Blickpunkt Hessen 25

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Blickpunkt Hessen 25 Hessische Landeszentrale für politische Bildung Blickpunkt Hessen Walter Mühlhausen Revolution über Hessen – Demokratie- gründung 1918/19 Nr. 25 / 2018 Revolution über Hessen – Demokratiegründung 1918/19 Verfasser: PROF. DR. WALTER MÜHLHAUSEN (geb. 1956 in Eichenberg/Nordhessen), Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstät- te in Heidelberg. Er lehrt nebenberufl ich als apl. Professor an der Technischen Uni- versität Darmstadt und ist unter anderem Mitglied der Kommission für Politische und Parlamentarische Geschichte des Landes Hessen beim Hessischen Landtag. Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der HLZ dar. Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autoren die Verantwortung. Blickpunkt Hessen In dieser Reihe werden gesellschaftspolitische Themen als Kurzinformationen aufgegriffen. Zur Themenpalette gehören Portraits bedeutender hessischer Persönlichkeiten, hessische Geschichte sowie die Entwicklung von Politik und Kultur. Die Schriftenreihe „Blickpunkt Hessen“ erscheint als Eigenpublikation der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Taunusstraße 4–6, 65183 Wiesbaden Herausgeberin: Angelika Röming Gestaltung: G·S Grafi k & Satz GbR, Wiesbaden, www.grafi ksatz.de Druck: mww.druck und so GmbH, Mainz-Kastel Erscheinungsdatum: Mai 2018 Aufl age: 2.000 ISSN: 1612-0825 ISBN: 978-3-943192-45-2 Bildnachweis: Archiv der sozialen Demokratie, Bonn: S. 13 (6/FOT A 119801), S. 22 (6/FOT B 002610) Historisches Museum der Stadt Frankfurt a. M.: S. 18, S. 30 (Repros: Horst Ziegenfusz) Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M.: S. 2, S. 10, S. 20 Medienzentrum Hanau – Bildarchiv: S. 29 Stadtarchiv Darmstadt: S. 4, S. 8 (jeweils ST 53) Stadtarchiv Kassel: S. 14 (0.552.296, Fotograf: Carl Eberth) Stadtarchiv Oberursel: Umschlag/S. 9 (Slg. III 35_1) Stadtarchiv Wetzlar: S. 24 (Sammlung Plakate: Erster Weltkrieg), S. 25 (Sammlung Fotos: Ereignisse) Revolution über Hessen – Demokratiegründung 1918/19 „Revolution!“ schlagzeilte der „Hes- französische Zone und somit an sische Volksfreund“, die Zeitung der das später gegründete Land Rhein- Darmstädter SPD, am 8. November land-Pfalz wie das einstmals zu 1918.1 Die wenige Tage zuvor von Hessen-Darmstadt zählende links- den revoltierenden Matrosen der rheinische Rheinhessen und vier Kriegsmarine an Nord- und Ostsee nassauische Kreise rechts des entfachte, von der kriegsmüden, Rheins, die in der nachfolgenden ausgehungerten und demoralisier- Betrachtung keine Berücksichti- ten Bevölkerung durch das Land gung fi nden. getragene revolutionäre Fackel Im nunmehr fünften Kriegsjahr, loderte nun auch in den hessischen nachdem von der militärischen Gebie ten. Ausgangspunkt war die Führung Ende September 1918 die Meuterei in den Marinestützpunkten Niederlage eingestanden worden der Nord- und Ostsee, wo sich die war, brach sich eine nach Frieden, Marinesoldaten gegen den Befehl Freiheit und Brot sehnende Um- der Seekriegsleitung stellten, zu sturzbewegung Bahn. Eine der ein- einem letzten Gefecht, das den si- drucksvollsten Kundgebungen fand cheren Untergang bedeutet hätte, am Nachmittag des 8. November auszulaufen. in Offenbach statt, wo mehrere Das heutige Hessen umfasste zu Tausend ihre Arbeit niederlegten diesem Zeitpunkt, am Ende des und auf dem Alice-Platz zusammen- Ersten Weltkriegs, Gebiete vier strömten, um unter sozialdemokra- unterschiedlicher Territorien: tischer Führung Waffenruhe und die zum dominierenden größten Demokratie zu fordern.2 Selbst in Flächenstaat Preußen gehörende kleineren Städten artikulierte sich Provinz Hessen-Nassau mit der Protest: In Oberursel gingen am Hauptstadt Kassel, unterteilt in die gleichen Tag 1.000 Arbeiter einer Regierungsbezirke Kassel (vormals Motorenfabrik auf die Straße und Kurhessen) und Wiesbaden (vor- verlangten eine bessere Versorgung mals Nassau), das Großherzog- und eine Änderung der politischen tum Hessen(-Darmstadt) sowie das Verhältnisse: Es ging ihnen um die halbsouveräne, aufgrund eines Republik.3 In der Heimat und an der Akzessionsvertrages in preußischer Front griff immer mehr Kriegsver- Abhängigkeit stehende Fürsten- drossenheit um sich, getragen von tum Waldeck-Pyrmont und den der Erkenntnis, dass der Frie den zur preußischen Rheinprovinz zu- nicht mit denen erreicht werden gehörigen Kreis Wetzlar, der konnte, die Deutschland im August 1932 zu Hessen-Nassau kam. Das 1914 sehenden Auges leichtfer tig in sind im Wesentlichen die Teile, den Weltenbrand geführt hatten. aus denen 1945 das Land Groß- Das alte Reich brach im revolutio- Hessen geschaffen werden sollte, nären Sturm wie ein Kartenhaus zu- unter Verlust von Gebieten an die sammen. Blickpunkt Hessen – Revolution über Hessen 1 Nicht alle erkannten die Zeichen glaube. In den Nachmittagsstun den der Zeit: Am 8. November ging des 8. November trafen sich in der Landtag im Großherzogtum Darmstadt politische und militäri- Hessen noch mit der Zuversicht aus- sche Vertreter zu einer Besprechung einander, sich am 12. November über die Lage, der auch Großher- wieder zu versammeln.4 Ein Irr- zog Ernst Ludwig beiwohnte, der Der Aufruf des von der USPD gebildeten provisorischen Aktionskomitees in Frankfurt vom Morgen des 9. November 1918 verkündet: „Der große Wellenschlag der Völkerbefreiung hat auch Frankfurt erfasst.“ 2 Blickpunkt Hessen – Revolution über Hessen es – in Verkennung der Zuspitzung wurde Reichskanzler; sein Mitvor- der Situation – erst einen Tag zuvor sitzender, der gebürtige Kasseläner für notwendig erachtet hatte, aus Philipp Scheidemann, rief von einem Schloss Wolfsgarten in der Nähe Balkon des Reichstages die Republik von Langen in die Landeshaupt- aus und versetzte damit der bereits stadt zurückzukehren. Bei dieser auf dem Totenbett aufgebahrten Zusammenkunft skizzierte der Monarchie den fi nalen Stoß. Gewerkschaftsfunktionär und Der Systemwechsel vollzog sich SPD-Stadtverordnete Heinrich wie in Berlin auch in Hessen ohne Delp die Stimmung innerhalb der größere Kämpfe und Verwerfungen: Arbeiterschaft als ruhig und be- „[Es] hat jetzt bei uns eine große Um- sonnen und der Stadtkommandant wälzung stattgefunden […]. Deutsch- malte das Bild von Disziplin und 5 land ist kein Kaiserreich mehr, es ist Ordnung in den Kasernen. Eine mit einem Schlag demokratisiert. eklatante Fehleinschätzung. Denn […] es verläuft alles ruhig und ohne kurz darauf traf die Nachricht ein, Blutvergießen“, schrieb ein Gries- dass auf dem Truppenübungs- heimer am 10. November 1918 platz in Griesheim vor den Toren seinem Sohn an der Front, ohne das Darmstadts die dort stationierten Wort „Revolution“ zu gebrauchen.8 Reserveeinheiten einen Soldatenrat Aber es war eine. Und der Krieg gebildet hatten. Von Griesheim, der endete. Am 11. November wurde „Keimzelle der Revolution“ im Groß- der Waffenstillstand unterzeichnet. herzogtum6, griff die Revolte rasch auf die Darmstädter Garnison über. An diesem Tag verstarb der letzte Am Abend wollten Soldaten das Kriegstote aus Hanau in einem Neue Palais stürmen und den Groß- Lazarett in Ratzeburg, wo er seinen im Mai des Jahres auf der Krim er- herzog festsetzen, was Delp mit 9 einer Beschwichtigungsrede gerade haltenen Verwundungen erlag. noch zu verhindern wusste. Das Ende der Monarchie stand un- mittelbar bevor. Der 9. November 1. Zu spät: Reformen sollte den Systemwechsel bringen, im Reich und in Hessen denn es war keineswegs nur eine „Massenkomödie, ausgeführt von Die Erosion der Heimatfront ab dummen Jungens“, wie der Direktor dem Jahreswechsel 1916/17 wurde des Frankfurter Lebensmittelamtes durch den Unwillen der Regierung in totaler Verkennung von Wucht zu demokratischen Reformen, wie und Breite der revolutionären Be- sie vor allem die SPD forderte, zu- wegung am 9. November 1918 in sätzlich angefacht. Denn zu mehr sein Tagebuch schrieb.7 Dieser Tag als unverbindlichen Absichts- beendete das deutsche Kaiserreich erklärungen war der Kaiser nicht nach fast 48 Jahren – unumkehrbar. zu bewegen. Die hessische Sozial- Die zentralen Entscheidungen demokratie unternahm Ende April fi elen in Berlin. Der letzte kaiser- 1917 im darmstädtischen Landtag liche Reichskanzler Prinz Max von einen Vorstoß zur Einführung des Baden verkündete eigenmächtig allgemeinen und gleichen Wahl- die Abdankung des sich lange rechts und fand hierin die Unter- sträubenden Kaiser Wilhelm II.; der stützung der liberalen Fortschritts- SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert partei. Wie auch auf Reichsebene, Blickpunkt Hessen – Revolution über Hessen 3 wo sich Zentrum, Liberale und großen Streiks in den Berliner Sozialdemokraten im Juli 1917 zum Muniti onsbetrieben ausgehende Interfraktionellen Ausschuss als Signal erreichte auch die Provinz. einem informellen Kooperations- Etwa 10.000 Arbeiter traten in Kas- gremium zusammenfanden und sel in den kurzfristigen Ausstand ihre Politik – wenn auch ohne große und brachten in zahlreichen Ver- Durchschlagskraft – abstimmten, so sammlungen ihre Friedenssehnsucht brach auch im Hessischen die Front- zum Ausdruck.10 Die Streiks vom Ja- stellung der bürgerlichen Parteien nuar 1918 waren Ausfl uss sich ver- gegenüber den Sozialdemokraten schärfender Klassenspannungen auf, die man in der Vorkriegszeit als und Vorboten der Revolution zehn Landesverräter ausgegrenzt hatte. Monate später, als sich Unmut und Im Oktober 1917 erfolgte die Ein- Friedensdrang endgültig Bahn bra- setzung eines von allen Fraktionen chen, denn Durchhalteparolen und des großherzoglichen Landtages Verherrlichung des Massensterbens beschickten 14-köpfi gen Ver- als „Heldentod für das Vaterland“ er- fassungsausschusses. Aber dieser reichten
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