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BOXEN „Ick brauch det“ Axel Schulz, der ewige Verlierer des deutschen Faustkampfs, bekommt seine letzte Chance. Er muss den ukrainischen K.-o.-Schläger besiegen – nur weiß er nicht, wie. Im Trainingslager in Südafrika sucht Schulz nach Antworten.

m „The Cellars-Hohenort“, einer Her- und Wolke in der Fremde Quartier genom- wesen; er gilt als Kämpfer von zarter berge mit Hanglage vor Kapstadt, hat men, um sich für ein Ereignis zu rüsten, Schlagkraft und ist dafür bekannt, dass er Isich eine deutschsprachige Runde zum das in der Heimat schon jetzt als „Kampf im Ring keinen Flurschaden anrichtet. Das Diner eingefunden. des Jahres“ (RTL) in die Höhe geblasen Axelchen, Deutschlands Schmuseboxer. Für den Boxer Axel Schulz aus wird. Ende September kämpft Axel Schulz, Weil Schulz aber auch ein Mann von (Oder) wurde der Stuhl am Kopfende ge- 30, um die Europameisterschaft, und noch sonnigem Gemüt ist, sieht er der Angele- richtet, neben ihm sitzt nie lagen die Dinge so ernst wie diesmal. genheit grundsätzlich heiter entgegen. Ein aus Wuppertal, ein Mann mit gut gehenden Nicht nur Geld und Titel stehen auf dem Problem allerdings könnte, wieder einmal, Geschäften in Südafrika, der sich im Ne- Spiel, sondern vor allem der Ruf: Zu klären der Gegner sein: Klitschko. Ein Name wie benberuf um Faustkämpfer kümmert. Sau- gilt, ob Schulz ein einziges Mal in der Lage ein Niederschlag. erland hat einen alten Bekannten mitge- ist, einen richtigen Boxkampf zu gewinnen. Wladimir Klitschko, 23, Ukrainer, zwei bracht, der in Kapstadt mit Immobilien zu Das ist ihm bisher noch nicht vergönnt ge- Meter lang, zehn Zentimeter größer als Geld kam: Rolf ist jenseits der 50 und hat die Augenlider mit Tusche nachgezogen. Das Tischgespräch bewegt sich auf ho- hem Niveau, es kreist um Poollandschaften und Perlhühner und landet schließlich bei einem Anwesen, das Wilfried Sauerland am Kap erstanden hat. Eins-a-Blick, links die Bucht, geradeaus die offene See, der Bauherr ist verzückt: „Der Nachbar kann das nicht sehen, oder, Rolf?“ Rolf: „Never, Wilfried, no chance.“ Schulz, der Mann vom Schwergewicht, hat sich zu diesem Zeitpunkt aus der Un- terhaltung zurückgezogen. Eben ist das Amuse-gueule serviert worden, ein Fin- gerhut voll Kürbissüppchen. Das war eine Mahlzeit für den hohlen Zahn, jetzt belegt er das Weißbrot daumendick mit Butter. Axel Schulz hat tüchtig Hunger, ihm steckt ein anstrengender Tag in den Kno- chen. Nach der Trainingsarbeit war er auf ein Segelboot gestiegen, um vor der Küste Zerstreuung zu finden. Dann, als der Törn zu Ende ging, wollte er die Leinen anlegen, und dabei war es passiert: Rücklings kipp- te der 100-Kilo-Mann ins Hafenbecken, wie ein Bär, der vom Baum fällt, und als er wieder auftauchte, klammerte er sich an den Steg, stieß quiekende Töne hervor und sagte: „Früher hab ick auf’m Boot immer jekotzt, jetze hab ick eben jetaucht.“ Seinem Trainer, dem Boxlehrer Manfred Wolke, war in diesem Moment überhaupt nicht nach Späßen. Er fürchtete, der Axel könne sich eine Verkühlung holen, und dann wäre es aus gewesen. Es geht hier schließlich um alles. Das Ge- spann aus Brandenburg ist nach Südafrika gereist, weil es eine hohe Mission zu erfül- len hat. Sieben Wochen lang haben Schulz

Gegner Schulz, Klitschko „Das Risiko zu verlieren ist groß“ 132 Schulz.Vor drei Jahren zog der mit Bruder kurz vor dem Abflug nach Südafrika zur natürlich verloren. Gegen , Witalij nach , und seitdem mähen Präsentation auf die Kölner Domplatte ge- gegen Frans Botha und gegen Michael sie alles nieder, was man ihnen in den Ring zerrt. Die war mit Plakaten zurechtge- Moorer. Seine Lebensleistung als Sportler stellt. Witalij schlug 25 Gegner k. o., Wla- macht, von denen Schulz ungemein ge- besteht darin, dass er den 46-jährigen Ex- dimir gewann auch meistens vor der Zeit, fährlich herabblickte, seine Augenbrauen Champ Foreman um ein Haar besiegt hät- nur einmal unterlag er. Beobachter vom standen hervor wie kleine Würste. Und te, wäre er nicht verschaukelt worden.Axel Fach vermuten, dass Schulz schwer auf die dann wurde das Motto des Abends gelüf- Schulz genießt seither in Deutschland den Nuss kriegen dürfte. tet: „Die Stunde der Wahrheit“. Mitleidsfaktor von bedrohten Robben. Wie auch immer – der Veranstalter ist Es ist bloß so, dass Schulz solche Stunden So einer kommt nicht wieder, das ist auf einen großen Zahltag eingerichtet. Der schon häufiger erlebt hat. Dreimal durfte er auch den leitenden Angestellten von RTL Schulz-Haussender RTL hat seinen Mann um die WM boxen, und dreimal hat er bewusst. Der Geschäftsgang des Kölner BONGARTS H. RAUCHENSTEINER BONGARTS Schulz-Niederlagen gegen Foreman, Botha, Moorer: Mitleidsfaktor von bedrohten Robben

Senders hatte einst mit den Darbietungen von Henry Maske eine Blüte erlebt, aber seit der im Retiro ist, welkt die Boxer- branche. Axel Schulz, der zu Maskes Zei- ten immer nur als Henrys Ersatz-Heiland sein Profil schärfen konnte, wird deshalb von Chefredakteur Hans Mahr schlanker- hand zum Bannerträger eines ganzen Be- rufsstandes verklärt. Siegt der Deutsche, sagt Mahr, dann siegt das deutsche Boxen. Verliert der Deutsche, ist erst mal Ebbe in Deutschland; gut möglich, dass RTL ir- gendwann „aus dem Boxen aussteigt“. Alles hängt an Schulz. Er ist das Schmiermittel auf dem Rechenschieber der Marktstrategen. Und man kann ihn wirk- lich vorzeigen: „Er ist der gute Deutsche, wahnsinnig ordentlich von der Moral, ein wirklich guter Bursch“, hat der Österrei- cher Mahr erkannt – „er könnt’ bloß noch a bisserl mehr herschlagen“. Er arbeitet ja dran. Abgeschottet von der Außenwelt, hat das ostdeutsche Duo sein EM-Labor im „Villa Beach Guest House“ eingerichtet. Zwar ist im Pool „the water very cold“, wie Axel Schulz einer schwarzen Bediensteten anvertraut, aber immerhin hat Manager Sauerland extra für seine Leute eine Köchin engagiert, und wann immer er will, kann Schulz im Auf- enthaltsraum deutsches Fernsehen gucken. Fasziniert folgt er etwa Bärbel Schäfer auf RTL zu dem Diskussionsthema: „Papa, warum schlägst du mich?“ Trainer Wolke blickt derweil von der Veranda aus über den Ozean und beobachtet die Sonne beim Untergang: „Sieht aus wie hinjehangen.“ Nicht, dass das hier nur Sommerfrische wäre. „Wir kloppen rin wie die Dummen“, sagt Wolke, er weiß ja, worum es geht: „Entweder – oder. Und wir haben gesagt:

M. BRANDT / BONGARTS oder.“ Im Einzelnen heißt das: vormittags 133 Sport

Training im Ring, nachmittags Laufen. nana?“ Klar kennt er seine Defizite. Es gibt Auch für Wolke geht es um alles. Er Laufen ist ganz besonders arg für Schwer- Situationen im Boxring, da hat man den braucht zwar diesen Kampf nicht, aber er gewichtsboxer: Wenn Schulz eine drei vier- Gegner in den Seilen, und dann geht es nur braucht Schulz. Bei der Arbeit trägt er ein tel Stunde über den benachbarten Golf- noch darum: „Jehste rin oder jehste nich’ T-Shirt mit der Aufschrift: „Hanse Haus – platz gerannt ist, bewegt er sich an- rin? Schlägste nach oder jehste zurück?“ Bauen mit Vertrauen.“ Der Vertrag mit dem schließend wie ein Frischoperierter. Und? Was macht er? Unternehmen, das Fertighäuser herstellt, Neulich ist Wilfried Sauerland des „Ick jeh zurück.“ läuft nicht mehr lange, und wenn Schulz Abends zum Arbeitsgespräch vorbeige- Das ist das Problem. Zu groß seine verliert, läuft wahrscheinlich gar nichts kommen, es ging um die Detailplanung der Angst, selbst getroffen zu werden, wäh- mehr. Ein Sieg über Klitschko wäre nach nächsten Wochen. Zwar hat man bereits rend er schlägt und dabei die Deckung ent- Lesart des Trainers auch ein Beitrag in Sa- richtig stramme Jungs aus England und blößt. Fest steht, dass er sich mit Klitschko chen Aufbau Ost. „Wir wehren uns“, sagt Amerika als Sparringspartner gebucht, kein offenes Gefecht erlauben kann: er, „der Osten hat gelernt zu kämpfen.“ aber das langt dem Trainer nicht. „Wenn ick mit dem knüppel, flieg ick um.“ Jetzt macht er sich an den Feinschliff. Gern hätte er noch einen Russen zum Andererseits ist auch beschlossen, dass es Vom Ozean weht ein frischer Wind durch Trainingskampf einbestellt, einen Spiel- so zaghaft wie früher nicht mehr weiter- das Schlafzimmerfenster von Axel Schulz. zeug-Klitschko gewissermaßen, „einen mit gehen kann. Insgeheim träumt Axel des- Der hat sich neben seinem Trainer auf dem Führhand, der die Linke richtich feuert“. halb vom K. o. Bett niedergelassen und studiert den kom- Das Geschäft mit Sparrings- menden Gegner auf dem partnern, zumal solchen aus Videoband. Also jetzt mal Russland, ist allerdings ganz ruhig, meint Wolke schwer kalkulierbar. Vor schließlich, man muss diesen kurzem noch hatte Sauer- Ukrainer auch mal „janz land einen am Haken. Je- sachlich auseinander pflü- doch: „Weißt du noch, Man- cken, nich’ wahr“. fred? Da haben wir am einen Dann ziehen sie hinüber Tag noch drüber geredet, ins Nachbarhaus, um die Er- und am anderen Tag saß der kenntnisse zur praktischen schon im Knast.“ Anwendung zu bringen. Ohne Zweifel ist es so, Hier ist eine kleine Boxhal- dass Axels Aufpassern die- le eingerichtet worden, und ser Kampf ganz und gar am Sandsack zeigt sich, dass nicht behagt. Er kommt ih- die Vorstellungen zur „Her- nen entschieden zu früh – angehensweise“ noch weit der eigene Mann hat wegen auseinander driften. seiner Anfälligkeit für Ver- Der Sandsack ist der letzungen und Krankheiten Ersatz-Klitschko. Schulz

ein Jahr lang keinen Fight H. FRANKENFELD / VISUM pumpt den Brustkorb auf mehr gehabt. Da wäre es Boxer Schulz, Trainer Wolke in Südafrika: „Wie ein deutschet Wunder“ und keult hungrig auf ihn vernünftiger gewesen, „zur ein. Es sieht danach aus, als Wiederaufnahme der Wettkampftätig- Zu schön, wenn der andere endlich am habe er sich die Sache mit dem K. o. noch keit“, wie Wolke das nennt, erst mal gegen Boden liegt – „geilet Jefühl“. Er kennt das nicht aus dem Kopf geschlagen. Da be- einen richtigen Hasenfuß anzutreten. Den aus dem einen oder anderen Sparrings- kommt Wolkes Stimme etwas Metallisches. Klitschko, sagt Wolke, „hätt’ ich schreien gefecht, nur in großen Kämpfen will ihm „Ruhich, Axel. Lass ihn machen. Vertei- lassen bis zum Jüngsten Tag“. das partout nicht glücken. digung. Die Beine sind det A und O. Nutz Aber der Junge musste ja unbedingt. Schulz hat diese Form der Kampfes- sie ooch zur Flucht.“ Axel Schulz hat sich vorgenommen, end- führung nie gelernt. Er ist kein amerikani- „Aber denn krieg ick ihn nich’ hin, lich richtig groß und stark zu werden. sches Ghettokind, das boxt, um zu überle- Trainer.“ Die Alternative wäre nämlich, dass er ben. Er kam als Elfjähriger in die Fürsten- „Florett,Axel, Florett. Und denn wieder mit dem Ruf des ewig Zerbeulten alt wer- walder Betriebssportgemeinschaft, wo einijeln.“ den müsste. Er wäre dann Deutschlands Boxen als Art der Leibesertüchtigung nach Flink zu Fuß muss Axel sein, meint Wol- bestbezahlter Verlierer: Schulz hat ein ge- sozialistischem Verständnis gelehrt wurde. ke, dann kommt der magische Moment von schätztes Vermögen von fünf Millionen Das hat er nun mal drin, und weit und breit ganz allein: „Irjendwann stehst du vor ihm Mark, er betreibt mittlerweile sechs Läden, ist keiner in Sicht, der ihn zu dem erziehen wie ein deutschet Wunder.“ zwei für Klamotten, vier für Mobiltelefone, würde, was eigentlich sein Job wäre: kühl Es ist ja auch noch etwas hin. Auf dem und für den Kampf gegen Klitschko kriegt und konsequent zuzuschlagen. Rückweg vom Diner im „The Cellars-Ho- er noch mal drei Millionen, so oder so. Von Manfred Wolke, der im Armee- henort“ treibt Axel Schulz einen gemiete- Aber er will mehr. „Ick brauch det“, sagt sportclub Frankfurt (Oder) zu Ruhm kam, ten Toyota durch die Nacht. Es scheint, als Schulz. Zwar ist das „Risiko zu verlieren steht die Wende schon gar nicht zu erwar- quälten ihn die widerstreitenden Gedan- groß“, das weiß er selber. Und wenn schon: ten. In vorangegangenen Kämpfen sekun- ken zwischen Florett und K. o., jedenfalls „Eigentlich passiert ja nüscht.“ Ob er drei- dierte er seinen Mann immer eher wie ei- schweigt er. mal die Hucke voll kriegt oder viermal, ist ner, der einen nervösen Gaul zur Räson Da meldet sich Manfred Wolke aus dem in der Tat nicht mehr kriegsentscheidend; bringen will: „Ruhich, Axel, et läuft!“ Fond zu Wort. Fast drei Wochen, sagt er, so aber hat er wenigstens Mumm bewiesen, Der kleine, zähe Mann hatte als Trainer seien jetzt um, da müsse Platz geschaffen und wer sagt eigentlich, dass er das Ding von Maske seinen Zenit erreicht, jetzt werden für andere Gedanken. „Axel, wie nicht vielleicht doch noch hinbiegt? guckt er in eine trübe Zukunft. Im heimi- wär et morgen mal mit Eintopf?“ Die Frage ist nur: Wie denn um alles in schen Camp auf einem Güterbahnhof hart Kurz vor dem Schlafengehen schlagen der Welt? Axel Schulz hat sich vom Fern- an der polnischen Grenze arbeiten gerade die Herzen von Trainer und Boxer wieder sehprogramm gelöst und eine Zwi- noch zwei Athleten – Danilo Häußler, ein im Takt.Axel wünscht sich Kartoffelsuppe schenmahlzeit bestellt: „Do you have a ba- Mann, den keiner kennt, und eben Schulz. mit Würstcheneinlage. Matthias Geyer

134 der spiegel 35/1999