Liederabend Philippe Jaroussky W
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01.02.2020 Liederabend Philippe Jaroussky w So klingt nur Dortmund Saison 2 019 / 20 Philippe Jaroussky Countertenor Jérôme Ducros Klavier Abo: Liederabend In unserem Haus hören Sie auf allen Plätzen gleich gut – leider auch Husten, Niesen und Handyklingeln. Ebenfalls aus Rücksicht auf die Künstler bitten wir Sie, von Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung abzusehen. Wir danken für Ihr Verständnis! 2,50 E Franz Schubert (1797 – 1828) Franz Schubert ›Im Frühling‹ D 882 (1826) Romanze ›Der Vollmond strahlt auf Bergeshöhn‹ ›Des Fischers Liebesglück‹ D 933 (1827) aus »Rosamunde« D 797 (1823) ›An die Laute‹ D 905 (1827) ›Der Musensohn‹ D 764 (1822) ›Die Götter Griechenlands‹ D 677 (1819) ›Nacht und Träume‹ D 827 (1825) ›Wiedersehen‹ D 855 (1825) ›Herbst‹ D 945 (1828) ›Litanei auf das Fest Allerseelen‹ D 343 (1816) Allegretto aus Drei Klavierstücke D 946 (1828) Andante aus Vier Impromptus D 899 (1827) ›An die Musik‹ D 547 (1817) ›Erster Verlust‹ D 226 (1815) ›Auf dem Wasser zu singen‹ D 774 (1823) ›An Sylvia‹ D 891 (1826) ›Im Abendrot‹ D 799 (1825) ›Gruppe aus dem Tartarus‹ D 583 (1817) ›Die Sterne‹ D 939 (1828) ›Du bist die Ruh‹ D 776 (1823) ›Abendstern‹ D 806 (1824) ›Nachtstück‹ D 672 (1819) – Pause ca. 20.45 Uhr – – Ende ca. 22.00 Uhr – 4 Programm 6 Als sei er der Welt abhandengekommen in der Musik ist Schubert mit 31 Jahren das kürzeste Leben beschieden, und Das Werk Franz Schuberts doch hinterlässt er ein unfassbares Œuvre – gerade in der Menge von Musik höchster Qualität. Überragend sind die über 600 Sololieder: als sei er sich hier »Der Fleiß der Großen ist, unter andrem, ein Zeichen ihrer Kraft, abgesehen seiner Sache immer sicher gewesen. Über das Lied herrscht Schubert wie über auch von ihrem inneren Reichtum.« Welche Großen mochte Ludwig Wittgen- ein Weltreich. Doch als er Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe 1816 ver- stein, der größte »Influencer« der Philosophie des 20. Jahrhunderts, da im Visier schiedene Gedichtvertonungen schickt, antwortet der Wortmächtigste nicht, gehabt haben? Das Wort »Kraft« könnte auch auf spezielle Bereiche physischer wohl wegen seiner Liedästhetik über die dienende Rolle der Musik gegenüber Energie hinweisen, die für tausende Seiten mit der Hand Geschriebenes uner- dem Text. Damit allerdings konnte (und wollte) Schubert nicht dienen. lässlich ist. Denn in den hier zitierten »Vermischten Bemerkungen« treten be- vorzugt größte Geistesgrößen auf, deren schiere Schreibleistung ungeheuer ist: Die 20 Lieder dieses Abends erstrecken sich über einen Zeitraum von 13 Jahren, von Shakespeare über Mozart bis Freud – und eben Franz Schubert, für den in die Spätphase gehören elf Lieder – jedes jedoch belegt Schuberts Kunst der sich Wittgenstein auffällig interessiert. Denn Schubert führt eine radikale Zwi- »schwierigen Einfachheit«: Hier versetzen Millimeter-Nuancen Welten. Schu- schenexistenz zwischen und in den Epochen: in der Klassik schon der Romantik berts Lieder konnten Zuhörer nachweislich zu Tränen rühren; Metaphern und verhaftet und in ihr doch klassischem Format verpflichtet. Von allen Großgenies Symbolik der Texte, das Universum der Gefühle steht in seinen Liedern radikal zur Disposition. Sprechgesang und Melodie kontrastieren sich, Dramatik schlägt in Lyrisches um, scheinbar ungefährdete Melodien werden von Dissonanz und Chromatik, Auswahl und Anordnung der Reime, szenischer Drastik, musikali- schen Gesten oder Charakteren bestimmt. Klavier und Singstimme treten oft in ein dialogisches Verhältnis, Naturkulisse spiegelt oder kontrastiert nicht selten die Reflexion der Sänger-Figur. Der akkordische Klaviersatz erinnert mitunter an Choräle und Religion allgemein, Moll und Dur wechseln oft für winzige Augenblicke und sind doch gerade Zwi- schenräumen, Rissen und Irritationen des menschlichen Empfindens dicht auf der Spur. Reine Harmonie findet sich so gut wie nie, allein die Tonalität suggeriert in Schuberts Liedern Kontinuität und Linearität, die faktisch nicht bestehen. Lieder und Leben Schuberts Lieder zwischen Zuversicht und Schicksal ›Im Frühling‹ scheint wie als Idylle angelegt, beim »ersten Frühlingsstrahl« hüpft die Musik unvermutet hoffnungsfroh auf A-Dur, um nur einen Takt später von einem kaum wahrnehmbaren Vorhalt im Klavier flüchtig gestreift zu werden: »wo ich einst [...] so glücklich war«. Vier Fermaten (auf »hell«, »Quell«, »ihr« und »gan(-zen Sommer lang)« halten später glücklichste Momente in der Schwebe, trotz eines fatalistischen Krisenfazits im g-moll-Mittelteil: »Es wandeln sich nur Will und Wahn.« 8 Werke ›Des Fischers Liebesglück‹ gondelt als Barkarole mit tragischen Absichten durch venezianische Kanäle zur Winterszeit, während in ›An die Laute‹ das Klavier schüchtern Lauten-Arpeggien imitiert und der diskrete Tonfall ein nächtlich- insgeheimes Ständchen suggeriert (»Drum noch leiser, kleine Laute: Dich ver- nehme die Vertraute, Nachbarn aber nicht!«). Höhere Mächte werden in ›Die Götter Griechenlands‹ sehnsüchtig angerufen und gepriesen – doch deren ideale Kunstwelt, gerade noch im hellenistischen A-Dur, wandelt sich im abrup- ten fis-moll zur Legende: »Ach, nur in dem Feenland der Lieder lebt noch deine fabelhafte Spur.« Zwei Strophen, eine ruhige, akkordische Viertel-Bewegung im Klavier, zwei sim- ple Modulationen, eine entspannte Gesangslinie: In ›Wiedersehen‹ ist die Liebe von irdischer Anfechtung frei und zugleich voller Hoffnung auf transzendente Erlösung. Schuberts Hommage ›An die Musik‹ erklingt ungefährdet aller Zweifel, wandert die Melodiestimme seelenruhig von Klavier zu Sänger (»Hast mich in eine bess’re Welt entrückt«), zelebriert hymnische Höhe- als Fluchtpunkte, taucht bei »heiliger Akkord« in die Tiefe und bei »Hast du den Himmel bess’rer Zeiten mir erschlossen« zielsicher empor: »Du holde Kunst, ich danke dir dafür«. Jen- seits von pathetischem Bekenntnis leistet sich hier die Musik den Luxus grandi- os lapidarer Euphorie. Das frühste Lied des Konzerts, ›Erster Verlust‹, ist fast ein kleiner Trauermarsch über den unwiederholbaren Zauber der ersten Liebe. ›An Sylvia‹ dauert opti- mistische drei Strophen und lässt keinen Zweifel an der Schönheit der hohen Dame; Akkorde und punktierte Rhythmen im Klavier scheinen ihre charakter- liche Integrität in göttliche Sphären zu rücken. Selbstvergessen fließen in ›Du bist die Ruh‹ die Sechszehntel-Figurationen durchs übersichtliche Reimschema, allein zahlreiche Vorhalte forcieren unter- schwellige Spannung. Unüberhörbar ist der Ces-Dur-Höhepunkt zu den Worten: »Von deinem Glanz« bis zum Schnitt nach As-Dur auf »erhellt«. Tremolowirbel im Klavier eröffnen ›Gruppe aus dem Tartarus‹, ein (Geschwind-)Marsch und manische Oktavrepetitionen verweisen theatralisch auf den Bestrafungsort der Unterwelt der griechischen Mythologie und auf überdimensionales Schicksal. Die kurze Finalapotheose »Ewigkeit, Ewigkeit!« im jupiterhaften C-Dur wirkt vom chromatisch sich stauenden Akkordmassiv wenige Takte überschattet – als Werke sei Beschwörung ans ewige Heil eher trügerischer Hoffnungsschimmer naiven wie als Gebet. ›Abendstern‹ und ›Nachtstück‹ beschließen das Konzert: Im ers- Glaubens. ten Lied wird Venus, der Stern der Liebe, um die Außenseiterposition am Him- mel befragt. Venus betrauert im Gegenzug die lieblose Welt. Das a-moll des Der Titel ›Sei mir gegrüßt‹ des folgenden Liedes bezeichnet das Auf und Ab Erzählers korrespondiert mit dem A-Dur der Venus; das Verhältnis von Dur und eines begütigenden Zwischenrufs, der trotz vom Text abzweigender Harmonien Moll wirkt eigentümlich verkehrt und das Zentralmotiv »Liebe« als ambivalente stets zum harmonischen Ausgleich findet. Goethes ›Der Musensohn‹ fliegt sorg- Qualität. los dahin; Unbeschwertheit, Leichtsinn und Lebensfreude an (sehr junger) Liebe und Natur charakterisieren das Stück. Im düster-resignativen ›Nachtstück‹ treffen Nacht und Tod noch einmal auf- ein-ander, aber durchaus auch hoffnungsfroh: Das Wort »Tod« taucht erst In ›Nacht und Träume‹ suggeriert die Klavierbegleitung das nächtliche Dunkel, gegen Ende auf und wird durch Schuberts harmonische Perspektivwechsel die Stimme klingt, als könnte der Atem jeden Moment stocken. Übergangs- immer wieder neu beleuchtet. Das Klavier lässt er in Triolen atmosphärisch los setzt in der Mitte G-Dur ein und kennzeichnet die Sehnsucht der Menschen wie »Bäume rauschen«. Es ist, als verberge sich in Franz Schuberts Liedpsy- nach der Nacht. Die Klavierstimme steigt in die Tiefe hinab (»Kehret wieder, chologie immer alles Leben in einem Lied. Jede Nuance ist von größtmöglicher holde Träume«) und die Nacht wird zur Sehnsuchtszeit imaginärer Wunscher- Bedeutung. füllung. Tremoli im Klavier wehen durch den ›Herbst‹, drei Strophen ziehen über ver- welkende Natur bis zu sterbender Liebe hinweg. Phasen der Liebe erscheinen durch den Zyklus der Jahreszeiten fatalistisch gedeutet. Die ›Litanei auf das Fest Allerseelen‹ hingegen billigt dem Tod tröstliche Bedeutung zu, wo alle See- len in Frieden ruhen. Die Singstimme wird hier zur Stichprobe allzu gefälligen Seelenfriedens von chromatisch abfallenden Bassregionen im Klavier kontra- punktiert – als sollte flüchtig daran erinnert werden, dass kein Mensch mühelos ins Himmelreich gelangt. In ›Auf dem Wasser zu singen‹ verschränken sich die fließenden Sechzehntel- Figurationen des Klaviers mit Wellenbewegungen der Stimme: Der existenzielle Akzent verrinnender Zeit kommt beiläufig ins Spiel, als Bestandteil des alltäg- lichen, unspektakulären Lebens. Das choralähnliche ›Im Abendrot‹ thematisiert das Leben als Bewusstseinsakt – nicht nur vor dem Hintergrund des Glaubens. Der hymnische Des-Dur-Tonfall