in Wien

Bearbeitet von Günther Berger

1. Auflage 2012. Buch. 272 S. Hardcover ISBN 978 3 631 63026 6 Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 450 g

Weitere Fachgebiete > Musik, Darstellende Künste, Film > Musikwissenschaft Allgemein > Einzelne Komponisten und Musiker Zu Inhaltsverzeichnis

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Giuseppe Verdi und das Risorgimento

1847 erzielten die liberalen Bewegungen in Mitteleuropa Fortschritte. In Folge der verschlechternden Wirtschaftslage kam es vor allem in den Arbeiterstädten der Monarchie zu Demonstrationen. In Ungarn und Böhmen wurde der Ruf nach weitgehender nationaler Selbständigkeit und eigener Verfassung laut. In Italien erhob sich die Forderung nach einem eigenen Nationalstaat. Metternich wehrte ab: „Italien ist ein geographischer Begriff“. Giuseppe Verdi trat 1847 in Kontakt mit italienischen Politikern, die Befreiung von jeder Fremdherrschaft und Eini- gung Italiens wünschten. Der mit Giuseppe Verdi befreundete Dichter Giuseppe Giusti war enttäuscht, daß Verdi statt eines patriotischen Dramas „Macbeth“ vertont hat. Verdi stimmte ihm in einem Brief vom 27. 3. 1847 zu und bedauerte, daß es Italien an einem Dichter mangelte, der solch ein Drama verfassen konnte.77 21 seiner 28 Opern beruhen auf ausländischen Vorlagen. Noch am 25. 2. 1854 schrieb Giuseppe Verdi an Giuseppina Gräfin Appiani:

„Der Künstler muß sich seiner Inspiration hingeben und wenn er wahres Talent hat, fühlt und versteht niemand besser als er, was gut für ihn ist. Ich würde mit der größten Sicherheit ein Sujet vertonen, wenn es mir zusagt, auch wenn es von allen anderen Künstlern als nicht komponierbar abgelehnt würde.“78

Von Italien ging der Beginn der Revolution von 1848 aus. Zu den sonst in Europa erhobenen Forderungen nach Konstitution, Pressefreiheit und Aner- kennung der politischen Mündigkeit der Bürger kam in Italien und Deutschland das Bestreben nach Nationsbildung. Ein Italien von Sizilien bis zum Brenner erschien möglich, sollte jedoch aus eigener Kraft entstehen („Italia faró da se!“). Am 1. Jänner des Jahres 1848 gab es Erhebungen im Königreich Lombardo- Venetien (insbesondere in Mailand, Brescia und Padua). Der General- kommandant Generalfeldmarschall Johann Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz (2. 11. 1766 Schloß Trebnitz – 5. 1. 1858 Villa Reale, Mailand) wurde mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragt. Daraufhin stellte sich König Carlo Alberto von Sardinien-Piemont (2. 10. 1798 Turin – 28. 8. 1849 Porto/ Portugal) aus der Nebenlinie Savoyen-Carignan an die Spitze der revolutionären Bewegung und rief zum Kampf gegen Habsburg auf. König Karl Albert von Sardinien-Piemont gab seinem Land am 4. März 1848 die freiheitliche Ver- fassung „Statuto Albertino“, welche in Italien bis 1946 in Kraft blieb. Am 22. Februar 1848 wurde über das Königreich Lombardo-Venetien der Kriegszustand verhängt. Am 23. Februar 1848 brach auch in Frankreich die Revolution aus, die zur Absetzung von König Louis Philippe I.er führte. Der drohende Sturz der Monarchie in Österreich veranlasste Erzherzog Ludwig Josef (13. 12. 1784 Florenz – 21. 12. 1864 Wien), der seit Dezember 1836 mit seinem Neffen Erzherzog Franz Carl Joseph (7. 2. 1802 Wien – 8. 3. 1878

42 Wien), Metternich und Franz Anton Graf Kolowrat als Staatsrat die Regierungs- geschäfte für Kaiser Ferdinand I. führte, den als Symbol der Unterdrückung geltenden Staatskanzler Metternich in den Abendstunden des 13. März 1848 zum Rücktritt aufzufordern. Nachdem Metternich der Kaiserin Maria Anna (19. 9. 1803 Rom – 4. 5. 1884 Prag), der Tochter von Vittorio Emanuele I. von Sardinien-Piemont, riet, dem von ihrer Schwägerin Erzherzogin Sophie aus- gehenden Wunsch nach Thronverzicht zugunsten deren ältesten Sohn Franz Joseph Karl (18. 8. 1830 Schönbrunn – 21. 11. 1916 Schönbrunn) nicht zuzu- stimmen, floh er noch am selben Abend mit seiner Gattin nach London ins Exil.

Die Nachricht vom Sturz Metternichs wurde begeistert gefeiert. Studenten und Bürger konnten die Ruhe nur mühsam wiederherstellen. Am 14. März 1848 versprach Kaiser Ferdinand I. den Bürgern, sie bei der Ausarbeitung einer Verfassung zu beteiligen.

Im Lombardo-Venetischen Königreich vertraten 70.000 Mann mit 150 Kanonen die Interessen der österreichischen Regierung. Die am 17. 3. 1848 in Venedig begonnenen Unruhen konnten zunächst unterbunden werden. Als jedoch Oberst Marinovich ermordet und Vizeadmiral A. St. Ritter von Martini gefangenge- nommen wurde, übergaben der Militärkommandant Graf Zichy von Vasonykeö und Gouverneur Alois Graf Pálffy, um Blutvergießen zu verhindern, die Militär- und Zivilgewalt Venedigs den Aufständischen. Dafür wurden die beiden vor Gericht gestellt. Graf Zichy von Vasonykeö wurde 1849 zu zehnjähriger Festungshaft verurteilt, jedoch 1851 vom Kaiser begnadigt. Als bekannter Feinschmecker weckte der Graf seinen Koch auch nachts, um einen Leckerbissen zubereitet zu bekommen, „zu welchem er selbst in süßer und erquickender Muße des Bettes das Rezept entdeckt hatte.“79

Am 18. März 1848 begannen in Mailand „Le cinque giornate“ bei welchen Generalfeldmarschall Johann Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz am 22. März 1848 mit seinen Truppen durch die Porta Tosa vertrieben wurde, die seit damals Porta Vittoria heißt. (1895 wurde ein Denkmal von Giuseppe Grandi in Form eines Bronzeobelisken auf hohem Sockel mit weiblichen Figuren, welche die fünf Großkampftage symbolisieren, eingeweiht.) Als Giuseppe Verdi in Paris von den „cinque giornate“ hörte, fuhr er nach Mailand. Während seines Aufenthaltes kaufte er von den Herren Merli das Landgut Sant´ Agata Villanova sull`Adria, wo er seine Eltern einquartierte und den Palazzo Orlandi in Busseto für sich. Nachdem Carlo Alberto König von Sardinien und Piemont Venedig befreit hatte, gelang es Daniele Manin (13. 5. 1804 Venedig – 22. 9. 1857 Paris) das Arsenal zu besetzen und für siebzehn Monate bis zum 30. August 1849 Präsident der Republik von San Marco zu sein.

43 Die Herzöge von Parma und Modena sowie der Großherzog der Toskana mußten sich ins Ausland begeben. Am 25. März 1848 erklärte König Karl Albert von Sardinien-Piemont Österreich den Krieg und ließ seine Truppen in die Lombardei einmarschieren.

Am 5. April 1848 war Verdi wieder in Mailand. Bereits Anfang Mai kam es in Wien zu Demonstrationen gegen die neue oktroyierte Verfassung, die zwar gegenüber der Ära Metternich erhebliche Fortschritte brachte, aber dennoch als undemokratisch empfunden wurde. Die sich in den Straßen Wiens ausdehnenden Kämpfe veranlassten den Kaiser das allgemeine und freie Wahlrecht sowie eine neue Verfassung zu bewilligen. Am 17. Mai 1848 floh die kaiserliche Familie nach Innsbruck, damit die – nach Meinung des Kaisers – durch Studenten und in die Irre geleitete Bürger verursachten verworrenen Verhältnisse unblutig gelöst werden könnten.

Nach anfänglichen Erfolgen wurden die Truppen von König Karl Albert von Sardinien-Piemont über den Mincio zurückgedrängt und vom 23. – 25. Juli 1848 bei Custoza von Radetzkys Armee entscheidend besiegt. Nach Abschluß des Waffenstillstandes von Salasca konnte Generalfeldmarschall Johann Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz am 6. August 1848 wieder in Mailand einziehen. Auch die Herzöge von Parma und von Modena sowie der Großherzog der Toskana konnten wieder in ihre Residenzen zurückkehren. Kaiser Ferdinand I. kehrte mit seinem Hof am 12. August 1848 von Innsbruck nach Wien zurück und feierte am nächsten Tag einen Dankgottesdienst in der Dom- und Metropolitankirche St. Stephan.

Verdi war nach Paris zurückgekehrt. Auf der Rückreise hatte er umso be- geisterter auf den Vorschlag des Hausdichters des Teatro San Carlo, Salvadore Cammarano, eine Oper über den Sieg des Lombardenbundes über Kaiser Friedrich I. Barbarossa bei 1176 zu machen, geantwortet, als Legnano nunmehr unter österreichischer Fremdherrschaft stand. Cammarano orientierte sich beim Libretto an Joseph Mérys „La Bataille de Toulouse“ (1828).80 Da das Teatro San Carlo in Neapel Giuseppe Verdi kein Libretto sandte, erklärte dieser am 24. 8. 1848 in einem Brief an den inzwischen wegen Unfähigkeit entlassenen Coimpresario Edoardo Guillaume seinen Vertrag für null und nichtig. Verdi unterzeichnete eine Petition an den Oberbefehlshaber der französischen Armee, Italien im Kampf gegen Österreich beizustehen, was aber wegen der in Frankreich ausgebrochenen Unruhen nicht möglich war. Auf Ersuchen des zu Giuseppe Garibaldi gezogenen Freiheitskämpfers Giuseppe Mazzini81 komponierte Giuseppe Verdi die patriotische Kantate „Suona la tromba“ auf Worte Goffredi Mamelis 81a. Am 18. 10 1848 sandte Verdi die Komposition Mazzini und wünschte: „diese Hymne möge unter Kanonenmusik bald in den

44 lombardischen Ebenen gesungen werden.“82 Am 25. Oktober 1848 wurde die Oper „Il corsaro“ im Teatro Grande in Triest erstaufgeführt. Ende des Jahres 1848 hatte Giuseppe Verdi die Oper „“ fertig kompo- niert. Der Verleger Giovanni Ricordi wählte das Teatro Argentina in Rom als Uraufführungsort. Rom hatte zwar nicht unmittelbar unter der österreichischen Fremdherrschaft zu leiden, aber im November 1848 wurde Graf Pellegrino Rossi von Republikanern ermordet, weil er wie Papst Pius IX. eine Allianz mit der Lombardei gegen Österreich verweigerte. Papst Pius IX. wurde zwei Tage im Quirinal belagert und konnte nur mit Hilfe befreundeter Diplomaten als Priester verkleidet nach Gaëta fliehen. Bei den in seiner Abwesenheit abgehaltenen Wahlen siegten die Republikaner. Die Direktion des Teatro Argentina gab sich arrogant, der Spesenersatz von 1000 Francs deckte nicht einmal die Reisekosten Verdis von Paris nach Rom, dennoch kam er schließlich zur Uraufführung der Oper „La battaglia di Legnano“ am 27. Jänner 1849. Bereits die ersten Worte des Eröffnungschores „Viva Italia! Sacro un patto! Tutti stringe i figli suor“ („Es lebe Italien! Ein heiliger Pakt! Vereint all seine Söhne“) riefen tosenden Jubel hervor. Der gesamte 4. Akt mußte auch bei den Folgevorstellungen wiederholt werden. Die Hauptrollen wurden von der Sopranistin Teresa De Giuli Borsi (1817 Mondovi – 1877 Neapel), dem Tenor Gaëtano Fraschini und dem Bariton Filippo Col(l)ini (1811 Rom – Mai 1863) gesungen. „La battaglia di Legnano“ ist Giuseppe Verdis einzige anlaßbezogene „politische“ Oper. Das außergewöhnlich bühnenwirksame Frühwerk wurde von Verdi hochgeschätzt, von den Opernhäusern jedoch seltsamerweise nur als Gelegen- heitskomposition betrachtet. Aufführungen fanden unter anderem in Turin und Piacenza (1859), Ferrara, Parma, Cagliari, Messina (1860) und Mailand (1861) statt. 1855 wurde diese Oper in Oporto und 1858 in Korfu als „L´assedio di Arlem“ („Die Belagerung von Harlem“, in die Zeit der spanischen Besetzung Hollands im 16. Jahrhundert versetzt) aufgeführt, 1859 in Lugo als „Alderamo ovvero L´ assedio di Granada“ („Alderamo oder die Belagerung von Granada“). 1860 stand in Parma am Theaterplakat „La sconfitta degli Austriaca“ („Die Niederlage der Öster- reicher“). Verdis hohe finanzielle Forderungen zwangen seinen Verleger Ricordi, von den Theatern für das Aufführungsmaterial Preise zu verlangen, die sich diese meistens nicht leisten konnten. Schon am Tag nach der triumphalen Uraufführung der Oper „La battaglia di Legnano“ reiste der maestro della rivoluzione wieder nach Paris zurück und sorgte sich in vielen Briefen um die politische Zukunft Italiens. Am 9. 2. 1849 wurde die Römische Republik proklamiert. Am 17. März 1849 brach König Karl Albert von Sardinien-Piemont den Waffenstillstand mit Öster- reich und mußte nach den Siegen von Generalfeldmarschall Graf Radetzky bei Mortara (21. 3. 1849) und Novara (23. 3. 1849) zugunsten seines Sohnes ab- danken.

45 Die Impresa des Teatro San Carlo in Neapel klagte, daß Salvadore Cammarano versäumt hatte, rechtzeitig ein neues Libretto für Verdi vorzulegen. Um Salvadore Cammarano, den Vater von sechs Kindern, vor einem Gerichtsver- fahren zu bewahren, erklärte sich Giuseppe Verdi auf dessen Bitte hin bereit, seinen im August 1848 gelösten Vertrag doch zu erfüllen und für das Teatro San Carlo in Neapel eine Oper zu komponieren.83 Das als „Maria de´ Ricci“ eingereichte Projekt nach dem historischen Roman über das Ende der florenti- nischen Republik, „L` assedio di Firenze“ von Francesco Domenico Guerrazzi, scheiterte an Francesco Maria Piaves Militärdienst in Venedig und am Verbot der Zensur. Cammarano schlug am 14. 4. 1849 „Amore e raggiro“84 vor, das Giuseppe Verdi in der getreuen französischen Fassung „Intrigue et amour“ von Alexandre Dumas kannte. Am 3. 5. 1849 sandte Salvadore Cammarano Verdi die Gliederung der Oper „Eloisa Miller“, die beim Komponisten zahlreiche Änderungswünsche hervorrief. Am 2. Juli 1849 eroberten die Truppen des Prinz- Präsidenten Louis Napoléon (III.) Rom. Papst Pius IX. kehrte aus Gaëta zurück und regierte drückender als je zuvor. Verdi schrieb einem römischen Freund:

„Du kannst Dir wohl vorstellen, daß die Katastrophe von Rom mich auf das schwerste bedrückt. Aber reden wir nicht von Rom! Es hülfe ja doch nichts! Noch herrscht die Gewalt in der Welt! Die Gerechtigkeit? Was will sie gegen Bajonette ausrichten! Wir können nur unser Unglück beweinen und die Urheber allen Unheils verfluchen!“85

Am 13. August 1849 erhielt Giuseppe Verdi das fertige Libretto „“, das er nach zahlreichen Kompositionsentwürfen in Paris in wenigen Wochen vertonte.

Am 8. September 1849 zog Giuseppina Strepponi zu Giuseppe Verdi in den Palazzo Dordoni-Cavalli in Busseto.86 Verdi hatte Giuseppina Strepponi seit der Premiere von „Nabucodonosor“ lieb gewonnen. Die Bewohner Bussetos kritisierten die wilde Ehe, selbst sein Giuseppina (in Florenz und später in Paris) zugeneigter Schwiegervater Antonio Barezzi wünschte eine Legalisierung dieser Beziehung. Giuseppina getraute sich nur ganz früh morgens zur Messe zu gehen.

Von Busseto aus schlug Verdi dem Impresario Vincenzio Flauto noch Victor Hugos „Le Roi s´amuse“ als Opernstoff vor. Im Oktober 1849 reiste er mit Antonio Barezzi nach Neapel, geriet aber wegen einer Cholera-Epidemie in Rom in Quarantäne. In Rom erreichte ihn am 17. 10. 1849 ein Brief Cammaranos, in dem ihm dieser mitteilte, daß der für die Premiere von „Luisa Miller“ vorgesehene Tenor Geremia Bettini87 wegen schlechter Leistungen gekündigt wurde und die finanzielle Situation des Teatro San Carlo angespannt sei. Als Giuseppe Verdi daraufhin am 1. 11. 1849 eine Garantie von 3000 Dukaten verlangte ohne die er den Vertrag mit

46 dem Theater auflösen wollte, drohte ihm der dem Direktorium angehörende Herzog von Ventignano mit Verhaftung, falls er ohne Genehmigung der Regierung die Stadt verlassen würde. Verdi erklärte daraufhin, sich mit seiner Partitur an Bord eines der vor Neapel im Hafen liegenden französischen Kriegsschiffe begeben zu wollen und bekam die gewünschte Garantie. In der Freizeit besuchte er mit Barezzi Herculaneum, Pompeji, Pozzuoli und Ischia. Bei der nur mittelmäßig erfolgreichen Premiere der Oper „Luisa Miller“ am 8. Dezember 1849 gelang es dem Komponisten Vincenzo Capecelatro (1815–1874), dem der böse Blick nachgesagt wurde, auf die Bühne zum verehrten Maestro Verdi vorzudringen, worauf eine Kulisse umstürzte und diesen nur um Zentimeter verfehlte.

Die Zustimmung für diese Oper wuchs erst bei den Folgevorstellungen. Die Titelrolle sang Marietta Gazzaniga88, mit der Verdi auch in „“ und 1851 in „Rigoletto“ in Parma nicht zufrieden war. Bei der Erstaufführung der „Luisa Miller“ in der Mailänder Scala (26. 12. 1851) wurde im Zuschauerraum erstmals Gaslicht verwendet, wodurch die noch mit Öllampen illuminierte Bühne wie im Schatten lag.

Am 14. Dezember 1849 reiste Giuseppe Verdi von Neapel auf dem Seeweg nach Busseto. Obwohl Verdi wegen Theaterintrigen keine Oper mehr für Neapel komponierte, blieb er mit Salvadore Cammarano in Kontakt. Für „King Lear“ schien Cammarano Verdi nicht der richtige Librettist zu sein, dieses Projekt wurde später mit weiterentwickelt.

Höhepunkte des Opernschaffens der mittleren Zeit

Impresario Benjamin Lumley schlug Verdi 1850 vor, „The Tempest“ für London zu komponieren, woran damals allerdings gerade Jacques François Fromental Halévy arbeitete. Am 23. April 1850 stellte das Teatro La Fenice einen Vertrag für eine neue Oper für Februar 1851 aus, den Giuseppe Verdi fünf Tage später unterzeichnete. Möglicherweise hatte Verdi auch deshalb Interesse, neue abwechslungsreiche, gewagte Sujets mit neuen Formen gerade in Venedig auszuprobieren, weil er dort eine geheime Liebschaft hatte. Verdi wählte das seit 1844 ins Auge gefasste Drama „Le Roi s´amuse“ von Victor Hugo (1832 nach der ersten Aufführung verboten). Salvadore Cammarano lehnte ein Libretto ab.

Francesco Maria Piave prüfte Antonio García Gutiérrezs (5. 7. 1812 Chiclana de la Frontera, Cádiz – 6. 8. 1884 Madrid) im Jahre 1836 mit enormen Erfolg in Madrid uraufgeführtes Drama „El Trovador“ und „Kean“ von Alexandre Dumas pére auf ihre Eignung als Librettostoff. Im Juni 1850 bot Giulio Carcano, ein Freund Graf Andrea Maffeis, ein Hamlet-Libretto an, das Verdi aus Zeitmangel nicht wählen konnte.

47 Giuseppe Verdi hatte Ricordi bis Ende November 1850 eine neue Oper für eines der führenden Theater Italiens außer La Scala versprochen. Für eine neue Oper schlug Piave das in italienischer Übersetzung gesehene, im Februar 1848 in Paris aufgeführte Bühnenstück von Èmile Souvestre und Eugène Bourgeois „Le Pasteur, ou L` Évangile et le Foyer“, das den Ehebruch einer deutschen Pastoren- gattin behandelt, vor. Verdi war mit „Stiffelius“ einverstanden. Piave mußte die komplexe Vorlage reduzieren, Szenen und viele Figuren weglassen und sich gleichzeitig mit dem Verdi begeisternden „Le Roi s´amuse“ beschäftigen. Ende Juli 1850 bekam das Teatro La Fenice die ausständigen 30.000 österreichischen Lire Zuschuß, Anfang August tauchten Hinweise auf Probleme von „La Maledizione di Vallier“ mit der Zensur auf.

Im Oktober 1850 fuhr Verdi nach Bologna, um „Macbeth“ zu inszenieren. Bei einer „Luisa Miller“–Aufführung wurde er dort sechzehn Mal vor den Vorhang gerufen. Verdi bekam hundert Napoleondor, aber auch starke Magenschmerzen wegen Arbeitsüberlastung. Für den im Oktober vorliegenden Librettoentwurf „La Maledizione di Vallier“ zahlte Giovanni Ricordi Piave vertragsgemäß die erste Honorarhälfte von 500 österreichischen Lire. Für sich selbst vereinbarte Verdi 14.000 Francs und zusätzliche Rechte aus Verleih und Verkauf des Materials.

Im November weilte Verdi mit Piave in Triest zur Einstudierung von „Stiffelio“. Am 16. November 1850 wurde „Stiffelio“ mit teilweise erstklassigen Sängern im Teatro Grande in Triest uraufgeführt, allerdings wegen der Zensur ohne dritten Akt. Viele Nummern wurden beklatscht, und auch die Folgevorstellungen waren ausverkauft. Manche Besucher fanden die Musik „zu französisch“, andere störte das zeitgenössische Ambiente. Die Oper wurde in Rom und Florenz, dann in Venedig, Catania, Palermo, Neapel (als „Guglielmo Wellingrode“, Premier- minister eines deutschen Fürstentums im 15. Jahrhundert), in Barcelona (1856), auf Korfu und in Porto (1857) sowie in Malaga (1862) gespielt. Als die Mailänder Scala die Oper aufführen wollte, verlangte Verdi von Ricordi, daß die Original- fassung wiederhergestellt und seine Anweisungen genauestens ausgeführt werden. Die erste Aufführung am Teatro alla Scala erfolgte erst am 29. 3. 1995.

Mit der auf „Stiffelio“ folgenden Erfolgstrias (trilogia popolare, romantic trilogy, trilogie populaire) erreichten Giuseppe Verdis anni di galera ihren Höhepunkt. 1850 war Giuseppe Verdi bereits vermögend genug, um das Komponieren aufgeben zu können, wozu er sich aber doch nicht durchringen konnte.

„La Maledizione di Vallier“ wurde vom Signor Governatore Militare Cavalier de Gorzkowski wegen „abstoßender Immoralität und obszöner Trivialität“89

48 abgelehnt. Verdi hatte bereits einen großen Teil der Oper komponiert und gab Piave die Schuld. Es sei unmöglich, ein anderes Libretto noch im Winter zu vertonen. Piave verlegte den Schauplatz an den Hof eines Duca di Vendôme und strich in vorauseilendem Gehorsam den Buckel des Protagonisten sowie den Sack, in dem dessen Tochter stirbt. Verdi protestierte am 14. 12. 1850 beim Präsidenten des Teatro La Fenice, Carlo Marzari, der daraufhin und den Sekretär des Teatro, Guglielmo Brenna, nach Busseto sandte. Am 30. 12. 1850 vereinbarten Piave und Brenna mit Giuseppe Verdi, die Handlung vom französischen Hof an den eines der unabhängigen Herzöge von Burgund, der Normandie oder an einen Fürstenhof in Italien, höchstwahrscheinlich an den von Pier Luigi Farnese und in eine Zeit, die am schicklichsten und für den Erfolg der Szene am besten geeeignet ist, zu verlegen, die Gestalten des Dramas von Hugo beizubehalten, aber die Namen entsprechend der gewählten Situation und Epoche abzuändern, auf die Szene, in der sich Francesco (François Ier) entschließt, von einem in seinem Besitz befindlichen Schlüssel Gebrauch zu machen, um ins Zimmer der entführten Bianca einzudringen, unter allen Umständen zu verzichten. Zum zärtlichen Rendezvous in der Taverne von Magellona sollte der König oder Herzog durch eine Täuschung derjenigen Person eingeladen werden, die an Tribolettos Stelle treten würde, bezüglich des Sackes behielt sich Maestro Verdi jene Änderungen vor, die in der Praxis für notwendig erachtet würden. Da diese Änderungen zusätzliche Zeit erforderten, könne die Oper nicht vor 28. Februar oder 1. März in Szene gehen.90 Aus François Ier wurde ein Herzog von Mantua (wobei der Name der 1708 ausgestorbenen Gonzagas nicht erwähnt werden durfte), aus Triboulet (Tribo- letto, Narr von Louis XII und François Ier, der 1525 in Mailand gewesen war) Rigoletto, Blanche/Bianca wurde zu Gilda, Saltabadil zu Sparafucile, dessen Schwester Maguelonne/Magellona zu Maddalena, Cossè zu Cepriano bzw. Ceprano, Jean Marot zu Murullo, Monsieur de Saint-Vallier (Vater von Diane de Poitiers, der Mätresse von Henri II) zu Castiglione bzw. dann zu Monterone. Die Handlung wurde ins Mittelalter verlegt.

Im Jänner 1851 hatte Piave noch zahlreiche Änderungen für Verdi durch- zuführen. Salvadore Cammarano beschäftigte sich auf Verdis Wunsch damals bereits mit dem Drama von Antonio García Gutiérrez „El Trovador“. Am 19. 2. 1851 traf Verdi zur Probe und Instrumentierung der Oper „Rigoletto“ in Venedig ein. Im Februar 1851 kam es zur Aufführung von „Stiffelio“ in Venedig. Verdi reiste viel, um persönlich die Proben für Uraufführungen oder Wiederaufnahmen seiner Opern zu leiten.

Am 11. März 1851 wurde die Oper „Rigoletto“ im Teatro La Fenice mit trium- phalen Erfolg uraufgeführt. Bis zum Ende der Saison am 31. März 1851 wurde sie noch dreizehn Mal mit wachsender Begeisterung gespielt. Zwei Jahre später

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