auch nicht mehr geben, das war ein Ami, der noch nie ein Platte releast hat, der ein bisschen rappen hat können, der ist nach Europa gekommen und hat sich gedacht, er macht eine Rap-Tour, und der DSL war sein DJ und die haben immerhin eine Europa-Tour gemacht. Und der hat gar keine Songs gehabt, der DSL hat das gemacht, was er am 134 besten kann, backgespinnt halt, er hat drüber gerappt, das war extrem cool. Das hab ich eben im Haus am Hafen gesehen, da war ich 16, das war für mich auch so ein mega einschneidendes Erlebnis, den DSL zum ersten Mal live zu sehen und dann auch noch mit dem Rapper, da war halt der Wow-Effekt, „Ah, so geht das! So mit dem Backspinnen!“ Die kleinen Tricks. Genauso Crowd Animation, der Clemens hat an dem Tag gelernt, wie man ein Publikum anspricht, das sind einfach Sachen, die man lernen muss. Also es hat schon diese Punkte gegeben, Hafen, Utopia, und dann irgendwann waren wir halt so alt, dass wir das geworden sind, dann haben wir halt Konzerte veranstaltet, dann sind die Leute eben zu uns gekommen und wollten, dass wir im Treibhaus auflegen. Wir haben dann dadurch die ganzen Leute kennengelernt. Mit dem DJ von London Posse, dem DJ Biznizz, bin ich dann drei Mal durch London gezogen, durch Brixton und den wildesten Gegenden damals und in die heftigsten Plattenläden. Das waren einfach Wahnsinnserlebnisse, das war unfassbar geil für mich als Produzent, einschneidende Erlebnisse.

135

6.5. Oliver Kartak, Wien, 18.2.18

Kannst du dich kurz vorstellen? Mein Name ist Oliver Kartak, ich bin 1968 in Wien geboren und war einer der ersten Writer in Wien.

Kannst du dich noch an deine erste Begegnung mit HipHop erinnern? Ja, meine erste Begegnung mit HipHop war mit 14 auf einem England-Urlaub, wo ich in einer Rollerdisco „The Message“ von Grandmaster Flash gehört hab. Das war mein erster Rap, den ich gehört hab, und der hat mich so weggeblasen, dieser Sound, dieser Sprechgesang, den hat man vorher noch nie gehört hat, also das war eine erste Initialzündung. Und als ich dann wieder nach Hause gekommen bin und meinen Freunden das erzählt hab und das versucht hab vorzurappen, da hab ich nur Gelächter geerntet, was soll das sein. Das war mit 14. Mit 15 kam dann der Film „Wild Style“ ins Kino, woran ich mich sehr gut erinnere, weil da war ich mit dem Sugar B gemeinsam im Kino, und der Film ist ja so eine Art Spielfilmdoku über die HipHop- Szene in New York und der Film, vielleicht einer der wichtigsten Filme in meinem Leben. Weil am nächsten Tag hab ich mir sofort Spraydosen gecheckt und mein eigenes Haus angemalt. Also da war ich vollkommen infiziert von diesem Kulturvirus, weil HipHop ist ja quasi die Union aus Musik, Sprechgesang, Graffiti und Tanz. Und diese wirklich sehr facettenreiche Kultur war alles, was ich mit 15 interessant fand. Sie war Underground, sie war vollkommen neu, es hat eine visuelle, musikalische, körperliche Ausdruckskraft gehabt. Also das Gesamtpaket war unschlagbar für mich. Und dann hab ich sofort angefangen zu sprühen. Das nächste war dann, relativ bald danach kam ein berühmter New Yorker Graffitimaler nach Wien in die Galerie Grita Insam, das war ‘84, da war ich 16. Und ich bin mit Freunden, mit dem Sugar wieder und dem Peter Kruder gemeinsam ins Hotelzimmer von denen gegangen und hab ein Interview gemacht, das waren Phase 2, Vulcan und noch einer, und ich hab da erstmals die ersten wichtigen New Yorker Writer kennen gelernt. Was dann auch zu einer Freundschaft geführt hat, weil ein paar Jahre später bin ich nach New York und hab die getroffen, und die haben mich in der Bronx herumgeführt und nach Harlem, das war super. Und wieder ein Jahr später, also mit 17, war auch auf Interrail mit einem Freund in Paris, da war ich eigentlich schon zwei Jahre Writer, und überhaupt Paris hatte damals ja schon eine sehr reife HipHop-Kultur, in all ihren Ausformungen.

136

Durch den großen Migrantenanteil in der Stadt war das schon wirklich fest verankert. Und uns sind natürlich sofort die wirklich großartigen Pieces dort aufgefallen entlang der Seine. Und dann sind wir einmal mit der U-Bahn gefahren und die fährt teilweise oberirdisch und wir sind an der Station Stalingrad vorbeigekommen und haben unten so ein Abrissgelände gesehen, das voller Pieces war. Da sind wir sofort ausgestiegen, über die Mauer drüber, das war außen und innen voll, wir waren dann dort in so etwas wie der Pariser Hall of Fame. Es gibt ja diese berühmte Harlem Hall of Fame, eigentlich sind das Basketballplätze mit Wänden, die einfach schon ganz früh so eine Art Straßengalerie wurden, und das war dort die Insider Graffitigalerie. Dort haben wir dann andere Leute getroffen, mit denen haben wir uns angefreundet und dann war die Paris-Connection da, und ich war dann auch immer mindestens einmal im Jahr in Paris. Ich bin mit den Leuten auch heute noch befreundet.

Wie kam’s, dass schon 1984 New Yorker Sprayer nach Wien eingeladen wurden? Die Grita Insam, die Galeristin, hatte die damals eingeladen zu einer Ausstellung, und die haben damals auch eine Kooperation mit den Wiener Linien gemacht, und haben den J-Wagen besprüht, also Window down. Und der ist auch an meiner Schule vorbeigefahren. Damals gab’s ja auch kein Internet, also es gab keinerlei Referenzen, das einzige, was es gab war dann ein Buch von einem amerikanischen Fotografen, der hat die New Yorker U-Bahnen dokumentiert und damit so etwas wie die erste Graffiti-Bibel geschaffen. „Subway Arts“. Das ist schon 1984 rausgekommen. Das war natürlich extrem wichtig für die Welt, weil das war die Stilbibel, die Roots. Wobei man aber sagen muss, dass für Europa die Pariser Writer sicher am wichtigsten waren, also Leute wie Bando und Mode 2 von den Chrome Angels haben einen Style drauf gehabt, der ist bis heute gültig. Interessanterweise ist Bando ein Amerikaner gewesen, der in Paris gelebt hat, der aus der Lehman-Dynastie kommt, aus der Bankiersfamilie, ein extrem reiches Kid, aber mit einem Style, der bahnbrechend war. Drei Jahre später kam dann die globale Graffitibibel, da waren dann schon Pieces aus der ganzen Welt drinnen, inklusive auch von mir.

Warst das am Anfang nur du oder hat’s dann auch bald eine Szene gegeben? Ich hab das gemacht bevor die Szene entstanden ist. Ich kannte eigentlich niemanden, ich hatte ein paar Freunde, die das auch gemacht haben, aber niemand 137 hat das so konsequent gemacht wie ich. Und als ich aufgehört hab, kam dann die erste breitere Graffiti-Generation, wo es mehr Leute gemacht haben. Also ich hab damit gegen 1990/91 aufgehört. Und ich hab das erst viele, viele Jahre später erfahren über den Sent, der ist danach gekommen, dass die Pieces, die ich gemacht hab, der Anstoss war für die Writer in Wien dann auch zu malen. Nur das hab ich nie mitbekommen, das hab ich erst viele Jahre später bei einem Graffiti-Kongress, wo mich der Sent eingeladen hat, da hat er mir das erst gesagt. Das weiß ich erst seit zehn Jahren.

Wie kommt’s, dass du so viel früher als anderen dran warst? Das kann ich dir nicht sagen. Es gibt immer Leute, die zuerst dran sind, und dann geht das halt so auf.

Ist die Writer-Szene in Österreich also mehr oder weniger gleichzeitig mit der Rap- und DJ-Szene gestartet? Ja, genau, das war alles dieselbe Generation. Das erste österreichische HipHop- Album waren ja die Moreaus, der Sugar B, der Peter Kruder, der DSL, der Rodney Hunter und als Gaststar ich, und dieses HipHop-Album ist ja total gefloppt, das hat ja niemand gekauft, da sind ja tausende Stück eingestampft worden, weil es unverkäuflich war. Es war einfach zu früh, es war nicht Mainstream. Mittlerweile kann man sich das ja gar nicht mehr vorstellen, es gibt ja nichts, das mainstreamiger ist als HipHop. Damals war HipHop wirklich Underground, das hat niemand gekannt, niemand gemocht, das war ganz frisch, also zumindest in Europa. Aber auch in den Vereinigten Staaten war das weit davon entfernt wirklich zum Mainstream zu gehören.

An was hast du dich denn als der erste Writer Wiens orientiert? Wie bist du in dieser neuen Kulturform zurecht gekommen? HipHop war nicht stark reglementiert in dem Sinne. Im Herzen von HipHop liegt, dass du etwas aus deinem Talent machst, dass du dich ausdrückst und Erfolg hast unter Anführungszeichen durch dein Talent, dass du daran hart arbeitest. Den kulturellen Unterbau von HipHop hab ich erst verstanden einerseits durch Paris, weil das war die arme Einwanderungsunterschicht, die Kids, die das gemacht haben, also schon Outcasts. Und als ich dann in New York war und lange Gespräche mit Phase 2 hatte, der ein sehr politisch denkender Mensch war und der mir den ganzen politischen 138

Unterbau von HipHop erklärt hat. Also die schwarze Geschichte, die schwarze politische Bewegung, Malcolm X, Black Panther, also diese Black Consciousness- Bewegung. Die hab ich erst so mit 18 eigentlich wirklich verstanden, wobei man natürlich sagen muss, dass gleichzeitig Gruppen wie Public Enemy sehr populär waren oder wurden, die eine ganz starke politischen Message hatten. Und da hat man auch viel gelernt. Also wenn man sich dafür interessiert hat, dann konnte man da schon etwas erfahren, wenn man wollte.

Wie wichtig war denn dieses Politische? Das Einschreiben in Räume mit deinen Pieces? Ich hab das gemacht, weil ich hier gewusst hab, wie ich mich ausdrücken kann. Also war noch bevor als ich in mir wusste, dass ich Grafikdesigner werden will, ich war visuell immer sehr interessiert und hab herum getan. Und das hatte etwas, wo man etwas machen kann, was den Vorteil hat, dass es wahnsinnig viele Leute sehen. Und es hat natürlich den Touch des Illegalen und wird dadurch total aufregend. Und es hat etwas, es ist ein Code, den nur wenige verstanden haben, es ist wie eine Geheimsprache, und dadurch hat man sich mit einem größeren Ganzen verbunden gefühlt, der damaligen Geheimloge HipHop. Also das hat alles, was ein pubertierender Teenager haben will, das ist Abenteuer, das hat was mit Kunst zu tun, das ist sexy, das ist aufregend, die Musik war leiwand, es gab nichts, das ich daran nicht interessant fand. Und wenn du dich ein bisschen mehr interessierst und dann merkst, dass das so wie viele andere großartige Dinge, die Amerika hervorgebracht hat, die schwarze Kultur Amerikas, Blues und Jazz, alles eigentlich Underdog-Kulturen waren, immer von der Seite der Schwachen gegen den Mainstream. Und das ist was, was mich immer schon angesprochen hat.

Du hast dich also immer schon als Teil eines größeren Ganzen verstanden? Also in Wien war ich mehr oder weniger allein, aber das war nie ein Hindernis für mich irgendwas zu machen. Ich hab das nicht so, jetzt rückblickend kann man das natürlich einordnen und reflektieren, damals war’s einfach etwas, was ich gemacht hab, was ich richtig fand und wofür ich gebrannt hab, wofür ich meine ganze Leidenschaft da war. Und damit war ich Teil dieser Kultur und damit war ich automatisch Teil eines größeren Ganzen global gesehen, auch wenn ich hier wenige Mitstreiter hatte.

139

Wann kamen die ersten Mitstreiter? Tags kamen dann über die Jahre dann natürlich schon einige und es gab auch ein paar Pieces, aber nichts, was man als eine echte Szene betrachtet. Und ich war ehrlich gesagt garnicht so neugierig drauf, mich hier in Wien mit anderen Leuten zu verbinden, mein Blick war immer mehr Richtung Paris und New York, das waren meine Einflüsse. Und wenn andere Leute das hier auch machen, hab ich mir gedacht „Super, aber ich brauch jetzt niemanden zum Malen.“

Woher hast du denn in dieser Frühphase dein Equipment bezogen? Teilweise haben wir die Dosen gestohlen, weil so billig waren die ja nicht. Also das hab ich auch gelernt von den Parisern und New Yorkern, wie man Dosen klaut. Teilweise hab ich sie natürlich auch gekauft mit meinem Taschengeld, teilweise hab ich auch schon Aufträge gemacht damals und hab da Geld verdient, was ich dann wieder in Dosen gesteckt hab. Was ich ja lustig fand dann, als ich viel später draufkam, dass das ganze Graffitequipment schon voll durchkommerzialisiert ist, dass man sich die Caps schon in allen breiten kaufen kann, das gab’s ja damals nicht. Da ist man in den Baumarkt gegangen und hat alle Dosen von Ölen und so angeschaut und sich die Sprühdosenköpfer herunter genommen und geschaut, dass man vier verschieden Sprühbreiten zusammenkriegt, oder sie mit irgendeinem Kleber zugemacht und mit einer heißen Nadel ein feines Loch rein gestochen. Also das musste man sich alles selber basteln. Das gab’s nicht fertig zu kaufen, ich find das ja auch eigentlich total lächerlich.

Wie haben den die Menschen und Medien auf die ersten Graffitis reagiert? Das kam erst später, als die erste Wiener U-Bahn bemalt wurde. Ich hab gewusst, ich werd in meinem Leben sicher nie ein U-Bahn bemalen, weil ich es immer vermieden hab, Pieces dort zu malen, wo sie tatsächlich öffentliches Eigentum zerstören. Also ich hab mir Wände ausgesucht an der Donau, an Traffo-Hütten, Betonbunker, aber ich hab nie ein Privathaus besprüht. Wenn dann hab ich mir öffentliche Orte gesucht, die keinen „Wert“ hatten und die gut gelegen waren, so dass viele Leute vorbeigekommen sind. Aber damit irgendwo einen Schaden anzurichten, war nie meine Motivation. Und ich hab gewusst, der erste, der einen Silberpfeil besprüht, der wird sofort Staatsfeind Nummer 1 werden, und so war’s dann auch.

140

War der illegale Nervenkitzel wichtig für dich? Na sicher, klar. Du bist irgendwann spät in der Nacht um eins damals mit dem Moped und einem riesen Rucksack voller Sprühdosen irgendwo hingefahren, jede Spraydose hat einen Aufkleber gehabt, auf dem die Farbe drauf gestanden ist, weil in der Nacht siehst du keine Farben. Und dann musstest du das Ding in vier, fünf Stunden runtermalen und aufpassen, dass dich niemand erwischt. Und am nächsten Tag bis hingefahren und hast ein Foto gemacht, und dir angeschaut, was eigentlich gemacht hast, weil dann hast du überhaupt erst gesehen, ob das auch wirklich gut geworden ist mit den Farben. Weil sonst musste man das mehr oder weniger im Kopf malen, weil du hast nur Grau gesehen. Klar, das war wichtig. Aber auch nur so konntest du das an Orten machen, an Orten anbringen, die einen Öffentlichkeitswert haben. Ich fand’s immer wichtig, dass das, was ich mach, auch Leute sehen. Also das irgendwo in einem Hinterhof zu machen, fand ich langweilig.

Abgesehen von deinen Reisen: hatte noch irgendwas Einfluss auf dein Schaffen als Writer? Also was Filme anbelangt, war für mich nur „Wild Style“ wichtig, die anderen fand ich nur lächerlich, die waren schon zu Kommerz, find ich. Also die waren für mich nicht wichtig. Aber vielleicht für andere, die zu jung waren für „Wild Style“ und dann erst bei „Beat Street“ das kritische Alter erreicht haben, fair enough, dass das für die auch ein wichtiger Film ist. Für mich war einfach die amerikanische Pop Art wichtig. Ich hab Keith Harring in Wien kennengelernt, als er damals mit Jenny Holzer am Hof so eine Plakatgalerie gemacht hat, und da kannte ich den aber schon, und da hab ich Keith Harring kennengelernt und wir sind ausgegangen und waren im U4. Und als ich in New York war, hab ich den besucht in seinem Atelier. Also diese ganze amerikanische Pop Art, Jasper Jones, Warhol, Rauschenberg, Oldenburg. Ist ja auch kein Zufall, dass ich nachher ins Grafik Design gegangen bin, was ja auch eine Art von Populärkunst ist. Das war wichtig für mich.

Und spezifische HipHop-Einflüsse? Wo hast du dich denn informiert? Die MusicBox hab ich natürlich schon ganz früh gehört, und den Werner Geier hab ich dann natürlich kennengelernt. Ich hab dann ja auch viele Jahre das Labeldesign gemacht für sein Label, Uptight, aber da ist man eher über Plattengeschäft hingekommen. Wichtig war Dum Dum Records bei der Oper, die hatten immer die 141 ganzen 12 Inch Maxi Singles. Weil du hast es ja sonst auch kaum im Radio gehört, das war eine informationsarme Zeit. Also das, was du gehabt hast, die Platte, die Kassette, die kanntest du auswendig, weil du sie tausend Mal gehört hast. Wir konnten jeden Rap mitsingen, weil wir das auswendig gelernt haben. Den genialsten Satz hat DJ DSL gesagt, der hat gesagt „HipHop ist, was da ist.“ Also es gibt quasi keine Entschuldigung dafür, irgendetwas nicht zu machen, nur weil man irgendwas nicht hat, sei es Information, oder eine Sprühdose oder irgendwas. Du musst mit dem arbeiten, was da ist. HipHop ist das, was da ist. Damals war nicht viel da, aber es war genug da.

War dieser Do-it-yourself-Charakter das attraktive an HipHop? Das attraktive an HipHop ist, dass es um Selbstausdruck geht. Punk zum Beispiel ist damit sicherlich vergleichbar. Weil Punk sagt, es ist scheißegal, ob du ein Instrument spielen kannst, stell dich auf die Bühne und mach. Und so ist das so genauso. Niemand hat von dir erwartet, dass du drei Jahre im Kammerl Designs machst bevor du dann mit deinem ersten Burner rausgehst, sondern du hast gesagt „Geh raus und mach!“ Also dieses „Geh raus und mach!“ ist natürlich attraktiv, ja.

Warum hast du Anfang der 90er eigentlich wieder aufgehört? Ich bin vor Gericht gestanden wegen einem meiner allerersten Pieces, das ich am Donaukanal illegal gemacht hab, weil ich verpfiffen worden bin von Freunden, die sie beim Malen erwischt haben. Dann bin ich mit 17 vor Gericht gestanden und war auf Bewährung. Und dann hab ich bald entdeckt, dass mich das Grafikdesign auch interessiert, weil man da auch sehr viel Publikum hat, du arbeitest ja auch öffentlich. Für mich war Graffiti quasi der Einstieg in die Gestaltungswelt und es war nie etwas, von dem ich gedacht hab, das muss ich jetzt mein Leben lang machen, sondern der nächste Schritt war dann Grafikdesign.

Wie hast du denn das Entstehen der Szene in Wien empfunden? Mein Fokus lag dann schon woanders. Ich hab das natürlich gesehen und hab mich auch gefreut und fand das großartig. Ich hab damals ja auch den Skero kennengelernt, der hat damals in Linz gewohnt, und meine Großeltern lebten in Linz und da ich die regelmäßig besuchen war, hat er mich mal angeschrieben, und da hab ich den zu Hause besucht, der ist ja etliche Jahre jünger. Der war so die nächste Generation. Ich 142 fand das großartig und hab auch noch sehr, sehr lange HipHop gehört, bis der Gangster Shit rausgekommen ist, also diese West Coast-Geschichte, das war der voll Abturn, weil da ging es eigentlich nur mehr um Geld, Waffen und Huren. Das war etwas, was mich überhaupt nicht interessiert hat. Aber ich hab dann versucht, meine Erfahrung und meine Sensibilität, die ich mir durchs Graffiti writen erarbeitet hatte, ins Grafikdesign zu übersetzen. Also dieses sehr farbenbetonte, formenbetonte Vokabular ins Grafikdesign zu übersetzen.

Was war und ist denn das Spezifische am österreichischen HipHop? Naja, der österreichische HipHop war in Wirklichkeit dann ernst zunehmen, als er begonnen hat, Österreichisch, sag ich jetzt mal, als Sprache zu verwenden. Weil dieses Moreaus-Album, von dem ich gesprochen hab, das war ja noch auf Englisch, da haben wir auf Englisch gerappt. Und das hat natürlich so was Epigonales. Weil in dem Moment, wo die Generation kam wie Schönheitsfehler und so weiter, die das auf Deutsch, Wienerisch, Oberösterreichisch et cetera gemacht haben, da ist das wirklich was Eigenes worden. Und das fand ich super.

Hat man diesen Cut, von dem du sprichst, an verschiedenen Generationen festmachen können? Ich glaub, so funktioniert überhaupt Aneignung, nicht? Zuerst imitierst du und dann entweder du selber oder andere, weil sie aufbauen auf dem, was andere schon nachgemacht haben, entsteht was Eigenes. Und das ist halt zum Beispiel in Paris schon längst passiert gewesen, weil die Leute dort haben alle in Französisch gerappt, da gab’s keine englischen Rapper. Und das ist einfach ein Zeichen dafür, dass diese Kultur wirklich auch in dem Kulturbereich Fuß gefasst hat, wenn man es nicht nur imitiert, sondern wenn man was Eigenes macht.

Wie war das in der Graffiti-Szene? Hat man dort zu Beginn auch imitiert? Ja sicher, am Anfang kopierst du. Du schaust in dieses Buch hinein, du schaust dir den Style an und du versuchst. Und dann siehst du etwas anderes und machst es nach und irgendwann ist es, wenn du es oft genug machst, dass dein eigener Schriftzug, dein eigenes Können da hinein kommt. Und dann wird es was Eigenes.

143

Gibt es im Graffiti auch einen österreichischen Stil? Das glaub ich nicht. Das glaub ich nicht, nein. Weil das ja als visuelle Sprache nicht regional verankert ist. Also das glaub ich nicht.

Wie stehst du denn dazu, dass es Graffiti von der Straße in die Galerien geschafft hat? Ich hab einige Jahre auch auf Leinwänden gemalt, weil ich das ausprobieren wollte. Man muss aber sagen, dass das, was auf Straßen oder Zügen funktioniert, nicht in Galerien funktioniert, weil den Wumms, den eine Wand hat, den kannst du nicht auf einen Keilrahmen spannen. Und es haben ja eigentlich ganz, ganz wenige geschafft, ihre Straßenkunst in die Galerie zu tragen. Eine der Wenigen, der das geschafft hat, Rammellzee, der ist schon tot, der war aber auch gleichzeitig nie ein echter Street Artist, sondern dem seine Dinge, oder wie Futura 2000, waren immer schon anders und haben ein anderes Framework gehabt. Da hat es dann schon funktioniert. Und ich glaub, das ist auch gut so, dass man das nicht eins zu eins übernehmen kann, in einen White Cube stellen und dann funktioniert das. Ich glaub, das ist total orts- und situationsabhängig. Und ich find, es ist eigentlich eine wunderschöne Sache, dass sich Graffiti diesem Ausverkauf in seiner Seele widersetzt. Es geht einfach nicht, man kann’s nicht nehmen und verkaufen. Das find ich wunderschön.

Wie steht’s heute um die österreichische Graffiti-Szene? Das kann ich dir nicht wirklich beantworten, weil ich bin alle heiligen Zeiten irgendwann mal am Donaukanal unterwegs. Ich hab in meiner Klasse natürlich immer wieder Graffiti Writer gehabt, ausgezeichnete, wirklich ausgezeichnete Leute, und die, die wirklich gut sind, die haben Graffiti, so wie es ich damals und viele andere praktiziert haben, überwunden. Weil sonst reproduzierst mehr oder weniger immer wieder dieselben Element, irgendwann musst du, um wirklich weiter zu kommen, musst du die Schrift vollkommen auflösen, weil sonst wenn du immer am Schriftzug hängen bleibst, wird es sich nie weiterentwickeln können. Und die Leute, die das wirklich weiter getrieben haben, haben den Schriftzug aufgelöst, und sind in eine ganze neue Art von Malerei gegangen. Und natürlich extrem viel, was halt jetzt gemacht wird, weil ja immer immer wieder neue Generationen kommen, man übt sich immer am Wild Style, am kodierten Schriftzug, aber so lange du daran kleben bleibst, wirst du es nie 144

überwinden können. Und die, die richtig gut sind, die überwinden das, die schaffen es dann, zu einer eigenen malerischen Sprache zu kommen, jenseits des Buchstabens.

Zu deiner Zeit waren es demnach ausschließlich Schriftzüge? Ja, immer. Schriftzüge und Characters. Die klassische Kombination aus einem Schriftzug und einer Comicfigur. Ich war nie so wahnsinnig gut im Comic zeichnen, ich hatte die Erlaubnis, Characters von einem Pariser Writer, einem Freund von mir, Lordski, der extrem gut war, die zu verwenden, und die hab ich dann gemalt. Manchmal hab ich auch Pressefotos genommen und die umgewandelt in Character.

Und du hast dir alles selber beigebracht? Oder an was hast du dich orientiert? Wo hast du dir etwas abgeschaut? Ja klar, es gibt ja keine Lehrkurse dafür. Also wenn du jeden am Schreibtisch sitzt und zeichnest, dann wirst mal besser. Wenn du in der Welt rumfährst und Fotos machst und dir die Dinge genau anschaust, siehst du, was gute Technik ist, da schafft’s jemand wirklich einen ganz dünnen Strich ganz grad zu machen und die Ecken sind scharf und das ist nicht mit Tape abgeklebt, sondern aus der Hand. Es ist ja keine Zauberformel, wenn etwas gut gemacht ist, das siehst ja. Du siehst, wenn die Dinge einfach sitzen. Und diese visuelle Sensibilität hab ich einfach damals schon gehabt und deshalb hab ich immer versucht, mich an den Besten zu orientieren und versucht, da auch hinzukommen. Und das kannst halt nur durch üben. Üben. Es gibt halt keinen Shortcut. Das ist halt etwas, was das Internet vorspielt, als gäb’s einen Shortcut zu einem guten Ergebnis, aber du musst einfach deine Stunden absitzen.

Wie sehr waren denn die vier Elemente des HipHop in Wien miteinander vernetzt? Es gab in Wien damals eine sehr gute Breakdance Crew, einer davon war ein Freund von mir, die haben aber nicht gemalt oder gerappt. Aber wir waren alle HipHopper. Wir haben damals versucht Parties zu machen und dann ein paar Jahre später kam die Tribe Vibes & Dope Beats-Sendung, für die ich damals das Logo gemacht hab, was ja die Kathi und der Diesel gemacht haben, und das hat die ganze Kultur mal so richtig in ganz Österreich rausgeblasen. Das war sicher auch extrem wichtig, dass dann mehr Leute das aufgegriffen haben. Aber wie gesagt, als ich aufgehört hab, das aktiv zu machen, und ins Grafikdesign gegangen bin, war das in mir schon fest 145 verankert. Ich hab keine Bestätigung mehr gebraucht durch andere in einer Gemeinschaft, das war wirklich persönlichkeitsbildend, das brauchte keinerlei Unterstützung mehr in dem Sinne. Ich hab das dann alles mitbekommen, schon, aber nicht aktiv diese Szene gesucht.

Wieso waren denn zu Beginn des HipHop in Österreich keine Frauen dabei? War das ein reines Männerding? Hat es weibliche HipHopperinnen gegeben? In Österreich nicht, aber in den Staaten schon. Der Sexismus in HipHop kam wirklich erst durch den kommerziellen Erfolg mit der West Coast, vorher war HipHop nicht einmal profan. Die Lyrics der Raps hatten kaum Schimpfwörter, ja, sondern das waren einfach wirklich gute Texte, da war kein „Fuck“, „Shit“ und „Hoe“ drinnen, ja. Das ist echt in die Gosse gegangen dann mit der Gangstersache. Kurz davor kam, was man so diese Native Tongue Posse nennt, A Tribe Called Quest, und so, die auch diese ganze schwarze Musikgeschichte wieder hoch gebracht haben durch ihre Samples. Das war ja eigentlich education, das war Musikgeschichte, die haben diese großartige Musik aus dem Blues, dem Jazz, dem RnB und dem Soul einer neuen Generation in neuem Gewand wieder in Erinnerung gerufen. Und da ging’s um was ganz anderes, als auf irgendwelche Leute zu schimpfen oder auf Frauen runter zu schauen. Das war in meiner Welt nie ein Thema. Vielleicht haben das damals einfach mehr Männer gemacht, weil es doch irgendwie mit Gefahr zu tun hatte, ich glaub, da sind Männer schneller heiß zu machen als Frauen. Also zumindest writen. Und wahrscheinlich ist der männliche Selbstdarstellungsdrang auch größer.

Also ist dir in deiner Zeit keine weibliche Writerin untergekommen? Nein. Gibt’s welche? Es wird welche geben, aber sie werden im Verhältnis zur Gesamtzahl gering sein. Aber ich hab auch in Paris nur Jungs kennengelernt, da gab’s keine Frauen.

146

6.6. Daniel Shaked, Wien, 19.1.18

Kannst du dich mal vorstellen? Mein Name ist Daniel Shaked, ich bin Fotograf und hab 1997 mit drei Freunden das Message-Magazin gegründet, das bis dato das einzige österreichische HipHop- Magazin ist, das sich gehalten hat. Es gab noch ein anderes in Linz, aber das hat dann irgendwann mal aufgehört. Das war nicht sehr lange.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit HipHop erinnern? Das muss Anfang der 90er gewesen sein, wahrscheinlich ‘91, ‘92 rum, und das war über einen Freund in der Schule. Der hat mir ein Tape gegeben, und gemeint, „Hey, das muss du dir unbedingt anhören“, und es war gerade so die Phase, wo man sich begonnen hat, für Musik zu interessieren. Und die ganzen Jungs in der Klasse haben halt so Heavy Metal-Sachen gehört, oder Rock, so Metallica, diese ganze Sache halt. Ich hab mir das halt kurz angehört, aber so wirklich Fan war ich nicht. Und auf dem Tape von dem Freund von mir war N.W.A und Public Enemy drauf. Und ich hab das reingelegt, und ich bin der älteste von drei Geschwistern, ich hab mir mit meinem Bruder so einen Kassettenrekorder geteilt, hab das reingegeben und das war halt ganz, das war irgendwie so „Wow, da geht’s jetzt richtig ab“. Und ich hab dieses Tape rauf und runter gespielt. Ja, das war einfach diese Energie, die drinsteckt, dieses politisches Elementum, dieses rebellierende Element. Der andere Zugang zu Musik, wie die Musik geklungen hat, das war einfach, wenn man so ein junger Bursch ist, dann findet man das halt auch extrem cool, wenn irgendwelche Typen mit jedem zweiten Wort „Fuck“ sagen, oder „Motherfucker“ oder was auch immer. Und dann ging’s eh schon Schlag auf Schlag eigentlich: der Freund von mir hat dann Kabelfernsehen bekommen, das war auch so eine Innovation in Österreich. Also wir hatten nie viel Geld, aber dessen Eltern haben ihm einen Videorekorder gekauft, und da sind wir einmal in der Woche zu ihm gegangen und haben uns die Aufzeichnung von Yo! MTV Raps angeschaut und haben aber gleichzeitig rausgefunden, auf FM4 gibt’s eine Sendung am Donnerstag Abend und die spielen HipHop. Und das war halt der Wahnsinn. Wir sind dann um 22.00 Uhr immer dort gesessen, so lange wir halt durften, und haben uns die Sendungen angehört. Das war so mein Eintritt in die ganze HipHop-Geschichte. Und dann sind wir auf Partys gegangen und haben geschaut,

147 wo’s was gibt, wo man hingehen darf. Und so beginnt man sich halt dafür zu interessieren und andere Leute kennen zu lernen.

Hat’s in dieser Anfangszeit schon eine Community, eine Szene gegeben? Das ist zweischneidig: in der Schule war man das schwarze Schaf. Das werden alle unisono sagen, dass man halt deppert angeschaut worden ist, wenn man die Schnellscheißerhosen angehabt hat, Sachen wie andere Sneaker als die aus dem Fünf-Jahresplan, weite Hosen waren eine Sache der Unmöglichkeit. Also wir sind dann in irgendwelche Stores gegangen und haben uns die Übergrößen gekauft und die dann oben noch mit Gürteln so richtig zusammengebunden, damit das halt irgendwie so breit ist, wie in den Videos. Und aus den ersten Magazinen, die dann Freunde mitgebracht haben - ein Freund von mir, dessen Cousin hat in L.A. gewohnt, und die sind hingeflogen und wieder zurück, und er ist zurückgekommen und hat so Nike Air gehabt, und das war halt für uns der Wahnsinn. Das war wie ein außerirdischer Besuch für uns. Und innerhalb der Schule war man halt so „Schau die mal an“, und dann drehst du halt die Kappe um und so Sachen, das war nicht so, da war man auf jeden Fall aussätzig. Aber relativ schnell hat sich dann eine Gruppe gebildet, die wir vor allem an den Wochenenden getroffen haben und zum Weggehen, das war um den Stephansplatz herum, da haben wir die Leute kennen gelernt, die sich für HipHop interessiert haben. Und einige dieser Leute sieht man heute noch auf Konzerten oder sind selbst aktiv, zum Beispiel der Zuzi, das war das erste Mal, dass ich da den Zuzi kennen gelernt hab. Oder den Bass, und viele andere Typen hab ich wahrscheinlich auch dort schon gesehen. Aber das war keine Szene. Und dann gab’s halt auch die ersten Partys, die waren sehr sporadisch, die waren nicht so, wie man sich das heute vorstellt - heute ist ja Wahnsinn, du kannst drei Mal die Woche auf ein Konzert gehen, Parties gibt es, find ich, keine mehr. Aber damals waren das Partys, die waren teilweise noch in der Innenstadt, beziehungsweise in weiterer Folge auch am Naschmarkt gab’s auch einen Club. Für die anderen Sachen war ich noch zu jung, also so Sachen wie das Bach, wo DSL und Sugar die ersten Sachen gemacht haben, die kenn ich nur vom Hörensagen. Da konnte ich noch nicht hingehen, da war ich noch zu jung und weil es auch so weit weg war, hat es keine Möglichkeit gegeben, nach Hause zu kommen. Da gab’s einige Clubs, die Heavy Metal gespielt haben und dann gab’s eine Stunde, wo dann Pause gemacht und HipHop gespielt wurde, und dann ist man wieder zurück zu Metal. Oder Warm-Up HipHop, oder U4 zum Beispiel, da haben 148 sie auch gemischt. Und das hat sich dann langsam halt so aufgebaut, und dann ist diese Gruppe an Menschen halt dort hingegangen, wo was war und dann siehst du halt eh immer dieselben Leute, und dann lernt man sich halt kennen.

Operator Burstup hat erzählt, dass zu Beginn des HipHop zum Teil mit Sitzstreiks auf die Musik reagiert wurde: wie ist das in deiner Erinnerung? Wie haben andere Menschen auf diese neue Musik reagiert? Das kann ich nicht beurteilen, das weiß nicht. Ich war zumeist Partygast, das heißt, ich bin irgendwo hingegangen, wo ich wusste, da spielen’s HipHop. Für uns war alles andere einfach uninteressant. Aber ich kann mir das schon vorstellen. Für viele war’s das, das ist ja heute noch so: also wenn ich sage, ich höre HipHop oder ich mach ein HipHop-Magazin, dann ist es, das wird nicht für voll genommen. Es ist nicht so als würde ich sagen, ich mach ein Rock-Magazin, es ist trotzdem in der Wertung und in der Wertigkeit sehr viel weiter unten angesetzt. Ich schätz, das hat mit ganz vielen Faktoren zu tun.

Wie war das damals, als HipHop neu nach Österreich gekommen ist: wie ist denn darauf reagiert worden? Das ist in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit eigentlich gar nicht vorgekommen. Also es gab am Anfang, also Geburtshelfer waren ja Sachen wie die Musicbox und X- Large gab’s ja damals solche Dokus drüber, soweit ich mich erinnern kann. Und dann gab’s auch noch eine ORF-Reportage über HipHop Anfang der 90er-Jahre, und dann gab’s, was ungefähr in dieses Fahrwasser gegangen ist, das war diese Reportage über Jugendbanden. Das waren so die Sachen, wo das vorgekommen ist. Möglicherweise wenn dann, Anfang der 90er war ich auf einem Public Enemy- Konzert, und solche Sachen sind dann wahrscheinlich vorgekommen, im „Mainstream“ - ich nimm jetzt den Standard mit rein in den Mainstream. Sonst ist es eigentlich nicht vorgekommen, außer eben auf FM4 in Tribe Vibes, und wenn man sich die Gewichtung von HipHop anschaut über die Sendezeit von FM4, so ist es ja auch verschwindend, selbst heute. Und damals war das halt ausschließlich, das war halt diese Kiste. Und du merkst erst später, dass es immer mehr Leute aus anderen Genres gibt, die sich dafür interessieren, das aber nicht spielen, weil sie das nicht spielen können, oder weil sie ein anderes Format haben. Oder so im großen Kanon ist das nicht vorgekommen, das war Niemandsland. Sind wir uns auch ehrlich, das ist 149

Anfang/Mitte der 90er, das ist auch eine Zeit der Neuorientierung Österreichs, wo man aus dem letzten Rest des Westens sich neu orientieren musste, und dann kommt da plötzlich eine Musikrichtung, wo ganz viel Schwarze im Bild sind. Da fürchten sich die Österreicher ja heute noch immer. Dass das einen ernstzunehmenden Stellenwert haben wird in absehbarer Zukunft, wage ich auch zu bezweifeln.

Für dich waren also auch die Musicbox, Tribe Vibes, MTV… Ja, MTV war eher so Look, und was ist der Feel, wie schauen die Typen überhaupt aus. Weil über Tribe Vibes hast du halt nur mitbekommen, ich mein, das war Wahnsinn: die haben urfrüh die ersten Sachen gespielt, da sind dann plötzlich, ich mein, wir haben drauf gewartet, wenn der DSL jede Woche seine Mixes gemacht hat. Das waren Highlights, wenn man sich auch jetzt noch in der Musikgeschichte anschaut, wie der DSL Alben zusammengemischt hat - also wir sind in Österreich einfach wirklich Weltmeister, uns selbst um die Perlen zu bringen. Weil das ist großartigst, man muss sich echt verbeugen. Also für uns waren das, nicht nur wegen der Neuheiten, sondern auch die Art und Weise, wie es aufbereitet wurde, war das Wahnsinn. Werner Geier dann mit dieser wissenschaftlichen, britischen Kühle, das waren Fixpunkte in meiner Kindheit, also vorm Radio zu sitzen und zu hören, wenn der Werner Geier, und dann DSL an den Turntables, das war einfach nur Wahnsinn.

Wie war das bei dir mit Filmen wie „Beat Street“ oder „Wild Style“, beziehungsweise Magazinen wie das „Spex“? „Beat Street“, „Wild Style“, also ich war zu jung und hab auch kein Geld gehabt, um ins Kino zu gehen. War schon okay, ich hab das eben nicht gleich am Anfang gesehen… ich möcht noch kurz zu MTV was sagen: bei uns war das eine Ergänzung, das war eine, Tribe Vibes hat ja auch nicht alles spielen und abdecken können und MTV war dann einfach eine Ergänzung. MTV war für uns, wir haben zum Beispiel Bands über MTV entdeckt, die Tribe Vibes meiner Meinung nach oder meiner Erinnerung nach nicht gespielt hat, wie Cypress Hill zum Beispiel am Anfang. Oder eben diese ganze Soul Assasins-Partie, die uns einfach total getaugt hat von der Ästhetik, von der Soundästhetik her. Tribe Vibes war eher New York-lastig, ich möchte ihnen auch nichts Falsches unterstellen, weil, ich glaube, die Kathi ja eben auch viel in New York war, und dort hast dann hast dann halt so Sachen wie TIDC, Gang Star, Pete Rock, Public Enemy auch viel gehabt. Und mein Freund, mit dem ich die 150

Schulbank geteilt hab, war Latino, war Chilene, dessen Vater nach Österreich flüchten musste, weil er von Pinochet verfolgt wurde, und für uns war das nicht nur eine Musik, die wir gemeinsam geteilt haben, sondern, also wir waren beide Ausländerkinder, mit den anderen in der Klasse haben wir nichts wirklich gemein gehabt, und für uns war das halt irre. Und dann kommt halt sowas wie Cypress Hill, die halb auf Englisch, halb auf Spanisch rappen, und das war für den Thommy, meinen Freund, Wahnsinn, so „Hey, das geht“. Das waren wirklich Augenöffner: „Die schauen aus wie wir, die sind nicht schwarz, die sind Latinos“. Und das war halt arg, diese Sachen auch zu sehen, zu sehen, wie schaut’s in L.A. aus, weil Magazine wie Spex habe ich A) gar nicht gekannt und B) hatte ich kein Geld, um mir das zu kaufen, geschweige denn Source oder irgendetwas anderes. Das überhaupt zu bekommen in Österreich, war ein Ding der Unmöglichkeit. Das hat auch, glaub ich, wirtschaftlich keinen Sinn gemacht, so etwas zu importieren, ich weiß gar nicht, ob das irgendjemand gehabt. Vielleicht die Leute, die um Tribe Vibes oder die nach New York gegangen sind, aber wir haben das erst viel später mitbekommen. Für uns war eher so interessant, schon natürlich die ersten Source-Magazine, aber Spex überhaupt nicht, das war bei uns gar nicht der Fall. Dann halt so Mailorder-Sachen. Anfangs waren’s eher noch Graffiti-Magazine, einfach nur anschauen, was da so abgeht. Und Filme, die ersten Filme, die uns halt so richtig taugt haben, waren „Do the right thing“, „Menace of society“, was war der andere Film, der L.A. Film? Also es gibt so drei, vier Filme, die Anfang der 90er herausgekommen sind, aus meiner Sicht, diese Sachen waren für uns halt, dass man sagt „Boah, arg“, aber das war auch gleichzeitig der Punkt, dass wir gesagt haben, okay, das kannst du auf Österreich so nicht umlegen, weil da geht’s halt ganz anders ab. Also Typen mit einer Knarre rumrennen, das gibt’s bei uns nicht.

Wie ist es dann auf Österreich umgelegt worden? Die Leute um mich herum, also meine Freunde und ich, haben das dann eher so gesehen, wenn Leute auf harte Tour machen, haben wir gesagt „Hey, Leute…“. Also wir haben das sehr wörtlich genommen diese HipHop-Idee, dieses DIY, aus deiner Umgebung einfach Sachen zu nehmen, die dir natürlich erscheinen, um das zusammen zu bauen. Also nicht zu imitieren wie das in Amerika ist, sondern zu schauen, hey, was passiert hier in Österreich, was haben wir hier? Das war für mich auch der Punkt, mich mit österreichischer Musik auseinanderzusetzen, was gibt’s an österreichischer Musik? Ist das etwas, was einen interessiert, oder… Du hörst ja auch 151 nichts, du kriegst es nicht mit, du hast es in der Schule nicht gelernt, es hat mir nie jemand etwas darüber erzählen können, von meiner Familie kann ich’s nicht wissen, das heißt, das war für mich ein Studium, mich damit auseinanderzusetzen, wer sind die Leute hier in Österreich, die nach dem Krieg oder sogar vor dem Krieg vielleicht, Meilensteine gesetzt haben? Für mich war dann diese Einstellung schon wichtig. Und wir haben halt gesagt, man muss nicht auf Gangster machen. Und ich muss nicht wie ein Gangster gehen wie aus einem Film, weil ich find das lächerlich. Wir leben in Wien, wir leben in einer Stadt, die keine Probleme kennt, ich kann nicht rappen darüber, dass jemand herumschießt, das entspricht nicht der Realität. So haben wir das umgelegt, ich glaub auch ganz viele andere. Wenn man sich Total Chaos, Texta, Schönheitsfehler und so weiter anhört, dann haben die das schon ähnlich gesehen, weil die Themensetzung ja ganz anders war.

Du hast den speziellen Bezug der „Ausländerkinder“ zu HipHop angesprochen: würdest das verallgemeinern? Haben sich Jugendliche mit „migrantischem“ Hintergrund eher von HipHop angesprochen gefühlt? Ja, auf jeden Fall. Weil es so wie Punk diesen rebellierenden Charakter hat, dieses Moment zu sagen, „Hey, alle fickts euch. Wir machen jetzt unser eigenes Ding, und nehme mir, was mir zusteht“. Ja klar, es wird dir immer gesagt, du gehörst nicht dazu, und dann sagst du, „Ja, weißt was? Ich gehör nicht dazu und jetzt scheiß ich dir was her!“ Das war schon so, du willst es so, dann kriegst es so. Das ist aufgelegt. Was aber hinzukommt, find ich, und das ist diese Fehlinterpretation, die in dieser zweiten Welle im deutschsprachigen Raum, mit dieser Gangster-Ästhetik gekommen ist, ist dieses Nicht-Verstehen, dass viele der Sachen einfach Storytelling sind und nicht der Realität entsprechen, und dass es sehr wohl ein großes Augenzwinkern gibt bei Sachen wie N.W.A. Dass es eine gecastete Band ist, dass es außer dem Eazy-E keine Typen mit Streetcreds waren, und so weiter. Ich glaube, dass das ganz viele nicht gecheckt haben und darum auch diesen komischen Gangster-Zug aufgesprungen sind. Aber ich glaube, dass es auf jeden Fall, das ist halt so wie wenn andere, um zu rebellieren und die Grenzen auszuloten, sich vielleicht einer Straßenbande angeschlossen haben, oder Hooligans geworden sind, oder sich jetzt dem Salafismus anschließen. Also ich will das nicht gleichsetzen. Nur bei HipHop war der Ausblick immer positiv, machen wir was Besseres draus, schauen wir, dass wir was machen, was Produktives weiter zu bringen, das war immer der Impetus. 152

Um auf diese Mailorder zurückzukommen: welchen Stellenwert hatten die? Da haben einige Leute bei Jams Leute kennengelernt. Also Jams waren ganz wichtig, auf jeden Fall „Stay Original“ in Linz. Und auf diesen Jams waren Mailorder, da hast du dir Mailorder-Prospekte mitgenommen und dann hast du die Kataloge zugeschickt bekommen, eh so wie man es kennt, Otto-Versand und was auch immer. Und die haben halt HipHop gemacht. Das eine war „Back2Back“ aus Passau, die waren urwichtig, und in Köln hat’s noch einen gegeben. Wir haben bei „Back2Back“ bestellt, und dort haben wir alles bestellt, was ging: Marker, Fat Laces, Magazine, Tapes, das waren so die ersten Mirko-Tapes, Style Wars-Tapes, der Zuzi hat dort zum Beispiel seine Tapes verkauft, andere haben dort ihre Tapes verkauft. Das war so eine Riesen Drehscheibe. Da hab ich, glaub ich, zum Beispiel auch meine ersten Source-Magazin her. Ein Freund von mir, mit dem ich das Message gegründet hab, hat dort immer für alle bestellt: Platten, die ersten Platten sind auch dort rübergekommen. Das war wirklich wichtig. Und in weiterer Folge hat das dann „Goalgetter“ hier in Wien versucht und gemacht für viele.

Was war denn die Motivation mit „The Message“ ein eigenes Magazin zu machen? Die Motivation war, ohne jemals ein Source in der Hand gehabt zu haben, zu sagen „Hey, ich kann nicht rappen, ich kann keine Musik machen“, aber zwei der Freunde, die mitgemacht haben, waren ein DJ und ein MC, und ein vierter Freund, der auch weder rappen, noch DJen, noch irgendetwas anderes konnte, und wir haben gesagt, es fehlt einfach die Plattform, wo Leute sich austauschen können. Wo der eine erzählen kann, wie es ihm geht, oder was man mit der Musik machen möchte und so weiter. Und dann haben wir gesagt, machen wir doch ein Magazin, und der Matthias hat gesagt, er kennt eine Möglichkeit, billig zu drucken und wir haben das handkopiert und verkauft und ja, das war ein Fanzine am Anfang. Und den Leuten hat’s getaugt, wir haben dann eine zweite Ausgabe mit dem Erlös der ersten gemacht, haben Partys geschmissen, um die Ausgaben zu finanzieren und so ist das dann weitergegangen. Und da ist man dann nicht mehr rausgekommen, weil doch eine Response von der Community da war, man selber was macht, und dann bist du irgendwann drinnen.

153

Ist seid dann ja relativ schnell zu einem Fixpunkt in der österreichischen HipHop-Szene geworden… Ja, in einer gewissen Art und Weise auf jeden Fall, was der Beitrag ist, lässt sich schwer abschätzen. Also ich tu mich schwer, das abzuschätzen. Ich kann und will auch nicht eine Positionierung vornehmen, wir können das mit Zahlen und so natürlich untermauern, aber ich glaub, die wirklich harte Währung ist, wem hat man geholfen. Weil das war und ist noch immer meine Motivation, es muss was gehen. Es kann nicht sein, dass wir uns auf diesem Scheiß Status quo, den wir in Österreich haben, ausruhen. Ich bin halt jemand, ich möchte etwas weiterbringen und ich möchte über die Grenzen hinaus, ich möchte nicht in diesem österreichischen Kleingeist bleiben und ich möchte Leuten helfen. Und wenn wir dann das geschafft haben, und wir unter Anführungszeichen die Karriere des Einen oder Anderen mit angestoßen haben, dann find ich das super. Dann kompensiert das alle imaginären Honorare, die ich bekommen hätte sollen.

Kann man sagen, dass sich „The Message“ eher nach Innen, also nach Österreich, orientiert hat? Und inwieweit hat man sich denn als Teil eines größeren Ganzen verstanden? Ich glaub, eine Magazin, so wie wir es verstanden haben, erstens bleibt es nicht, es ist ja kein fixer Zustand, du kannst ja die Blattlinie immer wieder ändern. Anfangs war’s natürlich und ist es noch immer eine Plattform für Austausch, oder eine Möglichkeit, Künstler, von denen wir glauben, dass sie an einem Punkt sind, bei dem man sie der Öffentlichkeit vorstellen kann, ohne dass man ihnen jetzt zu großen Schaden zukommen lässt. Also das ist so eine Verteilerposition, zu filtern, was interessant ist aus dem Ausland, und was interessant ist aus dem Inland, und das den Leuten vorzuschlagen. Immer mit dem Hintergrund, wir möchten etwas zeigen, was wir selbst extrem cool finden, das heißt nicht, dass es außerhalb unseres Universums etwas anderes gibt. Und die Leute sollen sich das bitte auch woanders holen, da sind wir niemanden böse. Wir können, weil wir das alles unentgeltlich machen, nicht alles abdecken und wir wollen auch nicht alles abdecken. Als Printmagazin ist das schon eine andere Herausforderung und jetzt als Online-Magazin verändert sich das natürlich auch viel, viel stärker. Wir haben sehr viele Leser aus dem Ausland, es ist immer vom Interview abhängig. In Deutschland auf jeden Fall ob der Sprache, aber wir fokussieren uns immer auf die österreichische Szene, um zu schauen, wen gibt’s, 154 wer ist interessant, wer sind die Newcomer, mit wem kann man Interviews machen. Es gibt eine lange Liste an Menschen, mit denen wir die ersten Interviews gemacht haben, die dann in weiterer Folge doch eine ansehnliche Laufbahn in Österreich oder in Deutschland hingelegt haben, so Sachen wie Crack Ignaz, Jugo Ürdens, und so weiter. Also es ist eine wechselseitige Sache, wir machen Interviews mit heimischen Acts, aber auch internationalen. Weil es ist, glaub ich, auch wichtig zu sehen, was macht jemand in Detroit? Wie arbeitet der? Also diese Unterschiede zu zeigen und auch zu zeigen, dass es vielleicht keine Unterschiede gibt.

Habt ihr euch dann als eine Art Gatekeeper verstanden? Nein, keine Exklusivität. Wir haben uns nie was darauf eingebildet. Der Antrieb war immer, etwas Cooles zu machen, das für alle da sein soll.

Ich hab für mich die Beobachtung gemacht, dass es zu Beginn HipHop in Österreich gab und erst später dann österreichischen HipHop: was meinst du dazu? Ja, auf jeden Fall. Es war so frisch, dass die in Amerika nicht einmal wissen konnten oder wussten, wie man damit umzugehen hat. Die haben ja erst eine Industrie draus machen müssen und schauen, wie kann man Plattenlabel dazu bringen, das zu machen, und so weiter. Und zur selben Zeit hast du halt in Österreich Sachen gehabt, die relativ früh dran waren und die aber schon noch sehr amerikanisiert waren, auf jeden Fall. Und wenn man das jetzt natürlich mit dem vergleicht, was man heute hat, dann würde ich das auf jeden Fall unterschreiben, vor allem weil jetzt zusätzlich immer mehr der Einsatz von Samples zum Beispiel aus dem Wiener Lied kommt. Es beginnt sich ein eigener Kreis, ein eigener Kanon aufzumachen und österreichische HipHop- Acts samplen alte Sachen. Ja, es gab eine Bewegung hin zu einer sehr spezifischen österreichischen HipHop-Szene.

Was ist deiner Meinung nach das spezifisch Österreichische? Es sind fast immer dieselben Protagonisten, von denen wir sprechen, also es ist ja relativ stringent. Was ich finde, was Österreich hat, sind unglaublich gute Produzenten, wirklich überdurchschnittlich gute Produzenten, nämlich auch in der Quantität, und auch eine gewisse Avantgarde. Österreich hat eine Avantgarde, die sich Deutschland nicht leisten kann. Weil du’s nicht als deinen Hauptberuf machst, 155 kannst du halt einfach Sachen raushauen, die vielleicht in Deutschland ob des finanziellen Drucks nie rauskommen würden. Und eine gewisse Lässigkeit vielleicht. Und natürlich die ganze Mundartsache, die ist schon ein österreichisches Spezifikum. Es gibt ja ein paar Beispiele, die man sich anschauen kann: Money Boy, man kann halten von ihm, was man will, ich find’s nicht leiwand, aber das hat etwas ausgelöst. In weiterer Folge hast du Crack Ignaz und Wandl, das ist etwas, was in Österreich passiert und in Deutschland, also die wussten nicht einmal, wie ihnen geschieht. Ich nimm aber auch solche Sachen mit rein wie Bilderbuch, das ein anderer Sound, das kling anders wie deutsche Produktionen, das ist einfach so. So wie auch Falco anders geklungen hat. Natürlich kann man das nicht so trennen, das ist Österreichisch und das hört sich österreichisch an, außer du hörst Kreiml & Samurai oder Kroko Jack, aber selbst für jemanden, der kein Deutsch versteht, der wird sagen, Kroko Jack ist einer der ärgsten MCs, die’s gibt. Muss man so sagen. Und die haben auch mit „In Gott’s Namen“ 2008 einen Trend vorweggelegt, der jetzt seit zwei Jahren vielleicht am Kommen ist. Ja, Avantgarde und großartige Musiker, bei den MCs haperts ein bisschen, find ich.

Warum ist die Kommerzialisierung in Deutschland so viel stärker und warum bleiben österreichische Acts weitgehend unterm Radar? Es gibt so viele Punkte, die da mitspielen, find ich. A) es mangelt an Professionalität: österreichische Acts sind zumeist nicht professionell, weil sie es nicht müssen, aber auch will sie es nicht brauchen, und weil sie es nicht auf die Reihe kriegen manchmal. Das fängt wirklich von A und geht bis Z. Das hat dann zur Folge, dass es keine Labels gibt und die Labels interessieren sich nicht dafür, die Journalisten sprechen nicht darüber, weil es sie eh nicht interessiert, weil das Neujahrskonzert wichtiger ist und was die Philharmoniker machen. Dann hast du halt Leute, die sich nicht wirklich dafür interessieren, wie Fluch, Köck, und so weiter, ich glaube trotzdem, dass es mit einem extremen Konservativismus zu tun hat, also du hast eine aufmüpfige… also das ist so etwas wie Punk, das ist gegen das Establishment, wo junge vor allem Schwarze, wenn man sich die Ami-Sachen anschaut, sagen, was ihnen nicht passt, und halt in einer Sprache, die man auf der Straße redet, und sehr direkt. Und dass sowas in einem Land wie Österreich nicht sehr gut ankommt, ist jetzt nicht die große Überraschung. Und in Deutschland sind sie, was solche Sachen betrifft, sehr viel schneller, wenn sich da ein kommerzielles Fenster auftut, gibt es Leute, die reingehen, das aufbauen und 156 beginnen ihre Chancen zu wittern. Und es ist zehn Mal so groß. Und dann gehen die Jungs halt nach Deutschland, Raf, Bonez, Chakusa, und so weiter. Und man sieht eh was deren Beitrag ist. Das ist schon bemerkenswert.

157

6.7. Katharina Weingartner, Wien, 14.2.18

Kannst du dich kurz vorstellen? Ich bin Katharina Weingartner und mit HipHop habe ich in Deutschland bei der Spex begonnen, und bin dann nach Wien zu Musicbox gegangen. Und war dann als Musicbox-HipHop-Redakteurin für 15 Jahre in New York. So habe ich mich sehr lange sehr intensiv mit HipHop beschäftigt.

Kannst du dich an deine erste Begegnung mit HipHop erinnern? Mein erster Job nach dem Studium war in Deutschland bei einer Plattenfirma, die sehr progressiven Avantgarde-Jazz produziert hat, bisschen ein exklusives Jazz-Label. Da war ich in New York für das Label unterwegs und hab dort HipHop gehört, und bin dann zu dem Label-Besitzer gegangen und hab gesagt „Du, wir sollten da unbedingt etwas machen, weil das ist der neue Jazz, quasi.“ Und so haben wir dann angefangen New Yorker Oldschool HipHop für den deutschen, Schweizer und österreichischen Markt zu lizensieren. So war mein Einstieg.

Was war da die ersten Acts? Das waren Cold Crush Brothers, als das ganze -Repertoire haben wir gemacht. Da haben wir auf ein paar Jahre einen Vertrag gehabt, dass wir alle Platten von denen lizensieren konnten für den deutschen Markt, das waren sehr gute Platten. Kennt alles keiner mehr, aber sehr gut, wichtige frühe Sachen.

Was hat dich daran fasziniert? Naja, man hat zu der Zeit schon bei uns Beastie Boys und so gekannt, aber das war halt eher die Partymusik, die zu uns rüber geschwappt ist und was ich dann in New York gehört hab, das waren sehr avantgardistische Sounds. Ich hab mich sehr intensiv mit Jazz beschäftigt damals und das hat mich schon sehr, auch vom Stil und der Message her, interessiert. Dadurch dass ich dann diese Kontakte hatte durch die Firma, war ich sehr schnell da mitten drinnen in der Szene, in New York war das so 1988/89. Das war eine große Aufbruchsstimmung in den Clubs und überall, da ist jetzt eine Revolution in Gang. Da gab es ganz, ganz viele kleine HipHop-Labels, die irrsinnig interessante Musik produziert haben. Und wie ich dann in Deutschland zurück war, da sind wir dann nach Köln übersiedelt und dort hab ich dann unsere ersten

158

Platten zu den Radiosendern gebracht und hab immer nur gehört „Klingt alles gleich!“, und immer das N-Wort. Es war immer noch alles sehr rassistisch, schwieriger Markt. Da sind wir eigentlich gescheitert mit unseren Produkten, mehr oder weniger. Wir haben dann ein paar Tourneen organsiert für Bands aus New York, das war auch sehr schwierig, in so kleinen Clubs, vor 20, 30 Leuten. Aber bei der Spex war damals schon eine sehr gute HipHop-Rezeption in Gang. Es war, glaub ich, das einzige Magazin oder das einzige Medium, das das verstanden hat. Also es gab keinen Radiosender, nichts, was das aufgenommen hätte, aber die Spex hat sehr früh schon darüber geschrieben und die haben mich dann gefragt, ob ich nicht was schreiben will, weil ich mich dann schon ganz gut ausgekannt hab. Und dann hab ich angefangen über HipHop zu schreiben. Darüber bin ich dann zur Musicbox gekommen in Wien. So war das.

Die MusicBox hat es ja schon davor gegeben und dann kommt jemand, wie du mit einer neuen Musik: wie hat denn darauf die Redaktion reagiert? Ja, lang, die gab’s ja schon seit den späten 70er Jahren. Ganz so schlimm war’s nicht in der Musicbox, die haben immerhin Spex gelesen und die wussten, dass da was Spannendes kommt. Aber es gab niemanden dort, der sich irgendwie zuständig gefühlt hat, es bisschen ein Vakuum. Aber es gab schon ein Interesse an schwarzer Musik, es gab RnB und Soul und Funk und so weiter wurde schon gespielt, aber es war trotzdem sehr weiß. Und ich weiß noch, meinen ersten Beitrag hab ich über gemacht, die hab ich interviewt, die war 18. Und ich hab mich auch schon sehr früh für den feministischen Aspekt im HipHop interessiert, Salt N Pepa, Roxanne Shante und diese ganzen starken Frauen. Und auch das Politische halt, meine Beiträge waren von Anfang an sehr politisch, die ganze Afrocentricity, auch diese Themen, die jetzt so aktuell sind, Black Lives Matter und all das, alles, was damals sehr stark mit HipHop in Verbindung gestanden ist, hat mich interessiert. Eigentlich waren’s politische Beiträge, die Musik war halt nur das Medium, mit dem das transportiert wurde, das war sehr spannend.

Wie hast du dich denn in der ersten Zeit informiert? Es gab schon ein bisschen englische Berichterstattung, NME und so. Da gab’s Musikmagazine, die sehr gut waren. Dann gab’s ab ‘89 The Source, ein HipHop- Magazin in Amerika, das hab ich gelesen. Ich hab Kollegen gehabt bei der Spex in 159

Köln, die wirklich da sehr informiert waren. Es gab schon immer solche extremen HipHop-Fans. Alle Leute, die in New York waren, haben immer etwas mitgebracht. Und dann gab’s schon früh HipHop-Bands, die getourt sind. Ich hab die alle gesehen, KRS One war dreimal in Deutschland, da gab’s die GI-Städte, Mannheim und so, wo große Army-Stations waren, und da sind die gekommen. Also ich hab Public Enemy gesehen, KRS One dreimal, A Tribe Called Quest, Beastie Boys, Run DMC. Die haben ja schon sehr früh Stadien gefüllt. Ich glaub, der Erfolg von HipHop in Amerika, nach den ersten Underground-Phasen ging’s in Amerika über College-Auftritte und College- Radio. Ist aber durch die sehr frühe, sehr positive Reaktion in Deutschland, das war wie ein Ping-Pong-Spiel. Wenn die Deutschen da drauf stehen, Run DMC hat in Deutschland vor ein paar tausend Leuten gespielt, in einer Zeit, wo es das in Amerika noch nicht gegeben hat. Also das war schon verbunden irgendwie, die Kids wussten schon, was gute Musik ist, das hat sich sehr schnell rumgesprochen, das hat nur wenige Monate gedauert. Es war dann nur schwer, die trägen Radiosender und die Medien zu bewegen, so etwas wie die Musicbox oder der Falter, die haben da sehr träge reagiert. Aber Run DMC war schnell ausverkauft in München, das war sehr früh sehr erfolgreich. Oder Public Enemy, da waren tausende bei den Konzerten.

Wie du sagst, haben Medien kaum bis gar nicht darüber berichtet: wie informierten sich die Kids dann aber? Die haben alle Spex gelesen. Es gab Spex und dann gab’s Tribe Vibes, und sonst gab’s nichts. Und alle, die früh diesen Bug gehabt, haben Tribe Vibes gehört. Ich kenn Leute, die haben jede Sendung auf Kassette aufgenommen. Die haben sich dann immer aufgeschrieben, was man in der Musicbox gesagt hat, und die Platten hat man dann halt gekauft. Das war eine sehr einfache Welt, es gab nur wenige Informationsträger, es war dadurch auch leicht, weil du wusstest, wenn die das sagen, dann kannst du dich drauf verlassen.

Wie hat denn HipHop in der MusicBox überhaupt Fuß gefasst und wie ist das aufgenommen worden? Ich hab da mit HipHop angefangen. 1989. Man hat kämpfen müssen. Es waren zwölf Männer und ich die einzige Frau. Und die haben halt, ich war sehr jung, ich war 24, immer typisch machomäßig getan, „Mei, du verstehst ja nichts.“ Die haben das verachtet und gemeint, das ist halt so ein Modetrend und das alles völlig unterschätzt, 160 und nicht verstanden, dass eine richtige musikalische Revolution im Gang ist. Aber überhaupt auch mit so einer gewissen weißen Überheblichkeit, mit ihrer weißen Rock- ’n’-Roll-Geschichte. Eigentlich find ich die ganze Pop-Geschichte völlig verkannt, die schwarzen Wurzeln und das schwarze Kontinuum. Ich bin ja vom Jazz gekommen, ich hab da eine völlig andere Perspektive drauf gehabt, immer schon. Ich war im Konservatorium und hab Jazz-Schlagzeug gelernt und komm da von einer sehr abstrakten Auseinandersetzung mit afroamerikanischer und afrikanischer Musik, vom Rhythmus her, ich war in einem modernen Schlagzeugensemble und war mit 14 schon auf Jazz Festivals, einfach anders sozialisiert dadurch. Und ich war ja schon mit 18 ganz alleine ein Monat in New York nur in den Jazz-Clubs, ich war der totale Jazz- Fan. Und das war auch der Grund, warum ich auf HipHop ganz anders eingestiegen bin, und in der Musicbox gab’s keinen, vielleicht einen, der sich mit Jazz ausgekannt hat. Also das war so mein Zugang.

Woher kommt die Überheblichkeit? Ich glaub, das war schon ein Umstoßen von alten Gewohnheiten, von alten Hörgewohnheiten, von so etablierten Wegen. Ich mein, wenn man sich da schon mal 20 Jahre damit beschäftigt, dann ist man verunsichert, wenn man das Gefühl hat, das wird alles umgestoßen und umgewertet. Ich glaub, grad in solchen Redaktionen hat dann jeder seine Nische und jeder hat dadurch auch seine Einkommensquelle und das ist halt alles etabliert und dann ist plötzlich alles anders. Die Rhythmen, der Text, das hat ja auch keiner verstanden, dann schauen die auch alle anders aus, kommen mit irrsinnigen Forderungen daher, völlig absurden, für viele weiße Männer war das extrem bedrohlich, diese Bedrohung war ja nicht nur in Europa, das war ja in Amerika genauso. Die Village Voice haben sich in den USA genauso bedroht gefühlt von HipHop, das waren alles weiße männliche Bastionen, die gestürmt wurden von Teenagern, die unglaublich frech und teilweise militant waren, und musikalisch sehr neue Sachen formuliert haben. Ich glaub, da war der Zugang zu hiesigen jüngeren Leute, also zu Kids, war direkter und einfacher als in diese etablierten Popkanäle, da gab’s Widerstand. Das hat nicht in dieses Establishment hier gepasst. Und genau das hat mich ja gereizt. Auch die großen Plattenfirmen, die waren ja alle vor den Kopf gestoßen. Ich hab so Leute wie Günter Jauch bemustert mit HipHop-Platten und der hat nur gesagt, der war bei einem bayerischen Privatsender als Radiomoderator, was

161 das für ein Dreck ist, was ich ihm da immer bring. Da gab’s überhaupt keine positiven Reaktionen, überhaupt keine. Das war völlig sinnlos, was ich da gemacht hab.

Warum bist denn trotz des Widerstands dran geblieben? Naja, ich hab ein Jahr dort gearbeitet. Und dann, wie ich dort weg bin, haben die wieder nur Jazz gemacht beim Label. In der Musicbox hat dann der Werner Geier, das war der Musikchef, und der hat sich schon für HipHop interessiert, auch wenn er es am Anfang überhaupt nicht verstanden hat, aber er hat zumindest das Gespür gehabt, dass das etwas Interessantes kommt. Und der hat dann mir eine Viertelstunde wöchentlich für eine Sendung angeboten. Und dann hab ich den DSL gefragt, ob der mitmacht, und das war dann Tribe Vibes, da haben wir dann, zuerst eine Viertel dann eine halbe Stunde, tun können, was wir wollten. Das war 1990.

War euch damals euer großer Einfluss schon bewusst? Naja, so groß, so viele Leute waren das ja auch wieder nicht. Aber es gab ja nur das, es gab ja keine andere Möglichkeit. Außer vielleicht für Leute, die in Wien waren und zu den wenigen Club-Events gehen konnten: Der Sugar B hat etwas gemacht im Volksgarten, dann waren halt hin und wieder Bands da, das waren einzelne Abende, da hat man sich dann getroffen. Wir haben halt einfach das gemacht, was jede Woche rausgekommen ist, aber ich hab schon bald gemerkt, dass das von Wien aus schwierig ist und bin dann nach New York übersiedelt, das war alles zwischen 1989 und 1991. Ich hab vielleicht ein halbes Jahr die Sendung von Wien aus gemacht und bin dann nach New York.

Wie hast du dann von New York aus gearbeitet? Der DSL und ich haben die HipHop-Schiene gemacht und der Werner hat dann nach einem Jahr bei uns gefragt, ob er auch mitmachen darf, weil er halt gemerkt hat, das ist der heißeste Scheiß, den wir da spielen, und dann hat er House gemacht. Und wir waren dann die Stunde mit der Clubmusik quasi. Und der hat das dann sehr unterstützt, was wir gemacht haben, obwohl er nicht HipHop gespielt hat damals, erst viel später. Ich hab die Beiträge gemacht in New York und hab die nach Wien geschickt, also das war noch auf Band, und hab Platten mitgeschickt, aus denen der Stefan dann einen Mix gemacht hat, und das war dann die Sendung, also meine Interviews und Beiträge plus die Musik. Ich hab ja kein Studio gehabt, ich hab bei 162

WBAI, das ist ein sehr altgedienter, wichtiger Radiosender in New York, da hab ich mitgearbeitet und dafür durfte ich dort im Studio meine Sendungen produzieren. Und ich hab dort bei der HipHop-Sendung, die es immer noch gibt, auch mitgearbeitet. Die älteste HipHop-Sendung von Amerika, Jay Smooth, Underground Railroad, die gibt’s immer noch.

Also du warst wirklich mitten in der noch sehr jungen HipHop-Szene... Ja, ich war schon sehr früh dabei. Ich hab auch in einer Gegend gewohnt, wo wenig Weiße gewohnt haben und ich war, glaub ich, in meinem ersten Jahr in New York sicher jede Nacht unterwegs, sicher, entweder in Clubs oder bei Konzerten. Also ich bin völlig in diesem Universum aufgegangen.

Wie hat man denn in Österreich auf dieses Neue reagiert? Das hat mich alles überhaupt nicht interessiert. Ich war in New York und was in Österreich war, hat mich überhaupt nicht interessiert. In Österreich ging’s immer darum, was man da als Weißer draus macht, und sobald das angefangen hat, für mich war da viel zu wenig Verständnis da für diese kulturelle Distanz. Und das hat mich eher immer ein bisschen abgeschreckt, da waren dann alle gleich „Brothers“ und „Niggers“ untereinander und damit wollte ich nichts zu tun haben. Offiziell war das Spex-Büro bei mir in meiner Wohnung in New York, ich hab weiter für die Spex geschrieben und hab meine Beiträge für die Musicbox gemacht und 1994 hab ich angefangen, für den WDR zu arbeiten, ich hab Radio-Features für den WDR gemacht und das war auch viel besser bezahlt als beim ORF. Und dann hat sich die Musicbox eh aufgelöst und bei FM4 waren die Arbeitsbedingungen, also bei FM4 gab’s keine Verankerung für das, was ich machen wollte, weder inhaltlich noch finanziell. Es waren ja nur fünf Jahre, die ich bei der Musicbox war.

Wie hast du die ersten Bands in Österreich denn wahrgenommen? Das hab ich überhaupt nicht mitgekriegt, nur die, die ich persönlich gekannt hab, also halt den Rodney und Total Chaos. Wir haben auch in Deutschland auf unserem Label eine deutsche HipHop-Band produziert, die sehr gut waren, also die, die ihr Ding gemacht haben, so wie die Linzer, die fand ich ja immer schon sehr gut. Aber die, die so getan haben, als ob sie die Ghetto Kids wären, die fand fürchterlich. Es gab so grottenschlechtes Zeug hier, das immer so auf schwarz gemacht hat, und da würd ich 163 sogar Falco dazu zählen und das hat mich alles nie interessiert. Das war einfach so ein schlechter Abklatsch. Und dann gab’s so Sachen wie den Peter Kruder oder auch den DSL, es gab so Leute, die haben das sehr individuell gestaltet, und das war spannend. Die haben ihre eigene Sprache gefunden und ihre eigenen Themen, die waren spannend, aber ich glaub, die wären in jeder Musik spannend.

Man liest ja immer wieder, dass Falco der erste Rapper Österreichs war: was sagst du dazu? Das ist völlig uninteressant, kann ich null damit anfangen, hat mich nie interessiert. Das war einfach ein Epigone, der hat sich halt einfach irgendetwas angehört, was in Amerika produziert war und hat das blöd nachgemacht.

Ich unterscheide immer zwischen HipHop in Österreich und österreichischem HipHop: kannst du mit dieser Feststellung etwas anfangen? Ja, genau. Einerseits gab Epigonentum mit dieser Idee, damit Geld zu verdienen, und dann gab’s so, das sind ja oft so gerade aus Jugendzentren und politischen Kontexten Gruppen wie Total Chaos entstanden, aus engen Milieus. Ja, das fand ich spannend, immer. Aber das hört man auch sofort, das hörst du nach zwei Takten, dass da ein anderer Anspruch dahintersteckt. Die Technik von HipHop ist natürlich gut, um solche Botschaften zu vermitteln, aber ansonsten hat das Null, ich wüsste nicht, welches Vorbild Total Chaos gehabt haben könnten, das waren schon eigene Typen. So wie wenn du DSL hörst, einen DSL-Mix gibt’s ganz einfach kein zweites Mal, das ist einfach eigen. Es geht halt einfach auch um Authentizität. Es ist ja interessant, dass die Dr. Moreau’s Creatures ja alle auf ihre Art Karriere gemacht haben, und die haben alle bei dem ersten Wettbewerb von Tribe Vibes mitgemacht. Da ist ein Sampler entstanden mit den ersten zehn Platzierungen oder so, und da waren die alle dabei: also der Peter Kruder hat was produziert, der Rodney Hunter, der Sugar B, Total Chaos, die waren, glaub ich, 17, Texta nicht, die waren zu jung.

Wie ist es denn zu dem Sampler gekommen? Das war ganz lustig, wir hatten im Studio dort Plattenspieler, die wir nicht selber bedienen durften, das war so absurd so eine HipHop-Sendung zu machen, weil man musste dem Tontechniker die Schallplatten geben und der musste dann die Nadel draufgeben, wir durften nicht einmal das. Und dann hab ich vorgeschlagen, dass wir 164 uns ein Studio einrichten mit Technics-Plattenspielern und ein Mischpult, aber wir hatten überhaupt kein Geld, und da bin ich zur Firma Technics und zur Firma AKG gegangen und hab gefragt – damals gab’s keine Werbung, muss man sich mal vorstellen, auf Ö3 keine Werbung. Und dann war die Idee, um zu Geld zu kommen, um uns ein Studio einzurichten können, geben die uns Sachspenden, aber dafür müssen wir dieses Event machen, und da war der erste Preis ein Technics- Plattenspieler. Dann haben wir das halt organisiert, ich habe eine Band aus New York engagiert, Pete Rock & SL Smooth, die waren noch nie aus Amerika draußen, die haben wir eingeflogen, aber die Hauptorganisation hat der Werner gemacht, und der hatte die Idee mit dem Wettbewerb und dass die Gewinner auf einer Platte veröffentlicht werden. Das war dann eher Werners Ding. Und dann haben wir so viele Einsendungen gekriegt, kistenweise Kassetten mit Schlafzimmerproduktionen, wobei das meiste ein irrsinniger Krempel war, aber die paar waren sehr gut. Und die haben sich dann beim Event auch vernetzt, ja, es war eine sehr große Aufregung. Aber da war ich schon ein paar Jahre in New York und aus New Yorker Perspektive war’s halt trotzdem nicht so spannend.

Wie hast du denn die Etablierung der österreichischen HipHop-Szene aus der Außenperspektive wahrgenommen? Ich hab nach 1994, nachdem ich die Sendung nicht mehr gemacht hab, nicht mehr viel damit zu tun gehabt. Ich hab dann nur noch privat HipHop gehört, ich hab dann viele verschiedene Arten von Musik beforscht, ich hab mich ja nicht nur mit HipHop beschäftigt. Viel jamaikanische und afrikanische Musik. Für mich war’s immer schwierig, nachdem Österreich ja offiziell kein Einwanderungsland ist und Österreich so auf dem beharrt und zwar bis in die höchsten kulturellen Kreise, auf diese Nicht- Vermischung mit anderen Kulturen beharrt, find ich, gibt’s einerseits tolle Musikproduktionen und tolles Publikum, aber es gibt auch so einen wahnsinnigen Widerstand in Institutionen und Medien. Das ist in Österreich schon hartnäckiger als anderswo, ich glaub, da ist Deutschland schon durchlässiger, Deutschland ist viel urbaner. Ich find, das geht in Österreich in der Kunst und im Theater besser komischerweise, aber in der Musik eher nicht.

165

Glaubst du hängt das alles mit der geringen Urbanität in Österreich zusammen? Ich glaub, das liegt an unserer Geschichte, unserer rassistischen Geschichte und unserem immer noch irrsinnig rassistischen politischen Milieu. Ich glaub, dass wir immer noch antisemitisch und ausländerfeindlich sind, und noch immer drauf beharren, dass wir uns nicht vermischen wollen. Und da sind halt die kulturellen Scheuklappen. Da gibt’s diese ganze Idee von der Hochkultur, also ich glaub, das hat etwas mit Elitismus zu tun, mit der Dominanz der klassischen Musik vielleicht, wie das immer noch so hofiert wird, welche unglaublichen Summen in klassische Musik und Opern gesteckt wird. Wie wenig unabhängige Kulturzentren gefördert werden, da kann ja nichts entstehen, und in den Musikschulen gibt es Blasmusik und dann ganz lange nichts, oder. Es ist kulturell undurchlässig das Land, man kann sich ja auch als jemand von außerhalb kaum hier niederlassen, erstens wird man angestarrt, man wird nicht gefördert. Es ist einfach das Gegenteil von New York irgendwie, New York ist so fluide, dort wechseln sich die Einflüsse einfach ab. Ich glaub, das hat nicht nur etwas mit der Größe zu tun, also Berlin hat das ja auch, aber Wien hat so etwas Saturiertes, in Wien braucht’s keine Veränderung, weil es gibt eh einen Sozialstaat und Kulturförderungen, aber nur keine Wellen. Ich glaub, damit hat’s viel zu tun, mit so einer Sattheit. Weil der HipHop in New York, der da entstanden ist, und davor der Jazz oder die House-Szene in der Paradise Garage, das waren ja alles hungrige Kids, die wollten alle neue Sounds, aber das ist in New York halt alles möglich. Ich weiß nicht, wo es in Wien eine türkische Musikszene gibt, niemand weiß das. Oder Roma.

Inwieweit waren denn deiner Meinung nach migrantische Szenen in der Frühphase des HipHop in Österreich involviert? Ich glaube nur ganz wenig, da gab’s ja auch nicht so viele. Ich glaube, das hatte mit Hautfarbe oder so nicht viel zu tun, und auch heute gibt’s ja de facto keine afroamerikanische oder afrikanische Szene.

Du hast angesprochen, dass dich feministische Fragen ganz besonders interessiert haben: warum gab es denn in dieser Frühphase kaum Frauen? Die Szene war sehr männlich, ja. Ich weiß noch, ich hab damals, wie ich nach New York gegangen bin nach circa einem halben Jahr bei der Musicbox, hab ich eine Nachfolgerin gesucht, und ich wollte unbedingt eine Frau, ich wollte, dass jemand in der Redaktion meine Agenden quasi übernimmt. Weil das von New York aus ja schwer 166 war, wenn man nicht bei der Redaktionskonferenz dabei war. Und ich habe niemanden gefunden. Ich habe die von Female Pressure gefragt, und die hat das auch probiert, aber ich glaub das ist ihr mit den ganzen Männern, die alles besser wissen, auf die Nerven gegangen. Es war extrem frauenfeindlich das Milieu. Die Musikszene war extrem frauenfeindlich. Also Frauen wurden nur nach sexistischen Kriterien bemessen und der einzige, der Frauen gefördert hat, war der Werner, aber die anderen dort, pfff. Also da könnte ich sehr viele Me-too-Geschichten erzählen im ORF, wie es da zugegangen ist. Da hat’s immer geheißen, die Katharina und ihre Vorlieben für schwarze Männer und so. Also dass ich einfach viel mehr gewusst habe über schwarze Musik und alles gelesen hab, das hat niemanden interessiert. Es war sehr frauenfeindlich.

Auch die HipHop-Szene an sich? Sexistisch würd ich sagen, ja, die haben das auch Eins zu Eins übernommen. In Amerika gab’s ja auch zu Beginn starke feministische Einflüsse im HipHop, ich mein, die Sylvia Robinson war eine Frau, die das erste richtige Label gemacht hat. Es waren starke Frauen an den Mikrofonen und auch da, sobald die großen Musikkonzerne die kleinen Labels geschluckt haben, wurden alle weiblichen Interpretinnen und alle feministischen Töne stillgelegt und dieser Gangster-Macho-HipHop in den Vordergrund gestellt. Da gab’s ja nicht mehr, das war innerhalb weniger Jahren. Aber die sind in meinen Sendungen viel vorgekommen und irgendwann gab’s keine Frauen mehr. Mit Dr. Dre’s Album hat die Westcoast so eine Dominanz erreicht und ich glaub, dass es für die Entpolitisierung von HipHop in Amerika wichtig war, die Frauen zum Schweigen zu bringen und dass diese Gangster-Schule die Oberhand gewonnen hat. Und damit konnte man wieder alle politischen Revolutionsgedanken schön im Keim ersticken. Ich glaub, da sind sehr starke politische Interessen dahinter, dass der Rebellierungscharakter im HipHop untergraben wurde, da haben die Plattenfirmen und all die schön zusammen gearbeitet.

Sexismus im HipHop als kapitalistisches Kalkül also? Ja. Ich glaub, dass das emanzipatorische Element im HipHop wegrationalisiert wurde, damit man besser dieses ganze Zeug verkaufen konnte, Champagner, Mode und Auto, und alles, was über HipHop verkauft wurde. Und mit HipHop wurde ja in den letzten 20 Jahren ja alles verkauft, da passen so machistische Anmutungen besser 167 dazu als komplizierte politische oder feministische Forderungen. Solche Widerstandsbewegungen werden halt sehr schnell vereinnahmt, weil Widerstand verkauft sich gut, nur muss dann der Widerstand entfernt werden, damit dann das Geschäft gut läuft.

Wie sah es denn zu Beginn des HipHop aus? Man hat ja das Gefühl, dass Frauen immer unterrepräsentiert waren. Ja, am Anfang gab’s das in New York schon. Aber ich glaub, das ist recht schnell gegangen, dass die Frauen da unter den Tisch gefallen sind, aber es gibt MC Light und Latifah und Salt N Pepa. Aber ich glaub auch, dass die Männer, die diese großen Plattenfirmen geleitet haben, das waren fast durchgehend weiße Männer und die hatten ein großes Interesse, diesen schwarzen Macho zu promoten. Und das geht nur auf Kosten von, also irgendjemand muss ja das Opfer sein und das ist in dem Fall die Frau, auf die runter treten und die Bitches und so weiter, das ist halt das richtige Programm für den weißen Käufer. Das sind halt solche Strukturen, die immer wieder dieselben Strukturen hervorbringen. So lang da keine Frauen mitmischen, auch in den Aufsichtsräten von solchen Unterhaltungskonzernen, wird sich nichts ändern.

168

6.8. Christoph Weiss, Wien, 17.1.18

Kannst du dich mal vorstellen? Ich bin Christoph Weiss oder als DJ und Producer Burstup, oder Operator Burstup bekannt, ich bin 1970 geboren und so in den 80er Jahren aufgewachsen als ein typisches Computerkind der 80er Jahre. Also ich hab 1983 einen Commodore 64 gehabt, der mein geliebtestes Instrument und das Ding war, mit dem ich mich am meisten beschäftigt hab mit 13, 14. Ich war auch der erste in meiner Schule, der einen Computer gehabt hat, ich war da wirklich sehr früh dabei, und das hat mich fasziniert. Gleichzeitig hab ich die elektronische Musik entdeckt in dieser Zeit. Später dann mit Homecomputern dieser Zeit, mit dem Commodore Amiga, dem Atari SD oder dem ersten AKA Sampler hab ich meine erste Musik gemacht. Aufgewachsen bin ich in Wien in einem Gemeindebau hier in der Nähe im 5. Bezirk auf relativ wenig Raum mit zwei Brüdern, wir waren also zu fünft in der Wohnung, manchmal sogar zu sechst, also es war kein Aufwachsen in einem reichen oder bürgerlichen Umfeld. Weil ich so eine Platznot gehabt hab, hab ich relativ viele Sachen virtuell gemacht, die ich vielleicht sonst nicht in physischer Form gemacht hätte, eben wie zum Beispiel Musik: die Verbindung aus Computern und elektronischen Instrumenten und die Möglichkeit mit Kopfhörern im Kinderzimmer zu sitzen und Musik zu machen, ohne jemand anderen zu stören, war ein Segen für mich, und gleichzeitig natürlich auch ein Fluch. Ja, so bin groß geworden, mit Experimenten auf meinen Computern und Samplern, und hab dann Anfang der 90er Jahre meine erste HipHop-Band gegründet und bin DJ gewesen in den ersten HipHop-Clubs, die es so in Wien gegeben hat. Und das mache ich bis heute.

Kannst du dich an deinen ersten Kontakt mit HipHop erinnern? Der war lustigerweise auch virtuell, über eine Videospiel, das es damals gegeben hat. Es gab ein Videospiel in den frühen 80er Jahren, 83, 84, das hieß „Break Dance“. Das hatte diese Ästhetik, mit der andere vielleicht über den Kinofilm „Wild Stlye“ oder andere HipHop-Filme der 80er Jahre in Kontakt gekommen sind, bei mir war das als Erstes ein Videospiel. Und andererseits natürlich das Radio, das man damals gehabt hat. Es gab nicht viele Radiosender, die man empfangen konnte in Wien, so hat man halt Ö3 gehört, und da gab’s halt die Charts und dann gab’s gscheidere Sendungen wie die Musicbox. Und da hab ich meine ersten Grandmaster Flash und Run DMC-

169

Songs gehört und dann halt Platten gekauft. Aber dieses Videospiel ist mir halt noch sehr in Erinnerung, weil das war total arg für mich: diese Musik, die aus 8Bit- Computern gekommen ist, hab ich immer sehr geliebt, damals wie heute. Ich mach manchmal auch noch solche Chiptunes oder so 8Bit-Musik. Und da war auf einmal ein ganz anderer Sound, der sehr funky war, und ich mir gedacht „Oh, was ist das jetzt?“, und da bin ich halt draufgekommen, dass das die 8Bit Version von dieser Breakdance-Musik ist, die ich noch garnicht gekannt hatte. Aber dann hab ich mich natürlich über Grandmaster Flash & The Furious Five und solche Sachen dann auch damit beschäftigt. Diese Verbindung war immer ganz stark bei mir aus Musik und Computerkultur, das war für mich halt eins, und das ist für viele Producer so. Viele Producer, die ich kenn, sind sehr verliebt in ihre Sampler und elektronischen Instrumente und über diese Ebene hab ich mich mit anderen Producern am meisten verstanden. Und dann kam halt noch diese DJ-Ebene hinzu, ich hab immer ein bisschen jünger ausgeschaut, also wie ich 20 war, hab ich ausgeschaut wie 14, haben mir die Leute gesagt, heute denk ich mir das auch. Es war nicht einfach für mich als 17-, 18-Jähriger in die Clubs reinzukommen, in die ich gehen wollte, und das hat sich dann aber von selbst gelöst, weil ich einfach DJ war und dann gebeten worden bin, in die Clubs zu gehen und sogar noch Geld bekommen hab.

Hat es neben den Computerspielen und der MusicBox noch andere Medien gegeben, die dich auf HipHop aufmerksam gemacht haben? Ich hab Anfang der 90er Jahre erst begonnen das Spex zu lesen oder halt die österreichischen Pendants dazu, das skug, aber diese ganze Popschreibe, die Zeitschriften, die man damals als Kind oder Teenager gelesen hat, hab ich eigentlich blöd gefunden, das Bravo oder sowas. In der Zeit hab ich nämlich Computerzeitschriften gelesen statt Bravo und Rennbahnexpress. Da hab ich aber auch total viel Popkultureinfluss bezogen, also nicht nur das Computerzeug, im Happy Computer oder im Powerplay hab ich zum ersten Mal über Frank Miller gelesen, also diese Beschäftigung mit der Computerkultur der 80er Jahre war ein ganz starker Einfluss in jeder anderen popkulturellen Hinsicht für mich, egal ob es Comics waren oder Film, Musik, Fernsehen, das hat alles beeinflusst. Und deswegen auch mein Zugang zu Musik oder DJen. In dem Moment, wo ich in Clubs DJ war, ist ein Umfeld entstanden, wo andere DJs und andere MCs da waren, und ein Austausch, und aus dem Austausch sind halt die ersten DJ-Posses oder Bandprojekte entstanden. 170

Was hat dich denn in der ersten Phase so an HipHop fasziniert? Also neben dieser Begeisterung für Computer und elektronischer Musik war in den 80ern bei mir auch ein Schlüsselerlebnis eine Party mit Schulfreunden, wo ich erst 13 oder 14 war, wo wir Disco gespielt haben. Und diese Ekstase des Tanzes ist mir so in Erinnerung geblieben. Dann hatte ich kurz darauf ein zweites Erlebnis, das war auch ein Schlüsselerlebnis war für mich, auf einem Schulskikurs. Sicher total akward und seltsam, wenn man es sich heute anschauen würde, aber wir waren halt 14 und haben, wie man es am Schulskikurs halt so macht, einen Discoabend gemacht, wo wir schlechte Chartmusik aus Ö3 gespielt haben wahrscheinlich, ich weiß eh noch was es war, Cindy Lauper und Falco, eh relativ gut. Und ich weiß noch, dass es ein paar Leuten peinlich war und die nur rumgesessen sind und geschaut haben und ich bin halt im Raum gestanden und bin rumgehopst wie ein Irrer und hab getanzt und das haben paar andere Leute, die auch getanzt haben, halt sehr lustig und leiwand gefunden, so lange es erlaubt war bis die Lehrer gesagt haben „Aus jetzt.“ Und diese Ekstase des Tanzes und des Gemeinsam-die-Musik-Abfeierns ist mir so in Erinnerung geblieben als Kind, dass ich das irgendwie verbinden wollte mit meiner Liebe zu Computern und elektronischer Musik. Das habe ich aber lange Zeit nicht können, weil ich einerseits sehr jung ausgeschaut hab und in einem wohlbehüteten Umfeld aufgewachsen bin, wo das gar nicht so selbstverständlich war, dass ich als 15-, 16- Jähriger die ganze Nacht hätte wegbleiben können, das hab ich eigentlich erst später gemacht. Aber als ich dann andere Leute getroffen hab, die auch Musik-interessiert waren, wie ich, und die auch tanzen und Party machen wollten, da war zum Beispiel einer der ersten Leute, mit denen ich mich gut verstanden habe, der Spaceant, der heute auch noch DJ ist, der macht das Wicked im Flex und das Bastard in der Arena, der war halt einer der ersten Drum and Base, Jungle-DJs in Österreich und einer der ersten HipHop-DJs in Österreich. Und den hab ich getroffen in einem Laden, in einem Comic-Geschäft, und ich habe eine Jacke angehabt, wo Run DMC und Public Enemy raufgenäht war, und ich hab Comics gekauft und er war Verkäufer in dem Laden und er hat mich gefragt, „Hey, hörst du HipHop?“. Und ich „Ja“, und er „Hast du Platten?“, und ich „Ja, ur viele“. Ur viele hat geheißen ein Regal mit 40, 50 Platten halt, und dann er hat gemeint, er hat einen Club, wo er DJ sein kann, ob ich nicht mitmachen will. Das war ein ganz kleines Lokal hier im sechsten Bezirk, damals hat’s noch Kalowatsch oder so geheißen, später dann Pandora’s Box. Da haben wir dann am Freitag HipHop auflegen können, im Flex haben wir am Donnerstag HipHop auflegen können, im alten 171

Flex noch im zwölften Bezirk. Also das ist jetzt Anfang der 90er Jahre, 1990, und im Bach im sechzehnten Bezirk. Das waren die ersten drei Lokale, wo ich DJ war. Und das war sehr prägend, weil ich dann eben wieder solche Erlebnisse hatte, dass man halt stundenlang sich auf der Tanzfläche gebärdet und Spaß hat, und andererseits eben dieses Gefühl, meine Lieber zu dieser seltsamen Musik, die damals noch niemals gehört hat, einfach als DJ zu spielen und dann auch zu lernen, mit dem Equipment umzugehen, mit den Turntables, den Mixern, das war alles sehr aufregend.

An was und wem hat man sich in dieser Frühzeit innerhalb der HipHop-Szene orientiert? Wie gesagt, ein Zugang war natürlich das Radio, dass du da irgendwelche Songs gehört hast und Inhalte vermittelt bekommen hast von guten Radiojournalisten, die es ja damals gab, wie zum Beispiel der Werner Geier oder DJs wie dem DSL, Katharina Weingartner. Andererseits auch durchs Lesen, ich habe sehr viel gelesen, eben Spex und andere Musikzeitschriften, um das selber für mich einordnen zu können. Und dann gab’s natürlich MTV, Super Channel, Sky Channel, das waren so die drei Musiksender, die man damals im Kabelfernesehen haben konnte. Da war der Einfluss natürlich sehr große, Yo! MTV Raps halt jeder geschaut und auf Super Channel wenn die Beastie Boys gekommen sind, hat man das halt abgefeiert. Und dann gab’s natürlich die Erlebnisse mit Leuten, denen man die Musik angeboten hat als DJ im Club, und die waren ja teilweise enthusiastisch oder es waren die Reaktionen ganz erstaunt oder auch feindlich. Spaceend erzählt immer wieder die Geschichten von den Sitzstreiks im U4, wo wir auch aufgelegt haben sehr früh, Menschen, die halt gerne so Grufti-Rock hören wollten, die protestiert haben gegen diese komische Musik, die wir da spielen, und sich auf die Tanzfläche gesetzt haben, um zu protestieren. Das gab’s am Anfang auch. Oder auch Unverständnis der Art gegenüber wie man mit den Turntables arbeitet als HipHop-DJ, das musste man erst den Lokalbesitzern beibringen, dass man die Turntables anders aufstellen muss, dass man da die System anders montiert oder Systeme eigens mitbringt, also die Tonabnehmersysteme, und dass man das Gewicht anders einstellt, also da gibt’s ja ganz viele Tricks, dass die Nadel nicht springt. Dass wir die Turntables 90 Grad gedreht haben, damit es dann angenehmer zum Scratchen ist. Da gab es Konfliktpotential, da das alles so neu war, aber es war halt auch cool, weil auch viel Neugierde und Dankbarkeit zu spüren war, dass wir dieses seltsame neue Ding machen. 172

Welche Personen und Orte waren in dieser Frühphase für die Etablierung denn noch wichtig? Also die Bedeutung von Werner Geier und Katharina Geier und den anderen Leuten, die damals Dope Beats & Tribe Vibes gemacht haben, die war natürlich deshalb so groß, weil es in Österreich - natürlich auch weil sie so fabelhafte Journalisten waren - keine privaten Radiostationen gab. Und du hattest halt dieses öffentlich-rechtliche Sendermonopol, Sender aus den damals kommunistischen Nachbarländern sind auch nicht rübergekommen und haben auch keine interessante Musik gespielt. Also die Bedeutung von Tribe Vibes war natürlich umso höher deshalb, und abgesehen davon gab es halt in meinem Umfeld natürlich Leute, die total wichtig waren für mein Verständnis von Musikproduktion zum Beispiel, da hab ich relativ früh den Axel Raab kennengelernt, der eigentlich nirgends vorkommt in der ganzen Literatur, die ich so kenn, über die frühe HipHop-Zeit. Der ist ein bisschen in Vergessenheit geraten, was Schade ist, weil der Axel war ein hervorragender Musiker und hat zusammengearbeitet mit einem Keyboarder, dem Gerri Schuller, und der kleine Bruder vom Gerri Schuller ist der David Schuller aka. DJ Cutex. Und das war halt ein DJ, mit ich öfter mal aufgelegt hab in den frühen 90er Jahren und der mit einem meiner Schönheitsfehler-MCs, dem Milo, zusammen gearbeitet hat. Und die haben mit dem Axel Raab zusammen gearbeitet. Und der Axel hat mich interessiert, weil der hat halt Equipment gehabt, das besser war als meines, der hat Akai-Sampler gehabt und analoge Synthesizer, einen KORG MS20, S101, und er hat eine 8-Spur- Bandmaschine gehabt. Und ich hab nur eine 4-Spur gehabt und bei den vier Spuren waren zwei Spuren kaputt, so hab ich meine ersten Tracks aufgenommen. Und wir sind dann halt mal öfter beim Axel gewesen, der hat uns geholfen, Sachen besser aufzunehmen, oder auch abgemischt. Und ich hab viel von ihm gelernt, gar nicht so sehr wie man aufnimmt und produziert, das hab ich mir selber beigebracht, aber welches Equipment man verwendet, was gut funktioniert und was nicht. Oder wichtig war für mich der Beppo Stuhl. Der Beppo war so ein Mitarbeiter von so einer Einrichtung der Stadt Wien, die hieß Medienzentrum und war im siebten Bezirk, und der Beppo hat dort Workshops gemacht zu allen möglichen Medienthemen, zum Beispiel wie man Videos produziert. Und der Beppo hatte eine eigene Organisation, die hieß „Schülerzeitungsagentur“. Und da hat er ziemlich viele Schüler um sich gescharrt, die dann so einen Ausweis von seiner Organisation bekommen haben, einen Schülerzeitungsredaktionsausweis, mit dem sie dann überall reingekommen 173 sind und nirgends Eintritt gezahlt haben. Und ich hab mich in seinem Umfeld gerne herumgetrieben: erstens weil ich die Schülerzeitung sehr lustig fand und weil ich seine Workshops im Medienzentrum super fand. Und da hab ich dann mal mitgemacht bei einem frühen Workshop von ihm über Video-Produktion, und dort mein erstes HipHop- Video geschnitten zu einem meiner ersten Songs, auf Umatikbandmaschinen. Und der Beppo war ein unfassbar wichtiger Einfluss auf die frühe HipHop-Szene, find ich, was auch nie irgendwo anerkannt oder berichtet wird, weil er durch seine Workshops so viel geholfen hat, MCs, die zum ersten Mal gerappt haben im Medienzentrum, oder weil er Leute um sich gescharrt hat, die auf Veranstaltungen gegangen sind mit ihm, oder weil er eben Schülerzeitungen beeinflusst hat, über HipHop zu schreiben vielleicht. Und was er gemacht hat, er hat ständig eine Videokamera dabei gehabt, der Beppo hat immer eine Super-8 oder eine Super-VHS-Kamera herumgeschleppt, und er hat auf hunderten HipHop-Jams der frühen 90er Jahre gefilmt. Der Beppo hat das größte und unerforschteste Archiv der frühen HipHop-Szene der 90er Jahre in Österreich auf Video. Da muss es dutzende, wenn nicht hunderte Stunden Aufzeichnungen geben von Konzerten von Bands, die ganz in Vergessenheit geraten sind, und Schönheitsfehler-Konzerte ganz viele. Und ich hab letztens mal mit ihm darüber geredet, ob er das eh gut aufbewahrt hat, dass er das endlich mal digitalisieren muss, weil die Bänder werden nicht besser über die Jahrzehnte. Der war wichtig. Aber viele Sachen hab ich halt selber entdecken müssen, ohne Mentoren oder Vorbilder zu haben. Also ich hab selber herausfinden müssen wie man HipHop produziert und aufnimmt, wobei mir beim Aufnehmen der Axel geholfen und inspiriert hat. Ich hab selber herausfinden müssen, wo ein Plattenpresswerk ist, ein günstiges, wo man Vinyl drucken kann. Wie funktioniert das, wenn man eine CD machen will? Was muss ich da für ein Master machen? Wie funktioniert das, wenn man einen Vertrag mit dem Veranstalter machen will? Wir haben uns am Anfang natürlich sehr oft über den Tisch ziehen lassen, weil wir überhaupt keine Erfahrung gehabt haben.

Hat es auch zentrale Orte gegeben? Also wie gesagt, Bach, Pandora’s Box ganz am Anfang, Flex war super wichtig, Arena, Volksgarten war wichtig, aber nicht für mich und nicht für die Leute, mit denen ich dann viel DJing und Musik gemacht hab. Werner Geier und Freunde haben im Volksgarten öfter mal aufgelegt und ihre eigenen Clubabende dort gehabt, wie eben auch diesen Abend, aus dem dann diese Tribe Vibes-Compilation entstanden ist, der 174

Austrian Flavors, das war ein Contest, der Tribe Vibes-Freestyle Contest, der war im Volksgarten. Aber da war ich fast nie, und wenn ich mal im Volksgarten war, auch mal als DJ gebucht gewesen, dann hab ich mich dort eher unwohl gefühlt, weil es eine komische Atmosphäre für mich war. Ich bin mir da nie wirklich respektiert vorgekommen als DJ, es war irgendwie zu unpersönlich und zu kommerziell für mich. Meine Heimat war eher das Bach, und dann die Arena, das Flex. Es gab dann so die Wiener Graffiti-Union in den 90er Jahren, die haben dann ab und zu Mal HipHop-Jams veranstaltet, aber immer an anderen Locations, in irgendwelchen Fabrikshallen, das war sehr aufregend. Und das war’s aber eigentlich, mehr Clubs, wo regelmäßig etwas stattgefunden hat, fallen mir jetzt nicht ein. Klar, es gab noch das Moor hier im sechsten Bezirk. Das Moor war nicht unwichtig für viele Leute, und obwohl es geografisch sehr nah an der Gegend war, wo ich gewohnt hab und heute noch wohn, war ich relativ selten dort. Das war halt so eine eigene Partie von DJs und Veranstaltern und ich hab dort nur ein oder zwei Mal aufgelegt. Es war cool, dass es das gegeben hat, es war auch sehr junges Publikum und auch alles halblegal von den Lizenzen, die das Lokal hatte, so wie auch das Flex am Anfang komplett illegal war, die hatten überhaupt keine Genehmigungen, mussten dann irgendwann auch zusperren nach Jahren.

Wann hat sich denn in Wien eine Szene etabliert und inwiefern hat die sich auch schon als Szene verstanden, inwieweit hat man sich als Teil eines größeren Ganzen verstanden? Also als Teil eines größeren Ganzen hab mich einerseits verstanden, weil ich mit HipHop politische Inhalte ausdrücken wollte, die mir wichtig waren, und da hab ich halt sehr darauf geschaut, was in den USA passiert, wenn Public Enemy eine politische Platte gemacht hat, oder Boogie Down Productions, oder die Diskussion um die 5- Percent-Nation, oder die Nation of Islam in den USA und ihren Einfluss auf den HipHop. Und was in Deutschland zu der Zeit diskutiert worden ist, was es da an Bands gab: die Goldenen Zitronen, waren zwar nicht HipHop, aber Punk, und mit „80 Millionen Hooligans“ und so wurden in der Spex diskutiert und in einem popkulturellen Kontext wieder in Zusammenhang mit HipHop gestellt. Dann gab’s wieder irgendeinen Artikel von Hans Nisswand, wo er sich über die Codes im HipHop von Public Enemy oder über die Wichtigkeit von Respect in der HipHop-Kultur philosophiert hat, und das hat dann einen selber beeinflusst: wir haben dann einen Track gemacht wie „Ich dran“ 175 auf der ersten Schönheitsfehler-Platte, wo es um das Verhältnis der Jörg-Haider-FPÖ und der rot-schwarzen Regierung ging. Und dann wurde das in den Medien aufgegriffen und in einen Zusammenhang gestellt mit einerseits dem politischen HipHop in den USA und andererseits verglichen mit ersten deutschsprachigen HipHop-Tracks, wie von Advanced Chemistry oder von Fresh Familee. Wir haben auch davor schon politische Songs gemacht, über den Krieg in Jugoslawien zum Beispiel. Wir haben HipHop natürlich als globales Movement gesehen und als popkulturelles Phänomen und als Sprachrohr für uns. Und wenn wir dann in den Clubs waren, dann haben das manche Leute genau so gesehen wie wir und haben super gefunden, dass wir politische Inhalte haben, anderen Leuten ist das eher wurst gewesen, die wollten nur Spaß haben, andere haben es deppert gefunden, dass wir auf Deutsch rappen und irgendwelche Probleme von Österreichern thematisieren, weil das war halt nicht so wie auf MTV. Trotzdem hat sich jeder als Teil dieser neuen HipHop-Bewegung gesehen, wurst was er für eine Einstellung zu den deutschen Texten oder zu den politischen Texten hatte. Und die Cliquenbildung ging dann erst los, als HipHop vielfältiger wurde vom Sound her, im Moor zum Beispiel wurde Anfang/Mitte der 90er Jahre dann schon sehr viel G-Funk gespielt und sehr viel RnB, und mit der RnB-Kiste habe ich musikalisch einfach nichts anfangen können, das wollte ich einfach nicht hören. Das war dann ein bisschen anderes HipHop-Publikum, das einen bisschen anderen Geschmack hatte. Es war weniger ein Cliquenbildung für mich, als vielmehr eine Geschmacksgeschichte. Natürlich gab’s dann auch solche Posses, die Bands, die in meinem Umfeld Musik gemacht haben, rund um das Uptight- Label, rund um Werner Geier und Rodney Hunter gab’s die Afrodelics und Sons of the Doom und so. Die haben halt ein bisschen etwas anderes gemacht als wir, aber ich hab das nicht als Cliquen empfunden, sondern als eine sehr vielfältige Szene in einer weltweiten Community, die sehr vielfältig war.

Wie hat das dann mit Schönheitsfehler angefangen? Die erste Band unter Anführungszeichen war mehr eine DJ- und MC-Posse, die so aus dem Partyumfeld im Bach entstanden ist. Das war eben der Space Ant, mein erster DJ-Haberer, der Milan, der heute auch noch MC bei Schönheitsfehler ist, und ich, wir drei eigentlich nur. Wir haben einen Song aufgenommen, weil es einen Workshop gab im Medienzentrum beim Beppo Stuhl, einen Video-Workshop, und ich wollt unbedingt bei dem Video-Workshop mitmachen, weil ich einfach lernen wollte, 176 wie man Videos aufnimmt und schneidet, ohne Computer damals. Also wir haben einen eigenen Song gebraucht, damit wir bei diesem Video-Workshop mitmachen durften. Und so haben wir unseren Track produziert. Das war auch relativ erfolgreich, die Leute haben es super gefunden, dass wir das gemacht haben, obwohl es musikalisch jetzt nicht so großartig war, und wir haben dann aus unserem Umfeld vier Tracks gehabt, also nicht alles von uns selber produziert, da war auch der DJ Megablast dabei mit seinem MC, dem MC Graffiti damals, und der Cutex, und der Mikey Kodak von Tribe Vibes. Das waren vier Tracks von dieser Partie, die wir dann auf eine Dubplate gepresst haben, 1991/92. Da bin ich extra nach New York geflogen mit dem Space Ant und haben gewusst, da gibt’s einen Typen, der mach Dubplates und der hat auch nichts dagegen, wenn man nicht nur, wie bei Dubplates üblich, nur eine oder zwei presst, sondern gleich zehn. Und wir sind zu dem hin und haben gesagt, wir brauchen bitte achtzehn. Der hat dann heftig geschluckt, aber wir haben dann ein paar Dollarscheine gezückt und der hat sich dann wirklich eine Woche hingesetzt und hat achtzehn Dubplates gemacht. Und dann hat sich jeder eine für sich selbst zum Auflegen aufbehalten und die anderen an Freund verteilt und verkauft. Und das war quasi unsere erste Platte. Das hat uns so motiviert, weil es dann auch das Video dazu gab, dass wir dann ein Nachfolgeprojekt gegründet haben, das war dann schon ein bisschen mehr als nur diese DJ- und MC-Partie aus dem Bach: da waren dann der Milan, ich, der Megablast und der Graffiti dabei, die Band hieß dann Gainfull Gallivants, davor das war das Ghetto HipHop Sound System. Und aus diesem Gainfull Gallivants-Ding ist dann Schönheitsfehler entstanden, das war das dritte Projekt eigentlich. Schönheitsfehler ging 1993 los, und da war halt schon die Grundidee, wir vermischen die Sprachen nicht mehr ganz so extrem, weil bei Ghetto HipHop Sound System haben wir noch Englisch gerappt, bei Gainfull Gallivants haben wir Englisch, Deutsch und Serbokroatisch gemischt und das war sehr politisch und sehr arg, und musikalisch gar nicht so schlecht. Und bei Schönheitsfehler haben wir dann den Wunsch gehabt, dass wir mehr auf Deutsch machen, dass wir schon noch anderen Sprachen verwenden, wenn wir Lust dazu haben, dass wir aber der Verständlichkeit halber, weil wir halt Inhalte vermitteln wollten, vermehrt auf Deutsch rappen. Bei Schönheitsfehler war auch von Anfang an klar, wir machen keine Dubplates und keine Kassetten, sondern wir wollen so schnell wie möglich eine eigene Platte auf Vinyl draußen haben, weil das ist halt das coolste Format, das Format, das die DJs verwenden um aufzulegen, und das wollen wir für uns selber haben, und wenn es 177 andere Leute auch interessiert, dann können wir vielleicht ein paar hundert verkaufen. Also haben wir 500 Vinyl gepresst von den ersten vier Schönheitsfehler-Tracks und die haben sich sofort verkauft, dann haben wir halt nachgepresst. Das war 93/94. Das schönste war, dass der politischste Track auf der Platte, eben „Ich dran“, auf Ö3 Treffpunkt-Hit der Woche war, und Treffpunkt war schon einer der beliebteren Sendungen auf Ö3. Da Hit der Woche zu sein, hat uns natürlich ziemlich viel an Bekanntheit gebracht. Und da ist dann wieder der Beppo Stuhl ins Spiel gekommen: der Beppo hat uns dann geholfen, wieder im Rahmen so eines Workshops im Medienzentrum das erste Schönheitsfehler-Video zu machen. Und das war dann zeitlich recht günstig für uns: wir waren Treffpunkt-Hit der Woche, wir haben das Video gehabt im ORF, oder FS1 wie es damals hieß, genau dort ist die ORF-Musikschiene gestartet, die ORF Videonight, die lief Montag bis Freitag, immer von Mitternacht bis circa fünf in der Früh. Da haben die nur Musikvideos gespielt, um in Konkurrenz zu MTV und Super Channel zu gehen. Und in einer dieser Nächte, ich glaub, es war der Donnerstag, gab’s nur österreichischen Videos die ganze Nacht zu sehen, das war eigentlich unglaublich. Und da lief das Schönheitsfehler-Video jede Woche und auch an anderen Tagen. Das heißt, wir hatten plötzlich auch eine Präsenz im Fernsehen, die man sonst nur bei MTV haben konnte, weil Youtube gab’s keines und sonst auch nichts. Dadurch waren wir, obwohl wir nur 500 oder 1000 Vinyl verkauft haben, die wir selber gepresst haben mit dem eigenen Plattenlabel - also wir waren so Underground, wie man nur sein konnte als Musiker, wie eine Punkband - aber weil wir im Fernsehen waren und weil wir Treffpunkt-Hit der Woche waren und weil uns die Musicbox gespielt hat, waren wir für die Leute irgendwie groß. Die haben geglaubt, wir sind super erfolgreich und wir haben eine Major-Deal. Es gab dann wirklich mal eine Tribe Vibes- Sendung, wo einer angerufen hat, der uns gedisst, der hat gemeint „Schönheitsfehler mit ihrem Major-Deal sind schon voll Kommerz!“. Und wir so: 1000 verkaufte Platten, selber gepresst, vom Mund abgespart für die Presskosten, da waren wir schon Kommerzler. Aber der Einfluss der Medien, der sehr monopolisierten Medien damals, war halt so groß, wenn du da vorgekommen bist, war man halt sehr groß.

Wie es ist denn dazu gekommen, dass ihr mit Duck Squad ein eigenes Label gegründet habt? Da war schon der Wunsch, keine Kassetten oder Dubplates zu pressen, wir wollten halt eine richtige Schallplatte haben. Und wir haben nicht den Wunsch verspürt, zu 178 den Plattenfirmen Klinken putzen zu gehen, sondern ich hab halt geschaut, wo man so etwas machen kann. Und fündig bin ich in einem Presswerk in der damaligen Tschechoslowakei geworden, nicht weit von Prag entfernt, das Presswerk war Grammofono Vaisabudy, ein altes kommunistisches, staatliches Presswerk, das super billig war, und wo du nicht den ganzen Bürokratie-Wahnsinn hattest, wie bei den österreichischen und deutschen Presswerken. Die Tschechen haben nach überhaupt nichts gefragt, haben einfach nur das Dubband genommen und das auf die Platte gepresst, und es hat geklungen und war billig. Weil ich diese Möglichkeit gesehen hab, haben wir halt gesagt, jetzt haben wir unser eigenes Label, und wie nennen wir das? Und dann gab’s halt irgendwie dieses Entenmotiv, und damals hießen viele Producer Posses und in den USA gerade Squads, es gab das Bomb Squad, die Producer von Public Enemy, es gab das Hit Squad, und wir haben gesagt, wir sind The Duck Squad. Dann hieß das Label halt Duck Squad, aber das war nirgends eingetragen, es war keine Firma, es war auch nicht als Label angemeldet bei irgendwelchen Verwertungsgesellschaften, das war wirklich sehr Punk. Aber es ist nicht so rübergekommen. Wir waren das erste HipHop-Label in Österreich, wir waren die ersten, die eine deutschsprachige HipHop-Platte veröffentlicht haben als Band, wir haben dann anderen Bands veröffentlicht, Texta, Untergrund Poeten und Illegal Movement und Das Dampfende Ei, wo auch der Cutex dabei war, und eine Compilation. Die Compilation „Das Gelbe vom Ei“ war dann unser erster Major- Release, weil das dann bei BMG rausgekommen ist, und da waren wir auch im Bewusstsein der Leute viel größer. In Wirklichkeit haben wir vielleicht ein paar hundert oder tausend Stück verkauft und sich das alles abgespart und für einen Auftritt ein paar Tausend Schilling kassiert. Das war halt unser Leben, ich hab dann nichts anderes gemacht, ich hab nicht mehr studiert, keine Artikel mehr für irgendwelche Magazine geschrieben, sondern mich wirklich für ein paar Jahre nur auf die Musik und das Label konzentriert. Das war super, ich bin froh, dass ich es gemacht hab, das waren super Erfahrungen.

179

Wie seid ihr denn außerhalb der Community angekommen? Wie haben Medien und die Öffentlichkeit auf euch reagiert? Es gab ein paar Artikel in Tageszeitungen, der Kurier hat zum Beispiel 1993 einen Artikel über uns geschrieben, die haben sich aber schwer getan mit dem Thema. HipHop, Rap, das war halt irgendwie dieses amerikanische Ding oder irgendein Ding, das man halt mit Afroamerikanern in Verbindung gebracht hat, oder es war halt dieser Sprechgesang, den man auf einmal auch in Deutschland gehört hat von den Fantastischen Vier, wo grad „Die da“ in den Charts war. Und da gibt’s jetzt halt auch in Österreich solche deutschsprachigen Rapper. Dann im Kurier, weiß ich noch, dass die Überschrift war „HipPop“, was für uns sehr grausig war, weil als Popmusiker wolltest du damals als HipHopper überhaupt nicht wahrgenommen werden, und wenn dann Pop nur als Überbegriff für Populärkultur, aber nicht in diesem Popkontext, wie es eben dann auch gemeint war: die lustigen österreichischen Fanta 4, obwohl ich gar nichts gegen die Fanta 4 hatte, ich fand die eigentlich immer gut. Die Journalisten haben sich schwer getan, als was sie das darstellen sollen, und haben versucht, das irgendwie zu erklären und ernst zu nehmen, aber es sind dann eben solche Überschriften rausgekommen, wie „HipPop“. Es gab einige Sachen, über die ich mich sehr gefreut habe, zum Beispiel das skug, dieses Musikmagazin, das so ähnlich war wie das Spex war, das hat uns zwei Mal am Cover gehabt in der Zeit damals und sehr ernst gemeinte Artikel über uns geschrieben. Natürlich haben uns auch die Teenie- Zeitschriften, der Rennbahn Express oder so, aufgegriffen, der erste Schönheitsfehler-Artikel in so einer Teenie-Zeitschrift war aber, glaub ich, im Musicman, die haben das Thema aber nur sehr oberflächlich behandelt. Also du warst halt so ein kurioses Phänomen als deutschsprachiger Rapper in Österreich Anfang der 90er Jahre. Ein bisschen so eine Modeerscheinung oder komische, dass das jetzt weiße europäische Kids auch machen, was ja eigentlich die Schwarzen in den USA machen. Aber wir wurden wahrgenommen, wir waren in Zeitungen, wir waren im Profil, es gab wahrscheinlich mehr Zeitungsartikel über die „Broj Jedan“ Platte als jetzt gerade über mein aktuelles Album.

Ab wann habt ihr denn gemerkt, dass eine gewisse Akzeptanz im Entstehen war? Mit der Akzeptanz ist es so eine Sache, die ist dann teilweise wieder eher in die andere Richtung ausgeschlagen, wie dann halt das HipHop-Klischee ein bisschen negativer 180 geworden ist Mitte der 90er Jahre, als die Gangsterrap-Kiste und die ganze Gewalt- Kiste Thema wurde, da wurde es dann schwer.

Ab wann war man in Österreich denn selbstbewusst genug, um auf Deutsch zu rappen? Die Entscheidung Deutsch zu rappen war eigentlich schon ganz am Anfang, es war nur der erste Track auf Englisch, das war noch Ghetto HipHop Sound System, bei Gainfull Gallivants haben wir schon deutsch gerappt die ersten Tracks, aber auch Englisch und Serbokroatisch, da gab’s auch Songs, wo wir alle drei Sprachen vermischt haben. Also das war nicht so ein Selbstbewusstwerdungsprozess. Und wir haben uns musikalisch überhaupt nicht an Deutschland orientiert, sprachlich schon ein bisschen, also die Entscheidung deutsch zu rappen, stand schon unter dem Einfluss der politischen Message von Advanced Chemistry und des Erfolges der Fantastischen Vier. Die Fanta 4 haben das mal in einem Interview in den frühen 90er auch super erklärt, wo sie gemeint haben: sie waren halt in New York gemeinsam auf Urlaub, Smudo und Thomas D, und haben dort auf HipHop-Partys erlebt, wie die sprachliche Kommunikation zwischen MC und Publikum ist. Und nach der Reise unter dem Eindruck der Erlebnisse auf den Jams in den USA haben sie den Entschluss gefasst, ab jetzt nur mehr auf Deutsch zu rappen, weil ihnen diese Kommunikation so wichtig vorgekommen ist und dann auch so wichtig war. Das war auch eine Entscheidung von uns, dieses Verständnis dafür, wie wichtig die Sprache ist, das war auf jeden Fall ein Einfluss von deutscher Seite. Aber musikalisch haben wir etwas ganz anderes gemacht, als das, was in Deutschland im HipHop passiert ist. Weil ich einen MC aus dem damaligen Jugoslawien hab, den Milo eben, der manchmal auch auf Serbokroatisch gerappt hat, hab ich ihn gebeten, diesen Text über das Verhältnis von Haider-FPÖ und großer Koalition zu machen, woraus dann „Ich dran“ geworden ist. Und da haben wir eben eine sehr roughen, harten Beat produziert und dieses Qualtinger-Ding reingescratcht, wo er sagt „Tschuschen, Tschuschen“. Das war viel rougher, find ich, was damals in Deutschland passiert ist. Und wir haben ganz früh einen Track gemacht, aus dem dann „Boom und du schaust Doom aus da Wäsch“ geworden ist, wo wir jugoslawische Volksmusik gesamplet haben. Und die jugoslawische Volksmusik aber kombiniert haben mit ganz, ganz tiefen Subbässen, einer Gabba-Bassdrum, einer Hardcore-Techno-Bassdrum, die in der dritten Strophe 4/4-mäßig zu rumpeln anfängt und einem Jungle-Beat, der kommt auch dann noch 181 vor in einem HipHop-Track. Also ich hatte damals das Gefühl, dass wir eine eigene musikalische Richtung einschlagen. Mehr als Deutschland hat uns musikalisch natürlich Amerika beeinflusst, klar. Die Bands, die wir damals gehört haben, die uns damals begeistert haben, Cypress Hill war damals riesengroß, das hat uns total beeinflusst. Public Enemy war ein starker Einfluss auf mich, Run DMC, da wollte man dann halt immer einen Track machen, der so klingt wie der und aus dem ist dann eh etwas ganz anderes entstanden. Also ich hätte mich musikalisch jetzt nicht an irgendwelchen europäischen HipHop-Sachen orientiert damals, aber sehr stark an den amerikanischen. Aber die sprachliche Komponente war sehr stark von Deutschland beeinflusst, wo wir dann bewusst wieder die Entscheidung treffen musste, jetzt drücken wir uns wieder im Dialekt aus, damit es nicht deutsch klingt, wie zum Beispiel, der erste HipHop-Track in Österreich, der im Dialekt gerappt war, war von uns, das war „A guata Tag“ auf der „Das Gelbe vom Ei“-Compilation. Obwohl es gab vielleicht noch einen früheren vom Dampfenden Ei, auch bei uns am Label erschienen und auch vom Milan gerappt, das war ein Track mit dem Skero zusammen, wo sie zwei Betrunken darstellen, da rappen sie auch im Dialekt. Das war der erste Dialekt-Rap, dann gab’s „A guata Tag“ und dann gab’s „Putz di“, auch ein Schönheitsgfehler-Track. Und diese Dialektkomponente ist dann ja immer wichtiger geworden, gerade in Oberösterreich, und später auch in Wien.

Lieg ich falsch, wenn ich sage, dass es zu Beginn HipHop in Österreich gegeben hat und erst später österreichischen HipHop? Und falls du dem zustimmst, wann haben sich österreichische Spezifika herausgebildet? Also österreichischer HipHop hatte von Anfang seine eigene Identität, von den Beats her sehr, sehr hart und sehr rough, von Anfang an, es sind andere Samples eingeflossen, wie ich vorher erzählt hab, das mit der jugoslawischen Volksmusik oder irgendwelche japanische Sachen haben wir verwendet, oder den Qualtinger reingescratcht. Total Chaos haben über die Berge in Innsbruck gerappt auf „Aus dem wilden Westen“, das hat auch nicht deutsch geklungen, find ich. Bei den Texta war auf der ersten Platte, die wir auch auf Duck Squad rausgebracht haben, klar, dass die Linz sind. „3:10 Uhr“, ihr erster Hit, fangt damit an, dass sie in Linz ins Auto steigen und nach Wien fahren in der Nacht, um Mitternacht fahren sie los und um 3:10 Uhr sind sie dann in Wien. Also das hat schon eine österreichische Identität gehabt und da kommt’s, glaub ich, nicht darauf an, ob das in Mundart gerappt war oder nicht, 182 sondern eher, wie hat das geklungen, was wurde gerappt. Jetzt nicht nur die Heimatverbundenheit von Total Chaos, die auf „Aus dem wilden Westen“ zu spüren war, oder die Nachtfahrt von Texta von Linz nach Wien, sondern eben auch die politischen Aussagen bei „Ich dran“, die Schönheitsfehler gemacht, wo wir zum Beispiel die Textzeile drinnen haben: „Blau besorgt die Hetze, Rot-Schwarz sorgt für die entsprechenden Gesetze“. Das war schon eine große Genugtuung, dass das so oft auf Ö3 gelaufen ist. Und traurig finde ich, dass der Text von „Ich dran“ heute noch genauso eins zu eins stimmt, 25 Jahre später, obwohl es jetzt ja keine rot-schwarze Koalition ist, jetzt ist es noch schlimmer. Das war österreichisch von Anfang an und trotzdem vom Sound her international. Die Fantastischen Vier haben mal gesagt, dass sie Schönheitsfehler nicht auf ihrem Label veröffentlichen, das mit Sony verbandelt war, weil es ihnen zu international geklungen hat, die hätten eher etwas volkstümlich hiphopmäßiges haben wollen von uns, und haben aber gesagt, das war eine reine Businessentscheidung und keine musikalische.

Haben die Moreaus für dich auch schon österreichischen HipHop gemacht? Ja, war’s natürlich. Ich hab die Platte auch drüben in meinem großen Plattenregal stehen, das erste Moreaus-Album, sehr schwer zu kriegen heute, ich bin auf das aber relativ spät erst gestoßen, also ich hab das nicht gekannt, wie ich selber angefangen hab, HipHop zu machen. Ich hab das dann erst Anfang/Mitte der 90er Jahre entdeckt und gehört, und dann ist mir erst selber bewusst worden, dass diese Leute, mit denen ich da in Kontakt bin in den Clubs, dass das alles damals eine Partie. Und dass in dem Umfeld auch Kruder & Dorfmeister dabei waren und dass aus denen dann Uptight entstanden ist zusammen mit dem Werner, das ist mir alles erst Mitte der 90er Jahre bewusst worden. Also das Moreaus-Album hab ich spät gehört, hab ich leiwand gefunden, das ist ja sehr funky und sehr verrückt. Ich würd’s jetzt schon zumindest als Vorboten des österreichischen HipHop sehen, wenn nicht sogar als die erste HipHop- Platte in Österreich. Man kann natürlich auch genauso gut das „Einzelhaft“ Album vom Falco als erstes Rap-Album in Österreich sehen. Das waren alles Pioniere, die einen natürlich auch beeinflusst haben.

183

Stichwort Falco: waren er oder auch die EAV Vorreiter in Sachen österreichischem HipHop? Es ist halt immer schwierig, Musiker in Schubladen zu stecken. Ich mag das ja auch selber nicht, was Leute bei mir machen, weil ich habe auch außer diesem ganzen HipHop-Ding in den 90er Jahren die ersten Jungle/Drum n Base-Partys in Österreich veranstaltet, 1993/94 schon. Und ich habe eine Zeit lang Techno und Electro produziert, und mach immer noch ab und zu einen 8Bit Track oder einen Drum n Base- Track, wenn mir danach ist. Und dann wirst du halt, weil ich dieses Duck Squad Label hatte und im HipHop einen Einfluss hatte einen gewissen, bis heute meine HipHop- Band hab oder wieder hab, bin ich für die Leute natürlich der HipHop-Musiker. Und der Falco hat ja auch total viel Dinge in seinem Leben gemacht. Der ist bei der Hallucination Company gewesen, der hat Bass gespielt bei Drahdiwaberl, der hat dann „Ganz Wien“ gesungen, auf dieser einen legendären Perfomance in den frühen 80er Jahren, bevor noch „Einzelhaft heraußen war. Und „Ganz Wien“ hat ja echt einen heftigen Text, da geht’s ja um die Drogenkultur in Wien, ich find den Text großartig, Wien war halt auch eine kaputte Stadt in der Zeit und die ganze Drogengeschichte hat einen Einfluss gehabt auf die Clubkultur. Und der hat halt seine Welt so dargestellt, wie sie war, das war authentisch, aber die Leute waren vollkommen perplex, wie sie das gehört haben. Und den Track hat er dann später, nachdem der Markus Spiegel sich den Falco geschnappt hat, wieder verwendet auf „Einzelhaft“. Das ist eigentlich noch nicht Rap, weil da singt er eigentlich noch mehr, aber das ist halt so ein monotoner Sprechgesang. Und dann war er halt in den ersten und hat die frühen HipHop-Parties der 80er erlebt, Block Parties. Und unter diesem Eindruck, dass dort die MCs das Publikum anfeuern und rappen, zurückgekommen und hat gesagt, das mach ich jetzt auch, das mach ich auf Deutsch. Dann sind halt solche Sachen wie „Der Kommissar“ entstanden, die dann auch aufs „Einzelhaft“-Album gekommen sind. Also er war vom HipHop stark beeinflusst, weil er das in den USA erlebt hat, genauso wie die Fantastischen Vier. Falco hat das quasi schon instinktiv zehn Jahre vor den Fanta 4 realisiert, so gesehen ist er natürlich ein HipHop-Pionier. Und wie ich in New York war und diese Dubplates gepresst hab, hab ich auch einiges mitgekriegt, die mich beeinflusst haben: wie wichtig diese ganze DJ-Kultur ist, wie das dort funktioniert, wie die Plattenläden dort funktionieren, wie wichtig der Einfluss jamaikanischer Kultur ist, das ist mir vor meine New York-Reise in den frühen 90er Jahren nicht bewusst gewesen. Und EAV, zu denen hab ich nicht so viel Bezug wie zum Falco, weil EAV 184 waren für mich halt so die Band, die ich in der Früh gehört hab, wenn ich aufgestanden bin, um in die Schule zu gehen, und mein Papa hat halt im Radio den Ö3-Wecker laufen gehabt, dann war halt irgendein Song wie „Ba Ba Banküberfall“. Und das war für mich halt immer so die Komödiantengruppe. Und erst viele, viele Jahre später, Jahrzehnte später hab ich dann für mich herausgefunden, dass die EAV ein Kunstprojekt war ursprünglich, ein sehr abstraktes und arges Kunstprojekt, wo sie Drumcomputer, die mir irrsinnig getaugt haben auch, analoge Drummachines hergenommen haben und den nackerten Drumcomputerbeat laufen lassen haben und dazu einen total seltsamen Sprechgesang gemacht haben. Und das hat dann natürlich schon so etwas experimentell HipHop-artiges für mich. Aber für sie war das halt ein Kunstprojekt im Theaterumfeld, glaub ich. Also hab ich nie so vom HipHop beeinflusst wahr genommen, sondern eher als eine experimentelle Kunstgeschichte.

Gibt es noch etwas, was du sagen möchtest? Also von der Geschichte des HipHop in Österreich find ich halt wichtig den Übergang zwischen dieser Phase, wo du halt Tribe Vibes hattest und eben diese Austrian Flavors-Compilation, und DSL und Cutex als DJs, und diese Duck Squad Geschichte, und den Übergang dort hin, dass die ersten Bands begonnen haben, Major Releases zu machen. Wir haben nach der „Das Gelbe vom Ei“-Compilation einen Vertrag bei BMG unterschrieben, um dort ein Album zu machen. Das hat dem HipHop in Österreich nicht gut getan, dass wir das Label aufgegeben haben und gesagt haben, jetzt machen wir mal mit Major Plattenfirmen was. Ich hab mich sehr unwohl gefühlt, es war einfach keine gute Zusammenarbeit und hat überhaupt nicht reingepasst in die Corporate Culture und wir hatten das eigene Label nicht mehr, weil wir keine Zeit mehr dafür hatte, dadurch haben Texta auf einmal kein Label gehabt. Das hat natürlich auch etwas Positives bewirkt, weil der Flip hat dann Tonträger Records gegründet, damit er ein eigenes Label hat, also Tonträger ist quasi der Nachfolger von Duck Squad gewesen und das war sehr gut, weil dadurch ist die ganze Linzer HipHop-Szene so groß und stark geworden. Das war eine Selbstfindungsphase für Schönheitsfehler, herauszufinden, dass es mit den Major Plattenfirmen überhaupt nicht leiwand ist und dass es von uns instinktiv eine total richtige Entscheidung war, das eigene Label zu gründen und das alles selber zu machen. Und dann sind wir halt wieder weg und haben auf unserem eigenen Label wieder Musik veröffentlicht. Und dann haben wir es noch einmal gewagt einen Major Vertrag zu unterschreiben in Deutschland, das 185 war auch wieder eine schlechte Erfahrung. Deswegen machen wir jetzt wieder alles selber: jetzt haben wir wieder unser eigenes Label gegründet und haben das Album selber produziert und veröffentlicht. Diese Erfahrungen muss, glaub ich, jede Musikszene machen, nicht nur wie Community funktioniert und Vernetzung und was machen die Leute in Clubs und welche Posses und Cliquen entstehen da, sondern auch wie wichtig sind für eine Musikszene eigene ökonomische Strukturen, eigene Labels, eigene Vertriebe? Und wie zerstörerisch ist es, wenn Bands beginnen sich mit irgendwelchen Konzernen einzulassen anstatt das eigene Ding zu fördern. Heute würde ich es anders machen, heute würde ich keinen Deal unterschreiben und das eigene Label weitermachen. Aber das waren die 90er Jahre, das war ganz anders als heute, heute hast du halt ganz andere Möglichkeiten, heute gibt’s das Netz und du kannst deine Musik entweder ganz allein selber verkaufen, indem du sie auf einen Server stellst und ein Bezahlsystem installierst oder du begibst dich halt in die Hände großer Konzerne, die heute anders heißen, nämlich Apple und Google, die noch weniger zahlen als die Major Plattenlabel und noch weniger tun. In der Hinsicht ist es eigentlich noch schlechter, noch zentralisierter und noch ausbeuterischer. Andererseits erreichst du natürlich, wenn du selbst was im Internet machst, potentiell viel mehr Leute und viel schneller. Deswegen funktioniert heute diese ganze Szene und Aufbauarbeit wahrscheinlich ganz anders.

Wann hat dieser Prozess in deinen Augen in Österreich begonnen? Das würde ich nicht als Trend sehen, der in den 90er begonnen hat, die meisten Bands probieren das dann halt, die meisten Bands, die erfolgreich selber indiemäßig veröffentlichen, lassen sich irgendwann mal verführen, einen Deal zu unterschreiben, weil sie glauben, dass das Geld, das ihnen die Plattenfirma gibt, ihnen schnell weiterhilft. Weil so ein Vorschuss natürlich auch sehr verlockend ist, da kann man dann vielleicht ein halbes Jahr davon leben und arbeiten, oder weil sie glauben, dass sie der Band zu besonders großem Ruhm verhelfen wird, mit Promo und Werbung und was weiß Gott was. Es gibt Bands, die sind sehr skeptisch gewesen, nachdem wir so schlechte Erfahrungen gemacht haben, Texta haben bis heute keinen Majordeal unterschrieben und das hat ihnen gut getan. Die haben sich aber mit Hoanzl sehr eng eingelassen und das war auch eine sehr gute Entscheidung vom Flip, vor allem so lang es den Christoph Moser noch gegeben hat. Majordeals sind gefährlich für Bands, das ist heute auch noch so, heute gibt’s eh keine Major Plattenfirmen mehr 186 und sie zahlen noch weniger, und kassieren genauso viele Prozente mit und machen dann aber auch irrsinnige Fehler. Also in unserem Fall hat Universal in Deutschland ganz, ganz komische Werbekampagnen produziert, die total daneben waren, die überhaupt nicht zum Album und zur Band gepasst haben. Diese Corporate Culture passt eben oft nicht mit den Bands zusammen.

187

7. QUELLENVERZEICHNIS

7.1. Filme

Litle, Joshua: Hip-Hop, the World is yours. Frankreich 2010 (ARTE France, https://www.youtube.com/watch?v=frRi_zQ3pMI&t=38s&frags=pl%2Cwn)

Wailand, Markus: A HipHop Story. Österreich 2002 (ORF, https://www.youtube.com/watch?v=PBMrNuDPSVE).

7.2. Fernsehen

X-Large, ORF, 5.6.1988.

X-Large, ORF, 20.9.1992

X-Large, ORF, 9.9.1994.

7.3. Youtube

Erste Allgemeine Verunsicherung: Alpenrap. Wien 1983. https://youtu.be/l563OzYvZXw

HC Strache Rap 2013 – „Steht auf, wenn ihr für HC seid!“, https://youtu.be/8aWgT7dlAY0 (1.5.2018).

HC Strache Rap 2014 feat. Leopold Figl: Patrioten zur Wahl!, https://youtu.be/zAEP08ps-JM (1.5.2018).

HC Strache feat. MC Blue – Good Men[sch] Rap, https://youtu.be/J9pMh3Aipv4 (1.5.2018).

Ich bin Wien – HipHop Collabo, https://youtu.be/-bCFiT0TghI (1.5.2018)

188

Österreich zuerst ;-) – HC Strache, https://youtu.be/pVnzYs4HYBQ (1.5.2018).

The Message: Trailer 20 Jahre österreichischer HipHop – Austrian Flavors. https://youtu.be/oLKM9Bkxna8

7.4. Radio

Falco im Interview mit Werner Geier, FM4 Tribe Vibes, 25.4.1996. https://fm4.orf.at/stories/2893821/ (19.7.18).

Werner Geier, Ö3 Musicbox, 7.12.1991. https://soundcloud.com/the-message- magazine/tribe-vibes-dope-beats-contest (4.8.2018).

7.5. Print

Jan Braula: „Wie der wöchentliche Gottesdienst“: Interview mit Katharina Weingartner. In: The Message, 20.2.2011. https://themessage.at/wie-der-wochentliche- gottesdienst-interview-mit-katharina-weingartner/ (29.7.2018)

Skug Magazin: Verein zur Förderung von Aktivitäten im Bereich Subkultur (Hg.). Wien 1991-1994.

The Message Magazin: Shaked, Daniel u. a. (Hg). Wien 1997.

189

8. LITERATURVERZEICHNIS

Alim, H. Samy: Roc the Mic Right. The Language of Hip Hop Culture. New York 2006.

Androutsopoulos, Jannis: Einleitung. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur - lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 9-23.

Androutsopoulos, Jannis: HipHop und Sprache: Vertikale Intertextualität und die drei Sphären der Popkultur. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 111-136.

Appadurai, Arjun: Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen Anthropologie. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 11-40.

Appadurai, Arjun: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis 1998.

Appadurai, Arjun: The production of locality. In: Fardon, Richard (Hg.): Counterworks. Managing the Diversity of Knowledge. London 1995, 204-225.

Ards, Angela: Organizing the Hip-Hop Generation. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 311- 323.

Baacke, Dieter: Jugend und Jugendkulturen. Darstellung und Deutung. Weinheim 2007 (1. Aufl. 1987).

Baldwin, Davarian: Black Empires, White Desires: The Spatial Politics of Identity in the Age of Hip-Hop. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 159-176.

Barker, Chris: Television, Globalization and Cultural Identities. New York 2009.

190

Bennet, Andy: Cultures of Popular Music. Maidenhead 2003.

Bennet, Andy: HipHop am Main: Die Lokalisierung von Rap-Musik und HipHop-Kultur. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 26-42.

Bennett, Andy: Hip-Hop am Main, Rappin’ on the Tyne: Hip-Hop Culture as a Local Construct in Two European Cities. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 177-200.

Bennett, Andy u. Janssen, Susanne: Popular Music, Cultural Memory, and Heritage. In: Popular Music and Society. 39 (2016), H.1, 1-7.

Blair, M. Elizabeth: Commercialization of the Rap Music Youth Subculture. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 497-504.

Baudrillard, Jean: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin 1978.

Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 1963.

Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000.

Binas, Susanne: Populäre Musik als Prototyp globalisierter Kultur. In: Wagner, Bernd (Hg.) Kulturelle Globalisierung – Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Essen 2001, 93-105.

Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt am Main 1962.

Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter: HipHop als Phänomen kulturellen Wandels. In: Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld 2007, 313-324.

191

Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter: HipHop meets Academia: Positionen und Perspektiven auf die HipHop-Forschung. In: Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld 2007, 11-15.

Bonz, Jochen: Alltagsklänge. Einsätze einer Kulturanthropologie des Hörens (=Kulturelle Figurationen: Artefakte, Praktiken, Fiktionen). Wiesbaden 2015.

Bonz, Jochen (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter. Frankfurt am Main 2001.

Bonz, Jochen u. Struve, Karen: Homi K. Bhabha: Auf der Innenseite kultureller Differenz: „in the middle of differences“. In: Moebius, Stephan u. Quadflieg, Dirk (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden 2011 (1. Aufl. 2006), 132-147.

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991.

Chang, Jeff: Can’t Stop Won’t Stop. A History of the Hip-Hop Generation. New York 2005.

Charry, Eric (Hg.): Hip Hop Africa: new African music in a globalizing world. Bloomington u. Indianapolis 2012.

Clifford, James: Traveling Cultures. In: Grossberg, Lawrence/Nelson, Cary u. Treichler, Paula (Hg.): Cultural Studies. London 1992, 96-116.

Condry, Ian: Hip-hop Japan: rap and the paths of cultural globalization. Durkham 2006.

Condry, Ian: Yellow B-Boys, Black Culture, and Hip-Hop in Japan: Toward a

Transnational Cultural Politics of Race. In: positions: east asia cultures critique, 15 (2007), H.15, 637-671. de Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin 1988.

192 de Certeau, Michel: On the Oppositional Practices of Everyday Life. In: Social Text, 3 (1980), 3-43.

Deleuze, Gilles u. Guattari, Félix: A thousand plateaus: capitalism and schizophrenia. London 1988.

Diedrichsen, Dietrich: HipHop – eine deutsche Erfolgsgeschichte. In: Wagner, Bernd (Hg.) Kulturelle Globalisierung – Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Essen 2001, 106-112.

Dimitriadis, Greg: Framing HipHop: New Methodologies for New Times. In: Urban Education, 50 (2015), H.1, 31-51.

Dimitriadis, Greg: Performing Identity/Performing Culture. Hip Hop as Text, Pedagogy, and Lived Practice. New York 2004.

DeNora, Tia: Music in Everyday Life. Cambridge 2000.

Dufrense, David: Yo! Rap Revolution. Geschichte – Gruppen – Bewegung. Hamburg 1992.

Durand, Alain Philippe: Black, Blanc, Beur: Rap Music and Hip-Hop Culture in the Francophone World. Lanham 2002.

Düvel, Caroline: Paul Gilroy: Schwarzer Atlantik und Diaspora. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 176-188.

Dyson, Michael Eric: The Culture of Hip-Hop. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 61-68.

Featherstone, Mike: Global Culture: An Introduction. In: Featherstone, Mike (Hg.); Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. London 1990, 1-14.

193

Featherstone, Mike: Undoing Culture. Globalization, Postmodernism and Identity. London 1995.

Feixa, Carles u. Nilan, Pam: Postscript. Global youth and transnationalism: the next generation. In: Nilan, Pam u. Feixa, Carles (Hg.): Global Youth? Hybrid Identities, plural worlds. London 2006, 205-212.

Ferchhoff, Wilfried: Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert. Lebensformen und Lebensstile. Wiesbaden 2011 (1. Aufl. 2007).

Fiske, John: Understanding Popular Culture. London 1989.

Forman, Murray: „Represent“: Race, Space, and Place in Rap Music. In: Forman, Murray u. Neal, Mark Anthony (Hg.): That’s the Joint! The Hip-Hop Studies Reader. New York 2004, 201-222.

Forman, Murray: Kill the Static: Temporality and Change in the Hip-Hop Mainstream (and Its „Other“). In: Baker, Sarah/Bennett, Andy/Taylor, Jodie (Hg.): Redefining Mainstream Popular Music. Abingdon 2013, 61-74.

Friedman, Jonathan: Being in the World: Globalization and Localization. In: Featherstone, Mike (Hg.); Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. London 1990, 311-328.

Geertz, Clifford: The Interpretation of Cultures. Selected Essays. New York 1973.

George, Nelson: Hip Hop America. New York 1998.

Gilroy, Paul: The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness. Cambridge 1993.

Giddens, Anthony: The Consequences of Modernity. Cambridge 1990.

194

Grabbe, Lars u. Kruse, Patrick: Roland Barthes: Zeichen, Kommunikation und Mythos. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 21-30.

Hall, Stuart: Encoding/Decoding. In: Hall, Stuart (Hg.): Culture, Media, Language. Working Papers in Cultural Studies, 1972-79. Birmingham 1980, 128-138.

Hall, Stuart: What is this ‘black’ in black popular culture? In: Morley, David u. Chen, Kuan-Hsing (Hg.): Stuart Hall. Critical Dialogues in Cultural Studies. New York 1996, 465-475.

Hannerz, Ulf: Cosmopolitans and Locals in World Culture In: Featherstone, Mike (Hg.); Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. London 1990, 237-251.

Hannerz, Ulf: Cultural Complexity. Studies in the Social Organization of Meaning. New York 1992.

Hannerz, Ulf: The World in Creolisation. In: Africa: Journal of the International African Institute, 57 (1987), H.4, 546-559.

Harris, Anita: Shifting the boundaries of cultural spaces: young people and everyday multiculturalism. In: Social Identities, 15 (2009), H.2, 187-205.

Hebdige, Dick: Subculture. The Meaning of Style. London 1997.

Hepp, Andreas: Néstor García Canclini: Hybridisierung, Deterritorialisierung und „cultural citizenship“. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 165-175.

Hitzler, Ronald u. Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen juveniler Vergemeinschaftung heute (=Erlebniswelten 3). Wiesbaden 2010.

195

Hodkinson, Paul: Translocal Connections in the Goth Scene. In: Bennett, Andy u. Peterson, Richard A. (Hg.): Music Scenes. Local, Translocal, and Virtual. Nashville 2004, 131.148.

Hörner, Ferdinand/Kautny, Oliver: Mostly ! Zur Einleitung. In: Hörner, Ferdinand/Kautny, Oliver (Hg.): Die Stimme im HipHop. Untersuchungen eines intermedialen Phänomens. Bielefeld 2009, 7-21.

Howell, Signe: Whose knowledge and whose power? A new perspective on cultural diffusion. In: Fardon, Richard (Hg.): Counterworks. Managing the Diversity of Knowledge. London 1995, 164-181.

Huber, Alison: Mainstream as Metaphor: Imagining Dominant Culture. In: Baker, Sarah/Bennett, Andy/Taylor, Jodie (Hg.): Redefining Mainstream Popular Music. Abingdon 2013, 3-13.

Huq, Rupa: Beyond Subculture. Pop, youth and identity in a postcolonial world. New York 2006.

Jacke, Christoph: John Clarke, Toni Jefferson, Paul Willis und Dick Hebdige: Subkulturen und Jugendstile. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 138-155.

Jacob, Günther: Differenz und Diskurs: Zum Umgang mit importiertem HipHop. In: Karrer, Wolfgang u. Kerkhoff, Ingrid (Hg.): Rap. Berlin 1996, 169-180.

Kahf, Usama: Arabic Hip Hop: Claims of Authenticity and Identity of a New Genre. In: Journal of Popular Music Studies, 19 (2007), H.4, 359-385.

Karrer, Wolfgang: Rap als Jugendkultur zwischen Widerstand und Kommerzialisierung. In: Karrer, Wolfgang u. Kerkhoff, Ingrid (Hg.): Rap. Berlin 1996, 21-44.

196

Kautny, Oliver: „… when I’m not put on this list …“ Kanonisierungsprozess im HipHop am Beispiel Eminem. In: Helms, Dietrich u. Phelps, Thomas (Hg.): No Time For Losers. Charts, Listen und andere Kanonisierungen in der populären Musik (=Beiträge zur Popularmusikforschung 36). Bielefeld 2008, 145-160.

Keller, Thomas: Kulturtransferforschung: Grenzgänge zwischen den Kulturen. In: Moebius, Stephan u. Quadflieg, Dirk (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden 2011 (1. Aufl. 2006), 106-119.

Kirby, Andrew: Wider die Ortlosigkeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 168-175.

Klausegger, Isabella: HipHop als subversive Kraft. Zur Konzeption von Machtverhältnissen und deren Dynamik in den Cultural Studies. Wien 2009.

Klein, Gabriele u. Friedrich, Malte: Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt am Main 2011 (4. Aufl., Orig. 2003).

Krims, Adam: Rap music and the poetics of identity. Cambridge 2000.

Krönert, Veronika: Michel de Certeau: Alltagsleben, Aneignung und Widerstand. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 47-57.

Krotz, Friedrich: Stuart Hall: Encoding/Decoding und Identität. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 210-223.

Kübler, Hans-Dieter: Interkulturelle Medienkommunikation. Eine Einführung. Wiesbaden 2011.

Lash, Scott: Another Modernity. A Different Rationality. Oxford 1999.

197

Lipsitz, George: Dangerous Crossroads. Popmusik, Postmoderne und die Poesie des Lokalen. London 1999.

Lull, James: Media, Communication, Culture. A Global Approach. Oxford 1995.

Mager, Christoph: HipHop, Musik und die Artikulation von Geographie. Stuttgart 2007.

Manovich, Lev: The Practice of Everyday (Media) Life: From Mass Consumption to Mass Culture Production? In: Critical Inquiry, 35 (2009), H.2, 319-331.

Menrath, Stefanie: „I am not what I am“: Die Politik der Repräsentation im HipHop. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 218-245.

McCarren, Felicia: French moves: the cultural politics of le hip hop. New York 2012.

Menrath, Stefanie: Represent what … Perfomativität von Identitäten im HipHop. Hamburg 2001.

Meyrowitz, Joshua: Das generalisierte Anderswo. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 176-191.

Mikos, Lothar: „Interpolation und sampling“: Kulturelles Gedächtnis und Intertextualität im HipHop. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 64-84.

Mikos, Lothar: Vergnügen und Widerstand. Aneignungsformen von HipHop und Gangsta Rap. In: Göttlich, Udo u. Winter, Rainer (Hg.): Politik des Vergnügens. Zur Diskussion der Populärkultur in den Cultural Studies (=Fiktion und Fiktionalisierung, Bd.3). Köln 2000, 103-123.

Mitchell, Tony: Popular Music and Local Identity. Rock, Pop and Rap in Europe and Oceania. London 1996.

198

Morley, David: Television, Audiences and Cultural Studies. London 1992.

Morley, David u. Robins, Kevin: Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes and Cultural Boundaries. London 1995.

Nederveen Pieterse, Jan: Der Melange-Effekt. Globalisierung im Plural. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 87-124.

Nederveen Pieterse, Jan: Globalization as Hybridization. In: Featherstone, Mike/Lash, Scott/Robertson, Roland (Hg.): Global Modernities. London 1995, 45-68.

Niang, Abdoulaye: Bboys: hip-hop culture in Dakar, Sénégal. In: Nilan, Pam u. Feixa Carles (Hg.): Global Youth? Hybrid Identities, plural worlds. London 2006, 167-185.

Pringle, Richard u. Landi, Dillon: Re-reading Deleuze and Guattari’s A Thousand Plateaus. In: Annals of Leisure Research. 20 (2017), H.1, 117-122.

Reitsamer, Rosa u. Fichna, Wolfgang: Einleitung. In: Reitsamer, Rosa u. Fichna, Wolfgang (Hg.): „They Say I’m Different …“. Popularmusik, Szenen und ihre Akteur_innen. Wien 2011, 14-20.

Reitsamer, Rosa u. Prokop, Rainer: Postmigrantischer HipHop in Österreich. Hybridität. Sprache. Männlichkeit. In: Yildiz, Erol. u. Hill, Marc (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Bielefeld 2014, 251-271.

Robertson, Roland: Globalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity. In: Featherstone, Mike/Lash, Scott/Robertson, Roland (Hg.): Global Modernities. London 1995, 25-44.

Robertson, Roland: Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, 192-220.

199

Rose, Tricia: Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America. Hanover 1994.

Rose, Tricia: The Hip Hop Wars. What We Talk About When We Talk About Hip Hop – and Why It Matters. Philadelphia 2008.

Rösel, Anika: HipHop und jugendliche Identitätsbilder. Am Beispiel von zwei Rezipienten eines HipHop-Labels. Saarbrücken 2007.

Schneider, Ingo: „Ich weiß noch genau, wie das alles begann ...“. Der Mythos der Anfänge der Hip Hop Kultur – Ein Erklärungsversuch. In: Zimmermann, Harm-Peer (Hg.): Mythos, Mythen, Mythologien. 7. Tagung der Kommission für Erzählforschung in der DGV. Marburg 2015, S. 278-287.

Seeliger Martin: Kulturelle Repräsentation sozialer Ungleichheiten. Eine vergleichende Betrachtung von Polit- und Gangsta-Rap. In: Dietrich, Marc u. Seeliger, Martin (Hg.): Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen. Bielefeld 2012, 165-186.

Sider, Gerald: The Production of Race, Locality, and State: An Anthropology. In: Anthropologica, 48 (2006), H.2, 247-263.

Smith, Anthony D.: Towards a Global Culture? In: Featherstone, Mike (Hg.): Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity. London 1990, 171-191.

Stanković, Peter: HipHop in Slovenien: Gibt es Muster lokaler Aneignung eines globalen Genres? In: Bock, Karin/Meier, Stefan/Süss, Gunter (Hg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. Bielefeld 2007, 89-115.

Stark, Birgit: Qualitätsmedien und ihr Publikum in Zeiten des Medienwandels – das Fallbeispiel ORF. In: Gonser, Nicole (Hg.): Die multimediale Zukunft des Qualitätsjournalismus. Public Value und die Aufgaben von Medien. Wiesbaden 2013, 53-68.

200

Straub, Jürgen: South Bronx, Berlin und Adornos: Gangsta-Rap als Popmusik. Eine Notiz aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. In: Dietrich, Marc u. Seeliger, Martin (Hg.): Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen. Bielefeld 2012, 7-20.

Tickner, Arlene: Aquí en el Ghetto: Hip-Hop in Colombia, Cuba, and Mexico. In: Latin American Politics and Society, 50 (2008), H.3, 121-146.

Tomlinson, John: Globalization and Culture. Chicago 1999.

Toop, David: Rap Attack. African Jive bis Global HipHop. London 1991 (1. Aufl. 1984). van Treeck, Bernhard: Styles – Typografie als Mittel zur Identitätsbildung. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 102-110.

Verlan, Sascha: HipHop als schöne Kunst betrachtet – oder: die kulturellen Wurzeln des Rap. In: Androutsopoulos, Jannis (Hg.): HipHop: Globale Kultur – lokale Praktiken (=Cultural Studies, Bd.3). Bielefeld 2003, 138-146.

Verlan, Sascha u. Loh, Hannes: 35 Jahre HipHop in Deutschland. Höfen 2015.

Villányi, Dirk u. Witte, Matthias D.: Jugendkulturen zwischen Globalisierung und Ethnisierung. Glocal Clash – Der Kampf des Globalen im Lokalen am Beispiel Russlands. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaften. 7 (2004), H.4, 58-70.

Wagner, Bernd: Kulturelle Globalisierung: Weltkultur, Glokalität und Hybridisierung. Einleitung. In: Wagner, Bernd (Hg.) Kulturelle Globalisierung – Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Essen 2001, 9-38.

Weiß, Raphael: Pierre Bourdieu: Habitus und Alltagshandeln. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Thomas, Tanja (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies, Wiesbaden 2009, 31-46.

201

Weimann, Gabriel: On the Importance of Marginality: One More Step Into the Two- Step Flow of Communication. In: American Sociological Association, 47 (1982), H.6, 764-773.

Welsch, Wolfgang: Transculturality: The Puzzling Form of Cultures Today. In: Featherstone, Mike u. Lash, Scott (Hg.): Spaces of Culture. City, Nation, World. London 1999, 194-213.

Wetzstein, Thomas A., Reis, Christa u. Eckert, Roland: Fame & Style, Poser & Reals. ‚Lesarten’ des HipHop bei Jugendlichen. Drei Fallbeispiele. In: Göttlich, Udo u. Winter, Rainer (Hg.): Politik des Vergnügens. Zur Diskussion der Populärkultur in den Cultural Studies (=Fiktion und Fiktionalisierung, Bd. 3). Köln 2000, 124-145.

Willis, Paul: Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur. Hamburg 1991.

Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess. München 1995.

Winter, Rainer: Die Kunst des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht. Weilerswist 2001.

Winter, Rainer: HipHop als kulturelle Praxis in der globalen Postmoderne. Die kultursoziologische Perspektive der Cultural Studies. In: Nünning, Ansgar u. Sommer, Roy (Hg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Tübingen 2004, 215-230.

Wood, Andy: „Original London Style“: London Posse and the birth of British Hip Hop. In: Atlantic Studies 6 (2009). H.2, 175-190.

Zukrigl, Ina: Kulturelle Vielfalt und Identität in einer globalisierten Welt. In: Wagner, Bernd (Hg.) Kulturelle Globalisierung – Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Essen 2001, 50-61.

202

9. EIDESSTAATLICHE ERKLÄRUNG

Ich, Manuel Obermeier, erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister-/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

Innsbruck, 31.8.2018

203