DISSERTATION

Titel der Dissertation Die Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen. Popularkulturelle Sozialsatiren in der Tradition des Wiener Volkstheaters.

Verfasser Mag. Herbert Eigner

angestrebter akademischer Grad Doktor der Philosophie

Wien, 2009

Studienkennzahl laut Studienblatt: A 092 317 Dissertationsgebiet laut Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Hilde Haider

Meiner Familie.

In memoriam Georg Danzer.

Besonderem Dank bin ich Frau Univ.-Prof. Dr Hilde Haider für die Betreuung, Frau Univ.- Prof. Dr. Brigitte Marschall für die Begutachtung und Frau Johanna Ulm für das Lektorat der vorliegenden Arbeit verpflichtet. Meinen Eltern danke ich für ihre große Unterstützung.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

1.1. Österreichische Popularmusik als Träger von Literatur 1

1.2. Sozialkritischer Austropop 9

1.3. These und Zugang 10

1.4. Hörspiel – Theater 12

1.5. Zielsetzung 13

1.6. Aufbau 15

2. Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos , Augustin : Konzeptalben oder Hörspiele? 17

2.1. Definitionsmoloch 17

2.2. Mehr als Konzeptalben 22

3. Austropop 31

3.1. Einführung 31

3.2. Austropop – Definition und Entstehungsbedingungen 32

3.3. Geschichtliches und Zeitumstände 51

3.4. Gegenbewegung 53

3.4.1. Proletarisierung der Popularkultur 58

3.4.1.2. „Weil mir so fad is …“ im „Espresso“ 58

3.4.1.3. Die ausklingende Revolution 66

3.5. Alles andre zählt net mehr … 68

3.5.1. „Franz Pokorny, 60, Hausbesorger“ („A Hausmasta is a Respektsperson!“) 69

3.5.1.2. Wien-Kitsch 73

3.5.1.3. Vergangenheitsaufarbeitung 78

3.5.1.3.1. Nationalsozialismus 79

3.5.1.3.2. Generationenkonflikt 80

3.5.1.3.3. Ausbruch und Flucht 82

3.5.1.3.4. Alles andre zählt net mehr als … 87

3.5.1.3.5. Grundlegende Revolte(n) 90

3.5.1.3.5.1. Exkurs: Die Wiener Gruppe – Sprache 98

4. Der Volkskünstler Wolfgang Ambros 107

4.1. Der Volksbegriff 116

4.1.2. „Der Ambros singt ein Moserlied“ 117

4.1.2.1. Volk als soziologischer Begriff 117

4.1.2.2. Ambros – einer aus dem Volk 119

5. Die Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen. Popularkulturelle Sozialsatiren in der Tradition des Wiener Volkstheaters 125

5.1. Einführung 125

5.2. Volkstheater und Volksstück 128

5.3. Fäustling . Rebellion als Travestie 132

5.3.1. Entstehung 132

5.3.2. Künstlerisches Umfeld 133

5.3.3. Experiment, Fragment, Singspiel 141

5.3.4. Rebellion als Travestie 147

5.3.4.1. Literarische Travestie 147

5.3.5. Mensch und Menschlichsein 150

5.3.6. Auf der Suche nach dem Individuum 180

5.4. Der Watzmann ruft . Besserungsstück ohne Besserung 182

5.4.1. Der Mythos Watzmann 182

5.4.2. Kritische Heimatbetrachtung 184

5.4.3. Ein Besserungsstück ohne Besserung als Hörfilm 189

5.4.4. Watzmann . Die alpine Rocky-Horror-(Picture-)Show 221

5.5. Exkurs: Karli und der Sinn des Lebens 226

5.6. Schaffnerlos . Die Tragödie eines Individuums 230

5.6.1. Die letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek 230

5.6.2. Fritz Knottek – ein verhinderter Hanswurst 234

5.6.2.1. Exkurs: Hanswurst 240

5.6.2.1.1. Der Wienerische Hanswurst 241

5.6.2.1.2. Hanswurst – nur ein Lustigmacher? 244

5.6.2.1.3. Cosroes 245

5.6.2.1.4. Hanswurst – der berechnende Lustigmacher 247

5.6.3. Das Hanswurstrelikt Knottek 253

5.7. Augustin . Der Popstar als Volkssänger 274

5.7.1. Die Geschichte des Wiener Volkssängers Augustin und seiner Freunde 274

6. Schlussbemerkung 296

7. Bibliographie 299

7.1. Primärliteratur 299

7.2. Sekundärliteratur 302

7.3. Zeitschriften 308

7.4. Zeitungen 308

8. Diskographie 309

9. Filmographie 311

10. Internet 312

11. Konzerte 312

12. Abstract 313

12.1. Abstract in deutscher Sprache 313

12.2. Abstract in englischer Sprache 314

13. Vita 315

1

1. Einleitung

1.1. Österreichische Popularmusik als Träger von Literatur

„Was, der Ambros hat Hörspiele geschrieben?“ Diese ungläubige Replik erhielt ich fast jedes Mal, wenn ich auf die Frage nach meinem Dissertationsthema geantwortet habe, wobei die Fragesteller aus den unterschiedlichsten sozialen und beruflichen Umfeldern kamen. Erst bei der Aufzählung der Werke Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin wurden einige bei Watzmann und Schaffnerlos hellhörig, wobei das eher auf die 2004/2005 und 2008 wiederaufgenommene Bühnenversion von Der Watzmann ruft und auf den Bekanntheitsgrad des Liedes „Schaffnerlos“ zurückzuführen ist. Heide Pfeilers Meinung, dass einzelne Songs aus den genannten Alben „in Österreich und auch im südbayrischen Raum [...] nie isoliert als solche rezipiert, sondern immer im Bewußtsein des jeweiligen Kontext(s) der Handlung des Musicals oder des Hörspiels gehört und bewertet [wurden]“ 1, ist also mit Vorsicht zu genießen. Umso erstaunlicher mutet die Unkenntnis der Hörspiele von Wolfgang Ambros an, wenn man bedenkt, dass Ambros, wie er selbst sagt, bereits „fünfunddreißig Jahre im Dienste der österreichischen Populärmusik“ 2 steht und einen nicht gerade geringen Bekanntheitsgrad in Österreich hat. Das Faktum des Nichtwissens um die Existenz dieser Hörspiele mag zum großen Teil auch daran liegen, dass diese Werke nicht explizit als Hörspiele definiert und tituliert im Plattenregal stehen. Und das „Spiel in G“ Fäustling ist überhaupt nur mehr antiquarisch als Schallplatte erhältlich. Die vermeintliche Unbekanntheit von Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin als Hörspiele war deshalb mit ein Grund, sich mit diesen Werken auf wissenschaftlicher Ebene auseinander zu setzen, denn auch von der Wissenschaft wurden sie eher stiefmütterlich bis überhaupt nicht behandelt. Eine Ausnahme ist Heide Pfeiler, die in ihrer Untersuchung Austropop. Die Entwicklung der Rock- und Popmusik in Österreich in den 60er und 70er Jahren. Dargestellt und musikimmanent untersucht an ausgewählten Beispielen ins Detail gehenden Analysen der Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen ansatzweise Platz gewährt. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesen Monolithen der österreichischen Popularmusik ist allerdings

1 Heide Pfeiler: Austropop. Die Entwicklung der Rock- und Popmusik in Österreich in den 60er und 70er Jahren. Dargestellt und musikimmanent untersucht an ausgewählten Beispielen. Dissertation. Graz 1995, S. 189. 2 Gipfeltreffen. Regie: Werner Schmidbauer. Bayrischer Rundfunk 2006. 2 bis heute ausgeblieben. Die Formulierung „Monolithe“ ist so pathetisch nicht, wie sie vielleicht auf den ersten Blick anmutet. Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin sind meines Erachtens nach einzigartige Erscheinungen in der österreichischen Popularkultur. Weit über den Begriff des Konzeptalbums hinausreichend sind sie thematische, dramaturgische, literarische Gattungsgrenzen überschreitende und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten sprengende Konglomerate, die nahezu nach einer wissenschaftlichen Analyse und Interpretation schreien. Die populäre Kultur und somit auch der Austropop haben längst Einzug in die Forschung der verschiedensten Studienrichtungen gehalten. Zu Recht. Eine fundamentale Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Austropop respektive der österreichischen Pop- und Rockmusik seit Anfang der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts ist allerdings bis heute ausgeblieben. Es gibt zwar schon einige Arbeiten über Austropop und Kritische Liedermacher; die Debatte um den Austropop aber erschöpft sich an der (im Prinzip zu nichts führenden) Diskussion um den Terminus Austropop, dessen Entstehungsbedingungen, die diversen Einschnitte und Phasen dieser „Musikrichtung“. Auch die vorliegende Arbeit kann und will keinen gesamtgeschichtlichen Überblick über diese musikalische Bewegung geben, sondern sich vor allem auf die Entstehungsbedingungen konzentrieren – vor allem aus Sicht der Texte und Inhalte, weniger aus Sicht der Musik. In diesem Kontext hat bereits Hilde Pfeiler eine fundierte Aufarbeitung geleistet. Anhand genauer textlicher und thematisch-inhaltlicher Analysen einzelner Songs, Alben und der genannten Hörspiele sollen nicht nur werkimmanente und gesellschaftlich relevante Untersuchungen durchgeführt werden, sondern es soll auch eine kleine Geschichte des Austropop in den 1970ern geschrieben werden. Das künstlerische Wirken von Wolfgang Ambros als vermeintliche Galionsfigur des Austropop soll dabei bis in die Gegenwart verfolgt werden um seine artifizielle Weiterentwicklung darzustellen und nebenbei auch zu zeigen, wie sich der Austropop beziehungsweise die österreichische Popularmusik vor allem inhaltlich verändert hat. Gerade die literarische Qualität der Texte 3 eines Georg Danzer, Joesi Prokopetz oder Wolfgang Ambros rechtfertigen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Nukleus der österreichischen popularen Kultur.

3 Alle Zitate aus Liedtexten wurden transkribiert. Die Texte in Wiener Mundart beziehungsweise Dialekt wurden nach einem vom Verfasser willkürlich festgelegten System phonetisch wiedergegeben. Dabei wurden auch etwaige grammatikalische Fehler berücksichtigt. Bei den Herkunftsverweisen der Liedtexte werden sowohl Texter als auch Komponist angeführt. 3

Auch wenn beispielsweise die Entstehungsgeschichte von Der Watzmann ruft genauso wie mancher Nonsensreim 4 eine seriöse wissenschaftliche Analyse infrage stellen mag, so sei darauf verwiesen, dass ein Künstler die Dimensionen seines Werkes oft selbst nicht einschätzen oder erst Jahre später erfassen kann und dass derartige Nonsenssätze, wie sich zeigen wird, beinahe dadaistische Qualität aufweisen und sehr wohl ihren Sinn haben. Die Literarizität der Texte scheint erst mit den Wortkaskaden eines erkannt worden zu sein. Dass ein Georg Danzer und auch Wolfgang Ambros bereits in den Siebzigern mit ihren Texten poetische Kleinodien hervorbrachten, wurde beinahe gänzlich übersehen. Abgesehen von direkten, subversiv-authentischen Zeilen wie

I waaß du host jetzt an Freind mit an Poasche, sog eam doch ea soi in Oasch geh und kumm wieda haam zu mia.5 war per exemplum Georg Danzer ein großer Könner im Verfassen kleiner, aber umso eindringlicherer Bilder und Vergleiche. In „Abschied für immer“ aus dem 1979er-Album Notausgang erzählt Danzer mit spärlicher Akustikgitarrenbegleitung in klassischer Liedermachertradition von der Aussiedlung eines alten Mannes ins Pensionistenheim:

Die Wohnung schaut jetzt ziemlich leer aus, wirkt ohne Möbel direkt fremd. Er trägt den alten schwarzen Anzug – dazu das neue weiße Hemd. Er sitzt auf seinem schweren Koffer und starrt die leeren Wände an. Die Stille kriecht in seine Ohren. Nur in der Küche tropft der Wasserhahn.

Sein Sohn, der müsste jetzt gleich kommen, weil der sich freigenommen hat. Er bringt ihn mit dem neuen Auto hinaus in dieses Haus am Rand der Stadt. ‚Dort ist es schön‘, sagt er. ‚Du wirst schon seh’n‘, sagt er. ‚Dort ist es schön, dort hast du endlich deine Ruh,

4 „Oh St. Hubertus, lass dein Jagdhorn ertönen, wir werden uns schon dran gewöhnen mit leisem Stöhnen.“ (Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Oh St. Hubertus. Der Watzmann ruft. Bellaphon 1974.) In den Fußnoten werden die Songs mit dem Texter an erster Stelle zitiert. Die Hörspiele werden in den Fußnoten in der Reihenfolge: Tauchen, Prokopetz, Ambros zitiert. In der Diskographie sind sie gemäß den Plattencovers mit Wolfgang Ambros an erster Stelle angeführt. 5 Georg Danzer: Ruaf mi net au. m records 1976. 4

brauchst dich um nichts zu kümmern und in geheizten Zimmern sitzen lauter alte Leute so wie du.‘

‚Dort bist du unter deinesgleichen, dort wirst du regelrecht verwöhnt von all den hübschen jungen Schwestern. Ich würd’ am liebsten mit dir tauschen, wenn ich könnt.‘

Ein Park mit schönen hohen Bäumen, die man durchs Fenster anschauen kann. Dort lässt sich’s gut von früher träumen, nur wenn der Regen an die Scheiben tropft, dann tropft durch seine Träume dieser alte Wasserhahn.6

Abgerundet wird diese komplex gebaute Kurzerzählung durch eine einfache, traurige Melodie, die nur durch einen Tempowechsel ins Fröhliche bei der Strophe, die die direkte Rede des Sohnes einleitet, gebrochen wird. Der Vortrag Danzers ist beklemmend nüchtern bis leicht ironisch (bei den Aufmunterungsversuchen des Sohnes), aber nie dozierend oder besserwissend, sondern nahezu asketisch zurückhaltend, was die fatale Klarheit des Textes noch verstärkt. Wie kunstvoll allerdings dieser Text komponiert ist, sei kurz veranschaulicht. Das Lied beginnt mit der schnörkellosen Beschreibung eines Ist-Zustandes: Eine Wohnung ohne Möbel. Sie ist aber nicht leer, sondern „schaut jetzt ziemlich leer aus“ 7. Das heißt – obwohl keine Möbel mehr vorhanden sind und sie direkt fremd wirkt 8, sieht sie nur leer aus – ist sie aber nicht, was impliziert, dass unsichtbare Erinnerungen und persönliche Beziehungen auch ohne Möbel diese Wohnung mit dem Gefühl zu Hause zu sein erfüllen. Nun wird zum ersten Mal der namenlose Protagonist (der also kein Einzelfall ist) erwähnt, der den – vermutlich seinen einzigen – schwarzen Anzug trägt und dazu das – vermutlich auch einzige – neue weiße Hemd. Danzer evoziert hier eine Finte. Man vermeint aufgrund des Titels „Abschied für immer“, der Mann kommt von oder geht gerade zu einem Begräbnis. Bereits die nächste Zeile bringt endgültige Aufklärung darüber, was man aufgrund der leergeräumten Wohnung schon vermutet hat: Der alte Mann muss ins Seniorenheim, denn er „sitzt auf seinem schweren Koffer“ 9. Ihm bleibt nichts anderes zu tun als die leeren Wände anzustarren, während die Stille in seine Ohren kriecht. Die kriechende „Schlange“ Stille („Das Böse“) wird sozusagen nur noch vom Tropfen des Wasserhahns besiegt. Dieses Geräusch scheint

6 Georg Danzer: Abschied für immer. Notausgang. Polydor 1979. 7 Ebd. 8 Vgl. ebd. 9 Ebd. 5 dem alten Mann schon seit langer Zeit vertraut und ist mit ein Grund dafür, weshalb die Wohnung nur „ziemlich leer“ 10 aussieht, es aber eigentlich nicht ist. Die zweite Strophe macht uns mit dem zweiten Protagonisten, dem Sohn, bekannt. Die Situation des alten Mannes wird Zeile für Zeile klarer. Er wartet auf seinen Sohn, der sich explizit für heute freigenommen hat. Wieder wird auf einen besonderen Tag, fast ist man geneigt zu sagen Festtag, verwiesen. Festtag: sowohl im positiven als auch negativen Sinn. Die letzten zwei Zeilen dieser Strophe machen endgültig deutlich, dass es sich um einen Transport ins Altersheim handelt – obwohl dieses oder ein synonym gebrauchtes Wort nie fällt, was die Kritik des Textes noch um einiges verschärft: Das Schönreden der nicht gewollten Einsamkeit beziehungsweise des Verlassen- oder Entwurzeltseins. Der Sohn bringt seinen Vater mit dem neuen Auto – man denkt ironischer Weise sofort an eine Sonntagsfahrt – an den Stadtrand – in „dieses Haus“ 11 , das damit sofort eine negative, ja sogar bedrohliche Konnotation erhält. Nun folgen – die melodiös heiter untermalten – direkten Reden des Sohnes, in denen er seinen Vater von den Vorteilen eines Seniorenheims („Dort“12 ) zu überzeugen versucht – respektive einen Monolog ohne Gegenargumentation seitens des Vaters hält. Dass dieser gar nicht dazu kommt, zeigt sich an der raschen Aufeinanderfolge von

‚Dort ist es schön‘, sagt er. ‚Du wirst schon seh’n‘, sagt er. ‚Dort ist es schön, dort hast du endlich deine Ruh, brauchst dich um nichts zu kümmern und in geheizten Zimmern sitzen lauter alte Leute so wie du‘.13

Wie unsensibel und unangebracht die Wahl seiner Worte ist, davon zeugen Aussagen wie „dort hast du endlich deine Ruh“ 14 . Auch die Verwendung der Phrase „alte Leute so wie du“ statt „alte Menschen“ sind Beweis für die Geringschätzung des Sohnes gegenüber dem Vater. Doch Danzer lässt es dabei nicht bewenden. Mit dem Satz „Dort bist du unter deinesgleichen“ 15 , der nahtlos an „und in geheizten Zimmern sitzen lauter alte Leute so wie

10 Danzer: Abschied für immer. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. 6 du“ 16 anschließt, entlarvt der Sohn selbst unbewusst seine Scheinheiligkeit, die in der Erkenntnis kulminiert:

‚Dort wirst du regelrecht verwöhnt von all den hübschen jungen Schwestern. Ich würd’ am liebsten mit dir tauschen, wenn ich könnt‘.17

Die letzte Strophe – nach wie vor in erbarmungslosem Präsens – beschreibt wieder einen Ist- Zustand und bildet die dramaturgische Klammer zu Strophe eins. Konträr dazu wird nun nicht ein Innenraum, sondern – mit leisem Sarkasmus - ein Park beschrieben, der mit seinen „schönen hohen Bäumen“ 18 nicht mit der leeren Wohnung zu vergleichen ist. Die scheinbare Lebensqualität wird aber gleich wieder in Abrede gestellt, denn die hohen Bäume kann man nur durchs Fenster anschauen. In einem gesellschaftlichen Nirwana – „dort“ 19 – „lässt sich’s gut von früher träumen“20 . Das Einzige, das der Vater von der Natur des Parks oder überhaupt von der Außenwelt mitbekommt, sind die Regentropfen an der Fensterscheibe, die sozusagen als Tür zu seinen Träumen fungiert, denn immer wenn es regnet, „tropft durch seine [des Vaters] Träume dieser alte Wasserhahn.“ 21 Damit wird in fünf Zeilen die ganze Tragik eines Pensionistenheimdaseins auf äußerst subtile und zugleich plastische Weise offengelegt: Einsamkeit, Eingesperrtsein und nur durch Träume ist es möglich sich einen Teil – und sei es nur ein Wasserhahn – der vertrauten Umgebung, der Wohnung von früher, zurückzuholen. Oder anders gesagt: Schon das Tropfen des Regens an die Fensterscheibe genügt, um die Wirklichkeit von früher durch seine (wahrscheinlich immer dementeren) Träume und Phantasien wieder erstehen zu lassen. Diese Wirklichkeit wird er aber nie wieder erleben. Der Abschied von zuhause war ja ein Abschied für immer. Diese etwas ausführlichere Interpretation eines Liedtextes von Georg Danzer sollte – es wären allein von diesem Künstler noch unzählige Beispiele anzuführen – die literarische Qualität von „Austropoppern“ hervorheben. Weniger Subtilität, dafür aber oft eine naive (naiv im weitesten Schiller’schen Sinn) Direktheit von hoher Authentizität, Glaubwürdigkeit und Pointierung zeichnet viele Texte von Wolfgang Ambros aus. Treffender und volksnäher kann man beispielsweise eine liebesbedingte Partnerschaft zwischen zwei Menschen wohl nicht

16 Danzer: Abschied für immer. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Ebd. 7 mehr auf den Punkt bringen als Ambros in seinem Lied „Langsam wochs ma z’amm“ aus dem Jahr 1985, wenn es dort an einer Stelle heißt:

Wir bleibn zaumm solaung ma woin und solaung wir uns wos geem. Und iagendwia glaub i, i gspia es wiad sein füas gaunze Leem.22

Aus der unbestimmbaren, garantielosen Sicherheit heraus („und irgendwia“23 ) glaubt das lyrische Ich zu spüren, dass die Partnerschaft das ganze Leben hält. Wissen kann man so etwas ja nicht und beschreiben schon gar nicht. Der Autor sucht hier weder eine Erklärung für die Liebe, noch möchte er ein Patentrezept für ein möglichst langes Zusammenleben finden 24 , noch weiß er seine Gewissheit, dass es „für’s ganze Leem“25 sein wird zu artikulieren. Lediglich Worte, die Transzendenz vermitteln („Und irgendwia, glaub i, i gspia“26 ), vermögen ansatzweise und dennoch in ihrer Unbeschreiblichkeit treffend und direkt in „volksnaher“ Sprache auszudrücken, was partnerschaftliche Liebe bedeuten kann. Aber schon seine ersten selbstverfassten Texte – zu Beginn seiner Karriere stammen die meisten ja aus der Feder von Joesi Prokopetz – legen Zeugnis von literarisch-pointierten Bildern ab. In dem Song „Wie wird des weitergeh’n“ aus dem Album Hoffnungslos (1977) erfasst Ambros nicht nur die einsame Lebenssituation eines jungen Menschen und trifft damit nicht nur die Ängste einer ganzen Generation, sondern er bannt dieses Gefühl in zeitlos- beklemmende Bilder, die von einer zutiefst resignativen Musik unterstrichen werden:

A junga Mensch sitzt gotteageem und fiacht si vua de Baam vuam Fensta, ea hod si aun de Agonie vakauft. De scheenan Zeitn san vuabei, ea is gelähmt vua Angst, er waaß, ea is alaa und kraunk und kaana hüft eam. Und ea wü fuat, nua fuat Ea wü weg, nix wia weg,

22 Wolfgang Ambros: Langsam wochs‘ ma z’amm. Nummer 13. Amadeo 1985. 23 Ebd. 24 „Wir bleibn zaumm solaung ma woin und solaung wir uns wos geem.“ (Ebd.) 25 Ebd. 26 Ebd. 8

gspiat, dass des wos eanstes is. Ea fiacht si in da Frua vuam aufsteh und ollas, wos a denkn kau is, wie heat des auf, wia wiad des weitageh? 27

Ein junger Mensch, der sich vor den Bäumen vor dem Fenster und dem Aufstehen fürchtet, teilt vielleicht die gleichen Ängste wie der alte Mann, der sich die Bäume im Park nur von innen ansehen kann. Damit zeigt sich die Zeitlosigkeit dieser einprägsamen literarischen Bilder. Zugleich wurden aber nun bereits Themen angesprochen, die auch für die zu untersuchenden Hörspiele zutreffen.

27 Wolfgang Ambros: Wie wird des weitergeh’n. Hoffnungslos. Bellaphon 1977. 9

1.2. Sozialkritischer Austropop

Die eben untersuchten Songs sind Kapitalismuskritiken („Ruaf mi net au“), spiegeln Identitätsprobleme („Wie wird des weitergeh’n“) und handeln von Randexistenzen („Abschied für immer“). Sie widerspiegeln nicht nur die Songinhalte der österreichischen Popularmusik in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern auch die Themen der Hörspiele von Wolfgang Ambros. Inhaltlich mögen diese oberflächlich betrachtet so gut wie nichts miteinander zu tun haben: Fäustling transferiert den klassischen Fauststoff ins Wiener Beamtenmilieu. Der Watzmann ruft ist eine Parodie auf den Heimatkult und Heimatkitsch von den dreißiger bis zu den sechziger Jahren. Schaffnerlos ist eine Milieustudie über die „letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek“, wie der Untertitel lautet, und Augustin erzählt vom gleichnamigen, anarchischen Volkssänger Augustin, der zum gefeierten Popstar wird, ohne seine Freiheit sich und der Gesellschaft gegenüber zu verlieren. Was diese inhaltlich so unterschiedlichen Hörspiele verbindet, ist – und darauf stützen sich These und Zugang dieser Arbeit - ihr sozialkritischer Impetus. Alle vier Hörspiele handeln vom Aufbegehren Unterdrückter, Außenstehender beziehungsweise Randexistenzen der Gesellschaft gegen die Obrigkeit 28 und sind damit Fallbeispiele für die erste Phase des sogenannten Austropop, die vor allem durch Sozial- und Gesellschaftskritik gekennzeichnet war, auch wenn das von so manchem Protagonisten bestritten wird. Peter Müller berichtet über die Produktionsbedingungen von „Da Hofa“. Er sagt, dieses Lied

was simply a drunken story. The point was, Prokopetz somehow had this scurrilous idea for […] the Hofa lying in the gutter, and Ambros had set it to music with unconsious genius and sang his interpretation of it, with this whiny voice, actually a ‘non-voice’, and afterwards people interpreted the song as a political message of all things, as some sort of social criticism! We were all astonished about that. I think the authors were also astounded, since who would admit that it isn’t the case? It was ment as a symbolic story. But I claim that the song came about on a lark, without the background of social critisism attributed to it by later critics …29

Dass „Da Hofa” sehr wohl ein Stück Sozialkritik ist, wie eine spätere Analyse und Interpretation zeigen wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Dieser Song über Lynchjustiz

28 In diesem Kontext wird sich zeigen, dass der Weg zum Volkstheater respektive Volksstücken ein so weiter nicht ist. 29 Edward Larkey: Pungent Sounds. Constructing Identity with Popular Music in Austria. New York, Wien: Peter Lang 1993, S. 37. 10 und Vorurteile ist in seiner zeitlosen textlichen und musikalischen Gestaltung sogar sozial- und gesellschaftskritischer als so mancher zeitbedingt aktuelle Seitenhieb von Ambros. Wer kann sich heute als „Abrüster“ noch wirklich mit der Zeile

Mitn Gwea und min Stuamgepäck liegst an hoibn Tog im Dreck. Weus da ‚Lü’ hoit so wü.30 identifizieren – der ehemalige Verteidigungsminister Lütgendorf wird den heutigen „Abrüstern“ wohl nicht mehr bekannt sein 31 – genauso wenig wie der Öko-Freak Kaspernaze, den Ambros auf seinem Album Gewitter in dem Song „Die Wegwerfgesellschaft und ihre Alternative“ karikiert. Derartige gegenwartsbezogene, kabarettistische Seitenhiebe sind in der österreichischen Popularmusik nichts Ungewöhnliches. Auch in den Hörspielen von Wolfgang Ambros werden sie ausfindig zu machen sein. Die erste Phase des Austropop (cirka 1972 bis 1980) ist eine „rebellische“ Zeit, die die Werte der Mutter- und Vatergeneration(en) – sowohl musikalisch als auch textlich – auf aggressive, meist sehr unmissverständliche (vor allem Ambros), oft satirisch-kabarettistische Art und Weise in Frage stellt. Anhand der Hörspiele und anderer Arbeiten von Wolfgang Ambros soll im Lauf der vorliegenden Dissertation ein kleines Stück Gesellschaftshistorie geschrieben werden, zumal diese Hörspiele die Wiener beziehungsweise österreicherische Bevölkerung auf der einen Seite sehr lebensnah und auf der anderen durchaus satirisch-überspitzt darstellen und widerspiegeln.

1.3. These und Zugang

Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin stehen mit ihrem sozialsatirischem Ansatz, ihrer popularkulturellen Gestaltung und ihrer breiten Wirkung in der Tradition des Wiener Volkstheaters. Das ist eine durchaus beabsichtigte herausfordernde Formulierung, zumal der Volkstheaterbegriff höchst umstritten ist. Wie aber bereits angedeutet, sind auch andere Termini wie Austropop nicht minder anfechtbar und werden in ihrer Fragwürdigkeit noch zu beleuchten sein.

30 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Tagwache. Bellaphon 1973. 31 Hierbei muss allerdings bedacht werden, dass den „Abrüstern“ in Anbetracht der Zeitlosigkeit des restlichen Textes, diese Zeile, wohl herzlich egal ist. 11

Was in jedem Fall abzulehnen ist und auch nicht angestrebt wird, ist eine Art „völkischer“ Beweis, dass das Wiener Volkstheater von Joseph Anton Stranitzky bis Wolfgang Ambros ein einziges Kontinuum darstellt. Das heißt, es soll vermieden werden, zumal dies einen wissenschaftlichen Leerlauf bedeuten würde, in eine Traditionsparanoia zu verfallen, wie das beispielsweise Otto Rommel größtenteils mit seinem Mammutwerk Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys widerfahren ist. Die Gemeinsamkeiten und Traditionslinien aus der Wiener Volkstheatergeschichte mit den Hörspielen von Wolfgang Ambros sind in den Brüchen und in der Anzweiflung des Volkstheaterbegriffes zu suchen. Auch darin liegt eine gewisse Provokation in der Titelgebung dieser Dissertation, dass ausgerechnet vier exemplarische Werke österreichischer Popularmusik aus einer Zeit, die sich in so hohem Maß gegen Gewesenes, Vergangenes und Traditionen wehrte, in einer Tradition stehen. Diese Tradition besteht aber aus allgemeinen Verbindungslinien und Elementen, nicht aus einem säkulumumspannenden Universalkonglomerat. Doch geht man verallgemeinernd betrachtet davon aus, dass das Volksstück „sich in seiner vordergründigen Handlung und sprachlich (Dialekt und Dialektanklänge) in einem lokal abgrenzbaren Rahmen [bewegt]“ 32 , dass die „Handlung [...] vielfach den Gegensatz zwischen Stadtproletariat und einer sozial höher gestellten Gesellschaft, wobei schon die Sprache den sozialen Stand der Figuren charakterisiert [spiegelt]“ 33 und „die Helden (meist Figuren aus dem ‚einfachen Volke’, also Kleinbürger, Handwerker, Bedienstete) für die Zuschauer identifizierbar sind“ 34 , dann stehen die Hörspiele von Ambros, Prokopetz und Tauchen nicht nur in der Tradition des Wiener Volkstheaters, sondern sind – mit Vorbehalt – auch als Volksstücke zu bezeichnen: teilweise in dramaturgischer, aber in erster Linie in thematischer, sprachlicher, musikalischer und gestalterischer Hinsicht.

32 Bartel F. Sinhuber: Theater aus der Vorstadt oder Die Vertreibung der Geister durch den Geist. In: Wiener Volksstücke. München, Wien: Europa Verlag, S. 470. 33 Ebd. 34 Ebd. 12

1.4. Hörspiel - Theater

Hörspiel und Theater sind nicht nur zwei unterschiedliche Medien, sondern auch zwei voneinander zu differenzierende Kommunikationssysteme. Beim Theater „besteht diese Kommunikation aus einem sich wechselseitig bedingenden Spiel- und Zuschauvorgang, aus einem Zusammenwirken von Darstellern, Zuschauern und Raum.“ 35 Es handelt sich dabei um eine gleichwertige Dreiecksbeziehung dieser Elemente. 36 Beim Hörspiel hingegen wäre so ein Modell auf Hörer-Sender zu reduzieren, in dem eine beiderseitige Wechselwirkung ausbleibt. Darüber hinaus fällt die kommunikative Raumkomponente weg. Noch mehr als Theater ist das Hörspiel „ein Spiel mit der Vorstellungskraft“ 37 . Diese wird erreicht, in dem die Sprache und die Umsetzung des Spieles auf die „Blindheit“ des Hörers abgestimmt werden. Deshalb ist die Raumsituation des Hörspielkonsumenten nicht mit der des Theaterrezipienten zu vergleichen. Im Theater hat man eine vierfache Raumerfahrung: Theatraler, szenischer, ortsspezifischer, dramatischer Raum 38 beeinflussen und bestimmen das Theatererlebnis. Beim Hörspiel hingegen kommen „die Stimmen [...] aus einem unbestimmbaren Raum, den der Hörer in seiner Phantasie selbst mit Leben füllen muß. Er wird deshalb viel stärker hineingenommen, er befindet sich mitten darin, ja, der Raum entsteht in ihm.“ 39 Dass es nun dennoch zulässig ist eine Dissertation über Hörspiele zu verfassen und dabei die zu analysierenden Hörspiele als Volkstheaterstücke anzusehen respektive sie in einen theatralen Konext zu stellen, ist damit zu begründen, dass Fäustling ursprünglich ein Bühnenprodukt war und nachträglich auf Platte herausgebracht wurde und dass sich Der Watzmann ruft zu einem Bühnenkultstück entwickelt hat, das selbst zu seinem dreißigjährigen Jubiläum noch wahre Begeisterungsstürme auslöste. Des Weiteren ist zu beachten, dass ja eben keine ungebrochene Verbindungslinie von Stranitzky über Philipp Hafner zu Raimund und Nestroy und darüber hinaus gezogen wird, sondern dass, wie zu zeigen sein wird, einzelne Versatzstücke aus der Volkstheatertradition in den Hörspielen von Wolfgang Ambros weiter wirken. Volkstheater und vor allem volkstheatrale Literatur werden in erster Linie als sozialsatirische Gattung gesehen, das heißt – ein Hauptaugenmerk wird darauf gelegt wie der Einzelne in der Gesellschaft gezeichnet ist.

35 Christopher Balme: Einführung in die Theaterwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1999, S. 114. 36 Vgl. ebd. 37 Wellershoff zit. n.: Robert Hippe: Das Hörspiel. Hollfeld: C. Bange Verlag 1981, S. 15. 38 Vgl. Balme: Theaterwissenschaft, S. 136. 39 Hippe: Das Hörspiel, S. 21. 13

Die Helden der Ambros-Hörspiele sind allesamt in ein soziales Gefüge gepresst, dem sich anzupassen sie negieren oder dem sie entfliehen wollen.

1.5. Zielsetzung

Die Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M. O. Tauchen als popularkulturelle Sozialsatiren in der Tradition des Wiener Volkstheaters einer eingehenden Analyse zu unterziehen, ist – auch wenn es sich „nur“ um vier Werke handelt – eine umfangreiche Aufgabe. Wie komplex die zu behandelnde Thematik ist, konnte ja bereits angedeutet werden. Das Ziel dieser Dissertation ist es, detailreiche Analysen von Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffernlos und Augustin vorzunehmen, um in weiterer Folge ihren sozialsatirischen und gesellschaftskritischen Impetus zu interpretieren. Um zu brauchbaren Resultaten zu gelangen, ist es daher nötig, sich durch viele Themenfelder zu bewegen. Aufbauend auf Kenntnis grundlegender Literatur zu Hörspiel, österreichischer Politik-, Sozial-, Gesellschafts-, und Literaturgeschichte, Pop, Popularkultur, Austropop, Volksstück und Volkstheater, Texten von Joseph Anton Stranitzky über Nestroy, Anzengruber, Horváth zu H.C. Artmann und der Wiener Gruppe, Ernst Jandl, Peter Turrini et cetera soll den diversen Forschungsfragen nachgegangen werden. Es wird zu prüfen sein, in wie weit überhaupt gängige Hörspieldefinitionen 40 auf die Alben Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin , die die vorrangige Forschungsgrundlage sind, anwendbar sind. Geht man in weiterer Folge davon aus, dass Wolfgang Ambros nach der These von Johannes Moser als Volksliedermacher – vielleicht auch als Volkssänger – anzusehen ist, wird sich zeigen, in welchem Ausmaß seine Hörspiele in die beziehungsweise eine Tradition des Wiener Volks- respektive Lokaltheaters zu stellen sind. Wie sind diese Hörspiele inhaltlich, thematisch und dramaturgisch gebaut und auf welche Art und Weise wird darin Sozialsatire betrieben beziehungsweise, wie werden die Aufbegehrenden, Außenseiter, Randexistenzen dargestellt? Ein wichtiges Augenmerk soll bei diesen Fragestellungen darauf gelegt werden, wie die akustischen Mittel des Hörspiels eingesetzt werden um die erzählten Geschichten zu vermitteln.

40 Die neuesten Arbeiten wie Erzähl-Ströme im Hörspiel. Zur Narratologie der elektroakustischen Kunst von Elke Huwiler wurden so gut wie möglich noch gesichtet, brachten aber im Wesentlichen für diese Arbeit keine neuen Erkenntnisse als die hier zitierten Werke. Das gilt auch für Georg Friesenbichlers gesellschaftspolitisches Werk Unsere wilden Jahre. Die Siebziger in Österreich . 14

Um einen größeren popularkulturgeschichtlichen Kontext zu erarbeiten, wird zu prüfen sein, welche Position und welchen Stellenwert die Hörspiele von Wolfgang Ambros nicht nur in seinem Gesamtoeuvre bis in die Gegenwart, sondern auch im Rahmen des Austropop respektive der österreichischen Popularmusik einnehmen. Dabei soll eine chronologische Werkschau von Wolfgang Ambros vermieden, allerdings nicht auf Querverweise zu seinem Schaffen verzichtet werden. Ebenso wie eine sich ins Detail verlierende Werkschau findet eine derartige Biographie von Wolfgang Ambros und seiner Mitautoren in dieser Arbeit keinen Raum, zumal der Verfasser die Ansicht vertritt, dass primär die Produkte eines Künstlers sprechen und zur Diskussion anregen sollen. Es ist ihm aber auch klar, dass dies gerade bei Wolfgang Ambros Probleme ergibt, da er, wie er selbst immer wieder betont, nur aus sich schöpft und viele seiner Texte – vor allem in der zweiten Schaffensphase ab ungefähr 1980 – autobiographische Selbstdarstellung nicht verhehlen. Per exemplum nimmt Ambros in dem Song „Des Sängers Flucht“ auf der erfolgreichen, aber mitunter harsch kritisierten LP Der Sinn des Lebens (1984) Stellung zu Stimmen, die ihm Verlust von Schärfe und Kritik vorwarfen. Er spricht nicht mehr vom „Wolfgang“, sondern nennt sich selbst nicht ohne Ironie „der Ambros“:

Maunchmoi, i gibs zua maunchmoi, hob i‘s nimma so im Griff. Wo is dar oide Ambros, wo is ea nua? So wüd und so wif? 41

Gerade solche Textpassagen jedoch sind sich öffnende Tore zur Biographie von Ambros, die mit aller nötigen Objektivität im Rahmen dieser Arbeit nur insoweit eingebracht werden soll, in wie weit sie von Nutzen für Forschungsergebnisse ist. Biographische Anmerkungen sollen daher in erster Linie aus den Liedern von Ambros und Interviews bezogen werden. Vor allem auch deshalb, weil in Bezug zu den vier Hörspielen Ambros die Leitfigur und der Kaufanreiz war und nach wie vor ist. So manches biographische Detail ist auch wichtig, um aufbauend auf Johannes Mosers Untersuchungen das Image von Wolfgang Ambros als „einer von uns“ - sprich als Volkssänger - hinsichtlich einer volkstheatralen Verbindungslinie zu betrachten: Ambros als einen, der „die Dinge nicht vom Sockel der Weisen, sondern aus der Perspektive des Betroffenen“ 42 sieht und ein großes Identifikationspotential für sein Publikum bietet:

41 Wolfgang Ambros: Des Sängers Flucht. Der Sinn des Lebens. Amadeo 1984. 42 Lutz G. Wetzel zit. n.: Johannes Moser: Der ‚Volksliedermacher‘ Wolfgang Ambros. Eine Untersuchung über Möglichkeiten zur Erweiterung des Volksliedbegriffes. Diplomarbeit. Bonn: Holos Verlag 1988, S. 71. 15

„Mein Image, wenn man so will, hat sich einzig und allein daraus ergeben, daß ich im Dialekt g’sungen hab’, und das über ‚volksnahe’ Themen.“ 43 Gerade aus diesem Grund hält es der Verfasser auch für eine unabdingbare Notwendigkeit möglichst viele Songzitate, Interviewpassagen und Statements einzuflechten, um ein lebendiges Bild von der Arbeit dieses Künstlers zu zeichnen und darüber hinaus ein anschauliches, plastisches Stück österreichischer Popularkultur aufzurollen. Der Gefahr dabei von der direkten, launigen Heiterkeit der Hörspiele angesteckt zu werden und sich in Zeilen á la

Ich habe mich verlaufen in einem Düngerhaufen.44 tatsächlich zu verlaufen, soll natürlich durch größtmögliche analytische Objektivität entgegen gewirkt werden.

1.6. Aufbau

Das Fundament, auf das eine ausführliche Diskussion der Ambros’schen Hörspiele aufbaut, ist ein Einblick in die erste Phase des Austropop von cirka 1972 bis etwa 1980, eine Zeitspanne, die durch Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin umrahmt ist. Um ein möglichst plastisches Bild dieser Zeit zu geben, wird anhand einer detailierten Analyse und Interpretation von Wolfgang Ambros’ erster LP Alles andere zählt net mehr … und einiger Nachfolgealben und Songs anderer Künstler ein kulturell-gesellschaftspolitisches Panorama entworfen, welches für das Verständnis der Hörspiele von Wolfgang Ambros unbedingt nötig ist. Des Weiteren soll in diesem Kapitel die Brücke zum Volkstheater geschlagen werden. Dabei wird in erster Linie die – bereits schon mehrfach erwähnte - Untersuchung von Johannes Moser im Mittelpunkt der Debatte stehen. Ausgehend davon werden im zweiten Teil die Hörspiele von Ambros einer fundamentalen Analyse und Interpretation unterzogen, wobei das Hauptaugenmerk auf Text, Inhalt und Charakter der Protagonisten und ihre gesellschaftlich-sozialen Positionen gelegt wird. Der musikalische Aspekt soll – so weit es dem Verfasser möglich ist – natürlich mit einbezogen werden. In diesem Kontext verweist er jedoch auf Heide Pfeilers – schon zitierte –

43 Wolfgang Ambros: Worte Bilder Dokumente. Wien, Berlin: Medusa 1984, S. 47. 44 Ambros u. Prokopetz: Hollaröhdulliöh. 16

Dissertation über die Entstehungsbedingungen des Austropop, da sie das musikologische Basis- und Fachwissen besitzt. In einem kurzen Resümee und Ausblick werden die erarbeiteten Thesen und Fragestellungen noch einmal kurz zusammengefasst und bekräftigt. Erklärtes Ziel dieser Dissertation ist es, nicht nur ein Kapitel österreichischer Popularmusik aufzuarbeiten, sondern auch den Hörspielen von Wolfgang Ambros durch ihre Verbindung zum Wiener Volks- beziehungsweise Lokaltheater den ihnen gebührenden Platz in der österreichischen Hörspiel- und Literaturgeschichte zuzuweisen respektive zur Diskussion zu stellen, denn, wie sagte Alfred Döblin: „beides, mündlich zu sprechen oder sprechen zu lassen und sich auf den lebenden, einfachen Menschen der Straße und des Landes einzustellen: diese beiden literaturfremden, funkformalen Ansprüche sind auch literarisch gute Ansprüche.“ 45

45 Alfred Döblin zit. n.: Hilde Haider-Pregler: Zur Entwicklung des österreichischen Hörspiels nach 1945. In: Kindlers Literaturgeschichte. Hrsg. v. Hilde Spiel. Frankfurt am Main: Fischer 1980, S. 507. 17

2. Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos , Augustin : Konzeptalben oder Hörspiele?

2.1. Definitionsmoloch

Der eingangs zitierte Satz „Was, der Ambros hat Hörspiele geschrieben?“ wirft die Frage auf, ob es sich bei den Werken Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin auch tatsächlich um Hörspiele handelt. Bevor wir uns allerdings einer Beantwortung annähern, sei noch einmal darauf verwiesen, dass die Grundlage für die vorliegende Arbeit die Schallplattenversionen der jeweiligen Werke sind. Für eine Diskussion der Frage, in weit diese Alben als Hörspiele zu definieren sind, muss außer Acht gelassen werden, dass Fäustling zuerst den Weg auf die Wiener-Festwochen-Bühne fand und dass auch Der Watzmann ruft in seiner Urgestalt im Club Atlantis vorgestellt wurde. „Was, der Ambros hat Hörspiele geschrieben?“ impliziert darüber hinaus ein Rezeptionsproblem. Wie diese Platten gattungsdefinitorisch vom Publikum aufgenommen wurden, brächte zwar mehr Lebendigkeit in die Diskussion, würde aus wissenschaftlicher Sicht allerdings zu noch mehr Konfusionen führen als ohnehin schon vorhanden sind. Denn die Sekundärliteratur ist sich überhaupt nicht darüber einig, wie man Fäustling und Konsorten definieren soll. Wie in der Einleitung bereits angedeutet und im Voranschreiten dieser Arbeit noch klarer zu Tage tretend, befindet sich der Verfasser bereits mit der thematischen Fragestellung in einem Moloch der Definitionen, in den er schon mit der kapiteltiteltragenden Überschrift zu stürzen droht, wobei er die dräuende Gefahr zwar mit dem nötigen wissenschaftlichen Respekt sieht, jedoch in keiner Weise ihr verfallen möchte, um nicht wie manche seiner VorgängerInnen tatsächlich in diesem von ihnen selbstverschuldeten Moloch zu versinken. Denn das Problem der gattungsspezifischen Definition, vor dem man als Analytiker und Interpret steht, ist ein von der Sekundärliteratur selbstgemachtes. Immer wenn die Rede auf Fäustling und seine Nachfolger kommt, scheint die Wissenschaft was eine einheitliche Definition betrifft zu versagen. Ob in Anbetracht der Tatsache, dass zum Beispiel Der Watzmann ruft „die Geschichte unserer eing’rauchten Nächte ab 1972“ 46 ist, eine nähere gattungsterminologische Auseinandersetzung überhaupt sinnvoll erscheint, wäre eine mögliche Erklärung für die unfundierten sekundärliterarischen Begriffszuweisungen. Zu Der Watzmann ruft meint Wolfgang Ambros selbst:

Wir haben ein Jahr lang so g’redt (‚Wie schallt’s von der Höh? Hollorödulliöö!’), sind dann sogar Bergsteigen `gangen und sind total auf den Karl-Heinrich Waggerl und den

46 Ambros: Worte, S. 33. 18

Louis Trenker abg’fahren. Wir haben an echten Huscher g’habt. ‚Der Watzmann ruft’ ... das ist eigentlich von einem winzigen Kern ausgegangen, von einem Hund namens ‚Watzmann’, und dieses Ur-Gerippe hat sich weiterentwickelt zur Plattenversion, zur Bühnenfassung [...]. 47

Wenn man solche Entstehungsgeschichten vernimmt, stellt sich natürlich die Frage, in wie weit eine wissenschaftliche Auseinandersetzung überhaupt möglich ist. Deshalb ist es auch eine unabdingliche Notwendigkeit ein gattungsdefinitorisches Fundament zu bilden und endlich Klarheit in diesen Teil des Definitionsmolochs zu bringen. Ambros selbst macht es uns da nicht leichter, wenn er von Der Watzmann ruft als eine „Kombination, die’s nirgendwo sonst gibt“ 48 , spricht. Auf den ersten Blick noch nebulöser sind seine weiteren diesbezüglichen Ausführungen. Er nennt den W atzmann ein „ganz ein eigenes Format. Man kann ja net amoi sogn a Musical, sondern es is a Musiktheater oder ein Theaterstück mit erklärendem Bänkelgesang oder wos auch immer. Auf jeden Foi ka richtigs Musical. Es gibt nix Vergleichbares. Und i denk, des hod natürlich a sein Grund.“ 49 Worin jedoch dieser Grund besteht, darüber lässt uns Ambros im Unklaren. Abgesehen davon, dass Ambros sich hier auf die Bühnenversion bezieht, manifestiert er zwei entscheidende Punkte, die auch für das Album gelten: Erstens: Der Watzmann ruft ist nicht als Musical zu bezeichnen und zweitens: Es gibt nichts Vergleichbares. Und genau das scheint den wissenschaftlich Arbeitenden, nach Definitionen suchenden Menschen, große Schwierigkeiten zu bereiten. Es firmieren die unterschiedlichsten Gattungszuweisungen: So nennt Larkey Der Watzmann ruft ein „musical“ 50 , Werner bezeichnet diese Platte als „Concept Album“ 51 . Er versteht darunter die inhaltliche und musikalische Kontextualität der Songs auf einer LP 52 und kommt nicht nur zu dem Schluss, dass dadurch „musikalisch sehr viel differenziertere Formen gesetzt und komplexere Aussagen erreicht werden [konnten]“ 53 , sondern auch zu einer nicht näher begründeten Aufzählung von derartigen Werken:

Ein herausragendes Beispiel dafür [Concept Album] und vielleicht das wichtigste Album der Dekade überhaupt ist The Dark Side of the Moon (1973). Es steht zwischen anderen Concept Alben wie The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders From Mars (1972) von David Bowie, The Lamb Lies Down on Broadway (1974) von Genesis, Der Watzmann ruft (1974) von Wolfgang Ambros oder auch Captain

47 Ambros: Worte, S. 33. 48 Schmidbauer: Gipfeltreffen. 49 Ebd. 50 Larkey: Pungent Sounds, S. 157. 51 Werner Faulstich: Zwischen Glitter und Punk – die Ausdifferenzierung der Rockmusik. In: Ders. (Hrsg.): Die Kultur der siebziger Jahre. München: Fink 2004, S. 135. 52 Ebd. 53 Ebd. 19

Fantastic and the Brown Dirt Cowboy (1975) von Elton John bis hin zu The Wall (1980), erneut von Pink Floyd (um nur einige Beispiele ganz unterschiedlicher Art und Qualität zu nennen.) 54

Faulstich bringt hier Werke zusammen, die schlicht und einfach nicht in einer Reihe zu nennen sind: Der Watzmann ruft neben The Wall lediglich mit dem Zusatz – es handelt sich hier um Exempel verschiedener Art und Qualität - zu stellen, zeugt von einem pseuodwissenschaftlichen Mix aus unfundierter definitorischer Herangehensweise und Unkenntnis der zitierten Alben. Gegen den immer wieder firmierenden Terminus Konzeptalbum in Zusammenhang mit Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin lässt sich insofern nichts einwenden, als dieser Begriff ein Album bezeichnet, bei dem „alle Musikstücke durch einen inhaltlichen oder formalen ‚roten Faden’ miteinander verbunden sind“ 55 , greift jedoch, wie sich noch zeigen wird, zu kurz, vor allem wenn derartige Definitionen unbegründet Verwendung finden. Das gilt natürlich genauso für den Begriff Hörspiel. Christiane Juhasz tituliert Der Watzmann ruft und Schaffnerlos in einem Atemzug als Konzeptalben und nennt Augustin „eine Art Pop-Hörspiel“ 56 . Auch Günter Brödl verwendet ohne nähere Erläuterung den Terminus „Pop-Hörspiel“ 57 in Bezug auf Augustin . Was allerdings unter „eine(r) Art Pop- Hörspiel“ 58 zu verstehen ist, bleibt verborgen - eine derartige wissenschaftliche Unsachlichkeit übertrifft noch Ambros’ eigene verschwommene Erklärungsversuche. Endgültig ins Geisterreich der Definitionen allerdings gleitet Heide Pfeiler ab. Sie spricht im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Werken von „Popmusicals“ 59 und „Konzeptplatten“ 60 , verlässt in weiterer Folge jedoch den Pfad wissenschaftlicher Deskription, wenn sie Der Watzmann ruft als „Rustical“ 61 bezeichnet, was in erster Linie nicht unberechtigt ist, wie sich herauskristallisieren wird, Fäustling als „eine Art Dialektmusical“ 62 , Schaffnerlos „eine Art Hörspiel“ 63 und Augustin als „ein Hörspiel“ 64 .

54 Faulstich: Glitter, S. 135. 55 Manfred Bonson, Siegfried Borris u.a.: Lexikon Pop. Ein Sachwort-ABC der Unterhaltungsmusik von Operette und Schlager bis Folk, Jazz und Rock. Wiesbaden: Breitkopf und Härtel 1977, S. 87. 56 Christiane Juhasz: Politisches Engagement und Sozialkritik in der Popularmusik. Zur Musik Kritischer Lieder in Österreich nach 1968. Dissertation. Wien 1990, S. 401. 57 Ambros: Worte, S. 36. 58 Juhasz: Politisches Engagement, S. 401. 59 Pfeiler: Austropop, S. 67. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Ebd. 64 Ebd. 20

Weshalb es sich hier einmal um „eine Art Hörspiel“ 65 und einmal tatsächlich um „ein Hörspiel“ 66 handelt, entzieht sich auch nach mehrmaliger Lektüre der zitierten Passage der Erkenntnis des Verfassers der vorliegenden Arbeit. An Schwammigkeit steht Thomas Rothschild Heide Pfeiler in nichts nach, wenn er essayistisch überpointiert Schaffnerlos sowohl „Dialekt-Rockoper“ 67 als auch „Musical“ 68 nennt. Etwas geschliffener formuliert und für die Forschung durchaus verwendbar ist Rothschilds folgende Feststellung: „Seine [Ambros’] eigentliche Spezialität aber sind drei Konzeptalben, die im Gegensatz zu vielen, die sich so nennen, diesen Namen tatsächlich verdienen. Es handelt sich praktisch um Hörspiele mit Musikeinlagen.“ 69 Auch wenn hier eigentlich nur schwadroniert wird, lässt sich vorerst festhalten, dass Wolfgang Ambros Alben Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin durchaus als Konzeptalben zu betrachten sind, wenn man davon ausgeht, dass es sich um durchgängige Geschichten, die mit Musik und Gesang erzählt werden, handelt. Darüber hinaus wird in diesen Alben aber auch mit erzählenden und dialogischen Passagen gearbeitet. Und zwar in hohem Maße - was diese Werke über Konzeptalben, in denen ja vor allem die (beinahe) durchgängige Musikalität zählt - heraus hebt. Hieraus ist ohne Zweifel zu erkennen, dass der Terminus Konzeptalbum zu kurz greift, was sich auch an den Gattungszuweisungen der Autoren zeigt. Fäustling erhielt die Gattungszuweisung „Spiel in G“70 , wahrscheinlich noch in Bezug auf die ursprüngliche Bühnenfassung. Der Watzmann ruft oder Watzmann , wie dieses Werk mittlerweile genannt wird, heißt im vollen Titel: Der Watzmann ruft. Der Berg und der Mensch – Ein ewiger Kampf. Ein Rustikal in 8 Hörbildern von M. O. Tauchen. Schaffnerlos ist mit Die letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek untertitelt, Augustin mit Die Geschichte des Wiener Volkssängers Augustin und seiner Freunde . Erzählt, gespielt und gesungen von Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Josef Prokopetz und Eine Geschichte aus Wien von Manfred Tauchen . Diese Werke, Mischungen aus Szenen und Liedern, wirken vorerst sehr undramaturgisch. Teilweise erfüllt sich diese scheinbare „Nicht-Dramaturgie“ auch, aber nur insofern, als es sich um lose Einzelszenen mit eingestreuten Liedern handelt, die jedoch sehr wohl in einem größeren dramaturgischen Zusammenhang stehen beziehungsweise einem Handlungsfaden dienlich sind oder zumindest wie Verästelungen aus letzterem herausragen.

65 Pfeiler: Austropop, S. 67. 66 Ebd. 67 Thomas Rothschild: Liedermacher. 23 Porträts. Frankfurt am Main: Fischer 1980, S. 17. 68 Ebd. 69 Ebd., S. 17. 70 [Keine Verfasserangabe.] Klappentext. Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Fäustling. Atom 1973. 21

Ist Fäustling das Schallplattenrelikt eines für die Bühne konzipierten und auch tatsächlich aufgeführten „Musiktheaterstücks“ 71 mit Monologen, Dialogen und Liedeinlagen, so kommt bei Der Watzmann ruft und Augustin noch die epische Ebene des Erzählers hinzu. Schaffnerlos ist in erster Linie der innere Monolog des Schaffners Fritz Knottek, geht aber weit darüber hinaus. Der innere Monolog geht immer wieder in Gesprächssituationen und Dialoge mit anderen Personen über. Eine besondere Funktion haben die einzelnen Lieder. Sie sind einerseits Rollenlieder, andererseits Kommentar oder erzählendes Element. Wir haben es bei Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin also um ein vielschichtiges, dramaturgisches Ineinander von dramatischen, lyrischen und epischen Elementen zu tun. Obwohl das Hauptaugenmerk auf den Liedern liegt, die allesamt von Wolfgang Ambros intoniert werden, würde das Konzept der Platten ohne Dialoge und Erzählpassagen nicht funktionieren. Die Monologe und Dialoge sind die Träger der Handlung - auch bei der „Art Pop-Musical“ 72 Fäustling , dem musikalischen Fragment, das keinen Anspruch auf intellektuelle oder dramatische Perfektion hat. 73 Die zum Teil sehr elaborierten Dialogszenen in Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin bilden in ihrer kabarettistischen Intensität und manchmal auch Ausuferung gleichwertige Gegenwichte zu den Liedern von Wolfgang Ambros. Ambros beispielsweise hat als Augustin nur sehr wenig Text. Seine Aufgabe ist das Vortragen der Songs. Hingegen übernimmt das Team Tauchen und Prokopetz alle anderen Rollen, um so ihr hörspielerisches Talent unter Beweis zu stellen. Aus dieser Fülle an Rollen - von jeweils einem Menschen dargestellt respektive hörbar gemacht - stehen die Gesprächspassagen in einem 50:50- Verhältnis zu den Liedern von Wolfgang Ambros. Von Konzeptalben im musikalischen Sinn kann also nicht mehr gesprochen werden. Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin gehen über diesen Begriff hinaus. Es handelt sich, geht man von den Schallplattenversionen als Untersuchungsgegenstand aus, um Hörspiele. Als solche sind sie auch in der Diskographie auf Wolfgang Ambros’ Homepage angeführt. 74 Doch in wie weit lassen sich diese Hörspiele tatsächlich im wissenschaftlichen Diskurs als solche definieren?

71 Wolfgang Zink (Hrsg.): Austro-Rock-Lexikon. 20 Jahre Austro-Rock von A-Z. Neufeld: Zink 1989, S. 3. 72 Ulrich Baumgartner: Wolfgang Ambros als Teufel? [Klappentext.] Fäustling. 73 Vgl. J.-Hausner-Kommentar. [Klappentext.] Fäustling. 74 Vgl. www.wolfgangambros.at , 14. 4. 2009, 08:45. 22

2.2. Mehr als Konzeptalben

Alle in dieser Arbeit übernommenen oder in Frage gestellten Gattungsbestimmungsvorschläge sollen eine Folie und Arbeitsgrundlage für die vorliegende Untersuchung darstellen. Deshalb soll nun an dieser Stelle keine fundamentale elementare Diskussion über den Begriff Hörspiel stattfinden, sondern einige Definitionen aus der wissenschaftlichen Literatur herangezogen werden, um sie in Kontext mit den Konzeptalben/Hörspielen von Wolfgang Ambros auf ihre Gültigkeit hin zu analysieren. Das erste Problem für uns besteht bereits darin, dass viele Definitionen des Hörspiels diese Gattung ausschließlich auf den Rundfunk beziehen. 75 Wir haben es aber mit Werken zu tun, die sich in erster Linie an ein Publikum richten, das sich Schallplatten beziehungsweise Musikkassetten oder CDs kauft. Doch der Begriff des Hörspiels ist ohne Wenn und Aber nicht vom Rundfunk abhängig, denn

das nur vom Rundfunk gesendete Spiel [...] [bliebe] da textlich aufgezeichnet und mithin auch lesbar, selbst ungesendet ein Hörspiel; auf Tonband oder auf Platte könne es auch außerhalb des Mediums Rundfunk, das freilich die größten Produktions- und Sendeanlagen besitze, realisiert, das heißt aufgenommen und hörbar gemacht werden. 76

Die Alben Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin sind, lässt man Bühnenvor- oder Nachläufer und auszugsweise Sendungen auf Ö1 außer Acht, für den Musikmarkt und Tonträgerkonsumenten konzipiert. Doch das macht natürlich ein Hörspiel noch nicht zu einem Hörspiel. Es ließen sich nun unzählige Gattungsdefinitionen von Hörspiel anführen, die allesamt entweder zu kurz greifen oder zu der Erkenntnis gelangen, Hörspiel ist alles. Um sich in diesem weiten Feld nicht zu verlieren, sei nun ein Begriffsbestimmungsversuch von Otto F. Best zitiert, der die Bandbreite der Definitionsprobleme umfasst, uns aber auch ein wenig näher zu Ambros, Tauchen und Prokopetz führt.

Hörpsiel [...]: (hören + spielen = dramat. Werk) mit Erfindung und Entwicklung des Rundfunks entstandene dramat. Literaturgattung, die völlig auf akustischen Effekten

75 Vgl. Armin P. Frank: Das Hörspiel. Vergleichende Beschreibung und Analyse einer neuen Kunstform durchgeführt an amerikanischen, deutschen, englischen und französischen Texten. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1963, S. 93. 76 Otto Stein: Einführung. In: Dichtung aus Österreich. Hrsg. v. Elisabeth Schmitz-Mayr-Harting. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1977, S. 17. 23

(Wort, Geräusch, Musik) beruht; es verlangt strengste Konzentration der Vordergrundhandlung, bietet aber durch seine akustisch-technischen Mittel fast unbegrenzte Möglichkeiten in der Ausfächerung des Szenischen zur spiegelnden Erschließung tieferer Seelenschichten ... 77

Schon die Behauptung, dass es sich um eine dramatische Literaturgattung handelt, ist zu kurzsichtig, denkt man an die Funkerzählung und das Feature. Dass das Hörspiel nicht nur auf das Wort beschränkt bleibt, sondern Geräusch und Musik gleichwertige Determinanten sind, beweisen auch die Hörspiele von Ambros, Prokopetz und Tauchen. Hier stehen Wort und Musik im Zentrum, es wird aber auch mit diversen Geräuschen gearbeitet. Wie mannigfaltig die Ausprägungen der einzelnen Hörspielkomponenten im Allgemeinen sein können, zeigt sich an diversen O-Ton-Hörspielen oder „dem nur hörbaren Schallspiel “78 , des Geräusch- und Nur-Wort-Hörspiels. 79 Vom dramaturgischen Standpunkt her unterscheidet man zwischen dramatischem, epischem und lyrischem Hörspiel. Herrschen beim epischen Hörspiel eine episodische Szenenfolge beziehungsweise weitreichende, erzählende Überbrückungen dazwischen vor, so ist das dramatische Hörspiel auf größere Auseinandersetzungsszenen und stringenteren Ablauf hin konzipiert, während das lyrische Hörspiel die Wirklichkeit der Handlung in die Figur – oft in Form eines inneren Monologs – verlagert. 80 Dass natürlich einzelne Werke oft als Determinanten verschiedenartiger Möglichkeiten angesehen werden könnten, steht außer Frage. 81 Gerade die Werke von Ambros, Tauchen und Prokopetz bilden ein komplexes Konglomerat aus dramatischen, epischen und lyrischen Elementen. So haben beispielsweise bei Der Watzmann ruft die von Wolfgang Ambros gesungenen Lieder, wie es scheint, einmal so gut wie keinen Bezug zur Handlung („Hollaröhdulliöh“), dann wieder eine deskriptive („Der Berg“) oder einführende, vorstellende Funktion („Die Gailtalerin“), andererseits werden sie aus der Sicht der Charaktere gesungen ohne dabei die Stimme zu verstellen („Aufi, Aufi!“ aus der Sicht des Buben; „Er fallt“ aus Position des Vaters). Zwischen den Dialogen gibt es immer wieder epische, erzählende Passagen, die mitunter auch lyrische Elemente enthalten. Schaffnerlos ist, wie schon gesagt, ein innerer Monolog, der immer wieder in Dialoge übergeht oder Lieder, die auf verschiedenen Ebenen - ähnlich den Songs aus Der Watzmann ruft , arbeiten. Das trifft auf die Definition von Otto F. Best zu, der dem Hörspiel ja „unbegrenzte Möglichkeiten in der Ausfächerung des Szenischen zur spiegelnden

77 Otto F. Best zit. n.: Hippe: Das Hörspiel, S. 5. 78 Stein: Einführung, S. 28. 79 Vgl. ebd., S. 35. 80 Vgl. Hippe: Das Hörspiel, S. 12. 81 Vgl. ebd., S. 11. 24

Erschließung tieferer Seelenschichten“ 82 zuspricht; wie eng seine Definition dennoch blickt, lässt sich aus seiner Formel „hören + spielen = dramat. Werk“ 83 ableiten. Das mag zwar oberflächlich betrachtet seine Richtigkeit haben, doch kann beispielsweise allein durch den besonders intensiven und authentischen Vortrag einer (gefälschten) Nachrichtenmeldung die Situation eines (monologischen) Hör-Spieles eintreten. Hier würde es sich also grundsätzlich um kein dramatisches Werk handeln, aber der Text durch den gespielten, an den Hörer gerichteten Vortrag praktisch den Charakter eines Hörspiels bekommen, was zu der scheinbar lapidaren Erkenntnis führt, dass ein „ Hör-Spiel ein Spiel auf der nur akustischen Ebene“ 84 ist, was im Grunde auch zu kurz greift, wenn man Ernst Jandl zu Wort kommen lässt. Er sieht das Hörspiel vor allem aus dem Blickwinkel des Sprachspielers und Sprechdichters.

Das Hörspiel arbeitet mit Sprache, Geräusch und Musik. Die Sprache dominiert. Sie tritt als Stimme auf. Die Stimme kann künstlich (maschinell) verändert werden; sie kann mit elektronischen Apparaten auf einfachere und kompliziertere Weise verfremdet werden und, im Extrem, bloß Geräusch, oder bloß Klang, werden. 85

Dankbarer Weise erweitert Jandl aber sein Verständnis von Hörspiel. In Anbetracht seines Lautgedichtes schtzngrmm 86 , meint er: „Wenn man will, dann ist dieses Gedicht einfach ein

82 Hippe: Das Hörspiel, S. 12. 83 Ebd. 84 Stein: Einführung, S. 17. 85 Ernst Jandl: Ein Diskussionsbeitrag zum Hörspielseminar, 22.-24. November 66 (10./11. 12. 66). In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 3. Stücke und Prosa. Darmstadt: Luchterhand 1985, S. 149. 86 „Schtzngrmm schtzngrmm t-t-t-t t-t-t-t s------c------h tzngrmm tzngrmm tzngrmm grrmmmmm schtzn schtzn t-t-t-t t-t-t-t schtzngrmm schtzngrmm tsssssssssssssss grrt grrrrrt grrrrrrrrrt scht scht t-t-t-t-t-t-t-t-t-t scht tzngrmm 25 noch kürzeres Hörspiel, und [das Hörspiel ] ‚Fünf Mann Menschen’ einfach eine Reihe von Sprechgedichten.“ 87 Eine solche Sichtweise trifft auch auf Gedichte wie restaurant 88 , im reich der toten 89 und viele andere zu, denn „was sich ‚Text’ nennt, deklariert sich nicht als Nicht- Hörspiel und lädt somit zu seiner Entdeckung als Hörspiel ebenso ein wie zu seiner Entdeckung zu anderen Arten der Verwendung.“ 90 Die Offenheit des Begriffes Hörspiel haben auch andere erkannt:

Ein Hörspiel muß nicht unbedingt ein Hörspiel sein, d.h. es muß nicht den Vorstellungen entsprechen, die ein Hörspielhörer von einem Hörspiel hat. Ein Hörspiel kann ein Beispiel dafür sein, dass ein Hörspiel nicht mehr das ist, was lange ein Hörspiel genannt wurde. Deshalb ist ein Hörspieltext nicht unbedingt ein Hörspieltext. 91

Und umgekehrt ein Nicht-Hörspieltext ein Nicht-Hörspieltext. Daraus lässt sich schließen, dass das Hörspiel eine offene Form und grenzenlos ist. 92

Autoren, Dramaturgen und Regisseure(n) [...] sollten sich stets bewußt sein, daß sie machen können, was sie wollen, daß es für das, was sie ausprobieren wollen, keine Grenzen gibt und daß auch die Pole [...] nur darauf warten, überschritten zu werden. (...) Alles ist möglich. Alles ist erlaubt. Das gilt auch für das Hörspiel. 93

Mit dieser Erkenntnis ist die notwendige Grundlage gewonnen um sich mit Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin aus Sicht der Hörspielforschung auseinander zu setzen.

tzngrmm t-t-t-t-t-t-t-t-t-t scht scht scht scht scht grrrrrrrrrrrrrrrrrrr t-tt“ (Ernst Jandl: Rede anläßlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden am 22. April 69. In: Ders.: Gesammelte Werke, S. 152-153.) 87 Ebd., S. 153. 88 Ebd.: restaurant. In.: Ders.: Sprechblasen. Hamburg: Luchterhand 1993, S. 42. 89 Ebd.: im reich der toten. In.: Ebd., S. 43. 90 Ernst Jandl: Zu Friederike Mayröckers Hörspiel ‚Zwölf Häuser – oder Möwenpick’. In: Ders.: Gesammelte Werke, S. 161. 91 Reinhard Döhl: Das neue Hörspiel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988, S. 26. 92 Vgl. ebd., S. 35. 93 Ebd. 26

Fern von Vorgegebenem und vermeintlich Zukünftigem sind sie Grenzprodukte zwischen Literatur, Musik und auch Bühnenkunst. Subsumierung dieser Grauzonen ist die Gattung Hörspiel, der sie angehören, gerade weil in der offenen Form des Hörspiels alles erlaubt ist. Doch zu sagen: „Alles ist Hörspiel!“ ist denn doch für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zu unkonkret. Deshalb definieren wir die Ambros-Hörspiele in Anlehung an Otto F. Best als dramatische Werke mit epischen und lyrischen Elementen, die durch akustische Effekte (sowohl Geräusche als auch Musik und vor allem die Wirkung der Aussprache und Sprachfärbung) leben. Die Frage, die sich jetzt noch aufdrängt, ist, sind Konzeptalben als Hörspiele zu definieren? Ja. Aber ein Hörspiel kann nicht zwingend als Konzeptalbum definiert werden. Wo der genaue Unterschied zwischen - in unserem Fall – Konzeptalbum und Ambros-Hörspiel liegt, sei im Folgenden diskutiert: Der Terminus Konzeptalbum trifft wohl am ehesten auf ein Werk aus dem Jahr 1972 zu: Georg Danzers Longplayer Der Tschik , der sogar in Deutschland zum Kultobjekt wurde.94 Schon die Single Tschik löste „einen mittleren Skandal aus. Wer ist die Sandlerstimme auf dieser Platte. [sic!] Ö3 Musikredakteur Peter Barwitz entlarvt mittel [sic!] Stimmanalyse Danzer als den ‚Tschick’.“ 95 In zehn Songs (zwei davon instrumental) wird das Leben eines Wiener Obdachlosen erzählt. Mit verstellter Stimme schlüpft Georg Danzer in seinem Debütalbum in die Rolle des „Tschick“. Die einzelnen Songs („Männerheim“, „Mistkübelballade“, „Im Park“, „Russland“, „Mitzi“, „Halleluja“, „Die alte Prohaska“ und „Abschied“) stehen alle in einem größeren Zusammenhang, aber auch für sich. Es handelt sich immer um Erinnerungen oder gerade Erlebtes – aus der Sicht des Obdachlosen – erzählt in erster Person Singular. Im Grunde sind diese Lieder innere Monologe, kleine Hörspiele in sich. Rufen wir uns deshalb noch einmal Ernst Jandls Auffassung von Hörspiel ins Gedächtnis: Er dehnt den Hörspielbegriff auch auf vermeintliche Nicht-Hörspiel-Texte aus, schlägt sogar vor, sein Gedicht schtzngrmm als Hörspiel zu sehen, und sagt, dass eigentlich sein gemeinsam mit Friederike Mayröcker verfasstes Hörspiel Fünf Mann Menschen „eine Reihe von Sprechgedichten“ 96 ist. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise, lassen sich auch Rollenlieder wie die des Albums Der Tschik als Hörspiele in nuce ansehen. Doch nicht nur die Songs aus diesem Konzeptalbum sind Hörspiele, sondern auch so manch anderes Lied. „Da Hofa“ von Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz ist ein äußerst plastisches Beispiel

94 Vgl. www.georgdanzer.at , 14. 4. 2009, 09:00. 95 Ebd. 96 Jandl: Rede, S. 153. 27 dafür, wie dehnbar der Hörspielbegriff ist. Der Song vom Tod eines gesellschaftlichen Außenseiters namens Hofer ist eine Ballade, aber aufgrund der monologischen Erzählstruktur auf der einen Seite und der vielen handelnden respektive eben nicht handelnden Charaktere auf der anderen durchaus als ein Drama en miniature zu bezeichnen. Obwohl nur von einer Stimme vorgetragen – besitzt der Text mehrere personale Ebenen. Das Lied beginnt mit den Worten

Schau! Do liegt a Leich im Rinnsäu, s‘ Bluat rinnt in Kanäu. 97

Als anderer Beobachter könnten dann die zwei Folgezeilen angesehen werden:

Heast, des is makaba, do liegt jo a Kadava. Wea isn des, kennst du den? Bei den zaschnittanen Gsicht kaunn i des net segn. 98

Spätestens die Zeile „bei dem zaschnittenen G’sicht kann i des net segn“ 99 ist als die dritte Person zu charakterisieren. Nun folgt ein Strophenblock, der die Ausrufe einer oder mehrerer weiterer Personen wiedergibt.

Da Hofa woas vom Zwangzgahaus, dea schaut ma so vadächtig aus, da Hofa hod an Aunfoi kriagt und hod de Leich do massakriat. 100

Nun schaltet sich der Erzähler ins Geschehen ein. Die Passagen, in denen er Ausrufe in direkter Rede wiedergibt, könnten übergangslos in das Geschrei der ganzen Gruppe übergehen.

Do geht a Raunen duach de Leit und a jeda hod sei Freid. Da Hofa woas, da Sindnbock, da Hofa, den wos kaana mog. Und da Haufn bewegt si fiare,

97 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Da Hofa. Alles andere zählt net mehr... . Amadeo 1972. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. 28

hin zum Hofa seina Türe. De schrein de Leit: ‚Kumm außa, Meada, aus is heit! Geh, moch auf de Tia, heit is aus mit dia, weu füa dei Vabrechn muaßt jetzt zoin. Geh, kumm außa do, Wia drahn da d‘ Guagl o, weu du host kaane Freind de da d‘ Staungen hoitn. Meichlmeada, Leidschinda, de Justiz woa heite gschwinda eis wos d‘ glaubst, eiso, Hofa, kummans raus!‘ Und sie pumpan aun de Tia, und se mochn an Kraweu ois wia und sie tretans aa glott ei dad de Hausmasterin net sei, de sogt: ‚Wos isn, meine Hean? Dads ma doch den Hausfriedn net stöan, denn eines weiß ich ganz gewiß: doss de Leich da Hofa is.‘ 101

Auch wenn das Lied nur von einer Person – Wolfgang Ambros – zum Vortrag gebracht wird: aus der Textvorlage – ohne allerdings den Text zu ändern - wäre ohne Problem ein Hörspiel von hoher dramatischer Qualität 102 mit epischen Elementen zu machen. Noch deutlicher wird die Hörspielqualität einzelner Songs bei Rollenliedern. Das Rollenlied – wir werden darauf noch in anderem Kontext zu sprechen kommen – „ist ein in Ich-Form gesungenes Lied, dessen Ich eine im konkreten gesellschaftlichen Leben vorhandene Rolle darstellt. Die Rolle faßt typische Gemeinsamkeiten einer soziologisch erfaßbaren Gruppe zusammen.“ 103 Wahre Musterexemplare von Rollenliedern sind die Lieder über den Tschik. Zur besseren Veranschaulichung sei nun an dieser Stelle der Text der Single zitiert:

Zah auße de Dreia und gib ma a Feia, i brauch an Speh. Mi kaunn kaana rettn - i rauch stottn betn vuan Schlofngeh. A so a Tschik hot a greßares Glick ois wia unsaana weu uns braucht kaana.

101 Prokopetz u. Ambros: Da Hofa. 102 Dramatisch im Sinne von „handlungsbestimmt, wobei Konflikte im funktionalen Handlungszusammenhang erfaßt und als unmittelbar gegenwärtig dargestellt werden. Der Zeitaufbau [...] ist chronologisch. Stimmen profilieren sich schärfer zu Charakteren oder schicksalsgebundenen Figuren. Oft steht im Zentrum eine größere Auseinandersetzungsszene.“ (Hippe: Das Hörspiel, S. 12.) 103 Juhasz: Politisches Engagement, S. 108. 29

Heast, in dea Matrotzn, do woan scho de Rotzn – des riach i genau. Ja, beim Brandinesa, do waa ma jetzt bessa. Oba duat hob in Hau. Waunnst lebst wiar a Tschusch, heast nua ollaweu gusch, du Tacheniera du Mistkiwestiara. Waunnst schlofst auf da Baustöh – [...] do brauchst goa nix austöh – host an Köch mit da Heh, na und daunn, waaßt eh – sechs Monate auf Staatskostn.

[gesprochen] Heast, koid is da do auf dera Gstettn, ein Wahnsinn, waaßt, de Leid sogn i bin a Trinka, so a Bledsinn. Wüst aa a Glasl Rum?

A Glasl Rum steßt si söwa net um, na, und so a, a so a Zigrettn kaunn si söwa net otetn. Und des hob i, des hob i dem Tschik hoid vuraus: is mei Leem nua mea Tschick, dämpf i mi söwa aus. 104

In diesem Stil sind auch die Lieder auf der LP Der Tschik gebaut. Die locker gereimten Strophen werden sprechgesangsartig vorgetragen oder nur gesprochen und sind meist an ein nie hörbares Du gerichtet. Der Tschik erzählt aus seinem schweren Leben, führt dabei Selbstgespräche, hält Monologe oder dialogisiert mit nicht vernehmbaren anderen Personen – wie zum Beispiel in „Im Park“ mit einem Organ der Polizei: Seine mit Musik untermalte Belehrung der Jugend über die Wichtigkeit einer Ausbildung wird durch das Erscheinen eines Polizisten unterbrochen. Die Musik verstummt, der Tschick beendet seinen Monolog, von dem so und so niemand zur Kenntnis nimmt, und er beginnt ein Gespräch mit dem Inspektor:

Oje! [kurze Pause] Ja, bitte, Herr Inschpektor? [kurze Pause] Oba gengans. I dua doch de jungan Leid do net belästichn. I gib eana jo nur eine Moral mit aufn Leemsweg. [kurze Pause] Ausweis. Bitte. – Wos? Warum soll i mitkumma? Wos haaßt übaprüfn, wos woins’n bei mia übaprüfn? – Auslossn. I renn ihna scho net davo. – Ja, ja. Ich geh ja schon mit. Typisch. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Es gibt eben keine Gerechtigkeit mea auf dera Wöd. Keine Gerechtigkeit mea.105

Kleine Hörspiele in dieser Art reihen sich wie die Gedichte in Fünf Mann Menschen aneinander und bilden schon vor der Proletenpassion (1977) von den „Schmetterlingen“ ein

104 Georg Danzer: Der Tschick. Echt Danzer! Ambra 1991. 105 Georg Danzer: Im Park. Der Tschick. Ambra 1991. 30

Konzeptalbum. Der Unterschied zu den Hörspielen von Wolfgang Ambros besteht nun darin, dass hier ohne erzählendes oder kommentierendes Beiwerk respektive ausgedehnte Dialogpassagen zwischen verschiedenen Personen eine Geschichte erzählt wird, sondern durch Songs, die musikalisch, textlich und inhaltlich eine Einheit bilden, aber auch für sich stehen können. Das gilt für einige der Lieder aus Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin auch, ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Alben durch ihre gesamtdramaturgische Konzeption und Anlage als Hörspiele zu definieren sind und damit über ein Konzeptalbum wie Georg Danzers Der Tschik , das mit Hilfe vieler kleiner Hörspiele Ausschnitte aus dem Leben eines Obdachlosen erzählt, hinausgehen. Konkret gefasst bedeutet dies: Die Hörspiele von Tauchen, Prokopetz und Ambros beruhen durch ihre konzeptuell dramatische Anlage, die dem Wort und mannigfaltigen Stimmenspiel großen Platz einräumt und – zum Beispiel in Gegensatz zu Georg Danzers Konzeptalbum - auf dem Prinzip der telosgerichteten Handlungsdramaturgie. Ob nun diese Hörspiele – mit Ausnahme von Fäustling , das ohne Erzähler auskommt – epische Hörspiele mit lyrischen und dramatischen Elementen oder dramatische Hörspiele mit lyrischen und epischen Elementen sind, ist hörspieldefinitorisch und für die vorliegende Arbeit aber nicht primär von Relevanz. 31

3. Austropop

3.1. Einführung

Jede Auseinandersetzung mit Wolfgang Ambros impliziert eine Debatte um den vermeintlichen Begriff Austropop. Bevor wir nun in die Diskussion um eine mögliche Definition von Austropop einsteigen, sei aus Thomas Rhotschilds Aufsatz über Wolfgang Ambros zitiert:

Sucht man das Vermittlungsglied zwischen dem Wienerlied des Wein-Weib-und- Gesang-Stumpfsinns und jenen zeitgenössischen Dialektliedern, die noch in ihren parodistischen und polemischen Wendungen von jenen abhängig sind, so findet man es am ehesten bei Hermann Leopoldi und in einigen wenigen Volltreffern aus dem Umkreis von Gerhard Bronner, dem Wiener Kabarett der fünfziger Jahre also. 106

Einige Seiten weiter erkennt Rothschild auch die Verwandtschaft zum Wiener Lokaltheater, wenn ihn Fäustling an Travestien Nestroys erinnert. 107 In diesen Erkenntnissen ist in nuce das ganze Problemfeld der vorliegenden Arbeit enthalten. Beschäftigt man sich mit Wolfgang Ambros und in Folge mit dem Austropop, ist in erster Linie die unmittelbare Fortführung der kabarettistischen Songs des Teams Bronner und Qualtinger, mitzudenken. Wie sich zeigen wird, ist Austropop ein weites Feld. Ein zu weites, das sich einer gültigen Definition verschließt, zumal dieser Begriff kein von der Wissenschaft entwickelter ist, sondern, wie Harald Fuchs treffend sagt, aus dem „linguistischen Nichts entstiegen zu sein scheint.“ 108 Ziel soll es nun nicht sein, dieser nebulösen Begriffsentstehung auf den Grund zu gehen, sondern die Frage aufzuwerfen, ob dieser Terminus als solcher überhaupt seine Berechtigung hat. Abgesehen von dem reichen kulturellen, sozialpolitischen und geschichtlichen Hintergrund, den man bei diesem „Begriff“ mitzudenken hat, muss man sich durch einen Wust an kryptischen Definitionsversuchen arbeiten, die allesamt mehr oder weniger pointierte Kapitulationserklärungen sind, entweder zu kurz greifen oder sich in ausufernden (Nicht-) Bestimmungen verlieren. Im Grunde ist jeder Definitionsversuch von vornherein zum Scheitern verurteilt, da es sich um einen besonders mannigfaltigen Untersuchungsgegenstand handelt, der jegliche konkrete, erschöpfende Begriffsbestimmung verunmöglicht. Die

106 Rothschild: Liedermacher, S. 15. 107 Vgl. ebd., S. 17. 108 Harald Fuchs: Austropop – Entstehung, Rahmenbedingungen und kommunikationswissenschaftliche Relevanz einer nationalen populären Musikkultur. Diplomarbeit. Wien 1996, S. 90. 32

Probleme beginnen schon damit, dass „Pop“ einer genauen Definition entbehrt. Verbunden mit dem Präfix „Austro“ begibt man sich ohne es zu wollen in wissenschaftliches Schattenreich. Wie sinnvoll oder sinnlos es ist, sich dem Kategorisierungs- und Definitionswahn hinzugeben, soll an dieser Stelle nicht erläutert werden. Aber die Grenzen der Definition werden sehr deutlich, wenn das zu definierende Feld nahezu grenzenlos ist. Die Wortmeldungen zum Thema Popmusik, auch oder vor allem die wissenschaftlichen, sind in ihrer sprachlichen Überfrachtung oftmals nicht klarer und gültiger als Nick Hornbys Manifestation: „Musik ist [...] wie eine Farbe oder eine Wolke, weder intelligent noch unintelligent – sie ist einfach“ 109 , der damit jede Diskussion hinsichtlich E- und U-Musik nichtig macht. Genau so gültig ist seine Subsumierung von „Soul, Reggae, Country und Rock [...] – eben alles, was man als Schund bezeichnen kann“ 110 unter „heutige Popmusik“ 111 . Diese konkrete Schwammigkeit wohnt auch unzähligen wissenschaftlichen Definitionsversuchen inne – wir werden noch darauf eingehen – und erlebt im Bereich Austropop noch eine Potenzierung. Kann man so unterschiedliche Künstler wie Rocker Wolfgang Ambros, (Rock, Pop, Rap), STS (Folkpop), Stefanie Werger (Schlagerpop), Georg Danzer (Liedermacher) unter einer Musikrichtung mit Namen „Austropop“ vereinnahmen? Nein. Auch die Etikettierungen, die ich mir eben erlaubt habe, sind willkürlichem Schubladendenken entsprungen, treffen nicht einmal im Ansatz, was sie zu erklären vorgeben, und werfen noch mehr Fragen auf, als sie zu beantworten scheinen. Diese provokanten Etikettierungen sollen veranschaulichen, wie sehr, manchmal aber doch, Definitionsversuche nötig sind – allein schon deshalb um eine Diskussion am Leben zu erhalten. In diesem Sinn soll nun ein Phänomen österreichischer Popularmusik, das landläufig als Austropop firmiert, näher beleuchtet werden.

3.2. Austropop – Definition und Entstehungsbedingungen

Wolfgang Ambros gilt als der Vertreter des Austropop, zumal er immer wieder als Vater desselbigen genannt wird. Doch was ist unter dieser angeblichen Musikrichtung eigentlich zu verstehen und wie ist sie entstanden? Bevor wir diesen Fragen im Detail nachgehen, sei den folgenden Ausführungen eine Begriffsbestimmung vorangestellt. Heide Pfeiler manifestiert:

109 Nick Hornby: 31 Songs. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004, S. 101. 110 Ebd., S. 19. 111 Ebd. 33

Der Terminus ‚Austropop’ kam Anfang der 70er Jahre auf [...] und bezeichnete zunächst alle pop- und rockmusikalischen Aktivitäten in Österreich. ‚Austropop’ kann als Synthese von Folkrock, Beat- und Rockmusik mit heimischen Volksmusikstilen [...] und der Verwendung der österreichischen Sprache, im speziellen des Wiener Dialekts und seinen verschiedenen Ausprägungen, als Liedtextsprache verstanden werden. 112

Austropop ist also im Grunde nichts anderes als eine willkürliche Bezeichnung, ein Sammelsurium, das verschiedene VertreterInnen der österreichischen Popularmusik von den 70ern an vereint.

Der Begriff ‚Austropop’ ist ein von den Medien erfundenes Wort. Das Suffix ‚pop’ bezeichnet keine Musikstilrichtung, sondern ordnet die gemeinte Musik zu dem neu entstandenen Bereich der Pop-, Beat – resp. Rockmusik zu, klassifziert sie als eine neue Art von Musik in Österreich und grenzt sie gleichzeitig von der das traditionelle öffentliche Musik- und Kulturleben bisher bestimmenden Musik ab. Der Terminus ‚Austropop’ ist schriftlich das erste Mal in der Zeitschrift Hit in der Ausgabe 10/73 dokumentiert und wurde als Überschrift gewählt, um alle pop- und rockmusikalischen Aktivitäten, die in Österreich zur damaligen Zeit stattfanden, zu benennen. 113

Pfeiler hat mit ihrer Behauptung, dass Austropop keine Musikstilrichtung ist, vollkommen Recht. Austropop ist nichts anderes als Synonym für österreichische Popmusik, wie Harald Fuchs festhält 114 . Dem Ausdruck zu entkommen wird nicht möglich sein, da Austropop schon zu sehr im Allgemeingut verwurzelt ist und in der einschlägigen Literatur immer wieder Verwendung findet. Doch wenn schon das Wort Austropop praktisch aus dem Nirwana aufgestiegen ist, die Musik eines Wolfgang Ambros, die pointierten Texte eines Joesi Prokopetz oder Georg Danzer sind es nicht. Fuchs sucht die Wurzeln schon im Wienerlied und beginnt mit Traditionsortungen bereits im Mittelalter 115 . Ob nun One Family mit ihrem Lied „Mit’n Schmäh“, die Worried Men Skiffle Group mit „Glaubst i bin bled?“ (erschienen am 17. Februar 1970) 116 oder „Wie a Glock’n“, gesungen von , verfasst von Gerhard Bronner, das erste „Austropop“-Lied ist, ist im Großen und Ganzen nicht von Bedeutung, denn „prinzipiell läßt sich festhalten, daß die Entstehung des Begriffs Austropop mit dem Aufkommen des Dialekts in der österreichischen

112 Pfeiler: Austropop, S. 357-358. 113 Ebd., S. 22-23. 114 Fuchs: Austropop, S. 96. 115 Vgl. ebd., S. 68-69. 116 Vgl. ebd., S. 88. 34

Popmusik gleichzusetzen ist.“ 117 Die unmittelbaren Wurzeln für eine Verschmelzung von amerikanischer Popularmusik mit austriakischen Texten sind bei Bronners „Glockn“ zu suchen, denn Bronner war es, der Qualtinger Songs auf den Leib schrieb, die – wie sich noch zeigen wird – sowohl musikalisch als auch inhaltlich und sprachlich unüberhörbare Vorreiter von Wolfang Ambros und Konsorten sind. Mit „Weil mir so fad is’ ...“, dem „Bundesbahn- Blues“, „Der g’schupfte Ferdl“ und „Der Halbwilde“ komponierte und textete Bronner Songs mit Boogie- und Bluesrhythmen, ohne die der spätere „Austropop“ wohl undenkbar wäre. In seinem Aufsatz Rock in Wien stellt Wolfgang Kos die These auf „in Qualtinger einen Vorreiter wienerischer Rockkultur zu sehen“ 118 und verbindet seine Ausführungen über die Rock-Travestie „Der Bundesbahn-Blues“ mit Wolfgang Ambros’ Lokalhymne „Die Nr. 1. vom Wienerwald“. 119 Und wenn laut Werner Jauk die „Innovation [...] im Transfer der Dialektsprache vom Wienerlied und dem Wiener Kabarett auf die allgemeine Unterhaltungsmusik [liegt]“ 120 , dann darf man Bronner und Qualtinger nicht außer Acht lassen. Eine Produktion wie „Wie a Glockn“ (Text: Bronner, Musik: Hans Salomon) ist allerdings trotz Dialektsprache mit ihrem Bigbandsound nur bedingt dem Austropop zuzurechnen. Jauk lehnt eine derartige Zuweisung sogar völlig ab: „Die Spezifik der Instrumentation und des Arrangements sowie die affirmative Ideologie der Lieder [hier rechnet Jauk die Qualtinger- Songs fälschlicher Weise dazu] und die Zugehörigkeit der Macher zur Elterngeneration rechtfertigen nicht, diese Produktionen als die erste des Austropops zu werten.“ 121 Das vielleicht nicht. Zu diskutieren wäre aber auf jeden Fall die Rolle von Qualtinger als Zugehöriger der Elterngeneration, denn gerade sein rebellisches Potential hat sich in hohem Maß auf die Themen eines Prokopetz und Ambros und andere KünstlerInnen des Austropop übertragen. Unrecht hat Jauk mit der monolithischen Stellung von „Da Hofa“ aber nicht, wenn er meint, dass dies „die erste Rock-Dialekt-Produktion mit Breitenwirkung war“ 122 . Die Single verkaufte sich ja erwiesener Maßen über 15.000 Mal.

117 Wilfried Lechner: Austropop. Entwicklung einer österreichischen Jugend- und Kommunikationskultur in der Zeitschrift Rennbahn-Express zwischen 1987 und 1992 unter besonderer Berücksichtigung der Ö3-Hitparade und der Ö3-Sendestatistik. Diplomarbeit. Wien 2000, S. 13. 118 Wolfgang Kos: Rock in Wien. In: Walter Gröbchen (Hrsg.): Heimspiel. Eine Chronik des Austropop. St. Andrä-Wördern: Hannibal 1995, S. 11. 119 Vgl. ebd., S. 11-12. 120 Werner Jauk: Austropop. In: Rudolf Flötzinger u. Gernot Gruber (Hrsg.): Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3. Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. 2. überarb. u. erw. Auflage. Wien: Böhlau 1995, S. 316. 121 Jauk: Austropop, S. 316. 122 Ebd., S. 317. 35

Man muss darüber hinaus auch bedenken, dass der „Bundesbahn-Blues“ und der „Halbwilde“ beinahe ein Jahrzehnt vor „Da Hofa“ bekannt und für Kabarettprogramme verfasst wurden. Die Verbindung von amerikanischer Popmusik und Dialekt war aber – auch wenn das Jauk zu eng sieht – eine durchaus revolutionäre Neuerung – gerade durch Qualtingers anlässigen und hingeschmissenen Vortrag. 123 Gerade der „Bundesbahn-Blues“ mit seinem schleppenden Bluesrhythmus ist eine Abkehr von dem sonstigen unterhaltungsmusikalischen Angebot im deutschsprachigen Raum aus den 1960ern wie Freddy Quinn, Peter Alexander, Lolita oder Gus Backus. Mit diesen Heile-Welt-Klischees hatten die Bronner-Qualtinger-Songs nichts zu tun und bezogen daraus ihr rebellisches Potential, das Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz dann noch weiter ausgebaut haben. Doch wie ist jetzt genau die Synthese aus Folk, Rock und Dialekt entstanden? Festzuhalten ist, dass sich gerade in den 60ern viele Rockgruppen und Kellerbands gründeten, die Coverversionen von den Beatles oder Rolling Stones spielten. Der Einfluss von angloamerikanischer Musik hat vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden. 124 Ein gutes Beispiel in dieser Hinsicht ist Peter Kraus, der einen verschlagerten Rock’n’Roll im deutschsprachigen Raum populär machte. Aber erst die nächste Generation sollte völlig mit den Traditionen brechen. Dass gerade der scheinbare musikalische Bruch ein solcher nur bedingt ist, sei vorausgesetzt, denn der Rock’n’Roll zum Beispiel eines Jimmy Hendrix oder einer Janis Joplin ist Teil einer Tradition, die bis in die Anfänge angloamerikanischer Musik zurückreicht. Wichtige Einflüsse für die Entstehung von Austropop waren die Beatbands der 60er und „die Folkmusiker, die der angloamerikanischen Tradition des Protest- und Politsongs gefolgt sind“ 125 . Das heißt:

Mit Austropop wird jene Musikrichtung [!] bezeichnet, die sich prinzipiell aus sozialkritischen, meist im Dialekt gehaltenen Texten, und elektronisch verstärkter, vom Folk und Beat der 60er-Jahre beeinflußter, Gitarrenmusik zusammensetzt. Durch komödiantische Elemente, ironisch-zynische Texte, Englisch als zweiter Gesangssprache und einer Orientierung am Schlager bekam der Austropop in den 80er-Jahren zwar neue Impulse, blieb aber immer noch eine im internationalen Vergleich einzigartige Musikform. Mit dem Aufkommen der von Computern unterstützten Sounds Anfang der 90er-Jahre (Dancefloor, Rave, Techno) kam es zu einer Neudefinition des Austropop, mit der Folge, daß nur wenige bereits in den 70er- und 80er-Jahren erfolgreiche Interpreten auch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts

123 Vgl. Kos: Rock, S. 11. 124 „Historically, a modern, post World-War II Austrian national identity has accompanied the influx of Anglo- American popular music into the country.“ (Larkey: Pungent Sounds, S. 2.) 125 Lechner: Austropop, S. 22. 36

erfolgreich ‚Austropop’ singen, der Rest der österreichischen Musiker sich aber bis auf einige Ausnahmen erfolglos an internationalen Strömungen orientiert hat. 126

Dieser Crash-Kurs und Kurzabriss der Geschichte des Austropop fasst, wenn auch nicht erschöpfend, anschaulich zusammen, was landläufig darunter verstanden wird. Wolfgang Ambros als einer der wenigen, der noch immer – wenn auch mit wechselndem Erfolg und mit allen Vorbehalten gesagt der Diktion Lechners folgend – „Austropop singt“, ist mit seinem Oeuvre ein Zeitspiegel österreichischer Popularmusik. Durch sein Werk wird aber auch deutlich, dass es sich bei Austropop eben um keine Musikrichtung im eigentlichen Sinn handelt. Zu unterschiedlich sind seine musikalischen Elemente gerade in der Zeit bis Anfang der 80er. Dass der Terminus „Musikrichtung“ genauso unbrauchbar ist wie „Austropop“ wird daran evident, dass man Austropop nicht als rein musikalisches, sondern als sozial- gesellschaftliches Phänomen betrachten muss. War das Publikum von Qualtinger als „Halbwilder auf seiner Maschin’“ noch durch die Guckkastenbühne des Kabaretts und die travestierende Intonation geschützt, so war Ambros’ und Prokopetz’ „Hofa“ Der Herr Karl der österreichischen Popularmusik einerseits und per exemplum der Ambros/Anbiss/Khittl- Song „Espresso“ andererseits mehr als das parodistische „Weil mir so fad is ...“ von Bronner. Pop- und Rockmusik ist eben weiter zu fassen als nur aus musikalischen Belangen heraus. Austropop ist Teil eines gesellschaftlich-kulturellen Umbruchs seit 1968, der sich in Literatur, Musik, Bildender Kunst und auch im sozialen und politischen Leben niederschlug. Darüber hinaus ist Rock- und Popmusik mehr als nur ein Musikgenre. Die diffuse Bezeichnung Austropop schließt ja Rockmusik nicht aus. Musikologisch unterscheidet sich Rock von Pop- und Schlagermusik unter anderem durch verzerrte Klänge, tontechnisch nicht so große Perfektion, rauen, aggressiven, expressiven Gesang, während Pop- und Schlagermusik sich auszeichnet durch Schönklang, sanfte, veredelte Klänge, geglätteten Gesang und eine möglichst perfekte klangliche Mischung. 127 Wolfgang Ambros sah sich immer als Rocksänger, was er auch im Interview Johannes Moser versicherte. 128 Gehen wir nun davon aus, dass Ambros dem Rock/Rock’n’Roll verpflichtet ist, so muss festgehalten werden, dass diese Musikrichtung ein Lebensgefühl ausdrückt. Ohne im Detail auf die musikalischen Wurzeln des Rock’n’Roll einzugehen, sei gesagt, dass Rock’n’Roll in den fünfziger Jahren in den U.S.A und etwas zeitversetzt auch in anderen Ländern Ausdruck

126 Lechner: Austropop, S. 12-13. 127 Pfeiler: Austropop, S. 20. 128 „Wolfgang Ambros sieht sich selbst in der Tradition des Rock’n’Roll oder besser der Rockmusik, wie er mir gegenüber sagte.“ (Moser: Volksliedermacher, S. 81.) 37 der Jugendrebellion wurde und sich weiterentwickelt hat zur großen Festivalkultur der siebziger Jahre. Rock’n’Roll ist also

nicht so sehr ein klar definierter Stil, sondern eher eine Art Kultur [...]. So verschwommen der Begriff auch sein mag – er ist aus dem Alltag unserer Kultur nicht mehr wegzudenken. Die heutige Popmusik hätte sich kaum aus Hörerhitparaden und jenem von Musicals dominierten Mainstream entwickeln können, der vor der Ankunft des Rock’n’Roll alles beherrschte. 129

Was hier auffällt ist, dass die Begriffe Rock und Pop mehr oder weniger vermischt werden. Palmer versucht aber Klarheit in diesen Graubereich zu bringen. Ein Unterfangen, das ihm besser gelingt als so manchem am Reißbrett arbeitenden Kulturwissenschafter:

Popmusik ist jede Art von Musik, die zufällig populär ist. Rock’n’Roll jedoch beschränkt sich nicht bloß auf das populäre Element und ist auch nicht der logische Schlußpunkt seiner eigenen Entwicklung. [...] Rock’n’Roll erklärt zumindest etwas Grundlegendes: die Musik will mitreißen und aus dem Konzept bringen, und im besten Fall behält sie die Aufsässigkeit und Anarchie, die sie ins Bewußtsein der Massen katapultiert hat. 130

Damit befinden wir uns nun bereits in einem kulturwissenschaftlichen Endlosdiskurs: Was ist Pop? Was populäre Kultur? Bevor wir diese Debatte peripher tangieren, seien einige Schlagworte aus Palmers „Definition“ noch einmal zusammengefasst, die für ein grundlegendes Verständnis der österreichischen Popularmusik und den Werken von Wolfgang Ambros aus den siebziger Jahren unerlässlich sind: Rock respektive Rock’n’Roll ist:

 populär (will heißen beliebt, bekannt und volkstümlich 131 )  mitreißend  aufsässig  anarchisch  Massenkultur

129 Robert Palmer: Rock & Roll. Die Chronik einer Kulturrevolution. St. Andrä-Wördern: Hannibal 1997, S. 9- 10. 130 Ebd., S. 10. 131 Vgl. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Jan-Dirk Müller. Bd. 3. Berlin, New York: Gruyter 2003, S. 123. 38

All diese Punkte treffen auf den Austropop der Siebziger in Österreich zu. Bevor wir uns weiter in die vermeintlichen Tiefen der Pop-Theorie begeben, wollen wir uns zwei Beispiele aus der Karriere des Wolfgang Ambros herausnehmen, zwei seiner größten Hits, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, aus zwei Schaffensphasen: „Schifoan“ (1976) und „Verwahrlost aber frei“ (1996). „Schifoan“, das sich erst nach und nach zum größten Ambros-Hit entwickelte, ist beim ersten Hören nicht mehr als eine volkstümliche Hymne an das Wintervergnügen des Schifahrens und Fixpunkt in so gut wie jedem Konzert. Spätestens wenn dieser Song dargeboten wird, muss das Publikum mitsingen. Die eingängige Plattenversion mit Zither-, Schlagzeug- und Gitarrenbegleitung ist auch nach wie vor beliebte Berieselungsmusik auf diversen Schihütten. Der Text – vor allem der Refrain - ist nicht minder einprägsam:

Am Freitog auf d‘ Nocht montiar i de Schi auf mei Auto und daunn begib i mi ins Stubaitoi oda noch Zöll am See weu duat auf de Beag oom haums imma an leiwaundn Schnee.

Weu i wü schifoan, schifoan […], schifoan, weu schifoan is des Leiwaundste, wos ma si nua vuastön kau. [Rephrain.]

In da Frua bin i da easchte, dea wos aufefoat - damit i net so laung aufs aufefoan woat. Oom auf da Hittn kauf i mar an Jägatee Weu so a Tee mocht in Schnee eascht so richtig schee.

[…] [Rephrain.]

Und waunn da Schnee staubt, und waunn de Sunn scheint, daunn hob i ollas Glick in mia vaeint. I steh am Gipfe, schau owe ins Toi – a jeda is glicklich, a jeda füht si woi und wü nua

[…] [Rephrain.]

Am Sunntog auf d‘ Nocht montiar i de Schi auf mei Auto, oba daunn übakummts mi und i schau no amoi aufe und denk ma: aba wo, i foa no net z’haus, i bleib am Montag aa no do.

39

[…] [Rephrain.] 132

„Schifoan“ ist zwar kein sehr tiefgründiges Lied, aber einer näheren textlichen Betrachtung durchaus wert. Oberflächlich betrachtet handelt es vom Spaß an einem österreichischen Volkssport: dem Schifahren; bei genauerem Hinsehen- und hören lässt sich ein Ich-Monolog ausmachen, der vom Ausbrechen aus den gesellschaftlichen Arbeitsnormen erzählt. Die erste Strophe handelt davon, dass das lyrische Ich einen Wochenendausflug unternimmt und Schifahren geht. Dabei ist es ihm egal, ob es sich nach Zell am See oder ins Stubaital begibt, das heißt, es verfügt über eine große geographische Mobilität um seinem Spaß nachzugehen, die Hauptsache ist: weg von der Arbeitswelt. Auf diese wird durch den Freitagsaufbruch hingewiesen. Schon der erste Refrain unterstreicht das; mit einfachen Worten wird das Verlangen beschrieben:

Weu i wü schifoan, schifoan […], schifoan, weu schifoan is des Leiwaundste, wos ma si nua vuastön kaunn. 133

Gesanglich wird die Stimme auch eindringlicher, lauter und durch einen Halleffekt noch zusätzlich verstärkt. In der zweiten Strophe wird vom sorglosen Schifahrerleben berichtet. Schon als Erster ist der Ich-Erzähler am Lift: Damit er ja nichts versäumt. Die These, dass da noch das System der Arbeitswelt in ihm steckt und man immer darum bemüht sein muss, das Alphatier zu sein um ja zu seinem Recht zu kommen, fiele unter Überinterpretation. Dem lyrischen Ich geht es ja primär um Vergnügen. Der Genuss des „Jagertees“ (Schwarztee mit Rum) verweist schon darauf, dass in der Sorglosigkeit der Bergwelt nur der Genuss zählt. Dramaturgisch geschickt wird das noch untermauert, denn ab dem zweiten Rephrain gesellt sich bei diesem und dem folgenden ein Chor zur Solostimme. Nach dem zweiten Rephrain dann die dritte Strophe, die zugleich die musikalische Brücke ist:

Und waunn da Schnee staubt, und waunn de Sunn scheint, daunn hob i ollas Glick in mia vaeint. I steh am Gipfe, schau owe ins Toi –

132 Wolfgang Ambros: Schifoan. Bellaphon 1976. 133 Ambros: Schifoan. 40

a jedar is glicklich, a jeda füht si woi […]. 134

Schnee und Sonne, kurz: Natur. Sie vermisst das lyrische Ich anscheinend den Rest der Woche. Alles Glück in sich vereint projiziert es selbiges auch gleich auf alle anderen Touristen: „A jeda is glücklich, a jeda fühlt si wohl“ 135 . Gleich folgen der Refrain und dann die Wende, die man in einer derartigen Hymne - die es trotz dieses Status schafft eine balladeske Geschichte zu erzählen - gar nicht mehr zu vermuten mag. Der Ich-Erzähler fährt Sonntagabend wieder nach Hause, doch beim Anblick der Natur und der damit verbundenen Freude kommt es zur innerlichen Schubumkehr: Er verzichtet darauf, am Montag sich wieder dem System zu fügen, und bricht sozusagen aus – zumindest für einen Tag: Am Montag wird er, salopp gesagt, blau machen. Um seinen Entschluss noch zu bekräftigen wird der Refrain dann noch mehrmals wiederholt und ausgefadet. Die textliche Steigerung wurde im Lauf des Songs verbunden mit einer anfangs noch dumpfen, dann aber immer aggressiveren, rotzigeren, raueren Stimme. „Schifoan“ erfüllt alle oben angeführten Kriterien eines Popsongs. Ambros hat das Motiv des Urlaubs und (zeitlich begrenzten) (System-)Ausbruchs noch oft behandelt: „Belize“ ( Selbstbewusst , 1981), „Richtung Süden“ aus dem Album Äquator (1992), „Ein Boss am Wörthersee“, „Fein Beinand“ ( Voom Voom Vanilla Camera , 1999). Das Ausbrechen aus der Gesellschaft ist auch das Hauptthema seiner vier Hörspiele, aber auch seines Songs „Verwahrlost aber frei“ aus dem gleichnamigen Album. Im Gegensatz zu „Schifoan“ ist dieses Lied auch schon auf der CD ein echter „Rockkracher“. Im Grunde ist es nur eine Variation seines Lieblingsthemas: dem Freisein, das er in zahlreichen Liedern angefangen von „I wü frei sein“ ( Weiß wie Schnee , 1980) über „Wie a Adler“ ( Der Sinn des Lebens , 1984) bis zu „Steh grod“ ( Steh grod , 2006) behandelt. „Verwahrlost aber frei“ ist im gleichen AABA-Strophenschema gebaut wie Schifoan, also: die dritte Strophe als musikalische Brücke.

Es hot jeda recht, dea mi vauateut, i bin gaunz sicha schlecht, i bin net so, i bin net aundas, i bin ka Herr, in bin ka Knecht, doch mia schofft niemaund irgendetwas aun, egal, wea des auch sei, i bin vawoalost und i waaß es,

134 Ambros: Schifoan. 135 Ebd. 41

i bin vawoalost, oba, i bin frei.

I hob die Sunn, i hob den Regn, i hob nua des, wos mia wea schenkt, i bin so ana, dea imma nua aun heite und nie aun muagn denkt, doch i moch wos und wia und waunn i’s wü und i genieß mei Leem dabei, i bin vawoalost – des kaunn a jeda sehn, i bin vawoalost, oba, i bin frei.

Es kummt wias kummt, i fiacht mi net, i hob nix zum valian. Es kummt, wias kummt, doch wos aa kummt, wos soi mia scho passian?

So vüle Joare liegn scho hinta mia und niemaund waaß wia vüs no wean, doch söbst waunn i heite no steabn miaßt, daunn gabs fia mi kaan Grund zum plean, denn i leb so, dass mia nix übableibt und waunn i stiab, is hoit voabei – i bin vawoalost, und des wear i bleim, i bin vawoalost, oba, i bin frei.

I bin frei, i bin frei, i bin frei! 136

Der Song beginnt mit ruhigen Keybord/Klavierklängen und nach dreizehn Sekunden setzen die wuchtigen Gitarren, der Bass und das Schlagzeug ein. Der Text suggeriert, dass das lyrische Ich aus „Schifoan“ mittlerweile den Ausstieg, den Ausbruch geschafft und auch die Natur verinnerlicht hat: „I hob die Sunn, i hob den Regn“ 137 . Aus dem blauen Montag wurde ein Zustand der Asozialität: Der Erzähler denkt nur an heute, nicht an morgen und auch die Stimmen des Systems sind ihm herzlich egal. Besteht in „Schifoan“ noch die Vermutung, dass er am Montag tatsächlich seine Sachen zusammenpacken wird, so wird in „Verwahrlost aber frei“ am Schluss klar gestellt, dass der Ich-Erzähler darüber längst erhaben ist: Es gibt kein Morgen, er hat nichts zu bereuen. Das Lied endet in dreimaligen, immer intensiveren, ausfadenden „I bin frei“-Rufen. Auffallend ist im ganzen Text die große Ichbezogenheit. Allein die Rephrain-Strophe enthält viermal das Wort „Ich“. Aus einer hymnischen Ballade wurde eine hymnische Bestandsaufnahme und

136 Wolfgang Ambros: Verwahrlost aber frei. Verwahrlost aber frei. Polygram 1996. 137 Ebd. 42

Lebensauffassung, was sich vor allem in der sowohl textlich, gesanglich als auch musikalisch (instrumental) energischen Bridge zeigt:

Es kummt wias kummt, i fiacht mi net, i hob nix zum valian. Es kummt, wias kummt, doch wos aa kummt, wos soi mia scho passian? 138

Mit „Verwahrlost aber frei“ hat Ambros sicherlich einen Höhepunkt seiner Freiheitsmanifestationen erreicht. Auch auf diesen Song treffen die von Palmer übernommenen Kriterien populär, mitreißend, aufsässig und anarchisch zu. Der massenkulturelle Charakter und die Wirkung von „Verwahrlost aber frei“ ist wohl bei so gut wie jedem Konzert, das dieses Lied beinhaltet, zu überprüfen. Trotz ähnlichem Aufbau unterscheiden sich die eben untersuchten Lieder im genauen Inhalt und in der Orchestration: Herrschte bei „Schifoan“ gezähmte musikalische Anarchie, so strotzt „Verwahrlost aber frei“ vor wuchtigem E-Gitarren- und Keyboardsound. Beide Songs sind dennoch zweifellos als Popsongs zu bezeichnen, womit wir uns jetzt kurz der theoretischen Pop-Debatte zuwenden. Jauk mutmaßt, dass der Beginn des Austropops in der Aufforderung des ORF an österreichische Musiker beim Talentewettbewerb Showchance mitzumachen, gleichzusetzen ist. Aufgrund der Zuwendung der Hörer zu ausländischen Sendern und der damit an nichtösterreichischen Produkten sich richtende Radiosender Ö3 brachte den ORF dazu, nach neuen Talenten zu suchen. 139 Austropop verstanden als musikalisch-gesellschaftskulturelle Bewegung respektive Erscheinung war sich laut Jauk von Beginn an eines großen Zuspruchs

bei mehreren Schichten [sicher], auch beim älteren Publikum, das seine Hörgewohnheiten weniger stark auf die ihm fremde und englischsprachige und eigentlich auch gegen sie gerichtete Rockmusik einstellen mußte; Austropop findet sich mehr in der Nähe des Schlagers und der volkstümlichen Musik. Ein anderer Grund liegt vielleicht im kalkulierten Spiel mit dem Klischee der österreichischen Persönlichkeit. Die Möglichkeit zur Identifizierung mit jenen in den Liedern aufgegriffenen Alltagsthemen führt zudem zur empfundenen Verbrüderung mit dem scheinbar nahen Star. Ambros, Cornelius und Ostbahn Kurti stellen diesen Typus abseits der entpersonifizierten internationalen Stars dar. Vor allem das jugendliche pubertäre Publikum findet darin Lebensbilder. 140

138 Ambros: Verwahrlost aber frei. 139 Jauk: Austropop, S. 314. 140 Ebd., S. 314-315. 43

Vom hohen Identifikationspotential österreichischer Popularmusik Anfang der Siebziger des zwanzigsten Jahrhunderts wird noch eingehend die Rede sein. Es zeigt sich aber bereits, dass Pop und damit auch Austropop keine Musikrichtung ist, sondern sozusagen ein Lebensgefühl oder eine Lebenseinstellung, was auch aus Begriffsdefinitionen von Pop-Musik herauszulesen ist. Da ist von „oft provokantem Unterton“ 141 , „Musik, die gezielt provokativ gegen etablierte Ästhetiknormen angeht, sei es durch Lautheit, Obszönität, Exzentrik oder durch Rückzug auf Nonsens oder Bürgerschreck-Primitivismen schon in der Aufmachung“ 142 die Rede. Popmusik als „Unterhaltungsmusik“ subsumiert Songs, die „sich durch eine realistische oder ironische Attitüde auszeichnen. Nach dieser Deutung ist Popmusik weitgehend mit Rock identisch, schließt aber auch Bluessänger, Jazzmusiker, Liedermacher und Blödelbarden ein“ 143 , was auch alles auf die diversen Ausprägungen des Austropop zutrifft. Gerade die Hörspiele von Wolfgang Ambros strotzen vor Ironie, Spott, Nonsens und gehen den Weg zum Gesamtkunstwerk – vom Plattencover angefangen - und denkt man an Watzmann - bishin zur Bühnenrealisation. Letztere ist ja wie Ambros selbst sagt, „einfach eine Gaudi“. 144 Womit er die Quintessenz aller Elfenbeinturmdiskussionen bezüglich Pop auf den Punkt bringt. Denn nichts anderes liest man im Grunde im Handbuch der populären Kultur: „Populäre Kultur macht Spaß! Das ist so ungefähr das einzige, in dem Forschung und Teilnehmer an der Populären Kultur übereinstimmen.“ 145 Das heißt, festgehalten werden kann, dass populäre Kultur eine Kultur der Unterhaltung ist. 146 Eine Grundlagendiskussion über vermeintliche Hochkultur, E- und U-Kunst sei an dieser Stelle vermieden. Weiters sei Unterhaltung in dem Sinn verstanden, dass unter diesem Begriff nicht jegliche x-beliebige „Art von Amüsement“ 147 zu verstehen ist, sondern „eine von anderen sozialen und kulturellen Zwecken (etwa Belehrung und Information) geschiedene, selbstständige Institution und Funktion“ 148 , die als Zentralbegriff der Populären Kultur dieser selbst institutionelle Selbstständigkeit verleiht. 149 Die didaktische Seite der Unterhaltung darf aber gerade hinsichtlich der österreichischen Popularmusik nicht übersehen werden, da sich die KünstlerInnen dieser Szene oft in didaktische Gefilde begeben – auch wenn sie dabei aus eigenen Erfahrungen

141 Bonson: Lexikon Pop, S. 114. 142 Ebd. 143 Ebd., S. 115. 144 Schmidbauer: Gipfeltreffen. 145 Hans-Otto Hügel: Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Stuttgart: Metzler 2003, S. 1. 146 Vgl. ebd., S. 2. 147 Ebd., S. 17. 148 Ebd. 149 Vgl. ebd. 44 schöpfen. Gerade Wolfgang Ambros verwendet in seinen Liedern immer wieder gerne die Direktheit des „Du“, wie zum Beispiel in dem Song „Alt und Jung“ aus dem Album Wasserfall (1994), den er mit seinen Kollegen Georg Danzer, Willi Resetarits und Gerd Steinbäcker eingespielt hat. Einige besonders signifikante Zeilen daraus lauten:

Glaub net, dass du wos busundas bist, daunn wiast wos busndas sein. Glaub net afoch jedn Mist, den’s heite außeschrein. 150

Man soll an sich selbst glauben und nicht Mitläufer sein. Das ist Didaktik pur, genau so wie Ambros Forderung:

Glaub net, glaub net, glaub net, wos in da Zeitung steht. 151

Aus der indviduellen, „ambros’schen“ Verweigerungsposition wird somit auf die Hörerschaft übergegriffen. Ambros oktroyiert dem Publikum seine Meinung nicht auf, sondern teilt sie mit ihm, denn einen großen Teil seines Erfolges verdankt er vor allem der Fähigkeit, die Gedanken seiner Fans textlich und musikalisch umzusetzen. Das hat Ambros, der immer wieder betont, in seiner Kunst nur von sich auszugehen, hat sein Image „einer von uns zu sein“ und „die Sprache des Volkes zu sprechen“ und gerade in den Siebzigern die Rolle des Rebellen eingebracht. Auch optisch mit seinen langen Haaren entsprach er dieser Konnotation – von den Themen seiner Songs (Auflehnung gegen das Establishment, Alkohol, Sex, Drogen, Einsamkeit, Perspektivenlosigkeit, Selbstmord) bis zu den Plattencovern (die Single „Zwickt’s mi“ beispielsweise zierte ein nacktes Gesäß). Als Rebell verkörpert er „die in der Realität nicht eingelösten Wünsche nach Gerechtigkeit und einer besseren Gesellschaft.“ 152 Und wenn man von Fans unter anderem hört, sie seien mit Ambros aufgewachsen und großgeworden, dann impliziert das ein hohes Maß an Identifikation mit dem „Rebellen“, der ausspricht und zu artikulieren vermag und es auch öffentlich zu sagen wagt, was man selbst in dieser Weise nicht kann oder sich nicht traut. Und er schien oder scheint für viele ein Identifikationssurrogat. Der Erfolg von Ambros bis Mitte der achtziger Jahre erlebte seinen Höhepunkt, als er 1984 dreimal hintereinander in der ausverkauften Wiener Stadthalle auftrat.

150 [Ohne Vornamensangabe] Leist u. Wolfgang Ambros: Alt und jung. Wasserfall. Polydor 1994. 151 Wolfgang Ambros, Peter Koller u. Günter Dzikowski: Zeitung. Gewitter. Amadeo 1987. 152 Hügel: Handbuch, S. 370. 45

Das erreichte er nie wieder. Anfang bis Mitte der Neunziger war Ambros zwar nicht in der musikalischen Versenkung verschwunden, aber die große Zeit der Hits und ausgefüllten Hallen war vorbei. Wer außer den eingefleischten Fans kennt Alben wie Gewitter , Äquator oder Wasserfall ? Ambros hat dennoch kontinuierlich neues Material geliefert, ebenso wie Georg Danzer, von dessen künstlerischem Wirken ab Mitte der Achtziger bis Mitte der Neunziger kaum Notiz genommen wurde. Über ein treues Stammpublikum hinaus wird sich wohl kaum jemand an die Alben Alles aus Gold (1985), Danzer (1986), Rufzeichen (1989), Keine Angst (1991) und Kreise (1992) erinnern können. Sind diese Werke trotzdem als „populär“ zu definieren? Christian Wenzl folgend wäre der Begriff „popular“ eher angebracht:

Zwar ist Popularmusik im wesentlichen die Einheit jener Musikrichtungen, die zumeist so angelegt sind, ‚populär’ zu sein bzw. zu werden. Aber eben nicht ausschließlich. ‚Populär’ bezeichnet in diesem Zusammenhang die Akzeptanz und Geliebtheit durch Massen von Menschen. ‚Popularmusik’ muss aber nicht zwangsläufig den Zuspruch der Massen erhalten. 153

Wenn David Rowe allerdings meint, dass Popularkultur nicht mit rivalisierenden Formulierungen wie Volks- oder Massenkultur vermischt werden soll 154 , ist freilich zu bedenken, dass eine Folk- respektive Volkskultur durchaus als populare Kultur verstanden werden kann. Die Folkbewegung betrifft ja – mit Vorbehalt und nicht negativ konnotiert formuliert – das „einfache Volk“, also die „Unterschicht“. Und gerade Wolfgang Ambros spricht, wie noch darzustellen sein wird, die Arbeiter- oder sogenannte „Unterschicht“ an – auch wenn er ihr oft einen ironischen Spiegel vorhält, wie im Song „Familie Pingitzer“ 155 ( Es

153 Christian Wenzl: Wieviel Staat braucht heimische Popularmusik? Der politische und soziale Kontext sowie Bedeutung und Stellenwert der österreichischen Popularmusik. Diplomarbeit. Wien 2004, S. 12. 154 David Rowe zit. n.: Wenzl: Staat, S. 7. 155 „ Waunn i, wos jo net oft vuakummt, am Tog vuahea an Rausch ghobt hob und mi ausschlofn mecht, dann geht des net, weu de oide Pingitza im Stiagnhaus iarn Mau no nochschreit, doss a sei Gobefruastuck vagessn hot. De Stimm von dera reißt an Bäan ausn Wintaschlof. Daunn leits bei mia au und frogt, obs amoi telefonian deaf, und daunn dazöhts iara Schwesta stundnlanug wos gestan beim Dokta los woa.

Z‘mittog kummt eana Bua, da blaade Alois, zum Essen haam, und im gaunzn Stiagnhaus stinkts nochn Zwiefe, weus scho wiedar a Gulasch kocht. Da Oide kummt aa haam und dazöht von da Hockn und daunn sogt da blaade Alois, doss eam de Hosn 46 lebe der Zentralfriedhof , 1976). Es wäre freilich zu weit gegriffen Ambros als Folksinger zu bezeichnen, hingegen sei zu bedenken, dass Johannes Moser ihn als Volksliedermacher begreift, der sich allerdings mit den verschiedensten musikalischen Stilen auseinandersetzt: Vom Bänkelsang („Minderheit“, Hoffnungslos 1977) über Gassenhauer mit Dixielandorchestration („Zwickts mi“, 1975) bishin zu Soul- und Jazzelementen („Gsöchta“, „Familie Pingitzer“, Es lebe der Zentralfriedhof ). Darüber, dass Pop- respektive Popularmusik lediglich ein Sammelbegriff ist, wurde aber nun schon einiges gesagt und das ist auch der gemeinsame Nenner unzähliger Pop-Musik - und in weiterer Folge Austropop-Definitionen, wie sie unter anderem Wilfried Lechner liefert, der festhält, „daß man unter Pop-Musik im weitesten Sinn, als Abkürzung von Popularmusik, einen Oberbegriff für eine Vielzahl von verschiedenen musikalischen Richtungen versteht, deren eine die Pop-Musik im engeren Sinn darstellt.“ 156 Ihm folgend sei auch in der vorliegenden Untersuchung als Grundlage unter Pop-Musik

jene Art von Musik verstanden, die sich vom Rock’n Roll [sic!] der 50er-Jahre ausgehend, in den 60er Jahren als jugendliche Teilkulturmusik herausgebildet hat, und auch, insbesondere in der englischen Literatur, als Rock-Musik bezeichnet wird, in den 70er-Jahren und 80er-Jahren wieder durch eine ‚Schlagerifzierung’ wesentlich vereinfacht wurde und in den 90er Jahren durch Hinzunahme von elektronischen Sounds, Samplern, Loops und Computereffekten an die technischen Möglichkeiten des ausklingenden 20. Jahrhunderts angepaßt wurde und sich abermals durch sehr einfache Texte und permanent folgende Song-Fragmente kennzeichnet. 157

Weg von der rein musikalischen und in dieser Hinsicht immer mit offenen Fragen verbleibenden Begriffsbestimmung bedeutet Pop, wie gesagt, popular – auch im Sinn von „populär (volksmäßig, volkstümlich)“. 158 Popular soll ja nur die von vornherein völlig als gänzliche Massenproduktion (wenn auch als solche gedacht, aber in der Realität oft nicht umsetzbar und damit für ein begrenztes Publikum hergestellt 159 ) relativeren. Dass z'klaa wuan is. Darauf ea, da Oide: ‚Na, daunn friss hoit net sovü!‘ Oba sie, de Pingitza, sogt eam aum Kopf zua, dass ar ois Bua genauso vafressn woa. De Pingitza san a nettes Ehepoa![…].“ (Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Familie Pingitzer. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976.) 156 Lechner: Austropop, S. 9. 157 Ebd., S. 9-10. 158 José Ragué Arias: Pop. Kunst und Kultur der Jugend. Reinbeck: Rowohlt 1978, S. 29. 159 Walter Grasskamp erklärt dieses Faktum in einem sehr plastischen Vergleich: „In der Kunst ist Pop der Versuch gewesen, mit Motiven des Massenkonsums in die Institutionen der Hochkultur zu gelangen, in die Galerien und Museen; in der Musik drängt Pop dagegen nach wie vor auf die Märkte des Massenkonsums. Im ersten Fall war Pop distinguiert, ironisch, elitär und teuer; im zweiten setzt er auf große Zielgruppen und hohe Absatzstufen, auf generalisierbare Identifikationsangebote. Popmusik versucht möglichst viele Güter zu geringen 47

Popularkultur auch populär sein kann und ist, kann man ja nicht verleugnen oder wegdiskutieren. Pop an sich ist aber in erster Linie „eine Haltung“160 . Die Diskussion über die Entstehung des Wortes popular music ist bei genauerer Betrachtung ebenso wenig zielführend wie epochale Erkenntnisse á la: Pop-Musik ist ein

Ensemble sehr verschiedenartiger Genres und Gattungen der Musik, denen gemeinsam ist, daß sie massenhaft produziert, verbreitet und angeeignet werden, im Alltag wohl fast aller Menschen, wenn auch im einzelnen auf unterschiedliche Weise, eine bedeutende Rolle spielen. 161

Der Pop-Begriff, wie ich ihn unter Einbeziehung von Robert Palmer verstanden wissen will, geht weit über Gattungszuweisungen hinaus. Laut Wicke gehört „Pop“ sogar ins Reich der Theorie und des Diskurses. Er meint, dass „alle Versuche, Pop zu definieren, unwiderruflich von Vergeblichkeit gezeichnet“ 162 sind. 163 Deshalb meint „Pop nicht unbedingt das Populäre, sondern den Knall oder Puff (von engl. pop ). Pop ist ein Effekt, eine Sprengung der vorhandenen Strukturen und zielt auf die technisierte und urbanisierte Umwelt.“ 164 Eine derartige Wirkung hatte auch „Da Hofa“ 1972, den Günter Brödl einen „Blattschuß in die österreichische Volksseele“ 165 nannte und „wenn schon nicht die erste, so doch die erste restlos geglückte Liaison von Dialekt und Pop.“ 166 Dass aufgrund solcher Erkenntnisse der Ausdruck „Austropop“ natürlich auf der Zunge brennt, ist klar – und er soll, wenn in dieser Arbeit verwendet, verstanden werden als, es wurde bereits angesprochen, Teil eines

Preisen zu verkaufen, Pop Art dagegen wenige zu hohen Stückpreisen [....].“ (Walter Grasskamp: Einleitung. ‚Pop ist ekelig‘. In: Was ist Pop? Zehn Versuche. Hrsg. v. Walter Grasskamp, Michaela Krützen u. Stephan Schmitt. Frankfurt am Main: Fischer 2004, S. 16-17.) 160 Grasskamp: Pop ist ekelig, S. 9. 161 Wicke zit. n.: Fuchs: Austropop, S. 8. 162 Peter Wicke: Soundtracks. Popmusik und Pop-Diskurs. In: Grasskamp:Was ist Pop?, S. 119. 163 „‚Pop’ ist eine Angelegenheit des Diskurses und nicht etwa eine Eigenschaft von Musik, eine Strategie auf dem Feld der Diskurse, die an das Medium Klang variabel und flexibel angedockt werden kann. ‚Pop’ ist immer nur die Rede über Musik, die wie ein Werbeversprechen funktioniert, das eben deshalb unerreichbar bleibt, weil seine Einlösung einen Prozess zum Stillstand bringen würde, der von immer neuen Glücksverheißungen lebt.“ (Wicke: Ebd., S. 119.) Wicke manifestiert, dass der „Pop-Begriff [...] nicht ein konkretes musikalisches Phänomen bezeichnet, sondern vielmehr in einem Diskurs begründet ist, der zu verschiedenen Zeiten ganz Unterschiedliches zu bündeln und in dieser Form auf dem kulturellen Terrain zu etablieren suchte.“ (Wicke: Ebd., S. 119-120.) 164 Roger Behrens: Pop Kultur Industrie. Zur Philosophie der populären Musik. Würzburg: Königshausen & Neumann 1996, S. 72. 165 Ambros: Worte, S. 15. 166 Ebd. 48 gesellschaftskulturellen Umbruchs, den man unter Anführungszeichen als eine „Proletarisierung der Kultur und Kunst“ bezeichnen kann. 167 Geht man aber davon aus, dass Pop eine Haltung ist, so kommt man auf den ersten Blick zwar einer scheinbar sinnlosen Definition von Austropop 168 nicht näher auf die Spur, dafür jedoch seinen Entstehungsbedingungen. Austropop ist somit gerade in seiner Anfangsphase eine agitatorische Haltung 169 , eine in unserem Fall in Musik und Text ausgedrückte Auflehnung gegen die Elterngeneration,

dabei hätte uns das Schicksal unserer eigenen Eltern aus der Aufbaugeneration eine Lehre sein können. Die haben nach dem Krieg und der Besatzungszeit auch ganz flott angefangen, Elvis Presley 1955, die Bambies in ihrer wilden Zeit. Aber was haben sie daraus gemacht, was haben sie fürs Leben mitgenommen? Attila Hörbiger und Paula Wessely, Franz Antel, Gerd Bacher, Teddy Podgorsky. Nur Niederlagen. 170

Und gegen diese kulturellen Niederlagen – auch in Form von Heile-Welt-Schlagern, die das Vergessenwollen der „verlorenen Jahre“ des Nationalsozialismus bewahrten, begann sich eine Generation junger Künstlerinnen und Künstler zu wehren. Aus den Radios dröhnten ein restaurativer Heinz Conrads und schönfärbende Schlagermelodien. Und

während die Liedermacher im Folklcub ‚Golden Gate’ [...] immer noch mit dem Peacezeichen auf dem Nachthemd durch die Gegend liefen, tauchte Franzi Bilik in den Jazzclubs mit der Geige auf. Er war der Begründer der so genannten ‚Dialektwelle’ […]. 171 schreibt Roland Neuwirth, der bis heute mit seinen Extremschrammeln und neuen Wienerliedern, in denen er mehr Sprachpflege leistet als so mancher Linguist auf dem Germanistischen Institut, erfolgreich ist. Neuwirth gibt in seinem Beitrag zu dem Buch Beatles, Bond und Blumenkinder. Unser Lebensgefühl in den sechziger Jahren ein sehr

167 Was darunter genau zu verstehen ist, wird im folgenden Kapitel noch zur Genüge dargestellt. Kurz gesagt ist damit gemeint, dass Ende der Sechziger beziehungsweise Anfang der Siebziger der Arbeiter als Figur in der Literatur und auch der Popularmusik immer größeren Stellenwert bekam. 168 Viele der Protagonisten dieser vermeintlichen Bewegung lehnen den Begriff „Austropop“ als solchen ab. Ambros selbst meinte einmal ironisch auf die Frage, welches Etikett für ihm seine Musik am passendsten scheint: „Ich habe mich zeitlebens geweigert, mich da festzulegen. Aber es ist Rock’n’Roll im weitesten Sinn. Nur in Österreich ist die Rede von ‚Austropop’. Keine Ahnung, wer das erfunden hat – der Mann gehört im nachhinein geadelt.“ (Walter Gröbchen: Ambros schlägt zurück. In: Ders.: Heimspiel, S. 90.) 169 Eine Haltung, die sich gegen die Aufrechterhaltung des Status quo auflehnt. Eine Haltung, die – siehe „Da Hofa“ – wie ein Knall – „pop“ heißt ja übersetzt „knallen“ wirkte. Und im Zuge des Urknalls „Da Hofa“ entwickelte sich eine popularmusikalische (und –textliche) Haltung gegen vorgegebene Systeme und Werte. 170 Johann Skocek: Der Sommer der Erhebung. In: Gröbchen: Heimspiel, S. 167. 171 Roland Neuwirth: Meine haarige Zeit. Eine Abrechnung. In: Beatles, Bond und Blumenkinder. Unser Lebensgefühl in den sechziger Jahren. Hrsg. v. Willi Resetarits u. Hans Veigl. Wien: Böhlau 2003, S. 108. 49 anschauliches, lebendiges Bild über die Entstehungsbedingungen dessen, was später als Austropop durch die österreichische Musikwelt geisterte. Deshalb soll daraus nun etwas ausführlicher zitiert werden, denn ein musikalischer Zeitzeuge ist noch immer authentischer als ein junger, zu einer Zeit als Wolfgang Ambros gerade in seine zweite Schaffensphase überging, geborener Theater-, Film- und Medienwissenschafter.

Unser Idol war Helmut Qualtinger. Dabei gaben wir eigentlich nur dem Brechreiz nach, den damals das regionale Radioprogramm bei uns hervorrief. Die beliebteste Seniorensendung (neben dem ‚Wunschkonzert‘) hieß: ‚Ein Gruß an dich’. Unsereins nannte sie die ‚Erbschleichersendung‘. Darin schickten Enkelkinder ihren Großeltern über das Radio Glückwünsche. Sie gipfelten in schweißtreibenden Regionalschlagern, Operettenarien und Wienerliedern. Sie waren so unüberbietbar kitschig, dass man sie – heute betrachtet – eigentlich schon wieder als gut bezeichnen muss. Aber damals waren wir Jungen von singenden Klosterschwestern (‚Dominique‘), singenden Schlossern (‚Hejo, Blue River Baby‘), rothaarigen Zwillingsbrüdern (‚Sing ein Lied, little Bankoboy...‘) oder heimatlosen Lolitas (‚Seemann, lass das Träumen‘) geradezu umzingelt. Wir wurden ununterbrochen von Freddy Quinns, Vico Torrianis, Heintjes oder den wienerischen Pendants, wie z. B. Rudolf Carl oder Lutzi Beierl, verfolgt. Die ganze Weit [sic!] war ein einziges Wunschkonzert, nur: wir hatten es uns nicht gewünscht. Schon gar nicht, dass uns die Hausmeister vorschrieben, wie wir zu leben hatten. [...] Bilik verfasste anfangs wienerische Texte zu den Jazzstandards. Die Zeile ‚I’m gonna sit right down and write myself a letter‘ wurde von ihm zu ‚A int’ressanter Job is Bombenattentäter‘ aktualisiert. Und das grausliche Wienerlied ‚Amoi möchte i no a klaner Lausbua sein‘ begann mit „Amoi mecht i no als Biaberl in Mauthaus’n/zuaschaun wias die Jud’n mit’n Giftgas braus’n ...‘. Das waren die wenigen Auftritte mit unseren ‚ Brogressiv-Schrammeln‘. [...] Als wir – in einem Anfall von Hirnverbranntheit – mit Franzi Biliks Satiren eine Platte aufnehmen wollten, hörten wir im Studio das Playback von Wolfgang Ambros, ‚Der Hofer‘, laufen. Im Nachhinein gesehen sind die Dialektlieder von damals leider in selbst gestrickten Amerikanismen stecken geblieben. Wirklich eigenständig war nur die Sprache. Da keine ihr adäquate Musikrichtung entstand, wurde auch sie schließlich unter der Bezeichnung ‚Austropop‘ zu den Akten gelegt. 172

(Austro)Pop ist also ein gesellschaftskulturelles Anti-Brechreizmittel, ein Anti- Wunschkonzert der Menschen, die vor 1940 geboren sind. 173 Eine Haltung, die sich auch in der Schlussszene von Augustin niederschlägt: Der in jeder Hinsicht asoziale Sänger Augustin ist zum Volkssänger und Popstar geworden. In der letzten Szene des Hörspiels sitzt er im

172 Neuwirth: Haarige Zeit, S. 108-109. 173 Nur am Rande sei hier Nick Hornby angeführt, der die popularmusikalische Generationenkluft in seinem Roman High Fidelity , auf die für ihn typische, sarkastische Weise festhält: „Wie soll man beschreiben, wie Menschen, die vor 1940 geboren sind, das Wort ‚Pop’ aussprechen? Ich mußte mir gut zwei Jahrzehnte lang dieses höhnische, einsilbige Aufstoßen meiner Eltern anhören, zusehen, wie sie mit vorgerecktem Kopf und idiotischem Gesichtsausdruck (weil Popfans ja solche Idioten sind) das Wort ausspuckten.“ (Nick Hornby: High Fidelity. München: Knaur 2003, S. 55.) 50

„Roten Dachl“, einem Wirtshaus. Graf Starhemberg sinniert darüber, dass sich Augustin nach seiner Pestgrubenauferstehung „g’stund g’stessn“ hat und „rübergerückt“ ist 174 auf die bessere Seite sozusagen. Sich an damals erinnernd, weiß Augustin nur: „Jo. Jo. Das Leem is wiar a Hängebruckn“ 175 zu sagen, worauf die Gäste unisono fragen: „A Hängebruckn?“ und Augustin nach Prinz Eugens Standardphrase „N’übaruckn“ 176 schließlich das elegische Lied „Hängebruckn“ anstimmt:

Des Leem is kaa Kindahemd, des Leem is kaa Sumpf, des Leem is kaa Hühnadreck, des Lebn is nicht schön.

Des Leem is kaa Wundaweak, das Leem ist nicht zu kuaz, das Leem is kaa Obnteua, das Leem is nicht zu lang.

Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is. Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is.

Des Lebn is kein bitteres, des Leem ist nicht süß, des Leem is net aufregend, des Leem is nicht vapfuscht.

Des Leem is nix bsundares, des Leem is kaa Freid, des Leem is kaa Hundeleem, des Leem is amoi aus.

Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is. Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is. 177

174 Vgl. M.O. Tauchen, Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Augustin. Bellaphon 1981. 175 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 176 Ebd. 177 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Hängebruck’n. Augustin. 51

Nach diesen „tiefgründigen“ Weisheiten herrscht bei den Gästen Ratlosigkeit. Witwe Mehlwurm möchte wissen, wie Herr Augustin das wieder gemeint hat 178 , Herr Kolschitzky fordert in seinem neurotischen Wiederholungszwang: „Des müssns uns scho erkläan, erkläan, erkläan.“ 179 . Und sogar Prinz Eugen formuliert sein „N’übaruckn. Über d’ Hängebruckn?“ 180 als Frage während Graf Starhemberg sich lauthals entrüstet: „Sag, was faslt a do? Wieso a Hängebruckn?“ 181 , worauf Augustin schlicht und einfach grantelnd antwortet: „Wieso net?“ 182 Und diese Haltung ist (Austro)Pop.

3.3. Geschichtliches und Zeitumstände

Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität prägten die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in Österreich. Nach der Zeit des Nationalsozialismus und der Besetzung zog in Österreich der Wohlstand und mit ihm ein System der Sicherheit ein. 183 Allerdings fand spätestens seit 1968 auch in Österreich ein gesellschaftspolitischer- und kultureller Umbruch statt und seit den Siebzigern veränderten sich die Normen generell 184 , was sich auch in der Kunst niederschlug. „Obwohl sich in Österreich die Auswirkungen der Studentenrevolte von 1968 in geringem Ausmaß zeigten, veränderte sich atmosphärisch einiges.“ 185 Politisch waren die Siebziger von Bruno Kreisky und nach einer kurzen Regierungszeit der SPÖ mit der FPÖ von der Alleinregierung der SPÖ geprägt. So sehr diese Zeit von Reformen gekennzeichnet war (unter anderem im Rechts-, Arbeits-, Pensions- und Bildungsbereich), war die angesprochene Stabilität und damit einhergehende politische Kompromissbereitschaft, die gerade die große Koalition vor dem SPÖ/FPÖ-Wechsel beherrschte, nicht frei von Brüchen. Das Jahr der linken Studentenrevolten, 1968, ging nicht spurlos an Österreich vorbei:

Zwar fand ‚1968’ in Österreich nicht statt, wenn man damit die großen politischen Aktionen meint, wie zum Beispiel die Studentenunruhen in West-Europa. Doch wurde dadurch auch in Österreich ein kritischeres Bewußtsein ausgelöst, das sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf politischer Ebene niederschlug; durch die politische Wende in der Tschechoslowakei – den ‚Prager Frühling’ – verschärften sich noch die

178 Vgl. Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 179 Ebd. 180 Ebd. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Vgl. Karl Vocelka: Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik. Graz, Wien: Styria 2000, S. 330. 184 Vgl. ebd., S. 340. 185 Ebd., S. 343. 52

politischen Auseinandersetzungen. Die Übernahme der Alleinregierung durch die SPÖ war letzten Endes eine Folge dieser allgemeinen Bewußtseinsänderung. 186

Es kam wie gesagt zu Reformen und zu einer „Modernisierung Österreichs“ 187 – das war zumindest das Ziel der Regierung. Jedoch – Österreich war keineswegs eine „Insel der Seligen“. Denn unter der Oberfläche gärten zahlreiche Missstände. Die Kompromissbereitschaften und Stabilitätsgarantien wurden auch erreicht nach und schon während dem Wiederaufbau vor allem durch eine Politik und Kultur des Vergessens, Verdrängens der Geschichte. Wie sehr der unverdaute Nationalsozialismus zum Beispiel heute noch wirksam ist, beweist Elfriede Jelinek mit vielen ihrer Texte immer wieder. In der Nachkriegszeit und den Folgejahren beziehungsweise Jahrzehnten darf auch eine Tabuisierung des Austrofaschismus nicht außer Acht gelassen werden. Ein Aufeinanderprallen der Generationen war die Folge. Spätestens Ende der Sechziger wuchs in der unmittelbaren Nachkriegsgeneration das kritische Potential in der Auseinandersetzung mit den Eltern oder Großeltern, die zum Teil noch völlig anderen Welten (Habsburgermonarchie, Hitlerdiktatur) entsprangen. Ökonomisch waren die siebziger Jahre auch nicht mehr mit dem, was man in Deutschland und in Österreich das Wirtschaftswunder nannte, gleichzusetzen. Mitte der 70er Jahre erschütterte nach dem „Ölschock“ eine Krise die Wirtschaft 188 , die „Staatsverschuldung wuchs ungeheuerlich“ 189 , Anti-AKW-Aktivisten stellten sich demonstrativ gegen Kreisky und erteilten dem naiven Fortschrittsglauben der 50er und 60er Jahre eine klare Absage: So wurde das Atomkraftwerk Zwentendorf nach einer Volksabstimmung nicht in Betrieb genommen. Und das Problem der Gastarbeiter- und Fremdenfeindlichkeit drückt wohl am deutlichsten ein Plakat der Aktion „Mitmensch“ der Werbewirtschaft Österreichs aus: Ein Bub in Lederhose steht einem Mann mittleren Alters gegenüber und sieht zu ihm hoch. Unterhalb dieser Szenerie steht:

I haaß Kolaric

186 Jutta Freund: Die Realitätserfahrung des Arbeiters im österreichischen Roman der siebziger Jahre. Dissertation. Wien 1985, S. 43. 187 Karl Gutkas: Die zweite Republik. Österreich 1945-1985. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1985, S. 180. 188 Vgl. Vocelka: Geschichte, S. 345. Die wirtschaftliche Instabilität zog noch weitere Kreise. „Ab 1977 wuchsen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, vor allem in der Schwerindustrie und der Textilindustrie kam es – auch international – zu gewaltigen Einbrüchen. Der Rückgang der Bauwirtschaft führte zu Problemen am Arbeitsmarkt. Auch durch eine Reihe von Skandalen, von denen der größte sicherlich der AKH-Skandal 1980, der Bau des neuen Allgemeinen Krankenhauses in Wien, war, wurde das Image der SPÖ angeschlagen.“ (Vocelka: Ebd., S. 348.) 189 Ebd., S. 345. 53

du haaßt Kolaric Warum sogn’s zu dir Tschusch? 190

Daraus lässt sich ableiten, dass in Österreich in der ersten Phase des Austropop vor allem eines herrschte: Enge und Farblosigkeit. Wenn man sich Fotografien von Wien oder auch Dörfern aus den Siebzigern ansieht, so sieht man, salopp gesagt, braune und graue Orte. Mir scheint das als symbolisch für das Denken vieler Menschen, wobei – abgesehen von noch immer nachwirkenden Ressentiments aus der Zeit des Nationalsozialismus und wohl auch Austrofaschismus – das Problem vor allem darin lag, „was der Grazer Architekt Ferdinand Schuster als den Provinzialismus der allgemeinen Ängstlichkeit und Enge bezeichnete: dem fehlenden Mut zum Bruch mit dem Vorhergehenden und dem Nichteinsehen der Notwendigkeit desselben.“ 191 Und gegen diese Enge richtete sich die Bewegung des Austropop, wie auch andere künstlerische Richtungen – man denke nur an den bereits in den sechziger Jahren mit allen Konventionen brechenden, in seiner Radikalität wegweisenden Wiener Aktionismus.

3.4. Gegenbewegung

Vor allem die Weltstadt Wien wurde zu einem Symbol des Provinzialismus und kulturellen Sumpfes, was in vielen Songs von Wolfgang Ambros zum Ausdruck kommt. 1976 räsoniert er:

Von ana Szene kaunn ma bei uns übahaupt net sprechn, ollas dasauft im Heirichn – es is zum Erbrechn, in dera Beziehung is bei uns zum Scheißn. Und es schaut net so aus ois ob ses iagendwaunn gneißn.192

Wien als Heuriger, als Insel der Seligen, als totale Verstumpfung der Menschen – dagegen haben bereits Helmut Qualtinger und André Heller lautstark angesungen – und auch schon Bronner und Qualtinger. Doch „Heller und […] Qualtinger stehen musikalisch noch in der direkten Traditionslinie des Wienerliedes. Inhaltlich hingegen lösten diese Lieder eine Empörung der Öffentlichkeit aus.“ 193 Das hat auch für die Bronner-Qualtinger-Kabarettsongs wie „A Kriagal, a Seidal“ oder „Die alte Engelmacherin“ Gültigkeit. Bei Ambros weitet sich

190 Vgl. Vocelka: Geschichte, S. 347. 191 Ebd., S. 253. 192 Wolfgang Ambros: Hoiba zwöfe. 19 A Class Numbers. Bellaphon 1976. 193 Pfeiler: Austropop, S. 112. 54 das Problem aber aus: Es geht nicht um eine Abrechnung gegen Wien und seinen Heurigensumpf im Sinn eines Vergessenwollens der Vergangenheit des Nationalsozialismus und Erhalten des ökonomisch-individuellen Status Quo wie bei Qualtinger und Bronners „A Kriagal, a Seidal“ 194 (1959), sondern um ein Abwenden dieser Scheinseligkeit aus einer grundsätzlichen Orientierungslosigkeit und Bewegungsnot in der provinziellen Enge respektive aus dieser heraus. Symptomatisch dafür ist das Album Hoffnungslos (1977), ein kommerzieller Flop, das meiner Ansicht nach wie kein anderes die Stimmung der Jugendlichen in den Siebzigern einfängt: Leben, als gäbe es kein Morgen, Enttäuschung in der Provinz Wiens, Katerstimmung, weil es dennoch ein Morgen gibt. Nach einem instrumentalen Stück - „Wie hört des auf“ von Christian Kolonvits - behandelt der erste Song mit Text „Heute gemma nach Wien“ die Ausbruchssehnsucht, die Sehnsucht nach Veränderung und die Was-ist-schon-Morgen-Stimmung einer Gruppe von Jugendlichen aus der Provinz:

Heit reiß man letztn Zwanzgar au, heit hau mar ois aum Huat. Wea reißt si drum, wea scheißt si drum, heite gemma fuat. Kumm Oida, hau ma si üba de Bruckn, i gib da mei Wuat, do drüm, do spüt sa si endlos o, a Waunsinn, wos si do tuat.

Mia reißn uns zwaa Hosn auf und des is eascht da Beginn, vielleicht geht si a Ziagl aus, des hätt doch an Sinn! Mit der Marie, wos mia eigsteckt haum is doch ollas drin. Heite geem mar uns de volle Post, heite gemma fuat, heite gemma noch Wien.

In sechs Monat, in sechs Joa oda sechs Stundn, in sechstausend Joa odar in sechzehntl Sekundn kaunn si ollas ändan, heit bist no glicklich und muagn wieda sott.

194 „Kuaz nochn Kriag, do woas Leb’n so mies, do hob i g’soffn damit i vagiss. Jetzt geht’s uns guat scho seit längerer Zeit - do mocht des Saufn erst richtig a Freid“ (Gerhard Bronner: A Kriagal, a Seidal. Gestrige und heurige Lieder. Polygram 1986.) 55

Es is leida ollas imma gaunz aundas ois ma sis vuagstöht hod.

Oba wos, Oida, wos kaunn uns des kümman aun so an Tog wia heit. Mia lossn unsas net verdriaßn, heite zöd no de Freiheit. Augfressn sei kemma nächste Wochn, ollas zu seina Zeit, und Schiffe kennan untageh, oba mia leem heit und in Ewichkeit. 195

Die Hoffnung dieses mit rebellischen E-Gitarren untermauerten Songs wird jedoch schon im nächsten Lied gebrochen. Selten wurde die Isolation eines jungen Menschen in einem Popsong wohl so direkt, schnörkellos und authentisch dargestellt wie in dem schon angeführten Lied „Wie wird des weitergeh’n“. Die dramaturgische Klammer des Albums ist die Finalnummer „Irgendwann“, in der noch einmal die musikalische und sprachliche Aufsässigkeit von „Heute gemma nach Wien“ aufgenommen wird. Aus der Hoffnung in Wien Spaß und Freiheit zu finden ist allerdings die Einsicht geworden, dass auch dort nicht das zu finden ist, was eigentlich gesucht wird: das eigene Selbst:

Iagendwaunn hob i gnua ghobt und bin fuatgaungan aus den dreckichn Wien. Pass auf, Oida, hob i ma gsogt, des Leem woat net.

Do klopfns au bei dia, weus wissn, dass'd daham bist, do hauns dar is Hackl ins Kreiz, weus wissn, dass'd alaa bist. Do kräuns dar in de Nugatschlucht, weus wissn, dass'd net oam bist, da beste Freind benimmt si wiar a Viech, de Leit san oft so widalich.

Do glaums si kennan da mit ihra Bledheit imponian, do glaums si kennan di mit ihre Schmäh aufs Glotteis fian. Do fians da iare Kinda vua, de haums wia Ziakuspfead dressiat, so brav und so unhamlich oatich, de Leit san oft so widalich. I brauch eigentlich nix außa Wossa und Brot und a Auto zum leem,

195 Wolfgang Ambros: Heute gemma nach Wien. Hoffnungslos. Bellaphon 1977. 56

i hob aa net vü außa Göd und Liebe und meine Liada zum geem, oba brauch i leem, oba brauch i denn wos heageem? Na. [...]

Iagendwaunn hob i gnua ghobt und bin zruckgaungan in des dreckiche Wien. Pass auf, Oida, hob i ma gsogt, jetzt gehts auns steabn. 196

Die einzige Ausflucht, die sich dem lyrischen Ich nach Nichterfüllung seiner Erwartungen an Wien, wo sich „wos tuat“ 197 und Enttäuschungen persönlicher Art (Unehrlichkeit seiner Freunde und Mitmenschen) bietet, ist: wieder zurückzugehen in das „dreckige Wien“. Die Flucht, der Ausbruch scheinen unmöglich. Doch in Wahrheit gab es Auswege - unter anderem die Spontanität des Handelns und die Kunst:

Wos wia gewusst haum woit ma laut vakündn - wia woan nua geil uns zu bewegn. Unsare Zeit woa do um stottzufindn, zu haundln, net zum übalegn. 198

- entsprach auch der Art und Weise, wie so manches Album produziert wurde. Der immer größer werdende Erfolg von Ambros und Prokopetz verlangte schnelles Arbeiten. So schrieb Prokopetz „wie ein Karnickel“ 199 und Ambros vertonte die Texte (die teilweise auch von Khittl stammten), was unter anderem zu einem Doppelalbum ( 19 A Class Numbers , 1976) mit nahezu absurden Gebilden wie „Hilly Billy Lilly“, „... sonst muß ich Sie ermorden“, „Da Ernstl“ oder „UFO“ führte. Darüber hinaus entspricht diese Mentalität auch dem Entfliehen der erstarrten Kriegsgeneration, die für Sicherheit stand und jedes Aufbegehren vermied – zumindest aus Sicht einiger ihrer Kinder und Enkel. So sagt Ambros beispielsweise über die ersten gemeinsamen Jahre mit Georg Danzer: „Wir haben uns aufgeführt, als gäb’s kein morgen.“ 200 Sie waren

196 Wolfgang Ambros: Irgendwann. Hoffnungslos. Bellaphon 1977. 197 Ambros: Heute gemma nach Wien. 198 Wolfgang Ambros: Voom Voom Vanilla Camera. Voom Voom Vanilla Camera. BMG Ariola 1999. 199 Wolfgang Ambros. Der Film über sein Leben. Hoffnungslos selbstbewusst. Regie: Rudi Dolezal u. Hannes Rossacher. DoRo 2002. 200 Georg Danzer: Booklet. Raritäten GD. Universal 2000. 57

Nochkriegsegoistn, unbekümmert, ohne Vorbehoit. Den ganzen oitn Dreck zertrümmert. Wir werden niemois oit! Das Leben neu erfunden, die finstern Eckn ausgeräumt, a neues Weltbild uns gezimmert, an neuen Traum geträumt. 201

Das wurde von vielen auch gelebt, in dem die Zeit, die da war um stattzufinden, wirklich zum Handeln genutzt wurde. Schon der Wiener Aktionismus (Uniferkelei, Happenings von Rudolf Schwarzkogler, Aktionen von Hermann Nitsch und anderen) hat die Barriere zwischen Künstler und Publikum aufzuheben versucht. War damit aber noch ein prinzipiell elitäres Kunstverständnis jenseits der Popularkultur verbunden und war im zum Teil noch sehr bürgerlichen, zum Teil aber für damalige Verhältnisse wohl unerhört sarkastischem Kabarett von Bronner und Qualtinger noch die vierte Wand vorhanden, so sprengte die neue Generation zumindest ansatzweise die Guckkastenbühne von Bronner oder den Fernsehschirm eines Qualtinger ( Der Herr Karl , ORF 1961) und setzte Aktionen. Höhepunkt in diesem Kontext war mit Sicherheit die Arena-Bewegung und Besetzung.

Die ‚Arena’ war 1976 Schauplatz alternativer Kulturveranstaltungen im Rahmen der Wiener Festwochen. Alle Liedermacher spielten dort [...]. Die Auftritte während der offiziellen ‚Arena’ und die Beteiligung am Kampf um ein unabhängiges, selbstverwaltetes Kulturzentrum, auf das die Besetzung abzielte, waren die erste gemeinsame Initiative aller Kritischen Liedermacher. Der Kampf um die ‚Arena’ war ein primär kultureller Kampf mit weitreichenden politischen Implikationen, da es darum ging, wie weit die Gemeinde Wien den kulturellen Wünschen und Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenkommen würde. Die Gemeinde, die das Arsenal des Auslandschlachthofes St. Marx bereits verkauft hatte, wollte ihren politischen Spielraum nicht zugunsten alternativer Politkultur einsetzen und zeigte deutlich, daß ihr Entgegenkommen gerade so weit ging, den Jugendlichen kurzzeitig eine Spielwiese zu gewähren. Nach einigen Wochen der Besetzung wurde das Gelände von der Polizei geräumt und nach dem Abbruch der Gebäude ein Textilzentrum errichtet. 202

Die „Arena“ wurde dann in den Inlands-Schlachthof verlegt, wo sie sich bis heute befindet und als Veranstaltungszentrum fungiert. Damals fanden in der „Arena“ nicht nur Konzerte sondern auch Kabarettabende statt. Überspitzt formuliert lässt sich dasgen: Das Kabarett wanderte sozusagen von Bronners „Theater am Kärtnertor“ in den Schlachthof St. Marx.

201 Ambros: Voom Voom Vanilla Camera. 202 Philipp Maurer: Danke, man lebt. Kritische Lieder aus Wien 1968-1983. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1987, S. 111-112. 58

Diese Proletarisierung der Popularkultur fand aber nicht nur örtlich, sondern auch inhaltlich statt.

3.4.1. Proletarisierung der Popularkultur

Es wurde schon mehrmals erwähnt, dass ohne Qualtinger und Bronners Songs der Austropop wohl kaum denkbar wäre. Während diese zwei Protagonisten des österreichischen Kabaretts der Sechziger allerdings noch der Generation angehörten, gegen die eigentlich rebelliert wurde, öffnete die Kunst eines Wolfgang Ambros auf ähnlich agitatorische und sarkastische Weise einem jüngeren Publikum die kritische Auseinandersetzung – weniger mit konkret politischen Inhalten als mit sozialen Missständen, verdrängter Vergangenheit und gesellschaftlichen beziehungsweise individuell-verallgemeinerten Problemen und Schicksalen. Setzten Bronner und Qualtinger dem Publikum noch einen sarkastischen Spiegel vor, schaffte es Ambros durch seine Sprache und Diktion sich mit ihm und den von ihm besungenen Themen zu identifizieren und vice versa. Höhnische Spiegelung verlagerte sich zu identifikatorischer Agitation.

3.4.1.2. „Weil mir so fad is ...“ im „Espresso“

Die von Gerhard Bronner für die Kabarettbühne verfassten spöttischen Rollenlieder „Der Papa wird’s schon richten“, „Weil mir so fad is’ ...“, „Der Bundesbahn-Blues“ und die Travestie „Der g’schupfte Ferdl“ finden sich allesamt – wenn auch unter anderen Vorzeichen – in Liedern Georg Danzers, Wolfgang Ambros und anderen wieder. Bronners „Der g’schupfte Ferdl“ ist ein balladesker mit Boogierhythmen unterlegter Ausflug in die Welt der Halbstarken. Der g’schupfte Ferdl und „das beliebte Pin-up-Girl von Hernals“ 203 , Mitzi Wastaptschek, begeben sich in die Lokalität Thumser, wo wie jede Woche Perfektion ist und wo es zu einer Schlägerei kommt, in der Ferdl „ziemlich malträtiert“ 204 wird, was ihn aber nicht davon abhält in der folgenden Woche wieder mit Brillantine im Haar zum Thumser zu gehen. Wie der „Halbwilde“ ist der „G’schupfte Ferdl“ eine verballhornte Figur aus der Wiener Unter- oder Mittelschicht, doch

203 Gehard Bronner: Der g’schupfte Ferdl. Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. 204 Ebd. 59

nicht der Spaß des Ferdl wurde überliefert, sondern der Spaß, den es in den fünfziger Jahren machte, in die Hülle des halbstarken Rocktigers zu schlüpfen. Das nett klimpernde Klavier ließ keinen Zweifel daran, daß man sich auf traditionellem Wiener Kleinkunstboden befand. Zum fetzigen Roar eines Rock-Saxophons war es mindestens so weit wie von der Eden-Bar [im ersten Wiener Gemeindebezirk] nach Hernals. Trotzdem transportierten Songs wie der über den ‚G’schupften Ferdl’ in Sprache und Jargon authentische Partikel, die in das kollektive Gedächtnis der regionalen Populärkultur ebenso einflossen wie die ‚Blue Suede Shoes’ in das der globalen. 205

Gerade Georg Danzer wurde mit der Form der witzigen Lied-Erzählung im Stil des „G’schupften Ferdl“ bekannt. In seinem Gassenhauer „Hupf in Gatsch“ (1976) erzählt er von einem „Hackler“, der mit seinem Moped vom Heurigen nach Hause fährt, Kirschen isst und mit einem feinen Herrn, der in einem Sportwagen sitzt, in Konflikt gerät, weil er ihn mit einem Kirschenkern angespuckt hat. Heischte der „G’schupfte Ferdl“ den Saxophonspieler ob des falschen letzten Tones in „I Can Give You Anything but Love“ mit „Des is a gsöchta Off“ 206 an, greift der Arbeiter aus Georg Danzers Song schon zu gröberen und vor allem weit ausholenderen Verbalattacken, nach dem ihn allerdings der Sportwagenfahrer als Schwein und schiachen Ungustl bezeichnete:

Hupf in Gatsch und schlog a Wön, oba dua mi do net quön. Hupf in Gatsch und gib a Ruh, sonst schließ ich dir die Augen zu. So an Oamutschkal wie dia schenk i kaan Schüling - Oda, na, i gib da zwaa - du bist a Zwüling - weu anar alaa kaunn doch net so deppad sei, hupf in Gatsch und grob di ei! 207

Während sich diese Figur Georg Danzers noch mit Schimpfkaskaden auszeichnet, prahlen zwei andere von ihm beschriebene Typen mit ihren sexuellen Leistungen. Der Vorstadthalbstarke Ferdl, der sein Messer an der Thumsergarderobe abgeben muss, mutiert bei Danzer 1993 zum „Vorstadtcasanova“ 208 , dem „feschen Gustl“. Etwas einsichtiger als Ferdl, der bei der Schlägerei verzweifelt nach seinem Messer sucht, hat Gustl zwar ein Messer in der Weste stecken, benützt es aber nie, weil er „waaß gaunz genau, des hättat eh kaan Sinn.“ 209 Fast hat man den Eindruck von einem gealterten Ferdl zu hören, denn Vorstadtcasanova Gustl ist ohne Kamm immer schön frisiert, hat die Filme mit Alain Delon

205 Kos: Rock, S. 11. 206 Bronner: Der g’schupfte Ferdl. 207 Georg Danzer: Hupf in Gatsch. m records 1976. (A-Seite von „Ruaf mi net au“.) 208 Ein Rollenlied mit gleichnamigen Titel aus dem Album Nahaufnahme . 209 Georg Danzer: Vorstadtcasanvoa. Nahaufnahme. Ambra 1993. 60 und Jean-Paul Belmondo gesehen und bewegt sich auch dementsprechend promiskuitiv und aufschneiderisch durchs Leben. Ein anderer Nachfolger von Ferdl ist Fredl, „die alte Drecksau“ aus dem Album 13 schmutzige Lieder (2001), „ein Schwerenöter und Strawanza“210 , „kein Prolo“ 211 , aber „natuablond und mit schwoaze Stiefen“ 212 - ein Frauentyp, der mit dem Geld um sich wirft und ein ausschweifendes Leben führt. Es zeigt sich, dass eine Verschiebung stattgefunden hat: War der „G’schupfte Ferdl“ noch ein Halbstarker aus Hernals, der jugendlich-aggressiv jede Chance zu einer Schlägerei nützt um seinen gespielten Ärger loszuwerden, sind Georg Danzers Gustl und Fredl zwei altgewordene Halbstarke, die sich in der Enge ihres Bezirks herumtreiben um Frauen kennen zu lernen (Gustl) oder ein Zuhälterdasein führen (Fredl), wobei sie an sprachlicher Drastik Bronners „G’schupften Ferdl“ bei weitem übertreffen. 213 Diese verbale Steigerung lässt sich auch bei Ambros ausmachen. Bronners, von Qualtinger vorgetragener, „Bundesbahn-Blues“ ist eine Mischung aus englischem und deutschem Text und beweist, dass der Wiener Dialekt 214 vom Sprachklang her eine Singbarkeit ähnlich dem Englischen besitzt, die dem Hochdeutschen fehlt. 215 Der „Bundesbahn-Blues“ ist ein Konglomerat aus englischen Sätzen, dialektalen Phrasen, Ausrufen und einer frustriert nebensächlichen Auflistung von Bahnstationen. Das lyrische Ich ist auf der Suche nach seinem „Baby“, das – es handelt sich um eine Frau – verschwunden ist.

210 Georg Danzer: A alte Drecksau. 13 schmutzige Lieder. BMG/Ariola 2001. 211 Ebd. 212 Ebd.. 213 Gehörten bei Bronner’s „Ferdl“ Zeilen wie „Jetzt gibt’s wahrscheinlich an Marodn.“ oder „Warum net glei an Totn?“ und der bereits zitierte „gsöchte Off“ zum Äußersten, so sind bei Danzer Schüttelreime zu hören wie „Ea [Fredl] hot fias Puff a Stundnkoatn, weil er hat einen Futl-tick. Ea braucht duat kaa Sekundn woatn kommt er auf einen Tuttlfick“. (Danzer: A alte Drecksau.) 214 Die „Qualtinger-Songs“ von Bronner changieren im Vortrag noch zwischen Hochsprache und Dialekt wie in den Transkriptionen zu sehen sein wird, während in den Ambrosliedern zum Großteil nur der Dialekt zu finden ist. 215 Darin ist auch ein Grund für das häufige und zumeist künstlerisch gelingende Covern von englischen Titeln zu sehen: Ambros legte den Grundstein 1978 mit seinem Bob-Dylan-Album Wie im Schlaf , dem er 2000 eine CD mit Tom-Waits-Songs ( Nach mir die Sintflut ) folgen ließ und immer wieder amerikanische oder englischsprachige Künstler coverte (unter anderem Bob Dylans „Für immer jung“ 1983 zusammen mit André Heller, oder Dylans „When the Night Falls from the Sky“ 1992 für sein Album Äquator ; aus Neil Youngs „Heart of Gold“ wurde 1999 „Herz aus Gold“ ( Voom Voom Vanilla Camera ). Andere Coverversionen sind zum Beispiel die STS-Titel „Gö, du bleibst heut nacht bei mir“ (Kris Kristofferson), „Hilf mir“, „Da kummt die Sunn“ (The Beatles) oder Georg Danzers „Atlantis“ (Jason Donovan). Die Liste wäre noch um zahlreiche Beispiele (vor allem viele Titel von Dr. Kurt Ostbahn alias Willi Resetarits) zu erweitern. Zum Unterschied der Singbarkeit von Hochdeutschem und Dialekt vergleiche man auch die jeweiligen Versionen von Georg Danzers „I verlass di“/„Ich verlass dich“, „I bin a Kniera“/„Ich bin ein Kriecher“, „Kana kann den Blues so blasen“/„Niemand kann den Blues so blasen“ oder „Laßts mi raus“/„Lasst mich raus.“ 61

Auch hier stand eine parodistische Absicht des Kabarettisten Bronner am Anfang [...], doch die Reise ging durch Qualtingers wüstes Shouten schnell ihre eigenen Wege. Das lapidare Aufzählen von Bahnstationen schuf jenes absurde Feeling, das auch große Rocksongs aus der Logik der Dinge herauskippt. Bronner und Qualtinger paraphrasierten, wohl ohne es zu ahnen, ein essentielles Lebensgefühl der Rocker und Hipster: das des nihilistischen Herumstreunens, dem fernen Baby und dem großen Horizont stets hinterher. Hieß es bei Chuck Berry mit großem Pathos ‚ all over St. Louis and down in New Orleans, from the heart of Texas to the Frisco Bay ‘, so lief in Österreich der verzweifelte Strizzi eben zwischen Marchegg und Wulkapodersdorf Amok. 216

Diese Travestierung der Rockkultur 217 , die Ambros dann, wie bereits angeführt, mit dem Song „Die Nr. 1 vom Wienerwald“ auf eine authentische Spitze trieb, findet sich auch in dem Lied „Hey Listen“ aus dem Album Nie und Nimmer (1979), auf dem auch die Ambros-Band, die „Nr. 1 vom Wienerwald“ verewigt wurde. Verband Bronner Wiener Grant mit angloamerikanischer Wut - „ […] Himme fix no amoi! […] There is just the Fahrplan of the Bundesbahn to blame zu blöd!” 218 – gehen Ambros (Musik, Gesang) und Khittl (Text) im rockig-bluesigen “Hey Listen” eine Ebene tiefer: „Hey listen, it’s gschissn. Too much shit is in this world.“ 219 Diese Verlagerung auf sprachlicher Ebene geht einher mit der oben bereits andiskutierten Proletarisierung der popularkulturellen Musik. Ausgangspunkt für diese Überlegung im Zusammenhang mit Wolfgang Ambros ist, dass letzterer sich in seinen Liedern immer wieder auf die Seite der kleinen Leute stellt, die auch zum Großteil seine Klientel sein dürften. 220 Moser führt als Beispiel das Lied „Minderwertigkeitskomplex“ (Selbstbewusst ) an, das von einem „Mister Profit“ 221 handelt, „der seinen Minderwertigkeitskomplex damit kompensiert, ‚indem er seine Umwelt unterdrückt.’“ 222 Das aktuellste Exempel für eine solche Parteinahme ist „Lügner“ aus dem 2006 erschienen Album Steh grod , das sich gegen einen mächtigen und reichen Mann von Welt wendet. Der Lügner ist eine Figur der High-Society, die – von Ambros natürlich ironisch gemeint - gar nichts dafür kann, dass sie so ist wie sie ist. Die Probleme der vermeintlich höheren Gesellschaft parodierte Ambros auch in „Ein Boss am Wörthersee“ ( Voom Voom Vanilla Camera ). Die Szene, die „Jeunesse doreé“ verballhornte auch schon Gerhard Bronner in seinem Lied „Der Papa wird’s schon richten“, vorgetragen in karikierendem Schönbrunner-Deutsch von Helmut Qualtinger. „Der Papa wird’s schon richten“ steht in der Tradition des Spottliedes, die

216 Kos: Rock, S. 11-12. 217 Vgl. ebd., S. 12. 218 Gehard Bronner: Der Bundesbahn-Blues. Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. 219 Johann Khittl u. Wolfgang Ambros: Hey Listen. Nie und nimmer. Bellaphon 1979. 220 Vgl. Moser: Volksliedermacher, S. 99. 221 Wolfgang Ambros: Minderwertigkeitskomplex. Selbstbewusst. Bellaphon 1981. 222 Moser: Volksliedermacher, S. 99. 62 auch von Ambros („Eibischzuckerl“, 19 A Class Numbers ), Danzer („I bin a Kniera“, Narrenhaus , 1978) und anderen fortgeführt wurde. Die „Jeunesse doreé“, die bei Ambros von Brecht, Camus und Kafka palavert 223 , sitzt in Bronners Song in der Eden Bar im ersten Wiener Gemeindebezirk, kann die Zeche nicht bezahlen, was aber weiter kein Problem ist, denn der Herr Papa wird sich darum kümmern – ebenso um die von den Söhnen verursachten Verkehrsunfälle mit Todesopfern und sonstigen „Scherereien“ 224 . Die von Bronner und Qualtinger hier parodierten reichen Nichtstuer (der Ich-Erzähler, seine Freunde Gießhübl und Puntigam) werden auch als intellektuelle und geistige Nullnummern entlarvt:

Da sagt der Gießhübl drauf: ‚Na kloa, a bissl wos is schon dran woa, waunns’d zruckdenkst noch aun unsre Schul, do woa ich eher schon a Null. Na und die Universität ... Du kennst mi jo, des liegt ma net, drum woar ich bissl desperat, ois man mich dort net g’nommen hot. Drauf sog ich: ‚S’tät mich int’ressier’n, wirst Du do goa net protestier’n?‘ ‚Zu wos‘, sogt er, ‚soi ich mich strapizier’n?‘

Da Papa wiads scho richt‘n, da Papa wiads scho richt‘n, des g’hört doch zu den Pflicht‘n von jedem Herrn Papa. Und brauch ich einen Posten, daunn losst a sich’s wos kost‘n, sonst frog ich mich: ‚zu wosdn ist er sonst da?‘225

Vom geistigen Horizont und der sozialen Position sind die Figuren aus der Eden Erben eines Spottliedes aus dem Jahr 1848: „D’ Hausherrnsöhnln“, das unter anderem Qualtinger und Heller für ihr mittlerweile legendäres Album Gestrige und heurige Lieder (1986) aufgenommen haben. In diesem Lied werden die Söhne eines Hausherrn verspottet, die nichts im Kopf haben, als sich herumzutreiben, wie die Bronner’schen Protektionsnutznießer auch in der Schule versagt haben und ebenso von keinen Geldproblemen geplagt sind. Vertreter einer Schicht, die fern jeder Protektion ihr Dasein fristet, ist der Ich-Erzähler in Bronners Lied „Weil mir so fad is ...“ - einer Abrechnung mit dem Halbstarkenmythos und den damit verbundenen Idealen. War Bronners „Halbwilder“ noch stolz auf seine Daimler- Puch 226 und darauf auszusehen wie Marlon Brando mit seiner Maschin 227 in dem Film Der

223 Vgl. Ambros: Voom Voom Vanilla Camera. 224 Vgl. Gerhard Bronner: Der Papa wird’s schon richten. Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. 225 Ebd. 226 „Bis jetzt woa ich in meina Plottn da Gfüde, jetzt wissns olle - in mia steckt no wos drin, in meina Gassn nennt mich jeda jetzt ‚der Wüde mit seina Maschin‘.“ (Gerhard Bronner: Der Halbwilde. Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990.) Rainhard Fendrich nimmt in seinem Lied „Zweierbeziehung“ ebenfalls die übergroße Liebe eines Mannes zu seinem motorisierten Untersatz – in dem Fall ein Auto – aufs Korn: „Imma nua woar i nua da Deppade, da Blede, oba wiar i auf amoi mit dia [dem Wagen] daheakumman bin, do haums gschaut, do is eana de Lod obagflogn [...]“. (Rainhard Fendrich: Zweierbeziehung. Ich wollte nie einer von denen sein. Polygram 1980.) 227 Vgl. Gerhard Bronner: Der Halbwilde. Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. 63

Wilde (The Wild One , 1953), so trauert der ehemalige halbstarke Ich-Erzähler aus „Weil mir so fad is ...“ alten Zeiten nach:

‘S woan moi Zeitn, wo der g’schupfte Ferdl war bekannt als bedeutender Kerl, aber jetzt wird’s um ihn laungsuam stad. Und dann später woas wie a Kommando: Jeder schoint si wie Marlon Brando, mit da Zeit woa des aa ziemlich fad. 228

Mit dem Erwachsenwerden der Ferdl-Generation geht die Einsicht einher, dass es sich bei den Marlon-Brando-Kopien nur um einen Trend handelte, auf den jeder aufsprang. Damit wird die Scheinhaftigkeit der neugewonnenen Individualität des Halbwilden mit seinem Motorrad entlarvt. Vielleicht aber ist es ja auch der Halbwilde selbst, der da über vergangene Zeiten räsoniert. Jedoch führen diese Einsichten nicht zu einer Weiterentwicklung. Die Ablösungstendenzen – symbolisiert durch das Tragen einer Lederkluft („Jeder schoint si wie Marlon Brando“ 229 ) – schlugen wieder um in erneute Fadesse und Langeweile („mit da Zeit woa des aa ziemlich fad“ 230 ):

Und wir haum scho beinoh ollas prowiat, dass die Zeit vageht, doch wenn man erwachsener wird, is da Ferdl und Brando für unseran do scho zu bled. Bei da Oabeit sekkiat di da Masta und die aundan vabogenen Gfrasta, deine Neavn wean laungsaum vadraht. Doch auf d’Nocht, waunn da Mensch wieda frei is, waunn die scheißliche Oabeit voabei is, daunn faungts erst aun, wos moch ma daunn? Weil daunn is uns fad! 231

Der Grund für die Langeweile liegt darin, dass der Erzähler zu viel Zeit und nichts zu tun hat. Warum, darüber lässt er uns im Unklaren. Dass er vermeintlich doch einer höheren Schicht angehört, kann nicht zutreffen, da er die Kreise des „G’schupften Ferdl“ und der „Halbwilden“ kennt und am Ende des Liedes einen Mord begeht und im Gefängnis landet, was der Papa, wäre er in der entsprechenden Gesellschaft zu Hause, mit Sicherheit hätte richten können. Und im Gegensatz zu Gießhübl, Puntigam und Konsorten geht der Erzähler

228 Bronner: Weil mir so fad is ... . Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. 229 Ebd. 230 Ebd. 231 Ebd. 64 um der Langeweile zu entgehen nicht in die Eden-Bar, sondern ins Kino und danach ins Kaffeehaus:

Du gehst vom Kino raus und waaßt net, wos soist mochn, daunn gehst ins Café, spüst in da Juke-Box jedn Tog desöbm Sochn, de tan da scho weh. Und mit da Zeit do kriagst a Idee und du zerlegst einen Cafetier, weu da so fad is. 232

Die Gewaltbereitschaft steigert sich bis zum Mord eines Taxilenkers, worauf der Ich-Erzähler sich fragt: „Wos kaunn denn i dafua, dass i a so vü Zeit hob?“ 233 Diese Frage stellt sich das lyrische Ich aus Ambros’ „Espresso“ ( Es lebe der Zentralfriedhof ; Text: Anbiss, Khittl) schon gar nicht mehr. „Espresso“ ist der Monolog eines nicht näher erfassten Ichs, das nicht aus der routinierten Langeweile seines Daseins auszubrechen vermag:

Heit sitz i wieda im Espresso, wie jedn Tog so um hoib via und woat, doss si vielleicht wos tuat, weul i mi goa so fadisia.234

Das Café aus “Weil mir so fad is …” hat sich in ein Espresso verwandelt. Wie der Protagonist des Bronner-Songs 235 sitzt auch die Ambros-Figur jeden Tag im Lokal. Jeden Tag ungefähr um halb vier – was auf die Zeit nach Dienstschluss vermuten lässt und somit auf einen Arbeiter, der hier eben jeden Tag vorbeikommt und mit seinem Feierabend nichts anderes anzufangen weiß. Es kann sich genauso gut um einen ziellosen Jugendlichen handeln, der in den Tag hineinlebt, in eine Endlosschleife der Untätigkeit geraten ist und mit seinen Espressobesuchen zumindest einen Fixpunkt hat. Die zweite Strophe erzählt von seinen Aktivitäten im Espresso:

Es is kaana do, den wos i kenn, i hoi ma de Zeitung und les de Kuitua, schau noch, wos neichs im Kino spüt

232 Bronner: Weil mir so fad is … . 233 Ebd. 234 Johann Khittl, Anbiss [keine Vornamensangabe] u. Wolfgang Ambros: Espresso. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. 235 „[...] dann gehst ins Café, spüst in da Juke-Box jedn Tog[!] desöbn Sochn [...]“ (Bronner: Weil mir so fad is ... .) 65

und frog an, wie späts is, weul i hob kaa Ua.236

Das Espresso ist sozusagen eine Art Heterotopie, wo jegliche Zeitrechnung endet. Im Gegensatz zu den aktiven, sich langweilenden Figuren Bronners – Der „Halbwilde“ hat zwar keine Ahnung, wohin er mit seiner Maschine fährt, aber er ist schneller dort 237 , der „Fade“ liest nicht wie der Ambros-Charakter das Kinoprogramm, sondern flieht in die Welt der Western 238 - zeigt der Mensch im „Espresso“ nicht den geringsten Ansatz zu einer anderen Tätigkeit außer Rauchen, Trinken und die Musikbox zu betätigen:

De Zeit vageht, jetzt sitz i scho beim zweitn Bia, beim viatn Tschick. I druck wos in de Musikbox und gib ma de Kommeazmusik.239

Spätestens jetzt schreitet Bronners Gequälter zur Tat und „zerlegt“, nachdem ihm die täglich selben Sachen aus der Juke-Box schon wehtun, einen Cafetier. 240 Bei Ambros kommt es in der vierten Strophe zu einem kurzen zwischenmenschlichen Kontakt:

A Madl kummt und wül a Feia, i schau mas au, sie is net zwieda. Sie zind si ia Zigarettn au, sogt: ‚Daunk da schee ‚und locht mi au und schleicht sie wieda.241

Dieses kleine Erlebnis gibt dann so etwas wie einen Hoffnungsschimmer, der aber noch mehr Fatalität birgt. Der Ich-Erzähler verlässt das Espresso und kokettiert mit dem Gedanken, die Frau, die ihm eben begegnet ist, am nächsten Tag wieder zu treffen:

Naujo, jetzt wer i, glaub i, geh. I zoi, steh auf und ziag ma mein Mantl au und denk ma no, vielleicht is de, de kaa Feia ghobt hod muagn aum Nochmittog aa wieda do.

Weu do sitz i wieda im Espresso wie jedn Tog so um hoib via

236 Khittl, Anbiss u. Ambros: Espresso. 237 Vgl. Bronner: Der Halbwilde. 238 „Do gehst ins Kino und siachst an Galopp von Indiana in Cinemascope“. (Ebd.: Weil mir so fad is ... .). 239 Khittl, Anbiss u. Ambros: Espresso. 240 Vgl. Bronner: Weil mir so fad is ... . 241 Khittl, Anbiss u. Ambros: Espresso. 66

und woat, doss si vielleicht wos tuat, weul i mi goa so, weul i mi goa so fadisia.242

Das mögliche Wiedertreffen mit der Frau ist nur eine gedankliche Ausflucht, um einen Grund zu haben, erneut ins Espresso zu gehen, denn er weiß ja ohnehin, dass er wieder dort sitzen und sich langweilen wird. Und noch mehr der Ödesse verfällt. Die Fatalität seines Daseins manifestiert sich in den gequälten Schlusszeilen, die durch ein eingefügtes „weu i mi goa so“ noch schmerzlicher wirken. Aus den parodistischen „Fad“-Brüllern der Qualtinger-Aufnahme sind bei Ambros die Hilfeschreie eines Menschen geworden, dessen einziges „Vergnügen“ die Stunden im Espresso sind. Diese vermeintliche Feierabend-Situation besitzt ein großes Identifikationspotential nicht nur für tatsächlich so lebende Menschen aus der Arbeiterschicht, sondern auch aufgrund ihrer Zeitlosigkeit für alle, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen und völlig orientierungslos wenigstens eine Regelmäßigkeit darin zu finden trachten jeden Tag ein bestimmtes Lokal aufzusuchen um so den Kontakt zur (allerdings oft nur scheinbar) sozialen Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Diese in „Espresso“ ausgedrückte Stimmung und Existenzkrise ist symptomatisch für die erste Phase des Austropop, die vor allem Ambros zu einer Proletarisierung der Popularkultur machte, was sich auch in seinem ersten Album Alles andre zählt net mehr … zeigt, anhand dessen nun ein Bild des Austropop und des künstlerischen Wirkens von Wolfgang Ambros gezeichnet werden soll, um daraus die thematische Grundlage für eine Untersuchung seiner Hörspiele zu erhalten.

3.4.1.3. Die ausklingende Revolution

[...] wiar i jung woa, hob i traamt, dass ma de Wöd vaändan kau mit Gedaunkn, mit Ideen, mit an Liad. Kuaze Zeit hots fost so ausgschaut ois ob des gelingan kennt wia de Jugend auf de Stroßn gaunga is. Ollas woar auf amoi meglich und da Horizont woa weit. Wia haum glaubt, jetzt kummt des neiche Paradies.

Do woa ‚All You Need Is Love‘ und daunn woa do ‚Give Peace a Chance’ und aa ‚Masters of War’. Mit Bob Dylan und den Beatles bin i innalich vareist,

242 Khittl, Anbiss u. Ambros: Espresso. 67

dass des net auf ewich geht, des woa ma kloa. 243

Was Georg Danzer hier besingt, sind die sechziger Jahre auf ihrem Zenit und die ausklingende Revolution Anfang der Siebziger. Es mag zwar sein, dass die linke 68er- Revolution verebbte und deren Protagonisten langsam begannen sich dicke Bäuche anzuessen und die Karriereleiter zu besteigen um spätestens in den Achtzigern die Chefetage erreicht zu haben, aber in der Popularkultur und auch abseits der Trivial- beziehungsweise Popularkunst zeichnete sich nicht nur eine Parteinahme für die Arbeiter ab, sondern es drangen auch immer wieder junge KünstlerInnen nach vorne, die sich tabubrechend mit den Problemen der Jugendlichen auseinander setzten. Auch wurde in allen Kunstgattungen Vergangenheitsbewältigung betrieben: Vom Kabarett eines Gerhard Bronner bis zur Bildenden Kunst, wo in der Nachkriegszeit ebenfalls ein „Aufbruch, der sich zunächst in der Neugier, in der Auflehnung gegen das vorherrschende Kunstverständnis der letzten Jahre“ 244 wandte, stattfand, dessen Höhepunkt mit Sicherheit die Bewegung des Wiener Aktionismus war: „Das aufsehenerregendste Ereignis, das das Kulturland Österreich erschütterte, war das Happening von Brus, Mühl, Weibel, Wiener und Genossen am 7. Juli 1968 im Hörsaal I der Universität Wien.“ 245 Doch genauso wie der Austropop mehr ist als eine Musikrichtung, ist der Wiener Aktionismus mehr als „eine von der Boulevardpresse skandalisierte Veranstaltung“ 246 . Desweiteren entwickelte sich in Österreich eine Szene Kritischer Liedermacher, die Christiane Juhasz und Philip Maurer grundlegend aufgearbeitet hat. Viele dieser intellektuellen Liedermacher stellten sich „auf die Seite der Arbeiterklasse, die als einzige potentiell revolutionäre Klasse erkannt wurde, als einzige Kraft, die sich gegen das ‚Establishment’ durchsetzen könnte.“ 247 Das ist zum Beispiel der Punkt, an dem Schaffnerlos einhakt, wobei der Konjunktiv wichtig ist: „durchsetzen könnte“ – Schaffner Fritz Knottek schafft es nicht sich gegen das System zu stellen – ein Schicksal, das uns im Austropop öfter begegnet, wie per exemplum in „Karibik in Unterhosen“ ( 13 schmutzige Lieder , 2001) von Georg Danzer. Fritz Knottek und der namenlose Ich-Erzähler aus „Karibik in Unterhosen“ bieten durch ihre authentische, allgemein verständliche Sprache dem Hörer ein großes Identifikationspotential. Und darin ist auch der Unterschied zur Literatur zu sehen, die im Großen und Ganzen ein in sich geschlossener Kreislauf blieb:

243 Georg Danzer: Träumer. Träumer. Universal Amadeo 2006. 244 Maria Rennhofer: Aufbruch nach 1945. In: Parnass, Sonderheft 18/01, S. 84. 245 Maurer: Man lebt, S. 31. 246 Hubert Klocker: Wiener Aktionismus. In: Parnass, Sonderheft 18/01, S. 150. 247 Maurer: Man lebt, S. 34. 68

Engagierte Autoren, die politische Themen aufgriffen [oder auch den Alltag kritisch hinterfragten], verblieben mit ihren Veröffentlichungen im konventionellen Bereich der Literatur. Mit Büchern, Zeitschriften und Lesungen erreichten sie immer nur das kleine literarisch interessierte Publikum. [...] Erst später, als die kritische Literatur öffentliche Anerkennung gefunden hatte, durften Peter Turrini und Wilhelm Pevny mit ihrer ‚Alpensaga’ und Helmut Zenker mit ‚Kottan’ aus den engen Grenzen des Literaturbetriebs ausbrechen. Im Medium Fernsehen konnten sie ein breites, im allgemeinen nicht literarisch interessiertes Publikum ansprechen. 248

Etwas, das die Pop-Musiker Wolfgang Ambros und Georg Danzer mit dem Verkauf ihrer Schallplatten und ihren Konzerten ebenfalls erreichten. 249 Den Grundstein dafür legte Ambros mit seinem ersten Album Alles andre zählt net mehr … .

3.5. Alles andre zählt net mehr …

Der Austropop als Teil eines gesellschaftskulturellen Umbruchs und Folge der ausklingenden 68er-Revolution ist ebenso wie der Wiener Aktionismus nicht verebbt, sondern lebt modifiziert und sich ständig weiterentwickelnd – zumindest was die vermeintlichen Hauptprotagonisten Wolfgang Ambros und Georg Danzer betrifft – weiter. Er lebt deshalb weiter, weil bestimmte Themen bis heute relevant sind. Die Alben Von Scheibbs bis Nebraska (2005) und Träumer (2006) von Georg Danzer klingen von der Direkt- und Einfachheit der Wortwahl zum Teil wie aus den Siebzigern importiert – ohne dabei aber zur Gänze in Klischees und Wiederbelebungsversuchen stecken zu bleiben, sondern durch Lebensreife und klare Arrangements eine Weiterentwicklung darzustellen, wie wohl auch zu bedenken ist, das Weiterleben künstlerischen Stillstand nicht unmittelbar ausschließt. Aber zurück zu den Wurzeln:

248 Maurer: Man lebt, S. 40. 249 Die Vergangenheitsaufarbeitung in Form der Alpensaga fand auch großräumigere Beachtung als Turrinis Theaterskandale rozznjogd und Sauschlachten . Ebenso wie der Arbeiterroman Salz der Erde von Ernst Hinterberger in Form von Ein echter Wiener geht nicht unter im Fernsehen. 69

3.5.1. „Franz Pokorny, 60, Hausbesorger“ („A Hausmasta is a Respektsperson!“)

Wie alle Songs aus Alles andre zählt net mehr ... stammt der Text von Josef Prokopetz und die Musik von Wolfgang Ambros. Der Opener ist ein Hörspiel en miniature, Monolog, Ich- Erzählung und Psychogramm. Handlungsort ist ein Wiener Beisl. Die Nummer beginnt mit einer Ziehharmonika, die „Wiener Blut“ von Johann Strauß Sohn intoniert. Im Hintergrund hört man die typische Geräuschkulisse eines Gasthauses: Gemurmel, Gläserklirren, lautes Auflachen. Bereits nach sechs Sekunden bricht die Harmonika kurz ab, um nach zwei Sekunden ihr Spiel wieder aufzunehmen und nach siebzehn Sekunden in rockig-poppige Gitarrenklänge mit Schlagzeugbegleitung und Ambros’ Melodie umzuschwingen. Hier findet der „Pop-Knall“, die angesprochene Sprengung vorhandener Strukturen 250 , auch tatsächlich musikalisch statt. Nun beginnt auch der Monolog von Hausbesorger Franz Pokorny in dumpf resignierendem Tonfall:

Schauns mia siecht mas scho von da Weitn au - i bin a Hausmasta in an Gemeindebau. 251

Der Monolog ist an ein Du (in diesem Fall Sie) gerichtet. Es besteht aber kein Zweifel, dass Herr Pokorny hier im Grunde ein Selbstgespräch führt - ähnlich wie Kurt Sowinetz in „Alle Menschen san ma zwider“ ( Alle Menschen san ma zwider , 1974), dem „Selbstgespräch eines Querulanten beim Heurigen“, wie der Untertitel dieses Songs lautet. Im Gegensatz zu Sowinetz’ Eigenbrötler, der allen Menschen „in d’ Gosch‘n haun“252 möchte, hat Franz Pokorny auch einen Beruf. Dieses Lied steht somit in der Tradition des Standes- und Metierliedes, ist allerdings ein solches im negativen Sinn. Wird wie Birgit Amlinger vor Augen führt im Auftrittslied Valentins aus Ferdinand Raimunds Der Verschwender „der Stand des Tischlers gepriesen“ 253 –

Bin ein Tischlergsell gewesen –

250 Vgl. Behrens: Pop, S. 72. 251 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Franz Pokorny, 60, Hausbesorger (‚A Hausmasta is a Respektsperson!’). Alles andere zählt net mehr ... . Amadeo 1972. 252 Teuschl, Sowinetz, Salomon u. Beethoven [keine Vornamensangaben]: Alle Menschen san ma zwider. Preiserrecords 1972. 253 Birgit Amlinger: Dramaturgische Strukturen der Gesangseinlage in der Alt–Wiener Volkskomödie. Dissertation. Wien 1985, S. 224. 70

Und ein Mann von Politur [...] 254

- so wird Pokornys Einführung allein schon durch den gezogenen, dumpfen Vortrag zu einem Anti-Metierlied. Woran man Pokorny seinen Beruf schon von weitem ansieht, kann man zu Beginn nur vermuten, aber im Verlauf des Liedes wird klar, dass es nicht an seiner Statur und Autorität liegen kann, sondern eher an seinem Alkoholkonsum und seinem Grant – obwohl er immer wieder betont, er sei eine Respektsperson. Das betont er deshalb, weil „ein Metier [...] nicht nur als Beschäftigung, sondern als prägender Bestandteil eines Menschen [gilt].“ 255 Nur bemerkt er nicht, dass gerade darin der Grund für seine Lächerlichkeit liegt, weil er ehemalige „Erfolge“ in die Tätigkeit des Hausmeisters hineinprojiziert. Aber zurück zum Text. Nachdem er sich als Hausmeister vorgestellt hat, gibt er Einblick in sein Arbeitsfeld:

De Hockn von an Hausmasta besteht darin, dass ea waaß, wos in sein Haus vuageht. 256

Hier klingt schon seine vermeintliche Allwissenheit an, die, wie sich gleich zeigt, in einer faschistischen, militärischen Geisteshaltung gründet. Da er als Haumeister eine Respektsperson ist, nimmt er auch eine Machtposition ein wie sie nur Kommandeuren einer Kaserne oder Gauleitern vorbehalten war, die über alles und jeden Bescheid wissen mussten:

Oba um de Leit kümmer i mi net, weu i scho am Schritt hea wea vuabeigeht.257

In der Zeit nach dem Nationalsozialismus drängt Pokorny diese Arbeitsanschauung allerdings in eine gesellschaftliche Sackgasse, in die Einsamkeit und letztendlich in die Alkoholsucht:

Schauns i bin eh vü liaba alaa und sauf mi in den Beisl do au. Mi außez‘haun tätn sie de nie traun - weu a Hausmasta is a Reschpektsperson! 258

Wie sehr er sich schon in eine Außenseiterstellung manövriert hat, beweist die Zeile „Mi außez‘haun tätn sie de nie traun“ 259 , in der eine unsichtbare, undefinierte Masse („de“260 )

254 Ferdinand Raimund: Der Verschwender. In: Ders.: Ferdinand Raimunds dramatische Dichtungen. Hrsg. v. Margarethe Castle und Eduard Castle. Bd. 2. HkA. Wien: Anton Schroll & Co [Ohne Jahresangabe.], S. 350. 255 Amlinger: Strukturen, S. 224. 256 Prokopetz u. Ambros: Franz Pokorny. 257 Ebd. 258 Ebd. 259 Ebd. 260 Ebd. 71 angesprochen wird, die ihn niemals aus dem Beisl werfen würde. Von keinem hohen Bildungsgrad zeugen sein Fallfehler „und sauf mi in den [!] Beisl do au“ 261 und seine Aussprache von „Respektsperson“ als „Reschpektsperson“, die minderen Tätigkeiten nachgeht und deren Feindseligkeit in „Alle-Menschen-san-ma-zwider“-Manier sich auch schon auf die BewohnerInnen des Gemeindebaus auswirkt:

Vuamittog im Stiagnhaus de Tschick arretian und den Dreck von da Waund owaputzn, den de Gschroppn aufe schmian. Nochmittog beiß i a poa Partein au, weul i ma jo net ollas gfoin lossn kau.262

Aufgrund dieser unbefriedigenden Arbeiten ist es nur allzu verständlich, dass sich Herr Pokorny nach besseren Zeiten sehnt. Er gibt seinem vermeintlichen Du zu verstehen: „Schauns fria is ma jo vü besser gaunga“ 263 . Diese Reminiszenz an die gute, alte Zeit entpuppt sich aber als fatal in ihrem Subtext. Rechnet man nämlich zurück, so muss Herr Franz Pokorny, zum Zeitpunkt der Entstehung des Albums – 1972 – sechzig Jahre alt, 1912 geboren sein. Das heißt, er hat als Kind noch die Monarchie erlebt – gehört aber nicht mehr der Generation an, die früher geboren war und somit diese Zeit noch bewusst erleben konnte. 264 Wie sich auch herausstellt, ist für ihn die gute Zeit auch nicht die des Kaisers, sondern der faschistischen Führerfiguren Engelbert Dollfuß und Adolf Hitler. Den Bürgerkrieg von 1934 hat Pokorny als Zweiundzwanzigjähriger miterlebt und beim Einmarsch Hitlers 1938 muss Pokorny sechsundzwanzig gewesen sein. Pokorny scheint militärische Karriere gemacht zu haben und erklärt, warum es ihm früher viel besser ergangen ist:

Waunn ma meine Schuitaspaunne nua von da Weitn hot gsegn - jo, do hots nua ans geem: de Haund in d’ Heh, de Hoitung straumm, den Körper streckn de Hockn zaumm.265

261 Prokopetz u. Ambros: Franz Pokorny. 262 Ebd. 263 Ebd. 264 Diese wird von Ambros im dritten Lied aus Alles andere zählt net mehr ... besungen. 265 Prokopetz u. Ambros: Franz Pokorny. 72

Abgesehen davon, dass die Zeilen, die die Schulterspanne und die Erscheinung Pokornys beschreiben, die dramaturgische Klammer und zugleich die Antithese zu seiner tatsächlichen Erscheinung sind, wie sie zu Beginn beschrieben wird, ist hier eindeutig auszumachen, dass es sich in seiner Erinnerung an die gute, alte Zeit tatsächlich um die Jahre des Nationalsozialismus handelt, in denen er höchst wahrscheinlich einen (hohen) militärischen Rang innehatte, der sein Gegenüber zu strammer Haltung und Hitlergruß zwang. Dies wird durch ein kurzes, instrumentales Marsch-Intermezzo untermalt, das aber wieder übergleitet in die resignativen Rockklänge:

Schauns i bin heit sechzich Joa. Heit ist heit und wos fria woa haum doch olle scho längst vagessn. I hob mei Bett, i hob mei Essn. I hob sogoa a Telefon, weu a Hausmasta is a Reschpektsperson! 266

Dass die Greueltaten von früher 1972, nur siebenundzwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges “längst vergessen” sein sollen – das gesagt von einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher (Schon der steckbriefartige Song-Titel weist darauf hin.) – ist nicht mehr und nicht weniger als eine Pervertierung der österreichischen Kunst des Verdrängens und Vergessens. 267 Pokornys eingebildeter Führerstatus als Hausmeister und Respektsperson verrät sich hier vollends: Er, der den Nationalsozialismus keineswegs verdrängt oder vergessen hat, nein, auf seine Weise sogar noch auslebt, beschuldigt alle anderen nichts mehr von damals zu wissen. Pokorny – offensichtlich kein germanischer Name - ist sozusagen allein auf weiter Flur. Und doch nicht. Denn seine braune Vergangenheit und Gegenwart mischt sich am Ende des Liedes mit der österreichischen Pseudozufriedenheit der Nachkriegsjahrzehnte, die er allerdings wiederum aus seiner psychischen Störung heraus in einen Führerstatus zu verwandeln imstande ist:

266 Prokopetz u. Ambros: Franz Pokorny. 267 „Die Zeit von 1945 bis etwa 1965/66, also die ersten zwanzig Jahre der Zweiten Republik, erscheinen als Phase der Restauration und Stabilisierung. Das ist in etwa zeitgleich mit der großen Koalition; diesem Koalitionsklima in Österreich wird auch eine Tendenz zur Harmonisierung von Gegensätzen nachgesagt, um die innenpolitischen Spannungen der ersten Republik nicht wieder aufleben zu lassen. Von einer wissenschaftlich umfassenden Aufarbeitung der Nazizeit kann – besonders für die Zeit nach 1948 – nicht die Rede sein; noch weniger war vom Ständestaat die Rede. Hier scheint es ein Stillhalteabkommen zwischen den beiden Großparteien gegeben zu haben, das diese Periode des unglücklichen Nebeneinanders verdrängen wollte.“ (Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis 1990. Salzburg, Wien: Residenz 1995, S. 378.) 73

I hob mei Bett, i hob mei Essn. I hob sogoa a Telefon, weu a Hausmasta is a Reschpektsperson! 268

Eigentlich noch mehr als „Da Hofa” ist „Franz Pokorny, 60, Hausbesorger” ein Musterbeispiel dafür, was Austropop ist: Mit Tradition arbeitend (Standes- und Metierlied) werden Traditionen und Tabus gebrochen. Vieles wogegen sich dieses Lied auflehnt, findet sich bis heute im Schaffen von Ambros, Danzer und anderen KünstlerInnen. Vieles davon wurde noch radikalisiert – vor allem in den Siebzigern.

3.5.1.2. Wien-Kitsch

Schon das kurz unterbrochene musikalische Intro von „Franz Pokorny“ weist auf einen Bruch mit der Vergangenheit hin. Das „Wiener-Blut“-Akkordeon in Verbindung mit dem Wirtshausgemurmel, dem gellenden Auflachen und schließlich dem Übergleiten in Rockklänge macht deutlich, dass der Hörer hier etwas anderes vermittelt bekommt als restaurative Walzerseligkeit. Ja, allein schon die zitierten Geräusche, das Lachen und kurze Unterbrechen von „Wiener Blut“ symbolisiert die Brüchigkeit und Fadenscheinigkeit von Walzerklang und damit verbundenen Wienerliedklischees. 269 Das Wienerlied war zwar von jeher ein Ausdrucksmittel von Kritik und Polemik, war aber nach dem Zweiten Weltkrieg mit einigen Ausnahmen lediglich ein Kitschprodukt und Reminiszenz an selige (und in der Form

268 Prokopetz u. Ambros: Franz Pokorny. 269 An atmosphärischer Dichte steht die Introduktion von „Franz Pokorny“ Peter Henischs Gedicht „böhmischer prater / wirtshaus mit schanigarten“, dessen erste Strophe hier angeführt werden soll, in nichts nach: „seit fünfzehn jahren keinen einzigen sonntag ausgelassen seit fünfzehn jahren draußen im garten unter der bierpreis- tafel drin in der stube unter dem schild mit der aufschrift SPARVEREIN DER GEMÜTLICHEN LAAERBERGER seit fünfzehn jahren immer weniger gras obenauf immer mehr galle im blick nicht bös nur ein bissel bitter an der knopferlquetschen der eine der andere hinterm schlagzeug marke SWINGSTAR rechts das häferl kalte melange das macht auch nicht schöner links der aschenbecher in dem die tschick pomali verglosen / seit fünfzehn jahren keinen einzigen Sonntag den schneewalzer ausgelassen mit verändertem text jaja des is klar daß der frosch hat am bauch keine haar keinen einzigen Sonntag den kuckuckswalzer vergessen mit tierstimmenimitation“ (Peter Henisch: böhmischer prater / wirtshaus mit schanigarten. In: Ders.: Wiener fleisch & blut. Wien: Jugend und Volk 1975, S. 39.) 74 nie existiert habende) Zeiten und „schon zu Beginn der 50er Jahre wurden sie [die Wienerlieder] von den deutschen Schlagern, dann von US – Hits verdrängt. Das Wienerlied fand nur mehr in einer bestimmten gehobenen Altersschicht sein Publikum und wurde zum Klischee.“ 270 Das Wienerlied mit den eigenen Waffen schlug Gerhard Bronner mit seinen gallig sarkastischen Liedern „Die alte Engelmacherin“ und „A Kriagal, a Seidal“. Letzteres wurde auch von Qualtinger und Heller in ihre Produktion Gestrige und heurige Lieder (1986) aufgenommen. Auf dieser Platte – in klassischer Wienerliedinstrumenation mit Akkordeon, Gitarre und Geigen - findet sich unter anderem auch das „Anti-Wien-Lied“ „Wean, du bist a oide Frau“ mit Zeilen wie

Des Wean, des is a oide Frau; sie kaunn scho nimma gräun und in da Goschn duan de Zähnt unhaamlich schiach vafäun.271 und

Sie [die Wienerstadt] is wehleidig, aber söbstzufriedn, lebt vom alten Ruhm seit fufzig Joan[...]. Neger, Gammler, Juden und die aundan Scheißerl san zwoa liab; no liaba waunn mas hängt [...].272 oder

Doch bin ich leider selbst aus Wean, ein Kind von dera Frau, drum woat i bis zum Muttatog dass i’s daschlog de Sau.273

Diese Schimpfkaskaden werden durch die rührselige Melodie noch verstärkt. Von einer Seligkeit, wie sie in klassischen Wienerliedern immer wieder zu finden ist, also eine Verherrlichung von Wien und Wein, Weib und Gesang – ist hier keine Spur mehr – ebenso wie in den makaberen Gedichten von H.C. Artmann über den „ringlschbübsizza“ oder den

270 Ursula Debera: Politisches und Sozialkritisches im Wienerlied im 18., 19. und 20. Jahrhundert. Diplomarbeit. Wien 1995, S. 168. 271 André Heller u. Robert Opratko: Wean, du bist a oide Frau. Gestrige und heurige Lieder. Polygram 1986. 272 Ebd. 273 Ebd. 75

Betrunkenen zu Weihnachten („augsofana untan christbam“) aus seinem revolutionären Mundart-Gedicht-Band med ana schowazzn dintn . Vermeintliche Walzerseligkeit verspottet auch Peter Henisch in seinem Gedicht „wiener fleisch & blut“:

oh wiener fleisch & blut die leute tanzen in dieser stadt zwar nicht auf der straße aber ganz ohne zweifel sind wir ein überaus musisches volk im kursalon hübner hocken gespenster einer längst verschiedenen klasse & die geiger winden ihre violinen aus & der strauß schani schaut innig aus seinen bronzenen sexhosen 274

Hier wird eine Generation in Abrede gestellt, die aus einer anderen Welt (jene der Monarchie und in weiterer Folge der Diktatur) kommt und Schuld trägt an dem Provinzialismus, der Wien in der Nachkriegszeit prägte. Die andere Seite von Wien wurde unter anderem auch in dem Lied „Es lebe der Zentralfriedhof“ verarbeitet. Der Friedhof fungiert hier als Heterotopie, in der gesellschaftliche Eintracht herrscht und Klassiker der österreichischen Unterhaltungs- und Popularkultur wie Hans Moser oder die Schrammeln ihre Auferstehung feiern:

Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Totn, da Eintritt is fia Lebende heit ausnahmslos verbotn. Weu da Tod a Fest heit gibt de gaunze launge Nocht, und von de Gäst kaa anzigar a Eintrittskoatn braucht.

Waunns Nocht wiad üba Simmaring, kummt Lebn in die Totn und drüm beim Krematorium dans Knochenmoak obrotn. Duat hintn bei da Mamoagruft, duat stehngan zwaa Skelette, die stessn mit zwaa Uanen au und saufn um die Wette.

Am Zentralfriedhof is Stimmung wias sei Lebtoch no net woa, weu olle Totn feian heite seine easchtn hundat Joa.

274 Henisch: wiener fleisch und blut. In: Ders.: Fleisch, S. 7. 76

Es lebe der Zentralfriedhof und seine Jubilare. Sie liegn und sie vafäun scho duat seit über hundert Jahre. Draußt is koid und drunt is woam, nua maunchmoi a bissl feicht; waunn ma so drunt liegt, freut ma sich wenns Grablaternderl leicht.

Es lebe der Zentralfriedhof, die Szene wirkt makaber, de Pfoara taunzn mit de Huan und Judn mit Araber. Heit san olle wieda lustich, heit lebt olles auf. Im Mausoleum spüt a Band de hot an Waunsinns-Haumma drauf.

[…]

Es lebe der Zentralfriedhof, auf amoi mochts an Schnoiza - da Mosa singts Fiakaliad und de Schrammen spün an Woiza. Auf amoi is die Musi stü Uud olle Augn glänzn, weu duat drübn steht da Knochnmau und winkt mit seina Sensn.

275 […]

In diesem Sinn ist „Es lebe der Zentralfriedhof“ eigentlich ein modernes Wienerlied mit einem für diesen Liedtypus klassischen Topos: Tod und Himmelreich. Das Jenseits ist Thema unzähliger Wienerlieder. „Es lebe der Zentralfriedhof“ bricht in dieser Hinsicht nicht, sondern radikalisiert eine Tradition, ähnlich wie Wolfgang Ambros‘ Song „Wem heut net schlecht is“ aus dem Album Es lebe der Zentralfriedhof , das eine Mittelposition zwischen alkoholverherrlichenden Wienerliedern und Bronners bitterbösem Sauf-Spott-Lied „A Kriagal, a Seidal“ einnimmt. Prinzipiell dem Weingenuss ein Loblied, karikiert „Wem heut net schlecht is“ mit folgenden Strophen dieses Klischee:

Wem heit net schlecht is, des kaunn kaa Guata sein,

275 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Es lebe der Zentralfriedhof. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. 77

wea no net gspiem hot trinkt no a Glaserl Wein –276

Oder:

Weu noch siem Viataln wiad eascht des Leben schön und noch an Doppla, waunn mar ollas doppet sehn - do foa ma daunn von Grinzing haam, maunchmoi foa mar aun an Baam, oba des is uns wuascht, weu mia haum so an Duascht. 277

Darüber hinaus verarbeitet dieser Text (von Joesi Prokopetz) Zitate aus anderen Wienerliedern 278 : „Und wanns daunn aus wiad sein“ 279 ist eine Paraphrase des Liedes „Waunns amoi aus wird sein“, wird aber gleich wieder radikalisiert:

Und waunns daunn aus wiad sein, daunn pock mas mitn Schmäh, mia saufn uns ins Grob, weu mia san kaane Weh! 280

Dass der Himmel ein einziger großer Heuriger ist, ist im Wienerlied bereits schon Tradition:

Da moch ma daunn de Augn zua und die Musi spüt dazua und waunn da Herrgott wü, daunn sing ma volla Gfüh: Wem heut net schlecht is […]. 281

Aus diesem Spiel beziehungsweise dieser Radikalisierung mit musikalischen und textlichen Traditionen resultiert ein Punkt für den großen Erfolg von Wolfgang Ambros: seine viel

276 Wolfgang Ambros: Wem heit net schlecht is. Es lebe der Zentralfriedhof. 277 Ambros: Wem heit net schlecht is. 278 „Mia san so voi Glücksöligkeit, mia saufn, weus uns goaso g'freit. So is bei uns in Wien, jo do liegt wos drin.“ (Ambros: Wem heit net schlecht is.) Die Schlusszeile ist dem Lied „Heut’ kommen d’Engerl auf Urlaub nach Wien“ entnommen, wo es heißt: „Weana Leut, Weana Freud, do liegt was drin!“. (Wunsch, Josef [Keine Vornamensangaben]: Heut kommen d’Engerln auf Urlaub nach Wien. Wiener Souvenir. Polydor [Keine Jahresangabe].) 279 Ambros: Wem heit net schlecht is. 280 Ebd. 281 Ebd. 78 zitierte Volkstümlichkeit und Volksnähe, ein Aspekt, der allerdings im nächsten Kapitel näher erläutert werden soll. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war mit Sicherheit das Album Der alte Sünder (2005), auf dem Ambros Hans-Moser-Klassiker vorträgt und dem 2007 Ambros singt Moser. Die 2-te folgte. Ambros und Danzer griffen immer wieder auf die Form des Wienerliedes zurück. Ambros hat 1984 mit Rainhard Fendrich gemeinsam eine Single mit Hans Langs „S’Naserl“ herausgebracht, auf deren B-Seite sich Georg Danzers Lied „Heut‘ bin i wieder fett wie ein Radierer“ in verkürzter Form befindet. Danzer hat das Lied selbst bereits 1972 aufgenommen. Danzer nahm 1977 auch den Wienerliedklassiker „In einem kleinen Café in Hernals“ auf, den schon Peter Alexander sang. Es war die B-Seite der Single „Der Mensch braucht a bisserl a Ansprach“, eine Aufforderung sich um die anderen Menschen zu kümmern im Schrammelsound. Seine Hymne „Schani“ (aus der Compilation In Strauß und Bogen ), geschrieben für das Strauß-Jubiläums-Jahr 1975 ist eher eine Rückbesinnung auf alte Werte als ein Bruch mit der Tradition.

3.5.1.3. Vergangenheitsaufarbeitung

Vergangenheitsaufarbeitung bei Wolfgang Ambros heißt: Abkehr von der Elterngeneration und der „Uns-geht’s-gut“-Mentalität beziehungsweise den tradierten Werten aus der Habsburgermonarchie und der Nazidikatur. Der Hit „Zwickt‘s mi“ drückt die Haltung der älteren Generationen wie auch die der jungen Rebellen aus:

Die Jugend hat kein Ideal, kaan Sinn für woare Werte. Den jungen Leutn gehts zu gut, sie kennen keine Härte.

So redn de, de nua in O… gräun, Schmiagöd nehman, packln dan, noch an Skandal daunn pensioniat wean, kuaz: a echtes Vuabüd san. 282

282 Johann Hausner u. Wolfgang Ambros: Zwickt‘s mi. Bellaphon 1975. 79

3.5.1.3.1. Nationalsozialismus

Franz Pokorny, 60, Hausbesorger ist ein gefallener „Held“, der seine einstige Macht nun als Hausmeister ausspielt und es sich eigentlich „gerade noch gerichtet hat.“ Die Verwandtschaft mit Qualtingers und Merz’ Der Herr Karl ist nicht zu verleugnen. Seit Der Herr Karl 1961 über die Bildschirme flimmerte, war die Bewältigung des Nationalsozialismus aus der Popularkultur nicht mehr wegzudenken. Eine ähnliche Initialzündung scheint „Franz Pokorny“ zu haben, denn das Thema des schwelenden, verdrängten oder wieder aufflackernden Nationalsozialismus wird in der österreichischen Popularmusik sehr oft behandelt. In seinem zweiten Album Eigenheiten singt Wolfgang Ambros das Spottlied von einem gewissen „Alfred Hitter“, einem Doppelgänger Adolf Hitlers. Wesentlich diffiziler und subtiler setzt sich das Team Prokopetz-Ambros mit diesem Thema in dem Lied „De Höld’n san scho olle tot“ – einer mit Marschrhythmen unterlegten Elegie aus dem Album Hoffnungslos – auseinander. Ebenso wie Rainhard Fendrich mit „Alte Helden“ aus dem 1983er-Album Auf und davon , das von der Vererbung faschistischen Gedankenguts und der daraus resultierenden Gewalt handelt. Große Gewaltbereitschaft beschreiben auch STS in ihrem Lied „Es fangt genauso an“ ( Auf a Wort , 1992). Und wie in Ambros’ „Franz Pokorny“ und Georg Danzers „Der alte Wessely“ ( Traurig aber wahr , 1980) ist das Wirtshaus die Keimzelle des Faschismus:

Und an dem und dem Wiatshaustisch heast daunn, dass des halt scho passian kaunn, soin dahaam si um ian eignan Dreck kümman und net Wickl mochn in an fremdn Laund.

Unsa Hockn woins, stöhn tuns wie die Robn und dafia fuata mas duach. Dass mas net unbedingt glei daschlogn muaß Des is a aundeas Poa Schuach.

‚Es faungt genauso aun‘, sogt da oide Fraunz, ‚es is as gleiche Liad, es is dasöbe Taunz. Es faungt genauso aun wie vua sechzig Joa und es woan daumois aa am Aunfaung nur a Poa‘:283

283 Gert Steinbäcker: Es fangt genau so an. Auf a Wort. Polydor 1992. 80

Hat sich bei STS 1992 die Drastik bezüglich des Nationalsozialismus verstärkt, so spielte man in den Siebzigern, wie das Beispiel „Franz Pokorny“ zeigt, noch versteckter – wie wohl eindeutig – mit diesem Thema. Klarere Ansagen kamen von Prokopetz und Ambros aber schon 1979 in dem Lied „Da oide Kaiser“ ( Nie und nimmer ), das von Kaiser- und Führermentalitäten und -Qualitäten handelt und in der Zeile kulminiert:

Da oide Unsinn, dea steckt in uns drin. 284

Am zynischsten hat sich wohl Ludwig Hirsch dieses Themas angenommen. In dem Lied „Die Omama“ aus Dunkelgraue Lieder (1978) rechnet er mit kaum mehr zu übertreffendem Sarkasmus mit der Großelterngeneration ab. Die Idylle vortäuschende, einprägsame Melodie wird konterkariert durch einen Text, der den Großmutterkult in seiner ganzen Scheinheiligkeit demontiert. Neben vielen schlechten Eigenschaften – wie dem Mästen des Enkels – entpuppt sich die „Omama“ als eine alte Nationalsozialistin.285

3.5.1.3.2. Generationenkonflikte

Mit der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und unbewältigter Vergangenheit geht auch ein Auflehnen gegen die Eltern- und Großelterngeneration und den von ihnen tradierten Werten Hand in Hand. Man wollte sich schon äußerlich von den Eltern unterscheiden, hegte den Wunsch nach langen Haaren 286 und lebte diesen auch aus 287 . Im Geist von Bob Dylan, den Beatles 288 und Bob Marley 289 wandte sich eine Generation – zumindest künstlerisch und verbal – von der vorherigen ab. Schon Bronners „Halbwilder“ war auf der Suche nach Freiheit: „I hob zwoa ka Aunung wo i hinfoa, aber dafür bin i gschwinda duat!“ 290 Am deutlichsten wird dieses Lebensgefühl von Ambros und Danzer aber erst in späteren Liedern

284 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Da oide Kaiser. Nie und Nimmer. Bellaphon 1979. 285 Vgl. Ludwig Hirsch: Die Omama. Dunkelgraue Lieder. Polydor 1978. 286 „[…] i steh beim Fensta und bin viazehn Joa und hättat so gean launge Hoa.’“ (Georg Danzer: Gaudenzdorfer Gürtel Nr. 47. Von Scheibbs bis Nebraska. Universal 2005.) 287 „I waaß no ganz genau, wiar i mit fuchzehn woa, a bleda Bua mit launge Hoa. Die Beatles und die Rolling Stones vaehrt und boid da Schui den Rückn kehrt.“ (Helmut Nowak, Peter Koller u. Günter Dzikwoski: Fürcht di ned. Wasserfall.) 288 Vgl. Georg Danzer: Träumer. 289 Vgl. Wolfgang Ambros: Es brennt no a Gluat. Voom Voom Vanilla Camera. BMG Ariola 1999. 290 Bronner: Der Halbwilde. 81 beschrieben. Zurückblickend auf seine Anfänge als Künstler gelangte Danzer in dem Song „Träumer“ 2006 zu der Erkenntnis,

[...] dass ma die Gesöschoft mit Musik vaändern kau diese Hoffnung is bei mia heit eher klaa. So wia du die Welt vaändast, so vaändat sie a di […]. 291

Viele Jahre zuvor nahm Danzer ein Album mit dem Titel Ruhe vor dem Sturm (1981) mit zum Teil sehr biographischen Liedern auf, denen eine Haltung, eine Auflehnung gegen die Eltern und Großeltern eingeschrieben ist. Durch die entbehrungsreichen Kriegs-, Nachkriegs- und die an der Oberfläche harmonisierenden Wirtschaftsaufschwungsjahre festigte sich die Generation, die diese Zeiten durchleben musste, mit dem Gefühl etwas geschaffen zu haben, während die Folgegeneration dieser restaurativen Haltung einen orientierungslosen Freiheitsdrang entgegenhielt, der in einem neu erlebten, individuellen Selbstbewusstsein wurzelte und sich gegen die „Bist-was-dann-hast-was“ 292 -Mentalität der Eltern richtete, denn in den Nachkriegsjahren ging es vielen darum, „etwas zu werden und zu haben“. Gute Leistungen in der Schule waren da natürlich die nötige Voraussetzung dafür. Doch

in da Schui leanst nua guschn und Gedichtaufsogn, owa sunst bleibst für dei Leem laung bled.293

Daraus resultierte eine große Ablehnung gegen Verstumpfung und Volksverdummung. Ein Leben auf Probe 294 wurde genauso verworfen wie das Gefühl erpresst zu werden 295 . Es sollten eigene Wege bestritten werden, es galt ein Mensch zu bleiben, seine Träume zu erreichen und nichts zu versäumen. 296 Das konnte aber nur erreicht werden, wenn man aus den vorgegebenen Zwängen aus-, Tabus zerbrach und einen neuen Weg beschritt. Das Sujet des gesellschaftlichen Ausbruchs ist auch bis heute das Thema des Austropop.

291 Danzer: Träumer. 292 Vgl. Georg Danzer: Mein Lebn. Ruhe vor dem Sturm. Polydor 1981. 293 H.G. Hausner u. Wolfgang Ambros: Gö, do schaust. Bellaphon 1975. 294 Vgl. Danzer: Mein Lebn. 295 „I kann mi no erinnern, wie i g’sagt hob: ,Na! I loss mi ned erpressen, i geh liaba alaa.’“ (Nowak, Koller u. Dzikowski: Fürcht di ned.) 296 Vgl. H.G. Hausner u. Wolfgang Ambros: A Mensch mecht i bleib’n. Bellaphon 1974. 82

3.5.1.3.3. Ausbruch und Flucht

Auf dem Album Alles andre zählt net mehr ... finden sich einige Songs, die von einer Flucht beziehungsweise einem Ausbruch handeln und wegweisend für den Austropop wurden. Die vierte Nummer des Longplayers trägt den Titel „I bin allan“. Es ist ein bluesartiges Stück, in dem die akustischen Gitarren im Vordergrund stehen. Jugendliche Einsamkeit, Melancholie und Todverspüren sind die zentralen Themen. Das lyrische Ich ist auf der Suche nach einem Ziel am Horizont. Der Text beginnt mit der philologisch bemerkenswerten Strophe:

Waunn i amoi glaub, i hoit des nimma aus und afoch fuat geh und daunn auf da Stroßn steh und de Sunn brennt owe, es is haaß, daunn bin i alaa. 297

Dass der Erzähler mit der derzeitigen, nicht näher umrissenen Situation unzufrieden ist, geht eindeutig hervor: Er hält es nicht mehr aus und geht fort. Allerdings findet diese Aktion nie statt, da es heißt: „Waunn i amoi glaub [...]“ 298 , was bedeutet, dass seine Flucht noch gar nicht eingetreten ist. Alles Folgende wird somit ins Reich der Vorstellung gehoben:

Waunn vua Hitz de Stroßn flimmat und da Schweiß mas Hemd vapickt, waunns in da Luft undeitlich schimmat und de Sunn brennt owe, es is haaß, daunn bin i alaa.299

Eine Steigerung bringt dann die dritte Strophe:

Owa i braat de Händ aus, wo i hischau duat is schee. I setz an Fuaß vuan aundan, wo de Stroßn min Himme zaummstesst duathin mecht i geh.300

Das Ausbreiten der Hände als Symbol der absoluten Freiheit wird noch verstärkt durch das Ziel des Erzählers: Dem Horizont. Ein Ziel, das aber nicht zu erreichen ist. Im Grunde also ein zielloses Ziel, denn der Erzähler setzt zwar einen Fuß vor den anderen, relativiert die

297 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: I bin allan. Alles andere zählt net mehr... . Amadeo 1972. 298 Ebd. 299 Ebd. 300 Ebd. 83

Ausführung seines Unterfangens aber wieder, denn er möchte (!) ja nur dorthin gehen, wo die Straße mit dem Himmel zusammenstößt. Ob er es auch tatsächlich tut, bleibt offen. Die letzte Strophe bietet den Ansatz einer Lösung:

Auf amoi, i waaß goa net wia, hob i wieda Freid am Leem. Leise setzt sie s’ Glick zu mia und de Sunn is untagaunga und i bin nimma so alaa. 301

Ob sich Traum und Realität hier vermischen, sei dahin gestellt, ob der Ich-Erzähler auch sesshaft geworden ist, weil sich das Glück zu ihm setzt, ebenso. Ein leicht zu übersehender Punkt scheint mir jedoch von eminenter Bedeutung zu sein: Die Sonne ist in diesem Text nämlich nicht ein Symbol des Lebens, sondern des Todes. Erst als die Sonne untergeht, die zuvor so heiß und unbarmherzig vom Himmel brennt, bessert sich der Zustand der Erzählerfigur. Das Ende der Einsamkeit geht mit dem Beginn der Nacht einher. Man könnte natürlich auch so weit gehen und die Vermutung aufstellen, es handelt sich hier um so etwas wie eine imaginierte Himmelsfahrt beziehungsweise beim Hereinbrechen der Nacht um den Tod. Wie auch immer man es sehen mag - die Tatsache, dass der Tag mit Leiden und die Nacht mit Heilung verbunden ist, lässt schon auf eine Umkehrung der Werte schließen und ist das erste von vielen Beispielen für die Flucht in eine andere Welt. Eine Flucht in die Nachtseite des Lebens, weg von den Verpflichtungen des Tages. Dass die Flucht sehr oft auch tatsächlich im Tod endet, ist ein Charakteristikum der frühen Lieder von Ambros und Danzer. Viel zitiertes Beispiel dafür ist das von Danzer für die Multi-Media-Show Karli geschriebene Lied „Heite drah i mi ham“, das in einer gespenstischen Version von Ambros auf seinem Album Es lebe der Zentralfriedhof intoniert wird. Das Lied ist ein Ich-Monlog über einen Selbstmord (Aufschneiden der Pulsadern), der in der Badewanne verübt und gegen Ende des Songs hin mit dem Sonnenuntergang in Jesolo gleichgesetzt wird: Also auch hier fungiert die Sonne als Todessymbol.

Nur a klaana Schnitt und dann is scho passiat und i gspia scho wia ma imma leichta wiad; bluatich rotes Wossa, es is grod a so, wiar a Sonnenuntagaung in Jesolo. Laungsaum wiads jetzt finsta, finsta und so stü, Freiheit hasst nua, doss ma geh kau waunn ma wü.302

301 Prokopetz u. Ambros: I bin allan. 302 Georg Danzer: Heite drah i mi ham. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. 84

Der Ausbruch und damit auch die Lösung von der Elterngeneration wurde aber nicht immer mit solcher Vehemenz – zumindest textlich – in die Tat umgesetzt. Noch in „De Bruckn“ (Alles andre zählt net mehr ... ) hat der aus nicht erklärten Gründen todessehnsüchtige Erzähler zwar keine Angst vorm Gehen, aber er fühlt, dass Sterben weh tut und er deshalb nicht von der Brücke springt. Die Lieder von Ambros spiegeln in diesem Kontext ein äußerst ambivalentes Zugehörigkeitsverhältnis zu den Eltern wider. Bezeichnend dafür ist Ambros’ Meilenstein „Gezeichnet fürs Leben“ aus dem Album Weiss wie Schnee (1980), den man getrost als „Like a Rolling Stone“ des Austropop bezeichnen darf.

A Traam, a besa Traam – i steh alaa, mei Voda haut mi tot und mei Mutta waant und i bin in Not. Gstoin, i hob wos gstoin. I waaß, i hätt net soin. Es is ma passiat, i hom mi so geniat, trotzdem muaß i zoin. Und ea sogt: ‚Waan nua, du bist gezeichnet fia dei Leem, i hob ma net aundas zum höfn gwusst, i hob da miaßn de Watschn geem, jo, waan nua, du bist gezeichnet für dei Leem - waan nua!‘

I geh fuat, gaunz weit fuat und iagendwo im Woid leg i mi ins Moos. Mei Bluat wiad laungsaum koid und eicha Sehnsucht groß, so groß.

I woit leem, nix wia leem, doch i hoits net aus – wias is, so kaunns net bleim, mei Hoss is grenznlos. An Briaf wear i no schreim.

In dem steht: ‚Waants nua, es sats gezeichnet fiar eicha Leem. I hob ma net aundas zum höfn gwusst, 85

i hob ma miaßn de Kugl geem. Jo, waants nua, ia sads gezeichnet fiar eicha Leem, waants nua!‘ 303

Hier ist der Generationskonflikt in seiner ganzen Bandbreite ausgeschöpft. Das lyrische Ich berichtet aus einer absoluten Einsamkeitsposition heraus („I steh alaa“304 ) von der Gewaltbereitschaft der Elterngeneration („Mei Vota haut mi tot“ 305 ) und dem Patriachat: Während der Sohn vom Vater geschlagen wird - der Papa wird’s nicht mehr richten -, weint die Mutter. Der Sohn nämlich hat etwas getan, das jenseits aller Norm liegt: Er hat etwas gestohlen, obwohl er wusste, dass er das nicht hätte tun sollen. Der Vater erkennt aber auch seine eigene Hilflosigkeit – er kann nur mit Ohrfeigen argumentieren und den Sohn versuchen zur Vernunft zu bringen, doch damit bewirkt er genau das Gegenteil: Der Sohn bricht aus, er „geht fuat, gaunz weit fuat“ 306 – und sucht sich in der Natur, im Wald und somit in einer Heterotopie, die noch nicht von Zwängen, Tabus und Normen durchwachsen ist, einen Platz zum Sterben. Vorher allerdings rächt er sich mit einem Brief nicht nur an seinem Vater sondern auch an seiner Mutter und vielleicht auch an allen anderen, wer auch immer das sein mag („Es [also: Ihr] sats gezeichnet fiar eicha Leem“307 ). Gewalt wird mit Gewalt beantwortet: Mit physischer gegen sich selbst und psychischer gegen die Eltern. Von einer Befreiung kann also keine Rede sein, denn der Sohn radikalisiert im Grunde nur die Gewalt der Eltern. Aber - es handelt sich, wie aus den ersten zwei Zeilen hervorgeht, ja nur um einen Traum. Die Flucht vor den Eltern findet also gar nicht statt. Es ist aber auch eine zweite Lesart möglich. „Gezeichnet fürs Leben“ nämlich besteht aus zwei Teilen. Nachdem der Vater den Sohn geohrfeigt hat und ihm zu verstehen gibt, er soll weinen, weil er nun für das Leben gezeichnet ist, folgt ein großer, aggressiver, zum Teil sphärisch-hymnischer Instrumentalteil – und dann der zweite Textteil mit „I geh fuat, gaunz weit fuat“ 308 . Das heißt: Teil I ist Traum (oder schon Realität und erscheint dem lyrischen Ich nur wie ein Traum) und Teil II Realität. Der Ausbruch gelingt also wirklich. Der Text lässt beide Lesarten zu. Der Ausbruch und die Abnabelung von den Eltern wird noch deutlicher in dem Song „I wü frei sein“ 309 , der mit einem Lied Unterbrechung auf „Gezeichnet für’s Leben“ folgt. Während es die vorherigen Generationen nicht schaffen sich frei zu leben – was auch Georg Danzer in

303 Wolfgang Ambros: Gezeichnet fürs Leben. Weiß wie Schnee. Bellaphon 1980. 304 Ebd. 305 Ebd. 306 Ebd. 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Vgl. Wolfgang Ambros: I wü frei sein. Weiß wie Schnee. 86

„Die letzte Eisenbahn“ ( Danzer, Dean und Dracula , 1975) zum Ausdruck bringt – vollziehen die Kinder zum Teil diesen Ausbruch, auch wenn sie nur davon singen frei sein zu wollen . Und sei es nur durch das temporäre Flüchten in das Nachtleben wie in „Heite gemma nach Wien“ oder „Wann bin i daham“ ( Selbstbewusst ). Dass diese Flüchte ins Nachtleben aber durchaus auch ihre Nachtseiten haben, davon legen Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger die Ambros-Alben Hoffnungslos , Weiß wie Schnee und Selbstbewusst Zeugnis ab. Aus dem euphorischen „Heute gemma nach Wien“ wird am Ende von Hoffnungslos das wütende „Irgendwann“, das lebendige „Wann bin i daham?“ gleitet in einen geträumten Selbstmord über („Belize“) und in „Weiß wie Schnee“ liegt im Wein schon längst keine Wahrheit mehr. 310 Die Flucht vor der Realität in die Welt des Rausches (Drogen und Alkohol) hat die ursprüngliche Suche nach den essentiellen Dingen des Lebens überwuchert und „Sodbrennen“, so der Titel eines Songs aus Weiß wie Schnee , zur Folge. In Alles andre zählt net mehr ... wird noch ohne bewusstseinsveränderndes Zutun nach dem Leben gesucht. Bevor jedoch darauf näher eingegangen wird, sei noch kurz daraufhin gewiesen, dass die unkritische Abhandlung von Sucht und Rausch 311 durchaus mit der Elterngeneration verwoben ist – abgesehen von Franz Pokorny, der sich in den Alkoholismus flieht. Sauflieder wie „Wem heit net schlecht is“ stehen in einer direkten Traditionslinie zu den Wein verherrlichenden Wiener Liedern wie „Es wird a Wein sein“ oder „Die Reblaus“ – Lieder, die Ambros übrigens auch für sein 2005 erschienenes Album Der alte Sünder. Ambros singt Moser aufgenommen hat. Nicht minder Rausch verherrlichend ist der Song „Du schwarzer Afghane“ (Drogenkonsum), der die Melodie von „Du alter Zigeuner“ paraphrasiert und somit aus einem traditionellen Lied einen Tabubruch macht, auch wenn Ambros in einem frühen Interview – allerdrings nicht sehr überzeugend – betont, dass „Du schwarzer Afghane“ gegen den Konsum von Drogen gerichtet ist. 312 Am engsten ist die Verstrickung von Eltern und Sucht in dem Lied „Aufzog’n mit’n Rum“, das vom übermäßigen Alkoholkonsum eines Mannes handelt, der von Kindheit an mit Rum aufgezogen wurde. Weitere Songs, die Drogen und Alkohol behandeln, sind unter anderem „Das Mädchen Marihuana“ ( Eigenheiten ), „Des kannst ned machen“ 313 ( Eigenheiten ), „Zvü dawischt/Unschuld vom Land“ ( Nie und Nimmer ), „Tom Taubert’s Blues“ ( Nach mir die Sintflut. Ambros singt Waits , 2000), „Ganz Wien träumt von Kokain“ ( Narrenhaus , 1978 und Ein wenig Liebe , 1978) und der Danzer-Skandal „War das

310 Ambros: I wü frei sein. 311 Die Folgen von Drogenkonsum in einer desolaten Gesellschaft hat Georg Danzer in „Zehn Kleiner Fixer“ (Feine Leute , 1979) scharf angeprangert. 312 Vgl. Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 313 Der Text baut darauf auf, dass sich der Hörer permanent fragt, was man denn nicht machen kann. Die Pointe ist die eines modernen Wienerliedes: Man kann beim Heurigen kein Cola trinken. 87 etwa Haschisch?“ ( Unter die Haut ) aus dem Jahr 1977. Nun aber zu der schon angesprochenen Suche nach den wahren Werten des Lebens und dem Wunsch ein Mensch bleiben zu wollen.

3.5.1.3.4. Alles andre zählt net mehr als ...

Auf das instrumental reduzierte, bluesige „I bin allan“ folgt auf Alles andere zählt net mehr ... das Titelstück, das mit wuchtigen, siebenundzwanzig Sekunden langen Synthesizerklängen einsetzt. Diese nahezu sphärischen Klänge leiten einen Song ein, der propagiert, dass nichts mehr zählt als Natur, Liebe, Emotionen, Freundschaft und Loyalität.

A Rosnblattl auf ana Gstettn, a Wiesn wo da Wind a Musta eineblost, a poa Bluman, de da gfoin hättn und des‘d trotzdem steh lossn host.

A Vogl, dea waunns gaunz stüh is plötzlich sei Stimm eahebt, a Blattl, des im Winta no a bissl grün is, a oida Bam, dea si im Wind bewegt.

Ollas aundre zöht net mea ois wiar a Haund voi Soiz im Mea. Ollas aundre zöht net mea ois wiar a Haund voi Soiz im Mea.

Waunn de Frau, vo deras‘d traamst fia di genau des söwe füht. Und waunn in dem Augenblick wos‘d waanst iagendwo dei Lieblingsliad spüht.

Ollas aundre zöht net mea ois wiar a Haund voi Soiz im Mea. Ollas aundre zöht net mea ois wiar a Haund voi Soiz im Mea.

Waunn bei graun Himme oft plötzlich de Sunn si fiare traut. Und waunn auf amoi unvahofft a oida Freind da auf de Schuita haut.

Ollas aundre zöht net mea ois wiar a Haund voi Soiz im Mea. Ollas aundre zöht net mea 88

ois wiar a Haund voi Soiz im Mea.314

Schon die erste Zeile vermittelt dem Hörer die Schönheit eines Randortes, einer „Gstettn“ und zeigt somit an, dass man sich hier in einer Art Gegenwelt befindet, in der noch das Naturgesetz „Leben und leben lassen“ gilt: Die Blumen, die einem gefallen würden, lässt man trotzdem stehen; eine Welt, in der sich Träume erfüllen, in der die Ur-Verbindung von Kunst und Emotion ein Höchstmaß erreicht 315 und in der die Sonne noch positiv besetzt ist und gleichgesetzt wird mit dem Schulterklopfen eines Freundes. In „Ollas aundre zöhlt net mea ...“ wird bereits vorbereitet, was schließlich 1974 zur Hymne wurde: Das Menschbleibenwollen. Ein Thema, das auch in der zeitgenössischen Literatur weit verbreitet ist. So entledigt sich ER aus Peter Turrinis rozznjogd – auf einem Müllplatz, einer „Gstettn“ spielend - von allem „obfoi, scheisse, misd in uns.“ 316 Er treibt das Menschbleibenwollen auf die Spitze: Es geht ihm um einen Ausbruch aus der noch immer schwelenden Vergangenheit 317 und um eine Entmaterialisierung. Singt Ambros nur vom Menschbleiben, so setzen Turrinis SIE und ER Taten. SIE zum Beispiel „nimmt das ganze falsche Haarzeug und wirft es auf den Abfallhaufen“ 318 . Das Paar, das längst schon zur Ware wurde, entledigt sich der Humanic-Schuhe 319 , der Yves-Laurent-Krawatte 320 , der „PATRICIA HAARWIMPERN EXTRA DICHT“ 321 , des Geldes 322 und leben somit den Hausner-Text des Ambros-Hits:

A Mensch mecht i bleim

314 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Ollas aundre zöht net mea ... . Alles andere zählt net mehr … . Amadeo 1972. 315 „Und waunn in dem Augenblick wos‘d waanst iagendwo dei Lieblingsliad spüht.“ (Prokopetz u. Ambros: Ollas aundre.) 316 Peter Turrini: Rozznjogd. In: Ders.: Rozznjogd/Rattenjagd. Sauschlachten. Dialektstücke. Hrsg. v. Silke Hassler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 23. 317 „[...] don kumsd ind schui, und de lera, de pfora haun da des hian foi med sochn, de stingn wirra tausndjeriga schaas!“ (Turrini: Rozznjogd, S. 23.) Von der unaufgearbeiteten Vergangenheit erzählt auch Georg Danzer in seiner Geschichte „Die Schule, in die ich ging“ – zu hören auf der CD Echt Danzer! , 1991: „Die Lehrer [...] waren größtenteils noch aus jener Generation, die den Krieg und das Hitlerregime auf die eine oder andere Weise tätig oder auch untätig mitgemacht hatte und sind mir zum Teil durch sehr denkwürdige Ansichten und Bemerkungen in Erinnerung geblieben.“ (Georg Danzer: Die Schule, in die ich ging. Echt Danzer! Ambra 1991.) Die Schule als Verdummungsanstalt hatte ja auch Ambros in dem schon zitierten Lied „Gö, do schaust“ kritisiert. Eine Tatsache, der sich auch Frederike Mayröcker und Ernst Jandl in ihrem Hörspiel Fünf Mann Menschen angenommen haben. In der dritten Szene hat der Lehrer keine anderen Argumente als schallende Ohrfeigen. (Vgl. Ernst Jandl u. Friederike Mayröcker: Fünf Mann Menschen. In: Dies.: Drei Hörspiele. Wien: Sessler 1975, S. 23.) Und in der fünften Szene heißt es: „Mir ist es nicht anders als euch ergangen und den meisten: grade noch aufs Gymnasium, ein Gedicht lernen ... ein Lied ... pfeifen –“ (Jandl, Mayröcker: Fünf Mann. In: Dies.: Hörspiele, S. 25.). 318 Turrini: Rozznjogd, S. 29. 319 Vgl. ebd., S. 55. 320 Ebd. 321 Vgl. ebd., S. 35. 322 Ebd. 89

und i wü net vakauft wean wia iagend a Stickl Woa. Net ollas, wos an Weat hot, muaß aa an Preis haum, oba moch des amoi wem kloa. […] Es is zum speim, zum kotzn und zum rean waunn ma siecht, wos de Leid ollas auffian fia des deppade Göd – es is doch gaunz wos aundas, des zöd. 323

Und dieses „Andere“ ist im Text des Liedes „Ollas aundre zöhlt net mea ...“ beschrieben. Es kann aber nur gefunden werden, wenn man sich bewusst wird:

A Mensch mecht i bleim, mei Leem mecht i leem. A Mensch mecht i bleim und i wea ollas dafia geem, dass i des muagn erreicht hob, von dem i heite no traam – i wü net, dass i iagendwos vasaam. 324

Das Nichtsversäumen- und Menschbleibenwollen ist gleichzusetzen mit einem Negieren der Sicherheit der Elterngeneration. Ambros behandelt in vielen seiner Lieder das Unangepasstsein und die faulende Sicherheit im Elternhaus, die verbunden ist mit Unfreiheit, Zwängen und der Mentalität des Sich-Drein-Findens, ein Sujet, das auch in zwei an dieser Stelle als exemplarisch geltenden Theaterstücken auf wesentlich drastischere, zum Teil schocktheatrale Art behandelt wird: Ein unheimlich starker Abgang von Harald Sommer und Lumpazimoribundus von Peter Henisch. Macht sich Henisch noch über die Risikolosigkeit der Eltern lustig 325 , prangert Sommer die unreflektierte Haltung der Eltern mit einer sprachlichen und emotionalen Drastik an, wie sie in dieser Form in der österreichischen Popularmusik nicht oder kaum zu finden ist: Ilse, die junge Protagonistin, sagt über das Elternhaus: „Alls is scho angschpiebn – ma kann nirgends mehr hinschpeibn in dem haus. Na danke. – Au weh –

323 Hausner u. Ambros: A Mensch mecht i bleib‘n. 324 Ebd. 325 „ [...] du hast eine unhamlich sichere existenz. doch plötzlich wird dir die sicherheit richtig unhamlich. du hockst auf dein hintern und wartst auf die sichern sachen. wartst aufn feierabend, wartst aufn sonntag, wartst aufn feiertag, aufn urlaub, auf die pension. du rennst wia esel hinter der ruabn her. und ziagst di glatt an [sic!] an dem fremden wagel ztod. und eigentlich is ja des sterben des, auf wasd wartst. des sichere sterben. weil sterbeversichert bist a. [...] ja, friends in mortis, kaum war i einigermaßen draußd ausm mutterleib, hat mi mei vater a scho einschreiben lassen in an sterbeverein, zur sicherheit [...].“ (Peter Henisch: Lumpazimoribundus. Antiposse mit Gesang. Eisenstadt: Edition Roetzer 1975, S. 12-13.) 90 is mir schlecht.“ 326 Es ist zwar mitunter nicht diese Drastik, mit der im Austropop Agitation und Polemik betrieben wurde, aber in den Siebzigern wurde – gerade von Ambros und seinen Textern – in einer aus heutiger Sicht äußersten Dichte aus dem Geist von „Ollas aundre zöhlt net mea ...“ im Grunde gegen alles und jeden revoltiert.

3.5.1.3.5. Grundlegende Revolte(n)

Um die elementaren Dingen der Existenz zu finden wurde im Austropop gegen Obrigkeiten und Autoritäten rebelliert, die es verunmöglichten ein Mensch zu sein beziehungsweise Sehnsüchte nach, so plakativ das auch klingen mag, Leben und Plätzen weckten, die frei von gesellschaftlichen Zwängen 327 sind: Das ist Austropop (beziehungsweise Pop) als eine Art „Knall“, der vorgegebene Strukturen sprengt. So fordert Danzer konkret „Menschliche Wärme“ ( Menschliche Wärme , 1984), „Zerschlagt die Computer“ ( Traurig aber wahr , 1980) und singt gegen die riesige Maschine an, die „alle kontrolliert“. 328 Wolfgang Ambros wehrt sich gegen den Konformisten, „der gern und willig Scheiße frißt“ 329 und rückt immer wieder die Autonomie des Subjekts in den Vordergrund, das sich nicht vereinnahmen lässt und sich gegen den Rest der Welt zur Wehr setzt – so besteht für Ambros der Sinn des Lebens darin, „stärker zu sein“. 330 Die eingangs angesprochene Revolte gegen alles und jeden, die bereits in Alles andre zählt net mehr ... im Keim enthalten ist, lässt sich am anschaulichsten anhand des Gassenhauers beziehungsweise Spottliedes „Eibischzuckerl (oder Weu sa si so schickt)“ ( 19 A Class Numbers , 1976) darstellen:

Nimm doch dei Eibischzuckal imma mit an klaanen Schluckal Wossa! Weus jo doch vü bessa rutscht waunn mas lutscht, imma ois a nossa. Weus da net de Zähnt vapickt, und da net im Mogn liegt

326 Harald Sommer: Ein unheimlich starker abgang. München, Wien: Georg Lentz Verlag 1974, S. 8. 327 „Wo a Büd hängt ,wos ma gfoid, wo a Liad spüd, wos mi zruckeainnat, wo im Winta, waunns gfruan is, a Vasn steht mit ana frischn Rosn drin - aun so an Plotz, do bin i gean aun so an Plotz, do mecht i steam.“ (Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Aun so an Plotz. Alles andere zählt net mehr ... . Amadeo 1972.) 328 Georg Danzer: Diese riesige Maschine. Traurig aber wahr. Amadeo. Polydor 1980. 329 Wolfgang Ambros: Modern. Der letzte Tanz. Amadeo 1983. 330 Wolfgang Ambros: Der Sinn des Lebens. Der Sinn des Lebens. Amadeo 1984. 91

und weu sa si so schickt. 331

Hier wird textlich zur eingängigen Musik die Mentalität der Elterngeneration verballhornt: Das Einnehmen des Eibischzuckerls, wie es alle tun – mit einem Schluck Wasser –, ist Symbol für das Mit-dem-Strom-Schwimmen. Und was für alle gilt, muss auch für das Individuum gelten – auch wenn das Individuum vielleicht etwas tun möchte oder tun soll, das sich nicht schickt und das dann den anderen im Magen liegt. Mit den Worten von Georg Danzer bezüglich der Figur Karli gesagt:

Karli pass auf, Karli sei gscheit! Du kaunnst di oseun, waunns di net gfreit. Karli pass auf, Karli sei gscheit! Loss di net aufäun, loss di net eiteun von de Leit […]. 332

Die zweite Strophe des „Eibischzuckerls” wird schon konkreter und macht sich über das spießbürgerliche Aussehen lustig:

Knüpf da dei Krawattnknöpferl imma übers Kehlköpferl, wenn möglich! Weil du dann korrekt ausschaust von Kopf bis Fuß gepflegt ausschaust, tagtäglich. Weil dann jeder auf dich fliegt, und wohlgefällig auf dich blickt, und weu sa si so schickt. 333

Der Spott richtet sich gegen den gepflegten, tagtäglichen Trott, das „Immer gleiche“, wie es Ambros 1980 nennen wird. 334 Den gescheitelten Krawattenträgern stellte man sich als Langhaarträger gegenüber, wie anhand alter Fotos und Plattencovers von Ambros, Danzer und ihren Kollegen im Überfluss zu überprüfen ist. Eine gesellschaftlich weitere Dimension nimmt die dritte Strophe von „Eibischzuckerl“ aufs Korn: Politik.

Putz da dein Parteibücherl imma mit an Staubtücherl am Sonntag! Weil es dann geschmeidig ist, und niemand beleidigt ist am Montag.

331 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Eibischzuckerl (oder: Weu sa si so schickt). 19 A Class Numbers. Bellaphon 1976. 332 Georg Danzer: Karli. Du mi a. Polydor 1976. 333 Prokopetz u. Ambros: Eibischzuckerl. 334 Wolfgang Ambros: Immer das gleiche. Selbstbewusst. Bellaphon 1980. 92

Weil dich kein Gewissn drückt, denn du hast dich eingefügt und weu sa si so schickt. 335

Diese Zeilen tragen hochkabarettistische Züge. Hier wird wie auf einer Kabarettbühne gegen das gemütliche Einnisten und Mitlaufen polemisiert. Die kabarettistische Tagesaktualität ist bis heute ein Spezifikum der österreichischen Popularmusik. Auch wenn Ambros’ Lieder nicht oft mit konkreten politischen Inhalten aufgefüllt sind beziehungsweise sich ausdrücklich gegen eine Partei oder einen Politiker wenden („Der Herr Minister“, Selbstbewusst , „Gelassen“, Namenlos , 2003), um so deutlicher wird er, wenn er oder der Texter es dann doch einmal wagt. Niemand revoltierte wohl so klar gegen die österreichische Politik und Staatsgewalt wie Ambros und Prokopetz in ihrem 1973er-Hit „Tagwache“, einem Anti- Bundesheer-Lied, das bis heute eine Hymne für Austretende aus dem österreichischen Heer ist. Die Infragestellung und Stupidität des Militärdienstes kulminiert in den Zeilen, die sich direkt an den damaligen Verteidigungsminister Lütgendorf richten:

Mitn Gwea und min Stuamgepäck liegst an hoibn Tog im Dreck weus da ‚Lü’ hoid so wü. […] Oba wos, wos is da Herr Minista Jo, wos is a scho und wos kaunn a no wean gegn an völlich fettn Obrüsta. I sog ‚Auf Wiedaschaun, meine Herrn - und jetzt hobts mi gean‘.336

Eine derartige kabarettistische Direktheit – über den Song wurde Radio-Boykott verhängt - findet sich bei Ambros und Danzer bis heute immer wieder. 337 Wetterte Ambros 1985 mit „Ignorantenstadl“ gegen politische Parteien, ÖGB, Bauernbund, Polizei, Rechtsstaat und das Finanzamt 338 , so Danzer unverhohlen gegen Dr. Jörg Haider mit seinem Lied „Kein Thema“ (Persönlich 2004), in dem er kein einziges Mal den Namen seiner Zielscheibe ausspricht –

335 Prokopetz u. Ambros: Eibischzuckerl. 336 Prokopetz u. Ambros: Tagwache. 337 Aktuellstes Beispiel ist das Lied „Ein Tampon und ein Kondom“ ( Träumer , 2006) von Georg Danzer, in dem er auf die vermeintliche Unterschiedslosigkeit der Parteien BZÖ und FPÖ anspielt: „Der Tampon sogt zum Kondom: ‚I lieg unt und du liegst oom I bin blau – du orange, aber guat – mir ghörn zua söbn Branch‘.“ (Georg Danzer: Ein Tampon und ein Kondom. Träumer. Universal 2006.) 338 Vgl. Wolfgang Ambros: Ignorantenstadl. Nummer 13. Amadeo 1985. 93 ganz im Gegensatz zu Wolfgang Ambros, der auf seinem Album Verwahrlost aber frei in dem Lied „Er is vom Land“ ohne Umschweife seine Meinung zum Ausdruck bringt:

Ea is vom Laund und pumperlgsund, sei Gsicht is rot, sein Bauch is rund, ea is vom Laund und ea is so bled, dass a scho s‘ dritte Moi den Haider wöd!339

Die inhaltliche Nähe zu den Kritischen Liedermachern ist damit nicht so groß, wie das von manchen Forschern wie Philip Maurer attestiert wird340 , wenn man wie Christiane Juhasz etwas allgemeiner gefasst davon ausgeht, dass „kritische Lieder […] Zeitkritik sind, da sie sich auf aktuelle politische Themen beziehen und kritisch Stellung nehmen.“ 341 Aus vielen Ambrosliedern sprichen eine Ablehnung des Establishments und eine Parteinnahme für Unterdrückte. Die Staatsgewalt ist unter anderem auch Opfer seines Spotts in dem Lied „Polizist“ (Der letzte Tanz ) – sowie auch von Georg Danzer in „Mein Testament“, in dem der seine Anusöffnung dem Finanzamt Wien vererbt 342 oder auch von Kurt Sowinetz, der in „Himmel, Fegefeuer, Höll“ den bürokratischen Amtsweg als Hölle interpretiert. 343 Die Haltung gegen Parteien respektive politische Systeme und Ungerechtigkeiten zog dann ab Mitte der 1980er Jahre größere Kreise. Vor allem Danzer nahm sich aber schon in den 70ern derartiger Inhalte an. Besingt er in „Janosch“ ( Unter die Haut , 1977) ein Emigrantenschicksal fern von jeglicher Schunkelseligkeit, wie sie Udo Jürgens in „Griechischer Wein“ vermittelt, so wendet er sich auch gegen „Die Bürgerwehr“ ( Jetzt oder nie , 1982) oder „Terroristen“ (Danzer , 1986). Die Liste wäre noch um Ambros’ Engagement für die Menschen rund um den Äquator 344 und viele andere Beispiele zu erweitern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Ambros in seinen Liedern gegen Autoritäten jeglicher Art wehrt. So auch in der vorletzten Strophe von „Eibischzuckerl“, in der an „Staatsheiligtümern“ gekratzt wird:

Warum wiafst dei Wienerschnitzerl denn vom Kirchturmspitzerl owe?

339 Wolfgang Ambros, Helmut Pichler, Harry Stampfer, Günter Dzikowski u. Peter Koller: Er is vom Land. Verwahrlost aber frei. Polygram 1996. 340 Vgl. Maurer: Man lebt, S. 7. 341 Juhasz: Politisches Engagement, S. 46. 342 Georg Danzer: Mein Testament. Georg Danzer Tournee 79. Polydor 1979. 343 Teuschl u. Salomon [Keine Vornamensangaben]: Himmel, Fegefeuer, Höll. Alle Menschen san ma zwider. Preiserrecords 1972. 344 Wolfgang Ambros: Äquator. Äquator. Polydor 1992. 94

Des gibts doch net, dass ma vagisst dass ma so wos mit Messa isst und Gowe! Des Schnitzerl is jetzt ganz verdrückt, des Kirchturmspitzerl ganz geknickt weu si des net schickt. 345

Die ironische Verknüpfung von leiblichen Genüssen und Bigotterie steht Ambros’ und Gößweiners blasphemischem Song „Heidenspaß (Mir geht es wie dem Jesus)“ aus dem Album Eigenheiten an augenzwinkender Schärfe in nichts nach. Auch das Kratzen an Nationalheiligtümern war in diesem Album ein Thema. Schon das erste Lied aus Eigenheiten nahm sich Wolfgang Amadeus Mozart vor:

Wolfgang Amadeus Mozart war ein Wunderknabe. Er hatte hohe Protektion, die ich bis jetzt nicht habe. Er saß am Schoß der Kaiserin Maria Theresia in Wien. Ein prominenter Frauenschoß machte schon manchen Künstler groß. Ich frag dich, ob das wohl so sein muss vielgeliebter Amadeus ... ? 346

Wird in „Wolfgang Amadeus Mozart“ das Schicksal des weltberühmten Musikgenies mit den bescheidenen Fähigkeiten von Wolfgang Ambros beziehungsweise des lyrischen Ich konterkariert 347 , so geht letzterer zusammen mit Texter Gößweiner mit „Heidenspaß“ noch einen beziehungsweise mehrere sarkastische Schritte weiter:

Mir geht es wie dem Jesus - mir tut das Kreuz so weh. Doch ihm tat es erst mit dreißig, mir tut es heut schon weh.

Mir geht es wie dem Jesus, nur hab ich nicht die Klasse, denn ich verwandle nur den Wein in Wasser, das ich lasse.

Und wie der Jesus sage ich, heiteren Gesichts:

345 Prokopetz u. Ambros: Eibischzuckerl. 346 H.G. Hausner u. Wolfgang Ambros: Wolfgang Amadeus Mozart. Eigenheiten. Bellaphon 1973. 347 „Wolfgang Amadeus Mozart war ein Wunderknabe. Ich bin keiner, weil ich nicht so viel Begabung habe.“ (Hausner u. Ambros: Wolfgang Amadeus Mozart.) 95

das Leben ist ein Heidenspaß, für Christen ist es nichts.

Mir geht es wie dem Jesus, ich treff nur lauter Blinde, nur manchmal, wenn ich Glück hab, gehorchen mir die Winde.

Mir geht es wie dem Jesus, der unter uns geweilt: Die meisten, die mich kennen, die sind von mir geheilt.

[...]

Mir geht es wie dem Jesus, mit dem ich mich verglich, denn außer alten Jungfern schwärmt niemand mehr für mich. 348

Im Gegensatz zu diesem Ambros-Klassiker ist Georg Danzers Song „Lieber Gott“ ( Danzer, Dean und Dracula , 1975) eine rockige, von E-Gitarren getragene Anklage gegen Gott. In einem quälend-schreienden Vortrag prangert Danzer einen blinden Gott an, der zu viele Ungerechtigkeiten auf der Welt zulässt. Aber es ist gerade Ambros’ Lied „Heidenspaß“, das am deutlichsten die Revolte gegen alles und jeden zeigt. Die letzte Strophe, in der sich Ambros beziehungsweise das lyrische Ich noch einmal mit Jesus Christus vergleicht und dabei die sexuelle Komponente ins Spiel bringt, führt zu einem weiteren popularmusikalischen Befreiungsschlag, dem Tabubruch Sexualität. Auch in diesem Kontext legten Prokopetz und Ambros auf Alles andre zählt net mehr ... mit „Sexualvabrecha“, dem Ich-Monolog eines Psychopathen, den Grundstein:

I bin a Sexualvabrecha und pass de Weiwa o. Mi nennans nur en schwoazzn Rächa ausn Liebhartstoi.

Bei Voimond steh i auf da Eckn und woat wos kumma wiad. A so a Blade oda so a diarra Steckn - s‘is ma wuascht – umbrocht wiads. Es is intressant wos si so ospüd waunn mar ane dawiagn wü -

348 D. Geßweiner [Keine Vornamensangabe] u. Wolfgang Ambros: Heidenspaß (Mir geht es wie dem Jesus). Eigenheiten. Bellaphon 1973. 96

de anan bittn, de aundan wean si, da Rest vahoit si stüh.

Maunche bittn, maunche klogn, weu i hob nie a Mitleid gspiad. Do hüft kaa Zittan und kaa Zogn, weu vo mia do weans dawiagt.

Hob i so an Hois in dar Haund - gaunz deppad kunnt i wean. Do druck i‘s zuche aun de Heisawaund weu do nutzt kaa Schrein, kaa Rean,

do gehr i haam und leg mi nieda und traam von meina Tot. A Gedaunke kummt ma imma wieda: Hoffentlich is tot.349

Mit bedrohlichen, schaurig anmutenden Synthesizerklängen untermalt, trägt Wolfgang Ambros diesen psychopathologischen Sprechgesangmonolog vor und schlüpft in die Rolle des Sexualverbrechers. „Sexualvarbrecha“ ist die Radikalisierung des Rollenliedes, wie wir es von den Kritischen Liedermachern kennen, wo das Rollenlied „ein in Ich-Form gesungenes Lied [ist], dessen Ich eine im konkreten gesellschaftlichen Leben vorhandene Rolle darstellt. Die Rolle faßt typische Gemeinsamkeiten einer soziologisch erfaßbaren Gruppe zusammen.“ 350 Die Radikalisierung besteht darin, dass ein Sexualverbrecher wohl kaum zu einer soziologisch erfassbaren Gruppe gerechnet werden kann. Im Gegensatz dazu ist das Rollenlied aber eine beliebte und oft angewendete Form in der österreichischen Popularmusik. Ohne diese Typen-Rollenlieder wie „Franz Pokorny“ oder „I bin nur a Pompfinewra“ ( Alles andre zählt net mehr ... ) wären die Hörspiele Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin , die in großem Maß mit Typisierungen arbeiten, wohl kaum denkbar. Das Motiv des psychopathischen Mörders wird im Lauf der Jahrzehnte noch öfter behandelt. Schon 1975 schickt Georg Danzer mit „Dracula“ einen Mörder ( Danzer, Dean und Dracula ) auf nächtliche Reise, drei Jahre später erzählt „Die Moritat vom Frauenmörder Wurm“ ( Narrenhaus , 1978) von den Umtrieben der Frauenmörderin Hermine Wurm. 1976 drohte Ambros: „ ... sonst muß ich Sie ermorden“ ( 19 A Class Numbers ) und „Weu i ned anders kann“ ( Hoffnungslos ) und 1991 singt Danzer in einem Rollenlied davon, was passiert, „Wann da Mond am Himmel stehd“ ( Wieder in Wien , 1990). Auch das Faktum Erotik und Sexualität ist – weniger bei Ambros – als bei Danzer bis heute ein Dauerbrenner. Dass „Erotik

349 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Sexualvarbrecha. Alles andere zählt net mehr ... . Amadeo 1972. 350 Juhasz: Politisches Engagement, S. 108. 97

[...] bei den sonst allen Facetten des Alltagslebens aufgeschlossenen Austropoppern prinzipiell klein geschrieben [ist]“ 351 , wie Grininger meint, greift etwas zu kurz. Das belegen die textlichen und musikalischen Facetten eines Georg Danzer, die von witzig belanglos („Heasd Karli, du bist a Wahnsinn“ 352 , Wieder in Wien ) über schonungslos direkt („Bitte tu mir weh“, Notausgang , 1979) bis onanieverherrlichend („Der legendäre Wixerblues vom 7. Oktober 1976“, Narrenhaus ) reichen. Aber auch bei Ambros wurde dieses Tabuthema sehr wohl behandelt. Es mag zwar sein, dass Erotik und Sexualität in der österreichischen Popularmusik allgemein gesehen zwar eher zu kurz kommen, aber auch diese Behauptung kann durch so manchen Fendrich-, Hirsch- oder EAV-Song durchaus widerlegt werden. Auch bei Ambros wird gerade in den Siebzigern Erotik und Sexualität immer wieder thematisiert: Am deutlichsten wohl mit „Sexualvarbrecha“, „Unmoralisch“ ( Fäustling ) und „Wüst oda wüst ned“ (1975). In letzterem geht es um eine umschweiflose Aufforderung zum Geschlechtsakt, während „Von Liebe ka Spur“ ( Der letzte Tanz ) dezent von dem bitteren Nachgeschmack einer einmaligen Liebesnacht handelt. Direkter wird Ambros in „Baba und foi ned“ ( 19 A Class Numbers ) -

De Zeit is ma zarunna wia Saund in da Haund. Und doss i di net pockt hob heit is eigentlich a Schaund.353

- und dem Song „Warum host des g’mocht?“ ( 19 A Class Numbers ), wo der Instrumentalteil in der Mitte des Liedes mit den gesprochenen Worten „Oide, scheiß da nix weu i hob mi aa nix gschissn. Ollas pudat, wos umadumgräud is [...]“ 354 überbrückt wird. Selbst das sanfte „Hoffnungslos“ ( Hoffnungslos ) birgt unter der Oberfläche Abgründe, die sich am Rand der Pädophilie befinden:

I siech, du fiachst di vua mia, i seu mi liabar o. Du bist no z'jung, du fiachst di vuar an jedn. Du bist a leiwaunda Hos, oba mit uns zwaa is hoffnungslos.

351 Hubert Grininger: Da Weg zu mein Dirndl is stoani ... . Liebe und Eros in der alpenländischen Volksmusik von 1800 bis zum Austropop. Graz: Edition Strahalm 1997, S. 165. 352 „Charmante Heurigenatmosphäre mit erotischem Beigeschmack unter Mitwirkung von Marianne Mendt.“ (Georg Danzer: Klappentext. Wieder in Wien. Ambra 1990.) 353 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Baba und foi ned. 19 A Class Numbers. Bellaphon 1976. 354 Wolfgang Ambros: Warum host des g’mocht. 19 A Class Numbers. 98

Du siechst dein Vodan vua dia wiar a mitn Finga droht und du host peamanent a schlechtes Gwissn. Du bist a leiwaunda Hos, oba mit uns zwaa is hoffnungslos. 355

Es zeigt sich also, dass auch bei Ambros das Thema Sexualität nicht nur auf den „Sexualvarbrecha“ beschränkt ist, ein Lied, das, wie Thomas Rothschild herausgefunden hat, verwandt ist mit H.C. Artmanns Blaubart-Gedichten. 356 Die Linie zu H.C. Artmann ist bei der Untersuchung des Phänomens Austropop von eminenter Bedeutung. Ohne die Mundart eines Artmann, dessen Texte zum Teil vertont und von Helmut Qualtinger gesungen wurden, zu berücksichtigen, lässt sich auch keine Untersuchung des Phänomens Austropop durchführen. Die Dialektliteratur von Artmann und der Wiener Gruppe war ohne Zweifel eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwendung des Slangs, des Dialekts und der Mundart beziehungsweise der Umgangssprache in der österreichischen Popularmusik.

3.5.1.3.5.1. Exkurs: Die Wiener Gruppe - Sprache

Bevor wir uns an dieser Stelle in forschungsimmanenten Diskursen verlieren, sei nun kurz die Wiener Gruppe und ihr Wirken – vor allem jenes von H.C. Artmann - skizziert. Wie Wolfgang Ambros’ „Hofa“ 1971 in der Popularkultur, so wirkte Artmanns Gedichtband med ana schwoazzn dintn 1958 in der Literaturszene. Die Texte im Breitenseer Dialekt „schockierten“ durch ihre phonetische Schreibweise und zum Teil äußerst blutrünstige oder todessehnsüchtige Inhalte. Allerdings handelt es sich bei diesen Gedichten um Experimente einer Kunstsprache. Artmann ging es nämlich darum

einen Dialekt herzustellen, den es nicht gibt, der aber so klingt, als gäbe es ihn, einen möglichen Dialekt, der durch phonetische Verfremdung, gespeist vom unerschöpflichen Schwarzen Humor der Wiener, bevölkert mit den Gruselkabinettfiguren der ‚entern Gründ’’ und der Praterwelt ein neues surreales Gewebe origineller Ausdrucksmöglichkeiten ergeben würde. [...] Diese juxhaft aristokratische Absicht schlug in der Praxis jedoch in ihr popularisierbares Gegenteil um, weil sich der ‚neue’ Dialekt als recht vertraut erwies, sobald ihn die Gewohnheit der Verfremdungen entkleidete. 357

355 Wolfgang Ambros: Hoffnungslos. Hoffnungslos, Bellaphon 1977. 356 „Zu den ganz frühen Nummern [...] gehört das saftige Rollenlied vom Sexualvarbrecha , das verblüffend an H. C. Artmanns Blaubart-Gedichte erinnert.“ (Rothschild: Liedermacher, S. 16.) 357 Kurt Klinger: Lyrik in Österreich seit 1945. In.: Spiel: Literaturgeschichte, S. 189. 99

Zweifelsohne eine Popularisierung, die im Austropop noch nachwirkte. 358 Nicht zu vergessen in diesem Kontext ist auch die Sangbarkeit der Artmann-Gedichte. Abgesehen davon, dass er zwei seiner Gedichte aus med ana schwoazzn dintn schlicht mit „liad“ betitelt hat, sind auch die anderen Texte von Melodik und Musikalität geprägt. Als Beispiel sei die erste Strophe aus „waun e schdeam soit“ zitiert:

waun i amoe a bangl reis zu deidsch: de bodschn schdrek – i hoff es dauad no a wäu bis zu den leztn schrek – waun i daun oesdan schdeam soit so bit ich eich nua r ans: jo nua ka r eangrob aum zenträu! i schdee ned auf so danzz .. 359

Dieses und noch viele andere Gedichte Artmanns wurden von Ernst Kölz vertont und von Helmut Qualtinger auf dem Album Helmut Qualtinger singt schwarze Lieder interpretiert. Der musikalische Weg zum Austropop ist von hier wesentlich weiter als der thematische und sprachliche, wie wohl man bedenken muss, dass es sich bei Artmann eigentlich um eine Kunstsprache respektive spielerische Dialekterweiterung 360 handelt. 361 Eine Brücke von den

358 „Die Surrealität der eigentlichen Artmann- und Kreisler-Zeit (ca. 1955-1965) klingt noch manchmal in witzigen Wendungen (‚... der atem gottes trocknet dir den nagellack’, ANDRE HELLER) oder in der Situationskomik an (‚Was macht a Nackata im Hawelka’), wird benützt, variiert, aber auch ebenso verschlissen.“ (Klinger: Lyrik. In: Spiel: Literaturgeschichte, S. 193.) 359 H.C. Artmann: Waun e schdeam soit. In: Ders.: Med ana schwoazzn dintn. Gedichta r aus bradnsee. Salzburg: Otto Müller Verlag 1958, S. 84. 360 Klinger: Lyrik. In: Spiel: Literaturgeschichte, S. 199. 361 Dennoch finden sich hin und wieder auch sprachliche Anklänge an Artmann. So zum Beispiel in einer Live- Version von Georg Danzers „Der legendäre Wixerblues vom 6. 10. 1976“ auf seinem Album Echt Danzer! (1991). Die Strophe um die es geht lautet im Original:

„Im gaunzn Gretzl wiads scho dazöd, dass mia da Biss bei de Hosn föd. Sogoa de Blade aus da Trafik hob i vaäargat duach ein Missgeschick:

I kauf mia bei ia a Packl Kent und denk ma: mochst ia ein Kompliment - i sog: ‚Heast, Gfüde, du bist a Wüde’, drauf gibts mar ane und spüt de Prüde.“ (Georg Danzer: Der legendäre Wixerblues vom 6. 10. 1976. Narrenhaus. Polydor 1978.)

In der Live-Version werden die Schlusszeilen umgewandelt in:

„i sog: ‘Heast, Gfüde – waaßt eh i wü de’”. (Georg Danzer: Wixerblues. Echt Danzer! Ambra 1991.) Sprachlich hat das eine Angleichung des “i” in „di“ an ein „e“ zur Folge, dass der Reim auf „Gfüde“ reiner wirkt. Daraus ergeben sich Anklänge an Artmanns Breitenseer Sprache, wie sie per exemplum in „liad“ gepflegt wird, eine Sprache, in der Artmann oft anstelle eines „i“ ein „e“ setzt: 100

Artmann-Vertonungen durch Kölz zu dem Austropop eines Georg Danzer oder Wolfgang Ambros ist die Wichtigkeit der Texte. Das ist keine Abwertung der Musik, sondern eine Aufwertung des Textes – vor allem im Hinblick auf Wolfgang Ambros, dessen und Prokopetz’ Sprachgebung- und Färbung auch Georg Danzer dazu bewogen haben in Mundart zu singen. 362 Mit der popularmusikalischen Verwendung und wohl auch Verwertung des Wienerischen geht gerade bei Ambros’ Texten – ob sie nun von Prokopetz, ihm selbst oder anderen gedichtet sind – ein hohes Maß an Identifikation einher:

Der Ambros hat Lieder gesungen, die ihm jeder 18-, 19-Jährige geglaubt, total abgenommen hat. ‚Heute sitz i wieder im Espresso’ und so ... Diese Lieder hatten beim Publikum den Effekt von: ‚Genauso geht es mir auch. Der is wie ich. Der ist einer von uns.’ 363

Johannes Moser hat in seiner Untersuchung Der ‚Volksliedermacher’ Wolfgang Ambros auch festgehalten, dass nur für einen Teil der von ihm befragten Ambroshörer die Musik eine große Rolle spielt. 364 Man könnte nun noch unzählige Zitate anführen, die Ambros attestieren, dass er aufgrund seiner Sprache und Inhalte „einer von uns“ ist und sozusagen die Sprache des Volkes spricht. Aus diesem Grund sei aus dem Resümée von Johannes Mosers Arbeit etwas

„liad a glans mal en an madrosnquandl en da sun

[…] fliang mechad e hoed kena

[...]“ (Artmann: Dintn, S. 42.)

Die Wichtigkeit von Artmanns Buch med ana schwoazzn dintn hebt Georg Danzer auch in einem umfassenden Interview über sein Schaffen hervor:

„Wir saßen damals im Hawelka und bewunderten das epochale Werk ‚med ana schwoazzn dintn’ von H. C. Artmann. Jeder fragte den anderen, hast du das gelesen? Es gab den H. C. Artmann zwar schon lange vorher, aber von uns hatte ihn niemand zur Kenntnis genommen.“ (Georg Danzer u. Christian Seiler: Jetzt oder nie. Im Gespräch mit Christian Seiler. Wien: Amalthea 2006, S. 57.) 362 „Der Wolfgang hatte ein enormes Charisma. Als ich den ‚Hofa’ hörte, dachte ich das erste Mal, dass man auf Wienerisch etwas singen kann und es genauso anziehend und cool rüberkommt wie ein Lied von den Beatles.“ (Danzer u. Seiler: Jetzt, S. 64.) Eine Initialzündung, die zumindest im Hinblick auf Georg Danzer, mit Gerhard Bronners „Glock’n“ noch nicht stattfand. 363 Danzer u. Seiler: Jetzt, S. 79. 364 „Im übrigen ‚gefällt’ die Musik nur der Hälfte der befragten Ambroshörer und es gibt überhaupt nur eine Nennung bei der Musik für den Befragten die Hauptrolle spielt. Sonst ist sie immer mit ‚Texte’ oder mit ‚Texte’ und ‚seine Person’ gekoppelt.“ (Moser: Volksliedermacher, S. 84.) 101 ausführlicher zitiert, da er in einem Absatz das auch für uns relevante Forschungsfeld zusammenfasst und eine Basis für unsere nun folgenden Ausführungen gibt:

Am Beispiel Wolfgang Ambros konnte ich zeigen, wie wichtig den Hörerinnen und Hörern die Vermittlung bestimmter Inhalte in ihrer eigenen Sprache ist. Allein die Tatsache, daß Wolfgang Ambros die Probleme vor allem jugendlicher Hörer artikulieren kann und das nicht mit dem Image des großen Stars verbindet, prädestiniert ihn als Identifikationsobjekt (nicht Idol) für seine Fans. Dazu findet man bei Ambros noch eine spezielle Mischung von schwermütigen Liedern, bei denen oft Themen wie Identitätsfindung, Selbstmord etc. im Mittelpunkt stehen, und lustigen Liedern, die bei verschiedensten Gelegenheiten gern gesungen werden. Mit dieser Art von Musik kommt er beim österreichischen und vor allem beim Wiener Publikum besonders gut an, er ist sozusagen d e r österreichische Liedermacher. Die Rockmusik als Begleitung steht dagegen nicht so im Vordergrund, ist aber ein wichtiges und notwendiges Medium, obwohl sie für das Publikum eigentlich nur Nebensache ist. 365

In der Sprache des Alltags zu singen bedeutet aber keine literarische Abwertung der Texte. 366 Schon der zweite Song auf Alles andre zählt net mehr ... – „Du bist wia de Wintasun“ 367 - ist wohl das Beispiel für die Ambros- und Prokopetz’sche Mundartpoesie des Alltags beziehungsweise einer Sprache, die für alle sozialen Schichten verständlich ist, wohl aber kaum die Sprache der „Oberen Zehntausend“ ist.

Du bist a Tropfn Wossa in da Wüstn, a Goidstück unta Staana. Du bist wiar a Haund, de außn Dreck mi außezaht.

Du bist wiar a Saumen, dea in mia keimt. Du bist wia de Wintasunn, de nua aun maunchn Togn scheint.

Du bist wiar a Büd, des i net laung gnua auschaun kau. Und du bist ois wiar a Liad, des i hea und net vasteh.

Du bist wiar a Gedicht, des si leiwaund reimt. Du bist wia de Wintasunn,

365 Moser: Volksliedermacher, S. 114. 366 Denn man muss immer bedenken, dass sobald Dialekt oder Umgangssprache Eingang in einen literarischen Text findet, es sich um eine Literatursprache handelt. 367 „Wintasun“ ist auf dem Plattencover nur mit einem „n“ geschrieben. 102

de nua aun maunchn Togn scheint.

[…]

Du bist wiar a Schottn, dea von iagendwo kummt, ois wiar a Ua, de stehbliem is. Du bist wiar a Brün, duach de i ollas rosa siech. Du bist wia de Meeresbraundung, de aun de Fösn schäumt, du bist wia de Wintasunn, de nua aun maunchn Togn scheint.

[…]. 368

Auf eine ausführliche inhaltliche Analyse und Interpretation soll hier verzichtet werden, da bei diesem Song in dem zu behandelnden Kontext in erster Linie die sprachliche Gestaltung von Bedeutung ist. Heide Pfeiler stellt aber zurecht fest, dass „Du bist wia de Wintasun“ aus dem Album Alles andre zählt net mehr ... heraussticht:

Thematisch fällt dieses Lied, das als einziges Stück nicht den Tod, das Sterben und die Einsamkeit sondern etwas Positives, Hoffnungsvolles im Leben anspricht, aus den Texten der Langspielplatte. Jedoch ist dieses Positive recht zerbrechlich dargestellt, die Liebe oder Beziehung wird nicht mit einer strahlenden Sonne verglichen, sondern mit einer Wintersonne, ‚die nua an manch’n Tag’n scheint’, also auch nicht immer anwesend ist. 369

Hier sieht Pfeiler allerdings entschieden zu kurz, denn warum ist auszuschließen, dass „die“ Wintersonne (nicht „eine“), auch wenn sie nur an manchen Tagen scheint, nicht genauso strahlen kann, wie sie das im Sommer auch vermag. Das Bild der Wintersonne, „de nua aun maunchn Togn scheint“ 370 , ist, meiner Ansicht nach, durchaus positiv zu sehen, denn dieser poetische Elementarvergleich fügt sich nahtlos zu den anderen in „Du bist wia de Wintasun“. Die Geliebte, Angebetete, Verehrte ist etwas ganz Besonderes – das kommt in einer Reihe von Vergleichen („Du bist a Tropfn Wossa in da Wüstn, a Goidstück unta Staana“ 371 et cetera) und dem Kehrreim („Du bist wia de Wintasunn, de nua aun maunchn Togn scheint“ 372 ) immer wieder zum Ausdruck. Die „Wintasun“ ist somit positiv konnotiert.

368 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Du bist wia de Wintasun. Alles andere zählt net mehr ... . Amadeo 1972. 369 Pfeiler: Austropop, S. 273. 370 Prokopetz u. Ambros: Wintasun. 371 Ebd. 372 Ebd. 103

Doch nun wollen wir die sprachlichen Bilder und Vergleiche näher untersuchen. Das schon einmal angewendete Wort „Elementarvergleich“ trifft wohl am ehesten auf das zu, was Prokopetz hier rhetorisch betreibt. Denn obwohl er im ganzen Text mit der rhetorischen Figur des Vergleichs arbeitet, versteigt er sich nicht in unverständliche poetische Phrasierungen, sondern erreicht genau das Gegenteil: eine Direktheit, die mit ihrer unprätentiösen, authentischen Umgangssprache allgemein verständlich ist. Es handelt sich um Vergleiche von elementarer Einprägsamkeit und Klarheit. Der „Tropfn Wossa in da Wüstn“ 373 und das „Goidstück unta Staana“ 374 verweisen, wagt man diese Lesart, auf die Herkunft des lyrischen Ichs: Es handelt sich um jemanden, der wohl kaum die Mittel hat Fernreisen zu unternehmen und der wohl auch nicht zu den Rezipienten – und das ist in keiner Hinsicht abwertend aufzufassen – von vermeintlich hoher Literatur zählt („Du bist wiar a Gedicht, des si leiwaund reimt“ 375 ). Viel mehr geht es dem Erzähler um die ursprüngliche Kraft, die ihn mit seiner Liebe verbindet. Sie ist für ihn „wiar a Haund, de außn Dreck mi außezaht“ 376 und „wiar a Sauman, dea in mia keimt“ 377 . Das mögliche Argument, dass die Anwendung des Vergleichs anstatt der Metapher (d.h.: du bist a Haund, du bist a Liad et cetera) die Intensität der Liebesbeziehung abschwächt, greift allerdings nicht, denn das lyrische Ich würde wohl kaum durchgängig in Metaphern sprechen. Und die Alltagssprache findet in „Du bist wia de Wintasun“ auch unverhohlen Eingang: „Du bist wiar a Gedicht, des si leiwaund reimt“378 , „Du bist wiar a Brün, duach de i ollas rosa siech.“ 379 Derartige umgangssprachliche Wendungen finden sich auch in vielen anderen Austropop- Songs. So überschüttet Georg Danzer in „Ollas leiwaund“ ( Ollas leiwaund , 1975) seine Angebetete mit Liebesbezeugungen wie:

Du bist a Waunsinns-Madl weu du ziagst mi auf wiar a Motorradl. Kumm gib Gas – i waaß es ois leiwaund [...]. 380

Und Peter Cornelius beziehungsweise das lyrische Ich lässt in „Calafati“ nichts unversucht, um die „Diskothekenfee“ 381 für seine Liebe zu gewinnen – für sie ändert er sogar seinen

373 Prokopetz u. Ambros: Wintasun. 374 Ebd. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Ebd. 378 Ebd. 379 Ebd. 380 Georg Danzer: Ollas leiwaund. Ollas leiwaund. m records 1975. 381 Peter Cornelius: Calafati. Columbia/United Artists 1978. 104

Kleidungsstil, was zur Folge hat, dass sie ihn nicht erkennt. Erst als er wieder in Jeans und altem Hemd erscheint, kommen sich die beiden näher. Authentizität hat also Vorrang. Auch in vielen Texten von Wolfgang Ambros aus seiner Frühphase. Bei in der Hochsprache verpönten Phrasen wie: „In da Frua bin i da easchte, dea wos [!] aufefoat.“ 382 oder Liedern wie „Dei Foto“ 383 aus dem Album Eigenheiten 384 wird evident, warum man Wolfgang Ambros als Volkssänger bezeichnet 385 oder ihm attestiert, dass er die Sprache der Leute spricht. 386 Das impliziert einerseits die Verwendung von Fäkalausdrücken wie auch pseudophilosophische Einsichten („Des Söbstbewusstsein is, wia da Naume scho sogt, a Soche, de nua aus dia söba entsteht“ 387 ) und Ablehnung von unauthentischem, prätentiösem, vornehmem Gehabe. Am deutlichsten kommt das in dem Lied „Sei ned so g’spritzt“ ( 19 A Class Numbers ) zum Ausdruck:

A jedes zweite Wuat von dia is französisch, oh, du waaßt doch, dass i kaa Französisch kau! Olle meine Freind, de lochn und haun si o und sogn: ‚Mit dera Gspritztn bist oam drau!‘ Waunn i mit diar Essn geh, bestöst a Entrecote, und du meakst goa net, dass des Beisl wo ma sitzn net amoi Tischtiachln hot.

382 Ambros: Schifoan. 383 „[...] Du host ma gsogt i bin dei Märchenprinz und du woast fia mi wiar a schöna Traum. Und waunn i di net gspiat hob, hob i nimma schlofn kenna, daunn hob i ma miaßn imma dei Foto auschaun.

Mia haum gaunz varruckte Sochn gmocht, zum Beispü a Nocht laung spazian geh, weu ma kaa Göd mea ghobt haum und haam geh woit mar aa net.

A aundas Moi host ma de Wiesn zagt, wos’d ois Gschropp imma gspüt host. Mia haum uns so unhaamlich gean ghobt, wias sunst nuar in de Biachln steht. 383 “ (Wolfgang Ambros: Dei Foto. Eigenheiten. Bellaphon 1973.) 384 Nebenbei sei an dieser Stelle mit einem auch in der Forschung immer wieder tradierten Irrtum, dass es sich bei Eigenheiten um ein Album in Hochdeutsch handelt, aufgeräumt: Bei vier von zwölf Liedern ist das wohl mitnichten der Fall. 385 „Mit Songs wie ‚Sexualvarbrecha’, ‚Die Kinett’n, wo i schlaf’, ‚I bin nur a Pompfinewra’, ‚Es lebe der Zentralfriedhof’, ‚Heit drah i mi ham’ manifestierte sich sein [Ambros’] Status als Volksänger [sic!].“ (Lechner: Austropop, S. 29.) 386 Vgl. Moser: Volksliedermacher, S. 80. 387 Wolfgang Ambros: Selbstbewusst. Selbstbewusst. Bellaphon 1981. 105

Oide, bitte, sei do net so gspritzt. Warum wüst mea sei ois wos'd bist?388

Das sind Worte eines „einfachen Mannes“ von nebenan. Von dieser Sprachfärbung ist es nicht weit zu Songs wie „Hoiba zwöfe“, „Warum host des g’mocht“ ( 19 A Class Numbers ) oder „Gsöchta“ ( Es lebe der Zentralfriedhof ). Viel mehr jedoch erscheint Ambros mit Texten wie „Dei Foto“ und „Sei ned so gspritzt“ als proletarischer Künstler, was Ambros selbst in einem Interview mit Johannes Moser bestätigt, aber auch nicht zu eng sieht:

F.: Glauben Sie, hat das mit gewissen sozialen Schichten zu tun, daß Sie bei gewissen Leuten besser ankommen? A.: Das kann schon sein. F.: Z. B. bei Arbeitern eher als bei Studenten? A.: Das sind die zwei großen Pole. Also irgendwelche Lehrlinge und Azubis, die sind ein großer Teil meines Klientels, wenn Du es so willst, und aber auch Studenten und die ganze Uniszenerie, die sind auch, die haben ein Hirn, die denken nach und sind nicht geplagt, wie z. B. jetzt der Yuppie, der hergeht und seinen Egotrip auslebt bis zur Selbstzerfleischung, das ist eher nicht meine Hörerschaft. 389

Dass sich Ambros nicht auf die Seite der sogenannten High Society stellt, zeigt sich schon mit der Schlussnummer von Alles andre zählt net mehr … : „I bin nur a Pompfinewra“. Ein Standes- und Metierlied mit elegisch-resignativen Unterton. Dramaturgisch ist es die Klammer zu dem vermaledeiten Metierlied „Franz Pokorny“. Im Unterschied zu dem faschistoiden Hausmeister handelt der Ich-Monolog „I bin nur a Pompfinewra“ jedoch nicht von zu Tage tretenden nationalsozialistischem Gedankengut, sondern von der Scheinhaftigkeit der Welt. Darüber hinaus räumt es mit dem stereotypen Mythos der sprichwörtlich gewordenen „schönen Leich“ auf. Der namenlose Ich-Erzähler – ein „Pompfinewra“ (Totengräber beziehungsweise Angestellter bei der Bestattung) – tut dem Hörer, der Hörerin in gedämpftem Sprechgesang kund, dass er nicht mehr und weniger ist als ein Bediensteter der Gemeinde Wien, der fern von jeglichem Berufsstolz wie ihn noch Raimunds Valentin in sich trägt, sein Tagwerk verrichtet. „I bin nur a Pompfinewra“ ist die Bestandsaufnahme eines Arbeiters, der sich mit seinem Broterwerb abgefunden hat, aber dessen Scheinheiligkeit sehr wohl durchschaut und dem ganz andere Dinge wichtig sind. Schon die erste Strophe deckt die Widersprüchlichkeit seines Berufes auf:

Waunn i laungsaum und feialich

388 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Sei ned so g’spritzt. 19 A Class Numbers. Bellaphon 1976. 389 Moser: Volksliedermacher, S. XIV-XV. 106

hintar an Soag heageh, meakt kaa anziga, dass i den Totn nie kennt und gsehn hob390

Die zweite Strophe beschreibt die einstudierten Mimiken und Gestiken des Bestatters:

Maunchmoi schaur i in de Heh, daunn wieda traurig auf die Ead und waan a bissl wie ‘s‘is fia mi gheat.391

Der „Pompfinewra“ hat sich mit seinem Beruf abgefunden. Im Rephrain wird deutlich, wie er mit dem Bewusstsein um die Wahrung des Scheins lebt:

I bin nur a Pompfinewra, oba fria oda späta wiad ana mitn söbn Schmäh hinta mein Soag geh.392

Dass er mit seinem Beruf aber nicht verschmolzen ist, wird in den folgenden Zeilen evident. Unter der Bestatteruniform ist er ein Mensch, ein Individuum, das sich körperlich in der Berufskleidung nicht wohl fühlt oder seine wahren Gefühle in dieser verstecken muss:

Meine Händ mit de schwoazn Handschuach san ineinaunda vakraumpft und i schwitz unta mein Huat, den wos i allweu aufsetz obs schee is oda renga tuat

A schwoazes Tiachl hob i aa damit i, waunn i lochn muaß, mei Gsicht vadeckn kau. 393

Die Allianz mit dem Rezipienten wird wohl endgültig mit der umgangssprachlichen Wendung „den wos i allweu aufsetz“394 gebildet. Die Randexistenz des „Pompfinewras“ – sowohl in beruflicher als auch individueller Hinsicht – wird somit zu einer Projektionsfläche von

390 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: I bin nur a Pompfinewra. Alles andere zählt net mehr ... . Amadeo 1972. 391 Ebd. 392 Ebd. 393 Ebd. 394 Ebd. 107

Sehnsucht nach Individualiät, Authentizität und den ursprünglichen, außergesellschaftlichen Dingen und Werten:

Obs reich woan oda oam - des is ma gaunz egal. Obs Guade oda Schlechte woan - des is mia ollas net so wichtich. Mia geht nua de Musik am Haumma - ma heat goa net de Vegl auf de Baama.395

Nun wird die Teilnahmslosigkeit, die der Bestatter gegenüber seinem Beruf und auch den Toten fühlt, deutlich. Termini und Schubladendenken wie „gut und schlecht“, „reich und arm“ sind ihm völlig gleichgültig. Was ihn wirklich nervt, ist unnötiger zivilisatorischer Aufputz wie zum Beispiel die Musik bei Begräbnissen: sie übertönt den Gesang der Vögel. Das Künstliche überdeckt das Natürliche. Der Bestatter ist wie Wolfgang Ambros auf dem Cover allein auf einem kargen, weiten Feld. Mit „I bin nur a Pompfinewra“ ist nun auch noch einmal der Beweis erbracht, dass mit Wolfgang Ambros eine Proletarisierung der Popularkultur eingesetzt hat, die auch in seinen Hörspielen Fäustling und Schaffnerlos weiterwirkt und in letzterem wohl ihre Akmé erreicht.

4. Der Volkskünstler Wolfgang Ambros

Wie wir sehen konnten, identifiziert sich Ambros’ Publikum nicht nur mit seinen Texten und seiner Musik, sondern auch mit der öffentlichen Person Wolfgang Ambros. Die Texte, die ohne Umschweife Alltagsprobleme und Tabuthemen ansprechen, unterstützt von bluesiger bis rockiger Musik, und das Kumpelimage von Ambros lassen ihn als Volkskünstler beziehungsweise Volkssänger erscheinen, dessen Erfolg „trotz aller Werbung und Publicity wohl darauf beruht, daß er [Ambros] es versteht, mit seinen Inhalten die Hörergemeinde anzusprechen“ 396 . Und das erreicht Ambros durch seine Fähigkeit die Sprache der Leute zu sprechen 397 . Ambros liefert meistens keine versponnenen Textgebilde (Ausnahmen wie zum Beispiel „Der letzte Tanz“ aus Der letzte Tanz war auch kein dauerhafter Erfolg beschieden.), sondern Songs, die in unmissverständlicher Umgangssprache ausdrücken, was Ambros denkt oder vorgibt zu denken:

395 Prokopetz u. Ambros: Pompfinewra. 396 Moser: Volksliedermacher, S. 35. 397 Ebd., S. 80. 108

Egal, ob die Texte nun von ihm selbst, von Prokopetz oder Dzikowski stammen, sie sprechen immer eine bestimmte Sprache: Die Sprache der Straße, die Sprache des Umgangs: ‚Glaub doch ned, daß da wo anders vü besser geht!‘, ‚Entscheid di oba boid und quäl mi ned!‘. Idiomatische Dialektwendungen, wie sie für die umgangssprachliche Praxis typisch sind, bilden das Gerüst für die Ambros’sche Dichtung. 398

Ambros und viele seiner Texter- und Musikerkollegen (nicht nur jene aus seiner Band) gehen in diesem Kontext mit dem deutschen Liedermacher Peter Horton konform, dem ebenfalls die eigene Sprache sehr wichtig ist: „Jedes Volk braucht Lieder in seiner Muttersprache, in denen die Freude einen Purzelbaum schlagen kann, das Unterdrückte spotten darf und die Ohmacht eine Schießscharte findet – Lieder, in denen Minderheiten sich Luft machen können und Mehrheiten Wind.“ 399 Am deutlichsten in der Geschichte des Austropop drückt sich dies wohl im „Karl-Schranz-Lied“ aus. 1972 veröffentlichten André Heller und Georg Danzer unter dem Pseudonym „Die Österreicher i.V. [in Vertretung]“ angesichts der unsportlichen Disqualifikation des erfolgreichen österreichischen Schirennläufers und Medaillenanwärters Karl Schranz, die Single „Der Karli soll leb’n“ 400 . Darüber hinaus ist dieser Song wohl das deutlichste Beispiel für die Tagesaktualiät und Spontaniät des Austropop in den 1970er Jahren. 401 Das melodisch eingängig und einfach gestrickte Lied wurde ein großer Erfolg und erreichte zumindest unter damaligen Zeitgenossen wohl so etwas wie den Status eines Volksliedes. 402 Und Volkslieder sind ja „ein Spiegel der Zeit und ein Spiegel der jeweiligen

398 Grininger: Der Weg, S. 162. 399 Peter Horton zit. n.: Grininger: Der Weg, S. 157. 400 Zu finden auch auf dem Album Raritäten . 401 „‚Der Karli soll leb’n’ wurde in einer Nacht und Nebel Aktion von mir [Georg Danzer] und André Heller geschrieben und realisiert, weil auch wir auf intellektuelle Weise (!) Anteil an der Empörung über die schreckliche Demütigung des Karl Schranz und aller Österreicher i. V. in Japan nehmen wollten.“ (Danzer: Booklet. Raritäten.) 402 Eine ablehnende Haltung bringt dem „Karl-Schranz-Lied“ Erwin Ringel entgegen, der es in Zusammenhang mit dem österreichischen Minderwertigkeitskomplex, der „zum Volkslied geworden [ist]“, setzt. (Erwin Ringel: Eine neue Rede über Österreich. In: Ders.: Die österreichische Seele. Zehn Reden über Medizin, Politik, Kunst und Religion. Wien: Hermann Böhlaus Nachf., Wiener Verlag 1984, S. 22) Ringels Kritik an „Der Karli soll leb’n“ soll hier nun ausführlicher angeführt werden - als Exempel einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Austropop. Ringel manifestiert: „ [...] der Österreicher ist durch nichts so leicht zu fangen, als wenn man ihm sagt: ‚Du bist ein ungerecht Behandelter, ein Getretener und Unterdrückter, ich aber werde kommen und dich aus dieser Not und aus diesem Elend befreien!’ Da fühlen sich alle mit einem Male angesprochen, weil sie dieses Gefühl seit der Kindheit – bewußt oder unbewußt – mit sich schleppen. Mit dieser ‚Masche’ hat es schon der Hitler geschafft: der kleine, unbekannte Gefreite, von allen verkannt und verstoßen, das ideale Identifikationsobjekt für den gedemütigten und getreten fühlenden Österreicher; so war er imstande, wie der Rattenfänger von Hameln die Leute hinter sich zu versammeln. So war es aber auch mit Karl Schranz: Wir haben ja mit diesem Schimatador noch einmal eine Massenhysterie erlebt – wieder am Heldenplatz. Um sie auszulösen, genügte die Annahme, daß ihm mit dem Ausschluß von den olympischen Spielen in Japan ein schweres Unrecht geschehen sei. Die Menge rottete sich zusammen, aus vernünftigen Menschen formte sich eine Masse, die blindlings den Gesetzen der Irrationalität erlag. Man weigerte sich Mautners Senf zu kaufen, weil dieser mit dem Präsidenten des olympischen Komitees sympathisierte, verfolgte und verprügelte Andersdenkende. Von der aus dem Boden gestampften Schallplatte: ‚Vom Bodensee bis Wien stehen wir alle 109

Gesellschaft“ 403 . Genau dieser Punkt ist es, der Ambros in den Rang eines Volkssängers hebt, denn er entfaltet aus zeitkritischer Sicht immer wieder – meist ohne konkrete Vorfälle oder zeitbedingte Anlässe zu verarbeiten – ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Zeit, in dem der jeweilige Song entstand – meist ohne dabei zeitlose Allgemeingültigkeit zu verlieren. Was auffällt, ist, dass dabei der Mensch, der Mensch bleiben möchte, ein wiederkehrendes Motiv ist. Der Mensch, der bar jeder Verstellung jenseits der upper class lebt. Damit ist aber nicht nur die entsprechende Umgangssprache verbunden, sondern auch topographisches Lokalkolorit, wie sie Willi Resetartis mit seinem Alter ego, der Kultfigur Ostbahn-Kurti beziehungsweise Dr. Kurt Ostbahn, verkörpert hat. Der Wiener Barde Resetarits verweist mit „Ostbahn“ schon auf seinen Wirkungsbereich. Die daraus resultierende textliche und musikalische Vorstadtpoesie pflegten aber auch Ambros und Danzer. 404 So bringt letzterer den Hörern das Leben einer Prostituierten in der Dunklergasse, die sich im Wiener Vorstadtbezirk befindet, näher („Elfi“, Unter die Haut , Du mi a, Wieder in Wien ), besingt in seiner Kinks-Coverversion von „Waterloo Sunset“ den Korneuburger Sonnenuntergang („Korneuburg Sonnenuntergang“, Lola! 2005), erzählt von seiner Kindheit und Jugend am Gaudenzdorfer Gürtel („Gaudenzdorfer Gürtel Nr. 47“, Träumer ) und von den Erlebnissen des promiskuitiv veranlagten feschen Gustls in „Vorstadtcasanova“ (Nahaufnahme ). Ambros berichtet von dem künstlerischen Schaffen der Nr. 1 vom Wienerwald, die von Purkersdorf bis Breitenfurt in der Peripherie Wiens tourt („Die Nr. 1 vom Wienerwald“, Nie und nimmer ) und einem Triebtäter aus dem Liebhartsthal („Sexualvabrecha“, Alles andre zählt net mehr ... ). In „Durt bin i daham“ ( Nach mir die Sintflut. Ambros singt Waits , 2000) transferiert er Tom Waits „In The Neighbourhood“ ins Wienerische und erzählt darin vom Leben in einer nicht näher gekennzeichneten (gesellschaftlichen) Randgegend,

wo de Buam zum Mülitäa gehn, weu s‘as duat bessa haum.405

‚im Geist’ auf den Schiern’ (von mir deswegen als neues ‚Horst-Wessel-Lied’ bezeichnet), einem lächerlichen Machwerk, wurden in einer Woche weit mehr als 50.000 Exemplare (!) verkauft.“ (Ringel: Neue Rede, S. 11- 12.) 403 Moser: Volksliedermacher, S. 20. 404 Selbst Rainhard Fendrich zieht schon in seinem ersten Hit „Strada del Sole“ die Peripherie Wiens (Das „Gänsehäufel“ an der Alten Donau im 22. Wiener Gemeindebezirk) einem Italienurlaub vor. 405 Wolfgang Ambros u. Tom Waits: Durt bin i daham. Nach mir die Sintflut. Ambros singt Waits. BMG Ariola 2000. 110

Aus dem selben Album stammt der Titel „Weihnachtsgrüße von aner Hur aus Floridsdorf“ (im Original: „Christmas Card from a Hooker in Minneapolis“). Schon die erste Strophe charakterisiert eine typische Vorstadtszenerie, wie sie aber wohl nicht nur in Floridsdorf, dem 21. Wiener Gemeindebezirk, zu finden ist:

Hey Charlie, i bin schwaunga. I leb jetzt in Fluaridsduaf direkt üba dem Buachgschäft mit da staubign Auslog […]. 406 wo es ihr aufgrund ihres gestohlenen CD-Players nicht möglich ist, die Ostbahn-Kurti-Alben von ihrem Lover Charlie zu hören. 407 Die besungene Prostituierte stammt ursprünglich aus der niederösterreichischen Provinz. Sie kommt aus der Weinviertler Bezirkshauptstadt Mistelbach im nördlichen Niederösterreich. 408 Wie viele andere Austropop-Song-Charaktere bewegt sich auch die „Hure aus Floridsdorf“ vor allem in der östlichen Hälfte Österreichs. So auch Georg Danzers Gendarm, der Polizist sein muss und der gerne von Scheibbs nach Nebraska möchte („Von Scheibbs bis Nebraska“, Von Scheibbs bis Nebraska 2005) oder der Kellner, der auf Mallorca arbeitet, dessen Herz aber ganz wo anders ist: „in da Haad, wo ma scho schaut in die Tschechei“ 409 . Immer wieder wird die Provinz zum Thema oder das Leben in Randbezirken beschrieben. Die östlichen Bezirke Wiens – Floridsdorf und Donaustadt – bieten in dieser Hinsicht das entsprechende Lokalkolorit: Ob für die schon erwähnte Prostituierte aus Floridsdorf, den Ambros-Nonsens-Bluessong „Kagran“ (1972) oder dem Waits-Cover „Groß in Kagran“ (ursprünglich: „Big in Japan“). Kagran ist eines der Dörfer, aus denen schließlich die Donaustadt gewachsen ist – ebenso wie Stadlau. Diesem Bezirksteil haben Ambros und Texter Prokopetz in ihrem Hit „Die Blume aus dem Gemeindebau“ (1977) die Referenz

406 Wolfgang Ambros u. Tom Waits: Weihnachtsgrüße von aner Hur aus Floridsdorf. Nach mir die Sintflut. Ambros singt Waits. 407 „I hob no imma dei CD vom Ostbaunkuati und da Chefpartie, doch a Freia hod mia den Player gstoin. Wos sogst du do dazua?“ (Ambros u. Waits: Weihnachtsgrüße.) 408 „Und i bin fost varruckt wuan, Wies den Mario vahoft haum. Daunn bin i weg nach Mistlboch zu meine oidn Leid. Doch a jeda, den i kennt hob woa entweda tot oder eigspeat. So bin i zruck noch Fluaridsduaf und desmoi bleib i do.“ (Ambros u. Waits: Weihnachtsgrüße.) 409 Georg Danzer: Gnua von dera Hitz. Von Scheibbs bis Nebraska. Universal 2005. 111 erwiesen. Es ist wohl nicht zu hochgegriffen, festzuhalten, dass dieser Song den Inbegriff Ambros’scher Vorstadtpoesie 410 darstellt. Allerdings muss bedacht werden, dass es sich bei „Die Blume aus dem Gemeindebau“ nicht um ein Liebeslied wie „Du bist wia de Wintasun“ handelt, sondern um ein ironisch-augenzwinkerndes Rollenlied. Ambros schlüpft in die Rolle des Herrn Franz, der eine namenlose Angebetete besingt:

Du bist die Blume aus dem Gemeindebau, ich weiß ganz genau, du bist die richt‘ge Frau für mich, du Blume aus dem Gemeindebau. Ohne dich wär dieser Bau so grau, und wer dich sieht, sagt nur: ‚Schau, schau, da geht die schönste Frau von Stadlau.‘ So wie du gehst, so wie du di bewegst, du waaßt goa net, wie sehr du mich erregst, aundre haum bei mia kaa Tschanz, auch wenn sie imma sogn: ‚Kummans feansehn, Herr Franz!‘ I mecht von dia nur amoi a Lächln kriagn, du schönste Frau von da Viera-Stiagn. Du bist die Blume aus dem Gemeindebau, deine Augen so blau wie ein Stadlauer Ziegelteich, du Blume aus dem Gemeindebau. Und waunn wea kummat und sogat: ‚Wie wär's, gnä' Frau?‘, daunn kunnts leicht sei, dass i eam niedahau, weu du bist mei Venus aus Stadlau. Waunn i di siech, daunn spüts Granada bei mia, i kann nua sogn, dass i füa nix garantia, Meine Freind sogn olle: ‚Wossn, lossn, i maan, du fiast di gaunz schee deppat auf wegn den Hosn!‘ Bitte, bitte, loss mi net so knian, i mecht doch net mein gutn Ruf valian. Du bist die Blume aus dem Gemeindebau, merkst du nicht, wie ich schau, wenn du an mir vorüberschwebst, du Blume aus dem Gemeindebau. Meakst du net, wiar i mi bei dia einehau, weu du bist für mich die Überfrau, komm, lass dich pflücken, du Rose aus Stadlau! Komm, lass dich pflücken, du Rose aus Stadlau! Komm, lass dich pflücken, du Rose aus Stadlau! 411

Schon das Cover führt in das Gemeindebaumilieu niedriger Einkommensschichten. Ambros sitzt in Hose und mit unbekleidetem Oberkörper in einer (Gemeindebau-)Wohnung, wie man sie auch aus der Fernsehserie über die Proletarierfamilie Sackbauer - Ein echter Wiener geht nicht unter (1975-1979) - kennt: Die rechte Hand ist auf sein Kinn gestützt, die linke liegt auf seinem linken Bein. Eine Position, die wie eine Travestie von Rodins „Der Denker“ anmutet. Dieser Gedanke ist so abwegig nicht, denn „Die Blume aus dem Gemeindebau“ ist eine Travestie: die ironisierende Umkehrung klassischer Liebeslyrik. Schon die retardierenden

410 Ambros besingt die Rose aus Stadlau, während in dem Nachkriegsfilm Der Herr Kanzleirat (1948) „Die Rose vom Wörthersee“ von Hans Lang besungen wurde. 411 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Die Blume aus dem Gemeindebau. Bellaphon 1977. 112

Schlusszeilen „Komm lass dich pflücken, du Rose aus Stadlau!“ 412 gemahnen an Goethes „Heidenröslein“:

Knabe sprach: Ich breche dich. Röslein auf der Heiden! [...] Und der wilde Knabe brach `s Röslein auf der Heiden: Röslein wehrte sich und stach Half ihm doch kein Weh und Ach, Mußt` es eben leiden [...]. 413

Im Gegensatz zu der hier volksliedhaft verschleierten Vergewaltigung kommt es in „Die Blume aus dem Gemeindebau“ nicht so weit. Allerdings ist auch hier der Protagonist, das lyrische Ich, „ein wilder Knabe“. Herr Franz ist voller Gewaltbereitschaft um sein Ziel, die Eroberung der schönsten Frau aus Stadlau, zu erreichen:

Und waunn wea kummat und sogat: ‚Wie wär's, gnä' Frau?‘, daunn kunnts leicht sei, dass i eam niederhau[…]. 414

Ansonsten scheint Herr Franz aber tiefe Gefühle für die Besungene zu haben, denn er ist nah daran sich bei seinen Freunden lächerlich zu machen, was natürlich seinem zwischen den Zeilen schwelenden Image als „harter Mann“ nicht gerade zuträglich ist:

Meine Freind sogn olle: ‚Wossn, lossn, i maan, du fiast di gaunz schee deppat auf wegn den Hosn!‘ Bitte, bitte, loss mi net so knian, i mecht doch net mein gutn Ruf valian .415

„Die Blume aus dem Gemeindebau“ ist somit auch ein Lied über Verstellung, wobei sich die Frage aufdrängt, ob Herr Franz nun der harte Typ und Weiberheld ist, der sich unsterblich verliebt hat und tatsächlich ein gefühlvoller, sensibler Mann ist, oder ob Herr Franz die „Rose aus Stadlau“ nur in seine Sammlung von Abenteuern aufnehmen möchte. Angebote sich mit anderen Frauen zu treffen hat er ja genug:

412 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 413 Johann Wolfgang Goethe: Heidenröslein. In: Ders.: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Hrsg. v. Erich Trunz. Bd. 1. München: C.H. Beck 1974, S. 28. 414 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 415 Ebd. 113

[…] aundre haum bei mia kaa Tschanz, auch wenn sie imma sogn: ‚Kummans feansehn, Herr Franz!‘ 416

Dass er Einladungen zum Fernsehen bekommt, lässt auch auf die Entstehungszeit des Songs – 1977 – schließen. Das Fernsehen war zwar schon weit verbreitet, aber doch nicht für jeden leistbar. Herr Franz ist also vielleicht ein Minderverdiener, wenn nicht sogar arbeitslos. Das wird auch in der Neuaufnahme des Songs aus dem Jahr 1990 deutlich, wo es heißt: „Kummans Kablfeansehn, Herr Franz!“ 417 Später wurde die Zeile noch einmal aktualisiert – mit sexuellem Unterton: „Ich hob a gaunz a neiche Schissl, Herr Franz!“ 418 . Herr Franz hat anscheinend keinen Fernseher, aber ein literarisch gebildeter Mensch ist er auch nicht. Auf jeden Fall ist Herr Franz ein Mensch, dessen Fassade des harten Mannes bricht. Da es sich um ein Rollenlied in Ich-Form handelt, wird auch der Eindruck evoziert, dass Herr Franz dieses Lied verfasst hat und zu Ehren seiner „Blume“ nun zum Vortrag bringt, was sich auch in Ambros’ Ausdrucksweise niederschlägt, in der die Verstellung von Herrn Franz deutlich wird. Herr Franz hat ein Liebeslied geschrieben, das in Text und Vortrag zwischen Slang und bemühter Poesie oszilliert. Schon die Wahl des Motivs der Blume als Symbol für seine Angebetete ist Ausdruck für das Bemühen von Herrn Franz, die Geliebte durch ernstgemeinte Poesie zu beeindrucken. So reimen sich schon in der ersten Strophe, die einen Hauch von naiver Zärtlichkeit vermutendenden - durch den slanglastigen Vortrag von Ambros allerdings bereits gebrochenen – Worte: „So wie du gehst, so wie du di bewegst“ 419 auf die triebbedingte Zeile „du waaßt goa net, wie sehr du mich erregst.“420 Das poetische Gebilde zerfällt schließlich bei seinem Vergleich ihrer Augen mit einem Stadlauer Ziegelteich, wobei dieser Vergleich in seiner Naivität von Texter Prokopetz gerade dadurch wieder ins Reich der Literatur gehoben wird. Endgültig zum ernstzunehmenden Liebesbedürftigen wird Herr Franz dann durch die Zeile:

Und waunn wea kummat und sogat: ‚Wie wär's, gnä' Frau?‘, daunn kunnts leicht sei, dass i eam niedahau, weu du bist mei Venus aus Stadlau. 421

416 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 417 Wolfgang Ambros: Stille Glut. Amadeo 1990. 418 Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich u. Georg Danzer, Austria3 Live. BMG Ariola 1998. 419 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 420 Ebd. 421 Ebd. 114

Hier wird die Melange aus Wiener Lokalkolorit („Na, wie wär’s, gnä’ Frau?“ 422 ), dem „hart“ wirken wollenden Franz – denn wenn es um seine zu Erobernde geht, ist er wieder der Alte („daunn kunnts leicht sei, dass i eam niedahau’“ 423 ) – und dem sich poetisch verstellenden Franz („weu du bist mei Venus aus Stadlau“ 424 ) von Prokopetz literarisch auf die Spitze getrieben. Dichter und ambivalenter ist wohl der Charakter des Herrn Franz nicht mehr zu fassen. Und der Charakter von Herrn Franz ist in seiner ironisierenden Typenhaftigkeit und doch authentischen Menschlichkeit eine wichtige Grundlage für die Untersuchung der Hörspiele von Wolfgang Ambros, wo es von Typen am Rande der Gesellschaft nur so wimmelt. Darüber hinaus ist Herr Franz eine psychologisch hochinteressante Figur. Ob er nun der Vorstadtcasanova ist, der seiner nächsten Eroberung entgegenstrebt, oder ob Herr Franz tatsächlich tiefe Gefühle für seine „Venus aus Stadlau“ hegt, bleibt, sowohl textlich wie musikalisch als auch vom Vortrag her, in der Schwebe. Dennoch ist zu bedenken, dass es sich, wie gesagt um ein Rollenlied handelt und sich sehr wohl die Frage stellt: Würde ein typischer Vorstadtcasanova (wie der „Fesche Gustl“ Georg Danzers) soweit gehen und sich dermaßen um eine Frau bemühen, dass sich sogar schon seine Freunde über ihn lustig machen? Und würde dieser Vorstadtcasanova so weit gehen, in seiner poetischen Unzulänglichkeit 425 Zuflucht zu suchen um seine „Blume aus dem Gemeindebau“ zu erobern? Mit Sicherheit nicht, außer es handelt sich um ehrliche und tiefe Verliebtheit, von der es allerdings zur absoluten Verblendung auch kein weiter Weg ist. „Die Blume aus dem Gemeindebau“ ist eine Gratwanderung zwischen Ironie und Ernst. Um dies noch genauer zu analysieren, sei noch auf die vorhin angesprochene psychologische Komponente in der Figur des Herrn Franz verwiesen. Welchen Eindruck hinterlässt „Die Blume aus dem Gemeindebau“? Ein Wiener Gemeindebaubewohner, sicher nicht zu den „Oberen Zehntausend“ zählend, wohl eher im Espresso oder im „Gasthaus am Eck“ zu finden, besingt eine vermeintliche Liebe:

422 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 423 Ebd. 424 Ebd. 425 Warum sollte – wie es am Ende heißt – eine Blume als solche vorüberschweben, wenn er sie pflücken möchte? Andererseits ist darin eine Metaphernansammlung zu sehen, die in ihrer Unbewusstheit verrät, wie sehr Herr Franz in die schönste Frau von der Stiege Vier, verliebt ist, zumal diese Frau eine Essenz seines Lebens ist: Durch sie wird das Leben im Gemeindebau erst erträglich: „Du bist die Blume aus dem Gemeindebau, ich weiß ganz genau, du bist die richt'ge Frau für mich, du Blume aus dem Gemeindebau. Ohne dich wär dieser Bau so grau […]. “ (Prokopetz u. Ambros: Die Blume.) 115

Du bist die Blume aus dem Gemeindebau, ich weiß ganz genau, du bist die richt'ge Frau für mich, du Blume aus dem Gemeindebau.426

Sofort wird die versuchte Verstellung von Herrn Franz aufgedeckt. Schon das Wortpaar „Blume“ und „Gemeindebau“ zeugt von einem authentisch gemeinten, aber poetisch – im Sinn von literarischem Anspruch – missglückten Liebesbeweis. Dem naiv-poetischen Beginn folgt auch gleich eine persönliche Bemerkung („ich weiß ganz genau, du bist die richt’ge Fau für mich“ 427 ), die allerdings durch die sprachliche Ausformulierung beziehungsweise Aussprache wieder zur Verstellung wird. Herr Franz ist Dialektsprecher, der sich gerne umgangssprachlicher Wendungen bedient und damit auch am authentischsten wirkt („Waunn i di siech, daunn spüts Granada bei mir/i kaunn nua sogn, dass i für nix garantia“428 ). Hier jedoch unternimmt Herr Franz textlich einen Ausflug in die Hochsprache. Letztere ist ihm aber durch sein lokales Sprachidiom nicht möglich glaubwürdig hervorzubringen: „ich weiß ganz genau, du bist die richt’ge Fau für mich“ 429 . So spricht niemand, dem das „Meidlinger L“ 430 – zu hören bei der Zeile „I mecht von dia nur amoi a Lächln kriagn“ 431 – in die Wiege gelegt worden ist. Dennoch bricht dadurch die Figur des Herrn Franz nicht zur Gänze, sondern gewinnt umso mehr Authentizität, denn seine Verstellung als Poet fußt auf seinen aufrichtigen Gefühlen zu der Frau von Stiege Vier. Aus diesem Grund kommt es durch die hochsprachlichen Floskeln und Aufbrüche durch umgangssprachliche Wendungen beziehungsweise slangartige Aussprache („Tschanz“ für Chance) nicht zu einer Horváth’schen „Demaskierung des Bewusstseins“, sondern lediglich zu einer Entmaskierung der Gefühle. Das ist auch ein elementarer Aspekt für die Betrachtung der Hörspiele von Wolfgang Ambros, Joesie Prokopetz und M.O. Tauchen. Bei allem Augenzwinkern, bei aller Satire und Ironie steht der Mensch als soziales Wesen, welches auch als solches behandelt werden möchte, im Vordergrund (Volkssänger Augustin nimmt da freilich eine Sonderstellung ein), auch wenn er nicht immer so handelt. Wie in „Die Blume aus dem Gemeindebau“ wird den vermeintlich Sprachlosen eine Sprache gegeben. Während bei Horváth die Sprache, der kleinbürgerliche Bildungsjargon zur Sprachlosigkeit führt, behalten die Figuren von Ambros, Prokopetz und Tauchen immer noch die ihnen eigene, authentische Sprache. Wie sich zeigen wird, bewegen sich die Hörspiele Fäustling , Watzmann ,

426 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 427 Ebd. 428 Ebd. 429 Ebd. 430 Seitwärts mit Zungenspitze und Zähnen ausgesprochenes für Meidling beziehungsweise Wien spezifisches „L“. 431 Prokopetz u. Ambros: Die Blume. 116

Schaffnerlos und Augustin in dem schmalen Spannungsfeld zwischen ernstzunehmender Satire, augenzwinkender, lakonischer Ironie und aufrichtigem Humanismus mit sozialkritischem Hintergrund. Um in dieser Hinsicht zu einer Quintessenz zu gelangen: Die Protagonisten der Ambros-Hörspiele sind Typen, die als Träger des Pop, als der Gegenhaltung zum System, zu Werten oder Obrigkeiten, die ihrerseits wieder die Träger der Tradition sind, meist mit einem Knalleffekt (Ausnahme ist Schaffnerlos , wo dieser Knall nicht eintritt) aus den vorgegebenen Zwängen ausbrechen. Worin diese Zwänge bestehen, haben wir anhand der zum Teil sehr detailierten Analyse und Interpretation 432 von Ambros‘ erstem Album aufzeigen können. Genauso wie die Werte der neuen Generation, die Werte, auf denen die Haltung der Popgeneration beruht.

4.1. Der Volksbegriff

Aus diesen Feststellungen lässt sich nun die Frage ableiten, in wie weit Wolfgang Ambros tatsächlich – wie von Johannes Moser – als Volksliedermacher beziehungsweise in weiterer Folge als Volkssänger oder Volkskünstler bezeichnet werden kann. Ist der Begriff „Volk“ noch zulässig? Kann man überhaupt von Volkskünstlern, Volkssängern, Volkstheater sprechen? Wenn ja, was ist darunter zu verstehen? Sollte man per exemplum anstatt von Volkstheater eher von Lokaltheater sprechen? Kann man aber auf der anderen Seite, den Terminus Volk auch in Bezug zu einem einzelnen Künstler völlig außer Acht lassen, zumal es oft für Künstler eine sehr hohe Ehre ist zum Beispiel als Volksschauspieler tituliert zu werden – ein Titel, den man weder verliehen bekommt noch sich erkaufen kann, sondern der im Grunde nur durch die Gunst des Publikums erreicht wird, der aber wohl ohne die Wirkung der Medien kaum möglich wäre? Ohne sich im Folgenden in den theoretischen Katakomben der Ratlosigkeit zu verirren, soll versucht werden zu überprüfen, wie das Präfix „Volk“ auf das Werk von und die Person Wolfgang Ambros anzuwenden ist.

432 Um die Argumentationskette zu vervollständigen: Ziel der Analyse und Interpretation von Alles andre zählt net mehr … war es, eine kleine Geschichte des Austropop zu schreiben und die Haltung, die dieser Bewegung vor allem in ihrer Frühzeit innewohnte, zu veranschaulichen. Die Analyse und Interpretation der Musik und der Texte sollte das Gefühl für die Stimmung, für die Knalleffekte geben. Dadurch sollte das Verständnis für die im zweiten Hauptteil der Arbeit untersuchten Hörspiele geschärft werden. 117

4.1.2. „Der Ambros singt ein Moserlied“

„Die Blume aus dem Gemeindebau“ zählt zu den beliebtesten Ambros-Liedern. Auch bei Konzerten lädt dieser Song das Publikum immer wieder zum Mitsingen ein. Dadurch verliert es den travestierenden Rollencharakter und wird sozusagen zum Volkslied. Die Beliebtheit des Songs mag aber auch an dem ihm innewohnenden Identifikationspotential liegen, denn Herr Franz ist jemand aus dem Proletariermilieu, salopp formuliert, einer aus dem Volk. Ist deshalb „Die Blume aus dem Gemeindebau“ schon ein Volkslied und Ambros ein Volkssänger? Mitnichten, aber die Vorraussetzung einer Diskussion über die Auslegung dieser Begriffe ist gegeben. Als Grundlage einer derartigen Debatte darf nicht vergessen werden, dass „Volk“ in Verbindung mit welcher Kunst auch immer, eine soziologische Kategorie bleibt.

4.1.2.1. Volk als soziologischer Begriff

Mit einigen Bemerkungen sei nun schon auf den Aspekt Volkstheater vorgegriffen. Um Ambros als möglichen Volkskünstler und seine Songs als Volkslieder zu beleuchten, ist ein Umweg über die Volkstheaterdiskussion vielleicht zielführender als so manche musikologische Tonspalterei. Klar ist von vornherein, dass nichts klar ist. Das Volk ist eine „imaginäre Größe, die bis heute niemand zu definieren vermag.“ 433 Nach der Analyse und Interpretation von „Die Blume aus dem Gemeindebau“ – vor allem mit Mosers’ Diplomarbeit Der ‚Volksliedermacher’ Wolfgang Ambros im Hinterkopf - hat sich aber herauskristallisiert, dass der Terminus Volk in diesem Kontext zumindest zu diskutieren zulässig ist. Nach der Analyse von „Die Blume aus dem Gemeindebau“ wird aber evident, dass hier – obschon nicht ohne Ironie, aber doch nie verletzend – Anteil genommen wird am Schicksal eines Menschen aus der Arbeiterschicht, sozusagen aus der „breiten Masse“, dem „Volk“. Allerdings: „Volk ist eine sehr unscharfe soziologische Kategorie, von der man mit Sicherheit nur sagen kann, daß sie im allgemeinen Verständnis das ‚Unten’ gegenüber dem ‚Oben’ betont.“ 434 Wie wohl dies in keiner Weise abwertend aufzufassen ist. Der Volksbegriff ist aber auch mehr als „nur eine

433 Jürgen Schröder: Auf der Suche nach dem Volk. In: Das zeitgenössische deutschsprachige Volksstück. Akten des internationalen Symposions University College Dublin 28. Februar – 2. März 1991. Hrsg. v. Ursula Hassel u. Herbert Herzmann. Tübingen: Stauffenberg Verlag 1992, S. 76. 434 Hugo Aust, Peter Haida u. Jürgen Hein: Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der Gegenwart. Hrsg. v. Jürgen Hein. München C.H. Beck 1989, S. 18. 118

Kategorie der Zahl (alle, die meisten), des Standes (niedere Klassen) oder der Politik (Landeskinder) [...], sondern auch eine Kategorie der Situation (Jahrmarkt, Fest).“ 435 In den Ambros-Hörspielen wird dies überdeutlich in den Augustin -Marktszenen und den Straßenbahnepisoden aus Schaffnerlos . Volk als „nationale und regionale Kategorie“ 436 ist jedoch eine Sichtweise dieses Begriffes, die mit Vorbehalt zu genießen ist. Außer Acht zu lassen ist das Lokalkolorit dennoch nicht, von dem die Ambros-Songs ja auch leben. Hintze postuliert für die Volksstück-Konzeption eines Carl Zuckmayer: Die „wichtigsten Bestandteile sind gegeben mit dem regionalen Bezug der Themen, dem Einfluß von Natur und Landschaft, dem Dialekt [...].“ 437 Der Regionalitätseffekt hat bei Ambros (und nicht nur bei ihm) umso größere Authentizität, wenn er seine Kraft nicht aus dem Leben der upper class , sondern durch Menschen (oftmals in typenhafter Drastik oder Überzeichnung) der so genannten Mittel- und vielleicht auch Unterschicht bezieht. Bedenkt man die Publikumszusammensetzung zur Zeit der Blüte des „Altwiener Volkstheaters“, muss mit Nachdruck manifestiert werden, dass damals und nicht nur damals Volkstheater nicht mit einem Theaterbesuch aller Gesellschaftsschichten gleichzusetzen war und ist: „At the time of Raimund ‚Volk’ denoted the social class below the nobility and the bourgeoisie. This is not to say the proletariat, for in the early nineteenth century there was not yet a large class of industrial workers.“ 438 Volkstheater hieß über Jahrhunderte: bürgerliches Theater:

The precise composition of [...] Volk has varied with the changing economic structure of society and has ranged from the craftsmen and tradesmen of the early nineteenth century to industrial workers and farmers of the past hundred years, as well as to lower middle-class civil servants and emplyees of the Weimar years and the current era. 439

Will man also den Brückenschlag vom Wiener Volkstheater zu den Hörspielen beziehungsweise dem Werk von Wolfgang Ambros schlagen, ist Vorsicht geboten. Dass das Volkstheater auf den diversen Wiener Vorstadtbühnen wie dem Theater in der Leopoldstadt oder dem Theater auf der Wieden seine Heimstatt hatte, darf aufgrund der Publikumszusammensetzung und der Stückinhalte nicht zu einer Gleichsetzung von „Altwiener“ Vorstadttheater und Ambros’scher Vorstadtpoesie führen: Dazwischen liegt die schon mehrfach angesprochene Proletarisierung der Popularkultur. Die damit verbundene

435 Hein: Volksstück, S. 276. 436 Ebd., S. 280. 437 Hintze zit. n.: Hein: Volksstück, S. 280. 438 Calvin N. Jones: Negation and Utopia. The German Volksstück from Raimund to Kroetz. New York: Peter Lang 1993, S. 4. 439 Ebd., S. 237. 119

Allianz mit (so bezeichneten) „Unter- und Mittelschichten“ lässt die Definition zu, dass Volk eine untergeordnete Klasse ist, deren genaue Zusammensetzung im Lauf der Zeit (und Jahrhunderte) schwankt. 440 Und spätestens seit der Zeit des Nationalsozialismus schwankt der Begriff auch in semantischer Hinsicht. Reinhard Urbach schlägt den Terminus Volk – im Kontext mit Theater – völlig aus:

Der Begriff ‚Volk’ ist verblichen mit den Zeiten, die ihn auf die Fahnen schrieben. Er fehlt niemand, wenn er fehlt. Im Theater gibt es kein ‚Volk’. Im Theater ist die Bevölkerung aller Stände Publikum . Theater wird für das Publikum gespielt, auch wenn es gegen das Publikum ist. Der Theaterautor denkt an das Publikum, wenn er Stücke schreibt. Das Publikum wird mitgedichtet, es wird mit ihm gespielt, es spielt mit, es wird ihm mitgespielt. 441

Das soll auch für die Songs und vor allem für die Hörspiele eines Wolfgang Ambros gelten. Ambros, dem ja immer wieder eine Publikumsnähe zum Proletariermilieu attestiert wird, dichtet sein Publikum mit und spielt mit ihm, ja er spielt seinem Publikum mit, wie wir am Beispiel „Familie Pingitzer“ oder „Wem heut net schlecht is“ sehen konnten. Er bietet aber auch andererseits Identifikationspotential („Wie wird des weitergeh’n“, „Tagwache“). Ambros wird somit zu einem identitätsstiftenden Volkskünstler, der Themen aus dem Volk für das Volk, aber auch gegen das Volk aufgreift. Das zeigt, dass so zweifelhaft der Begriff „Volk“ geworden ist, er nach wie vor seine Berechtigung hat, denn er ist, wie schon angedeutet, auch positiv konnotiert – beispielsweise im „Titel“ Volksschauspieler. Ähnlich dem vermaledeiten Ausdruck Austropop ist auch Volk aus der Forschung nicht mehr wegzudenken. Ihn völlig auszuräumen wäre nicht zielführend, zumal der schon oft zitierte Johannes Moser innerhalb der Forschung diesem Begriff eine durchaus positive Lesart gegeben hat. Auch sind die Termini Volkslied, Volksliedermacher, Volksmusik wohl kaum in negativ konnotierte Abrede zu stellen. Und auch das Volkstheater in Wien trägt noch immer seinen Namen und versucht diesem gerecht zu werden.

4.1.2.2. Ambros – einer aus dem Volk

Die Hörspiele von Wolfgang Ambros mit dem Wiener Volkstheater in Verbindung zu bringen, ist nur dann sinnvoll, wenn man Ambros’ Position zum Terminus Volk und zu einem

440 Vgl. Jones: Negation, S. 34. 441 Reinhard Urbach: Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und die Folgen. Wien, München: Jugend und Volk 1973, S. 132. 120 erweiterten Volkslied- beziehungsweise Volksmusikbegriff, wobei hier Volksmusik nicht mit volkstümlicher Musik verwechselt werden darf, anführt:442

Das ‚Volkslied’ [ist] ein im Volk gesungenes Lied, das nach Inhalt und sprachlicher wie musikalischer Form dem Empfindungs- und Vorstellungsleben weitester Kreise entspricht. Text und Melodie gehören zwar untrennbar zusammen, sodaß es sich vorzugsweise auf mündlichem Wege fortpflanzt und dabei beständig umgeschaffen, ‚zersungen’ wird, jedoch kann die Melodie auch zu anderen Texten gesungen werden. Die Funktion des Volksliedes liegt in der Bewältigung einer bestimmten Gruppensituation (Freude, Arbeit, Abschied, Trauer, ...). Volkstümliche Lieder lehnen sich zwar in Form und Inhalt an das Volkslied an, erfüllen aber nicht die Funktion, Ausdruck des kollektiven Empfindens und Erlebens zu sein. Die Grenze ist jedenfalls fließend. 443

Ob die Songs des „Volksliedermachers“ Ambros spezifische Gruppensituationen bewältigen helfen, sei dahin gestellt – ob das kollektive Grölen des Hits „Schifoan“ in einer Schihütte dazuzählt, sei ebenfalls nicht Diskussion dieser wissenschaftlichen Arbeit. Feststeht allerdings, dass die individuellen Schöpfungen von Ambros entweder Ausdruck eines kollektiven Empfindens sind (Ziellosigkeit, Freiheitssehnsucht) oder durch allgemeine Umgangssprache und umschweiflosen Ausdruck einer individuellen Situation zu Identifikationssurrogaten für den Einzelnen und schließlich die breite Masse werden. Auf die Frage von Johannes Moser, ob die Lieder von Ambros Volkslieder sind und seine Musik Volksmusik antwortete letzterer:

Dann fühle ich mich geschmeichelt, weil wir ein Volk sind. Alle sind ein Volk, zumindest der allergrößte Teil. Es gibt welche, die glauben, sie sind was anderes und was besseres, aber das glauben sie nur und dementsprechend sind sie in der absoluten Isolation und eigentlich lächerliche Figuren. 444

442 Volksmusik ist im Gegensatz zur kommerziellen volkstümlichen Musik, Musik aus dem Volk und vom Volk, wobei das natürlich auch sehr streitbar ist, denn viele vermeintliche Volkslieder sind Kunstlieder – wie zum Beispiel „Der Lindenbaum“ von Franz Schubert. Schon längst zum Volkslied geworden ist es eine kunstvoll gebaute Vertonung von Wilhelm Müllers – in Volksliedstrophen verfasstem - Gedicht „Der Lindenbaum aus dem Zyklus Die schöne Müllerin . Ein Urgestein der volkstümlichen Musik, Sepp Kern, Mitglied der steirischen „Kern Buam“, klärt den Unterschied zwischen volkstümlicher Musik und Volksmusik auf: „Der Begriff ‚volkstümliche Musik’ wurde in den 60-er Jahren geprägt. Wir verwendeten damals Trompete, Klarinette, Posaune, Akkordeon und Tuba. Peter Girn sagte, diese Musik sei eigentlich nicht mehr ‚Volksmusik’, sondern ‚volkstümliche Musik’. Der gravierende Unterschied zur ‚Volksmusi’ ist der, daß man mit dieser Musik etwas verdienen wollte. Man sagte, die ‚Volksmusik’ ist sehr gut, aber die ‚volkstümliche Musik’ läßt sich besser verkaufen. [...]“ (Kern zit. n.: Grininger: Der Weg, S. 141.) 443 Rolf Wilhelm Biednich, Lutz Röhrich, Wolfgang Suppan: Handbuch des Volksliedes. Bd. 1: Die Gattung des Volksliedes. München 1973 (Ohne Verlagsangabe). zit. n.: Debera: Wienerlied, S. 8-9. 444 Moser: Volksliedermacher, S. XXV. 121

Figuren, wie sie in einigen Ambros-Liedern auftauchen. Menschen, die zu Larven geworden sind und versuchen sich hinter einer Maskerade aus Alkohol („Der Nipper“, Äquator , 1992), Materialismus („Minderwertigkeitskomplex“, Selbstbewusst , 1981), Partyleben („Ein Boss am Wörthersee“, Voom Voom Vanilla Camera , 1999) – um nur einige Titel anzuführen – zu verstecken. Nicht nur mit Songs wie „Die Blume aus dem Gemeindebau“, „Heite drah i mi ham“ oder „Tagwache“ hat Ambros den Nerv einer Generation getroffen und über die Jahrzehnte hinweg vielen Menschen aus der Seele gesprochen, sondern auch mit Karikaturen wie den oben genannten – die Liste wäre um zahlreiche Titel zu erweitern. Ambros manifestiert: „Ich sehe mich als Teil des Volkes. Wie ich annehme, daß ein jeder denkende Mensch es tun muß. Wenn er meint, er ist kein Teil des Volkes, dann ist er ein Mondmensch, oder?“ 445 Daraus lässt sich ableiten: Das Volk sind alle. Das ist die Idealvorstellung. Die Realität sieht aber anders aus, wie Ambros festhält. Das schlägt sich dann in Liedern über Präpotenz und Machtgier nieder („Lügner“, Steh Grod , 2006; „Recht und Gnade, Herz und Verstand – der Weg“, Verwahrlost aber frei , 1996). Mit diesen Songs weist Ambros auf die Kluft in der Gesellschaft hin und suggeriert den Eindruck, dass zwar alle ein Volk sind beziehungsweise sein sollen, die Wirklichkeit aber so aussieht, dass unter Volk die arbeitende Bevölkerung zu verstehen ist: Mittel- und Geringverdiener, mit denen sich Ambros solidarisiert. In diesem Sinn ist Johannes Mosers These – Wolfgang Ambros als Volksliedermacher zu betrachten 446 – zu verstehen. Grundlage für die Verwendung des

445 Moser: Volksliedermacher, S. XXVI. 446 In diesem Kontext muss beachtet werden, dass sich, wie schon zitiert, Ambros selbst als Rocksänger sieht und das in seinen Konzerten musikalisch auch zum Ausdruck bringt, wie wohl er sich des öfteren jazzigen Arrangements nicht verschließt. Philipp Maurer und Christiane Juhasz verschließen sich gegen eine nähere Einbeziehung von Ambros als Kritischen Liedermacher in Österreich. Im Sinne von Maurer definiert sie den schwammigen Begriff „Liedermacher“ nicht minder schwammig. Aber der Terminus „Liedermacher“ greift in Hinblick auf Ambros wohl auch zu kurz: „Der Begriff ‚Liedermacher’ ist seit etwa 1960 [...] gebräuchlich. In der Regel bezeichnete er Sänger, die Kritische Lieder sangen, wie Wolf Biermann oder Franz-Josef Degenhardt. Seit Mitte der siebziger Jahre ist ‚Liedermacher’ auch in Österreich gebräuchlich und bezeichnet Sänger-Autoren, die deutschsprachige Lieder vortragen [...]. Der Begriff ‚Kritischer Liedermacher’ [...] soll vor allem Produzenten Kritischer Lieder von anderen Sänger-Autoren abgrenzen.“ (Juhasz: Politisches Engagement, S. 54.) Juhasz hält folgerichtig fest: „Die bekanntesten österreichischen Sänger-Liederschreiber, die häufig als Liedermacher bezeichnet werden, sind neben André Heller, Wolfgang Ambros, Georg Danzer, Arik Brauer, Rainhard Fendrich und Ludwig Hirsch. Diese professionellen Künstler schreiben und singen aus einer anderen Motivation heraus als die Kritischen Liedermacher; zwar engagieren sich einige von ihnen bisweilen für politische und soziale Zwecke und Bewegungen, doch ist ihre primäre Motivation zu singen nicht von einem politischen Engagement und einer aufklärenden und agitierenden Wirkungsabsicht geprägt. Auch in ihrem künstlerischen Selbstverständnis sehen sie sich nicht als Kritische Liedermacher.“ (Juhasz: Politisches Engagement, S. 58.). Dagegen ist nichts zu sagen. Auch dass Maurer eine klare Abgrenzung zwischen Ambros, Danzer etc. und Kritischen Liedermachern zieht, ist wissenschaftlich zu verstehen. Dennoch muss bedacht werden, dass die von Ambros behandelten Themen durchaus in die Nähe des Kritischen Liedes gehen, auch wenn Ambros mit Sicherheit nicht als Kritischer Liedermacher zu bezeichnen ist. Sich auf die Seite von Unterprivilegierten, Unterdrückten, A-Sozialen zu stellen ist bei Ambros nicht politisch, sondern persönlich motiviert. Ambros ist vielleicht am ehesten ein Rock- Volksliedermacher-Sänger zu nennen. 122

Begriffes „Volksliedermacher“ ist ein Volksmusikbegriff, der über die heimische Volksmusik hinausgeht. So ist auch Wolfgang Ambros ein „Volksmusiker“. Seine Lieder („wirklich individuelle Schöpfungen und auch, wenn sie übernommen werden“ 447 ) sind im weitesten Sinn als Volkslieder zu bezeichnen:

Die kleine Nachtmusik hat auch seinerzeit jeder Spatz von den Bäumen gepfiffen, trotzdem ist das natürlich eine individuelle, bis ins letzte elaborierte Schöpfung und [...] das kann man auch Volkslied nennen, man nennt so viel einfach gerne Volkslied, weil wir in einer Demokratie leben und da ist Volk einfach ein Wert. Wer das Volk hat, hat die Macht, weil angeblich ja die Macht vom Volk ausgeht. Heißt es jedenfalls in der Verfassung. Darum nennt man sich gern Volkspartei, Volksstimme, Volksauflauf und Volkserhebung und Volkslied. Es hat eigentlich wenig Bedeutung. Es ist ein Anspruch, den man erhebt. 448

Und Ambros erhebt selbst den Anspruch darauf. Weniger in seinen Selbstäußerungen als in der Rolle des Wiener Volkssängers Augustin in dem gleichnamigen Hörspiel. Die Rolle ist Ambros wie auf den Leib geschrieben. Augustin - ein grantelnder, eigenbrötlerischer Künstler, der dem Alkohol nicht gerade abgeneigt ist und nur das tut, was er will und für richtig hält, der schließlich vom Volkssänger zum Popstar wird. Ambros stilisiert sich auf diesem Album damit selbst zum Rock-Volkssänger- und Liedermacher. Was er mit seinen Moser-Alben und der Rockversion von „Mei Naserl is so rot, weil ich so blau bin“ auf der gleichnamigen Maxi-CD (2007) noch unterstrich. Am deutlichsten kam diese Positionierung bei einem, vom Verfasser dieser Arbeit besuchten, Konzert zum Ausdruck. Bei dem letzten Wien-Konzert von Austria 3 (Fendrich, Ambros, Danzer) wurde die Zeile

Es lebe der Zentralfriedhof – auf amoi mochts an Schnoiza, da Mosa singts Fiakaliad und de Schrammen spün an Woiza. 449 geändert in

Es lebe der Zentralfriedhof – auf amoi mochts an Schnoiza, da Ambros singt ein Moserlied und da Fendrich taunzt an Woiza.450

Ambros, der Lieder des beliebten und in Österreich noch immer verehrten Volksschauspielers/sängers Hans Moser intoniert, wird ironisch in einem seiner eigenen

447 Moser: Volksliedermacher, S. IV. 448 Ebd., S. V. 449 Prokopetz u. Ambros: Es lebe der Zentralfriedhof. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. 450 Austria-3-Konzert, Wien, Prater, 25. Juni 2006. 123

Songs auf diesen künstlerischen Ausflug hingewiesen und damit selbst zum Volkssänger stilisiert. Verstärkt wurde dieser Eindruck bei zwei Konzerten im Jahr 2006 in der Wiener Stadthalle am 23. und 24. Oktober, bei denen Ambros seine CD Steh Grod präsentierte, vor der Pause jedoch „Die Reblaus“ im Duett mit Gitti Recher zum Vortrag brachte und das bunt gemischte Publikum miteinstimmte. Ein Hans-Moser-Lied, gesungen von einem Rockmusiker in der Wiener Stadthalle (allerdings die kleinere Halle F), wo bei Ambros-Konzerten zu Hits wie „Schifoan“, „Da Hofa“ oder „Hand in Hand“ mitgebrüllt wurde – da ist der Weg zum Volkskünstler nicht mehr weit beziehungsweise das Ziel schon erreicht. Obwohl selbst kein Wiener unterstreicht Ambros mit den Moserliedern das Lokalkolorit seines Oeuvres. Gerade das weinverherrlichende Lied „Es wird a Wein sein“ – eine der Grundlagen für sein ironisches „Wem heit net schlecht is“ – vermittelt das Ambros-Bild als wienerisches – wie auch „Wem heit net schlecht is“ „zu jenen Liedern [gehört], denen Ambros seinen Ruf als typischer Wiener Liedermacher verdankt.“ 451 Mit den Moser-Liedern allerdings bedient Ambros auch das verharmlosende, klischeehafte Wien-bleibt-Wien-Sujet, wie es in der Nachkriegszeit und auch schon davor in Wienerliedern immer wiederkehrt. Der große Erfolg dieser CD-Produktionen und Tourneen und das bei den angesprochenen Stadthallen-Konzerten (mit einem auch altersmäßig breitgefächertem Publikum) vorgetragene Lied „Die Reblaus“ bringen uns aber zurück zu Ambros als Volkskünstler beziehungsweise Volkssänger 452 und in weiterer Folge zu seinen Hörspielen, die ja in der Tradition des Wiener Volkstheaters stehen. Und Ambros’ „Volkslieder“ kann man von ihrer Intention und Wirkung her durchaus mit der des Wiener Volkstheaters und jener des Volksstücks im Allgemeinen nach der Definition von Jürgen Hein vergleichen:

Volksstück kann ein Stück von dem, über das, für das Volk sein, es kann auf der thematischen Ebene Probleme des Volkes erfassen oder unterhaltend und belehrend auf das Volk wirken. Es steht im Kontext anderer Unterhaltungsformen, von Trivialliteratur und populärer Kultur. [….] je nach Intention haben sich zwischen Unterhaltung und ‚Aufklärung’ oder Kritik viele Spielformen des Volkstheaters herausgebildet, die unterschiedliche Genrebezeichnungen tragen [...]. 453

451 Moser: Volksliedermacher, S. 104. 452 Um es noch einmal zu bekräftigen: Volkssänger ist hier im Sinne eines nie verliehenen Ehrentitels (wie Volksschauspieler) zu verstehen – nicht als „Wirtshaus- und Straßensänger, die zu Musikbegleitung (Harfe) Gassenhauer und Moritaten vortrugen [...].“ (Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner 2001, S. 890.) 453 Jürgen Hein: Das Wiener Volkstheater. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997, S. 71. 124

Die Lieder von Ambros und vor allem seine Hörspiele stehen in ihrer unterhaltenden Belehrung im Kontext von Trivial-, aber auch künstlerisch anspruchsvoller Literatur – über die Gattungsgrenzen Epik, Dramatik, Lyrik hinweg. Ihr Impetus liegt auf den Problemen einzelner herausgegriffener Typen, deren, wie sich zeigen wird, individuelles Schicksal verallgemeinernd (Austropop als Haltung) mit sozialsatirischem Unterton zum Hören gebracht wird. Die Träger der Handlung können als Allegorien des Austropops gesehen werden, die in sich, die in den vorangegangenen Analysen und Interpretationen besprochenen Themen und Inhalte vereinen.

125

5. Die Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen. Popularkulturelle Sozialsatiren in der Tradition des Wiener Volkstheaters

5.1. Einführung

Wolfgang Ambros als Volkskünstler. Diese These hat uns den Weg geebnet zu einer Untersuchung der Ambros-Hörspiele unter dem Gesichtspunkt des Wiener Volkstheaters. Die folgenden Kapitel sollen die Problematik um den Begriff „Volkstheater“ weiterführen. Denn vom Volkstheater ist es nicht weit zu dem ambivalenten und mannigfaltigen Terminus „Volksstück“. Darüber hinaus ist die Phrase „Wiener“ beziehungsweise „Alt-Wiener“ Volkstheater noch umstrittener als „Volkstheater“ an sich. Zu Recht. Rainhard Urbach schreibt in diesem Kontext pointiert: „Wann wird Wien zu „Alt-Wien“? Wann hört es auf, „alt“ zu sein? Stranitzkys Komödie war nie „Volkskomödie, sondern aristokratische Belustigung.“ 454 Damit ist im Grunde die ganze Problematik erfasst. Dass die Tore der Volksbühnen vor allem in späterer Zeit (Biedermeier und Postbiedermeier) sich vor allem aus pekuniären Gründen dem „einfachen Volk“ verschlossen, wurde ja bereits angedeutet. Wenn Urbach Stranitzkys Kunst als eine aristokratische bezeichnet, so war gerade in der vermeintlichen Blüte des „Alt-Wiener“ Volkstheaters (Raimund, Nestroy) von einem alle miteinbeziehenden Volkstheater nicht mehr viel übrig:

Das Bessere Bürgertum [...] repräsentierte einen wichtigen Zuschaueranteil in den Wiener Vorstadttheatern. Doch bis etwa 1835 besaß es einen Gegenpol in den kleinbürgerlichen und Dienstbotenschichten, die die billigeren Plätze in den Theatern einnahmen und Nestroys eigentliches Zielpublikum darstellten. [...] Die konstante Erhöhung der Theaterpreise, die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Unterschichten und schließlich die Wirtschaftskrise der vierziger Jahre vertrieben Nestroys Zielgruppe selbst aus den Galerien. Zurück blieb das mittlere und höhere Bürgertum, das von nun an den Ton in den Vorstadttheatern angab. Dieses konservative, wirtschaftlich wohlgestellte Bürgertum verlangte nach humorigen Lokalfiguren, die in einer heiteren und verständlichen Sprache ein harmonisches Volksleben vorführten, aus dem die Schattenseite der Biedermeiergesellschaft ausgeklammert waren. 455

Und Volkstheater bedeutet nicht nur Belustigung sondern auch Agitation und Kritik. Ein kleines, hörbares „Stück Volkstheater“ ist im Vergleich dazu der Ambros-Song „Inselwitz“

454 Urbach: Wiener Komödie, S. 132. 455 Günter Berghaus: Rebellion, Reservation, Resignation: Nestroy und die Wiener Gesellschaft 1830-1860. In: W. E. Yates u. John R. P. McKenzie (Hrsg.): Viennese popular theatre. A symposium. University of Exeter 1985, S. 110-111. 126 aus dem Album Der letzte Tanz , der sich auf sehr amüsante Weise über Verstellung und Heile-Welt-Glaube lustig macht. Eine leichte Melodie und sanfte Instrumentation begleiten die – für Ambros natürlich untypischen – hochdeutschen Zeilen, die Harmonie und eine perfekte Beziehung ohne jegliche Probleme suggerieren. Der an 50er-Jahre-Schnulzen gemahnende männliche Backgroundchor und das Fingerschnippen im Takt verstärken diesen Idylle-Effekt noch:

Nur mit dir, nur mit dir. Nur mit dir auf einer einsamen Insel, nur mit dir unter Palmen am Strand. Nur mit dir, und die Wellen flüstern leise, nur mit dir, splitternackt im weißen Sand.

Nur mit dir einen langen, heißen Sommer. Nur mit dir, ohne Sinn für Zeit und Geld. Nur mit dir, wir leben von Liebe, Luft und Sonne. Nur mit dir, und sonst nichts auf der Welt. 456

Nun allerdings kommt die textliche, sprachliche und musikalische Peripetie. Ambros wechselt in den Dialekt, die ihm und dem lyrischen Ich dieses Rollenlieds angemessene Sprache, die Musik wird rockiger und der Text aggressiver:

Nur mit dir allein muaß ein Oiptraum sein! Eine Höllentortur – Gott beschütz mi davua! I hob ois arrangiert, daß des niemois passiert, alla die Vurstellung führt dazua, daß ma schlecht wird! 457

Wenn vorhin die Rede davon war, dass in den verharmlosenden Volkskomödien die „Schattenseite des Biedermeier“ 458 ausgeklammert wurde, so ist dieses eher unbekannte Ambros-Lied ein äußerst anschauliches Beispiel für das Gegenteil: Ein ironisierendes Lied, das die Heile-Welt, wie sie Schlager vorgaukeln, aufs Korn nimmt - mit beinahe Hanswurstischer Direktheit in der Pointe, die in der „Sprache des Volks“, der allgemein verständlichen dialektalen Umgangssprache die Schattenseiten des Lebens aufzeigt, auch

456 Helmut Nowak u. Peter Koller: Inselwitz. Der letzte Tanz. Amadeo 1983. 457 Ebd. 458 Berghaus: Rebellion, S. 111. 127 wenn der Song nur ein „Inselwitz“ ist. Auf die Wichtigkeit und die Funktion des Hanswurst werden wir in diesem und den folgenden Kapiteln noch zu sprechen kommen. Bevor wir allerdings tiefer in die Volkstheaterthematik vordringen, kehren wir noch einmal zu Reinhard Urbachs pointierter Formulierung zum Alt-Wiener Volkstheater zurück. Urbach fragt, wann Alt-Wien zu eben dem solchen wird und wann Alt-Wien aufhört alt zu sein. Damit wird der in der Forschung bis heute tradierte Begriff „Alt-Wien“ seiner Sinnlosigkeit überliefert. Sinnlos deshalb, weil er weder etwas definiert noch genau erfasst, sondern Fragen aufwirft, die nicht zu beantworten sind: Wann war Alt-Wien jung? Ist Alt-Wien wieder jung geworden? Fragen, die jeglichen wissenschaftlichen Diskurs ad absurdum führen. Dass „Alt-Wien“ dennoch nicht aus der Forschung wegzudenken ist, haben wir Otto Rommel und seinem Werk Die Alt- Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys zu verdanken. Die Literatur, die sich mit dem Wiener Volkstheater auseinandersetzt, ist – drastisch ausgedrückt – eine Literatur für oder gegen Otto Rommel und sein – anfechtbares – monumentales Standardwerk. Ob man jetzt mit oder gegen Rommel schreibt und arbeitet, eines steht in jedem Fall fest: Man kommt um seine Ausführungen nicht herum. 459 Wie viel Raum zur Diskussion sein opus magnum gibt, zeigt sich schon an seinem Titel. Er wirft unter den ForscherInnen die berechtigte Frage auf, ob es denn die Alt-Wiener Volkskomödie, ja ob es Alt-Wien überhaupt gegeben hat? Die vorliegende Arbeit versteht sich auch als ein kleiner Gegenentwurf zu Rommel, der einer Traditionsparanoia verfallen zu sein scheint, die zwar in sich schlüssig ist, deren Auswirkungen auf eine Dissertation allerdings Folgen der Überinterpretation evozieren würden. Die Hörspiele von Wolfgang Ambros im Kontext mit dem Wiener Volkstheater zu sehen ist eine Gratwanderung. Es würde zu keinen Ergebnissen führen wie Rommel die Geschichte des Wiener Lokal- beziehungsweise Volkstheaters aufzurollen, von seinen Anfängen bis in die Gegenwart zu verfolgen und daraus nahtlose Schlüsse auf die Ambros- Hörspiele zu ziehen oder diese in eine bruchlose Chronologie mit Stranitzky, Kurz-Bernadon, Prehauser, Hensler, Kringsteiner, Meisl, Gleich, Raimund, Bauernfeld, Nestroy, Anzengruber und in weiterer Folge Horváth oder Turrini zu stellen. Theater- und literaturgeschichtlich wurde auf diesem Gebiet schon ausführlichst gearbeitet: Vor allem Jürgen Hein haben wir in diesem Bereich sehr viel zu verdanken: Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf sein grundlegendes Standardwerk: Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der

459 Reinhard Urbach schreibt am Ende seines scharfen, pointierten und herausfordernden Essays Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und die Folgen: „Dieser Versuch, in der Geschichte der Wiener Komödie einige neue Gesichtspunkte zu entdecken, richtet sich gegen den, dem er am meisten verdankt: Otto Rommel.“ (Urbach: Wiener Komödie, S. 132.) 128

Gegenwart. Der Titel ist Programm. Eine solche historische Betrachtung soll deshalb nicht zum Programm dieser Dissertation werden. Viel mehr soll anhand der Hörspiele Fäustling , Watzmann , Schaffnerlos und Augustin durch die ihnen innewohnenden dramaturgischen, thematischen, textlichen, musikalischen Rudimente respektive Versatzstücke die Mannigfaltigkeit des Wiener Volkstheaters erfasst werden. Die zu analysierenden Hörspiele stehen nicht in einer nahtlosen Traditionslinie von Stranitzky über Nestroy bis in die Gegenwart, sondern greifen diverse Topoi, dramaturgische Eigenarten oder sozialkritische beziehungsweise unterhaltende Formen des Volksstücks und des Volkstheaters auf. So lassen sich Eigenschaften des Hanswurst sowohl bei Nestroy nachweisen als auch bei Ambros. Dabei handelt es sich – um bei diesem Beispiel zu bleiben - aber lediglich um Reste beziehungsweise Transformationen der lustigen Figur. Von einer Traditionslinie im eigentlichen Sinn kann nicht die Rede sein. Wie sich zeigen wird, ist der Dreh- und Angelpunkt aller Hörspiele der Künstler Wolfgang Ambros. Er ist der Mittelpunkt jedes Hörspiels, auch wenn er im Fäustling nicht die Titelrolle sondern den Teufel spielt. Ambros ist der Hauptgrund sich diese Werke anzuhören, sie zu kaufen oder den Bühnenumsetzungen beizuwohnen. Aber es sind auch ernstzunehmende literarische Werke, die einige Bezugspunkte zur Tradition des Wiener Volkstheaters aufweisen, einer Tradition, die freilich nicht ohne Brüche ist, eine Tradition, die weniger als „Übergabe [und] Überlieferung“ 460 oder weitergegebner Brauch zu verstehen ist denn als Übernahme – ob bewusst oder unbewusst.

5.2. Volkstheater und Volksstück

Eine – freilich grundlegend nicht mögliche – Begriffsbestimmung von „Volkstheater“ und „Volksstück“ 461 haben wir für unser Vorhaben bereits in Kapitel 4 versucht. Gerade das sogenannte Volksstück hat im Lauf der Theater- und Literaturgeschichte die unterschiedlichsten Transformationen durchgemacht. Die dezidierte Gattungszuweisung „Volksstück“ wurde von Autoren erst Mitte des 19. Jahrhunderts vorgenommen. Mit Anzengruber hat diese Benennung dann einen ersten richtigen Höhepunkt erlebt um mit Horváth und später mit Kroetz eine völlig andere Konnotation zu erhalten. Von

460 Achim Trebeß (Hrsg.): Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag. Stuttgart, Weimar: Metzler 2006, S. 386. 461 „Was jeweils unter Volksstück/Volkstheater verstanden wird, ist unmittelbar abhängig sowohl davon, was unter Volk verstanden wird, als auch von der Einstellung, die diesem Volk gegenüber besteht. So ist die Verwendung der Begriffe zumeist mit einer Wertung verbunden: Volk kann ebenso den Pöbel meinen, wie den unverbildet natürlichen Teil der Bevölkerung, es kann die große Masse meinen wie die Nation, das Proletariat wie das Kleinbürgertum.“ (Thomas Schmitz: Das Volksstück. Stuttgart: Metzler 1990, S. 5.) 129

WissenschafterInnen als Volksstücke bezeichnet beziehungsweise in die Volksstückdebatte eingebracht wurden und werden aber auch die Haupt- und Staatsaktionen eines Joseph Anton Stranitzky, Singspiele, sogar Opern wie Die Zauberflöte von Schickaneder und Mozart oder Zauberspiele von Joseph Alois Gleich. Es zeigt sich schon bei dieser kleinen Aufzählung, dass man beim Thema Volkstheater von einem Definitionssumpf in den nächsten gestoßen wird. So vielfältig der Begriff Volkstheater zu fassen ist, so vielfältig ist auch die Bandbreite der Gattungen, die in den Bereich Volksstück fallen oder unter diesem Terminus in der Forschung firmieren: „Die vielfältigen Formen und Intentionen, in denen sich Volksstück realisiert, verlangen [...] neue Beschreibungen für nahezu jeden Autor, zumal der aktuelle Zeitbezug für jedes ernstzunehmende Volksstück konstituierend ist.“ 462 Spricht man von Volkstheater und Volksstück ist in jedem Fall ein Schlagwort nicht wegzudenken, ohne dem dieses Theater nicht möglich ist: Identifikation. Nur so funktioniert auch die Figur des Hanswurst in ihren verschiedensten Ausprägungen über die Jahrhunderte. Ausprägungen, die auch in den Ambros-Hörspielen in großer Zahl zu finden sind – allerdings in dem von uns vorhin festgelegten Verständnis von Tradition. Aber zurück zur Identifikation und ihrer unmittelbaren Bühnenumsetzung, für die als Exempel die Figur des Kasperl angeführt sei: Im Leopoldstädter Theater

regierte ‚Kasperl’, für dessen Spiel und Komik die Mehrzahl der Stücke produziert wurde. Inmitten der aus dem zeitgenössischen Leben stammenden Bühnenfiguren ist Kasperl ‚hervortretende’ Identifikationsfigur und Sprachrohr des Publikums, vertritt dessen Meinungen, Bedürfnisse und Interessen. 463

Und Identifikation kann auch bedeuten, dass diese ex negativo durch Demaskierung des Bewusstseins (Horváth) oder radikale Infragestellung dörflicher, patriachaler Strukturen (Turrini: Sauschlachten ) evoziert wird. Auch solche kritischen Volksstücke464 sind ohne Identifikation nicht denkbar, wie Horváth selbst schreibt. Er versteht unter Volksstück ein Stück

in dem Probleme auf eine möglichst volkstümliche Art behandelt und gestaltet werden, Fragen des Volkes, seine einfachen Sorgen, durch die Augen des Volkes

462 Schmitz: Volksstück, S. 22. 463 Hein: Wiener Volkstheater, S. 41. 464 „Die [...] häufig gebrauchte Bezeichnung kritisches Volksstück hebt auch den Unterschied zum nur unterhaltenden Stück hervor; sie charakterisiert vor allem den Blick des Autors auf die im Stück dargestellten gesellschaftlichen Zustände und die damit verbundene intendierte Wirkung auf den Zuschauer, der zu einer kritischen Haltung gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit gebracht werden soll.“ (Schmitz: Volksstück, S. 21.) 130

gesehen. Ein Volksstück, das im besten Sinne bodenständig ist [...], das an die Instinkte und nicht an den Intellekt des Volkes appelliert. 465

Und besieht man sich den Gattungskatalog von Volksstücken beziehungsweise vermeintlichen „Stücken für das Volk“, so kann diese Forderung nur Bestätigung finden, auch wenn man die Horváthsche Dramatik nicht mit den primär als Unterhaltung dienenden volkstheatralen Stücken vergleichen kann:

[...] Intermezzo, Stegreifburleske, Posse (Lokalposse), Lokalstück (Sittenstück), Mythologische Karikatur, Parodie (Parodistische Posse), Maschinenkomödie, Märchendrama (Dramatisches Volksmärchen), Geister- und Gespensterstück, Ritterstück, Singspiel, Lebens- und Charakterbild, Genredrama, Volksstück, Operette. Häufig charakterisieren noch Zusätze wie ‚Mit Gesang und Tanz’ besondere Darstellungsformen und Wirkungsaspekte. Einige Formen sind historisch begrenzt, andere zeichnen sich durch Kontinuität im theatralischen Wandel aus, die meisten gehen im Laufe der Entwicklung auseinander hervor. 466

Es wäre nicht zielführend als Basis für die folgende Untersuchung der Ambros-Hörspiele nun für jede Gattung eine Definition heranzuziehen. Es soll bei den einzelnen Analysen und Interpretationen auf die jeweils relevanten Gattungen sowohl gattungstheoretisch als auch mit praktischen Querverweisen aus der Literaturgeschichte eingegangen werden. Dass die oben angeführten Gattungszuweisungen zumindest partiell auf die Hörspiele von Ambros anzuwenden sind beziehungsweise sich darin Anleihen dieser Gattungen wiederfinden, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Hörspiele vereinen mit ihren lockeren dramaturgischen Szenenkomplexen, eingefügten, oftmals die Handlung nicht wesentlich vorantreibenden Liedern, Elemente von Intermezzo bis Operette. Jedes dieser Hörspiele ist in seiner Keimzelle ein hörbar gemachter Mimus. 467 Gerade ihr oft scheinbar improvisierter, fetzendramaturgischer, possenreißerischer Charakter verleitet zu einer solchen Ansicht:

Der Mimus (=Possenreißer) bezeichnet ein komisch-ernstes Misch-Genre in niedriger Stillage; er steht so im Gegensatz sowohl zur Tragödie als auch zur Komödie, aber er hat durchaus seinen Ort in der Stilhöhenlehre. [...] Im Zentrum aber steht die

465 Ödön von Horváth: Gebrauchsanweisung. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 8. Hrsg. v. Traugott Trischke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 662. 466 Hein: Wiener Volkstheater, S. 58. 467 „Als Stegreiftheater und Improvisationsspiel ist der Mimus definitionsgemäß ein textloses Theater. Texte bzw. Textskelette tauchen allenfalls als Aufführungsentwürfe, Planungshilfen (Markierung der Choreinsätze), Gedächtnisstützen (bei fremdsprachigen und metrischen Passagen) oder als Inspizientenunterlage auf. [...] Den Mimus als textloses Spiel zu bezeichnen, heißt auch einen engen Textbegriff anzuwenden. Das Phänomen des Mimus liegt auf der Ebene der ‚gesprochenen Sprache’ [...]. Grundbegriffe des Mimus wie Schematismus, Rollenfächer, Situativität sind bekanntlich durchaus textbildende Momente [...].“ (Hein: Volksstück, S. 38.) 131

dramatische Kleinform, in der Szenendramaturgie und ‚offene’ Form strukturbestimmend sind und die lockere Einheit von Dialog, Spiel, Gesang, Tanz und Schau ermöglichen. [...] Der Mimus richtet sich an den ‚Mann auf der Straße’ und macht sich ihm beliebt, indem er ausspricht, was von Amts wegen und von hoher Warte aus gesehen unbedeutend erscheint. [...] Belustigung ist sein erklärtes Ziel. Inwiefern sich in dieser Wirkung weitere Funktionen geltend machen, wird immer noch diskutiert; zur Rede stehen: Triebbefriedigung, Ventilfunktion, Befreiung (i.S.v. Ermutigung, Enttabuisierung, Norm-, Konventionsbruch) [...]. 468

Und Befreiungsschläge bilden sozusagen das Fundament, auf dem Fäustling , Watzmann , Schaffnerlos und Augustin aufbauen. Im Kontext mit dem Wiener Volkstheater sind das die Eigenschaften, die auch Hanswurst innewohnen. Der wienerische Hanswurst, verkörpert von Joseph Anton Stranitzky, wurde nach Stranitzkys Wanderjahren als Marionettenspieler und Schauspieler – er kommt um 1705 nach Wien – mit dessen Einzug ins Wiener Kärtnertortheater sesshaft. Die Kunstfigur Hanswurst oszilliert zwischen planendem, satirischen Störenfried und kindlich naivem Gemüt, oder besser gesagt: vereint beide Seiten in sich. In diesem Spannungsfeld ist auch die Grundstimmung der Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen zu sehen.

468 Hein: Volksstück, S. 38-40. 132

5.3 . Fäustling . Rebellion als Travestie

5.3.1. Entstehung

Nachdem dem Erfolg von Alles andre zählt net mehr ... wurde Ambros damit beauftragt ein Musical für die Wiener Festwochen zu schreiben. 469 Ambros erzählte davon unter anderem bei seinem Stadthallen-Konzert 2002 und evoziert den Eindruck eines sehr spontan entstandenen Projektes. „[...] da Joesi hot gsogt: ‚Jo, jo des moch ma […]. I waaß scho wos: wir mochn den Faust‘“.470 Und so entstand „erstmals in Österreich, eine Art Pop-Musical; wirklich, ein Experiment, das da in aller Bescheidenheit die ‚Arena 73’ einleitet.“ 471 Und aus dem Faust wurde Fäustling . Die Geschichte spielt nun in der Gegenwart (1973) und die Titelfigur ist ein Beamter in einer Lebenskrise.

Nach der Arena 472 -Live-Produktion mit sehr viel verrückten Menschen 473 erschien Fäustling. Ein Spiel in G dann auch auf Schallplatte, einer Produktion von ATOM und ist somit nicht nur ein Teil österreichischer Musik-, sondern auch Theater-, Literatur- und Hörspielgeschichte.

469 „Sein [Ambros’] ‚Hofa’ geisterte durch die Hitparaden, daß die etablierte Pop- und Schlagerwelt nur so staunte: ein völlig unbekannter österreichischer Sänger und Musiker, noch dazu kaum zwanzig, hatte den Sprung in die Welt der Stars spielend geschafft und sich die spontane Zuneigung einer großen jugendlichen Fangemeinde erworben. Dann wurde Wolfgang Ambros überraschenderweise festspielreif. Das englische Nationalensemble ‚Young Vic’ spielte in der Arena im Museum des XX. Jahrhunderts einen frühen englischen Klassiker. Im Bestreben, Teile des eher schwierigen Textes dem Publikum einzudeutschen, schlug ich einen musikalischen Erzähler vor. Lange Beratung, großes Mißtrauen, erstes gegenseitiges Beschnüffeln. Und dann war Wolfgang zum Erstaunen eines eher skeptischen Publikums und der strengen Kritiker mehr als ein großartiger singender Dolmetsch: er war eine erfreuliche Bühnenpersönlichkeit. In einem eigenen, eher improvisierten Programm deutete er an, was noch alles in ihm steckt. Nun hatte er sichtlich Blut geleckt, Bühnenblut. Und außerdem, so kam mir vor, war er an einem entscheidenden Punkt angelangt. Was tun? Die Partie gefiel mir gut, bei allen Eigenheiten. Lange Beratungen. Das geeignete szenische Betätigungsfeld für einen jungen Popmusiker, das zeigen alle Versuche, kann nur ein klassisches Thema sein: da ist alles drin, Mythologie, Message, Figuren, Atmosphäre. Das schlägt die Brücke, das ist bekannt. [...] Gemeinsam mit Freund Prokopetz, der schon den ‚Hofa’-Text geschrieben hatte, schlug Ambros eine originelle Faust-Paraphrase vor [...].“ (Baumgartner: Wolfgang Ambros als Teufel?) 470 Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 471 Baumgartner: Wolfgang Ambros als Teufel? 472 Eine Institution, die sich durch große alternative Experimentierfreudigkeit auszeichnete: „In der ‚Arena’ wollte man die starken Impulse alternativer Kunst bündeln und unter einen Hut bringen. Die berühmt- berüchtigten ‚Achtundsechziger’ war ja eine Generation, die mit geballter Experimentierfreude und entfesselter Kreativität gegen mumifizierte und versteinerte Strukturen und Institutionen ankämpfte.“ (Heinz R. Unger: Die Proletenpassion. Dokumentation einer Legende. Wien, Zürich: Europa Verlag 1989, S. 29.) 473 Vgl. Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 133

5.3.2. Künstlerisches Umfeld

Nicht nur die österreichische Musikszene befand sich ab den 1960er Jahren im Aufbruch, auch die Literatur- und mit ihr die Theater- und Hörspielszene. Autoren wie Brigitte Schwaiger, Peter Turrini, Peter Handke und viele andere brachen Tabus – sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene. Erstarrten, restaurativen Kunstauffassungen wurde eine radikale Absage erteilt. Wie wir schon anhand verschiedener Austropop-Songs aufweisen konnten, richtete man sich gegen Obrigkeiten und scheinheiliges Aufrechterhalten von Tabus. Die österreichische Literatur ab den 1960ern ist zum großen Teil eine Literatur der Ausbruchssehnsüchte und Tabubrüche. Exemplarisch für diese Ausrichtung soll Brigitte Schwaigers Erstlingsroman Wie kommt das Salz ins Meer? angeführt werden: Ein Roman, erzählt aus der Perspektive einer jungen Frau, die in die Institution Ehe geraten ist und sich befreien möchte. Wie Heinrich Fäustling möchte sie aus dem engen Korsett des bürgerlichen Lebens ausbrechen. Schon der erste Satz des Romans zeigt an, gegen welche Schicht beziehungsweise Geisteshaltung sich dieses Buch richtet: „Gutbürgerlich, vor dem Spiegel im Schlafzimmer meiner Eltern, gutbürgerlich, das ist das wichtigste.“ 474 Wir haben bereits die unverblümte Sprache eines Harald Sommer und Peter Turrini angesprochen. Auch Schwaiger nimmt sich kein Blatt vor den Mund: „Wohin geht die Liebe, wenn sie geht? In den Arsch? Sei nicht ordinär.“ 475 Es gilt sich freizumachen von Zwängen, von einer bigotten („[...] als Österreicher ist man katholisch, und das trägt man wie den Steireranzug.“ 476 ) und noch vom Nationalsozialismus in eine moralische Zwangsjacke der Gutbürgerlichkeit gedrängte Spießergesellschaft, deren Keimzelle die Familie ist 477 :

Dem Geschichtsprofessor, den wir auch in Geografie hatten, ist immer das Wasser im Mund zusammengelaufen, wenn er gesagt hat: Brasilien, Kaffee, Kolumbien, Bananen, und die Schlacht bei, und die Enthauptung des, und er hat sich bei Napoleon und Bismarck immer sehr gemütlich aufgehalten, weil ja dann Österreich durchzunehmen gewesen wäre unterm deutschen Regime, und da wußte er nie, was er sagen sollte, einerseits als Lehrer, andererseits als Parteimitglied. 478

474 Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer? Wien, Hamburg: Zsolnay 1977, S. 7. 475 Ebd., S. 15. 476 Ebd., S. 35. 477 So sagt die Ich-Erzählerin über die Liebe zu ihrem Gatten Rolf: „ [...] und seinen armen Rücken will ich streicheln, weil ich ihn liebe, [...], weil ich nicht ihn gehaßt habe, sondern das, was sie aus ihm gemacht haben, diese Leute [...].“ (Ebd., S. 165.) 478 Ebd., S. 36. 134

Formal ist Schwaigers Roman kein Traditionsbruch, dadurch wird die ihm innewohnende Kritik aber noch drastischer. Auf allen Sektoren der Literatur entwickelte sich ab ungefähr 1968 verstärkt eine avantgardistische Literatur, die sich – wie Schwaigers Protagonistin – Konventionen widersetzt 479 . Am deutlichsten kommt dies zum Beispiel in den Lautgedichten eines Ernst Jandl und auch in seinen Hörspielen zum Ausdruck. So ist sein Hörspiel Das Röcheln der Mona Lisa (1970) eine „Dichtung der Sprachfetzen, der rasenden wie der zerbrechenden Stimme [...]. Sie erfaßt Sprache als Körpergeräusch, verwirft die Idee des Konstruktiven und beseitigt das Possierliche aus der Dichtung [...].“ 480 Wie in anderen literarischen Gattungen das Experiment eine zentrale Rolle einnimmt, so auch im deutschsprachigen Hörspiel. Ab 1968 481 kam es zu einer Abwendung von den „bedeutungsschwangeren Hörspiele[n] und Inszenierungen der fünfziger und frühen sechziger Jahre.“ 482 Experiment bedeutet in erster Linie sprachliches Experiment. Sprachliche Experimente führte nicht nur die „Wiener Gruppe“ durch, sondern sie fanden im gesamten deutschsprachigen Raum statt. Mitte und Ende der Sechziger brachen mit den Tabus auch die Sprachschranken:

Die vorgefundenen sprachlichen Gewebemuster scheinen nicht mehr geeignet, die komplexe Wirklichkeit kommunikativ umzusetzen, zu transportieren. Die Aneignungskategorien eines formalen Sprachbegriffs werden teilweise rigoros in Frage gestellt. Experimentell wird nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht. 483

Neben einer Dekonstruktion und Infragestellung beziehungsweise Neubewertung der Sprache, die auch am Theater betrieben wird, kommt es auch zu einer neuen Körperlichkeit am Theater: Nach dem ER und SIE, die Protagonisten aus Turrinis Rozznjogd , sich entkleidet haben, werden sie nur mehr von ihren Trieben gelenkt:

Sie beschnuppern einander. Sie riechen aneinander. Sie lecken einander. [...]

479 „Grundsätzlich [...] ist festzustellen, daß radikal – wie in der Literatur des deutschen Sprachraums sonst nirgends – die formalen Voraussetzungen gewandelt wurden und von den herkömmlichen Begriffen der Lyrik, des Romans und des Dramas abgegangen wurde.“ (Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 223.) 480 Jandl zit. n.: Roland Heger: Das österreichische Hörspiel. Wien: Braumüller Universitäts- Verlagsbuchhandlung 1977, S. 239. 481 „Schon in den Jahren zuvor wurden zunehmend Hörspiele produziert, die sich den traditionellen dramaturgisch-ästhetischen Kriterien entzogen.“ (Heinz Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder im deutschsprachigen Hörspiel seit 1968. Wien: VWGÖ 1985, S. I.) 482 Döhl: Das neue Hörspiel, S. 65. 483 Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 1. 135

Sie beißen sich gegenseitig. Sie kratzen sich gegenseitig. Sie simulieren Beischlaf, Onanie, Masturbation. Sie besudeln einander. [...] Sie streicheln sich gegenseitig. Sie küssen sich. 484

Diese Körperlichkeit schlägt sich natürlich auch in der Sprache nieder. Mehrmals wurde bereits auf die Fäkalsprache der Literatur nach 1945 und des Austropop eingegangen. Körperliche Bedürfnisse zum Ausdruck gebracht werden am deutlichsten in dem Lied „A Gulasch und a Seitl Bier“ aus dem Ambros-Album Es lebe der Zentralfriedhof . Von Danzer geschrieben und mit diesem zusammen aufgenommen ist es ein ironisch-hymnisches Duett auf Wiener Speisen und Getränke. In unverblümter Umgangssprache wird die Nahrungsaufnahme und die Bedeutung diverser Köstlichkeiten beschworen:

A Gulasch und a Seitl Bia das is ein Lebenselexia bei mia, des taugt ma wia. I steh so waunsinnich auf des, dass i mas oft in Kreislauf press, jawoi, jawoi.

A Schmoizbrot und a Viatl Wei kaunn oft de letzte Rettung sei für mi, sunst bin i hi. Weu waunns da Köapa doch valaungt kunnts sein, dass man ansonst erkraunkt, jawoi, jawoi.

[…]

A Krachal und a Buanhaut des hot mi oft scho fiareghaut auf d‘Nocht, waunn da Mogn krocht. I gib ma, bin i sehr am Saund a Infusion beim Wiaschtlstaund, jawoi, jawoi.485

484 Turrini: Rozznjogd, S. 62. 485 Georg Danzer: A Gulasch und a Seitl Bier. Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. 136

Das Entscheidende an diesem Lied ist aber die Umsetzung. Was man zunächst zu hören bekommt, ist kein musikalisches Intro sondern das Plätschern eines Urinstrahls, dann folgt ein erleichtertes, männliches Stöhnen, das Hinaufziehen der Hose und Schließen des Reißverschlusses, die Klospülung, ein Schnaufen. Dann sind stampfende Schritte zu vernehmen: die Toilette wird verlassen. Eine Tür wird geöffnet und zugeschlagen (oder sie fällt zu). Wieder Schritte. Der Mann betritt eine Bühne oder ein Tonstudio. Es wird kurz auf die Taste eines Klaviers gedrückt. Jemand zählt auf Englisch ein: „One, two. One, two, three, four.“ 486 Gitarrenklänge. Erst fast nach einer Minute setzt die Musik ein. Die Aufnahme beginnt also mit einem „Schockeffekt“. Die Erwartungen, die der Titel des Liedes – Genuß (A Gulasch und a Seitl Bier) - evoziert, werden gebrochen und erst in umgekehrter Reihenfolge erfüllt. Die Folgen des Genusses sind der Anfang: Ausfluss und körperliche Erleichterung. Ambros und Danzer arbeiten hier mit Mitteln (Das Ekelhafte und Unsaubere 487 ), die auch im bürgerlichen Schocktheater der siebziger Jahre zu finden sind:

[...] die Entfremdung zwischen Kunst und Leben [...] soll überwunden werden durch die Besinnung auf die Realität des Körpers mit all seinen Funktionen; Stoffwechsel, Sexualität, Ekel und Schmerzempfinden nicht ausgenommen. Um das ‚bestehende Theater zu durchbrechen’, bedient sich echtes bürgerliches Schocktheater der unliterarisierten Sprache des Dialekts. 488

In „A Gulasch und a Seitl Bier“ geht es aber im Gegensatz zum bürgerlichen Schocktheater nicht um einen „Schock der sozialen Anagnorisis (des Wiedererkennens der eigenen Lebensumstände)“ 489 , sondern lediglich um ein nicht tiefergreifendes Aha-Erlebnis, das zum Schmunzeln anregt. Der Dialekt-Text allerdings bietet großes Identifikationspotential ähnlich der „Blume aus dem Gemeindebau“. Identifikation und soziale Anagnorisis sind auch die Grundlagen für Fäustling . Der Beamte Heinrich Fäustling, kein Angehöriger der upper class , ist Dialektsprecher, der im Hörer durch Identifikation eine soziale Anagnorisis erreicht. Ein Beamter möchte aus seinem eintönigen Berufs- und Lebensalltag ausbrechen und tut dies letztendlich auch. Die Autoren „bedienen sich dabei literarisch des Wiener Dialekts und musikalisch einer [...] progressiven Pop-Musik.“ 490 Die Verwendung des Dialekts hat zwei Seiten: Schockeffekt durch Identifikation und Schockeffekt durch Ablehnung (Dialekt galt ja

486 Danzer: A Gulasch. 487 Vgl. Jutta Landa: Bürgerliches Schocktheater. Entwicklungen im österreichischen Drama der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt am Main: Athenäum 1988, S. 18. 488 Turrini zit. n.: ebd., S. 18. 489 Ebd., S. 14. 490 Hausner: Klappentext. 137 als derb und ordinär – zumindest als Literatursprache). Auf diese Weise setzt das Schocktheater den Dialekt ein – und auch in Fäustling wird damit eine dem Schocktheater analoge Wirkung erreicht, denn:

Einerseits baut sich über das Medium Dialekt zwischen Bühne und Publikum eine ‚Solidarität’ auf [...], andererseits operiert das Schocktheater bewußt und heimtückisch mit dem ‚hohen Maß an Vertrautheit, das Dialekt und Umgangssprache dem Rezipienten vermitteln’ [...].491

Dialekt ist also ein Stilmittel, das nicht nur im Bereich der österreichischen Popularmusik eingesetzt wird, sondern auch in der Literatur immer wieder zu finden ist. Damit hängt eine Zuwendung zu Alltagsthemen und einem vermeintlichen Realismus, der den Dialekt braucht, zusammen. So entstand eine Literatur, die Eingang ins Medium der Television fand. 492 Und in den Hörfunk:

Etwa ab Mitte der siebziger Jahre kann man im Hörspielschaffen auch deutliche Tendenzen erkennen, Alltagsrealität und Alltagssprache akustisch darzustellen. Zumeist unter Beibehaltung der bewährten Strukturtypen des Handlungshörspieles mit durchlaufender Story und Identifikationsrollen. Anliegen dieser Spiele ist die mögliche Abbildbarkeit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. ‚Innere’ Vorgänge werden dabei nicht ausgeklammert [wir werden das vor allem bei Schaffnerlos erkennen können], jedoch nicht mehr im Sinne imaginativer Verinnerlichung dargeboten, sondern gewissermaßen als ‚innere’ Wirklichkeit, untrennbar mit der ‚äußeren’ verknüpft. Individuelles Erleben und soziale Umwelt stehen unlöslich voneinander im Kausalzusammenhang. [...] Dialekt und Umgangssprache werden bewußt realitätsnahe, und nicht mehr zu gekünsteltem Folklorismus umgemünzt, eingesetzt. Davon profitieren vor allem die auf einen möglichst großen Hörerkreis abzielenden und dennoch nach Anspruch trachtenden Gebrauchsstücke: Volksstücke im eigentlichen Sinn. 493

Autoren wie Werner Kofler, Helmut Zenker, Ernst Hinterberger, Helmut Korherr, Wilhelm Pellert, Hans Bachmann, Peter Slavik, Ingrid Greisenegger und Helmut Peschina setzen sich mit alltagsbezogenen Themen auseinander. Heger wendet für diese Werke den von ihm nicht

491 Melzer zit. n.: Landa: Schocktheater, S. 69. 492 „Engagierte Autoren, die politische Themen aufgriffen, verblieben mit ihren Veröffentlichungen im konventionellen Bereich der Literatur. Mit Büchern, Zeitschriften und Lesungen erreichten sie immer nur das kleine literarisch interessierte Publikum. Ihre Formen blieben die traditionellen bzw. waren den aktuellen Formproblemen der Literatur verhaftet. Erst später, als die kritische Literatur öffentliche Anerkennung gefunden hatte, durften Peter Turrini und Wilhelm Pevny mit ihrer ‚Alpensaga’ und Helmut Zenker mit ‚Kottan’ [nicht zu vergessen Ernst Hinterbergers ‚Ein echter Wiener geht nicht unter’] aus den engen Grenzen des Literaturbetriebes ausbrechen. Im Medium Fernsehen konnten sie ein breites, im allgemeinen nicht literarisch interessiertes Publikum ansprechen.“ (Maurer: Man lebt, S. 40.) 493 Haider-Pregler: Entwicklung, S. 536-537. 138 näher definierten Terminus „Volkshörspiel“ an. Dem ist noch eher zuzustimmen als seiner Bezeichnung Ernst Hinterbergers als Nachfolger Ödön von Horváths. 494 Das ist ebenso zu hochgegriffen wie die Horváthsche Demaskierung des Bewusstseins mit der Sprache von „Da Hofa“ gleichzusetzen. Hegers Ausschweifungen zum Thema „Volk“ haben für diese Arbeit keine Relevanz. Denn so sehr „Volkshörspiel“ ein Begriff wäre, der auf die Werke von Ambros umzulegen wäre, so sehr haftet Hegers Begrifflichkeit ein allzu schwammig- fragwürdiger Beigeschmack an, wenn ständig von echter Volkskunst, echtem Volksstück oder absolut echter Sprache die Rede ist. Allerdings ist auch im Hörspiel eine Auseinandersetzung mit den Themen Ausbruch aus der Gesellschaft und Freiheitsdrang, wobei der Aufhänger oft die Arbeitswelt ist 495 , zu beobachten, wie sie uns in jedem der Ambros-Hörspiele ebenfalls begegnet. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Existenz ist eines der großen Literaturthemen der siebziger Jahre. Der Beamte Fäustling, der sich zum Referenten hochgearbeitet und nichts anderes zu tun hat, als Akten zu schleppen und missmutig den Parteienverkehr in Kauf zu nehmen, hat ein Äquivalent im Tischler Melzer aus Gernot Wolfgrubers Roman Herrenjahre . Auch Melzer strebt nach Höherem oder zumindest Überdurchschnittlichem, was ihm aber durch seine „kleinbürgerlichen Lebensbedingungen“ 496 und dadurch verunmöglicht wird, dass „sich seine Wünsche und Phantasien ausschließlich in vorgefertigten Denkkategorien bewegen.“ 497 Auch wenn das Schicksal Melzers in seiner Ausprägung nicht mit der Fäustlings zu vergleichen ist – eine elementare Gemeinsamkeit hat Melzer mit Fäustling aber ohne Zweifel: „Mit der Anpassung an die Routine des Alltags reduzieren sich seine [Melzers] Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung; seine persönliche Freiheit wird immer mehr durch die schon vorgegebenen Pflichten und Bedürfnisse eingeschränkt.“ 498 So ist das Motiv des „Menschbleibens“ nicht nur in dem schon mehrmals erwähnten Ambros-Hit aus dem Jahr 1974 – „A Mensch mecht i bleib’n“ – und vielen anderen Ambros-Liedern immer wiederkehrend, sondern auch in Roman, Drama, Lyrik und Hörspiel zu finden. Franz Hiesel

494 Vgl. Heger: Österreichisches Hörspiel, S. 124. 495 „Seit Ende der sechziger Jahre sind in der Hörspielproduktion vermehrt Darstellungsversuche von Themen aus der Arbeitswelt zu beobachten. [...] Die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Arbeitswelt-Gesellschaftsbilder sind breit gefächert. Sie umfassen die verschiedensten Wirtschaftsbereiche. Die Handlungsträger gehören vorwiegend sozial unterprivilegierten Gesellschaftsschichten an. Gezeigt werden die Konflikte und Machtkämpfe der Arbeitnehmer untereinander und die Auseinandersetzungen und Konfrontationen mit dem Arbeitgeber. Der Einzelne erlebt sich als auswechselbarer Bestandteil einer streng gegliederten Hierarchie. Überschaubar bleibt für ihn meist lediglich sein unmittelbarer Tätigkeitsbereich. Die zahlreichen ungeschriebenen Verhaltensspielregeln, die einzuhalten sind, um seine Position innerhalb der Hierarchie zu behaupten und in der Stufenleiter nach oben zu kommen, das häufige Sich-Verfangen oder Scheitern in Karrieremechanismen, der fließende Grenzbereich zwischen Arbeitsplatz und Privatsphäre werden in der Darstellung individueller Personenporträts gezeigt.“ (Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 94.) 496 Freund: Realitätserfahrung, S. 143. 497 Ebd. 498 Ebd. 139 kritisiert in seinen Hörspielen Das Paket (1970) und Die verwegenen Spiele am Rothenbaum (1975) eine Welt, in welcher der Mensch der Technisierung zum Opfer fällt beziehungsweise zur Ware mutiert. 499 Ähnlich den Hörspielen von Ambros, Prokopetz und Tauchen behandelt Hiesel das Schicksal von gesellschaftlichen Randexistenzen und Außenseitern: „Die gesellschaftskritischen Hörspiele Hiesels haben ein gemeinsames Grundthema: Sie treten für die Freiheit des Menschen von allen Zwängen ein, mögen sie nun von Diktatoren, inhumanen politischen Theoretikern oder Technokraten ausgeübt werden.“ 500 Gegen die Gesellschaft und ihre Zwänge stellt sich auch Jan Rys mit seinen zahlreichen Hörspielen. Gegen das System wehrt sich auch Ambros’ und Prokopetz’ Fäustling, gegen die Autorität des Vaters agitiert der „Bua“ aus Der Watzmann ruft , Fritz Knottek – Anti-Held aus Schaffnerlos – versucht sich seinen Traum einmal selbst eine Straßenbahn zu lenken und sich so allen Vorgesetzten und Regeln zu widersetzen, zu erfüllen und Augustin lebt seine selbstgewählte Outlawposition. Die Autoren Prokopetz und Tauchen bedienen sich dabei einer Volkssprache im besten Sinn – einer Sprache, die für jedermann verständlich ist. Sie setzen diese Sprache in Kombination mit Musik in ihren Hörspielen um – mit Hilfe eines Mediums, das auch pekuniär leistbar ist, mit Hilfe der Schallplatte. 501 Blieben Theaterstücke einem kleinen Kreis vorbehalten 502 , so erreichten die Plattenproduktionen von Ambros ein weit größeres Publikum und erfüllen damit eine Forderung beziehungsweise setzen eine Feststellung um, die Peter Turrini im Zusammenhang mit seiner und Wilhelm Pevnys Alpensaga , tätigte:

Wer heute Kunst macht, macht sie für wenige. Nur 4 Prozent der Bevölkerung gehen ins Theater. Jeder vierte Österreicher liest jährlich ein Buch. Konzerte werden nur von manischen Fanatikern besucht. Lyrikbände erreichen kaum die Auflage etwa eines Fachbuches für Gartenschläuche und so weiter. Wer heute Kitsch macht, verlogene Unterhaltung, bewußte oder unbewußte Irreführung der Bevölkerung betreibt, macht es für viele. Was wirklich konsumiert wird, sind die Serien eines Fritz Eckhardt, die Aufführungen einer Löwinger-Bühne, die Groschenhefte, von denen im deutschprachigen Raum jährlich 214 Millionen Stück verkauft werden. Vereinfacht und zusammengefaßt heißt das: Wir haben eine Massenkultur, aber keine Kultur für die Massen. [...] Wer der breiten Bevölkerung wirklich etwas sagen will, muß von seinem Dichterpodest heruntersteigen. Nicht der Künstler ist wichtig, sondern die Menschen, von denen er

499 Vgl. Heger: Österreichisches Hörspiel, S. 86-87. 500 Ebd., S. 88. 501 Auch Ernst Jandls Das Röcheln der Mona Lisa erschien auf Platte. 502 Wer kennt heute noch Peter Slaviks Dialektstücke oder Lotte Ingrischs wienspezifische Arbeiten? 140

redet. Nicht die Kunst ist wichtig, sondern die Form, in der man mit möglichst vielen Menschen reden kann. 503

Und das haben, meines Erachtens und Ermessens, Ambros, Prokopetz (und nach Fäustling ) auch Tauchen in und mit ihren Hörspielen (und selbstverständlich auch mit einzelnen Songs, die ja in einer erweiterten Begriffsdefiniton als Hörspiele zu bezeichnen sind) erreicht. Identifikationspotential hat auch die – oftmals den gesellschaftlichen Ausbruch oder das Aufbegehren gegen das eigene Dasein in einer mit umgangssprachlichen Phrasen durchsetzten Hochsprache oder auch im Dialekt thematisierende - Lyrik eines Peter Henisch 504 , aber die Breitenwirkung, die Turrini einfordert, haben die popularmusikalischen-

503 Peter Turrini: Obisteign. In.: Ders. u. Wilhelm Pevny: Der Dorfschullehrer. Eine Folge der TV-Reihe ‚Die Alpensaga‘. Eisenstadt: Edition Roetzer 1975 [Ohne Seitenangabe.]. 504 Das Schicksal eines namenlosen Arbeiters, dessen einzige, wenn auch anonyme, Möglichkeit gegen „die anderen“ zu rebellieren es ist, in Konservendosen zu spucken, beschreibt Henisch in dem Gedicht „Konservenfabrik“:

„hör auf den mann am fließband horch was er sagt: der einzige gspaß den ich hab ist der daß ich manchmal bevor ich sie zumach in die konserven hineinspuck/ hör auf den mann am fließband horch was er sagt: dann freu ich mich daß das ein anderer frißt aber vielleicht bin ich’s selber“ (Peter Henisch: konservenfabrik. In: Ders.: Wener fleisch und blut, S. 22-24.)

Vom Ausbruchswunsch handelt auch Henisch Gedicht „Gaunz aune Schmä“:

„GAUNZ AUNE SCHMÄ i mecht aus dera schiachn grauen puppn ausse foan mi endlich ausandandawuaschtln meine Fliagln gschpian/ und afoch beulesian

Gaunz aune Schmä i mecht de gaunze blede Schweakroft nimma gschpian i mecht den tiafn Bodn untad Fiaß valian und afoch beulesian

Und waunn i daunn davofliag mecht i weit davo 141 und literarischen Werke von Ambros, die wie viele Hörspiele im deutschsprachigen Raum ab Mitte der Sechziger „die Krise und Irritation des Individuums, seine gesellschaftliche Entfremdung, das Herausfallen aus dem gewohnten Lebensrhythmus, die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit behandeln.“ 505 Und sie thematisieren das auf sozialkritische Weise mit Satire, Ironie und vordergründigem Witz ohne dabei aber die tiefere Bedeutung außer Acht zu lassen.

5.3.3. Experiment, Fragment, Singspiel

Produktionsleiter Johann Hausner nennt Fäustling im Text auf der Rückseite des Schallplattencovers ein „Singspiel“ 506 und ein paar Zeilen weiter hält er fest: „Ohne Anspruch auf intellektuelle oder dramatische Perfektion vermitteln die Autoren dem Publikum eine ehrliche, zeitnahe Aussage – vor 200 Jahren hätten sie vielleicht ihr Stück betitelt: Fäustling – ein musikalisches Fragment.“ 507 Fäustling , das Spiel in G, wie es bezeichnet wird, ist wohl eher als dramatisches beziehungsweise dramaturgisches denn als musikalisches Fragment zu bezeichnen. Der fragmentarische Charakter des Hörspiels und Experiments 508 ist nicht wegzudiskutieren. Fäustling ist eine lose Szenenfolge, die sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch teilweise nur mehr Rudimente des klassisch zu nennenden Faust I von Goethe travestiert. Das Hörspiel beginnt mit einer orchestralen Ouvertüre, in der die wichtigsten musikalischen Themen vorgestellt werden. Dann folgen Monologe, Dialogszenen, die von eingelegten Songs abgewechselt werden, wobei hervorzuheben ist, dass das Hörspiel mit Fortlauf der Handlung immer mehr an Kohärenz verliert. Die Dialoge werden zu fetzenartigen weit von de Oidn weg weit von da Hockn weg mecht net aufwochn sundan nua i söba sei/ oba i trau mi net

Gaunz aune Schmä i mecht aus dera schiachn grauen Puppn ausse foan mi endlich ausanandawuaschtln meine Fliagln gschpian/ und afoch beulesian.“ (Peter Henisch: Gaunz aune Schmä. In: Ders.: Zwischen allen Sesseln. Geschichten Gedichte Entwürfe Notizen Statements 1965-1982. Wien: Hannibal 1982, S. 167.) 505 Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 52. 506 Hausner: Klappentext. 507 Ebd. 508 Vgl. ebd. 142

Kürzestszenen, um den Songs mehr Raum zu geben. Die Dramaturgie ist also durchaus als revueartig und jener des Singspiels (ähnlich jenen von Hensler und Perinet 509 ) verwandt zu nennen. Als Singspiel im theatergeschichtlichen Kontext ist Fäustling freilich nicht zu bezeichnen: „Den gesprochenen Dialog umrahmen bzw. unterbrechen gesungene Introduktion, strophisches Lied bzw. Arie (gegebenenfalls mit Allegro), Duett, Terzett, auch Rezitativ, Finale und Schlußchor.“ 510 Mit einer derartigen Singspielform hat Fäustling freilich wenig gemein. Fäustling entzieht sich einer klaren Definition als Singspiel. Viel eher trifft eine ablehnende Aussage zu Karl von Holteis Liederspielen den Kern der Sache beziehungsweise den Charakter des Fäustling . Wie wohl in diesem Kontext Vorsicht geboten ist, denn Holteis Begriff des Liederspiels ist nicht mit Ambros’ und Prokopetz’ Fäustling zu decken:

Mit dem Namen Holtei verbindet sich insbesondere der Markenartikel ‚Liederspiel’. Aus der Sicht seines Schöpfers unterscheidet sich das Liederspiel insofern vom Singspiel des 18. Jhs. und den Vaudeville-Adaptionen des frühen 19. Jahrhunderts [...], als er bei jenem auf die Originalität der Textschöpfung besonderen Wert legt [...], während die Musik als originale Komposition entschieden zurücktritt. 511

Und das ist ja gerade bei Ambros nicht der Fall. Fäustling ist textlich und musikalisch eine originäre Schöpfung und mit Sicherheit kein Abkömmling von Holteis Liederspielen. Um aber auf die angesprochene Kritik an denselbigen zurück zu kommen: Diese stammt von einem „Professor der Ästhetik, namens Gründlich“ 512 und wendet sich scharf gegen die Gattung Liederspiel:

Das Liederspiel ist eine abscheuliche, nicht zu duldende Aftergattung [...], weil es gar nicht in eine Rubrik gebracht werden kann. Es ist keine Tragödie, kein Lustspiel, keine Oper, keine Operette! Es ist ein hors d’oeuvre, es ist eine Thorheit, es ist ein Nichts! Liederspiel! gibt es etwas unnatürlicheres, als daß die Leute mitten im Gespräch zu singen anfangen, wie die Narren? – Es zerstört jede Illusion, es ist gar nicht zu dulden. 513

Das Entscheidende ist weniger die Illusionsbrechung als die definitorische Ratlosigkeit. Von einer Tragödie und einem Lustspiel ist auch Fäustling meilenweit entfernt, von einer Oper

509 Deren Singspielform und Singspielkasperliaden zeichnen sich durch eine eher lockere und episodische Dramaturgie aus. (Vgl. Hein: Wiener Volkstheater, S. 42.) 510 Hein: Volksstück, S. 106. 511 Ebd., S. 171. 512 Ebd. 513 Gründlich, zit. n.: ebd.. 143 respektive Operette gar nicht zu reden. Viel mehr ist es ein Handlungshörspiel („mit durchlaufender Story“ 514 ), das auf die Handlung zwar wert legt, dessen eingestreute Songs aber eine nicht gerade kleine Eigendynamik entwickeln, in dem sie - reißt man sie aus der Handlung - vollkommen für sich stehen und auch nicht für die Handlung von entscheidender Bedeutung sind, was aber nicht bedeuten soll, dass es ihrer nicht bedürfte. Dennoch: nach mehrmaligem Anhören kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Fäustling ist auch ohne Songs existenzfähig. Was aber die eingerückten Lieder unentbehrlich macht, ist der naturgemäß starke Fokus auf die Musik, was schon durch die mehrminütige Ouvertüre zum Ausdruck kommt. Und es ist die Musik von Ambros, die Prokopetz’ Texte trägt. Und über den fragmentarischen Charakter hinwegfegt. Es ein Hörspiel der offenen Form zu nennen, wäre aber zu weit gegriffen beziehungsweise grundlegend falsch, da die einzelnen Szenen nicht austauschbar sind, sondern wie auch Watzmann , Schaffnerlos und Augustin einer handlungsimmanenten Dramaturgie folgen. Dennoch gibt es – wie sich zeigen wird – immer wieder einzelne Lieder und Szenen, die durchaus an einer anderen Stelle Verwendung finden oder ob ihres Nonsens überhaupt keine Berechtigung haben, aber gerade aufgrund von letzterem den experimentellen Charakter ausmachen und somit auch Aspekte des „Neuen Hörspiels“, miteinbeziehen, wobei dieser Punkt nicht überzubewerten ist. Das „Neue Hörspiel“ entstand

in den sechziger Jahren als Alternative zu dem in eine Krise geratenen Illusionshörspiel mit fiktionaler Story und Identifikationsrollen [...]. Dieses traditionelle Hörspiel verstand sich als literarisches Kunstwerk und strebte eigensinnig nach Anerkennung in der Gattungspoetik, wo man es nur widerwillig als Abkömmling eines aufs Wort reduzierten Dramas unterschlüpfen ließ. 515

In erster Linie ist Fäustling ein Illusionshörspiel, ja sogar ein konventionelles Handlungshörspiel 516 , das mit einer durchgängigen Handlung Identifikation erzeugen will und somit – trotz einiger kleiner Brechungen – die Illusion aufrecht erhält. Gängige Hörspieldefinitionen greifen aber bei den popularkulturellen Werken von Ambros und Prokopetz mit Sicherheit zu kurz. Insofern trifft der Terminus Illusionshörspiel, wie wir ihn aus der Forschung kennen, auch nicht zur Gänze zu, denn

514 Haider-Pregler: Entwicklung, S. 537. 515 Hilde Haider-Pregler: Nachwort. In: Jandl, Mayröcker: Drei Hörspiele. Wien: Sessler 1975, S. 43. 516 Vgl. Haider-Pregler: Entwicklung, S. 518. 144

das Illusionshörspiel versteht sich als gattungsspezifisches literarisches Kunstwerk. [...] Jede Stimme entspricht einer fiktiven Figur. Allein über akustische Wahrnehmung wird der Hörer imaginativ, in einem individualistischen Identifikationsprozeß, in eine von zeitlicher und räumlicher Realität unabhängige Vorstellungswelt versetzt. 517

Hinsichtlich Fäustling kommt spätestens jetzt der Aktualitätsbezug ins Treffen. Die Autoren führen zwar den Hörer in eine imaginative, fiktionale Welt, aber der Raum- und Zeitaspekt soll uns nicht in eine unabhängige Vorstellungswelt versetzen, sondern ins Wien des Jahres 1973, wie der Klappentext preisgibt. Das ist die Welt, in der Fäustling lebt – und diese Welt wird in erster Linie durch den Dialekt suggeriert – als Subtext durchzieht aber das ganze Stück die provinzielle Enge Wiens, wie sie Ambros später noch oftmals besingen soll. Potenziert wird das subkutane, nie ausgesprochene, aber schwelende, miefige Lokalkolorit durch das individuelle Schicksal von Heinrich Fäustling, sozusagen die personifizierte Wiener Enge der siebziger Jahre, dem als Widerpart der Teufel als der personifizierte „Underground“ entgegengestellt wird und Fäustling, das „wahre Leben“ vermittelt, ein Leben jenseits des Büroalltags, aber auch fernab von gewöhnlichen Unterhaltungen, wie sie in Wirtshäusern, Heurigen oder Kommerzdiscotheken zu finden sind. 518 Aus diesen Dunstkreisen entflieht Fäustling –

517 Haider-Pregler:Entwicklung, S. 508. 518 Ambros prangert dies in dem (schon auszugsweise zitierten) Song „Hoiba zwöfe“ an. Ein rockiger Song, dessen Version auf 19 A Class numbers mit seinem hervorstechenden Saxophon – ein als schmutzig konnotiertes, an Nachtleben und Nachtclubs gemahnendes Instrument – an die Instrumentation von Fäustling erinnert:

“Hoiba zwöfe, da Wiat mocht an Bahö - hoiba zwöfe, mia soin doch endlich geh! Hoiba zwöfe, de Stimmung is dahin weu um hoiba zwöfe is finsta in mein Wien.

Des anzige, wos no offn hod, is de Kommeazdiskothek, und de is da Tod. Weu do spüns leida Gottes um de Zeit nua mea de Silver Convention und in Barry White. Außadem san de ärgstn Typn drin de san de letztn Oaschlecha von gaunz Wien. Do wundan sa sie, warum olle so frustriat san und nua mea haamgengan und Haschisch rauchn dan.

Von ana Szene kaunn ma bei uns übahaupt net sprechn, ollas dasauft im Heirichn, es is zum Eabrechn. In dera Beziehung is bei uns zum Scheißn und es schaut net so aus ois obs ses iagendwaunn gneißn. Oba wozu aufregn, so is des hoid, am Bestn is du schaust dazua und wiast recht schnö oid. [...].“, (Ambros: Hoiba zwöfe.) 145

mittels der ‚Geistawelt’, wie sie ‚de groß’n Illustrierten’ anpreisen. Der Teufel, eine undurchsichtige Erscheinung aus dem ‚Underground’, versucht [...], ihm eine andere Lebensauffassung, die der Freiheit und des Genusses beizubringen, worauf ihm Heinrich Fäustling seine ‚Beamtensöh’, mit allen deren Sicherheiten, verschreibt. Doch Fäustling wird auf diese Art auch nicht glücklich. Er drückt am Schluß seinen Joint auf demselben Tisch aus [was im Hörspiel nicht zu vernehmen ist], an dem er zu Beginn gesessen war und meditiert ‚gelassen und cool’ über den Sinn des Lebens [...]. 519

Das Identifikationspotential, welches der Figur des Heinrich Fäustling innewohnt, wird mit den Mitteln des Illusionshörspiels umgesetzt:

Alles Sichtbare wird in das Gesagte hineingenommen. ‚Genaugenommen gibt es bei allen Hörspielen immer nur einen einzigen Ort der Handlung: das Gewissen des Erlebenden, das heißt der Figur, die sich selbst erzeugt und die in hohem Maße erst mit dem Autor, dann mit dem Darsteller und schließlich mit dem Hörer identisch ist.’ Geräuschen und Tönen kommt nur illustrativ untermalende Wirkung zu. 520

Dafür ist die Musik als Song-Musik für die Erzeugung von Stimmung in Fäustling von umso elementarerer Bedeutung. Und der Musikeinsatz in Fäustling und auch den anderen Ambros- Hörspielen entspricht nicht der bis dato gebräuchlichen Verwendung von Musik in Hörspielen. Weder besteht bei den Ambros-Hörspielen ( Augustin ausgenommen) die Verwendung von Musik aufgrund realistischer Spielsituationen, noch trägt sie spezifisch als eine natürliche Begleiterscheinung des dramatischen Geschehens zur Erzeugung einer bestimmten Atmosphäre bei, noch wird sie ausschließlich dazu benützt um Träume oder andere ähnlich geartete Handlungsebenen anzudeuten 521 . Auch eine strenge Einteilung in Vorhangsmusik, rhythmische Strukturierung der Gesamtgestalt, Motiv, Hintergrundmusik, Untermalungsmusik oder gestische Musik 522 greift bei den Hörspielen von Ambros, Prokopetz und Tauchen nicht. So sehr die einzelnen Werke auch von ihrer individuellen Geschichte geprägt sind, und nach Fäustling durch die Rollen- und Stimmverteilung von Prokopetz und Tauchen, so sehr sind diese Hörspiele auch Vehikel für den Popstar Wolfgang Ambros, der natürlich den größten Kaufanreiz bietet, die jeweilige Schallplatte zu erwerben. Dadurch entsteht eine Mischung aus durchgehender Handlung und Liedern, die sehr wohl der Handlung zuträglich sind, aber auch außerhalb dieser zu Erfolgen und immer wieder gern gehörten Songs bei Ambroskonzerten avancierten („Lokalverbot“ aus Augustin ,

519 Baumgartner: Wolfgang Ambros als Teufel? 520 Haider-Pregler: Entwicklung, S. 508-509. 521 Vgl. Lionel Salter: Musik im Hörspiel. In: 50 Jahre Musik im Hörfunk. Beiträge und Berichte. Hrsg. v. Kurt Blaukopf, Siegfried Goslich und Wilfried Scheib. Wien: Jugend und Volk 1973, S. 41-43. 522 Vgl. Frank: Das Hörspiel, S. 102-103. 146

„Schaffnerlos“ aus Schaffnerlos oder „Auffi, Auffi“ aus Der Watzmann ruft ). Damit einher geht das Ineinander von epischen, dramatischen und lyrischen Elementen in den Ambros- Hörspielen, wobei das Epische erst ab Der Watzmann ruft auftritt. Fäustling verlässt sich noch auf Monologe, Dialoge und Lieder (Ich-Lieder, Chöre, Duette) und verzichtet auf eine epische Erzählerfigur. So paradox es klingen mag, gerade durch die Tatsache, nur lyrische und dramatische Elemente wirken zu lassen, rückt die Travestie Fäustling , überspitzt gesagt, in die Nähe von Goethes Faust , denn letzterer ist von seiner Intention her ein Seelendrama, „das sich [...] im Laufe seiner Entstehung mehr und mehr von den wirklichen ‚Brettern’ fort auf ein imaginäres Theater zu bewegt hat [...] [und Goethe] hielt das Werk [...] gewiß, um seine Formel zu verwenden, für kein ‚bretterrechtes’ Stück [...].“ 523 Diese Parallelisierung soll aber nicht überwertet werden. Die eigentliche Bedeutung zur Analyse liegt bei Fäustling und seinen Nachfolgern woanders. Diese Hörspiele funktionieren ähnlich den revueartigen Kasperliaden und Lustspielen eines Kurz-Bernadon und Joachim Perinet. Die Form des

revuehaften Bilderbogens [...] erfreute sich grosser [sic!] Beliebtheit. Durch die Möglichkeit, abwechslungsreiche Bilder nebeneinander zu setzen, kam er der Schaulust des Publikums entgegen und die Schauspieler, allen voran der Erste Komiker, konnten in möglichst kontrastierenden Rollen ihre Verwandlungsfähigkeit unter Beweis stellen. 524

Die Position des Ersten Komikers in den Hörspielen nimmt Wolfgang Ambros ein, der in diesem Fall nicht Komiker sondern Musiker ist und sein musikalisches und gesangliches Können in den Mittelpunkt rückt, während Prokopetz und Tauchen (ab Der Watzmann ruft ) ihr Sprach- und Sprechtalent beweisen. Dadurch wird im Hörer eine Schaulust im Geiste, also eine Hörlust evoziert, die möglichst umfassend (Musik, Gesang, Stimmverstellungen durch die Besetzung mehrerer Rollen) befriedigt werden soll. Fäustling ist da sozusagen die Vorstufe, denn Ambros, Prokopetz und Tauchen bilden erst, wie oben schon angedeutet, ab Der Watzmann ruft eine für viele kongeniale Trias. Fäustling kennt noch keinen Prokopetz als Protagonisten, welcher hier nur als Texter fungierte. Die Rolle des Fäustling übernahm Alexander Wächter und die des Teufels Wolfgang Ambros, der damit seine Rolle als Rock- und Popsänger voll ausleben konnte, auch wenn seine schauspielerischen Fähigkeiten passagenweise sehr begrenzt sind. Deshalb bleibt sein Metier auch vorwiegend der Vortag der Lieder – ein Faktum, dass sich bis Augustin auch nicht ändern wird – ebenso wie die für die

523 Dieter Borchmayer: Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche. Weinheim: Beltz 1998, S. 544. 524 Alfred Ziltener: Hanswursts lachende Erben. Zum Weiterleben der Lustigen Person im Wiener Vorstadt- Theater von La Roche bis Raimund. Bern: Peter Lang 1989, S. 175. 147 weiteren Hörspiele wegweisende Fetzendramaturgie, welche die Travestie wieder in die Nähe zum Original rückt. Goethe selbst gab einen seiner Faust-Entwürfe unter dem Titel Faust , ein Fragment heraus. Der ganzen Dichtung (inklusive Faust II ) haftet das Fragmenthafte an, weil darin Dezeninen an Weltanschauungen vereint sind – so sagt Goethe selbst, dass Faust immer ein Fragment bleiben wird 525 - und auch der Urfaust gemahnt mit seiner offenen Form – „Diskontinuität der Handlung, beliebige(n) Schauplatzwechsel, bindungslose Reihung selbständiger Szenen ohne Aktgliederung“ 526 an die oftmals nur in kurze Sequenzen und Andeutungen einer Szene sich darbietende Aneinanderreihungsdramaturgie des Fäustling .

5.3.4. Rebellion als Travestie

5.3.4.1. Literarische Travestie

Der Begriff der Travestie wird in der Forschung immer wieder mit Parodie vermengt. Immer wieder ist von Travestien die Rede, die eigentlich als Parodien zu definieren sind und vice versa. 527 Obwohl der Unterschied relativ klar ist. Gero Wilpert bestätigt dies. Parodie ist in der Literatur

die verspottende, verzerrende Überzeichnung oder übertreibende Nachahmung e. dem Publikum bekannten und geachteten, ernstgemeinten Werkes (auch e. Stils, e. Gattung) oder einzelner Teile daraus unter Beibehaltung der äußeren Form (Stil und Struktur), doch mit anderen, nicht dazu passendem Inhalt [...].528

Eine Travestie hingegen ist die

satir. Verspottung e. ernsten Dichtung, doch im Ggs. zu dieser durch Beibehaltung des Inhalts und dessen Wiedergabe in e. anderen, unpassenden und durch Form und Inhalt lächerlich wirkenden (meist niederen) Stillage und Gestalt. 529

Das trifft alles auf Fäustling zu? Oberflächlich betrachtet schon. Wäre da nicht der ernstgemeinte Impetus von Fäustling : Mensch bleiben. Fäustling ist auch nicht „die Verspottung e[iner] ernsten Dichtung“ 530 , sondern lediglich eine Transformation. Wie wohl

525 Vgl. Borchmayer: Weimarer Klassik, S. 549. 526 Ebd., S. 550. 527 Bei diesen Verwirrungen ist es auch nicht weit zur Karikatur und zur Satire. 528 Wilpert: Sachwörterbuch, S. 591. 529 Ebd., S. 966. 530 Ebd. 148 aber eine gewisse Lächerlichmachung der hehren Figur Goethes und seines Textes schon durch die Verwendung von Dialekt und Slang gegeben ist – von der Covergestaltung ganz zu schweigen. Das Cover nämlich zeigt eine Fotografie des berühmten Wiener Goethe- Denkmals an der Ringstraße. Links oben prangen in Orange die Namen der Schöpfer und der Titel des Werks. In das Foto montiert ist ein dunkelgelber Fäustling (Fausthandschuh), den Goethe an seiner linken Hand trägt. Daran zeigt sich schon eine Abkehr von gutbürgerlicher Klassikerverehrung und eine Wendung gegen hehre Vorbilder. 531 Das impliziert eine Haltung gegen Autoritäten und Schulwissen, wie sie Ambros und Hausner später in „Gö, do schaust“ (1975) zur Sprache bringen, wo davon die Rede ist, dass man in der Schule nichts lernt als Gedichte aufzusagen und zu „kuschen“, aber sonst bleibt man für den Rest des Lebens blöd 532 , was dazu führt, dass man kein Mensch wird, sondern zu den Leuten zählt, die fressen, was auf den Tisch kommt und nicht nachdenken. 533 Auch Ernst Jandl und Friederike Mayröcker prangern in ihrem Epoche machenden Hörspiel Fünf Mann Menschen die Schulpraxis an. Neben Gewalt 534 behandeln auch sie die Stumpfsinnigkeit des Auswendiglernens:

BB [Berufsberater]1-5: Universitäten, Hochschulen, mein Gott, wie oft hab ich davor gekniet ... Mir ist es nicht anders als euch ergangen und den meisten: grade noch aufs Gymnasium, ein Gedicht lernen ... ein Lied pfeifen – [...] und seht mich jetzt an: bin

531 Dem Literaturwissenschafter klingen in diesem Kontext wohl sofort die Worte des Vormärz- und Junges- Deutschland-Autors Georg Herwegh in den Ohren: „Du hast ja Schiller und Göthe / Schlafe, was willst du mehr?“ (Georg Herwegh: Wiegenlied. In: Ders.: Gedichte 1835-1848. Werke und Briefe. Bd. 1. HkA. Hrsg. v. Ingrid Pepperle. Bielefeld: Aistehesis Verlag 2006, S. 130.) 532 Vgl. Hausner u. Ambros: Gö, do schaust. 533 Vgl. ebd. 534 „SZENE 3 Schule

SPRECHER: In die Schule sollst du gehn, oder an der Ecke stehn.

K1-K5 [Knaben] Pos.[ition] 1-5 (Geräusch Position 1: schallende Ohrfeige) K1 (Aufschrei und Schluchzen) K2: Ich wars nicht Herr Lehrer. (Geräusch Position 2: schallende Ohrfeige) K2 (Aufschrei und Schluchzen) K3: Ich wars nicht Herr Lehrer. (Geräusch Position 3: schallende Ohrfeige) K3 (Aufschrei und Schluchzen) K4: Ich wars nicht Herr Lehrer. (Geräusch Position 4: schallende Ohrfeige) K4 (Aufschrei und Schluchzen) K5: Ich wars nicht Herr Lehrer. (Geräusch Position 5: schallende Ohrfeige) “ (Jandl u. Mayröcker: Fünf Mann, S. 23.) 149

doch schließlich was geworden! Durch mich spricht die Wirtschaft, durch die Wirtschaft die Gesellschaft, durch die Gesellschaft das Volk, durch das Volk die Welt, und sagen euch, was ihr werden werdet; [...]. 535

Gegen eine derartige Verstumpfung und in weiterer Folge Mechanisierung des Menschen richtet sich Fäustling , dessen Protagonist im Gegensatz zu seiner Grete noch keine Arbeitsmaschine geworden ist. Die Travestie hat also durchaus ernste Hintergründe und ist nicht ein bloßes Spaßprodukt oder Spottwerk wie Nestroys Hebbel-Parodie (!) Judith und Holofernes , eines der prominentesten Beispiele aus der Grauzone Travestie und Parodie. Heinrich Fäustling ist auch im Gegensatz zu Herrn Werther, Kupferschmied aus Krems aus Kringsteiners Werther-Parodie Werthers Leiden (1807), ein ernstzunehmender Charakter. Bei Kringsteiner wird die Werther-Empfindsamkeit nämlich ins Lächerliche verzerrt, während Heinrich Fäustling in seinem Bestreben nach einem anderen Sinn genau so ernsthaft trachtet wie Heinrich Faust. Im Wiener Volkstheater hingegen war das Ziel von Travestien, Parodien und Karikaturen das Publikum vordergründig zu belustigen. In der Blütezeit der Parodien – ungefähr deckungsgleich mit der Regierungszeit von Franz I. (1792-1835) 536 – betätigten sich sehr viele Autoren auf diesem Feld: Joachim Perinet, Josef Alois Gleich (Shakespeareparodien), Kringsteiner, Bäuerle, Karl Meisl (Parodien auf Goethe, Schiller, Kleist, Kotzebue, Grillparzer, Halm, Raupach, Schreyvogel etc.), Johann Nestroy (Hebbel, Holtei, Wagner). 537 Bei den Parodien, die sich diverseste Gattungen, Stile und Moden 538 vornehmen, gibt es eine „fließende(n) Grenze zwischen volkstümlicher Nachahmung, possen- und schwankhafter Bearbeitung und bewusster literarischer Parodie“ 539 . Bei Fäustling allerdings ist zu bedenken: Die Faust -Trivialisierung ist hier keine eigentliche Trivialiserung in dem Sinn und mit dem Effekt, dass die Trivialisierung, „für das Galeriepulikum der Vorstädte [das war], was die Originale für die gebildeten Zuschauer bedeuteten.“ 540 Eben weil es zu einer massiven inhaltlichen Themenverschiebung kommt. Dennoch erfüllt gerade damit Fäustling auch eine Forderung von Parodien und derartigen Produkten:

535 Jandl u. Mayröcker: Fünf Mann, S. 25. 536 Vgl. Jürgen Hein: Nachwort. In: Parodien des Wiener Volkstheaters. Hrsg. v.Dems. Stuttgart: Reclam 1986, S. 388. 537 Vgl. ebd, S. 389. 538 Vgl. ebd. 539 Ebd., S. 390. 540 Johann Hüttner: Literarische Parodie und Wiener Vorstadtpublikum vor Nestroy. In: Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theaterwissenschaft. Jahrgang 18. Wien, Köln, Granz: Hermann Böhlaus und Nachf. 1972, S. 114. 150

Parodien [als Überbegriff] hatten die Funktion, Stoffe und Themen zu transportieren und zu popularisieren, Stilwechsel und Stilmischung zu ermöglichen, zwischen hohem und niederem Stil zu vermitteln, das Volk mit Bildungsstoffen bekannt zu machen und zugleich zu unterhalten sowie im ästhetischen Spiel kritisch auf die Realität zu reagieren [...]. 541

Und genau in diese Kerbe schlägt Fäustling – die kritische Reaktion auf die Realität 542 .

5.3.5. Mensch und Menschlichsein

Auf die Gefahr hin ins selbe trübe Gewässer abzudriften, wie viele andere, müssen wohl oder übel bei den folgenden Ausführungen die Begriffe Travestie und Parodie wieder einmal in einen Topf geworfen werden – ohne die vorhin zitierten Definitionen zu vergessen. Es konnte bereits gezeigt werden, dass Travestien, Parodien und (mehr oder minder) satirische Transferierungen klassischer Stoffe eine große Tradition im Wiener Volkstheater haben. Spezifisch die Faust-Travestien und –Parodien standen und stehen bis in die Gegenwart hoch im Kurs.

Die ersten Parodien auf Goethes ‚Faust’ – Umdichtungen, Weiterdichtungen, Konterkarikaturen – erschienen noch zu Lebzeiten des Dichters – und sie ziehen sich in beinahe lückenloser Folge durch das ganze neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert herauf bis in unsere unmittelbare Gegenwart [...]. 543

Im Wiener Volkstheater begegnen uns Titel wie Der Dumme Nachfolger des Doctor Faustes (Bernadon), Fragment einer Fausttravestie (Franz Xaver Carl Gewey), Johann Faust, Erfinder der Buchdruckerkunst (Kringsteiner) oder Doktor Faust’s Mantel (Adolf Bäuerle). Von einem unbekannten Verfasser stammt das Singspiel Faust im 18. Jahrhundert 544 : „Die Absicht der Parodie spricht schon der Titel aus: Faust im 18. Jahrhundert. Faust ist ein

541 Hein: Wiener Volkstheater, S. 65. 542 Parodie, Travestie, Trivialisierung, Karikatur „gehen als Spielart des Volksstücks thematisch und strukturell auf die Bedürfnisse [...] [ihres] Publikums ein. An den Parodien lassen sich die Transportfunktion (literarische Traditionen, Bildungsgut, Stoffe des ‚hohen’ Theaters) ebenso veranschaulichen wie die dramaturgischen Möglichkeiten der Stoffaneignung und –Bearbeitung (Lokalisierung, soziale Akzentuierung, Popularisierung usw.) und das Sich-Einstellen auf Ansprüche und Schaubedürfnis [in unserem Fall Hörbedürfnis] des Volkstheaterpublikums. Parodie und Zauberstück insbesondere haben jene Volksstückform geprägt, die das Publikum durch bewußte Fiktionalisierung vom Realitätsdruck befreit und ihm im Freiraum des Ästhetischen theatralischen Genuß gewährt, wobei die im heiteren Kontrast dazu stehende mitzitierte Realität nicht ausgeklammert wird.“ (Hein: Volksstück, S. 125.) 543 Waltraud Wende-Hohenberger u. Karl Riha: Nachwort. In: Faustparodien. Eine Auswahl satirischer Kontrafakturen, Fort- und Weiterdichtungen. Hrsg. v. Dens. Frankfurt am Main: Insel 1989, S. 320. 544 Vgl. Fritz Bruckner u. Franz Hadamovsky: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Die Wiener Faust-Dichtungen von Stranitzky bis zu Goethes Tod. Wien: Wiener Bibliophilengesellschaft 1932, S. 31-32. 151 richtiges Kind seiner Zeit, ein mißratenes Produkt der Aufklärung: Freiheit ist in Zügellosigkeit und Schwelgerei ausgeartet [...].“ 545 Faust als „Kind seiner Zeit“: In diesem Geist ist auch Fäustling entstanden. Vor allem der Underground-Teufel, verkörpert durch Rocksänger Wolfgang Ambros, ist die Inkarnation der Popkultur und des tabubrechenden Austropop. Dass Faust immer wieder zu einem Kind der jeweiligen Zeit wird oder gar mutiert, lässt sich schon an den Titeln einiger Faust- Paraphrasenaus dem 20. Jahrhundert ablesen, die in dem Sammelband Faustparodien vereint sind: ‚Faust’ auf der Reeperbahn (Willi Bredel, 1960), Faust und die Atombombe (Wilhelm Webel, 1964), Goethes V’st (Franz J. Bogner, 1973). P.G. Hübsch und Alfred Meysenbug schufen 1968 Mini-Faust , ein Comic über einen drogenschluckenden Hippie-Faust. Bei vielen Faust-Parodien und –Travestien stehen die Walpurgisnacht-Szenen aus Faust I und Faust II im Mittelpunkt. 546 Auch bei Fäustling nimmt die Walpurgisnacht eine wichtige Stellung ein – aus sprachexperimenteller Sicht. Im Zentrum allerdings steht die grundsätzliche Themenverschiebung im Vergleich zum Original. Heinrich Faust, der nach höchster Erkenntnis strebende Gelehrte, der der Maßlosigkeit und der Magie anheimfällt, 547 ist genau das Pendant von Heinrich Fäustling, dem Wiener Beamten. Goethes Faust „zeigt ein Weltgeschehen zwischen Gott und Mephistopheles und zeigt es an einem einzelnen Menschen. Dieser ist freilich nicht beispielhaft für den Durchschnitt der Menschen; er ist vielmehr ein Ausnahmemensch, im Sehnen und Wollen, in Verfehlen und Schuld.“ 548 Heinrich Fäustling ist die personifizierte Durchschnittsexistenz schlechthin. Und der Teufel aus dem Underground hat nichts mehr mit einem Goetheschen Mephistopheles gemein, der in den Weltplan Gottes gehört 549 - und der „ein Verminderer des Guten [ist], welches das Seiende ist.“ 550 Heinrich Fäustling wird vom Teufel ins Leben des Underground eingeführt, ein Leben, das ihn aber auch nicht glücklich macht. Am Ende aber findet er einen Sinn des Lebens:

Ob Schuasta oda Fassldipla, Mistkiwestira, Millionea oda Leichnfledara,

545 Bruckner u. Hadamowsky: Einleitung, S. 32. 546 Vgl. Hohenberger u . Riha: Nachwort, S. 321. 547 Vgl. Erich Trunz: Nachwort. In: Goethe: Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust. Hrsg. v. Dems. München: C.H. Beck 1999, S. 483. 548 Ebd., S. 481. 549 Vgl. ebd., S. 482. 550 Ebd. 152

Pforra oda Totngräba, ob Aungeklogta oda Richta, Musikant oda Dichta, Tschecharant, Haschischraucha, Vaschwenda und Normalvabraucha; Sandla oda Genaral, des is ois gaunz egal, des is ois einerlei; a Mensch und menschlich muaß a sei! 551

Von dieser Einsicht ist der seinen monotonen Job überdrüssige Heinrich Fäustling am Beginn des Hörspiels Fäustling freilich noch weit entfernt. Doch das Hörspiel Fäustling 552 setzt nicht mit dem Frust-Monolog des Protagonisten ein, sondern mit einer Ouvertüre. Man vernimmt zunächst das Einspielen des Orchesters und sehr leises Stimmengemurmel, dann das dreimalige Klopfen des Taktstockes und schließlich beginnt die Ouvertüre, die „Bezüge zu einer klassischen Ouvertüre einer Operette oder eines Musicals“ 553 aufweist. Klassisch im Sinn von mustergültig, vorbildhaft – denn genau das wird gebrochen. Nach einer „19 taktigen Einleitung, erfolgt eine kurze Zäsur und ein klanglicher wie instrumentaler Wechsel zur Popmusik (wieder ein „Knalleffekt“ wie bei „Franz Pokorny“): Die E-Gitarre [...] stellt ein weiteres Thema aus dem Musical [!] vor und wird durch Schlagzeug [...] [und von] Violinen und Klaviermotiven begleitet.“ 554 Als die Melodie des Mittelteils von „Wia in ana Schreibmaschin“ in seligem Dreiviertel-Takt vorgestellt wird, erfolgt der erste Bruch der so vorbildlich und klassisch anmutenden Ouvertüre. Der Dirigent meldet sich zu Wort und unterbricht das Spiel des Orchesters mit „Meine Herren, meine Herren!“ 555 -Rufen. Er mahnt: „So geht das nicht weiter. Das müssen Sie selbst einsehen. Das ist reine Casopaia. Wir fangen an von Neuem. Ja. Mehr Konzentration. Acht! Sieben!“ 556 Die Musik beginnt wieder mit wuchtigem Einsatz und die Ouvertüre geht pompös zu Ende. Schon durch diesen Bruch wird evident, dass hier nichts glatt vor sich geht, was auch in der bereits mehrmals angesprochenen Fetzendramaturgie zum Ausdruck kommt. Nach der Ouvertüre folgt der Frust-Monolog von Heinrich Fäustling. Nach der pompösen Ouvertüre wirkt der ohne Raumhall versehene, nur von der dumpf-frustrierten bis erregten Stimme Fäustlings getragene Monolog, noch erdrückender. Ein einziger Satz („Jetzt sitz i do

551 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 552 Dieses Diminutiv erinnert an Kringsteiners Othello-Parodie Othello, der Mohr in Wien , in der das Diminutiv beispielsweise in Rodrigerl zum Tragen kommt. 553 Pfeiler: Austropop, S. 160. 554 Ebd. 555 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 556 Ebd. 153 in da Nocht“ 557 ) reicht aus, die Stimmung Fäustlings für den Hörspielrezipienten zu suggerieren und in weiterer Folge den ganzen Monolog zu einer Introduktion für Fäustlings Lebenssituation zu machen.

Do hob i jetzt de Obndmatura und a poa Kuase gmocht - jetzt sitz i do in da Nocht und schlof und schlof net ei. I hob mi aufgriebn, hob mi oghetzt, hob mi endlich an Schreibtisch hecha gsetzt - jetzt sitz i do wie da Pick-Siema und bin net gscheida und net dimma. Jetzt sogns zu mia Herr Refarent, oba wos ma bleibt am End is, dass i Patein ob dinn, ob dick von an Zimma zum aundan schick, dass i in gaunzn Tog ois wiar a Depp in ana Toua nua Aktn schlepp. Jetzt bin i gscheida ois de aundan Offn. Ich kenne meine Paragraphen. Waunn i hinta mein Schreibtisch sitz, gibts kaan Spaß mea und kaan Witz. Waunn ana gaunz schwierich is, daunn sog i eam hoit min liabstn Gfrieß, dass Vuaschrift eben Vuaschrift is. Und scho is a stad, oba sunst is ma fad. Do hob i ma denkt: ‚Ma lest so vü, ma siecht so maunches Fernsehspü, es steht aa in de Illustriatn, in de großn: die Geisterwelt ist nicht vaschlossn.‘ Do press i die Händ daunn am Tisch und hoff, dass i an vo de darwisch. Bei mia is kaa Tisch no gruckt, bei mia hods übahaupt nia gspukt. Dabei mecht i do so gean amoi a Stimm ausm Jenseits hean. Amoi mecht i mit an vo eich Kontakt aufnehmen! Redn kaunnst mit de Totn, jo, es geht, nua a Aunwoat kriagst net. I weas eich zeign es Geistagfrasta - Eicha Chef kummt und Feistling hast a! 558

Von einem faustischen „heißem Bemühn“ 559 ist hier freilich keine Spur mehr. Im Gegenteil. Die Abendmatura und Kurse bedeuteten für Heinrich Fäustling nur Stress („I hob mi

557 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 558 Ebd. 559 Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. In: Ders.: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 3. Dramatische Dichtungen Bd. 1. Hrsg. v. Erich Trunz. München: C.H. Beck 1976, S. 20. 154 aufgriebn, hob mi oghetzt“ 560 ) um sich einen Schreibtisch höher setzen zu können. Doch der kleine Karrieresprung hat im Leben von Fäustling nichts verändert. Nicht gescheiter und nicht dümmer ist er geworden. Der einzige Bereich, in dem er gescheiter geworden ist, ist das Amtswissen: „Ich kenne meine Paragraphen.“561 Dieser Satz wird auch in Hochdeutsch gesprochen und impliziert damit eine gewisse Machtposition, die Fäustling einzunehmen glaubt, so bald er hinter seinem Schreibtisch sitzt. Der Schreibtisch ist sozusagen seine Uniform und wenn man Alfred Polgars Text Die Uniform herbeizitiert, so schreibt Polgar, dass der Mensch eine Fortsetzung der Uniform nach innen ist. 562 Mit Verstellung („min liabstn Gfrieß“ 563 ) besonders schwierigen Parteien zu sagen, dass Vorschrift Vorschrift ist, ist Fäustling die einzige Freude, denn trotz seines Aufstiegs hat sich der Amtsalltag – bestehend aus Akten schleppen – nicht wesentlich geändert. Vom metrischen Reichtum des Goetheschen Faust ist natürlich in Fäustling nicht viel übrig geblieben: Da wird gemäß dem intellektuellen Horizont von Fäustling sehr frei mit Hebungen, Senkungen und Reimkünsten („Offn“ auf „Paragraphen“) umgegangen. Aber gerade derartige unreine Reime, charakterisieren den Zwiespalt Heinrich Fäustlings äußerst plastisch. In tiefster Umgangssprache ist er sich seines neu erworbenen Beamtenwissens bewusst („Jetzt bin i gscheida ois de aundan Offn“ 564 ) und manifestiert eben dies noch in Hochdeutsch: „Ich kenne meine Paragraphen.“ 565 Dass sich aber das standardsprachliche „Paragraphen“ auf das dialektale „Offn“ nur sehr unrein reimt, drückt sehr deutlich aus, dass Fäustling ein Mann ist, der noch nicht zu sich und seinem Menschsein gefunden hat beziehungsweise zwischen Beamtem und Mensch laviert. Dass die vorschriftsmäßige Behandlung von Parteien auch nicht die Erfüllung ist, wird von Prokopetz auch metrisch unterstrichen:

Daunn sog i eam hoit min liabstn Gfrieß, dass Vuaschrift eben Vuaschrift is. Und scho is a stad, oba sunst is ma fad.566

560 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 561 Ebd. 562 Vgl. Alfred Polgar: Die Uniform. In: Ders.: Kleine Schriften. Bd. 1. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1982, S. 72. 563 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 564 Ebd. 565 Ebd. 566 Ebd. 155

Mit den zwei letzten Kurzverszeilen erarbeitet Prokopetz eine pointierte Zusammenfassung von Fäustlings ganzem Lebensinhalt: Die erste der hier zitierten Zeilen ist beinahe ein Blankvers, folgt aber keinem strengen Versmaß und drückt dadurch eindringlicher die Gefühlswelt von Fäustling aus, während die nächste („dass Vuaschrift eben Vuaschrift is“ 567 ) mit regelmäßigen vierhebigen Jamben die Amtshörigkeit noch unterstreicht. In einem Kurzvers von zwei Hebungen wird die sofortige Wirkung von Fäustlings vermeintlicher Macht ausgedrückt („und scho is a stad“ 568 ). Die Ernüchterung erfolgt in der vierten angeführten Zeile: „oba sunst is ma fad.“ 569 Das ist die Stelle, an der es im Monolog zu einem Themenwechsel und einem inhaltlichen Bruch kommt. Auch der stimmliche Ausdruck von Fäustling wird energischer. Warum Fäustling plötzlich so dringend mit der Geisterwelt Kontakt aufnehmen möchte, ist aber psychologisch nicht nachvollziehbar. Oder ist es nur der Wunsch des kleinen Mannes auch Teil der großen Welt zu sein, wie sie von den Medien (Fernsehen, Illustrierte) suggeriert wird? Sein Sehnen, in Kontakt mit dem Jenseits zu treten, ist letztendlich der Wunsch nach Veränderung. Bei Fäustling ist anscheinend immer alles gleich:

Bei mia is kaa Tisch no gruckt, bei mia hods übahaupt nia gspukt.570

In wütender Hybris beendet Fäustling seinen Monolog. Dräuend erhebt er seine Stimme gegen die Geisterwelt und bezeichnet sich selbst als Chef der Geistergfrasta. 571 Ohne Übergang folgt nun der erste Song, der „in einem einfachen Rockrhythmus gehalten“ 572 ist. Dieser Rockrhythmus unterstützt die aggressive Stimmung (und Stimme) Fäustlings. Mit wuchtigem Einsatz beginnt das Lied: „Heat’s es mi, es Dämonen“. Aus dem herausfordernden Drohen Fäustlings wird ein forderndes, von der Musik getragenes Fragen:

Heats es mi, es Dämonen? Es Koboid und es Gnomen? I wia eich jetzt beschwöan; und wehe eich, es kummt ma kaana, wöcha is wuascht - nua iagendana. Nua iagendana!

567 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 568 Ebd. 569 Ebd. 570 Ebd. 571 Vgl. ebd. 572 Pfeiler: Austropop, S. 161. 156

Heats es mi, es Wuazlweiba? Es Woidschratts und es Hexntreiba? Passts auf jetzt ruaf i eich! So wia des Bluat duach meine Odan schiaßt, so miaßts kumma, jo es miaßts, es miaßts, es miaßts. 573

Analog zu Goethes Faust 574 trägt Fäustlings insistierende Geisterbeschwörung auch Früchte. Mit krächzendem, wienerischem Sprechgesang – untermauert von temporeichen Klavierklängen - taucht der leicht grantelnde Erdgeist auf. Anstatt eines geisterhaft- anteilnehmenden: „Wer ruft mir?“ 575 , entrüstet sich selbiger:

Warum schreist denn goa so bled, grod waunn i mi niedaleg? 576

Der Erdgeist legt hier ein müde-genervtes Verhalten an den Tag, wie es klischeehaft Beamten nachgesagt wird. Aus einem flammenden Elementargeist 577 ist ein übernächtiger, wie es scheint, obdachloser Geist geworden, was aber der Forderung Fäustlings nach irgendeinem Geist 578 gerecht wird. Der Erdgeist fährt missmutig und lauthals fort:

Wos wüstn du von mia? Dabei is heite so schee stü und du ruafst mi grod, waunn i mi niedalegn wü.

Vom Resslpark, wos de U-Baun grobn, bin i dohea in Buaggoatn zogn, weus do vü ruhiga is. I wü scho schlofn und deck mi zua

573 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 574 „Ich fühl’s, du schwebst um mich, entflehter Geist. Enthülle dich! Ha! wie’s in meinem Herzen reißt! Zu neuen Gefühlen All’ meine Sinnen sich erwühlen! Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!“ (Goethe: Faust, S. 23.) 575 Ebd., S. 22. 576 Josef Prokpetz u. Wolfgang Ambros: Heat’s es mi, es Dämonen. Fäustling. 577 „Du [Faust] flehst eratmend, mich zu schauen, Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn; Mich neigt dein mächtig Seelenflehn, Da bin ich! [...].“ (Goethe: Faust, S. 23.) 578 „Heats es mi, es Dämonen? Es Koboid und es Gnoman? I wea eich jetzt beschwöan; und wehe eich, es kummt ma kaana, wöcha is wuascht - nua iagendana. Nua iagendana!“ (Prokopetz u. Ambros: Dämonen.) 157

und es is wiedarum kaa Rua.579

Fäustling, der im Unterschied zu Faust nicht bewusst den Erdgeist beschworen hat, weiß mit dem seltsamen Gesellen nichts anzufangen und fragt nach seiner Herkunft und Identität:

Wea bistn du, du Kindaschreck? Von oom bis untn volla Dreck, Heast sog, wia haaßtn du? Sog ma do liaba, bevuast so schreist, wos bistn du fiar a Geist? 580

Der tatsächlich erdige Erdgeist 581 antwortet:

Geh liaba Freind, siechst denn net, dass da Erdgeist vua dia steht? Und z‘dreckig bin i da? Du tätast di gaunz sche umschaun; waunnst wohna tätst am Koalsplotz, wos de U-Baun baun. Na, seavas.

Waunnsd wiedarum wos wüst von mia, so ruaf mi hoit a bissl fria, net mitt’n in da Nocht. Du brauchst mi jo net beim Schlofn stean, weu in da Nocht traam i so gean.

Vuahea schreist mit olla Gwoit, doss ma von da Parkbaunk foit, und jetzt stehst do und schaust? Du ruafst aum bestn nua an Geist, den wos du aa söwa gneißt. 582

Wer dieser Geist tatsächlich ist, wird wohl zu beantworten nicht möglich sein. Klar ist, dass er einerseits menschliche Züge trägt („weu in da Nocht traam i so gean“ 583 ) – also vielleicht tatsächlich gar kein Geist, sondern ein Obdachloser – und entfernter Verwandter von Danzers „Tschik“ – ist, denn auch der Teufel ist ja nicht der Teufel, sondern eine Gestalt aus dem Underground. Der Gedanke liegt durchaus nahe, dass der Erdgeist ein „Sandler“ ist, der durch

579 Prokopetz u. Ambros: Dämonen. 580 Ebd. 581 Goethes Erdgeist ist nicht als teuflisch, sondern als Naturgeist aufzufassen, „der in den Bereich der ‚weißen Magie’ gehört.“ (Trunz: Anmerkungen. In: Goethe: Faust, S. 519.) Er ist mit den vier Elementen verbunden und bleibt ein geheimnisvoller Elementargeist. (Vgl. ebd.) 582 Prokopetz u. Ambros: Dämonen. 583 Ebd. 158 den, 1969 begonnenen, U-Bahn-Bau vertrieben wird. Mit dieser tagesaktuellen Anspielung verbunden ist auch ein metasprachlicher Illusionsbruch, der die Menschlichkeit des Erdgeists hervorhebt. Bei der schwer auszusprechenden Wortfolge „wo’s de U-Bahn baun“ 584 , entweicht ihm ein angestrengtes „Na, seavas.“ 585 Das Erscheinen des Erdgeists ist allerdings mehr als ein humorvolles Intermezzo. Nachdem er hörspielgerecht die Verdutztheit des Heinrich Fäustling anspricht („und jetzt stehst do und schaust?“ 586 ), gibt er ihm zu verstehen, dass er sich einen Geist rufen soll, den er auch selbst versteht. Es kann also durchaus sein, dass Fäustling gerade die Menschlichkeit des Erdgeists noch nicht begriffen hat und er deswegen nicht „sein“ Geist ist. Bis zu einem gewissen Grad ist der Erdgeist auch ein Spiegelbild Fäustlings. Genauso wie er handelt er nach Vorschrift. Während sich bei Fäustling, sobald er hinter seinem Schreibtisch sitzt, der Spaß aufhört und die Amtsvorschrift herrscht, so verhält es sich analog beim Erdgeist, wenn er sozuagen „außer Dienst“ ist und schlafen möchte. Auch ein Erdgeist ist nur bedingt erreichbar und in seiner Freizeit möchte er eben wie jeder Mensch zur Ruhe kommen, schlafen und träumen. Der Erdgeist verabschiedet sich mit einem sarkastischen Lachen von Fäustling und verschwindet mit unterstreichender ausfadender Musik, der sogleich Vogelgezwitscher folgt, das bereits die nächste Szene – den Osterspaziergang einleitet. Die Nachbarn von Fäustling spazieren und ergehen sich in - partiell mit Anflügen von nasalem Schönbrunner Deutsch durchwachsenen - Standardsmalltalkfloskeln über das schnelle Verstreichen der Zeit und das wunderbare Wetter. Dann tritt Fäustling dazu. Angekündigt von einer Nachbarin:

Kummt duat ned am End goa da Hea Refarent? 587

Ein Herr begrüßt Fäustling: „Habe die Ehre, Herr Referent.“ 588 Heinrich Fäustling wird also von den Leuten nicht als Mensch und Privatperson registriert, sondern nur als Herr Referent. Prokopetz treibt damit die österreichische Titelsucht auf eine sarkastische Spitze, denn Referent ist kaum mit einem Magister- oder Doktortitel zu vergleichen. Dass der Referent Fäustling eine ähnliche Position innehat wie Faust unter dem Volk 589 , ist wohl sehr zu

584 Prokopetz u. Ambros: Dämonen. 585 Ebd. 586 Ebd. 587 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 588 Ebd. 589 „ALTER BAUER. Herr Doktor, das ist schön von Euch, Daß Ihr uns heute nicht verschmäht Und unter dieses Volksgedräng’, 159 bezweifeln. Fäustling als Mensch scheinen die Nachbarn kaum zu kennen, seine Amtsposition als Referent könnte sich wohl aber durchaus als nützlich erweisen. In seinem Monolog über die Schönheit des Tages lässt Fäustling aber auch durchblicken, dass er durchaus kein leicht zugänglicher Mensch ist und ihm gewiss auch ein Hang zur Misanthropie innewohnt:

Kaa Glotteis mea auf de Stroßn und kaane Minusgrade mea, kaa Gatsch liegt nimma auf da Gossn und die Sunn losst iare Stroin vuasichtig auf d’Eadn foin. Mia kummts vua in ana Tua neem mein Ua singt iagendwea gaunz leise: Frühjoa is! 590

Nach dieser frohgestimmten Umgebungsbeschreibung fällt Fäustling bei der nun folgenden Rückerinnerung an die Winterzeit und die trübsinnigen Menschen wieder in seinen misanthropisch-aggressiven Unterton, wie wir in schon aus der ersten Szene kennen. Dass im Winter alle Leute nur schlechtgelaunt sein sollen, lässt sehr tief in Fäustlings Seele blicken, denn nur aus der Negativität heraus erscheint auch alles andere negativ:

Sogoa de Leit san üba Nocht bunt und freindlich wuan, san vom Wintaschlof aufgwocht und kaana hod auf wem an Zuan. Sogoa de oidn Leit haum ihnan besn Blick valuan. Kaana heut, kaana fäut, a jeda winscht si, dass so bleibt. Heats es: Frühjoa is! 591

Auffällig ist, dass Fäustling nur von Leuten und nicht von Menschen spricht. Bezeichnend für seine soziale Stellung ist auch, zieht man Faust I zum Vergleich heran, dass die Intention von „Zufrieden jauchzet groß und klein [...]“ 592 zwar erhalten blieb, aber der Satz „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“593 auch nicht in der kleinsten Paraphrasierung vorkommt, was deutlich macht, dass Fäustling eben nur als Referent für die Menschen Geltung hat und auch zu seinem eigenen Mensch-Sein noch nicht gefunden hat. Das nächste Lied, ein Zwiegesang

Als ein so Hochgelahrter, geht.“ (Goethe: Faust, S. 37.) 590 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 591 Ebd. 592 Goethe: Faust, S. 36. 593 Ebd. 160 mit dem Chor der Nachbarsleute bestätigt dies. Fäustlings hoch gesungenes „Frühjoa is“ 594 wird fortgesetzt und gehoben durch den hymnischen Einsatz zu „Hawe d’Ehre, Herr Refarent“. Ohne persönliche Anteilnahme und in belanglosen Floskeln begegnen die Nachbarn dem Herrn Referenten:

Hawe die Ehre, Hea Refarent, mia schittln Ihna d’Händ. Wia hommas denn? Wia geht’s Ihna denn? Jo ma soits goa net glaum, dass Sie Ihna amoi außetraun. Es is uns eine Ehre, hawe die Ehre, hawe die Ehre. 595

Gerade durch den oberflächlichen Smalltalk wird das Schicksal Fäustlings doppelt tragisch. Fäustling ist ein Einsiedler, der nicht oft vor die Haustür geht. Mit formelhaften Redewendungen antwortet er und gibt damit die ganze Fatalität seines Daseins preis:

Is scho recht, is scho recht, mia gehts net guat, mia gehts net schlecht. 596

Fäustling ist in sprachlichen Konventionen gefangen – ebenso wie seine Nachbarn, nur hinter seinen Floskeln verstecken sich existentielle Abgründe. Der Nachbarschor bestätigt sodann, dass es eigentlich keine persönliche Beziehung zwischen ihm und Fäustling gibt, außer vielleicht der, dass die Nachbarn schon seinen Vater gekannt haben, über den – im Gegensatz zu Faust I 597 – aber nichts Näheres erzählt wird:

Hawe die Ehre, Hea Refarent, des is a Tog, jo dea kennt net scheena sei, no, is net woa? Mia haum, Hea Refarent, jo sogoa no Ihnan Votan kennt. Es is uns eine Ehre, hawe die Ehre, hawe die Ehre.

[Fäustling singt:] I waaß goa net, wos heit,

594 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 595 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Hawe d’Ehre, Herr Refarent. Fäustling. 596 Prokopetz u. Ambros: Herr Refarent. 597 Fausts Vater war im Grunde ein Kurpfuscher, ein Alchimist, der, schenkt man dem alten Bauern Glauben, so manchem das Leben gerettet hat. Vgl. hierzu Goethe: Faust, S. 38-39. 161

aufamoi los is mit de Leit. 598

Mit der letzten Strophe wird die Geschichte vorangetrieben. Die Nachbarn laden Fäustling zum Heurigen ein, wobei Prokopetz eine Raffung vornimmt und somit die Brücke zu „Auerbachs Keller“ schlägt. Fäustling nimmt die Einladung mit den Worten an:

Jo, jo do liegt was draun, muagn auf d’Nocht, do sauf ma uns aun!599

Hier bedient sich Texter Prokopetz eines Wienerliedklischees – übermäßiger Alkoholkonsum beim Heurigen – als Gegensatz zum rockigen Sound von Ambros. Der sprachliche Effekt ist ähnlich jenem von „Wem heit net schlecht is ...“. Direkt und nicht beschönigend wird das Sich-Betrinken angesprochen, das anscheinend die einzige Möglichkeit ist, wie die Nachbarn mit Fäustling Umgang pflegen können und vice versa. Die Phrase „jo do liegt wos draun“ 600 gemahnt auch an ein bekanntes Wienerlied: „Heut kommen d’Engerl auf Urlaub nach Wien“. Sie tun das deshalb, weil sie dort zu Hause waren und deswegen die Wienerstadt so gerne haben. Während sie in Wien weilen, hören sie Schrammeln, singen dazu und „D’Leutln beim Weinderl, die krieg’n gar net gnua“ 601 . Das muntere Treiben wird von oben aus beliebäugelt:

Der Petrus im Himmel schaut runter auf Wien Weaner Leut, Weaner Freid, do liegt wos drin! 602

Mit in den Vordergrund gerücktem Saxophon klingt der Song aus und baut so die Brücke zum ebenfalls saxophonlastigen Intro des Auftrittslieds des Teufels, gespielt von Wolfgang Ambros. Das Lied „I bin da Teife“ ist „ein rockiger Song, mit funkiger E-Baß Spielweise und, wie für ein Rockstück üblich, ‚schmutzigem’ verzerrtem Sound der Rhythmusgitarre.“ 603 Wolfgang Ambros trägt den Song rotzig und aggressiv vor. Ohne Warnung erklingt das Lied und Ambros „rockig-schmutzige“ Stimme, die uns mitteilt:

Dea, dea jetza vua dia steht,

598 Prokopetz u. Ambros: Herr Refarent. 599 Ebd. 600 Ebd. 601 [ Ohne Vornamensangabe.] Wunsch u. Josef: Heut kommen d’Engerl auf Urlaub nach Wien. Wiener Souvenir. Polydor. Keine Jahresangabe. 602 Ebd. 603 Pfeiler: Austropop, S. 161. 162

is dea, dea hinta an jedn steht und oiweu leise in dia redt. Da Pfoffnschreck, da schwoaze Schinda und da Krampus füa de Kinda ... Da Teife bin i, da Lucifer, oba wea, wea winscht si net stü – a waunn a goa net auf mi steht, doss a grod mia begegna tät. I bin da Teife und i sog: ‚Na! Nix Guates is so guat, das is Schlechte net vü aungenehma waa.‘ I bin schlecht bis aufn Grund, mein Nauman nimmt ma gean in Mund und mia gheat die Geistastund. Wos hätt de Kiachn fiar an Sinn, waunn i net waa, waunn i net bin? Wea tät scho auf an Heagott steh? I mechat ans wissn nua, ob ana von eich betn tät, waunn a net wos zum Fluachn hätt. I bin da Teife und i sog: ‚Na!‘ Nix Guates is so guat, dass is Schlechte net vü aungenehma waa.604

Der Teufel ist plötzlich da – nicht mit Pauken und Trompeten – dafür aber mit Saxophon, E- Baß und Rocksound. Also schon die Musik und Instrumentation geben Einblick in den Charakter des Teufels. Der Text und der aggressive Vortrag komplettieren den ersten Auftritt. „I bin da Teife“ ist ein klassisches Auftrittslied.

Das ‚Ich bin’ [...] ist eine signifikante Floskel für das Auftrittslied. Die mit einem Entreelied bedachte Bühnenfigur leitet – fast immer – damit ihr erstes Erscheinen auf der Szene ein. ‚Ich bin’ ist daher eine naheliegende Formulierung, um die Eigenpräsentation zu beginnen. ‚Ich bin’ weist aber auch gleichzeitig auf einen Fiktionsbruch hin. Da sich die singende Figur für ‚die Entree’ alleine auf der Bühne befindet, ist das ‚Ich bin’ eindeutig an das Publikum gerichtet. ‚Ich bin’ macht deutlich, daß es sich um kein Selbstgespräch, sondern um einen [...] Dialog mit dem Auditorium handelt. 605

Das verhält sich beim Auftrittslied des Teufels etwas anders. Sein Song ist sowohl an Fäustling als auch an die Hörer gerichtet. Ob dieser Teufel nun tatsächlich aus der Geisterwelt kommt, ist zu bezweifeln, zumal ja der Klappentext der Platte zweimal daraufhin weist, dass

604 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: I bin da Teife. Fäustling. 605 Amlinger: Strukturen, S. 155. 163 dem nicht so ist. 606 Vielmehr ist er ein Anti-Spießer, ein Rebell gegen das System, der in jedem von uns steckt oder zumindest hinter uns steht. Ein Teufel ist er in einem gesellschaftlichen Sinn, denn er steht jenseits der Konvention und des Anstandes. Der Teufel aus Fäustling ist, wie sich noch herausstellen wird, eine durchaus fassbare Figur. Das hängt damit zusammen, dass jegliche Religiosität des Originals verbannt wurde. So gehört der Teufel hier nicht wie Mephistopheles „in den Weltplan Gottes.“ 607 Auch bei Grete fällt die religiöse Komponente weg und wird durch gutbürgerliche Ordnung ersetzt. In Fäustling geht es um eine Rebellion gegen die von Konventionen durchdrungene Gesellschaft. Aus diesem Grund sagt der Teufel auch „Na!“ und vertritt sein Credo:

Nix Guates is so guat, dass is Schlechte net vü aungenehma waa.608

Der Teufel ist nicht wie Mephistopheles eine destruktive Kraft, sondern jemand, der von einer destruktiven Kraft durchdrungen ist. Von einem verneinenden Geist erfüllt, stellt er sich gegen die Gesellschaft mit ihrem Schöntun, Ja-Sagen und ihrer Bigotterie. 609 Eine Haltung, die Fäustling sofort überzeugt. Denkbar kurz ist auch die Pakt-Szene. Der Teufel führt Fäustling noch einmal prägnant sein langweiliges Dasein vor Augen, um ihm dann vom „anderen“ Leben vorzuschwärmen:

Eiso, Feistling, do bin i jetzt. I hob gheat, Dia is fad in gaunzn Tog. Des is vaständlich, des is kloa, waunn ma in ana Schreibstum sitzt, sei Leem laung no niagends woa und nix tuat außa Bleistift spitzt, si einschließt und si isoliat, deaf ma si net wundan waunn nix passiat. Oba des, i sog das glei kaunn muagn scho gaunz aundas sei. Wiast auf Bälle geh, auf Parties; in da Oper nua easchte Reih, wiast steh vielleicht beim Adabei wiast mit scheene Fraun redn, lässig sitzn in da ‚Edn‘, und pea du sei mit an jedn. 610

606 „’Der Teufel’, eine zwielichtige Person außerhalb des Establishments [...].“(Baumgartner: Wolfgang Ambros als Teufel?), „Der Teufel, eine undurchsichtige Erscheinung aus dem ‚Underground’ [...].“ (Ebd.) 607 Trunz: Nachwort, S. 482. 608 Prokopetz u. Ambros: Teife. 609 „Wos hätt de Kiachn fiar an Sinn, waunn i net waa, waunn i net bin?“ (Ebd.) 610 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 164

Fäustling reagiert begeistert. Diese Welt war ihm bis jetzt verschlossen. Euphorisch entgegnet er dem Teufel: „Jo, zum Teife, Teife, des mochats du fia mi!“ 611 Mit einer Flasche Wein wird ihr Vorhaben, der Teufel spricht von einem Vertrag, besiegelt und gefeiert. Mit aneinanderstoßenden Gläsern, gefüllt mit einem „Gumpoldskirchner“, beschließen sie ihren Pakt – ohne Wette, ohne Haken. Das erste Abenteuer, in das der Teufel Fäustling führt, ist der Heurigenbesuch am nächsten Tag mit den Nachbarn. Der Teufel verspricht Fäustling, dass er die Nachbarn unter den Tisch trinken wird. Dass er damit erneut eine isolierte Stellung einnimmt, ist Fäustling allerdings nicht bewusst. Die Szene beim Heurigen selbst führt die Wiener Heurigenseligkeit ad absurdum, ja entlarvt letztere in ihrer Scheinheiligkeit – ohne dabei mit typisch wienerischen Musikelementen zu arbeiten. Die Szene teilt sich in zwei Songs – beim Heurigen wird ja gerne gesungen: „Es is jo net, dass ma redt“ (Chor) und „Prost, Prost, Prost“ (Fäustling, Teufel, Chor). Das erste Lied wird noch vor Erscheinen Fäustlings und des Teufels von den Nachbarn gesungen. Die Smalltalk-Formelhaftigkeit ihrer Sprache aus dem Osterspaziergang wird nun noch potenziert und mutiert dadurch zu Nonsensfloskeln. Texter Prokopetz reiht gängige Phrasen aneinander und versieht jede Strophe mit der Rephrainzeile: „Es is jo net, dass ma redt, ma sogt jo nua!“ 612 Das Amüsement beim Heurigen besteht also nur darin, dass man möglichst viel Alkohol konsumiert und der Phrasendrescherei, in der man gefangen ist, ungezügelten Lauf lässt, weil man auch gar nicht mehr anders kann. Die Nachbarn stehen also für eine sprachgelähmte, wenn nicht sogar tote Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die auf hohle Phrasen immer dieselbe Antwort gibt. Eine Frauenstimme singt die Smalltalkphrasen und der Chor gibt mit der Rephrainzeile die immer gleiche sinnentleerte Antwort:

Sogns amoi, haum Sie scho gheat? No, wos sogn Sie dazua? Wos ma von de Leit so heat. Es is jo net, dass ma redt, ma sogt jo nua! […]

Eiso is denn des zu glaum? No, wos sogn Sie dazua? Wos si de Leit heit ois ealaum. Es is jo net,

611 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 612 In diesem Kontext sei kurz verwiesen auf das „Graf-Bobby-Lied“, das Peter Alexander und Gunther Philipp in dem Film Die Abenteuer des Grafen Bobby (1961) singen, das den Kehrreim „Bitteschön, ma sagt ja nix, ma redt ja nur davon“ beinhaltet. 165

dass ma redt, ma sogt jo nua! […]

Hot de Wöd scho sowos gsegn? No wos sogn Sie dazua? Zu meina Zeit hätts des net geem. Es is jo net, dass ma redt, ma sogt jo nua! 613

Was man von den Leuten so hört, was sich die Leute heutzutage alles erlauben, zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben – gegen diese Haltung nimmt der Austropop Haltung ein. 614 Gebrochen wird diese unselige Heurigenseligkeit durch den Teufel und Fäustling. Nach „Es is jo net, dass ma red“ 615 erschallt ein alkoholschwangeres, männerstimmiges Grölen: „Prost, Herr Referent!“ Nun setzt sogleich das Lied „Prost, Prost, Prost“ ein. Fäustling begrüßt seine Nachbarn und „Spezis“, besingt das gemeinsame Trinkvorhaben und stellt seinen Freund vor, dem von den Nachbarn ebenfalls gleich zugeprostet wird. Der Teufel versucht dieselbigen davon zu überzeugen, dass Fäustling wesentlich mehr Alkohol verträgt als sie, doch sie schenken ihm keinen Glauben. Die raue, aggressive Stimme des Teufels zerstört nun jegliche durch das Wienerlied schon so verkitschte weinselige Atmosphäre, in dem sie mit derbem Dialekt verkündet und beinahe Ekel im Hörer erregt:

Wos - es glaubts net, dass dea mea vatrogt, mea, eis wiar es Nochban pockt? I sog eich untan Tisch werds knotzn, fett, eis wia de Heislrotzn, jo! Geht’s, kummts zahts au und bringts an Wei, tummets eich, kummts grennt. 616

Das Lied klingt in allgemeinen „Prost!“-Rufen, Gelächter und Gegröle aus, während die Musik ausfadet. Die Szene endet damit, dass die Gläser auf einmal ausgetrunken werden – „auf ex“. 617

613 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Es is jo net, dass ma red. Fäustling. 614 Prokopetz pervertiert die Phrase „Ma sogt jo nur“ nahezu. Diese umgangssprachliche Wendung impliziert für gewöhnlich, das genaue Gegenteil: Man sagt seinem Gegenüber nicht „nur“, sondern „sehr wohl“ die Meinung. In dem, dass Prokopetz den Satz „Man sagt ja nichts, man redet ja nur“ sozusagen umkehrt und dem „Ma sogt jo nur“ sozusagen die Bedeutung von „man redet nur“ unterschiebt, führt er die Phrasenhaftigkeit und auch Falschheit der Gesellschaft satirisch hinters und zugleich ins Licht. 615 Diese Schreibweise beruft sich auf jene des Titels im Inneren der Plattenhülle. 616 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Prost, Prost, Prost. Fäustling. 617 Vgl. Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 166

Nach „Auerbachs Keller“ zieht Mephistopheles mit Faust in die Hexenküche, wo letzterer einen Verjüngungstrank zu sich nimmt, durch den Faust empfinden wird, „wie sich Cupido regt und hin und wider springt.“ 618 Fäustling kommt in keine Hexenküche, aber zu einer Hexe der anderen Art, zu einer Friseurin, Frau Smeditschek, auch sie ist eine Verbündete des Teufels, die die Wiener Massen-Einförmigkeit der Gesellschaft geißelt und zugleich ein Opfer dieser ist:

Oiso, i waaß goa net warum des Gschäft in Wien net geht. [...] Ob und zu is ana do, dea deppat umanaundasteht, de Sochn odoppt mit de Händ, oba kaufn duat a net. Wos kaufn dan de gaunzn Scheißa is de gleiche graue Schoin aus de Massnkleidaheisa. Ach Gott, da Teife soi des hoin! 619

Das ist das Stichwort für den Teufel den Laden von Frau Smeditschek zu betreten. Fäustling soll hier nicht nur ein neuer Haarschnitt verpasst werden, sondern er soll quasi einer Gesamtrenovierung unterzogen werden. „Hexe“ Smeditschek’s Kur wird mit dem ruhigen Aufzähllied „A Kopf ohne Haar“ zum Ausdruck gebracht, in dem es mit Hilfe von zahlreichen Vergleichen darum geht, dass die Haare das Essentielle an einem Kopf sind. 620 Mit einer leicht gespenstischen Beschwörung lässt sie Fäustlings Haarpracht neu erstehen:

618 Goethe: Faust, S. 84. 619 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 620 „Wiar a Wiesn ohne Gros, wiar a Fensta ohne Glos, wiar a Zaun ohne Lottn, wiar a Liacht ohne Schottn, wiar a Ua ohne Zeiga, wiar a Geign ohne Geiga, wiar a Laut ohne Ton, wiar a Kenich ohne Thron, wiar a Noanhaus ohne Noa is a Kopf ohne Hoa.

Wia da Adam ohne Eva, wiar a Schof ohne Schäfa, wiar a Lochn ohne Freid, wiar a Lebn ohne Zeit, wiar a Fisch ohne Teich, wiar a Begräbnis ohne Leich, wiar a Feia ohne Rauch, wiar a Blaada ohne Bauch, wiar a Greißla ohne Woa is a Kopf ohne Hoa.“ (Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: A Kopf ohne Haar. Fäustling.) 167

Du bist net reich und host kaa Mutta, am Kopf kaane Hoa, sondan nua Butta. Drum soins wieda wochsn deine Hoa, sötsauma Weise und wundaboa. 621

Nach dem das elegisch-mysthische Lied verklungen ist, ertönt ein Ruf Fäustlings: „Prack!“ 622 . Sogleich setzt mit Schlagzeuggetrommel das bisher rockigste Lied ein und Fäustling bejubelt selbstbewusst sein Haar:

No, oba, jetzt bin i auf Zack; endlich wieda Hoar aum Kopf, bin i net a fescha Knopf? Jo, meina Söh, siech i denn recht? De san jo no dazua gaunz echt! No, oba, jetzt bin i beinaund, da schönste Mau im gaunzn Laund. 623

Ausgestattet mit diesem Selbstbewusstsein fasst Fäustling Mut sich dem weiblichen Geschlecht anzunähern. Noch dröhnt der temporeiche Rocksong „Prack!“ in den Ohren, folgt schon die erste Begegnung mit Grete, der Sekretärin. Mit Grete wird der Grundkonflikt dieses Hörspiel nun zur Gänze evident: Die Dissonanz zwischen dem „System“ (Spießbürger, Massenkonsum, Uniformität, Ordnung) und dem „freien Leben“ (Zügellosigkeit, eigener Wille, Individualität, Chaos). Fäustling lernt Grete auf der Straße kennen. Das Zwitschern der Vögel verweist auf den Frühling und die aufkeimende Liebe. Aber Autogeräusche und Geräusche, wie sie aus einer Werkstatt dringen, brechen diese Idylle ein wenig. Fäustling bietet Grete an ihre Tasche zu tragen und bittet sie ziemlich ungestüm oder wie Grete es empfindet „nonchalant“ 624 , zu einem „Rand“ 625 (Rendezvous). Grete willigt nach kurzem Überlegen ein. Der Dialog findet seine Fortsetzung in dem Duett „Halb Acht“, das unter anderem verrät, dass Fäustling bezeichnender Weise in der Goethegasse wohnt. Das Duett treibt sowohl musikalisch als auch textlich die Handlung voran. Die Musik – nicht so rasant wie „Prack!“, aber nicht ohne Tempo – trägt die beiden zur anderen Szene. Und der Text beinhaltet mehr als das Fixieren von Zeit und Ort des Rendezvous. Das Liebesduett beginnt mit einem Trommelschlag – dieser unterstreicht Fäustlings Erstaunen darüber, dass sich Grete tatsächlich mit ihm treffen will. Fäustling beginnt:

621 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 622 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Prack. Fäustling 623 Ebd. 624 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 625 Ebd. 168

Gehts vielleicht muagn auf d‘Nocht, so zwischn siem und ocht.

Kommans afoch glei zu mia, i wohne Goethegassn via, easta Stock, Tüa Numma drei. Schauns, es jo nix dabei. 626

Grete beschwichtigt mit Koketterie:

Gaunz so afoch is des net, weu mei Freind, dea auf mi steht, dea kummt muagn aa zu mia. I meak ma Goethegossn via, easta Stock, Tüa Numma drei und vielleicht schau i vuabei. 627

Nun bestätigt sich, was sich bereits bei Fäustlings Einladung angedeutet hat, als Grete sagt: „Muagn auf d’Nocht waa i fost frei.“ 628 : Sie hat einen Freund, der sie besuchen kommt. Dennoch scheint sie sehr offen zu sein das Rendezvous mit Fäustling einzuhalten und schließlich ist ja nichts dabei. Dass sie aber nicht nur „vielleicht vorbeischauen wird“, bekräftigt sie im gemeinsamen Schlussgesang, der einmal und die Schlusszeile „es is jo wirklich nix dabei“ 629 insgesamt gar fünfmal wiederholt wird:

Muagn auf d‘Nocht um hoib ocht, in da Goethegassn via, easta Stock, Tüa Numma drei es is jo wirklich nix dabei. 630

Der nächste Kurzdialog ist lediglich eine Brücke zum nächsten Song. Fäustling fragt Grete nach ihrem Beruf. Sie sagt, dass sie Sekretärin im Büro ist, stenographiert und ab und an auch auf der Schreibmaschine tippt. Damit ist das Stichwort gegeben für den Song „Wia in ana Schreibmaschin“, der nicht nur ein Abkömmling des Metier- und Standesliedes ist, sondern die unbewusst fatale Ich-Beschreibung eines geregelten, geordneten Lebens, das vom Beruf diktiert wird. Die Religiosität und Frömmigkeit von Goethes Margarethe wird hier zu einer

626 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Halb acht. Fäustling. 627 Ebd. 628 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 629 Prokopetz u. Ambros: Halb acht. 630 Ebd. 169 spießerhaften Ordnung umgewandelt. Der flotte rockig-poppige Song wird mit aufrichtiger beruflicher Freude vorgetragen:

Uma ochte sitz i scho, auf mein Plotz im Büro, staub mei Schreibmaschin o, geh no amoi g’schwind auf’s Klo. Waunn i z’ruckkum, sog i: ‚So‘. Und daunn oaweit i scho. Jo, in mein Leb’n is a Uadnung drin, wia in ana Schreibmaschin. 631

Der Fröhlichkeit suggerierende Vortrag geht Hand in Hand mit der temporeichen Melodie, die aber paradoxer Weise damit auch die Kehrseite der Medaille ausdrückt: den immer gleichen Stress, den Fräulein Grete hat. Der von ihr gestellte Vergleich, in ihrem Leben ist eine Ordnung wie in einer Schreibmaschine, evoziert den Eindruck, dass sie selbst schon zur Schreibmaschine geworden ist. Doch ihre Lebensauffassung von Ordnung wird noch gesteigert. Das Lied bricht nämlich, es wechselt in einen ¾-Takt (genau jenes Thema, das in der Ouvertüre abgebrochen wird). Im Schunkel-„Um-pa-pa“-Rhythmus erscheinen die nun angeführten Zeilen noch fataler und aussichtsloser:

Wos bleibt ma denn scho üba, man muaß wos mochn auf da Wöd und drum oaweit jeda liaba ob as gean tut oda net.632

Gretes Welt- und Lebensbild ist ein fatalistisches. Weil man etwas tun muss auf dieser Welt, bleibt einem nichts anderes übrig, als zu arbeiten. Rationell betrachtet ist dagegen auch nichts einzuwenden. Diese – im Gegensatz zum Teufel und anderen Subkulturerscheinungen – konformistische Haltung ist jedoch insofern tragisch, weil Grete von sich auf andere schließt: Jeder arbeitet lieber – ob gerne oder nicht, weil man etwas tun muss. Ob das glücklich macht oder nicht, wird gar nicht in Frage gestellt; Grete nimmt damit also die genaue Gegenposition von Fäustling ein, der zwar auch keine Elementarfragen an sein Dasein stellt, aber dem zumindest bewusst wird, dass ihm langweilig ist. Mit der weiteren Beschreibung ihres Arbeitsalltags wechselt der Song wieder in den ursprünglichen Rhythmus und lässt Grete als eine Frau erscheinen, die aus ihrem hektischen Berufsleben das Beste macht und dennoch

631 Josef Prokpoetz u. Wolfgang Ambros: Wia in ana Schreibmaschin. Fäustling. 632 Prokopetz u. Ambros: Schreibmaschin. 170 froh ist. Ob es allerdings das Beste ist, sich eine Ordnung zu schaffen wie in einer Schreibmaschine, sei dahingestellt:

Is zweite Joa oaweit i scho bei Baumgoatna und Co., reib mi auf, hetz mi o, waunn wea auruaft sog i: ‚‘o‘. Und trotzdem bin i froh auf mein Plotz im Büro. Jo in mein Lebn is a Uadnung drin, wia in ana Schreibmaschin. 633

Doch diese Ordnung gerät – zumindest an der Oberfläche – ins Wanken. Die dritte Seite der Schallplatte beginnt mit einer Sexszene. Das erste, was auf Seite Drei zu hören ist, ist Fäustlings erotisierendes „Grete“ 634 und Gretes gehauchtes „Heinzi“ 635 . Dann vernimmt man ganz leise das Knarzen eines Bettes. Die beiden küssen sich, stöhnen und beginnen sich auszuziehen. Als das Öffnen eines Reißverschlusses zu vernehmen ist, lacht Grete. Die Erwartungshaltung des Hörers wird aber durch einen Song des Teufels unterbrochen. Plötzlich platzt Wolfgang Ambros’ raue Stimme – begleitet von harten Gitarrenschlägen - ins Geschehen:

A Nockate, jessasna! A Nockate und a Nockata. Wos de do mochn in den Bett – mit meina Frau gingat des net. I steh daneem und auf da Saaf, kaa Red bei mia von Wollust und Love. ... und darum is a nockata Hintan animalisch, a blaunka Busn direkt bestialisch. Jössas, is des unmoralisch, jössas, is des unmoralisch, animalisch, bestialisch, vaginalisch – unmoralisch, sexualisch, genitalisch, phallisch – unmoralisch. A Poanoheft, um Gotteswün, a Kino, wos an Sexfüm spün. A Bedienung obn ohne, nua es föhn ma hoit de Hormone. Kaa Libido und kaa Begean, kaa Grund fia mi, um geil zu wean. ... und darum is a nockata Hintan animalisch,

633 Prokopetz u. Ambros: Schreibmaschin. 634 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 635 Ebd. 171

a blaunka Busn direkt bestialisch. Jössas, is des unmoralisch, jössas, is des unmoralisch, animalisch, bestialisch, vaginalisch – unmoralisch sexualisch, genitalisch, phallisch – unmoralisch. 636

Dieser Song – Titel: „Unmoralisch“ – ist neben „A Meinung“ vielleicht der wichtigste aus Fäustling . Da es nicht anzunehmen ist, dass der Teufel kein Sexualleben führt, ist es auszuschließen, dass es sich hier um ein Ich-Lied aus Sicht des Teufels handelt. Es handelt sich viel mehr um das Rollenlied eines verklemmten Spießers. Oder eines sittentreuen Bürgers, der seine sexuellen Wünsche unterdrückt. Das Lied ist deshalb so wichtig, weil es große Eigenständigkeit besitzt und dessen Verständnis nicht unmittelbar auf die Handlung angewiesen ist. Trotzdem es die Handlung nicht weitertreibt, hat es für diese eine ganz entscheidende Funktion. Gehen wir den Song Schritt für Schritt durch. Erst einmal hat er eine kommentierende Funktion. Er erklärt, was wir nicht sehen können: zwei nackte Menschen. Aber schon in der ersten Zeile tritt die Rolle des verklemmten Moralisten zutage: er entrüstet sich über die Nackte: „A Nockate“ 637 - und hängt daran noch einen religiös- umgangssprachlichen Ausspruch: „jessasna“ 638 . Dann beschreibt er, dass auch ein nackter Mann bei ihr ist. In weiterer Folge wird uns der Sexualakt vermittelt – aus seiner „untentspannten“ Rolle heraus verweist er auf die Tätigkeit – ohne sie allerdings näher zu beschreiben – der zwei Nackten im Bett und gibt gleich zu verstehen, dass er so etwas mit seiner Frau nicht machen könnte, weil er impotent ist oder zumindest keine Libido hat beziehungsweise ob seine Frau keinen Antrieb für Geschlechtsverkehr und er dadurch keinen Grund mehr hat um in Erregung zu gelangen – das bleibt offen. 639 Daraus resultiert seine Verteufelung der Sexualität. Die zweite Strophe ist nur die nochmalige Bestätigung des bereits Gesagten und potenziert seine Situation – von Grete und Heinz haben wir uns längst verabschiedet. Doch am Ende des Liedes übermannen ihn seine Triebe. Beim Rephrain skandiert er – immer schneller werdend - nochmals:

animalisch, bestialisch, vaginalisch – unmoralisch, sexualisch, genitalisch, phallisch – unmoralisch. 640

636 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Unmoralisch. Fäustling. 637 Ebd. 638 Ebd. 639 „Wos de do mochn in den Bett – Mit meina Frau gingat des net. I steh daneem und auf da Saaf, kaa Red bei mia von Wollust und Love.“ (Ebd.) 640 Ebd. 172

Aus diesen Wortkaskaden wird ein Trällern und daraus entwickelt sich letztendlich ein beinahe eunuchenhaftes Stöhnen. Mit einem Stöhnen endet dann auch der Song 641 , der in seiner rollenhaften Eigendynamik paradoxer Weise die Handlung zusammenhält, denn die nächste Szene ist die „Walpurgisnacht“ – und von jetzt an bricht das Hörspiel beinahe auseinander und wird nur mehr von Rudimenten an Handlung und Charakteren zusammengekittet. Doch mit der Walpurgisnacht aus Faust hat die Fäustling -Walpurgisnacht nichts mehr gemein außer dem Chaos und die leidenschaftliche Erfahrung, die der Protagonist daraus zieht. 642 In Fäustling erwacht nun aber nicht das Böse, sondern der Mensch, dem das geordnete Leben seiner Grete ein Graus ist. Aber wir greifen bereits vor. Wie wird die Walpurgisnacht in Fäustling transformiert? Wie schon gesagt, die Handlung und die Illusion brechen auseinander. Auf „Unmoralisch“ folgt ein Intermezzo mit Titel „Utrilitten“ (von und mit Uzzi Förster, der auch die Rolle des Erdgeists spielt). Es handelt sich dabei um einen sinnfreien sprachlichen und musikalischen Kauderwelsch, der in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der eigentlichen Handlung steht. Ein Spiel im Spiel, das illusionsbrechend eingeleitet wird, in dem sich die Mitwirkenden der Produktion fragen, ob schon alle da sind. Es stellt sich heraus, dass Uzzi Förster fehlt, der aber schon zur Stelle ist, alle mit „Amigos. Ha. Hallo!“ 643 begrüßt und sich dann mit der Ansage „Alles auf dieser Welt ist Utrilitten“ 644 in das sprachlich-musikalische Experiment „Utrilitten“ stürzt, dessen tieferer Sinn einem verschlossen bleibt und das, wie es scheint, auf absolutem Wahnsinn gründet. Ähnlich wie bei Der Watzmann ruft ist es jedoch nicht von Belang herauszufinden, wie der Nonsens gedeutet werden kann; das Entscheidende ist, dass es Nonsens ist und virulenter ist es zu fragen, warum er angewendet wird. „Utrilitten“ ist eine sprachliche Explosion, die es nicht zielführend wäre zu transkribieren – eine leidenschaftlich vorgetragene (von Acapella über operngesangsartige Gebärden bis zu Scat-Gesang), schon vom Sprachduktus her höchst klingende und rhythmische, scheinbar beliebige, aber dennoch durchkomponierte Aufeinanderfolge von Konsonanten und Vokalen, die in keiner Sprache der Welt einen Sinn

641 Derartige sexuelle Freizügigkeit ist im Austropop sonst nur mehr bei Georg Danzer zu finden. Beispiele wurden schon genannt. Als Exempel, die ihren Vortrag mit eindeutigen Geräuschen garnieren seien „Pornographie“, „Sexi Exi“ ( Feine Leute , 1979), „Bitte tu mir weh“ ( Notausgang , 1979) und „Ich denk an Sex“ (Kreise , 1992) genannt. Wie die letzten zwei Rollenlieder steht auch „Unmoralisch“ für sich und ist über Fäustling hinaus ein Tabus aufgreifender und – mit Sprachgewalt (von „animalisch“ über Neologismen wie „sexualisch“ zu „phallisch“ und „unmoralisch“) brechender Song. 642 „Fausts erstes großes Erlebnis seiner Weltfahrt ist ein Erlebnis der Leidenschaft. Was bisher als Handlung erschien, erscheint jetzt als Symbolik. Goethe scheut nicht, die Erotik in Faust auszusprechen, aber [...] nicht als Realität, sondern als Symbolik, und nicht im menschlichen Bereich, sondern in dem der Geister. Walpurgisnacht ist Sinnlichkeit; nicht an sich böse, sondern durch das, was der Mensch daraus macht.“ (Trunz: Anmerkungen, S. 566.) 643 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 644 Ebd. 173 ergäbe, in der universalen Sprache des Chaos allerdings schon. Musikalisch reicht das Spektrum von Marschklägen bis Jazz. Man ist – betrachtet man die musikalische Sprache – geneigt einen Vergleich zu Jandl anzustellen, „dessen kühne, irritierende, beunruhigende Experimente der Sprachverformung und Sprachentblößung Wirklichkeitsveränderung intendieren.“ 645 Das ist gar nicht so weit hergeholt, wenn man an die Wandlung von Fäustling denkt, der „Utrilitten“ auch miterlebt und sich dann vom geordneten Leben gänzlich abwendet. Die literarische Tiefe eines Jandl erreicht Förster hier jedoch freilich nicht, was aber auch nicht intendiert ist. Am Ende des mehrminütigen Intermezzos steigert sich das Tempo von Musik und Vortag immer mehr, bis aus dem Sprechgesang schließlich exzessive Schreie werden. Danach sagt Förster wie ein Radioansager: „Sie hörten so eben Utrilitten.“ 646 Doch damit ist das Intermezzo noch nicht beendet. Nachdem mit „Utrilitten“ Jandl und Mayröcker ähnlich – nur auf einer anderen literarischen Ebene – das Hörspiel „seiner Theaterbezogenheit, der Gebundenheit an die Fabel beraubt und als Spiel der Stimmen oder, wie Jandl es ausdrückt, als Komposition gleitender Inhalte und Wortgeräusche der rhythmischen Musik angenähert wird“ 647 , wird der Illusionsbruch von vorhin wieder aufgenommen. Die Mitwirkenden stellen nämlich fest, dass noch einige fehlen. Es tauchen ihrer zwei auf und der Chor brüllt: „Da Hausna [Produktionsleitung] und de Angelika [Frau Smeditschek]!“ 648 . Fäustling fragt:

Na und auf wem woat ma jetzt? Wea föd uns no zu guata letzt? 649

Worauf der Chor lauthals antwortet: „Da Ambros und da Prokopetz!“ 650 Damit bringen sich die Autoren selbst ins Spiel ein.

645 Klinger: Lyrik, S. 216. 646 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 647 Klinger: Lyrik, S. 226. 648 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 649 Ebd. „Utrilitten“ ist somit Popkultur in Reinkultur, wenn man Pop als Haltung beziehungsweise Agitation für beziehungsweise gegen etwas definiert. Und Fäustling ist Pop – das ganze Hörspiel ist ein Plädoyer gegen gemaßregelte Massenuniformität. „Utrilitten“ drückt das auf künstlerischer Ebene aus – und zwar dreifach: 1. Es sprengt die Handlung. Die durchgängige Fabel wird aufgegeben um einem Spiel im Spiel Platz einzuräumen, das aber natürlich nicht ohne Sinn für den Rest der Geschichte ist. 2. Es versucht mit Sprache die Enge der Sprache zu überwinden, was dazu führt, dass dieses Gesamtkunstwerk in Schreien endet. 3. Es bricht gängige Songdramaturgien und –Strukturen auf – sowohl kompositorisch als auch textlich. Die Maßregelung der durchgehenden Story wird mit „Utrilitten“ aufgebrochen – alles Vorbildhafte und Traditionelle wird damit verworfen, wie wohl zu bedenken ist, dass schon Goethes Faust durchaus gegen die klassische Fabel rebelliert. 650 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 174

Bevor die Handlung aber weiter auf Fäustlings „Katharsis“ zuläuft, werden noch zwei für sich stehende Intermezzi eingeschoben. Das erste ist der elegische, vom Chor vorgetragene, psychedelisch anmutende Song „De Zeit“:

Stundn schleichn und vaseichn die Zeit, die do vageht. Wos aundas net - nua Zeit.

Naumanlos und unbekaunnt vageht a Sekundn in da Haund. Wos passiat von frua bis spät is nua die Zeit, de wos vageht.

A Tropfn Zeit wiad Ewigkeit. Die Zeit, die do vabliat mit jedn Schriat, mit da Zeit. Und kaum wiad ma gebuan muaß ma scho wieda owe in de Gruam. Wos passiat von frua bis spät is nua die Zeit, de wos vageht.

Die Ua tickt stua an Rhythmus nua zua Zeit. Und se geht stumpf unta im Sumpf, die Zeit. Monoton und vazearend gehts imma wieda, bleibts vahearend. Wos passiat von frua bis spät is nua die Zeit, de wos vageht. 651

Der Song fadet aus und das dritte Intermezzo folgt: „A Meinung“. Als Einleitung zu diesem Song ertönt eine Männerstimme und verkündet: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass man denen, die im Allgemeinen der Meinung sind eine Meinung zu haben, einmal die Meinung sagen sollte.“ 652 Die in der Stimme transportierte Würde und der hallende Raumklang gemahnen sprechtechnisch und stilistisch an Reden von Bruno Kreisky. Allerdings scheint der

651 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: De Zeit. Fäustling. 652 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 175

Redner keine Zuhörer zu haben. Weitergeführt und atmosphärisch konterkariert durch das – im positiven Sinn - gitarrenlastige „A Meinung“, für das der Teufel in die Rolle des „Hadernmanns“ schlüpft. Dieser Song steht den „Gitarreliedern der kritischen Liedermacher [nahe].“ 653 Der Hadernmann/Teufel sammelt „Meinungen, die nichts mehr wert sind“ 654 . Meinungen, derer, die im Allgemeinen keine und auch keine individuelle Meinung haben. „Der Refrain erinnert an Rufe der Wiener Lumpensammler, die alte Kleidung und Leinenlumpen, die zur Papierherstellung verwendet wurden, sammelten [...]“ 655 :

A Meinung, de in Aktntoschn, sie in Stroßnbaunen staut, de in vahatschtn Füzpantoffen aus oide Schlofreck fiareschaut. De si jedn Tog in de Wiatsheisa duach a Bialockn schleifn losst und de si von an jedn Spotzn vom Doch owa pfeifn losst. Fetzn, Lumpn, Hodan, da Hodanmau is do, kummts olle hea und lodts eicha Meinung auf mein Haundwagl o. A Meinung, de in dunkle Heisa ozöht und vawoitet wiad, de mar aum Sunntog beim Spaziangeh fiarehoit und strapaziat. De jedn Tog in rotn Lettan in iagendana Zeitung steht und de ohne Schwiarichkeitn, jedn Tog zum Ändan geht. Fetzn, Lumpn, Hodan, da Hodanmau is do, kummts olle hea und lodts eicha Meinung auf mein Haundwagl o. A Meinung, de in Soidotnstiefen, in Reih und Glied aufmaschiat, und de in enge, finstare Gossn, imma floch tretn wiad. Und de si gaunz afoch in da Nocht in iagendan Hintahof vakriacht und de si aun an Wochntog vuam Auntwuatgeem fiacht. Fetzn, Lumpn, Hodan, da Hodanmau is do, kummts olle hea und lodts eicha Meinung auf mein Haundwagl o. 656

653 Pfeiler: Austropop, S. 161. 654 Ebd., S. 162. 655 Ebd., S. 161. 656 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: A Meinung. Fäustling. 176

Die Wirkung, die diese Intermezzi in Fäustling evoziert haben, entfaltet sich in den letzten beiden Szenen. Vor Fäustlings Schlussmonolog kommt es noch zum Bruch mit Grete. Zwei Weltanschauungen prallen aufeinander. Die Szene beginnt mit Schlüsselgeräuschen, dem Öffnen einer Türe, dem Betreten der Wohnung und dem Ablegen der Schlüssel. Heinz fragt sie erstaunt, mit sarkastischem Unterton:

Jo, wos isn los? Wia kummst denn du dahea am Vormittag um die Zeit? Gehst du net in d‘Oabeit heit? Des deafats oba net geem in an uandlich gfiatn Leem. 657

Grete versichert ihm, dass ihr Chef so blöd ist, dass er ihr Fernbleiben gar nicht registriert. Der Hang zur Unordnung, der sich beim Kennenlernen der beiden angekündigt hat – trotzdem sie einen Freund hat, der auf sie steht, wie sie sagt, lässt sich sehr schnell von Fäustling zu einem Rendezvous überreden – kommt nun wieder zum Vorschein. Grete scheint also doch keine Schreibmaschine zu sein. Doch schon mit der Erwiderung Fäustlings schlägt die Stimmung um. Fäustling reagiert aggressiv:

Hea auf! Des intressiat mi net. I woa gestan mit Menschn zaumm de gaunz aundas ois du san. De redn net nua vom Büro, wos oabeitn und vadiena dan und so, de frogn mi net von wos i leb und wos i tua, de segn ia Leb und des is gnua, de sitzn aa net uman Tisch, redn vü und sogn nix, de haum kaa Uadnung, oba Zeit und san ma übahaupt liaba ois de aundan Leit. 658

Hier kommen nun alle drei Intermezzi zum Tragen: Die Freiheit und Ungezwungenheit von „Utrilitten“, das Bewusstsein der Vergänglichkeit und dass die Zeit nicht von der Uhr regiert zu werden braucht („De Zeit“) und die Individualität jedes Einzelnen („A Meinung“). Fäustling verwendet zum ersten Mal das Wort „Mensch“ in Bezug auf seine Mitmenschen. Das Wort „Leute“ wendet er am Schluss dieses kleinen Monologs auf jene Ordnungsbesessenen an, die viel reden und nichts sagen und damit keine Meinung haben, auch wenn oder gerade weil sie wie seine Nachbarn nach dem Credo „Es is jo net, dass ma

657 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 658 Ebd. 177 redt, ma sogt jo nua“ 659 untereinander kommunizieren. Die drei Intermezzi waren Fäustlings Walpurgisnacht. Sein Inferno-Erlebnis. Und nicht nur jenes von Fäustling. Der entscheidende Punkt ist, dass sich die Mitwirkenden Förster, Hausner, Schütz, Ambros und Prokopetz selbst ins Spiel bringen. Das kann natürlich als bloßer Spaß angesehen werden, der nicht überbewertet werden soll. Mag sein. Wichtiger aber ist der daraus resultierende Effekt: Erstens, der die klassische Fabel zerstörende Illusionsbruch, zweitens: Ambros, Prokopetz und Konsorten werden selbst zur Handlung und vermitteln so dem Hörer, dass sie ebenfalls Teil dieser handlungsimmanenten Subkultur, der sich Fäustling anschließt, sind. Und diese Subkultur ist Austropop. Durch die Selbstständigkeit und Eigenständigkeit der Intermezzi wird der Hörer selbst zu Fäustling beziehungsweise zum unmittelbaren und direkten Adressaten, der selbst die abgetragenen, aufoktroyierten Meinungen aus der Geschäftswelt, der Halböffentlichkeit eines Wirtshauses, aus der Zeitung 660 oder die konforme Meinung des Militärs vertritt. Das soll nicht die Meinung von Fäustling sein und auch nicht die des Hörers. Individualität vor Konformität. Und das versucht Fäustling seiner Grete klarzumachen. Unverständig fragt sie ihn, warum er ihr das alles erzählt, worauf er mürrisch antwortet: „Weu i aa so leem wü!“ 661 Grete ist fassungslos, doch Heinz macht ihr deutlich, dass für sie beide kein gemeinsames Leben möglich ist. Er möchte nicht mit einer Schreibmaschine zusammensein, er möchte viel lieber auf einer Parkbank in der Sonne sitzen 662 , „aa waunn i dabei vakumm“ 663 . Fäustling holt nun zum Schlag gegen Gretes Weltbild aus. Er kritisiert die Sinnlosigkeit von Gretes Dasein, in dem er ihr ihren und den Tagesablauf vieler vor Augen hält:

Aus wos bestehtn dei Ordnung am End? Dass ma um ochte in da Frua in iagend a Büro rennt, duatn bleibt bis auf d’Nocht, si daunn vuan Fernseher hockt, sonst nix mocht außa scheißt und brunzt - Grod so ana lebt umasunst. 664

Man beachte das Wort „Ordnung“, das als einziges Hochdeutsch gesprochen wird. Die hier angesprochene Kritik beinhaltet alles, was Austropop ausmacht: Haltung gegen das geordnete Establishment und Entindividualisierung – ausgedrückt in einer dialektalen Umgangssprache,

659 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 660 Jahre später besingt Ambros dieses Thema noch einmal in dem schon zitierten Song „Zeitung“. 661 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 662 Vgl. ebd. 663 Ebd. 664 Ebd. 178 die auch vor Wortfäkalien nicht zurückschreckt. 665 Ganz im Gegensatz zu Grete, die sich standesgemäß kleinbürgerlich entrüstet:

Heast, des is jo a Skandal, du bist jo richtich asozial! 666

Asozial ist hier aus ihrer spießbürgerlichen Haltung heraus als gesellschaftsschädigend aufzufassen. Von einer Baalschen, nihilistischen Asozialität ist Fäustling eigentlich das genaue Gegenteil, denn ihm geht es um den Menschen und das Menschlichsein. Der erste Protest Gretes ist ein egozentrischer. Sie entrüstet sich darüber, dass sie sich für so einen „Gammler“ wie Fäustling einen Tag vom Büro freigenommen hat. Daraus entwickelt sich ihr Wortschwall zu einer Kaskade an Klischees – sie schimpft auf „Obezahra“, die stinken, auf Untüchtige und Rauschgiftsüchtige, um so den Bogen zu Haschisch und Gruppensex zu spannen 667 – wie wohl Fäustling nichts dergleichen erwähnt hat – um zu der Erkenntnis zu gelangen: „Heinzi, heast, mir grausts vua dia!“ 668 Ihre Enttäuschung wird aber nicht allzu lange währen, denn sie gibt Fäustling zu verstehen, dass sie problemlos einen anderen finden wird.

665 Thematisch diesem Monolog ähnlich ist das bereits angeführte Lied „A Mensch mecht i bleib’n“ und „Die Freiheit“ von Hansi Dujimic, das auch Wolfgang Ambros für sein Album Mann und Frau (1989) aufgenommen hat: „Nua fia wos du eistehst und net nua wo dabeistehst – zöd! Ewoat da nix vom Leem gschenkt, eahoff net, dass a aundra fia di denkt. Die, die sogn, i wü mei Rua, schlogn si söbst die Tüan zua; jaumman, dass nix weitageht und dass niemaund sie vasteht.

Ref.: Die Freiheit, die ma wü, muaß ma sie nehman, de kriagt ma net zu kaufn und net gschenkt; die Freiheit, noch dea wia uns olle sehnen, die hat nua dea, dea fia si söba denkt.

Nua wos di des Leben leat, wos ma in kaana Schuiklass heat – des zöd! Drum geh dein Weg und hoit di grod, wia ana, dea nix zu valian hod. Nua net aufgeem, resignian und nua des Feansehn konsumian - so gehts dia dei Lebtog schlecht, so bleibst du dei Lebtog Knecht. [...].“ (Hansi Dujimic: Die Freiheit. Mann und Frau. Amadeo 1989.) 666 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 667 Vgl. ebd. 668 Ebd. 179

Und während Grete einen anderen finden wird, hat Fäustling schon längst zu sich gefunden. Sein Schlussmonolog ist dramaturgische Klammer zur Anfangsszene. Aus Uniformität wurde Individualität, die über die Erlebnisse mit dem Teufel hinaus gehen. Fäustling hat zum Menschsein gefunden. Er ist aus seinem Job ausgestiegen und räsoniert fröhlich vor sich hin – nicht ohne Häme denkt er daran, dass jetzt jemand anderer an seinem Schreibtisch sitzt – und kommt zu der Einsicht:

Ans waaß i oba und des is gwiss: Wia ma söba net sei mecht, woin de aundan, dass ma is. 669

Ein hochliterarischer Satz: „Ans waaß i oba“ impliziert, dass Fäustling nicht allwissend ist, aber Selbstbewusstsein und Gewissheit erlangt hat: Die anderen, die vermeintlich Stärkeren, wollen, dass man so ist, wie man selber nicht sein möchte. Die Starken „wollen“ und das schwache Individuum „möchte“ bloß, aber Fäustling hat individuelle Stärke entwickelt, denn ihm ist bewusst geworden, dass alle Menschen gleich sind – aber Individuen über alle Berufs- und Einkommensgrenzen hinweg:

Oba kaana is so schlecht wiar a gean sei mecht und niemaund is so guat wiar a mocht und wiar a tuat. Ob Schuasta oda Fassldipla, Mistkiwestira, Millionea oda Leichnfledara, Pforra oda Totngräba, ob Aungeklogta oda Richta, Musikant oda Dichta, Tschecharant, Haschischraucha, Vaschwenda und Normalvabraucha; Sandla oda Genaral, des is ois gaunz egal, des is ois einerlei; a Mensch und menschlich muaß a sei! 670

Mit einem pompösen Orchestereinsatz wie in der Ouvertüre (dieselbe Passage wie nach dem Abbruch durch den Dirigenten) wird diese Einsicht bekräftigt und das Hörspiel Fäustling beendet.

669 Prokopetz u. Ambros: Fäustling. 670 Ebd. 180

5.3.6. Auf der Suche nach dem Individuum

die autobusgarage am neusserplatz. verlassen. die leeren wagen. stille. mitternacht. schwacher lichtschein. ein mensch irrt verloren zwischen den hohen wagen herum. ein vorbeikommender wachtmeister horcht auf die hallenden schritte, bis er ihn entdeckt. wachtmeister: wos tan denn sie do? der mensch: i woat. wachtmeister: auf wos denn? der mensch: dass i zu mia kumm. wachtmeister: san se narrisch? der mensch: jo. wachtmeister: hüfe! der mensch: na. [...] 671

Der Beginn dieses Minidramas von Gerhard Rühm aus dem Jahr 1956 enthält in nuce die Kernthematik von Fäustling : Der Mensch auf der Suche nach sich selbst und das absolute Unverständnis der Gesellschaft, das ihm dabei widerfährt. Wie Rühm arbeitet Texter Prokopetz mit einer allgemein verständlichen Umgangssprache und scheut auch keine Derbheiten um seine Botschaft zu vermitteln: Egal welcher Beruf, egal welcher Stand und welche soziale Position, das Einzige, das zählt, ist, dass man Mensch und menschlich ist. Wie viele Volksstücke 672 unterhält Fäustling und belehrt, doch im Gegensatz zur Arena- Produktion war der Schallplatte und damit dem Hörspiel kein großer Erfolg beschieden. Fäustling erhebt allerdings nie den Zeigefinger zu hoch. Die rockige Musik und der Dialekt sind nicht nur Kitsch-Verminderer, sondern lassen auch die Moral nicht zu moralisch werden. Das Genre Travestie tut dazu sein Übriges. Doch Fäustling ist nicht nur Travestie, sondern auch Satire - auch im weitesten Sinn einer „Spott- und Strafdichtung“ 673 , deren Häme sich gegen Erstarrung und Ordnung wendet, eben eine „lit. Verspottung von Mißständen, Unsitten, Anschauungen, Ereignissen, Personen [...] usw. je nach den Zeitumständen, allg. mißbilligende Darstellung und Entlarvung des Kleinlichen, Schlechten, Ungesunden in Menschenleben und Gesellschaft [...].“ 674 Grete beispielsweise ist ein äußerst greller Un- Charakter. Selbst schon zur Schreibmaschine geworden, ist sie nicht mehr fähig aus ihrer bürgerlichen Scheinwelt auszubrechen - auch nachdem sie sich mit Fäustling eingelassen hat,

671 Gerhard Rühm: ich suche blumen im benzin. In: Ders.: Ophelia und die Wörter. Gesammelte Theaterstücke 1954 – 1971. Neuwied, Darmstadt: Luchterhand 1972, S. 100. 672 „The need to address a mass audience and the intent to promote change, whether within the individual or society as a whole, has led to the frequent description of the Volksstück as a combination of entertainment and didactism.” (Jones: Negation, S. 239.) 673 Wilpert: Sachwörterbuch, S. 809. 674 Ebd. 181 der letztendlich ein völlig anderes Weltbild lebt. Fäustling selbst durchläuft eine Asozialisierung, die ihn zu der Erkenntnis führt, dass nur das Menschsein zählt – mehr als die Mühlen des Berufs und des immer gleichen Alltags, der zur Verdummung führt. Die Geschichte dringt in den Hörer in einer Aufeinanderfolge von Monologen, Liedern und Dialogen ein. Der Rhythmus des gesamten Hörspiels erzeugt durch die oft sehr schnelle Abfolge der einzelnen Szenen und eingeschobenen oder weiterführenden Songs den Eindruck, dass man gemeinsam mit Fäustling durch die Handlung hetzt. Die Songs faden oftmals aus und die nächste Szene folgt sehr knapp darauf. Vor allem die drei – relativ unabhängigen – Intermezzi evozieren diesen Eindruck und steigern das Identifikationspotential im Hörer. Die Identifikation betrifft aber in erster Linie – denkt man an den Erfolg der Arena-Produktion – jene, die die Wandlung des Fäustling schon hinter sich haben und wohl nicht jene, die sie – aus Sicht der Autoren – durchlaufen sollten. Fäustling braucht aber um das Individuum in sich und anderen zu finden erst einmal die Hilfe des Teufels und dessen subkultureller Gemeinschaft. Daraus entwickelt er ein neues Lebensgefühl, das Lebensgefühl der Asozialen, wie Grete, die Inkarnation der erstarrten Gesellschaft, es empfindet. Seine aus bürgerlicher Sicht asoziale Haltung hingegen ist eine soziale: Seine Suche nach dem Individuum in sich endet mit einer der Menschengemeinschaft sehr zuträglichen Erkenntnis: Die Gemeinschaft der Menschen muss aus Menschen bestehen und nicht aus Leuten.

182

5.4. Der Watzmann ruft . Besserungsstück ohne Besserung

5.4.1. Der Mythos Watzmann

Der Watzmann ruft ist Kult. Worin dieser Kultstatus begründet liegt, weiß niemand so genau. Die Geschichte eines Bauernbubs, der den Watzmann erklimmen will, sich dabei vom Vater abwendet und in den Tod stürzt, dem aber der Vater schließlich auf den Berg folgt, ist eine der erfolgreichsten Ambros-Produktionen. Der Watzmann ruft ist mittlerweile, überspitzt formuliert, zu einem ebensolchen Mythos geworden wie der sagenumwobene Berg selbst. 675 Launig erzählt Prokopetz, dass der Watzmann wahrscheinlich nur entstanden ist, weil die Verantwortlichen ein Jahr lang in einer Art Alpendialekt miteinander gesprochen hatten, einer Sprache, welche laut Prokopetz die Blut- und Bodenarchaik im Alltag verkörperte. 676 Es wurden dann Lieder dazu geschrieben und in kleinem Rahmen aufgenommen. Diese Aufnahmen gelangten schließlich zu Alfred Treiber von Ö1, der sie dann als Hörspiel sendete 677 , wobei es zu Beginn nur drei Szenen gab: Das Rufen des Berges, der Streit des Buben mit dem Vater und der Absturz. 678 In weiterer Folge wuchs sich der Watzmann , wie Ambros sagt, zu einem Monster aus. Im Folk-Club „Atlantis“ uraufgeführt 679 entwickelte er sich schnell zu einem Geheimtipp. 680 Im Jahr 1972 hielt Der Watzmann ruft auch in die „Arena“ Einzug.

Gemeinsam mit der ‚Hawelka‘-Bekanntschaft Fredi Tauchen gründen Ambros und Prokopetz die Projektgruppe ‚Dröhnung‘, die bei dem ‚Arena 72‘ genannten Gegenstück zu den Wiener Festwochen die Urversion des ‚Watzmann‘ als gelesene Mitternachtseinlage aufführen. Das Rustikal wird zwei Monate später als Hörspiel auf Ö3 präsentiet. [sic!] ‚Mit ana Flaschn Schnaps und meiner Gitarr‘ (Originalzitat W. Ambros).681

675 „Sagenumwoben wie viele Alpenberge [...] sind, hat auch der Watzmann seine Sage. [...] Mit wenigen Worten erzählt, war dieser Watzmann ein König, der mit Weib samt Kindern seine Untertanen und ihre Haustiere quälte und mordete, wie es ihm gerade Spaß machte. Als diese ‚wilde Jagd’ eines Tages über eine Bauersfamilie, die sich auf ihrer Alm aufhielt, herfiel, verfluchte sie die alte Großmutter noch im Sterben. König Watzmann und die Seinen erstarrten zu Stein [...].“ (Horst Höfler u. Heinz Zembsch (Hrsg.): Watzmann. Mythos und wilder Berg. Zürich: AS Verlag 2001, S. 17-18.) Der 2714 Meter hohe Watzmann im bayrischen Berchtesgadener Land ist aber auch aufgrund der „dramatischen Geschehnisse an der Ostwand und auf dem Watzmanngrad“ (Ebd., S. 18.) berüchtigt. „Annähernd 100 Menschen kamen in der Watzmann-Ostwand um. Abgestürzt. Erfroren. Erschöpft für immer eingeschlafen. Von Lawinen in die Tiefe gerissen. Von Schnee und Stein erschlagen.“ (Ebd., S. 51.) 676 Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 677 Ebd. 678 Ebd. 679 Vgl. Maurer: Man lebt, S. 91. 680 Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 681 www.wolfgangambros.at, 14. April 2009, 09:50. 183

1974 folgte die Produktion als Hörspiel auf Schallplatte, der Grundstein für den Kult. Denn der Watzmann ist bis in die Gegenwart präsent. Das Stück fand seinen Weg auf die Bühne, wurde sogar in München im Deutschen Theater gespielt 682 und ging oftmals auf Tournee: 1982, 1991, 2004/2005 bis heute. Dabei wurde das Stück immer wieder erweitert, wurden Szenen gestrichen, neue dazugeschrieben, neue Lieder komponiert und getextet. Prokopetz selbst betont, dass der Watzmann immer ein work in progress und nie ein fertiges Ding war. 683 Die Gründe für diesen dauerhaften Erfolg sind mannigfaltig: Da ist zum einen die zeitlose Story, da ist das konsequent überzeichnete Typeninventar und da ist die Rockmusik von Wolfgang Ambros, der wohl der Hauptgrund für das Publikum ist, die Watzmann - Vorstellungen zu stürmen, obschon festgehalten werden muss, dass es das Gesamtergebnis ist, das zum Erfolg beiträgt. Trotz des revuehaften Aufbaus ist die Bühnenversion des Watzmann , diese „alpine Rocky-Horror-Picture-Show“ 684 , dieses „Trashical“ 685 oder wie immer man dieses Rustikal noch bezeichnen möchte, ein untrennbares Konglomerat aus rockigen Liedern, konsequent nicht ernstzunehmenden Dialogen und Showelementen (Tanzeinlagen, Effekte). Aus drei Szenen hat sich also ein Hörspiel und schließlich eine ganze Show entwickelt. Grundlage des Erfolgs ist aber die Schallplattenversion aus dem Jahr 1974, die sieben Jahre nach ihrem Erscheinen Gold erhielt. 686 Der Watzmann ruft – ob nun als Bühnen- oder als Plattenproduktion – soll laut Wolfgang Ambros Unterhaltung für eine große Menge von Leuten sein, die aber hin und wieder auch nachdenken sollen. 687 Es ist also doch mehr als bloß eine „Gaudi“. 688 Es ist sogar viel mehr. Der Watzmann ruft ist in erster Linie eine Parodie auf Heimatkitsch (Löwingerbühne, Heimat- und Bergfilme zum Beispiel mit Luis Trenker), ein „vollkommenes Zertrampeln dieser einst so hehren Dinge“ 689 und damit auch eine völlige Abkehr von der Großeltern- und Elterngeneration, was nicht nur durch die Handlung, sondern auch die dramaturgische, sprachliche und musikalische Gestaltung zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus steht das popularkulturelle Werk Der Watzmann ruft in, wenn auch nicht gestalterischem, denn doch thematischem Zusammenhang mit der Anti-Heimatkunst-Bewegung (vor allem Literatur und

682 Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 683 Vgl. Watzmann live. Regie: Rudi Dolezal. DoRo 2005. 684 Ebd. 685 Ebd. 686 Vgl. www.wolfgangambros.at, 14. April 2009, 10:05. 2006 erschien eine Remaster-Version der 1974er-Platte – ergänzt mit Szenen, die damals nicht auf die Platte kamen. 687 Dolezal: Watzmann live. 688 Schmidbauer: Gipfeltreffen. 689 Dolzeal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 184

Film), die sich ebenfalls gegen verkitschte Heimatbilder oder Blut- und Bodenromantik wandte.

5.4.2. Kritische Heimatbetrachtung

Nochkriegsegoistn, unbekümmert, ohne Vorbehoit. Den gaunzn oiten Dreck zertrümmert. 690

Wohl nirgends in Ambros’ Oeuvre kommt diese Haltung so deutlich zum Ausdruck wie in Der Watzmann ruft . (Wenn auch freilich hier im Vergleich zu anderen Liedern oder Hörspielen der ernste Grundton fehlt – zumindest in den Bühnenrealisationen.) Aber diese Gegenhaltung wohnt auch vielen anderen Kunstrichtungen der siebziger Jahre inne. Gerade die von den älteren Generationen geliebte, fadenscheinige Heimatkunst war ein großes Angriffsfeld gegen abzulegende Klischees und Stereotypen. So hat beispielsweise der deutsche Heimatfilm die Zeit des Nationalsozialismus naht- und problemlos überdauert. Diente er in den dreißiger Jahren zur Hebung des Nationalgefühls, so tat er das wohl auch in den Vierzigern und Fünfzigern. In den Fünfzigern setzte ein wahrer Heimatfilmboom ein, der bis in die sechziger Jahre andauerte, um dann von einer Welle kritischer Heimatfilme abgelöst zu werden. Heimatfilme wurden zum Inbegriff von „Papa’s Kino“ und waren somit wie gemacht dafür künstlerisch mit der Vatergeneration ins Gericht zu gehen. Das schlug sich auch in der zeitgenössischen Literatur nieder. Autoren wie Ronald Innerhofer oder Peter Turrini schrieben gegen die heile Welt der Bauernschwänke und Heimatfilme an. Im Film und auf der Bühne beziehungsweise im Fernsehen (Löwinger-Bühne) wurde Heimatkunst zum belanglosen Bauerntheater respektive zum harmlosen Schwank ohne Tiefgang. Die Löwinger- Bühne, ein Bauerntheater voller Klischees, das im österreichischen Fernsehen ab den Siebzigern hohe Einschaltquoten – im Schnitt zweieinhalb Millionen Zuschauer - erreichte 691 , war nicht nur Ziel des Spotts von Tauchen, Prokopetz und Ambros, sondern auch von Peter Turrini, der sich gegen diese stereotype Massenbelustigung mit seinem drastischen Volksstück Sauschlachten (1971) wehrte, das die Passion eines sprachverweigernden Bauernsohns, der den ganzen Hass der typisiert vertretenen Dorfgemeinschaft (Pfarrer,

690 Ambros: Voom Voom Vanilla Camera. 691 Silke Hassler: Nachwort. In: Turrini: Rozznjogd/Rattenjagd. Sauschlachten. Dialektstücke., S. 142-143. 185

Doktor, Notar, Bauer, Knecht et cetera) auf sich zieht und schließlich von „urgemütlicher, ländlicher Musik begleitet“ 692 geschlachtet wird:

Sauschlachten ist eine Parabel. Es erzählt die Geschichte eines Außenseiters bis zu seiner konsequenten Vernichtung. Ich habe für diese Geschichte die Form des Volksstückes gewählt, um das Publikum dort zu treffen, wo ich es vermute: in seiner Bereitschaft zur Unterhaltung, in der vertrottelten Mittelmäßigkeit des Löwinger- Klischees. 693

Und er versucht dieses typologisierte Bauernschwanktheater 694 mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Beinahe bis ins Parodistische stilisierte Figuren begegnen uns in Sauschlachten . Das Volksstück, das im 20. Jahrhundert durch Film und Fernsehen zur bloßen Unterhaltung verkommen ist 695 , wird in Sauschlachten einer grundlegenden Revision ex negativo unterzogen. Turrini hat sein Wirkungsfeld dann auf das Medium Fernsehen ausgedehnt und zusammen mit Wilhelm Pevny die aus dem Geist des Jahres 1968 entstandene 696 Alpensaga (1976-1980) geschrieben. Turrini wandte sich damit wie auch schon mit Sauschlachten gegen einen durch Heimatfilme idyllisierten und durch die Zeit des Nationalsozialismus ohnehin zweifelhaft gewordenen Heimatbegriff. In einer Stellungnahme zur Alpensaga zeigt er sehr deutlich den Unterschied zwischen Realität und Wunschvorstellung:

Ich bin nach dem Kriege in einem Kärntner Dorf aufgewachsen [...]. In der Schule wurde mir Heimat als Heimatkunde vermittelt, das Dorf als ein Ort der Harmonie, in dem Probleme nur durch das Auftauchen eines schlechten Charakters, den die Gemeinschaft loswerden mußte, entstanden. Heimat ist, so schilderte es der Volksschullehrer, der Ort des Brauchtums, der Gebete, der Bewahrung. Der Bauer war der Herr der Scholle, das Unrecht etwas, das Gott bestraft. Diese Vorstellung von Heimat, die so schützend und beruhigend war, wurde mir entzogen durch das, was ich sah und erlebte: Bauern schlugen ihre Frauen und Kinder, unser Nachbar erschoß sich mit einem Schlachtschussapparat, Kleinbauern gingen zugrunde und in die nahegelegene Stadt arbeiten. 697

692 Peter Turrini: Sauschlachten. In: Turrini Lesebuch. Stücke, Pamphlete, Filme, Reaktionen etc.. Wien: Europa Verlag 1978, S. 119. 693 Peter Turrini: Meinem allzulieben Heimatlande gewidmet. In: Ders.: Lesebuch, S. 126. 694 „Der Bauernschwank, so er sich auf Anzengrubers Dramen (gänzlich zu Unrecht) beruft, hat neben seinem ernsten, kritischen Thema auch die Zeichenfunktion seines Personals verloren. Die Figuren sind keine dramaturgisch entscheidenden Modelle und Bedeutungsträger, sondern einfach nur sie selbst; das macht es so leicht, ihr Bühnensein als saftige (Natur-, Lokal-)Echtheit zu verherrlichen [...]“ (Hein: Volksstück, S. 337.) 695 Vgl. Hein: Volksstück, S. 250-251. 696 Wilhelm Pevny: Bewertungen zur Alpensaga. In: Alpensaga. Eine sechsteilige Fernsehserie aus dem bäuerlichen Leben. Bd 1./2. Liebe im Dorf. Der Kaiser am Lande. Salzburg, Wien: Residenz 1980, S. 8. 697 Peter Turrini: Zur Buchausgabe der Alpensaga. In: Alpensaga, S. 10. 186

Dieses stereotype Heimatbild, wie wir es tatsächlich auch aus unzähligen Heimatfilmen kennen, ist auch genau jenes, das in Der Watzmann ruft parodiert wird. Alle Klischees, die Turrini nennt, kommen vor: der in die Gemeinschaft eindringende schlechte Charakter (Die Gailtalerin), der herrschende Bauer, Gott respektive eine höhere Macht, die Unrecht bestraft, in diesem Fall das Erklettern des Watzmann, und das Dorf beziehungsweise der Hof als Ort der Gebete und Bewahrung (die betende Bauernfamilie). Über die genannten Sujets hinaus bedient Der Watzmann ruft (Der Berg und der Mensch – Ein ewiger Kampf) Klischees aus Berg- und Heimatfilmen. Schon der Titel lehnt sich an Luis Trenkers Film Der Berg ruft (1937). Das Typeninventar ist auch bekannt: Vater, Bua, 1. Knecht, 2. Knecht, Großknecht, (Chor der) Weiber und die Gailtalerin (die sündige Frau). Die Geschichte selbst könnte stereotyper nicht sein. Bauernbub wird vom Berg gerufen, der Vater kann ihn aber noch halten. Erst um die „leibhaftige Sünd’“ 698 – die Gailtalerin – zu erobern, begibt sich der Sohn auf den Watzmann und stürzt in den Tod. Sein Geist beschwört schließlich den Vater ihm zu folgen. Optisch führt bereits das Cover in die parodierte Welt ein: Inmitten von Felsen liegt ein abgestürzter Wolfgang Ambros mit blutigen Händen, Armen und blutigem Kopf und mit todesstarrem Blick. In der Linken hält er noch einen kleinen Stein, seine Rechte zieren drei Edelweiß. Das um das Becken gebundene Seil deutet auf seinen tragischen Tod hin. Er trägt eine Lederhose und ein weißes Hemd. In roten Fraktur-Lettern (und damit eine noch nicht zur Gänze überwundene Epoche deutscher Geschichte herbeizitierend) sind am oberen Rand die Mitwirkenden und Erfinder angeführt: „Ambros. Tauchen. Prokopetz“ und am unteren Rand der Titel: „Der Watzmann ruft“. Das Edelweiß in Ambros’ rechter Hand verweist auf das zwischenmenschliche Berg(film)klischee schlechthin: Das oft tödlich endende Edelweißpflücken für eine Geliebte. Ein Film, der diesen Mythos und andere Motive wie kaum ein anderer überstrapaziert, ist der 1956 gedrehte Streifen Dort oben wo die Alpen glüh’n (1956): Die Sommerfrischlerin Andrea Baureiss kommt aus der Stadt in ein Bergdorf und verliebt sich in den Bergführer Bertl Bruneder. Deutlicher kann man wohl das Motiv der unruhestiftenden Fremden nicht mehr in eine Heimatfilmstory verpacken. Bruneder ist allerdings mit Anna Edelhofer verlobt, die von ihm als Treuebeweis verlangt, ihr vom „Gottesfinger“, einem schwer zu erklimmenden Berg, ein Edelweiß zu pflücken. Und als wäre der Name des Berges – „Gottesfinger“ – nicht schon Mahnung genug, macht er sich auf den Weg um – wie könnte es anders sein – abzustürzen, aber letztendlich doch gerettet zu werden. Derartige Machwerke, die neben pseudodramatischen Eifersuchtsszenerien, Bergbesteigungen

698 Josef Prokpetz u. Wolfgang Ambros: Die Gailtalerin. Der Watzmann ruft. Bellaphon 1974. 187 und Jagdszenen natürlich romantisch-idyllische, postkartenähnliche Naturaufnahmen enthielten, erfreuten sich in den 1950er Jahren einer ungeheuren Beliebtheit, die mit den Farbfilmen Schwarzwaldmädel (1950) und Grün ist die Heide (1951) ausbrach 699 . Die durch ein Happyend immer wieder hergestellte heile (Natur-)Welt half die Zeit des Nationalsozialismus zu übertünchen – mit denselben Mitteln wie letzterer seine Blut- und Bodengesinnung verbreitete. Nach dem Krieg sollte wieder Volksverbundenheit herrschen um gemeinsam neue – demokratische – Wege zu begehen. Dass unter dem Trachtenanzug und den Farbwelten der Heimatfilme durchaus noch nicht vergessenes Gedankengut und Gewaltbereitschaft schwelte, deckt unter anderem Turrini mit Sauschlachten auf. Im österreichischen Heimatfilm wurde aber mit unverhohlenem Pathos und nicht zu bremsender Schönfärberei das vermeintlich Österreichische neu konstruiert. 700 Eine Gesinnung, die aber auf die Heimatschutzbewegung 701 und in weiterer Folge wohl auch den Nationalsozialismus, zurückgeht:

Die Stilisierung von Trachten zu Abzeichen heimatlicher Volksverbundenheit, von Alpenblumen zu nationalen Symbolen des Natürlichen, von bestimmten Bauformen zu Erkennungszeichen bodenständigen Bauens, von Brauchtum und Musik zu einem Programm, von Plakaten und Briefmarken zu wiedererkennbaren Chiffren, führte zur signalhaften Symbolik eines Idealentwurfes von Österreich-Bildern. Diese wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der expandierenden Kulturindustrie aufgegriffen, und besonders die Heimatfilme der Nachkriegszeit wurden zu ‚Heimatmachern’. Im Zentrum dieser Filme stand die schöne Landschaft, als Kulisse für eine schicksalshafte Handlung, die eine bäuerliche Welt so in Szene setzte, wie Stadtmenschen sie sehen wollten: herb, patriarchalisch, aber auch idealisierend als Sommerfrische. Auf dem Land – so wurde suggeriert – war die ‚alte’ Welt noch einigermaßen in Ordnung. Die filmischen Mythen des Dorflebens enthalten zahlreiche Identitätsbausteine, wenngleich die Wirklichkeit dieser dörflichen Welt längst in einen Modernisierungstaumel geraten war. Die Provinz heiratete sich in diesen Filmen zwar aus ihrer eigenen ländlichen kulturellen Identität heraus, aber sie wurde zur nationalen, kommerziellen und touristischen Attraktion. Durch diesen medialen Transformationsprozeß mutierte die Volkskultur zur Folklore, die noch unberührte Landschaft wurde zum konsumierbaren Objekt. Man nahm in diesen Filmen Urlaub von der Geschichte der Nazizeit und warb gleichzeitig für Urlaub in Österreich. Ähnlich den Ansichtskarten und bebilderten Kalendern trugen sie zur kollektiven Ausgestaltung des Imaginären einer Kultur bei, die von der Rückbesinnung auf ihre einstige Größe und ihr Erbe in Atem gehalten wurde.702

699 Vgl. Gundula Schmidt: Kontinuitäten: Dokumentarfilmer und Unpolitische nach 1945. In: Der Deutsche Heimatfilm. Bildwelten und Weltbilder. Bilder, Texte, Analysen zu 70 Jahren deutscher Filmgeschichte. Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde E.V. 1989, S. 70. 700 Vgl. hierzu Kurt Luger: Vergnügen, Zeitgeist, Kritik. Streifzüge durch die populäre Kultur. Wien: Österreicherischer Kunst- und Kulturverlag 1998, S. 64. 701 Vgl. ebd. 702 Ebd. 188

Sich aber schließlich in provinzieller Enge, Biederkeit und politischer Stagnation verlor. Gesellschaftliche Umstände, die durchaus in den restaurativen, immer gut endenden, die Ordnung wiederherstellenden Heimatfilmen propagiert wurden, was schließlich in den Siebzigern zu einer Antiheimatfilmwelle parallel zu den heimatkritischen Stücken eines Franz Xaver Kroetz, Peter Turrini oder Werner Schwab führte. Filme wie Dort oben, wo die Alpen glüh’n waren schon zu ihrer eigenen Parodie geworden. Serien wie die Alpensaga , die von der K.u.k-Monarchie über den Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in die Nachkriegszeit anhand von individuellen Schicksalen österreichische Geschichte aufarbeitete, brachten eine neue Dimension in den Heimatfilm mit einer neuen Sichtweise von Volksnähe:

Volksnah muß nicht volks-tümlich heißen und auch nicht gleich volks-erzieherisch. Die Zuschauer sollen sich auf dem Bildschirm wiedererkennen können, wobei sie auch Neues über sich und ihre Vorväter erfahren dürfen und nicht nur das, was man am allerliebsten über sich sieht. 703

Und genau das wollten die kritischen Filmemacher in den Sechzigern zeigen. Was Turrini auf dem Theater in drastischer Weise aufzeigte ( Sauschlachten ), versuchte man auch in Film und Fernsehen zu erarbeiten. Während es in den Sechzigern und Siebzigern durchaus Modifikationen des Genres Heimatfilm gab – man denke an die Lederhosensexfilmwelle – beziehungsweise auch Neuverfilmungen ( Schloß Hubertus , Grün ist die Heide )704 , entstanden parallel dazu eben auch kritische Heimatfilme:

Ab 1969 – den Auftakt bilden KATZELMACHER und JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN – setzen sich Autorenfilmer mehr oder weniger kritisch aber kontinuierlich mit dem Genre Heimatfilm auseinander, vorwiegend am Schauplatz der Provinz und der Kleinstadt. 705

Damit nun aber nicht der Anschein erweckt wird, Der Watzmann ruft , sei ein Antiheimat- Hörfilm im Sinne der kritischen Filmemacher der Sechziger und Siebziger, ist zu manifestieren, dass Der Watzmann ruft aus einem popularkulturellen Impetus heraus entstanden ist, aber mit Mitteln der Popularkultur parodistisch gegen die Elterngeneration rebelliert – mit den kritischen Heimatfilmen hat dieses Hörspiel die Abkehr beziehungsweise Ironisierung oder Parodie von heimatlichen Stereotypen gemein; „die kritischen Heimatfilme

703 Heinz Urgureit: Warum Coproduktion der Alpensaga. In: Alpensaga. Eine sechsteilige Fernsehserie aus dem bäuerlichen Leben. Bd. 5/6. Der deutsche Frühling. Ende und Anfang. Salzburg, Wien: Residenz 1980, S. 149. 704 Vgl. Ines Steiner: ‚Mythos Oberhausen’. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 102. 705 Ebd., S. 101. 189 der 60er und 70er Jahre thematisieren das unreflektierte, sprachlose Leiden oder das notwendigerweise scheiternde Aufbegehren gegen die entfremdenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Lebensbedingungen [...].“ 706 In Der Watzmann ruft resultiert das Aufbegehren des Sohnes in erster Linie allerdings nicht aus einer unbändigen Ausbruchssehnsucht aufgrund des sozialen Umfeldes, sondern aus dem Rufen des Berges und dem Wunsch mit der Gailtalerin zu kopulieren. Letzteres wäre aber auch ein Befreiungsschlag. Der Vater des Buben ist zwar ein Patriarch, aber nicht zu vergleichen mit dem tyrannenähnlichen Familienoberhaupt gegen das Paule Paländer in dem gleichnamigen Film revoltiert. Das Cover der Hörspielplatte markiert eindeutig, was das Ziel des Spottes von Der Watzmann ruft ist: Die hehre, pathetische (und letzten Endes heile) Welt des Heimatfilmes, die gepaart mit dem höchst erfolgreichen Löwinger-Bühnenkitsch- und Schwachsinn als Inbegriff der Unterhaltung und wohl zum Teil auch Geisteshaltung der Eltern- und Großeltern parodistisch angegriffen oder, wie Prokopetz es formuliert, zertrampelt wurde. 707 Das Cover nämlich ist bereits die Umkehrung des Heimatpathos, wie man es aus den Trenker’schen Bergfilmen kannte: Der abgestürzte, kopfüber liegende Ambros ist die Inversion des stolz nach oben blickenden Luis Trenker auf dem Filmplakat zu Der Berg ruft . Trenker als Antonio Carrel hält seine Felicitas fest in den Armen, hinter ihnen ragt das Matterhorn auf und rechts von ihnen prangt – wie auch auf dem Watzmann -Cover - in Fraktur-Lettern der Titel: „Der Berg ruft“. Diese Konnotation mit Heimatfilmen schlägt sich auch in der Hörspielumsetzung des Watzmann -Stoffes um.

5.4.3. Ein Besserungsstück ohne Besserung als Hörfilm

Der Rekurs auf Zauberspiel und Besserungsstück kommt bei den Bühnenumsetzungen zu tragen. Die Plattenversion ist, wie schon andiskutiert, aus hörspieldefinitorischer Sicht höchst ambivalent. Eigentlich ist Der Watzmann ruft mit seinem handlungsbestimmten – von einer zentralen, größeren Auseinandersetzungsszene geprägten - chronologischen Zeitablauf, in dem sich Stimmen zu Charakteren beziehungsweise schicksalsgebundenen Figuren profilieren 708 als dramatisches Hörspiel zu bezeichnen. Dafür sprechen die Dialoge, die aber in eine Erzählung eingebettet sind, welche die einzelnen Szenen durch einen auktorialen Erzähler mit einander verknüpft. Jedoch spielen die eingestreuten Lieder eine zu große Rolle,

706 Steiner: Oberhausen, S. 100. 707 Vgl. Dolezal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 708 Vgl. Hippe: Das Hörspiel, S. 12. 190 um Der Watzmann ruft als bloß dramatisches oder episches Hörspiel zu benennen. Die Songs als „perspektivische Einfärbungen der Berichte [und Szenen] begünstigen die Integration emotionaler Elemente. Es öffnen sich Möglichkeiten lyrischer Aussagen, die [...] zur bestimmenden Struktur werden können.“ 709 Man wird wohl nicht umhin kommen, das Rustikal Rustikal sein zu lassen. Doch Autor Manfred O. Tauchen liefert uns – wenn schon keinen Hinweis – so doch ein Faktum, aus dem zu schließen ist, wie Der Watzmann ruft zu hören ist. Er nennt sein Werk „Ein Rustikal in 8 Hörbildern“, wobei das Wort „Hörbild“ ins Auge sticht. Damit ist einerseits das Bild als Szeneneinteilung gemeint, andererseits aber auch der Effekt, den ein Hörspiel erzielt: es evoziert Bilder im Kopf des Hörers. Diese beiden Komponenten vereinigen sich zu einem Hörfilm. Der Watzmann ruft reiht in rascher Abfolge (Hör)Bild an (Hör)Bild, was einen durchaus filmischen Effekt zur Folge hat. Film ist auch nichts anderes als die Aneinanderreihung von Bild an Bild. Und gerade die angestrebte Heimatfilmparodie wird damit erreicht. Doch der Watzmann ist mehr als nur eine Parodie auf kitschige Heimatfilme. Der Watzmann nimmt die „Schicksalsgläubigkeit der ländlichen, einfachen Bevölkerung“ 710 – wie sie uns in Heimatfilmen suggeriert wird – aufs Korn und ist dabei „ein durch und durch alpenländisches [...] Popmusical mit Anspielungen auf [...] zahlreich [sic!] Klischeebilder in Text, Darstellung, aber auch in der Musik.“ 711 Bereits die ersten Sekunden des Hörspiels weisen darauf hin, dass den Autoren hier nichts heilig ist – schon gar nicht die Heimat, ein Begriff, der hier in zweierlei Hinsicht demontiert wird. Zwar ist der Terminus Heimat nach der Zeit des Nationalsozialismus ein höchst verdächtiger geworden 712 , doch kam es durch das Neuerstarken der Republik sowohl in Deutschland als auch Österreich zu einem Wiederaufbau-Heimatgefühl, dessen Stolz sich am pathetischsten und deutlichsten in den Ansichtskarten-Heimatfilmen zeigt. Heimat bedeutet Ideologisierung und Emotionalität. 713 „Verstärkt wurde dieser Eindruck durch eine ideologische und kulturpessimistisch- agrarromantische Gleichsetzung von ‚Heimat’ und ‚Provinz’, besonders von den Autoren der Heimatkunst und ihren völkischen und trivialliterarischen

709 Hippe: Das Hörspiel, S. 12. 710 Pfeiler: Austropop, S. 164. 711 Ebd., S. 165. 712 „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Wort ‚Heimat’ fast aus unserem Sprachgebrauch verbannt und erst in den siebziger Jahren machte man sich daran dieses Thema neu zu erkunden, neu abzustecken und neu zu vermessen.“ (Manfred Kovac: Tendenzen des österreichischen Heimatromans in der Vor- und Nachkriegszeit, exemplarisch gezeigt am Beispiel Karl Heinrich Waggerls ‚Das Jahr des Herrn’ und Franz Innerhofers ‚Schöne Tage’. Diplomarbeit. Wien 1994, S. 6.) 713 Vgl. Kovac: Österreichischer Heimatroman, S. 8. 191

Nachfolgern.“ 714 Der Watzmann ruft wendet sich also parodistisch gegen ein negatives, völkisches und vermeintlich positives, erstarkendes Heimatgefühl. Das Hörspiel beginnt nicht, wie man vermuten könnte, mit Ambros’scher Musik und Ambros’schem Gesang, sondern mit einer geräuschlichen Einführung in die Welt der Alpen. Anstatt Ambros hören wir zunächst Kuhglockengeläute und gleich darauf den dazugehörigen Weidetierlaut. Dann setzt Ambros ein: Als Leitstimme des Volkschors, wie dieser auf dem Klappentext bezeichnet wird. Dieser Volkschor charakterisiert die vermeintlich einfältige Landbevölkerung der Alpen und stellt dieselbige nicht gerade als hochgeistig dar – ähnlich Otto Gründmandls (Hör-)Satiren über die Naivität der Alpenbewohner: Alpenländische Erfindungen , Alpenländische Feiertagsgespräche und andere Besinnlichkeiten und Alpenländische Almhütten, Aspekte oder AAA .715 Der geistige Inhalt des Volkschors ist ungefähr gleichzusetzen mit dem „Empfinden einer Heimatdichterin“, das Gründmandl karikiert:

Wissen Sie, liaber Herr, a Gedicht das kommt direkt von drinnen außer, das braucht kann Webstuhl und ka Spinnradl, a kane spitzen Bleistift, das ist auf einmal da, und s’ einzige, was ich dabei z’tuan hab, is aufpassen, losen, still sein, daß ich’s nit überhör, wenn’s von da außer oder von unten auffer oder a von oben ober in die Welt einiplumpst und da ist, plötzlich da ist, oft lei a kleins Vers’l, in dem aber manchmal eine große Wahrheit stecken mag:

Im Wald is dunkel, im Wald is hell. Manche sein langsam, und manche sein schnell. 716

Die größere Wahrheit bleibt hier ebenso verborgen wie der tiefere Sinn im Volkschor aus Der Watzmann ruft . Ambros als Vorsänger des Chors setzt ein mit der in deklamierenden Hochdeutsch gesungenen Frage: „Wie schallt’s von der Höh?“ 717 , worauf der Chor mit einem alpenländischen Jodellaut antwortet: „Hollaröhdulliöh“ 718 um nach drei Sekunden noch ein hohes „Gu gu“ 719 folgen zu lassen. Ambros stellt noch einmal die gleiche Frage und erhält die gleiche Antwort. Die ganze Chorpassage ist auch weiterhin mit Kuhglockengeläute und dem

714 Kovac: Österreichischer Heimatroman, S. 8. 715 Gesammelt in Otto Grünmandl: Berge denken anders. Wien: Europa Verlag 1973. 716 Grünmandl: Im Empfinden einer Heimatdichterin. In: Ders.: Ebd., S. 161. 717 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Volkschor. Watzmann. 718 Ebd. 719 Ebd. 192

Muhen unterlegt, so dass teilweise kein Unterschied mehr zwischen den „Hollaröhdulliöh“- Rufen und tierischen Lauten auszumachen ist. Der an sich schon sinnlose Ruf „Hollaröhdulliöh“ wird durch die gesungenen Fragen potenziert und völlig ins Reich des Nonsens gehoben. Die Volkschorpassage kulminiert darin, dass Ambros wieder seine Stimme erhebt und den Chor mit „Und jetzt ruaf ma no amoi schnö!“ 720 auffordert ihm noch einmal mit den stereotypen „Hollaröhdulliöh“-Rufen zu antworten. Mit diesem Chor ist bereits die Brücke zum Heimatfilm gebaut, denn sehr viele Heimatfilme, so auch unser Musterbeispiel Dort oben, wo die Alpen glüh’n unterlegen die Credits am Beginn mit Liedern, die oftmals von einem Chor gesungen werden oder zumindest sehr chorlastig sind. Darüber hinaus gemahnt eine solche musikalische Einführung aber auch an Ludwig Anzengrubers Bauernkomödien und Possen, deren eine – Die Kreuzelschreiber (1872) – exemplarisch zitiert werden soll. Der erste Akt beginnt mit einer Gesangsszene in einem Bauernwirtshaus, die mit der strophischen Aufteilung dem Watzmann’schen Volkschor gleicht:

Michl singt.

Bissel christlich, bissel gottlos, Bissel schön, bissel schiach, – Bissel gottlos beim Dirndl, Bissel frumm in der Kirch‘! Dulidieh! Alle (fallen ein und jodeln mit ). Dulidieh! 721

Nun mischt sich ein zweiter Vorsänger (Loisl) ein:

Heilig werd‘n, heilig werd‘n, Dös möcht‘ ich eh‘ – Drum kraxl‘ ich all Tag‘ Zun Himmel auf d’Höh; Doch kimm ich net viel hoch, Dös geht ma nit ein, […] Beim Dirndel sein‘ Fenster Draht‘s mich allmal hinein! […] Holladieh! 722

720 Prokopetz u. Ambros: Volkschor. 721 Ludwig Anzengruber: Die Kreuzelschreiber. In: Ders.: Anzengrubers Werke. Hrsg. v. Eduard Castle. Bd. 2. Leipzig: Hesse & Becker [Ohne Jahresangabe.], S. 208. 722 Ebd. 193

Die hier durchschimmernde Alpen- und Bauernerotik ist, das sei schon jetzt angemerkt, ein zentrales Element in Der Watzmann ruft . Doch so weit sind wir noch nicht in das Werk eingedrungen. Bleiben wir beim Volkschor, dessen letztes „Gu gu“ in die Ouvertüre von Christian Kolonovits übergleitet, die schon den nächsten Bruch markiert. Nachdem der von Kuhgebrüll untermalte Volkschor den geistigen Horizont der handelnden Personen vorwegnimmt und den Hörer in die Welt der Alpen einführt: „Hollaröhdulliöh“ 723 , Kuhgeräusche, die sofort an saftige Almen und Wiesen gemahnen. Diese Vorstellung wird aber mit der Ouvertüre wieder gebrochen. Denn kaum ist das letzte „Gu gu“ 724 verklungen, zieht Wind auf, der alles andere als Bergromantik verspricht, sondern auf das tödliche Bergdrama hinweist. Die Ouvertüre beginnt sehr langsam und ruhig, das E-Piano steht noch im Vordergrund und wird dann nach und nach von den anderen Instrumenten unterstützt. Auch instrumental wendet man sich vom Heimatkitsch ab: Piano, E-Piano, Orgel, Synthesizer, Schlagzeug, Akustikgitarre, E-Gitarre und Baß verbindet man wohl kaum mit der „Hollaröhdulliöh“-verliebten Alpenwelt. Die Ouvertüre stellt die Titel des Hörspiels vor, evoziert aber einen durchaus ernstgemeinten Eindruck, der aber durch das Folgende wiederum gebrochen wird und dadurch zum genauen Gegenteil mutiert. Die Ouvertüre fadet aus, wird wieder von Windgeräuschen überlagert. Es ist klar, hier ist man weit entfernt von der strahlenden, romantischen Alpenwelt der Heimatfilme und Ganghoferromane. Das macht auch die dramatische, theatralische Erzählerstimme von Meinrad Nell deutlich, der mit einer ganghoferartigen Einleitung in das Sujet einführt:

Hochdroben, geduckt unter der Last des mächtig aufragenden Massiv des Watzmann haben sich ein paar Bergbauern angesiedelt. Nur wenige sind es, die den harten, entbehrungsreichen Kampf um das tägliche Brot aufnehmen. Doch nicht nur ihr hartes Leben ist es, das sie beugt. Eine unheimliche, nicht greifbare Furcht lastet auf denen, die noch über sind. Es ist die Furcht vor dem Berg. Es ist, wie wenn er sie manchmal rufen möcht. Und wen er einmal gerufen hat, den holt er sich auch, der Watzmann. 725

Wie die Panoramaaufnahme eines Heimatfilmes wirkt dieser Text. Stilistisch, obwohl nicht romantisierend, nähert sich diese Einleitung an Ganghofer an. Zum Vergleich sei die Einleitung aus dem Ganghofer’schen Hochlandroman Der laufende Berg herangezogen:

723 Prokopetz u. Ambros: Volkschor. 724 Ebd. 725 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 194

Silberne Fäden, schimmernd in der Morgensonne, gaukelten durch die stille Luft; langsamen Fluges kamen sie aus dem Tal heraufgezogen, in dessen sonniger Tiefe das Dorf mit seiner Kirche und den hundert Häusern gleich einem weitschichtig ausgekramten Spielzeug zwischen den herbstlich gefärbten Berghängen lag. [...] Das gegen Süden blickende Berggehänge war von der Morgensonne übergossen, das jenseitige noch von blauem Frühschatten umwoben, und über den Felswänden hoben sich die vom ersten Schnee überhauchten Zinnen mit seinen Silberlinien in das wolkenlose Blau des Himmels. Wie im Märchen die Gestalt der guten Fee von einem Zauberschleier umflossen ist, so war dieses farbenschöne Bild der Landschaft umsponnen von Flimmern und Geglitzer; das ging von den fliegenden Fäden aus, die zu Tausenden die Luft durchgaukelten [...]. 726

Ragen bei Ganghofer die Zinnen ins wolkenlose Blau des Himmels, so weht bei Tauchen, Prokopetz und Ambros ein rauer Wind (verbunden mit einem unheilvollem Klavier), der die erdrückende Enge des Bauerndorfes nicht gerade freundlicher erscheinen lässt. Bei Ganghofer ist von dieser Enge allerdings keine Spur, wie ein weitschichtig ausgekramtes Spielzeug liegt das Dorf zwischen den Berghängen. 727 Wo bei Ganghofer strahlende Naturschönheit blüht, herrschen bei Tauchen und Co Angst und Furcht. Fabuliert Ganghofer noch von einer guten Fee und einem farbenschönen Landschaftsbild 728 , so regiert in Der Watzmann ruft die „unheimliche, nicht greifbare Furcht“ 729 vor dem Berg, der wie ein Damoklesschwert über den hart arbeitenden, täglich ums Überleben kämpfenden Bergbauern schwebt. Stilistisch steht sowohl bei Ganghofer als auch bei Tauchen das Adjektiv im Vordergrund. Bei diesen Beschreibungen setzt Meinrad Nell auch seine dramatische Stimme besonders stark ein. Der parodistische Effekt entsteht aber erst durch den nächsten Bruch: den ersten Song. Bei der Zeile „Eine unheimliche, nicht greifbare Furcht lastet auf denen, die noch über sind.“ 730 hören das Klavier und die Windgeräusche auf und die dräuende Atmosphäre wird allein durch Nells Stimmfärbung erzeugt. Der Höhepunkt der „furchterregenden“ Einleitung – „Und wen er einmal gerufen hat, den holt er sich auch, der Watzmann.“ 731 – wird sofort gebrochen. Ohne jeden Übergang ertönt Wolfgang Ambros Stimme: Ein aufstoßender Glottal-Laut leitet den ersten Song „Hollaröhdulliöh“ ein. „Hollaröhdulliöh“ – „in der Melodie sich auf wenige Töne der Harmonien – ausschließlich, wie für alpenländisches [sic!] Volksmusik üblich – die Hauptdreiklänge Tonika, Subdominante und Dominante beschränken[d]“ 732 – ist ein Nonsens-

726 Ludwig Ganghofer: Der laufende Berg. Berlin: Paul Franke Verlag. Ohne Jahresangabe, S. 5-6. 727 Vgl. ebd., S. 5. 728 Vgl. ebd. 729 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 730 Ebd. 731 Ebd. 732 Pfeiler: Austropop, S. 165. 195

Lied mit Boogie-Elementen und zerstört die Erwartungshaltung durch „rockige, beatbetonte Begleitung in schnellem Tempo mit Schlagzeug, E-Baß, Rhythmusgitarre und Klavier“ 733 . Doch auch sprachlich wird die durch die Einleitung evozierte Folklore-Erwartungshaltung nach Ganghofer’scher oder Anzengruber’scher Sprache nicht erfüllt. Der Text von „Hollaröhdullioh“ lebt von den Reimen um des Reimens willen – im Stil von den frühen Ambros-Prokopetz-Songs „Kagran“ oder „Staubig“. Ein Spiel mit den Worten, wie es auch Jandl betreibt, jedoch ohne den tieferen Sinn dieses Autors, sondern mit der Unbekümmertheit und Spontanität, wie sie in der Frühzeit des Austropop so häufig zu finden ist:

Ich steh bis zu den Waden in einer Kuhfladen und zermalm auf der Alm einen Halm. Doch der Bauer mit dem Pflug hat vom Pflügen schon genug und plötzlich ruft er: ‚Jöh‘ und das Echo von der Hö ruft: ‚Hollaröhdulliöh gugu‘.

Am Himmel zieh’n die Wolken, die Kühe werd’n gemolken. Es ist kalt im Wald ohne Skalb, doch der Schafhirt mit dem Stock braut sich schnell noch einen Grog und eine leise Böh bläst das Echo von der Höh: ;Hollaröhdulliöh gugu‘.734

Von Anzengrubersprachfärbung keine Spur. Stattdessen lupenreines Hochdeutsch. Der Song rekurriert textlich auf den Volkschor, noch entscheidender aber ist seine dramaturgische Positionierung. Auf die klassische literarische Einleitung folgt ohne jeden Übergang ein lyrischer Einschub, der zwar die Stimmung des Hörspiels ausdrückt, mit der Handlung aber nicht in der geringsten Verbindung steht. Weder kommentierend noch in irgendeiner Weise handlungstragend ist „Hollarödulliöh“ lediglich eine Brechung der klassischen Storyline beziehungsweise Fabel, die sich beispielsweise bei Ganghofer wie folgt gestaltet:

Es hatte in der vergangenen Woche stark geregnet, und hoch droben [Das Klischeewort schlechthin, mit dem Tauchen ja auch seinen Text beginnt. Siehe oben.] in den Felswänden schmolz die Sonne den früh gefallenen Schnee [...].Über den

733 Pfeiler: Austropop, S. 165. 734 Prokopetz u. Ambros: Hollaröhdulliöh. 196

Waldhang kam auf steilem Pfad ein Jäger herabgestiegen – kein Berufsjäger, sondern einer, der die Jagd zu seinem Vergnügen trieb [...]. 735

Von einer allgemeinen Landschaftsbeschreibung wechselt Ganghofer ins Konkrete und führt einen handlungstragenden Charakter ein: den Jäger Toni Purtscheller. Auch Tauchen arbeitet so. Die Fabel wird aber durch das Lied „Hollaröhdulliöh“ unterbrochen. Der Song ist auf den ersten Blick ein kommentierendes Auftrittslied in Ich-Form (Rollenlied), doch es kommentiert nichts, das mit der Handlung zu tun hätte, und ein Rollenlied ist es auch nur in der Theorie, denn es ist durch keine Rolle definiert. Ambros hat in Der Watzmann ruft zwei Funktionen: Erstens ist er der Sänger und zweitens spricht er den Großknecht. „Hollaröhdulliöh“ aber ist im Grunde nichts weiter als ein Illusionsbruch und eine Ansammlung von ländlichen Klischees, die durch die rockige Musik und die Hochsprache konterkariert werden. Ihre Akmé erreicht diese Vermischung mit dem englischen Ausdruck „Okay“ 736 , mit dem Ambros der Band sozusagen die Freigabe für den Instrumentalteil mit hervorstechendem Klavier gibt. Der Song endet dann abrupt. Ohne jeglichen hörbaren Übergang wird die Erzählung wieder aufgenommen. Wie Ganghofer wird auch Tauchen nun konkreter:

Die Knechte des Bergbauern, drei an der Zahl, wandern mit festen Schritten talwärts. Das kühle, lastende Dunkel des Waldes hinter sich lassend, streben sie dem, in der aufkommenden Dämmerung daliegenden, Hofe zu. Die Drei schenken ihrer Umgebung kaum ihre Aufmerksamkeit, denn sie sind, so scheint’s, in ein angeregtes Gespräch vertieft. 737

Mit Einführung der Bergbauern verweist Autor Tauchen (Prokopetz verfasste die Liedtexte) auf den Hauptschauplatz des Hörspiels: Dem Hof des Bergbauern. Wieder erzeugt Tauchen mit dem hörspielgerechten, aber auch an Ganghofer gemahnenden, Adjektiv eine erdrückende, dräuende Stimmung. Die Ernsthaftigkeit der Erzählung wird nun abermals gebrochen – durch das parodistische Gespräch der Knechte, das so angeregt nicht ist und ein Dialog von Grünmandl’schem Format ist: Vogelgezwitscher und stapfende Fußgeräusche suggerieren die Atmosphäre des Waldes. Die Idylle wird aber durch das Husten und Ausspucken des ersten Knechts gestört. Das „angeregte“ Gespräch kommt in Gang:

735 Ganghofer: Der laufende Berg, S. 7. 736 Prokopetz u. Ambros: Hollaröhdulliöh. 737 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 197

[1. Knecht:] Jo, jo. [2. Knecht:] Wos sogst, Sepp? [1. Knecht:] Bin scho froh, waunn i wiedar obikomm. [2. Knecht:] Jo. Gaunz entrisch kunnt an werdn. Gö, Großknecht? [Großknecht:] Hollaröhdulliöh. 738

Die Komik entsteht hier durch die übertriebene, die Typenhaftigkeit der Figuren an den Rand des Grotesken führende Stimmgebung 739 und die Einsilbigkeit des Großknechts, der das ganze Hörspiel über nichts anderes zu sagen in der Lage ist als: „Hollaröhdulliöh“ 740 . Bei Tauchen ist diese Sprache aber mehr als ein Rekurs auf das, was bei Turrini tödlicher Ernst ist: die unerbittliche ländliche Phrasendrescherei, wie sie uns in Sauschlachten („Er sagt, wies is.“ 741 , „Was wiegt’s, das hat’s.“ 742 ) begegnet. Tauchen evoziert durch diese knappe Sprache typenhafte Komik in Reinkultur. Das weitere Gespräch der Knechte, die als das klassische Komikerpaar fungieren, dreht sich um die Schicksalsergebenheit gegenüber dem Berg. Man erfährt, dass sich der Berg in der Vorwoche wieder einen Burschen geholt hat. Die Knechte diskutieren darüber, ob sie die Gegend verlassen sollten, was aber auch keinen Sinn hätte, denn der Berg ist übermächtig:

[1. Knecht:] Weggeh‘n. Weggeh‘n nutzt nix. Waunn dei Zeit kummt, nochan holt a di. Vafluachtar Watzmann. [2. Knecht:] Sei stad! So wos sogt ma bessa nit! 743

Der eigentliche Protagonist ist nicht der Vater oder der Bub, sondern der Watzmann: unausweichlicher Dämon, furchterregende Schicksalsmacht, aber auch Anlass zu einer blinden (bigotten) Gefügigkeit gegenüber einem gespenstischen Mysterium: Fluchen verboten! – Eine Komponente, die noch deutlicher zutage treten wird. Die Szene endet mit einer Einschaltung des Erzählers. Nach der Warnung des 2. Knechts meldet sich der Erzähler zu Wort und sagt hohe Erwartungen hervorrufend: „Und sogar der Großknecht bemerkte:“ 744 – worauf wiederum nur ein – leicht alkoholschwangeres – „Hollaröhdulliöh“ 745 , die tragikomische Quintessenz eines ganzen Lebens, zu vernehmen ist.

738 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 739 In Der Watzmann ruft entsteht Komik in erster Linie nicht dadurch, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. 740 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 741 Turrini: Sauschlachten. In: Ders.: Lesebuch, S. 116. 742 Ebd., S. 118. 743 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 744 Ebd. 745 Ebd. 198

Kaum ist dies gesagt, setzt das Schlagzeug ein und Ambros als Sänger das Lied „Hollaröhdulliöh“ fort:

Hollaröhdulliöh! Hollaröhdulliöh! Ich habe mich verlaufen in einem Düngerhaufen. Mir wird bang, ich werd’ krank vom Gestank. Doch die Magd mit der Gabel kitzelt meinen Nabel und mit leisem Weh schallt das Echo von der Höh: Hollaröhdulliöh gugu!746

Der instrumental ausfadende Song wird von der Erzählerstimme überlagert, die nun noch näher in die Welt des Bergbauern und seines Kreises einführt: „Jeden Tag, der uns vom Herrgott neu bescheret wird, um die Mittagsstund’, da läutet das kleine Glöcklein am Dache des Bauernhofes um die Bewohner rund um den klobigen Holztisch zu versammeln.“ 747 Die Verwendung des doppelten Diminutivs („das kleine Glöcklein“ 748 ) wird durch das Läuten einer Kirchenglocke kontrastiert, was zu einem Kernpunkt der nun folgenden Szene „Das Rufen“ führt – die Gottesfürchtigkeit der Landbevölkerung. Glockenläuten und Vogelgesang gleiten über in den Gebetsingsang des um den Tisch sitzenden Typeninventars: Vater (Bauer), Bub, die Knechte und die Frauen:

[Bauer:] Wos aufgesetzt wird auf den Tisch, dos segne unser Herr Jesus Christ. Speis’ uns, oh Herr, aus diesem Ort mit deiner Lieb’ und deinem Wort. [Bauer:] Amen. [Die anderen:] Amen. 749

Hier sitzen Typen, wie man sie von Anzengruber oder Schönherr nur allzu gut kennt. Der Bauer führt das Gebet an, auf sein „Amen“ 750 dürfen erst die anderen einstimmen. Obwohl er – wie an seiner heiseren, zittrigen Stimme zu erkennen – nicht mehr der Jüngste, ist er noch immer der Herrscher über den Hof, der Patriarch – ein Verwandter des alten Grutz aus Karl Schönherrs Stück Erde (1907). Allerdings ist der Vater aus Der Watzmann ruft bei weitem

746 Prokopetz u. Ambros: Hollarödulliöh. 747 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 748 Ebd. 749 Ebd. 750 Ebd. 199 nicht so herrschsüchtig wie der alte Grutz aus Erde . Dennoch wird der Topos vom Herrn des Hofes beibehalten: Der Bauer als Herr über einen autarken Mikrokosmos. „Träger dieser Sozialform ist die autoritär geführte Großfamilie, an deren Spitze der Bauer steht und von dort über die einzelnen Familienmitglieder wie auch über das zum Hof gehörende Gesinde herrscht.“ 751 Bauer und Gesinde sind klassische Figuren der Heimatliteratur: sowohl in der Dramatik als auch im Roman – und Der Watzmann ruft bedient sich mit seinem allwissenden Erzähler auch der häufigsten Erzählsituation im Heimatroman. 752 In den meisten Werken der Heimatliteratur

wird der Bauer als Hauptfigur am stärksten idealisiert. Für die Heimatroman-Autoren verkörpert er die Forderung nach statischen Verhältnissen am eindruckvollsten [sic!], da er als Inbegriff eines wirtschaftlich autarken, mit dem Boden verwurzelten Menschen ins Zentrum der Handlung gerückt werden kann. 753

Patriarchat, Tradition, Erstarrung – das alles sind Aspekte, die zur Ablösung der jüngeren Generation von den Vätern, welche Werte vertreten, die keinen Wert mehr haben – herausfordern. Das wird in Der Watzmann ruft zwar nicht explizit thematisiert – der Sohn wird ja in erster Linie vom Berg und der Gailtalerin gerufen – aber, er will sich vom Vater emanzipieren und sich damit auch von seinen Lebensverhältnissen abwenden: Der Watzmann ruft ist somit ein Paradebeispiel für die revoltierende Antihaltung in der Frühphase des Austropop. Tauchen, Prokopetz und Ambros ziehen die Welt der Vätergeneration heran um sie mit ihren eigenen Mitteln zu parodieren. So werden zum Beispiel die Dienstboten (Knechte, Mägde) in Heimatromanen und vor allem in Heimatfilmen oft als „kauzige Originale oder als arbeitsam und fröhlich beschrieben“ 754 . Die Knechte aus Der Watzmann ruft sind schon mehr als kauzige Originale, mehr als Typen – so ist der Großknecht, und das kommt in der Mittagstischszene wieder zum Ausdruck, in seiner einförmigen Phrasenhaftigkeit die Inkarnation der nichthinterfragenden Existenz, die frisst, was auf den Tisch kommt und nicht nachdenkt 755 . Auf die Aufforderung den Löffel auszuhändigen, weiß der Großknecht nur zu antworten: „Löffel. Hollaröhdulliöh“ 756 , was den Chor der Weiber (es gibt außer der Gailtalerin keine Frauen-Einzelstimme 757 ) nur zu einem stereotypen „De

751 Kovac: Österreichischer Heimatroman, S. 16. 752 Vgl. ebd., S. 27. 753 Ebd., S. 23. 754 Ebd., S. 25. 755 Vgl. Hausner u. Ambros: Gö, do schaust. 756 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 757 Der Chor der Weiber übrigens besteht aus Manfred O. Tauchen und Joesi Prokopetz. 200

Maunnaleit, de Maunnaleit“ 758 veranlasst. Was hier einen parodistischen und komischen Effekt hat, sieht in der Anti-Heimatliteratur ganz anders aus. In Franz Innerhofers Roman Schöne Tage (1974) - in dem Holl von seiner Mutter und seinem Stiefvater auf den Hof des Vaters geschickt wird, wo er nichts anderes als eine weitere Arbeitskraft und ein Außenseiter ist – nehmen die Ess-Szenen wichtigen Raum ein. Das Versammeln um den Tisch ist ja ein gängiges Bild aus der Heimatliteratur und dem Heimatfilm. Bei Innerhofer werden daraus beklemmende Szenen bar jeder Idylle und Romantisierung. Zwei dieser beklemmenden Passagen seien nun ausführlich zitiert – vor allem um einen Kontrast zu Der Watzmann ruft herzustellen und zu zeigen, wie im selben Jahr (1974) ein Thema auf verschiedene Weise dargestellt beziehungsweise in zwei unterschiedlichen Medien gegen die geschönte Welt des Heimatkitsches und Heimatbildes agitiert wird:

In der Stube roch es nach Schweiß. Der Tisch war gedeckt. Vor dem Tisch standen die Männer und Frauen und die Kinder. Der Bauer wartete, bis es ruhig war, dann bekreuzigte er sich und begann laut mit den anderen das Vaterunser zu beten, dabei blickte er mehrmals seitlich zu Holl herunter. Holl hatte von der Großmutter und der Mutter gelernt, daß er beim Beten die Hände schön falten und die Augen wie die Hände zum Kruzifix emporrichten müsse. Nach dem Beten bekreuzigten sich alle, und der Bauer und der Bauknecht gingen allen voran zum Tisch, setzten sich und warteten, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten. Dann forderte der Bauer die Dienstboten und Taglöhner auf, tüchtig zuzugreifen. Er sagte in die Tischrunde, es sei genug zum Essen da. Am Essen habe es auf dem Hof 48 nie gefehlt. Es müsse alles ausgegessen werden. 759

Einige Seiten weiter, wird das Essritual zur Seelenqual:

Während des ganzen Abendessens wird nicht ein Wort gesprochen. Es ist Holl unerträglich, so eingeklemmt zwischen dem Bauern und Konrad Maria gegenüber zu sitzen. Er befürchtet, daß Maria in ein Gelächter ausbricht. Von einem Augenblick auf den anderen, befürchtet er, dass etwas Schreckliches passiert, gleichzeitig ärgert ihn, daß sich niemand über das Essen aufregt. Er erinnert sich, daß er sich gleich am Anfang seiner Aussetzung mit Händen und Füßen gegen die Speckknödel gewehrt hat, weil ihm zum Kotzen war, aber die Schläge und Ohrfeigen und die Angst vor den Schlägen und Ohrfeigen haben schließlich den Brechreiz niedergerungen, so daß es ihm möglich wurde, jeden zweiten Tag mit zunehmender Abneigung dieselbe Magenumdrehspeise zu sich zu nehmen, und er tut es noch immer. Während er den Knödel zerlegt, denkt er, daß es lächerlich und dumm ist, ihm immer wieder die Speckknödel aufzuzwingen. Eher kann er noch verstehen, daß der Lechner seine Söhne von Zeit zu Zeit hungern läßt. 760

758 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 759 Franz Innerhofer: Schöne Tage. München: Dtv 1995, S. 18. 760 Ebd., S. 77. 201

Die starre Haltung die Tischsitten – unter anderem zu essen, was auf den Tisch kommt – einzuhalten, führt Peter Turrini in Sauschlachten ad absurdum. Nach dem Valentin geschlachtet wird, läuten die Mittagsglocken und die Bäuerin betritt die Bühne wie zu Beginn des Stücks 761 – es geht alles so weiter, wie es immer war und immer sein wird: Ein gedeckter Tisch in der guten Bauernstube in einem „typisch bäuerlichen Bühnenbild, welches zwar nicht der Wirklichkeit, aber der Tradition dieses Genres [Bauernschwank] entspricht.“ 762 Und in diesem Ambiente wird nach dem brutalen Ende Valentins wieder aufgetischt. Weil eben um zwölf Uhr Essenszeit ist: „ Bäuerin: Hörts net Zwölfeläuten? Kommts essen, es is angricht. Der Schweinsbraten is a scho fertig.“ 763 Von einer derartigen Drastik ist Der Watzmann ruft natürlich meilenweit entfernt. Aber es ist auch nicht der Impetus dieses Hörspiels sich in die Tradition der Anti-Heimatliteratur einzureihen – was auch die Schlüsselszene „Das Rufen“ deutlich macht. Denn nun kommt die Geisterwelt des Watzmann ins Spiel und damit die Handlung ins Rollen. Der 2. Knecht teilt dem Bauern mit, dass sich ein Stück Vieh verlaufen hat. Mit seiner heiseren Stimme antwortet der Bauer, dass es wieder unheimlich draußen sei und spannt gleich den Bogen zum Watzmann und seinem berüchtigten Rufen: „Es wird wohl wieder amoi so weit sein.“ 764 Die Weiber entgegnen im Chor: „Waunn nua diesmoi ein Einsehn sein möcht’.“ 765 Der Bauer fährt fort mit seinen Schauerreden und kommt zu der Erkenntnis, dass der Berg kein Einsehen kennt und es ist, als wäre der Watzmann der Leibhaftige selbst. 766 Nun gesellt sich zu den durch die von den Essbestecken hervorgerufenen Geräusche wieder der leitmotivische Wind, der Bote des Watzmann, der im Buben nun den Willen hervorruft den Berg zu bezwingen. Donner setzt ein. Der Bub deutet dies als Rufen des Berges. Man vernimmt eine hallende Geisterstimme, der Bub gerät in Ekstase vor dem großen, mächtigen Watzmann, den er unterkriegen muss. 767 Doch es ist noch nicht so weit, der Bub verfällt noch nicht dem Berg. Donner und Wind lassen nach. Das Schlagen einer Kuckucksuhr beendet den Spuk. Es kann weitergegessen werden. Der Vater hegt zu seinem Buben eine große Liebe. Er verflucht den Berg, der ihm sein Liebstes nehmen will und fleht seinen Sohn an stark zu bleiben. Er richtet sich mit seinen Worten auch direkt gegen den bösen Geist, der da vom Watzmann ausgeht. Und selbst mit der Gottesfürchtigkeit ist es zu Ende, wenn es um das Leben seines Sohnes

761 Vgl. Turrini: Sauschlachten. In: Ders.: Lesebuch, S. 123. 762 Ebd., S. 88. 763 Ebd., S. 123. 764 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 765 Ebd. 766 Vgl. ebd. 767 Ebd. 202 geht. Den Gebetssingsang der Weiber beendet der Vater mit einem fauchenden „Heats auf zum Betn, blede Weibsbüda, miteinaunda’.“ 768 Damit ist auch die Frömmigkeit der Landbevölkerung in Frage gestellt. Nun geht es um den elementaren Überlebenskampf, den jeder für sich bestehen muss, da lässt sogar der Patriarch das Beten sein und will nichts mehr von ewig retardierenden Gebeten und Bigotterie hören, wie sie uns per exemplum zu Beginn von Ludwig Anzengrubers Bauernposse Doppelselbstmord (1875) 769 begegnen. In bester Heimatromantradition sind in Der Watzmann ruft die Natur und die damit verbundenen Schicksalsschläge die Hauptthemen.770 Menschliche Konflikte und Naturkatastrophen, die Macht der Natur als Spiegelbild771 sind sowohl im Heimatfilm als auch im Heimatroman ein gängiges Motiv. „Im traditionellen Heimatroman hat die Darstellung von Natur und Landschaft als Szenerie und Stimmungskulisse des Geschehens zusätzlich die Funktion des Impulsgebers für die Handlung des Romans.“ 772 Ein dramaturgisches Modell, das auch in Der Watzmann ruft Anwendung findet. Denn von nun an dreht sich alles um den Berg und den Sohn: Der Berg und der Mensch – ein ewiger Kampf, wie der Untertitel lautet. Besonders überstrapaziert wurde dieser Topos im Berg- und Heimatfilm:

Wie in den einschlägigen Gedichten und Romanstoffen des 19. Jahrhunderts erscheint in ihm die äußere Natur als Spiegel und Gegenüber der inneren, menschlichen Natur, die Bergwelt als Herausforderung für menschliche Körper- und Willenskraft. [...] Die Natur spielt die Hauptrolle, sie ‚handelt’, sie verkörpert das Heroische und Mächtige, läßt die Menschen eher passiv, blaß erscheinen, eingebunden in schicksalhafte Bestimmungen. 773

Und die Natur erscheint in Der Watzmann ruft mit der effekthaschenden Gewalt des Wiener Volkstheaters. Wie mit dem Maschinenzauber aus so manchem Zauberstück wird der rufende Geist des Watzmann hörbar gemacht. Die Windböen und Donnerschläge scheinen direkt den

768 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 769 „Chor: Fleißig in d’Kirchen gehn Zu Gottes Ehr‘, Und dort aufpassa schön Af d’ Christenlehr’! [...] Laßt uns hier christli leb‘n Und christlich sterb‘n, Daß wir darnachet eb‘n `s Himmelreich erb‘n!“ (Ludwig: Anzengruber: Doppelselbstmord. In: Ders.: Werke Bd. 4., S. 77-78.) 770 Vgl. Kovac: Österreichischer Heimatroman, S. 20. 771 Vgl. ebd. 772 Ebd. 773 Wolfgang Kaschuba: Einleitung. Bildwelten als Weltbilder. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 10. 203

Schauereffekten des Wiener Volkstheaters entnommen: Geisterhaftes Donnern, wie wir es unter anderem aus Der Alpenkönig und der Menschenfeind 774 von Ferdinand Raimund oder gepaart mit Blitzen aus dem romantisch-komischen Volksmärchen Das Donauweibchen (1798) von Karl Friedrich Hensler kennen. Letzteres bietet ja ein Übermaß an Natureffekten. Vom ersten Aufzug an begleiten die Charaktere Donnerschläge, „dumpfes, donnerartiges Gemurmel“ 775 , „ein fürchterlicher Sturm, Donner und Blitz“ 776 , „Windschauer“ 777 , „schröcklicher Donnerschlag“ 778 und dergleichen. Windschauer und Donner – so kündigt sich auch der Watzmann an und holt sich seine Opfer, denn er weiß um die Schwächen der Menschen, die ihn bezwingen wollen: Selbstüberschätzung und Übermut und der Berg weiß auch: „das ‚Obenhinauswollen’ führt zu nichts“ 779 . Die menschliche Hybris ist es, die auf die Waagschale gelegt wird. Deutlicher könnte die Parallele zum Besserungsstück aus dem Wiener Volkstheater wohl nicht mehr sein. Und doch ist gerade die Bedrohung durch den Watzmann ein Bruch mit dem Wiener Volkstheater – zumindest á la Anzengruber, der sich wie Ganghofer und später die Heimatfilme der schwärmenden Landschaftsbeschreibung nicht erwehren konnte:

Halbnachtig war’s noch, wie i mit der Kreunzen aus‘m Haus bin, durchs Dorf auf‘n Gemskogl zu – kein Hahn hat sich noch g‘rührt, kein Hund und selbst der Wind war noch wie verschlafen und hat nur so e bissel hing‘wachelt, kaum daß er a Blattl auf‘n Baum g‘rührt hat – und i bin immer höher und höher hinauf nach‘m Gemskogl zu […] und oben hab‘ ich mich niederg‘setzt und hab‘ ausg’rast‘ und g‘wart, bis die Sonn‘ übern Watzmann heraufkommt [...] … und die Sunn’ hat so freundlich geschienen [...] und sie leucht halt doch üb‘rall hin! 780

Ein ganz anderes Watzmann-Bild beschreibt Liedtexter Prokopetz in dem dräuend instrumentiert und von Ambros ebenso vorgetragenen Rocksong „Der Berg“, der das Ende der Szene „Das Rufen“ überlagert. Nach einer langsamen, düsteren Introduktion ertönt Ambros Stimme in hallendem, pathetischem Hochdeutsch-Sprechgesang:

Groß und mächtig,

774 Vergleiche hierzu Zweiter Akt, Szene sieben. (Ferdinand Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind. In: Ders.: Ferdinand Raimunds dramatische Dichtungen. Hrsg. v. Margarethe Castle und Eduard Castle. Bd. 2. HkA. Wien: Anton Schroll & Co [Ohne Jahresangabe.], S. 173-175.) 775 Karl Friedrich Hensler: Das Donauweibchen. In: Aus der Frühzeit des Alt-Wiener Volkstheaters. Hrsg. v. Otto Rommel. Wien, Leipzig: Karl Prochaska. Ohne Jahresangabe, S. 26. 776 Ebd., S. 28. 777 Ebd., S. 38. 778 Ebd., S. 48. 779 Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. In: Ders.: Werke. Bd. 2., S. 33. 780 Ebd., S. 48-49. 204

schicksalsträchtig. Um seinen Gipfel jagen Nebelschwaden.781

Nun ändert sich das Thema und die Sprache nähert sich leicht dem Tirolerischen eines Karl Schönherr:

A Donnern schickt er oft ins Tal und dann schaudert’s alle auf amal. Wann er donnert Gott behüt - der Berg, der kennt koa Einsehn nit.

Watzmann, Watzmann Schicksalsberg - du bist so groß und i nuar a Zwerg.

Vü hots schon pockt, am Berg aufi glockt. Gfolgt sans ihm tapfer, aber der Berg, der wü sei Opfer. Der Berg, der lasst halt niemaund aus, drum steigts net aufi, bleibts liaba z’haus. Alle san sie lange tot, weu halt doa Berg koa Einsehn hod.

Watzmann, Watzmann Schicksalsberg - du bist so groß und i nuar a Zwerg. Watzmann, Watzmann Schicksalsberg - du bist so groß und i nuar a Zwerg. 782

Der Choreinsatz (von der Gruppe „Schmetterlinge“) am Schluss verleiht dem Song einen hymnischen Charakter. Musikalisch ist hier der mythische Höhepunkt erreicht – ohne allerdings zu ernst zu geraten. Des Weiteren fällt hier eine gewisse hybride Stellung der Sängerrolle auf, die in weiterer Folge noch öfters zum Tragen kommt. Der Text beginnt mit einer Beschreibung des Watzmann und dessen Auswirkung auf seine Umgebung. Die Rephrainzeilen allerdings können als Ich-Position des Buben gedeutet werden. „Schallplattendramaturgisch“ endet mit diesem Song die erste Seite und damit auch, wie es direkt auf dem Plattenaufdruck zu lesen ist, „Des Rustikals 1. Teil“ 783 . Des Rustikals zweiter Teil beginnt mit dem Hörbild: „Die Jagd“, das aber eine Handlungssteigerung bietet und nebenbei noch mit einem weiteren Heimat(film)klischee parodistisch aufräumt – jenem der

781 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Der Berg. Watzmann. 782 Ebd. 783 Siehe Klappentext Der Watzmann ruft . 205

Jagd. Das Sujet der Jagd (und damit zusammenhängend das Wildern) wurde unter anderem in den beliebten Filmen über den Förster aus dem Silberwald inflationär ausgeschlachtet, aber auch in zahlreichen anderen Produktionen tummeln sich Förster und Jäger. Der Watzmann ruft benützt dieses Sujet lediglich als Aufhänger für die Verschärfung des Konflikts zwischen Vater und Sohn. Knapp führt der Erzähler in die Szene ein: „Vater und Sohn sind auf die Gams gegangen.“ 784 Das obligate Vogelgezwitscher und leise Wehen des Windes deuten wieder den Naturraum an, in den die heisere Stimme des Vaters und das Stapfen von Füßen eindringen: „So da, jetzn san ma herobn. Bua, do schau obi.“ 785 Dem Hörer wird sofort klar gemacht, dass sich Vater und Sohn auf einer Anhöhe befinden. Ob des Ausblicks gerät der Sohn in Ekstase, die sich im Lauf der Szene immer weiter steigert: „Mei, so weit heroom woa ma no nia. Sie is hoit so vü schön unsa Hoamat!“ 786 Nun wird zum ersten Mal das Opfer der Parodie auch tatsächlich angesprochen: Die Heimatverherrlichung. Von oben betrachtet ist sie schön die Heimat: Die Bergbauernsiedlung, die geduckt und eng am Watzmann klebt. So weit oben war der Bub auch noch nie – das weckt natürlich Freiheitsgefühle, die er unten im Tal nicht entwickeln kann: „A Gfühl is des do herobn, so gaunz aundaus, so frei – ois wia waunn an Flügl wochsn möchtn.“ 787 Der Vater gebietet dem Übermut des Buben Einhalt und mahnt, dass es genug sei – vor allem weil schon wieder ein Gewitter im Anzug ist. Der Gefühlsausbruch des Buben aber beweist, dass er am Hof im Tal und wohl auch unter der Fuchtel des Vaters keineswegs frei ist. Dass sich der Sohn vom Vater ablösen muss, wird nun evident: Der Vater drängt ob des immer stärker aufkommenden Windes auf das Nachhausegehen, doch der Sohn will die neue Freiheit noch genießen und überredet ihn noch ein bisschen zu bleiben. Der Sohn will noch weiter hinauf, als er eine Gemse erspäht. Er beginnt zu laufen, der Vater mahnt ihn: „Net so schnöll Bua, net so schnöll.“ 788 Das markiert einerseits den Alters– und damit auch Generationenunterschied, auf der anderen Seite aber möchte der Vater instinktiv den Übermut des Sohnes bremsen. Als sich die beiden auf die Lauer legen, kommt allerdings das Wetter – Windschauer und Donnergrummeln – immer näher: Der Watzmann ruft erneut den Buben beziehungsweise glaubt der Bub gerufen zu werden. Das Donnern wird – unter Krähengekreische - bedrohlicher und der Sohn verliert die Kontrolle über sich. Plötzlich ruft er – begleitet von lautem Donner: „Jetzt muaß i aufi!“ 789

784 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 785 Ebd. 786 Ebd. 787 Ebd. 788 Ebd. 789 Ebd. 206

Der Vater brüllt warnend: „Jetzt geht ar um, da Watzmann. Jetzt suacht a!“ 790 Der Vater verliert beinahe die Macht über den Sohn, der in äußerster Ekstase verkündet: „I muaß aufi, aufi zu dia!“ 791 „Do gehst hea: obi – net aufi!“ 792 versucht ihn der Vater zu halten. Die Szene fadet mit lautstarken „Watzmann!“-Rufen 793 des Sohnes aus und gleitet in die ersten Takte des Rock-Songs „Oh, St. Hubertus“ über, wo behäbige Chorstimmen die „Watzmann“-Rufe in gedämpfterer Form übernehmen und mit dem Pfeifen von Ambros alternieren. Textlich ist das Lied dem Song „Hollaröhdulliöh“ ähnlich: Es werden Reime gesponnen ohne Zwirn – was bedeuten soll, dass nach einem tieferen Sinn hier nicht gesucht werden kann. Bereits zu Beginn bricht der Text:

Oh, Sankt Hubertus lass dein Jagdhorn ertönen!794

Nach dieser durchaus schlüssigen, christlichen Anrufung des Schutzpatrons der Jäger könnte man annehmen, der Sänger fungiert hier als innere Stimme des Vaters, der bei einem Heiligen um Schutz für seinen sich ins Verderben stürzenden Sohn fleht. Doch der Text nimmt eine andere Wendung. Es folgt ein nicht näher definiertes „Wir“ und eine Reihe von absurden „Aneinanderreimungen“:

Wir werden uns schon dran gewöhnen mit leisem Stöhnen.

Oh, Sankt Hubertus lass dein Jagdhorn schmettern! Wir werden auf die Bäume klettern und lauthals zetern.

Oh, Sankt Hubertus nimm dein Jagdhorn an den Mund und mach doch nicht die Lippen rund - so ohne Grund!

Oh, Sankt Hubertus lass dein Jagdhorn tuten! Wir schlagen uns mit Ruten bis wir verbluten.

790 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 791 Ebd. 792 Ebd. 793 Ebd. 794 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Oh St Hubertus. Watzmann. 207

Oh, Sankt Hubertus wirf den Ton deines Jagdhorns in die Luft! Auf dass er wie in einer Gruft langsam verpufft.795

Die Wir-Form des Liedes kann natürlich fraglos die Bergbauerngemeinschaft und deren schicksalsgläubigen, subalternen Katholizismus meinen, der hier auf formaler (Text und Musik) wie auch auf inhaltlicher Ebene durch den Kakao gezogen wird. Der durchgängig in Hochdeutsch gehaltene Text erinnert mit seinem flehenden „Oh St. Hubertus“ und den darauffolgenden christlichen Ergebenheiten an Kirchen- beziehungsweise Wallfahrtslieder wie zum Beispiel „Maria, wir grüßen dich“:

Maria, wir dich grüßen, o Maria hilf, und fallen dir zu Füßen, o Maria hilf ! […] Maria hilf uns all hier in diesem Jammertal!796

Es ist dieses „Wir“, das auch „Oh St. Hubertus“ trägt. Religiöse Inbrunst, wie sie in „Maria, wir grüßen dich“ besungen wird, mutiert in dem Ambros-Prokopetz-Song, der schon musikalisch nichts mit derartigen Liedern gemein hat, zu grotesker, gottesfürchtiger Unterwürfigkeit 797 und religiösem Wahn, der an mittelalterliche Geißelzüge 798 erinnert. Um hier nicht Gefahr zu laufen der Überinterpretation anheim zu fallen, ein kleiner interpretatorischer Vergleich: Diese Lesart des Songs „Oh St. Hubertus“ ist wohl ebenso zulässig wie die Behauptung, die britische Komikertruppe Monty Python macht sich in ihrem Film Das Leben des Brian (1979) über religiösen Fanatismus und blinden, sektoiden Gehorsam lustig. Vor allem entfalten schon die nächsten Szenen ein ganz anderes – sündhaftes – Bild der vermeintlich durch und durch katholischen Bevölkerung rund um den Watzmann. Wieder wird eine Erwartungshaltung zerstört. Das folgende Gespräch der

795 Prokopetz u. Ambros: Oh St. Hubertus. 796 [Keine Verfasserangabe.] Maria, wir grüßen dich. In: Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Erzdiözese Wien. Hrsg. v. d. Bischöfen Deutschlands und Österreichs und den Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich. Stuttgart: Katholische Bibelanstalt 1975, S. 930-931. 797 „Oh, Sankt Hubertus lass dein Jagdhorn schmettern! Wir werden auf die Bäume klettern und lauthals zetern“ (Prokopetz u. Ambros: Oh St. Hubertus.) 798 „ Oh, Sankt Hubertus lass dein Jagdhorn tuten! Wir schlagen uns mit Ruten bis wir verbluten.“ (Ebd.) 208

Knechte weist in eine ganz andere Richtung und der Song „Die Gailtalerin“ ist mit seinem Schunkelrhythmus, Dialekt und sexuellen Unverblümtheiten auch das genaue Pendant zu „Oh St. Hubertus“. Mit einer Ernsthaftigkeit, als würden die Knechte etwas Weltumstürzendes vollbringen, leitet der Erzähler die Szene ein: „Und die Knechte stechen [besonders dramatisch betont] den Misthaufen um“. 799 Kurz und prägnant wird nun die Figur der Gailtalerin in die Handlung eingeflochten. Umrahmt von Kuhlauten und Stallgeräuschen unterhalten sich die Knechte. Der 2. Knecht beginnt das zweite „angeregte“ Gespräch mit: „Sie is wieda do.“ 800 Gemeint ist die Gailtalerin. Der 1. Knecht wittert schon die Gefahr: „Des duat koa Guat nit.“ 801 , was der 2. Knecht bestätigt. Der 1. Knecht mutmaßt: „Wir kummen olle no draun.“ 802 und erhöht damit die Spannung: Was ist so Besonderes an der Gailtalerin? Ein „fesch Weibats“ 803 ist sie, wie der 2. Knecht verrät, der daraufhin sofort von seinem Antagonisten mit einem knappen „Sei stad“ 804 in die Schranken gewiesen wird. Die Gailtalerin muss also eine hübsche, aber verruchte Frau sein. Dies bestätigt uns das Ende des Gesprächs und das darauffolgende Lied – sozusagen ein Auftrittslied in der 3. Person Singular:

[1. Knecht:] Da Herrgott hört olles. [2. Knecht:] Da Herrgott siecht olles. [Großknecht:] Und der Herrgott riacht olles. 805

Die Gailtalerin ist also eine Prostituierte und das im Hörer vermutlich schon schwelende, plakativ-platte Wortspiel Gail-geil bestätigt sich mit dem Song: „Die Gailtalerin“, von dem Hubert Grininger behauptet: „Was das erotische Vokabular betrifft, muß eine solche offene Sprache im Austropop schon seinesgleichen suchen.“ 806 Anscheinend dürfte er aber im Oeuvre von Ambros und Danzer nicht annähernd so versiert sein, wie diese Aussage vermuten lässt, ansonsten hätte er sie wohl nicht getroffen. Nichtsdestotrotz ist „Die Gailtalerin“ ist ein Song, der direkt Erotik und Sexualität thematisiert:

De Maunna tuats in Kopf vadrahn und scheene Augn mochn

799 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 800 Ebd. 801 Ebd. 802 Ebd. 803 Ebd. 804 Ebd. 805 Ebd. 806 Grininger: Der Weg, S. 164. 209

bis ois a gaunza gaunz damisch san; die Sünd ist ausgebrochn. Bis ois a gaunza ganz damisch san die Sünd ist ausgebrochn. Sie is a gaunz a ausgschamte Dirn - die Gailtolerin! Die Gailtolerin!

Jo, die Gailtolerin, die Gailtolterin, die Gailtolerin, hollioh. Die Gailtalorin, die Gailtolerin ist wieda do!

Sie is jo söbst de leibhoftige Sünd - untan Kittl trogts, schauts weg - waunn sa si buckt, nochan siecht mas von hint, feiarote Untareck! Waunn sa si buckt, nochan siecht mas von hint, feiarote Untareck! 807

Mit einem gedoppelten Halleffekt schließt der erste Teil des Songs. Die Volkstümlichkeit dieses Schunkelliedes wird vor allem durch die retardierenden Zeilen und Strophenenden erreicht, die somit in bester G’stanzl- und Schnaderhüpfltradition stehen. Aber auch die sexuelle Direktheit, die im zweiten Teil des Liedes noch deutlicher wird, kennt man aus diversen tradierten Schnaderhüpfeln wie zum Beispiel:

Tuas langsam, tuas langsam, tuas nur nit so g’schwind, wenns wol tut, tun’ außa, sonst krieg i a Kind.808

Oder:

`S Dirndl is g’schoss’n wordn, is volla Schrett, `s muaß oana g’schoss’n han, der’s net versteht. 809

Ein Lied wie „Die Gailtalerin“ übernimmt wie man sieht Tradition und ist damit ein gar nicht so großer Tabubruch, wie man vielleicht beim ersten Hören zu glauben vermag. Im Gegenteil

807 Prokopetz u. Ambros: Die Gailtalerin. Watzmann. 808 Titelloses Schnaderhüpfel. In: Petra Streng, u. Gunter Bakay: Bauernerotik in den Alpen. Das Liebesleben der Tiroler vom Mittelalter bis ins zwanzigste Jahrhundert. Innsbruck: Edition Löwenzahn 1997, S. 140. 809 Titelloses Schnaderhüpfel. In: Streng u. Bakay: Bauernerotik, S. 140. 210

– eigentlich steht dieser Song auch künstlerisch in einer viel längeren Tradition: „die Geilheit (vornehmer ausgedrückt: die ‚Ungezwungenheit’) der ländlichen Bevölkerung findet sich vom Mittelalter bis heute in der bürgerlichen Unterhaltungsliteratur, im Theater und in Filmen.“ 810 Und gerade in den Siebzigern rollte neben der Aufklärungswelle auch eine Heimatfilm-Sexwelle über den deutschsprachigen Raum hinweg:

Für den sterbenden Heimatfilm eröffnet die [...] Sexwelle eine Überlebensperspektive: den ‚Lederhosen-Sexfilm’. Der Schauwert der Landschaft wird abgelöst vom Schauwert der Busen und Beine. [...] Die Dirndldekolletés rutschen immer tiefer, die Liebespaare übernachten in trauter Zweisamkeit [...] auf dem Heuboden, oder es wird für eine Fernsehshow eine ‚alpenländische’ Revue getanzt von ‚Maderln’ in kurzen Lederhosen, die kürzer und knapper auch heute nicht sein könnten. 811

Von 1968 bis 1981 wurden Meilensteine der Filmgeschichte gefertigt wie Pudelnackt in Oberbayern (1968), Die fleißigen Bienen vom fröhlichen Bock (1970), Liebesgrüße aus der Lederhos’n (1972), Ob Dirndl oder Lederhos’, gejodelt wird ganz wild drauflos (1973), Alpenglühen im Dirndlrock (1974), Auf der Alm da gibt’s koa Sünd (1974), Beim Jodeln juckt die Lederhose (1974) oder Wo der Wildbach durch das Unterhöschen rauscht (1974). 812 Die Verführungsszene – Dreh- und Angelpunkt – des ganzen Hörspiels Der Watzmann ruft übernimmt die plakative Derbheit derartiger Produktionen und ihren voyeuristischen Impetus 813 , den auch die Mitwirkenden von Der Watzmann ruft durchaus zu nutzen wissen, denn in der Szene „Die Gailtalerin“ wird hörbar gemacht, was der Sänger in dem gleichnamigen Song angekündigt hat. Der gedoppelte Halleffekt am Ende desselben leitet

810 Streng u. Bakay: Bauernerotik, S. 17. 811 Gertraud Koch: Kleinbürgers Traumfabrik. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 87. In der Szene Heimat, deine Filme nehmen auch Helmut Qualtinger und Carl Merz die „neue Welle“ aufs Korn. Regisseur Czirke meint darin: „Neue Welle – sehr gut .. zweihundert Mäderl in Lederhosen ...“ [Carl Merz u. Helmut Qualtinger: Heimat, deine Filme. In: ‚Brettl vor dem Kopf’ und andere Texte fürs Kabarett. Wien: Deutike 1996. (=Helmut Qualtinger Werkausgabe. Hrsg. v. Traugott Krischke. Bd. 2.), S. 277.] Vorher spielt sich noch folgender an der kommerziellen Verwertung von Sex orientierte parodistische Dialog ab: „KOTZENBROCK [Aufnahmeleiter]: Sie haben doch einen Bergfilm gedreht ... CZIRKE: Berg ...? KOTZENBROCK: Ja, da war ’n Berg dabei. ‚Ich hab’ mein’ Sterz in Kapfenberg verloren ...’ CZIRKE: Das war Landsmann von mir: Bisony von Isternet. Ich habe gedreht: ‚Hoch von der Puszta her ...’, mit zweihundert Mäderl in kurzer Lederhose ...haben Csárdás getanzt ... KOTZENBROCK: Nu halten Se mal die Luft an: Lederhosen in der Puszta ... CZIRKE: Mäderl waren Tiroler Hirten auf Urlaub ... [...]“ (Merz, Qualtinger: Heimat, deine Filme, S. 275-276.) 812 Vgl. Thomas Hoffmann: Heimatfilmsurrogate. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 105-107. 813 „Diese zwar liebevollen, aber lieblos gemachten Streifen spekulieren einfach auf die voyeuristischen Neigungen des (männlichen) Zuschauers – nicht ohne kommerziellen Erfolg. Vorgeführt wird eine Abfolge nackter Menschen, zumeist weiblichen Geschlechts, und Scheinkopulationen in Serie in allen möglichen und unmöglichen Stellungen.“ (Thomas Hoffmann: Heimatfilmsurrogate, S. 104.) 211

über in den Windschauer, der die Verführungsszene zwischen Gailtalerin und Bub akustisch untermalt. Die Szene beginnt mit heulendem Wind und dem Ruf einer Eule. Das schafft nicht nur eine nächtliche, sondern auch eine bedrohliche, unheilvolle Atmosphäre. Dies konterkariert auch die erotisch aufgeladene Verführungspassage; darüber hinaus bringt sie die Katastrophe, die dieselbige auslöst, zum Ausdruck. Die Gailtalerin – gesprochen von M.O. Tauchen ohne jegliches Kärntner Sprachidiom (das Gailtal liegt ja in Kärnten) nähert sich dem noch unschuldigen Buben.

[Gailtalerin:] Griaß di Bua! [Bub:] Jössas! [Gailtalerin:] Brauchst net darschreckn, waunn di a Weiberleut anredt. Oder schau i so aus, wie waunn i da wos duan kannt? 814

Langsam und zögernd nähert sich ihr auch der Bub. Sie bittet ihn sich zu ihr zu setzen, weil ja so eine schöne Nacht ist – was der heulende Wind aber nicht gerade so erscheinen lässt. Dann bringt sie den Watzmann ins Spiel: „Nur er hat si eing’hüllt.“ 815 Sie beginnt zu frösteln und bittet den Buben sie zu wärmen. Dieser zögert noch immer. Die Gailtalerin stellt sich vor als bekannt im ganzen Tal und gibt ihm zu verstehen, dass sie starken Männern nicht gerade abgeneigt ist: „Mi kennt aber sunst jeds Mannsbüld in da Gegend. Weil Mannsbülda hab i gern. Starke, grod a so stark wie du.“ 816 Nun wird es erotisch. Vorerst ohne Beigeräusche wird der Phantasie des Hörers überlassen, was sich hier tatsächlich abspielt. Mit geschickten Verlegenheitspausen des Buben kann man der Vorstellung freien Lauf lassen, was die mit immer vibrierenderer Stimme agierende promiskuitive Gailtalerin physisch von sich preisgibt:

[Bub:] Jo -- oba -- wos mochst denn do, Gailtalerin? [Gailtalerin:] Wos zuckst denn zruck? Brauchscht kaa Angst hobn. I beiß scho net. Oda gfoll i da vielleicht net? Do schau her! [Bub:] Na - net -- ojo -- oba -- [Gailtalerin:] Do – kaunnscht as ruhig aungreifen. – Na – isch des guat? 817

Man vermag sich natürlich auszumalen, dass der Bub die Brüste der Gailtalerin zu fassen bekommt. Es könnte aber auch mehr sein. Auf jeden Fall steigert sich das Verlangen von beiden, wobei sich die Gailtalerin berechnender Weise in Zaum hält. Man vernimmt zwar

814 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 815 Ebd. 816 Ebd. 817 Ebd. 212

Gestöhne und Kussgeräusche, der Bub säuselt erregt: „Gailtalerin!“ 818 , aber – und das ist der Haken – die Gailtalerin lässt ihn nicht ganz an sich heran. Sie versetzt ihn in den Glauben, er sei ein starker Mann, „so stork wia da Watzmann. Wia da Watzmann.“ 819 Zu allem Übel redet sie ihm ein, dass er hinauf auf den Berg muss, denn er kann es schaffen den Watzmann unterzukriegen. Die Bedingung mit ihr Geschlechtsverkehr zu haben ist die Erklimmung des Watzmann, denn noch ist dieser stärker als der Bub. Gemäß der Heimatfilmstereotypie gilt es: Um die Geliebte zu bekommen, muss man(n) ein Edelweiß pflücken; der Bub muss sich eben auf den gefürchteten Watzmann trauen, um mit der Gailtalerin, der fremden Unruhestifterin zu schlafen. Mit sardonisch-lüsternem Lachen geht sie von dannen und lässt den Buben in unerfüllter Erregung zurück. Ihr Lachen verklingt – ebenso wie das Heulen des Windes und der zweite Teil von „Die Gailtalerin“ setzt ein, der nun ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Sänger und Chor ist. Ambros singt die Fragen, der Chor antwortet und unterstützt damit den Bierzelt-Schunkel-Charakter des Songs.

Zu wem ziagts olle Bauern hin? [Chor antwortend:] Zur Gailtolerin Wer ist die größte Sünderin? [Chor antwortend:] Die Gailtolerin.

[…]

Wem haum de Bauernbuam olle im Sinn? De Gailtolerin! Und wer haut schon olle Bauern ghobt drin? Na, de Gailtolerin! 820

Mit einem fröhlichen „Juhui“ 821 endet der Song. Die Gailtalerin ist nun endgültig als die leibhaftige Sünde etabliert. Sie ist wie der Watzmann mit dem Teufel im Bunde, denn auch der bedrohliche Berg wird in die Nähe des Teufels gerückt. Der Vater ist es, der sagt, es scheint als ob der Watzmann der Leibhaftige selber wäre. 822 In der Verführungsszene kommt es also zu einer Verzahnung von persönlichem (Gailtalerin) und überweltlichem Schicksal (Watzmann) – in bester Heimatfilmtradition. Damit tritt auch die Inkubation für die Loslösungstendenzen des Sohnes vom Vater zu Tage, denn die sind nun mit seiner beginnenden sexuellen Reife und Adoleszenz verbunden. Der Konflikt Vater-Sohn ist ein

818 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 819 Ebd. 820 Prokopetz u. Ambros: Die Gailtalerin. 821 Ebd. 822 Vgl. Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 213 beliebtes Heimatfilm-Thema – vor allem, wenn es um die Konkurrenz um eine Frau geht. 823 Ein direkter Konflikt um die Gailtalerin besteht nicht. Dass der Vater Kontakt zu ihr hat oder gehabt hat, ist aber nicht auszuschließen, da sie alle Männer im Tal kennt, wie sie ja selbst sagt. (In der Bühnenversion von 2004 gibt es dann wirklich eine Szene zwischen Bauer und Gailtalerin.) Die Frau im Vater-Sohn-Konflikt ist aber durch die Gailtalerin sehr wohl präsent, weil sie den Buben endgültig dazu bringt, den Watzmann erklimmen und unterkriegen zu wollen. Die Freiheit, die der Sohn auf der ihm noch nicht bekannten Anhöhe (so hoch hinauf war er ja noch nie mit dem Vater gegangen) bei der Gamsjagd verspürte, keimt jetzt auch in sexueller Hinsicht – ausgelöst durch die ihm fremde Gailtalerin. Der Aspekt der Fremde ist für den Buben der Indikator für seine Ausbruchssehnsucht (aus der Heimat):

Heimat im traditionellen Sinne läßt sich geographisch [...] lokalisieren: Heimat ist das Dorf, die Region [und in weiterer Folge auch Familie], aus der ein Mensch stammt, deren Sitten und Gebräuche, deren Landschaft und Kultur er kennt. Heimat ist die Geborgenheit der vertrauten Umgebung. Doch ist diese Geborgenheit nicht absolut, sondern durchsetzt mit vielerlei Erfahrungen, die eine Veränderung und Umwälzung des Ist-Zustandes wünschenswert erscheinen lassen [...]: Die traditionell einzige Ausbruchsmöglichkeit aus diesem Zustand ist die Wanderschaft, der Zug in die fremde Ferne. Diese Ambivalenz zwischen heimatverbundener Geborgenheit und der Faszination des Ausbruchs aus dem Vertrauten findet sich besonders typisch in den zahlreichen Volksliedern. 824

Aber auch in Heimatfilmen und im Hörspiel Der Watzmann ruft . In letzterem ist der Zug in die Ferne eben das höchst gefährliche Ersteigen des Watzmann, das auch in dem Lied „Aufi, Aufi!“, welches über Passagen durchaus volksliedhaft anmutet, zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus bedeutet der Verkehr mit der ortsfremden Gailtalerin nicht nur den Kontakt mit jemand außerhalb der Bergbauernumgebung des Sohnes sondern auch eine neue körperliche, persönliche Gefühlserfahrung. Sex und die Hybris des Bergsteigens sind untrennbar verbunden:

Im Prozess des Bergsteigens hat sich der Held der Berge von allen Liebesobjekten zurückgezogen, will die Laster der Tiefe überwinden (Frauen) und das männliche Gesetz über die weibliche Natur siegen lassen. In der Freud’schen Traumsymbolik gilt das Steigen als sicheres Symbol des Geschlechtsverkehrs, begleitet durch das Anwachsen der Erregung [...]. 825

823 Vgl. Koch: Kleinbürgers Traumfabrik. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 86. 824 Ebd., S. 29-30. 825 Jutta Menschik-Bendele: Psychoanalytisches zum Bergfilm. Heldinnen und Helden in den 30er Jahren. In: Der Bergfilm 1920-1940. Hrsg. v. Friedbert Aspetsberger. Innsbruck, Wien: Studienverlag 2002, S. 88. 214

Von Freud und Lasterbefreiung ist in Der Watzmann ruft keine Spur. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Macht des Bösen, die sowohl der Gailtalerin als auch dem Watzmann innewohnt, besiegt den Buben schließlich. So wie der Sohn von einer Verwirrung in die nächste stürtzt, so werden die Hörer von den musikalischen Stimmungswechseln durch das Hörspiel gepeitscht, denn bereits die nächste Szene „Der Kampf“ bietet wieder, wenn auch nicht ganz ernstzunehmende, Hochdramatik. Die Handlung spitzt sich zu. Nun bedarf es auch keines erzählerischen Intermezzos mehr um die Handlung voranzutreiben. Die Szene beginnt ohne Umschweife mit der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. In „Der Kampf“ prallen die zwei Generationen und damit zwei Lebensauffassungen aufeinander. Mit einem jede Hebung betonenden Paarreim (1. Zeile: dreihebiger Trochäus, 2. Zeile: dreihebiger Jambus) tut sich der Sohn dem Vater kund:

Voda loss mi ziagn, i muaß eam untakriagn. 826

Mit diesem Vers wird sofort der Konfliktstoff in knapper Form ins Zentrum gerückt. Natürlich versucht der Vater dem Buben sein Vorhaben auszureden und verliert dabei seine Argumentationskraft in zu vielen „I“-Lauten: „Geh nit aufi Bua. I bitt di, bitt – du gehst nit. I varbitt da’s!” 827 Der Vater versucht ihn zu überzeugen, dass es niemandem gelingt den Watzmann zu bezwingen. Schon jeder Hof ist betroffen. Nur sie haben noch widerstanden – „weul mia stoak woan [...]. Und führe uns nicht in Versuchung!“ 828 Eine seiner letzten Überzeugungswaffen ist die christliche Rhetorik, die nun aber genau so wenig Wirkung zeigt wie die sich ständig wiederholenden Weiber, die den Streit zwischen Vater und Sohn mit ihrem „Is denn goa koa Eiseh‘n nit“ 829 , „Waunn nur ein Einseh’n sein möcht’“ 830 und „De Maunnaleit, de Maunnaleit“ 831 kommentieren. Das Argument, dass der Widerspenstige ja sein einziger Sohn ist, zeigt auch keine Wirkung. Nun gibt es für den Vater keine andere Möglichkeit, als auf seine alte Patriarchenstellung zu rekurrieren, die aber sprachlich so ausformuliert und so lächerlich vorgetragen 832 genau das Gegenteil bewirkt – zumal der Vater

826 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 827 Ebd. 828 Ebd. 829 Ebd. 830 Ebd. 831 Ebd. 832 „[Sohn:] [...]Du kaunnst mi nit holtn. [Vater:] Du bleibst do, sog i, varstaundn! Weul i bin da Bauer. Und wos i sog, des gschicht do am Hof. Und i sog dar: Du gehst ---- nit.“ (Ebd.) Die Stimme des Vaters wird mit wachsender Erregung immer höher. Kulminationspunkt ist das „nit“, vor dem noch eine einsekündige Pause eingeschoben ist. 215 gewalttätig wird und seinem Sohn eine Ohrfeige verpasst 833 , worauf der Bub aus dem Haus läuft, sich mit einem Zuschlagen der Tür verabschiedet und nach draußen läuft, wo wieder der unheilvolle Wind heult – er hat keine andere Wahl, denn „[…] es is stärker ois i. I muaß aufi. Und waunn i drob’n bleib.” 834 Gegen das undefinierte „Es“, das stärker als der Bub ist, hat auch der Patriarch keine Chance. Kaum ist der Sohn weg, bereut der Vater sein Vorgehen. In dramatischer Steigerung und dramaturgischer Klammer zum Beginn spricht nun auch er in Reimen:

Mei eignes Fleisch und Bluat hob i gschlogn. Da Herrgott soll mi nit danoch frogn. 835

Die Knittelverse des Vaters bilden eine sprachliche Brücke zu dem gleich darauf folgenden Lied: „Aufi! Aufi!“. Die Volkstümlichkeit der väterlichen Verse weiterführend beginnt der Song mit einer vordergründigen Akkustikgitarre und beinahe volksliedhafter Einfachheit:

Aufi zu die Schnaderhüpf’ln, aufi zu die Bergesgipf‘ln ziagt’s mi holt so hin. Da Berg schickt ma sein Gruaß - aufi muaß i, i muaß, i muaß! 836

Passend zur eingängigen, fröhlichen Melodie suggeriert der Text Heimatverbundenheit. Dort wo Schnaderhüpf’l gesungen werden – auf die Bergesgipfel zieht es den Buben. Das Lied ist eigentlich in der Ich-Position des Buben verfasst. Gesungen wird es natürlich von Wolfgang Ambros. Die Musik schlägt um in einen aggressiven, mit donnerndem Schlagzeug hereinbrechenden Rocksong und unterstreicht die Gespaltenheit des Sohnes. So wie er sich vom Vater emanzipiert, so emanzipiert sich die Musik. Aus einem Volkslied (Vaterwelt) wird ein krachender Rocksong (Aufbegehren des Sohnes) mit E-Bass, Schlagzeug und durchschlagkräftigem Text:

Voda, Voda loss mi ziagn -

833 Die Gewaltbereitschaft und Übermacht des Vaters auf dem Hof ist auch ein zentraler Aspekt in Innerhofers Roman Schöne Tage : „Der Vater schlug ihn. Holl widersetzte sich. Der Vater schlug ihn, schlug ihn wieder und wieder, bis Holls Widerstand nachließ, bis er aufgab, bis er windelweich war.“ (Innerhofer: Schöne Tage, S. 12.) In der „Ohrfeigenlandschaft“ (Ebd., S. 17.) wird schnell Gewalt angewendet. Gewalt in ihrer widerwärtigsten Form (Folter) ist ja auch Thema von Turrinis Sauschlachten , der die „Ohrfeigenlandschaft“ in ein Schlachthaus verwandelt. 834 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 835 Ebd. 836 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Aufi! Aufi!. Watzmann. 216

da Berg, i muaß eam untakriagn. Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. 837

Die Stimme von Ambros wirkt wie eine zweite Stimme des Sohnes. Tatsächlich bekommen wir den Sohn auch nicht mehr zu hören. Die aggressive Ambrosstimme ist somit gleichzusetzen mit dem Sohn, der sich mit seinem Revoltieren gegen die Welt des Vaters von seiner vertrauten Umwelt losgelöst hat – oder gerade dabei ist sich loszulösen, wie der Text verrät – der ist ja zum Teil im Konjunktiv und Imperativ verfasst. Dieses Lied ist die Brücke zu seinem Ausbruch. Die innere Stimme, die ein Lied begleitet, das zwischen Strophe und Rephrain von „Volkslied“ zu Rocksong wechselt, siegt schließlich doch und der Sohn versucht den Watzmann zu besteigen – auch ohne die Erlaubnis des Vaters, ohne weitere Auseinandersetzung: er tut es ganz einfach. Noch aber besingt die neue respektive innere Stimme des Sohnes seinen Wunsch:

Aufi mecht i, und ned brodln, aufi mecht i, und oom jodln. Im Toi haun i koa Ruah. Mit die Fiaß und mit de Händ dad i klettern auf die Wänd.

Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. 838

Auf einen volkstümlichen Instrumentalteil folgt wieder der rockige Teil mit dem Rephrain:

Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. 839

Die Stimme von Ambros wird im Rephrain immer aggressiver und gequälter. Und auch in der letzten Strophe (ohne Rockklänge) ändern sich nun die idyllischen Bilder der ersten zwei Strophen. Der noch nicht erfüllte Wunsch des Sohnes wird zum Leiden. Von Schnaderhüpfln, Jodlern und hehren Bergesgipfeln ist nichts mehr da:

837 Prokopetz u. Ambros: Aufi. 838 Ebd. 839 Ebd. 217

Aufi zu die schwarz’n Wolk’n ziagt’s mi holt mit ollen G’walt’n. I kimm scho Berg, i kimm. Secht’s es denn nit wiar i leid - i muaß am Berg nauf jetzt und heit!

Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. Voda, Voda loss mi ziagn - da Berg, i muaß eam untakriagn. 840

Es gibt kein Entrinnen. Der Bub entschließt sich den Watzmann zu besteigen – ohne Rücksicht auf Verluste – von seiner Umwelt wird er ohnehin nicht verstanden. Mit mehrmaligem Wiederholen des Rephrains – inklusive eines gequälten „Voda!“-Schreies – fadet der Song aus und die Erzählerstimme meldet sich in fließendem Übergang zu Wort:

Mitten in der Nacht hat der Bub auf den Weg sich gemacht. Und der Bauer bleibt gebückt in der dunklen Stub’ zurück. 841

In dunklen Trochäen – in der zweiten Zeile durch freie Auffüllung der Senkungen nicht eingehalten – wird eine düstere Atmosphäre geschaffen. Der anschließende Monolog des Vaters – begleitet von dräuendem Windheulen – fährt mit Reimen fort. In Form der Teichoskopie wird nun den Hörern das Schicksal des Sohnes und zugleich die persönliche Anteilnahme des Vaters vermittelt:

Wie dar Wind so heult und mei Bua, der aufi kräult - olle Geista san heit draust, mein Gott, wie’s mir vor’m Watzmann graust. Jetzt is er droben in dar Waund. I siech eam richtig, wiar a aufi kraxlt. Klettern kaunn a jo scho mei Bua. Oba da Berg, da Berg, der hot no kaan auslossn. Jetzt. – Do – i siechs vuar mir: Jessas! Da Watzmann. – Jetzt, jetzt hat er ihn packt! Jetzt, jessas – er fallt. Er fallt! Fallt! Fallt! 842

Mit einem Halleffekt verklingen die Rufe des Vaters, die so auch akustisch das Fallen des Sohnes lebendiger gestalten. Nach einer Pause, die den Tod des Buben dramatischer zum Ausdruck bringt als jegliche Schreie des Sohnes, bleibt dem machtlosen Vater nichts mehr als

840 Prokopetz u. Ambros: Aufi. 841 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 842 Ebd. 218 heiser zu sagen: „Mei Bua!“ 843 Die Mauerschau des Vaters, die nicht nur das dramatische Geschehen effektvoll kommentiert, sondern auch Einblicke in die Seele des Vaters gibt erhöht damit die Tragik des Absturzes noch mehr: Vater und Sohn, die im Streit auseinander gegangen sind und nun für immer getrennt sind. Für immer? Mitnichten, denn Der Watzmann ruft ist ja ein Besserungsstück ohne Besserung. Vor dem Finale allerdings wird noch das musikalische Gegenstück zu „Aufi! Aufi!“ eingeschaltet: Die Mauerschau des Vaters wird fortgeführt in dem Lied „Er fallt“. Analog zu „Aufi! Aufi!“ übernimmt hier der Sänger die Rolle des Vaters – auch hier ist die Sängerstimme eine zweite, eine innere Stimme des Charakters, in diesem Fall: des verzweifelten Vaters, der seinen Sohn von ganzem Herzen liebt. Konträr zu „Aufi! Aufi!“ ist „Er fallt“ kein Rocksong beziehungsweise kein Widerspiel aus Rock- und volkstümlicher Musik, sondern im „6/8 Takt (zum Mitschunkeln)“ 844 gehalten – es ist die Musik des Vaters. Im Refrain singt Ambros durch Overdubbing alle Stimmen. 845 Der Refrain „wird nach der zweiten und dritten Strophe, für das alpenländische Volksliedsingen charakteristisch, ausgeterzelt.“ 846 Das aber hat aufgrund des Textes, der den Tod des Buben beschreibt, einen besonders makaberen, schwarzhumorigen Effekt:

Mit voller Wucht hauts mein Buam in die Schlucht und ma hört’s wie’s weithin schallt [mit Halleffekt versehen], aber mei Bua, der fallt, der fallt, aber mei Bua, der fallt, der fallt.

Mit gaunzer G‘walt haut‘s mein Buam in den Spalt. Übern Buckel rinnt’s mar kalt, aber mei Bua, der fallt, der fallt, aber mei Bua, der fallt, der fallt.

In den Tod hinab stürzt er in sein grauslichs Grab. I woaß ja, dass i eam höfn sollt, aber mei Bua, der fallt, der fallt, aber mei Bua, der fallt, der fallt. 847

Der Titel des letzten Hörbilds „Das Maß ist noch nicht voll“ könnte auch als Credo der österreichischen Popularmusik in den Siebzigern angesehen werden. Aber es wurde eben

843 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 844 Pfeiler: Austropop, S. 166. 845 Vgl. ebd., S. 167. 846 Ebd. 847 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Er fallt. Watzmann. 219 immer noch, wie man in Österreich sagt, „ein Schäuferl nachgelegt“. Wie Ludwig Hirsch nach den makabersten Wendungen und Pointen es immer wieder schafft noch eine Wendung und noch ein Pointe hinzuzusetzen, so schlägt auch in Der Watzmann ruft die Handlung noch einmal um, beziehungsweise kommt es zum konsequenten Höhepunkt eines Hörspiels, dass in seiner Dramaturgie nur scheinbar Szene an Szene reiht, aber unter der Camouflage von eingeschobenen Nonsens-Songs die Handlung immer weiter vorantreibt – um letztendlich die Schlusspointe liefern zu können: das Maß ist eben nach dem Tod des Sohnes noch nicht voll. Der volksliedhafte Ton des Liedes „Er fallt“ ist die musikalische Brücke zum letzten Hörbild. Dramaturgisch die Klammer zur Szene „Das Rufen“ schürt die Finalszene, man hat sich wieder um den Tisch zum Essen versammelt, die Erwartung, dass alles seinen gewohnten Gang wie eh und je geht. Man hat sich eben abgefunden mit seinem Schicksal – das suggeriert uns zumindest der Erzähler, wenn er sich zum letzten Mal zu Wort meldet: „Doch das Leben auf dem Hof geht weiter.“ 848 Und wieder wird eine Erwartung gebrochen, die freilich durch den Szenentitel „Das Maß ist noch nicht voll“ vielleicht nicht so hochgesteckt war. Wer denkt, dass wie in Sauschlachten alles seinen gewohnten Gang nimmt, irrt. Die Szene beginnt wie „Das Rufen“ mit demselben Tischgebet. Nach dem „Amen“ 849 , sagen die Weiber im Chor: „Jetztn is scho fost a Monat hea, dass a gaungan is, unsa Bua.“ 850 Der Vater hat den Tod seines Buben noch nicht überwunden, es ist ihm, als ob es erst gestern gewesen wäre und als ob er noch da wäre, sein Sohn. Damit nicht genug, es ist dem Vater, als würde er den Sohn hören. Und da ertönt auch schon die Geisterstimme (gesprochen von Wolfgang Ambros), die mehrmals seinen „Vodan“ 851 ruft. Donnergrollen setzt ein und der Watzmann schlägt erneut zu:

[Vater:] [..] I soll aufikumman zu eam, zu mein Buam. Aufi aufn Watzmann. - Aufi. [Die Geisterstimme verklingt, auch der Donner hört auf.] – Aufi. –Aufi. 852

Damit endet das Rustikal Der Watzmann ruft . Auch der Vater wird Opfer des Berges. Das obligate Heimatfilm-Happy-End bleibt aus. Vater und Sohn sterben. Oberflächlich betrachtet ist das wirklich kein glückliches Ende. Subkutan schwingt da aber wesentlich mehr mit. Wir haben ja gesagt, Der Watzmann ruft ist ein Besserungsstück ohne Besserung. Warum? Und

848 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Watzmann. 849 Ebd. 850 Ebd. 851 Ebd. 852 Ebd. 220 vor allem, was ist genau unter Besserungsstück zu verstehen? Dazu ist es nötig einen kurzen Ausflug in die Wiener Volkstheatergeschichte zu unternehmen. Mit dem Terminus „Besserungsstück“ verbindet man unweigerlich den Namen Ferdinand Raimund, der mit Stücken wie Der Alpenkönig und der Menschenfeind oder Der Verschwender diese Gattung zur Perfektion gebracht hat und sie zu einem literarischen Gesamtkunstwerk aus Zauberspiel und Charakterkomödie machte:

Im ‚Besserungsstück’ tritt das aufklärerische, volkserzieherische Element in den Vordergrund. Sein dramaturgisches Modell sieht folgendermaßen aus: An einem sich gegen Leben, Gesellschaft und Welt auflehnenden Unzufriedenen demonstrieren Geister und Feen gerade durch die Erfüllung seiner Wünsche die Dummheit und Vermessenheit seines Anspruchs. Belehrend und erziehend führen sie ihn zur Erkenntnis, daß sich der Mensch in sein Schicksal zu fügen habe. 853

Von einer solchen Dramaturgie sind in Der Watzmann ruft lediglich Rudimente aufzuspüren. Was vorhanden ist, ist ein unzufriedener Held, der sich gegen seine Umwelt auflehnt. Die Geisterwelt jedoch ist nur in einem mythischen Berg zu finden, der aber Auslöser dieser Ausbruchssehnsucht und Hybris ist – gepaart mit der Verführungskunst der Gailtalerin, die aber, so scheint es, mit dem Watzmann in teuflischem Bunde steht. Im Gegensatz zum Besserungsstück tritt auch keine Besserung ein: Der Sohn muss untergehen und mit ihm der Vater gleich mit. Das ist „Volkserziehung“ und „Belehrung“ ex negativo. Wie wir festgestellt haben ist der Ausbruch des Sohnes signifikant für die vom Austropop oftmals thematisierte und propagierte Ablösung von der Elterngeneration. Diese Aufbruchstimmung personifiziert der Bub, während der Vater die alte, starre Weltordnung verkörpert. Man kann nun freilich so weit gehen zu behaupten, dass das Watzmann-Rufen eigentlich nur die innere Stimme des Sohnes ist, der aus der ihm vertrauten Welt entfliehen möchte. Diese innere Stimme – im Hörspiel die des Sängers („Aufi! Aufi!“) – ist zugleich auch die innere Stimme des Vaters („Er fallt“) – und es ist auch die Geisterstimme, die den Sohn und am Ende den Vater ruft, auf den Berg hinaufzukommen. Daraus ist zu schließen, dass eine Besserung nach den dramaturgischen Regeln des Besserungsstückes nicht eintritt, nach den Gesetzen des Austropop jedoch schon: Der Sohn schafft den Ausbruch und sogar der Vater folgt ihm – der Anfang zu einer Veränderung ist gegeben. Der Vater wird vom flügge gewordenen Sohn, der sich in eine neue Welt aufgemacht hat, gerufen und er folgt ihm nach. Und das Maß ist noch lange nicht voll, denn noch viele Söhne wird der Watzmann rufen und vielleicht mögen noch

853 Hein: Wiener Volkstheater, S. 68. 221 viele Väter folgen. Eine solche popularkulturelle Vision ist allerdings in einer Parodie realistischer als in der Wirklichkeit umzusetzen, wie auch, wir haben ihn bereits zitiert, Georg Danzer 2006 in seinem Lied „Träumer“ feststellen musste:

Wiar i jung woa, hob i traamt, dass ma de Wöd vaändan kau mit Gedaunkn, mit Ideen, mit an Liad. [...] oba, dass ma die Gesöschoft mit Musik vaändan kau - diese Hoffnung is bei mia heit eha klaa. 854

Das ist aber auch nicht primär das Ziel von Der Watzmann ruft , denn in erster Linie ist dieses Hörspiel Unterhaltung – und genau das wird in den Bühnenversionen deutlich, von denen nun kurz auf jene aus dem Jahr 2004 eingegangen werden soll.

5.4.4. Watzmann . Die alpine Rocky-Horror-(Picture-)Show

Der Watzmann ruft. Ein Rustikal in 8 Hörbildern. „Der Untertitel kategorisiert das in Frage stehende Werk [...] und ermöglicht damit [...] eine zielgerichtete Erwartungshaltung des Publikums.“ 855 Nur – was konnte sich das Publikum von einem noch nie da gewesenen „Rustikal“ erwarten. Was auch immer man sich beim ersten Hören der Platte auch heute noch erwartet – Tauchen, Prokopetz und Ambros spielen geschickt (und das beginnt mit der Covergestaltung) mit der Erwartungshaltung der HörerInnen. Mit einer – man gestatte mir das Paradoxon - konsequent parodistischen Ernsthaftigkeit, die ein Ineinander von Komik und Tragik bietet, das in der Bühnenversion verloren geht, werden bis heute gängige Heimatfilmklischees ausgeschlachtet. Das Hörspiel lässt dem Hörer so gut wie keine Zeit zum Entspannen; schnelle Stimmungswechsel – vor allem musikalischer Natur – und die unweigerlich zur Katastrophe sich steigernde Handlung fallen in der Bühnenfassung erweiterten, neue Szenen, Pointen und Kontaktaufnahmen mit dem Publikum zum Opfer. Das tut aber der vermeintlichen „Gaudi“, das Ziel dieser alpinen Rocky-Horror-Picture-Show 856 , keinen Abbruch, denn die Unterhaltung soll im Vordergrund stehen. Die Eindringlichkeit des Hörspiels – ein Schleim aufziehender und ausspuckender Knecht erregt heute wohl durch das bloße Hören mehr Aufsehen als ein nackter Busen auf der Bühne Anstoß – lässt die

854 Georg Danzer: Träumer. 855 Amlinger: Strukturen, S. 85. 856 Vgl. Dolezal: Watzmann live. 222

Bühnenfassung vermissen. Durch die überstrapazierende Verwendung von sexuellen Derb- und Plattheiten und die besonders infantile Darstellung des Buben entsteht der Eindruck, die Watzmann-Neuinszenierung ist genau zu dem geworden, was sie eigentlich parodieren möchte. In diesem Kontext darf man aber nicht vergessen, dass der Watzmann Kultstatus hat und viele Szenen oder Passagen übertrieben werden – wie zum Beispiel die Szene, in der der Bauer vom Buben den Löffel fordert und dieser mit dem Löffel schwingt und lauthals „Löffel. Hollaröhdulliöh!“ 857 brüllt, worauf die Bühne vom Zuschauerraum aus mit Löffeln beworfen wird. 858 Dieser Kultstatus erlaubt auch jegliche Blödelei und sei sie auch noch so aufgesetzt und albern, denn in der Bühnenversion von Der Watzmann ruft ist alles aufgesetzt und vorsetztlich übertrieben beziehungsweise ausgereizt. So trägt der Bauer einen falschen Bart, den er so trägt, dass auch der Oberlippenteil erst unter der Unterlippe beginnt. Die Schüssel, aus der gegessen wird, ist für jedermann einsichtig leerer als die Gags so mancher Szene. Wenn der Knecht von seiner Plastik-Wurst isst, sieht und hört jeder, dass er nicht wirklich abbeißt und seine Essgeräusche nur gestellt sind. Aber genau das ist es, was den Watzmann nicht zum Opfer seiner eigenen Parodie werden lässt: Der Watzmann , diese alpine Trash-Show, ist plakatives Zeigetheater in seiner reinsten Form – und macht daraus auch nicht den geringsten Hehl – ebenso wie ein „ Watzmann -Vorläufer“ aus dem Jahr 1957, das parodistische Spiel mit Musik, Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter von Fritz Herzmanovsky-Orlando, das in einer imaginierten, österreichischen Alpenlandschaft angesiedelt ist. Schon die Bühnenbildbeschreibung mutet wie eine Parallele zum Watzmann - Bühnenbild an:

Vor der [Bahn-]Station Wuzelwang [am Wuzel]. Stilisierte Alpenlandschaft mit grandiosen Gletschern (Prospekt). Rechts, ein wenig schräg gegen den Hintergrund, steht das Bahnwärterhaus. An seiner näher zur Rampe gelegenen Seite springt ein mit Knieholz bewachsener Felsabhang in die Bühne vor, an der andern Seite (Hintergrund Mitte) ragen aus einem imaginierten Abgrund einige Tannenwipfel herauf. 859

Das aus einem Tunnel kommende Bahngleis „führt über den Moos- und Wiesengrund, der die linke Hälfte der Bühne einnimmt (und von einigen ausgestopften Lämmern bevölkert sein kann) [...].“ 860 Eine Kulissenlandschaft, die nicht mehr Kulissenlandschaft sein will, ist auch

857 Dolezal: Watzmann live. 858 Ebd. 859 Fritz Herzmanovsky-Orlando: Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter. In: Wiener Volksstücke. München, Wien: Albert Langen, Georg Müller 1971, S. 191. (Es handelt sich bei der hier verwendeten Version um die einaktigte Fassung, die später zu drei Akten erweitert wurde.) 860 Herzmanowsky-Orlando: Kaiser Joseph, S. 191. 223 das Watzmann -Bühnenbild. Links die Bauernstube, wie aus einem Löwinger-Schwank importiert, rechts die Band. Jeweils links und rechts 861 Prospekt-Tannenwald und in der Mitte ragt im Hintergrund der - sich an das berühmte Gemälde „Der Watzmann“ von Caspar David Friedrich anlehnende Prospekt-Watzmann in die Höhe, dem ein künstlicher Felsblock (mit Enzian und Edelweiß bewachsen) vorgelagert ist: Die zwei Pole und Welten des Stücks stehen einander gegenüber: Die Stube des Bauern und die Rockband mit Frontmann Wolfgang Ambros. Verbindendes Element ist der mittige Watzmann. Die Künstlichkeit des Bühnenbildes überträgt sich auch auf die Requisiten. Bei Herzmanowsky-Orlando wird „ein unförmig ausgestopfter DACKEL hervorgeschoben“ 862 , im Watzmann ist es ein Zwerg auf einem Skatebord bei dem Lied „Der Berg“ („du bist so groß und i nur a Zwerg.“ 863 ); es wird eine künstliche Gams geschossen, die Gailtalerin kommt auf einem Wagen hereingefahren, der von einer Kuh gezogen wird, in der offensichtlich zwei Menschen stecken, auf das Stichwort: „Das Barometer fallt wie narrisch.“ 864 , fällt dieses tatsächlich von der Außenwand der Bauernstube – ebenso wie auf „Die Wolken g’fallt ma net.“ 865 am Himmel eine weiße Wolke, in die ein Blitz gemalt wurde, von rechts nach links vorüberzieht oder das Glöcklein – nur mit einem Spot beleuchtet – auf das Stichwort von Erzähler Ambros zu läuten beginnt. Das ist Zeigetheater in dermaßen übertriebener Form, dass es eben gezielter Trash und nicht unfreiwillige Komik, wie die Löwinger-Bühne oder andere derartige Schwankproduktionen, ist. Dass jeglicher Ernst von vornherein ausgeschaltet wird, zeigt sich an der Bekleidung der Band: Helmut Pichler als Murmeltier, Günter Dzikowski in Robin-Hood-artigem Jägerkostüm, Peter Koller als überdimensionaler Fliegenpilz und Harry Stampfer am Schlagzeug trägt ein Geweih auf dem Kopf. Gepaart mit der Plakativität des Bühnenbildes und der Requisiten wird sichtbar gemacht und parodiert, was in Der Watzmann ruft nur zu hören war: Die Künstlichkeit des Heimatfilms, die vor allem in den zahlreichen Volksfest- Szenen 866 zum Ausdruck kommt:

Am Beispiel des Volksfestes im Heimatfilm wird dessen Bezug zur Wirklichkeit besonders deutlich: Die von den Produzenten gewünschten ‚echten’ folkloristischen Elemente lassen ebenso wie die typische Heimatfilm-Landschaft fast jede Authentizität fehlen. 867

861 Hier befindet sich auch noch ein (ziemlich wackeliger) Hochstand. 862 Herzmanovsky-Orlando: Kaiser Joseph, S. 195. 863 Prokopetz u. Ambros: Der Berg. 864 Dolezal: Watzmann live. 865 Ebd. 866 Vgl. Katharina Eschbach: Begriff und Geschichte. In: Der Deutsche Heimatfilm, S. 18. 867 Ebd. 224

Und genau das parodiert die Watzmann -Inszenierung in überdeutlichem Zeigetheater- Verfahren – ohne allerdings ernsthaft den Zeigefinger zu erheben, denn von der ansatzweise im Hörspiel enthaltenen Sozialsatire ist in der mit Tanzeinlagen, zahlreichen Dialogen mit dem Publikum und ausgeweiteten Gailtalerin- und Knecht-Szenen aufgedonnerten Bühnenversion nicht mehr viel vorhanden. Die Watzmann -Bühnenfassung ist ein unterhaltendes Spektakel, eine Mischung aus Rockkonzert (Ambros ist und bleibt der Frontmann und braucht auch seine Solo-Nummern und Auftritte) und theatergerecht umgesetztem Hörspiel: popularkulturelle Massenunterhaltung eben, die schon beinahe musikantenstadlähnliche Auswüchse hat. Bei dem Song „Die Gailtalerin“ halten drei Tänzerinnen jeweils ein Schild in der Hand, das das Publikum auffordert mitzuschunkeln, zu tanzen und zu singen. Das ist ein ironischer Blick auf die Praxis aus der Fernsehwelt, dem Live-Publikum sozusagen auf Knopfdruck die jeweilige emotionale Reaktion abzuringen: Lachen, Applaus et cetera. Das Watzmann -Publikum sitzt dann auch tatsächlich im Saal mit eingehängten Armen und schunkelt im Rhythmus wie das Publikum der volkstümlichen Musiksendung Musikantenstadl . In wie weit das noch in den Grenzen der Parodie ist, sei dahingestellt. Dass es aber aus der Parodie heraus passiert, ist noch immer authentischer als die volkstümlichen Musikformate, die nichts mehr mit Volksmusik zu tun haben. Eine konsequent durchgehaltene, sich keine Minute ernstnehmende Parodie ist wohl allemal glaubwürdiger und ehrlicher als der aufgesetzte künstliche Kitsch so mancher „volksnahen“ Fernsehsendung. Das Verhältnis ist ungefähr so, wie Alfred Polgar sich über eine übertrieben hehre Aufführung von Raimunds Der Bauer als Millionär erregte, die er im Gegensatz zu den früheren, einfältigeren Inszenierungen negativ rezensiert:

Die Feen trugen herrliche Toiletten, die Magier Phantasiekostüme edler Art und kostbare Pelzbarette. Als sie noch Zuckerhüte trugen, mit aufgeklebten Sternen aus Goldpapier, waren sie viel magischer, die Magier. [...] Die bombastisch-naive, verlogen-volkstümliche Aufführung des ‚Bauern als Millionär’ war etwa so, wie wenn Elektrotechniker, mit vollkommenen Apparaten ausgerüstet, sich bemüht hätten, die Illusion einer herrlichen Ölfunzerl-Beleuchtung hervorzurufen. 868

Ist Der Watzmann ruft in sich zwar ein illusionistisches Hörspiel, so bricht seine Bühnen- Verwirklichung immer wieder mit der Bühnenwirklichkeit – oftmals wird das Publikum

868 Alfred Polgar: Der Raimund als Millionär. In: Ders.: Ja und Nein. Schriften des Kritikers. Kritisches Lesebuch. Bd. 1. Berlin: Rowohlt 1926, S. 138-140. 225 einbezogen oder ein besonders auffällig künstliches Requisit zerstört die Illusion der mit Licht- und Donnereffekten nicht geizenden Watzmann-Realität – so glüht der Berg in sämtlichen Farben. Auch der Erzähler und Sänger Ambros, der als Bandleader nicht zur Gänze ins Geschehen integriert ist, sondern zu einem Großteil nur Ambros ist, der per exemplum mit dem coupletartigen Song „Die Ballade von den Sünden“ (mit volkstümlichem, paradoxerweise heurigenseligem Refrain) wohl eher sein Image als Lead-Sänger unterstreicht als die Handlung voranzutreiben, bricht durch seine bloße Anwesenheit die Illusion. Es sind aber genau diese Illusionsbrechungen, die das Publikum reizen und den Kultstatus der Bühnenversion ausmachen – und nicht die Aufrechterhaltung einer Pseudo-Illusion, wie sie Christian Morgenstern in seinem Gedicht „Auf einer Bühne“ vor Augen führt:

Auf einer Bühne steht ein Baum, geholt vom nächsten Wäldchensaum.

Ihn überragt zur rechten Hand ein Felsenstein aus Leinewand,

indes zur Linken wunderbar ein Rasen grünt aus Ziegenhaar.

Im Stehparkett der kleine Cohn zerbirst vor lauter Illusion.

Der kleine Cohn ward zum Gericht für das, was Kunst ist und was nicht. 869

Die permanente Desillusionierung hingegen ist es, die die Popularität auch des Hörspiels Der Watzmann ruft , aufrechterhält. Auch wenn man weiß, was man von Prokopetz, Tauchen und Ambros zu erwarten hat, werkimmanent betrachtet brechen die Autoren immer mit den geschürten Erwartungen – aber genau das erwartet ja das Publikum wieder. Schon Der Watzmann ruft ist mit den eingeschobenen Ambros-Liedern, auch wenn sie die Handlung vorantreiben, reflektieren oder ergänzen, ein Konglomerat aus Hörspiel und Solo- Album. Darüber hinaus ist dieses Werk eine aus der Parodie heraus „volkshörspielhafte“ Satire auf Ganghofer und Konsorten, den deutschsprachigen Heimatfilm und ein archetypisches Modell des Kampfes der Generationen. Die Figuren haben keinen Charakter, sie sind Typen, aber sie durchlaufen eine Entwicklung – sie brechen aus der vertrauten Welt aus. Der Sozialform des patriarchal geführten Bauernhofes wird ob einer stärkeren

869 Christian Morgenstern: Auf einer Bühne. In: Ders.: Alle Galgenlieder. Wiesbaden: Matrix 2004, S. 289. 226 mystischen, inneren Stimme – hervorgerufen und gespiegelt durch den verführenden Watzmann zugleich - eine Absage erteilt. Selbst der Patriarch erliegt dem Rufen des Watzmann und verlässt seine betenden Frauen und streitenden Knechte um seinem Sohn in eine unbekannte Welt zu folgen. Die satirische Überhöhung der Sozialform Bauernhof unter väterlicher Autorität wird verworfen zugunsten eines Aufbruchs ins Ungewisse. Entsozialisierung und Ausbruchssehnsucht sind auch die Grundthemen der anderen beiden Hörspiele von Ambros, Tauchen und Prokopetz: Schaffnerlos und Augustin , aber auch der Danzer-Ambros-Show Karli .

5.5. Exkurs: Karli und der Sinn des Lebens

I vaspea de Tia und leg de Kettn vua, häng mei Gwaund schee auf – so wiar i’s imma tua, loss a woames Wossa in de Bodwaunn ei und zum easchtn Moi im Leem fühl i mi frei. I schreib aun meine Freind an ollaletztn Gruaß, weu heit is a Tog, den wos ma feian muaß:

Heite drah i mi haam, schneid ma d‘Puisodan auf, lieg im woamen Wossa drin und loss mein oamen Bluat sein Lauf. Heite drah i mi haam und es tuat goa net weh - ma wiad nua gaunz laungsaum miad - bis ma nix mea gspiat.

Nur a klaana Schnitt, und daunn is scho passiat, und i gspia scho wia ma imma leichta wiad; bluatich rotes Wossa, es is grod a so, wiar a Sonnenuntagaung in Jesolo. Laungsaum wiads jetzt finsta, finsta und so stü, Freiheit haaßt nua, doss ma geh kau, waunn ma wü.870

Mit diesem Song endet die Multi-Media-Show Karli oder Heite drah i mi ham! , die am 19. und 20. Juni 1976 in der Wiener Stadthalle im Rahmen der Wiener Festwochen aufgeführt wurde. Dass es sich bei Karli wohl kaum um ein Mitglied der High Society dreht, machen die eben zitierten Zeilen klar: jemand, der sich umbringt und der das blutrote Wasser mit einem Sonnenuntergang in Jesolo vergleicht, ist wohl eher ein Kind des Mittelstandes. Jesolo an der Adria in Italien war in den Siebzigern (und ist es zum Teil noch heute) ein beliebtes Reiseziel

870 Georg Danzer: Heite drah i mi ham. 227 für Menschen, die am Meer urlauben wollten, sich aber einen Flug oder eine weiter entfernte Destination nicht leisten können. „Mit dem Namen ‚Karli’ wurde auf einen in Wien sehr häufig vorkommenden Namen zurückgegriffen, der den ‚typischen Wiener’ symbolisieren soll, der über das Leben sinniert.“ 871 Der wohl prominenteste Karli ist der Proletariersohn Karli Sackbauer aus der Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter . Ein Konzert mit rotem Faden, aber kein Musical 872 , erzählt die „Multi-Media-Musical-Show“ 873 Karli

die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer Nacht versucht den Sinn des Lebens zu finden. Die Lebensweise seiner Eltern erscheint ihm für sich selbst untragbar, ein permanenter Kompromiß, an dem er nicht teilhaben will. Und so stellt er sich das Ultimatum: Wenn er in dieser Nacht nicht etwas findet, was verhindert, daß er so wird wie seine Eltern, will er am Morgen darauf Selbstmord begehen. 874

Was er auch tut. Der Freitod wurde in einem für die Show gedrehten Film, in dem Ambros den Karli verkörperte, auch gezeigt. 875 Gesellschaftskritik und Todessehnsucht der Lieder von Danzer und Ambros erreichten in dieser Show einen Höhepunkt. 876 Danzer betont allerdings, dass es nicht um eine Verherrlichung des Freitodes als gesellschaftlichen Ausbruch geht:

Wir zeigen deutlich, daß Selbstmord keine Alternative ist. Aber genauso schlimm ist innerer Selbstmord, wenn man langsam abstumpft, sich arrangiert, wenn man also innerlich abstirbt. Ein Auflehnen ist unserer Meinung nach in der heutigen Gesellschaft notwendig. 877

Und diese Haltung kommt auch in dem einleitenden, elegischen Titelsong zum Ausdruck. Ein Lied, das als Inbegriff von Austropop gelten kann. Es agitiert gegen die Elterngeneration und fordert zum Ausbruch aus den bestehenden Verhältnissen auf. Der an Karli gerichtete Refrain ist ein direkt ans Publikum und die HörerInnen gerichteter Appell einen eigenen Weg zu gehen, denn Karli, so wird uns vermittelt, ist einer von uns, und „jeda von uns kennt da Karli sei“ 878 . Karli ist kein infantiler, unschuldiger Bub mehr wie jener aus Der Watzmann ruft , Karli ist ein Jugendlicher auf der Suche nach dem Sinn des Lebens:

871 Pfeiler: Austropop, S. 213. 872 Vgl. Kurier, 16. 6. 1976. 873 Georg Danzer: I hob scho so fü liada gschriebn,. Hrsg. v. Franz Christian Schwarz. Ambra Books 1992, S. 43. 874 Ebd. 875 Vgl. Pfeiler: Austropop, S. 213. 876 Vgl. ebd. 877 Kurier, 16. 6. 1976. 878 Georg Danzer: Karli. Sonne, Mond und Sterne. Lieder und Geschichten aus 30 Jahren live. BMG, Ariola 2002. 228

Da Karli woar a Bua wia jeda aundare, nua, dass a net wia olle aundan woa und ea hod übarissn: des Lebn is sea gschissn solaung s’di söwa auliagst Joa fia Joa.

Ea woitat net so wean wia seine Oidn - eigspeat in de eiganen via Wänd. Sei Voda woar a Muaterl, sei Muada woa frustriat - dahaam, des woan de Wickln ohne End.

Karli pass auf, Karli sei gscheit - Du kaunnst di oseun, waunns di ned gfreit! Karli pass auf, Karli sei gscheid - loss di net aufäun, loss di net eiteun von de Leit mit an bledn Schmäh, hau in Huat drauf und geh Karli, sei kaa Weh!

Vielleicht is des da Vuateu, waunn ma jung is - ma steigt auf kaane Kompromisse ei. Nua waunn ma öta wiad und de Courage valiat daunn redt ma dauand vom Vanünftichsei.

Es is doch gaunz egal wiast in da Schui bist - im Lebn kummts auf aundre Sochn au. Nur ans muaßt sei: A Kniera, weu sunst bist da Valiera und gwinna tuat, wea bessa oaschkreun kau.

Jo, Karli pass auf, Karli sei gscheit Du kaunnst di oseun, waunns di ned gfreit! Karli pass auf, Karli sei gscheid - loss di net aufäun, loss di net eiteun von de Leit mit an bledn Schmäh, hau in Huat drauf und geh Karli, sei kaa Weh!

Da Karli woar a Bua wia a jeda aundare nua hod a si net eigredt:‘ I bin frei‘. Weu jeda rennt im Kraas und jeda waaß an Schaas und jeda von uns kennt da Karli sei.879

Eine Figur aus dem Volk, eine Durchschnittsexistenz – nicht besser und schlechter als jeder andere Mensch auch – das ist Karli. Er vollzieht schließlich einen Ausbruch, der aber mit Gewissheit in Frage zu stellen ist. Aber er bricht aus, er verlässt die eigenen vier Wände und sein Dasein. Im Gegensatz zu einem Charakter, den Tauchen, Prokopetz und Ambros für ihr

879 Danzer: Karli. 229 drittes Hörspiel Schaffnerlos schufen: Den Schaffner Fritz Knottek, eine gescheiterte, frustrierte Existenz, der – vergleicht man ihn mit Karli – vielleicht schon zu alt ist 880 – um einen Ausbruch zu wagen. Und nicht zuletzt scheitert er auch an einer Maxime, die ihm in Person seines Kollegen Dolezal entgegentritt:

Nur ans muaßt sei: A Kniera, weu sunst bist da Valiera und gwinna tuat, wea bessa oaschkreun kau. 881

Fritz Knottek ist so etwas wie der gealterte Karli, der sich seine Chance auf einen Aufstieg nicht verwirklichen kann. In der – als Volksstück zu bezeichnenden – Milieu- und Charakterstudie Schaffnerlos wird man als Hörer Zeuge der Tragödie eines Individuums.

880 „ Vielleicht is des da Vuateu, waunn ma jung is - ma steigt auf kaane Kompromisse ei. Nua waunn ma öta wiad und de Courage valiat [...]“ (Danzer: Karli.) 881 Ebd. 230

5.6. Schaffnerlos . Die Tragödie eines Individuums

5.6.1. Die letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek

Mit ihrer Dialekt-Rockoper, ihrem Wiener Musical Schaffnerlos erreichte das Team (Ambros, Tauchen, Prokopetz) nicht mehr ganz die humoristische Qualität ihres Rustikals , aber immerhin gibt es auch in diesen Blackout-artigen Szenen vom letzten Arbeitstag des Straßenbahnschaffners Fritz Knottek eine Menge kabarettistischen Witz und Lokalkolorit. 882

Abgesehen davon, dass Rothschild mit kryptischen Gattungszuweisungen 883 um sich wirft, verkennt er hier völlig das vorliegende Hörspiel in seiner sozialsatirischen- und kritischen Dimension. Der kabarettistische Witz nimmt zwar Raum ein, ist aber auch nicht die wichtigste Form Komik und vor allem auch Tragik zu erzeugen, denn Schaffnerlos hat nichts mehr mit dem respektlosen Wahnwitz von Der Watzmann ruft gemein, sondern ist, mit aller Objektivität betrachtet, ein hochartifizielles Gesamtkunstwerk aus Musik und Wort. Das Hörspiel erzählt aus der Sicht des Schaffners Fritz Knottek dessen letzten Arbeitstag bei der Wiener Straßenbahn. Vom Aufstehen bis zum Verlassen der Remise. Die Zeit dazwischen besteht aus Selbstreflexionen in Form von inneren Monologen oder Selbstgesprächen, Dialogen im Tramway-Waggon, einer Abschiedsfeier mit den ArbeitskollegInnen, der Auseinandersetzung mit dem Kontrolleur Dolezal, der mittlerweile mit Knotteks Ex-Freundin Herta, ebenfalls Schaffnerin, zusammen ist. Dieser Konflikt artet in einem Wutanfall Knotteks aus, der den ganzen Waggon auf eine Freifahrt einlädt. Das Stück endet mit der Überlegung einen Straßenbahnzug selbst zu fahren: Knotteks größter Traum, Motorführer zu werden, ist nämlich nie in Erfüllung gegangen. Letztendlich verlässt er aber die Remise und wird mit sicherer Wahrscheinlichkeit sein einsames Leben weiterführen. Autor Tauchen, Liedtexter Prokopetz und Komponist Ambros liefern mit Schaffnerlos ein sehr intimes Werk ab, das produktionstechnisch und literarisch ein hohes Niveau bietet. Sie liefern das Psychogramm eines Arbeiters, die Tragödie eines Individuums, ein Einzelschicksal, das aber wohl kein Einzelfall ist.

882 Rothschild: Liedermacher, S. 17-18. 883 Nicht minder im Reich des Nebulösen anzusiedeln ist Pfeilers Feststellung: „Die Produktion ‚Schaffnerlos’ kann aufgrund seiner [sic!] Herstellung, Aufbereitung und Präsentationsform, es wurde nie szenisch dargestellt, sondern nur auf Tonträger veröffentlicht, zu der Kategorie ‚Hörspiel’ gezählt werden [...].“ (Pfeiler: Austropop, S. 170.) 231

Tauchen will diese Geschichte als ‚Ringparabel’ verstanden wissen, denn sie ist nicht auf das Straßenbahnmilieu beschränkt, sondern kann auf beliebige Berufsschichten übertragen werden und sich auf verschiedene Schicksale beziehen. [...] Es ist [...] auch gleichzeitig ein Fingerzeig auf das träge, sehr konservative, immer der ‚guten alten Zeit’ nachtrauernde Bürgertum und auf die – im internationalen Vergleich – sehr langsam vor sich gehenden Entwicklungen und Erneuerungen in Österreich. 884

Darüber hinaus ist Schaffnerlos aber auch eine komplexe Milieustudie und das dichte Psychogramm eines Menschen, dessen Existenz zu einem undurchdringlichen und nicht mehr zu durchbrechenden, ja vielleicht sogar tödlichen, Konglomerat aus Berufs- und Privatleben geworden ist, dessen Dasein zwischen Unausweichlichkeit beinahe schmerzender Subalternität und unterdrückter Anarchie oszilliert. Die Form, die Tauchen gewählt hat, dieses Psychogramm umzusetzen, ist typisch für die Ambros-Tauchen-Prokopetz-Hörspiele, aber ob der Komplexität der Psyche des Antihelden wohl noch dichter und verwobener als jene der anderen Hörspiele. Erzählt wird die Geschichte von Knottek (Joesi Prokopetz) als Ich- Monolog, der aber um die Ebene des inneren Monologs (unterlegt mit Ambros’ Musik), die Dialoge mit anderen und die vier von Ambros aus der Sicht von Knottek gesungenen Songs (ein fünfter Song ist ein Jubellied bei der Abschiedsfeier) erweitert wird. Schaffnerlos ist jenes der vier in dieser Arbeit untersuchten Hörspiele, das ohne Frage der Bezeichnung – in ihrer ganzen bereits diskutierten Ambivalenz - Volksstück gerecht wird und zu Unrecht keinen Eingang in die dokumentierte Literatur- und Hörspielgeschichte gefunden hat, wie wohl es thematisch sehr eng mit anderen Hörspielen verwandt ist. So meint Ernst Hinterberger über seine Dialektspiele:

Ich habe mich bemüht, sie [die Menschen] und ihre Umwelt so darzustellen, wie sie ist, und nicht wie sie von anderen gesehen wird, weil sie etwa so sein könnte oder sollte ... Alle Leute, sowohl die großen als auch die kleinen, sind Opfer der Verhältnisse, aber die kleinen Leute sind eigentlich mehr ihre eigenen Opfer. Es hätten ja auch die sogenannten kleinen Leute verschiedene Möglichkeiten, zwar nicht groß zu werden, aber doch aus ihrem Leben etwas zu machen. 885

Und in genau diesem Zwiespalt befindet sich Knottek: Er steht sich selbst im Weg – das Versagen bei der Motorführerprüfung hat er zum Großteil seinem übermäßigen Alkoholkonsum zuzuschreiben. Knottek fehlt es an Selbstbewusstsein, sein Leben, und nicht das Leben, das er leben soll, zu meistern. Sein Schicksal deckt sich auffällig mit dem des von

884 Pfeiler: Austropop, S. 170-171. 885 Ernst Hinterberger zit. n.: Heger: Österreichisches Hörspiel, S. 127. 232

Oskar Zemme geschaffenen Charakters des Josef Meier. Das Hörspiel Das Glück des Josef Meier aus dem Jahr 1975

berichtet vom Unglück eines Durchschnittsmenschen. Josef Meier, ein Mensch wie sein Name [...] tut seit zwanzig Jahren bei der Eisenbahn als Schrankenwärter Dienst. Er fühlt, daß er seine Frau an den feschen Fahrdienstleiter Jedlitschka verloren hat. Zum Selbstmord fehlt ihm der Mut, und der Versuch, in Gesellschaft einer Prostituierten das Leben zu genießen, mißlingt kläglich. Als der Zuhälter ihn wegen ‚Verführung seiner Braut’ zu erpressen versucht, erkennt Meier auf einmal, wie man das Leben meistert: mit Frechheit und Gemeinheit. Er beobachtet, wie seine Frau mit Jedlitschka heimkehrt, erpreßt telefonisch zuerst ihn, dann auch den Stationsvorstand und hat in beiden Fällen Erfolg: Der Vorstand verspricht ihm eine Medaille und Beförderung, seine Frau läßt ihm durch einen Polizisten bestellen, sie sei zu ihm heimgekehrt, das Abenteuer mit Jedlitschka sei endgültig aus. Überglücklich eilt Meier heim, doch als er den Bahndamm neben dem geschlossenen Schranken überquert, wird er von einem Zug getötet. 886

Auch Schaffnerlos endet tragisch, Knottek verlässt ohne die in ihm unterdrückte und schwelende Anarchie auszuleben die Remise, doch Josef Meier hat im Gegensatz zu Knottek den Mut Taten zu setzen. Knotteks Lebensgefährtin Herta bleibt ja bei Kontrolleur Dolezal, nachdem Knottek sechsmal bei der Motorführerprüfung versagt hat. Knottek bleibt ein Opfer seiner selbst aber auch der sozialen Umstände, er befindet sich in einem Teufelskreis aus Standesbewusstsein (das er nach seiner letzten Fahrt freilich nicht mehr ausleben kann), privatem (Einsamkeit) aber auch beruflichem (sein Leben als Schaffner) Unglück – Konflikte, die ein untrennbares Dickicht aus individuellen und gesellschaftlichen Umständen und Katastrophen bilden, aus dem Knottek nicht mehr zu entfliehen vermag. Ein Schicksal, wie es für das deutschsprachige Hörspiel, das sich seit Ende der sechziger Jahre vermehrt mit dem Thema Arbeitswelt auseinander setzte 887 , beinahe schon als modellhaft gelten kann:

Die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Arbeitswelt-Gesellschaftsbilder [...] umfassen die verschiedensten Wirtschaftsbereiche. Die Handlungsträger gehören vorwiegend sozial unterprivilegierten Gesellschaftsschichten an. Gezeigt werden die Konflikte und Machtkämpfe der Arbeitnehmer untereinander und die Auseinandersetzungen und Konfrontationen mit dem Arbeitgeber. Der Einzelne erlebt sich als auswechselbarer Bestandteil einer streng gegliederten Hierarchie. Überschaubar bleibt für ihn meist lediglich sein unmittelbarer Tätigkeitsbereich. 888

886 Heger: Österreichisches Hörspiel, S. 121. 887 Vgl. Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 94. 888 Ebd. 233

In seinem Tramway-Waggon ist Knottek der unbestrittene Herrscher – so lange bis der Kontrolleur Dolezal, mit Knotteks Ex-Freundin Herta liiert, erscheint und Knottek zum subalternen Untergebenen mutiert. Und dieses gezwungene, schon in Fleisch und Blut aber noch nicht zur Gänze in sein Denken übergegangene, Verhalten lässt ihn schließlich auch scheitern.

Die zahlreichen ungeschriebenen Verhaltensspielregeln, die einzuhalten sind, um seine Position [die des Einzelnen] innerhalb der Hierarchie zu behaupten und in der Stufenleiter nach oben zu kommen, das häufige Sich-Verfangen oder Scheitern in Karrieremechanismen, der fließende Grenzbereich zwischen Arbeitsplatz und Privatsphäre werden in der Darstellung individueller Personenporträts gezeigt. 889

Die Analyse und Interpretation des Hörspiels Schaffnerlos ist nur über eine genaue Charakterisierung von Fritz Knottek möglich. Knottek ist der Inhalt dieses Werks, das wohl zweifellos den Höhepunkt der Proletarisierung der Popularkultur im Rahmen des Austropop darstellt. Nach dem Beamtenschicksal von Heinrich Fäustling, dem pensionierten Hausmeister Pokorny ist Fritz Knottek so etwas wie die Inkarnation des Durchschnittsmenschen – scheinbar natürlich. Ein Mensch, der in seinem Beruf „aufblüht“, aber gerade dieser Beruf ist es, der sein Schicksal besiegelt, das nun in einer einsamen Pension endet. Seine Aggression gegen sich selbst und das System bleibt – bis auf seinen „Freifahrt-Ausbruch“ – verborgen und wird von seinem Alkoholkonsum übertüncht. Fritz Knottek, ein vermaledeiter Hanswurst, dessen Gedanken oftmals dieselbe Agitation an den Tag legen wie das lyrische Ich aus dem Song „Zwickt’s mi“ (1975):

Gestan foar i mit da Tramway Richtung Favoritn, draußn rengts und drinnan stinkts und i steh in da Mittn. De Leit obs sitzn oder stengan - olle haum is fade Aug, und sicha net nua in da Tramway, i glaub, des haums in gaunzn Tog.

Im Wiatshaus triff i immar an, dea waaß Gott wos dazöd - Ea is so reich, ea is so guat, ea kennt de gaunze Wöd. In Wiaklichkeit is ar a Sandla, hocknstad und dauand fett, is letzte Weh in meine Augn, na, i pock eam net!

889 Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 94. 234

Zwickts mi, i maan i traam, des deaf net woa sei, wo san ma dahaam. Zwicks mi, gaunz wuascht wohi - i kaunns net glaum, ob i augsoffn bin. Obar i glaub, do hüft kaa Zwickn, kennt ma net vielleicht iagendwea ane pickn? Danke, jetzt is ma kloa - es is woa, es is woa.

Die Jugend hat kein Ideal, kaan Sinn für woare Werte, den jungen Leuten geht‘s zu gut, sie kennen keine Härte. So redn de, de nur in Oa... kräun, Schmiagöd nehman, packln tan, noch an Skandal daunn pensioniat wean, kuaz: a echtes Vuabüd san. 890

Das lyrische Ich ist offensichtlich ein Arbeiter. Dafür sprechen seine Fahrt nach Favoriten, einem Arbeiterbezirk, und seine Haltung gegenüber dem Arbeitslosen im Gasthaus. 891 Der Refrain verrät die Fassungslosigkeit des lyrischen Ich und die dritte Strophe schließlich holt zum gesellschaftlichen Rundumschlag aus. Agitation und Polemik, die wohl auch in Fritz Knottek gärt, aber nicht zum Ausbruch kommt.

5.6.2. Fritz Knottek – ein verhinderter Hanswurst

Schaffnerlos. Die letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek ist von Beginn an von Melancholie geprägt. Schon das Cover weist auf die Zweideutigkeit des Titels hin: Die sich beinahe in schwarzem Hintergrund verlierende, mit Erde gefüllte Arbeitstasche eines Schaffners, aus der eine Pflanze sprießt, darüber der weiße Titel „Schaffnerlos“ und die auf der Rückseite abgebildeten Versatzstücke aus dem Wiener Tramwaymuseum: ein „Zwickzangl“ und ein

890 Hausner u. Ambros: Zwickts mi. 891 Die ansonsten gezähmte (bei der Urversion wurde das Wort Oasch um das „sch“ beschnitten), zweite Textversion, die ins Album Es lebe der Zentralfriedhof aufgenommen wurde, verstärkt diese Haltung noch mehr:

„Und wieda foar i mit da U-Baun von da Oabeit z'haus. Draußn regnets, drinnen stinkts, und i hoits fost net aus. Die Leut, obs sitzn oda stehn, olle schaun so traurich drein, i glaub des kommt vom U-Baun foan, des kaunn doch goa nix aundas sein.

Im Wirtshaus triff i immar an, dea fuachtboa vü eazöd, ea is so reich, ea is so guat, ea kennt de gaunze Wöd. In Wiaklichkeit is a des Letzte, oabeitsscheu und dauand blau, dreckich is a, stinkn tuat a, kurz: ea is a echte Sau.“ (H.G. Hausner u. Wolfgang Ambros: Zwickt’s mi. Es lebe der Zentralfriedhof.) 235 eingerahmter Zweifahrtenschein lassen den zeitgenössischen Rezipienten aufhorchen – Schaffnerlos meint einerseits das (Berufs-)Los des Schaffners, das zu jener Zeit vor allem darin bestand, dass der Beruf des Schaffners am Aussterben war – die Karten lösten die Passagiere nun selbst bei Automaten. Ab 1964 wurden schaffnerlose Beiwagen und ab 1972 schaffnerlose Triebwagen eingesetzt 892 . Die Waggons wurden mit einem Schild „Schaffnerlos“ versehen. „Aus finanziellen, technischen und nicht zuletzt aus personalpolitischen Gründen dauerte es aber noch 32 Jahre, bis der letzte Straßenbahnschaffner am 20. Dezember 1996 verabschiedet werden konnte.“ 893 Die letzte Fahrt des Schaffners Fritz Knottek ist somit auch symbolisch die letzte Fahrt eines Berufsstandes. Der Song „Schaffnerlos“, der Hit aus diesem Hörspiel, ist auch chronologisch der erste und folgt auf die erste Szene „Schaffnermorgen“. Wie das ganze Stück wirft dieser Song „einen Blick auf die oft hoffnungslose soziale Lebenssituation älterer Menschen, die sich in dem ‚modernen Wien’ in der gewandelten [sic!] neuen Sitten und Verhaltensweisen geprägten und von der Technologie beherrschten Zeit nicht mehr zu recht finden.“ 894 Mit elegischen Mundharmonika- und Gitarrenklängen wird der Sprechgesang untermalt. Das Lied hat Eigenständigkeit, ist aber im Kontext mit der Handlung aus der Sicht von Fritz Knottek zu sehen. Konsequenterweise müssten ja auch die Songs von ihm gesungen werden. Der Liedvortrag wurde aber natürlich von Ambros übernommen. Das nimmt dem Werk vielleicht Geschlossenheit, verleiht der Figur des Fritz Knottek aber noch deutlicher den Charakter eines parabelhaften, wie es Tauchen wollte, Einzelschicksals, das kein Einzelfall ist.

Schaffna und Schaffna is zwaaralei: Ma kaunn nur a Schaffna oder auch ein Herr Schaffner sein. Man kau Stationen ausruafn, Foascheine vakaufn und sunst nua parian, ma kau da Knecht sei vo de Foagäst oda den Waggon regian. 895

Der anschließende Refrain ist eine Reminisenz an frühere Zeiten, aber auch das Flehen einer Existenz, die ihres Lebensinhaltes beraubt wird:

892 www.wienerlinien.at, 14. 4. 2009, 09:05. 893 Ebd. 894 Pfeiler: Austropop, S. 171. 895 Josef Prokopetz u. Wolgang Ambros: Schaffnerlos. Schaffnerlos. Bellaphon 1978. 236

Schaffna sei - des woar amoi wos; die Zeit is vuabei - des is des Schaffnalos. Schaffna sei - des woar amoi wos; die Zeit is vuabei - heit foat ma schaffnalos.896

Wähnte sich der alte Nationalsozialist Franz Pokorny noch als Hausmeister in einer Machtposition, so ist es der Wunsch von Knottek einfach ein Mensch bleiben zu wollen – ohne natürlich seine beherrschende Stellung im Waggon verlieren zu wollen:

Die Schaffna steam aus, übaroi, da Mensch wiad easetzt duach a Kastl aus Metoi. Waunn ma do an Foaschein eine steckt, sogt kaana ‚Danke‘ oda ‚Bitte vorgehn‘ - de sogn übahaupt nix, de rian si net amoi, waunn de Leit auf da hintaren Plottfoam stengan.897

Es geht ihm in erster Linie nicht darum seinen Posten auszunutzen, sondern für seine Dienstleistungen auch menschlich behandelt zu werden, weil er selbst – wie sich zeigen wird – trotz Uniform immer noch ein Mensch geblieben ist, der kein „Kastl“ ist, das nicht „Danke“ oder „Bitte vorgehen“ sagen kann. Außerdem ist ihm bewusst, dass er für das Aussterben eines ganzen Berufsstandes steht. Seine Pensionierung ist auch der Tod seines Berufes. Ein Beruf, der für Knottek aber dennoch eine Möglichkeit ist in der Verkleidung einer Uniform seinen Mitmenschen gegenüber eine gehobene Stellung einzunehmen und sich hinter dieser „Maskerade“ vor seinen eigenen Problemen zu verstecken. Dass er dieser Möglichkeit in der dritten Strophe nachtrauert, ist also nicht weiter verwunderlich:

Waunn ma heit zu an sogt: ‚Heans, steigns aus‘, daunn sogt dea hechstns: ‚Gusch‘ und da gaunze Waggon klotscht Applaus. Vur ana Schaffnaunifuam hod ma fria fost salutiat, heit wiad ma nua vaächtlich augschaut, dass ma si direkt scheniert. 898

896 Prokopetz u. Ambos: Schaffnerlos. 897 Ebd. 898 Ebd. 237

Der Song „Schaffnerlos“ ist das Bindeglied zwischen Szene 1, in der Fritz Knottek als Privatperson vorgestellt wird, und der zweiten Szene, die Knottek als Schaffner im Tramwaywaggon präsentiert. Das allgemeingültige, inverse Standeslied „Schaffnerlos“ bildet somit die Brücke zwischen privater und öffentlicher Sphäre – zwei Welten, die im Charakter des Fritz Knottek allerdings verschmelzen, wie schon nach der Ouvertüre, die diesmal mit knapp zwei Minuten Länge kürzer ausfällt als bei den Vorgänger-Hörspielen. Schaffnerlos „beginnt mit einer sanften, volksliedhaften vier-taktigen Melodie eines Glockenspiels“ 899 , mit einer melancholischen Version des an späterer Stelle rockigeren Songs „Schaffner mit Leib und Söh“ und wird dann um Akustische Gitarre, zarte Synthesizerklänge mit tiefer Gitarre, Schlagzeug, E-Bass und Flöte ergänzt. 900 Die ausfadende Musik wird von Fritz Knotteks Körpergeräuschen (Schnarchen) überlagert. Plötzlich schrillt ein Wecker und schon bekommen wir von Knottek Kraftausdrücke zu hören. Das Läuten des Weckers wird von einem dreimaligen, missmutigen „Gusch“ 901 Knotteks begleitet. 902 Er schaltet den Wecker aus und fragt sich noch völlig verschlafen „Wos isn?“ 903 Man vernimmt das Rascheln des Bettgewandes. Knottek beginnt sich zu orientieren: „Hoiwa fünfe is, najo. Wos? Scho hoiwa fünfe!? Scheiß au.“ 904 Der pflichtgetreue Fritz Knottek erscheint in diesen ersten Momenten nicht besonders pflichtbewusst. Den ihn zur Pflicht gemahnenden Wecker beschimpft er, übernächtig stellt er sich die Frage, was überhaupt los ist – das sollte ein Werkstätiger wohl wissen, zumal es sich um seinen letzten Arbeitstag handelt. Mit einem gemurmelten „Scheiß au“ 905 bekräftigt er seine Übellaunigkeit des frühen Aufstehens wegen, die aber vor allem daher rührt, weil er am Vortag zu viel getrunken hat – was aber kein einmaliger Ausrutscher ist, sondern ein grundlegendes Problem seines Lebens. Die Desorientierung am Morgen, er kann auch seine „Schlapfn“ 906 nicht finden, ist somit Sinnbild für die Lebenssituation von Knottek: Er ist im privaten Bereich ohne Halt, erst als er die Uniform anlegt, findet er Sicherheit. Davor aber stößt er sich seinen ohnehin schon schmerzenden Kopf auf der Suche nach seinen Pantoffeln an. Der Krach des Aufpralls gegen eine Tür oder ein Kästchen,

899 Pfeiler: Austropop, S. 172. 900 Vgl. ebd. 901 M.O. Tauchen, Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Schaffnerlos. 902 Das erinnert an das zweite Bild von Peter Preses und Ulrich Bechers tragischer Posse Der Bockerer , als der auf seine ihm eigene Art gegen das Regime des Nationalsozialismus revoltierende Fleischermeister Karl Bockerer grunzend im Bett erwacht, auf das Rasseln des Weckers ebenfalls ein „Kusch!“ fallen lässt und dann ächzend den Wecker abstellt. (Vgl. Peter Preses u. Ulrich Becher: Der Bockerer. In: Wiener Volksstücke, S. 291.) 903 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 904 Ebd. 905 Ebd. 906 Ebd. 238 zumindest einen hölzernen Gegenstand, geht einher mit mehrmaligen „Au weh!“-Rufen 907 , durchsetzt von einem grantigen, aber nicht zu lautem „Scheiß!“-Ausruf 908 . Die Art, wie Prokopetz dieses „Au weh“ spricht, gemahnt in ihrer stilisierten Komik an einen Nachfolger des Hanswurst, den Laroche und dessen immer wiederkehrende Redewendung „Auwedl! Auwedl! Auwedl!“. 909 Als er schließlich die Schlapfen findet, erwacht das Pflichtbewusstsein in Knottek. Die Dienstsprache ist schon in seinen privaten Sprachgebrauch übergegangen. Wie zu Fahrgästen, die sich auf der hinteren Plattform drängen oder die Türen versperren, fordert er sich selbst auf: „Beeilung! Aun mein letztn Tog kaunn i ned z’spät aa no kumman.“ 910 Elegische Musik erklingt, die fortan jeden inneren Monolog von Knottek untermalt. Mit gesetzterer, ernsterer Stimme als im Monolog wird der innere Monolog gesprochen: „Es is wiakli dei letzta Tog, Fritzl. Heit gehst zum letztn Moi in de Hockn. Heit wiast pensioniat.“ 911 Ein fataler Satz. Denn bei Knottek gibt es keine Trennung zwischen Privat- und Berufsleben. Sein letzter Tag – gemeint ist hier der Arbeitstag - ist somit vielleicht auch überhaupt sein letzter; das Stück endet ja offen. Aber noch ist es nicht soweit. Knottek, wieder auf der Erzähl-Monolog-Ebene, schlürft seinen Morgenkaffee. Bereits zu spät dran, schlüpft er mit dem Befehl „Eine in de Unifuam!“ 912 in dieselbige. Er schnürt und schnallt sich zu, findet es ist ein komisches Gefühl das letzte Mal in die Uniform zu schlüpfen und mokiert sich über die neuen Dienstbekleidungen: „Oba de neichn Uniformen haßn eh nix. Schaun aus wia Zivü. Und Automatn brauch’n überhaupt kaane.“ 913 Prägnanter kann man den Zwiespalt Beruf-Privat wohl nicht mehr ausdrücken und mit Polgar ist noch einmal festzuhalten: „Der Mensch ist eine Fortsetzung der Uniform nach innen.“ 914 Und die neumodische Uniform ist für Knottek deshalb prinzipiell abzulehnen, weil sie seine Machtposition vor den Fahrgästen gefährden könnte. Die Entwicklung ist aber eine weit schlimmere; nicht nur, dass die Uniformen wie Alltagskleidung („Schaun aus wia ziwü“ 915 ) aussehen, nein, der Mensch wird durch Automaten ersetzt. Mit den befehlenden Worten „Ois daunn. Gemma!“ 916 verlässt Knottek seine Wohnung, sperrt die Türe zu und geht hallend durchs Stiegenhaus. Straßengeräusche sind zu hören. Plötzlich eine Frauenstimme

907 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 908 Ebd. 909 Vgl. J.F. Castelli zit. n.: Ziltener: Hanswursts Erben, S. 62. 910 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 911 Ebd. 912 Ebd. 913 Ebd. 914 Polgar: Die Uniform, S. 72. 915 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 916 Ebd. 239

(gesprochen von Tauchen): „Grüß Sie, Herr Knottek!“917 . Knottek schrickt mit den Worten „Ui, de Baumgartl!“ 918 zusammen. Frau Baumgartl, die einen Eimer mit Wasser leert, biedert sich Knottek an, er solle sie, jetzt wo er in Pension ist, doch öfter besuchen kommen und überhaupt, wenn man zwei Pensionen zusammenlegt, käme schon etwas dabei heraus. Die innere Stimme meldet sich wieder zu Wort: „Du host ma grod no gföd, heast. Ois dann. Pock mas. Mei letzta Tog ois Schaffna.“ 919 Ihr gegenüber sagt er nichts, seine innere Stimme allerdings legt die Wahrheit offen zu Tage – die Ablehnung gegenüber Frau Baumgartl. Sie habe ihm gerade noch gefehlt – überhaupt und heute, an seinem letzten Arbeitstag, den er mit einem letzten „Pock mas“ 920 antritt. Bevor wir uns Knotteks Berufsleben zuwenden, fassen wir zusammen, was für ein Bild uns diese erste Szene von dem Schaffner vermittelt: Die ersten Minuten bekommt man von Körpergeräuschen bis hin zu Fäkalausdrücken und Verweisen auf übermäßigen Alkoholgenuss sofort den Eindruck, als habe man es mit einem träge gewordenen Hanswurst zu tun, der sich auch sprachlich anzupassen weiß (eine Eigenschaft, die vor allem Nestroys Hanswurstnachfahren wie Titus Feuerfuchs aus Der Talismann innewohnt), in dem er zwischen Dienstjargon und Privatgespräch mit sich selbst und innerem Monolog, in dem unverblümt der wahre – wie sich herausstellt zur Rebellion und Anarchie tendierende - Knottek („Du host ma grod no gföd.“ 921 ) zum Ausdruck kommt, changiert. Träge gewordener Hanswurst will heißen, dass Knottek mit den klassischen Attributen des Hanswurst und seiner Nachfahren ausgestattet ist, diese Attribute allerdings durch seine Daseins-Müdigkeit gebrochen sind – und durch viele andere Aspekte, auf die noch einzugehen sein wird. Die Körperlichkeit (Schnarchen, Schlürfen) und die sprachliche Derbheit des Fritz Knottek gemahnen jedoch an typische Eigenschaften des Hanswurst.

917 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 918 Ebd. 919 Ebd. 920 Ebd. 921 Ebd. 240

5.6.2.1. Exkurs: Hanswurst

Zum besseren und in erster Linie grundlegenden Verständnis soll in diesem sehr ausführlichen Exkurs der Wienerische Hanswurst von Joseph Anton Stranitzky beleuchtet und dessen literarische und theatrale Funktion beleuchtet werden. Nur so kann veranschaulicht werden, dass man Traditionslinien nur mit Bedacht ziehen kann. Die Figur des Fritz Knottek mit der des Hanswurst gleichzusetzen ist genau so unmöglich wie in Titus Feuerfuchs einen direkten Nachkommen von Hanswurst zu orten. Relikte hanswurstischer Eigenschaften sind vorhanden, das ist nicht zu leugnen, aber man muss immer bedenken, wo die Wurzeln liegen. Deshalb soll nun anhand von Stranitzkys Stück Der Großmüthige Überwinder Seiner selbst mit H. W.: den übl belohnten Liebhaber vieller Weibsbilder oder HW der Meister, böse Weiber gutt zu machen , dessen Kurztitel Cosroes sich allgemein in der Forschung durchgesetzt hat, die Frage gestellt werden, ob der Wienerische Hanswurst des Joseph Anton Stranitzky ein planender, satirischer Störenfried oder bloß ein kindliches, naives Gemüt ist? Eine fundamentale Fragestellung, die die Figur des Hanswurst erläutern soll um somit Rückschlüsse auf etwaige Transformationen, Mutationen oder Inversionen dieser Figur in dem Schaffner Fritz Knottek zu geben. Doch gehen wir gleich in Bezug auf Stranitzky in medias res und stellen gleich zu Beginn dieses Exkurses die Königsfrage: Wie sind die Hanswurst-Intermezzi, seine lazzi in Bezug zu den Haupthandlungssträngen der Haupt- und Staatsaktionen zu bewerten?

Strittig bleibt bis heute, in welcher Beziehung diese beiden Spielebenen stehen: Handelt es sich um eine komische Perspektive, deren Unangemessenheit auf den Blickträger (Hanswurst) zurückfällt [...], oder um eine parodistische Sichtweise, die über die Vermittlung der zuschauernahen Hanswurst-Figur [...] den pathetischen, gestelzten Stil einer bereits anachronistischen Welt dem Lachen preisgibt und somit Hanswurst bereits die ‚Nestroy-Rolle’ präformiert? 922

Bevor wir versuchen, diese Frage zu beantworten, sei noch kurz auf Stranitzky als den Wienerischen Hanswurst eingegangen.

922 Hein: Volksstück, S. 52. 241

5.6.2.1.1. Der Wienerische Hanswurst

Der Schauspieler, Theaterschreiber und Zahn- und Mundarzt 923 Joseph Anton Stranitzky wird nach Rommel höchstwahrscheinlich 1676 in Graz geboren 924 und stirbt 1726 in Wien. Dazwischen liegt ein wanderreiches Leben – unter anderem als Marionettenspielunternehmer. Diese Tätigkeit führt ihn unter anderem nach München, Augsburg und Nürnberg. Nach den Wanderjahren als Marionettenspieler und Schauspieler kommt er um 1705 nach Wien. Endgültig sesshaft wird er respektive die Figur des Hanswurst mit dem Einzug ins Wiener Kärntnertortheater. Viel über Stranitzky und seinen Hanswurst ist in Rommels Standardwerk Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys zu finden. Ein, wie schon mehrmals erwähnt, problematisches Werk. Rommel möchte eine Traditionslinie von Stranitzky bis Nestroy ziehen, was – allgemein und oberflächlich betrachtet – kein so abwegiges Unterfangen zu sein scheint. Natürlich lassen sich auch bei Nestroys Figuren noch typische Hanswursteigenschaften wie Geldgier, Fress- und Sauflust nachweisen, aber subkutan kommen dann doch Zweifel auf, denn

eine wienerische Eigenschaft in Stranitzkys Haupt- und Staatsaktionen läßt sich jedenfalls kaum entdecken, sie gleichen den Stücken der deutschen Wandertruppen, und diese gehen vielfach auf die englischen Komödianten zurück [...]; die spätere Einführung der Komödie bei Prehauser und Kurz-Bernadon ist somit keine Weiterentwicklung der Stranitzkyschen Komik, sondern Import aus Italien und Frankreich; für die Zeit des Biedermeier lieferten Paris und London als ‚Trendsetter’ […] die dramaturgischen Paradigmen, die hier bloß in den Wiener Dialekt übersetzt wurden [...]. 925

Das Problem geht aber noch tiefer. Zieht man – was, wie gesagt, nahezu unvermeidlich ist, Rommel für eine Arbeit über Stranitzky heran, darf nicht übersehen respektive überlesen werden, dass Rommel aus einem volkstümlichen Verständnis von Komik und Komödie heraus argumentiert, das mehr Fragen aufwirft, als es zu beantworten trachtet. Abgesehen davon, das der Wienerische Hanswurst – die lange theatrale Sauschneidertradition mitgedacht - aus einem Salzburger Kraut- und Sauschneidergeschlecht stammt, kommt Rommel zu dem

923 Vgl. Otto Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys. Wien: Schroll & Co 1952, S. 197. 924 Vgl. ebd. 925 Scheit: Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik: Von Mozart bis Thomas Bernhard. Wien: Deuticke 1995, S. 29-30. 242 fragwürdigen Schluss, dass alle echte Kunst Bindung ist und deshalb die Wiener sich in Hanswursts Komik, die unter ihrem Beifall immer wienerischer wurde, erkannten. 926 Es mag ja sein, dass sich Stranitzky der wienerischen Mundart bediente 927 , aber die Erkenntnis, dass alle echte Kunst Bindung ist, scheint mir dann doch ein wenig zu volkstümlich. Volkstümlich ist die Komik des Hanswurst vor allem in einer Hinsicht. Nämlich: Ohne das Publikum mitzudenken, sind Stranitzkys Stücke beziehungsweise Stückbearbeitungen nicht zu verstehen. Das scheint natürlich eine völlig banale Feststellung zu sein. Ist sie auch, aber wir werden sehen, dass sie bei näherer Textanalyse ihre Berechtigung hat, denn gerade wie sich Hanswurst in den Staatsaktionen zwischen Haupt- und Nebenhandlung bewegt, weist ihn als großen Vermittler zum Publikum aus, denn „der Lebensraum der lustigen Person auf der Wiener Volksbühne zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist nicht mehr die soziale Wirklichkeit, sondern das Theater, die Kulissensphäre.“ 928 Rommel erläutert auch richtig, dass der Wienerische Hanswurst im Grunde eine von Stranitzky kreierte Kunstfigur mit stehendem Kostüm ist. Eine Wiedergeburt des Pickelhering. 929 Mit nahezu unermesslicher, konsequenter Vehemenz negiert Rommel jeglichen Einfluss der Commedia dell’arte auf Stranitzky, doch lässt die Wortwahl und Diktion der Argumentation sein Urteil einer Revision bedürftig erscheinen:

[....] Pickelhering [...] erlebte eine Wiedergeburt in dem Wanderschauspieler Stranitzky, dem es vergönnt war, im Volkstum der größten Stadt des deutschen Kulturgebietes einzuwurzeln und zu einer neuen traditionsbildenden Macht zu werden. Es ist von fundamentaler Bedeutung, diesen Zusammenhang ins Licht zu stellen, da immer wieder versucht wird, die Komik des Wienerischen Hanswurst aus der Commedia dell’arte abzuleiten, während wir es in Wahrheit mit einer Wiedergeburt und Neublüte der dem Verrotten nahen und von den ‚Theaterreformern‘ bedrohten deutschen Volkskomik zu tun haben. 930

Auf die Diskussion pro und contra Commedia dell’arte kann hier nicht weiter eingegangen werden. Verwiesen sei auf Beatrix Müller-Kampel, die Stranitzky als genuinen Schöpfer der Hanswurstfigur in Frage stellt, da er ihrer Meinung nach auf die lustigen Figuren der

926 Vgl. Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 229. 927 Vgl. ebd., S. 218. 928 Ebd., S. 161. 929 Vgl. ebd., S. 176. 930 Ebd. 243

Englischen Komödianten, des Jesuitentheaters, wahrscheinlich auch der Commedia dell’arte und dem deutschsprachigen Vagantentheater schöpfte.931 Ohne jetzt die durchaus spannende Debatte um die Herkunftslinien von Hanswurst links liegen lassen zu wollen, so sei für die folgenden Ausführungen vorerst manifestiert, und dieses Paradoxon sei mir gestattet, dass die Gemeinsamkeiten zur Commedia dell’arte wie auch zu Pickelhering in den Differenzen liegen. Urbach hat dieses Problem wohl am pointiertesten erfasst:

Arlecchino überschlägt sich, Pickelhering übergibt sich. [...] Arlecchino frißt, Pickelhering scheißt. Arlecchino ist ein Diener, der unermüdlich tätig und hilfsbereit ist, der seinen Herrn auch betrügt, aber nur um dessen Wahn zu zerstören. Pickelhering dagegen ist faul. Er ist ein Egoist, der hauptsächlich um seinen eigenen Vorteil besorgt ist. 932

Wie sich bei genauerer Analyse der Rolle des Hanswurst in Cosroes zeigen wird, ist Hanswurst eine Weiterentwicklung aus Arlecchino und Pickelhering. Wir werden sehen, dass Hanswurst als Egoist agiert, der in seiner Narrenfunktion so gut wie keine Grenzen im sprachlichen Umgang mit seinem Herrn kennt und als berechnender oder zumindest wissender, schlauer (!) Störenfried in die Handlung der Aristokratie eingreift beziehungsweise diese vorantreibt. Stranitzky betreibt die Eingliederung des Hanswurst in die Haupt- und Staatsaktion nicht ohne Kunst. Wichtige Grundlage dafür ist die publikumsgerechte

Spielweise der deutschen Komödianten. [...] Ihr wichtigstes Bestreben war es, die totale Künstlichkeit der Commedia dell’arte auf eine typische Konstellation einzuschränken, die überladene Instrumentation lateinischen Ordenstheaters auf ein handwerkliches Maß zu reduzieren, die bravouröse italienische Artifizienz der großen Oper zugänglich [bei Stranitzkys Haupt- und Staatsaktionen handelte es sich ja um Opernbearbeitungen] und verstehbar zu machen. Die teutschen Komödianten übersetzten den fremden höfischen und mönchischen Kunstton in eine dem Bürger verständliche Sprache. [...] Sie mußten sich auf ihr Publikum einstellen und stellten ihm die Lösung vor, eine Mischform aus Arlecchino, dem Listigen, und Pickelhering, dem Lästigen: den lustigen Hanswurst. Sie erhöhten die Komödienfigur Hans Wurst zum gleichberechtigten Widerpart der Haupt- und Staatsakteure. 933

931 Vgl. Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernadon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn: Schöningh 2003, S. 10. 932 Urbach: Wiener Komödie, S. 20. 933 Ebd., S. 21. 244

Bevor wir aber der Frage nachgehen, welche Rolle Stranitzkys Hanswurst denn nun genau in den Haupt- und Staatsaktionen spielte, soll noch erläutert werden, worauf die Komik des Hanswurst aufbaut und welche Eigenschaften diese Lustige Figur charakterisieren. 245

5.6.2.1.2. Hanswurst – nur ein Lustigmacher?

Das Theater eines Stranitzky „suchte in erster Linie die Schaulust des Publikums zu befriedigen.“ 934 Auf diesem Faktum baut im Grunde seine ganze Komik auf.

Hw last einen Furz gehen und hernach einen Korpßer. Riepl hat seine lazzi darauf nach Belieben und erweckt ihm [Hw.] abermal. Hw redet in Schlaff von Menschern und dergleichen Posßen nach Belieben und sagt, sie sollen ihm gehen lasßen. Endlich nach etwelcher Foperei ermuntert er sich [...]. 935

Hier werden darüber hinaus schon wichtige Eigenschaften, wie Hanswursts äußerst körperliches Verhalten, evident. Beatrix Müller-Kampel stellt einen fundierten Katalog der Hanswurstschen Charakterzüge auf, der vor Augen führt, wie sehr die Komik des Hanswurst auf Schaulust aufbaut. Die Lustige Figur ist – um der Müller-Kampellschen Katalogisierung zu folgen – „Sauschneider und Diener“ 936 , „Narr und Galgenstrick“ 937 , „Fresssack und Säufer“ 938 , „Hosenscheißer und Windmacher“ 939 , „Frauensammler und Sexualphantast“ 940 , „Analphabet und Illiterat“ 941 , „Feigling und Prahlhans“ 942 , „Zankteufel, Raufbold und Leichenschänder“ 943 und ein vom Geld Besessener. 944 Über diesen charakterlichen Molotow- Cocktail hinaus ist Hanswurst aber vor allem eines: zutiefst menschlich. Oder er ist es gerade aufgrund der aufgezählten Eigenschaften. Worin liegen diese Attribute aber begründet? Welche Form der Komik ist es, die Stranitzky seinem Publikum in den Haupt- und Staatsaktionen – und in unserem Fall – in Cosroes vorführt? Und Stranitzky führt vor. Denn Hanswurst ist, so menschlich er ist, eine Theaterfigur. Eine Kreation. Das wird schon an seinem stehenden Kostüm evident. 945 Für unsere Zwecke soll genügen, dass es sich um ein bodenständiges Kostüm handelt, welches Hanswursts Herkunft aus der Narrenzunft nicht verleugnet, was sich vor allem an seinem grünen, hohen Spitzhut, der Pritsche und der

934 Kampel: Hanswurst, S. 29. 935 Joseph Anton Stranitzky: Der Großmüthige Überwinder Seiner selbst. (=Cosroes). In: Hanswurstiaden. Ein Jahrhundert Wiener Komödie. Hrsg. v. Johann Sonnleitner. Salzburg: Residenz Verlag 1996, S. 11. 936 Kampel: Hanswurst, S. 88. 937 Ebd., S. 91. 938 Ebd., S. 94. 939 Ebd., S. 98. 940 Ebd., S. 102. 941 Ebd., S. 108. 942 Ebd., S. 112. 943 Edb., S. 115. 944 Vgl. ebd., S. 122. 945 Auf das genaue Aussehen des Stranitzkyschen Hanswurst sei hier nicht näher eingegangen. Otto Rommel hat Stranitzkys Kostüm in seinem Monumentalwerk dankenswerter Weise seitenlang und sehr detailliert beschrieben. Vgl. Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 214. ff. 246

Buntheit des Kostüms zeigt. Wichtig dabei ist, und das erkennt Rommel richtig, dass Hanswurst an keine soziale Sphäre gebunden ist. 946 Mit dieser Einsicht ist es uns von jetzt an unmöglich der Diskussion, ob Hanswurst nur ein naiver Lustigmacher oder ein kalkulierender Satiriker ist, zu entkommen. Geht man mit Rommel davon aus, dass der „ ‚Lustigmacher’ durch sein ganzes Gehabe, auf der Bühne oft schon durch Maske und Kostüm, als außer und über der Wirklichkeit stehend bezeichnet wird“ 947 , so ist Hanswursts Komik doch wesentlich mehr: „Er wird oft zum aggressiven Satiriker.“ 948 Obwohl Rommel diesen Zusammenhang erfasst, will er ihn, wie sich zeigen wird, nicht für Stranitzkys Hanswurst gelten lassen. Doch, dass Hanswurst in den Haupt- und Staatsaktionen von Stranitzky bloß eine „komische Gestalt“ 949 sein soll, ist mitnichten der Fall. Es wird sich, um kurz vorzugreifen, herausstellen, dass sich Hanswurst in einem gesellschaftlichen und sozialen Vakuum an der Schnittstelle von Narr, komischer Gestalt und Lustigmacher aufhält, aus dem heraus er ansatzweise subversiv agiert. Um dies bekräftigen zu können, wenden wir uns nun näher der Haupt- und Staatsaktion Cosroes zu. Auf den Inhalt soll erst später eingegangen werden. Vorerst möge ein oberflächlicher Blick auf die Hanswurstfigur, deren Handeln gelegt werden, um so die nötige Folie für eine tiefgreifendere Analyse und Interpretation zu erhalten.

5.6.2.1.3. Cosroes

„Der Teuffl, hört einmahl auf, ihr macht mir daß Maul so wäsßerig, daß ich fast nicht genuch auspeien kann.“ 950 Das ist der erste Satz, der von Hanswurst in Cosroes zu vernehmen ist. Und er gibt einen Vorgeschmack darauf, was sich das Publikum von ihm in diesem Stück erwarten kann. Schon in diesem Satz zeigt sich die Sphäre, in der sich Hanswurst bewegt – und zwar in einer sehr körperbetonten. Die Wortwahl von „Teufel“ bis „ausspeien“ beweist, dass Hanswurst kein sehr gebildeter Charakter ist. Der „wässrige Mund“ verweist schon auf seine Fress- und Sauflust. In dieser Szene wird nämlich eine „herliche Taffl mit allerhandt Confecturn“ 951 präsentiert. Noch dazu sprechen die anwesenden Adeligen permanent von

946 Vgl. Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie S. 219. 947 Ebd., S. 157. 948 Ebd. 949 Rommel hierzu: „Die ‚komische Gestalt’ ist eine zum Typischen verdichtete oder zur Karikatur verzerrte Verkörperung allgemein menschlicher, teils national, lokal oder ständisch bedingter Hemmungen, deren Träger sich des Abstandes von der Norm nicht oder angeblich nicht bewußt ist und daher komisch wirkt [...].“ (Ebd.) 950 Stranitzky: Cosroes, S. 9. 951 Ebd. 247

Liebe, Treue und Zufriedenheit. Hanswursts Körperlichkeit („wäsßeriges Maul“ 952 ) ist also auch Indiz für Hanswurst als sexuellem Triebwesen, was ein paar Zeilen weiter auch gleich bestätigt wird, wenn er meint: „Wir Bauern können es zwar nicht beschreiben, aber wann wir ein Mensch auf den Heuboden bekommen, so erzehlen wir historiweis, daß sie in dreiviertl Jahren ein lebendiges Exempl bekombt.“ 953 Hanswursts Sprache ist also gleichzusetzen mit seinen Taten, auch wenn man nicht vergessen darf, dass er ein großer Prahlhans ist. In der sexuellen Sphäre ist er auch intellektuell zu Hause: „Sie hat zwar wohl bey ihrer Ehr geschworen, sie hätte nichts böses getan, aber Hw ist nicht so einfältig, daß ers glaubt. Ich kenne gar zu gutt diese Nachtzusammenkunften, weil ichs selber probirt.“ 954 In Sexualdingen lässt sich Hanswurst keine Hörner aufsetzen. Seine Gerissenheit definiert sich aus praktischen Erfahrungen und Handlungen. Aus diesem Reservoir kann er schöpfen. So verhält es sich auch mit dem „Geldverdienen“: „Ein Beutl Ducaten hab ich schon und hoff noch mehr zu bekommen, ja ich will Tag und Nacht dichten auf Zeitungen, damit ich nur Ducaten bekomme, wans gleich erlogen ist.“ 955 Das Verlangen ist ein ganz naives: Geld bekommen und vermehren, die Herangehensweise jedoch, ist, wie sich an späterer Stelle zeigen wird, keineswegs kindlich oder ohne kalkulierende, scharf berechnende Absicht, auch wenn das seine direkte Sprache mit Floskeln wie „Leckt ihr mich wacker in Arsch“ 956 nicht vermuten lässt. Bleiben wir allerdings bei diesem Irrglauben, so wird uns Hanswurst in Cosroes vorgeführt als ein fressender, furzender, von sexuellen Trieben beherrschter Naiver, der nur um sein eigenes Wohl besorgt ist, in zahlreichen Intermezzi seine lazzi mit Riepl und seine sonstigen Foppereien treibt. Haben wir es tatsächlich nur mit einem Bauernschlauen zu tun, der aus einer zutiefst materialistischen Weltsicht jedem Heldentum und jeder Charakterfestigkeit zum Trotz zugunsten selbstgenügsamer Befriedigung agiert 957 ? Ist Stranitzkys Hanswurst wie „Pickelhäring kein Mensch der Alltagswelt, sondern ein Wesen aus dem Lebensraum der Bühne ... aus der Freude am Spiel, am Mimus“ 958 ? Das ist er ohne Zweifel, doch setzt er diese Freude am Spiel auch bewusst ein? Ja.

Er ist [...] noch lange keine ‚Charakterfigur aus dem Volke’ – allzu augenfällig trug er noch die Embleme des ‚Narrentums’ zur Schau -, aber er hat [...] die Anlage, eine

952 Stranitzky: Cosroes, S. 9. 953 Ebd., S. 10. 954 Ebd., S. 22. 955 Ebd., S. 24. 956 Ebd., S. 55. 957 Kampel: Hanswurst, S. 115. 958 Baeseke zit. n.: Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 174. 248

solche Charaktergestalt zu werden, eine Möglichkeit, die Pickelhäring längst verpaßt hatte. 959

Eine Charakterfigur war Stranitzkys Hanswurst noch nicht. Und aus dem Volk schon gar nicht. So volksnah, um etwas provokant mit derartig fragwürdigen Termini zu arbeiten, er auch bei der Lektüre des Textes von Cosroes zu sein scheint, so unnahbar ist er durch sein Verhalten auch, denn er ist nicht nur Protagonist der Intermezzi, sondern, wenn schon nicht Protagonist, so doch ein wichtiger Teil (und keineswegs eine Marionette) im Ranken der Personen der Haupt- und Staatsaktion. Wer aus dem „Volk“ würde sich schon wie Hanswurst in den aristokratischen Kreisen bewegen können? Mit vermeintlicher Volksnähe hat das überhaupt nichts zu tun. Auch nicht mit der Realität. Und genau aus diesem Grund ist Hanswurst mehr als nur ein naiver Komiker. Oder anders gesagt: Gerade aus seiner scheinbar naiven Komik heraus, mit der er die Adeligen in Cosroes umkreist, wird er zum Satiriker. Aber weniger zu einem Satiriker im Sinn des Volkes (als Begriff, der sich vom Adelsstand abgrenzt), sondern zu einer Bühnenfigur in einem theatralen höfischen Spiel, das die adelige Gesellschaft schon ohne Zutun von Hanswurst der Lächerlichkeit preisgibt und durch Hanswursts Wirken diese Lächerlichkeit noch potenziert, nicht aber weil Hanswurst wie ein naiver Bauer durch die Welt der Aristokratie spaziert, sondern weil sich seine Narrenpritsche zu einem satirischen Schwert metamorphosiert, dessen satirische Aggressivität man nicht negieren kann, aber andererseits auch nicht überbewerten sollte, denn Hanswurst ist in erster Linie noch immer einem Theater, einer Komik der Schaulust verbunden.

5.6.2.1.4. Hanswurst - der berechnende Lustigmacher

Joseph Anton Stranitzkys Der großmütige Überwinder seiner Selbst ist die Bearbeitung eines deutschen Singspiels mit dem Titel Cosroes . Der Inhalt sei nur skizzenhaft angeführt; eine ausführliche Angabe der diversen Liebeshändel und Handlungsfäden würde unsere Debatte eher ver- als entwirren. Sonnleitner bringt es kurz und bündig auf den Punkt, wenn er für den Inhalt von Stranitzkys Cosroes manifestiert:

Es geht um die ‚unmenschliche Tyranney der Liebe’, die es zu überwinden gilt. [...] Der Text führt vier Paare mit unterschiedlichen Zuneigungsgraden vor: Der wankelmütige Langobardenkönig Cosroes ist mit der Prinzessin von Benve[n]t verlobt, sein Sohn Vardanes ist der Prinzessin von Spoleto, Ismene, innig zugetan, die

959 Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 229. 249

seine Liebe erwidert, während Julie, ein ‚gräßliches’ Fräulein, in Alcando vernarrt ist, der diese unerwünschte Zuneigung scheinbar akzeptiert, in Wirklichkeit aber die Prinzessin Stellandra liebt. Hanswurst wiederum mit seiner ausgeprägten erotischen und sexuellen Aktivität hat einem Dutzend Salzburgerinnen die Ehe versprochen, die ihn in einem durch Riepl überbrachten Brief auffordern, eine nach der andern zu heiraten, während ihn das alte Kammermädchen Brunette begehrt. 960

Das soll zum Inhalt genügen. Denn viel wichtiger als die vordergründige Handlung, ist die Tatsache, dass Hanswurst nicht als gewöhnlicher Diener fungiert, sondern eine privilegierte Stellung am Königshof einnimmt, die mit der Position des Hofnarren und seiner sprichwörtlichen Narrenfreiheit zu vergleichen ist.961 Trotz vieler Intermezzi, die lediglich Hanswurst und seinesgleichen vorbehalten sind und reziprok dazu der zahlreichen Szenen, in denen ausschließlich aristokratische Figuren agieren, treibt sich Hanswurst vom ersten Akt an in der Welt des Hofes herum. Das stellt einerseits einen wirksamen Kontrast her 962 und bietet andererseits Hanswurst die Gelegenheit mehr als ein bloßer Spaßmacher zu sein, sondern ein Lustigmacher mit, wenn vielleicht nicht satirischer Absicht, aber doch vom Autor Stranitzky evozierter satirisch-parodistischer Wirkung. Wie groß der Raum für Hanswurst ist, lässt sich schon an der Tatsache ermessen, dass von den fünfunddreißig Spielszenen acht für die extemporierte Nebenhandlung reserviert sind, wobei natürlich bedacht werden muss, dass die lazzi und Foppereien höchstwahrscheinlich naturgemäß mehr Spielzeit in Anspruch genommen haben, als es der knappe Text suggeriert. 963 Darüber hinaus, und das ist der springende Punkt für unsere weitere Analyse, sind „Haupt- und burleske Nebenhandlung [...] thematisch eng verzahnt, der König und sein komisches Pendant sind beide der Macht der Liebe ausgeliefert, Cosroes der Willkür Amors, Hanswurst seinem unersättlichen Sexualtrieb.“ 964 Das heißt Herrscher und Diener agieren innerhalb der gleichen Sphäre: der Liebe respektive Erotik und Sexualität, so dass man sich im Verlauf des Stückes immer wieder die Frage stellt, wer hier denn eigentlich der Narr ist: Hanswurst oder Cosroes. Dass Hanswurst buchstäbliche Narrenfreiheit genießt, wird bereits in der ersten Szene evident. Wir haben den Satz schon einmal zitiert: „Der Teuffl, hört einmahl auf, ihr macht mir dass Maul so wäsßerig, daß ich fast nicht genuch auspeien kann.“ 965 Diese ersten Worte Hanswursts sind weder an Riepl oder sonst eine Figur aus seinem Kreis gerichtet, sondern an die höfische Gesellschaft, die sich um die Tafel versammelt hat. Doch es gibt noch Steigerungsstufen, wie

960 Johann Sonnleitner: Hanswurst, Bernadon, Kasperl und Staberl. In: Hanswurstiaden, S. 342-343. 961 Vgl. ebd. S. 342. 962 Vgl. ebd., S. 341. 963 Vgl. ebd., S. 344. 964 Ebd. 965 Stranitzky: Cosroes, S. 9. 250 der folgende Dialog, der zur besseren Veranschaulichung etwas ausführlicher zitiert werden soll, bestätigt.

Stellandra Sage mir, gehet der König offt in Ismenen Zimmer? Hw Das weis ich nicht, dann bey solchen Sachen braucht man die dritte Persohn nicht darbey. Stellandra Aber dannoch? Hw Ihr seyd ein durchtriebene Krott und ist Euch nicht zu trauen, dann ein Weibsbildermaul und eine Windmihl schweigen nicht leichtlich still, wann sie nur eine Ursach haben. Stellandra Fürchte dich nicht, ich verspreche dir bey der Hoheit meines Standes, dich nicht zu verrathen. Hw Schaut, ich will Euch wohl etwas vertrauen, aber sagen thu ich Euchs nicht, damit hernach, wans herauskombt, die Trimer nicht auf mich springen. Der König, der schleicht offt gantz allein zu der Prinzessin Ismene, und wann er in ihr Zimmer kombt, so gehet er umb sie herumb, als wie eine Katz umb den heisßen Brein, er kniet vor ihrer, er weinet als wie ein alte Badurschl, bald will er sich erstechen, bald will er sie wieder umbfangen, die Ismene aber, die sagt allezeit, sie verstehe ihm nicht und er sollte zu Euch gehen. Da aber wird er gleich erzürnet und schmählet über Euch, sagend, er will Euch mit Hunden außbeitzen lasßen, es gereue ihm, Euch iemahl gesehen zu haben, und was noch mehr ist. Und dieses hab ich alles einmahl bey den Schlüßlloch gehört und gesehen. 966

Von einer bloßen Konterkarierung der Haupthandlung, wie Müller-Kampel meint 967 , kann hier wohl nicht mehr die Rede sein. Ihrer Ansicht nach ist es auch zu weit hergeholt satirische, kritische oder subversive 968 Intentionen in den mit Hanswurst durchsetzen Haupt- und Staatsaktionen Stranitzkys zu lesen. Ihr ist in diesem Punkt nur insoweit zuzustimmen, als dass, man nicht das Gras wachsen hören sollte und somit der Gefahr der Überinterpretation anheim zu fallen, wie sie auch Urbach widerfährt, wenn er meint, dass die Wiener Komödie, welche die komische Misere des Publikums darstellt, von diesem als permanente Akklamation des bestehenden Zustandes missverstanden wird 969 , so greift das im Zusammenhang mit Stranitzky wohl etwas zu weit, vor allem, wenn er schreibt, dass „Hanswurst den Aufstand improvisierte, nicht die Auflösung, aber die Verwirrung und Zerrüttung der ständischen Hierarchie experimentell und exkrementell vorführte.“ 970 Dennoch ist an dieser Stelle, nicht Müller-Kampel, die Urbach kritisiert, sondern letzterem zuzustimmen. Denn sein Essay ist in seiner pointierten, teilweise überpointierten Rhetorik vielleicht treffender als so manche allzu abwegende Gelehrtenprosa. Denn, wenn Müller-

966 Stranitzky: Cosroes, S. 23. 967 Vgl. Kampel: Hanswurst, S. 35. 968 Vgl. ebd. 969 Vgl. Urbach: Wiener Komödie, S. 10. 970 Ebd., S. 84. 251

Kampel die Ansicht vertritt, dass „die burleske Komik des Parallelspiels [...] nicht seiner Gegenbildlichkeit zur Haupthandlung [entsprang], sondern der eigens dafür geschaffenen Geschichte“ 971 , so ist das zweifelsohne nicht falsch, hat Stranitzky doch die Figur des Hanswurst erst in seine Bearbeitungen eingefügt beziehungsweise die Stücke für Hanswurst bearbeitet. Dass es sich beim Hauptstrang in der Hanswursthandlung um „Bauernschwänke um Riepel [...], Hanswursts Kampf mit furienhaften Weibern und dramatisierten Kriminalgeschichten“ 972 handelt, ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen. Jedoch scheint mir Müller-Kampels Argumentation in diesem Punkt zu kurz zu greifen, denn auch wenn die Episoden des Hanswurst auflockernde aber auch erklärende und kommentierende Funktion in Bezug zur heroischen Handlung haben, so kommt man, meines Erachtens, nicht umhin, die enge Verzahnung von Haupt- und Nebensträngen sowohl in ihrer Thematik als auch dramaturgischen Stringenz hervorzuheben. Dies nämlich völlig zu negieren, zeugt von ungenügender Textkenntnis. Ziehen wir zur Beweisführung die oben angeführte Textstelle aus Cosroes heran. Stellandra bittet Hanswurst um Auskunft über die Umtriebe des Königs. Das setzt ihrerseits natürlich voraus, dass Hanswurst mehr als nur ein Hofnarr ist, der mit naiver Bäuerlichkeit durch die höfische Welt stolpert. Hanswurst argumentiert sofort aus seiner Sphäre, jener der Sexualität, heraus, dass er das nicht weiß, denn bei derartigen Dingen braucht man keine dritte Person. Er weiß natürlich sehr wohl Bescheid, denn Stellandra hakt nach und erscheint dadurch noch naiver als Hanswurst. Hanswurst nämlich ist nicht nur naiv, sondern ein ehrlicher und direkter Charakter, aber dabei so gerissen, dass die Naivität als Maske entlarvt werden muss; eine naive Maske, die über die Maske der Kindlichkeit, wie sie Rommel beschreibt 973 , hinausgeht und in ihrer Drastik beinahe schon eine Pärchte ist, vielleicht eine Pärchte mit der Unfähigkeit zur Einfühlung. 974 Letztere tritt besonders in der Antwort Hanswursts hervor, in der er Stellandra als durchtriebene Kröte bezeichnet, sich dann jedoch zu beinahe literarischen Vergleichen sich emporschwingt („[...] ein Weibsbildermaul und eine Windmihl schweigen nicht leidlich still, wann sie nur eine Ursach haben.“ 975 ) Das Bild der Windmühle aber ist aus der bäuerlichen Sphäre genommen und zeigt Hanswursts intellektuellen Horizont an. Man könnte, mit Vorbehalt, so weit gehen und sagen, Hanswurst mutet stellenweise an wie ein bäuerlicher Intellektueller, der unbewusst zu einer Rhetorik

971 Kampel: Hanswurst, S. 35. 972 Ebd.. 973 „[...] Kindlichkeit ist die Maske für die herrliche Respektlosigkeit, mit der sich Hanswurst – wie schon weiland Pickelhäring – in der vornehmen Welt bewegt, die den jugendlichen Salzburger Sau- und Krautschneider eigentlich einschüchtern sollte. Aber sie imponiert ihm nicht, und zwar einfach deshalb nicht, weil er unfähig ist, sich in sie einzufühlen.“ (Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 312.) 974 Vgl. ebd. 975 Stranitzky: Cosroes, S. 23. 252 fähig ist, von der er selbst keine Ahnung zu haben glaubt. Hanswursts „Reden und Tun ist nie davon bestimmt, was ein Bauer in seiner Lage tun würde oder könnte, sondern davon, was er gerade noch glaubt sich erlauben zu dürfen.“ 976 Und Hanswurst darf sich sehr viel erlauben und herausnehmen, denn er ist ja so etwas wie ein höfischer Nachrichtendienst, wie sich an der detailgetreuen Beschreibung der königlichen Umtriebe zeigt, was er natürlich gerissen auszunützen weiß. Wir denken an seine Geldberechnungen. Nicht zu übersehen ist, dass Hanswurst in seinen Ausführungen nicht mit Vergleichen („wie eine Katz umb den heisßen Brein“ 977 , „wie eine Badurschl“ 978 ) und rhetorischen Steigerungen in Schachtelsätzen („Da aber wird er gleich erzürnet und schmählet über Euch, sagend, er will Euch mit Hunden außbeitzen lasßen, es gereue ihm, Euch iemahl gesehen zu haben, und was noch mehr ist.“ 979 ) geizt und somit natürlich die entsprechende Wirkung bei Stellandra erreicht, die ihm entgegnet: „Alles, was du mir erzehlet, kan ich leichtlch glauben [...]“ 980 , weil sie den König richtig einschätzt aber vor allem auch, weil sie ja den Nachrichtendienst Hanswurst befragt hat und ihm aufgrund seiner plastischen Schilderungen glauben muss. Hanswursts rhetorische Fähigkeiten können aber auch als Indiz für die satirische Parodie des höfischen Heroenkults 981 herangezogen werden, indem Hanswurst so – ob er jetzt bewusst oder unbewusst diese hohe Sprache annimmt – spricht wie seine „Befehlshaber“. Eva-Maria Ernst vertritt in ihrer Arbeit die These, dass es sich bei Stranitzkys Hanswurst sehr wohl um einen satirischen Lustigmacher handelt. Sie hebt ebenfalls hervor, dass die Intermezzi so unabhängig von der Haupthandlung nicht sind – nicht nur in Cosroes .982 In diesem Stück ist die Verzahnung aber offensichtlich, denn es

besitzt ein fast vollständig ausgeprägtes Intermezzo, in dem die parodistische Wiederholung der Haupthandlung auf niederer Ebene besonders deutlich hervortritt: Der König Cosroes stellt mehreren Mädchen gleichzeitig nach, ohne sich von ihrer Tugend beeindrucken zu lassen – während Hanswurst in Salzburg sogar einigen Dutzend (!) Frauen die Ehe versprochen hat. 983

976 Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 175. 977 Stranitzky: Cosroes, S. 23. 978 Ebd. 979 Ebd. 980 Ebd., S. 23-24. 981 Vgl. Eva-Maria Ernst: Zwischen Lustigmacher und Spielmacher. Die komische Zentralfigur auf dem Wiener Volkstheater im 18. Jahrhundert. Münster: Lit 2003, S. 57. 982 Vgl. ebd., S. 61. 983 Ebd., S. 62. 253

Diese Spiegelung und scheinbare Nivellierung der Stände entspricht aber eher einer Parodie als einer sozialen Satire. Und darin wird wohl auch die Debatte Satire – naive Komik enden, denn Ernst hält fest:

Die Parodierung höfischer Figuren durch den Lustigmacher ist [...] in der traditionellen Haupt- und Staatsaktion gleichzusetzen mit seinen Kommentaren zur Haupthandlung, die sein Unverständnis gegenüber der höfischen Ebene demonstrieren. 984

Die Hanswurstfigur wird erst im Lauf der Jahrhunderte zum Störenfried, zum Satiriker – vor allem die Reste Hanswursts respektive die Hanswurstmutationen bei Nestroy. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Der Grundstein zur Satire ist allerdings in den Parodien Stranitzkys gelegt. Ernst hat dieses Fundament sehr geschliffen umrissen:

Hanswurst ist kein naiv-komischer Lustigmacher mehr, der sich durch sein Unverständnis gegenüber adlig-höfischer Lebensweise selbst lächerlich macht, sondern wird zu einer bewusst-komischen Figur, die den Anachronismus der durch die Operntexte repräsentierten Hofkultur entlarvt und so eine wichtige Entwicklungsstufe auf dem Weg zu einer aktiven Spielmacherfigur darstellt. 985

Stranitzkys Hanswurst kann lediglich als eine Vorstufe zur Satire betrachtet werden. Denn in aristokratischer Anwesenheit gefällte Sätze wie „Das ist ein Schelm, wie der doch lügen kan! Die Ismene speiet dem König in daß Gesicht und will ihm nicht einmahl ansehen.“ 986 oder „Daß ist ein Vogl, den man Galgen hangen soll!“ 987 sind eher allgemeinmenschlicher Kommentar, denn subversive Standeskritik. Hanswursts „Macht“ hat auch dort ihre Grenzen, wo der Herrscher die seine walten lässt respektive seinen eigenen Willen hat und rein gar nichts auf die Ratschläge seines Narren gibt:

Cosroes Was ist dieses? In unseren Saal dergleichen Geschreu? Schelm, Böswicht, Hundt, was soll dis bedeuten? HW Nichts, nichts, Herr König, wann die Weiber schlimme Mäuler haben, so mus man ihnen es also machen, folgt meinen Exempl, so wird ihr gewis auch ein frommes Weib bekommen. Cosroes Ich mus dieses Schelmen lachen. Forth, bringe sie von hier, man hat deiner Bosßen nicht nötig, wo andere Geschäfften uns obliegen. 988

984 Ernst: Lustigmacher, S. 18-19. 985 Ebd., S. 43. 986 Stranitzky: Cosroes, S. 54. 987 Ebd., S. 55. 988 Ebd., S. 59-60. 254

Cosroes, der Tyrann, der König hat noch immer die Macht und nicht Hanswurst. Will der Herrscher seine Geschäfte ohne Hanswurst erledigen, dann haben dessen Possen in der Gegenwart des Königs nichts verloren. Und das ist auch der Punkt, weshalb man bei Stranitzky von Parodie und nicht von Satire sprechen sollte. Denn

Stranitzky stellt zu keiner Zeit die traditionellen Privilegien des Adels in Frage oder macht sich zum Fürsprecher unterer, minderprivilegierter Schichten. Auch dürfte sich sein Publikum kaum aus den Unterschichten rekrutiert haben. Dennoch sind die Opernparodien als Reaktion auf ihre gesellschaftlichen und kulturellen Entstehungsbedingungen aufzufassen, da sie die Brüchigkeit der hochbarocken höfischen Repräsentation durchschauen und die Vorrangstellung der aus ihr hervorgegangenen Gattungen zu brechen versuchen. 989

5.6.3. Das Hanswurstrelikt Knottek

Joseph Anton Stranitzky: Der Wienerische Hanswurst. Satirischer Störenfried oder naiver Komiker? Es kann festgehalten werden, dass „die Gegenüberstellung von italienischer Opera seria und ‚bodenständigen’ deutschen Bauernfiguren nicht im Vordergrund steht“ 990 , sondern dass gerade die Verzahnung von höfischer Haupt- und burlesker Nebenhandlung den parodistischen Weg zur Satire bahnte, wie wir sie spätestens in Nestroys Talisman vorfinden. Eine Figur aus dem Volk ist Hanswurst aber genauso wenig wie Titus Feuerfuchs. Und das unterscheidet ihn maßgeblich von Fritz Knottek aus Schaffnerlos . Knottek ist nämlich in erster Linie keine theatrale Kunstfigur wie Hanswurst oder seine Nachfahren wie Kasperl, Thaddädl, Staberl oder diverse Nestroycharaktere, sondern Knottek ist ja ähnlich der Charaktere Ernst Hinterbergers der kleine Mann, der Arbeiter. Er ist nicht in die vermeintliche Hanswurst-Ahnenreihe zu stellen – und wenn, dann als „Bastard“ unter diesen Verwandten. Hanswurst ist unter ihnen aber auch oft nur mehr in sehr gewandelter Form zu finden – und oftmals sind es nur vordergründige Eigenschaften, die eine Verbindung erahnen lassen wie „die bekanntesten zwei Bedürfnisse: ein gutes Glas Wein und ein Weibchen dazu“ 991 . Was jedoch auffällt ist, dass die Hanswurste sich im Lauf der Jahrhunderte – vom geilen und kindlichgrausamen Hanswurst der Haupt- und Staatsaktion über den biederen, brav gewordenen Lustigmacher des Josephinismus bis hin zur traurigen Komik eines Ferdinand Raimund und der zornigen Satire Nestroys 992 - von theatralen Triebfiguren zu Charakteren

989 Ernst: Lustigmacher, S. 82-83. 990 Ebd., S. 53. 991 Scheit: Hanswurst und der Staat, S. 24. 992 Vgl. ebd., S. 9-10. 255 mit Seelenleben entwickeln: „Damit eröffnet sich der Lustigen Person eine neue Dimension: jene der Psyche. Hanswurst und Käsperle waren noch ganz Typus, auf wenige Eigenschaften festgelegt, die das Publikum bereits von früheren Auftritten an ihnen kannte.“ 993 Fritz Knottek ist mehr oder wenig ein umgekehrter, viel mehr ein verhinderter Hanswurst, ja, ein Hanswurstrelikt. Von einer sexuellen Triebfigur fehlt jede Spur und wenn Hanswursts Sprache Taten sind, so sind Fritz Knotteks Ausflüge in die Anarchie in der Welt des inneren Monologs seine Taten. Der der Vorstellungskraft der HörerInnen zugute kommende Monolog, in dem Knottek vor allem seine Handlungen beschreibt, hat nicht nur hörspielpraktische Funktion, sondern zeigt auch einen Menschen, der mit sich selbst spricht, also sehr allein sein muss, was er auch tatsächlich ist, wie er sich selbst eingesteht. Auch ist Knotteks Sprache nicht von einer unbewussten Fähigkeit zur Rhetorik geprägt, viel mehr ist er ein Gefangener seines Berufjargons, der sich ja mittlerweile mit seiner Alltagssprache mischt. Der innere Monolog, in dem sein wahres Gefühlsleben zum Vorschein kommt, potenziert Knotteks Einsamkeit noch. Knottek ist wie Hanswurst und seine Nachfahren ein Räsoneur, aber ein inwendiger, was am besten in den Tramway-Szenen zum Ausdruck kommt. In diesen Szenen begeben sich Tauchen, Prokopetz und Ambros in die Nähe des O- Ton-Hörspiels – aber nur, was die Geräusche betrifft, denn

die Hintergrundgeräusche eines in der Stadt fahrenden Tramwaywaggons wurden eigens für diese Produktion in natura aufgenommen. [...] Ein Triebwagen – ein Salonwagen von 1912 – aus dem 1. Wiener Tramwaymuseum wurde in Betrieb genommen, um die verschiedenen Signale und Geräusche auf Band aufnehmen zu können. 994

Wir bekommen in „Schaffnerleben, 1. Teil“ einen Einblick in das tägliche Berufsleben des Fritz Knottek – und uns wird bewusst, was uns das Cover sagen will: Der Mensch Knottek ist die Pflanze, die aus der Arbeitstasche knospt – und zugleich ist er durch seinen Beruf ein Auslaufmodell in einer technisierten Welt, in der das Menschbleiben immer schwieriger und zum Überlebenskampf wird. Knottek wird als routinierter Schaffner, aber auch als zutiefst menschlich charakterisiert. Er ist keine theatrale Figur wie Hanswurst, sondern viel eher ein Mensch aus dem Volk beziehungsweise eine Volksfigur – ohne allerdings verklärt zu werden, wie der Kondukteur „Döblinger Pepi“ aus Vincenz Chiavaccis Text In der Tramway . Chiavacci zeichnet das Bild des Schaffners als das eines Tramway-Schutzengels, dessen Freundlichkeit auch auf den Trinkgeldflüssen der Fahrgäste fußt:

993 Ziltener: Hanswursts Erben, S. 101. 994 Pfeiler: Austropop, S. 170. 256

Daß die Menschen mit dem wachsenden Wohlstand besser werden, ist eine längst erkannte Wahrheit. Wer sich davon überzeugen will, der betrachte nur unsere Tramway=Kondukteure. Ehemals einsilbig, kopfhängerisch, nur mit Überwindung ihren schweren Dienst versehend, sind sie jetzt fröhlich, gesprächig, dienstfertig, galant, und das nicht etwa aus Eigennutz; denn sie machen zwischen dem Geber und Sparer keinen Unterschied, sondern weil es ihnen durch den mit einer gewissen Regelmäßigkeit fließenden Obulus besser geht. Da ist zum Beispiel der ‚Döblinger Pepi’; ein ehemaliger Deutschmeister, noch immer fesch, resch, gutherzig und gefällig, schlagfertig und witzig. Er ist die Seele des Tramwaywaggons [...]. Er begnügt sich nämlich nicht mit der trockenen Erfüllung seines [sic!] Dienstesobliegenheiten, sondern ist der freundliche Hausherr, der besorgte Kapitän, der Rhapsode und Märchenerzähler.995

Fritz Knottek ist unbestreitbar – im Gegensatz zu den Fahrscheinautomaten - die Seele des Tramwaywaggons – das hat er ja mit seinem Auftrittslied ex negativo („Schaffnasei, des woa [!] amoi wos“ 996 ) manifestiert – sein Umgang mit den Fahrgästen oszilliert zwischen routinierter, mitunter stilisierter Genervtheit und hausherrlicher Freundlichkeit. Nicht ohne trockene Diensterfüllung, die aber zu seiner Stilisierung respektive zur Überlagerung des Berufsmenschen über den Privatmenschen gehört, bewegt er sich – untermauert von Straßenbahngeräuschen und Menschenstimmen - durch den D-Wagen (Straßenbahnlinie D) mit diversen berufsbedingten, schon unzählige Male getätigten und deshalb tragischer Weise wie mechanisch anmutendenden Ausrufen wie: „Zugestiegen, Fahrscheine bitte!“ 997 , „Vorgehen bitte! Gehn’s do vor“ 998 . Doch der Mensch kommt immer wieder durch. Klingt „Vorgehen bitte“ noch wie eine seiner tonbandartigen Ansagen, so dringt in „Gehn’s do vor“ schon der grantelnde Privatmensch durch, der sich über diesen oder jenen Fahrgast auch wirklich ärgern kann. Dann stößt Knottek auf einen Obdachlosen gesprochen von M.O. Tauchen. 999 Der Obdachlose ist nur im Besitz eines Kurzstreckenfahrscheins vom letzten Monat, möchte aber weiterfahren. Der Dialog wird immer wieder durch Knotteks standardisierte Floskeln wie „Zugestiegen, bitte!“ 1000 unterbrochen. Knottek lässt gegenüber dem Obdachlosen seine Autorität spielen, was in seiner mit „Meidlinger-Ls“ durchzogenen, beinahe militärisch

995 Vincenz Chiavacci: In der Tramway. In: Ders.: Klein-Bürger von Groß-Wien. Ernstes und Heiteres aus dem Wiener Volksleben. Stuttgart: Adolf Bonu&Comp. 1893, S. 159-160. 996 Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 997 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 998 Ebd. 999 Tauchen übernimmt einen Großteil der Figuren in der Straßenbahn. Er spricht den Kontrolleur Dolezal, den Sandler, eine alte Frau, einen Exhibitionisten, einen Fremdarbeiter, eine Touristin, einen Steirer, einen einsilbigen Fahrgast, einen Schwarzfahrer und einen alten Mann, während Prokopetz in die Rolle des Franz Moser, einer ungeduldigen Dame und eines belästigten Mädchens schlüpft. 1000 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 257 klingenden Mahnung „Haums net gheat wiar i gruafn hob: ‚Kurzstreckengrenze.’ Laut und deutlich. ‚Kurzstreckengrenze!’“ 1001 zum Ausdruck kommt. Um allerdings einen neuen Fahrschein lösen zu können, hat der Obdachlose zu wenig Geld bei sich. Knottek lässt sich durch das Flehen des „Sandlers“ („Oba Hea Schef, hob doch a Einsegn, meine Fiaß.“ 1002 ) beschwichtigen und erlaubt ihn bis zur nächsten Station mitzufahren, aber dann auszusteigen, denn „sonst wean Sie mich kennenlernen!“ 1003 . Die Szene endet mit der hysterischen Frage einer alten Dame, die Knottek schon während des Gesprächs mit dem Obdachlosen mit gütiger, ehrlicher Freundlichkeit vor dem zu frühen Aussteigen – der Waggon war nach einem Halt schon fast in Bewegung – bewahrt hat: „Hea Schaffna, woa des jetzt de Barawitzkagossn!?“ 1004 Übergangslos erklingt die elegische Melodie, die Knotteks inneren Monolog begleitet. Knottek, der inwendige Räsoneur, philosophiert noch am letzten Arbeitstag über den ewig gleichen Alltagstrott. Es entsteht das Bild eines Arbeits- und Lebensmüden, der aber dennoch in der Arbeit seinen Lebensinhalt sieht – sich also sozusagen in einem unkündbaren Wechselverhältnis befindet. Wieder wechselt seine Stimme in eine tiefere Tonlage, die die rhythmische Prosa zu Beginn unterstreicht: „Joa aus, Joa ei des söbe. Obs koid is oda haaß. Imma in de scheiß Waggons umanaundagräun. Si mit de Leit umadumstreitn. [...] Des is jo Gott sei Daunk vuabei.“ 1005 Doch der Gedanke an die Pension ist beinahe noch schlimmer als die Arbeitsroutine: „Jetzt wear i aa a Zeit haum und a Ruah. Wos i jetz olles mochn wea.“ 1006 Durch eine Pause, die Musik läuft weiter, wird die Erwartungshaltung des Hörers geschürt. Knottek denkt darüber nach, ob er nicht vielleicht doch mit Frau Baumgartl eine Liaison eingehen soll, kommt aber zum Schluss: „Na, do bleib i liabar alaa. – Bin i eh scho gwehnt.“ 1007 Eine weitere Pause. Dann die Erleuchtung: „I waaß – i kauf mar an Foabfeanseha.“ 1008 Doch schon folgt Ernüchterung: „Waunns net so teia waan, de Hund.“ 1009 Die Zukunft vor dem Fernseher zu verbringen ist schon eine Katastrophe, seine Pension aber vor dem (imagninären) Fernseher zuzubringen, den er sich nicht leisten kann, eine noch größere. Schließlich gesteht sich Knottek doch ein, dass er die Arbeit vermissen wird, da er davon überzeugt ist, dass er ein guter Schaffner ist. Unmittelbar auf diese innermonologische Erkenntnis schließt nun das eigentliche Standeslied „Schaffner mit

1001 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1002 Ebd. 1003 Ebd. 1004 Ebd. 1005 Ebd. 1006 Ebd. 1007 Ebd. 1008 Ebd. 1009 Ebd. 258

Leib und Söh“ an. Doch anstatt eines fließenden musikalischen Übergangs aus der Elegie des inneren Monologs in ein stolzes, feierliches Standeslied, kommt es zu einem unerwarteten Bruch. Nichts ist mehr vom Glockenspiel aus der Ouvertüre übrig, wenn die funkig-rockige Version von „Schaffner mit Leib und Söh“ erklingt, die mit einem Schrei á la James Brown beginnt. Text und Vortrag suggerieren ein positives Berufsverständnis und berufliches Selbstbewusstsein:

Vuaweats, vuaweats! Gemma, gemma! Lossns mi do duach! Hoitns Ihna au, gnä Frau. Stöns Ihna vua, mia bremsn gach. Drum bedenkn Sie stets die Möglichkeit einer Notbremsung und benutz‘n sie daher die Haltegriffe.

I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh. I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh.

Kuazstreckngrenze Koalsplotz. Geems den Rucksock weg! Ea is doch ein Hindanis. Stöns Ihna vua, es dastesst sie wea. Drum müssn Peasonen mit gebüanpflichtigen Gepäcksstücken auf da hintaren Plattform zusteign.

I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh. I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh.

Bitte rasch einsteign. Voagehn. Vuan is no so vü Plotz. Noch jemand ohne Fahrschein, bitte. So kummans doch vom Trittbrett rauf! Den Anweisungen des Fahrpersonals is unbedingt Folge zu leisten!

I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh. I bin a Schaffna mit Leib und Söh von Hoitestöh zu Hoitestöh. 1010

Der rockige und funkige Sound, der harte Rhythmus der Strophen unterstützt Knotteks Berufsauffassung, ist aber weit entfernt von jener wehmütig-feierlichen wienerischen Standeslied-Tradition, wie man sie vor allem von kitschigen Wienerliedern („Fiakerlied“) kennt. Rock impliziert immer Anarchie, Aufstand, Rebellion. Eine Haltung, die Knottek, aber nur im inneren Monolog, in seinen Gedanken einnimmt. Diese scheinbare Unstimmigkeit und der mit „Schaffner mit Leib und Söh“ herbeigeführte Bruch ist somit Ausdruck der

1010 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Schaffner mit Leib und Söh. Schaffnerlos. 259 charakterlichen Ambivalenz Fritz Knotteks. Der Song fadet aus und wird wieder von den Geräuschen einer fahrenden Straßenbahn überlagert. Wir befinden uns bereits in der nächsten Szene: „Schaffnerleben, 2. Teil“, die ein gesellschaftlich-kabarettistisches Panoptikum mit Tiefgang bietet und die auch damals aktuelle Themen wie Fremdarbeiter und Kreisky-Politik aufgreift. Es wird ein Nebeneinander von Einzelschicksalen hörbar gemacht. Der Tramwaywaggon wird zur Welt in nuce, zu einem eigendynamischen Mikrokosmos, in dem „Volk“ als eine „Kategorie der Situation“ 1011 zu sehen ist und in der Knottek über andere Menschen beziehungsweise durch Situationen im Ungang mit anderen Leuten charakterisiert wird. Die Szene beginnt mit Knotteks Standardfloskeln „Jemand zugestiegen? Fahrscheine bitte!“ 1012 und seinem stereotypen „Danke“ 1013 , wenn jemand einen Fahrschein löst. Den Exhibitionisten 1014 , der mit seiner hohen Stimme beinahe schon singt: „Es is jo so a Gedränge im Waggon!“ 1015 und eine Frau belästigt: „Schau doch, wos i do hob.“ 1016 , bemerkt Knottek nicht. Die Frau wird hysterisch und schreit: „Jessasmarandjosef, na der nimmt jo -“1017 . Dass es sich um seinen Penis handelt, ist dem Hörer natürlich klar. Bevor das aber noch deutlicher wird, hört man Knottek rufen: „Stadiongasse! Bitte die Einstiege freimachen.“ 1018 Der Dialog zwischen belästigter Dame und Exhibitionisten ist mit Knotteks Berufsfloskeln im Hintergrund unterlegt. Also auch der Schaffner, der „Hausherr“, registriert nicht alles, was in seinem Waggon vor sich geht. Knottek ist aber gerade mit einem Fremdarbeiter beschäftigt, einem Jugoslawen, der ihn fragt: „Bitte, ich Jugoslawisch Mann, wo Arbeit-“1019 . Knottek lässt ihn gar nicht ausreden und weist ihn zurecht: „Wos frogst denn mi? Bei da Tramway gibts kaa Oabeit fia de Auslända!“ 1020 Die in den siebziger Jahren virulente Ausländerfeindlichkeit wird hier pointiert auf den Punkt gebracht, darüber hinaus ist Knotteks Reaktion aber auch Teil seiner Unfähigkeit zu zwischenmenschlicher Kommunikation, denn er hat den Fremdarbeiter gar nicht ausreden lassen, der eigentlich wissen wollte, wo die Arbeitergasse ist. Knottek lenkt ein und nimmt das Sprachidiom seines Gegenübers an, wenn er ihm erklärt, dass er aussteigen und in die andere Richtung fahren muss. Dasselbe passiert ihm beinahe ebenfalls, als er einem Fahrgast aus der Steiermark erklärt, dass dieser den

1011 Hein: Volksstück, S. 276. 1012 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1013 Ebd. 1014 Konrad Bayer beschreibt eine thematisch ähnliche Szene in seinem Mini-Drama entweder: verlegen noch einmal zurück oder: visage-a-visage in der strassenbahn . 1015 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1016 Ebd. 1017 Ebd. 1018 Ebd. 1019 Ebd. 1020 Ebd. 260

Westbahnhof, wo er hinmöchte, bereits verpasst hat. Das ist aber kein virtuoser Sprachumgang, wie ihn zum Beispiel Titus Feuerfuchs an den Tag legt oder wie ihn Konrad Bayers kasperl am elektrischen Stuhl in dem gleichnamigen Text betreibt, sondern Indiz für den Verfall seiner eigenen Sprache, die nur mehr im inneren Monolog, nicht aber im Umgang mit seinen Mitmenschen vorhanden ist. Die nächste Begegnung ist die mit einer englischen Touristin. Keine Spur mehr von Ausländerfeindlichkeit, allerdings kommt wieder Knotteks Berufsgrant zum Vorschein, hinter dem er allerdings seine ungenügenden Fremdsprachenkenntnisse unbewusst zu verbergen versucht. Daraus resultiert ein humoristischer Dialog, der Knottek aber auch als einen Menschen charakterisiert, der gegenüber seinen Mitmenschen – im Gegensatz zu seinen Selbstgesprächen – wenig Selbstbewusstsein besitzt und deshalb hervorgerufen auch durch seine berufliche Autorität in eine Sprache (eine Mischung aus Wienerisch und Englisch – inklusive Meidlinger „L“ - und einem äußerst umgangssprachlichen Hochdeutsch) verfällt, die ihn als ungebildet ausweist:

[Eine Touristin:] Excuse me, conductor! What’s this beautiful building over there? [Knottek:] Eh wot? [Eine Touristin:] This ... this building? What is it? [Knottek:] A wot des is! Ah, yes, yes. – Parlament [mit Meidlinger L]. Yes. Göns. Haus of Parlament. 1021

Die Touristin glaubt aufgrund der antikisierenden Bauweise des Parlaments, dass der Sitz der österreichischen Bundesregierung einige tausend Jahre alt sein muss. Durch sie erfahren wir auch das einzige Mal etwas über das Aussehen Fritz Knotteks. Sie sagt ihrem Mann: „And this nice little conductor. Isn’t he a cute fellow!” 1022 Knottek ist also von seiner Körperstatur eher klein gebaut. Die Touristin wendet sich erneut an Knottek: „What’s your name, Sir?“ 1023 Nun offenbart sich der oben angesprochene „Sprachausfall“. Knottek antwortet irritiert und mit Grant überspielend: „Wos i nimm? Na, i nimm nix. Nix nehm’ i. Zehn Schilling nehm’, weu des kost a Foaschein. Und die nehm’ i daunn, wenn sa sich einen lösen tun.“ 1024 Darauf hin ertönt wieder die Stimme der alten, dementen Dame, die erneut nach der Barawitzkagasse fragt. Sie wird nicht erhört, denn nun werden die HörerInnen Zeugen eines Kabinettstücks an vordergründigem und doch subtilem Witz, dem Dialog zwischen Franz Moser und einem einsilbigen Fahrgast. Die Tiefe dieses Mini-Dramas liegt unter der vordergründigen Komik,

1021 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1022 Ebd. 1023 Ebd. 1024 Ebd. 261 der Stimmverstellung und -verteilung verborgen. Ein Fahrgast, der hüstelt und nuschelt wie der (Volks-)Schauspieler Hans Moser, fragt einen anderen, ob der Platz bei ihm noch frei wäre, worauf dieser feststellt: „Heans, Sie redn jo wia da Hans Moser.“ 1025 Der „moserende“ Fahrgast antwortet: „Na, Moment. Moment. Wos, wos wos soi denn des haaßn? Ich, ich nuschle do net. Oder woin Sie vielleicht behauptn, dass ich nuschle?“ 1026 Was er natürlich tut. Der andere Fahrgast entgegnet einsilbig und emotionslos mit einem Seitenhieb auf den Österreichischen Rundfunk: „Woascheinlich sans Spoatrepoata beim Feansehn.“ 1027 Damit ist für ihn das Gespräch beendet, doch für den „Nuschler“ erst der Anfang gemacht. Er erzählt, dass er Franz Moser heißt, aber nicht mit dem Schauspieler Hans Moser verwandt ist. Der Dialog nimmt eine überraschend kabarettistische Wende mit Anspielung auf die Kreisky- Politik.

[Franz Moser:] [...] Oba wissns, na, des is des Beste. Des weans ma net glaum. [Der einsilbige Fahrgast:] Haum Sie a Ahnung, wos i ollas glaub. Ich bin Kreisky- Wähler. [Franz Moser:] Oba des, des weans ma net glaum. Wissen Sie wiar i haaß? Moser! Glaums ma des? [Der einsilbige Fahrgast (trocken):] Jo. 1028

Angespielt wird hier auf das „Sonnenkönig“-Image des Bruno Kreisky, der nach den Wahlen von 1975 große Macht errang:

Im Herbst 1975 stand Dr. Bruno Kreisky auf dem Höhepunkt seiner persönlichen Entwicklung und seines Einflusses in- und außerhalb seiner Partei. Der Wahlerfolg hatte ihn zum allmächtigen Mann gemacht, seine Vorschläge wurden von den Parteigremien ohne viele Diskussionen zur Kenntnis genommen, er konnte das politische Geschehen in Österreich allein bestimmen. 1029

Kreisky schien darüber hinaus aber auch die Gabe und Macht zu haben nicht nur seine Genossen zu überzeugen, sondern auch die WählerInnen zu Gläubigen zu machen – wie den einsilbigen Fahrgast aus der Straßenbahn. Kreisky war

ein Übervater, bei dem sich jeder geborgen fühlte. Vor allem darauf waren seine drei aufeinanderfolgenden Wahlsiege mit absoluter Macht zurückzuführen. Interessanterweise sah er sich selbst dabei als eine Art wiederauferstandener Franz

1025 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1026 Ebd. 1027 Ebd. 1028 Ebd. 1029 Gutkas: Zweite Republik, S. 207. 262

Joseph (im ‚Café Central’ sagte er mir einmal: ‚So ein Monarch hat es ja nicht leicht’ und meinte dabei vor allem sich selbst), und auch das Volk erlebte ihn so. 1030

Diese draus resultierende allgemeinpolitische Einsilbigkeit, die dem gläubigen Fahrgast innewohnt, wirkt sich aber fatal auf die Gesprächssituation mit Franz Moser aus, der unweigerlich in einen Monolog gezwungen wird, der die ganze Tragik seines Daseins eröffnet. Er stellt klar, dass er nicht mit Hans Moser verwandt ist und erzählt, dass er überhaupt keine Verwandten hat, seit 1949 alleine und einsam lebt und gibt zu verstehen, dass er sich immer freut, wenn er in der Tramway mit jemandem ein bisschen plauschen kann. Nach dieser Suada steigt der einsilbige Fahrgast aus und Franz Moser bleibt wieder allein. Wie bei vielen in den Tramway-Szenen dargestellten Typen handelt es sich um tragische Gestalten: der Exhibitionist, die alte Dame, die bei jeder Station die Barawitzkagasse vermutet, der Fremdarbeiter, der steirische Fahrgast, der das ganze Jahr über arbeitet und sich dann, wenn er einmal nach Wien kommt, sich zu allem Überdruss mit der Straßenbahn verfährt. Knottek macht sich seine Gedanken über diese Welt im Kleinen: „Wos do olles fia Leit daheakumman. De vün Auslända. Is scho interessant. Sozusogn: Die gaunze Wöd foat mit da Tramway.” 1031 Doch er wird in seinem Philosophieren gestört, denn er wittert einen Schwarzfahrer – und sein Instinkt trügt Knottek nie. Bevor es zum Aufeinandertreffen kommt, wird das Lied „Mir kummt kaner aus“ eingeschoben – im Gassenhauerstil von Pierron und Knapp gehalten, dessen sich auch Georg Danzer des öfteren bedient hat (am erfolgreichsten in dem Lied „Sei imma höflich“, Wieder in Wien , 1991). Der fröhliche Rhythmus des Songs evoziert den Eindruck eines gewissen Sadismus‘ beim Erwischen eines Schwarzfahrers, wobei der Text erst durch die Gassenhauermelodik eine sadistische Note bekommt:

Waunn i wem ins Aug schau und dea gaunz unschuidich locht, daunn waaß i scho ollas, daunn schöpf ich Vadocht. Waunn i ruaf: ‚Fahrscheine bitte’ und ana zuckt zaumm - des is daunn a Schwoazfoara, dea kaunn kaan Foaschein haum, des is daunn a Schwoazfoara, dea kaunn kaan Foaschein haum

Fia so an, do hob i an Blick wia de Kotz fia de Maus. Schwoazfoara haum bei mia kaa Glick,

1030 Erwin Ringel: ‚Ich bitt’ Euch höflich, seid’s keine Idioten!’. Österreichische Identität und die Politikverdrossenheit. In: Ders. (Hrsg.): ‚Ich bitt’ Euch höflich, seid’s keine Idioten!’. Österreichische Identität und die Politikverdrossenheit. Wien: Donau Verlag 1993, S. 14. 1031 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 263

weu mia kummt kaanar aus, mia kummt kaanar aus.

Da Foascheinbesitza is ruhig und eiskoit. An Schwoazfoara, den kenn i scho aun da Gstoit. Ea steht gaunz vakraumpft im Eck und schaut penetrant duachs Fensta ois waas auf da Gossn bsundas intressant, duachs Fensta ois waas auf da Gossn bsundas intressant.

Fia so an, do hob i an Blick wia de Kotz fia de Maus. Schwoazfoara haum bei mia kaa Glick, weu mia kummt kaanar aus, mia kummt kaanar aus. 1032

Die letzte Strophe birgt aber wieder das wahre Gesicht von Fritz Knottek, der Mensch ist und kein Sadist und dem es sogar peinlich ist, wenn er einen Schwarzfahrer erwischt:

Und waunn ana daunn suacht – i hob jo Zeit und woat, aa waunn a scho schwitzt – do bleib i no hoat - doch waunn a daunn geständig is, daunn bin i aa net kleinlich. Daunn druck i meine Augen zua, weu eigentlich is ma peinlich, druck i meine Augen zua, weu eigentlich is ma peinlich. Mei Jogdinstinkt is befriedicht und i schick eam z’haus. Der waaß, dass des bei mir net eine geht, Weu mia kummt kaanar aus. 1033

Dass Knottek so viel Härte aber nicht walten lässt, schildert die 4. Szene: „Der Schwarzfahrer“. Und dass Knottek kein triebbestimmter Mensch ist, beweist ja schon die Einsicht in seinen Jagdinstinkt und noch viel mehr sein Verhalten gegenüber dem Schwarzfahrer. Anfänglich gibt sich Knottek dem Schwarzfahrer gegenüber herausfordernd aggressiv. Der Schwarzfahrer sucht nach dem Fahrschein, den er natürlich nicht besitzt. Nicht einmal sein Wortwitz - „Irgendwo muaß doch da Foaschein zum Voaschein kumman.“ 1034 - besänftigt den Schaffner. Der Schwarzfahrer ist ein weiteres Exemplar aus dem Typenmikrokosmos Tramway. Diese Typen leben durch die Stimmverstellung derer, die sie sprechen. Dadurch entsteht Komik, die aber, wie schon festgestellt, meist eine Tragödie in sich birgt. Der Schwarzfahrer allerdings ist lediglich der Aufhänger für die Stimmverstellungskunst von M. O. Tauchen ohne weitere Tiefe, dafür aber die Initialzündung für die Tragödie Fritz Knottek, die sich im Lauf der Szene zu einem großen Teil aufklärt.

1032 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Mir kummt kaner aus. Schaffnerlos. 1033 Ebd. 1034 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 264

Aber zurück zur Komik des Dialogs zwischen Schwarzfahrer und Knottek. Hier geht es nicht nur um das Was – der Schwarzfahrer versucht Knottek davon zu überzeugen, dass sich in seiner Tasche eine Maus befindet und diese den Fahrschein gefressen hat – sondern, wie in allen hier untersuchten Hörspielen geht es darum, wie etwas gesagt wird. Die Mahnung Knotteks „Schauns do net so unbeteuligt beim Fensta auße, waunn i mit Ihna redn tu.“ 1035 ist in ihrer Mischung aus ehrlichem Dialekt und aus berufsbedingter heraus Autorität evozierter unzulänglicher Hochsprache – Knottek wechselt vom Dialekt („Schauns do net so unbeteuligt beim Fensta auße.“1036 ) in eine umgangssprachlich durchsetzte Standardsprache („waunn i mit Ihna redn tu.“ 1037 ) – ein Paradebeispiel dafür, wie hier Sprach- und damit Sozialsatire betrieben wird. Bei Anzengruber zum Beispiel hat „der Dialekt [...] weniger naturalistische Funktion, er dient nicht der ‚Heimatkunst’, sondern er ist Kunstsprache zur Darstellung sozialer Spannungen“. 1038 Bei Tauchen ist es die Sprachbehandlung (Stimmmodulation, Stimmverstellung, überzogene Aussprache des regionalen Sprachidioms), die zu sozialen Spannungen führen kann, aber in erster Linie Sozialsatire ist. Die Sozialisation des Individuums in der Gesellschaft wird durch das Sprachver- respektive Unvermögen dargestellt. Während viele Hörspielautoren ihre Werke mit einem „extremen Sprachrealismus“ 1039 ausstatten, so arbeiten Tauchen, Prokopetz und Ambros mit dem Stilmittel der Übertreibung und erreichen dadurch eine satirische Bloßstellung der Charaktere und gerade damit vielleicht mehr Realismus als so manche naturalistische Nachahmung. Und das zeigt sich in der Szene mit dem Schwarzfahrer überdeutlich. Am Höhepunkt der Komik – die Erwähnung des „Mauserls“ – bricht diese in sich zusammen ohne ihren Witz weiterwirken zu lassen. Plötzlich sagt der vorhin so autoritäre Knottek nämlich ziemlich nervös, nervöser als der Schwarzfahrer, denn „eigentlich is ma peinlich“ 1040 : „Na, do haumas. Do haumas, net. Jetzt, jetzt is a do – da Kontrollor. Jetzt is a zuagstiegn.” 1041 Knottek lässt Menschlichkeit walten und steckt dem Schwarzfahrer schnell einen Fahrschein zu. Da erscheint schon der lispelnde Kontrolleur Dolezal und Knottek mutiert zum unterwürfigen Duckmäuserich. Zuerst will er ihm noch jovial-humorvoll die Situation mit der Maus erklären, bis Dolezal laut und persönlich wird: „So an Blödsinn können doch aa nua Sie glaum. Sie woin mi doch net

1035 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1036 Ebd. 1037 Ebd. 1038 Hein: Wiener Volkstheater, S. 172. 1039 Hirschenhuber: Gesellschaftsbilder, S. 131. 1040 Prokopetz u. Ambros: Mir kummt kaner aus. 1041 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 265 pflanzn, oder?“ 1042 . Knottek antwortet devot und wie aus der Pistole geschossen: „Würd’ ich nie wagen, nein.“ 1043 Dolezal wirft Knottek Verkalkung vor, attestiert ihm den richtigen Zeitpunkt seiner Pensionierung und nimmt sich vor, Knotteks Waggon ganz besonders genau anzusehen. Was Knottek seinem „Kollegen“ nicht einmal am letzten Arbeitstag imstande ist ins Gesicht zu sagen, verrät er uns in Form des inneren Monologs. Sein subalternes „Hab nix zu verbergen“ 1044 wird schon von den elegischen Tönen der Begleitmusik zum inneren Monolg überlagert. Nun bricht alles mit tiefer, erdiger Stimme aus ihm heraus und man erfährt die private Tragödie des Fritz Knottek. Berufs- und Privatleben sind hier bis zur Untrennbarkeit miteinander verzahnt: „Du zutzlades Kokssackl, du schwoazkapplades. – Ausgerechnet da Doleschal. Da Doleschal! Dass ma mei Oide damois ausgerechnt mit dem hod davorenna miaßn. Mei Herta. Mei Frau. Mit den Ungustl? Mein Gott, is aa scho laung hea. Zehn Joa, net? Oda öfe.“ 1045 Wie sehr die Vereinsamung Knotteks fortgeschritten ist, wird daran evident, dass er nun sogar schon auf der Ebene des inneren Monologs die Form des Selbstgesprächs wählt, wie wir sie aus der Monolog-Ebene kennen: Er stellt sich selbst Fragen, deren Tonfall eigentlich die Antwort impliziert: „Zehn Joa, net? Oda öfe.“ 1046 Daraufhin meldet sich wieder der verhasste Dolezal zu Wort und tut Knottek kund, dass, bis auf die verdächtige Situation mit der Maus, alles in Ordnung sei. Er bestellt ihm noch einen schönen Gruß von Knotteks Ex-Frau Herta. Sie wünsche ihm alles Gute zur Pension. Knottek gibt unterwürfig Dankbekundungen von sich. Dolezal legt noch ein Schäufchen nach und vermeldet zynisch, dass er und Herta ja leider noch nicht in Rente gehen können, leider, und noch ein paar Jahre „tinagln“ 1047 müssen. Freundlich verabschiedet sich Knottek von Dolezal: „Grüß Sie, Herr ... Herr ... Doleschal“ 1048 und fügt, als dieser den Waggon bereits verlassen hat, nahtlos ein aus der Seele seines Herzens kommendes „Geh in Oasch“ 1049 hinzu. Zwar nicht auf der Ebene des inneren Monologs, aber in Abwesenheit des Kontrolleurs. Knottek leitet dann kommentierend zur nächsten Szene über: „Is eh boid Mittogspause. Bin nua neigierig, ob die Kollegen im Expidit aa aun mi docht haum.“ 1050 Und sie haben. Der Straßenlärm und die Straßenbahngeräusche gleiten in das Gläserklirren und das

1042 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1043 Ebd. 1044 Ebd. 1045 Ebd. 1046 Ebd. 1047 Ebd. 1048 Ebd. 1049 Ebd. 1050 Ebd. 266

Stimmengemurmel der „Schaffnerfeier“ über. Die Kollegen bringen ihm grölend ein Ständchen:

Sehr verehrter Herr Kollege - heute trennen sich unsre Wege. Es woar a schöne Zeit, es woar a schöne Zeit und es hot uns sehr gefreut! Es woar a schöne Zeit, es woar a schöne Zeit und es hot uns sehr gefreut! 1051

Klatschen. Allgemeiner Beifall. Stimmengewirr, über das sich eine Stimme erhebt, die fordert: „Hoits de Pappn, lossts eam singan.“ 1052 Ambros fährt nur von einer Akustikgitarre begleitet solo fort:

Mia san heit ungeheuerlich festlich gestimmt und feierlich. Sie hab’n Ihre Pflicht getan. Drum stoßen sie mit uns an. 1053

Erneuter Beifall. Rufe. Gläserklirren. Gratulationen. 1054 Gewispel. Schließlich das Klopfen eines Bestecks gegen ein Glas. Es folgt die Rede des Vorstandes. Mit heiserer Stimme und der rhetorischen Unbeflecktheit eines Gewerkschaftsfunktionärs hält er die Abschiedsrede für Fritz Knottek, die unweigerlich Erinnerungen an eine Grabrede weckt und die immer wieder von den Hintergrundgeräuschen und der Mitteilungsbedürftigkeit der Kollegen übertönt wird. Schon zu Beginn entlarvt der Vorstand unbewusst die Formelhaftigkeit seiner Phrasen gerade mit den Worten, die eine persönliche Beziehung zu Knottek, der bezeichnender Weise während dieser Szene weder auf Dialog-, Monolog- oder Innerer-Monolog-Ebene zu hören ist, suggerieren sollen: „Wir sind heute hier zusammengekommen, um ein freudiges und für uns olle zugleich ein bisschen schmerzliches Ereignis zu würdigen. Nämlich um Sie, lieber Kollege Knottek, oda waunn i ma vielleicht aufgrund der laungan Joare erlaum diaft, Dich lieba Fritzl [...] in den wohlverdient‘n Ruhestaund zu verobschiedn.“ 1055 Dass ausgerechnet

1051 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Es war a schöne Zeit. Schaffnerlos. 1052 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1053 Prokopetz u. Ambros: Es war a schöne Zeit. 1054 Der ganzen Szene haftet die authentische Spontanität einer tatsächlich stattfindenden derartigen Feier an, was nicht von ungefähr herrührt, denn „die Abschiedsfeier [...] war eine mit einigen anwesenden Gästen stegreif gespielte Szene, die in dieser Weise für die Produktion übernommen wurde. Das Falschsingen der ‚Schaffnerkollegen’ resp. der Gäste im Studio wurde nicht gestellt, sondern als sich zufällig ergebender Effekt miteinbezogen.“ (Pfeiler: Austropop, S. 170.) 1055 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 267 der Vorstand Knottek am Tag seiner Pensionierung das Du-Wort in den Mund legt, klingt unter der Oberfläche wie blanker Hohn. Dass dieses Du, das verbal nicht erwidert wird, erst aufgrund einer langjährigen Berufsbeziehung zustande kommt und nicht aus zwischenmenschlichen Gründen, zeichnet Knottek noch vereinsamter als man zunächst annimmt, auch wenn eine Kollegin während der Ansprache ob Knotteks Pensionierung zu weinen beginnt. Um die Stimmung fröhlich zu halten, erzählt der Vorstand vom ersten Tag Knotteks, an dem er sich mit seinem „Zwickzangl“ 1056 in seinem Übereifer eine Platzwunde zugefügt hat und Knottek damit auch noch am letzten Arbeitstag bloßstellt. Doch es wird auch die treue und gewissenhafte Pflichterfüllung gelobt und die Meldung über die Maus von Dolezal außer Acht gelassen. Am Ende stoßen alle noch einmal an. Die Grabrede ist gehalten. Sie wurde begleitet von kollegialen Zwischenbemerkungen wie „Jo des woar a“ 1057 (gewissenhaft), „Abschied tut weh“ 1058 oder „Schod um eam“ 1059 , welche die Schaffnerfeier in die Nähe eines Leichenschmauses rücken. Der Vorstand wird mit „Bravo“-Rufen für seine Rede gelobt und dann wird noch einmal das Abschiedslied angestimmt. Die Stimmen allerdings verhallen in hawaiianischen Klängen („Aloa Oe“) und Meeresrauschen. Knottek nimmt gar nicht mehr wahr, was um ihn herum passiert. Er steigt gedanklich aus. Die Instrumentalversion von „Aloa Oe“ sagt mehr aus als jeder Kommentar oder jedes Wort, selbst im inneren Monolog. Die Hawaii-Klänge allerdings gleiten über in die obligatorischen Straßenbahngeräusche und versickern, als sich ein aufgebrachter, männlicher Fahrgast aufgrund eines verloren gegangenen „Sackerls“ an Knottek wendet. Knottek noch völlig seinem „Schaffnertraum“ nachhängend monologisiert vor sich hin: „Hätt i damois do mitfoan soin min Kurtl, do obe.“ 1060 Was er damit meint, ist nicht ganz klar. Der Verdacht liegt aber nahe, dass es sich nicht nur um einen Urlaub im Süden, sondern wohl um einen Ausstieg gehandelt hat, dem Knottek nun nachtrauert. Sein Fernweh hat sich ja bereits latent in seiner Erkenntnis, dass die ganze Welt mit der Tramway fährt, und seinem Interesse an den vielen ausländischen Fahrgästen angekündigt. Dass er tatsächlich einen gesellschaftlichen Ausstieg versäumt hat, wird daran evident, dass das Gespräch mit dem sein „Sackerl“ suchenden Fahrgast in einem lautstarken Streit ausartet, der in einem verbalen Rundumschlag Knotteks mündet. Zum ersten und letzten Mal platzt die ganze Wut über sein verkümmertes Dasein aus ihm heraus. Anlass zu dem Disput ist die forsche Art, wie er von dem Fahrgast angesprochen

1056 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1057 Ebd. 1058 Ebd. 1059 Ebd. 1060 Ebd. 268 wird, der ihn aus seinen Träumen erwachen lässt und mit Knotteks Gemurmel von Kurtl und damals nichts anzufangen weiß. Knottek fragt ihn sofort, ob er einen Fahrschein hat, doch das steht für den Fahrgast nicht zur Debatte. Dieser ist nur um sein „Sackerl“ besorgt, in welchem sich das Essen fürs Wochenende befunden hat. Er unterstellt Knottek, es entwendet und den Inhalt selbst verzehrt zu haben. Knottek wieder bezichtigt den Fahrgast des Schwarzfahrens. Der Disput steigert sich. Der Fahrgast nennt den Straßenbahnwaggon einen „Kiwe“ 1061 (Kübel), was ein wunder Punkt bei Knottek ist, obwohl er selbst zu Beginn des Hörspiels klagt, dass er immer in die „scheiß Waggon umanaundagräun“ 1062 muss. Doch wenn es hart auf hart kommt, verteidigt Knottek seinen Arbeitsplatz: „Sogns net no amoi ‚Kiwe’ zu mein Beiwogn, jo!“ 1063 . „Seinen“ Beiwagen nennt Knottek die Straßenbahn. Nicht nur aus Liebe zu seinem Beruf, sondern, wie sich bald zeigen wird, aus einer bitteren Enttäuschung. Nach weiteren Streitereien verteidigt eine Dame Knottek, aber auch nur aus reinem Selbsterhaltungstrieb, denn sie möchte sich im Waggon weiterbewegen: „Jo, ich bitt’ Sie, so gehn’s doch weiter. Wie kommt man denn dazu? Der Herr Schaffner ist doch auch nur ein Mensch.“ 1064 Das ist für den beleidigten Fahrgast natürlich Anlass zu noch mehr Aggressivität, die sich auch auf Knottek überträgt. Schließlich erscheint zu allem Übel noch Kontrolleur Dolezal – angekündigt durch die Dame: „Ah, da kommt ja der Herr Kontrollor. Wer ma gleich seh‘n, was der dazu zu sagen hat.“ 1065 Dieser Satz ist Salz in den Lebenswunden von Fritz Knottek. Er rastet aus, die Wut über sein Dasein bricht aus ihm heraus. „Jetzt is oba gnua. Da Kontrolloa, da Hea Kontrolloa, wissen Sie wos mi der kau? Von mia aus kennan mi alle umasunst am Oasch lecken. Jawoi! Umsunst foan kennan olle! Mi kennan alle gern haben!“ 1066 Knottek ist nun völlig zum verhinderten Hanswurst mutiert. Wie wir anhand von Cosroes gesehen haben agiert Hanswurst mit Selbstbewusstsein seinen Herren gegenüber. Er nimmt sich aus seinem Störenfrieddasein die vermeintlich naive Selbstverständlichkeit mit sozial über ihm Stehenden in einer äußerst derben und direkten Sprache zu reden. Knottek ist das bis jetzt gegenüber Dolezal nicht gelungen. Doch als er es tut, tut er es wieder nicht direkt: Er spricht vom Kontrolleur und weicht gleich in die Allgemeinheit aus, denn alle können ihn „am Oasch lecken“ 1067 ! Erst als er völlig in Rage ist und in unberechenbare Aggressivität verfällt, ist Knottek fähig sich wie ein wildgewordener

1061 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1062 Ebd. 1063 Ebd. 1064 Ebd. 1065 Ebd. 1066 Ebd. 1067 Ebd. 269 anarchistischer Hanswurst zu gebärden. Die Szene kulminiert in Chaos. Die Stimmen von Knottek und Dolezal überlagern sich. Während Knottek Freifahrt für alle verkündet, gibt Dolezal pflichtbewusste Dienstkaskaden von sich, er wird den Vorfall melden et cetera. Knottek übertönt ihn: „Von mir aus melden Sie was Sie woll‘n! 1068 “ Er ruft den Nulltarif aus und lädt alle Gäste zur Freifahrt ein. Knottek wird noch am letzten Tag zum Helden – zumindest für die Fahrgäste. Das bis zur Unkenntlichkeit angeschwollene Knottek-Dolezal- Stimmengewirr, das nicht einmal von der dementen Dame („Kommt jetzt die Barawitzkagossn?“1069 ) unterbrochen werden kann, wird schließlich von dem uns bereits bekannten Obdachlosen beendet, der Knottek hochleben lässt: „A Hoch auf den Schef! Er soll leb’n! Hurra.“ 1070 Das Stimmengewirr ist Symbol für die Verflechtung von Berufs- und Privatwelt in Knotteks Leben. Auf den Ausruf des Sandlers stimmen die Fahrgäste ein Freudenlied an – mit der gleichen Melodie des Abschiedsliedes aus der Schaffnerfeier. Nun findet die eigentliche Schaffnerfeier statt, die aber auch wiederum nur darauf beruht, dass Knottek den Fahrgästen Freifahrt verspricht:

Unser Schaffner, der soll leben, denn wir foan zum Nulltarif! 1071

Die dazugehörigen Jubelrufe, verklingen im musikalischen Thema des inneren Monologs. Nun eröffnet sich uns die wahre Dimension von Knotteks unterdrückter und nun zum Ausbruch gekommener Aggression. Sein erster Gedanke ist seine Frau: „De Herta, tät schee schaun, waunns mi jetzt segn kennt.“ 1072 Er hat die Trennung also immer noch nicht überwunden. Die Melodie des inneren Monologs geht nun über in den elegischen Song „I steig aus“.

Auch in diesem Lied weist der Refrain eine instrumental veränderte Begleitung und damit eine klangliche Intensivierung auf, die ein paar Takte vorher vorbereitet werden. Das Schlagzeug spielt einen betonten Rhythmus, tiefe Synthesizerklänge verstärken die E-Baßlinie in lang ausgehaltenen, den Gesamtklang dominieren [sic!] Basstönen, die Rhythmusgitarre schlägt die Akkorde im Achtelfeeling dazu, während hohe Streicherklänge im Hintergrund das Klangbild abrunden. 1073

1068 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1069 Ebd. 1070 Ebd. 1071 Ebd. 1072 Ebd. 1073 Pfeiler: Austropop, S. 183. 270

Knottek ist völlig auf sich selbst reduziert und nichts mehr vorhanden von der pekuniären Solidarisierung im Tramwaywaggon. Der Song reflektiert Knotteks letzten Arbeitstag als schwarzes Zukunftsbild:

I steig aus, i geh und woat, weu jetzt hob i Zeit. Mir is ois waunn i grod auf d’ Wöd kumma waa und is nächste wos ma ins Haus steht, is da Tod. 1074

Seinen Aggressionsausbruch im Waggon sieht Knottek als Neugeburt, doch heute ist der Tag seiner Pensionierung, was mit dem Kommen des Todes gleichzusetzen ist. Das Gefühl erst auf die Welt gekommen zu sein und schon bald zu sterben, ist aber auch Sinnbild für ein Leben, das Knottek nicht so gelebt hat, wie er wollte. Deshalb steigt er aus und geht. Damit ist vordergründig das Verlassen des Waggons gemeint, auf einer zweiten Ebene ein möglicher gesellschaftlicher Ausstieg und drittens der Ausstieg aus dem Leben – ob freiwillig oder nicht, bleibt offen.

I schliaß o, i geh haam und i füh mi net sea woi. Des nächste wos ma droht is Schuitaklopfn und tödliche Laungeweu und daunn da Tod.1075

Das ist die Zukunftsperspektive eines Menschen, der sein Leben lang gearbeitet hat und dem die Berufsroutine keine Perspektive mehr bietet, vor allem, weil sich für Knottek Berufs- und Privatleben decken.

I woar a Schaffna aus Passion - vom Eisteign bis zua Endstation. I woar a Schaffna aus Passion - vom Eisteign bis zua Endstation. 1076

Und das ist jetzt vorbei. Doch nichts im Leben hört jemals auf. Damit muss man umgehen können. Knottek vermag es nicht. Er hängt seinen Gedanken nach. Doch diesmal steigert sich der innere Monolog zu einer Anklage gegen sich selbst, denn er war zwar Schaffner aus Passion, aber doch nicht zu hundert Prozent, denn seine Berufung lag ganz woanders. Er

1074 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: I steig aus. Schaffnerlos. 1075 Prokopetz u. Ambros: I steig aus. 1076 Ebd. 271 wollte eigentlich Motorführer werden, dann wäre auch seine Frau bei ihm geblieben, nach der er sich aus dem Inwendigsten sehnt: „Herta ... Herta ... Herta“ 1077 . Er erinnert sich an sie, als sie zu ihm und seinen Kollegen „auf die Linie kumma is” 1078 . Sie war die schönste Schaffnerin der ganzen Remise. Er ist noch immer voll aggressivem Stolz, dass sie sich damals für ihn entschieden hat. Knottek gedenkt eines erotischen Abenteuers am Ufer des Donaukanals so intensiv, dass man das Gefühl hat, er erlebt die Szene, deren Romantik freilich nicht ungebrochen ist, noch einmal: „Auf da aundan Seitn is grod a Stodtbaun vuabeigfoan. Hell erleuchtet. Und Summa woas. Und woam waos. Des Wossa hod glitzat. Da Kanal hod gstunkn.“ 1079 Zu dieser Zeit ist Knottek zum ersten Mal zur Motorführerprüfung angetreten, die er schließlich noch weitere fünf Male versucht hat zu bestehen, was ihm aber nicht gelungen ist, zumal ihm seine Neigung zum Alkohol daran hinderte („‚Wenns des Trinkn net a bissl einschränkn, weans die Prüfung nie schaffn‘, hod da Voasitzende gsogt von dera ding doda, von dera Prüfungskommission, dea Trottl.“ 1080 ), worauf ihn Herta nach der sechsten nicht bestandenen Prüfung verlassen hat und zu Dolezal übergelaufen ist. Im Gedanken spielt Knottek nun die Fahrt – mit ihm als Lenker – durch. Er erzählt, wie er den „K-Zwöfa“1081 durch die Straßen lenken würde, erzählt verärgert von Brems- und Anfahrmanövern, wobei Knotteks Inbrunst musikalisch mit aggressiven Rockklängen eindrucksvoll dupliziert werden und ausdrucksstark in der lauten, gequälten Selbstanklage kulminiert: „Amoi vuansteh. Amoi söba de Kuawe drahn! I vasteh des net! I bin jo aa net bleda ois wia de aundan!!?? Warum is denn nix wuan aus mia!!!???“1082 Abrupt bricht die Musik ab und Knottek fügt wieder ruhig geworden hinzu: „Dabei woit i nua Motorfüara wean. – Motorfüara bei da Tramway.“ 1083 Ein Einzelschicksal, aber kein Einzelfall: Der verhinderte Lebenstraum. Knottek steht sich selbst im Weg. Ihm fehlen der Mut und das Selbstbewusstsein, in erster Linie das Selbstbewusstsein, um den notwendigen Schritt zu setzen und auszusteigen:

I moch Schluss, i hear auf und schau, dass i gschwind z’Haus kumm. Jetzt wos vuabei is, faungts eigentlich eascht au - i steig ei und foa so laungs no geht.

1077 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1078 Ebd. 1079 Ebd. 1080 Ebd. 1081 Ebd. 1082 Ebd. 1083 Ebd. 272

I woar a Schaffna aus Passion - vom Eisteign bis zur Endstation. I woar a Schaffna aus Passion - vom Eisteign bis zur Endstation. 1084

Doch der Ausstieg wird nicht vollzogen. Wieder ist es Dolezal, der ihm im Weg steht. Dolezal, der in Wahrheit nur Knotteks fehlendes Selbstbewusstsein symbolisiert. Auf der Monolog-Ebene entfaltet sich die letzte Szene in der Remise. Die Remise ist so gut wie menschenleer. Im Hintergrund vernimmt man ab und an Stimmen und ein paar Schritte. Knottek stellt sich hinter die Kurbel und sagt sich selbst, dass er eigentlich wegfahren könnte – jetzt wäre ohnehin schon alles „wuascht“ 1085 . Er motiviert sich selbst. Schon bekommt man den Eindruck, er setzt sich gegen sich selbst durch. Doch plötzlich ertönt Dolezals Stimme: „Is da no wer!?1086 “ Knotteks Traum verpufft endgültig. Dolezal nähert sich Knottek und fragt ihn zynisch: „Suchn’s vielleicht die Maus, Herr Kollege?“ 1087 Knottek stottert und stammelt - während Dolezals Schritte verhallen - resignativ: „[…] kumm eh scho ... i geh scho ... i geh … i geh eh scho“ 1088 . Mit Schlagzeug-, Baß- und Synthesizerklängen endet, was mit einem melancholischen Glockenspiel begonnen hat: Der letzte Arbeitstag des Schaffners Fritz Knottek, der mit einem grantigen „Gusch“ 1089 angefangen hat und mit einem müden „i geh eh scho“ 1090 aufhört. Ein fataler Satz. Er impliziert Nutzlosigkeit. Knottek wird gehen, er wird die Remise verlassen. Die Sprengung der Strukturen 1091 , der Pop-Effekt, wird nicht eintreten. Aber eben dadurch wird der Aufschrei Knotteks umso eindringlicher. Das Ende bleibt zwar offen, aber so ein Mensch wie Knottek nimmt sich nicht das Leben, sondern bringt sich um das Leben. Er vereinsamt durch und mit dem Alkohol. Und darin liegt die tiefe und erschreckende Wahrheit dieses Volkshörspiels, das wirkungsvoll eine Existenz mit hohem Identifikationsgrad in den Mittelpunkt rückt, eine Existenz, deren Mittelpunkt allerdings ver- rückt ist. Wie in vielen Volksstücken besteht die Dramaturgie 1092

zu einem wesentlichen Teil aus dem Wiedererkennungseffekt; er kann vom nebensächlichen Alltagsspot ebenso ausgehen wie von breiter angelegten

1084 Prokopetz u. Ambros: I steig aus. 1085 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Schaffnerlos. 1086 Ebd. 1087 Ebd. 1088 Ebd. 1089 Ebd. 1090 Ebd. 1091 Vgl. Behrens: Pop, S. 72. 1092 Vgl. Hein: Volksstück, S. 105. 273

Wirklichkeitsbildern (Arbeit, politische Situation, Wohnverhältnisse, Gewohnheiten) und bietet die Grundlage für Spiel wie Satire. 1093

Schaffnerlos vereint all diese Komponenten, ist jedoch mehr als bloße Satire und nacktes Wirklichkeitsbild. Schaffnerlos ist die Tragödie eines Individuums, das sich selbst im Weg steht und an sich zugrunde geht.

1093 Hein: Volksstück, S. 103. 274

5.7. Augustin . Der Popstar als Volkssänger

5.7.1. Die Geschichte des Wiener Volkssängers Augustin und seiner Freunde

Das im Herbst 1980 aufgenommene Hörspiel Augustin ist das genaue Pendant zu Schaffnerlos . Ist letzteres das intime Psychogramm eines fehlgeschlagenen gesellschaftlichen Ausstiegs, so erzählt Augustin von einem Menschen, der jenseits aller Konventionen lebt, der den Ausstieg schon längst vollzogen hat, schließlich zum geachteten Außenseiter 1094 und vom Volkssänger zum Popstar wird. Augustin ist somit auch eine Aufstiegsgeschichte. Knottek war es ob seines Trinkverhaltens nicht vergönnt Motorführer zu werden, Augustin, verhilft sein übermäßiger Alkoholkonsum zu Popularität. Im Gegensatz zu Fritz Knottek ist Augustin auch kein kleiner Mann aus dem Volk, sondern eine historische Legende. Der Autor der „Geschichte aus Wien“ – M.O. Tauchen – greift also auf einen bestehenden Stoff zurück um gemeinsam mit Joesi Prokopetz (Liedtexte) seine Version von Augustins Leben zu erzählen, die in knappen Bildern, in denen Augustin – völlig konträr zu Knottek in Schaffnerlos - oft nur peripher vorhanden ist und sich eigentlich nur über seine Lieder definiert, derer wieder mehr als im Vorgängerhörspiel zu hören sind. Musikalisch steht Augustin zwischen den Alben Weiß wie Schnee und Selbstbewusst und ist anders als die Vorgänger geprägt von der Zusammenarbeit mit der Nr.1 vom Wienerwald (Peter Koller, Günter Dzikowski, Helmut Pichler und Helmut Nowak). Das heißt in erster Linie: So gut wie keine musikalische Spur, die das Klischee vom lieben Augustin bedient. So ist das Augustin-Lied 1095 auch nur rudimentär vorhanden. Dieses Lied ist untrennbar mit der Augustin-Legende verknüpft, kam aber nach Gugitz erst 1803 durch deutsch-böhmische Harfenmädchen nach Wien. 1096 Die Legende vom Volkssänger Augustin, der – schwer alkoholisiert - den Sturz in eine Pestgrube überlebt hat, stammt aber aus dem 17. Jahrhundert. Ob Augustin tatsächlich gelebt hat, auch daran bestehen Zweifel. So berichtet Johann Konstantin Feigus Quartanten von einem Sack- Pfeiffer namens Augustin, Josef Schwerdfeger berichtet wie auch der Paulanermönch Mathias

1094 Nichts desto trotz bleibt er auch verachtender Außenseiter. 1095 „Ei, du lieber Augustin, `s Geld is hin, `s Mensch is hin, ei, du lieber Augustin, alles is hin! Wollt‘ noch vom Geld nix sag’n, hätt‘ i nur `s Mensch beim Krag’n, Ei [sic!], du lieber Augustin, alles is hin!“(Das Lied vom lieben Augstin. In: Karl Hodina [Hrsg.]: O du lieber Augustin. Die schönsten Wienerlieder. Wien, Heidelberg: Ueberreuter 1979, S. 16.) 1096 Debera: Wienerlied, S. 22. 275

Fuhrmann ebenfalls von Augustin; im Jahre 1643 soll Augustin als Sohn eines Bierwirtes zur Welt gekommen und im Jahre 1705 gestorben sein. 1097 Ob Augustin tatsächlich existierte, hat aber für die Analyse und Interpretation des Hörspiels Augustin keine Relevanz. Die Tatsache, dass die Legende von Augustin in den Köpfen der Menschen präsent ist – und zwar die Legende vom „lieben Augustin“ - ist wesentlich entscheidender. Denn dieser liebe Augustin ist zur Inkarnation vieler Wiener(lied) Klischees geworden: Wein, Weib, Gesang verbunden mit keiner Sorge vor dem Tod, denn ein echter Wiener geht nicht unter, wie es in Liedern wie „Es wird a Wein sein“ oder „Wann i amoi stirb“ et cetera propagiert wird. Tauchen, Prokpetz und Ambros wenden sich aber von verniedlichenden Augustindarstellungen wie jener von Paul Hörbiger in dem Film 1. April 2000 (1952) ab – beziehungsweise von Reinkarnationen des lieben Augustin, wie zum Beispiel der schon tot geglaubte Hatzinger aus Der Bockerer , dessen Haus eingestürzt ist, der aber „wia der Liebe Augustin“ 1098 plötzlich wieder auftaucht: „Hatzinger schlendert übernächtig, doch seelenvergnügt, leicht beschwipst [...] daher. Auf der Brust baumelt ihm seine Ziehharmonika, auf der er nicht ganz sicher ‚Es wird ein Wein sein, und wir wern nimmer sein’ bewältigt.“ 1099 Im Tauchen-Prokopetz-Ambros-Hörspiel allerdings begegnet uns zwar ein trinkender, aber kein lieber, sondern ein anarchischer Augustin, der mit Wienerliedklischees nichts am Hut hat. Das beweist schon die kurze elegisch-rockige Ouvertüre, die den letzten Song des Hörspiels „Hängebruckn“ instrumental vorstellt. Nach dieser führt – genau so wie in Der Watzmann ruft – ein Erzähler (Ernst Meister) in die Geschichte ein. Augustin ist ja unterbetitelt mit „Eine Geschichte aus Wien“ und „Die Geschichte des Wiener Volkssängers Augustin und seiner Freunde.“ Die Geschichte nimmt ihren Ausgang im Kaffeehaus Kolschitzky. Mit einer Lokalisierung beginnt das Hörspiel: „Das berühmte Kaffeehaus Kolschitzky ist Treffpunkt der Wiener Szene. Hier ist man modern. Hier ist man barock.“ 1100 Kolschitzkys Kaffeehaus mit der Wiener Szene in Verbindung zu bringen ist der Brückenschlag ins 20. Jahrhundert, als man tatsächlich von einer „Szene“ zu sprechen begann. So verleiht Tauchen dem Hörspiel bereits zu Beginn Zeitlosigkeit. „Barock“ ist das Stichwort für ein kurzes instrumentales Spinett-Intermezzo von Dzikowski, um zugleich in die Zeit des Barock in das Jahr 1679 (das Jahr der Pestepidemie) einzuführen. Die erste Szene setzt mit den neurotischen Wiederholungen des Kaffeesieders Georg Franz Kolschitzky – untermalt von Gasthausgeräuschen (Gemurmel) - ein: „An Plotz,

1097 Vgl. Hans Hauenstein: Chronik des Wienerliedes. Ein Streifzug von den Minnesängern über den lieben Augustin, den Harfenisten und Volkssängern bis in die heutige Zeit. Klosterneuburg, Wien: Jasomirgott 1976, S. 25-27. 1098 Preses u. Becher: Bockerer, S. 379. 1099 Ebd., S. 377. 1100 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 276 an Plotz, die Heaschoftn. Bitte, bitte sea. Jo. Na, na. Do, leida, do is resaviat. […] Jo, jo leida. Oba, do, jo, wundaboa. Do nehmans Plotz bei da Säun, bitte, bitte sea. Wos deafs denn sein? A Möhspeis vielleicht? A Möhspeis?“1101 Die „Möhspeis“-Retardierungen faden aus und werden von der Erzählerstimme überlagert: „Am Stammtisch sitzen zwei illustre Gäste. Prinz Eugen von Savoyen, der glorreiche Sieger zahlreicher Türkenschlachten und Graf Starhemberg, der heldenhafte Verteidiger von Wien.“1102 Wie in Der Watzmann ruft evozieren die epischen Elemente eine Erwartung, die sogleich gebrochen wird. Denn wie Tauchen und Prokopetz – sie spielen übrigens alle Rollen 1103 außer Augustin (Wolfgang Ambros) – stimmlich die zwei hehren Gestalten charakterisieren, ist jenseits von jeglicher Heldenverehrung, vielmehr lassen sie Eugen und Starhemberg als zwei geriatrische Relikte einer längst vergangenen Zeit erscheinen und erteilen damit jeglicher in Österreich auch nach 1945 noch bestehenden Sehnsucht nach der Monarchie eine Absage. Der Geist der Monarchie war wie so vieles 1980 verdämmert. Dadurch, dass Tauchen und Prokopetz so gut wie alle Rollen – ob männlich oder weiblich – übernehmen, überlagert die Komik der Stimmverstellung und -verteilung beinahe die eigentliche Handlung. Augustin ist somit zu einem großen Teil Sprach- und Sprechsatire, eine übertriebene „Liebäugelei“ mit dem Wiener Sprachidiom und Sprachduktus. In noblem, übertrieben nasalem Schönbrunner-Deutsch sprechen Tauchen und Prokopetz Eugen und Starhemberg und werden dadurch zu Witzfiguren wie Graf Bobby und Graf Mucki aus den „Graf-Bobby“-Filmen mit Peter Alexander und Gunter Phillip. Relikte einer vergangenen Zeit. Vor allem dem Helden Prinz Eugen ist eine leichte Senilität nicht abzusprechen. Ein Dialog mit Starhemberg ist praktisch nicht möglich, da Eugen ständig dabei ist einen Marsch, ein Triumphlied zu komponieren – für ihn selbst. Er fabelt etwas von „N’übaruckn üba d’ Bruckn“ 1104 , doch seine Zeilen versinken im geistigen Nirwana. Starhemberg gibt ihm zu verstehen, dass aus dem Lied nichts wird, worauf Eugen zu weinen beginnt, und ihn auf Augustin hinweist: „Do schau hea. Dort sitzt doch dieser Voikssänga Augustin, glaub ich. – Na, bitte, dea soi wos singan.“ 1105 Eugen gibt Laute von sich zwischen Weinen und Lachen und Starhemberg ruft: „He, da, Augustin!

1101 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1102 Ebd. 1103 Tauchen übernimmt Schab den Rüssel, Konrad Ullrich Puffan, Prinz Eugen, den ersten Pestknecht, die Gemüsefrau, den Zahnarzt, den Zwischenrufer, den Sänftenträger, den Fleischhauer, den Büttel, den Kronentrommler, einen charmanten Wiener und einen Wiener vom Grund. Prokopetz spielt Kolschitzky, Starhemberg, Abraham a Sancta Clara, die Witwe Mehlwurm, Gevatter Hein, den zweiten Pestknecht, den Fischhändler, die Zigeunerin, den Kutscher, den Zwischenrufer und einen vorlauten Wiener. 1104 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1105 Mit dieser unbestimmten Richtungsangabe – „Dort sitzt doch dieser Voikssänga Augustin“ – wird im Hörer auch ein Raumgefühl evoziert. 277

Gehn’s komm’ er einmal her, ja! Sing er uns a Liedl, a fesches, nicht. So was von dar gutn oitn Zeit vielleicht, net. Von früher, vom Krieg.“ 1106 Augustin entgegnet mürrisch: „Geh leck mi in Oasch.“ 1107 Eugen fügt noch ein zittriges „N’übaruckn“ 1108 hinzu. Sprachneurotiker Kolschitzky fordert Augustin ebenfalls auf, Starhemberg gibt Augustin einen Gulden, Eugen schließlich gibt Marschtöne von sich und sagt noch einmal „N’übaruckn“ 1109 . Starhemberg, der möchte, dass Augustin endlich singt, maßregelt ihn: „Jetzt gib schon mal a Ruh, Prinz.“ 1110 Kaum ist das ausgesprochen, ertönt die Akustikgitarre und leitet den ersten Song „Frage der Zeit“ ein. Trotz aller Sprachkomik ist diese Szene von entscheidender Bedeutung. Starhemberg und Eugen sind aus zeitgenössischer Sicht (1980) sprachlich (Schönbrunner- Deutsch) als auch geistig (Starhemberg: „Geh, geh er her, Kolschitzky! Bring er uns noch an Kaffee, ja, oba an stoakn. So dass der Löff‘l drin steckn bleibt wiar a Husar‘nsabel in an Türkenwaunst.“ 1111 ) Fossile einer vergangenen Epoche – der Monarchie, Fossile, die sich nach der guten alten Zeit und nach dem Krieg sehnen. Der Marsch komponierende Prinz Eugen ist auch musikalisch der Inbegriff der vermeintlich guten alten Zeit. Marschmusik galt im Allgemeinen 1980 bei der Jugend wohl als überholt und war ihr verdächtig geworden. Ihr entgegengesetzt wird Rock und Pop. Augustin wird zur Inkarnation des Austropop. Vom sozial höher stehenden Graf Starhemberg aufgefordert etwas von früher, vom Krieg zu singen, antwortet er, wie schon zitiert, lediglich mit: „Geh leck mi in Oasch.“ 1112 und legt damit eine hanswurstische Frechheit an den Tag, wie sie Fritz Knottek fehlte. Augustin ist ein Verweigerer, aber er singt doch nichts von der guten alten Zeit im guten alten Stil, sondern auf seine Weise – im Sound der Nr. 1. vom Wienerwald aus dem Jahr 1980 – von einer „Frage der Zeit“:

Domois um die söwe Zeit, do woas no net so spät wia heit. I waaß net warum, oba domois woar a Stund net so schnö um.

Fria woa domois, heit is heit, ollas nuar a Froge da Zeit.

Domois is Vagaungenheit,

1106 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1107 Ebd. 1108 Ebd. 1109 Ebd. 1110 Ebd. 1111 Ebd. 1112 Ebd. 278

dazwischn liegt Vagänglichkeit. I kaunns net vasteh, obar ans is woa, de Zeit, de bleibt net steh.

Fria woa domois, heit is heit, ollas nuar a Froge da Zeit.

[…]

Waunn ma so aun fria denkt, wiad die Gegenwart vadrängt. Ma trinkt no an Schluck, und de Zeit draht si von söwar um Joare zruck.

Und heit wiad daumois, daumois wiad heit, ollas nuar a Froge da Zeit. 1113

Im Beat- und Folkrhyhtmus antwortet Augustin musikalisch auf die Sehnsüchte des Grafen Starhemberg in einer Sprache, die nichts mehr mit dem Schönbrunner-Deutsch des Adels gemein hat – Starhemberg nannte Augustin ja „Volkssänger“ – sondern mit der gegenwärtigen Wiener Umgangssprache. Mit Volk ist damit nicht die Sphäre des Adels gemeint, wie wohl sich Starhemberg anscheinend auch zum Volk zählt, ansonsten würde er ja nicht Augustin bitten ihm ein Lied zu singen, dessen Text allerdings die Starhembergsche Sehnsucht nach „früher“ entlarvt: Unter Alkoholeinfluss verdrängt man die Gegenwart und alles erscheint in einem besseren Licht. Die dritte Strophe (siehe oben) demaskiert somit wein- und vergangenheitsselige Wienerlieder wie „Ich trag im Herzen drin ein Stückerl altes Wien“, „Im Traum war i heut’ in der Backhendelzeit“ oder „Mein Herz das ist ein Bilderbuch vom alten Wien“. In der scheinbaren Sinnlosigkeit des Textes von „Frage der Zeit“ wird die vergangenheitsverklärende Haltung („Früher war alles besser“, „Das hätt’s früher nicht gegeben“) der älteren Generation verballhornt – allerdings ohne stimmliche und instrumentale Aggressivität – das kommt erst im zweiten Song „Coffein“ zum Tragen, welcher die zweite Szene unterbricht. Die zweite Szene bietet ein Wiener Sprachpanoptikum. Schauplatz ist „der Hohe Markt zu Wien im Jahr 1679“ 1114 , wie der Erzähler verkündet. Hörbild wäre wohl viel treffender ausgedrückt. Die Stimmen der verschiedenen MarktschreierInnen evozieren eine Bildwirkung. Die Stimmverstellungen von Tauchen und Prokopetz sind die Farben, mit denen dieses Bild gemalt wird. Ein Bild, das durch Kutschen- und Pferdegeräusche, ein

1113 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Frage der Zeit. Augustin. 1114 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 279

Glockenspiel und sich überlagernde MarktschreierInnen Dreidimensionalität erreicht. Schon in der ersten Szene wurde, wie gesagt, Raumwirkung evoziert, in dem Starhemberg sagte: „Do schau hea. Dort sitzt doch dieser Voikssänga Augustin, glaub ich.“ 1115 Es sind zwar unbestimmte Raumangaben, aber, dass Augustin in einer anderen Ecke des Wirtshauses sitzt, wird durch diesen Satz veranschaulicht und im Hörer entsteht ein räumliches Bild. So auch in der zweiten Szene, die wie eine Antithese zu dem Wienerlied „Mein Herz, das ist ein Bilderbuch vom alten Wien“ (unter anderem gesungen von Hans Moser und Peter Alexander) wirkt. Der Text ist eine einzige verklärte Huldigung an die „gute alte“ Zeit:

Kennt‘s den oiten Wiener, den mit da Virginia, mit dem gold’nen Herzen und dem Ries’ngrant? Kennt’s den Kaiser Franzl und ein echtes G’stanzl? Kennt’s die Märchenstadt am Donaustrand?

Mein Herz, das ist ein Bilderbuch vom oltn Wien, da blätter’ ich ganz heimlich manches Mal darin und werd’ vor Freud so narrisch dann als wie ein Kind, wenn ich den oitn Prater wie er woa drin find’.

Auf Seite drei schau ich die Wäschermadln an, auf Seite vier da foat die olte Pferdebahn, auf Seite fünf sieht man die Leut’ zum Blumenkorso zieh’n. Mein Herz, das ist ein Bilderbuch vom oltn Wien.

[...]

Mein Herz, das ist ein Bilderbuch vom oltn Wien, da blätter’ ich ganz heimlich manches Mal darin und werd’ vor Freud so narrisch dann als wie ein Kind, wenn ich d’Fiaker und die Burgmusik drin find‘.

Auf Seite sieb’n da dirigiert da Johann Strauß, auf Seite acht trog’ns grod die Briochekipferl aus und auf da letzten Seit’n singt da liebe Augustin. Mein Herz das ist ein Bilderbuch vom oltn Wien.1116

Davon ist in dem Hörbild vom Hohen Markt aus dem Jahre 1679 nicht viel vorhanden. Die Gemüsefrau schreit krächzend „Kohlrabi“ 1117 , ein Fischhändler zählt sein Repertoire an

1115 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin 1116 Josef Fiedler u. Josef Petrak: Mein Herz, das ist ein Bilderbuch vom alten Wien. Hans Moser: Der alte Herr Kanzleirat. Marcato. [ohne Jahresangabe.] 1117 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 280

Fischen auf, ein Zahnarzt ruft: „Sau kastrieren! Schmerzlose Zahnextraktionen!“ 1118 , die von einigen im Chor mit „Au weh! Au weh! Au weh!“ 1119 kommentiert und von einem Passanten beschrieben werden: „Heast, schau da des au. Der reißt eam jo den Schädl o!“ 1120 Ein Sänftenträger mischt sich dazwischen und preist „sanfte Sänften“ 1121 an. Ein Fleischhauer überschreit eine Wahrsagerin: „Sauschädln! Sauschädln! Kuttln! Niandln!“ 1122 Augustin ist ein derbes Bilderbuch vom alten Wien, das aber gerade durch seinen liebevoll kabarettistischen Humor partiell nicht minder verklärend ist als so manches Wienerlied. Durch eine derb-plastische Predigt von Abraham a Sancta Clara über Völlerei erreicht das barocke Lokalkolorit einen Höhepunkt an Eindringlichkeit. Konterkariert wird dieses unter anderem durch den Dienstjargon aus dem 20. Jahrhundert, der eine zeitlose, humoristische Brücke vom Barock in die Gegenwart schafft: Eine Stimme meldet sich zu Wort: „Ochsenkarrenkontrolle! Sie parkn jo do in zweita Spua, heans.“ 1123 Die Absurdität dieses Einwurfs wird durch die Antwort des Betroffenen noch gesteigert. Er antwortet singend in der Melodie des „Fiakerliedes“: „Gengans, gengans, Hea Inschpektoa, i lod doch nua de Schweindln o.“ 1124 Der „Polizist“ mahnt ihn: „Sie, tun sie mich da nicht ansingen, ja. Zahl‘n macht frei.“ 1125 Singend wird wieder geantwortet: „Gengans, Hea Inspektoa! Druckns doch a Eigerl zua. Woins vielleicht a Schweinshaxerl?“ 1126 Der Inspektor warnt vor Beamtenbestechung, wird aber weich und fragt, ob die Schweinshaxen auch schön fett seien. Noch einmal meldet sich a Sancta Clara zu Wort und schließlich der Erzähler: „Der junge Volkssänger Augustin und sein Freund, welcher allgemein nur ‚Schab den Rüssel‘ genannt, suchen inmitten des bunten Treibens ihr Glück.“ 1127 Augustins Freund lädt zur Rüsselschabung, er schabt seinen Rüssel und verkündigt einen Taler hervorsprudeln zu lassen. Der mit einem hervorstechenden „rolllenden R“ sprechende „Schab den Rüssel“ bleibt aber glücklos. Die Zuseher sind verärgert und nun hört man wieder einmal Augustin. Mürrisch zerrt er „Schab den Rüssel“ vom Ort des (Nicht-)Geschehens: „Geh, kumm, hea auf. Gemma, bevuas di bianen.“ 1128 Wie für ein Bilderbuch mit ein wenig überleitendem Text

1118 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1119 Ebd. 1120 Ebd. 1121 Ebd. 1122 Ebd. 1123 Ebd. 1124 Ebd. 1125 Ebd. 1126 Ebd. 1127 Ebd. 1128 Ebd. 281 gemäß schaltet sich kurz der Erzähler ein: „Da spricht sie ein Fremder an.“ 1129 Es ist Kolschitzky, der ihnen wie ein Dealer Kaffeebohnen verklickern möchte.

Der Legende nach soll der ehemalige Handelsreisende Georg Franz Kolschitzky – wegen guter Kundschaftsdienste – nach der Türkenbelagerung in Wien die dort zurückgelassenen Kaffeebohnen erhalten haben: Der Kaiser selbst habe ihm die Erlaubnis erteilt, die Bohnen zu kochen. Historiker hingegen behaupten, es sei [...] der Armenier Johannes Diatah im Jahre 1685 gewesen, der als erster sogenannte ‚Kaffeegerechtigkeit’ erhalten habe. 1130

„Schab den Rüssel“ ist aber von Kolschitzkys Ware nicht überzeugt. Aus sprachlichen Gründen: „Na, das kann ein Dreck sein: Kaffee. Da ist ja nicht einmal ein ‚R’ drinnen. Das wird sich in Wien nie durchsetzen“ 1131 , meint er, worauf der Rocksound der Hymne auf die Alltagsdroge Kaffee ertönt: „Coffein“:

Wo i geh und steh, brauch i an Kaffee. Mei Bluatdruck is gefäalich hoch, doch i geb mein Bedüafnis noch.

A so a Kaffee is healich, a jo direkt unentbealich. Doch sa mar uns ealich - wos hätt a Kaffee für an Sinn ohne Koffein?

Noch so an Kaffee tuat ma nix mea weh. I gspia mei Heaz schnölla schlogn und a wohliches Gefüh im Mogn.

A so a Kaffee is healich, a jo direkt unentbealich. Doch sa mar uns ealich - wos hätt a Kaffee für an Sinn ohne Koffein?

[…]

Heast, kumm und geh mit auf an Kaffee. Denn wenn ich trüber Laune bin,

1129 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1130 Pfeiler: Austropop, S. 184. 1131 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 282

daunn brauch i mei Koffein.1132

Vereinzelte Klatschgeräusche sind nach Ende des Songs vernehmbar und Augustin gerät mit dem Gesetz in Konflikt. Ein Ahne Fritz Knotteks rügt Augustin: „Sagen Sie, wissen Sie nicht, dass es laut magistratischer Bezirksmarktuadnung ausschließlich nicht stotthoft ist, das Voik zu belustign?“ 1133 Augustin grantelt ihm nur „Jo, jo“ 1134 entgegen. „Schab den Rüssel“ tut Augustin kund, dass sich in seinem Barett dreißig Kreuzer befinden, was für Augustin noch weniger Anlass ist, sich mit der magistratischen Autorität herumzustreiten, sondern viel mehr ins Wirtshaus zu gehen. Mit „Schab den Rüssel“ stimmt er ein Sauflied an:

Gemma wos trinkn, gemma wos trinkn bis wir von den Sesseln sinkn. Gemma wos trinkn, gemma wos trinkn - mia vatrogns mit da Linkn. Gemma wos trinkn, gemma wos trinkn bis wir taumelnd heimwärts hinkn.1135

Ihr Weg führt sie in die Wirtsschenke des Konrad Ullrich Puffan „Zum Roten Dachl“, wo es hoch her geht: 1136 Sich zuprostende, laute Gäste, die sexuell anzügliche Bäckerswitwe Mehlwurm („Wollen’s vielleicht ein paar knusprige Laberln, Herr Augustin.“ 1137 ), ein gegen den Wein wetternder Abraham a Sancta Clara, der seine Visitkarte verteilt um Predigtaufträge zu erhaschen, und ein Wirt, der spricht wie Hans Moser. Augustin lebt seine Trinklust aus. Das Angebot von Frau Mehlwurm schlägt er aus um noch mehr Wein zu bestellen. Er brüllt zu Puffan, als seine Bestellung noch nicht in die Tat umgesetzt worden ist: „Wos is mit unsan Wein, Hea Puffan!“ 1138 Dieser entgegnet moserisch: „Zeascht wiad da aundare zoid, göns.“ 1139 „Schab den Rüssel“ will mit einer Rüsselschabung die Rechnung begleichen, Puffan fühlt sich verballhornt, wird aber von Kolschitzky unterbrochen, der noch immer mit seinen Kaffeebohnen dealt, denen Puffan die Bezeichnung „Gaaßbemmal“ 1140 verleiht. Als Augustin nicht bezahlen kann, möchte ihn Puffan hinauswerfen und Lokalverbot über ihn verhängen. Frau Mehlwurm wieder möchte, dass Augustin singt. Und Abraham a Sancta

1132 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Coffein. Augustin. 1133 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1134 Ebd. 1135 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Gemma was trink’n. Augustin. 1136 Vgl. Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1137 Ebd. 1138 Ebd. 1139 Ebd. 1140 Ebd. 283

Clara seinerseits verkündet: „Das hat der Wein, dass er einen kann zum Narren machen!“ 1141 Dann erklingt der Blues „Lokalverbot“, mit dem Augustin seine Außenseiterstellung, seine Randexistenz manifestiert:

In jedn Beisl in da Stodt, des a bissl a Niveau nua hot, Duat hob i Lokalvabot, Lokalvabot.

Waunn i bei ana Oidn brod und de wo einegeh wü wear i rot, weu i hob Lokalverbot […].

Es spricht si herum, kaum, dass i wo einekumm, schiaßt da Wiat auf mi zua und i wea bedroht: ‚Nix, nix: Lokalverbot‘.

Woh, woh, woh, kummt ana zu mia und sogt: ‚Geh mit mia auf a Bia‘, sog i: ‚Leida, geht net, wiaklich schod, weu i hob übaroi Lokalverbot.

A waunn i recht schee bitt, waunn i a Lokal betritt, is immar ana do, dea mi scho außeghaut hot, dea sogt: ‚Lokalverbot‘ […] 1142

Applaus. Jemand ruft „Leiwaund!“ 1143 Und Augustins Erfolgsgeschichte beginnt. Er wird vom Volkssänger zum Popstar. Noch aber singt er jeden Abend für den Geschäft witternden Wirt Puffan im Goldenen Dachl. Ein Gast singt vor Freude „Oh, du lieber Augustin!“ 1144 , wird aber von einem anderen Gast mit einem harschen „Gusch“ 1145 zurechtgewiesen. Die Autoren vermeiden jegliche Identifikation ihres Augustins mit der Legende des lieben Augustin. Augustin ist eine zeitlose, anarchistische Rebellenfigur – aber kein Halbstarker, sondern ein autarker, nonkonformistischer Künstler.

In der neueren Populärkultur seit den 1950er Jahre [sic!] hat man es [...] meist mit Rebellen zu tun, die sich weniger einer bestimmten Autorität als allgemein dem Zwang zur sozialen Konformität widersetzen. Sie repräsentieren auch keine

1141 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1142 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Lokalverbot. Augustin. 1143 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1144 Ebd. 1145 Ebd. 284

unterdrückte Klasse oder soziale Gruppe, sondern treten als Individuum oder als Vertreter einer jungen Generation und ihres Lifestyles auf. 1146

Augustin gehört keiner Gruppe an, er ist kein soziales Wesen. Er ist ein Individuum, das tun und lassen möchte, was es will. Er ist aber auch kein aktiver Rebell, sondern ein Verbal- Revoluzer. Taten setzt er keine. Außer seine Lieder zu singen. Augustin ist kein Psychogramm wie Schaffnerlos . Augustin ist einerseits ein kabarettistisches Hörbilderbuch vom alten Wien und andererseits die Aufstiegsgeschichte eines Volkssängers zum Popstar. Das mag vielleicht eine berufliche Entwicklung sein, aber keine charakterliche. Augustins Persönlichkeit erfährt in diesem Hörspiel keine Entwicklung. Er ist und bleibt unangepasst. Augustin ist aber auch ein Stück Lokalhistorie Wiens, wenn auch nur rudimentär und der Geschichte Augustins untergeordnet. Augustin erzählt die Geschichte der Pest in Wien 1679. Die Trommelschläge des „Neuen Kronentrommlers“ – eine Anspielung auf die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung („Neue Kronenzeitung“) – kündigen den Schwarzen Tod an: „Extratrommel! Extratrommel!“ 1147 Der Trommler wird von einem Zwischenrufer unterbrochen, der fragt: „Ja, warum is er denn so klein?“ 1148 , worauf ein Chor antwortet: „Weil das Kleinformat in Wien so beliebt ist.“ 1149 Die größte österreichische Tageszeitung ist vom Format her zwar eine der kleinsten, nicht aber in der Meinungsbildung beziehungsweise der Meinungsverbildung. Der Trommler fährt fort: „Tödliche Epidemie breitet sich aus. Die Pest in Wien. [Trommelschläge.] Die Straßen bereits von Toten übersät. Der schwarze Tod schlägt wieder zu. [Trommelschläge.] Tödliche Epidemie breitet sich aus. Die Pest in Wien. [....]“1150 Während er sich entfernt, können sich mit Hilfe von dräuenden Synthesizer- und Spinettklängen im Hörer die Greuelbilder ausbreiten. Dann erklingt die Akustikgitarre und Wolfgang Ambros’ Stimme. Augustin ist nun in der Rolle des Kommentators, des fahrenden Sängers, der aktuelle Nachrichten unter das Volk bringt. 1151 In dem makabren, weil melodisch heiterem Ereignislied „Der schwarze Tod“ erzählt er vom Peststerben:

In eure Bäuche schleicht si a Seuche. A jeda zweite is a Leiche

1146 Hügel: Handbuch, S. 370. 1147 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1148 Ebd. 1149 Ebd. 1150 Ebd. 1151 Vgl. Debera: Strukturen, S. 25. 285

und wea net muagn vafäut, vafäut scho heit.

In jedar Eckn nua Aungst und Schreckn. Olle varreckn. und wea net muagn vafäut, vafäut scho heit. Ja, wea net muagn vafäut, vafäut scho heit. 1152

Den schwarzen Humor dieses Songs führt die nächste Szene fort, in der die Pestknechte das Sagen haben. Der Erzähler leitet ein: „Die Pestknechte beladen ihren Karren mit Toten.“ 1153 Es sind stimmlich tatsächlich die Knechte aus dem Watzmann . Die Szene ist mit Windgeheul und Glockengeläute untermalt – weitere akustische Parallelen zu Der Watzmann ruft . Die beiden führen ein angeregtes Gespräch über das Leben und den Tod. Hier ein Auszug:

[2. Pestknecht:] Sog, grausts dia ned? [1. Pestknecht:] Grausn? Wiaso? [2. Pestknecht:] Wiaso? Wiaso? No – vua de vün Hinichn? [1. Pestknecht:] Ah so, vo de --- na. Wea fria stiabt, is hoit länga tot. 1154

Gleich darauf setzen die rockigen Klänge des hochdeutschen „Dies irae, dies illa“ ein:

[Augustin:] Eingehüllt in schwarzes Leinen liegen sie dahingerafft mit vermodernden Gebeinen. Der schwarze Tod hat es geschafft.

[Chor:] Dies irae, dies illa!

[Augustin:] Eingefallen sind die Wangen, ausgemergelt jeder Leib. Weinen, Trauern, Zittern, Bangen - Sterben heißt der Zeitvertreib.

[Chor:] Dies irae, dies illa! Dies irae, dies illa! 1155

1152 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Der schwarze Tod. Augustin. 1153 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1154 Ebd. 1155 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Dies irae, dies illa. Augustin. 286

Mit der Wucht eines Kirchenliedes wird dieses kommentierende Lied vorgetragen. Orgelklänge leiten über zu einer – mit Hall versehenen – apokalyptischen Predigt von Abraham a Sancta Clara:

Was Papagei, was Lapperei, fand man bei denen Fenstern und neben ihnen viel Schwatzerei mit freundlichen Gespenstern! Nun ist alles aus, es ist Kehraus, es ist nichts mehr als Jammer; das hat uns gemacht bei Tag und Nacht der dürre Rippenkramer. Wo vor Lakai mit Keierei die Posten mussten tragen, ob d’Polsterkatz noch wohl auf sei? Mit allen Umständ fragen: Jetzt ist alles still, man sieht nicht viel grün, blau oder rote; man sieht dafür früh vor der Tür; nur Kranke oder Tote. 1156

Die schauerlichen Orgelklänge enden und die zwei Pestknechte melden sich zurück. Das Grundmuster des Komikerpaares – der eine ist der Gescheite, der andere der Blöde und beide sind die Dummen – wird auf ein plakativ elementares Minimum reduziert:

[1. Pestknecht:] Oiso i vastehr eam net. [2. Pestknecht:] Weusd deppad bist. Deswegn muaßt jo aa de scheiß Hockn do mochn. 1157

Viel Zeit darüber nach zu denken, dass sich der 2. Pestknecht mit dieser Aussage selbst als der Blöde erweist, bleibt nicht, denn noch einmal ertönen Musik und Chor: „Dies irae, dies illa!“ 1158 Übergangslos gibt der weich und sanft mit verlegter Nase sprechende, die Vokale dehnende, Tod, Gevatter Hein, zu verstehen: „Und die Arbeit habe ich: Gevatter Hein.“ 1159 Ein „‚Blubber-Quatsch-Sound’, der das Aufplatzen der Pestbeulen [...] akustisch darstellt“ 1160 , ertönt und der Erzähler vermeldet passend, beinahe nebenbei bemerkend, dazu: „Und überall in der Stadt platzen die Pestbeulen auf.“ 1161 Das ist das Stichwort für einen echten Ambros-

1156 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1157 Ebd. 1158 Ebd. 1159 Ebd. 1160 Pfeiler: Austropop, S. 188. 1161 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 287

Gassenhauer mit eingängiger Melodie (in diesem Fall von Peter Koller) und sprachspielerischem Text (Stilmittel der Alliteration) von Prokopetz:

Alles platzt auf, alles platzt auf und das hat seinen Grund. Denn der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund. Ja, ja, der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Des is, des is, des is net gsund.

[...]

Alles platzt auf, alles platzt auf, dass an schlecht wean kunnt. Und der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund. Ja, ja, der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Des is, des is, bei Gott net gsund.

[...]

Alles platzt auf, alles platzt auf. Jetzt wirds boid zu bunt. Und der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund. Ja, ja, der Schleim schlatzt schlitzig aus dem Schlund, Schlund. Des is, des is, des is net gsund. 1162

Schwere Klavierklänge leiten über zur siebenten Szene, die im „Roten Dachl“ spielt: Augustin trifft auf Gevatter Hein. Es ist dies das einzige Bild, in dem Augustin mehr Text hat. Man ist bei der Charakterisierung Augustins vor eine beinahe unlösbare Aufgabe gestellt. Die Figur ist kaum fassbar über das, was sie sagt. Der Charakter Augustins erschließt sich viel mehr über das, was er nicht sagt. Bei den wenigen Sätzen, die er von sich gibt, ist das Wie wesentlich wichtiger als das Was. Der Dialog – im Hörspiel unterbrochen durch die Pestknechte und den „Sperrstund’“ 1163 murmelnden Nuschler Puffan - zwischen Gevatter Hein und Augustin soll veranschaulichen zu welchen Gemütsregungen Augustin fähig ist:

[Gevatter Hein:] Verzeih‘n, ist hier noch ein Platz frei? [Augustin:] [müde, schwerfällig, mit tiefer Stimme] Oba jo. [resignativ] Ollas is frei. Kanaa is mea do.

1162 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Der Schelm. Augustin. 1163 Hier wird durch den sich wie Hans Moser artikulierenden Wirt Puffan eines der populärsten Moser-Lieder - „Sperrstund’ is“ - zitiert. 288

[Hein:] Gott, bin ich müde. Ich bin ja so müde. Gestatten – Gevatter Hein. [Augustin:] [in die tiefe Stimme mischt sich eine leichte Zufriedenheit darüber, dass nun doch jemand im Wirtshaus ist] Aungenehm, Augustin. Do kumm, trink wos. [Hein:] Nein zum Wein sagt Hein. [Augustin:] [fordernd, aber ruhig] Oba jo. Kumm. Amoi geht scho. Do kumm, trink ma Brüderschaft. [Hein:] Hein bleibt rein. [...] [Hein:] Wie Sie sehen bin ich sehr beschäftigt. Ich habe eine Epidemie draußen wüten. [Augustin:] [aggressiver, grantig] Oba wos. Do host a Glasl und des trinkst jetzt. [Sie stoßen an. Augustin rau:] Na, eisdan. Loss di aunschaun Brudaheaz. [Der Wirt murmelt ‚Sperrstunde‘. Augustin ruhig, aber mit ängstlichem Erstaunen, das jedoch durch seine raue Stimme nicht völlig herausbricht:] Heast, du bist jo da Tod. [Hein:] Dein Bruder Hein. 1164

Mit einem Soundeffekt verschwindet Gevatter Hein. Augustin bleibt in der Wirtsstube zurück und fragt verwundert: „No, hallo? Wo is a d’n auf amoi? Komischer Heini.“ 1165 Noch einmal mahnt der Wirt, dass Sperrstunde ist. Augustin beschließt die Wirtsstube zu verlassen: „Na jo, is jo aa wuascht. Geh ma hoit haam.“ 1166 Er verlässt mit hörbaren Schritten das Gasthaus, öffnet die knarrende Tür und geht in die Nacht. Der Wind heult und die Tür fällt zu. Nahtlos folgt der Übergang zu Szene 8: Augustin geht die Straße entlang. Glocken läuten. Der die aufplatzenden Pestbeulen darstellende „Blubber-Quatsch-Sound“ 1167 ertönt und Augustin singt acapella und alkoholschwanger: „Oh, du lieba Augustin, Augustin, Augustin.“ 1168 Er murmelt noch etwas vor sich hin – am ehesten auszunehmen als „Ach Gott, des is a Bledsinn“ 1169 . Dann stolpert er über eine Beinahe-Pestleiche, die „Oh weh“1170 ruft. Augustin meint nur: „Scheiß Pest“ 1171 und singt weiter: „Oh du lieba Augustin, ollas is“1172 . In dem Moment stürzt er mit einem Soundeffekt und den hallenden Worten: „Jössas, a Pestgruam“ 1173 in die legendäre Pestgrube. Mit einem pfeifenden Fallgeräusch und dumpfem Aufschlag landet er, was von „Schab den Rüssel“ – wo auch immer er plötzlich herkommt – mit den Worten kommentiert wird: „Na, jetzt liegt er drunten in der finsteren Grube.“ 1174 Was anderes tut er nicht, also ein wirklicher Freund ist „Schab den Rüssel“ auch nicht und Augustin eigentlich eine einsame Gestalt, die sogar mit dem Tod Bruderschaft trinkt. Ein

1164 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1165 Ebd. 1166 Ebd. 1167 Vgl. Pfeiler: Austropop, S. 188. 1168 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1169 Ebd. 1170 Ebd. 1171 Ebd. 1172 Ebd. 1173 Ebd. 1174 Ebd. 289 alkoholkranker Künstler, der aber auch mit seiner Einsamkeit hadert, wie die siebente Szene gezeigt hat. Die Einsamkeit resultiert jedoch auch aus dem großen mit der Pest verbundenen Sterben. Augustin ist darüber hinaus ein Künstler, dem die Stilisierung über andere missfällt, sonst würde er „Oh, du lieber Augustin“ nicht mit „Blödsinn“ bewerten. Augustin ist ein Poet, der seine Botschaften in einfacher Philosophie verpackt – wie Ambros mit Liedern wie „Weiß wie Schnee“ oder „Der Sinn des Lebens“, hinter denen, wie er sagt, schon etwas steckt, das viele aber überhören. 1175 So singt Augustin in der Pestgrube einem Buben das Lied „Die Finsternis“ vor. Augustin braucht selbst in der Pestgrube sein Publikum, doch dieser elegisch- sanfte Song vermittelt in seiner Intimität auch eine soziale Seite von Augustin – er nimmt sich eines Kindes an um ihm etwas mitzugeben, auch wenn oder gerade weil für beide der Tod in der Pestgrube naht:

Die Finstanis haaßt Finstanis weus do imma finsta is und weu ma ohne Lichta a scho goa nix siecht. Drum glaum mas doch mei Bua, sei gscheit, du siechst net weit in da Dunklheit.

Und wea daunn seine Augn zuamocht, siecht um sich nua schwoaze Nocht und waunns Nocht is, heascht die Finstanis. So glaum mas doch mei Bua, sei gscheit, du siechst net weit in da Dunklheit.

Oba de Finstanis is eigentlich doch net unabändalich; ma mocht si afoch söba Licht und siecht und ollas wiad gaunz aundas sei ois heit wias is zua Zeit in da Dunklheit In da Dunklheit […]. 1176

Mit diesem Lied festigt Augustin noch einmal seine Position als Außenseiter, als Rebell, der sich hinter seinen Songs verbirgt. Die Message, dass man etwas verändern kann, ist eindeutig. Man muss nur etwas tun um etwas zu bewegen. Man muss Licht machen um zu sehen. Augustin prangert die Gegenwart als eine düstere Zeit an – er tut dies aber nicht aggressiv, sondern mit einem elegischen, geradezu „weichen“ Song und ohne konkret zu werden. Dieser Hang zur allgemeinen, poetisch verklärten Kritik wohnt auch vielen Ambros-Songs wie zum

1175 Vgl. Dolezal u. Rossacher: Hoffnungslos selbstbewusst. 1176 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Die Finsternis. Augustin. 290

Beispiel „Weiß wie Schnee“ 1177 (1980) inne, denen auch eine explizite politische Haltung fehlt. Wie Ambros ist Augustin ein Rebell, der für sich steht, der verwahrlost aber frei ist und tut, was und wann er es will. 1178 Augustin ist kein Surrogat für Protest. Er ist Protest aus sich, aber nicht für andere. So kann „Die Finsternis“ auch als ein Appell an sich selbst interpretiert werden, der besungene „Bua“ ist Augustin selbst. Denn Augustin ist keine der popularkulturellen Rebellenfiguren, die als Surrogat für „Widerstand und Protest gegen Unterdrückung und Unrecht“ 1179 fungieren – selbst als er schon ein Popstar ist. Seine Auferstehung aus der Pestgrube (Szene 9) macht Augustin zum Volkshelden und Star. Kaffee und Wein haben Augustin gegen die Pest immun gemacht. 1180 Die Auferstehungsszene selbst vollzieht sich sozusagen als Teichoskopie der zwei Pestknechte, die das Geschehen im Dialog miteinander vorantreiben. Der 2. Pestknecht wettert gegen Hein, dass dieser im Wirtshaus sitzt, aber, dass die Toten leben, darum kann er sich nicht kümmern. 1181 Hein meint nur: „Das

1177 „Die Vuastöllung is übakommen und da Begriff is übanommen. Des gaunze is nuar a Klischee und trotzdem: de Woaheit is so weiß wie Schnee.

Füachtalich wia maunche sogn, überhaupt net zum ertrogn. Dreckich, stingat und doch schee: de Woaheit is so weiß wie Schnee. […]

A klaana Bua spüht si im Saund, ea locht und baut mit ana Haund, die Pyramidn von Gizeh - die Woaheit is so weiß wia Schnee.

A Taunnenbaam alaa zu zweit begreift si ois a Mindaheit. Da Woid is weit, zu weit zum geh die Woaheit is so weiß wia Schnee. […]

Hoffnung aus da Zukunft blickt, da beste Freind schaut weg und nickt, denn er waaß seit eh und je: de Woaheit is so weiß wia Schnee.

Des olles woa vua launga Zeit. Heit regiat die Eitlkeit. Im Wein liegt nix mea, ois passee - de Woaheit is so weiß wia Schnee.“ (Wolfgang Ambros: Weiß wie Schnee.Weiß wie Schnee. Bellaphon 1980.) 1178 Vgl. Ambros: Verwahrlost aber frei. 1179 Hügel: Handbuch, S. 370. 1180 Vgl. Pfeiler: Austropop, S. 184-185. 1181 Vgl. Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 291 geht schon in Ordnung. Das ist mein Bruder Augustin.“ 1182 Augustin wird, wie der Erzähler berichtet, zugejubelt – „in allen Wirtshäusern und Bretterbuden, auf allen Straßen und Plätzen“.1183 Das zehnte Bild stellt Augustin als Popstar dar. Aus dem Krähengeheul, das die neunte Szene untermalt hat, ist der Jubel eines Massenpublikums geworden (möglicherweise der Mitschnitt eines Ambros-Konzertes), das „Zugabe“1184 ruft. Überlagert wird es vom „Neuen Kronentrommler“, der verkündet: „Junger Sänger unbeschadet der Pestgrube entstiegen. Voikssänger Augustin verbringt Nacht mit Pesttoten. Die Pest am Ende.“ 1185 Mit Augustins „Auferstehung“ ist also auch die Pestepidimie zu Ende. Kolschitzky biedert sich Augustin nervös als Manager an, Puffan möchte seine Tochter Agnes an Augustin vermitteln, die Witwe Mehlwurm (in ihrer Promiskuität eine Verwandte der Gailtalerin) will ein Autogramm auf ihre Brüste („Bitte ein Autogramm, Herr Augustin. Da drauf.“ 1186 ), Hein nennt Augustin noch einmal seinen „Bruder“ 1187 und der Erzähler fügt in bester Watzmann - Manier hinzu: „Und sogar die Pestknechte meinten:“ 1188

[2. Pestknecht:] Oiso mia gfoit a net. [1. Pestknecht:] I waaß goa net, wos du gegn den Augustin host. 1189

Nach dem die „Zugabe“-Rufe nicht verebben, kommt endlich Augustin zu Wort – mit einer kurzen Wiederholung des ersten Liedes. Es setzt ein mit dem Ambros-Gesangs- Markenzeichen: „Ho, ho, ho“ 1190 und endet sogleich mit der Zeile:

Heit wiad damois, damois wiad heit - ollas nuar a Froge da Zeit. 1191

Dies markiert sogleich einen Zeitsprung, den Graf Starhemberg in der nächsten Szene im Gasthaus Puffan ausformuliert: „Na, da is er ja ganz schön n’übagruckt mit dera Pestg’schicht daumois. G’sund gestessn hod a si.“ 1192 Prinz Eugen weiß nur mehr: „N’übaruckn üba

1182 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1183 Ebd. 1184 Ebd. 1185 Ebd. 1186 Ebd. 1187 Ebd. 1188 Ebd. 1189 Ebd. 1190 Prokopetz u. Ambros: Frage der Zeit. 1191 Ebd. 1192 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 292 d’Bruckn” 1193 darauf zu sagen. Kolschitzky ist gerührt, dass er Augustin schon so lange kennt. Wie lange das allerdings ist, wird verschwiegen. „Schab den Rüssel“ meint, es kommen ihm fast die Tränen und Witwe Mehlwurm denkt laut über ihre damalige Jugend nach. Wann damals auch immer gewesen sein mag. Augustin meint: „Jo, jo. Das Leem is wiar a Hängebruckn.“ 1194 , worauf die Anwesenden im Chor fragen: „A Hängebruckn?“ 1195 Der senile Eugen gibt noch ein „N’übaruckn“ 1196 von sich, bevor das barocke Spinett mit „Oh, du lieber Augustin“ einsetzt, Vanitasgedanken weckt und den melancholischen Bänkel-Song „Hängebruckn“ einleitet:

Des Leem is kaa Kindahemd, des Leem is kaa Sumpf, des Leem is kaa Hühnadreck, des Lebn is nicht schön.

Des Leem is kaa Wundaweak, das Leem ist nicht zu kuaz, das Leem is kaa Obnteua, das Leem is nicht zu lang.

Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is. Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is.

Des Lebn is kein bitteres, des Leem ist nicht süß, des Leem is net aufregend, des Leem is nicht vapfuscht.

Des Leem is nix bsundares, des Leem is kaa Freid, des Leem is kaa Hundeleem, des Leem is amoi aus.

Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost und ansonstn wiar a Hängebruckn is. Jo, obar ans is gewiss: dass is Leem is Lebn kost

1193 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1194 Ebd. 1195 Ebd. 1196 Ebd. 293

und ansonstn wiar a Hängebruckn is. 1197

Augustin stößt, wie wir schon gesehen haben, mit dieser Lebensweisheit auf allgemeines Unverständnis. Selbst „Schab den Rüssel“ bemerkt nur lakonisch: „Sehr geistreich.“ 1198 Das Hörspiel endet mit Ambros Stimme, die sagt: „I mechts no amoi mochn.“ 1199 Eine Stimme antwortet „Guat.“ 1200 Und damit ist die Geschichte des Wiener Volkssängers Augustin zu Ende oder sollte man sagen: Die Geschichte des Popstars Wolfgang Ambros, denn Ambros ist Augustin und Augustin ist Ambros.

Am Ende des Stückes wird der Volkssänger Augustin [...] in die Gegenwart mit Anspielungen auf seine Popularität in Österreich transferiert. Damit sieht sich Ambros nicht nur als Volkssänger [Johannes Moser geht auf Augustin paradoxer Weise überhaupt nicht ein], sondern identifziert sich auch mit dieser Rolle, die ihm zum damaligen Zeitpunkt in Österreich von Seiten der Öffentlichkeit und seiner Anhänger zugeschrieben wurde. 1201

Pfeiler bemerkt treffend: „Ambros stellt sich in diesem Hörspiel selbst in die lange Ahnenreihe der Wiener Volkssänger und kann daher auch als solcher bezeichnet werden.“ 1202 Das lässt auch das Hörspiel Augustin zerfallen. Mit großem sprachlichem und kabarettistischem Witz 1203 ausgestattet, bietet es ein humorvolles Wien-Panorama und Panoptikum zur Zeit der Pest von 1679 aber auch der Gegenwart, da immer wieder zeitgenössische Anspielungen ins zwanzigste Jahrhundert führen. Diese Zeitlosigkeit besagt, dass sich in Wien anscheinend seit dem Barock nicht sehr viel geändert hat. Musikalisch und sprachlich ist Augustin mit seinen Liedern die Brücke in die Gegenwart, aber Augustin ist nicht Augustin, sondern Ambros. Während Augustin im Stück zum Popstar wird, wird Ambros mit Augustin zum Volkssänger. Zumindest stilisiert er sich zu einem solchen – und nicht erst mit dem Moser-Album aus dem Jahr 2005 oder dem Song „Der alte Sünder“ (Namenlos 2003), in dem er den gleichnamigen Paul-Hörbiger-Klassiker paraphrasiert. Die Rolle des Augustin deckt sich mit dem Image von Ambros. Er ist ein Pop- und Rocksänger, dem Alkohol nicht abgeneigt, einerseits der Kumpel von nebenan, andererseits grantelnd und schwer zugänglich, dessen Texte nicht immer auf einhelliges Verständnis treffen, der aber frei

1197 Josef Prokopetz u. Wolfgang Ambros: Hängebruck’n. 1198 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1199 Ebd. 1200 Ebd. 1201 Pfeiler: Austropop, S. 184. 1202 Ebd., S. 198. 1203 Vgl. ebd., S. 188. 294 sein will 1204 , der unangepasst ist, aus sich selbst schöpft und bei dem sich alles auf sich selbst reduziert. Dadurch allerdings lässt das Hörspiel Augustin die sozialsatirische Komponente seiner Vorgänger missen. Volkssänger Augustin ist kein Charakter einer durchgängig erzählten Geschichte, er ist das Alter ego dessen, der ihn verkörpert: Wolfgang Ambros. Mehr als das: Augustin und Ambros sind deckungsgleich. Aus diesem Grund zerfällt das Hörspiel Augustin in zwei Stränge, die eigentlich parallel laufen: Zum einen wird ein parodistisch- satirisch makaberes (fast schon in Artmann’scher Schwarzhumorigkeit) zeitloses Sittenbild aus dem Wiener Barock (im weitesten Sinn als Gleichnis für gegenwärtige Verhältnisse) gezeigt, in dem beinahe das ganze Volk (vom „Pöbel“ bis zum „Adel“) vertreten ist, zum anderen wird der Aufstieg von Augustin vom Volkssänger zum Popstar erzählt, der am Ende aber noch genau so einsam ist wie vorher. Dieser Augustin allerdings tritt – bis auf Ausnahmen - nur mit seinen Liedern in Erscheinung und diese Lieder sind musikalisch und sprachlich typische Ambros-Lieder; darüber hinaus stehen sie auch völlig für sich. Lediglich „Der schwarze Tod“, „Dies irae, dies illa“ und „Der Schelm“ sind storyimmanent von Belang. Das große verbindende Thema des Hörspiels ist das Vergehen der Zeit 1205 auf der einen, Zeitlosigkeit auf der anderen Seite. Volksszenen wie die Marktbilder stehen durchaus in der Tradition von Volksstücken und haben mit ihrem Sprachwitz oder Szenen mit Anspielungen

1204 „Und i scheiß auf wos do woa und wos no kummt. Hauptsoch is fia mi, es geht ma guat. I, i wü frei sei, i wü leem, o yeah, und waunns drauf aukummt, zohl i aa mit Bluat.

Und mei Voda hod de Weisheit, ea waaß genau, mei Vota waaß zumindest wos a wü: ea wü frei sei, ea wü leem, o yeah, oba ea hods nuar im Hian und i, i hobs im G'füh […].

Glaub jo net, dass da wos daspoast, waunnst imma nuar traamst. Weu fria ois d’glaubst, kummst drauf, dass'd ollas imma nua vasaamst! Du muaßt leem, du muaßt geem, du muaßt schaun, dass da nix übableibt. Du muaßt waana, du muaßt renna, weu nuar a Trottl is, dea wos a ruhige Kugl scheibt - is des kloa?

I scheiß auf wos do woa und wos no kummt. Hauptsoch is fia mi, es geht ma guat. I, i wü frei sein, i wü leem, o yeah, und waunns drauf aukummt, daunn zohl i aa mit Bluat.“ (Ambros: I wü frei sein.) 1205 Das gemalte Cover zeigt im Vordergrund eine große Sanduhr. Im Hintergrund die schwarze, vom Mond beschienene Silhouette der Stadt Wien. 295 auf die Gegenwart (Neuer Kronentrommler, Parken in zweiter Spur) und eigene Werke (Parallelen zu Der Watzmann ruft ) großen Unterhaltungswert. Aber auch nicht mehr und nicht weniger. Die Sozialsatire – bei den anderen Hörspielen wesentlich enger mit dem Protagonisten verflochten – erschöpft sich in Vortrags- und Sprachspielereien, in vordergründiger Komik und in einem Helden, der keiner ist, einer Figur, die nicht Charakter ist, ja, die nicht einmal Figur ist, sondern Abbild desjenigen, der sie darstellt und völlig am Schluss mit ihr verschmilzt, wenn nicht mehr auszumachen ist, ob jetzt Ambros als Ambros im Studio oder Ambros als Augustin in der Schenke sagt: „I mecht’s no amoi moch’n.“ 1206 Das verleiht dem Hörspiel den Charakter des Unfertigen, was auch völlig verständlich ist, denn der künstlerische Lebensweg von Wolfgang Ambros war 1981 keineswegs abgeschlossen und ist es bis heute – 2009 1207 - noch nicht.

1206 Tauchen, Prokopetz u. Ambros: Augustin. 1207 Für 2009 ist ein Album mit „symphonischen“ Versionen von Ambros-Songs geplant. 296

11. Schlussbemerkung

Traditionen sind da um mit ihnen zu brechen, in dem man sie aufgreift und weiterführt. Das scheint die musikalische und textliche Herangehensweise des Austropop zu sein. Das gilt auch für die vier Hörspiele Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin von M.O. Tauchen, Josef Prokopetz und Wolfgang Ambros, die in einem Zeitraum von acht Jahren die Landschaft der österreichischen Popularmusik mehr oder minder geprägt haben. Wie wir erkennen konnten, sind sie aber auch ein Teil der österreichischen Literatur- und Hörspielgeschichte, was von der Forschung noch nicht registriert wurde. Diese Lücke zu schließen war ein Anliegen der vorliegenden Dissertation. Ein zweites war es anhand von Wolfgang Ambros‘ Oeuvre, aber auch jenem von Georg Danzer und zum Teil von anderen Künstlern, eine kleine Geschichte des Austropop zu schreiben. Dabei konnten wir endgültig festhalten, dass Austropop kein musikalischer Begriff ist, sondern eine im weiteren und engeren Sinn agitatorische Haltung, die auch auf andere Bereiche der Kunst übertragbar ist. Ebenso wie mit dem Begriff Austropop mussten wir uns dem des Hörspiels stellen - kein leichtes Unterfangen aus einem Wust an Definitionen eine für uns gültige heraus zu destillieren. Doch das war ja auch nicht Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit. Viel mehr sollte, und das möge auch ein Blick auf die zukünftige Hörspielforschung sein, versucht werden, die postmoderne Genrediskussion zwar nicht links liegen zu lassen, aber ihren Auswüchsen ein wenig gegenzusteuern. Gerade die untersuchten Hörspiele lassen besagte Genrediskussionen in sich redunant erscheinen und es drängt sich die Frage auf, ob nicht viel eher – hat man es mit derart mannigfaltigen Vorlagen zu tun – eine schlichte Akzeptanz der zahlreichen Elemente (Epik, Dramatik et cetera) mehr Fragen beantwortet, als so manche übers Knie gebrochene Einzwängung in ein definitorisches Korsett aufwirft. Wir gelangten darüber hinaus zur Erkenntnis, dass die behandelten Hörspiele – Produkte des Austropop – auch in Verbindung mit dem Wiener Lokaltheater stehen, wobei wir den Termini Volksstück und Volkstheater nicht zu entgehen vermochten. Im Mittelpunkt aller Hörspiele stehen gesellschaftliche Außenseiter, die den Prozess der Sozialisation nicht geschafft haben oder ihn gar nicht schaffen wollen, die A-Soziale sind wie Augustin, in dem noch Rudimente der Hanswurst-Figur schlummern. Gerade die Figur Augustin aber ist ein gutes Beispiel, dass mit dem Aufspüren von Traditionslinien Vorsicht geboten ist. Augustin ist zwar auf seine Art und Weise ein Störenfried, ein Genussmensch, aber um Hanswurst zu sein, müsste es ihn doch auch nach dem weiblichen Geschlecht gelüsten – Angebote hätte er genug. Er tut es aber nicht, denn im Gegensatz zu Hanswurst ist Augustin sein eigener sozialer Kosmos, in dem im 297

Grunde nicht einmal seine Freunde Platz haben, auch ist er nicht naiv oder berechnend und schon gar kein Vermittler zwischen den einzelnen Charakteren, dem Stück und dem Publikum wie der Hanswurst von Joseph Anton Stranitzky. Der Sänger Augustin funktioniert für sich. Wer will, kann das akzeptieren, wer nicht will eben nicht. Genau das drückt Wolfgang Ambros auch 1986 (sechs Jahre nach Augustin ) mit seinem Song „Mein seltsamer Beruf“ aus:

I bin, des mecht i sogn, durchaus ein Menschenfreund, und i bin mit meina Umwöd am liabstn glücklich vaeint. Und trotzdem hob i kaan besondas gutn Ruf - i bin teuweise unvastandn duach mein sötsaumen Beruf.

Mei sötsauma Beruf bedingt, dass i hoit aar a bissl sötsaum bin. Dem iagendetwos entgegenzusetzen, hätte überhaupt kaan Sinn. I bin a rauhe Natur, wie ein rauhes Leben sie schuf, und i bin so wiar i bin nua duach mein sötsaumen Beruf.

Mei sötsauma Beruf is mei Bestimmung. Ea is mei Freid, ea is mei Oitog und mei Quoi, doch i hob mas so ausgsuacht, i hobs so woin und es is kumma, wiar i’s vadient hob, und wias hod kumma soin.

I brauch net überlegn wos kennt i sunst no tuan, denn hätt i wos aundares werdn soin, daunn waar i was aundas wuan. Aun mir scheiden sich die Geister; i bin beliebt und doch schwer in Verruf, geschützt und exponiert zugleich duach mein sötsaumen Beruf.

Mei sötsauma Beruf is mei Bestimmung. Ea is mei Freid, ea is mei Oitog und mei Quoi, doch i hob mas so ausgsuacht, i hobs so woin 298

und es is kumma, wiar i’s vadient hob, und wias hod kumma soin. 1208

Die untersuchten Hörspiele konnten mit ihren Außenseitersujets in Verbindung mit dem Terminus Volkstheater gebracht werden. Der Sprachwitz, die aus den eingestreuten Songs entstehende revuehafte Singspieldramaturgie verweisen ebenfalls auf Genres des Wiener Volks- beziehungsweise Lokaltheaters. Schon Hanswurst war eine Randexistenz – und auch die Protagonisten aus vielen Johann-Nestroy-Stücken agieren aus einer sozialen Randstellung heraus. Die These, dass die Hörspiele von Tauchen, Prokopetz und Ambros in der Tradition des Wiener Volkstheaters stehen, mag provokant sein, da sich zwei verdächtige Begriffe in ihr vereinen: Tradition und Volkstheater. Wir haben gesehen, dass Volkstheater weniger als Begriff, denn als Diskussionsfläche zu begreifen ist und Tradition muss ja nicht bedeuten, dass starre Muster – beispielsweise von Stranitzky bis Ambros – bestehen bleiben. Tradition bedeutet ja, wie man weiß, Überlieferung, Herkommen, schließt aber auch die Übernahme von Normen 1209 mit ein. Das impliziert natürlich Transformationen und Mutationen, was dazu führt, dass oft nur mehr Relikte oder Inversionen bestimmter Versatzstücke aufzuspüren sind, die aber dennoch die Herkunft verraten. Die analysierten und interpretierten Hörspiele sind damit aus einem positiv traditionalistischen Geist (Volkstheater, lokales Kabarett) entstanden, was sie zu durchaus agitatorischen oder zumindest sozialsatirischen Werken des Austropop macht, einer popularkulturellen Bewegung, die über die Grenzen der Musik – und das beweisen Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin – die österreichische Kultur nach 1945 mitprägte, was nicht bedeuten soll, dass es Austropop nicht mehr gibt – aber auch er hat sich gemäß dem Gesetz der Tradition mit seinen Protagonisten gewandelt – oder wer hätte 1971, als gerade „Da Hofa“ durch Österreichs Radios fegte, gedacht, dass Ambros 1984 gemeinsam mit Fendrich „S’Naserl“ von Hans Lang, der unter anderem auch „Hallo, Dienstmann“ schrieb, und in den Jahren 2005 und 2007 zwei Alben mit Hans-Moser- und Wienerliedklassikern aufnehmen würde, wo doch gerade Moser und Wienerlied als Inbegriff der Kultur der Elterngeneration galten, gegen die man Ende der Sechziger und in den Siebzigern des zwanzigsten Jahrhunderts ankämpfte, beziehungsweise sich von ihr abwandte, wie es auch Ambros, Prokopetz und Tauchen mit ihren Liedern und Hörspielen taten.

1208 Wolfgang Ambros, Peter Koller u. Günter Dzikowski: Mein seltsamer Beruf. Gewitter. Amadeo 1987. 1209 Vgl. Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. v. Wilhelm Bernsdorf. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1969, S. 1182. 299

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7.3. Zeitschriften

Klocker, Hubert: Wiener Aktionismus. In: Parnass, Sonderheft 18/01, S. 150-156. Rennhofer, Maria: Aufbruch nach 1945. In: Parnass, Sonderheft 18/01, S. 84-96.

309

7.4. Zeitungen

Kurier, 16. 6. 1976.

8. Diskographie Ambros, Wolfgang: A Mensch mecht i bleib’n. Bellaphon 1974. Ambros, Wolfgang: Alles andere zählt net mehr... . Amadeo 1972. Ambros, Wolfgang: Äquator. Polydor 1992. Ambros, Wolfgang, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen: Augustin. Bellaphon 1981. Ambros, Wolfgang, Fendrich, Rainhard u. Georg Danzer: Austria3 Live. BMG Ariola 1998. Ambros, Wolfgang: Eigenheiten. Bellaphon 1973. Ambros, Wolfgang: Es lebe der Zentralfriedhof. Bellaphon 1976. Ambros, Wolfgang u. Josef Prokopetz: Fäustling. Atom 1973. Ambros, Wolfgang: Der letzte Tanz. Amadeo 1983. Ambros, Wolfgang: Der Sinn des Lebens. Amadeo 1984. Ambros, Wolfgang, Josef Prokopetz u. M.O. Tauchen: Der Watzmann ruft. Bellaphon 1974. Ambros, Wolfgang: Die Blume aus dem Gemeindebau. Bellaphon 1977. Ambros, Wolfgang: Gewitter. Amadeo 1987. Ambros, Wolfgang: Gö, do schaust. Bellaphon 1975. Ambros, Wolfgang: Hoffnungslos. Bellaphon 1977. Ambros, Wolfgang: Kagran. Amadeo 1972. Ambros, Wolfgang: Mann und Frau, Amadeo 1989. Ambros, Wolgang: Mei Naserl is rot weil ich so blau bin. Homebase 2007. Ambros, Wolfgang: Nach mir die Sintflut. Ambros singt Waits. BMG Ariola 2000. Ambros, Wolfgang: Namenlos. BMG Ariola 2003. Ambros, Wolfgang: 19 A Class Numbers. Bellaphon 1976. Ambros, Wolfgang: Nie und nimmer. Bellaphon 1979. Ambros, Wolfgang: Nummer 13. Amadeo 1985. Ambros, Wolfgang: Tagwache. Bellaphon 1973. Ambros, Wolfgang: `S Naserl. Amadeo 1984. Ambros, Wolfgang, Josef Prokopetz u. M.O. Tauchen: Schaffnerlos. Bellaphon 1978. Ambros, Wolfgang: Schifoan. Bellaphon 1976. Ambros, Wolfgang: Selbstbewusst. Bellaphon 1981. 310

Ambros, Wolfgang: Steh grod. Sony/BMG 2006. Ambros, Wolfgang: Stille Glut. Amadeo 1990. Ambros, Wolfgang: Verwahrlost aber frei. Polygram 1996. Ambros, Wolfgang: Voom Voom Vanilla Camera. BMG Ariola 1999. Ambros, Wolfgang: Wasserfall. Polygram 1994. Ambros, Wolfgang: Weiß wie Schnee. Bellaphon 1980. Ambros, Wolfgang: Wie im Schlaf. Bellaphon 1978. Ambros, Wolfgang: Zwickt‘s mi. Bellaphon 1975. Bronner, Gerhard: Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990. Cornelius, Peter: Calafati. Columbia/United Artists 1978. Danzer, Georg: Alles aus Gold. Polydor 1985. Danzer, Georg: Danzer. Teldec 1986. Danzer, Georg: Danzer, Dean & Dracula. m records 1975. Danzer, Georg: Der Mensch braucht a bisserl a Ansprach. Sony 1977. Danzer, Georg: Der Tschik. Ambra 1991. Danzer, Georg: 13 schmutzige Lieder. BMG/Ariola 2001. Danzer, Georg: Du mi a. Polydor 1976. Danzer, Georg: Echt Danzer! Ambra 1991. Danzer, Georg: Feine Leute. Ambra 1996. Danzer, Georg: Heut‘ bin i wieder fett wie ein Radierer. EMI Columbia 1972. Danzer, Georg: Hupf in Gatsch. m records 1976. Danzer, Georg: Jetzt oder nie. Polydor 1982. Danzer, Georg: Keine Angst. Ariola 1991. Danzer, Georg: Kreise. BMG/Chlodwig 1992. Danzer, Georg: Menschliche Wärme. Polydor 1984. Danzer, Georg: Nahaufnahme. Ambra 1993. Danzer, Georg: Narrenhaus. Ambra 1996. Danzer, Georg: Notausgang. Ambra 1996. Danzer, Georg: Ollas leiwaund. m records 1975. Danzer, Georg: Persönlich. BMG Ariola 2004. Danzer, Georg: Raritäten GD. Universal 2000. Danzer, Georg: Rufzeichen. Teldec 1989. Danzer, Georg: Ruhe vor dem Sturm. Polydor 1981. 311

Danzer, Georg: Sonne, Mond und Sterne. Lieder und Geschichten aus 30 Jahren live. BMG, Ariola 2002. Danzer, Georg: Träumer. Universal Amadeo 2006. Danzer, Georg: Traurig aber wahr. Amadeo, Polydor 1980. Danzer, Georg: Unter die Haut. Polydor 1977. Danzer, Georg: Von Scheibbs bis Nebraska. Universal 2004. Danzer, Georg: Wieder in Wien. Ambra 1990. Fendrich, Rainhard: Auf und davon. Polygram 1983. Fendrich, Rainhard: Ich wollte nie einer von denen sein. Polygram 1980. Fendrich, Rainhard: Strada del sole. Philipps 1981. In Strauß und Bogen. [Compilation]. ÖGK 1975. Jandl, Ernst: 13 radiophone texte und das röcheln der mona lisa. Hörsturz 2002. Jürgens, Udo: Griechischer Wein. Ariola 1974. Heller, André und Helmut Qualtinger: Gestrige und heurige Lieder. Polygram 1986. Hirsch, Ludwig: Dunkelgraue Lieder. Polydor 1978. Lola! Kinks-Klassiker interpretiert von Ambros bis Wilfried. Universal 2005. Moser, Hans: Der alte Herr Kanzleirat. Marcato. Ohne Jahresangabe. Schmetterlinge: Proletenpassion. Sony, Ariola 1977. Sowinetz, Kurt: Alle Menschen san ma zwider. Preiserrecords 1972. STS: Auf a Wort. Polydor 1992. Wiener Souvenir. Polydor. Keine Jahresangabe. Qualtinger, Helmut: Helmut Qualtinger singt schwarze Lieder. Preiserrecords 1999. Qualtinger, Helmut: Die Qualtinger-Songs. Preiserrecords 1990.

9. Filmographie

Die Abenteuer des Grafen Bobby. Regie: Geza von Chiffra. Sascha 1956. Der Berg ruft. Regie: Luis Trenker. Luis-Trenker-Film 1937. Dort oben wo die Alpen glüh’n. Regie: Otto Meyer. Rex 1956. 1. April 2000. Regie: Wolfgang Liebeneiner. Wien-Film 1952. Grün ist die Heide. Regie: Hans Deppe. Berolina 1951. Der Herr Kanzleirat. Regie: Hubert Marischka. Donau-Film 1948. Der Herr Karl. Regie: Erich Neuberg. ORF 1961. Gipfeltreffen. Regie: Werner Schmidbauer. Bayrischer Rundfunk 2006. 312

Das Leben des Brian. Regie: Terry Jones. HandMade Film 1979. Schwarzwaldmädel. Regie: Hans Deppe. Berolina 1950. Watzmann live. Regie: Rudi Dolezal. DoRo 2005. The Wild One. Regie: Laszlo Benedek. Columbia 1954. Wolfgang Ambros. Der Film über sein Leben. Hoffnungslos selbstbewusst. Regie: Rudi Dolezal u. Hannes Rossacher. DoRo 2002.

10. Internet www.georgdanzer.at www.wolfgangambros.at www.wienerlinien.at

11. Konzerte

Austria-3-Konzert, Wien, Prater, 25. Juni 2006 313

12. Abstract

12.1. Abstract in deutscher Sprache

Der österreichische Sänger und Songschreiber Wolfgang Ambros hat zwischen 1973 und 1981 vier Hörspiele veröffentlicht. Verfasst hat er sie gemeinsam mit Josef Prokopetz und M.O. Tauchen. Die vorliegende Dissertation setzt diese Werke, popularkulturelle Sozialsatiren, in Bezug zum Wiener Volkstheater. Der Autor wollte beweisen, dass die Ambros-Hörspiele Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos und Augustin in der Tradition des Wiener Volkstheaters stehen. Das bedeutet aber nicht, dass von den Ursprüngen der Wiener Volkskomödie eine durchgängige Traditionslinie von Joseph Anton Stranitzky über Johann Nestroy bis zu Wolfgang Ambros und der Musikbewegung Austropop verfolgt wurde, sondern, dass Versatzstücke des Wiener Volkstheaters in den untersuchten Hörspielen ausfindig gemacht, analysiert und interpretiert wurden. In diesem Kontext wurde auch ein großes Augenmerk darauf gelegt die literarische Qualität der Hörspiele von Ambros, Prokopetz und Tauchen herauszuarbeiten um ihnen auf diesem Weg den ihnen gebührenden Rang in der österreichischen Hörspiel- und Literaturgeschichte zu geben. Darüberhinaus wurde auch auf die zum Teil hohe Qualität zahlreicher anderer Songtexte von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und vor allem jenen von Georg Danzer hingewiesen. Austropop ist nicht nur ein Teil österreichischer Musik-, sondern auch Literaturgeschichte. Dieses Faktum in der Forschung zu etablieren ist eines der Hauptanliegen der vorliegenden Doktorarbeit. Die vier untersuchten Hörspiele sind in ihrem sozialsatirischen Impetus und durch ihre mannigfaltige künstlerische Gestaltung als Prototypen der traditionsbrechenden Haltung des Austropop anzusehen und das, weil beziehungsweise obwohl sie aus der Tradition mit der Tradition, in diesem Falle, der des Wiener Volkstheaters, arbeiten. Dieses Oszillieren zwischen Traditionsbruch und Weiterleben der Tradition möchte der Verfasser mit seiner Dissertation versuchen aufzuzeigen.

314

12.2. Abstract in englischer Sprache

The Austrian singer and songwriter Wolfgang Ambros published between 1973 and 1981 four radio plays. He wrote them together with Josef Prokopetz and M.O. Tauchen. This dissertation examines the reference of these works to the Viennese Volkstheater. The Ambros-radio-plays, the author calls them “popular-cultural social satires”, Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos and Augustin keep the tradition of the Viennese Volkstheater. That doesn’t mean, that there is a continous and incessant tradition from Joseph Anton Stranitzky to Johann Nestroy and from Johann Nestroy to Wolfgang Ambros and the musical movement called “Austropop” - it means, that rudiments and elements of the Viennese Volkstheater live on in the radio plays of Ambros, Tauchen and Prokopetz. In this context the author also investigated and analysed the partially high literary quality of Ambros’ radio plays, his and the songs of Georg Danzer. The lyrics of Ambros, Prokopetz and primarily Danzer and also the examined radio plays are part of the Austrian history of literature and history of radio plays. This doctoral thesis wants to treat these radio plays and songs with the kind of due respect the Austrian history of literature and radio plays has been ignoring until today. Fäustling , Der Watzmann ruft , Schaffnerlos and Augustin are classic examples for Austropop, a movement which breakes with (musical) traditions and social taboos even though the protagonists of Austropop work with traditional elements, in this case with elements of the Viennese Volkstheater. The radio plays of Ambros, Prokopetz and Tauchen oscillate between destruction, disruption, mutation, metamorphosis and preservation of tradition. To work out this fact is the purpose of the dissertation Die Hörspiele von Wolfgang Ambros, Josef Prokopetz und M.O. Tauchen. Popularkulturelle Sozialsatiren in der Tradition des Wiener Volkstheaters.

315

13. Vita

Herbert Eigner , geboren am 14. Dezember 1980 in Wien. 1987 bis 1991 Besuch der Volksschule Groß-Enzersdorf. Ab 1991 Schüler des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums Wien XXII, Bernoullistraße. 1999: Abschluss der AHS. Nach dem Zivildienst auf der Kinderchirurgischen Intensivstation des SMZ-Ost Beginn des Studiums der Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien im Wintersemester 2000/2001. Tutor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Abschluss des Studiums im Mai 2005 mit der Diplomarbeit Ein Schritt nach vorne und zwei zurück. Die Krise des klassischen Hollywood-Musicals in den 1950er Jahren . Regieassistenzen und Programmheftredaktionen am Theater Brett (Wien) und der Freien Bühne Wieden (Wien). Regiearbeiten: Vincenz Chiavacci: Wetti Himmlisch. Memoiren einer Wiener Toilettefrau um 1900 (Theater Brett 2005) und Herbert Rosendorfer: Die Kellnerin Anni (Komödie am Kai 2007, Wien). Uraufführungen eigener Stücke: Melange á trois. Eine Collage. (Schuberttheater, Wien 2008). Backstage. (Schuberttheater, Juni 2009). 2008 bis 2009 Wienerliedprogramm mit Florian Hartl Reblaus, Blues & Rock’n’Roll. Klassiker und Raritäten mit Auftritten in Wien, Niederösterreich und Kärnten. Im April 2009 Premiere des doku-kabarettistischen Programms Fußnoten. Engelbert-Dollfuß- Reden szenisch dargestellt am Schuberttheater. Literarische Publikationen: menschen-leben (Rundblick-Verlag 2005), himmelstränenfeuerland (Edition va bene 2006), winter wird’s. ein lyrischer adventkalender (Hörbuch, Eigenproduktion mit Kerstin Raunig 2006), Unzensiert. Die verschollenen Gedichte und Lieder (Eigenverlag 2008). Im Herbst 2009 erscheint Vergessen spielen. Frau Erna im Altenheim (Edition Niederösterreich). Zahlreiche Lesungen (nicht nur) eigener Texte.