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Wissenschaft

ZEITGESCHICHTE Swingerclub im Es begann 1891 mit einer Sexparty und endete mit blutigen Duellen. Ein Historiker hat einen schlüpfrigen Skandal am deutschen Kaiserhof recherchiert. Die Arbeit gibt Einblick in das bizarre Intimleben der Hohenzollern.

s dunkelte bereits, als die illustre stration legte er seinen Botschaften Por - mittlungsberichte zur „Kotze-Affäre“ ab - Gesellschaft mit Pferdeschlitten am nobilder und Zeichnungen von Genita- gelegt sind. Die deftigsten Passagen moch - EJagdschloss Grunewald vorfuhr. lien bei. te er „aus Anstand“ allerdings nicht zi - Leute, die sonst feinste Tüllkleider oder Nun hat der Berliner Historiker Wolf - tieren. Gardeuniformen mit Helmbüschen tru - gang Wippermann ein Buch zu dem The - Wippermann geht nun mutiger vor. Ins - gen, stapften privatim mit Reitpeitschen ma vorgelegt*. Er entwirft ein Sittenge - gesamt 246 Briefe konnte er ausfindig ma - durch den Schnee. mälde, das ein erstaunliches Licht auf die chen, in denen ungeschminkt von „vö - Vornehme Angehörige der Hofgesell - erotischen Gepflogenheiten im Haus der geln“, „69-Stellung“ und Oralsex unter schaft gehörten der Gruppe an, darunter Hohenzollern wirft. Höflingen die Rede ist. ein Schwager des Kaisers sowie die älteste Seinerzeit sorgten die schlüpfrigen Zugleich arbeitet der Forscher heraus, Schwester seiner Majestät. Es folgten Rundschreiben zunächst nur intern für welch absurde Dynamik der Skandal be - mehrere Freiherren, adlige Damen, der Aufregung. „Schmutzige Geschichten“ kam: Befeuert vom starren Ehr- und galante Prinz Friedrich Karl von Hessen belasteten die Krone, klagte ein hoher Männlichkeitsbegriff der Zeit, endeten und natürlich Zeremonienmeister Lebe - Militär. die fünf Jahre andauernden Querelen in recht von Kotze, verschrien als „fatzken - Doch bald kam es schlimmer. Der Un - einem blutigen Finale: Mehrere Duellan - hafter Kleidernarr“. bekannte begann, seine Nachrichten auch ten schossen sich Kugeln in den Leib. Schnell waren die Pelze abgelegt. Man an andere Vertreter des preußischen Die Quellenlage ist allerdings verwor - tanzte und trank, die Stimmung stieg, bis Hochadels zu verschicken, und lästerte ren. Die Akten in - sind ge - sich die Blaublüter, heillos ineinander ver - dar in über Hofkabalen und Sexspiele. fleddert. Fast alle Pornobilder (auf die schlungen, wollüstigen Handlungen hin - Das sickerte bald auch an die Öffent - der Unbekannte Köpfe der Beteiligten ge - gaben. lichkeit durch. Hämische Presseberichte klebt hatte) sind verschwunden. Nur ei - Gräfin von Hohenau, eine anmutige und eine erregte Debatte im Reichstag nes konnte Wippermann retten. Frau, übte sich – unter Hirschgeweihen – befassten sich mit den schockierenden Unklar bleibt auch, wer die „Giftkröte“ gleich mit mehreren Männern in verschie - Enthüllungen. (Wippermann) war, die in den Briefen densten sexuellen Stellungen. Erstaunlicherweise geriet all das in Ver - so kundig vom Lotterleben des Hofes Bis nach Mitternacht währte die Orgie, gessenheit. Erst im Jahr 1996 stieß der schreibt. Grafologische Untersuchungen bei der auch Männer Männer und Frauen Forscher Tobias Bringmann durch Zufall aus dem Jahr 1894 sprechen dafür, dass Frauen liebten. Dann verschwanden die im Preußischen Geheimen Staatsarchiv es sich bei dem Anonymus um eine Frau Swinger in der Nacht. in Berlin auf Polizeiakten, in denen Er- handelte. Und auch ein Motiv des Schreib- So schilderte ein Anonymus den Grup - teufels schält sich heraus: Eifersucht. pensex im Grunewald. Schon am nächs - Mit besonderer Inbrunst wird in den * Wolfgang Wippermann: „Skandal im ten Morgen erhielten einige der Betei- Grunewald“. Primus Verlag, Darmstadt; 168 Seiten; 19,90 Schmähbriefen immer wieder die Gräfin ligten peinliche Post von ihm: Zur Illu - Euro. von Hohenau bloßgestellt. Die hochge - ) . R (

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F D Z Kaiser Wilhelm II. um 1895, Jagdschloss Grunewald um 1930, Kaiserschwester Charlotte: Anonyme Berichte vom erotischen Lotterleben

112 $ %#! " 35/2010 Originalbrief der Kotze-Affäre Bis Mitternacht währte die Orgie

wachsene Kunstreiterin war mit dem schwulen Hohenzollern-Sprössling Fried - rich von Hohenau verheiratet. Während dieser sich mit Männern ver - gnügte, stürzte sie sich in Abenteuer mit Fürsten und Grafen. Zu ihren Liebhabern gehörte angeblich der spätere Reichskanz - ler Max von Baden ebenso wie Herbert von Bismarck, Staatssekretär im Auswär - tigen Amt. In den Briefen des Anonymus erscheint die Frau als „geiles“ Luder, das mit wie - genden Hüften, mal stöhnend, mal seuf - zend, auch um die Gunst des Kaisers buhle. Die Hohenau, heißt es, sei eine „noto - rische Gans“, die „unaufgefordert die Rö - cke hochhebt“ und „nicht eher ruht, bis sie mit sämtlichen Prinzen auf Du und Du und, wenn irgend möglich, in ge - schlechtliche Berührung gekommen ist“. Aber auch andere Adlige gerieten un - ter Beschuss. Alide von Schrader, Gattin eines Zeremonienmeisters, wurde der les - bischen Liebe bezichtigt. Prinz Aribert von Anhalt, ein Funktionär der ersten Olympischen Spiele, musste sich Spaß am Analsex mit Männern vorhalten lassen. Das Schlimmste: Das meiste davon war die Wahrheit. Der Intrigant kannte das Boudoir, er war mit der Welt hinter der Fassade aus Pomp und edler Helmzier bestens vertraut. Damit geriet der Kaiser selbst in Ge - fahr. Die Denunzierten gehörten seinem Hofstaat an – jenem mächtigen Apparat, den Wilhelm II. gezielt zu einer Art Ge - genregierung umgebaut hatte. 3500 Personen, davon 2320 Beamte, dienten ihm. Er erkor seine eigenen Mi - nister und mischte sich ständig polternd und gefährlich naiv ins politische Tages - geschehen ein. Im Oberhofmarschallamt liefen die Stränge zusammen. Doch auch dessen späterer Amtsträger, Freiherr von Rei - schach, kam nun ins Gerede. Der Ano - nymus schwärzte ihn als Fremdgänger an. Bald begann die Presse, sich über den Sit - tenverfall zu beschweren. Die Forscherzunft erstaunt das wenig. Längst hat sie ermittelt, dass die feine Gesellschaft sich nur nach außen N

I prüde gab. Kanzlersohn Herbert von L R E

B Bismarck etwa scharte um sich einen

, Z T I Kreis adliger Damen. Bei den Treffen, S E B

R die oft bis in die Morgenstunden dauer - U T L

U ten, ging es Beobachtern zufolge zu wie K

R E im „Bordell“. H C S I Der Kaiserschwager Ernst Günther S S U

E (Spitzname „Herzog Rammler“) war ein R P

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I passionierter Puffgänger. Wilhelms Schwes - H C

R ter Victoria „hielt man in weiten Kreisen A S T

A für mannstoll“, schreibt der Wilhelm-II.- A T S

S Biograf John C. G. Röhl. E M I

E Auch die Amouren des Throninhabers H E

G sind gut belegt. Die Beziehung zu einer

$ %#! " 35/2010 113 Wissenschaft

„Miss Love“ aus Straßburg spitzte sich Die Fahnder überwachten Postkästen 1889 gefährlich zu. Die Frau besaß Lie - in Berlin und ermittelten im Umfeld des besbriefe, in denen Wilhelm seine „ganz Hofes – ohne Erfolg. eigenthümlichen Neigungen zur Kompli - Die 15 Gäste der Swingerparty beschul - kation des gewöhnlichen Koitus bekun - digten sich derweil gegenseitig. Einer von det, wie z. B. Zusammenbinden der ihnen musste der feige Verräter sein. Nur Arme“, so die Kokotte. wer? Nur mit Mühe gelang es, der Erpresse - Schließlich geriet Leberecht von Kotze rin die intime Post für 25 000 Mark abzu - in Verdacht, ein Meister des Putzes, der kaufen. am Hof die Bälle und großen Empfänge Ebenso unter den Teppich kehrte man ausstattete. Der Kaiser besuchte ihn oft eine „Wiener Schwängerungssache, wel - in seinem Palais in der Drakestraße, um che mit der Zahlung von 5000 Thalern sich mit neuestem Tratsch zu versorgen. todtgemacht ist“, wie es in einer Notiz Als die Geheimpolizei im Schreibtisch des Staatssekretärs Bismarck heißt. des Zeremonienmeisters angeblich ver - Angeblich strebte der Kaiser auch zum dächtige Löschblätter entdeckte, ließ Wil - anderen Ufer und näherte sich als junger helm ihn 1894 festnehmen und ins Ge - O N

Prinz lustvoll einem Fischerjungen vom G fängnis sperren. A M I

Starnberger See. Sein Flügeladjutant / Aus der Schnurre war damit nun ein

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Kuno von Moltke war wohl ebenso N politischer Skandal geworden. Der Mon- A I L L

schwul wie sein engster Freund Philipp A arch hatte den Mann verhaften lassen, - E R zu Eulenburg. U ohne dass überhaupt ein Strafantrag auf T C I

Der Chefberater flog im Jahr 1906 auf, P Beleidigung vorlag – „schiere Rechtsbeu - als man dessen Neigung der Presse steck - Berliner Damen im Grunewald um 1905 gung“, so Wippermann. Wenige Tage spä - te. Es kam zu mehreren Sensationspro - Schickliche Fassade ter war der Beschuldigte zudem wieder zessen, im Raum stand ein sittliches Ver - auf freiem Fuß. Alle Verdächtigungen ge - gehen nach Paragraf 175 Strafgesetzbuch. wie ein Beteiligter notierte. Selbst heim - gen ihn erwiesen sich als haltlos. Eulenburg durchlitt sie als gebrochener liche „Schäferstündchen“ des Kaisers er - Doch der Kaiser blieb störrisch. Nun Mann. wähnte er. beauftragte er ein Militärgericht mit dem Ähnliches Unheil bahnte sich bereits Als die Gerüchte zunahmen, gingen – Fall. Ein „Auditeur“ nahm die gesamte beim Kotze-Skandal an. Der Nestbe - 1892 – einige der Betroffenen zur Polizei. Hofgesellschaft ins Verhör. Rund tausend schmutzer plauderte „entnervende Las - Die vulgärsten Briefstellen hatten sie vor - Aktenseiten kamen zusammen – nur ter ärgster Art“ über den Hofstaat aus, her mit Schwarzstift unkenntlich gemacht. nichts Belastendes gegen Kotze. gengrauen trafen sich die Paukanten Der SPD-Führer August Bebel hämte am Bahnhof Halensee. Beim achten im Reichstag: „Je mehr sie das Selbstver - Schusswechsel erwischte es den als nichtungsgeschäft gegenseitig besorgen, „weibisch“ geltenden Kleiderfatzken am umso besser für uns.“ Oberschenkel. Der tintenklecksende Heckenschütze Wilhelm II. schickte ihm ein Osterei indes, der all das losgetreten hatte, wurde ans Krankenbett. Dabei hätte man es be - nie enttarnt. War es, wie Wippermann wenden lassen sollen. argwöhnt, Charlotte, die Schwester des Doch nun fühlte sich Freiherr von Kaisers? Schrader beleidigt, ein weiterer Gast der Sie hatte die Sexparty im Grunewald Swingerparty. Man einigte sich auf ein veranstaltet. Also eine Falle? Barriereduell (wobei die Schützen aufein - Zuzutrauen wäre es dieser Frau. Zu ander zugehen, während sie beliebig feu - Lebzeiten eilte der Kettenraucherin ein ern dürfen). miserabler Ruf voraus. Die eigene Mutter Kotze traf tödlich. Der Schuss zerfetzte hielt sie für böswillig. Ihre „Klatsch- und dem Gegner den Darm. Skandalsucht“ sei „sprichwörtlich“ gewe - O T Längst war die Affäre Stadtgespräch. sen, urteilt der Geschichtsprofessor Röhl. O F R E

T An den bekannten Duellplätzen Berlins Nach langer psychiatrischer Behandlung N I

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fanden sich frühmorgens die Gaffer ein – starb die Dame im Jahr 1919 im Kurort H C

U in der Hoffnung auf neue Schießereien. Baden-Baden. A R

G Nun blieb auch der Kaiser nicht mehr „Ich bin ziemlich sicher, dass Charlotte N U L

M von dem Skandal verschont. In seiner un - die Urheberin dieses Ränkespiels war“, M A

S bedachten Art hatte er die Affäre gera - meint auch der Experte Bringmann. Er Zeremonienmeister Kotze um 1895 dezu geschürt und die – rechtswidrigen – glaubt, dass man die Täterin sogar noch Duellkugel in den Darm Duelle gefördert. heute überführen könnte: „Nötig wäre Entsprechend verheerend war das Me - dafür nur ein grafologischer Vergleich ih - Doch der Mann fühlte sich immer noch dienecho. Die Monarchie, hieß es, trage rer originalen Korrespondenz mit den al - gekränkt und entehrt. Er forderte Genug - den „Stempel der Fäulnis“. Selbst der ten Schmähbriefen.“ tuung von jenen Partygängern, die ihn konservative „Reichsbote“ jammerte, der Geschehen ist dies bislang nicht. Noch beschuldigt hatten. Ein erstes Duell ging Fall Kotze habe „an Royalismus im Lande sind längst nicht alle Winkel der Affä- 1895 noch glimpflich aus. mehr zertrümmert“, als „jahrelange re ausgeleuchtet. Eine vollständige Er- Dann forderte Kotze den Oberhof- Ideen arbeit treuer Monarchieanhänger forschung steht noch aus. marschall von Reischach heraus. Im Mor - wieder aufbauen“ könne. M&& !% S '"(