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Die Genealogie der synthetischen Werkidee Zur Kulturgeschichte des Gesamtkunstwerks von der Renaissance bis zur Romantik

Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Fakultät für Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM

Vorgelegt von

Peter Machauer

Diese Studie wurde als Inaugural-Dissertation von der Fakultät für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum angenommen.

Gedruckt mit der Genehmingung der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum Referent: Prof. Dr. Guido Hiß Koreferentin: Prof. Dr. Monika Woitas Tag der mündlichen Prüfung: 15. Juli 2009

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INHALT 1

Einleitung 5

Schwerpunkte der Arbeit 5 Retrospektive auf einen disparaten Forschungsstand 6 Begriff des Gesamtkunstwerks 13 Dissoziative Krisenszenarien und ihre synthetischen Reflexe 16 Historische Orientierung und Untersuchungszeitraum 19 Formalia 20

Vorgeschichte des Gesamtkunstwerks 22

Präromantische Synthesetendenzen in der Renaissance 22

Renaissance und Romantik 22 Synthetische Strukturen in Renaissance und Manierismus 29

Barocke Gesamtkunsttendenzen 33

Synthetische Repräsentation 33 Integrale Entwürfe in Kunst und Architektur 35 Synthesetendenzen in Musik, Theater und Wissenschaft 37

Synthetische Ursprungsformen im Musiktheater 45

Erste Ansätze synthetischer Gestaltungen 45 Der Zusammenklang von Sprache und Musik 48 Das Musiktheater und die antike Tragödie 50 Ursprungsmythen 53

Erste musikdramatische Überwältigungsstrategien 59

Die Geburt der Oper um 1600 59 Die Bedeutung der Musik im frühen musikalischen Drama 62 Synthetische Variationen 64 Synthese von Musik und Drama in Monteverdis Spätwerk 65 Dissoziation der synthetischen Ursprungsformen 68

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Synthesen im Musiktheater des 18. Jahrhunderts 71

Barocke Dialektik von Oper und Musikdrama 71 Synthetische Aspekte der Opera seria 73 Opernrepräsentation: Tragédie lyrique und Opéra ballet 76

Das Musiktheater Georg Friedrich Händels 81

Händels reformierte Opera seria 81 Händels Musical drama 82

Synthetische Opernprogramme der Vorromantik 88

Präromantische Operntheorien der Encyclopédie 88 Die synthetische Opernreform Glucks und Calzabigis 91

Synthetische Aspekte der Wiener Klassik 97

Mozart und die romantische Rezeption 97 Mozarts Opernpoetologie 101 Beethoven und das Musikdrama 103

Ästhetische Prämissen des Gesamtkunstwerks 110

Wertewandel und Dissoziationsdiagnosen 110

Historische Zergliederungsszenarien 110 Dissoziationsbefunde im frühen 19. Jahrhundert 114 Weltverlorenheit und Subjektdissoziation 117

Ideengeschichtlicher Vorlauf ganzheitlicher Tendenzen 125

Ästhetische Synthesepositionen der literarischen Klassik 125 Synthesen in der klassischen Musik- und Theaterauffassung 129

Die Utopie vom Ganzen und Gesamten 138

Das Denken in ganzheitlichen Kategorien um 1800 138

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Philosophische Ganzheitskonstrukte 140 Gesamteuropäische Synthesetendenzen 145

Die romantische Theorie des Gesamtkunstwerks 148

Romantische Variationen ganzheitlicher Entwürfe 148

Synthetische Spielarten des Romantischen 148 Synthetische Landschafts- und Stadtkonzepte 152 Romantische Vernetzungen zwischen den Künsten 157

Poetologie der synthetischen Werkauffassung 163

Auflösung der Gattungspoetik und Entgrenzung der Form 163 Die romantische Ironie 165 Entwicklung, Diskontinuität, Zufall und Chaos 166 Fragment 168 Improvisation 172

Synthetische Programmdiskussionen 176

Philosophie des romantischen Gesamtkunstwerks 176 Romantische Universalität 180 Die Synthese der Kunstgattungen 183

Der Gesamtkünstler 186

Gesamtkunst und Gesamtkünstlertum 186 Der Gesamtkünstler im Musiktheater 188

Unendlichkeitskonzeptionen 194

Dialektik von Unendlichkeit und Begrenzung 194 Raum und Zeit 196

Synästhesie 200

Terminologische und physiologische Betrachtungen 200

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Präfigurationen synästhetischer Wahrnehmungen 201 Romantische Synästhesie 204

Synthetische Formen in der Literatur 212

Märchen 212 Mythopoetische Systeme 215

Synthese von Kunst und Religion 222

Philosophie einer Sakralisierung der Kunst 222 Ästhetische Kirche und Kunstreligion 224 Sakrale Wirkungsästhetik 229

Romantische Innenwelten 232

Perspektivische Erweiterung des Blickwinkels 232 Irrationalität 234 Romantische Musikästhetik 239 Mediale Phantasie 242 Kommunikationsbrüche und Vermittlungsdifferenzen 244 Medialer Wandel nach 1800 247

Ausblick 251

Literatur 253

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Einleitung

Schwerpunkte der Arbeit

Diese Studie widmet sich der Kulturgeschichte des Gesamtkunstwerks sowohl mit Blick auf theoretische und programmatische Entwürfe als auch hinsichtlich auf seine Realisie- rung im Musiktheater. Untersucht wird die Entwicklung synthetischer Formationen in ihren epochenspezifischen Bezügen von der Renaissance bis zur Romantik. Fluchtpunkt der hier entworfenen historischen Linie ist die Weiterentwicklung der synthetischen Werkidee im Kontext der romantischen Hoffnung auf die ästhetische Wiedergewinnung einer qua Aufklärung und Rationalisierung zerbrochenen Welteinheit. Erste Erscheinungsformen integrativer Konzepte lassen sich bereits in der Kultur der Renaissance ausmachen. Aus kunsthistorischer sowie wissenschaftstheoretischer Perspektive tradieren sich synthetische Entwürfe weiter in die repräsentative Inszenie- rungskultur von Barock und Rokoko. Ideengeschichtlich angedeutet wird der Gedanke einer Synthese der Künste in den ästhetischen Reflexionen der literarischen und philo- sophischen Aufklärung im späten 18. Jahrhundert. Daran schließt die Kunstbetrachtung des deutschen Idealismus sowie der deutschen Frühromantik an, die eine weitreichende Theorie sowie einen korrespondierenden künstlerischen Zugang zu einer integrativen Ästhetik erarbeitet. Mit der Romantik erreicht die Entwicklungsgeschichte des Denkens in ganzheitlichen Kategorien einen ersten Höhepunkt. Die Vision einer gesamtkünstleri- schen Rezentrierung der Welt intendiert auch eine soziale Utopie. Die mit dem syntheti- schen Kunstwerk verbundene universelle Hoffnung auf Sinnsetzung vermag das Ge- samtkunstwerk in der Kunst- und Kulturgeschichte bis ins 20. Jahrhundert hinein fort- zuschreiben u.a. als Programm der Substitution der Religion durch Kunst. War die ganzheitliche Ästhetik im Zeichen der romantischen Utopie und in der Gestalt des romantischen Musikdramas ein Novum, so lässt sich die Linie zumindest formgeschichtlich bis zur Entstehungszeit der Oper um 1600 zurück verfolgen. Schon die ersten bedeutenden Opernreformen reagieren auf die formalen Ausdifferenzierungen der Gattung. Mit der großen Opernreform Glucks und Calzabigis Mitte des 18. Jahrhun- derts beginnt sich in der Oper alles zum Dramatischen, zum Drama hinzudrängen und damit zu einem ganzheitlichen Wirkungsanspruch. Erste Versuche einer Totalisierung von Einzelelementen zu einem übergeordneten Ganzen bringen unzählige Spielarten hervor: gegenreformatorische Großveranstaltungen, die fürstliche Installation frühbaro- cker Wunderkammern, deren Ergänzung im Jahrmarktspektakel1, die minutiös ausba- lancierte Inszenierung von Fürstenfesten oder Revolutionsfeiern, die enzyklopädische

1 Christoph Türcke: Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation. München 2002. S. 95f.

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Dokumentation und Inventarisierung von Wissensbeständen, die Reformoper des 18. Jahrhunderts, das romantische Musikdrama sowie das Bühnenweihfestspiel Richard Wagners. Das Zentrum dieser Genealogie bildet die romantische Synthesetheorie und, dar- aus resultierend, das deutsche romantische Musikdrama. Dieser operngeschichtliche Sonderweg markiert nichts weniger als „die epochale Verschiebung des Theaterbegriffs vom Dramatischen zum Integralen“2 und erscheint als die theoretisch evidente und zu- gleich historisch konsequente Erfüllung des frühromantischen bzw. idealphilosophi- schen Syntheseprojekts. Die Bühne des romantischen Musiktheaters wird zum exempla- rischen Ort einer Synthese der Künste und ermöglicht dem ästhetisch progressivsten Re- formprogramm des 19. Jahrhunderts eine materielle Projektionsfolie. Das musikdrama- tische Gesamtkunstwerk erzeugt die Illusion einer integralen Ganzheit, die den rituellen Verführungszauber des Gottesdienstes genauso aufgreift wie eine sozialutopische Sinn- stiftung. Diese Bezugnahme romantischer Musikdramatiker auf eine in unterschiedli- chen Gattungen artikulierte synthetische Theorie bleibt jedoch nicht auf das romantische Musikdrama im deutschsprachigen Raum beschränkt. Romantische Synthesetendenzen sind auch innerhalb der zeitlich parallelen französischen Grand Opéra und dem italieni- schen Opernmelodrama nachzuweisen.

Retrospektive auf einen disparaten Forschungsstand

Schon vor der Wende ins 20. Jahrhundert begann im Zuge der enormen Rezeptionsge- schichte des Wagnerschen Musikdramas auch die Forschungsgeschichte der syntheti- schen Werkidee. Aus der Perspektive einer gleichberechtigten Alleinheit der Künste in einem übergeordneten Kunstwerk objektiviert sich die Synthese der Künste einerseits als Produktionsmodus, andererseits als ein Stilgebilde, aber auch als Phänomen einer spezifischen Geistes- und Rezeptionshaltung. Schließlich bleibt die Idee einer integralen Vereinigung der Einzelkünste keineswegs auf Theater, Oper und Musikdrama be- schränkt. So spricht beispielsweise der Kunsthistoriker Werner Hofmann in Die Grund- lagen der modernen Kunst (1987) vom barocken Gesamtkunstwerk, aber auch vom sak- ralen Gesamtkunstwerk der gotischen Kathedrale.3 Der Musikwissenschaftler Ottokar Hostinský stellt das Gesamtkunstwerk in seiner Abhandlung Das Musikalisch-Schöne und das Gesamtkunstwerk (1877) in den ideengeschichtlichen Kontext des 19. Jahrhun- derts.4 Andere Arbeiten der Epoche legen den Forschungsschwerpunkt auf die Betrach-

2 Guido Hiß: Synthetische Visionen. Theater als Gesamkunstwerk von 1800 bis 2000. Reihe: AESTHETICA THEATRALIA. Guido Hiß, Monika Woitas (Hg.). München 2005. S. 9. 3 Werner Hofmann: Die Grundlagen der modernen Kunst. Eine Einführung in ihre symbolischen Formen. 3. Aufl. Stuttgart 1987. S. 22, 104, 459f, 505f. 4 Ottokar Hostinský: Das Musikalisch-Schöne und das Gesamtkunstwerk. Leipzig 1877.

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tung des Musikdramas. Im Jahre 1904 veröffentlicht der Musikdramatiker Wilhelm Kienzl seine Schrift Die Gesamtkunst des 19. Jahrhunderts (1904). Schon im Jahre 1895 hatte Kienzls Musikdrama Der Evangelimann Premiere, den er, wie auch den spä- teren Dreiakter Der Kuhreigen (1911) bezeichnenderweise mit dem Terminus »Musika- lisches Schauspiel« untertitelte.5 In seinen Betrachtungen und Erinnerungen (1909) legt Kienzl einer Vollendung des musikalischen Dramas die Überwindung des agonalen Prinzips innerhalb der Gattungen zugrunde und bestimmt die Bedingung des Gesamt- kunstwerks in einer gleichberechtigten Behandlung der Einzelkünste.6 Im Kontext der wissenschaftlichen Wagnerrezeption beschäftigt sich die Dissertationsschrift Die Bedeu- tung der Farben im Gesamtkunstwerk Wagners (1939) von E. Falkenberg mit der synäs- thetischen Vernetzung der Künste innerhalb des Wagnerschen Musikdramas. Ähnlich verfährt Jack M. Stein in seiner Abhandlung Richard Wagner and the Synthesis of the Arts (1960), worin er einen kunstgeschichtlichen Bezug zu Wagners Gesamtkunstwerk herstellt. Vor allem in jenen kunsthistorischen Betrachtungen, die sich mit der Genese der modernen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigen, ist der Rekurs auf Wag- ners Gesamtkunstidee grundlegend.7 In diversen musik-, theater- und literaturgeschicht- lichen Kompendien und Lexika wird der Terminus Gesamtkunstwerk gleichfalls über- wiegend mit Richard Wagners theoretischem und musikdramatischem Schaffen in Ver- bindung gebracht. So bezieht die Deutsche Literaturgeschichte (1961) von Fritz Martini Begriff und Ideenkomplex eines „Gesamtkunstwerks der Oper“8 wesentlich auf das my- thologische Musikdrama Wagners. Entsprechend verfahren Karl H. Wörner in seiner Geschichte der Musik (1972)9 sowie Hans Knudsen in Deutsche Theatergeschichte (1970). Knudsen jedoch stellt dem Wagnerschen Gesamtkunstwerk jene Gesamtkunst- konzeption Franz Dingelstedts gegenüber, die den künstlerischen Primat auf eine um- fassende Regiearbeit gründet.10 Auf Wagners Poetik des Musikdramas referiert auch die Definition des Gesamtkunstwerks in dem lexikalischen Kompendium Meyers Enzyklo- pädisches Lexikon (1974). Wagners Gesamtkunstwerk wird darin von den Festspielen der Barockepoche sowie „den effektsteigernden Kunstmischungen der frz. Grand Opéra des 19. Jh.s und den Unterhaltungsrevuen“11 abgegrenzt und zum eigentlichen Aus- gangspunkt der Gesamtkunstidee verklärt. In der von Viktor Zmegac herausgegebenen Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (1980) wird

5 Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. Kassel, Stuttgart, Weimar 1994. S. 303f. 6 Wilhelm Kienzl: Betrachtungen und Erinnerungen. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1909. S. 103f. 7 Siehe neben den bereits erwähnten kunstgeschichtlichen Abhandlungen u.a.: Alan Bowness: Die Kunst der Moderne. München 1998. S. 77. 8 Fritz Martini: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1961. S. 387. 9 Karl H. Wörner: Geschichte der Musik. Ein Studien- und Nachschlagebuch. 8. Aufl. Lenz Meierott (Hg.). Göttingen 1993. S. 410f. 10 Hans Knudsen: Deutsche Theatergeschichte. 2. Aufl. Stuttgart 1970. S. 295ff, S. 310 und S. 311. 11 Bibliographisches Institut Mannheim (Hg.): Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Bd. 10. Gem-Gor. Mannheim 1974. S. 180.

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das Phänomen Gesamtkunstwerk lediglich mit Wagners musikdramatischen Reform- konzepten als einer Synthese von Gattungsästhetik und Sozialutopie in Verbindung ge- bracht und dabei als eine Überwindung von Wortdrama und Roman betrachtet.12 Sowohl auf Wagners Musikdrama als Gesamtkunstwerk als auch auf das barocke Gesamt- Kunstwerk verweist der dtv-Atlas zur Musik (1977-1997), wobei zwischen diesen bei- den völlig differenten Spielarten nicht grundsätzlich unterschieden wird.13 Entsprechend wird der Sachverhalt auch im lexikalischen Kompendium Deutsche Romantik (1986) von Dieter Struss erörtert. Darin wird einerseits die Einheit der Stile und Gattungen im Rokoko betont, gleichzeitig werden aber auch die synthetischen Konzepte Philipp Otto Runges, Karl Friedrich Schinkels, Moritz von Schwinds und Richard Wagners kurz er- läutert.14 Auf den strukturellen Zusammenhang von barockem Hoftheater, Festspiel und Oratorium mit der verworrenen Mischungskultur des Gesamtkunstwerks geht Robert J. Alexander in Das deutsche Barockdrama (1984) näher ein. Dabei verweist er vor allem auf den „Sinnenrausch durch die Verwendung möglichst vieler Theatereffekte“15 im ge- nealogischen Drama. Am Beispiel der Festspiele Majuma (1653) und Piastus (um 1660) von Andreas Gryphius veranschaulicht er das synthetische Moment der bunt zusam- mengefügten opernhaften Komponenten (Lieder, Duette, Ensembles, Solo- und Chor- einlagen, Tänze, Ballette etc.) sowie der zahlreichen theatralischen und visuellen Effek- te.16 In die Richtung eines spezifisch barocken TheaterGesamtkunstwerks geht auch die Bewertung der Redeoratorien Johann Klajs durch Albin Franz, der darin „ein buntes, unorganisches Gemisch aller Dichtungsarten“17 erkennt. Weit mehr an konkreten Auf- führungsmöglichkeiten orientiert geriert sich das barocke Benediktinerdrama Simon Rettenpachers: „Architektur, Bühnentechnik, Tanz u. Musik wurden – das Verständnis unterstützend – in die Aufführungen integriert u. charakterisieren seine Dramen als Ge- samtkunstwerke.“18 Im Gegensatz dazu beschränkt sich das von Manfred Brauneck und Gérard Schneilin herausgegebene Theaterlexikon (1986) fast ausschließlich auf Wagners Utopie eines klassisch orientierten Gesamtkunstwerks und dessen Rezeptionsgeschichte in der Theatermoderne.19 Ähnlich verfährt das Theaterlexikon (1991) von Lothar Schwab und Richard Weber, das in den Musikdramen Richard Wagners das Telos der

12 Viktor Zmegac (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. II/1. 1848-1918. Reihe: Athenäum. Königstein/Taunus 1980. S. 36f. 13 Ulrich Michels: dtv-Atlas zur Musik. In zwei Bänden. 17. Aufl 1997. Bd. 2. München 1997. S. 303. 14 Dieter Struss: Deutsche Romantik. Geschichte einer Epoche. Gütersloh 1986. S. 91f. 15 Robert J. Alexander: Das deutsche Barockdrama. Stuttgart 1984. S. 151. 16 Ebd. S. 154f. 17 Albin Franz: Johann Klaj. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Dis- sertation. Marburg 1908. S. 43. 18 Franz Günter Sieveke: Rettenpacher. Rettenbacher, Simon. In Walter Killy (Hg.): Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Bd. 9. Gütersloh/München 1991. S. 397. 19 Manfred Brauneck, Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Dritte vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reihe: rowohlts enzyklo- pädie. Burghard König (Hg.). Reinbek bei Hamburg. 1992. S. 388ff.

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synthetischen Werkidee erblickt, deren „multimediale Verbindung aller Künste in einem Kunstwerk“20 jedoch in der romantischen Kunsttheorie präfiguriert sieht. Auch Der Li- teratur Brockhaus (1988), der zwar auf den Frühromantiker Novalis als eine inspirative Quelle hinweist, barocke Gesamtkunstkonzepte jedoch verwirft, führt Richard Wagner als den Spiritus rector des Gesamtkunstwerkgedankens an.21 Henning Mehnerts Darstel- lung in Harenbergs Lexikon der Weltliteratur (1989) ist dagegen umfassender und re- flektiert auch barocke Bezüge Synthetischer Gestaltungen. Neben Wagner nennt Meh- nert auch Friedrich Schlegels Konzeption einer progressiven Universalpoesie als eine weitere ideengeschichtliche Quelle des Gesamtkunstwerks.22 Mit den Komponenten Re- gie, Inszenierung und Schauspiel wird der Begriff Gesamtkunstwerk in der Geschichte des deutschen Theaters (1990) von Friedrich Michael und Hans Daiber verknüpft und dieser Aspekt besonders am Beispiel des Regisseurs Franz von Dingelstedts und an den theoretischen Schriften Richard Wagners veranschaulicht.23 Das von C. Bernd Sucher herausgegebene Theaterlexikon (1996)24 hingegen bezieht bereits synthetische Tenden- zen der französischen Opernästhetik des 18. Jahrhunderts in die Entwicklungsgeschichte der Gesamtkunstidee mit ein, die über die verfallskompensierende Synthese- Programmatik der deutschen Romantik bis hin zum Musiktheater Richard Wagners reicht. Das von Wolfhart Henckmann und Konrad Lotter herausgegebene Lexikon der Ästhetik (1992) unternimmt neben einem Verweis auf Wagners Gesamtkunstwerk auch einen Rekurs auf die Synthesetendenzen der Frühromantik sowie auf diverse Gesamt- kunsttendenzen des 20. Jahrhunderts beispielsweise im Bauhaus, bei Bertolt Brecht, Max Reinhardt und Erwin Piscator.25 Die Brockhaus Enzyklopädie (1989) geht gleich- falls vom Gesamtkunstwerk Richard Wagners aus, nennt in dessen Nachfolge außer Max Reinhardt und Erwin Piscator aber auch Adolphe Appia, Kurt Schwitters, Alek- sandr Skrjabin, Ferruccio Busoni, Bernd-Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhau- sen als die großen Gesamtkunst-Protagonisten der Moderne und Nachmoderne.26 The New Encyclopædia Britannica (1985) erweitert diesen Rahmen dadurch, dass sie bereits im Phänomen der Barocksynthesen ein Gesamtkunstwerk (total work of art) erblickt:

„The vast majority of the best central European Baroque painting outside portraiture is monumental in scale, and the concept of the Gesamtkunstwerk („total work of art“),

20 Lothar Schwab, Richard Weber: Theaterlexikon. Kompaktwissen für Schüler und junge Erwachse- ne. Frankfurt/Main 1991. S. 137f. 21 Werner Habicht, Wolf-Dieter Lange, Brockhaus-Redaktion (Hg.): Der Literatur Brockhaus. Vier Bände. Bd. 2. Fu-Of. Mannheim 1988. S. 45f. 22 Henning Mehnert: Gesamtkunstwerk. In Harenbergs Lexikon der Weltliteratur. Autoren – Werke – Begriffe. Bd. 2. Coc-Hea. Dortmund 1989. S. 1086. 23 Friedrich Michael, Hans Daiber: Geschichte des deutschen Theaters. Frankfurt/Main 1990. S. 90f. 24 C. Bernd Sucher (Hg.): Theaterlexikon. Epochen, Ensembles, Figuren, Spielformen, Begriffe, Theorien. München 1996. S. 189f. 25 Wolfhart Henckmann, Konrad Lotter (Hg.): Lexikon der Ästhetik. München 1992. S. 81. 26 Brockhaus: Enzyklopädie. 24 Bände. 19. Aufl. Bd. 8. FRU-GOS. Mannheim 1989. S. 384f.

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where painting, sculpture, and architecture are combined together into a single, unified, and harmonious ensemble, is of overwhelming importance.“27

In Collier’s Encyclopedia (1994) findet sich der Begriff allein auf Wagner bezogen.28 Mit einem kurzen Verweis auf Richard Wagner sowie auf das Barockdrama handelt das Handbuch der literarischen Fachbegriffe (1994) von Otto F. Best Thema und Begriff Gesamtkunstwerk in prägnanter Kürze ab.29 Entsprechend verfährt Horst Brunners und Rainer Moritz‟ Literaturwissenschaftliches Lexikon (1997), das den Terminus Gesamt- kunstwerk an Richard Wagners Musikdrama knüpft.30 Und auch das Sachwörterbuch zur deutschen Literatur (1999) von Volker Meid beschränkt sich, neben einem Verweis auf romantische Totalisierungstendenzen, auf die Vollendung des Gesamtkunstwerks durch Richard Wagner.31 Gegenüber diesen beiden Hand- und Sachbüchern ist eine jün- gere lexikalische Publikation, das Sachwörterbuch der Literatur (2001) von Gero von Wilpert, deutlich ausführlicher. Darin wird im Gesamtkunst-Kontext u.a auf das sakrale Drama des Mittelalters, die Kulissenkunst und das barocke Jesuitendrama, auf die früh- romantische Kunstsynthese-Theorie Friedrich Schlegels, sowie auf Wagners musikdra- matischen Entwurf eines Gesamtkunstwerks verwiesen.32 Synthetische Aspekte betont Margarete Zimmermann auch hinsichtlich des spätmittelalterlichen Theaters im entspre- chenden Kapitel der Gesamtdarstellung Französische Literaturgeschichte (1999) von Jürgen Grimm (Hg.): „In seiner Verschmelzung von musikalischen, visuellen, sprachli- chen und mimisch-gestischen Elementen stellt das mittelalterliche Theater ein Gesamt- kunstwerk dar.“33 Der Herausgeber Grimm selbst verweist in seinem Kapitel über Das >Klassische< Jahrhundert der französischen Literatur auch auf die synthetische Grun- dierung von Hofballett und Ballettkomödie, was Begriff und Bedeutung des Gesamt- kunstwerks in uneindeutig definierter Weise pluralisiert.34 Auch in seiner Monographie über Molière (2002) erläutert Grimm die Ballettkomödie im Kontext einer barocken Deutung als eine „im weiteren Sinn des Wortes charakteristische, auf ein >Gesamt- kunstwerk< zielende Verbindung aller Künste.“35 Auf Friedrich Schlegels literarisches Gesamtkunstwerk, das in dessen Begriffskomplex um eine progressive Universalpoesie

27 The New Encyclopædia Britannica: The History of Western Painting. Knowledge in Depth. Vol- ume 25. Chicago, London u.a 1985. S. 358. 28 Lauren S. Bahr, Bernard Johnston (Hg.): Collier’s Encyclopedia. Bd. 11. New York, Toronto, Sydney 1994. S. 12. 29 Otto F. Best: Handbuch der literarischen Fachbegriffe. Definitionen und Beispiele. Frank- furt/Main 1994. S. 199. 30 Horst Brunner, Rainer Moritz (Hg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Ger- manistik. Berlin 1997. S. 335f. 31 Volker Meid: Sachwörterbuch zur deutschen Literatur. Stuttgart 1999. S. 207. 32 Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 2001. S. 72, S. 307. 33 Margarete Zimmermann: Das Spätmittelalter. In Jürgen Grimm (Hg.): Französische Literaturge- schichte. 4. Aufl. Stuttgart, Weimar 1999. S. 97. 34 Ebd. S. 161ff. 35 Jürgen Grimm: Molière. 2. Aufl. Stuttgart, Weimar 2002. S. 86.

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anklingt, verweist Peter Simhandls Theatergeschichte in einem Band (2001).36 Deutli- cher noch verortet dieses Kompendium das Gesamtkunstwerk auf der Bühne der Ba- rockoper: „Die vollkommene Theaterform im Sinne des Barock ist die Oper, denn sie schließt alle Komponenten zu einem opulenten Gesamtkunstwerk zusammen.“37 Aus- schließlich auf die Barockepoche bezogen wird in dem stilgeschichtlichen Einführungs- band Kunstgeschichte (2001) von Hans Schlagintweit und Helene K. Forstner die Idee des Gesamtkunstwerks auf die synthetischen Tendenzen des Barock, insbesondere aber auf die Versailler Schlossanlage bezogen.38 Im Artikel Drama und Theater in Das Fi- scher Lexikon Literatur (2002) bringt der Autor Helmut Schanze den Begriff Gesamt- kunstwerk einzig mit Richard Wagners Konzeption eines „an einer antiken Ganzheit“39 orientierten, sozial-utopisch ausgerichteten, multimedial ausgearbeiteten musikalischen Dramas in Verbindung. Weitaus differenzierter informiert die Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft (2003) von Benedikt Jessing und Ralph Köhnen über synthetische Programmentwürfe. Als eine synthetische Denkfigur wird hier jene Be- wusstseinshaltung umschrieben, in deren Zeichen programmatisch die Sinne in die ko- operativen Systeme einer allumfassenden Synästhesie eingebunden werden sollen: „Un- ter den Künsten äußert sie sich im Hang zum Gesamtkunstwerk, wo zumindest in Pro- grammen die Vereinigung mehrerer Künste angestrebt wurde.“40 Neben Richard Wag- ners Gesamtkunstwerk werden hier auch die Avantgarden des späten 18. sowie des 19. Jahrhunderts bis hin zu intermedialen Ansätzen in eine direkte Nachfolge romantischer Synthesekonzeptionen gestellt. Auf die inspirative Bedeutung antiker Tragödienformen, synthetische Präfigurationen in der Renaissance sowie auf den synthetischen Repräsen- tationsmodus in der Barockepoche geht dieses ansonsten kenntnisreiche Kompendium nicht ein. Kurt Rothmanns Kleine Geschichte der deutschen Literatur (2003) referiert einerseits auf das synästhetische Gedankengut der deutschen Frühromantik sowie auf das Wagnersche Gesamtkunstwerk und verknüpft dieses mit der Philosophie Schopen- hauers.41 Die zeitgenössische Wagnerphilologie, die zum Phänomen synthetischer Ela- borate Stellung bezieht, beschränkt sich weitgehend auf das Gesamtkunstwerk Richard Wagners. Deren kaum mehr überschaubare Zahl erlaubt nur die Nennung der herausra- genden Publikationen. Exemplarisch ist Dieter Borchmeyers Gesamtdarstellung Das Theater Richard Wagners (1982) sowie Udo Bermbachs Der Wahn des Gesamtkunst-

36 Peter Simhandl: Theatergeschichte in einem Band. Aktualisierte Neuaufl. Berlin 2001. S. 164. 37 Ebd. S. 95. 38 Hans Schlagintweit, Helene K. Forstner: Kunstgeschichte. Stile erkennen – von der Antike bis zur Moderne. Basel 2001. S. 144f und S. 153. 39 Helmut Schanze: Drama und Theater. In Ulfert Ricklefs (Hg.): Das Fischer Lexikon. Literatur. Bd. 1. Frankfurt/Main 2002. S. 447; Näheres dazu auch auf S. 408. 40 Benedikt Jessing, Ralph Köhnen: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Stutt- gart, Weimar 2003. S. 36. 41 Kurt Rothmann: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. 18. Aufl. Stuttgart 2003. S. 137, S. 183.

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werks (1994), deren Meriten u.a. in der Analyse ideengeschichtlicher Zusammenhänge bestehen. Daneben ist auch die von Bermbach und Borchmeyer herausgegebene Auf- satzsammlung Wege des Mythos in der Moderne (1987) erwähnenswert, in der vor allem die Wirkungsgeschichte mythologischer Konstrukte im synthetischen Kontext von Wagner ausgehend bis in die Theatermoderne hinein aufgezeigt werden. Auch Meyers Taschenlexikon Musik (1984) erörtert unter dem Begriff Gesamtkunstwerk lediglich Richard Wagners Konzepte einer Entdifferenzierung der Kunst, verweist aber auch auf die variationsreiche Wirkungsgeschichte im späteren 19. und im 20. Jahrhundert.42 Im Schatten der Wagnerforschung erscheint bereits im Jahr 1958 C. Chalaupkas kulturge- schichtliche Entwicklungsgeschichte des Gesamtkunstwerkes Von der szenischen Stim- mungsmalerei zum Gesamtkunstwerk, die am Beispiel der Arbeit des Regisseurs und Impressarios Franz von Dingelstedt (1814-1881) synthetische Strukturen untersucht. In seinem theaterkritischen Essay Der Tod der Tragödie aus dem Jahr 1961 erkennt Georg Steiner die Oper als eine synthetische Gattung:

„Könnte die Oper die langgesuchte Verschmelzung des klassischen und Shakespeari- schen Dramas bringen, indem sie eine totale dramatische Gattung, das Gesamtkunstwerk, schüfe? Wagner stand in dem Streben nach Einheit nicht allein. Berlioz‟ Laufbahn zeigt ein dauerndes Schwingen des Pendels zwischen der Shakespearischen Stimmung – wie in Fausts Verdammnis – und der klassischen, Virgilschen Konzeption wie in der Oper Die Trojaner.“43

Auch die von Hans Günther heraus gegebene Textsammlung Gesamtkunstwerk (1994) geht von Richard Wagner aus und beleuchtet die Rezeptionsgeschichte der symbolisti- schen Zirkel der Jahrhundertwende, des Films, des Dritten Reichs und der Sowjetunion unter synthetischen Gesichtspunkten.44 Ähnlich verfährt Roger Fornoff in seiner Disser- tation Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk (2004), die das Schaffen Richard Wagners, Wassily Kandinski und Hermann Nitschs zum Gegenstand hat.45 Dass man aber auch ohne eine Referenz auf synthetische Konzepte den Versuch einer Theaterge- schichte unternehmen kann zeigt der voluminöse Band Welttheater (1985) von Risch- bieter und Berg, welcher dem Phänomen mit stoischer Gleichgültigkeit begegnet.46 Den ersten theaterwissenschaftlich überzeugenden Versuch einer Aufarbeitung der Thematik unternimmt schließlich Guido Hiß in seiner historisch und philosophisch orientierten

42 Hans Heinrich Eggebrecht (Hg.): Meyers Taschenlexikon Musik. Drei Bände. Bd. 2. Ge-Om. Mannheim 1984. S. 14f. 43 George Steiner: Der Tod der Tragödie. Ein kritischer Essay. Frankfurt/Main 1981. S. 224. 44 Hans Günther (Hg.): Gesamtkunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos. Reihe: Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaft 3. Bielefeld 1994. 45 Roger Fornoff: Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk. Studien zu einer ästhetischen Konzep- tion der Moderne. Reihe: ECHO. Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog. Hildesheim 2004. 46 Henning Rischbieter, Jan Berg (Hg.): Welttheater. Theatergeschichte, Autoren, Stücke, Inszenie- rungen. 3. Aufl. Braunschweig 1985.

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Studie Synthetische Visionen (2005). Im Kontext einer Entwicklung vom Dramatischen zum Integralen wird hier das „Theater als Paradigma des Synthetischen“47 diskutiert.

„Hiß begnügt sich in seiner Betrachtung des »Theaters als Gesamtkunstwerk« jedoch keineswegs mit einer begrifflichen Leerformel, die gerade darum, weil sie so Vieles zu fassen meint, nur wenig aussagt. Seine neueste Studie knüpft an frühere Schriften an [...] insbesondere mit Blick auf eine Theorie vieldimenisonaler Wahrnehmung. Dabei wird dieses »korrenpondenztheoretische« Interesse ins Historische gewendet.“48

Zwar rückt auch Hiß das Wagnersche Gesamtkunstwerk in den Fokus der Betrachtung, stellt dieses jedoch in eine Genealogie, die ihren programmatischen Ursprung in der Romantik, ihren Fluchtpunkt in und jenseits der Postmoderne hat. Synthetische Visionen ist darüber hinaus, die erste Arbeit, welche die verschiedenen ästhetischen Entwürfe ei- ner Synthese der Künste mit einer allgemeinen Dissoziationsthematik vernetzt, auf die fast alle sozialen Utopien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kritisch reagieren. Die Studie von Guido Hiß markiert jene epochale Schnittstelle, die nahe legt, für das Ge- samtkunstwerk des 19. Jahrhunderts eine Vorgeschichte zu schreiben. Hier versucht die vorliegende Arbeit anzuknüpfen und einen Beitrag zum Verständnis synthetischer Phä- nomene im Spiegel der theatergeschichtlichen Forschung zu leisten.

Begriff des Gesamtkunstwerks

Um dem Forschungsgegenstand einer Genealogie synthetischer Entwürfe sowie des Ge- samtkunstwerks gerecht zu werden, müsste der Gegenstand einer eindeutigen begriffli- chen Definition unterliegen. Eine solche Begriffsbestimmung kann aufgrund einer Viel- zahl von Einzelaspekten innerhalb von Forschung und Epistemologie nur unzulänglich geleistet werden. Hinzu kommt eine dem Begriff an sich schon immanente Halbwert- zeit, die seinen nur scheinbar festgefügten Bedeutungsgehalt einem beständigen Wandel unterwirft:

„Ausgerechnet solche Ausdrücke, von welchen die beruhigende Ausstrahlung materieller Selbstverständlichkeit auszugehen scheint, sind es mitunter, die historisch betrachtet von einer verblüffenden Wandelbarkeit sind.“49

Lässt man die zahllosen Vorprägungen synthetischer Konzepte seit der späten Renais- sance einmal beiseite, so findet man den Begriff des Gesamtkunstwerks erstmals in der

47 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 9. 48 Peter Machauer: Guido Hiß. Synthetische Visionen. In Günter Ahrends (Hg.): Forum Modernes Theater. Tübingen 2005. S. 204. 49 Ute Daniel: Kompendium Kulturgschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. 3. Aufl. Frank- furt/Main 2002. S. 381f.

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Schrift Ästhetik oder Lehre von der Weltanschauung und Kunst (1827) des Politologen und Philosophen Karl Friedrich Eusebius Trahndorff50. Dieser verweist damit auf die frühromantische Kunstanschauung und deren Auffassung einer den Künsten inne woh- nenden Entgrenzungs- und Vermischungstendenz. Populär geworden ist der Begriff des Gesamtkunstwerks allerdings erst durch Richard Wagner, der diesen in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (1852) einführt. Allein bis zu der romantischen Auseinandersetzung mit dem Gesamtkunstwerk um und nach 1800 waren synthetische Elaborate und Programme immer wieder auf viel- fältigste Weise in Erscheinung getreten. Zahlreiche Adaptationen, Wandlungen, Variati- onen und Brechungen synthetischer Entwürfe lassen sich in beinahe allen bedeutenden kulturhistorischen Epochen nachweisen. Die Strahlkraft integraler Synchronisationen hat sich dabei nicht nur bis zur Gegenwart erhalten, sie scheint an Wirkungsmächtigkeit sogar noch zugenommen zu haben. Dabei bleibt die terminologische Allgemeingültig- keit eines Sachverhaltes, der erst spät seinen konkret bestimmten Begriff fand nicht ganz unproblematisch. Manche Bezeichnungen wechseln durch eine bedenkenlose Übertra- gung auf andere Epochen ihre Bedeutung; manche werden durch Sinnverschiebungen undeutlich oder missverständlich. Ein Begriff kann in historisch wechselhafter Gestalt auftreten und aufgrund unterschiedlicher Entstehungsbedingungen doch verschiedene Sachverhalte bezeichnen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich sowohl epochen- als auch gattungsspezi- fisch stets neue, stets unterschiedliche Aspekte jener Synthesis, deren Wortbedeutung vordergründig nicht mehr nahe legt als eine vereinheitlichende Verbindung verschie- denartiger Elemente. Vom griechischen ‚sýnthesis‟ abgeleitet bedeutet Synthese zu- nächst Zusammensetzung, philosophisch betrachtet fügen sich dabei verschiedene Er- kenntnisinhalte und -formen zu einem Erkenntnisganzen zusammen: „Entsprechend heißt synthetisch einerseits die einigende Tätigkeit, anderseits das durch sie gewonnene Ganze.“51 Dessen Einheit ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile und wird sowohl in der antiken als auch in der mittelalterlichen Philosophie häufig mit dem „Begriff des allumfassenden (göttlichen) Geistes (logos, nous, intellectus, divinus)“52 assoziiert. Von größerer Bedeutung ist der Terminus allerdings zweitausend Jahre später bei Immanuel Kant. Im ersten Teil seiner Schrift Kritik der reinen Vernunft (1781) erkennt er in der Synthese einen begrifflichen Reflex auf die Mannigfaltigkeit der reinen Anschauung.

„allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammlet, und zu einem gewissen Inhalte vereinigt […]. Unter diesem Begriffe wird also

50 Trahndorff publizierte unter dem Pseudonym Philipp Kron. 51 Josef de Vries: Synthese. In Walter Brugger (Hg.): Philosophisches Wörterbuch. 14. Aufl. Frei- burg, Bael, Wien 1976. S. 391. 52 Alois Halder: Philosophisches Wörterbuch. Völlig überarbeitete Neuausgabe. Freiburg, Basel, Wien 2000. S. 316.

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die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.53

Die Synthese bezeichnet hier also einen Akt sowohl des Denkens, als auch der Einbil- dungskraft und bestimmt damit den systematischen Ausgangspunkt für „einen Gesamt- zusammenhang der Erkenntnis gemäß dem architektonischen Einheitsinteresse der Ver- nunft.“54 Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Schelling, entwickeln auf der Grundlage einander widerstreitender Kategorien gleichfalls ein erkenntnistheoretisches Spektrum, in dem Ich und Nicht-Ich bzw. Ideelles und Reelles, Subjekt und Objekt in einer absoluten Synthese miteinander identisch werden. „Für J. G. Fichte ist S.[ynthese] – in methodologischer Hinsicht – allgemein das Verfahren des Aufsuchens des Gleichen im Entgegengesetzten.“55 Daraus ergibt sich das dialektische Verfahren von Thesis, An- tithesis und Synthesis. Als eine spekulative Synthese bedeutet Dialektik hier „die Auf- hebung des sich in These und Antithese Widersprechenden und Entgegengesetzten in einer höheren Einheit, die Vereinigung der Gegensätze in einem umfassenden Gan- zen.“56 Auch in Hegels Dialektik, wird die Synthese als das Ergebnis sich ständig wan- delnder und widersprechender Gegensätze betrachtet. Sie bezeichnet hier einen Modus, in dem der Gegensatz „von These und Antithese aufgehoben ist, und zwar sowohl im Sinne der Beseitigung [...] der früheren Positionen [...] als auch im Sinne des Bewahrens der in ihnen enthaltenen Inhalte [...].“57 Über die besonderen kulturgeschichtlichen so- wie literar-philosophischen Bezüge hinaus bezeichnen sowohl die Epoche, der Begriff als auch das Wesen der Romantik einen ersten Kulminationspunkt im Definitionskom- plex des Synthetischen. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts werden ganzheitliche Kategorien in Gestalt des sog. Gesamtkunstwerks schließlich eine Vielzahl verschiede- ner Erscheinungsformen inspirieren, die ihr ästhetisches Repertoire allesamt aus dem reichhaltigen Fundus der romantischen Geistes- und Ideenwelt schöpfen. Die Romantik kann darum als das alchimistische Experimentallabor synthetischer Programme, Projek- te und Projektionen betrachtet werden.

53 Immanuel Kant: Werkausgabe in 12 Bänden. Wilhelm Weischedel (Hg.). Bd. 3. 13. Aufl. Frank- furt/Main 1995f. Weiterhin gekennzeichnet mit WA. S. 116f. 54 Alois Halder: Philosophisches Wörterbuch. A. a. O. S. 318. 55 Hansgeorg Hoppe: Synthesis; synthetisch. In Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 12 Bände. Bd. 10: St-T. Basel 1998. S. 820. 56 Armin Regenbogen, Uwe Meyer (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Reihe: Philoso- phische Bibliothek. Bd. 500. Hamburg 1998. S. 651. 57 Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Bd. 2. 17. bis 20. Jahrhundert. München 1996. S. 256f.

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Dissoziative Krisenszenarien und ihre synthetischen Reflexe

In allen Epochen der abendländischen Kultur seit der Renaissance und dem Beginn der Neuzeit reagieren synthetische Entwürfe, Programme und Werkkonzeptionen auf die Zergliederung und Desintegration politischer, wirtschaftlicher, geistiger oder kultureller Zentren. Somit sind kollektive aber auch individuelle Krisenerfahrungen Teil einer Kul- turgeschichte integraler Konzepte. Mit den großen nachreformatorischen Glaubenskrie- gen und dem Expansionsstreben der europäischen Großmächte gerieten die sowohl weltlichen als auch religiösen Herrschaftssysteme unter einen gewaltigen Legitimie- rungsdruck. Dieser generierte u.a. die prunkvolle Inszenierung barocker Herrschaftsge- füge, die mit der Französischen Revolution zusammen brachen. Hinzu kam die Kollisi- on der traditionellen Begriffsarchitektur mit einer fortgesetzt entauratisierenden und in gleichem Maße zergliedernden Forschungs- und Wissenschaftsdynamik. Dem Wer- techaos und den Glaubenskrisen des ausgehenden Mittelalters setzte die Neuzeit den Glauben an gesicherte Forschungs- und Wissensbestände, die Idee einer allgemeinen Vernunft sowie die Utopie eines technischen, ökonomischen und sozialen Fortschritts entgegen. Pragmatischen Niederschlag fanden diese Fundamentalpositionen im theolo- gisch und politisch rezentrierenden Konzil von Trient (1545-1563), in der kognitiven Rationalisierung der Philosophie durch René Descartes, in der Naturwissenschaft Isaac Newtons sowie in der politischen Totalisierung des Staates durch den Absolutismus.58 All diese Entwicklungen brachten spätestens seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts miteinander konkurrierende Sinnstiftungskonzepte hervor. Die Vorstellung geschichtli- cher Kontinuität führte von einem perspektivischen ‚Olymp des Geistes‟ ins ‚Labyrinth der Geschichte‟59, und wurde alsbald durch ästhetische Konzepte konterkariert.60 Damit wird die Geschichte der europäischen Rationalität auf ihren dissoziativen Generalnenner gebracht: Denn diese „kann man als Geschichte der Auflösung eines Rationalitätskonti- nuums beschreiben, das den Beobachter in der Welt mit der Welt verbunden hatte.“61 Aber auch der Faktor einer beständigen Beschleunigung wird spätestens mit der indust- riellen Revolution im 19. Jahrhundert zum bestimmenden Strukturmerkmal einer alles ergreifenden, alles zersetzenden Entwicklung. Die jeweils funktionalen Strukturen vor- moderner Gesellschaften geraten in den Sog einer unberechenbaren Veränderungsge- schwindigkeit. Diese Dynamik macht gerade in dem Maße neue Legitimationsdiskurse notwendig, in dem diese sich geschichtlich beständig selbst überholen. So sind die je-

58 Rupert Lay: Das Ende der Neuzeit. Menschsein in einer Welt ohne Götter. Düsseldorf 1996. S. 112ff und S. 163f. 59 Siehe dazu auch Horst Dieter Rauh: Im Labyrinth der Geschichte. Die Sinnfrage von der Aufklä- rung zu Nietzsche. München 1990. 60 Jörg Zimmermann (Hg.): Sprache und Welterfahrung. Reihe: Kritische Information. Bd. 69. Mün- chen 1978. S. 241f. 61 Niklas Luhmann: Beobachtungen der Moderne. Opladen 1992. S. 53.

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weiligen Zentrierungsversprechen, Ordnungs- und Orientierungsfiguren, Sinn- und Wer- tehorizonte schon bald nach ihrer Etablierung verbraucht. Die mit dieser Erosion ein- hergehenden Kohäsionskrisen erfordern neue sinnstiftende Bindungspotentiale. Gegen diese weit verzweigten Auflösungserscheinungen soll die Selbstreflexion der Kultur ei- nen integrativen Projektionsraum eröffnen, in dem sich das harmonische Muster einer verloren geglaubten Einheit rekonstruieren ließe.

„Die Zivilisation drängt uns zur Teilung von Arbeit und Interessen, zur Spezialisierung unserer Fähigkeiten. Die Kultur will zusammenfassen, überblicken, einen, drängt zu […] einem organischen Weltbild. Sie will [...] Harmonie und hat deshalb die Kunst geschaf- fen.“62

Dieses Konzept einer ästhetischen Harmonisierung der Zivilisationserscheinungen er- gänzt die Vorstellung von der Kunst als Organon sakraler oder weltherrscherlicher Re- präsentation. Eine multimedial inszenierte Gesamtkunst erweitert zunächst den ästheti- schen Wirkungsraum und versucht qua sinnlicher Überbietung rationaler Erkenntnis- und Vermittlungsmodi neue zentrierende Einheiten zu erschließen. Die objektiv erkenn- baren sowie subjektiv schmerzhaft erfahrenen Tendenzen neuzeitlicher Zergliederungen und Ausdifferenzierungen sollen kompensiert werden. Zugleich soll der zunächst kul- turgeschichtliche, später kulturindustrielle schöne Schein ästhetischer Gesamtkunstin- szenierungen jenen Verblendungszusammenhang hervor bringen, der die Schrecknisse der Differenzen zu bannen vermag: „In unheimlicher Weise sind wir als Subjekte und ist unsere Kultur auf eine dauernde Verzauberung angewiesen, um sich vor Dissoziati- on, Anomie und Zugehörigkeitsverlust zu schützen.“63 In diesem Zusammenhang kann man ganzheitlich-sinnstiftende Entwürfe durchaus als synthetische Reflexe auf allge- meine Zerfallstendenzen betrachten, denn das „Sinnversprechen, das traditionell im Ge- samtkunstwerk liegt, reagiert ganz offensichtlich auf Dissoziationserfahrungen des mo- dernen Subjekts.“64 Schon zu Beginn der Neuzeit lassen sich entsprechende Erfahrungen nachweisen. Die Tendenz, der Kunst durch Vermischung ihrer Einzelgattungen ein brei- teres Produktionsspektrum und eine gesteigerte Wirksamkeit zu verschaffen, lässt sich seither in fast allen großen europäischen Kulturepochen aufzeigen. Nicht wenige For- scher gehen gar noch ein gutes Stück hinter die Renaissance zurück. So erkennen man- che Gräzisten bereits in der klassischen Antike ein zusammenhängendes interaktives Kunstwerk. Entsprechende Tendenzen kann man auch in der Mediävistik ausmachen. Die Kunstgeschichte spricht vom „Gesamtkunstwerk der gotischen Kathedrale“65, von

62 Julius Meyer-Graefe: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Hans Belting (Hg.). Bd. 1. München 1987. S. 21. 63 Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reihe: rowohlts en- zyklopädie. Burghard König (Hg.). Reinbek bei Hamburg 2006. S. 25. 64 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 7. 65 Dieter Kimpel, Robert Suckale: Die Religiöse Funktion von Kunst. In Werner Busch, Peter

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der ästhetischen Konzeption der Platzanlage als politisches Gesamtkunstwerk am Bei- spiel der Piazza della Signoria in Florenz66, vom manieristischen Gesamtkunstwerk der Stadt Mantua67 oder vom „Gesamtkunstwerk des Jugendstils“68. Kulturgeschichtlich be- inhaltet noch die olympische Idee Pierre de Coubertins das Potenzial eines Gesamt- kunstwerks mit Wagnerschen Dimensionen,69 und die multimediale Nobilitierung ver- schiedener Varianten des Massensports70 bringt Interpretationsversuche hervor, die zwi- schen sakralen und ästhetischen Dispositiven oszillieren.71 Die signifikanten Schnittstel- len liegen hier weniger in einer analogen Programmatik oder gar Utopie, sondern eher in einer ganzheitlichen Wirkungsästhetik, die auf einer medialen Vereinheitlichung grün- det. Erst mit der synthetischen Theorie der deutschen Frühromantik erfährt der Topos jene ästhetische Aufwertung, die ihn von antiken Ganzheitsmustern, der gotisch- scholastischen Kombinatorik, barocken Repräsentationskonzepten sowie den revolutio- nären oder bürgerlichen Masseninszenierungen nach 1789 unterscheidet. Im vergebli- chen Ringen um das absolute Kunstwerk entstehen die ersten programmatischen Kon- zeptionen des Gesamtkunstwerks.72 Vor diesem Hintergrund muss eine philosophische Reflexion synthetischer Programme und Konzepte einsetzen, denn das Synthesepro- gramm der deutschen Frühromantik reagiert mit seiner umfassenden Forderung nach in- tegrativer Mischung dezidiert auf die mannigfaltigen Dissoziationstendenzen der Epo- che. Dieser Zerfall, der in eine totale Zergliederung und Aufsplitterung aller gesell- schaftlichen Bereiche sowie aller überlieferten Werte in ethische, gesellschaftliche, poli- tische und ästhetische Einzelsysteme mündet, kann geradezu als Signum des 19. Jahr- hundert betrachtet werden. Von diesem Befund ausgehend bezeichnet das romantische Gesamtkunstwerk den Versuch, die auseinanderstrebenden Einheiten zu bündeln, das disparate Subjekt in einer höheren Ordnung der Dinge zu rezentrieren und in eine neue Utopie einzubinden.

______Schmoock (Hg.): Kunst. Geschichte Ihrer Funktionen. Weinheim, Berlin 1987. S. 9. 66 Franz-Joachim Verspohl: Der Platz als politisches Gesamtkunstwerk. „Wir haben sie als Beispiel gewählt, weil [...] der Platz verschiedene künstlerische Ausdrucksformen wie Stadtplanung, Archi- tektur und Plastik zu einem Gesamtkunstwerk vereint.“ In Werner Busch, Peter Schmoock (Hg.): Kunst. Geschichte Ihrer Funktionen. A. a. O. S. 307. Über die synthetische Konzeption der Piazza della Signoria siehe auch A. Richard Turner: Renaissance in Florenz. Das Jahrhundert der Medici. Reihe: Reihe: Art in context. Köln 1996. S. 31f. 67 Günter Metken: Das Gesamtkunstwerk: Giulio Romano und Mantua. In Günter Metken: Reisen durch Europa. Andere Wege zu Kunst und Kultur. Frankfurt/Main und Leipzig 1994. S. 269-281. 68 Gabriele Fahr-Becker: Jugendstil. Köln 1996. S. 82. 69 Thomas Alkenmeyer: Die Wiederbegründung der Olympischen Spiele als Fest einer Bürgerreligi- on. In Gunter Gebauer (Hg.): Olympische Spiele – die andere Utopie der Moderne. Olympia zwi- schen Kult und Droge. Frankfurt/Main 1996. S. 77ff. 70 Wolfgang Reinhard: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München 2004. S. 485. 71 Vgl. Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 2. überarbeitete und erweiterte Aufl. Duisburg 1999 72 Vgl. dazu Michael Lingner: Der Ursprung des Gesamtkunstwerks aus der Unmöglichkeit absolu- ter Kunst. In Harald Szeemann (Hg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. A. a. O.

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Historische Orientierung und Untersuchungszeitraum

Geschlossene historische Perioden oder Stilepochen sind geistesgeschichtliche Hypothe- sen, die einen allgemeingültig waltenden Zeitgeist voraussetzen. Ein solcher ist schon allein aufgrund der zahlreichen simultan auftretenden Themen, Stoffe und Motive frag- lich. Selbst grundverschiedene Zeiträume haben nicht nur verwandte Züge, auch die je- weiligen, zumeist krisenhaften Epochenschlüsse weisen häufig Übereinstimmungen mit den Anfängen der nächsten und übernächsten Epoche auf. Dieser Problematik entspricht die Schwierigkeit einer Auswahl überzeitlicher ästhetischer Phänomene, deren Erschei- nung man selbst in gegensätzlichsten Epochen ausmachen kann, deren vordergründig kongruentes Erscheinungsbild jedoch in einem völlig uneinheitlichen Verweisungszu- sammenhang steht: „In der Kunst auseinanderliegender Epochen kann, was sinnlich sich ähnelt, gänzlich Konträres bedeuten.“73 Die Fülle an Erscheinungen ermöglicht allen- falls zufällige Übereinkünfte oder Überschneidungen und vermag kaum eine ganze Epo- che durchgehend zu dominieren: „Von einem einheitlichen »Zeitstil« [...] dürfte eigent- lich nie gesprochen werden, denn es gibt jederzeit so viele verschiedene Stile, als es künstlerisch produktive soziale Gruppen gibt.“74 Gewiss gibt es seit Beginn der frühen Neuzeit epochenprägende und zugleich über ihre Zeit hinaus weisende künstlerische Er- eignisse. In der Musik- und Musiktheatergeschichte haben beispielsweise die Urauffüh- rungen von Monteverdis L’Orfeo (1607), Bachs h-moll-Messe (1748), Mozarts Zauber- flöte (1791) oder Webers Freischütz (1821) paradigmatischen Charakter. Allein es han- delt sich bei solchen normativen Wertungen im wesentlichen um die Perspektive der Nachwelt. Entsprechend verhält es sich mit einer allgemein wissenschaftlichen Nomen- klatur. Diese etikettiert die jeweilige Epoche mit einem zentralen Begriff und degradiert damit das simultan Widerstrebende oder das Gegenläufige zur Randerscheinung oder zu einer die Ausnahme bestätigenden Regel. Mit der retrospektiven Kanonisierung epochaler Kunstwerke eng verbunden ist die Auffassung, den genealogischen Ausgangspunkt des Gesamtkunstwerks einerseits in der romantischen Epoche zu verorten. Zwar wurden synthetische Entwürfe erst im frühen 19. Jahrhundert jener hochberühmten Etikettierung Gesamtkunstwerk teilhaftig; ver- nachlässigt man jedoch die romantische Determiniertheit des Begriffs, so lassen sich in allen großen Kulturepochen und Stilperioden Tendenzen zu synthetischen Gestaltungen nachweisen. Die vorliegende Arbeit versteht sich darum nicht als eine zeitlich und monothema- tisch fokussierte Studie über ein kulturgeschichtliches Phänomen, dem im Laufe der

73 Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. 20 Bände. Rolf Tiedemann (Hg.). Frankfurt/Main 1997. Bd. 10, I. A. a. O. S. 407. 74 Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1983. S. 463.

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Kulturepochen eine bestimmte zyklische Erscheinungszuverlässigkeit eignet. Vielmehr stehen synthetische Dispositive und deren epochenspezifischen Erscheinungsformen im Zentrum der Aufmerksamkeit, die in einen rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. Auch wenn die universalgeschichtliche Idee eines linearen Fortschritts nicht ohne Brüche zu denken ist, offenbaren sich Formationen und Typologien, die in stets unterschiedlichen Variationen einen identischen Kern bergen. Dieser bildet im Lauf der Geschichte immer wieder jene synthetischen Präfigurationen und Analogien, die nicht nur ähnliche Gestaltungs- und Inszenierungsmuster, sondern auch analoge Wirkungsmechanismen hervorbringen. Vor dem Wandel von Herrschafts- und Gesellschaftssystemen, Kommunikations- formen, Marktsituationen, Lebensverhältnissen, Mentalitäten, Rezeptionskulturen, Kunststilen und -begriffen, Weltanschauungen und Ideologien erweist sich Geschichte als ein komplexes System von Geschichten: „Das Denken von Geschichte löst Ge- schichte in eine imaginäre Welt erinnerter Bilder auf.“75 Das Zeitganze erscheint als ein Gebilde vereinzelter Erzähleinheiten, deren sich der Historiker bedient, um den Unter- bau seiner Theorie zu konstruieren. Denn Vergangenheit „liegt nicht vor, sondern wird geschaffen. Geschichte ist ein Konstrukt, das nach den Kategorien des bürgerlichen Be- wußtseins konstruiert ist; wie das Kunstwerk ist sie sein unmittelbarer Ausdruck.“76 Die Qualität einer historischen Sinnbildung erlangt eine gegenstandsbezogene Geschichtsbe- trachtung dadurch, dass die reflektierten Phänomene aus den ursprünglichen Zusam- menhängen heraus gelöst und in der ästhetischen Anschauung neu geordnet werden. Ganz im Sinne der Hegelschen Geschichtsphilosophie werden die erinnernd reflektier- ten Themen und Inhalte in ihrer zeithistorischen Bedeutung aufgehoben und zugleich als aufgehobene bewahrt. Es entsteht das lebendige Gemälde einer geschichtlichen Konti- nuität, das trotz seiner ikonographischen Beschränktheit auch einen aktuellen Interpreta- tionsspielraum offen hält.

Formalia

In der vorliegenden Schrift wird das Gesamtkunstwerk vornehmlich als ein Theaterphä- nomen diskutiert. Synthetische Tendenzen in den anderen Bereichen der Kunst und ihrer Gattungen müssen aufgrund zahlreicher wechselseitiger Einflüsse mit in die Betrach- tung einfließen. Eine terminologische Unterscheidung zwischen dem Musikdrama und einem musikalischen Drama hat selbst Richard Wagner nicht durchgängig vorgenom- men. Beide Begriffe stehen in einem unmittelbaren Bezug zur synthetischen Auffassung von einer ganzheitlich durchgearbeiteten Oper und werden synonym verwendet wie die

75 Hannelore Schlaffer: Studien zum ästhetischen Historizismus. Frankfurt/Main 1975. S. 18. 76 Ebd. S. 27.

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beiden Termini romantische Oper und romantisches Musikdrama. Auch hier ist eine ge- naue Begriffsbestimmung obsolet, da sich die beiden Bezeichnungen gegenseitig be- ständig ersetzen. Wenn es der Sachverhalt und seine Hintergründe erlauben, werden die zentralen Gattungsbezeichnungen direkt auf synthetische Entwürfe sowie auf das Ge- samtkunstwerk bezogen. Die Hervorhebungen und Sonderkennzeichnungen wurden weitgehend authentisch den Originalzitaten entnommen; eigenmächtige Hervorhebungen und Kennzeichnungen betreffen die Werktitel, die kursiv gesetzt sind. Jahreszahlen hinter den genannten Wer- ken beziehen sich, so nicht gesondert erläutert, bei Werken des Musik- sowie des Sprechtheaters auf das Uraufführungsjahr. Bei Bühnenwerken und literarischen Werken, die nicht im Entstehungszeitraum uraufgeführt wurden, wird das Erscheinungsjahr oder das Jahr der Entstehung ausgewiesen. Die genaue Angabe der mit Siglen gekennzeich- neten Werke sind der Sigelliste zu entnehmen. Die angegebenen editorischen Erscheinungs- und Uraufführungsjahre der jeweils ge- nannten Werke sollen einerseits eine epochenspezifische Einordnung ermöglichen, an- dererseits Überschneidungen und Überlagerungen von Gattungen, Formen und Stilen, aber auch Divergenzen aufzeigen, welche den jeweiligen Gegenstand sowohl in seiner Sonderung und Eigentümlichkeit als auch in seinem Entstehungskontext belichten. Sämtliche Primär- und Sekundärschriften und Dokumente sind sowohl im An- merkungsapparat als auch bibliographischen Anhang nachgewiesen. Einzelne Aufsätze sind aufgrund der Vielzahl zitierter Aufsätze nur im Anmerkungsapparat angegeben; das jeweilige Erscheinungsorganon sowie dessen Herausgeber finden sich im bibliographi- schen Anhang.

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Vorgeschichte des Gesamtkunstwerks

Präromantische Synthesetendenzen in der Renaissance

Renaissance und Romantik

Der Humanismus und Klassizismus der Renaissance zwischen Francesco Petrarca und Giorgio Vasari wie auch alle nachfolgenden klassizistischen Rezeptionskulturen beru- hen auf einer Rückbesinnung auf die Antike. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Nähe zu den Programmen der Frühromantik nicht unmittelbar gegeben. Dennoch gibt es Aspekte, die einen Vergleich zulassen. Vor allem im Bereich ganzheitlicher Desiderate macht eine solche Komparatistik Sinn, da diese Geschichts- und Stilepochen eine Zent- rierung des Menschen auf ein übergeordnetes Weltbild unternehmen. Aber auch hinsichtlich der Ausbildung eines Geschichtsinteresses gibt es Über- einstimmungen zwischen Renaissance und Romantik. Ähnlich wie die romantische His- toriographie recherchiert und ediert das frühneuzeitliche Geschichtsbewusstsein nicht nur die historischen Dokumente der Antike. Der geschichtliche Rückbezug ist hier der Motor einer Programmatik, deren Ausrichtung ausgesprochen zukunftsorientiert ist.

„Die Übereinstimmung, die dem Historiker auffallen muß, ist die über eine Orientierung für die Zukunft; es wird nicht festgestellt, was schon geschehen ist, sondern entschieden, daß etwas geschehen soll.“77

Der Entdeckung der »alten« Welt der Antike entspricht nicht nur die geographische Ent- deckung der »neuen«78, sondern auch die Entdeckung neuer Tiere, Pflanzen und Sterne, neuer Elemente, Stoffe und Technologien aber auch des Blutkreislaufs. Fernrohr und Mikroskop entgrenzen Blickweite und -tiefe und eröffnen dem Auge neue Räume: „Zwischen der »Wiederentdeckung der Alten« und dem »Sinn für das Neue«, der die Kultur der Renaissance charakterisierte, bestand eine komplizierte Beziehung.“79 Diese Wechselbeziehung beeinflusst auch das jeweilige utopische Denken. Sowohl in der An- tike (Plutarch, Lukian) als auch in der Renaissance (Thomas Morus, Francis Bacon, Tommaso Campanella) ist Utopie an eine geschichtliche Dynamik gekoppelt, deren

77 Eugenio Garin Die Kultur der Renaissance. In Golo Mann, Alfred Heuß, August Nitzschke (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte. Bd. 6. Weltkulturen – Renaissance in Euro- pa. Frankfurt/Main, Berlin 1960-1964. S. 436. 78 Näheres dazu bei John H. Parry: Das Zeitalter der Entdeckungen. Reihe: Kindlers Kulturgeschich- te Europas. München 1983. 79 Paolo Rossi: Der Wissenschaftler. In Rosario Villari (Hg.): Der Mensch des Barock. Frank- furt/Main 1999. S. 284.

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Zielrichtung geschichtsphilosophisch konkretisierbar ist und der transzendental- eschatologischen Utopiefeindlichkeit des Mittelalters gegenübersteht.80 Gleichwohl man vor dem Hintergrund der vielfältigen Entdeckungen und Erfin- dungen den Gesichtskreis als einen expandierenden zu begreifen beginnt, artikuliert sich mit der Renaissance allmählich ein einheitliches Weltbild. Im Gegensatz zum monokau- sal geprägten christlichen Weltbild des Mittelalters entsteht dieses aus mannigfaltigsten Vernetzungen, welche die Ordnung und den Zusammenhang der Erscheinungen gewähr- leisten sollen.

„Die einzelnen Sphären [...] sind durch ein Netz von Korrespondenzen miteinander ver- spannt. Korrespondenzen bilden die Kettenglieder, durch die das Sein zusammengehalten wird. [...] Das Renaissanceweltbild war der letzte Versuch, im Sinne der Tradition noch einmal das Ganze vorstellbar zu machen.“81

Diese Tendenzen ermöglichen den universalen Aufbruch des Denkens in eine neue Zeit: „Sie führten zur Erweiterung des europäischen Systems zu einem eurozentrischen Welt- system.“82 Verbunden mit den anthropologischen, geographischen sowie ökonomischen Entgrenzungen ist die zwar wissenschaftlich orientierte, aber noch christlich beauftragte ‚Ausfahrt‟.83 Die fulminanten Entdeckungen und neuen Erkenntnisse erschüttern zwar die mittelalterlichen Glaubensbestände und damit auch die Geltungsdauer vermeintlich gesicherter Überzeugungen; gleichzeitig führt das geöffnete Blickfeld zu jener selbstbe- stimmten Bewusstseinshaltung, die Korrespondenzen auch darum hervor bringt, um sie der zeitgemäßen „Rationalität einzugemeinden.“84 Diese Rationalität wird durch ein Weltbild zum Ausdruck gebracht, das sich aus der Summe der aktuellen Wissensbe- stände, Erfahrungen und Erkenntnisse ergibt. Zugleich erzeugt dieses Weltbild ein Kommunikationssystem, womit die neuen Erkenntnisse verbreitet werden können. Ge- währleistet wird diese Kommunizierbarkeit vor allem im Elisabethanischen Zeitalter durch den Glauben an eine alles miteinander assoziierende Korrespondenztheorie:

„Korrespondenzen können auch Teile der Schöpfung miteinander verbinden, die ihrem degree nach weit auseinanderliegen. Kein Aspekt der Weltordnung wird so häufig bere- det und beschrieben wie die Korrespondenzen. Mit Akribie, Spitzfindigkeit und Phanta- sie wird aufgezeigt, daß die Ordnung ein Muster an Symmetrie ist und daß alles zu allem

80 Näheres zum Utopiebegriff bei Manfred Asendorf, Jens Flemming, Achatz von Müller, Volker Ull- rich: Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe. Reinbek bei Hamburg 1994. S. 625ff. 81 Wolfgang Iser: Shakespeares Historien. Genesis und Geltung. Reihe: Konstanzer Bibliothek. Bd. 9. Konstanz 1988. S. 43ff. 82 Jürgen Klein Denkstrukturen der Renaissance. Ficino-Bruno-Machiavelli und die Selbstbehaup- tung der Vernunft. Reihe: kleine arbeiten zur philosophie. W. L. Hohmann (Hg.). Bd. 5. Essen 1984. S. 52. 83 Weitere Aspekte dazu bei Reinhart Koselleck (Hg.): Studien zum Beginn der Neuzeit. Stuttgart 1977. 84 Wolfgang Iser: Shakespeares Historien. A. a. O. S. 47.

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in Beziehung der Analogie steht.“85

Wie die späteren Epochen der Klassik und der Romantik kann darum auch die Renais- sance als eine nachantike Moderne betrachtet werden. Diese hat jedoch im Gedankengut des christlichen Mittelalters einen deutlich stärkeren Gegner als die spätere Ära der Aufklärung in den Machterhaltungsbestrebungen des zutiefst verachteten ‚Kastraten- Jahrhunderts‟86 von Barock und Rokoko. Eine weitere Linie von der späten Renaissance zur Romantik betrifft die Vorstel- lung von künstlerischer Autonomie: „Die Historisierung des Autonomiebegriffs bleibt aber unvollständig, wenn man ihn nicht bis in seine Ursprünge, die Zeit der Renais- sance, des Humanismus und der Reformation zurückverfolgt.“87 Die Schwank- und Fastnachtskultur sowie einzelne paradigmatische literarische Werke der Zeit leisten eine bemerkenswerte Ironisierung überkommener Werte- und Normensysteme. Bücher wie Das Lob der Torheit (1511) von Erasmus von Rotterdam, die Moralsatiren Narrenbe- schwörung (1512) und Der schelmen zunfft (1512) von Thomas Murner oder das Schwankbuch Dyl Ulenspiegel (1515) etablieren neue Ausdrucksformen und bilden ei- nen Kontrapunkt zu der idealisierenden Heldendichtung des Mittelalters. Sie emanzipie- ren sich dadurch von der traditionellen Unterwerfung ästhetischer Systeme unter päda- gogische oder theologische Imperative. Hinzu kommt ein intellektueller, ständeübergreifender Diskurs, der sich innerhalb der Gruppe der Gebildeten der Epoche entwickelt. Vor allem in der Kultur des florenti- nischen Quattrocento stellt diese kommunikative Vernetzung von Gelehrten, Künstlern und Wissenschaftlern ein charakteristisches Novum dar: „Der zwischen Künstlern, Hu- manisten und Gelehrten bestehende enge Kontakt […], bestätigt die Tatsache, daß der Künstler in der Gesellschaft eine neue Stellung hatte.“88 Mit dieser gesellschaftlichen In- thronisation des Künstlers korrespondiert jene vorbürgerliche Individualisierungsten- denz, die in den Gattungen des Briefromans, des Tagebuchs, der Autobiographie, der Porträtkunst89, aber auch in der monodischen Herausbildung des Sängersolisten aus der Mehrstimmigkeit die künstlerische Entwicklung des cartesianischen Subjekts befördert. Gerade in der Porträtmalerei von Antonello, Giorgione, Mantegna, Raffael, Tizian und vor allem von Jan van Eyck und Rogier van der Weyden wird im Zusammenwirken mit der Zentralperspektive ein sich selbst repräsentierendes, weltzentriertes Individuum vor-

85 Ulrich Suerbaum: Das elisabethanische Zeitalter. Stuttgart 1989. S. 486. 86 Friedrich Schiller: Die Räuber. In Schillers Werke. Dramen in zwei Bänden. Herbert Kraft (Hg.). Bd. 1. Frankfurt/Main 1982. S. 21. 87 Joël Lefebvre: Zur Autonomie der Literatur in der frühen Neuzeit. In Peter Bürger (Hg.): Zum Funktionswandel der Literatur. Reihe: Hefte für Kritische Literaturwissenschaft 4. Frankfurt/Main 1983. S. 61. 88 Liana Castelfranchi Vegas: Italien und Flandern. Die Geburt der Renaissance. Stuttgart, Zürich 1994. S. 35. 89 Näheres dazu in Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance. München 1985.

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geführt. In dieser kopernikanischen Wendezeit wird die Kunst mehr und mehr einer in- dividuellen Ausdrucksdimension zugeordnet. Gerade die damit verbundene subjektive Perspektive erlaubt dem Künstler, „die eigene, ästhetisch konstituierte Welt mit exemp- larischer Bedeutung zu füllen.“90 Während sich Leonardo da Vinci noch als Wissen- schaftler empfindet, glaubt bereits Michelangelo, dass das Ingenium des Künstlers nichts anderes bedeute, „als das Schöpfertum des unsterblichen Gottes zu wiederho- len.“91 Diese Tendenz einer sowohl anthropologischen als auch kulturellen Aufwertung des schöpferischen Individuums korrespondiert mit dem zentrierenden Moment der Zentralperspektive genauso wie mit der allgemeinen humanistischen Emanzipation des bildungsbestrebten Renaissance-Bürgers. Zugleich findet diese Entwicklung Nieder- schlag in allen Gattungen der Kunst, beeinflusst aber auch den musikalischen Formpro- zess: „Dieser ‚menschliche Maßstab‟ kommt auch in der sich mit Hilfe der neuartigen homophonen Mehrstimmigkeit herauskristallisierenden neuen Harmonik zum Aus- druck.“92 Eine entsprechende Subjektorientierung betont auch die Mehrstimmigkeit in der Liedform und im Liedsatz der Liedmotette von Guillaume Dufay in der Mitte des 15. Jahrhunderts.93 Vor allem aber kommt diese Homo mensura in den italienischen Vo- kalformen der Ballata, Villanella und der Frottola zur Geltung. Mit all diesen sowohl innovativen als auch emanzipatorischen Selbstbestimmungen wird eine Neuverortung der Künstlerpersönlichkeit begründet wie sie in ähnlicher Form erst wieder zu Beginn des 19. Jahrhunderts unternommen werden sollte. Auf der Grundlage eines subjektiven, genieästhetischen Blickwinkels beginnen sich schließlich auch die Gattungen und Wissenschaften einander anzunähern. Der Re- naissancekünstler übt und veredelt seine Begabungen in mehreren Bereichen des künst- lerischen Ausdrucks und beginnt sich Bildung und Wissensbestände sowie zahlreiche Fertigkeiten seines Zeitalters anzueignen. Damit unternimmt er einen Vorgriff auf jenen vielbeschworenen romantischen Universalismus, der keineswegs ein originäres Phäno- men des 19. Jahrhunderts darstellt. Universalistisch ist auch die kosmische Grundierung der Proportionenlehre und des Perspektivismus ausgerichtet: Die Übertragung makro- kosmologischer Anschauungen auf untergeordnete Einheiten hat jene allgemeine Sym- metrie im Sinn, deren Balance sich durch eine gleichmäßige Synthese heterogener Grundprinzipien ergibt.

„Wie eine Synthese zwischen Mystizismus und Ratio, neoplatonischem und aristoteli-

90 Kurt Scheel (Hg.): Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Heft 4. 41. München Jahrgang. April 1987. S. 336. 91 Michelangelo Buonarotti: Von Kunst und Leben. Aus Briefen und Gesprächen. Fritz Erpel (Hg.). Berlin 1964. S. 165. 92 Dénes Zoltan: Ethos und Affekt. Geschichte der philosophischen Musikästhetik von den Anfängen bis zu Hegel. Berlin 1970. S. 108. 93 Heinrich Besseler: Bourdon und Fauxbourdon. Studien zum Ursprung der niederländischen Mu- sik. Leipzig 1950. S. 216f.

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schem Denken gesucht wurde, so vereinigte man auch in der Bewertung der Proportions- lehre die harmonistisch-kosmologische Auffassung mit der normativ-ästhetischen.“94

Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum, dass sich die Protagonisten der deutschen Frühromantik neben ihrer thematischen und motivischen Orientierung am Mittelalter auch intensiv mit der Kunst und Kultur der Renaissance beschäftigen. Schon das histori- sche Drama des Sturm und Drang kolportiert dynastische Konflikte aus der italienischen Renaissance: In Julius von Tarent (1776) von Anton Leisewitz, in Die Zwillinge (1776) von Maximilian Klinger oder auch in Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua (1783) kommt neben einem spezifischen Renaissance-Kolorit auch der verwegene, ei- gengesetzliche Kraftmensch der Renaissance auf die Bühne. Aber auch der Roman Ar- dinghello und die glückseligen Inseln (1787) von Wilhelm Heinse führt „einen typi- schen Sturm und Drang-Helden im Zeitalter der italienischen Renaissance“95 vor und übt einen derart großen Einfluss auf die literarische Romantik aus, dass noch Karl Gutz- kow in Heinse „einen der ersten Stifter der Romantik“96 erblickt. Der Romantiker Fried- rich de la Motte Fouqué unternimmt in seiner Erzählung Sintram und seine Gefährten (1814) eine literarische Deutung von Albrecht Dürers Stich Ritter, Tod und Teufel (1514); E. T. A. Hoffmann versucht in dem Novellen-Fragment Der Feind (1824) am fiktiven Beispiel der Sterbestunde Albrecht Dürers das Motiv eines melancholischen zu verarbeiten.97 Einen herausragenden Höhepunkt einer spätromanti- schen Renaissance-Adaptation stellt die Novelle Vittoria Accorombona (1840) von Ludwig Tieck dar, in der nicht nur die krisenhaften Umbrüche der ersten vorneuzeitli- chen Moderne experimentell durchgespielt werden,98 sondern auch alle konstitutiven Themen und Motive der späteren Romantik vielfältig variiert werden. Neben den The- men- und Motivkreisen des Mittelalters ist es vor allem das kulturgeschichtliche Phä- nomen einer gesamteuropäischen Renaissance, die eine große Faszination auf die Rom- antik ausübt.

„Wie das Nebeneinander eines christlichen und antiken Olymp zum Gesamtkunstwerk des Barock gehörte, so fügen sich [...] ganz organisch auch die romantischen Elemente in den großen Stil, ob italienischer Renaissance, ob dem Mittelalter entstammend.“99

94 Erwin Panofsky: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1978 und 1996. S. 92. 95 Ehrhard Bahr: Aufklärung. In Ehrhard Bahr (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur. Kontinuität und Veränderung; vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Drei Bände. Bd. 2. Von der Aufklärung bis zum Vormärz. 2. Aufl. Tübingen und Basel 1998. S. 109. 96 Karl Ferdinand Gutzkow. Schriften. Bd. 2. Adrian Hummel (Hg.). Reihe: Haidnische Alterthümer. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Hans-Michael Bock (Hg.). Frankfurt/Main 1998. S. 1014. 97 Näheres zur literaturgeschichtlichen Dürer-Rezeption bei Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltlitera- tur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längeschnitte. 8. überarbeitete und erweiterte Aufl. Stuttgart 1992. S. 180ff. 98 Italo Michele Battafarano: Ludwig Tiecks Spätroman »Vittoria Accorombona«. In Silvio Vietta (Hg.): Romantik und Renaissance. Die Rezeption der italienischen Renaissance in der deutschen Romantik. Stuttgart 1994. S. 214. 99 Richard Benz: Die romantische Geistesbewegung. In Golo Mann u.a. (Hg.): Propyläen Weltge-

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Auch die Prosa von Dichtern wie Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck100, Achim von Arnim101, E. T. A. Hoffmann102, August Wilhelm Schlegel und anderen Romantikern hat häufig Themen, Motive und Persönlichkeiten der Renaissance zum Gegenstand. Vor allem in den Phantasien über die Kunst (1799) veranschaulicht Wa- ckenroder am Beispiel der Renaissance-Kunst das synthetische Potential des romanti- schen Gesamtkunstwerks.

„Der erste Teil der >Phantasien< befaßt sich hauptsächlich mit der Malerei, wiederum mit Dürer und Raffael, aber auch mit Watteaus Gemälden und einigen allgemeinen theo- retischen Gedanken etwa über die >Farben<. In diesem Aufsatz wird zum ersten Mal die Idee des Gesamtkunstwerks entwickelt, die für die Romantik charakteristisch wurde, nämlich die Verbindung verschiedener Künste zu einem höheren Ganzen.“103

In den Dichtern Dante, Petrarca und Boccaccio erblickt Friedrich Schlegel die Urväter der modernen Poesie, zu deren historischen Nachlassverwaltern sich repräsentative Frühromantiker aufgeschwungen hatten. In seinem Aufsatz Nachricht von den poeti- schen Werken des Johann Boccaccio (1801) entwirft Friedrich Schlegel eine Analogie zwischen der Novellenform Boccaccios und der romantischen Auffassung dieser Gat- tung. Im Kontext der romantischen Shakespeare-Rezeption der beiden Schlegel-Brüder steht auch Friedrich Schlegels Beschäftigung mit italienischen Novellen der Spätrenais- sance104 sowie seine romantisierende Beurteilung der Canzoniere (1336-69) von Francesco Petrarca. Präromantisch ist hier nicht nur das Moment ironischer Selbstrefle- xion, sondern auch die synthetische Potenz dieser Dichtung, die „als Mischprodukt aller Gattungen“105 angesehen wird. Und auch Schlegels Betrachtung der Renaissance- Malerei steht im Zeichen der romantischen Kunstsynthese:

„In den Werken der größten Dichter atmet nicht selten der Geist einer anderen Kunst. Sollte dies nicht auch bei Malern der Fall sein; malt nicht Michelangelo in gewissem Sinn wie ein Bildhauer, Raffael wie ein Architekt, Correggio wie ein Musiker?“106

______schichte. Bd. 8. Das neunzehnte Jahrhundert. A. a. O. S. 205. 100 Ludwig Tieck illustriert seinen Roman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) mit dem Spätrenais- sance-Ambiente der Stadt Nürnberg. Der Protagonist ist dort Schüler von Albrecht Dürer. 101 Siehe vor allem Arnims Novelle Raphael und seine Nachbarinnen (1824) sowie seinen Roman Die Kronenwächter. (1817), der in den Jahren zwischen 1475 und 1488 spielt. 102 Hoffmanns Erzählungen Der Artushof, Doge und Dogaresse sowie Meister Martin der Küfner und seine Gesellen sind sowohl zeitlich als auch thematisch an der Renaissance-Kultur orientiert. 103 Erika und Ernst von Borries: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 5. Romantik. München 1997. S. 74. 104 Siehe dazu Gerhard Storz: Klassik und Romantik. Eine stilgeschichtliche Darstellung. Mannheim, Wien, Zürich 1972. S. 103. 105 Gerhart Hoffmeister: Europäische Einflüsse. In Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. Stuttgart 1994. S. 108f. 106 Friedrich Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Im folgenden zitiert nach: KFSA. Ernst Behler (Hg.). 1. Abt. Bd. 2. Mitwirkung: Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Erste Abteilung: Kritische Neuausgabe. München, Paderborn, Wien, Zürich. 1958ff. S. 233.

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Auch die Beschäftigung der beiden Spätromantiker Franz Liszt und Richard Wagner mit Kunst und Künstlern der Renaissance führt zu mannigfaltigen Inspirationen. Liszt wird durch Renaissancemotive zu seiner Konzertouvertüre Tasso. Lamento e Trionfo (1849), zu der Wagner gewidmeten sinfonischen Dichtung Dante-Sinfonie (1857), zum Klavier- zyklus Deuxième année: Italie seiner Années de pèlerinage (1835/58) inspiriert.107 An Hector Berlioz schreibt er im Jahre 1839 aus Italien: „Raffael und Michelangelo verhal- fen mir zum Verständnis von Mozart und Beethoven [...].“108 Damit betont er eine Äs- thetik, deren universalistischer Anspruch einen epochenübergreifenden Charakter be- sitzt. Wagners und Liszts Dantebegeisterung kommt auch in zahlreichen Briefen zum Ausdruck.109 Wagners erstes großes musikdramatisches Bühnenwerk Rienzi, der letzte der Tribunen (1842) hat den Renaissance-Volkstribun Cola di Rienzi zum Gegen- stand.110 Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch Wagners Inspirationserlebnis bei der Betrachtung von Tizians Altarbild Himmelfahrt Mariä (1516-18) in Venedig. Hier be- sticht vor allem die Musikalität der Ausführung, die neben symbolischen und ikonogra- phischen Elementen auch den synästhetischen Eindruck eines „gleichsam orchestralen »Fortissimo« von Tizians Farben“111 zum Ausdruck bringt. In seiner Autobiographie Mein Leben berichtet Wagner, „daß Tizians Himmelfahrt der Maria [...] eine Wirkung erhabenster Art auf mich ausübte, so daß ich seit dieser Empfängnis in mir meine alte Kraft [...] wieder belebt fühlte.“112 Das Ergebnis dieser Begegnung mit einem Haupt- werk der venezianischen Spätrenaissance war der Entschluss einer Vollendung seines Meistersinger-Projekts. Schließlich weist auch der Frühromantiker Gotthilf Heinrich Schubert auf die Nähe der romantischen Epoche zur Zeit der Spätrenaissance hin. In einem Brief 09. März 1810 schreibt Schubert an Emil Herder: „Ist Dir nicht auch einmal die Ähnlichkeit des 14.

107 Das Klavierstück Sposalizio ist unmittelbar durch Raffaels Vermählung Marias, Il pensiero sowie durch Michelangelos Grabmal von Lorenzo Medici, dem Herzog von Urbino inspiriert; die Canzo- netta del Salvator Rosa, die drei Sonetti del Petrarca sowie Après une lecture du Dante tragen den inspirativen Ursprung bereits im Titel. 108 Franz Liszt: Gesammelte Schriften. Lina Ramann (Hg.). Bd. 2. Leipzig 1881. Nachdruck Hildes- heim. New York 1978. S. 253. 109 Siehe dazu die Briefe Wagners an Liszt vom 16. Mai und 07. Juni 1855, vom 19. April und 08. Mai 1859 sowie Liszts Brief an Wagner vom 02. Juni 1855. Zu Wagners Danterezeption siehe auch Richard Wagner: Mein Leben. Martin Gregor-Dellin (Hg.). München 1994. S. 543. 110 Die Renaissance als historischer, thematischer oder lokaler Opernvorwurf findet auch im romanti- schen Melodrama der bürgerlichen Epoche ihren Niederschlag. Siehe Rossinis Opern Otello ossìa Il Moro di Venezia (1816) und Maometto II (1820), Donizettis Oper Lucrezia Borgia (1833), Ver- dis Opern I due Foscari (1844), La Bataglia di Legnano (1848), Simon Boccanegra (1857) und Otello (1887). Schließlich spielt auch Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868) in einem Ambiente der deutschen frühneuzeitlichen Städterenaissance. 111 Stefano Zuffi, Francesca Castria: Italienische Malerei. Die Meisterwerke vom 14. bis zum 20. Jahrhundert. Köln 1998. S. 190. Näheres zu Tizians Himmelfahrt Mariä auch bei Stefano Zuffi: Ti- zian. Reihe: Berühmte Maler auf einen Blick. Stefano Peccatori, Stefano Zuffi (Hg.). Köln 1998. S. 32f. 112 Richard Wagner: Mein Leben. A. a. O. S. 684.

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und 15. Jahrhunderts [...] mit unserm jetzigen aufgefallen?“113 Gerade die Annäherung christlicher Anschauungen an klassisch-antike Denk- und Betrachtungsweisen sowie der gewaltige Aufbruch in den Künsten lenkt die Aufmerksamkeit der geschichtskundigen Frühromantiker auf die Initialzündung einer Epoche, die den geistes- und kulturge- schichtlichen Humus des gesamten christlichen Abendlandes bereitete.

Synthetische Strukturen in Renaissance und Manierismus

Im Gegensatz zum Mittelalter kann man der Renaissance kein einheitliches Gesamtkon- zept mehr unterlegen. Vor diesem Hintergrund erst werden die vielfältigen syntheti- schen Entwürfe von Landschaftsgärten, architektonischen Idealräumen und Idealstädten plausibel. Aber auch die interaktiven Adaptationstendenzen der einzelnen Kunstgattun- gen finden unmittelbar im Gestaltungsbewusstsein der Künstler Niederschlag. Was die- se untereinander verbindet sind „Beeinflussungen, und Beeinflussungen einen die Küns- te. Donatello inspiriert die Maler, und die Maler sind gleichzeitig Architekten, Gold- schmiede und alles mögliche.“114 Die aus diesen synthetischen Phänomenen entstande- nen sozialutopischen oder ästhetischen Gesamtkonzepte erwuchsen weitgehend aus der Aneignung unterschiedlichster Formen, Gattungen und Stile, die, befördert durch das Geschichtsbewusstsein des Zeitalters, aus den großen Epochen der Welt- und Kulturge- schichte entlehnt wurden.

„Gerade in ihren puristischen Momenten leistet sich die Renaissance offenbar Synthesen aus unterschiedlichsten Beiträgen, die im Sinne einer neuen, monumental verknappten Klarheit gesichtet werden. [...] Will man Renaissance nicht als Fiktion entlarven oder ganz aufgeben, ist ein reichhaltiges, kompliziertes Bezugsnetz anzunehmen, welches die gesamte Bildung, alte wie neue, antike und christliche, in ein umfassendes, naturwissen- schaftlich, politisch und ökonomisch interessiertes Denken mit einbaut und darüber we- der die Summa theologica noch den Gestirns(aber)glauben vergißt.“115

In den Kontext präromantischer Synthesen gehören auch musikalische und musikalisie- rende Bezüge: „Ockeghem, so heißt es in einer italienischen Quelle, sei der Donatello der Musik und Josquin des Près ihr Michelangelo.“116 Schon Giovanni Boccaccios Hauptwerk Il Decamerone (1353) unterliegt einer kompositorischen Struktur, die neben

113 Gotthilf Heinrich Schubert in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. Leipzig 1938. S. 451. 114 Julius Meier-Graefe: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. Bd. 1. Hans Belting (Hg.). München 1987. S. 63. 115 Günter Metken: Renaissance – Wunschbild und Wirklichkeit. In Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Heft 12. 40. Jahrgang. Dezember 1986. A. a. O. S. 1015. 116 E. Lowinsky: Music in the Culture of the Renaissance. In Journal of the History of Ideas. 15. Zi- tiert nach: Peter Burke: Die Renaissance. Berlin 1987. S. 50.

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der Assimilation unterschiedlichster formaler und motivischer Elemente auch auf einer durchgehenden Musikalisierung beruht. Das gesamte szenisch arrangierte Ensemble ist mit musikalischen Themen und Motiven verknüpft, wobei Musik selbst innerhalb der Rahmenerzählung als synthetisierendes Medium eingesetzt wird.

„jeder spielt hierbei mit seiner Erzählung eine freie Variation auf den gegebenen The- mensatz. Die Tage gleichen auf diese Weise musikalischen Kompositionen. Sie heben stets mit einer idyllischen Einleitung an und enden mit einer Canzone, mit Gesang und Tanz. Dies war ein weiteres Mittel, die kompositorische Geschlossenheit sinnfällig zu machen.“117

Anspielungen auf die Musik seiner Epoche unternimmt auch der flämische Maler Jan van Eyck in seinem Genter Altar (1432). Neben der musikalischen Ikonographie (Mu- sikinstrumente, liturgische Gewänder der Engel etc.) assoziiert er auch die mehrstimmi- ge französische Ars nova, die durch rhythmische Verfeinerungen eine größere Natür- lichkeit anstrebte und der Melodie eine mimetische Qualität verlieh.118 Solche Bezüge werden als solche auch von der literarischen Frühromantik wahrgenommen und als Pa- radigma synthetischer Gestaltung herangezogen.119 Aber auch Michelangelo bedient sich musikalischer Metaphern, um das Wesen seiner Malerei zu kennzeichnen:

„Ein gutes Gemälde ist nichts anderes als ein Abglanz der Vollkommenheit Gottes und eine Erinnerung an Gottes Malerei; eine Musik und eine Melodie schließlich, die nur ein großer Geist, und auch der nur mit Anstrengung, wahrzunehmen vermag.“120

Synthetische Tendenzen können in der gesamten Kunst der Renaissance und des Manie- rismus nachgewiesen werden, auch wenn die Rezeption sowie der sozio-kulturelle und sozio-ökonomische Rahmen nicht mit den Bedingungen der romantischen Epoche ver- glichen werden können. Die gesellschaftliche Ordnung vor allem in der Zeit des Triden- tinischen Konzils (1545-63) war hierarchisch ausgerichtet und gründete auf einer autori- tären Dialektik von wenigen Herrschern und vielen Knechten. Das feudale Herrschafts- gebilde war rationalistisch organisiert und auf Symmetrie und Proportionalität gegrün- det, was u.a. in der Villenkonzeption von Andrea Palladio zum Ausdruck kommt.

„Im »Gesamtkunstwerk« der venezianischen Villa spiegeln sich [...] die aufgezeigten ge- sellschaftlichen Verhältnisse genau wider, zu höchster Konsequenz getrieben in den Bau- ten Andrea Palladios. Die ideale Geometrie seiner Villengrundrisse und die mathemati- schen Proportionen, das heißt, die aus der zeitgenössischen Musiktheorie und der pytha-

117 Andreas Bauer: Nachwort zu Giovanni Boccaccio. Das Dekameron. Stuttgart 1971. S. 855. 118 Norbert Schneider: Jan van Eyck: Der Genter Altar. Vorschläge für eine Reform der Kirche. Frankfurt/Main 1986. S. 51. 119 Vor allem in Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie (1800) wird auf solche Vorbilder hin- gewiesen. Siehe Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2 S. 336. 120 Michelangelo Buonarotti: Von Kunst und Leben. A. a. O. S. 157.

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goreischen Weltsicht sich herleitenden »rationes« […] garantieren die Teilhabe der Ar- chitektur an einer göttlichen Ordnungsvorstellung, die die Villa als soziales, ethisches, ökonomisches und künstlerisches Phänomen totaliter umgreift.“121

Hinzu kommt ein landschaftsszenischer Aspekt: Palladios Villa Rotonda (1566-1570) bei Vicenza wird in eine theatralische Landschaft eingebettet und dabei landschaftsar- chitektonisch inszeniert. Nach Palladios eigenen Worten, soll die Villa selbst auf einem Hügel erhöht stehen, aber auch umgeben sein „von weiteren lieblichen Hügeln, die den Eindruck eines großen Theaters erwecken […].“122 Auf diese Weise in eine natürliche Hügellandschaft integriert, „gerät der Standpunkt des Architekten zum Podium, die Ar- chitektur selbst wird zum Regisseur und die Landschaft zur Kulisse.“123 Der kultivierte Naturraum wird zur Theaterlandschaft, die durch das architektonische Villen-Kunstwerk ästhetisch nobilitiert wird. In der Malerei der Übergangszeit zwischen Spätrenaissance und Manierismus sind es vor allem jene integralen Rauminstallationen, die den Betrachter in die Komposition mit einzubeziehen trachten. Vor allem die Repräsentationsräume der kirchlichen und weltlichen Macht waren für eine solche sakralperspektivische sowie ikonographisch überwältigende Raumarchitektur repräsentativ.124 Eine solche illusionistische Verschie- bung der Wirklichkeitsebenen wurde bereits in der Camera degli Sposi (1465-1474) des Palazzo Ducale in Mantua von Andrea Mantegna verwirklicht. Hier setzt sich die Illusi- on eines dreidimensionalen Raumes in die Innenarchitektur des Raumes fort. Es entsteht

„eine Durchdringung von Illusions- und Betrachterraum. Tatsächlicher Raum und Male- rei befinden sich in Interaktion, die Malerei bringt den Raum erst hervor. Der Bildraum setzt die reale Perspektive des Betrachters fort. [...] Der Gesamteindruck der Camera wirkt geschlossen, erst nach und nach eröffnen sich dem aufmerksamen Betrachter die Details des changierenden Raum-Zeit-Gefüges.“125

Eine synästhetische Wirkung durch ein inszeniertes Raumensemble erzielt auch der Ar- chitekt und Maler Giulio Romano mit der turbulenten Ausgestaltung der Sala dei Gi- ganti (1532-1534), einem Raumfresko in dem gleichfalls von ihm entworfenen architek- tonischen Gesamtkunstwerk Palazzo del Tè126 in Mantua. Auch in Andrea Mantegnas Bilderzyklus Triumphzug des Caesar (1484-1495) wird die Bilderfolge synästhetisch

121 Reinhard Bentmann, Michael Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. Eine kunst- und sozial- geschichtliche Analyse. Frankfurt/Main 1992. S. 35f. 122 Andrea Palladio zitiert nach: James S. Ackerman: Palladio. Stuttgart 1980. S. 60. 123 Alexander Markschies: Ikonen der Renaissance Architektur. München, Berlin, London, New York. 2003. S. 120. 124 In Rom sind hier vor allem zu nennen: die Stanza d’Eliodoro (1514), der Sala di Costantino (1524), der Sala Paolina (1548), der Sala Regia (1573) sowie der Sala dei Capitani (1592). Nähe- res dazu bei Loren Partridge: Renaissance in Rom. Die Kunst der Päpste und Kardinäle. Reihe: Art in context. Köln 1996. S. 145-172. 125 Nike Bätzner: Andrea Mantegna. 1430/31-1506. Köln 1998. S. 73. 126 Alexander Markschies: Ikonen der Renaissance Architektur. A. a. O. S. 72.

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aufgeladen. Noch der späte Goethe assoziiert dieses Kunstwerk mit opernhaften Ele- menten:

„Feste Städte von Kriegsheeren umringt, bestürmt durch Maschinen, eingenommen, ver- brannt, zerstört; weggeführte Gefangene zwischen Niederlage und Tod. Völlig die an- kündigende Symphonie, die Introduktion einer großen Oper.“127

Musterbeispiele einer manieristisch-barocken Theatralisierung von Sälen und Räumen in der Übergangszeit zwischen Renaissance und Barock stellen auch die prachtvollen il- lusionistischen Innendekorationen der venezianischen Paläste, Prunkräume sowie Pri- vathäuser dar. Ornamentale Innenraumarchitekturen wie die des Palazzo Pesaro, Palaz- zo Moncenigo, Palazzo Erizzo alla Maddalena, Palazzo Zenobio, Palazzo Dolfin, Pala- zzo Sagredo, des Dogenpalastes sowie der Palazzo Pesaro sind eindrucksvolle Zeugnis- se einer synthetischen Durchdringung verschiedener Kunstgattungen im Zeichen einer noch feudalen aber auch schon frühbürgerlichen Repräsentation: „Gemeinsam standen Malerei und Stuck im Wettstreit um die Aufhebung der räumlichen Grenzen, um den re- alen Raum in ein Theater der Imagination zu verwandeln.“128 Der auf die Renaissance folgende Manierismus vollendet, erweitert und entgrenzt die Renaissance dann in gera- dezu romantischer Hinsicht.129

127 Johann Wolfgang von Goethe: MA. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Im folgenden zitiert nach MA. Karl Richter u.a. (Hg.). Bd. 13.2. Die Jahre 1820-1826. München 1993. S. 123 128 Adriano Mariuz, Giuseppe Pavanello: Die Innendekoration der venezianischen Paläste. In Gian- domenico Romanelli (Hg.): Venedig. Kunst & Architektur. Berlin 2005. S. 527f. 129 Die Bedeutung der manieristischen Kunstauffassung für das Theater der deutschen Romantik hat Marianne Thalmann in ihrer Abhandlung Romantik und Manierismus am Beispiel von Ludwig Tiecks Mysteriendrama Leben und Tod der heiligen Genoveva ausführlich dargestellt. Siehe Mari- anne Thalmann: Romantik und Manierismus. Stuttgart 1963. S. 128-206.

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Barocke Gesamtkunsttendenzen

Synthetische Repräsentation

In der französischen Renaissance war die opulent gestaltete und multimedial inszenierte Festveranstaltung das bedeutendste Huldigungsmedium der zentralen Machtinstitutio- nen.130 Aber auch im Barockzeitalter gibt es eine Tendenz zum repräsentativen Erschei- nungsbild. Die bereits in der Renaissance angedeuteten ästhetischen Grenzüberschrei- tungen werden nun allmählich zu einem allgemein verbindlichen Programm ausgearbei- tet. Dessen synthetische Potenz erzeugt einen dramatischen Monumentalstil, welcher der weltlichen Repräsentation eine beinahe transzendentale Weihe erteilt. Die vielfältigen Formen fürstlicher, auch kirchenfürstlicher Selbstdarstellungen dienen nicht nur einer ästhetischen Definition von Herrschaftsstrukturen im politischen Spektrum barocker Macht- und Prachtentfaltung, sondern auch einer mythologischen Überhöhung von Herrschaft schlechthin. Vor allem in der Regierungszeit von Ludwig XIV. wird die ab- solutistische Macht durch eine wirkungsvolle Zusammenfassung der medialen Darstel- lungsmittel mythologisiert: „Zeremoniell, Kunst und Architektur können als Instrumente der Selbstbehauptung angesehen werden, als Fortsetzung von Krieg und Diplomatie mit anderen Mitteln.“131 Zweck der synthetischen Repräsentation im Reich Ludwigs XIV. war es, die in- und ausländische Öffentlichkeit zu beeindrucken und den dadurch ge- wonnenen Respekt für Frankreich politisch nutzbar zu machen. Darüber hinaus sollte durch die synthetische Repräsentation der spezifisch französischen Barockkultur die dy- nastische Legitimität der Thronfolge Ludwigs betont sowie Zweifel am herrscherlichen Selbstverständnis zerstreut werden. Zum Ruhme des Sonnenkönigs wurden die ver- schiedenen Künste und Unterhaltungsmedien systematisch einer offiziellen Inszenie- rungskultur subordiniert. Deren Regisseur war zwischen den Jahren 1643 und 1661 Ludwigs Regierungschef Kardinal Mazarin. Später wurde die multimediale Panegyrik auf den Herrscher von Mazarins Nachfolger, dem Wirtschaftsminister Jean Baptiste Colbert, fortgesetzt. Dieser hatte die Vision, dass der Verherrlichung des Königs sämtli- che Künste dienstbar gemacht werden müssten.

„Das königliche Bild sollte als Gemeinschaftsprodukt betrachtet werden. Maler Bildhau- er und Kupferstecher arbeiteten daran ebenso wie Hofschneider, Perückenmacher und Tanzmeister, Dichter und Ballettchoreographen und die Zeremonienmeister, die die Krö- nungsfeierlichkeit, die königlichen Entrées und andere öffentliche Veranstaltungen diri- gierten.“132

130 Näheres dazu bei Ferdinand Seibt: Die Begründung Europas. Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre. Frankfurt/Main 2004. S. 359-374. 131 Peter Burke: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs. Berlin 2001. S. 86. 132 Ebd. S. 62.

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Zweck dieses synthetischen Inszenierungszaubers ist die verklärende Darstellung der Größe und Bedeutung des absolutistischen Monarchen. Nicht nur die Oper und das Bal- let, sondern auch „Wasserspiele, Feuerwerke und Turniere, Triumphzüge, große garten- künstlerische Anlagen und Festarchitektur bildeten ein Ensemble sinnbildhafter Ver- weise auf die Größe des Souveräns.“133 Die Kultur barocker Repräsentation erreicht ih- ren adäquaten Ausdruck in einem System, das im Hof von Versailles seinen sowohl kul- turellen und politischen als auch allegorischen Glanzpunkt fand: „Der Hof von Versai- lles war der Brennpunkt aller dieser Inszenierungen des absolutistischen Königtums.“134 Dieses System avanciert schließlich zum europäischen Paradigma synthetischer Selbst- darstellung schlechthin. Im Schatten des französischen Absolutismus blühen noch die kleinsten europäischen Fürstenhöfe zu barocken Metropolen im Geiste einer überstei- gerten Überwältigungsästhetik auf. Um diesen sinnlichen Totaleindruck absolutistischer Pracht- und Glanzentfaltung zu erreichen werden sämtliche Medien bemüht und zu ei- nem multidimensionalen barocken Gesamtkunstwerk kombiniert. Signifikant ist die Tendenz „zur Vereinigung aller darstellerischen Elemente und theatralen Genres in der Form eines barocken Totaltheaters.“135 Die Akteure dieses Universalspektakels sind die diversen Künstler, die Zielgruppe ist ausschließlich der in das absolutistische System in- tegrierte Adel.

„Vor allen Dingen wurden die einzelnen Gattungen – Bildende Kunst, Musik, Ballett und Literatur – so miteinander verknüpft, dass sich ein Gesamtkunstwerk ergab. Die Auffüh- rung eines Comédie-ballet mit der Musik von Lully und einem Text von Molière in den Gärten von Versailles führte dem Hochadel Frankreichs die Legitimität des herrschenden Regierungssystems so anschaulich vor Augen, dass dessen Mitglieder die Rechtmäßig- keit der Staatsgewalt unwiderstehlich fanden [...].“136

Weitere Höhepunkte im Spektrum barocker Selbstüberbietungen sind, wie auch schon in der Renaissance, die vielfältigen Festveranstaltungen, die sich den gesamten multi- medialen Apparat aller möglichen theatralischen Darstellungsmittel dienstbar machen. Das Fest wird einerseits Teil des barocken Gesamtkunstwerks, andererseits vollzieht sich im Fest auch eine Synthese von künstlerischen Gestaltungsformen, von geistlichen und säkularen Elementen sowie von Präsentation und Repräsentation kirchlicher und weltlicher Macht. Und selbst die zeitlich begrenzte, lokal determinierte, erregende oder stimulierende Entgrenzung erhält ihren legitimen Platz im Gesamtgefüge einer Welt, de- ren Sinnzentrum im synthetischen Festkunstwerk einen entsprechenden Ausdruck erhält.

133 Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 2. Stuttgart, Weimar 1996. S. 6. 134 Ebd. S. 166. 135 Ebd. S. 5. 136 Timothy C. W. Blanning: Das alte Europa. 1660-1789. Kultur der Macht und Macht der Kultur. Darmstadt 2006. S. 56.

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„Zu diesem Gesamtkunstwerk gehören nicht nur die Künste, Architektur, Plastik, Malerei und Ornament in ihrer gegenseitigen Durchdringung, wie wir sie im Kirchen- und Schloßbau vereinigt finden, sondern auch das Fest, das diese Künste erst im geistlichen und weltlichen Zeremoniell miteinander verbindet und ihnen dabei noch die Musik, die Dichtung und den Tanz beigesellt.“137

Sowohl die kirchlichen als auch die weltlichen Herrschaftssysteme operierten innerhalb dieses hierarchisch gegliederten Welttheaters und überboten sich gegenseitig in der Opulenz ihrer Inszenierungen: „Oft gingen höfisches Zeremoniell und kirchlicher Auf- zug saumlos ins mimetische Spiel über.“138 Aber auch das grenzenlose Aufgebot an Menschenmassen, die dieses feudal-aristokratische Hofsystem bedienten, war beeindru- ckend. Unter den mehr als 20000 Beteiligten waren etwa 1000 Adlige und etwa 4000 Diener, die im Schloss und in seinen zahllosen Nebenbauten lebten.

Integrale Entwürfe in Kunst und Architektur

Das Barockschloss selbst war gekennzeichnet durch seine perspektivische Offenheit, welche die monumentalen Dimensionen der Anlage schon beim ersten Blick auf die gewaltige Mittelachse eröffnete.139 Für solche Überwältigungsarchitekturen wurden kongeniale Baumeister benötigt, die es verstanden auch alle anderen Kunstgattungen dem Bauwerk integrativ einzuverleiben.

„Oft verbanden sie in einem einzigen Raum die drei Künste Malerei, Bildhauerei und Baukunst in einer Weise, daß die Malerei des Altarbildes, die Fresken des Gewölbes oder die in Stein gehauenen Darstellungen der Heiligen oder Stifter genauso ihren Teil zur Gesamtwirkung beitrugen wie die eigentliche Architektur. Ferner benutzten die Künstler, die auf einem Gebiet arbeiteten, oft die Mittel der anderen Gattungen, um so eine richtig- gehende Verschmelzung der Bildkünste zu schaffen. […] Es blieb dem eigentlichen Ba- rock vorbehalten, diese verschiedenen Möglichkeiten zu einem Gesamtkunstwerk zu ver- binden; das Ergebnis war mutiger und dramatischer als alles, was im 16. Jahrhundert hervorgebracht wurde.“140

Unter dem Primat einer überragenden Baukunst vereinigen sich die Einzelgattungen der Kunst zu einem spezifisch repräsentativen Gesamtkunstwerk, das sich sämtlicher Para-

137 Andreas Prater, Helmut Bauer: Malerei des Barock. Reihe: Epochen & Stile. Ingo F. Walther (Hg.). Köln 1997. S. 12. 138 Hans-Wolf Jäger: Theater. In Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur - Eine Sozialgeschich- te. Bd. 3. Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock 1572-1740. Reinbek bei Hamburg 1985. S. 257. 139 Siehe dazu auch Rolf Hellmut Foerster: Das Barock-Schloß. Geschichte und Architektur. Köln 1981. S. 26f. 140 Anthony Blunt: Kunst und Kultur des Barock und Rokoko. Architektur und Dekoration. Frei- burg/Breisgau 1979. S. 11ff.

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meter einer sinnlich verführerischen Effekt- und Überwältigungsdramaturgie bedient: „Der Hochbarock schafft das Gesamtkunstwerk. Die Werke der Maler wie der Bildhau- er werden zu Instrumentalklängen im großen Orchester der Baukunst.“141 Aber auch die musikalisierten Bilderwelten und Prachtbauten des Barock zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert sind geradezu paradigmatische Programmentwürfe im Zeichen syntheti- scher Durchdringung. Es werden verschiedenste Gemäldeformen, Fresken, Stuckaturen, Skulpturen, Inneneinrichtungen und Architektur zu grandiosen Ensembles zusammen gefügt.142 Berninis Baldachin über dem Apostelgrab im Petersdom (1624-1633) in Rom schafft durch die Einbeziehung des Betrachters und die Aufhebung der perspektivischen Fixpunkte jene barocke Virtualität, die den symbolischen Raum mit der illusionistischen Installation synthetisiert: „Betritt der Betrachter den Vierungs- bzw. den Chorraum, be- wegt er sich bereits innerhalb des Raums des Kunstwerks, hat also die Grenze zwischen reellem Raum und Kunstraum überschritten.“143 In Berninis Konzeption der Familien- grabstätte Capella Cornaro (1651) in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom wird eine mystisch-morbide Todesseligkeit gerade durch die theatralische Inszenierung von Raum und Licht effektvoll konterkariert: „Bernini [...] inszenierte das Ereignis mit den Mitteln des Theaters, vor allem durch gekonnt eingesetzte Beleuchtung, wie auf ei- ner Bühne.“144 Aber auch die architektonischen Meisterwerke des Baumeisters Balthasar Neumann folgen den Prinzipien der Theatralisierung. Bei der Raumgestaltung der Pfarr- und Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen (1743-1772) gestalten Neumann und sein Nach- folger Johann Jakob Michael Küchel durch Verschleifungen und Mischungen verschie- dener Gewölbegruppen eine Auflösung des Raumes. Auf diese Weise

„ensteht ein >Gesamtraum<, den eine einzigartige Lichtfülle strukturell verschmilzt, zu- gleich optisch an die Mantelmauern bindet. Der Betrachter fühlt sich an die durch Soffit- ten abgeschirmte Beleuchtung einer Bühne erinnert, und oft ist die Quelle des Lichtreich- tums für ihn erst erkennbar, wenn er sich im Raum bewegt.“145

Diese theatralische Erlebnisdynamik einer aus sukzessivem Schauen und Schreiten sich allmählich ergebenden Simultanvorstellung erweitert ihre Wirkung gar zu einer traum- haften Wahrnehmung: „Der Raum wurde ein […] Gesamtkunstwerk von einer neuen Qualität und einer Wirkung, die wie ein Traum ist.“146 Diese sinnlich-betörende Wir-

141 Karl Baur: Zeitgeist und Geschichte. Versuch einer Deutung. München 1978. S. 44. 142 Näheres dazu bei David Ganz: Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römi- schen Kirchen 1580-1700. Reihe: Studien zur internationalen Architekturgeschichte und Kunstge- schichte. Bd. 14. Petersberg 2003. 143 Felix Burda-Weber: Barocke Installationen. Die Raumkunst des Barock, gesehen aus dem Blick- winkel der modernen Videokunst. In Herbert von Karajan Centrum (Hg.): Amor vincit omnia. Ka- rajan, Monteverdi und die Entwicklung der Neuen Medien. Symposium 1999. S. 147. 144 Brigitte Hintzen-Bohlen: Rom. Kunst & Architektur. Königswinter 2005. S. 251. 145 Wilfried Hansmann: Balthasar Neumann. Leben und Werk. Köln 1986. S. 159. 146 Bernhard Schütz: Balthasar Neumann. 2. Aufl. Freiburg, Basel, Wien 1987. S. 175.

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kungsästhetik wird schließlich überboten durch eine fugenhafte Durchführung der zent- ralen Konstruktionselemente. Dabei werden immer wieder ältere Motive aufgegriffen, modifiziert, weiterentwickelt und einander wertmäßig angeglichen, so dass die polypho- ne Raumgestalt durchaus einen Analogieschluss zwischen der Raumstruktur und dem Strukturprinzip der zeitgenössischen Barockmusik zulässt.

Synthesetendenzen in Musik, Theater und Wissenschaft

Romantische Rückbezüge auf ganzheitliche Tendenzen in der Barockmusik reichen von E. T. A. Hoffmann bis hin zu Richard Wagner. Dieser erkennt bereits in Bachs Kunst der Fuge (1751) kosmologische Dimensionen: „Es ist wie ein Weltbau, der nach einem ewigen Gesetz sich bewegt [...].“147 An anderer Stelle verweist Wagner am Beispiel des Wiederholungsaspekts von Bachs Präludien auf die Repetition seiner eigenen Leitmoti- ve.148 Die unendliche Melodie glaubt er bereits in der Traumkunst Bachs, vor allem in der Fuge Nr. 14 in fis-moll149, zu erkennen: „unbewußt wie im Traum ist vieles von Bach niedergeschrieben; die unendliche Melodie ist da prädestiniert.“150 Schließlich ma- che ihm eine der Orgel-Fugen Bachs die Verwandlung der menschlichen Stimme in ei- nen Naturlaut evident, in dem sich eine ganze Gattung artikuliere: „Das Thema bezeich- net er als menschliche Stimme, die zur Vogelstimme übergeht, die Gattung als Vogel spräche da.“151 Aber auch auf andere nachfolgende Musikdramatiker hatten Bachs Kom- positionen einen großen Einfluss. Für seine beiden Opern Telemacho (1765) und Iphigénie en Tauride (1779) adaptiert der Opernreformer Christoph Willibald Gluck den Modus des unaufhörlichen Fortschreitens der Gigue von Bach.152 Weitere Aneignungen Bachscher Musik finden sich im zweiten Finale von Mozarts Zauberflöte (1791), wo in der Geharnischten-Szene [II; 28] eine Bachsche Choralbearbeitung erklingt. Aber auch Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868), deren Vorspiel er ein- mal als „angewendeten Bach“153 bezeichnete, gibt Kunde über Wagners Stil- und Stim- mungsadaptationen aus der Epoche Bachs: „Der Hörer assoziiert freilich nicht die Zeit Dürers und Hans Sachs‟, sondern die Bach-Zeit mit ihren figurativen Themen, ihren Or-

147 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Zwei Bände. Bd. 2. 1878-1883. Martin Gregor-Dellin, Dietrich Mack und die Stadt Bayreuth (Hg.). München, Zürich 1977. S. 113. Am 13. Februar 1871 nennt Wagner Bachs Musik gar „eine Idee der Welt“ und unterstreicht damit seinen idealistischen Inter- pretationsansatz. In Cosima Wagner: Die Tagebücher. A. a. O. Bd. 1. 1869-1877. S. 356. 148 Ebd. S. 300. 149 Ebd. Bd. 2. S. 308. 150 Ebd. Bd. 1. S. 229. 151 Ebd. S. 730. 152 Wolfgang Osthof: Bach und die Oper. In Jürgen Schläder, Reinhold Quandt (Hg.): Festschrift Heinz Becker. Zum 60. Geburtstag am 26. Juni 1982. Laaber 1982. S. 51. 153 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Bd. 2. A. a. O. S. 264.

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namenten und Kadenzen.“154 Für Wagner selbst markiert Bach nicht nur die epochale Schnittstelle zwischen Mittelalter und Neuzeit.155 Bachs fundamentaler Jenseitsbezug entspricht Wagners Verneinung des Diesseits, und beide waren sie beseelt von der Idee einer Überwindung der empirischen Welt durch das ästhetisch-musikalische Medium.

„Bach und Tristan – Kunst wird als Religion verstanden, ja als ein Stück Mystik: Sie weist auf das Ding an sich hin und ist in ihrer Absolutheit doch nur in Negationen zu fas- sen: unverständig, unverstehbar, unbewußt, unendlich. […] Beiden, Bach und Wagner, genügt die werkimmanente Schönheit der Musik nicht, beiden ist sie darüber hinaus Hinweis auf künftige Freiheit.“156

Die sakrale Textgrundlage von Bachs opus ultimum, der h-moll-Messe (1748), unter- streicht den umfassenden Bedeutungszusammenhang, in dem Bachs Spätwerk ent- steht.157 Die einzigartige Tiefendimension dieser Messe ergibt sich nicht nur aus der mu- sikalischen Wirkung, sondern auch durch den religiösen Überbau der Epoche: „Bachs abgeschlossenes Werk stellt sich dar als einzigartige Synthese musikalisch-autonomer und außermusikalisch-theologischer Elemente.“158 Das mit diesem Werk artikulierte Glaubensbekenntnis ergänzt die traditionellen Form- und Stiladaptationen kongenial. Eine romantische Gesamtkunst-Referenz erweist auch der von Johann Mattheson übersetzte und in den dritten Teil seiner Critica musica (1722) übernommene Text Dis- sertation sur la musique italienne et françoise par Mr L. T. (1713) des unter dem Pseu- donym Monsieur L. T. publizierenden Autors. Darin werden die beiden romantischen Positionen einer wesenhaften Übereinstimmung der Künste sowie einer integralen Iden- tität von Dichter und Komponist in einer Person unmittelbar vorweg genommen.

„Ist nicht die Musik mit ihrem Zeitmaße eine Poesie, ja eine klingende und wohlstimmi- ge Malerei? Sind nicht Malerei und Poesie aus einer lieblichen Harmonie zusammenge- setzt? Haben sie nicht eine Vermischung und Entgegensetzung der Farben und Gedan- ken, die wie ein Gesang artig aneinanderhängen? [...] Es wäre auch wohl zu wünschen, daß der Musikus zugleich ein Poet sein könnte, wie es bei den alten Griechen war, damit er seine Worte nach der Melodie bequemlich einrichten und sein Werk einerlei Ursprung haben möchte.“159

154 Egon Voss: Wagners als Oper des deutschen Bürgertums. In Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei Hamburg 1981. S. 29. 155 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Bd. 2. A. a. O. S. 315. 156 Martin Geck: Bach und Tristan – Musik aus dem Geist der Utopie. In Martin Geck (Hg.): Bach- Interpretationen. Kleine Vandenhoeck-Reihe 291. Göttingen 1969. S. 192f. 157 Wolfgang Sandberger: Bach 2000. 24 Inventionen über Johann Sebastian Bach. Stuttgart, Weimar 1999. S. 12f. 158 Ulrich Meyer: J. S. Bachs Musik als theonome Kunst. Mainz 1976. S. 19. 159 Monsieur L. T.: Dissertation sur la musique italienne et françoise par Mr L. T. In Carl Dahlhaus, Michael Zimmermann (Hg.): Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Schriften aus drei Jahrhunderten. München und Kassel 1984. S. 64f.

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Solche Positionen verweisen auf Romantiker wie Friedrich Schlegel, Carl Maria von Weber, E. T. A. Hoffmann oder Jean Paul. Für Hoffmann stellt nicht nur die Musik Glucks und Mozarts den Inbegriff des Durchgeistigten, Vollendeten und Heiligen dar, sondern auch das Werk Bachs. Dessen Goldberg-Variationen (1742)160 werden bei- spielsweise in der Erzählung von Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden (1810) erwähnt. In seiner Erzählung Kreisleriana (1814) werden Bachs Motetten gar mit Architektur assoziiert: „Ich sehe in Bachs achtstimmigen Motetten den kühnen, wundervollen romantischen Bau des Münsters mit all den phantastischen Verzierungen, die künstlich zum Ganzen verschlungen, stolz und prächtig in die Lüfte emporsteigen [...].“161 Eine entsprechende romantisierende Adaptation Bachs findet auch in Ludwig Tiecks Novelle Musikalische Leiden und Freuden (1824) statt, wobei Tieck vor allem das synthetische Potential im Bachschen Werk hervorhebt.

„Jetzt wurde ich mit dem wundervollen Genius des großen Sebastian Bach bekannt, in dem vielleicht schon alle Folgezeit der entwickelten Musik ruhte, der alles kannte und al- les vermochte, und dessen Werke ich etwa nur mit den altdeutschen tiefsinnigen Müns- tern vergleichen möchte, wo Zier, Liebe und Ernst, das Mannigfaltige und Reizende in der höchsten Notwendigkeit sich vereinigt, und in der Erhabenheit uns am faßlichsten das Bild ewiger und unerschöpflicher Kräfte vergegenwärtiget.“162

In die Reihe einer romantischen Einverleibung von präromantischen Komponisten gehö- ren unter anderem auch frühbarocke Komponisten wie Allegri, Palestrina, Leo, Durante, Hasse, Marcello oder auch Pergolesi, dessen „Zaubermelodieen“163 Ludwig Tieck mit der Malerei Correggios vergleicht. Die barocke Synthese der Künste sowie die Synthese von Kunst und Leben ist weitgehend dramatischer Natur: „das Leben ist ein Spiel, und somit kann man von einer ‚Theatralisierung‟ der Wirklichkeit an sich in der Epoche des Barock sprechen.“164 Dies kommt in den theatralischen Realisationen der künstlerischen Sujets in der Musik, der Malerei, Prosa und Poesie zum Ausdruck. Eine solche Theatralisierung prägt einerseits den Inhalt und die Textgestalt sowohl des weltlichen als auch des geistlichen Dramas165, nimmt aber auch Einfluss auf das Sprechtheater. Vor allem im Jesuitendrama wird ne-

160 Die Goldberg-Variationen waren den Romantikern in zahlreiche Abschriften zugänglich. Eine Neuedition soll im Jahre 1802 erschienen sein. 161 E. T. A. Hoffmann: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 1. Berlin und Weimar 1977. Im folgenden und aufgrund unterschiedlicher Erscheinungsjahre ohne Jahresangaben zitiert mit GWE. S. 60. 162 Ludwig Tieck. Werke in vier Bänden. Marianne Thalmann (Hg.). Bd. 3. München 1965. S. 106. 163 Ebd. 164 Sergej Daniel, Natalja Serebrjannaja: Claude Lorrain. Maler des Lichts. Bournemouth (England) 1995. S. 8. 165 Näheres dazu bei Klaus Reichelt: Barockdrama und Absolutismus. Studien zum deutschen Drama zwischen 1650 und 1700. Reihe: Studien zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache 8. Bern, Frankfurt/Main 1981.

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ben der herkömmlichen Mise en scène des literarisch fixierten Materials auch ein kom- plexes kommunikatives System vielfältiger Zeichen, Symbole, Allegorien, emblemati- scher Requisiten, bühnenwirksamer Effekte, Propaganda-, Unterhaltungs- und Erbau- ungsaspekte vermittelt.

„Im Jesuitendrama verschmelzen die literarisch-humanistisch bestimmten Dramenformen mit den italienischen Einflüssen der Oper, des Singspiels usw. zu unerhört gesteigerten theatralischen Schaustellungen, in denen Sprache, Musik, Gesang, Chöre, Dekorationen, außergewöhnliche Bühneneffekte und zauberhafte Bild- und Farbwirkungen zu einem neuen, einheitlichen Gesamtkunstwerk zusammenflossen.“166

Erst mit einer interaktiven Aufführungspraxis, die das theatralische Instrumentarium der traditionellen Barockbühne wirkungsorientiert in den Dienst einer sinnlichen Überwälti- gungsdramaturgie (applicatio sensuum) stellt, ergibt sich die synthetische Vielfalt dieser Theaterform.167 Die Illusionskunst des Barocktheaters totalisiert das gesamte Weltge- schehen in einer unmittelbaren Simultaneität, die der Vergangenheit und Zukunft genau- so Präsenzcharakter verleiht wie sie die aneinander gereihten kulturellen Formen, Ele- mente und Erscheinungen in ein erweitertes Bild integriert. Diese überaus breitenwirksame Ästhetik einer visuell und auditiv affekterregenden Theaterästhetik bedient sich schließlich auch an der multifunktionalen Effektmaschine der sich allmählich ausbreitenden Oper. Beispielhaft für diese Tendenz sind die Dramen Johann Christian Hallmanns, dessen dramatische Ökonomie aus allen Bereichen der Kunst adaptiert: „Charakteristisch [...] waren Hallmanns Versuche, in seinen Spielen und Stücken verschiedene Gattungen zu mischen. Die Trauerspiele wurden oft mit opernhaften Elementen durchsetzt.“168 Die Bühne des Sprechtheaters jener Zeit entwi- ckelt sich zu einem synthetischen Veranstaltungsort unterschiedlichster Medien und Darstellungsformen: „Das Theater wurde dadurch in zunehmendem Maße zum Gesamt- kunstwerk.“169 Gerade die Vielfalt und Vielgestaltigkeit des Barocktheaters insbesonde- re des sogenannten Märtyrerdramas170, gewährleistet auch jene sinnbildlich- emblematische Öffnung zum Theatrum mundi, das dem klassischen Charakter- und Ide- endrama der Aufklärung diametral entgegen steht. Eignet diesem die geschlossene

166 Wilhelm Emrich: Deutsche Literatur der Barockzeit. Königstein/Taunus. 1981. S. 121. 167 Näheres dazu bei Alfred Kohler: Das Ende des Universalreiches. In Anton Schindling, Walter Ziegler (Hg.): Die Kaiser der Neuzeit. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. Mün- chen 1990. S. 50-54. 168 Friedrich Gaede: Humanismus, Barock, Aufklärung. Geschichte der deutschen Literatur vom 16. bis zum 17. Jahrhundert. Reihe: Handbuch der deutschen Literaturgeschichte. 1. Abt. Bd. 2. Bern, München 1971. S. 193. 169 Hellmut Thomke: Geistliches Drama und Kritik am Theater. In Albert Meier: (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Reihe: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhun- dert bis zur Gegenwart. Bd. 2. München 1999. S. 385. 170 Näheres dazu bei Elida Maria Szarota: Künstler, Grübler und Rebellen. Studien zum europäischen Märtyrerdrama des 17. Jahrhunderts. Bern, München 1967.

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Form, in der sich individuell entscheidungs- und handlungsmächtige, gemischte Charak- tere an schicksalhaften Wirrnissen abarbeiteten, so strebt das Jesuitendrama nach gene- reller Entgrenzung der Formen und Mittel. Zugleich ist das Barocktheater aber auch ein illusionistisches Medium für die Propaganda der Gegenreformation.171 Vor diesem Hin- tergrund besteht das barocke Theatrum mundi aus einem hochdifferenzierten Zeichen- system, dessen Codes sich sowohl auf die göttliche als auch säkulare Weltordnung be- ziehen und im Modus einer ubiquitären Repräsentation des barocker Machtapparats er- kenntnis-, sinn- und welthaltige Strukturen maßgeblich mitkonstituieren.

„Der Topos vom [...] Theatrum mundi ist auch unter diesem Aspekt zu verstehen: die Welt und das menschliche Leben sind genau wie das Theater als ein Zusammenhang von Zeichen zu begreifen bzw. zu konstituieren, die auf die göttliche Weltordnung verweisen [...]. Der theatralische Code der Barockzeit konkretisiert also die allgemeine systemati- sche Kategorie der Theatralität, indem er sie dergestalt als konstitutive Kategorie der umgebenden Kultur ausweist.“172

Über diesen synästhetischen Zusammenklang der Einzelkünste hinaus ist es aber auch die Öffnung der Wissenschaften, welche eine Annäherung und Vermischung der Gat- tungen befördert. So sind im Übergangszeitalter von der Renaissance zum Barock auch „Magie und Alchimie vielfältig mit der aufkommenden modernen Wissenschaft und Technik verwoben.“173 In der Wissenschaftslandschaft des frühen Barockzeitalters be- ginnt sich ein magischer Humanismus, der eine kosmische Analogie erstrebt, auszubrei- ten. Dessen Grundtendenz einer Weltharmonik174 ist von einer fortschreitenden Assimi- lationstendenz gekennzeichnet: „Die Gelehrten strebten jetzt an, eine große Zusammen- fassung aller Gebiete zu schaffen, eine Wissenschaft des Ganzen – Pansophie.“175 Die Pansophie, die mit Johannes Keplers synthetischer Welt- und Sphärenharmonik ihren Höhepunkt erreicht, versucht auch, die Gattungen der Kunst und dabei vor allem die Musik in ihr System einer emblematischen Hermeneutik einzubinden: „Auch die Musik schafft eine gesetzmäßige Ordnung und man war der Meinung, daß diese Ordnung der menschlichen Musik ein Nachvollzug der kosmischen Harmonie sei.“176 In diesem Kon- text steht auch die Vorstellung einer ganzheitlich kosmologischen Entsprechung zwi- schen dem menschlichen Mikrokosmos und dem Makrokosmos eines unendlichen Weltalls (kopernikanischen Deutungsursprungs). Dieses Weltbild wird alsbald durch die barocke Vorstellung vom Kosmos als Maschine177, von der Weltmaschine, insbesondere

171 Robert J. Alexander: Das deutsche Barockdrama. A. a. O. S. 77ff. 172 Erika Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters. Bd. 2. Vom „künstlichen“ zum „natürlichen“ Zeichen – Theater des Barock und der Aufklärung. 4. Aufl. Tübingen 1998. S. 90. 173 Paolo Rossi: Der Wissenschaftler. A. a. O. S. 269. 174 Johannes Kepler: Harmonices mundi libri quinque. 175 Erich Trunz: Späthumanismus und Manierismus im Kreise Kaiser Rudolfs II. In Kulturstiftung Ruhr (Hg.): Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Rudolfs II. Freren 1988. S. 57. 176 Ebd. S. 59. 177 Näheres dazu bei Horst Bredekamp: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der

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von der Welt und dem Menschen als Uhrwerk ersetzt. Gott hatte dabei die Funktion ei- nes Uhrmachers, in dessen vollkommenem Maschinenwerk178 der Mikrokosmos mit dem Makrokosmos geradeso wie das Teleskop mit dem Mikroskop unmittelbar korres- pondiert. Die englischen Freimaurer formulieren in ihrer Grundsatzschrift Die Konstitu- tionen der Freimaurer (1723) eine Vorstellung, worin nicht nur „dem Bilde Gottes, des großen Baumeisters des Universums“179 gedacht wird, sondern auch eine quasi biblische Geschichte der Baukunst und der Mechanik entworfen wird. Mit diesen mechanistischen Tendenzen beginnt die Problemgeschichte einer vor- neuzeitlichen Generalunion von Theologie, Wissenschaft und Philosophie, die spätes- tens seit dem Barockzeitalter einer fortschreitenden Auflösung unterworfen ist. Aber auch das, auf der Grundlage der kartesianischen Philosophie inthronisierte, mechanisti- sche Weltbild führt zu einer allgemeinen Auflösung der traditionellen Ordnungen. Das analytische Prinzip beginnt zusehends die Wissenschaften zu bestimmen, in deren Folge auch der auf ein übergeordnetes Ganzes referierende Mikrokosmos der barocken Kunstwelt ausdifferenziert wird.180 Dieses Prinzip bezeichnet nichts weniger als die rati- onal-abstrakte Dissoziation, welche die Handhabbarkeit und Herrschaft über die Welt und deren Erscheinungen gewährleisten soll. Die Zergliederung des sich stets erweitern- den Ganzen in zählbare und damit verstehbare Einzelteile ist das notwendige Herr- schaftsinstrument einer Vernunft- und Verwaltungskultur, die selbst in der Kunst durch Gliederung, Ordnung und Unterordnung ihren Herrschaftsanspruch gewährleistet haben will. So vielfältig sich das barocke Gesamtkunstwerk auch ausnimmt, so determiniert ist es auch. Der übergeordnete Kontext fürstlicher sowie klerikaler Repräsentation de- gradiert die Kunst zu einem funktionalen Element innerhalb eines ideologischen Gesam- tensembles und verweigert ihr eine autonome Aussage. In diese barocke Gesamtkunstäs- thetik sind die Einzelkünste funktional eingegliedert und dem hierarchischen Geist des Gesamtsystems in verspielter Mannigfaltigkeit untergeordnet. Hinsichtlich der Reprä- sentation eines feudal-absolutistischen Weltganzen jedoch ist das barocke Gesamt- kunstwerk einzigartig.

„Gesamtkunstwerke vergleichbarer sozialer Repräsentanz [...] sind später nicht wieder entstanden. Das durchkomponierte Ensemble von Wohn- und Staatsräumen, Festsälen, Theatern, Kirchen, Gärten mit Alleen, Seen, Lusthäusern und Orangerien war als heraus- gehobener Lebensraum einer höfischen Gesellschaft angelegt – als artifizielle Staffage für eine elaborierte Selbstdarstellung und für die gesellschaftliche Disziplinierung des ______Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte. Reihe: Kleine kulturwissenschaftliche Biblio- thek Bd. 41. Berlin 1993. Siehe darin insbesondere das Kapitel: Forschung und Vision. 178 Siehe dazu auch Otto Mayr: Uhrwerk und Waage. Autorität, Freiheit und technische Systeme in der frühen Neuzeit. München 1987. 179 The Constitutions Of The Free-Masons. In Allan Oslo: Die Freimaurer. Düsseldorf 2002. S. 366. 180 Näheres dazu bei Klaus Minges: Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit. Kriterien der Ordnung und Spezialisierung. Museen – Geschichte und Gegenwart. Bd. 3. Münster 1998.

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Widerstreits zwischen strikter Hofordnung und leidenschaftlichem Geltungsdrang. [...] Zu den höfischen wie den kirchlichen Festen mit ihren allegorischen Aufzügen, theatrali- schen und musikalischen Aufführungen leisteten alle Künste ihren Beitrag.“181

Kaum jemals zuvor ist eine Epoche mit einer solchen Vehemenz bestrebt, den Men- schen mit einer medial aufbereiteten Gesamtheit der Künste bei Beibehaltung ihrer spe- zifischen Wirkungsmechanismen und „durch eine orchestrale Prachtentfaltung zu über- wältigen und die triumphale Botschaft, den Triumph des Glaubens oder die Apotheose eines Fürsten nahe zu bringen wie im Barock.“182 Im Übergang von feudalistischen zu merkantilen und frühkapitalistischen Strukturen dient die repräsentative Gesamtheit der Künste einer illusionistischen Selbstverherrlichung des feudal-aristokratischen sowie klerikalen Machtapparats gegenüber den recht- und besitzlosen Massen, aber auch ge- genüber einem allmählich aufstrebenden Bürgertum.183 Mit dem Ende der Barock- und der Aufklärungsepoche endet die uneingeschränk- te Herrschaft von Logozentrismus und Rationalismus. An die Stelle des Vernunftpri- mats treten im Zuge einer mit der Französischen Revolution einsetzenden allgemeinen Umwertung der Begriffe und Anschauungen neue Modelle der ästhetischen Repräsenta- tion. Der Differenzierungsprozess innerhalb der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam vo- ran. Schon im Barockzeitalter verliert die Kunst ihren einheitlichen Stilcharakter. Aber auch das dem barocken Lebensgefühl und der Weltanschauung der Epoche gemäße ein- heitliche Empfinden verliert spätestens nach den Erschütterungen der Revolution seine soziale, politische und religiöse Bindungskraft. Das ideologische Fundament wird brü- chig und kollabiert mit der alten Welt.

„Alles, was dem Barock teuer und wesentlich war, ging in der Französischen Revolution (1789-1795) unter. [...] Der Umsturz der Werte prägte sich in der Geschichte der Bau- kunst mit fast unheimlicher Klarheit aus. Sie erstrebte nicht mehr das Gesamtkunstwerk aus Bau, Plastik und Malerei; diese große Einheit zerfiel.“184

An die Stelle des barocken Weltentwurfs einer synthetischen Repräsentation treten die geschichtsphilosophischen Entwürfe der Spätaufklärung, die sozialpädagogische Utopie der Klassik, die integrative Identitätsphilosophie des deutschen Idealismus sowie die metaphysische Ausrichtung der deutschen Romantik. Dem schönen Schein der Barock- kirchen und -paläste entsprach die Fassade der sogenannten besten aller Welten, wie sie

181 Rudolf Vierhaus: Staaten und Stände. Vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648- 1763. Propyläen Geschichte Deutschlands. Bd. 5. Berlin 1984. S. 168. 182 Götz Pochat: Zeit/Los – zur Kunstgeschichte der Zeit. In Carl Aigner, Götz Pochat, Arnulf Rohs- mann (Hg.): Zeit/Los. Zur Kunstgeschichte der Zeit. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Krems 1999. Köln, Krems 1999. S. 54. 183 Harald Olbrich u.a. (Hg.): Lexikon der Kunst. Architektur, bildende Kunst, angewandte Kunst, In- dustrieformgestaltung, Kunsttheorie. Sieben Bände. Bd. 4. Leipzig 1987. S. 408ff. 184 Heinrich Lützeler: Deutsche Kunst. Einsichten in die Welt und in die Menschen. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. Bonn 1987. S. 335.

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Leibnitz entworfen hatte und die nicht erst mit dem Erdbeben in Lissabon im Jahre 1755 in sich zusammenstürzte. Das dekadente Gemisch aus hoch verfeinerter Repräsentation, artistischem Raffinement und artifizieller Unterhaltung überlebte sich selbst.

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Synthetische Ursprungsformen im Musiktheater

Erste Ansätze synthetischer Gestaltungen

Die Oper als Gesamtkunstwerk ist ein Konstrukt der Musiktheatergeschichtsschreibung. Schon allein die musikalisch begleitete Aneinanderreihung verschiedener Einzelkünste in einem geschlossenen formalen Rahmen veranlassen den Theaterhistoriker von einem Gesamtkunstwerk zu sprechen. Gleichwohl die fundamentalen synthetischen Prämissen in den allerwenigsten Fällen inhaltlich oder terminologisch reflektiert werden, ist der Begriff vom Opern-Gesamtkunstwerk allgegenwärtig. In den gängigen theatergeschicht- lichen Monographien findet die lapidare Formel von der Oper als Gesamtkunstwerk ei- nen vereinfachenden Niederschlag. Doch ist dieser Ansatz gerade aufgrund der histori- schen Prämissen einer Gattung, die beständig Veränderungen erfuhr nicht unproblema- tisch.

„Die Oper ist ein zusammengesetztes, aber darum noch kein Gesamtkunstwerk. Die ge- schichtsphilosophische, innere »Gleichzeitigkeit der Künste«, der Zustand also, daß sie sämtlich dieselbe Entwicklungsstufe repräsentieren, ist in der Oper selten oder niemals verwirklicht worden. [...] Immer wieder ist versucht worden, das zusammengesetzte in ein Gesamtkunstwerk zu verwandeln; und zwar zehrte die Vorstellung, daß es möglich sein müsse, die heterogenen Momente zu einer homogenen Form zusammenzuzwingen, von einer Idee, die gleichsam eine idée fixe der Operngeschichte darstellt: dem Traum von einer Wiederkehr oder Renaissance der Tragödie.“185

Mit der Fiktion eines Operngesamtkunstwerks wird der archäologische Rückbezug in ein zukunftsorientiertes Gegenteil verkehrt: Die Oper wird zum Synonym der neuen modernen Gattung, die sich im Verlauf ihrer vielfältigen Entwicklungen immer weiter in ihre einzelnen Formelemente ausdifferenziert. Erst mit der Idee eines integralen Mu- sikdramas und der damit verbundenen Utopie von einem versöhnten gesellschaftlichen Zwiespalt im Kontext romantischer Synthesevorstellungen wird das Gesamtkunstwerk als soziokulturelles Phänomen evident. Dennoch lassen sich synthetische Tendenzen be- reits im Ursprungskontext des Musiktheaters nachweisen und werden angesichts der di- versen, beinahe zyklisch wiederkehrenden Verfallserscheinungen der Gattung stets neu diskutiert.

„Die Oper ist nun einmal ein Gesamtkunstwerk, nicht etwa seit Wagner, der nur alte Welttendenzen sehr kühn und frech subjektivierte, sondern seit ihrer Entstehung: seit dem XVII. [Jahrhundert], und kraft ihrer Grundtendenz: Wiedergeburt des antiken Ge- samtkunstwerkes zu sein.“186

185 Carl Dahlhaus: Musikästhetik. Köln 1967. S. 98. 186 Brief Hugo von Hofmannsthals an Richard Strauss vom 12. Februar 1919. In Richard Strauss –

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Doch ist auch die Entstehung der Oper um das Jahr 1600 nicht ganz voraussetzungslos. Erste Bestrebungen, einzelne theatralische Spielformen mit instrumental begleitetem Gesang zu verbinden, stellen die Intermedien sowie die Madrigalkomödien des späten 15. und 16. Jahrhunderts dar. So versucht Orazio Vecchio in seiner Comedia harmonica L’Amfiparnaso (1594) durch eine Synthese von Elementen der Commedia dell‟arte mit den stilistisch-polyphonen Mitteln des Madrigals eine expressive musikdramatische Ausdruckskunst zu schaffen, die sowohl eine psychologisch motivierte Figurenzeich- nung als auch eine dramatische Durchdringung der zwischenmenschlichen Bezüge er- laubt. In den Kontext dieser Ursprungsformen der Gattung Oper gehört auch das geistli- che Mysterienspiel, das Sacra rappresentazione, das sich vor allem im Florenz des 15. Jahrhunderts zu einer literarisierten Theatergattung entwickelt. Die formale Grundstruk- tur dieser Gattung beruht auf einer psalmodierenden Durchkomposition von Wort und Ton, wie sie später der Formbegriff der Monodie kennzeichnet.187 Mit der Akzentverla- gerung von linear-polyphoner Einseitigkeit auf die textverständliche Monodie war die Entstehung der Oper quasi präfiguriert.

„Zukunftsweisenden Ausdruck findet der Stilumbruch in der Monodie: dem solistischen, deklamatorischen oder konzertanten Gesang über einem Generalbaß. Dieser durchge- hende instrumentale Baß [...] ist Träger und harmonische Ergänzung der Stimme. Der Wandel in Stil und Formgebung ist radikal. Die Singstimme ist nicht mehr vom chori- schen Verband her erfunden; von vornherein wird sie als individuelle, solistische Stimme komponiert. [...] Der ganze Kanon neuzeitlicher Formen und Gattungen – wie Oper, Lied, Kantate, Konzert, Sonate – verdankt der Monodie seine Entstehung.“188

Von der Monodie ausgehend entwickelt sich nach 1600 die Cantata da camera, die sich als bedeutendste Gattung neben der Oper etabliert und die gleichfalls synthetisches Po- tential besitzt: „In der cantata da camera vereinigen sich zwei von Anfang an in der Mo- nodie vorkommende musikalische Arten: freiere madrigalistische Formen [...] und lied- hafte, strophische Formen.“189 Aus den an das Madrigal angelehnten Formen entwickelt sich später das Rezitativ. Einen entsprechend integrativen Charakter hatte auch das fran- zösische Ballet de cour.

„Das als >Gesamtkunstwerk< konzipierte Ballet de cour, an dem Dichter, Komponisten, Choreographen und bildende Künstler kooperierten, wurde für die folgenden rund 80 Jahre sowohl für die Opern- wie auch für die Ballettgeschichte in Frankreich im formalen wie ästhetischen Bereich modellbildend.“190

______Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel. Gesamtausgabe. Franz und Alice Strauss (Hg.). Erweiterte Neuaufl. Zürich 1954. S. 374. 187 Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 14. 188 Clemens Kühn: Formenlehre der Musik. Kassel 1987. S. 38. 189 Siegmund Helms: Vokalmusik. In Ekkehard Kreft (Hg.): Lehrbuch der Musikwissenschaft. Düssel- dorf 1985. S. 344. 190 Sybille Dahms: Schautanz. Frankreich. Die soziokulturelle Situation. In Sybille Dahms (Hg.):

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Zuvor schon wurden nach dem Vorbild italienischer Trionfi fürstliche Einzugsfeierlich- keiten, die sogenannten ‚Entrées Solennelles‟, gestaltet, „in denen die unterschiedlichs- ten Schauvergnügen zu einem sinnreichen Festprogramm zusammengestellt waren.“191 Zweck dieser Vorstellungen ist die sowohl mythische als auch ästhetische Verklärung der europäischen Herrscherdynastien sowie die Repräsentation von weltherrscherlicher Größe und Macht. Weitere Formen weltlicher Festinszenierungen sind das Ballet de la Reine und das Ballet comique de la Reine, in denen gleichfalls die Gattungen der Kunst sowie die diversen Formen höfischer Repräsentation eine Einheit bilden. Seit der ausgehenden Renaissance werden vielfältigste theatralische Formen mit vokaler und instrumentaler Musik kombiniert, um die Ausdrucksfähigkeit der Einzel- komponenten zu steigern. In diesem Zusammenhang verweist schon der Florentiner Ge- lehrte Giovanni Battista Doni in seinem Tratto della Musica Scenica (1635/39) auf die Entstehung des rezitativischen Stils:

„Zu allen Zeiten ist man gewohnt gewesen, zwischen die dramatischen Handlungen ir- gend eine Art von Musik einzuschalten [...]. Aber die dramatische Musik machte dann einen bemerkenswerten Fortschritt mit der Einführung des erwähnten rezitativischen Stils. [...] Dieser Rezitativstil nun entstand ebenfalls in Florenz [...]; auf die Bühne kam er jedoch erst gegen 1600 [...].“192

Doch geht mit dieser Synthese von Musik, Gesang und Sprache auch eine Konventiona- lisierung der Gattung einher, die das anti-illusionistische Element der Oper bereits zu Beginn salonfähig macht und in der beispielsweise Guido Hiß ein wesentliches Ingredi- enz der Theatergeschichte erkennt:

„Seit dreihundert Jahren feiert eine Theaterform Erfolge, die, nach den Maximen natura- listischer Darstellungsästhetik, ein extremes Zerrbild des Normalen auf die Bühne stellt: Menschen, die, aus vollem Halse singend, intrigieren, kämpfen, lieben und sterben. [...] Man kann aus solchen Beobachtungen einen theatergeschichtlichen Schluß ziehen: Was wir für »natürlich« halten, ist nicht nur durch die Darstellung selbst vorgegeben, sondern auch durch die rezeptive Kompetenz. Das Natürliche ist immer das Konventionelle, das, was sich „von selbst versteht‟. Konventionsbrüche im Rahmen ästhetischer Innovationen führen vielfach nur vorübergehend zu Irritationen, dank der rezeptiven Kreativität des Publikums, seiner Lernfähigkeit. Theatergeschichte ist von solchen Lernprozessen zu- tiefst gekennzeichnet.“193

Bereits Goethe thematisiert in seinem Dialog Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit

______Tanz. Kassel u.a. und Weimar 2001. S. 95. 191 Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. 1. Stuttgart, Weimar 1993. S. 490. 192 Giovanni Battista Doni: Tratto della Musica Scenica. In Hermann Kretzschmar: Geschichte der Oper. Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen. Hermann Kretzschmar (Hg.). Bd. 4. Leipzig 1919. S. 15f. 193 Guido Hiß: Der theatralische Blick. Einführung in die Aufführungsanalyse. Berlin 1993. S. 71.

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der Kunstwerke (1771) die Legitimität des unnatürlichen und unwahrscheinlichen Opernkunstwerks. Vornehmlich durch eine ganzheitliche Ordnung und Geschlossenheit des Gesamtentwurfs wird die artifizielle Täuschung durch theatralische Protagonisten, die „ihre Liebe, ihren Haß, all ihre Leidenschaften singend darlegen, sich singend her- umschlagen, und singend verscheiden [...]“194 in der Sphäre des Ideellen aufgehoben.

Der Zusammenklang von Sprache und Musik

Sprache und deren zu Dichtung sublimierte Formen waren seit je her mit der Idee eines musikalischen Vortrags verbunden. Schon das Epos Homers soll gesungen vorgetragen worden sein, und auch die Vorstellung, dass die lyrische Poesie des klassischen Alter- tums musikalisch begleitet und gesungen vorgetragen worden sei, ist noch in der Rom- antik en vogue: „Denn die alte Lyrik war im eigentlichen Sinne musikalisch; die Dichter waren zugleich Musiker, welche ihre Gesänge selbst componirten und vortrugen [...].“195 In der griechischen Antike bezeichnet der Terminus musiké196 zwischen dem 6. und dem 4. vorchristlichen Jahrhundert einen Vortragsmodus, dem eine Identität von Wort und Ton grundsätzlich inne wohnt: „Dieser Begriff steht für die materielle Einheit von Wort, Ton, Rhythmus und Tanz im antiken Griechenland, für eine medial noch ungeschiedene Ausdrucksweise.“197 Aber auch die jüdischen Psalmen der unmittelbaren Nachbarkultur Griechenlands wurden psalmodiert, also mit gehobener Stimme musikalisch rezitiert. Diesem Verfahren entspricht die Darbietung Gregorianischer Choräle. Die mythologische Personifizierung für das Ideal einer musikalisch vorgetragenen Dichtung ist die Figur des Orpheus. Dieser verkörpert „am entschiedensten den Mythos einer ursprünglichen, mit dem Fortschreiten der Zivilisation verlorengegangenen Einheit von Wort, Ton, Sprache und Musik.“198 Die Sprache als Modell der musikalischen Formbildung war eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung einer Gattung, de- ren serielle Zerfallserscheinungen zweihundert Jahre später durch das Romantische Mu- sikdrama erneuert werden sollte. Gerade mit der Frühform der Oper muss das Überwin- dungsmodell der traditionellen Oper assoziiert werden, das zugleich den Höhepunkt des

194 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 12. S. 68. 195 August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Erster Band. Vorlesungen über Äs- thetik I. Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst. Zweiter Teil. Ernst Behler (Hg.). Pader- born, München, Wien, Zürich 1989. S. 659. 196 Näheres zu diesem Begriff auch bei Thrasybulos G. Georgiades: Nennen und Erklingen. Die Zeit als Logos. Irmgard Bengen (Hg.). Göttingen 1985. S. 188f. 197 Corinna Carduff: Prima la Musica oder die Musik als das Andere der Sprache. In Gerhard Neumann, Sigrid Weigel (Hg.): Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kultur- technik und Ethnographie. München 2000. S. 450. 198 Giovanni di Stefano: Der ferne Klang. Musik als poetisches Ideal in der deutschen Romantik. In Albert Gier, Gerold. W. Gruber (Hg.): Musik und Literatur. Komparatistische Studien zur Struk- turverwandtschaft. Frankfurt/Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1995. S. 122.

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Musikdramas markiert: das Gesamtkunstwerk Richard Wagners.

„Als Richard Wagner die Nummern-Opern und damit auch die Arie liquidierte, sah die Musikwelt darin etwas absolut Neues. Und doch bedeutete seine »unendliche Melodie« eher eine Rückkehr zu den Anfängen. Denn um 1600 geschah das wirklich Neue: Durch Jahrhunderte gesicherte Musikformen verloren an Interesse zugunsten eines Stiles, der in bis dahin nicht gehörter Weise der Sprache die größere Bedeutung in der Musik zu- maß.“199

Mit dem Stile rappresentativo, eines monodisch-rezitativischen Gesangsvortrags zu ei- nem nur rudimentär bezifferten Basso continuo, wird die Musik in einen szenisch- dramatischen Gesamtzusammenhang integriert. Durch das musikalisch artikulierte Wort wird sowohl die Dichtung als auch der dieser zugrunde liegende literarische Gedanke aufgewertet – das musikalisch-deklamatorische Drama folgt damit nachvollziehbar einer szenischen Intention. Gerade mit dem Stile rappresentativo erreicht die frühe Oper jene Einheit, die durch die strukturellen Zerfallsfaktoren der nachfolgenden Barockoper zu- gunsten einer vielteiligen Fragmentierung wieder preisgegeben wird. Der an der Wortsprache orientierte musikdramatische Vermittlungsstil der ersten Musikdramen verwirklicht erstmals eine integrale Verbindung von szenischer und schauspielerischer Darstellung, rezitativisch gesungenem Wort und instrumental beglei- tender Musik vor einer belebten und illustrierten Szene. Auf diese Weise sprachlich konnotiert ist Musik nun in der Lage, dem poetischen Text eine ergänzende Semantik entweder zu unterlegen oder entgegenzusetzen. Der damit beabsichtigte Zusammen- klang von Sprache und Musik zielt auf jenen programmatischen Terminus einer imitazi- one della natura, der sich im Madrigal sowohl harmonischer als auch melodisch- zeichnerischer Gestaltungselemente bedient. Die harmonischen Mittel kommen vorwie- gend durch einen homophonen Satz zum Ausdruck und dienen der musikalischen Dar- stellung von Affekten. Die melodischen Mittel sind eher inhaltlichen Aussagen ver- pflichtet. Die integrative Vermischung beider Stilelemente führt zu einer Synthese von sprachlich-musikalischem Ausdruck und einer musikalisierten Affektartikulation, bei der sich die verschiedenen Wahrnehmungsmodi allmählich ineinander verlieren und so eine synästhetische Wirkung erzeugen: „Die ‚imitazione della natura‟ geht bis zur Au- genmusik, bis zum Ersatz des Gehörs durch den Gesichtssinn [...].“200 Alle diese musi- kalischen Formerweiterungen ermöglichen es, auch das Drama mit einem Subtext oder einem Kommentar zu versehen. Dies bedeutet eine der wesentlichen Legitimationen des vorwiegend gesungenen Wortes im musikalischen Drama, da nicht nur das einzelne Wort mit einem musikalischen Empfindungswert aufgeladen wird, sondern auch Wahr- nehmungsmodalitäten mit komplexen Sinnsystemen korrespondieren.

199 Dietrich Fischer-Dieskau: Töne sprechen, Worte klingen. Zur Geschichte und Interpretation des Gesanges. Stuttgart und München 1985. S. 271ff. 200 Alfred Einstein: Nationale und Universale Musik. Neue Essays. Zürich, Stuttgart 1958. S. 30.

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„Es war vielmehr die Konsequenz des Gedankens, musikalische und sprachliche Systeme in Analogie zueinander zu setzen, die in ihren Implikationen auf die Kompositionstech- nik ganze Gattungen neu erschloß. Erst mit der auch theoretischen Fundierung des gene- ralbaßgestützten Sologesanges, von referierendem Rezitativ und artifizieller Monodie, konnten Oper und Oratorium, ja beinahe jegliche solistische Virtuosität konzipiert wer- den. Die um 1600 entstandenen Werke [...] bezeichnen erst in der restlosen Akzeptanz und konsequenten kompositorischen Umsetzung eines Paradigmas Sprache die Einlei- tung einer neuen Epoche, die die signifikante Jahreszahl nur illustriert.“201

Das hier ausgeführte kompositorische Verfahren gewährt dem monodischen Vortrag ei- nen deutlich potenzierteren Entfaltungsspielraum. Hinzu kommt die theatralische In- tegration eines solistisch agierenden und sich in wortmusikalischen Einzelaussagen arti- kulierenden Interpreten in einen komplexen szenischen Gesamtzusammenhang.

Das Musiktheater und die antike Tragödie

Der programmatische Rückbezug der ersten Opernideologen um 1600 auf Strukturele- mente des antiken Dramas ist kein Zufall. Zunächst berührt die Komponente der musi- kalischen Nachahmung gerade jene Definition, die Aristoteles seiner Tragödienbestim- mung ganz wesentlich zugrunde legt: Auch die Tragödie sei Nachahmung und zwar die einer guten und in sich geschlossenen Handlung.202 Weitere Analogien lassen sich in struktureller Hinsicht zwischen der antiken Tragödie und der Herausbildung der Oper feststellen: Die Auflösung der narrativen Formen (beispielsweise in verschiedene Be- richtreden oder in jambische Wechselreden) innerhalb der unterschiedlichen Tragödien- typen präfiguriert die Nummerngliederung der späteren Oper: „Die Teile der späteren Tragödie sind gleichsam >Nummern< geworden, wie wir sie aus unserer Oper kennen, und der Hörer wußte sie als solche zu würdigen und zu genießen.“203 Innerhalb ihrer einheitlichen Form bildet die Tragödie eine Dialektik von lyrischem Chorbericht und jambischen Dialogformen aus, worin sich der Gegensatz einer dionysischen Welt der Musik (Flöte) und einer Welt des Logos (Narration) widerspiegelt.204 Aber auch das Wechselspiel von Rezitativ und Arie in der Opera seria sowie von gesprochenem Dra- mentext und Vokalformen in Singspiel und Melodrama lässt sich von einer Auseinan- dersetzung über das Verhältnis zwischen Sprache und Musik ableiten. Schon die ersten griechischen Tragödien sind von dieser dialogischen Grundstruktur geprägt.

201 Michael Heinemann: Heinrich Schütz und seine Zeit. Reihe: Große Komponisten und ihre Zeit. Laaber 1993. S. 70. 202 Aristoteles: Poetik. Manfred Fuhrmann (Hg.). Stuttgart 1982. S. 19. Siehe dazu auch Wolfgang Schadewald: Die griechische Tragödie. Tübinger Vorlesungen. Bd. 4. Ingeborg Schudoma (Hg.). Frankfurt/Main 1991. S. 23. 203 Wolfgang Schadewald: Die griechische Tragödie. A. a. O. S. 51. 204 Ebd. S. 45.

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„Und die Analyse der frühesten erhaltenen Tragödien macht es wahrscheinlich, daß ein Spiel von Frage und Antwort, ein noch kurzes Zwiegespräch zwischen dem singenden Chor und dem singenden oder rezitierenden Einzelnen die Urform der Tragödie gewesen ist.“205

Da die verschiedenen Chorgesänge immer komplexere Sagenstoffe zum Gegenstand hatten und diese in abfolgenden Stufen immer weiter ausgeführt und erläutert wurden, lag es nahe, „zwischen zwei Gesängen einen Sprecher auftreten zu lassen. Daß dieser mit dem Chorführer ins Gespräch kam, war der nächste Schritt.“206 Zugleich können ge- rade durch die Differenzierung der Vortragsarten übergeordnete Zusammenhänge gestif- tet werden.

„Indem der Dichter nun den gesungenen Teilen eine je verschiedene metrische (d. h. rhythmische und musikalische) Form gab, konnte er damit beim Zuhörer Assoziationen erwecken – einerseits an gewisse aus dem alltäglichen Leben bekannte Gesänge wie Hochzeitslieder oder Hymnen, andrerseits an Kompositionsformen anderer Gattun- gen.“207

Dieser Vortrag wird, anders als die von einem Saiteninstrument begleitete Lyrik, von ei- nem oboenartigen Blasinstrument, dem Aulós, untermalt. Für die Artikulation der Verse ist die sprachliche sowie musikalische Taktbetonung von großer Bedeutung. Es ist an- zunehmen, „daß dieses Singen ein gesangähnliches Rezitieren war.“208 In diesem Kon- text kann man im Prinzip einer musikalischen Dramenvermittlung in der Oper die Wie- dergeburt der griechischen Tragödie aus dem Geist der Renaissance erkennen.

„Während dem Chor die lyrischen, also gesungenen Partien zufallen, äußern sich die Schauspieler in gesprochenen Versen […]. So gleicht eine Komödie des 5. Jahrhunderts v. Chr., wenn man die Vortragsarten betrachtet, weit eher einer Oper als einem modernen Sprechstück.“209

Auch wenn sich verschiedene Aspekte des antiken Dramas einem Transfer in die neue musikdramatische Gattung sperren, so „scheint andererseits der Monolog zu den For- men zu gehören, die ohne dramaturgisches Risiko aus der Tragödie in die Oper über- nommen [...] worden sind.“210 Neben der monodischen Vermittlungsform ist auch der

205 Walther Kranz: Geschichte der griechischen Literatur. Leipzig 1992. S. 138. 206 Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. München 1993. S. 265. 207 Bernhard Zimmermann: Die griechische Tragödie. Eine Einführung. 2. Aufl. München, Zürich 1992. S. 24. 208 Walther Kranz: Geschichte der griechischen Literatur. A. a. O. S. 70. 209 Bernhard Zimmermann: Aristophanes. In Kai Brodersen: Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra. München 1999. S. 159. 210 Carl Dahlhaus: Vom Musikdrama zur Literaturoper. Aufsätze zur neueren Operngeschichte. Über- arbeitete Neuausgabe. München 1989. S. 238.

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antike Chor von konstitutiver Bedeutung für die neue musikdramatische Gattung:

„Der Opernchor des Theaters der Neuzeit ist aus der Renaissance der Tragödie hervorge- gangen, wie denn überhaupt die Erfinder der Oper am Hofe der Medici in Florenz der (keineswegs unberechtigten) Meinung waren, nichts anderes auf die Bühne gebracht zu haben als das «wahre Theater der Alten».“211

Hinzu kommt der ideengeschichtliche Kontext der Antike, der ca. 1500 Jahre später mit der Geburt der Oper eine neue Medialität gewinnt. Dass dieser musikdramatische Rück- bezug auf der höheren Ebene eines sogenannten Modernitätsbewusstseins reproduziert, zugleich aber auch als Motor und Signum des gesellschaftlichen Fortschritts betrachtet wird, trägt nochmals einiges zu dem exzeptionellen Selbstbewusstsein dieser Epoche in Italien bei. All diesen Faktoren sind sich die ersten Opernprogrammatiker der Florenti- ner camerata durchaus bewusst.

„Mit größerem Recht, als man ihr in der Regel zugesteht, kann sich die Camerata auf das klassische griechische Drama berufen. Zunächst beweisen die durchaus ernst zu nehmen- den historisch-theoretischen Untersuchungen [...], daß man von einer recht genauen Kenntnis des griechischen Dramas ausging. Die Kombination szenischer Darstellung le- gendärer Stoffe mit Musik und Tanz, der Ernst, mit dem es getan wurde, die künstleri- sche Höhe, auf der sich das zutrug, die Identifizierung dieser Veranstaltungen mit der Ideologie der herrschenden Klasse, die sich mit einigem Recht als Trägerin des Fort- schritts verstand – das sind wohl die wichtigsten Gemeinsamkeiten zwischen dramma per musica und griechischer Tragödie.“212

Die mit der Musik der Hochrenaissance einsetzende, durch die antike Tragödie angereg- te Orientierung an einer singulären dichterisch-musikalischen Aussage durch einen Sän- gerdarsteller bedeutet die Herauslösung der künstlerischen Persönlichkeit aus der ano- nymen Masse einer sakral orientierten Kunstproduktion. Die monotheistische Welt- und Werteordnung des Mittelalters gewinnt ihre sinnstiftende Substanz gerade aus einer De- potenzierung eines als schuldhaft-unerlöst bewerteten Individuums. Dies schließt ein künstlerisch selbstbewusstes Subjekt a priori aus. Mit dem Rückgriff auf das antike My- thenpersonal wird dem verwerflichen Menschen des Mittelalters, der mühsam den Weg durch das irdische Jammertal wandelt, ein unbeflecktes Subjekt inmitten einer arka- disch-idyllischen Urlandschaft entgegengestellt. Schließlich ist mit dem ideellen Rück- bezug auf die vermeintliche Aufführungspraxis der Antike auch der formalästhetische Rahmen der neuen Gattung gegeben. Eine ganzheitliche musikalisch-dramatische Durchführung konnte aber auch um und nach 1800 auf die Vision einer einheitlichen Antike bezogen werden.

211 Siegfried Melchinger: Das Theater der Tragödie. Aischylos, Sophokles, Euripides auf der Bühne ihrer Zeit. München 1974 und 1990. S. 62. 212 Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Kapitel 2. 2. Die Erfindung der Oper. Leipzig 1982. S. 316f.

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„Die Idee des »Gesamtkunstwerks« stammt keineswegs erst von Richard Wagner – der allerdings den Terminus prägte –, sondern gehörte seit dem späten 18. Jahrhundert zu den wiederkehrenden Themen einer Ästhetik, deren zentrales Problem das Verhältnis der Neuzeit zur Antike war, in deren Tragödie man eine religiös inspirierte Einheit der Küns- te zu erkennen glaubte.“213

Diese Position ergänzt den romantischen Fokus um eine wichtige historische Perspekti- ve. Allerdings vollzieht sich die Bezugnahme auf die Antike keineswegs bruchlos, da die Theorie eines romantischen Gesamtkunstwerks sowie die daraus resultierende Theo- rie eines synthetischen Musikdramas vor allem von dem gleichfalls an der Antike orien- tierten Modell der Opera seria ex negativo abstrahiert. So schreibt der Romantiker Au- gust Wilhelm Schlegel in seinen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1809):

„In der Tragödie war die Poesie die Hauptsache: alles übrige war nur dazu da, ihr, und zwar in der strengsten Unterordnung, zu dienen. In der Oper hingegen ist die Poesie nur Nebensache [...]; sie wird unter ihren Umgebungen fast ertränkt. [...] Die Anarchie der Künste, da Musik, Tanz und Dekoration durch Verschwendung ihrer üppigsten Reize sich gegenseitig zu überbieten suchen, ist das eigentliche Wesen der Oper [...], in der Verwirrung des Überflusses liegt gerade der phantastische Zauber.“214

Vor allem das Scheitern einer integralen Zusammenstimmung von Sprache und Musik nimmt der späteren Opernentwicklung jene synthetische Qualität, die erst eine romanti- sche Theorie ermöglicht. Auf eine solche zielen die Opernreformen des romantischen Musiktheaters von Weber bis Wagner. Deren Verfallsdiagnose der traditionellen Oper des 18. und frühen 19. Jahrhunderts entzündet sich gerade an der beliebigen Künstlich- keit ihrer Mittel, die der auf Gleichberechtigung der Mittel gegründeten der antiken Tra- gödie diametral gegenübersteht.

Ursprungsmythen

Zunächst musste ein plausibler Vorwurf gefunden werden, der sowohl einen sinnfälligen Bühnenillusionismus als auch den ideengeschichtlichen Kontext einer a-historischen Antike-Rezeption gewährleistete. Da eine originäre musikdramatische Reproduktion der klassischen Tragödie aus verschiedenen Gründen hoch problematisch war,215 erblickten

213 Carl Dahlhaus, Michael Zimmermann (Hg.): Musik zur Sprache gebracht. A. a. O. S. 148. 214 August Wilhelm Schlegel: Kritische Schriften und Briefe. Sieben Bände. Edgar Lohner (Hg.). Bd. 5. Stuttgart 1962-74. S. 59. 215 Siehe dazu Renato di Benedetto: Poetiken und Polemiken. In Lorenzo Bianconi, Giorgio Pestelli (Hg.): Geschichte der italienischen Oper. Bd. 6. Laaber 1992. S. 20ff.

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die ersten programmatischen Vordenker der Oper den motivischen Untergrund des Mu- sikdramas im mythologischen Komplex der Pastorale.

„Was die Pastorale betrifft, so würde ich sagen [...], daß man sie vollständig in Musik setzen könnte [...] besonders weil Götter, Hirten und Nymphen jenes uralten Zeitalters hier auftreten, in dem die Musik natürlich und die Sprache fast Poesie war [...]; die dar- gestellten Hirten nicht jene schmutzigen und gewöhnlichen waren, die heutzutage das Vieh weiden, sondern jene des alten Zeitalters, in dem die Edelsten sich in dieser Kunst übten.“216

Ort dieser Idylle ist die bereits im Madrigal musikalisch beschworene arkadische Land- schaft. Gegenstand der Pastorale ist die Verknüpfung mythologischer Motive mit einer kindlich-urzuständlichen Menschheit jenseits aller gesellschaftlichen Konflikte und Dif- ferenzierungen. Dieser Projektion ideeller Wunschvorstellungen auf die vollendete Sphäre eines unmaterialistischen friedlichen Daseins des Menschen entspricht die seit der Antike überlieferte Sehnsucht nach dem von Hesiod und Empedokles geprägten Terminus vom Goldenen Zeitalter. Durch Theokrit und Ovid wird diese utopische Vor- stellung von einer goldenen Vergangenheit popularisiert und von Vergil zu einer teleo- logischen Vision umgedeutet. Seither träumt fast jede Epoche diesen Traum in jeweils spezifischen Ausformungen, worauf Schiller in seiner Schrift Über naive und sentimen- talische Dichtung hinweist: „Alle Völker, die eine Geschichte haben, haben ein Para- dies, einen Stand der Unschuld, ein goldnes Alter [...].“217 Die Wunschvorstellung einer paradiesischen Gegenwelt kultiviert selbst noch das christliche Mittelalter mit dem po- pulären Bild vom Schlaraffenland218, welches mit seiner Vision eines beständig konsu- mierbaren und grenzenlos reproduzierbaren Warenkosmos im spätindustriellen Zeitalter der Massenproduktion beinahe Wirklichkeit geworden ist.219 Nach Antike und Mittelal- ter wird der Topos vom Goldenen Zeitalter in der Renaissance zum ersten Mal auch herrschaftspolitisch instrumentalisiert.

„In der Renaissance wurde das Motiv [...] zum Pflichtthema höfischer Schmeicheleien: jeder neue Herrscher, der einen Thron bestieg, ob Medici, Valois, Tudor oder Habsbur- ger, ließ am Horizont die Sonne eines Goldenen Zeitalters [...] aufgehen.“220

Renaissancedichter wie Angelo Poliziano, Iacopo Sannazaro, Ludovico Ariostos,

216 Giovanni Battista Doni. In Ulrich Schreiber: Die Kunst der Oper. Im folgenden KDO. Bd. 1. Frankfurt/Main 1988. S. 23. 217 Friedrich Schiller. NA. Bd. 20. S. 468. 218 Umfassendes zu diesem Topos bei Herman Pleij: Der Traum vom Schlaraffenland. Mittelalterliche Phantasien vom vollkommenen Leben. Frankfurt/Main 2000. 219 Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 2. Über die Zerstörung des Lebens im Zeit- alter der dritten industriellen Revolution. 2. Aufl. München 1981. S. 43ff. 220 Mario Praz: Das schöne Goldene Zeitalter. In Der Garten der Erinnerung. Essays 1922-1980. Bd. 1. Max Looser (Hg.). Frankfurt/Main 1994. S. 163.

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Baldassare Castiglione, Giambattista Guarini oder Torquato Tasso erheben die bukoli- sche Vorwelt des Goldenen Zeitalters zu einem wesentlichen Gegenstand der Pastorale. Deren unverkennbarer Romantizismus strebt eine theatralisch inszenierte Synthese von idyllischen Motiven, den Phantasiesphären der ritterlichen Romantik und einer höfi- schen Etikette im Schäfergewand an.221 Vor allem bietet die Pastorale den ästhetisierten Hintergrund für eine erotische Libertinage, die der strenge Sittenkodex der Zeit kaum zu erfüllen gestattet hätte: „Alle Elemente der höfischen Liebesauffassung werden einfach in das Schäferliche transponiert; ein sonniges Traumland hüllt das Verlangen in einen Hauch von Flötenspiel und Vogelsang ein.“222 Gerade weil sich das höfisch literarisierte Ideal pastoraler Lebensformen auf einer derart hohen Inszenierungsebene vollzieht, ist es als ein animierend-animiertes Spiel durchschaubar, das mit der beschworenen Ge- genwelt kaum noch etwas zu tun hat. „Wie wenig glich das hyperbolisch gekünstelte, verschwenderisch bunte Leben der spätmittelalterlichen Aristokratie dem Ideal von Ein- fachheit, Freiheit und sorglos treuer Liebe inmitten der Natur!“223 Offensichtlich ist, dass auch mit der spielerischen Inszenierung von idyllischen Gegenwelten und Ursprungs- szenarien eine unmittelbare Erfahrung unversehrter Natur nicht mehr möglich ist. Aber auch die ästhetische Kompensation dieses elementaren Verlustes durch solche Sehn- suchtsprojektionen scheitert an dem Dualismus von realen Ebenen und deren fiktiven Korrelaten. Dies wird noch in Goethes gleichnamigem Schauspiel Torquato Tasso (1790) zum Gegenstand einer elegischen Klage:

„TASSO. Die goldne Zeit, wohin ist sie geflohn, / Nach der sich jedes Herz vergebens sehnt! / Da auf der freien Erde Menschen sich / Wie frohe Herden im Genuß verbreite- ten; / [...] Wo jeder Vogel in der freien Luft / Und jedes Tier, durch Berg‟ und Täler schweifend / Zum Menschen sprach: Erlaubt ist was gefällt. / PRINZESSIN. Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei: / [...] Die goldne Zeit, womit der Dichter uns / Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, / So scheint es mir, so wenig, als sie ist, / Und war sie je, so war sie nur gewiß, / Wie sie uns immer wieder werden kann.“224

Aber auch die großen geographischen Entdeckungsfahrten waren beseelt, von der Wunschvorstellung, ein irdisches Paradies zu finden. Christoph Kolumbus assoziierte mit seiner Entdeckung Amerikas eine eschatologische Erfüllung. Und auch die ihm nachfolgenden englischen Kolonisten glaubten in Amerika eine regenerative Gegenwelt zum moralisch degenerierten Europa gefunden zu haben.

„Mehr als jede andere moderne Nation waren die Vereinigten Staaten das Produkt der

221 Arnold Hauser: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. A. a. O. S. 531f. 222 Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. Kurt Köster (Hg.). 11. Aufl. Stuttgart 1975. S. 184. 223 Ebd. S. 185ff. 224 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 5. S. 100.

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protestantischen Reformation, die ein irdisches Paradies suchte, in dem die Reform der Kirche vervollkommnet würde. […] Manche Siedler sahen zudem schon in verschiede- nen Gebieten Amerikas das Paradies.“225

Im Barock- und Rokokozeitalter findet die Utopie einer paradiesischen Frühzeit in der anakreontischen Idyllendichtung Salomon Gessners, Johann Wilhelm Gleims, Friedrich von Hagedorns und Johann Heinrich Voss‟ einen lyrischen Niederschlag. Im absolutisti- schen Frankreich ist es die von Rousseau beschworene geographische Vision einer in gleichem Maße unbestimmten wie unbefleckten antizivilisatorischen Ferne, die u.a. auch der im 18. Jahrhundert aufkommenden Gattung des Singspiels zum lokalen Vor- wurf dient. In seiner Preisschrift Discours sur les arts et les sciences (1750) entfaltet Rousseau einen „glücklichen naturhaften Urzustand der Menschheit“226 und versucht damit jene Unschuld, Tugend und Freiheit wieder zu gewinnen, die im Verlaufe einer unheilvollen Zivilisation eingebüßt worden waren. In seinem Essai sur l’origine des langues (1781) bemüht Rousseau den lyrischen Süden als klangvolle Projektionsland- schaft einer gesungenen Sprache wohingegen er im prosaischen Norden die Landschaft des rauen, stumpfen und monotonen Sprechens erkennt. Gekennzeichnet sind diese abs- trakten Gefilde präzivilisatorischer Harmonie durch eine Einheit von Mensch, Natur und Götterwelt, die durch die von der Musik noch ungeschiedene Poesie vermittelt wird. Al- lerdings ist diese arkadische Idylle auch eine Projektionsfläche für die verschiedensten libertinären Lebens- und Liebesformen, die einen ersehnten Kontrapunkt zu dem zere- moniellen Reglement der höfischen Gesellschaft bildet: „Man sagte »Arkadien« und meinte die Ungebundenheit der Lebensweise, insbesondere die sexuelle Ungebunden- heit.“227 Die Antithese zur Welt der höfischen Zeremonialkultur formuliert die Vision von Arkadien: „Das ideale Arkadien steht als Gegenbild zum zeremonialen Alltag des Rokoko-Hofes.“228 Den motivischen Hintergrund dieser ureinheitlichen Gegenwelt ent- nimmt man dem antiken Mythos, der einerseits einen allgemein bekannten Formen-, Fi- guren- und Fabelkanon bereit hält, andererseits das überzeitliche und allgemeingültige Moment dieser Gegenwelt glaubhaft macht.

„Es gab aber einen Ort, wo Gesang im täglichen Leben nichts Ungewöhnliches war, wo die Poesie ihre Heimat hatte, und wo über allen Leidenschaften […] der golddurchwirkte Schleier eines friedvollen Paradieses lag: das ferne Arkadien einer goldenen Vorzeit. Hier gab es keine Unterschiede […], hier verkehrten Menschen und Götter wie gleichbe- rechtigte Wesen, hier war die Musik zu Hause und der Gesang normal.“229

225 Mircea Eliade: Die Sehnsucht nach dem Ursprung. Frankfurt/Main 1981. S. 132. 226 Martin Pfeifer: Sturm und Drang. Epochen deutscher Literatur. Bd. 483. Hollfeld 1983. S. 9. 227 Martin Vogel: Musiktheater. Bd. 1. Die Krise des Theaters und ihre Überwindung. Reihe: Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik. Bd. 30. Bonn 1980. S. 223. 228 Susanne Blöcker: Das höfische Zeitalter – Das Leben als Gesamtkunstwerk. Das Ideal der Natur: Pastorale, Malerei und Skulptur. In Frank Günter Zehnder, Werner Schäfke (Hg.): Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche. Katalog zum Gesamtprojekt. Köln 2000. S. 103. 229 Silke Leopold: Claudio Monteverdi und seine Zeit. 2. Aufl. Laaber 1993. S. 103.

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Musik und Poesie sind bereits zu Beginn dieser Idyllenreflexionen das Medium einer Raum und Zeit transzendierenden Kommunikation inmitten einer fiktiven arkadischen Urgesellschaft. Die neue Gattung des Musiktheaters erlaubt es, diesen Idealraum zu ei- ner artifiziellen Bühnenwirklichkeit zu stilisieren. Die ursprüngliche Identität von Poe- sie und Musik bedeutet eine Legitimierung gegenüber dem ästhetischen Wahrschein- lichkeitsverdikt einer Verosimiglianza, die schon Aristoteles dem thaumaston (dem Wunderbaren) kontrastierte. Diesem auf Wahrhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit ge- gründeten Postulat szenischer Glaubwürdigkeit wird in den ersten Musikdramen der Operngeschichte auch durch die Wahl der Protagonisten entsprochen: Apollon, der anti- ke Gott der Musik, und sein Sohn Orpheus unterlaufen die Befremdung über den sin- genden Schauspieler, da ihnen Musik und Gesang qua Beruf und Begabung sowie auf- grund einer personalen Identität mit dem Mythos, dem sie Ausdruck verleihen, eignet. Diese mythologische Rechtfertigung von Musik und Gesang wird nun funktionalisiert zu einem medialen Vermittlungssystem einer klassizistischen Utopie zur Erbauung und Unterhaltung, aber auch Belehrung eines ausschließlich höfischen Publikums. Mit diesen Positionen ist sowohl die inhaltlich-motivische Struktur der neuen Gat- tung als auch deren übergesellschaftliches Bezugssystem umrissen. Unter anderen Vor- zeichen sollte noch die Barockoper Händels die idyllische Sphäre einer Einheit von Na- tur und Kultur musikalisch beschwören, wobei der pastorale Aspekt sowohl das christli- che Bild des guten Hirten, aber auch ein heidnisches Arkadien beinhaltet. Damit wird die Synthese eines rückwärts projizierten Goldenen Zeitalters mit dem zeitlich voraus- deutenden Telos christlicher Erlösung vollzogen.230 Und selbst die musikalische Roman- tik des 19. Jahrhunderts wird auf einen mythologischen Zustand ursprünglicher Harmo- nie und Einheit anspielen. Dieser sollte seinen Höhepunkt in der synthetischen Anlage des romantischen Musikdramas finden.231 Auf den Punkt bringt diese Entwicklung der Dramatiker Friedrich Hebbel, der am 5. März 1863 in sein Tagebuch notiert:

„So viel ist an Richard Wagners lächerlicher Theorie richtig, daß die Oper ihre Stoffe immer aus der Mythe entlehnen sollte; wenn ein Schwanen-Ritter singt, wird sich nie- mand wundern, denn ein Mensch, der den Ozean auf dem Rücken eines Vogels durch- schneidet, kommt aus einer anderen Welt, worin es anders hergeht, wie in der unsrigen; aber wenn ein Notar sich in Rouladen erschöpft, während er einen Heirats-Kontrakt zu Papier bringt, klafft uns ein Widerspruch entgegen, den wir uns nur dadurch erträglich machen, daß wir uns bemühen, das Ganze über das Einzelne zu vergessen und also auf die höchste Wirkung der Kunst, die umgekehrt alles Einzelne ins Ganze auflösen will,

230 Ulrich Schreiber. KDO Bd. 1. S. 230f. 231 Noch das mythologische Sujet, wie es Robert Schumanns weltliches Oratorium Das Paradies und die Peri (1843) bestimmt, unterstreicht die im 19. Jahrhundert allgegenwärtige Sehnsucht nach Idyllen. Siehe dazu auch Wolfgang Boetticher: Einführung in die musikalische Romantik. Reihe: Taschenbücher zur Musikwissenschaft. Richard Schaal (Hg.). Wilhelmshaven 1983. S. 111.

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Verzicht leisten.“232

War im Frühbarock die Zielgruppe ein eingeschränkter musikalisch und mythologisch gebildeter Kennerkreis, so richtet sich das spätere romantische Musikdrama an eine abs- trakte Allgemeinheit, die im Zeichen einer allgemeinen Menschlichkeit Gegenstand ei- ner romantischen Utopie wird. Die romantische Utopie eines ganzheitlichen, an mythi- schen Mustern ausgerichteten Kunstwerks orientiert sich sowohl an klassischen als auch an romantischen Mustern, was u.a. Richard Wagners Züricher Kunstschriften (1849- 52)233 belegen. Diese formulieren einen opernkritischen Rückbezug der Gattung aus dem Geiste eines neuen musikdramatischen Ideals. Wagners nicht unproblematischer Ver- such einer Verfallsgeschichte der Oper erklärt sich aus einem nachvollziehbaren Unbe- hagen an der Dissoziation ihrer Mittel, laboriert jedoch an der Unzulänglichkeit der zeitgenössischen Quellenlage. Denn gerade der musikdramatische Gründungsakt der Oper steht weitaus mehr im Zeichen einer integralen Gesamtkunst als sich Wagner dies bewusst zu machen vermochte.

232 Friedrich Hebbel. Werke in fünf Bänden. Bd. 5. München 1967. S. 360f. 233 Die Züricher Kunstschriften bestehen aus den Abhandlungen Das Kunstwerk der Zukunft, Die Kunst und Revolution sowie Oper und Drama.

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Erste musikdramatische Überwältigungsstrategien

Die Geburt der Oper um 1600

Mit der Uraufführung von Dafne (1598) kann man die eigentliche Geburt der musik- dramatischen Gattung Oper, den Beginn des neuzeitlichen Musiktheaters datieren. Diese erste vollgültige Oper der Kulturgeschichte wurde von dem Komponisten und Sänger Jacopo Peri in Florenz nach einem Libretto von Ottavio Rinuccini und Jacopo Corsi komponiert. Obschon die Partitur nur in Fragmenten erhalten ist, kann man hier ein my- thisch-antikisiertes Spiel erkennen, „in welchem die Sprache durchweg Gesang gewor- den ist; ein theatralisches Kunstwerk, in dem Dichtung, Musik, Tanz und szenisches Bild zu vollkommener [...] Einheit verschmolzen sind.“234 Mit der Uraufführung der ebenfalls von Peri und Rinuccini verfassten Oper Euridice anlässlich der Hochzeit von Maria de‟ Medici mit dem französischen König Heinrich IV. am 6. Oktober 1600 be- ginnt die eigentliche Wirkungsgeschichte jener musikdramatischen Gattung, die „als späte Schöpfung der Renaissance“235 einen nicht unproblematischen Versuch darstellte, die antike Tragödie zu rekonstruieren.236 Sieht man einmal davon ab, dass die ersten Opern inhaltlich und thematisch zunächst eher an mythologische Motive denn an die an- tike Tragödie237 anknüpfen, so ist es doch ein ganzheitlicher Anspruch, der die neue Gat- tung wesentlich begründet, denn „die entstehende Oper war ja gerade von dem Bestre- ben geleitet, das antike Drama im Sinne eines Gesamtkunstwerks in der Vereinigung von Wort, Musik [...], Gestik und Spiel wiederherzustellen.“238 Der erste epochale Höhepunkt in der Geschichte des Musiktheaters ereignete sich am 24. Februar 1607 im Palazzo Ducale zu Mantua. Dort wird vor einem höfischen Publikum die Favola d’Orfeo von Claudio Monteverdi nach einem Libretto Alessandro Striggios uraufgeführt und damit die Genealogie einer neuen Gattung recht eigentlich begründet. Diesem Werk sind bereits sämtliche Strukturelemente der avancierten Oper wesentlich inhärent. Darüber hinaus verweist die Grundanlage des Werks auf jenen syn- thetischen Kontext, der in beinahe allen späteren Bestrebungen um eine Gattungsreform eine zentrale Rolle spielen soll. „Was Orfeo jedoch [...] zur «ersten Oper» erhebt, ist die Verdichtung des Klanggeschehens mittels affektiver Melodik und Harmonik zu einer

234 Werner Oehlmann: Oper in vier Jahrhunderten. Stuttgart/Zürich 1984. S. 15. 235 Ebd. 236 Ulrich Schreiber: KDO. Bd. 1. S. 30. 237 Erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts avancierten antike Tragödienstoffe zu stereotypen Vorwürfen der Barockoper, obwohl bereits Ottavio Rinuccini für sein Drama Arianna (1608) die Bezeichnung ‚Tragedia‟ wählte. 238 Hellmut Flashar: Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne der Neuzeit. München 1991. S. 41.

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unmittelbaren emotionalen Wirksamkeit.“239 Mit Monteverdis bahnbrechender Favola in musica240 Orfeo wird nicht nur einer der großen Urmythen der Kulturgeschichte in ein Opernkunstwerk übersetzt, es wird mit diesem kulturhistorischen Schlüsselwerk zu- gleich die Idealvorstellung der Oper schlechthin realisiert: die Synthese von Mythos und Drama im Gewande der Musik. Allein die exponierte Stellung der Musik versinnbild- licht in der magischen Gabe der Naturbeschwörung und -bändigung durch den Gesang Orfeos den Triumph der Kultur über die Natur und verweist auf jene Grundprinzipien, die 200 Jahre später in eine romantisch grundierte Übereinstimmung gelangen sollten: die Identität von Musik und dem naturhaften Kern aller Erscheinungen. Zugleich veran- schaulicht diese Dialektik von Natur und Kultur jenen metaphysischen Zusammenhang, der die Grundlage einer überirdischen Wirkung auf den hörend-schauenden Menschen darstellt. Beide Bereiche scheinen seit je her eine untergründige Beziehung zueinander zu unterhalten, die sich auch in der Affinität von Oper und Mythos ausdrückt. Damit ist einmal mehr der Kreis von den mythischen Anfängen der Oper bis hin zu der romanti- schen Mythenkonzeption im Musikdrama Richard Wagners geschlossen.

„Man war, so scheint es, der Opernmythologie müde, ohne sich aber andererseits zu ver- hehlen, daß gerade «il meraviglioso», das «Wunderbare», Unwirkliche des Mythos der Ir- realität des gesungenen Dramas adäquat war. In «Orfeo» ist Gesang natürliche Sprache, aber kaum in «La Traviata», einer modernen Kolportagegeschichte [...]. Es war demnach ein glücklicher Griff, daß Wagner, um die musikalische Ausdrucksform aus dem Charak- ter des dichterischen Stoffes zu rechtfertigen, zum Mythos zurückkehrte, aber den ver- schlissenen antiken durch den germanischen ersetzte.“241

Einen sowohl inhaltlich-dramatischen als auch strukturellen Zusammenhang zwischen beispielsweise der Orestie und dem Prometheus des Aischylos mit Wagners Ring- Konzeption hat die jüngere Forschung bereits herausgearbeitet242. Die Wesensverwandt- schaft der homerischen Odysseus-Sage mit den romantischen Opern Der Fliegende Hol- länder, Tannhäuser und Lohengrin hat Wagner in der Schrift Eine Mitteilung an meine Freunde (1851) selbst ausgeführt.243 Schließlich ist die verklärende Identifikation von Apollon und Christus in Wagners Aufsatz Die Kunst und die Revolution (1849) nicht nur strukturell wesensverwandt mit Monteverdis Umdeutung der Orpheussage in eine christliche Eschatologie der Auferstehung und Himmelfahrt, bei der Apollon seinen

239 Wulf Konold: Monteverdi. Reihe: rowohlts monographien. Wolfgang Müller (Hg.). 3. Aufl. Rein- bek bei Hamburg 1993. S. 101. 240 Gattungsbezeichnung nach dem Titelblatt der Erstausgaben-Veröffentlichung aus dem Jahre 1609. 241 Carl Dahlhaus: Richard Wagners Musikdramen. München 1988. S. 111. 242 Siehe dazu Eckart Kröplin Die Faszination des Mythos für das Gesamtkunstwerk Theater. In Richard Wagner – »Der Ring des Nibelungen«. Ansichten des Mythos. Stuttgart/Weimar 1995. Und: Dieter Bremer: Vom Mythos zum Musikdrama. Wagner, Nietzsche und die griechische Tra- gödie. In Dieter Borchmeyer (Hg.): Wege des Mythos in der Moderne. München 1987. 243 Richard Wagner. GSD. Bd. 4. S. 230ff. Siehe dazu auch Jürgen Kühnel: Wagners Schriften. In Ul- rich Müller, Peter Wapnewski (Hg.): Richard-Wagner-Handbuch. Stuttgart 1986. S. 471ff.

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Sohn Orpheus zu sich nimmt.244 Dass der Entstehungskontext der Oper in Florenz den literarischen Romantikern durchaus bekannt war, belegt eine Notiz Wilhelm Müllers aus dem Jahre 1818.

„Das musikalische Drama oder die Oper, eine Erfindung des Florentiners Ottavio Rinuc- cini, der im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts starb, gewann bald den allgemeinen Beifall des italienischen Volkes [...].“245

Auch ist hier die Synonymbezeichnung musikalisches Drama für die Oper signifikant. All dies unterstützt die These, dass bestimmte Voraussetzungen des romantischen Mu- sikdramas bereits im Ursprung der Gattung gegeben waren. Weitere Korrespondenzen in Monteverdis Favola d’Orfeo ergeben sich auch dadurch, dass die einzelnen dramati- schen Komponenten in ein wirkungsvolleres Arbeitsverhältnis zueinander treten als das in der späteren Opera seria der Fall sein wird.

„Die Musik im Orfeo ist keine reine Musik und kann eigentlich nicht beurteilt werden, als wenn es keinen Text gäbe: [...] er gab der Musik ihre eigentliche Funktion im Musik- drama zurück, nämlich den Ausdruck des im Text Unausgesprochenen. In Euridice wie im Orfeo interagieren Text und Musik, um das Drama hervorzubringen.“246

Die einzigartige Modernität dieser gattungsgeschichtlichen Frühform besteht darin, dass das Drama teilweise rückverlegt wird in die Gefühlswelt und „im Inneren eines imagi- nären Subjekts“247 stattfindet. Die spätere arbeitsteilige Verlagerung dramatischer Ein- heiten in die Rezitative sowie der Affekte und der Reflexion in die Arien hat sich in Monteverdis Orfeo noch nicht etabliert, weshalb auch hier der Verweis auf Wagners Musikdrama Tristan und Isolde berechtigt ist. Gerade wegen der Introversion des Ge- schehens, der Reduktion auf „ein Labyrinth psychischer Vorgänge“248, hat Wagner die 249 Gattungsbezeichnung ‚Handlung‟ gewählt und damit auf die von ihm selbst gerühmte „Kunst des tönenden Schweigens“250 verwiesen. Auch in der Favola d’Orfeo verdichten sich Handlungsmomente zu einem Wechselspiel der inneren und äußeren Zustände, Er- regungen und Bewegungen. Das monodische Prinzip seiner Florentiner Wegbereiter hat

244 Vgl. Eckart Kröplin Die Faszination des Mythos für das Gesamtkunstwerk Theater. A. a. O. S. 115f und Jürgen Kühnel: Wagners Schriften. A. a. O. S. 498ff. 245 Wilhelm Müller: Rom, Römer und Römerinnen. Wulf Kirsten (Hg.). Berlin 1978. S. 248. 246 John D. Drummond: L’Orfeo. In Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik-Konzepte 88. Claudio Monteverdi/Um die Geburt der Oper. edition text + kritik. München 1995. S. 72. 247 Gerhard Scheit: Dramaturgie der Geschlechter. Über die gemeinsame Geschichte von Drama und Oper. Frankfurt/Main 1995. S. 60. 248 Siehe dazu auch Dietmar Holland: Hier wütet der Tod. Zu Wagners . In Richard Wagner: Tristan und Isolde. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei Hamburg 1983. 249 Bezeichnung nach dem Erstdruck von Partitur und Klavierauszug. 250 Richard Wagner: Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonck. 1853-1871. Berlin 1904. S. 104.

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Monteverdi durch vielfältige musikalische Formen und Elemente angereichert, diese je- doch zu einem einzigartigen Wirkungskomplex zusammengefügt.251 Diese frühe Gene- ralunion von Musik und Drama wird sich im weiteren Verlauf der Geschichte des Mu- siktheaters differenzieren; die Formen beginnen sich voneinander abzuspalten. Musik und Drama werden fortan keiner integralen Wirkungsintention mehr unterworfen sein.

Die Bedeutung der Musik im frühen musikalischen Drama

Mit der Gattung Oper eröffnet sich ein Spielraum verschiedenster Kombinationen, In- teraktionen und Querverweisen. Dabei spielt die transrationale Virtualität der Musik in- sofern ein herausragende Rolle, als sie zugleich Thema und Agens des Dramas darstellt, aber auch psychologische Subtexte sowie übergeordnete Bedeutungsebenen vermittelt. Sie lässt sich in einem Feld semantischer Bezüge kognitiv dechiffrieren und potenziert dadurch das Opernganze zu einer Totalität simultaner Darstellung und Wahrnehmung, welcher durch die Inszenierung eine weitere Dimension hinzugefügt wird. Die simultane Verschichtung von Handlung und Musik problematisiert die Syn- chronisation zweier völlig verschiedener Zeitverhältnisse. Das Drama ist in ein konkre- tes zeitliches Kontinuum mit einer dynamischen, zielorientierten Motivanordnung ein- gebettet.252 Die diskursive Logik des gesprochenen Dramas folgt der Abfolge von Rede und Gegenrede, der die kadenzierende Logik einer musikalischen Simultaneität, also ei- ner gleichzeitigen Artikulation unterschiedlicher tonaler Linien und Harmonien, nicht folgt. Mit der Loslösung der Musik von den Bewegungsgesetzen des menschlichen Kör- pers im Mittelalter wird ein musikalisches Zeitbewusstsein etabliert, dem eine epische Autonomie innewohnt. Hinzu kommt die Dimension der Mehrstimmigkeit, die neben Melodie und Rhythmus eine weitere Bezugsebene stiftet. Auch wandelt sich das Dominanzverhältnis zwischen Verstand und Gefühl bei der Wahrnehmung und Beurteilung des musikdramatischen Kunstwerks. Dabei werden die beiden mimetischen Prinzipien einer bildhaften Naturbeschreibung (Imitazione della na- tura) durch die Musik und der musikalischen Nachahmung des Textes (Imitazione delle parole) einander angenähert. Diese Parameter kommen in Monteverdis Theorie von der Seconda pratica zum Ausdruck253 und sind unmittelbar an den Stile monodico geknüpft. Diese Vortragsform beinhaltet die vokale Darstellung einer singulären, leidenschaftlich erregten, dramatisch vorgetragenen und theatralisch stilisierten Rede, die gerade durch eine gefühlsbewegte Nachahmung der Worte eine Imitazione della natura erst ermög- licht: „Als imitazione delle parole ist dieses Singen zugleich imitazione della natura.

251 Gerhard Scheit: Dramaturgie der Geschlechter. A. a. O. S. 62. 252 Otto Mann: Poetik der Tragödie. Bern 1958. S. 203 und 238f. 253 John D. Drummond: L’Orfeo. Kap. 1. »Seconda pratica« oder die Herrschaft des Textes über die Musik. A. a. O. S. 57ff.

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Denn es ist Nachahmung der natürlichen, theatralisch zur Schau gestellten Bewegtheit des Sprechers [...].“254 Weniger geht es fortan allein um die wortsprachliche Vermittlung semantischer Botschaften als vielmehr um einen affektbewegten Vortrag, der die leiden- schaftliche Stimmung des Vortragenden auch im Zuhörer hervorzurufen sucht. Die Se- conda pratica „steht nicht allein für neue Freiheiten in der Dissonanzbehandlung, son- dern überhaupt für ein neues Verständnis der musikalischen Rede“255 innerhalb des mo- nodischen Vortrags. Eine semantische Nachahmung von Naturphänomenen, unbe- stimmten Gefühlswerten sowie von abstrakten Begriffen ist auch noch für einen regel- sprengenden Musikdramatiker wie Monteverdi undenkbar:

„Außerdem habe ich gesehen, daß die Gesprächspartner Winde sind [...]. Weiter kommt hinzu, daß die Winde singen müssen, nämlich die Zephyrn und die Borealen. Lieber Herr, wie werde ich das Sprechen der Winde darstellen können, wenn sie nicht sprechen? Und wie kann ich mit ihrer Hilfe die Affekte bewegen können? Arianna bewegte sie, weil sie eine Frau war und gleichfalls Orfeo, weil er ein Mann war und kein Wind. Die Musik kann sie selbst darstellen, aber nicht ihre Rede, und das Tosen der Winde, das Blöken der Schafe, das Wiehern der Pferde usw., aber sie stellt nicht das Sprechen der Winde dar, das es nicht gibt.“256

Eine solche außersprachliche Verknüpfung von Musik mit den genannten Phänomenen konnte sich erst in einer musikdramatischen Theorie vollziehen, die qua Identifikation von Bezeichnendem mit dem Bezeichnetem über die bloße Mimesisproblematik hinaus- ging und ein übergeordnetes Spektrum der Darstellung anvisierte. In Monteverdis fünf- stimmigem Madrigal Lamento d’ Arianna (1610), dem einzig überlieferten, vollständig durchkomponierten Stück aus seiner verloren gegangenen Oper Arianna (1608), be- kommt der Schmerz der verlassenen Arianna unmittelbaren wort-musikalischen Aus- druck. Darüber hinaus wird in den Schlußworten Ariannas: „Così va chi tropp‟ama e troppo crede“257 eine Konklusion formuliert, welche die höhere Reflexionsebene einer moralischen Bewertung sichert und damit weit über die Epoche hinausdeutet.258 Diese Dynamik einer in das Drama eingewobenen Musik bildet zwei Jahrhunderte später die Grundlage einer synthetischen Theorie, deren exponiertestes Sublimat Richard Wagners romantisches Musikdrama darstellt.

254 Hans Heinrich Eggebrecht: Heinrich Schütz. Musicus Poeticus. Reihe: Taschenbücher zur Musik- wissenschaft. Richard Schaal (Hg.). Wilhelmshaven 1984. S. 66. 255 Walther Dürr: Sprache und Musik. Geschichte – Gattungen – Analysemodelle. Silke Leopold, Jutta Schmoll-Barthel (Hg.): Bärenreiter-Studienbücher Musik. Bd. 7. Kassel, Basel, London, New York, Prag. 1994. S. 113. 256 Brief Monteverdis vom 09. 12. 1616 an Alessandro Striggio. In Claudio Monteverdi. Briefe. Denis Stevens (Hg.). München 1989. S. 135. 257 „So ergeht es jenem, der zuviel liebt und zuviel glaubt.“ 258 Noch das Finale in Mozarts Oper Don Giovanni bedient sich eines entsprechenden Resümees, das jedoch als normative Verhaltensvorgabe zukunftsweisend ist. Die Musik wird hier auch zum Agens einer moralischen Weltdeutung.

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Synthetische Variationen

Weitere formale und stilistische Korrespondenzen zwischen den ersten musikdramati- schen Ursprungsformen der Operngeschichte und ihrer synthetischen Vollendung im romantischen Musikdrama lassen sich aufzeigen: Spezifische Tonartencharakteristika sowie die symbolische Zuordnung der verschiedenen Instrumentengruppen zu einzelnen Sphären und Protagonisten der Favola259 werden auch in der späteren musikalischen Romantik unternommen. Diese Faktoren ergeben eine dramatische Geschlossenheit, welche die Gattung Oper, deren Geburt sich etymologisch erst im Jahre 1640, ereig- net,260 später wieder verlieren wird. Sowohl in ihrer Frühgeschichte als auch in der histo- rischen Retrospektive werden sich keine eindeutigen Bezeichnungen herauskristallisie- ren. Und am Problem einer adäquaten Terminologie objektiviert sich letztendlich auch die Problematik der Gattung.

„So und musiktheatergeschichtlich allein richtig verstanden, bedarf der Begriff ‚Oper„ al- so genauerer Bestimmung. [...] Oper bezeichnet die Ganzheit eines theatralisch- musikalischen Kunstwerks, wie es seinerzeit in der ganz selbstverständlichen Personal- union von Librettist und Spielleiter einerseits, von Komponist und musikalischem Leiter andererseits ein sicheres Unterpfand besaß. Das ist das eine: das eigentliche Werk ist die Aufführung.“261

Ohne eine koordinierte Bühnen- und Regieanweisung, ohne eine inspirierte, szenische Umsetzung kann ein Opernganzes nicht erreicht werden.262 Dieser Sachverhalt wird zum ersten Mal ersichtlich in La Dafne (1608) von Marco da Gagliano263. Es handelt sich da- bei um das erste Werk mit der Bezeichnung Dramma in musica, was nichts weniger be- deutet als ein Drama im Gewande der Musik. Nicht allein die durchkomponierte Form und die dramatische Integration des Chores verweisen auf eine Analogie zum romanti- schen Musikdrama. Auch die exorbitante Bedeutung einer alle Elemente zusammenfas- senden Aufführungsanleitung in der berühmten Vorrede zum Bühnenwerk unterstreicht diesen Zusammenhang.

259 Siehe dazu Hans Ferdinand Redlich: Der erste Opernkomponist: Claudio Monteverdi und seine »Favola d’Orfeo«. In Claudio Monteverdi: Orfeo. Christoph Willibald Gluck: Orpheus und Euri- dike. Texte, Materialien, Kommentare. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). Reinbek bei Ham- burg 1988. S. 124. 260 Den Begriff ‚opera‟ verwendete zum ersten Mal der Librettist Gian Francesco Busenello (1598- 1659) für die Bezeichnung seines Bühnendichtung Gli amori di Dafne e di Apollo (1640), die er für den Komponisten Francesco Cavalli schrieb. 261 Dietrich Steinbeck: Götter, Menschen, Bettler. Überlegungen zum Musiktheater des Barock. In Al- te Musik – Morbach live. 4. Quartal 2000. Sender Freies Berlin. Abt. Kommunikation (Hg.). Ber- lin 2000. S. 34. 262 Grundsätzliches zu epochentypischen Aufführungsmodi bei Hellmuth Christian Wolff: Oper. Sze- ne und Darstellung von 1600-1900. Edition: Musikgeschichte in Bildern. Bd. 4/1. Leipzig 1985. 263 Das Libretto verfasste Ottavio Rinuccini.

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„Dazu gesellen sich in der ausgedehnten Vorrede Bemerkungen zur Aufführungspraxis, die als erste ausführliche Regieanweisungen der Operngeschichte bezeichnet werden können und Marco da Gagliano als erfahrenen Bühnenpraktiker ausweisen. Er charakte- risiert darin das vorliegende Werk als »Gesamtkunstwerk« aus Dichtung, Musik, Tanz, Schauspielkunst, Malerei und Ausstattung [...].“264

Die gegenseitige Durchdringung der Mittel wird ergänzt durch eine einheitliche Gliede- rung größerer szenisch-dramatischer Komplexe, die bruchlos zu einem Opernganzen zu- sammengefügt werden. Die Werkstruktur wird schließlich auch musikalisch mit einem durchgehenden Hauptmotiv gekennzeichnet.265 Dieser gattungsgeschichtlich bedeutende Modus schafft eine Verbindung von Szenenanfang und deren Abschluss, zudem stiften die Motivwiederholungen Übergänge zu nachfolgenden Szenen266, wie etwa zur glei- chen Zeit das Ritornello und die Sinfonia in Monteverdis Orfeo. Dieser ganzheitliche Anspruch ist insofern bereits in Marco da Gaglianos Vorrede zu La Dafne angelegt, als

„sich jedes edle Vergnügen wie die Erfindung und der Entwurf des Dramas, die Senten- zen, die Süße des Reims, die Kunst und die Musik, das Konzertieren von Stimmen und Instrumenten, die Reinheit des Gesangs, die Anmut des Tanzes und der Gesten – und man kann auch sagen, daß die Malerei durch die Perspektive und die Kostüme daran ei- nen nicht geringen Anteil haben – vereinigen [...].“267

Gerade die Heterogenität der neuen Gattung, in der nun ganz bewusst Gattungsgrenzen aufgehoben und vielfältige Formen integriert werden, entfaltet einen synthetischen Komplex. Der Zauber der reinen Vokal- und Instrumentalmusik im Madrigal genügt ei- nem kunstgebildeten Kennerpublikum nicht mehr zur Versinnlichung einer anthropolo- gischen Totalität. Die lyrische Verknüpfung von Musik und Wort bedurfte einer drama- tischen Erweiterung. So ist das musikalische Drama auch das Ergebnis einer sich stetig verfeinernden Kultur, die mannigfaltiger Sinnesreize beanspruchte, um sich ihrer elitä- ren Stilhöhe zu versichern.

Synthese von Musik und Drama in Monteverdis Spätwerk

Im Jahre 1624 wurde in Venedig Claudio Monteverdis Kantate Combattimento di Tan- credi e Clorinda für Tenor, Sopran und einen Bariton uraufgeführt. Deren innere Kon- zeption, Wirkungsästhetik sowie integrative Einbindung aller Bühnen- Darstellungs- und Aufführungsparameter stehen im Zeichen einer komprimierten, ganzheitlich-

264 Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 24. 265 Hermann Kretzschmar: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 68f. 266 Ebd. S. 269. Kretzschmar verweist auf diese Technik übrigens in Verbindung mit Richard Wagners Leitmotivik. 267 Marco da Gagliano: Vorrede zu La Dafne. In Heinz Becker (Hg.): Quellentexte zur Konzeption der europäischen Oper im 17. Jahrhundert. Kassel 1981. S. 23.

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dramatischen Werkaussage. „Er schreibt das Halbballett Combattimento di Tancredi e Chlorinda, um die präziseste Gleichzeitigkeit von Gebärde und Musik daran zu lehren, der erste bewußte Versuch des Gesamtkunstwerks.“268 Bemerkenswert an dieser musik- dramatischen Kleinform ist einerseits eine konkrete Aufführungsanweisung des Kom- ponisten, andererseits wird dem Werk neben einer integralen Korrespondenz zwischen Text, Musik und Bühnenbild als zentrales theatralisches Element eine pantomimische Komponente hinzugefügt. Nicht nur Musik und Text sollen eng miteinander korrespon- dieren; eine ausgeklügelte Gebärdensprache soll dem dramatischen Wechselspiel der einzelnen Formen detailliert entsprechen:

„Tancredi und Clorinda sollen ihre Schritte und Gesten nach dem jeweiligen Text rich- ten, und nicht mehr und nicht weniger machen, wobei sie genau auf das Tempo der Schläge und Schritte achten müssen, und die Instrumentalisten auf die erregten und wei- chen Klänge, und der Erzähler darauf, daß die Worte zur richtigen Zeit gesprochen wer- den, so daß sich alles zu einem einheitlichen Ganzen in der Nachahmung fügt.“269

Die Orchestermusik hat hier keineswegs nur eine Begleitfunktion. Der Stile concitato kann seelische Erregungszustände mimetisch nachzuzeichnen, zugleich die Szene ver- anschaulichen, die Handlung befördern sowie die inneren Kämpfe und Leidenschaften der Protagonisten darstellen.270 Mit dieser „Gestik des Gesangs“271 wird die theozentri- sche Musikästhetik des Mittelalters endgültig überwunden. Die Nachahmungslehre be- inhaltet fortan auch eine konkrete Nachahmung von Gemütsbewegungen und leiden- schaftlichen Affekten.272

„Die Partitur, die alle Phasen eines tragischen Kampfes mit den musikalisch avanciertes- ten Mitteln der Tonmalerei und Tonsymbolik wiedergibt, dient zugleich als Regieanwei- sung für die »Schritte und Gesten« der beiden kostümierten Darsteller, die den stile con- citato auch oder gerade dann körperlich ausdrücken, wenn sie nicht singen [...]. Keines- falls illustrieren sie daher nur szenisch, was ohnedies zu hören ist, sondern steigern ges- tisch eben jenen musikalischen Ausdruck, den sie in ihren Gesangspartien mitgestal- ten.“273

Es ereignet sich ein Musikdrama, in dem sich der gesamte Konzertsaal in ein miterle- bendes Theater verwandelt. Die räumliche sowie ästhetische Differenz wird durch das unmittelbare Miterleben des Affekts, durch die Allgegenwart einer kriegerischen Dia- lektik von Eros und Thanatos aufgehoben. Diese Position ist bereits sehr nah an Richard

268 Oscar Bie: Die Oper. München 1988. S. 20. 269 Claudio Monteverdi. In Silke Leopold: Claudio Monteverdi und seine Zeit. A. a. O. S. 223. 270 Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. Salzburg und Wien 1982. S. 176. 271 Ulrich Schreiber: KDO. Bd. 1. S. 59. 272 Siehe dazu auch Georg Knepler: Wolfgang Amadé Mozart. Annäherungen. Berlin 1991. S. 225f. 273 Hans Rudolf Zeller: Unbestimmtheiten und die zweite seconda pratica. In Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik-Konzepte 88. Claudio Monteverdi. A. a. O. S. 88.

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Wagners Auffassung von der Bedeutung der Orchestermusik im musikalischen Drama, wie er sie in Oper und Drama dargelegt. Man denke dabei aber auch an Wagners spätere Assoziation eines unsichtbaren Orchesters mit der Vorstellung von einem unsichtbaren Theater.

„Unter den großen Meistern, die der Oper ihrer Zeit neue Gesetze aufgezwungen haben, gibt es nur einen, den man mit Richard Wagner vergleichen kann: das ist Claudio Monte- verdi. [...] Monteverdi und Wagner schufen neu von Grund aus.“274

Gewiss hatte Monteverdi voraussetzungsloser an der Begründung jener Gattung mitge- wirkt, von der Wagners Reform ex negativo ausging. Darüber hinaus darf auch nicht die Verschiedenheit der theoretischen sowie wirkungsästhetischen Ausrichtungen unter- schlagen werden. Bei einer Bewertung spielen geistes-, kultur- und ideengeschichtliche Faktoren genauso eine Rolle wie die unterschiedliche Funktion von Kunst und Kultur in ihrem jeweiligen historischen oder gesellschaftlichen Kontext. Dennoch vermochte die weitgehend durchkomponierte Form sowie die dramaturgische Anlage der Spätwerke Monteverdis die historische Erscheinung der Nummernoper noch vor deren formalen und typologischen Konsolidierung zu unterlaufen. Die Nähe zur romantischen Auffas- sung von einem integralen und stringent durchgeführten musikalischen Drama wird hier mehr als nur evident.

„Monteverdis Gesamtkunstwerk ist nicht im barocken Sinn zu verstehen: als Schauge- pränge, in dem eine bestimmte geschichtliche Stufe von Theaterbau, Bühne, Kulissen und Maschinenkunst erreicht ist. Vielmehr geht die in der POPPEA verwirklichte Thea- teridee über diese im RITORNO D‟ULISSE IN PATRIA verwirklichte Stufe gleichsam hinaus: ausgehend vom auskomponierten Verhältnis des Wortes zur dramatischen Akti- on, zielt sie auf ein Gesamtkunstwerk als Musiktheater.“275

Schon mit diesen beiden Spätwerken Il Ritorno d’ Ulisse in Patria (1640) und L’Incoronazione di Poppea (1642) begann die Dissoziation der einheitlichen Form einer hohen musikalischen Tragödie durch die Integration komischer Figuren, parodistischer Einlagen und, damit verbunden, mit der Preisgabe eines einheitlichen Handlungsver- laufs.276 Diese Erweiterungen können als eine Reaktion des Musiktheaters der Epoche auf die beginnende Verbürgerlichung der Gattung betrachtet werden. Die Erweiterung des thematischen als auch personalen Spektrums richtet sich an ein neues Publikum, zielt auf dessen geschmacklichen Präferenzen sowie dessen Unterhaltungsbedürfnis.

274 Hermann Kretzschmar: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 268. 275 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1. S. 60. 276 Näheres dazu auch bei Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 48ff.

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Dissoziation der synthetischen Ursprungsformen

Bald nach ihrer Entstehung beginnt auch schon die Verfallsgeschichte der neuen Gat- tung. Bereits das Opernschaffen der beiden bedeutendsten Protagonisten der früh- venezianischen Oper unmittelbar nach Claudio Monteverdi, Francesco Cavalli und An- tonio Cesti, steht im Zeichen einer Diversifikation der Mittel.277 Damit ist einerseits die wildwuchernde Kultur einer Verschmelzung hoher und niedriger Gattungen (Tragödie und Komödie) gemeint, andererseits aber auch die artifizielle Stilhöhe eines gekünstel- ten Opernästhetizismus, der sich mit der Forderung nach einer Imitatio naturae nicht mehr vereinbaren lässt. Durch die Zunahme geschlossener, voneinander streng geschie- dener arioser Formen wird auch die rezitativische Durchdringung vermindert und damit der eigentlichen Nummernoper der Weg bereitet. Auch wird die antike Vorstellung von einer räumlichen Gemeinschaft von Schauspielern und Publikum von den Theaterarchi- tekten der Renaissance nicht aufgegriffen. Diese

„übernahmen die Idee des Kreises – bezogen ihn aber nicht mehr auf das ganze Theater. Sitzreihen und Logen bauten sie als Halbrund, die Bühne dagegen nahmen sie nicht mit in dieses Halbrund hinein, sondern schlossen sie ihm an. Unbewußt zogen sie damit ei- nen Trennungsstrich zwischen Spielern und Publikum, markierten sie eine Grenze, die sich bald als (Orchester-)Graben verselbständigen sollte. [...] Die räumliche und ideelle Einheit beim Vorbild hat sich also in ihr Gegenteil verkehrt.“278

Es entsteht die dominierende Bühnenform des Abendlandes, die Guckkastenbühne. Erst im Kontext romantischer Kunstsynthese-Überlegungen wird diese Theaterform wieder in Frage gestellt werden. Weitere Degenerationserscheinungen, die der sich fort entwi- ckelnden Gattung einen synthetischen Charakter absprechen, sind zu diagnostizieren: Zum einen bedeuten die wechselhaften Dominanzverhältnisse zwischen Libretto und Musik unter Vernachlässigung der szenisch-dramatischen Darstellung ein geradezu un- überwindliches Hindernis für eine vollkommene Verschmelzung der beiden Komponen- ten zu einer ganzheitlichen oder zumindest einheitlichen Aussage. Zum anderen verei- telt die fortschreitende Trennung der sowohl musikalischen als auch sprachlichen For- men in sogenannte Nummern die Geschlossenheit des gesamten musikdramatischen Gebildes, so dass die Addition von Bühnenmusik und gesungener Sprache kein Musik- drama, sondern eben nur noch Oper ergibt. Und auch in bezug auf den illustrativen und dekorativen Aspekt der Bühnenillusion lässt sich vom programmatischen Beginn der Oper ein Verfall der eigentlichen Ursprungsidee beobachten. Mit voranschreitender

277 Siehe auch: Jörg Krämer: Auge und Ohr. Rezeptionsweisen im deutschen Musiktheater des späten 18. Jahrhunderts. In Erika Fischer-Lichte, Jörg Schönert (Hg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung von Körper – Musik – Sprache. Reihe: Das achtzehnte Jahrhundert. Bd. 5. Supplementa. Göttingen 1999. S. 116. 278 Leo Karl Gerhartz: Oper. Aspekte der Gattung. Laaber 1983. S. 11.

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Auflösung des musikalischen Dramas wird auch die Bedeutung der Bühnenbilder infla- tioniert.

„Schon in der Florentiner Oper schenkte man den Bühnenbildern, der optischen Wirkung einer Szene, hohes Interesse, das sich mit der Entwicklung und Vervollkommnung der Bühnenmaschinen noch steigerte. Allein die häufige Wiederverwendung von Dekoratio- nen und Requisiten erweist, daß es eher darum ging, einen generellen szenischen Ein- druck zu vermitteln, als ein ganz bestimmtes Milieu zu treffen. Man begnügte sich mit dem Zusammenwirken von Einzelteilen, die zwar aufeinander abgestimmt waren, sich dennoch zu keiner übergeordneten Gestalt, zu keinem Totaleindruck, verbanden. Schon das unverbindliche Nebeneinander unterschiedlicher Arientypen unterstreicht die Gleichgültigkeit der älteren Komponisten gegenüber größeren Szenenkomplexen oder gar des in sich geschlossenen Werkes.“279

Satirische Momente, ironische Anspielungen und unverhohlene Komik beginnt in den idyllischen oder tragischen Komplex der musikdramatischen Ursprungsform in dem Maße einzudringen, wie sich die Thematik der Wirklichkeit anzunähern beginnt. Realis- tische Szenen aus dem Straßen-, Berufs- oder Privatleben werden genauso in das Spiel eingebaut wie die typologisierte Satire der Commedia dell‟arte. Ein weiteres Problem stellt die offene Werkstruktur einer Gattung dar, deren kommerzielle Verwertbarkeit auf einer Kompatibilität mit den unterschiedlichen Möglichkeiten und Mitteln ihrer Auffüh- rungsorte verknüpft ist. Da die Orchester der Hof- und Stadttheater Italiens sehr unein- heitlich besetzt und nicht immer alle solistischen Stimmfächer vorhanden sind, darf die Komposition nur rudimentär angelegt sein. Es wird darum in der Regel nur der Instru- mentalbass und die Singstimme im Notentext angegeben. Die Partitur muss von den je- weils Ausführenden nach Maßgabe ihrer lokalen Möglichkeiten fertig gestellt werden.280 Das bedeutet, dass es das Werk an sich nicht geben kann. Es entsteht bei jeder Auffüh- rung teilweise völlig neu. Diese Vielseitigkeit der Gattung führt zu Änderungen und Überarbeitungen, die sich an den jeweiligen sozialen, kulturellen oder politischen Um- ständen der Aufführungsorte orientieren. Das alles ist möglich, weil der offenen Werkstruktur eine allmähliche Verfestigung der Gattung und ihrer Formen korrespon- diert.

„Allein die Möglichkeit solcher Veränderungen bestätigt indes die wachsende Solidität der Gattung: die Kodifizierung literarischer und musikalischer Konventionen sowie die Stabilisierung fester textlicher und musikalischer Formen erlaubten die leichte und wir- kungsvolle Einfügung oder Auswechslung einzelner Elemente innerhalb des Ganzen, oh- ne zwangsläufig dessen Einheit zu sprengen.“281

279 Heinz Becker: Die »Couleur locale« als Stilkategorie der Oper. In Heinz Becker (Hg.). Die Cou- leur locale in der Oper des 19. Jahrhunderts. Regensburg 1976. S. 25. 280 Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. A. a. O. S. 46f. 281 Tim Carter: Das siebzehnte Jahrhundert. In Roger Parker (Hg.): Illustrierte Geschichte der Oper. Stuttgart 1998. S. 35.

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Da sich damit auch die Werkaussage ändert und die Mittel zum Teil beliebig gewählt werden, kann von einem synthetischen Werkganzen fortan nicht mehr gesprochen wer- den. Der Werkbegriff selbst ist kaum konkret zu bestimmen und bleibt noch lange prob- lematisch. Die synthetische Idee kollidiert hier mit den noch sehr labilen Aufführungs- bedingungen des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts.

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Synthesen im Musiktheater des 18. Jahrhunderts

Barocke Dialektik von Oper und Musikdrama

Das Musiktheater des 17. und 18. Jahrhunderts ist ein ausdifferenziertes Gebilde im Korsett eines strengen Regelwerks. Dabei ist nicht nur das strukturelle Schema einer systematischen Nummerngliederung festgelegt, sondern auch die terminologische Fixie- rung auf zentrale Standards einer musikdramatischen Ökonomie, die mehr dem baro- cken Repräsentationsgestus verpflichtet ist als einer werkbezogenen Ästhetik. Das baro- cke Opern-Gesamtkunstwerk repräsentiert und beweihräuchert die kulturelle Stilhöhe seiner Zeit, welcher es medial verpflichtet bleibt. Die romantische Kunstsynthese hinge- gen versteht sich als das Organon einer metaphysischen Utopie, und objektiviert auf der Grundlage der frühromantischen Syntheseprogramme den ästhetischen Vorschein einer uneingelösten Vision von Einheit und Ganzheit. Die mit dem romantischen Musikdrama assoziierte Idee eines Gesamtkunstwerks intendiert eine ganzheitliche, Verstand und Sinne erregende Wirkung, über die das wahrnehmende Subjekt und die wahrgenomme- ne Welt in einen harmonischen Einklang miteinander kommen sollen. Vor diesem Hin- tergrund wird die Differenz zum Gesamtkunstwerk des Barock und dessen repräsenta- tivstem Medium, der Opera seria, augenscheinlich. In der Barockoper dominiert die Dif- ferenzierung. Einzelne formale sowie szenische Einheiten sind streng voneinander ge- schieden, was einer ganzheitlichen dramatischen Durchführung widerstrebt.

„Mit seinem geringen Potential für Übergänge war der Rhythmus des Hochbarock für dramatische Zwecke schlechterdings unbrauchbar [...]. Dramatische Bewegung war un- möglich, denn zwei Phasen ein und derselben Handlung konnten nur statisch, deutlich voneinander abgetrennt, dargestellt werden. Selbst ein Gefühlswandel konnte nicht all- mählich vonstatten gehen; es mußte immer einen klaren Punkt geben, an dem ein Gefühl aufhört und ein anderes plötzlich überhandnimmt. Dadurch reduzierte sich die heroische Oper des Barock auf eine Folge statischer Szenen [...].“282

Selbst die rezitativischen Einheiten dieser seriell gefertigten Operngattung sind weniger dramatischer denn epischer Natur. Die Aufmerksamkeit des Gesangsvirtuosen sowie des Zuschauers/Zuhörers liegt auf der artifiziell übersteigerten Arie, deren Form, Bestim- mung, Position sowie szenisch-dramatisches Telos einer psychologischen Darstellung der Protagonisten genauso entgegen arbeitet wie sie eine dramatische Plausibilität verei- telt. Hinzu kommt, dass die Funktion dieser ausdifferenzierten Gattung in ein höfisches Ganzes integriert ist, dessen soziokulturelle Prämissen unmittelbar auf Thematik und Gestaltung des Musiktheaters einwirkt. Im Gegenzug wird eine elitäre Klasse illumi-

282 Charles Rosen: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. München, Kassel, Basel, London 1983. S. 187f.

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niert, aus deren theatralischem Erlebnisraum die Restgesellschaft ausgeschlossen bleibt.

„Die Selbstdarstellung der Zuschauer ist von der Rollendarstellung auf der Bühne nicht zu trennen. Das greift ineinander und ergänzt sich zu einem Totaltheater aus Schein und Wirklichkeit, aus Musik, Dichtung, Dekoration, Rollenspiel und schließlich dem eigenen Selbstverständnis und Selbstbewußtsein. Die Gesellschaft formt sich die Oper zum Sinn- bild, zur ästhetischen Allegorie ihrer Existenz und ihrer Ideale.“283

Der Begriff und die Bedeutung der Barockoper ist unmittelbar an das Selbstverständnis der feudal-aristokratischen Klasse geknüpft – die Oper wird als ein Produkt der Barock- und Rokokogesellschaft kenntlich. Keineswegs kann sie als das Instrument einer inno- vativen gesellschaftlichen Formung und schon gar nicht als Kulminationspunkt einer vi- sionären oder metaphysischen Utopie betrachtet werden. Das barocke Theaterkunstwerk ist auf Repräsentation verpflichtet, was schon Herder in seiner Aufsatzsammlung Briefe zur Beförderung der Humanität (1793-97) betont:

„Es ist zu erweisen, daß Alles Gute und Mangelhafte des französischen Theaters offenbar aus Repräsentation, aus französischer Repräsentation erwachsen sei, als einem der Nation unableglichen Charakter. [...] in der Oper das Feierliche der Chöre, die Pracht der Decoration u. f. kurz, was Repräsentation fordert und geben kann, ward dort gegeben und ausgebildet. [...] Sowohl der Heroismus als die Liebe erscheinen in der französischen Theaterkunst [...] nach dem Gesetz einer National-Convention re- präsentiret; diese Convention herrscht in Allem, im Ton der Stimme, in der Klei- dung und Gebehrde, in jedem Schritt und Tritt des Acteurs und der Actrice.“284

Diese Verpflichtung der Kunst auf die Repräsentation problematisiert eine Beurteilung unter ästhetischen Kategorien. Denn gerade die repräsentativste Gattung der Epoche ge- nügt keineswegs eigenen produktions- oder rezeptionsästhetischen Prämissen und wird selbst nur als Fragment einer übergeordneten Darstellungsdoktrin ausgebildet. Dennoch lassen sich strukturelle Aspekte synthetischer Durchführungen ausmachen, die über ihre Zeit hinausweisen. Vor allem in medientheoretischer Hinsicht steht selbst das Wagner- sche Synästhesie-Programm noch in der Tradition der Barockoper:

„Der moderne Doppelspieler Richard Wagner hat es in seinem >Gesamtkunstwerk< Bay- reuth vorausgeahnt: Eine Synästhesie von Musik, Theater, Kunst und Bauwerk stand ins Haus, die die glänzendste Barockoper in den Schatten stellen sollte.“285

Das synthetische Zusammenspiel voneinander abgegrenzter, aber doch miteinander ko- operierender Kunstgattungen generiert auch in der Barockepoche eine multimediale

283 Dietrich Steinbeck: Götter, Menschen, Bettler. A. a. O. S. 37. 284 Johann Gottfried Herder: Sämtliche Werke. Bd. 22. Bernhard Suphan (Hg.). Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1880. Hildesheim 1967. S. 54f. 285 Beat Wyss: Die Welt als T-Shirt. Zur Ästhetik und Geschichte der Medien. Köln 1997. S. 95.

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Überwältigungsdramaturgie, deren suggestives Telos gleichfalls die sinnliche Stimulati- on des Rezipienten beabsichtigt.

Synthetische Aspekte der Opera seria

Um das Jahr 1700 verfestigt und standardisiert sich das wechsel- und innovationsreiche musikdramatische Formengebilde der Oper zu einem internationalen System von städti- schen Opernbühnen und Hofopern. Dieses System vereinigt zwischen dem späten 17. und dem späten 18. Jahrhundert vielfältigste Formen zu einem bizarren Kompendium der buntesten und mannigfaltigsten Aneignungen.

„Aber der ästhetischen Kombinationslust des 17. Jahrhunderts, die sich nicht im Musik- drama allein, ebenso in der Vereinigung anderer Künste, Malerei und Architektur, Bild- und Wortkunst kundtut, war die Mischform eben recht. [...] Von den früheren und zeit- genössischen Mischformen übernahm die Oper wesentliche Züge: von den Intermedien die szenische Prachtentfaltung, vom Pastoraldrama des Stoffkreis, später auch das typi- sche Personal der (wahrscheinlich zum Teil gesungenen) commedia dell’arte.“286

Nachdem sich ein gewissermaßen archetypisches Operngebilde entwickelt hatte, begann allmählich eine Binnendifferenzierung der musikdramatischen Elemente. Der von einem Basso continuo begleitete Einzelgesang wird im Gegensatz zum überlieferten kontra- punktischen Stil zum dominierenden Prinzip in der Oper, in der Kunstarie sowie im So- lomadrigal. Der begleitenden Instrumentalmusik kommt die Aufgabe zu, das dramati- sche Geschehen zu untermalen, gelegentlich zu interpretieren sowie den Affektausdruck idealisierter Hauptdarsteller zu verstärken. Die eng an die Wortsprache des Librettos ge- knüpfte mimetische Ausdrucksmächtigkeit der Orchestermusik bildet dafür die zentrale Grundlage. Ihr Verständnis kann als kognitives Allgemeingut vorausgesetzt werden. Die Verknüpfung von Instrumentalmusik und Gesang mit einem dramatischen Geschehen bedeutet die Initialzündung einer musikdramatischen Illusion, die unter der Bezeich- nung Dramma per musica oder auch Dramma in musica auf erste strukturelle Bezüge zwischen den einzelnen Gattungen der Kunst hinweist. Dies kommt bereits in den wechselseitigen Inspirationen der großen Gattungen der Kunst zum Ausdruck. Augen- scheinlich ist beispielsweise die Adaptation von barocken Chiaroscuro-Effekten durch das Bühnenbild und die Dekoration in der Oper. Selbst spezifische Bildthemen, -inhalte und -motive berühmter Gemälde werden von der Dekorationskunst aufgegriffen.287

286 Michael Mann, Daniel Heartz: Die europäische Musik von den Anfängen bis zu Beethoven. In Go- lo Mann u.a. (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. A. a. O. Bd. 7. S. 577. 287 Hellmuth Christian Wolff: Die Venezianische Oper in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Musik und des Theaters im Zeitalter des Barock. Bibliotheca Musica Bononiensis. Bologna 1975. S. 201.

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Synthetische Wechselwirkungen gewährt auch der technisch ausgeklügelte Maschinen- zauber sowie die maschinell bewegten Kulissen. Mit der Kulissenbühne, die sich seit 1620 zu etablieren beginnt, wird im Zusammenhang mit raschen Szenenwechseln die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung aufgehoben. Der Einsatz sowie die fortschreitende Verfeinerung dieser Bühnenform ist schon allein für die Visualisierung meraviglioser Werk- oder Inszenierungselemente unerlässlich, zumal sich in der Ba- rockoper beständig die empirische Menschenwelt und die metaphysischen Bereiche göttlicher Erscheinungen und Wirkungsweisen gegenseitig durchdringen.288

„Der Begriff Opera wurde mit einem großen Aufwand an Maschinen identifiziert; nicht zufällig spricht man von der Maschinen-Oper als einer neuen Form der Aufführung, in der alle Künste aufgewendet wurden, um Transitorik in aller sichtbaren Anschaulichkeit zu leisten.“289

Paradoxer Weise ist es der technologische Fortschritt, der jene Medien des barocken Musiktheaters hervor bringt, welche die so unwissenschaftliche „Sphäre des Überirdi- schen in ein immenses Bühnenspektakel verwandeln.“290 Im Jahre 1650 stattet Giacomo Torelli das Maschinendrama Andromède von Pierre Corneilles mit Bühnenbildern und einer adäquaten Maschinerie aus. Dieser virtuose Maschinenillusionismus korrespon- diert mit einer Theater- und Bühnenarchitektur, deren szenische Integration im Einklang mit einem stilistisch und perspektivisch beeindruckenden Kulissenzauber eine geradezu überwältigende sinnliche Wirkung auf den Zuschauer hat.

„Die Opernbühne bot ein rauschendes Fest der Bilder und Töne. Als Gesamtkunstwerk präsentierte sich die Barockoper als ein vollendet inszenierter Illusionszauber, Ausdruck einer neuen Sinnlichkeit und Bekenntnis zum ästhetischen Spiel. Das Opernszenario wird zum imaginierten Abbild einer diesseitigen Wunschwelt, wo Musik und Wort, Bild und Bewegung mitwirken, Möglichkeiten menschlicher Selbstvollendung Gestalt werden zu lassen.“291

Die Inszenierung eines solchen barocktheatralischen Gesamteindrucks wird durch die kongeniale Arbeit der Theater- und Bühnenarchitekten, der Bühnenmaler oder auch der Theateringenieure ermöglicht. Dabei werden sämtliche Bühnen- und Aufführungspara- meter bemüht, werden alle Möglichkeiten szenischer Realisierung bedient, um ein mu- sikdramatisches Spektakel vieldimensional sowie multimedial zu visualisieren. Im weiteren Verlauf der Operngeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts trachten

288 Näheres dazu auch bei Richard Alewyn, Karl Sälzle: Das große Welttheater. Die Epoche der höfi- schen Feste in Dokument und Deutung. Reinbek/Hamburg 1959. S. 54f. 289 Hermann Bauer: Barock. Kunst einer Epoche. Berlin 1992. S. 221. 290 Volker Krapp: Das italienische Theater des Seicento. In Volker Krapp (Hg.): Italienische Litera- turgeschichte. Stuttgart, Weimar 1992. S. 203. 291 Winfried Freund: Abenteuer Barock. Kultur im Zeitalter der Entdeckungen. Darmstadt 2004. S. 189.

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verschiedene Reformbewegungen danach, einerseits die qualitativen Bezüge der Gat- tungen innerhalb des Kunstwerks Oper neu zu definieren, andererseits deutet sich eine Tendenz an, in der Wechselwirkung der Künste unter dem Aspekt ihrer jeweils spezifi- schen Präsentation ein komprimierteres Theaterereignis zu erblicken. Paradoxerweise ermöglicht erst die Opernreform um Pietro Metastasio und Apostolo Zeno eine interak- tive Synthese von Wort und Musik durch eine Gliederung und Bündelung der Mittel, verfestigt dadurch aber zugleich auch jenes dissoziierte Nummernschema, das über ein Jahrhundert später zum erklärten Gegenbild der romantischen Opernprogrammatiker werden wird. Dessen Konzeption als ein Zusammenwirken einzelner Künste und der Wissenschaften nimmt Johann Mattheson in seiner Schrift Die neueste Untersuchung der Singspiele (1744) vorweg:

„Meines wenigen Erachtens ist ein gutes Operntheater nichts anders als eine hohe Schule vieler schönen Wissenschaften, worinn zusammen und auf einmal Architectur, Perspecti- ve, Malerey, Mechanik, Tanzkunst, Actio oratoria, Moral, Historie, Poesie und vornehm- lich Musik, zur Vergnügung und Erbauung vornehmer und vernünftiger Zuschauer, sich aufs angenehmste vereinigen, und immer neue Proben geben.“292

Schon im 18. Jahrhundert vollzieht sich eine Entwicklung vom arienlastigen Virtuosen- tum hin zu einer handlungsorientierten Dramaturgie. Bildet die periodisch ausbalancier- te Arie noch im Spätwerk Alessandro Scarlattis das Zentrum der Oper293, so geschieht die Aufwertung des dramatischen Ablaufs mit einer Schwerpunktverlagerung auf die Handlung zunächst durch eine größere Konzentration auf die Rezitative. Dies bedeutet zwangsläufig eine Bedeutungsminderung der Arien. Diese stehen bereits im zweiten Akt der Oper Orlando (1727) von Antonio Vivaldi fast vollständig im Hintergrund. Drama- turgisch bedeutet die klassische Form der dreiteiligen Dacapo-Arie stets ein retardieren- des Moment, da aufgrund ihres artifiziellen Wesens, ihres expressiven Stimmungsge- halts und ihrer funktionalen Stellung die gesamte dramatische Dynamik zu einem refle- xiven Innehalten, wenn nicht gar zum völligen Stillstand kam.294 Der Wandel der Opera seria geht zunächst vom Libretto aus, dessen obligatorische Gliederung (Akt- und Arienzahl, Ritornell-, Arien- und Rezitativanordnung) und Orga- nisation (Personenzahl, Instrumentation, Bühneneffekte) eine standardisierte Behand- lung nahelegt. Mit Komponisten wie Baldassare Galuppi und Niccolò Jommelli begin- nen sich allmählich auch durchkomponierte Szenenabfolgen zu etablieren. Die Arien werden mit deklamatorischen Elementen angereichert oder erweitert. Die Dynamisie- rung der traditionellen Typen und Formen wird von Tommaso Traëtta und Domenico

292 Johann Mattheson: Die neueste Untersuchung der Singspiele. Nebst beygefügter musikalischen Geschmacksprobe. Hamburg 1744. S. 86f. 293 Näheres dazu bei Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 64. 294 Siehe dazu auch Renato di Benedetto: Poetiken und Polemiken. In Lorenzo Bianconi, Giorgio Pe- stelli (Hg.): Geschichte der italienischen Oper. Bd. 6. A. a. O. S. 32.

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Cimarosa weiter vorangetrieben. Traëtta erreicht eine dramatische Durchdringung vor allem durch eine verstärkte Musikalisierung der Rezitative und eine verdichtetere Dra- matisierung der Arien. In Domenico Cimarosas klassizistischer Oper Gli Orazi e i Curazie (1796) beispielsweise sind die Rezitative schon stark verkleinert und die soge- nannten Chor-Arien zu szenischen Einheiten erweitert. Mit dieser inneren Expansion der Formen wird die althergebrachte Unterteilung in hierarchisch gegliederte Nummern allmählich unterlaufen und dadurch die dramatische Anlage des Gesamtwerks betont.

„Hier wird der Übergang von der musikalischen Nummer zur dramatischen Szene besonders deut- lich. Bei alledem nimmt das nunmehr allgemein durch Bläser verstärkte Streichorchester als musi- kalisch gleichberechtigter Partner der Singstimme auch weitgehend selbständig an der Ausdeutung des Textgehalts teil.“295

Die unter synthetischen Gesichtspunkten erweiterte Dramaturgie der Opera seria weist gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch dem Chor eine neue Funktion zu: Durch den Ein- fluss der Tragédie lyrique sowie die Rezeption antiker Dramentheorien wird auch der Chor im dramatischen Gesamtgeschehen neu verortet: „Immer mehr wird er [...] in die Handlung einbezogen und entwickelt sich durch die Übernahme appellativer Sprach- funktionen zur Dramatis persona.“296 Nun tritt der Chor gleichberechtigt neben Arie und Rezitativ, welche allmählich begannen, sich einander anzunähern und zu durchdringen. Deutlich wird hier, dass der Erosionsprozess der Opera seria und ihrer Formen bereits in der Weiterentwicklung der Gattung selbst begründet ist. Keineswegs hat die romanti- sche Opernreform das Modell der Nummerngliederung durch einen programmatischen Kahlschlag völlig unvermittelt liquidiert. Die Ausrichtung auf eine dramatische Expan- sion der Einzelformen zu szenischen Komplexen ist schon in den avancierteren Opern- modellen des späteren 18. Jahrhunderts vorgeprägt. Auch integrierten Komponisten wie Jommelli und Traëtta außeritalienische Strömungen und Stile.297 Damit bereiten sie jene Internationalisierung der Gattung vor, die das weitere Musiktheater des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem aber das Melodramma und das romantische Musikdrama we- sentlich kennzeichnen sollte.

Opernrepräsentation: Tragédie lyrique und Opéra ballet

Im Gegensatz zur bürgerlichen, aber auch zur höfischen Oper in Italien entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich eine eigenständige Form des

295 Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 87. 296 Michele Calella: Die Opera seria im späten 18. Jahrhundert. In Herbert Schneider, Reinhard Wie- send (Hg.): Die Oper im 18. Jahrhundert. Reihe: Handbuch der musikalischen Gattungen. Bd. 12. Siegfried Mauser (Hg.). Laaber 2001. S. 52. 297 Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 80f.

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Musiktheaters. Es bilden sich die Tragédie en musique oder auch Tragédie lyrique und die diversen Formen höfischer Ballette heraus. Die dem Genre wesentlich zugedachte Aufgabe einer ästhetisch-ideologischen Repräsentation des Ancien régime vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen – insbesondere durch eine Verschmelzung des Herrschafts- apparates mit dem höfischen Theaterkunstwerk. Denn der König und sein Hofstaat nehmen am theatralischen Spiel von Oper und Ballett aktiven Anteil.298 Vor allem der Tanz entspricht dabei dem choreographierten Ablauf einer streng ritualisierten aristokra- tischen Zeremonialkultur, deren Etikette schon das Aufstehen und Schlafengehen des Königs zu einer gestenreichen Inszenierung macht. Hier wird die aristokratische All- tagswirklichkeit zur privaten Bühne, welche die Protagonisten noch vor dem imaginären Auge einer abstrakten Öffentlichkeit exponiert. Aber auch in den Ballets de cour wird die integrale Synthese von Kunstform und höfischer Alltagswirklichkeit dadurch kennt- lich gemacht, dass „der Tanz Bühne und Leben in einer Weise verzahnt, daß die Frage nach Ursache und Wirkung nicht mehr zu beantworten ist.“299 Das höfische Ballett ist aus der Oper hervorgegangen, wo es den jeweiligen Aktschluss kennzeichnet und zu ei- nem integralen Bestandteilen der französischen Oper wird: „Der Schautanz wurde als eine organische Form höfischen Lebensgefühls empfunden und durfte ebenso wenig fehlen wie irgendein anderes Element des barocken Gesamtkunstwerks der höfischen Oper.“300 Aus den frühbarocken Ballets de cour entsteht die Gattung des Opéra-ballet, die neben einer enormen dekorativen Aufwertung des Visuellen eine heterogene Mi- schung aus mythologischen Allegorien, bukolischen Pastoralszenen und Elementen des galanten zeitgenössischen Hoflebens präsentiert. Für den kurzen Augenblick einer Lie- besszene, einer Serenade oder eines Tanzes verflüchtigt sich die historische Zeit in den szenischen Raum einer einheitlichen Gegenwart, wandelt sich die adaptierte Mythologie in eine Kunstmythologie, der die Synthese von Leben, Liebe und Mythos zutiefst inhä- rent ist. Das erfolgreichste Repräsentationsmodell absolutistischer Herrschaft ist die Tra- gédie lyrique. Diese gewährleistet eine klassizistische Stilhöhe nicht allein durch ihren Rückbezug auf die Antike, sondern auch durch eine Formsynthese, die virtuos zahlrei- che traditionelle musikdramatische Bestände integriert.

„Diese Tragédie en musique war eine große Synthese aus allen musikalischen Formen, die das musikalische Theater Frankreichs bisher hervorgebracht hatte – solistische Airs

298 siehe auch Rudolf Dreßler: Von der Schaubühne zur Sittenschule. Das Theaterpublikum vor der vierten Wand. Berlin 1993. S. 69. 299 Silke Leopold: Höfische Oper und feudale Gesellschaft. In Udo Bermbach, Wulf Konold (Hg.): Der schöne Abglanz. Stationen der Operngeschichte. Reihe: Oper als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen. Hamburger Beiträge zur öffentlichen Wissenschaft. Bd. 9. Berlin, Hamburg 1992. S. 76. 300 Otto Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte von Barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys. Wien 1952. S. 71.

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und Ensembles, Chor und Instrumentalmusik, Ballet.“301

Neben einer idyllischen Verschmelzung von Kunst, Moral, Mythos und Herrschaft im Rahmen einer friedfertigen und ästhetisierten Natur lassen sich am Modell der Tragédie lyrique verschiedene formale Aspekte ausmachen, die auf das spätere romantische Mu- sikdrama verweisen. So bildet bereits die Oper zwischen Lully und Rameau hoch ver- feinerte Orchesterwirkungen heraus, die synästhetische Naturerfahrungen weit über eine klangsprachliche Semiotik hinaus wirksam machen und direkt auf die Kompositions- techniken Richard Wagners verweisen.

„Das System der Weberschen Wolfsschlucht ist schon in dem Orchester der Nach- Lullyschen Zeit da, es sind ganz moderne Verhältnisse in der Verwendung der Instru- mente da. Namentlich bei Destouches. Er hat Sologesänge eingeführt, die im wesentli- chen Orchesterstücke waren, instrumentale Idyllen und Schauerbilder, zu denen die dar- übergelegte Stimme die Erklärung gibt. Es ist im Grunde dieselbe Methode, die in unse- rer Zeit durch Wagner zu neuer, glänzender Verwendung gekommen ist.“302

Durch die Betonung der melodischen, harmonischen und instrumentalen Mittel wird ei- ne progressive Dramatisierung unterstützt, die später das Glucksche, dann aber auch das romantische Musikdrama kennzeichnet. Die Melodik wird ausdrucksvoller und musik- dramatisch stärker auf die Handlung bezogen.303 André Campra modernisiert die Modulationsformen und erzeugt durch unge- bräuchliche Mischungen der Orchesterstimmen erstaunliche Klangfarben. Entsprechend verfährt auch François Couperin, der seinen Nouveaux concerts den programmatischen Titel Les Goûts-Réunis (1724) voranstellte und damit die Verschmelzung französischer und italienischer Stilmittel schon in der Gattungsbezeichnung deutlich macht. Jean- Philippe Rameau verfeinert den diskursiv ausgerichteten musikalischen Satz und be- ginnt im Spätwerk die weitschweifigen Handlungsstränge der Oper zu verdichten. Er er- setzt den obligatorischen Herrscherhausprolog durch eine die klassische Sinfonie präfi- gurierende Ouvertüre, „die in ihrer Thematik bereits Teile der folgenden Akte enthielt, also programmatische Züge aufwies“304 und dadurch auf den Ouvertürentypus der ro- mantischen Oper vorausdeutet. In den Genreszenen geht Rameau über die bloße musi- kalische Untermalung des gesungenen Wortes hinaus. Er verleiht der gesamten Szene jene signifikante Couleur, die später auch die Szene der romantischen Oper in ein musi-

301 Silke Leopold: Die Oper im 17. Jahrhundert. Handbuch der musikalischen Gattungen. Bd. 11. Siegfried Mauser (Hg.). Laaber 2004. 182. 302 Hermann Kretzschmar: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 126. 303 Elisabeth Schmierer: Die Zeit der Opernfehden und Opernreformen. In Hermann Scharnagl (Hg.): Operngeschichte in einem Band. Berlin 1999. S. 95. 304 Heinz Alfred Brockhaus: Europäische Musikgeschichte. Bd. 2. Europäische Musikkulturen vom Barock bis zur Klassik. Berlin 1986. S. 106.

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kalisch-dramatisches Stimmungsbild verwandeln wird.305 Aber auch in der Behandlung arioser Zwischenteile nimmt Rameau Wagners unendliche Melodie vorweg:

„Weit von Lullys Sprachnähe entfernt [...] gewinnt Rameau mit kleinen arienhaften Ein- schüben (den >Petits airs<) der Deklamation eine differenzierte Vielfalt ab, die schon deutlich auf Wagners unendliche Sprachmelodie verweist [...]. Nachdem Gluck lange Zeit von der Musikgeschichtsschreibung in die Rolle eines Wagner-Vorläufers gedrängt worden war, ist es endlich an der Zeit, die Divertissement-Einlagen der französischen Tragédie lyrique angemessen zu sehen: als Produkte einer weitgefächerten Spannungs- dramaturgie, die dem theatralischen Akt mehr Inhalt gibt als nur die konsequente Ent- wicklung eines Handlungsstrangs.“306

Dass hinsichtlich der deutschen Romantik und ihrer synthetischen Werktheorie diese epochenübergreifende Verbindung keine reine Spekulation bedeutet, belegen die unter- schiedlichen Reflexionen, die vor und nach dem Erlöschen des Ancien régime publiziert werden. So betont noch E. T. A. Hoffmann in dem Aufsatz Nachträgliche Bemerkungen über Spontinis Oper „Olympia“ (1821) die deklamatorische Bedeutung dieser Gattung: „Es ist das Verdienst der durchaus richtigen Deklamation, nicht allein nach dem Wert der Silben, sondern auch nach der Abstufung der Intervalle.“307 Dieses deklamatorische Moment ist ein zentrales Wesensmerkmal der Tragédie lyrique. Es entfaltet sich im Re- zitativ und bildet die Grundlage für eine „Integration aller Kunstbausteine zum musika- lischen Gesamtkunstwerk.“308 Die Vorstellung von der Oper als Gesamtkunstwerk wird auch in der theatertheoretischen Umgebung der französischen Tragédie lyrique pro- grammatisch erörtert. So sind synthetische Parameter schon in der Einleitung zu der Theatergeschichte Histoire du Théatre de L’Académie Royale de Musique en France (1757) des Franzosen Jacques Bernard Durey de Noinville stilbildend. In diesem Traktat definiert Durey de Noinville die Oper erstmals als ein ‚Spectacle universel‟ und erklärt sie damit zum Gesamtkunstwerk.309 Noinville betont den strukturellen Aufbau, der mit dem Gliederungsprinzip vieler romantischer Opern tendenziell übereinstimmt. Neben der integrativen Behandlung aller beteiligten Künste wird auch eine silbengenaue Um- setzung des vorgegebenen Librettos erstrebt. Diese gründet auf der Zuordnung eines No- tenwertes zu einer Wortsilbe. Vermieden werden dadurch virtuose Fiorituren, die den dramatischen Verlauf verzögern und den Akzent auf das Können des Gesangsvirtuosen verlagern. Das mit dieser Technik verbundene deklamatorische Moment führt zu einer Wortverständlichkeit, die auch die romantischen Opernprogrammatiker für ihr Opern-

305 Elke Lang-Becker: Szenentypus und Musik in Rameaus Tragédie lyrique. München und Salzburg 1978. S. 20. 306 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1 S. 119. 307 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 370. 308 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1. S. 119. 309 Jacques Bernard Durey de Noinville: Histoire du Théatre de L’ Académie Royale de Musique en France. Réimpression des éditions de Paris 1757. Genève 1972. S. 2f.

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programm einfordern. Dieses „Gesamtkunstwerk französischer Nationalkultur“310 ver- wendet die synthetische Integration der Einzelkünste zu einem zwar höfisch- repräsentativen, aber in seiner Struktur bereits ganzheitlich orientierten Musikdrama.

310 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1. S. 96.

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Das Musiktheater Georg Friedrich Händels

Händels reformierte Opera seria

Das Opernwerk Georg Friedrich Händels steht im Zeichen der traditionellen neapolita- nischen Opera seria. Im wesentlichen weisen seine Opern eine Nummerngliederung aus einfachen oder begleiteten Rezitativen, Ensembles und Arien auf. Stilistische Elemente übernimmt er von der venezianischen Opera seria. Dennoch bedeuten Händels musik- dramatische Innovationen mehr als nur Marginalien auf dem Weg zum romantischen Musikdrama. So versucht er die zerstreuten Elemente der Opera seria in dramatisch schlüssigeren Einheiten zusammenzufassen, womit er zumindest ansatzweise die Opern- reform Glucks und Calzabigis vorwegnimmt. Darüber hinaus markiert auch Händels avanciertere Handhabung des Orchesters eine Zäsur im herkömmlichen Kompositions- betrieb der Barockoper. Stilistisch lässt sich im Werk Händels eine Vielzahl von musikdramatischen Inno- vationen aufzeigen. Von besonderer Bedeutung ist dabei das für seine Epoche außerge- wöhnliche Zusammenwirken von Musik, Text, Charakterdarstellung, dramatischer Sze- ne und deren ethische aber auch sinnliche Atmosphäre. Hinzu kommt sein kompositori- sches Verfahren, Handlungsträger durch spezifische Tonarten zu charakterisieren sowie eine forciertere Musikalisierung des Dramas: „Das Neue seiner Oper dokumentierte sich in der musikalischen Durchdringung des Dramas [...].“311 Mit Händel vollzieht sich be- reits in der Blütezeit der Barockoper eine Öffnung stereotyper Bauelemente, welche durchgehende Einheiten an die Stelle vereinzelter Formteile setzt. Hinzu kommen musi- kalisch-dramatische Akzentuierungen und Verdichtungen im Zusammenwirken von Text, Gesangsmelodie, Orchestermusik und der szenisch-dramatischen Abfolge. Eine weitere Neuerung in Händels Opernschaffen betrifft die Dramatisierung der Arie, deren Struktur sich allmählich vom starren Da-capo-Schema der Opera seria zu lösen beginnt. Händels Arien entwickeln sich zu handlungstragenden Momenten. Die Bedeutung einer musikalisch-gesanglichen Projektionsfläche von Affekten oder Reflexionen wird dadurch verringert. Mit diesen Neuerungen wird auch der mit dem Abschluss einer Da- capo-Arie obligatorisch verbundene Abgang des Gesangsvirtuosen obsolet. Durch sol- che Innovationen leitet Händel keine Revolution ein, doch verändert er das typisierte, konventionelle Erscheinungsbild der Opera seria: „Händel [...] brach den Formenkanon auf und näherte Handlung und Musik wieder aneinander an.“312 Durch diese Annähe- rung erhält die Oper eine dramatischere Dynamik und eine gestrafftere Struktur. Zu-

311 Heinz Alfred Brockhaus: Europäische Musikgeschichte. Bd. 2. A. a. O. S. 259. 312 Silke Leopold: Höfische Oper und feudale Gesellschaft. In Udo Bermbach, Wulf Konold (Hg.): Der schöne Abglanz. A. a. O. S. 82.

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gleich verfolgt Händel eine neue Vermittlungsstrategie: Die Verknüpfungen von Arien, Szenen und Handlungsblöcken erreicht er in seinem Dramma in musica Serse (1738) u.a. durch die Vorwegnahme des erst ein gutes Jahrhundert später in Konjunktur kom- menden Leitmotivs.

„Daß dabei nicht eine im 18. Jahrhundert anerkannte Form sinnlos zerstört wird, sondern eher neue Konstruktions- und Kommunikationsmerkmale ausprobiert werden, deutet Händel mit motivischen Verknüpfungen an. So mit der Wiederkehr der Orchestereinlei- tung zu Romildas [...] Arioso [...] oder der mehrfachen Wiederholung von Elviros Stra- ßenlied im zweiten Akt.“313

Händels Reformen und Neuerungen werden von dem Opernreformator und Wegbereiter des romantischen Musikdramas Christoph Willibald Gluck aufgegriffen. Gluck trifft Händel im Jahre 1745 in London und lässt sich von ihm kenntnisreiche Ratschläge ge- ben. Aber auch Ludwig van Beethoven bekennt, dass er die wichtigsten kompositori- schen Anregungen und Impulse von seinem großen Vorbild Händel erhalten habe.314 Daß Händels Opera seria nach dessen Tod über 150 Jahre lang nicht mehr aufgeführt wird, ist mit dem Verfall jener feudal-höfischen Kultur verbunden, die sie thematisch und typologisch repräsentiert. Ihre vermittelte Wirkung allerdings reicht noch bis tief in die musikalische Romantik hinein.

Händels Musical drama

Auch die Oratorien Händels haben eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Idee einer synthetische Durcharbeitung musikdramatischer Bühnewerke. Im wesentlichen ganzheitlich durchdacht und durchgeführt, bedeutet dieses Oratorium nicht nur einen werkimmanenten synthetischen Gegenentwurf zur klassischen Opera seria. Selbst in der unmittelbaren Rezeptionsgeschichte wird es als ein geschlossenes Ganzes betrachtet. So schreibt Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Händel habe sich „seine Texte zum Teil selber aus religiösen Dogmen und vor allem aus Bibelstellen, Situationen, die einen symboli- schen Bezug gestatten usf., zu einem geschlossenen Ganzen zusammengestellt.“315 Ihr wesentlichste Kennzeichen besteht in einer dramatischen Ausrichtung, die mit den übli- chen Differenzierungen der Gattung nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Das unmit- telbar der Musik entsprechende Libretto soll seine Botschaft nicht mehr gesondert arti- kulieren, sondern gemeinsam mit der Musik. Mit den Gegebenheiten der Bühne soll ein

313 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1. S. 232. 314 Christopher Hogwood: Georg Friedrich Händel. Stuttgart 1992. S. 316f. 315 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. In Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden (Bd. 13-15). Im folgenden zitiert nach: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. TWA. Bd. 15. Frankfurt/Main 1970. S. 208.

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Gesamteindruck erzeugt werden, der die einzelne Form von ihrer determinierten Funkti- on erlöst: Die dramatische Handlung ist nicht mehr nur an das Rezitativ gebunden, die Gefühlsartikulation bekommt nicht allein durch die Arie Ausdruck. Diese Öffnung bis- lang starrer Formen zielt auf eine Kongruenz von Wort und Musik, die eine unmittelba- re Verstehbarkeit der Textaussage notwendig macht. Daher bevorzugte Händel für seine Oratorien die Sprache seines Gastlandes. Die Wahl der englischen Sprache geht auf Händels Beschäftigung mit dem englischen Kirchenlied, anglikanischen Prozessionsmu- siken, britischen Oden und Anthems sowie englischen Maskenspielopern zurück. Er schreibt am 05. Dezember 1732.

„Meine Meinung ist, daß Sie entschieden genug wären, uns von unserer italienischen Knechtschaft zu befreien; und zu beweisen, daß Englisch weich genug ist für die Oper, [...] und so [...] könnte eine Art von dramatischer Oper erfunden werden, die, indem sie Vernunft und Würde verbindet, mit Musik und schöner Bühnentechnik, zugleich dem Ohr schmeicheln und das Herz ergreifen könnte.“316

Dass Händel für seine Oratorien die englische Sprache wählt, leistet einer Durchdrin- gung von Wort und Musik einen enormen Vorschub. Schließlich ist es die kognitive Nachvollziehbarkeit, die eine ganzheitliche Wahrnehmung unterstützt. Charakteristisch für Händels Oratorien ist ihre durchgehend dramatische Konzeption, die das epische Moment des traditionellen Oratoriums weitgehend ausblendet. In ihrer dramatischen Konzentration übertreffen diese noch Händels Opern. Seit dem Saul (1739) werden Händels Oratorien mit dem ausdrücklichen Zusatz »Musical drama« herausgebracht.

„Den Gesetzen des Dramas ist vor allem die Vorwärtsbewegung der musikalischen Hand- lung untergeordnet, wobei die Grenzen zwischen den einzelnen Szenen und sogar den Akten fallen. [...] Im Laufe der musikalischen Entwicklung des Oratoriums scheint die Handlung beschleunigt zu werden, und die durchkomponierte Vorwärtsbewegung wird sichtbarer. Solche künstlerische Illusion der Beschleunigung entsteht [...] dadurch, daß die Dacapo-Form der Arien allmählich verschwindet.“317

Durch die allmähliche Preisgabe der typologischen Wiederholungsformen lassen sich die einzelnen Einheiten leichter in das Ganze ein bzw. dem Ganzen unterordnen. Das Drama entfaltet sich bruchloser und geschlossener als eine gewöhnliche Nummernoper. Auch zielt die verstärkte Verwendung der Polyphonie auf eine synthetische Wirkung. Polyphone Kompositionstechniken benutzt Händel auch als Stilmittel der Charakterisie- rung sowie zur Darstellung von Tragik, Lebensfreude, Leidenschaft, Wahnsinn, aber auch von Naturerscheinungen oder szenisch-dramatischen Zusammenhängen. Dabei er- laubt ihm die Simultaneität der vielfältigen Klangmittel die Darstellung eines viel-

316 Dieter Schickling (Hg.): Georg Friedrich Händel. In Briefen, Selbstzeugnissen und zeitgenössi- schen Dokumenten. Zürich 1985. S. 120f. 317 Albert Scheibler, Julia Evdokimova: Georg Friedrich Händel. Oratorienführer. Köln 1993. S. 426.

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schichtigen Beziehungs- und Handlungsgeflechts.318 Händels üppige Instrumentation lässt sich am Beispiel der Klangeffekte in Saul näher erläutern:

„Vielleicht um das Fehlen >opernhafter< Stimmen auszugleichen, bemühte sich Händel um äußerste Wirkung seines Orchesters. Flöten, drei Posaunen, Harfe, Theorbe und So- loorgel treten zum Glockenspiel hinzu und sorgen für besondere Klangeffekte; das Glo- ckenspiel setzte er sogar zur Begleitung eines Rezitativs [...] und zur Untermalung des Tanzes der Israelitinnen ein.“319

Die Opera seria kulminierte weitgehend in die Arie, das Oratorium Händels in den viel- stimmigen Chor, der gemeinsam mit der polyphon gestalteten Orchestermusik Klang- breite, Klangfülle, Glanz und Pracht entfaltete. Vor allem durch den französischen Dra- matiker Jean Racine inspiriert bedeutet die dramatische Verwendung des Chors auch ei- ne szenische Integration des Volkes in den Handlungsverlauf. Das Volk wird zu einem weiteren aktiv handelnden Protagonisten. Bemerkenswert an Händels musikdramati- scher Kunst ist, „daß sie im Oratorium erstmalig die Massen des Volkes [...] als han- delnd einführte und dadurch ein wahrhaft demokratisches Kunstwerk schuf [...].“320 Die ideologische Referenz dieser Aufwertung des Chors verweist u.a. auch auf die wichtige- re gesellschaftliche Rolle der breiten Masse seit der Glorious Revolution (1688), zumal Händels Werk generell auf historische Zeitereignisse anspielt und der Frühaufklärung verpflichtet ist.321 Neben den instrumentalen Neuerungen werden auch die Ouvertüren der Oratorien zu einem festen Bestandteil des dramatischen Geschehens. Die Ouvertüre des Händel- schen Oratoriums ist inhaltsvorbereitend und entspricht dem Typus einer Ouvertüre mit programmatischer Tendenz. Diese nimmt, wie beispielsweise in Jephta (1752), Stim- mungen vorweg, bereitet die musikalische Atmosphäre vor und führt zentrale Themen und Motive ein. In Judas Maccabäus (1747) antizipiert die Ouvertüre den Mittelsatz aus dem Männerchor des ersten Aktes; in Deborah (1733) wird der Chor der Juden und der Baalspriester in der Ouvertüre angedeutet. Diese dramatisch motivierte Ouvertürenbe- handlung in Händels Oratorien emanzipiert sich vom beziehungslosen, beliebigen Sui- ten- oder Sonatenmuster der italienischen oder französischen Opernouvertüren und etab- liert damit eine mustergültige Form. Von Spohrs Jessonda (1823) über Webers Euryan- the (1823), Lortzings Rolands Knappen (1849) bis hin zu Wagners Opern Der Fliegen- de Holländer (1843) und Lohengrin (1850) wird die inhaltliche Bezugnahme sowie die dramatische Einbeziehung der Ouvertüre auf das nachfolgende Drama verbindlich.

318 Zu Händels polyphoner Satztechnik siehe auch Ernst Hermann Meyer: Händels polyphoner Typ. In Musik der Renaissance – Aufklärung – Klassik. Heinz Alfred Brockhaus (Hg.). Leipzig 1973. S. 182ff. 319 Christopher Hogwood: Georg Friedrich Händel. A. a. O. S. 187. 320 Walter Siegmund-Schulze: Georg Friedrich Händel. Leipzig 1980. S. 138. 321 Bernd Baselt: Georg Friedrich Händel. Leipzig 1988. S. 11f.

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Händels English oratorio Saul (1739) verweist gar auf die spätere Opernromantik sowie auf das Musikdrama Richard Wagners:

„»Saul« ist ein Musikdrama mit [...] Anklängen [...] an die griechische Tragödie. Der Sprung zu Richard Wagner ist hier auf ein Minimum zusammengezogen. Der Unterstüt- zung dieser Feststellung diente zum einen, daß Händel [...] sich an der Textfassung selber stark beteiligte. Zum anderen darf z.B. zu einem Vergleich zwischen »Wotans« Gespräch mit »Erda« in Wagners »Götterdämmerung« und Sauls Begegnung mit der Erscheinung des Propheten Samuel bei der Hexe von Endor aufgefordert werden. Die Düsternis einer gejagten Seele zeigt auch eine musikalische Verwandtschaft an.“322

Einen weiteren Innovationsschub bringen die Oratorien in bezug auf die Einheit von Text und Vertonung. Die italienische Opera seria ist durch die Beliebigkeit der Opernli- bretti gekennzeichnet. Es ist durchaus keine Seltenheit, dass sich an einem einzigen Lib- retto Metastasios bis zu 70 Komponisten versuchen. Inhaltliche Absprachen finden kaum statt, was eine streng gesonderte Behandlung der an der Oper beteiligten Gattun- gen zur Folge hat.323 Händel hingegen nimmt, um eine höchstmögliche Kongruenz von Musik und Drama zu erreichen, großen Einfluss auf die Ausarbeitung des Librettos, wodurch jenes interaktive Zusammenwirken von Text und Musik gewährleistet wird, welches später die romantische Oper und das romantische Musikdrama kennzeichnet. Aufgrund der alttestamentarischen Orientierung seiner Sujets bemüht sich Händel auch der Musik jene sakrale Weihe zu verleihen, die einerseits dem Gegenstand, ande- rerseits aber auch der Rezeptionshaltung entsprechen soll. Diesen feierlich-religiösen Rahmen um das Werk und seine Rezeption dokumentiert ein Zeitungsbericht aus der London Daily Post vom 18. April 1739 am Beispiel einer Aufführung des Oratoriums Israel in Egypt (1739):

„Das Theater sollte bei diesem Anlaß mit größerer Feierlichkeit betreten werden als eine Kirche, da die Unterhaltung, zu der man geht, in sich wirklich die edelste Anbetung und Verehrung der Gottheit ist, die es je in einer solchen gab. Ein so erhabener Akt der An- dacht, wie ihn diese Aufführung in sich trägt, würde für ein Herz und ein Ohr, die ihm gehörig aufgeschlossen sind, sogar die Hölle weihen. – Es ist die Handlung, die stattfin- det, die den Ort heiligt, und nicht der Ort die Handlung.“324

Hier wird bereits vorausgedeutet auf die Transformation des Theaters in eine Sonne am Ende von Mozarts Zauberflöte, aber auch auf die Verwandlungsmusik in Wagners Par- sifal. Dass diese romantische Sakralisierung von Werk und Aufführung weit über die folgenden Stilepochen hinaus noch bis auf Richard Wagner wirkt, belegt eine Notiz in

322 Albert Scheibler, Julia Evdokimova: Georg Friedrich Händel. A. a. O. S. 423. 323 Ausnahmen stellen die enge Zusammenarbeit des Komponisten Johann Adolf Hasse mit dem Lib- rettisten Pietro Metastasio sowie die enge Verbindung von Wort und Ton in Alessandro Scarlattis ‚Recitativo accompagnato‟ dar. 324 In Dieter Schickling (Hg.): Georg Friedrich Händel. A. a. O. S. 158f.

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der Autobiographie Mein Leben (1880) über eine Aufführung von Händels Messias in London:

„Ich lernte hier überhaupt den eigentlichen Geist des englischen Musikkultus kennen. Dieser hängt wirklich mit dem Geiste des englischen Protestantismus zusammen [...] wo- bei sich noch der Vorteil herausstellt, daß ein solcher Oratorienabend zugleich als eine Art von Kirchenbesuch zu gottesdienstlichen Zwecken vom Publikum sich angerechnet wird. Wie man in der Kirche mit dem Gebetbuch dasitzt, trifft man dort in den Händen aller Zuhörer den Händelschen Klavierauszug [...].“325

Die sakrale Rezeptionshaltung des Publikums gegenüber dem Oratorienwerk Händels, die Wagner mit der Stimmung eines Gottesdienstes vergleicht, hatte vermutlich einen größeren Einfluss auf seine späteren Vorstellungen von Werk, Aufführung und Rezepti- onshaltung, als dies von der Forschung bislang reflektiert wurde. Einen großen Einfluss hat das Händelsche Oratorium auch auf die musikalische Romantikergeneration vor Wagner, die sich, allen voran Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann, mit großem Einsatz um dessen Wiederaufführung bemühten.

„Viele Chorwerke des 19. Jahrhunderts haben aus diesem Meisteroratorium, in dem Händel selbst ziemlich unbedenklich einige Musik von Zeitgenossen verwandte, ihre bes- ten Kräfte gezogen; [...] Mendelssohn begeisterte sich an Israel, führte ihn in Düsseldorf im Jahre 1833 sogar mit lebenden Bildern auf und übernahm die Neuausgabe des Wer- kes; einige Jahre später sieht Schumann, der ein Luther-Oratorium plant, Händels Israel als »das Ideal eines Chorwerkes« vor sich.“326

Händels Athalia (1733) bedeutet eine maßgebliche Inspiration für Mendelssohns Orato- rium Elias (1846). In seinem Oratorium Paulus (1836) verbinden sich Händelsche Ora- torienelemente mit Elementen der Bachschen Passion. Aber auch das Moment der Er- bauung steht noch unmittelbar in der Händeltradition.327 Über die Händelbezüge in Mendelssohns Paulus berichtet Louis Spohr in seiner Selbstbiographie (1860/61):

„Am anderen Morgen, wo ich Mendelssohn besuchte [...] spielte er mir die ersten Nummern seines Oratoriums „Paulus“ vor, woran mir nur das nicht recht gefallen wollte, daß sie zu sehr dem Händel‟schen Style nachgebildet waren.“328

Doch waren selbst die Oratorien The last Judgement (1825) und The last hours of the

325 Richard Wagner: Mein Leben. A. a. O. S. 539. Das von dem Musikwissenschaftler Alfred Einstein konstatierte schlechte Händel-Bild Wagners bedarf einer Korrektur. 326 Walter Siegmund-Schulze: Georg Friedrich Händel. A. a. O. S. 125. 327 Alfred Einstein Romantik in der Musik. A. a. O. S. 72, S. 153 und S. 157f. Näheres dazu auch bei Peter Rummenhöller: Romantik in der Musik. Analysen, Portraits, Reflexionen. München und Kas- sel 1989. S. 134. 328 Louis Spohr: Selbstbiographie. Zwei Bände. Eugen Schmitz (Hg.). Bd. 2. Kassel und Basel 1954/55. S. 203.

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saviour (1842) von Louis Spohr keineswegs unbeeinflusst vom Geist und Stil der Hän- delschen Oratorien,329 zumal jener selbst von Händels Werk eine außerordentlich hohe Meinung hatte.330 Schließlich übt das Werk Händels auch eine große Wirkung auf das kompositorische Schaffen Franz Schuberts331 und E. T. A Hoffmanns aus. Dieser notiert am 07. Oktober 1803 in sein Tagebuch: „Haydn soll mein Meister sein – so wie in der VokalMusik Händel und Mozart.“332 Händels Musical drama ist in vielerlei Hinsicht ei- ne Mischform, die nicht nur thematisch-motivische (antikes Heldenepos und alt- oder neutestamentarisch Vorwürfe), sondern auch gattungsspezifische und typologische Ele- mente einer Verschmelzung unterwirft. Das romantische Oratorium Mendelssohns, Schumanns Das Paradies und die Peri (1843) und vor allem La damnation de Faust (1846) von Hector Berlioz entwickeln diese Synthese auf der Grundlage der romanti- schen Instrumentalmusik entscheidend weiter in die Richtung eines durchkomponierten musikalischen Dramas.

329 Alfred Einstein Romantik in der Musik. A. a. O. S. 158. 330 Siehe dazu Louis Spohr: Selbstbiographie. Bd. 2. A. a. O. S. 212, S. 241 und S. 380f. 331 Otto Erich Deutsch (Hg.): Schubert. Die Erinnerungen seiner Freunde. Leipzig 1966. S. 34, S. 81, S. 133, S. 204ff, S. 213, S. 292f. 332 E. T. A. Hoffmann. Tagebücher. Friedrich Schnapp (Hg.). München 1971. S. 58.

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Synthetische Opernprogramme der Vorromantik

Präromantische Operntheorien der Encyclopédie

Bereits im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wird das Ideal einer deklamatorischen Re- konstruktion einer an antiken Mustern orientierten Tragödie folgenreich diskutiert. Mit der Schrift Saggio sopra l’opera in musica333 (1754) von Francesco Algarotti beginnt ein Paradigmenwechsel, dessen Wirkungsgeschichte sich bis hin zu E. T. A. Hoffmann nachweisen lässt334 und der unmittelbar über Denis Diderot auf die Opernreformen Christoph Willibald Glucks335 und Raineri da Calzabigis einwirkt. Schon Algarotti er- kennt primär in der Gattung Oper die Möglichkeit eines ganzheitlichen Kunstwerks, in dem die verschiedenen Einzelkünste ein übergeordnetes Kunstganzes bilden. „Und man kann wohl behaupten, das Anziehendste, was Dichtung, Musik und Mimik, was Tanz- kunst und Malerei haben, alles verbindet sich glücklich in der Oper [...].“ 336 Zugleich kritisiert Algarotti das ausufernde Starwesen des italienischen Opernsystems337 sowie die fragmentierte Anlage des Opernwerks.

„Wegen der Verwirrung, die sich zwischen den verschiedenen Bestandteilen der Oper breit macht, bleibt von Nachahmung keine Spur [...] und die Oper [...] wird zu einer schlaffen, unzusammenhängenden, unwahrscheinlichen, monströsen, grotesken Kompo- sition [...].“338

Die erste einschneidende Opernreform Glucks und Calzabigis findet vor dem ideenge- schichtlichen Hintergrund der französischen Theatertheorie Rousseaus, Diderots und der sogenannten Encyclopédie (1751-1780)339 statt. Mit diesem lexikalischen Meisterwerk wird ein erstes Modell eines alle gesellschaftlichen Bereiche reflektierenden Organons geschaffen. Dieses soll das Ganze der Welt und ihre Phänomene in einem wissenschaft- lich-lexikalischen Apparat analogisieren.

333 Francesco Algarotti: Abhandlung über die musikalische Oper. 334 Hoffmann übernahm einige zentrale Passagen aus der von Algarotti inspirierten Erzählung Le Ne- veu de Rameau von Denis Diderot in seine Erzählung Ritter Gluck (1809). Siehe dazu auch Justus Mahr: Die Musik E. T. A. Hoffmanns im Spiegel seiner Novelle vom »Ritter Gluck«. In Neue Zeit- schrift für Musik 129. o. O. 1968. S. 339-345. 335 Siehe dazu Helmut Schmidt-Garre: Von Shakespeare bis Brecht. Dichter und ihre Beziehungen zur Musik. Wilhelmshaven 1979. S. 47f. 336 Francesco Algarotti: Saggio sopra l’opera in musica. In Carl Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache gebracht. A. a. O. S. 74. 337 Thomas Baumann: Das achtzehnte Jahrhundert: Ernste Oper. In Roger Parker (Hg.): Illustrierte Geschichte der Oper. A. a. O. S. 79f. 338 Francesco Algarotti: Saggio sopra l’opera in musica. A. a. O. S. 74. 339 Denis Diderot, Jean le Rond d‟Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des metiers. Mitarbeiter waren u.a. Voltaire, Holbach, Grimm, Montesquieu, Rousseau und Marmontel.

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Auch beginnt ein neues Ideal der Einfachheit die Dramaturgie des Musiktheaters zu be- einflussen. Allgemeingültiger poetologischer Maßstab ist nicht mehr ein stilisiertes Muster absolutistischer Herrlichkeit und deren kunstfertige Repräsentation, sondern der Rekurs auf einen Realismus und eine Natürlichkeit, wie sie vor allem Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot und Jean le Rond d‟Alembert postulierten. In seiner Schrift Dictionnaire de Musique (1768) schreibt Rousseau:

„sobald daher die Musik gelernt hatte zu malen und zu sprechen, ließ der Zauber des Ge- fühls den des Zauberstabes vergessen, wurde das Theater von dem Jargon der Mytholo- gie gesäubert, löste das Interesse das Wunderbare ab, wurden die Maschinen der Dichter und Zimmerleute vernichtet [...] und die Götter wurden von der Bühne gejagt, als man Menschen auf ihr darzustellen wußte. [...] man merkte, daß das große Kunststück der Musik darin besteht, zu machen, daß man sie vergißt [...].“340

Diese Bedeutungssteigerung der Musik gründet in der Auffassung, dass Musik einmal die erste Sprache der Menschen war: „Man sang statt zu sprechen.“341 Eine Reform der Oper soll vor allem die Musik an die Sprache zurückbinden. Die Einzelgattungen der Musik sollen integral zusammenwirken, um durch eine einheitliche sittlich-musikalische Erregung dem Gemeinschaftsgefühl Dauer zu verleihen. Aber auch das Wesen der Oper kennzeichnet Rousseau als eine Synthese der schönen Künste, deren Sinn und Zweck vom traditionellen Funktionszusammenhang gleichgestimmter Nachbarkünste innerhalb der höfischen Oper losgelöst sind. Mit dieser neuen Zielrichtung innerhalb einer Orien- tierung auf La sensation (Sinnesempfindung) und Le sentiment (Gefühl) wird eine we- sentliche Komponente des romantischen Musikdramas vorweggenommen.

„OPER. Dramatisches Gedicht und lyrisches Schauspiel, in welchem man sich bemüht, in der Darstellung einer leidenschaftlichen Handlung alle Zauber der schönen Künste zu vereinigen [...]. Die konstitutiven Teile einer Oper sind: das Gedicht, die Musik, und die Ausstattung. Durch die Dichtung spricht man den Geist an, durch die Musik das Ohr, durch die Malerei die Augen; und das Ganze soll sich vereinigen, um das Herz zu rühren und denselben Eindruck durch verschiedene Organe gleichzeitig in dasselbe hineinzutra- gen.“342

Rousseau selbst ergänzt sein Opernkonzept mit einer synthetischen Festidee, die er in seinem Lettre à d’Alembert sur les spectacles (1758) erläutert.343 Er entwickelt eine the- atralisches Fest mit einer klassen- und ständeaufhebenden Ausrichtung, die auch die in-

340 Jean Jacques Rousseau: Dictionnaire de Musique. In Carl Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache ge- bracht. A. a. O. S. 90. 341 Jean Jacques Rousseau: Essai sur l’origine des langues. Kap. IV. In Ecrits sur la musique. Paris 1979. S. 172. 342 Jean Jacques Rousseau: Dictionnaire de Musique. In Carl Dahlhaus (Hg.): Musik zur Sprache ge- bracht. A. a. O. S. 85. 343 Gerhard C. Gerhardi: Rousseau und seine Wirkung auf Europa. In Propyläen Geschichte der Lite- ratur. Bd. 4. Aufklärung und Romantik. 1700-1830. Frankfurt/Main, Berlin 1988. S. 183.

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stitutionalisierte Selbstentfremdung des Schauspielers überwinden soll.344 Gegen das artifizielle Operntheater postuliert auch Denis Diderot das Programm einer neuen Oper, die auf Wahrheit und Natürlichkeit gründet und die einzig den Traum einer Tragödie nach antikem Muster szenisch-dramatisch zu erfüllen vermag:

„Verzichten wir auf unsere alte Musik und nehmen wir eine neue an. Unsere Ohren ver- langen nur danach, sich neuen Eindrücken zu öffnen. Man muß die Oper zur Natur zu- rückführen! Wo ist das Genie, dem es gelingt, die wahre Tragödie auf die Opernbühne zu bringen?“345

Zunächst ist es jedoch die musikalische Komödie La serva padrona (1733) von Giovanni Battista Pergolesi, die zum Gegenstand der berühmten Querelle des bouffons (Buffonistenstreit) wird und der traditionellen Elite-Oper einen volkstümlichen Stil ent- gegenstellt. Die irreale virtuose Kunstfertigkeit, aber auch der statische Schein arios ze- lebrierter Affekte wird hier ersetzt durch einen natürlich und organisch abfolgenden, in sich schlüssig zusammenhängenden Bühnenvorgang. Durch diese Akzentverlagerung erfährt der Protagonist eine humane Nobilitierung gegenüber der affektierten Pose des reinen Stimmvirtuosen. Der dramatische Impetus ersetzt die ästhetische Repräsentation. Dieses Postulat einer unverfremdeten Natürlichkeit bedeutete aber auch einen ersten Einschnitt innerhalb einer Ästhetik, die bis dato vom Primat des Schönen beherrscht wurde. Dieser Bruch sollte Folgen haben auf die Bestimmung der Kategorie des Interes- santen, die spätestens in der Romantik gegenüber dem Schönen aufgewertet wurde. Eine erste Abkehr von den zentralen Prämissen des Schönen und des Erhabenen im Klassi- zismus vollzieht sich bereits in der Musikästhetik der französischen Enzyklopädisten, insbesondere in Diderots posthum veröffentlichtem Text Le neveu de Rameau.

„Wir brauchen Ausrufungen, Interjektionen, Suspensionen, Unterbrechungen, Bejahun- gen, Verneinungen, wir rufen, wir flehen, wir schreien, wir seufzen, wir weinen, wir la- chen von Herzen. [...] Wir müssen es kräftiger haben, weniger manieriert, wahrer. Einfa- che Gespräche, die gemeine Stimme der Leidenschaft sind uns um so nötiger, als unsre Sprache monotoner ist und weniger Akzent hat. Der tierische Schrei, der Schrei des lei- denschaftlichen Menschen bringt ihn hervor.“346

344 Caroline Mattenklott: Vom Song-Feast zum Gesamtkunstwerk: Arbeitsteilung und ihre Kritik in der Ästhetik der Aufklärung. In Musik/Revolution. Bd. 2. Festschrift für Georg Knepler zum 90. Geburtstag. Hanns-Werner Heister (Hg.). Hamburg 1997. S. 25. 345 Denis Diderot: Entretiens sur le fils naturel. In Claudio Monteverdi: Orfeo. Christoph Willibald Gluck: Orpheus und Euridike. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). A. a. O. S. 183. 346 Denis Diderot: Le Neveu de Rameau. Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe. Horst Günther (Hg.). Frankfurt/Main 1984. S. 173f. Siehe dazu auch Goethes Übersetzungsanmerkung: „Seltsame Harmonien, unterbrochene Melodien, gewaltsame Abweichungen und Übergänge sucht man auf, um den Schrei des Entzückens, der Angst und der Verzweiflung auszudrücken. Solche Komponis- ten werden bei Empfindenden, bei Verständigen ihr Glück machen, aber dem Vorwurf des belei- digten Ohrs, insofern es für sich genießen will, ohne seinem Genuß Kopf und Herz teilnehmen zu lassen, schwerlich entgehen.“ Ebd. S. 254.

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Diese Rezeptionsästhetik hat großen Einfluss auf zeitgenössische Musikdramatiker. André-Ernest-Modeste Grétry adaptiert diese expressive Ästhetik und entspricht damit dem ästhetischen Paradigmenwechsel um 1800: „Gerade der extreme Schmerz, die Schreie der Verzweiflung sind es, die uns die naturwahrsten Wendungen der nachah- menden Musik eingeben.“347 Eine weitere Innovation betrifft die produktionsästhetische Generalunion von Wort und Musik, die ihren idealen Ausdruck in der Einheit von Dich- ter und Tonkünstler findet. Der Musikgelehrte Charles Burney kritisiert in seinem Tage- buch einer musikalischen Reise (1772):

„Bei den Alten waren Dicht- und Tonkunst beständig in einer Person vereinigt. Unsere neuern Zeiten aber haben wenige Beispiele von solcher Vereinigung, ausgenommen [...] in Mr. Rousseau, welcher von dem kleinen Drama Le Devin du Village zugleich Dichter und Komponist ist.“348

Diese Position einer gesamtkünstlerischen Autorität im Musiktheater wird später auch von Ludwig Tieck, Jean Paul und E. T. A. Hoffmann vertreten. Das Paradigma einer kongenialen Produktionspartnerschaft schufen jedoch bereits Christoph Willibald Gluck und Raineri da Calzabigi.

Die synthetische Opernreform Glucks und Calzabigis

Die Opernreform Christoph Willibald Glucks und seines Librettisten Raineri da Calzabigis kann trotz Einschränkungen349 als die bedeutendste Antizipation des romanti- schen Musikdramas unter dem Primat einer ganzheitlichen musikdramatischen Durch- führung betrachtet werden. In einem Brief an seinen Parteigänger Jean-Baptiste Suard legt Gluck eine Poetologie nieder, deren Zielrichtung bereits auf einen geschlossenen dramatischen Zusammenhang des Opernganzen ausgerichtet ist: „Ich […] wollte vor al- lem, daß sämtliche Teile meiner Arbeit untereinander den Zusammenhang wahrten.“350 Dieses neue Opernprogramm wird weitreichende Folgen haben. Gluck schreibt im Jahr 1773 von der „Erfindung einer neuen Gattung der italienischen Oper“351, was auch re- zeptionsästhetisch als solche gewürdigt wurde:

„Man höre sich >Orfeo< an, und man vernimmt jene vollkommene Einheit von Dichtung und Musik – jenes Entstehen jeder musikalischen Form, jedes melodischen Intervalls, je-

347 André-Ernest-Modeste Grétry: Memoiren oder Essays über die Musik. Peter Gülke (Hg.). Leipzig 1973. S. 382. 348 Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Leipzig 1968. S. 236. 349 Siehe dazu Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 1. S. 300. 350 Christoph Willibald Gluck: Briefe. Ausgewählt und übersetzt von W. M. Treichlinger. Zürich1951. S. 46. 351 Zitiert nach Gerhard Nestler: Geschichte der Musik. A. a. O. S. 355.

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der harmonischen Fortschreitung und jedes Orchesterklangs aus einem Gefühl oder Zweck, die zum Drama gehören – wie man sie vorher nur in Bachs Kantaten und Wag- ners Musikdramen gehört hat. Anstelle des bloßen Opernschreibers [...] stehen wir hier dem Dichter-Musiker gegenüber, der keine gemeinere Verwendung der Musik kennt, nur die, der Poesie Ausdruck zu verleihen.“352

Glucks Zeitgenosse Charles Burney beschreibt diesen als einen Gesamtkünstler, an dem man „zugleich den Dichter, den Maler und den Tonkünstler erkennt.“353 In romantischer Manier behauptet Burney von Gluck: „Er scheint in der Musik ein Michelangelo zu sein [...].“354 Gleichfalls präromantisch ist sein ganzheitlicher Produktionsanspruch. In einem Brief aus dem Jahre 1777 weist er selbst auf den integralen Charakter seiner Oper Alces- te (1767) hin: „»Alkeste« ist eine in sich geschlossene Tragödie […].“355 Vor diesem Hintergrund entwickeln Gluck und Calzabigi eine wahrscheinlichere, dem Primat dich- terischer Wahrheit entsprechende Bühne – im Gegensatz zu dem gleichnishaften, affek- tierten Schematismus der italienischen Opera seria. Im neuen musikalischen Drama soll das Verhältnis von Text und Musik korrigiert sowie die Dichtung von der Dominanz der Musik erlöst werden. Auf diese Problematik verweist Herder in einem Brief vom 05. November 1773 an Gluck:

„Der große Zwist zwischen Poesie und Musik, der auch beide Künste so weit auseinan- der gebracht hat, ist die Frage: welche von beiden soll dienen, welche herrschen? Der Musikus will, daß die seine herrschen soll, der Dichter auch, und daher stehen sie sich oft im Wege. Jeder will ein schönes Ganzes liefern und bedenkt oft nicht, daß er nur einen Teil liefern müsse, damit in der Würkung aller beiden erst das Ganze werde.“356

In seinem berühmten Vorwort der Partitur seiner Oper Alceste beanstandet Gluck nicht allein die Eitelkeit der Gesangssolisten und die Willkür der Komponisten; vielmehr entwirft er eine neue dramatische Poetik der Musik.

„Mein Zweck war, die Musik zu ihrer eigentlichen dramatischen Bestimmung zurück zu führen, da sie nemlich dem poetischen Ausdrucke zu Hülfe kömmt, und das Interesse der Fabel verstärkt, ohne die Handlung zu unterbrechen, oder solche durch unnütze und über- ladene Zierrathen frostig zu machen; denn der Dienst der Musik, wenn mit der Dichtung verbunden, scheint mir einerley zu sein, mit dem Colorit in einer korreckten und wohlge- ordneten Zeichnung, worin Licht und Schatten die Figuren beleben, ohne den Umriß zu verändern.“357

352 George Bernard Shaw: Musik in London. Frankfurt/Main 1964. S. 25f. 353 Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. A. a. O. S. 302, S. 291. 354 Ebd. S. 302. 355 Christoph Willibald Gluck: Briefe. A. a. O. S. 44. 356 Johann Gottfried Herder: Herders Briefe. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Dobbek. Wei- mar 1959. S. 158. 357 Christoph Willibald Gluck: Vorwort zur Alceste. Zitiert nach: Peter Schleuning: Das 18. Jahrhun- dert: Der Bürger erhebt sich. Geschichte der Musik in Deutschland. Hamburg 1984. S. 541.

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Vorweg genommen wird damit der romantische Paradigmenwechsel von der Oper zum Musikdrama; Glucks Alceste bedeutet nichts weniger als „die erste Übertragung der neuen künstlerischen Einsichten auf das große Musiktheater. Die neue Oper, das Mu- sikdrama war geboren.“358 Der von Gluck entscheidend mitinspirierte musikgeschichtli- che Wandel vom Rezitativo secco zum Rezitativo accompagnato findet jedoch schon in seiner Azione teatrale Orfeo ed Euridice (1762) statt. Dieses Werk wird von Calzabigi nicht in Dialogen, sondern in Bildern und ausschließlich für eine singuläre Komposition entwickelt: „Zum erstenmal eine Oper ohne Secco-Rezitativ […]; zum erstenmal ein Werk mit seinem Text so verwachsen, daß es einmalig ist und nicht neu komponiert werden kann […].“359 Aber auch die motivische Verknüpfung der Ouvertüre mit der nachfolgenden Handlung unterstützt diese synthetische Tendenz: „Die Übergänge wer- den dadurch fließender, und der Strom der Empfindungen erleidet keine Unterbrechun- gen, die [...] die Einheit der Handlung zerstörten.“360 Diese Akzentverlagerung innerhalb der Rezitativformen bedeutet eine ästhetische Aufwertung der dramatischen Anteile. Zugleich wird auch der Musik eine dramatische Qualität verliehen. Der Weg zu einer einheitlich durchkomponierten Opernform war eingeschlagen, was bereits die Zeitge- nossen wahrnehmen.

„Es trifft sich selten, daß man eine einzelne Arie aus ihrer Stelle nehmen und ohne ihren Zusammenhang mit großer Wirkung singen kann; das Ganze ist eine Kette, wovon ein abgelöstes Glied von geringer Erheblichkeit ist.“361

Die Grundidee von Glucks neuem Musiktheater ist die Verwirklichung einer ganzheitli- chen Opernform, die auf der theatralischen Reproduktion einer durchgehenden und weitgehend zäsurlosen Bühnenhandlung beruht. Dabei sollen die Einschnitte der traditi- onellen Nummerngliederung vermieden werden. In einer aus romantischer Betrach- tungsperspektive geschriebenen Rezension von Glucks Oper Iphigénie en Aulide (1774) umschreibt noch E. T. A. Hoffmann das Phänomen der Gluckschen Oper vor der Nega- tivfolie der dissoziierten Opernformen gleichfalls als ein ganzheitliches Drama:

„Es gibt neue, beliebte Komponisten, die statt das Drama in allen seinen Teilen zu den- ken und dann in Tönen zu geben, Stoff, Charakter, Situation nicht achtend, Szenen an Szenen reihen, die nur dazu dienen, den Sänger das ausführen zu lassen, was glänzt und imponiert [...]. Es ist vorzüglich der Stil, der das Ganze zu einem den Charakter des Stof- fes lebhaft aussprechenden Kunstwerke eint und ründet, welcher den mehrsten neuen Opern mangelt, und herrlicher möchte er nicht leicht anzutreffen sein als eben in den Gluckschen Dramen.“362

358 Nikolaus de Palézieux: Christoph Willibald Gluck. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reihe: rowohlts monographien. Wolfgang Müller (Hg.). Reinbek bei Hamburg 1994. S. 79. 359 Alfred Einstein Gluck. Sein Leben – seine Werke. Kassel, Basel 1987. S. 99. 360 Gerhard Nestler: Geschichte der Musik. A. a. O. S. 356f. 361 Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. A. a. O. S. 289. 362 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 54.

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Eine stringente Gliederung gewährleistet ein ausgeklügeltes System tonaler Proportio- nen. In den Orchestervorspielen einiger Reformopern werden bereits wesentliche Ele- mente des Dramas motivisch vorweggenommen. Gluck weist der Ouvertüre die Aufga- be zu, in die darzustellende Handlung einzustimmen und den Text musikalisch vorzube- reiten. In der Ouvertüre zu Paride ed Helena (1770) finden sich Themen des Schlussak- tes, und in der Ouvertüre zu der Oper Iphigénie en Aulide (1774) klingen das Schmerz- motiv Agamemnons, das Motiv der Iphigénie sowie das Rachemotiv der Griechen an. Der fließende Übergang des Orchestervorspiels in die erste Szene der Oper bedeutet noch für Richard Wagner das beinahe vollkommene Beispiel einer vorweggenommenen Grundidee des Dramas.363

„In der gesamten klassischen und romantischen Musik wurden Einleitungsakte zur Schil- derung einer Stätte des Grauens nach dem hier aufgestellten Schema gebildet. Man ver- gleiche den Anfang der Feuer- und Wasserszene der Zauberflöte, die Introduktion der Kerkerszene im Fidelio und die indirekt auch hierher gehörigen ersten Takte der Frei- schütz-Ouvertüre. Stets dominieren große und gewaltig gehaltene Töne. Das bereits im Orpheus erscheinende Vibrato der Streicher wird in der Romantik, zum Beispiel bei Be- ginn der Wolfsschluchtszene und in der Einleitung zum zweiten Akt des Siegfried ein Tremolo.“364

In seiner Schrift über Gluck’s Ouvertüre zu „Iphigenia in Aulis (1856) hebt Wagner mehrere Aspekte dramatischer Durchdringung hervor. Einerseits nimmt diese Ouvertüre bereits die Hauptmotive Dramas in prägnanter Deutlichkeit vorweg, andererseits artiku- liert ihre Instrumentalsprachlichkeit jene dichterische Grundidee, die auch dem romanti- schen Musikdrama erst den epischen Charakter des auktorialen Erzählers verleiht.

„Daß Gluck dieser Ouvertüre keinen Schluß gab, zeugt somit nicht nur von einer ihr zu Grunde liegenden dichterischen Absicht, sondern namentlich auch von des Meisters höchster künstlerischer Weisheit, die genau Das kannte, was einzig durch ein Instrumen- taltonstück darzustellen ist.“365

Eine abgeschlossene Ouvertüre hätte dem Drama bereits zu Beginn wieder den Charak- ter der Nummernoper gegeben. Dieser hätte der Tradition, jedoch nicht Glucks avancier- tem „künstlerischen Zwecke, der eben im Drama lag […]“366, entsprochen. Mit den sechs Reformopern Glucks wird die Chronologie der Opera seria erstmals unterbrochen. Formal wird eine neue Gattung begründet, welche die Elemente der Opera seria mit Er- rungenschaften der Tragédie lyrique vermischt. Die Vollendung dieser Tendenz voll-

363 Richard Wagner. GSD. Bd. 1. S. 243. 364 Hermann Wolfgang von Waltershausen: Zum Vergleich der Wiener und der Pariser Fassung von Orpheus und Eurydike. In Christoph Willibald Gluck: Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare. A. a. O. S. 270f. 365 Richard Wagner. GSD. Bd. 5. S. 119. 366 Ebd.

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zieht sich jedoch erst im theoretischen Kontext der romantischen Oper des 19. Jahrhun- derts. In seiner Rezension Nachträgliche Bemerkungen über Spontinis Oper „Olympia“ (1821) assoziiert Hoffmann Glucks dramatische Werkauffassung auch mit dem Begriff des ‚musikalischen Dramas‟:

„So gewaltig hatte er die hochherrliche Musik nach all ihrem Wesen, nach all ihren Be- dingnissen erfaßt, daß aus seinem eignen Innern das wahrhaft musikalische Drama em- porstieg wie ein glanzvolles, wunderbares Meteor! Nicht durch das Wort, sondern durch den Gedanken wurde die Musik entzündet, und was sie schuf, war nicht eine von der Wortfolge bedingte Notenreihe, sondern wahrhafte Melodie, die, ohne der Grundbasis, der richtigen Deklamation, den mindesten Eintrag zu tun, ebenden Gedanken ins volle rege Leben rief.“367

Da eine dramatische Durchführung keine bruchstückhafte Darstellung duldet und im Zusammenhang mit den dabei bemühten Einzelkünsten eine „ganze rein dramatisch ge- arbeitete Oper“368 ergeben soll, war den auf Effekt und Virtuosität ausgerichteten Ein- zelnummern der Primat des Dramatischen entgegenzusetzen. Aus der Perspektive des Romantikers Hoffmanns bedient sich Gluck einer Verschmelzung der unterschiedlichen Formen, Mittel und Motive, die sich organisch aus dem Schöpfungsgenie des Kompo- nisten ergibt:

„Aber alle Kraft der Harmonie, der Instrumentierung, alle Mittel, wie sie dem Meister nur zu Gebote standen, nahm er in Anspruch, um den höchsten dramatischen Ausdruck, von dem seine reiche, feurige Einbildungskraft angeregt, aus sich heraus zu erzeugen.“369

Hinzu kommt die schon von den Enzyklopädisten geforderte Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit. Vor der Pariser Uraufführung von Orphée et Euridice (1774) wies Gluck den Tenor an, die große Klagearie J’ai perdu mon Euridice [III; 43] nicht zu singen, sondern zu schreien, „als ob ihm ein Bein abgesägt“370 würde. Auch empfiehlt Gluck die Anwesenheit des Komponisten bei der Aufführung seines Werkes, damit dessen Inten- tionen adäquat verwirklicht werden: „Die Anwesenheit des Komponisten bei der Auf- führung dieser Musik ist, sozusagen, genauso notwendig, wie die Anwesenheit der Son- ne in allen Schöpfungen der Natur.“371 Anlässlich der Inszenierung seiner Oper La Cythère assiégée schreibt Gluck am 01. Juli 1775 an Bailly du Roullet: „Ich will es, so- bald ich in Paris bin, selbst inszenieren, damit man sieht, wie es aufgeführt werden

367 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 371. 368 Ebd. S. 374f. 369 Ebd. 370 Überliefert aus der Histoire de ma vie des pfälzischen Hofmalers Johann Christian von Mannlich (1741-1822). Zitiert nach Gerhard Nestler: Geschichte der Musik. A. a. O. S. 356. 371 Christoph Willibald Gluck: Vorwort zu Paride ed Elena. Gluck-Gesamtausgabe. Vier Bände. Ru- dolf Gerber (Hg.). Abt. I (Musikdramen). Bd. 4. Kassel 1954. S. XII.

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muß.“372 Damit gerät ein aufführungspraktischer Aspekt in den Blickpunkt, der den Schwerpunkt von Notentext und Libretto direkt auf den Bühnenprozess verlagert. Dieser wird nun zu einem entscheidenden Bestandteil des gesamten Musikdramas. Letztendlich gewährleistet nur die Aufführung eine Synthese der musikalisch-dramatischen mit den dramaturgischen Prämissen. Im Prozess einer fortschreitenden dramatischen Sublimie- rung erfährt das jeweilige Werk gerade mit den Proben und Aufführungen seinen defini- tiven Werkkorpus: „Bis zuletzt wird um die gültige Formulierung des Kunstwerks ge- rungen, das nach der Bearbeitung «letzter Hand» die Aura der Einmaligkeit hat. Es ent- steht das moderne Kunstwerk.“373 Auch in dieser Hinsicht markiert dieses Reformwerk eine theatergeschichtliche Zäsur von epochalem Ausmaß. Dass in der Oper von Gluck und Calzabigi ein Vorläufermodell des romantischen Musikdramas erblickt werden kann, bestätigt auch dessen Rezeptionsgeschichte, die über Mozart, die literarische Frühromantik, über Carl Maria von Weber, Franz Schubert, Giacomo Meyerbeer bis hin zu Richard Wagners Musikdrama reicht.

372 Christoph Willibald Gluck: Briefe. A. a. O. S. 35. 373 Nikolaus de Palézieux: Christoph Willibald Gluck. A. a. O. S. 100.

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Synthetische Aspekte der Wiener Klassik

Mozart und die Romantik

Schon bald nach dem Tod Wolfgang Amadeus Mozarts im Jahre 1791 beginnt eine enorme Breitenwirkung seines Werks. Um das Jahr 1820 waren fast zwei Drittel von Mozarts kompositorischem Gesamtwerk in Konzerten, auf Bühnen und im florierenden Musikalienhandel präsent. Die Zeit der ersten großen Wirkung auf die Nachwelt war al- so deckungsgleich mit der Zeit der Früh- und Hochromantik. Diese beginnt schon bald das Werk Mozarts romantisch zu verklären und zu adaptieren. So schreibt E. T. A. Hoffmann in einer Kritik von Glucks Iphigénie en Aulide: „Nur ein romantisches tiefes Gemüt wird den romantischen tiefen Mozart ganz erkennen [...].“374 An anderer Stelle nennt er Mozart gar den „Schöpfer der romantischen Oper“375. Die Gründe, einen Prota- gonisten der Wiener Klassik zum Romantiker zu stilisieren erschöpfen sich nicht in des- sen regelsprengender Genialität oder kompositorischer Originalität.

„Das Werk Wolfgang Amadeus Mozarts, neben demjenigen Joseph Haydns gewiß der Inbegriff des »Klassischen« in der Musik, hat doch späterhin [...] in zunehmendem Maße die Reizwirkungen düsterer Farben, plötzlicher Gefühlsschwankungen, überraschender Eintrübungen und Aufhellungen, beseligender Klangsinnlichkeit und zwielichtiger Ironie aufgenommen und sich damit, in der Oper wie in der Instrumentalmusik, romantischen Bedürfnissen so stark angenähert, daß die Romantiker es ohne viel Besinnen romantisch deuten konnten.“376

Hoffmann bewundert vor allem die emanzipatorische Wirkung Haydns, Mozarts und Beethovens. Für ihn sind sie „die »romantischen Komponisten«, die sich vom Klang- spiel und Typus der Spätneapolitaner wie von der außermusikalisch bestimmten persön- lichen Ausdrucksgebung gelöst haben.“377 Die Abkehr von der das 18. Jahrhundert do- minierenden Vorgabe einer konkreten Nachahmung durch semantisch konnotierte For- men und Strukturen in der Musik war eine wesentliche Voraussetzung für die Inthroni- sation dessen, was Hoffmann unmittelbar mit musikalischer Romantik assoziiert: die In- strumentalmusik und deren sinnliche Wirkung auf den mitempfindenden Rezipienten. In dem Aufsatz Beethovens Instrumentalmusik (1810) schreibt Hoffmann:

„Die Instrumentalkompositionen aller drei Meister atmen den gleichen romantischen

374 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 59. 375 E. T. A. Hoffmann: „Mozart brach neue Bahnen und wurde der unnachahmliche Schöpfer der ro- mantischen Oper.“ GWE. Bd. 9. S. 376. 376 Friedrich Blume: Romantik. In In Friedrich Blume (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (weiter zitiert als MGG). 17 Bände. München, Kassel und Basel 1949-1986. S. 311. 377 Karl Gustav Fellerer: Studien zur Musik des 19. Jahrhunderts. Regensburg 1987. S. 12.

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Geist [...]. In die Tiefen des Geisterreiches führt uns Mozart. Furcht umfängt uns, aber ohne Marter ist sie mehr Ahnung des Unendlichen. [...] Mozart nimmt mehr das Über- menschliche, das Wunderbare, welches im inneren Geiste wohnt, in Anspruch. Beethovens Musik bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmerzes und erweckt ebenjene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der Romantik ist. Er ist daher ein rein romantischer Komponist [...].“378

Aufgewertet werden bei dieser Betrachtung auch der transzendentale Charakter der Mu- sik379 und eine damit verbundene Wirkungsästhetik des Unendlichen sowie die Ablö- sung vom klassischen Primat des Schönen. Hinzu kommt die musikdramatische Nobili- tierung des Unterbewussten.380 Der Musik wird jene Transzendenz zugesprochen, die eine romantische Metaphysik der Kunst maßgeblich mitbegründet. In Mozarts Technik, das Schreckliche oder Bedrohliche musikalisch aufscheinen zu lassen, erkennt auch Richard Wagner einen musikdramatischen Impuls. In der Ouvertüre zu Don Giovanni ist

„der leitende Gedanke des Drama‟s in zwei Hauptzügen gegeben; ihre Erfindung, so wie ihre Bewegung, gehört ganz unverkennbar einzig dem Bereich der Musik an. Eine leiden- schaftliche Erregtheit des Übermuthes steht im Konflikt mit einer furchtbar bedrohlichen Übermacht, welcher jene zu unterliegen bestimmt scheint: hätte Mozart noch den schrecklichen Abschluß des dramatischen Süjets hinzugefügt, so fehlte dem Tonwerke nichts, um ein vollständig Ganzes, als ein Drama für sich betrachtet zu werden [...].“381

Joseph von Eichendorff zieht in seinen Lebenserinnerungen Halle und Heidelberg (1839/57) die romantische Linie von Bach über Mozart, Beethoven bis hin zu Weber: „Mozart, Beethoven und Karl Maria von Weber sind echte Romantiker.“382 Die Proble- matik dieser Romantisierung zweier repräsentativer Protagonisten der Wiener Klassik beruht hier weniger in einer stil- und kompositionsgeschichtlichen Ambivalenz383 als vielmehr darin, dass Eichendorff das normative Axiom einer überzeitlich-verbindlichen, klassischen Mustergültigkeit auf die Romantik überträgt. Das dezidiert Romantische an Mozarts Don Giovanni erkennt Ludwig Tieck in der Abkehr vom klassischen Schön- heitsverdikt zugunsten einer Ästhetik des Grauenhaften und Bizarren, verbunden mit ei- ner Tendenz zum Metaphysischen. In der Novelle Musikalische Leiden und Freuden heißt es:

378 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 50ff. 379 Siehe dazu auch Klaus Dieter Dobat: Musik als romantische Illusion. Eine Untersuchung zur Be- deutung der Musikvorstellung E. T. A. Hoffmanns für sein literarisches Werk. Kapitel (2. 2.): Die >romantischen< Tendenzen in Mozarts Oper. Tübingen 1984. S. 143ff. 380 Siehe dazu Gernot Gruber: Mozart verstehen. Ein Versuch. Salzburg/Wien 1990. S. 185. 381 Richard Wagner: Über die Ouvertüre. In Ausgewählte Schriften. Leipzig 1982. S. 48. 382 Joseph von Eichendorff. Werke. Nach den Ausgaben letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdru- cke. Ansgar Hillach (Hg.). Bd. 1. München. 1970ff. S. 944. 383 Näheres dazu bei Hans Heinrich Eggebrecht: Beethoven und der Begriff der Klassik. In Matthias Brzoska, Michael Heinemann (Hg.): Die Geschichte der Musik. Bd. 2. Die Musik der Klassik und Romantik. Laaber 2001. S. 231.

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„der Zauber des Wundervollen, die Mannigfaltigkeit der widersprechendsten Töne, die sich doch zu einem schöngeordneten Ganzen verbinden, der tiefe Ausdruck des Gefühls, das Bizarre und Grauenhafte, Freche und Liebevolle, Heitere und Tragische, alles dieses, was dieses Werk zu einem einzigen seiner Art macht, ging mir durch das Ohr in meiner Seele auf.“384

An anderer Stelle verweist Tieck am Beispiel seines musikalischen Märchens Das Un- geheuer und der verzauberte Wald (1800) auf den beinahe grenzenlosen Formenplura- lismus, der das Romantische in Mozarts Opern kennzeichnen soll: „Die romantische Oper aber, die sich in unsrer Zeit am klarsten [...] in Mozarts großen Werken entwickelt hat, ist ihrer Unbeschränktheit und ihrer mannigfaltigen Formen wegen, schwer zu be- schreiben.“385 Tieck entwirft eine Vorstellung von der romantischen Oper, in der die Annäherung der Poesie an die Musik durch eine Musikalisierung des Rezitativs erfolgt und die Handlung zäsurlos in und mit der Musik voranschreitet. Beinahe konstitutiv ist das Werk Mozarts für die deutsche musikalische Romantik des frühen 19. Jahrhunderts. Neben Louis Spohrs Rückbezügen auf Mozart386 wird dessen Bedeutung auch von Franz Schubert dokumentiert. Am 14. Juni 1816 notiert dieser nach einem Konzertbesuch in sein Tagebuch: „Ein heller, lichter, schöner Tag wird dieser durch mein ganzes Leben bleiben. Wie von ferne leise hallen mir noch die Zaubertöne von Mozarts Musik.“387 Und noch Ludwig Börne erblickt in Mozarts Werk jenen metaphysischen Gehalt, den die Kunstdoktrin der jungdeutschen Bewegung gerne aus dem Bereich der Ästhetik eli- miniert hätte. In einer Rezension über Mozarts Entführung aus dem Serail schreibt er:

„Gibt es ein übersinnliches Land, wo man in Tönen spricht – die Meister der Kunst füh- ren euch hinauf, indem sie euch erheben; nur Mozart allein zeigt uns den Himmel, zu dem andere emportragen müssen, in unserer irdischen Brust. Das ist‟s, was ihn nicht al- lein zum größten macht aller Tondichter, sondern zum einzigen unter ihnen.“388

Für den romantischen Rückbezug auf Mozart sind zwei Komponenten von übergeordne- ter Bedeutung: zum einen die Begründung eines originär deutschen Musikdramas, das sich u.a. auf Mozarts Singspiele beziehen konnte, zum anderen der Wandel ästhetischer Kategorien, der sich schon in den späten Werken Mozarts objektiviert. Weitere romanti- sche Traditionslinien lassen sich am Beispiel der Zauberflöte (1791) aufzeigen. Neben dem Dramma giocoso Don Giovanni (1787) übt dieses Spätwerk den nachhaltigsten

384 Ludwig Tieck. Werke in vier Bänden. Bd. 3. A. a. O. S. 105f. 385 Ludwig Tieck. Dichter über ihre Dichtungen. Uwe Schweikert (Hg.). Bd. 9/I. München 1971. S. 183. 386 Louis Spohr: Selbstbiographie. Bd. 1. A. a. O. S. 140. 387 Franz Schubert: Tagebuch. Wien den 14. Juny 1816. In Schubert. Die Dokumente seines Lebens. Gesammelt und erläutert von Erich Deutsch. Franz Schubert. Neue Ausgabe sämtlicher Werke. In- ternationale Schubert-Gesellschaft (Hg.). Kassel, Basel, Paris, London, New York 1963. S. 42f. 388 Ludwig Börne: Werke in zwei Bänden. Bd. 1. Berlin und Weimar 1986. S. 26f.

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Einfluss auf die literarische und musikalische Romantik aus. Noch Richard Wagner er- blickte in Mozarts Singspiel den eigentlichen Ausgangspunkt der deutschen Oper und damit auch des romantischen Musikdramas. Mit Wagner schließt sich der Kreis einer romantischen Rezeptionsgeschichte, die bei den Frühromantikern ihren Anfang nahm.

„Die Zauberflöte war eine der wichtigsten Geburtshelferinnen der Romantik geworden. Als Oper von den Musikern der Romantik hochgeschätzt, ja als Urbild des idealen ro- mantischen Musikwerkes verstanden, haben auch die Dichter der Romantik aus dem un- ergründlich tiefen Brunnen der Zauberflöte geschöpft.“389

Die inhaltlichen, motivischen, die geistes- und ideengeschichtlichen Bezugnahmen auf die Zauberflöte sind vielfältiger Natur. Handlungselemente, Figuren und szenische Konstellationen finden sich in Hoffmanns Erzählung Der goldene Topf.390 In Tiecks Märchenspielen wird der Rückbezug mehrfach konkret genannt; vielfältig wird aus dem Libretto teilweise wörtlich zitiert. Selbst in Franz Grillparzers Drama Der Traum ein Leben lassen sich noch zahlreiche Analogien nachweisen. Und auch Goethe hatte eine Fortsetzung der Zauberflöte zu schreiben begonnen391, konnte jedoch keinen kongenia- len Komponisten dafür finden.392 Für die Entstehung eines integralen Musikdramas sind vor allem formale Prämis- sen von Bedeutung: die dramaturgische Integration volkstümlicher Elemente sowie die orchesterbegleitete Rezitativgestaltung, die bei vollkommener Textverständlichkeit den melodischen und harmonischen Satz berücksichtigt und somit das rein Sprachliche mu- sikalisch sublimiert.393 Nach der Integration der musikdramatischen Gattungen Opera buffa und Opera seria in Mozarts Don Giovanni394 markiert Die Zauberflöte einen weite- ren Höhepunkt synthetischer Adaptationen im Musiktheater des späten 18. Jahrhunderts.

„Daß in der Zauberflöte alle zeitgenössischen Formen von der Choralvariation zum Ko- mödienlied, von der „großen Szene und Arie“ der opera seria zu Symphoniesatz und Fu- ge vereint sind [...] ist oft bemerkt worden.“395

389 Alfons Rosenberg: Die Zauberflöte. Geschichte und Deutung von Mozarts Oper. München 1964. S. 281. 390 Ebd. Siehe auch das Kapitel: Das Fortleben der Zauberflöte in der Dichtung. S. 280ff. Vgl. dazu auch Eckart Kleßmann: E. T. A. Hoffmann. Kapitel 5. A. a. O. S. 303ff. 391 Siehe dazu Schillers Brief vom 10. Mai 1798 an Goethe. 392 Siehe auch Walter Weiss: Das Weiterleben der „Zauberflöte“ bei Goethe. In Internationale Stif- tung Mozarteum Salzburg (Hg.): Mozart-Jahrbuch. 1980-83. Kassel, Basel, London 1983. S. 227- 236. 393 Siehe dazu Kurt Pahlen in Wolfgang Amadeus Mozart. Die Zauberflöte. Text und Erläuterung. Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König. Reihe: Opern der Welt. München 1979. S. 183f. 394 Thomas Baumann: Das achtzehnte Jahrhundert: Komische Oper. In Roger Parker (Hg.): Illustrier- te Geschichte der Oper. A. a. O. S. 126ff. 395 Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. A. a. O. S. 313.

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Diese universale Einvernahme korrespondiert mit dem Phänomen intersozialer Aneig- nung,396 die eine der Voraussetzungen dafür ist, dass eine eher bürgerlich-plebejische Oper wie Die Zauberflöte Elemente der Opera seria adaptiert. Mozarts poetologisches Verfahren gründet auf dieser sozialen Interaktion, welche die Grenzen zwischen den Ständen genauso durchlässig macht, wie der ästhetische Paradigmenwechsel die Gren- zen der Gattungen erodiert. Grundlage dazu ist das „gehäufte Auftreten von Gattungs- mischungen im Spätwerk [...]; dies bereitet die [...] romantische Auflösung der Genre- grenzen und die wechselseitige Durchdringung längst stabilisierter Formen vor.“397 Die- se Parameter in Mozarts Musiktheater unterstreichen dessen Verwandtschaft zum späte- ren Musikdrama der Romantik.

Mozarts Opernpoetologie

Im Kontext der sogenannten Genie-Ästhetik ist Mozarts musikalisch-dramatische Pro- duktionsweise keineswegs epochentypisch. Stilistische Grenz-, Regel- und Normüber- schreitungen werden von ihm genau kalkuliert. Nicht zufällig hat er sich bereits früh un- terschiedliche Stile und Methoden systematisch angeeignet. Schon 1778 schreibt er: „ich kann so ziemlich, wie sie wissen, alle art und styl vom Compositions annehmen und nachahmen.“398 Diese kompositorische Vielseitigkeit bildet das Fundament für den Stil- reichtum in Mozarts Werk und unterstützt die Aneignung vielfältiger Ausdrucksmittel, was seinem poetologischen Verfahren durchaus universale Züge verleiht: „seine enzyk- lopädischen Kenntnisse und seine souveräne Verfügung über alle in Europa existieren- den Möglichkeiten gemahnen an seine Zeitgenossen, die Enzyklopädisten.“399 Gegen den Rat seines Vaters überträgt Mozart häufig traditionelle, gattungsspezifische Techni- ken auf verwandte, benachbarte oder analoge Bereiche400 und unterläuft dadurch die kompositorischen Normen. Darüber hinaus öffnet er die Determinierung der Opera- seria-Formen auf den klassizistischen Tragödienvorwurf für vitalere Themen und Moti- ve der Opera buffa: „Mozarts reife Opernleistungen stellen [...] eine Verschmelzung der Buffa- und Seria-Tradition dar [...], überwiegend bewegt sich die Musik in einer Welt der vollständigen musikalischen Synthese.“401 Sein Bemühen um eine eigenständige mu-

396 Ebd. S. 226ff. 397 Reinhard Kapp: Mozart: Vorromantik. In Herbert Lachmeier (Hg.): Mozart. Experiment der Auf- klärung. Wien, Ostfildern 2006. S. 351. 398 Wolfgang Amadeus Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Bd. III. 1780-1786. In Gesamtausgabe in sieben Bänden. Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg (Hg.). Kassel, Basel, Paris, London, New York 1961. S. 163. 399 Georg Knepler: Geschichte als Weg zum Musikverständnis. A. a. O. S. 313. 400 Georg Knepler: Wolfgang Amadé Mozart. A. a. O. S. 109. 401 Charles Rosen: Der klassische Stil. A. a. O. S. 205.

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sikalische Ausdrucksweise ergibt einen neuen musikdramatischen Ausdruckskanon.402 Diesem eignet eine musikalische Semiotik, die musikalische Zeichen, Muster und Moti- ve dramatisch denotiert, Musikstücke unterschiedlicher Gattungen thematisch miteinan- der verknüpft und dadurch den musikalisch-dramatischen Ausdruck potenziert.403 Diese Öffnung und Verallgemeinerung der semantischen Bezüge zwischen dem musikalischen und dem musikdramatischen Werk trägt zweifellos romantische Züge: Gerade das romantische Musikverständnis entbindet die Musik von der Bestimmung, Besonderes oder Konkretes auszudrücken, die Musik, insbesondere die Instrumentalmu- sik wird zu einem umfassenden Abbild übergeordneter Zusammenhänge. Jenseits mime- tischer Zuordnungen gewinnen vor allem sinfonische Strukturen innerhalb der musikali- schen Architektur eine tragendere Bedeutung. Diese Weiterentwicklung des Sinfoni- schen macht Mozart auch für sein Musikdrama fruchtbar. So hat er „komponierend ent- deckt, daß es damals keine geeignetere Verfahrensweise zur Darstellung dramatischer Vorgänge gab als die in Entwicklung befindliche Instrumentalmusik mit ihrer sinfoni- schen Technik.“404 In Mozarts Opern kann man also eine Dramatisierung der Instrumen- talmusik feststellen.405 Die sinfonische Behandlung von szenisch-dramatischen Vorgän- gen führt zu einer Parallelführung von Bühnen- und Orchestergeschehen. Musik, Drama und Szene durchdringen einander und bereiten dadurch einer integralen Gestaltung des musikalischen Dramas den Boden.

„Diese Art »Synthese« lockert jedoch die Geschlossenheit der einzelnen Opern- und Mu- siktypen [...] und eröffnet neue Freiräume für Komponisten und Librettisten. Mit Inhalt erfüllt werden diese Freiräume durch die genutzte Möglichkeit, die Bühnenfiguren feiner zu zeichnen, sie in ihren Aktionen und in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zu charakterisieren, sie in ein spezifisches Ambiente zu stellen und darüber hinaus ihrem Handeln und Empfinden einen, gerade durch Musik sinnlich erfahrbaren, immateriellen Raum zu geben.“406

Die Synthese der musikdramatischen Einzelelemente bedeutet zugleich auch die Erosion ihrer singulären Formen zugunsten einer geschlosseneren Dramaturgie. Und obschon Mozarts Opernpoetik weitgehend unter dem Primat der Musik steht, ist damit nicht mehr bezeichnet als jene pragmatische Hierarchie, die sich zwangsläufig einstellt, wenn am Entstehungsprozess des Kunstwerks mehrere Schöpfer beteiligt sind. Seine großen musikdramatischen Werke ergeben sich letztendlich nur aus dem vollendeten Zusam-

402 Georg Knepler: Wolfgang Amadé Mozart. A. a. O. Kap. 15. Die Sache mit der Nachahmung. S. 221ff. 403 Ebd. S. 306f. 404 Ebd. S. 286. Vgl. dazu auch Stefan Kunze: Mozarts Opern. Stuttgart 1996. Kap. 4. 405 Carl Dahlhaus, Norbert Miller: Europäische Romantik in der Musik. Bd. 1. Oper und symphoni- scher Stil 1770-1820. Stuttgart und Weimar 1999. S. 482. Europäische Romantik in der Musik. Bd. 1. Oper und symphonischer Stil 1770-1820. Stuttgart und Weimar 1999. S. 45f. 406 Gernot Gruber: Mozart verstehen. A. a. O. S. 183.

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menklang von Text und Musik. Die Opern Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Cosi fan tutte wären nicht solche Meisterwerke ohne Lorenzo Da Pontes poetische Gestaltung der Dialoge, ohne dessen ausgeklügelten dramatischen Aufbau und dramaturgische Durchführung. Mozart fordert nicht mehr den Librettisten aus dem Geiste Metastasio, dessen beliebiger Textvorwurf den unterschiedlichsten musikalischen Ideen dienstbar gemacht werden kann. Er verlangt den kongenialen Poeten für eine gemeinschaftliche Gestaltung des musikdramatischen Kunstwerks: „da ist es am besten wenn ein guter komponist der das Theater versteht, und selbst etwas anzugeben im stande ist, und ein gescheider Poet, als ein wahrer Phönix zusammen kommen.“407 Von einigen Frühwer- ken und dem Spätwerk La Clemenza di Tito (1791) abgesehen, hat Mozart nur originäre, einzig für ihn geschriebene Libretti komponiert und war am literarisch-dramatischen Entstehungsprozess stets unmittelbar beteiligt. Was mit Gluck und Mozart erstmals zum Prinzip der ästhetischen Gestaltung er- hoben wird und im Gegensatz zu den tradierten dissoziativen Formen der Opera seria steht, ist die Überzeugung, „daß sich die eigentliche Wirkung nur im Ganzen einstellen könne.“408 Mozarts musikdramatische Poetologie markiert nicht nur vor dem Hinter- grund einer genialischen Virtuosität in der Handhabung stilistischer Elemente eine Vor- stufe zum romantischen Musikdrama. Vor allem auch die Grenzüberschreitungen und die Adaptation vielfältigster Ausdrucksmittel und -bereiche stellen sein Werk unmittel- bar in diese Tradition.

Beethoven und das Musikdrama

Ludwig van Beethoven markiert in dieser Genealogie einen ergänzenden Zwischen- schritt zum synthetischen Musikdrama der Romantik. Er ist noch der Protagonist einer musikalischen Ästhetik des Schönen und Erhabenen, deren sittliches Programm sich in den Dienst einer Veredelung des Menschen stellt. Schon die Absicht, bereits im Jahre 1793 Schillers Ode an die Freude als Strophenlied zu komponieren, verweist auf einen sowohl idealistischen als auch sozial-utopischen Aspekt mit ganzheitlichem Anspruch, „nämlich die der griechischen Antike nachempfundene Vorstellung eines dichterisch- musikalischen Gesamtkunstwerks von idealem, gemeinschaftsstiftendem Wert.“409 Aber auch Beethovens Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 (1804) bezeichnet nicht nur den „ei- gentlichen Beginn der großen Epoche der klassisch-romantischen Symphonik“410, son-

407 Wolfgang Amadeus Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Bd. III. 1780-1786. A. a. O. S. 167. 408 Stefan Kunze: Mozarts Opern. A. a. O. S. 181f. 409 Martin Geck: Ludwig van Beethoven. 5. Aufl 2001. Reinbek bei Hamburg 1996. S. 22. 410 Arnold Werner-Jensen: Ludwig van Beethoven. Reihe: Reclams Musikführer. Stuttgart 1998. S. 300.

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dern auch „das erste instrumentalmusikalische Ideenkunstwerk der Musikgeschichte“411, das im Gegensatz zu Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung eine autonome Selbster- schaffung des Menschen andeutet. Bereits von den romantischen Zeitgenossen um 1800 wird eine ideell bezogene Instrumentalmusik reflektiert:

„Wer aber Sinn für die wunderbaren Affinitäten aller Künste und Wissenschaften hat, wird [...] eine gewisse Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmöglich finden. Muß die reine Instrumentalmusik sich nicht selbst einen Text er- schaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variiert und kontras- tiert, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe?“412

In der Symphonie Nr. 9 op. 125 bedient sich Beethoven im Schlusssatz eines integralen Verfahrens, das seinen Spätstil entscheidend kennzeichnet: „In diesem riesenhaften Satz [...] wird das Verschmelzen von Formen und Gattungen vorgeführt, das für Beethovens späte Periode so charakteristisch ist.“413 Das mit dieser Chorsymphonie verbundene Menschheitspathos formuliert den ideengeschichtlichen Geist der Aufklärungsepoche neu: „Die Symphonie ist ein Appell an die Menschen, eine neue, bessere Gesellschafts- ordnung zu begründen und in alle Zukunft zu erhalten. Sie ist [...] ein Appell zur Revo- lution aller Verhältnisse [...].“414 Vor dem Hintergrund der geschichtsphilosophischen Ausrichtung wird der Festcharakter des Chorfinales plausibel: Dieses illustriert keines- wegs mehr das arkadisch-imaginäre Ambiente eines bukolischen Rokokofestes; auch übersteigt es die national-integrative Festidee des aufkommenden Besitz- und Bildungs- bürgertums. Beethovens Chorfinale imaginiert das Fest einer aufgeklärten und freien Menschheit415 und muss darum vielmehr als „ein Appell an eine universelle Öffentlich- keit“416 der neuen Epoche betrachtet werden. Beethovens Singspiel417 Fidelio, oder die eheliche Liebe op. 72 (1805-14)418 ist formal noch an der traditionellen, durchgegliederten Nummernoper orientiert. Der cha-

411 Peter Schleuning: 3. Symphonie Es-Dur Eroica op. 55. In Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus, Alexander L. Ringer (Hg.): Beethoven. Interpretation seiner Werke. Bd. 1. Laaber 1994. S. 388. 412 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 254 413 Nicholas Marston: Die Symphonien. In Barry Cooper (Hg.): Das Beethoven-Kompendium. Sein Leben – seine Musik. München 1992. S. 259. 414 Wilhelm Seidel: 9. Symphonie d-Moll op. 125. In Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus, Alexander L. Ringer (Hg.): Beethoven. Bd. 2. A. a. O. S. 253. 415 Otto Baensch: Aufbau und Sinn des Chorfinales in Beethovens neunter Sinfonie. Reihe: Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Universität Frankfurt/Main. Neue Folge 11. Berlin, Leipzig 1930. S. 54ff. 416 Nicholas Marston: Die Symphonien. In Barry Cooper (Hg.): Das Beethoven-Kompendium. A. a. O. S. 259 417 Näheres zur schwierigen Gattungsbezeichnung von Beethovens Fidelio in Konrad Küster: Beethoven. Stuttgart 1994. S. 178ff. 418 Über die Entstehungs- und zugleich Problemgeschichte der drei Versionen (Leonore I, Leonore II und Fidelio) dieser Oper siehe Kurt Pahlen: Zur Geschichte des »Fidelio«. In Ludwig van Beethoven: Fidelio. Textbuch, Einführung und Kommentar. Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Ro- semarie König. Reihe: Opern der Welt. Mainz, München 1986. S. 115-148.

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rakteristische Szenentypus im Fidelio ist das Tableau, ein szenisch-musikalisch gedehn- ter Augenblick, in dem kollektives Erstaunen oder kontemplatives Innehalten die drama- tische Abfolge des Geschehens hemmt oder gar unterbricht, um einer u.a. von Diderot, Lessing und Herder eingeforderten Gefühlsästhetik Entfaltungsspielraum zu geben.419 Gattungsspezifisch hingegen weist das Werk gerade wegen seinen mannigfaltigen As- similationstendenzen über die traditionelle Verortung zwischen Wiener Singspiel und Opéra comique hinaus: „Und an Beethovens Fidelio läßt sich zeigen, daß eine eigen- tümliche, ästhetisch zunächst fragwürdig erscheinende Mischung von Gattungen [...] den besonderen Charakter der Oper mitbegründet.“420 Diese Verbindung zweier vorder- gründig gegensätzlicher Dramentypen findet bereits in den sogenannten Genres in- termédiaires statt. Hier vermischen sich Gefühlsmomente wie Sympathie, Mitleid, Rüh- rung und Bewunderung zu einem theatralischen Totalaffekt, der durch ein mehrsätziges italienisches Aktionsfinale421 noch verstärkt wird. Diesem dramatischen Kalkül folgt Beethovens Fidelio, in dem gegensätzliche Sphären zunächst miteinander verschränkt und dann zielstrebig dialektisch aufgehoben werden.

„Hinter der [...] operntypischen Konstellation eines französischen Rettungsstoffes mit den Gegensätzen von Gefangenschaft und Befreiung, Liebe und Niedertracht, Gut und Böse scheint er nicht nur die bei weitem prinzipielleren Gegensätze von Idylle und Ent- setzen, kleinbürgerlicher Geborgenheit und heroischem Freiheitskampf, Schlichtheit und Erhabenheit, Einfalt und Größe erkannt zu haben. [...] Das musikalisch-dramaturgische Problem bestand darin, die Gegensätze in ihrer Vielschichtigkeit differenziert genug auf- einander treffen zu lassen, sie herauszuarbeiten, aber sie auch zu integrieren.“422

Aber auch Beethovens Orchesterbehandlung in Fidelio beschreitet neue Wege: Vor al- lem die Klangfarbengestaltung der Kerkerszene [II; Nr. 11] erreicht eine Verdichtung der musikalischen Form- und Satzelemente, die unmittelbar auf synästhetische Effekte ausgerichtet ist. In der Fiebervision Florestans vermischen sich die sinnlichen Wahr- nehmungsformen sowohl sprachlich: „Und spür‟ ich nicht linde, sanft säuselnde Luft? und ist nicht mein Grab mir erhellet? ich seh‟ wie ein Engel im rosigten Duft sich trös- tend zur Seite, zur Seite mir stellet“423 als auch musikalisch:

419 Peter Szondi: Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im achtzehnten Jahrhundert. Frank- furt/Main 1973. S. 116. Siehe auch Peter Szondi: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Studienaus- gabe der Vorlesungen. Bd. 2. Senta Metz, Hans-Hagen Hildebrandt (Hg.). Frankfurt/Main 1974. S. 49f und S. 73. 420 Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit. 2. Aufl. Laaber 1988. S. 223. 421 Matthias Brzoska: Dramaturgie und Fassungsproblematik am Beispiel des ersten Finales. In Wolf- ram Steinbeck: Ein neues Opernkonzept. Zur Finalidee des Fidelio. In Helga Lühning, Wolfram Steinbeck (Hg.): Von der Leonore zum Fidelio. Vorträge und Referate des Bonner Symposions 1997. Bonner Schriften zur Musikwissenschaft. Bd. 4. Frankfurt/Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien 2000. S. 273. 422 Wolfram Steinbeck: Ein neues Opernkonzept. Zur Finalidee des Fidelio. In Helga Lühning, Wolf- ram Steinbeck (Hg.): Von der Leonore zum Fidelio. A. a. O. S. 136. 423 Ludwig van Beethoven: Fidelio. Partitura. István Máriássy (Hg.). Budapest 1993. S. 160.

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„Da steht im Anfange ein Komplex, der eine neue, in weite Zukunft deutende Art des Hörens bekundet, das, farbwertig, fast schon dem Sehen nahekommt: die Kerkerszene in Beethovens »Fidelio«. So klar die konstruktive Grundlinie auch immer ist, über ihr liegt in seltsamem Scheinen die romantische Farbe in geisterhafter Transparenz. Orchestervor- trag und Orchesterbereicherung ergeben ein neues Klangbild, das die Musik der Farbe, wie sie dem romantischen Geiste vorschwebt, über Berlioz und Weber in die zusammen- fassende Kunst Wagners in steil aufgerichtetem Bogen ergießen wird.“424

Mit dieser Klangfarbenästhetik gekoppelt ist u.a. auch die Aufwertung der transzenden- talen Anteile, welche die Verschmelzung von bürgerlich-häuslicher Idylle und sozialer Utopie425 zu überdecken beginnt. Ist der rettende Deus ex machina in Gestalt des Minis- ters noch ein typologisches Requisit aus der Rumpelkiste der alten Opera seria, so wird der sozialpolitische Aspekt dieser szenisch-gegenständlichen, dramaturgisch aber nicht unbedingt notwendigen Rettungstat gerade von der metaphysisch-erlösenden Wirkungs- ästhetik der Musik abgelöst. Und auch der Effekt eines acht Takte währenden Verstum- mens der Musik zwischen den beiden B-Dur-Trompetensignalen, welche die nahende Befreiung ankündigen, verstärkt und überhöht diesen melodramatischen Moment einer finalen Rettung.

„Der plötzlich aufgehaltene Sturm der Musik im ersten Erklingen des Trompetensignals und der Einbruch der gesprochenen Sprache nach seinem zweiten Erklingen – das sind Momente der Grenzüberschreitung zwischen Singspiel und symphonischem Musikdrama [...].“426

Schließlich verweisen auch leitmotivische Verschränkungen direkt auf das romantische Musikdrama. Die Tonsatz-Charakteristika der Protagonisten427 sowie die musikalisch- rhythmische Universalsprache eines Élan révolutionaire weisen voraus auf die europäi- sche Opernromantik. Einen Bezug zum romantischen Musikdrama lässt sich vor allem in der dritten der vier Ouvertürenversionen stiften, die bereits Richard Wagner „ein Drama im idealsten Sinne“428 nennt.

„Aus dem Bestreben, die Horizonte der Oper aufzureißen, war eine Tondichtung von er- heblichen Dimensionen entstanden, die [...] den Gegenstand schon einmal auf eigene Weise abhandelte, eine Vorwegnahme, die andererseits, indem sie sich zitierend auf das Nachfolgende bezog, von ihm abhing, ja dessen Kenntnis eigentlich voraussetzte.“429

424 Theodor Wilhelm Werner: Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland. In Guido Adler (Hg.): Handbuch der Musikgeschichte. Bd. 3: Dritte Stilperiode. Zweiter Teil. 5. Aufl. München 1985. S. 866. 425 Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit. A. a. O. S. 229. 426 Ulrich Schreiber. KDO. Bd. 2. S. 59. 427 Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Zwei Bände. Bd. 2. Österreich, Deutsch- land. Berlin 1961. S. 570ff. 428 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 61. 429 Peter Gülke: » ... Immer das Ganze vor Augen«. Studien zu Beethoven. Stuttgart, Weimar, Kassel.

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Über die Intention einer Verschränkung von Ouvertüre und Drama versucht Beethoven die Oper von der Flüchtigkeit saisonaler Aufführungs- und Rezeptionsbedingungen zu befreien und über die Etablierung eines Repertoiretheaters die Möglichkeit zu einer ein- gehenderen Beschäftigung zu eröffnen. Diese Prämisse korrespondiert mit der klassi- schen Idealität der Beethovenschen Sinfonie, die sich auf ein ideales Rezipientenkollek- tiv bezieht: „Er komponiert also nicht nur das, was in der Partitur deutlich zu lesen steht, er komponiert auch gleichzeitig ein ideales Bild des Raumes und der Hörer- schaft.“430 Eine ähnlich werküberschreitende und zugleich integrale Bedeutung haben auch Beethovens Schauspielmusiken. Auch hier sind die einzelnen Strukturelemente eng miteinander verschränkt und unmittelbar aufeinander bezogen. Die Bühnenmusik zu Goethes Drama Egmont (1810) umfasst vier zweigeteilte Zwischenaktmusiken, die sich jeweils auf den vorausgegangenen sowie auf den nachfolgenden Akt beziehen. Diese Zwischenaktmusiken sind formal, strukturell und motivisch unmittelbar mit dem Dra- ma, in das sie integriert sind, verknüpft und entsprechen damit den dramaturgischen Standards der Epoche.431 Gemeinsam mit Franz Grillparzer beabsichtigt Beethoven ein musikalisches Schauspiel unter dem Titel Melusina zu entwerfen, in dem Drama, Melodrama, sinfoni- sche Musik und Chor miteinander verschmolzen werden und in dem einzelne Personen durch musikalische Themen leitmotivisch gekennzeichnet werden sollen. Auch wenn Grillparzers anachronistisches Musikverständnis eine Vermischung der beiden Faktoren ablehnt, so ist die Konzeption seiner Melusine-Textfassung dennoch synthetisch ange- legt. So „beschreitet auch der Librettist Grillparzer [...] den Weg in Richtung auf eine möglichst dichte musikalische Gestaltung der Oper.“432 Beethovens Musiktheaterauffas- sung ist gekennzeichnet durch eine entschiedene Emanzipation von den tradierten For- men der italienischen Opera seria. In dieser Hinsicht überschneiden sich seine Zielvor- stellungen mit den integrativen Verfahren des romantischen Musikdramas und weisen direkt auf die Opernreform Richard Wagners:

„Beethovens neuer Idee von der Oper lag also ein rigoroser Verzicht auf Arien, Duette und Ensembles und die Abschaffung jeglicher traditioneller Opernformen zugrunde. An ihre Stelle tritt ein Rezitativ und ein unaufhörliches Deklamieren (das bereits Wagners unendliche Melodie vorankündigt), das funktional gebunden ist an die dramatische Hand- lung und an die Musik, die sich nicht darauf beschränkt, diese Handlung nur zu stützen, sondern die sie in eigener Sprache wiedergibt und kraftvoll ausdrückt. Das heißt also, ein ______2000. S. 262. 430 Paul Bekker: Die Sinfonie von Beethoven bis Mahler. Berlin 1918. S. 13. 431 Konrad Küster: Beethoven. A. a. O. S. 270. 432 Hermann Keckeis: Revolution und Idealismus. Auf dem Weg vom deutschen Singspiel zur deut- schen Oper. In Peter Csobádi, Gernot Gruber u.a. (Hg.): Fidelio/Leonore. Annäherungen an ein zentrales Werk des Musiktheaters. Vorträge und Materialien des Salzburger Symposions 1996. Reihe: Salzburger akademische Beiträge. Salzburg 1998. S. 71.

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Theater, wo dramatische Handlung und symphonische Instrumentalmusik den Vorrang gegenüber dem Gesang haben [...]. Das neue Odeon, das von Herder gepredigte ideale Theater, in dem Dichtung, Musik und Aktion ein Ganzes bilden sollten, war bereits bei Beethoven erfaßt und vorweggenommen worden, auch wenn es geschichtlich seine Ver- wirklichung erst im Wort-Ton-Drama Wagners gefunden zu haben scheint.“433

Als gleichfalls wegweisend kann die Instrumentalmusik Beethovens betrachtet werden: In musikästhetischer Hinsicht steht diese den synthetischen Anschauungen der Roman- tik näher als seine Rettungsoper. Vor allem die späten Werke, insbesondere die Klavier- sonate Op. 111, die späten Streichquartette Op. 127 bis Op. 135, die Große Fuge Op. 133 sowie die Symphonie Nr. 9 Op. 125 bedeuten im Kontext einer ausdruckspotenzie- renden Überwindung mimetischer Vorgaben nicht nur eine Abkehr vom heroischen Stil der klassischen Sonatensatzform, sondern auch eine Bemühung, „die Sprache [...] der dramatischen Vorgänge im Inneren des Menschen, zu finden.“434 In formaler Hinsicht erzeugt gerade „die Dynamik der Prozeßhaftigkeit435 ein beinahe paradigmatisches Ton- Drama. Von Beethovens Neunter Symphonie ausgehend entwirft Richard Wagner sein Programm des »Kunstwerks der Zukunft« in der Gestalt eines allgemeinen Dramas, „zu dem Beethoven uns den künstlerischen Schlüssel geschmiedet hat.“436 Paradigmatisch für Wagners Verständnis von einem modernen Musikdrama ist dabei Beethovens perio- densprengende Ausdehnung der Melodie – vor allem im Schlusssatz der A-Dur- Sinfonie. Die Tanzstruktur dieses Finalsatzes bedeutet für Wagner nichts anderes als ei- ne dramatische Aktion.437 Ganzheitlich ist auch Beethovens Kompositionsauffassung. In einem Brief an Friedrich Treitschke schreibt er: „Auch in meiner Instrumentalmusik ha- be ich immer das Gantze vor Augen [...].“438 Diese Dynamik macht eine Tendenz augen- scheinlich, die aus der beschränkenden, einzig auf sich selbst verweisenden Enge des Einzelwerkes auszubrechen bestrebt ist

„und über die Margen je partikularer Ganzheiten auf umfassendere hinauszuschauen, vom Thema auf das Ganze des Satzes, vom Satz auf das Ganze des Werkes, vom Werk auf das Ganze einer Werkgruppe, [...] von der Musik auf das Ganze eines Lebens- oder Weltzusammenhangs, worin Musik wiederum nur eine Partikularität darstellt.“439

Querverweise, Parallelbildungen, Assoziationsfelder, Rückbezüge und Vorausdeutun- gen verorten sein Werk letztendlich im Kontext einer einheitlichen Existenzauffassung.

433 Luigi Magnani: Beethovens Konversationshefte. München 1967. S. 62f. 434 . Kritische Studienausgabe (weiterhin mit KSA bezeichnet). Giorgio Colli, Mazzino Montinari (Hg.). Bd. 1. München 1988. S. 491. 435 Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen Idealismus. Stuttgart und Wei- mar 1993. S. 20. 436 Richard Wagner. GSD. Bd. 10. S. 103f. 437 Richard Wagner. GSD. Bd. 1. S. 216. 438 In Ludwig van Beethoven: Briefe. Eine Auswahl. 3. Aufl. Hansjürgen Schäfer (Hg.). Berlin 1974. S. 88. 439 Peter Gülke: »... immer das Ganze vor Augen«. Studien zu Beethoven. A. a. O. S. 2.

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Kunst, Künstlertum und Leben werden vor diesem Hintergrund zu einem ganzheitlichen Kontinuum zusammen gedacht. Die romantische Synthese von Kunst und Leben wird hier präfiguriert. Vor diesem Hintergrund wandelte sich auch Beethovens Zielrichtung, denn er komponiert nicht mehr für die elitäre Aristokratie, sondern für einen bürgerli- chen Kennerkreis.

„Beethoven ist der erste, der in manchen seiner Werke dem Grundsatz des »l‟art pour l‟art« zu folgen scheint. [...] Beethovens Sonaten sind nicht mehr zur Unterhaltung, für die »Gesellschaft«, für den Salon geschrieben, sondern sind reine Dokumente der Kunst. [...] Mit dieser neuen Stellung zur Gesellschaft und zur Welt ist Beethoven zum Vorbild der Romantik geworden. [...] Und es war hauptsächlich die Figur Beethovens, nach der die Romantik ihren Begriff des »Künstlers« geformt hat.“440

Beethoven komponiert für ein anonymes, egalitäres und ideales Publikum, das nicht un- terhalten, sondern geeint und erhoben werden soll. Aus dieser idealistischen Bildungsäs- thetik entwickelt sich seine Musik allmählich zu einem esoterischen Modell hermeti- scher Abgeschlossenheit, dessen Selbstreferenzialität die romantische Musikästhetik und den späteren Ästhetizismus des Fin de siècle vorweg nimmt.

440 Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik. Stuttgart 1992. S. 15.

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Ästhetische Prämissen des Gesamtkunstwerks

Wertewandel und Dissoziationsdiagnosen

Historische Zergliederungsszenarien

Synthetische Entwürfe und Programme sind in allen großen Kulturepochen und Gesell- schaftsformen zumeist eine Reaktion auf Zerfalls- und Auflösungserscheinungen. Uni- versalgeschichtliche sowie epochenspezifische Erosionsprozesse können an gesell- schaftlichen, wirtschaftlichen, politischen, religiösen, kulturellen, ästhetischen, städte- baulichen sowie an infrastrukturellen Umbrüchen abgelesen werden. Einen historischen Ursprung gesellschaftlicher Differenzierungen kann man bereits in der mesopotami- schen Hochkultur verorten.441 Schon die Antithese von ursprünglichem Chaos und einer daraus resultierenden ausdifferenzierten Welt innerhalb der antiken Mythologie kündet von einem steten Einheitsverlust seit Anbeginn kultureller Reflexionen: „Wahrlich, am Anfang entstand das Chaos“442, heißt es in der Theogonie des griechischen Mythogra- phen Hesiod (um 700 v. Chr.), der seinerseits in einer noch älteren frühkulturellen Tra- dition steht.443 Einheit, Zergliederung und erneute Vereinigungen bilden in der mytholo- gischen Urtextur jene Matrix, auf der sich die Dialektik von kulturellem Aufblühen und Verfall abbildet. Nach zahlreichen Differenzierungen mündet der Mythos schließlich in die Geschichte. Religionsgeschichtlich kann eine große Zahl von Auflösungserscheinungen mit den großen Schismen innerhalb des Christentums, aber auch mit den Auswirkungen von politischen Umbrüchen oder Glaubenskriegen verbunden werden. Das Resultat ist eine umfassende Zergliederung des geistig-ideellen abendländischen Einheitsraumes, welche begleitet wird von diversen, stetig fortschreitenden Säkularisierungsprozessen.444 Nach den europäischen Religionskriegen zerfällt nicht nur das bislang einheitlich gedachte christliche Abendland in vielfältige moderne Staatengebilde; auch die ehema- lige Einheit von politischer Macht und christlicher Kirche findet ein Ende. Mit der Trennung der weltlichen Herrschaft von einer diese legitimierenden sakralen Sphäre wird zugleich die augustinische Dialektik von Diesseits und Jenseits aufgehoben. Die

441 Näheres dazu bei Hans Jörg Nissen: Grundzüge einer Geschichte der Frühzeit des Vorderen Ori- ents. 3. Aufl. Darmstadt 1995. 442 Hesiod: Theogonie. Werke in einem Band. Übersetzung: Luise und Klaus Hallof. Berlin, Weimar 1994. S. 8. 443 Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. A. a. O. S. 116ff. 444 Näheres dazu bei Heinz-Horst Schrey (Hg.): Säkularisierung. Darmstadt 1981sowie bei Hartmut Lehmann (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Euro- pa. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Göttingen 1997.

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zyklische Vorstellung einer christlichen Eschatologie wird von den Zergliederungspro- zessen einer fortschreitenden Welt- und Universalgeschichte abgelöst.445 Die tradierte Ordnung der abendländischen Welt und deren sinnstiftenden Werte und Orientierungen verlieren im Zuge dieser Ausdifferenzierung an Bedeutung. Folge dieser allgemeinen Zergliederung sind vor allem in der Barockepoche eine wachsende Diversifikation des privaten und gesellschaftlichen Umfelds: „Während des 16. Jhs. wurde die neue Man- nigfaltigkeit als ein erschreckender Riß erfahren, der dem Menschen ein Gefühl des Zweifels und der Fremdheit gab.“446 Die Entstehung frühbürgerlicher Eliten (Akademi- ker, Gelehrte, Wissenschaftler, Beamte und Kaufleute) tragen ebenso zu einer gesell- schaftlichen Polarisierung bei wie die Emanzipation der reformierten Laienkultur von der Dogmatik des Katholizismus: „eine alle sozialen Gruppen und Klassen, Staaten und Kirchen umfassende ›Barock‹-Kultur hat es nie gegeben [...].“447 Die Intensivierung der Warenproduktion, eine damit verbundene Spezialisierung und eine Steigerung der Nachfrage verstärken den Prozess der Auflösung traditionell einheitlicher Lebenswei- sen. In diesen Kontext gehört auch die Vorstellung von der Welt als Maschine, deren Räderwerk aus zahllosen zusammenwirkenden Einzelteilen besteht: „Das mechanisti- sche Weltbild des höfischen Absolutismus sah die Weltmaschine, die machina mundi [...] als logisch konstruierte, in sich schlüssige und vielfach ineinandergreifende Ma- schine.“448 Beherrschender Modus all dieser Tendenzen ist die Analyse:

„>Analyse< heißt, wörtlich übersetzt, Auflösung, Zersetzung. Sie richtet sich also gegen synthetische Gebilde, denen sie nachweist, daß der synthetische Zustand nichts Ur- sprüngliches, sondern in seine Atome Zerlegbares ist. In der Analyse artikuliert sich das Interesse der aufsteigenden Bürgerklasse: Ihr diente das [...] bewährte Mittel der Analyse dazu, haltlos gewordene Glaubensgewißheiten – wie vor allem die, auf der der Feudalis- mus beruhte: das Gottesgnadentum – wie Festungen zu schleifen. Alles wurde zerlegt, auch der menschliche Geist, der sich [...] als eine hochkomplexe, indessen exakt analy- sierbare Maschine enthüllte.“449

Analytische Zerfallserscheinungen markieren seit Beginn der Neuzeit einen dissoziati- ven Fluchtpunkt, der den Verlust einer ganzheitlichen, sinnstiftenden Mitte als neuralgi- schen Punkt der anbrechenden Moderne kennzeichnet. Vor diesem Hintergrund entwi- ckelt Friedrich Schiller in seiner Schrift Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) „eine weitreichende Diagnose über das Erscheinungsbild der modernen Lebens-

445 Octavio Paz: Verbindungen – Trennungen. Frankfurt/Main 1969. S. 138f. 446 Christian Norberg-Schulz. Barock. Reihe: Weltgeschichte der Architektur. Stuttgart 1986. S. 5. 447 Richard van Dülmen: Entstehung des frühneuzeitlichen Europa. 1550-1648. In Fischer Weltge- schichte. Bd. 24. 9. Aufl. Frankfurt/Main 2000. S. 251. 448 Heinz Herbert Mann: Die Uhren und die Zeiten. In Carl Aigner u.a. (Hg.): Zeit/Los. A. a. O. S. 105. 449 Manfred Frank: Zwei Jahrhunderte Rationalitäts-Kritik und ihre »postmoderne« Überbietung. In Dietmar Kamper, Willem van Reijen (Hg.): Die Unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmo- derne. Frankfurt/Main 1987. S. 106.

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welt“450, deren Partikularisierungstendenzen die idealistische Universalität des Individu- ums elementar unterlaufen.

„Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Be- lohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus; ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck sei- nes Geschäfts, seiner Wissenschaft.“451

Was Schiller den geistigen Strömungen seiner Zeit entnimmt, ist ein enormes Unbeha- gen an der theoretisch-wissenschaftlichen Kultur der Aufklärung im Zeichen einer alles beherrschenden Nützlichkeit. „Er beschreibt sie als geschlossenes System der Zweckra- tionalität und der instrumentellen Vernunft, als eine Gesellschaftsmaschine [...].“452 Das Unbehagen an der bislang positiv beurteilten Allmacht des Geistes mündet schließlich in einen übersteigerten Affekt gegen die Rationalisierung der Welt. Diese findet u.a. Ausdruck in einer mechanistischen Zergliederung, die unmittelbar einhergeht mit einer Entzauberung der Wirklichkeit. An die Denkfigur einer mechanistischen Aufklärungs- anthropologie knüpft Jakob Michael Reinhold Lenz mit seinem Aufsatz Über Götz von Berlichingen (1775) an.

„Wir werden geboren [...] es entsteht eine Lücke in der Republik, wo wir hineinpassen [...] wir drehen uns eine Zeitlang in diesem Platz herum wie die andern Räder und stoßen und treiben – bis wir [...] abgestumpft sind und zuletzt wieder einem neuen Rad Platz machen müssen [...] und was bleibt nun der Mensch noch anders als eine vorzüglich- künstliche kleine Maschine, die in die große Maschine, die wir Welt, Weltbegebenheiten, Weltläufte nennen besser oder schlimmer hineinpaßt.“453

Neben das Bild von einem Zusammenwirken der Einzelteile in der Republikmaschine tritt die zukunftsweisende Vorstellung von der Austauschbarkeit des Individuums im großen Staatsapparat. Diese künstliche Maschinerie bezeichnet noch Johann Gottlieb Fichte in seiner Schrift Reden an die Deutsche Nation (1808) als eine feste und tote Ordnung, deren funktionaler Modus allein darauf ausgerichtet ist,

„alles Leben in der Gesellschaft zu einem großen und künstlichen Druck- und Räderwer- ke zusammenzufügen, in welchem jedes einzelne durch das Ganze immerfort genötigt werde, dem Ganzen zu dienen [...]. Das Ausland hat vielfältig diesen Grundsatz ausge-

450 Peter-André Alt: Schiller. Leben – Werk – Zeit. Zwei Bände. Bd. 2. München 2000. S. 129. 451 Friedrich Schiller. NA. Bd. 20. S. 323. 452 Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. München 2007. S. 44. 453 Jakob Michael Reinhold Lenz: Über Götz von Berlichingen. In Werke und Briefe in drei Bänden. Sigrid Damm (Hg.). Bd. 2. Lustspiele nach dem Plautus, Prosadichtungen, Theoretische Schriften. Frankfurt/Main und Leipzig 1992. S. 637.

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sprochen, und Kunstwerke jener gesellschaftlichen Maschinenkunst geliefert; das Mut- terland hat die Lehre angenommen und die Anwendung derselben zur Hervorbringung gesellschaftlicher Maschinen weiter bearbeitet [...].“454

Hinzu kommt die Disziplinierung des Individuums zu einem funktionablen Element der Staatsmaschine. Entsprechende Formen der körperlichen Konditionierung sind bereits im höfischen Regelwerk des Ancien régime vorgebildet und werden in den spezifischen Tanzformen der Adelsgesellschaft genauso eingespielt und reproduziert wie im Drill der diversen Militärmaschinen: „Der Mensch wird als Maschine verstanden, deren einzelne Teile so zugeschliffen werden müssen, daß sie [...] nach mechanistischen Bewegungs- prinzipien als Ganzes funktionieren.“455 Alle diese dissoziativen Bilder und Metaphern einer mechanistischen Zergliederung werden von der romantischen Rationalitätskritik den rational-reflexiven Strukturen des Verstandes zugeordnet, was auch der Philosoph Hegel als Axiom festlegt:

„weil der Verstand statt zu jener Einheit durchzudringen, stets deren Unterschiede nur in selbständiger Trennung festhält, insofern ja die Realität etwas ganz anderes als die Ideali- tät, das Sinnliche etwas ganz anderes als der Begriff, das Objektive etwas ganz anderes als das Subjektive sei und solche Gegensätze nicht vereinigt werden dürften. So bleibt der Verstand stets im Endlichen, Einseitigen und Unwahren stehen.“456

Vernunft ist also keineswegs a priori das Ganzheitsmodell schlechthin. Sie gründet ih- rerseits in einem synthetischen Akt, dessen analytische Ambivalenz, sowie dessen be- grifflich gebändigte Einheit nur in einem selbstreferentiellen System von Geist und Weltgeist gewährleistet und aufgehoben werden kann. Jegliche Dissoziationskritik der Wendezeit um und nach 1800 wird sich an diesem problematischen Axiom einer sich selbst begründenden, jedoch auch sich selbst ausdifferenzierenden Vernunft abarbeiten. Der gescheiterte Versuch, die im Verlauf der kulturellen Progression eingebüßte Ganz- heit in einem geschichtsphilosophischen Diskurs zu rekonstituieren, wird auch zum Ge- genstand einer synthetischen Kunstutopie werden. Mit der voran schreitenden Egalisierung der Wertgefüge um 1800 geht sowohl die Sicherheit des Denkens als auch das glaubensgewisse Vertrauen auf eine übergeordnete Geborgenheit verloren. Das Individuum ist vielfältigen Umbrüchen, Veränderungen, neuen Strömungen und Einflüssen ausgesetzt. Dieser Wandel beginnt den bislang über- schaubaren Wahrnehmungsraum vollständig zu entgrenzen; ein eruptiver universalge- schichtlicher Umbruch erfasst nach 1800 alle Lebens- und Wahrnehmungsbereiche. Dieser Umstand verstärkt die Sehnsucht nach ästhetischen oder metaphysischen Gegen-

454 Johann Gottlieb Fichte: Reden an die Deutsche Nation. Philosophische Bibliothek. Bd. 204. Ham- burg 1978. S. 110. 455 Rudolf Braun, David Gugerli: Macht des Tanzes – Tanz der Mächtigen. Hoffeste und Herr- schaftszeremoniell 1550-1914. München 1993. S. 174. 456 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 13. S. 152.

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entwürfen, um so mehr als die Welt aus Gottes Hand gefallen zu sein scheint. Soziale oder anthropologische Verlusterfahrungen führen zu einem bereits von inspirier- ten und seit der Renaissance literarisierten Et in ego.457 Von Hemsterhuis, Hölderlin, Jean Pauls bis hin zu Eichendorffs Satire Auch ich war in Arkadien (1832) bringt diese Denkfigur jenes Unbehagen an der empirisch erfahrenen Wirklichkeit zum Ausdruck, das Kunst immer schon beseelt hat.458 Die rückwärts gewandte Sehnsucht nach dem Verlorenen Paradies und die in die Zukunft projizierte Erwartung eines Gol- denen Zeitalters entsprechen einander und haben ihren Ursprung in der Erfahrung einer defizitären Gegenwart sowie in der unbewussten Sehnsucht einer Reintegration der in- dividuellen Existenz in ein harmonisches Weltganzes.459

Dissoziationsbefunde im frühen 19. Jahrhundert

Die romantischen Epoche ist eine Zeit der irreversiblen Umbrüche. Schon Goethe be- merkt die Unmöglichkeit, „nun die Dampfmaschinen zu dämpfen“460 und bezeichnet damit nichts anderes als den weltumstürzenden Prozess eines alles mit sich reißenden Fortschritts. Kennzeichnend für die romantische Stimmungslage um und nach 1800 ist eine Wirklichkeitsauffassung, die in der Alltagswelt ein höchst defizitäres Projekt461 er- blickt: „das Ungenügen an der eigenen, unvollendeten Gegenwart ist der gemeinsame Nenner der konservativen wie der progressiven Romantiker [...].“462 Hinzu kommen um- fassende Dissoziationsszenarien, mit denen eine allgemeine Beschleunigung korrespon- diert, welche die Methoden der Problembewältigung einer fundamentalen Revision un- terwirft.463 So ist die Jahrhundertwende gekennzeichnet durch ein Krisenbewusstsein, das sich als das Zentralmotiv einer universalgeschichtlichen Zäsur artikuliert.464 Die Zergliederungsfaktoren einer zivilisationsbedingten Auflösungsgeschichte, die schon

457 ‚Et in arcadia ego‟ bezeichnet eine von dem Maler Giovanni Francesco Barbieri (Il ) ge- prägte und von tradierte Bewusstseinshaltung, die vor allem auf Verlusterfahrung gründet. Die Metapher vom verlorenen Arkadien wurde von Johann Georg Jacobi in der Winterrei- se (1769) und von Friedrich Schiller in dem Gedicht Resignation (1786) aufgegriffen. 458 Selbst die eskapistischen Gegenwelten der Idyllen und Pastoralen in Barock und Rokoko artikulie- ren in ihren naturverbundenen, unversehrten Kontrastbildern ein Unbehagen an den Zwängen und Entfremdungstendenzen der feudalständischen Gesellschaft. Siehe dazu Gisold Lammel: Tagträu- me. Bilder im Lichte der Aufklärung. Amsterdam 1993. S. 209ff. 459 Siehe dazu auch Eberhard Roters: Jenseits von Arkadien. Die romantische Landschaft. Köln 1995. S. 133. 460 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 12. S. 389. 461 Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Frankfurt/Main 1979. 462 Hans Robert Jauss: Literarische Tradition und gegenwärtiges Bewußtsein der Modernität. In Hans Steffen (Hg.): Aspekte der Modernität. Göttingen 1965. S. 179. 463 Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München 1976. S. 16. 464 Siehe dazu auch Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Drei Bände. München 1987/1995.

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Schiller diagnostiziert, Hölderlin in seinem Roman Hyperion (1797-99) „die Dissonan- zen der Welt“465 nennt und in die Alleinheit einer geschichtlichen Vision überführt,466 kollidieren in der Frühromantik mit jenem bürgerlichen Subjekt, das seine Utopiebega- bung sowie seinen Idealismus bereits eingebüßt hat. Der größere Entfaltungsspielraum, den die nachrevolutionäre, frühkapitalistische, teilindustrialisierte Epoche bietet, wird flankiert von einer voranschreitenden Entfremdung und Depersonalisierung des Indivi- duums.

„Ein Grunderlebnis der Romantik war, daß aus der fortschreitenden Arbeitsteilung, Spe- zialisierung, Zerstückelung die Individualität [...] fragmentiert hervortrat. [...] in der kapi- talistischen Welt sah sich der Einzelne unvermittelt der Gesellschaft, als Fremder dem Fremden, gegenüber [...].“467

Diese Grunderfahrung einer Gesellschaft und Individuum zerrüttenden Dissoziation spiegelt sich sowohl in der Poetologie ironischer Grenzauflösungen als auch in den Pro- grammen fiktionaler oder metaphysischer Gegenentwürfe. Für die repräsentativen Dich- ter und Denker der Frühromantik ist der negative gesellschaftliche Befund ihrer Ver- hältnisse eindeutig mit den voranschreitenden, umfassenden Auflösungserscheinungen und einem damit verbundenen Sinn- und Einheitsverlust verknüpft. Ex negativo kann man aus den ästhetischen sowie den anthropologischen Gegenentwürfen von der Frühromantik bis hin zu Richard Wagner die voranschreitenden Zergliederungen und Ausdifferenzierungen sowie das Schwinden der alten europäischen Zentralwerte able- sen. In Anlehnung an Schillers Zergliederungsbefund sowie an Fichtes Wissenschafts- lehre beurteilt Friedrich Schlegel den Charakter des Zeitalters als eine Entwicklungsge- schichte der Zersetzung und des Zerfalls. Gerade weil Schlegel in seiner Epoche den Höhepunkt einer gesamtgesellschaftlichen Dissoziation erkennt, betrachtet er diese kei- neswegs als das Ereignis eines singulären gesellschaftlichen Umbruchs, sondern als das Ergebnis einer kulturgeschichtlichen Entwicklung:

„Die Trennung hat nun ihr Äußerstes erreicht; der Charakter Europas ist ganz zum Vor- schein gekommen und vollendet, und eben das ist es, was das Wesen unsers Zeitalters ausmacht. [...] Man hat es in der Kunst der willkürlichen Trennung, oder was dasselbe ist, im Mechanismus in der Tat sehr weit gebracht, und so ist denn auch der Mensch selbst fast zur Maschine geworden [...].“468

Das Weiterwirken dieser Veränderungen und die damit verknüpften Zergliederungen sind ubiquitär und beginnen die mit der Aufklärung assoziierte vernünftige Anthropolo-

465 Friedrich Hölderlin Sämtliche Werke. Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe. Im folgenden zitiert nach SHA. Kleine Stuttgarter Ausgabe. Bd. 3. Friedrich Beissner (Hg.). Stuttgart 1943-1962. S. 166. 466 Henning Bothe: Hölderlin zur Einführung. Hamburg 1994. S. 118f. 467 Ernst Fischer: Von der Notwendigkeit der Kunst. Hamburg 1967. S. 60 und S. 62f. 468 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 7. S. 75f.

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gie mitsamt deren Harmonisierungsbestrebungen zugunsten einer disparaten Komplexi- tät von Welt und Leben zu entheben. Ein entscheidender Faktor dieser Auflösungsten- denz ist die umfassende „Dynamisierung und Verzeitlichung der Erfahrungswelt“469 so- wie eine bislang unbekannte Potenzierung gegenständlicher Erfahrungs- und Erlebnis- möglichkeiten, deren Brisanz bereits im 18. Jahrhundert festgestellt wurde.

„Dagegen ist zu erinnern, daß mit dem Übergang in ein bürgerliches und technisches Zeitalter die Komplexität des Lebens in einem Maße und einer Geschwindigkeit zunahm, wie das für kein anderes Zeitalter zuvor gegolten hatte. Pluralistische Gesellschaften wa- ren im Entstehen begriffen und mit ihnen Arbeitsteilung und Spezialistentum.“470

Die konstitutiven Triebkräfte der Übergangszeit um und nach 1800 sind wenig geeignet, die zentrierende Ordnung sowie die festgefügten Identitätsstrukturen der ausklingenden hierarchisierten Ständewelt des Ancien régimes aufrecht zu erhalten. Und schon bald nach der Jahrhundertwende wird Franz Grillparzer in der zweiten Rede am Grabe Beethovens (1827) über seine Epoche konkret von einer „zersplitterten Zeit“471 sprechen. Diese diagnostizierte universale Zergliederung betrifft auch die Musik der Romantik:

„Der harmonische Komplex zerspaltet sich in gleichem Maße [...]. Der Akkord wird gleichsam atomisiert, die Bewegungselemente werden feingliedriger, sie verästeln sich. Die Tendenz zum Auseinanderfallen [...] tritt immer bewußter an die Stelle der zentrali- schen Vereinheitlichung. Diese Tendenz äußert sich innerhalb des musikalischen Orga- nismus als Neigung zur Zerspaltung der Harmonik in modulatorische Brechungen, […] als Neigung zu entsprechender Zerlegung des Klangkolorits.“472

Fragmentierungs-, Desintegrations- und Auflösungstendenzen können neben den ar- beitsteiligen Organisationen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auch in der Wissen- schaft und Kunst nachgewiesen werden. Der technischen Zergliederung von Werkstof- fen, Werkzeugen und Arbeitsprozessen entspricht die institutionelle Sonderung der Wissensdisziplinen in Einzelfächer, entspricht die fortschreitende Enttraditionalisierung und Spezialisierung der Berufe. Im Manifest der Kommunistischen Partei (1848) ma- chen Karl Marx und Friedrich Engels die zerstörerische Macht der Bourgeoisie für diese Partikularisation verantwortlich.

„Die Bourgeoisie [...] hat die buntscheckigen Feudalbande [...] unbarmherzig zerrissen und [...] alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den

469 Reinhart Koselleck: Das 18. Jahrhundert als Beginn der Neuzeit. In Reinhart Herzog, Reinhart Koselleck (Hg.): Epochenschwelle und Epochenbewußtsein. München 1987. S. 280. 470 Gerhard Schulz: Romantik. Geschichte und Begriff. München 1996. S. 40f. 471 Franz Grillparzer: Werke. August Sauer, Reinhold Backmann (Hg.). Bd. 2. Dramen, Erzählungen, Aufsätze. München 1971. S. 612. 472 Paul Bekker: Musikgeschichte als Geschichte der musikalischen Formwandlungen. Nachdruck der Ausgabe Stuttgart, Berlin und Leipzig 1926-28. Hildesheim und New York 1976. S. 178.

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Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.“473

Die unmittelbare Folge dieser funktionalen Ausdifferenzierung ist eine gewaltige Zu- nahme unterschiedlichster Artefakte und Dinge. Die streng rationalisierten Herstel- lungsmuster und die industrielle Massenproduktion bringen eine Vielzahl neuer Produk- te in unüberschaubaren Mengen hervor. Es entsteht ein hybrides System der Dinge, wel- ches nicht nur die numerischen Bezüge des Einzelnen zu seiner Lebens- und Erfah- rungswelt verändern wird.

„Die Industrialisierung führte zu einer Vermehrung künstlicher Dinge im täglichen Ge- brauch und Verbrauch [...]. Der wachsende Konsum in den Städten führte zu einem enormen Anstieg der Produktion von Artefakten […]. Auch die durchschnittlichen Men- schen erweiterten ihre Ich-Grenzen auf immer mehr Gegenstands-Sphären.“474

Auch der allmählich entstehende Nationalstaat beginnt sich in eine Gesellschaft mit vie- len sozialen Einheiten zu zergliedern; diese wiederum zerfallen in Verbände, Parteien, Vereine, Genossenschaften, Interessensgemeinschaften etc. Durch eine kulturhistorische Reflexion wird das Christentum in den Schriften Ludwig Feuerbachs oder David Fried- rich Strauß‟ einer analysierenden Betrachtung unterworfen. Optisch wahrnehmbar wird die Zergliederung durch das nach der Jahrhundertwende rasch ausgebaute Streckennetz der Eisenbahnen und Kanäle sowie durch die Logistik eines ausgeklügelten Straßensys- tems. Dieses Streckennetz unterwirft die europäische Landschaft dem Gliederungsfaktor der kürzesten geraden Linie und des gleichförmigen Kurvenradius‟ und beeinträchtigt die bislang ganzheitliche Landschaftswahrnehmung zugunsten einer fragmentierten. In diesen Kontext gehört auch die vertikale Zergliederung und Differenzierung des Blick- feldes durch die zahllos aufstrebenden Schlote der vielen neuen Fabriken.

Weltverlorenheit und Subjektdissoziation

Die Frühromantik reflektiert nicht nur den Verlust des Weltganzen sondern auch den damit verbundenen Zerfall des abendländisch-aufklärerischen Zentralwertes, der durch das Subjekt gekennzeichnet ist. Aus dem Konflikt zwischen einer nicht mehr verallge- meinerbaren Innerlichkeit und einer zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung und Entfremdung resultiert das Phänomen einer personalen und sozialen Desintegration, welches in der Figur des Außenseiters einen variantenreichen Niederschlag in Kunst, Li- teratur sowie im Musiktheater der Epochen findet.475 Schon in den Sturm-und-Drang-

473 Karl Marx und Friedrich Engels: Ausgewählte Werke. Moskau 1982. S. 37. 474 Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. A. a. O. S. 17f. 475 Siehe dazu u.a. auch Hermann Meyer: Der Sonderling in der deutschen Dichtung. Frankfurt/Main 1990. Hans Mayer: Außenseiter. Frankfurt Main 1981. Anke Bennholdt-Thomsen, Alfredo Guzzo-

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Dramen von Maximilian Klinger wird das Problem subjektiver Zerrissenheit themati- siert. In dem Theaterstück Simsone Grisaldo (1776) ruft der gelehrte Rat Don Curione: „Meine Seele zerrissen und zerkratzt, am Felsen hängend, an der Klippe blutend.“476 Und in Klingers Drama Sturm und Drang (1776/77) äußert Blasius: „Ich bin zerrissen in mir, und kann die Fäden nicht wieder auffinden das Leben anzuknüpfen.“477 Begriffe wie Weltverlorenheit oder der von Joseph von Eichendorff systematisierte Begriff des Weltschmerzes kennzeichneten die Verfassung des nachklassischen, modernen Indivi- duums. Dieses sieht sich zusehends mit einer metaphysischen Geworfenheit konfron- tiert. Beispielsweise betrachtet Eichendorff in seiner Geschichte der poetischen Litera- tur Deutschlands (1857) die zersetzende Potenz des Humors als

„eine Art von Weltschmerz, der das Leben der Gegenwart nicht als ein abgeschlossenes Bild, sondern in seinen Widersprüchen und Dissonanzen auffaßt und mit der wachsenden Unruhe, Verwirrung und Trostlosigkeit sich in unseren Tagen bis zur modernen Zerris- senheit gesteigert hat.“478

In dieser eher pessimistischen Denktradition stehen auch Novalis, Clemens Brentano und Jean Paul.479 Dieser zeichnet in seinem Roman Siebenkäs (1796) das Bild einer stets erschütterbaren Identität, vor deren fragilem Hintergrund die Frage nach der wahren Be- schaffenheit des Ich in den Kontext einer allumfassenden Isolation gestellt wird:

„Es gibt schauerliche Dämmeraugenblicke in uns, wo uns ist, als schieden sich Tag und Nacht – als würden wir gerade geschaffen oder gerade vernichtet – das Theater des Le- bens und die Zuschauer fliehen zurück, unsre Rolle ist vorbei, wir stehen weit im Finst- ren allein, aber wir tragen noch die Theaterkleidung, und wir sehen uns darin an und fra- gen uns: »Was bist du jetzo, Ich?«“480

Aus dem Trauma der Einsamkeit und Weltverlorenheit des Individuums ergibt sich bei Jean Paul „die Isolation des Subjekts als unhintergehbare Determinante seines In-der- Welt-Seins […].“481 Die Erfahrungen von schmerzhafter Individuation, beschädigter Identität und Weltschmerz-Depression lassen sich gattungsübergreifend bereits in Alb- recht Dürers Kupferstich Melencolia I (1514) nachweisen. Die europäische Romantik

______ni: Der »Asoziale« in der Literatur um 1800. Königstein/Taunus 1979. 476 Maximilian Klinger: Werke in zwei Bänden. Ausgewählt und eingeleitet von Hans Jürgen Geerts. Bd. 2. Berlin 1970. S. 1114. 477 Ebd. S. 1156. 478 Joseph von Eichendorff. Werke. Bd. 3. A. a. O. S. 733. 479 Siehe dazu auch Walter Hof: Pessimistisch-nihilistische Strömungen in der deutschen Literatur vom Sturm und Drang bis zum Jungen Deutschland. Reihe: Untersuchungen zur deutschen Litera- turgeschichte 3. Tübingen 1970. 480 Jean Paul Friedrich Richter. Sämtliche Werke. Abt. I. Bd. 2. Norbert Miller (Hg.). Im folgenden zi- tiert mit Jean Paul. SW. München 1963. S. 437. 481 Peter Sprengel: Innerlichkeit. Jean Paul oder das Leiden an der Gesellschaft. Reihe: Literatur als Kunst. Walter Höllerer (Hg.). München 1977. S. 57.

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hat sich jedoch als ein kongenialer Mediator dieses Phänomens erwiesen. Die Diagnose von Weltverlorenheit und Subjektdissoziation geht von Jean Paul, Chateaubriand, Lord Byron, Eichendorff, Nestroy482, Grillparzer aus und wirkt bis tief in das 19. Jahrhundert. Sie reicht zurück in das Zeitalter der Aufklärung: „Über die bloße Gemütskrankheit hin- aus ist die Zerrissenheit [...] die Konsequenz jener vom 18. Jahrhundert geerbten Intro- spektion, deren imperatives Ideal das »Erkenne dich selbst« ist.“483 Die schmerzlich be- klagte Tendenz subjektiver Desintegration bricht das Individuum nicht nur aus den tra- ditionellen Bindungen heraus; sie wird auch zum Initialmoment einer Individuation des bürgerlichen Selbstbildes. Mit der kritischen Einschätzung einer funktionalen Rationali- tät erfährt auch die Sonderstellung des erkennenden Subjekts eine starke Einschränkung, was die bildungsbürgerlichen Strategien zur Identitätsfindung stark problematisiert. Doch ist die Identitätskrise keineswegs eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts. Schon die Elisabethanische Epoche experimentierte mit Persönlichkeitsentwürfen und Subjektkonstruktionen. In William Shakespeares Tragödie Othello (1603) kann dies an der Figur des Jago fest gemacht werden. Bereits in der ersten Szene des ersten Aktes stellt er fest: „Ich bin nicht, was ich bin!“484 Entsprechend fällt die Subjektdiagnose von Shakespeares französischem Zeitgenossen Michel de Montaigne aus. In seinen Essais (1580-1588) problematisiert auch er eine innere Einheit von Denken, Fühlen und Han- deln. Montaigne folgert aus der willkürlich-dissoziativen Anordnung menschlicher We- senselemente: „daher gibt es ebenso viele Unterschiede zwischen uns und uns selbst wie zwischen uns und den andern.“485 Im 17. Jahrhundert sind es vor allem die französischen Dichter Molière und Pierre Carlet de Marivaux, die in ihren Stücken das verwirrende Spiel der Masken, Verkleidungen und wechselnden Identitäten inszenieren. Der Versuch einer Selbstfindung kollidiert in der sogenannten Marivaudage mit „der Sprachlosigkeit des berühmten ‚je ne sais où j‟en suis‟, auf das Marivaux all seine Komödien hin- spielt.“486 Nach 1800 wird die kritische Reflexion klassisch-einheitlicher Subjektbe- stimmungen beinahe nahtlos von den deutschen Romantikern fortgeführt. So relativiert Ludwig Tieck in seinem Märchenspiel Der Blaubart (1796/1835) den Primat von Ver- nunft und Verstand:

„Der Geist ist nur ein Diener eures Körpers, eine fast unnötige Zugabe zu dem Dinge, das

482 Johann Nestroy verfasst im Jahre 1844 das beinahe programmatische Stück Der Zerrissene. 483 Hinrich C. Seeba: Grillparzer und die Selbstentfremdung des Zerrissenen im 19. Jahrhundert. In Helmut Bachmaier (Hg.): Franz Grillparzer. Frankfurt/Main 1991. S. 204. 484 William Shakespeare. Werke in zwei Bänden. A. a. O. Bd. 2. A. a. O. S. 321. Originaltext: „Iago: I am not what I am.” In William Shakespeare. The Works of William Shakespeare. Bd. 2. A. a. O. S. 664. 485 Michel de Montaigne: Essais. Übersetzung: Hans Stilett. Reihe: Die Andere Bibliothek. Hans Magnus Enzensberger (Hg.). Frankfurt/Main 1998. S. 168. 486 Rainer Warning: Marivaux und die Commedia dell’ arte. In Roger Bauer, Jürgen Werheimer (Hg.): Das Ende des Stegerifspiels – Der Beginn des Nationaltheaters. Ein Wendepunkt in der Ge- schichte des europäischen Dramas. München 1983. S. 6.

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da ißt und trinkt, folglich, wenn ihr von euch selbst sprecht, so meint ihr immer jemand anders, im Grunde eure Launen, euren Appetit; diesem tut ihr alles zu Gefallen [...]. Wenn ihr also von eurem Ich sprecht, so meint ihr nur euren Magen [...].“487

Diese dissoziative Anthropologie verweist nicht nur auf Schopenhauers Widerstreit von Wille und Vorstellung, oder Freuds Dreigliederung von Ich, Über-Ich und Es, sondern gibt auch Auskunft über die problematische Verortung des Subjekts. Noch in seiner No- velle Vittoria Accorombona (1840) stellt Tieck die Frage nach einem mit sich selbst identischen Ich: „Was ist doch überhaupt mein Ich? Warum sagen wir immer so leicht hin: mein Geist, meine Seele [...].“488 Im Anschluss an die romantische Epoche themati- siert noch Georg Büchner in seinem Lustspiel Leonce und Lena (1836/42) Subjekt und Identität, um sie in einer kritischen Wendung politisch zu deuten.

„PETER. Wer seid Ihr? / VALERIO. Weiß ich‟s? Er nimmt langsam hintereinander mehrere Masken ab. Bin ich das? oder das? oder das? Wahrhaftig, ich bekomme Angst, ich könnte mich so ganz auseinanderschälen und -blättern. PETER verlegen. Aber – aber etwas müßt ihr dann doch sein?“489

Nach 1800 kommen die Topoi der Entfremdung und der Vereinsamung nicht zufällig in Konjunktur. Die Empfindung der Individuation und einer daraus resultierenden Verlo- renheit in einer sich ausdifferenzierenden Welt wird in allen Bereichen der Kunst the- matisiert. Auch das romantische Musikdrama wird von diesem Gegenstand ergriffen. Carl Maria von Webers Max (aber auch Kasper) aus der romantischen Oper Der Frei- schütz, Marschners Lord Ruthwen und Hans Heiling, Wagners umher irrende Helden Holländer und Tannhäuser sowie Meyerbeers Robert aus Robert le Diable sind dramati- sche Personifikationen des ausgestoßenen Individuums inmitten einer feindseligen Welt. Prägnant diagnostiziert diese Subjektspaltung Heinrich Heine in seinem Reisebild Die Bäder von Lucca (1830):

„Ach, teurer Leser, wenn Du über jene Zerrissenheit klagen willst, so beklage lieber, daß die Welt selbst mitten entzwei gerissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittel- punkt der Welt ist, so mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es sei ganz geblieben, der gesteht nur, daß er ein prosaisches weitabgelegenes Winkelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß [...].“490

In der Malerei der Romantik schafft vor allem Caspar David Friedrich in Werken wie Kreuz im Gebirge (1808), Abtei im Eichwald (1809/10) oder Mönch am Meer (1809/10)

487 Ludwig Tieck. Schriften. In zwölf Bänden. Manfred Frank, Paul Gerhard Klussmann, Ernst Ribbat, Uwe Schweikert, Wulf Segebrecht (Hg.). Bd. 6. 1818-1820. Frankfurt/Main 1985. S. 428. 488 Ebd. Bd. 12. A. a. O. S. 566. 489 Georg Büchner: Werke und Briefe. Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner L. Leh- mann. München 1980. S. 115. 490 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften. Bd. 2. A. a. O. S. 405f.

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Abbilder einer beinahe metaphysischen Weltverlorenheit. In seinen eschatologischen Motiven spiegeln sich auch der Verlust einer eindeutigen ästhetischen Position zuguns- ten einer multiperspektivischen Sicht auf die neue historische Grenzsituation des in der Welt verlorenen Individuums.491 Das Gemälde Mönch am Meer assoziiert Heinrich von Kleist in den Berliner Abendblättern vom 13. Oktober 1810 mit einer geradezu apoka- lyptischen Einsamkeit.

„Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apoka- lypse da [...], und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.“492

Auch das romantische Theater spiegelt eine verworrene, disparate und dissonierende Welt. Die Fragmentierung und die Fragilität der herrschenden Verhältnisse finden darin genauso Ausdruck wie die Erosion des Subjekts. In Tiecks Märchenspiel Der gestiefelte Kater (1797) kann die Warnung von Kater Hinze: „Nehmen Sie sich doch zusammen, das ganze Stück bricht sonst in tausend Stücke“493 auch im übertragenen Sinn verstan- den werden. Im Sog dieser Dynamik wird dem Subjekt allmählich der feste Boden unter den Füßen, sprich die eindeutige Perspektive, entzogen. Entsprechend klagt der Zu- schauer Schlosser angesichts der Verwirrungen: „man behält gar keinen festen Stand- punkt“494; der Zuschauer Müller hält dem Hanswurst über die Bühnenrampe hinweg entgegen: „Wir verstehen Sie gar nicht“495 und der Wirt bemerkt: „Wie die Welt sich umgekehrt hat!“496 Diese obschon ironisierte Erkenntnisunsicherheit verweist bereits auf das ohnmächtige Schlusswort des Meister Anton in Friedrich Hebbels Trauerspiel Ma- ria Magdalene (1846): „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“497 Der symbolische Verlust der Identität im Kontext merkantiler Seelenverschreibungen ist in der Dichtung der Romantik zunächst immer mit einer Steigerung der Persönlichkeit verbunden. Im Zent- rum steht dabei der Widerstreit dämonischer Verführung mit dem christlichen Reinteg- rationsversuch des Außenseiters. In der Erzählung Eine Geschichte vom Galgenmänn- lein (1810) von Friedrich de La Motte Fouqué verkauft der Protagonist Reichard für un- endliche Wunscherfüllungen seine Seele an das Galgenmännlein. In Adelbert von Cha- missos Erzählung Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) wird der Identitäts-

491 Klaus Lankheit: Revolution und Restauration. Köln 1988. S. 190. 492 Henrich von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart, Hamburg, München 1976. S. 936. Die Urheber- schaft dieses epochalen Textes geht unmittelbar auf Clemens Brentano und Achim von Arnim zu- rück. Kleist redigierte diese Betrachtung und veröffentlichte sie in einer gekürzten Fassung. 493 Ludwig Tieck: Schriften. In zwölf Bänden. Bd. 6. 1818.1820. A. a. O. S. 542. 494 Ebd. S. 513. 495 Ebd. S. 540. 496 Ebd. S. 551. 497 Friedrich Hebbel. Werke in fünf Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 382.

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verlust durch die Preisgabe des Schattens dargestellt. In E. T. A. Hoffmanns Erzählung Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde (1815) findet ein entsprechender symboli- scher Verlust der Identität statt. Und noch in Wilhelm Hauffs Märchen Das kalte Herz (1828) wird Reichtum durch den Verkauf des Herzens, sprich durch die Preisgabe emo- tionaler Identität erhandelt.498 Mit diesen Variationen von Ichverlust und Weltverloren- heit geht auch der thematische Komplex eines vom Ich abgespaltenen und dämonisier- ten Eros einher. Dieser vollzieht sich in belebten Marmor- oder Traumbildern heidnisch- antiker Göttinnen oder auch weltlicher Verführerinnen. In der Erzählung Das Marmor- bild (1819) von Eichendorff wird der Zusammenhang von Identitätsverlust und Sexu- albedrohung paradigmatisch vorgeführt.

„Über den stillen Garten weg zog immerfort der Gesang wie ein klarer kühler Strom, aus dem die alten Jugendträume herauftauchten. Die Gewalt dieser Töne hatte seine ganze Seele in tiefe Gedanken versenkt, er kam sich auf einmal hier so fremd, und wie aus sich selber verirrt vor. Selbst die letzten Worte der Dame, die er sich nicht recht zu deuten wußte, beängstigten ihn sonderbar – da sagte er leise aus tiefstem Grunde der Seele: »Herr, laß mich nicht verloren gehen in der Welt!«“499

Schon Jean Paul führt in seinem Roman Siebenkäs (1796) das Doppelgängermotiv ein. Der Vertauschung der Identität des Hauptdarstellers mit einem Nebendarsteller im Sie- benkäs geht die Trennung der beiden Ehegatten einher; es erfolgt also eine doppelte Dissoziation, die mit dem Gedanken spielt, eine zweite, von allen Bindungen und Ver- pflichtungen losgelöste Existenz führen zu können. Sowohl bei Eichendorff als auch bei Jean Paul schwingt zugleich ein Gottestodproblem mit, das unmittelbar an die Angst um das eigene Ich und dessen metaphysische Rettung geknüpft ist. Die Dissoziation von Welt und Ich sowie die Spaltung der Identität wird exemplarisch auch in Heinrich von Kleists Lustspiel Amphitryon (1807) sowie in seinem historischen Ritterschauspiel Das Käthchen von Heilbronn (1810) vorgeführt.500 In Kleists Amphitryon treten Jupiter und Merkur an den Feldherrn Amphitryon und dessen Diener Sosias heran und exerzieren sowohl Tausch als auch Vernichtung von Identität und Selbstbewusstsein. Eine damit verbundene Preisgabe von Namen und Identität wird Sosias in einem absurden intellek- tuellen Diskurs aufgezwungen und zugleich über den Körper vermittelt, und zwar durch die Stockprügel, die ihm Merkur erteilt [I; 2]. Die spitzfindige Frage des Dieners: „Dein Stock kann machen, daß ich nicht mehr bin. / Doch nicht, daß ich nicht Ich bin, weil

498 Manfred Frank: Steinherz und Geldseele. Ein Symbol im Kontext. In Das kalte Herz. Texte der Romantik. Ausgewählt und interpretiert von Manfred Frank. Frankfurt/Main und Leipzig 1996. S. 257ff. 499 Joseph von Eichendorff: Werke. Bd. 2. A. a. O. S. 556. 500 Gert Ueding: Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789-1815. Erster bis Vierter Teil. Reihe: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 4. München 1987. München 1988. S. 275.

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ich bin.“501 beantwortet der Gott mit blanker Gewalt, was notwendig die nächste Frage provoziert: „sage mir, / Da ich Sosias nicht bin, wer ich bin? / Denn etwas, gibst du zu, muß ich doch sein.“502 In dem Schauspiel Das Käthchen von Heilbronn vollzieht sich die Doppelung im Bewusstsein des Protagonisten Graf Wetter vom Strahl [IV; 2]: „Nun steht mir bei, ihr Götter: ich bin doppelt! / Ein Geist bin ich und wandele zur Nacht! [....] Weh mir! Mein Geist, von Wunderlicht geblendet, / Schwankt an des Wahnsinns grausem Hang umher!“503 Das Doppelgängermotiv symbolisiert am Beispiel des Grafen vom Strahl das problematische Bewusstsein eines von seiner Vernunft dis- soziierten Subjekts. Eine Loslösung vom tradierten Subjektbegriff am Beispiel des Doppelgängermotivs thematisiert auch E. T. A. Hoffmann in seinem Roman Die Elixie- re des Teufels (1815/16):

„Mein eigenes Ich [...] in fremdartige Gestalten zerfließend, schwamm ohne Halt wie in einem Meer all der Ereignisse, die wie tobende Wellen auf mich hineinbrausten. – Ich konnte mich selbst nicht wiederfinden! [...] Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin; mir selbst ein unerklärlich Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich!“504

Satirisch aufgegriffen wird das Motiv des unangenehmen Doppelgängers in Ferdinand Raimunds Zauberspiel Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828/37). In diesem Stück erfährt der Misanthrop Rappelkopf durch seinen Doppelgänger eine notwendige Korrektur seiner verschrobenen Welt- und Menschensicht. Dieser sowohl pädagogische als auch psychologische Prozess der Reintegration eines selbstentfremdeten Außensei- ters vollzieht sich nicht ganz geradlinig: Rappelkopf versucht sich zunächst seines Dop- pelgängers durch ein Duell zu entledigen, erkennt aber rechtzeitig seine wesenhafte Verbindung mit dem Geist: „RAPPELKOPF prallt zurück: […] ich kann mich gar nicht duellieren mit ihm! Wir haben nur alle zwei ein Leben. Wann ich ihm erschieß, so schieß ich mich selber tot.“505 Was zuvor integraler Bestandteil von Rappelkopfs Per- sönlichkeit war, „dieser verwünschte Lebenskompagnon, dieses Zerrbild meiner Unver- träglichkeit […].“506 wird am Ende überwunden und preisgegeben zugunsten einem rea- listischeren Selbstbild.. Der Entzweiung des Individuums vom eigenen Ich korrespondiert die Angst, den Verstand als das zentrale identitätsstiftende Medium zu verlieren. Literatur und Kunst reagieren mit unterschiedlichen Strategien auf diese Bedrohung. So werden irrationale Momente und Motive wie das Unterbewusste, Träume, Wahnsinn etc. durch Schilde-

501 Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. A. a. O. S. 421. 502 Ebd. S. 425. 503 Ebd. S. 646. 504 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 2. S. 70f. 505 Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. Friedrich Schreyvogel (Hg.). München 1960. S. 406. 506 Ebd. S. 409.

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rung und Reflexion ästhetisch nobilitiert und damit therapeutisch bewältigt. Darüber hinaus versucht die Romantik gerade durch die künstlerische Stilisierung unterbewuss- ter Bereiche jene ganzheitliche Welt- und Lebenserfahrung zu rekonstruieren, die im Prozess der Rationalisierung verloren gegangen war. Vor diesem Hintergrund kann die Pluralisierung von Identität durchaus verstanden werden „als notwendige Reaktion auf die protestantische Verabsolutierung des »Ich«, die in der Aufklärung ihren Höhepunkt erfahren habe.“507 Im Zuge des anthropologischen Paradigmenwechsels durch die Rom- antik werden nicht nur die normativen, ganzheitlichen Bildungs- und Vollendungsmus- ter der Klassik verabschiedet, sondern auch ein die Neuzeit charakterisierender Subjekt- begriff relativiert.508 Dieses erkenntnistheoretische Axiom einer Bestimmbarkeit des Subjekts ist fortan einer progressiven Erosion unterworfen und hat Konjunktur bis zur Gegenwart. Die Vielschichtigkeit des in einer heillos ausdifferenzierten Welt verlorenen Subjekts unterstreicht die Aktualität der romantischen Synthesevisionen. Der sowohl historische als auch ideengeschichtliche Vorlauf dieser Konzeptionen erfährt mit der Romantik eine erste gültige Theorie, deren Prämissen sich im Verlauf der Kultur- und Geistesgeschichte als unhintergehbar erweisen werden.

507 Klaus Peter: Romantik. In Ehrhard Bahr (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 2. A. a. O. S. 406. 508 Hans Joachim Türk: Postmoderne. Reihe: Unterscheidung. Christliche Orientierung im religiösen Pluralismus. Mainz, Stuttgart 1990. S. 96.

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Ideengeschichtlicher Vorlauf ganzheitlicher Tendenzen

Ästhetische Synthesepositionen der literarischen Klassik

Die deutsche literarische Klassik begegnete dem Phänomen einer Kunstsynthese über- aus zwiespältig: Bereits in einem Brief an Schiller aus dem Jahr 1797 erhebt Goethe die Forderung, der Künstler möge „Kunstwerk von Kunstwerk durch undurchdringliche Zauberkreise sondern, jedes bei seiner Eigenschaft und seinen Eigenheiten erhalten [...]“509 und dadurch einer bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden allge- meinen Synthesetendenz Einhalt gebieten. Das prägnanteste Verdikt gegen eine Synthe- se der Künste spricht Goethe in der Einleitung in die Propyläen (1798) aus.

„Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalls der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben. [...] darin besteht die Pflicht, die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von andern abzusondern, jede Kunst und jede Kunstart auf sich selbst zu stellen, und sie aufs möglichste zu isolieren wisse.“510

Entsprechend urteilt Johann Gottfried Herder in seiner Streitschrift Kalligone (1800). Auch er fordert eine strikte Trennung der Einzelkünste. Erst die formale Begrenzung und die modale Beschränkung ermöglicht dem jeweiligen ästhetischen Medium seine optimale Entfaltung. Eine integrative Synthese findet nicht im Kunstwerk, sondern al- lein im vieldimensionalen Spektrum menschlicher Empfindungen statt:

„Raum kann nicht Zeit, Zeit nicht Raum, das Sichtbare nicht hörbar, dies nicht sichtbar gemacht werden; keines maaße sich ein fremdes Gebiet an, herrsche in dem seinigen aber desto mächtiger, gewisser, edler. Eben dadurch, daß die Künste in Ansehung ihres Medi- ums einander ausschließen, gewinnen sie ihr Reich; vereinigt nirgend als [...] im Mittel- punkt unserer Empfindung.“511

Wie für Goethe, Lessing und Kant ist auch für Herder eine strikte Sonderung der Ein- zelkünste unabdingbar, wenn das Kunstwerk seinen spezifischen Charakter so voll- kommen aussprechen soll, dass keinerlei Nebenerklärung für dessen Verständnis erfor- derlich ist. Jegliche Grenzerweiterung, Überschreitung und Vermischung ist im Kanon der klassischen Ästhetik, die das Kunstganze aus seiner Abgeschlossenheit erklärt, kunstzersetzend. Verwirklicht wird die normative Vorgabe der Formvollendung durch Sonderung und nicht durch die Synthese. Vor diesem Hintergrund bemerkt Hegel:

509 Johann Wolfgang von Goethe. In In Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Siegfried Seidel. (Hg.). Bd. 2. München 1984. S. 460. 510 Johann Wolfgang von Goethe. MA. Bd. 6. S. 20. 511 Johann Gottfried Herder: Sämtliche Werke. Bd. 22. A. a. O. S. 187f.

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„Deshalb ist es auch [...] unstatthaft, die Stilgesetze der einen Kunstgattung auf die der anderen zu übertragen [...].“512 Diese Auffassung spiegelt sich auch in Goethes Schriften über Oper und Theater im Weimar.

„Die Oper ist ihrer Natur nach von dem Schauspiel durchaus unterschieden [...]. In Deutschland ist die Oper nach und nach und man möchte sagen zufällig mit dem Schau- spiel verknüpft worden. [...] Der Vorschlag Schauspiel und Oper zu trennen hat daher den Hauptzweck beide Gattungen auf sich selbst zu weisen, um jede separat zu ihrer Pflicht anhalten zu können.“513

Diese Trennung unterstreicht den klassischen Primat einer Stilhöhe, die allein durch Sonderung der Gattungen gewährleistet wird. Goethes Verurteilung der Kunstsynthese wird verständlich vor dem Hintergrund seiner allgemeiner Abneigung gegenüber dem Romantischen514, dessen synthetische Tendenzen um 1800 zunehmend Einfluss gewin- nen.515 Doch gibt es auch in der deutschen literarischen Frühklassik Präfigurationen syn- thetischer Werkreflexionen, welche auf spätere romantische Positionen voraus deuten. So reflektiert der Johann Georg Sulzer über die Wirkung eines an unterschiedliche Sin- ne einheitlich appellierenden Kunstwerks. In seinem Werk Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771-1774) entwirft er eine musikdramatische Vision, die sich aus ei- ner organischen Verschmelzung der Einzelkünste ergibt:

Man hat aber Kunstwerke ausgedacht, in welchen zwey oder alle drey Gattungen verei- nigt werden. Im Tanze vereinigen sich die Künste, die durch Aug und Ohr zugleich rüh- ren; in dem Gesange vereinigen sich die redenden Künste mit der Musik, und in dem Schauspiele können sogar alle zugleich würken. Darum ist das Schauspiel die höchste Er- findung der Kunst, und kann von allen Mitteln die Gemüther der Menschen zu erhöhen, das vollkommenste werden.516

Auch Sulzer beschäftigt sich über die Synthese von Dichtung, Musik und bildender Kunst hinaus mit dem Problem einer adäquaten szenisch-dramatischen Umsetzung. An- ders als bei Herder vollzieht sich die Synthese der Künste in Sulzers Theorie nicht in der Empfindung, sondern auf der Schaubühne. Obschon er von der Dichtung ausgeht, steht im Zentrum seiner Synthesetheorie die Oper. Allerdings geht Sulzer von einem ideali- sierten Begriff der Oper aus, unter dem sich eine Vereinigung aller „schönen Künste oh-

512 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 13. S. 380. 513 Johann Wolfgang von Goethe. MA. Bd. 9. S. 969ff. 514 Siehe dazu Ernst Behler: Die Wirkung Goethes und Schillers auf die Brüder Schlegel. In Ernst Behler (Hg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984. Josef Körner: Romantiker und Klassiker. Die Brüder Schlegel in ihren Beziehungen zu Schiller und Goethe. Berlin 1924. Nachdruck Bern 1974. 515 Siehe dazu auch Gerhart Hoffmeister: Goethe und die europäische Romantik. München 1984. 516 Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste. Zitiert nach Harald Szeemann (Hg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. A. a. O. S. 116.

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ne Ausnahme“517 subsumieren lässt. Die Dominanz des Optischen soll durch das integ- rale Opernkunstwerk, „in welchem die einzelnen Kräfte der verschiedenen schönen Künste so genau vereiniget sind“518, überwunden werden. Allein durch eine Vereinigung aller „schönen Künste und ihrer Kräfte“519 gewinnt die Oper den Vorrang unter den Theatergattungen. Damit korrespondiert seine Theorie auffällig mit den zeitgleichen Opernreformen Algarottis (1755) und Glucks (1767). Friedrich Schiller artikuliert ganzheitliche Wunschvorstellungen vor dem Hinter- grund seiner tiefgreifenden gesellschaftlichen Dissoziationsdiagnose. In seiner Schrift Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen erkennt er im Spiel den Modus, in dem das Subjekt seine verlorene Vollständigkeit wieder erlangt:

Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, daß unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht [...], und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.520

Allein im Spiel wird der Widerspruch zwischen Sein und Werden, zwischen Verände- rung und Beharrung versöhnt. Im Spiel wird die Schönheit als oberstes Prinzip der Dar- stellung erkannt, zugleich „die Zeit in der Zeit aufgehoben“521 und durch die Synthese von Ursprung und Fortdauer im ästhetischen Zustand das chronologische Denken auf- gehoben. Fluchtpunkt dieser Denkfigur ist jene Utopie, die gerade in ihrem spielerischen Vollzug „ein zeitloses Dasein noch mitten in der Zeit realisiert und eben dadurch den Menschen als Menschen in seiner vollen Ganzheit und Reinheit wiederherstellt.“522 Hat für Schiller das Spiel eine synthetische Qualität, die den Menschen mit sich selbst ver- söhnt, so setzt Hölderlin die Poesie ins Zentrum einer ganzheitlichen Versöhnung. Poli- tik, Wissenschaft und Religion haben ihre Reputation als integrative Instanzen einge- büßt, mehr noch, sie gelten als die Verursacher der sowohl anthropologischen als auch sozialen Krise der anbrechenden Moderne.523 Vereinigung vollzieht sich in Hölderlins Hyperion u.a. im Prozess der Sprachverneinung.524 Dabei wird das Subjekt auf den Ge- neralnenner des Musikalischen gebracht und eine Synthese von Ich und Musik ange- strebt: „Man schämt sich seiner Sprache. Zum Tone möchte man werden und sich verei-

517 Johann Georg Sulzer: Von der Kraft in den Werken der schönen Künste (1765). Zitiert nach Harald Szeemann (Hg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. A. a. O. S. 114. 518 Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der schönen Künste. A. a. O. S. 114ff. 519 Ebd. S. 116. 520 Friedrich Schiller. NA. Bd. 20. S. 358f. 521 Ebd. 522 Benno von Wiese: Die Utopie des Ästhetischen bei Schiller. In Benno von Wiese: Zwischen Uto- pie und Wirklichkeit. Studien zur deutschen Literatur. Düsseldorf 1963. S. 87. 523 Gerhard Kurz: Der deutsche Schriftsteller: Hölderlin. In Gunter E. Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. Das Rollenverständnis deutscher Schriftsteller vom Barock bis zur Gegenwart. Frankfurt/Main 1992. S. 128. 524 Dazu auch Anke Bennholdt-Thomsen: Stern und Blume. Untersuchungen zur Sprachauffassung Hölderlins. Bonn 1967.

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nen in Einen Himmelsgesang.“525 Das Syntheseprogramm von Schiller und Hölderlin nimmt zentrale Positionen der frühromantischen Ästhetik vorweg und verweist auf ele- mentare Form- und Strukturelemente des romantischen Musikdramas. Aber auch Schil- lers Einschätzung der Wirkungsverhältnisse einzelner Kunstgattungen zueinander steht im Kontext einer synthetischen sowie synästhetischen Rezeptionsästhetik. Vom Ganzen des wiederhergestellten Menschen geht Schiller über zum Gesamten des Kunstwerks und dessen sinnlicher Wirkung. So wirkt die Musik besonders auf die Empfindungen, das Gedicht auf die Einbildungskraft und das Bildwerk steht in einem bestimmten Ver- hältnis zum begrifflichen Vorstellungsvermögen. In je höherem Grade sich die Einzel- gattungen vollenden, büßen sie zwar nicht ihre objektiven Grenzen, aber doch ihre we- sensgemäße Wirkung ein. So ist es

„eine nothwendige und natürliche Folge ihrer Vollendung, daß [...] die verschiedenen Künste in ihrer Wirkung auf das Gemüth einander immer ähnlicher werden. Die Musik in ihrer höchsten Veredlung muß Gestalt werden [...]; die bildende Kunst in ihrer höchsten Vollendung muß Musik werden und uns durch unmittelbare sinnliche Ge- genwart rühren; die Poesie, in ihrer vollkommensten Ausbildung muß uns, wie die Ton- kunst mächtig fassen, zugleich aber, wie die Plastik, mit ruhiger Klarheit umgeben. Darin eben zeigt sich der vollkommene Styl in jeglicher Kunst, daß er die specifischen Schran- ken derselben zu entfernen weiß [...].“526

Der Gedanke, dass sich die einzelnen Künste rezeptionsästhetisch einander annähern, deutet die Synästhesie-Thematik der Frühromantik an, beinhaltet allerdings auch eine Abkehr von den ästhetischen Prämissen einer Aufklärungsideologie, der die (literari- sche) Klassik im wesentlichen noch verpflichtet war. Zugleich war auch eine ganzheit- lich gedachte Antike, deren homogenes Muster keiner Synthese mehr bedurfte, hinfällig geworden. Übte sich die Klassik noch in der Nachahmung antiker Muster, um sich der höchsten Vollendung im Ideale anzunähern, so hat sich die Romantik neue Vorausset- zungen gewählt.527 In seinen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur (1809) macht August Wilhelm Schlegel die Unterschiede deutlich und erklärt zugleich den Modus der Synthese zum zentralen Charakteristikum der romantischen Poesie:

„Die antike Kunst und Poesie geht auf strenge Sonderung des Ungleichartigen, die ro- mantische gefällt sich in unauflöslichen Mischungen; alle Entgegengesetzten, Natur und Kunst, Poesie und Prosa, Ernst und Scherz, Erinnerung und Ahnung, Geistigkeit und Sinnlichkeit, das Irdische und Göttliche, Leben und Tod, verschmilzt sie auf das innigste miteinander.“528

525 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 3. S. 56. 526 Friedrich Schiller. NA. Bd. 20. S. 381. 527 René Wellek: Die Einheit der europäischen Romantik. In Grundbegriffe der Literaturkritik. Stutt- gart 1965. S. 117ff. 528 August Wilhelm Schlegel. Kritische Schriften und Briefe. Bd. 6. A. a. O. S. 111f.

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Dem romantischen Subjekt eignet aufgrund seiner Eingebundenheit in einen dissoziati- ven Zivilisationsprozess Sonderung, Trennung und Zergliederung, weshalb ihm die Sehnsucht nach Wiedervereinigung alles Getrennten und Entfremdeten wesentlich ist. Vor diesem Hintergrund kann die Bestimmung des Romantischen neu gefasst werden: Das Synthetische ist das Romantische in poetologischer Hinsicht.

Synthesen in der klassischen Musik- und Theaterauffassung

Nicht nur das synthetische Verfahren ist im Ansatz bereits bei einigen Klassikern in the- oretischen Denkfiguren präfiguriert, auch die Idee einer musikalischen Sensibilisierung und Stimulierung der ästhetischen Produktion wird bereits vor den frühromantischen Programmen reflektiert. Schon in der Malerei der Barock- und Rokokoepoche sowie in der Kunst der Spätaufklärung finden sich sowohl musikalisierende als auch theatralisie- rende Figurationen, die weit über die Thematisierung der Musik oder deren ikonogra- phische Mimesis hinaus gehen. Unmittelbar vor Anbruch der Romantik entwirft Johann Gottfried Herder ein musikästhetisches Programm, das der Musik ein Sprachvermögen zuerkennt, das allein auf sich selbst referiert. Im Kanon der Gattungen erhält sie einen autonomen Status: „Auch die Musik muß Freiheit haben, allein zu sprechen [...]. Ohne Worte, blos durch und an sich, hat sich die Musik zur Kunst ihrer Art gebildet.“529 Die- ses Sprachvermögen der Musik, hat auch für den Klassiker Herder transzendentalen Charakter. Er stellt sich die Frage,

„ob die Musik jede Kunst, die am Sichtbaren haftet, an innerer Wirksamkeit übertreffen werde? Sie muß sie übertreffen, wie Geist den Körper: denn sie ist Geist, verwandt mit der großen Natur innersten Kraft, der Bewegung. Was anschaulich dem Menschen nicht werden kann, wird ihm in ihrer Weise, in ihrer Weise allein, mittheilbar, die Welt des Unsichtbaren.“530

Herder erkennt der Musik eine Sonderstellung innerhalb der Kunstgattungen zu und nimmt damit Positionen der frühromantischen Musikästhetik vorweg. Zugleich assozi- iert seine Metaphysik der Musik die Vorstellung von der platonischen Idee als Objekt der Kunst und verweist damit auch auf die Musikästhetik Schopenhauers. Aber auch Goethe, der Gegner jeglicher romantischer Transzendentalästhetik, gesteht der Musik eine transzendentale Wirkung zu. Schon in Italien wird er von dem befreundeten Kom- ponisten Philipp Christoph Kayser auf die Aufführungspraxis altrömischer Kirchenmu- sik aufmerksam gemacht.531 In einem Brief an Karl Friedrich Zelter vom 24. August

529 Johann Gottfried Herder. Sämtliche Werke. Bd. 22. A. a. O. S. 150f. 530 Ebd. S. 152. 531 Claus Canisius: Goethe und die Musik. München 1998. S. 51.

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1823 schreibt Goethe:

„Nun aber doch das eigentlich Wunderbarste! Die ungeheure Gewalt der Musik auf mich in diesen Tagen! [...] nun fällt die Himmlische auf einmal über dich her, durch Vermitt- lung großer Talente, und übt ihre ganze Gewalt über dich aus, tritt in alle ihre Rechte und weckt die Gesamtheit eingeschlummerter Erinnerungen [...]. Und wenn ich jetzt bedenke, alle Woche nur einmal eine Oper zu hören, [...] so begreift man erst, was das heiße, einen solchen Genuß zu entbehren, der wie alle höheren Genüsse den Menschen aus und über sich selbst, zugleich auch aus der Welt und über sie hebt.“532

Gerade die sinnliche Wirkmächtigkeit der Musik mag dafür verantwortlich sein, dass Goethe auch seinen Schauspielen stets musikdramatische Strukturen einzubauen sucht. So beabsichtigt er, dem ersten Teil seiner Tragödie Faust Opernelemente zu integrieren und den großen Monolog des Faust sowie die Erscheinung des Erdgeistes melodrama- tisch zu bearbeiten. Solchen Möglichkeiten kommt seine Dichtung entgegen: „Kaum ei- ne dramatische Dichtung der Weltliteratur ist so sehr von unhörbarer Musik erfüllt [...].“533 Schließlich tritt Goethe gar mit Beethoven in Verhandlung über die Kompositi- on einer Faust-Oper. Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont lässt er ab dem Jahre 1814 gemeinsam mit dem Schauspiel in Weimar aufführen.534 Schau- spielmusiken sind ursprünglich eng mit dem dramatischen Bühnengeschehen verknüpft. Konzeptionell sind sie unmittelbar auf die dramatische Werkstruktur bezogen, zugleich aber auch aufführungspraktisch auf die jeweiligen Inszenierungsmodi ausgerichtet, „denn die Schauspielmusiken sind aus ihren Entstehungsbedingungen heraus integrale Teile der originalen (oder zeittypischen) Regiekonzepte.“535 Auch in Goethes Faust II kommt der Musik mehr als nur symbolische Bedeutung zu. Sie versinnbildlicht das zentrale Motiv, das den tragischen Helden von sich und seinen Leidenschaften löst und ihn in eine allgemeinere Sphäre entrückt. Durch die verklärende Wirkung der Musik wird das Bewusstsein alles Irdisch-Vergänglichen suspendiert und durch eine heitere Selbst- und Seinsvergessenheit durchleuchtet. Dabei geht es Goethe keineswegs um die musikalische Artikulation einer subjektiven oder romantischen Erfahrung: „Die ‚Erhe- bung‟ Fausts in die ‚hellere‟ Welt der Faust II-Sphäre erfolgt durch das Medium, nicht 536 durch den Gehalt der Musik, durch die Musik als ‚Element‟, nicht als Ausdruck.“ Die- se höchst eigentümliche Musikanschauung findet vor allem in der Hain-Szene des drit- ten Akts dramaturgische Verwirklichung: „Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel

532 Johann Wolfgang von Goethe. In Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Bd. 2. A. a. O. S. 243. 533 Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen. Frankfurt/Main, Leipzig 2002. S. 346. 534 Zum Verhältnis zwischen Goethe und Beethoven siehe auch Hans-Dietrich Dahnke, Regine Otto (Hg.): Goethe Handbuch. Bd. 4/1. Personen, Sachen, Begriffe. A-K. Bernd Witte (Hg.): Goethe Handbuch in vier Bänden. Stuttgart/Weimar 1998. S. 100ff. 535 Konrad Küster: Beethoven. A. a. O. S. 267. 536 Wilhelm Emrich: Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen. 5. Aufl. Königstein/Taunus. 1981. S. 76.

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erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.“537 Zu Phorkyas‟ Worten „Hö- ret allerliebste Klänge“538 [Vers 9679] beginnen sich bei wohlklingendem Saitenspiel die einzelnen Kunstgattungen zu vermischen:

„Daneben steigen die Kunstgattungen selbst, vor allem die Oper, in steiler Kurve empor, um jäh wieder zu versinken: Mit dem Eintreten des »Wunders« Euphorion [...] erklingt »vielstimmige Musik«, die sich als durchgeführte Oper bis zur »völligen Pause« am Ende des »Trauerspiels« durchhält. [...] Dämon, Musik, Oper, Genius und Himmelsregion flie- ßen auf der höchsten Stufe der Selbstoffenbarung der Kunst ineinander.“539

Neben der Synthese von klassischen und romantischen Aspekten in der symbolischen Hochzeit Fausts mit Helena540 wird auf einer poetischen Folie unter Einbeziehung sämt- licher Bühnenparameter ein „Zusammenbrennen des Ganzen“541 vorgeführt. Zudem er- kennt Goethe in der opernhaften Verknüpfung seines Opus summum eine letztmögliche Apotheose des Theatralischen, weshalb er die gesamte Schlussszene unter musikalisch- dramatischen Gesichtspunkten entwirft. Für die Protagonisten sowie für die zahlreichen Liedeinlagen und Chöre sind ausdrücklich auch Sänger vorgesehen. Helena soll zu- gleich von einer Schauspielerin und einer Sängerin dargestellt werden.

„Es wird, sagte ich, auf der Bühne einen ungewohnten Eindruck machen, daß ein Stück als Tragödie anfängt und als Oper endigt. [...] »Der erste Teil«, sagte Goethe, »erfordert die ersten Künstler der Tragödie, so wie nachher im Teile der Oper die Rollen mit den ersten Sängern und Sängerinnen besetzt werden müssen. Die Rolle der Helena kann nicht von einer, sondern sie muß von zwei großen Künstlerinnen gespielt werden; denn es ist ein seltener Fall, daß eine Sängerin zugleich als tragische Künstlerin von hinlänglicher Bedeutung ist.«“542

Trotz Goethes Ablehnung romantischer Synthesetendenzen ist gerade seinem Faust II eine integrative Tendenz zutiefst immanent. Neben der artifiziellen Verknüpfung ver- schiedener Symbolsphären (Gretchen- und Alchimistenwelt, Hexensabbat), historischer Sphären wie der Antike (Helena-Szene), des Mittelalters (Kaiserhof) und der Neuzeit (Landgewinnungsprojekt) werden mit dem farbenprächtigen Maskenzug (Mummen- schanz) synästhetische Elemente integriert. Es werden aber auch zahlreiche metrische Formen und Stile sowie die elementaren Formen des europäischen Dramas ver- mischt:„Goethe überträgt das synthetisierende Denkprinzip als Baugesetz auf seine

537 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 3. S. 292. 538 Ebd. 539 Wilhelm Emrich: Die Symbolik von Faust II. A. a. O. S. 359f. 540 Karl Baur: Zeitgeist und Geschichte. A. a. O. S. 213. 541 Brief Goethes an Schiller vom 12. Juli 1801. In Johann Wolfgang von Goethe. In Der Briefwech- sel zwischen Schiller und Goethe. Bd. 2. A. a. O. S. 378. 542 Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Ernst Beutler (Hg.). München 1999. S. 223f.

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Dichtwerke [...].“543 Das Prinzip der Gattungsmischung wird auch in dem als Festspiel ersonnenen Schauspiel Pandora (1807/10) erfüllt: „Pandora stellt wie später in größe- ren Dimensionen Faust II eine Art Gesamtkunstwerk dar, das sowohl auf das antike als auch auf das gattungsmischende romantische Schauspiel verweist.“544 In die Dramatur- gie und Choreographie solcher Redouten oder Maskenspiele sind teilweise auch die kos- tümierten Festteilnehmer eingebunden. Doch belässt es Goethe keineswegs bei der Ver- fasserschaft: „Die Texte, die Goethe dafür schrieb, machen nur den verbalen Teil des Maskenzuges aus, der ein Gesamtkunstwerk war, zu dessen Realisation Pantomime und Kostümierung, Musik und Ballett gehörten.“545 Mit zahlreichen Symbolen ausgestattet, ist die Choreographie der Maskenzüge auf die theatralische Versinnlichung allegori- scher Anschauungsformen ausgerichtet.

„Die Maskenzüge wurden als »Gesamtkunstwerk« geplant. [...] Der szenische Charakter der Maskenzüge erlaubt die Verwendung aller theatralischen Kunstformen: Musik, Tanz, Ballett, Pantomime, Kostüme, Dekorationen, Requisiten und Dichtung.“546

Mit den festlich-dramatischen sowie stilgeschichtlichen Synthesetendenzen der Mas- kenzüge korrespondiert auch Goethes Auffassung von Weltliteratur547 und Welttheater. Dieses soll eine Modulfunktion innerhalb der europäischen Geistes- und Ideengeschich- te einnehmen und zwischen den verschiedenen Theatergattungen vermitteln.

„Zur Konzeption des »Welttheaters« in Weimar gehört nicht nur der »Handelsverkehr« zwischen nationalen Kulturen, sondern auch die Vermittlung zwischen dem Schauspiel-, dem Musik- und dem Tanztheater, der Ansatz zum Gesamtkunstwerk.“548

Diese Theorie der Gattungsvermischung kommt auf Goethes Welttheaterbühne in Wei- mar einer Verwirklichung näher als in den programmatischen Gesamtkunstkonstrukten der literarischen Frühromantik. Modus dieser Synthese ist eine adäquate Inszenierung des Textes, der allein auf der Theaterbühne verwirklicht werden kann. Goethe relativiert Eckermann gegenüber die einseitige Dominanz der literarisch-dramatischen Vorlage: „Das gedruckte Wort ist freilich nur ein matter Widerschein von dem Leben, das in mir

543 Peter Pütz: Ideengeschichtliche Grundzüge der Neuzeit von der Renaissance bis zur Romantik. In Rolf Toman (Hg.): Klassizismus und Romantik. Architektur – Skulptur – Malerei – Zeichnung. Köln 2000. S. 10. 544 Dieter Borchmeyer: Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche. Weinheim 1994. S. 498. Entspre- chendes dazu auch bei Gerhard Storz, der Goethes Pandora in die unmittelbare Nähe der Oper stellt. Siehe: Klassik und Romantik. A. a. O. S. 81ff. 545 Karl Otto Conrady: Goethe. Leben und Werk. München 1994. S. 906. 546 Gerhard Sauder: Maskenzüge. In Theo Buck (Hg.): Goethe Handbuch. Bd. 2. Dramen. Bernd Wit- te (Hg.): Goethe Handbuch in vier Bänden. A. a. O. S. 310. 547 Näheres dazu bei Hans Joachim Schrimpf: Goethes Begriff der Weltliteratur. Stuttgart 1968. 548 Walter Hinck: Theater der Hoffnung. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt/Main 1988. S. 48.

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bei der Erfindung rege war.“549 Der theatralischen Umsetzung sind auf der Weimarer Hofbühne sämtliche Bühnenparameter untergeordnet. Schließlich formuliert Goethe gar eine Schauspieltheorie, die sich dem abstrakten Programm der romantischen Kunstsyn- these annähert:

„Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst und was nicht noch alles! Wenn alle diese Künste [...] an einem einzigen Abend, und zwar auf be- deutender Stufe zusammenwirken, so gibt es ein Fest, das mit keinem anderen zu verglei- chen ist.“550

Alle diese Elemente sollen die Totalität des Dramas in einen einheitlichen Gesamtein- druck überführen, damit, „ein jeder / mit jedem stimmen, alle mit einander / Ein schönes Ganzes vor euch stellen sollen.“551 Alle Variablen von Inszenierung und Aufführung werden bedacht und bereits im Vorfeld akribisch durchgespielt: Die Disziplinierung der Schauspieler, zahlreiche Lese-, Spiel- und Stellproben, Choreographien, Dekorationen, Kostüme, Aufbauten, Bühnenmalerei, Licht-, Raum- und Maschineneffekte sowie re- zeptionsspezifische Aspekte treten als gleichberechtigte Faktoren neben den zu spielen- den Text.552 Schauspielmusiken hatte es schon im Theater Shakespeares und vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts gegeben. Doch wurden diese in der Regel nachträglich zum vorgegebenen Text komponiert. Zu dem Gedanken einer opernhaften Dramatisie- rung des Schauspiels und einer kongenialen Einheit zwischen dem Theaterdichter und dem Komponisten lässt sich Goethe von dem Komponisten Zelter anregen.

„Der Dichter hat den Komponisten auf eigenem Felde, kann ihn leiten, verstehen lehren, ja ihn verstehen lernen; der Komponist arbeitet nach einer Totalidee und kann bestimmt wissen, was er nicht machen muß, ohne beschränkt zu sein, und es muß eine Glückselig- keit sein, wenn beide sich nebeneinander erkennen und durcheinander erklären.“553

Gleichfalls wegweisend für die Ausbildung einer synthetischen Werkidee aus dem Geis- te der Musik ist Friedrich Schillers Musik- und Theaterverständnis. Für Schiller hatte Musik vor allem in produktionsästhetischer Hinsicht Bedeutung. So erklärt er in einem Brief an Goethe seine künstlerische Inspiration aus einem musikalischen Ursprung: „Ei- ne gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee.“554 Die ästhetische Produktion vollzieht sich hier keineswegs allein durch begriffliches Denken, sondern wird eng verknüpft mit musikalischen Empfindun-

549 Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. A. a. O. S. 612. 550 Ebd. S. 562. 551 Johann Wolfgang von Goethe. MA. Bd. 4.1. S. 192. 552 Willi Fleming: Goethe und das Theater seiner Zeit. Stuttgart 1968. S. 202. Näheres dazu auch auf S. 190f. 553 Karl Friedrich Zelter. In Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Bd. 1. A. a. O. S. 384. 554 Friedrich Schiller in Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Bd. 1. A. a. O. S. 160.

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gen.555 In einem Brief an Christian Gottfried Körner vom 25. Mai 1792 schreibt er: „Das Musikalische eines Gedichts schwebt mir weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hin- setze, es zu machen, als der klare Begriff vom Inhalt, über den ich oft kaum mit mir ei- nig bin [...].“556 Ein halbes Jahrhundert später bemüht Richard Wagner die selbe Denkfi- gur einer musikalisierten, präpoetischen Grundstimmung:

„zunächst kann mich kein Stoff anziehen, als nur ein solcher, der sich mir nicht nur in seiner dichterischen, sondern auch in seiner musikalischen Bedeutung zugleich darstellt. Ehe ich dann daran gehe, einen Vers zu machen, ja, eine Scene zu entwerfen, bin ich be- reits in dem musikalischen Dufte meiner Schöpfung berauscht, ich habe alle Töne, alle charakteristischen Motive in Kopfe [...].“557

Die Musik- und Theaterauffassung der beiden Weimarer Dioskuren war bereits in ihrem Ursprung nicht mehr ganz klassisch, zumal sie die romantische Metamorphose einer Musikästhetik andeutet, die sich im vielschichtigen Werk Richard Wagners als Kulmi- nationspunkt synthetischer Leitkategorien kristallisiert. Ähnlich wie Schillers inspirative Musikalität geriert sich auch das Moment einer musikalischen Anregung oder Sensibili- sierung für die Dichtung Friedrich Hölderlins. Dessen Kenntnisse in der musikalischen Harmonielehre sowie in der kontrapunktischen Komposition nehmen auch auf sein dich- terisches Schaffen einen nicht unerheblichen Einfluss:

„Von kaum zu unterschätzender Bedeutung ist die enge Beziehung zur Musik für die Ausbildung seiner Dichtung: Nicht nur die hohe Musikalität seiner poetischen Sprache findet hier ihre Begründung, sondern auch die Vorstellungswelt seiner Dichtungen ist entscheidend von diesem Kunstbereich geprägt. Das Saitenspiel wird zum oftmals wie- derholten Bild der Dichtung selbst und im Gesang schließen sich Poesie und Musik zu einer höchsten Einheit zusammen.“558

In Hölderlins Roman Hyperion ist es der Gesang Diotimas, in dem sich „alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne“559 zu einer ästhetischen Har- monie sublimiert. Im Fragment von Hyperion (1794) sind es „heilige Gesänge von dem, was besteht, was fortlebt, [...] was war, ist und sein wird, von der Unzertrennlichkeit der Geister, und wie sie Eines sei‟n von Anbeginn [...]“560, welche die Alleinheit des Seins zum Ausdruck bringen. Diese Zusammenstimmung im Brennpunkt der musikalischen

555 Siehe dazu Norbert Oellers: Arrangement von Einfällen. Etwas über Schillers Weise zu dichten. In Norbert Oellers: Friedrich Schiller. Zur Modernität eines Klassikers. Michael Hofmann (Hg.). Frankfurt/Main, Leipzig 1996. S. 24-40. 556 Friedrich Schiller: Brief an Körner vom 25. Mai 1792. NA. Bd. 26. Briefwechsel. Edith Nahler und Horst Nahler (Hg.). Weimar 1992. S. 142. 557 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Gertrud Strobel, Werner Wolf (Hg.). Bd. 2. Leipzig 1980. S. 358. 558 Gunter Martens: Friedrich Hölderlin. Reinbek bei Hamburg 1996. S. 14. 559 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 3. S. 58. 560 Ebd. S. 187.

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Empfindung erfährt ihren apotheotischen Höhepunkt am Ende von Hyperion. Hier ver- schmelzen nicht nur die beiden Liebenden miteinander; beide verwandeln sich gleich- sam in Musik: „Lebendige Töne sind wir, stimmen zusammen in deinem Wohllaut, Na- tur!“561 Hier scheint bereits jener Bedeutungswandel der Musik auf, der für die nachfol- gende Frühromantik kanonische Bedeutung erlangen wird. In E. T. A. Hoffmanns Er- zählsammlung Die Serapionsbrüder verkündet einer der Protagonisten hinsichtlich einer produktiven Gemütsverfassung des Opernlibrettisten: „Ja, ich glaube, kein guter Vers könne in meinem Innern erwachen, ohne in Klang und Sang hervorzugehen.“562 Hoff- mann selbst äußert sich zur poetologischen Bedeutung der Musik in dem musikalischen Selbstgespräch Ahnungen aus dem Reiche der Töne:

„Aber wie oft erklingt mit den Worten des Dichters im Innern des Musikers zugleich die Musik und überhaupt des Dichters Sprache in die allgemeine Sprache der Musik? – Zu- weilen ist sich der Musiker deutlich bewußt, schon früher die Melodie gedacht zu haben, ohne Beziehung auf Worte, und sie springt jetzt beim Lesen des Gedichts, wie durch ei- nen Zauberschlag geweckt, hervor.“563

Dieser rezeptionsgeschichtliche Bogen von Schiller über Hölderlin bis hin zu Hoffmann veranschaulicht die epochen- und gattungsübergreifende Dimension des musik- literarischen Spektrums. Dichtung entsteht aus einer musikalischen Grundstimmung, die das Gemüt für die ästhetische Inspiration empfänglich macht. Dies vermag sie aufgrund ihrer fast vollkommenen Freiheit von begrifflichen Determinierungen. Im Gegensatz zu Kants Geringschätzung der Musik kommt dieser in Schillers ästhetischer Theorie eine besondere Bedeutung zu, weil sie das Sprachgebilde mit einer außersprachlichen Bedeu- tung versieht und dessen Wirkung dadurch potenziert.564 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch Schillers Interesse am musikalischen Drama. Doch im Gegensatz zum Diver- tissement und zur dekorativen Repräsentation der höfischen Barockoper leistet Schillers musikdramatische Vision einen Abstraktionstransfer. Die Musik durchbricht die abge- bildete Wirklichkeit, ohne diese zu verfremden und verschafft der Form Vorrang vor dem Inhalt:

„Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt [sich] loswickeln sollte. [...] Die Oper stimmt durch die Macht der Musik und durch eine freiere harmonische Reizung der Sinnlichkeit das Gemüt zu einer schönern Empfängnis [...].“565

561 Ebd. S. 166. 562 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 108. 563 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 8. S. 557. 564 Siehe dazu auch Hermann Fähnrich: Schillers Musikalität und Musikanschauung. Hildesheim 1977. 565 Friedrich Schiller. In Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Bd. 1. A. a. O. S. 467.

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Schillers Affinität zur Oper gründet in der besonderen Wirkungsästhetik musikalischer Vermittlung und „findet sein Pendant in den musikalischen Tendenzen seiner klassi- schen Dramen.“566 Vor allem in seinen Spätwerken, wie etwa der Jungfrau von Orleans (1801) oder dem Wilhelm Tell (1804) dienen eine opernhafte Dramaturgie sowie diverse Orchestereinlagen zur theatralischen Steigerung von Effekt und Wirkung.

„Opernhafte Stilzüge bestimmen bereits die Exposition, die Fischerknaben, Hirten und Alpenjäger als singende Vertreter der bäuerlichen Lebensformen vorführt [...]. Dient die- se Szene [...] der Charakteristik idyllischer Naturverbundenheit, so erfüllt die Orchester- musik zum Ende des zweiten Akts die Funktion, die eindrucksvolle Vereinigung der Eid- genossen auf dem nächtlichen Rütli in ihrem theatralischen Effekt zu unterstreichen.“567

Über Schillers »romantische Tragödie« Die Jungfrau von Orleans bemerkt noch Richard Wagner: „Ja, das drängt alles zur Musik, das will aber nicht etwa sagen, dass das Kunstwerk hier verfehlt sei.“568 Vor allem der große Monolog Johannas [IV; 1] ist durch eine enorme Musikalisierung gekennzeichnet: „In seinem Wechsel von gleichsam rezitativischen und ariosen Teilen [...] gleicht dieser Monolog einer Opernszene.“569 Wenn Schiller selbst auch keine Libretti für die Opernbühne geschrieben hat, so gründet die multimediale Wirkungsästhetik vieler seiner Dramen gerade auf solchen musika- lisch-dramatischen Effekten, die sich keineswegs in Musikeinlagen und musikalischen Akkompagnements erschöpfen. Aber auch die virtuose Gestaltung der Massenszenen sowie die bewegten Naturbilder verweisen direkt auf das Tableau vivant der späteren Grand opéra und des Wagnerschen Musikdramas. Die Bedeutungssteigerung der Musik wird zugleich zu einem wesentlichen Bestandteil der Erneuerung des dramatischen Ganzen, das allein im Zusammenspiel der Einzelgattungen seine Vollendung gewinnt. Ort einer solchen Synthese ist die Theaterbühne, ihre Voraussetzung die Aufführung, deren Modus ist die Inszenierung, durch die allein die Oper Geltung und Bedeutung er- langt. In einem Brief an Iffland erklärt Schiller: „Eine Tragödie kann auch für sich selbst [...] etwas sein; eine Oper ist nichts, wenn sie nicht gespielt und gesungen wird.“570 Und in der Vorrede Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie zu dem »Trauerspiel mit Chören« Die Braut von Messina (1803) schreibt er: „Aber das tragische Dichterwerk wird erst durch die theatralische Vorstellung zu einem Ganzen: nur die Worte giebt der Dichter, Musik und Tanz müssen hinzukommen, sie zu beleben.“571 Schiller formuliert hier nichts anderes als eine Vermischung der Künste in der Gestalt des szenisch- dramatischen Kunstwerks. Unter dem Primat der theatralischen Vorstellung vereinigen

566 Peter André Alt: Schiller. Bd. 2. A. a. O. S. 381. 567 Ebd. S. 566. 568 Cosima Wagner: Die Tagebücher. Bd. 1. S. 236. 569 Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. A. a. O. S. 363. 570 Friedrich Schiller. In Schillers Briefe. Erwin Streitfeld, Viktor Zmegac (Hg.). Frankfurt/Main, Ber- lin 1986. S. 462. 571 Friedrich Schiller. NA. Bd. 10. Siegfried Seidel (Hg.). S. 7.

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sich Dichtung, Gebärde, Tanz und Musik zu einem gemeinschaftlichen Gesamtkunst- werk572, das seine erste Verwirklichung auf der Opernbühne der italienischen Spätre- naissance erlebte und über diverse Verfallserscheinungen im Gewande des romantischen Musikdramas wieder auferstehen sollte.

572 Friedhelm Brusniak: Schiller und die Musik. In Helmut Koopmann (Hg.): Schiller-Handbuch. Stuttgart 1998. S. 181f.

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Die Utopie vom Ganzen und Gesamten

Das Denken in ganzheitlichen Kategorien um 1800

Ganzheitliches Denken steht in einer hochkomplexen Tradition, lässt sich bereits in der Antike573 nachweisen und findet seine Entsprechung genauso in der Idee des habsburgi- schen Universalreiches wie in den utopischen Projekten der Spätrenaissance. Von dort aus geht die Linie weiter zur Barock- und Rokokoepoche bis hin zu den Vordenkern der Aufklärung. Stets hat ganzheitliches Denken Referenzen auf utopische Gegenentwürfe. Diese kommen in der Ästhetik ebenso wie in der Geschichts- und Staatsphilosophie zum Ausdruck. Wurde in der Idyllendichtung zwischen Klopstock, Gessner und Wieland eine ar- kadische Ur-Einheit poetisch stilisiert, so richten Winckelmann, Karl Philipp Moritz, Seume oder Goethe ihr Augenmerk auf die Kunstlandschaft Italiens als Raum einer ganzheitlichen Erfahrung. Goethe erblickt in der mediterranen Sphäre jene organische Einheit von Naturlandschaft, Kunst und Lebensleichtigkeit, die exemplarisch eine Syn- these von Natur und Kultur symbolisiert.574 Im Kontext der Genie-Ästhetik ist Shake- speare für Herder der Inbegriff des synthetischen Künstlers, weil er alle tradierten poeto- logischen Regeln negiert und versucht, die heterogensten Stoffe, Motive und Elemente in seinem Werk zu verganzheitlichen.575 Herder schreibt in seiner Theaterschrift Shake- speare (1773). Dieser

„dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, König und Narren, Narren und König zu dem herrlichen Ganzen! [...] er nahm Geschichte, wie er sie fand, und setz- te mit Schöpfergeist das verschiedenartigste Zeug zu einem Wunderganzen zusammen [...].“576

Zum Ganzen strebt auch Goethes Universalgelehrter Faust, dessen Vollendungssehn- sucht auf eine universale Totalität ausgerichtet ist. Faust II (1831) kann in diesem Zu- sammenhang als eine Parabel auf das klassische Ganzheitsstreben gelesen werden. Aber auch formal wird in dieser Tragödie ein ganzheitliches Gewebe entworfen, das alles um-

573 Fritz Krafft: Die Zahlen des Kosmos. Platon und die pytagoreische Lehre. In Uwe Schulz (Hg.): Scheibe, Kugel, Schwarzes Loch. Die wissenschaftliche Eroberung des Kosmos. München 1990. S. 71. 574 Terence James Reed: Die klassische Mitte. Goethe und Weimar 1775-1832. Reihe: Sprache und Literatur 115. Stuttgart 1982. S. 66. 575 Darin folgt Herder Lessing, der dem »Genie« in der Hamburgischen Dramaturgie (1768/69) eine grenzüberschreitende, regelüberwindende Potenz im Sinne einer ganzheitlichen Gestaltung zu- weist. Gotthold Ephraim Lessing: Lessings Werke. Bd. 2. A. a. O. S. 257. 576 Johann Gottfried Herder. Herders Werke in fünf Bänden. Bd. 2 A. a. O. S. 213.

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fasst und umschließt.577 Ein Synonym dieser Ganzheitsdarstellung ist die pantheistische Verwobenheit des Einzelnen in das kosmische Ganze, welche sich dem Protagonisten allerdings erst am Ende des zweiten Teils der Tragödie erschließt.

„Wie alles sich zum Ganzen webt, / Eins in dem andern wirkt und lebt! / Wie Himmels- kräfte auf und nieder steigen / Und sich die goldnen Eimer reichen! / Mit segenduftenden Schwingen / Vom Himmel durch die Erde dringen, / Harmonisch all das All durchklin- gen! / Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“578

Auch für Schillers Gesellschaftstheorie bilden Kategorien des Ganzheitlichen zugleich den Ausgangs- und den Fluchtpunkt. Schon sein universaler Wissenschaftsbegriff zielt aufs Ganze. In seinem Aufsatz Was heisst und zu welchem Ende studiert man Univer- salgeschichte? (1789) unterlegt er dem philosophischen Geist ein ganzheitliches Bil- dungskonzept: „Alle seine Bestrebungen sind auf Vollendung seines Wissens gerichtet; seine edle Ungeduld kann nicht ruhen, bis alle seine Begriffe zu einem harmonischen Ganzen sich geordnet haben [...].“579 Neben einem universalen Wissenschaftsbegriff fordert Schiller auch im Bereich der individuellen Lebensgestaltung eine ganzheitliche Ausbildung, deren kanonische Vorgabe er gemeinsam mit Goethe in den Tabulae Vo- tivae für Cottas Musenalmanach für das Jahr 1797 (1796) niederlegt. In dem Sinn- spruch Pflicht für jeden (1804) heißt es: „Immer strebe zum Ganzen und kannst du sel- ber kein Ganzes / Werden, als dienendes Glied schließ‟ an ein Ganzes dich an.“580 Fluchtpunkt dieser strebenden Entwicklung ist jene anthropologische Totalität, die im ästhetischen Vorschein des Kunstwerks aufleuchtet und die „ebenso auf Emanzipation vom Realitätsprinzip wie auf die Totalität und Harmonie aller menschlichen Vermögen, das heißt auf eine Ganzheitsvorstellung, zielt.“581 Diese klassische Vision des ganzheit- lichen Menschen wird zum Leitbegriff einer ästhetischen Pädagogik, die mit dem unver- sehrten Individuum ein Gegenbild zum fragmentierten Erscheinungsbild der Gesell- schaft entwirft. „Die deutsche Klassik war der Versuch, aus der klassenmäßig zerstück- ten Gesellschaft den ganzen, unzerstückelten Menschen zu entwickeln.“582 Bald darauf werden Fichte und Schelling diesen klassischen Ganzheitskanon erweitern und eine Vereinigung der Einzeldisziplinen unter dem Primat der Philosophie fordern, um damit der aufkommenden Trennung und Zergliederung von Wissenschaft und Kunst zu be- gegnen.583

577 Wilhelm Emrich: Die Symbolik von Faust II. A. a. O. 1981. S. 261, 423f, 36f. 578 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 3. S. 23. 579 Friedrich Schiller. NA. Bd. 17. Karl-Heinz Hahn (Hg.). S. 362. 580 Friedrich Schiller. NA. Bd. 2 II. S. 315. 581 Walter Hinderer: Utopische Elemente in Schillers ästhetischer Anthropologie. In Hiltrud Gnüg (Hg.): Literarische Utopie-Entwürfe. Frankfurt/Main 1982. S. 175. 582 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Gesamtausgabe in 16 Bänden. Bd. 5. Frankfurt/Main 1985. S. 493f. 583 Theodore Ziolkowski: Das Amt der Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen. Mün-

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Philosophische Ganzheitskonstrukte

Auch die philosophischen Entwürfe um und nach 1800 sind darauf ausgerichtet, die di- vergierenden Einheiten einer mehr und mehr fragmentierten Welt in einen übergeordne- ten Systemzusammenhang zurück zu binden. „Es überrascht deshalb nicht, feststellen zu müssen, daß mit dem Verlangen nach Erneuerung eine Sehnsucht nach Synthese, Ver- söhnung und Sicherheit einherging.“584 Hegels Philosophie nimmt dabei eine Zwischen- stellung ein, da sie sowohl ein übergeordnetes Ganzes durch eine Synthese des Denkens zu erreichen versucht, als auch dem dissoziativen Moment der Entwicklung gleicherma- ßen konstitutive Bedeutung beimisst. Doch ist die Dissoziation zugleich auch eine Grundvoraussetzung von einer den Geist tragenden Existenz. Entzweiung ist also „ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist in der höchsten Lebendigkeit nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung mög- lich.“585 Harmonisiert wird die Dissoziation durch das wiedervereinigende Prinzip der Vernunft, das Hegel von dem dissoziativen Moment des Verstandes unterscheidet. In diesem erkennt Hegel jenes analytische Moment, dessen Wesen die Entzweiung sowohl befördert als auch darstellt. Mit der geschichtlich wachsenden Vielfalt der Entwick- lungsmöglichkeiten wächst das Moment der Entzweiung.

„Je weiter die Bildung gedeiht, je mannigfaltiger die Entwicklung der Äußerungen des Lebens wird, in welche die Entzweiung sich verschlingen kann, desto größer wird die Macht der Entzweiung [...] und bedeutungsloser die Bestrebungen des Lebens, sich zur Harmonie wiederzugebären.“586

Allein die Philosophie vermag die Verabsolutierung der Gegensätze dadurch aufzuhe- ben, dass sie diesen eine Dialektik unterlegt, die aus dem Widerstreit ein Wechselspiel macht und die Bildung in ein übergeordnetes Entwicklungsprogramm reintegriert. Telos dieser Dialektik „ist das Absolute selbst; es ist das Ziel, das gesucht wird [...].“587 Modus dieser Ganzheitlichkeit ist die Reflexion, ihre Erfüllung erlangt sie in der Philosophie. Deren Aufgabe besteht darin, „diese Voraussetzungen zu vereinen, das Sein in das Nichtsein – als Werden, die Entzweiung in das Absolute – als dessen Erscheinung, das Endliche in das Unendliche – als Leben zu setzen.“588 In der Vorrede zur Phänomenolo- gie des Geistes wird diese dissoziative Dialektik von Entzweiung und Erscheinung ein- gebunden in das übergeordnete System des Geistes, der sich kontinuierlich weiter ent-

______chen 1994. S. 320. 584 James J. Sheehan: Der Ausklang des alten Reiches. 1763 bis 1850. Propyläen Geschichte Deutsch- lands. Bd. 6. Berlin 1994. S. 298f. 585 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 2. S. 21f. 586 Ebd. S. 22f. 587 Ebd. 588 Ebd. S. 25.

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wickelt. Der Begriff des Ganzen fasst dabei alle Komponenten in sich zusammen: den Anfang, das hypothetische Endprodukt sowie die Dynamik einer Entwicklung des Geis- tes, dessen höchste Form sich in der Wissenschaft ausdrückt.

„Sowenig ein Gebäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt worden, so wenig ist der er- reichte Begriff des Ganzen das Ganze selbst. [...] So ist die Wissenschaft [...] nicht in ih- rem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geistes ist [...] das aus der Sukzession wie aus seiner Ausdehnung in sich zurückgegangene Ganze, der gewordene einfache Begriff desselben.“589

Diese Denkfigur mündet in eine Gleichsetzung des Ganzen mit der Wahrheit, die jedoch eines dissoziativen Entwicklungsprozesses bedarf. An dessen Ende steht jenes Absolute, das sowohl Ursprung als auch Entwicklung in sich schließt. Die kulturgeschichtliche Dissoziation wird in ein begrifflich reflektiertes Kontinuum des Geistes rückgebunden und somit zum wesentlichen Bestandteil eines Ganzen, das nur im Streben nach Vollen- dung auf Wahrheit rekurrieren kann.

„Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist [...].“590

Den Kulminationspunkt dieser Philosophie bezeichnet Hegels Staatsbegriff. Der Staat wird zum integrativen Prinzip schlechthin: „In ihm findet die zerstückelte und individu- alisierte bürgerliche Gesellschaft ihre Einheit.“591 Vor diesem philosophischen Hinter- grund versuchen auch die Dichter-Philosophen zwischen Klassik und Romantik die Er- fahrung einer kulturgeschichtlichen Vereinzelung und Entfremdung künstlerisch zu be- wältigen. Alleinheitssehnsucht inspiriert u.a. Friedrich Hölderlins Hyperion, der ein Pa- radigma der Versöhnung in einer Zeit der Gegensätze formuliert.

„Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen. Eines zu sein mit Allem, was lebt, [...] das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden [...]. Eines zu sein, mit Allem, was lebt! Mit diesem Worte legt [...] der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt [...].“592

Voraussetzung der Einheit von vorstellendem Subjekt und objektivierter Welt ist eine Depotenzierung des Geistes und die Einsetzung einer integrativen Vorstellungsweise, deren Kern Hölderlin mythisch nennt. Im mythischen Text werden Begriff und Vorstel- lung, Verstand und Sinnlichkeit zu einer höheren Synthese gebracht und durch die Poe-

589 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 3. S. 19. 590 Ebd. S. 24. 591 Hubert Knoblauch Wissenssoziologie. A. a. O. S. 37. 592 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 3. S. 9.

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sie ganzheitlich vermittelt.593 Dass der Gesamtzusammenhang des Ganzen weit mehr ist als die Summe seiner Teile, betont Hölderlin in einem Brief vom 24. Dezember 1798:

„Resultat des Subjektiven und Objektiven, des Einzelnen und Ganzen, ist jedes [...] Pro- dukt, und eben weil im Produkt der Anteil, den das Einzelne am Produkte hat, niemals völlig unterschieden werden kann vom Anteil, den das Ganze daran hat, so ist auch dar- aus klar, wie innig jedes Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt und wie sie beede nur Ein lebendiges Ganze ausmachen, das zwar durch und durch individua- lisiert ist und aus lauter selbständigen, aber ebenso innig und ewig verbundenen Teilen besteht.“594

Auch für Hegel hat die dialektische Vorstellung von im Ganzen aufgehobenen Teilen, die ihrerseits wiederum das Ganze beinhalten, eine exponierte Bedeutung. In der Wis- senschaft der Logik (1812) schreibt er in dem Kapitel Das Verhältnis des Ganzen und seiner Teile:

„Das Ganze ist das Selbständige, die Teile sind nur Momente dieser Einheit; aber eben- sosehr sind sie auch das Selbständige, und ihre reflektierte Einheit [ist] nur ein Moment; und jedes ist in seiner Selbständigkeit schlechthin das Relative eines Anderen. [...] Das Ganze besteht daher aus den Teilen; so daß es nicht etwas ist ohne sie. Es ist also [...] die selbständige Totalität; aber gerade aus demselben Grunde ist es nur ein Relatives, denn was es zur Totalität macht, ist vielmehr sein Anderes, die Teile; und es hat nicht an sich selbst, sondern an seinem Anderen sein Bestehen. [...] Es ist nichts im Ganzen, was nicht in den Teilen, und nichts in den Teilen, was nicht im Ganzen ist. Das Ganze ist nicht abs- trakte Einheit, sondern die Einheit als einer verschiedenen Mannigfaltigkeit […].“595

Dieses Axiom der Hegelschen Philosophie ist bereits in Leibnitz‟ Lehre von den Mona- den vorgebildet. Jede einzelne umfasst für sich das ganze Universum.596 Hegels Philo- sophie führt diese ganzheitlichen Denkfiguren schon in den frühen Schriften ein und re- produziert sie in nachfolgenden Werken. In der Schrift Über die Differenz des Fich- teschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801) erläutert er die Wechsel- wirkung zwischen dem Teil und dem Ganzen:

„Aber das Absolute, weil es im Philosophieren [...] fürs Bewußtsein produziert wird, wird hierdurch eine objektive Totalität, ein Ganzes von Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen. In dieser Organisation ist jeder Teil zugleich das Ganze, denn er besteht als Beziehung auf das Absolute.“597

Es wird deutlich, dass sich Hegels ganzheitliche Konzeption des Absoluten auf die To- talität von Wissen und die Organisation von Erkenntnissen bezieht, keineswegs jedoch

593 Henning Bothe: Hölderlin zur Einführung. A. a. O. S. 71f. 594 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 6. S. 324. 595 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 6. S. 167ff. 596 Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. 11. Aufl. Bd. 2. Frankfurt/Main 1980. S. 156. 597 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 2. S. 30.

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auf eine Ganzheit von Denken, Fühlen und Leben. Andererseits erkennt auch Hegel im Kunstwerk „die Alternative zur modernen Zerrissenheit“598, da sich kein einziges Teil vom Ganzen absondert und die Einheit von Allgemeinem und Einzelnem gewährleistet ist. Doch ähnlich wie bei Schiller bleibt diese ästhetische Wiedervereinigung auseinan- der strebender Momente ein Abstraktum. Neben Hegel beansprucht auch Arthur Schopenhauer die Kategorie des Ganzheit- lichen, doch verfährt er dabei eher vermittlungspragmatisch. Durch die vereinheitli- chende Dualität von Wille und Vorstellung bedingen sich nicht nur Anfang und Ende wechselseitig, der Kerngedanke der Schopenhauerschen Weltanschauung spiegelt sich in sämtlichen Teilaspekten seiner Philosophie.599 Mit Hegel stimmt er darin überein, dass sich das Ganze nicht aus der mathematischen Summe seiner Teile ergibt, sondern dass es mit seinen Einzelteilen identisch ist. In der Kritik der Kantischen Philosophie (1818) schreibt er:

„Denn das Ganze ist nicht durch die Theile, noch diese durch jenes; sondern beide sind nothwendig zusammen, weil sie Eines sind und ihre Trennung nur ein willkürlicher Akt ist. Darauf beruht es, [...] daß, wenn die Theile weggedacht werden, auch das Ganze weggedacht ist, und umgekehrt [...].“600

Der klassische Traum vom Ganzen, der sich im ästhetischen Spiel, in der philosophi- schen Reflexion oder in der pantheistischen Synthese von Ich und Natur erfüllen soll, erhält bereits bei Hölderlin jene religiöse Grundierung, die von der Frühromantik adap- tiert wird. Ist für Schiller die vernunft- und verstandesmäßige Reflexion noch ein adä- quates Medium, sich dem ganzheitlich-naiven Urzustand anzunähern, so erkennt der junge Friedrich Schlegel im Verstand ein Medium der Trennung. Erst die umfassende Synthese einer dynamischen Diesseitigkeit mit einer alleinheitlichen Gottesvorstellung gewährt Ganzheit.

„Wir trachten nach drei Dingen, nämlich Vielheit, Einheit und Allheit: in Deiner Spra- che, Leben, Kraft, Gott. Nur die Vermählung aller erzeugt menschliches Dasein: die strenge Absonderung ist nur Werk des Verstandes; die rohe gehört dem Sinne, nach dem herrschenden Element.“601

Bei Novalis kommt die Tendenz nach Einheit und Allheit in den Begriffen Gesamtle-

598 Annemarie Gethmann-Siefert: Das Klassische als das Utopische. Überlegung zu einer Kulturphilo- sophie der Kunst. In Rudolf Bockholdt (Hg.): Über das Klassische. Frankfurt/Main 1987. S. 65. 599 Arthur Schopenhauer. A. a. O. Bd. 1. S. 8. 600 Anhang zu Die Welt als Wille und Vorstellung. In Arthur Schopenhauer. Werke in fünf Bänden. Nach den Ausgaben letzter Hand. Ludger Lütkehaus (Hg.). Bd. 1. Zürich 1988. S. 626. Näheres zu Schopenhauers ganzheitlichem Werkverständnis bei Volker Spierling: Arthur Schopenhauer. Phi- losophie als Kunst und Erkenntnis. Frankfurt/Main 1994. S. 63ff. 601 Friedrich Schlegel in Willi A. Koch (Hg.): Briefe Deutscher Romantiker. A. a. O. S. 50.

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ben602, Gesamtphilosophieren603, Gesamtwillen604, aber auch im Gesamtwerkzeug605 zum Ausdruck. In jedem dieser Beispiele steht das »Gesamt« in unmittelbarem Zusammen- hang zum »Total« der Welt, das es terminologisch erschließt. Neben diesen terminologi- schen Variationen einer ganzheitlichen Erschließung des Gesamten verweist Achim von Arnim in seiner Theaterschrift Erzählungen von Schauspielen auf den Körper. Arnim entwirft das Bild vom „ganzen Körper, als ein Kunstganzes.“606 Zur Verwirklichung die- ser Idealvorstellung dienen ihm die übrigen Künste, die veredelnd auf den ganzen Kör- per einwirken sollen:

„so vollendet könnte auch der ganze übrige Körper werden, wenn Musik zur Bildung der Ohren, Gesang für Mund und Hals, Malerei für die Augen, die Liebe endlich für den Ton und den Ausdruck des ganzen Körpers zum Beistande der werdenden Geschlechter sich vereinigten.“607

Ein solcherart gebildeter Mensch ist für Arnim „das vollendetste aller Kunstwerke,“ das allein „alle Kunst in sich aufzunehmen, also ein liebendes Kunstwerk zu werden“608 vermag. Diese Formen ganzheitlichen Denkens werden von der literarischen Hochro- mantik auch auf die gesellschaftlichen Institutionen übertragen. In Clemens Brentanos Kantate zum 15ten Oktober 1810 wird die Universität zum Garanten eines ganzheitli- chen Wissens unter dem Primat einer enzyklopädischen Universalität erklärt: „Der Ganzheit, Allheit, Einheit / Der Allgemeinheit / Gelehrter Weisheit, / Des Wissens Frei- heit, / Gehört dies königliche Haus! / So leg‟ ich euch die goldnen Worte aus: / UNI- VERSITATI LITTERARIAE:“609 Die romantische Poetologie von literar- philosophischen und soziopolitischen Ganzheitskonstrukten werden zu einem entschei- denden Faktor innerhalb der Programmdiskussionen um das Gesamtkunstwerk. Mit der Romantik beginnt die Geschichte synthetischer Synchronisationen aus dem Schatten der Repräsentation heraus zu treten; das Gesamtkunstwerk avanciert zu einer sowohl ge- samtgesellschaftlichen als auch metaphysischen Utopie.

602 Novalis. Schriften. Im folgenden zitiert nach Novalis. SCH. Die Werke Friedrich von Hardenbergs in vier Bänden. Paul Kluckhohn und Richard Samuel (Hg.). Stuttgart 1960. Bd. 1. S. 331 und Bd. 2. S. 591. 603 Novalis: „Ächtes Gesammtphilosophieren ist also ein gemeinschaftlicher Zug nach einer geliebten Welt [...].“ SCH. Bd. 2. S. 374. 604 Novalis: „Der Unterschied zwischen Ding und Begriff entsteht durch Beziehung auf – Gesammt- und Privatwillen.“ In Novalis. SCH. Bd. 3. S. 445. 605 Novalis: „Ich weiß nur so viel, daß für mich die Fabel Gesamtwerkzeug meiner gegenwärtigen Welt ist.“ In Novalis. SCH. Bd. 1. S. 331. 606 Achim von Arnim. Werke in sechs Bänden. Bd. 6. Schriften. Roswitha Burwick, Jürgen Knaak, Hermann F. Weiss (Hg.). Frankfurt/Main 1992. S. 161. 607 Ebd. 608 Ebd. S. 162. 609 Clemens Brentano: Werke. In vier Bänden. Bd. 1. Wolfgang Frühwald, Bernhard Cajek, Friedhelm Kemp (Hg.). München 1968. S. 229.

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Gesamteuropäische Synthesetendenzen

Die Überwindung von Gattungsgrenzen ist keineswegs auf die deutsche Romantik be- schränkt.610 Schon der romantische Rückbezug auf das universale Werk Shakespeares macht auf dessen Vielgestaltigkeit aufmerksam. Shakespeares Werk amalgamiert diver- gierende Stimmungen, Tragik und Komik, verquickt exaltierte oder groteske Bilder und Situationen mit melodramatischen Elementen. Als romantisch werden auch musikali- sierte Stimmungswerte beispielsweise in Shakespeares Drama Romeo und Julia erach- tet. So schreibt Friedrich Schlegel in einem Brief vom Juni 1793 an seinen Bruder Au- gust Wilhelm: „Der Ausdruck ‚Romantische Melodie„ ist höchst treffend. Kein Gedicht ist so romantisch und so musikalisch.“611 Aber auch die Universalität des Autors wird von den Romantikern stets als die wichtigste Präfiguration romantischer Ironie beur- teilt.612 Darüber hinaus wird eine ganzheitliche Idee im Theater Shakespeares auch in der metaphorischen Stilisierung der Welt als Theater rekonstituiert. Der programmati- sche Gedanke aus As you like it (1598/1600): „All the world‟s a stage, / And all the men and women merely players“613 entspricht dabei der Auffassung von der Bühne als Sym- bol und Paradigma der Welt: „Umgekehrt spiegelt die Bühne im Kleinen die ganze Welt, so dass sich Shakespeares Theater zu Recht The Globe nennen darf.“614 So scheint schon in der Bezeichnung des Aufführungsortes mit Erd- oder Weltkugel die welthaltige und weltumspannende Grundkonzeption von Shakespeares Theater auf. Ganzheitliche Integrationen lassen sich auch in den Werken der englischen Romantiker William Blake, Lord Byron und Percy Bysshe Shelley nachweisen. Blakes gattungsübergreifende Poetik einer Synthese von Bild, Zeichnung und Gedichten ist ein mustergültiges Bei- spiel für die Verwirklichung von Friedrich Schlegels Theorem einer progressiven Uni- versalpoesie. Zu seinen Gedichtsammlungen Songs of Innocence (1789) und Songs of Experience (1794) gestaltet Blake dekorative Illustrationen, deren Bildhaftigkeit mit der Dichtung zu einem poetisch-visuellen Gesamtkunstwerk verschmilzt. In Byrons Tragö- dien Marino Faliero (1820), The Two Foscari (1821) sowie im Lesedrama Sardana- palus (1821) mischen sich klassische Formprinzipien mit romantischem Tempera- ment.615

610 Gerhart Hoffmeister: Deutsche und europäische Romantik. 2. Aufl. Stuttgart 1990. S. 123f. 611 Friedrich Schlegel in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. A. a. O. S. 45. 612 Hermann August Korff: Geist der Goethezeit. Versuch einer ideellen Entwicklung der klassisch- romantischen Literaturgeschichte. Teil IV. Leipzig 1953. S. 30. 613 William Shakespeare. The Works of William Shakespeare. A. a. O. Bd. 1. S. 474. Eine entsprechende Weltbühnenmetapher formuliert in The merchant of Venice (1598) auch der Kauf- mann Antonio: „I hold the world but as the world, Gratiano; / A stage, where every man must play a part [...].“ Ebd. S. 399. 614 Ulrich Suerbaum: Der Shakespeare-Führer. Stuttgart 2001. S. 267. Zur umfassenden Mehrdeutig- keit der Bezeichnung »Globe« als Weltkugel, Kopf und Theater siehe: Alan Posener: William Shakespeare. Überarbeitete Neuausgabe. Hamburg 2001. S. 44ff. 615 George Steiner: Der Tod der Tragödie. A. a. O. S. 168.

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In Frankreich begründen Stendhals programmatischer Essay Racine et Shakespeare (1823-1825) und die berühmte Theaterschlacht um Victor Hugos romantisches Drama Hernani (1830)616 zunächst einen politisch bezogenen Romantikbegriff. Dennoch steht auch hier die Überwindung der tradierten Regeln des ‚Ancien régime littéraire‟617 mit seiner Doctrine classique sowie die Vermischung des Erhabenen (le sublime) mit dem Grotesken (le grotesque)618, des Schönen mit dem Hässlichen sowie des Tragischen mit dem Komischen im Dienst einer Intention, welche die „romantische Dichtung als »poème complet«“619 definiert. Gerade das Stilmittel der Groteske erweist sich als syn- thetischer Modus schlechthin, denn das „in der Realität voneinander Getrennte wird ge- waltsam zusammengebracht [...].“620 Auch in der deutschen Romantik hat die Annähe- rung poetologischer Kategorien eine synthetische Qualität. E. T. A. Hoffmann schreibt: „Nur im wahrhaft Romantischen mischt sich das Komische mit dem Tragischen so ge- fügig, daß beides zum Totaleffekt in eins verschmilzt und das Gemüt des Zuhörers [...] ergreift.“621 In Victor Hugos Programm wird der Modus der Synthese auch auf die Pro- tagonisten selbst übertragen. Es entsteht der gemischte Charakter. Der moderne Held kann erhaben, ebenmäßig, schön und heroisch, zugleich aber auch grotesk, unmoralisch und niederträchtig, er kann von hässlicher Gestalt und moralisch einwandfrei sein. Er ist vielschichtig, zerrissen und zergrübelt, welt- und ichfremd, traumverloren und irrational. Auf der Folie seiner Gewissenskonflikte spiegelt sich zugleich der gesamte disparate Humus seiner Epoche, die nur noch im Grotesken einen adäquaten Ausdruck erhält.

„Groteske entsteht [...] dort, wo das »Ganze« nicht mehr mit dem Menschen überein- stimmt. Also überall – denn wie sollte je das »Ganze«, die ungeheuerliche Vielfalt des Lebens, zur reinen Ordnung sich fügen? Unstimmigkeit, kraß Entgegengesetztes, Ver- zerrtes neben Maßvollem wird immer sein. Erst die Kunst vermag, nach Hugo, das Chaos zu Harmonie und Schönheit zu verschmelzen.“622

Hugo geht es bei seinem Theaterprogramm um jene Wirkungsästhetik, die im Einklang mit republikanischem Gedankengut ein „nachrevolutionäres Volkstheater zu nobilitie- ren“623 und dabei ein integratives Weltdrama zu installieren versucht. Obschon Hugos Synthesen artifizielle Tendenzen aufweisen, bildet gerade die mystische Dimension sei-

616 Dieses epochale Theaterereignis markiert den eigentlichen Beginn der Romantik in Frankreich. 617 Näheres dazu bei Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt/Main 1970. S. 107-143. 618 Wolfgang Kayser: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg, Hamburg 1957. S. 61. 619 Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Bd. 3. A. a. O. S. 270. 620 Michael Müller: Die Groteske. In Otto Knörrich (Hg.): Formen der Literatur. In Einzeldarstellun- gen. 2. Aufl. Stuttgart 1991. S. 145. 621 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 106. 622 Henning Rischbieter: Französisches Theater und Drama im 19. Jahrhundert. In Henning Rischbie- ter, Jan Berg (Hg.): Welttheater. A. a. O. S. 162. 623 Rainer Warning: Victor Hogo: Ruy Blas. In Jürgen von Stackelberg (Hg.): Das französische Thea- ter. Vom Barock bis zur Gegenwart. Zwei Bände. Düsseldorf 1968. S. 160.

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ner Theaterkonzeption ein Forum vielfältiger Vermischungen und stiftet dadurch eine unmittelbare Querverbindung zur deutschen literarischen Romantik:

„Das Theater selbst soll schließlich bei Hugo immer mehr zu einem nahezu mystischen Kunsttempel werden, das allen nur denkbaren dichterischen Formen Gelegenheit gibt, zu einem einzigen, großen und überdimensionalen Ausdruck zu verschmelzen.“624

Die Poetologie der europäischen Romantik ist interaktiv: So findet das von Madame de Staël vermittelte Gedankengut der deutschen Frühromantik bei den französischen Rom- antikern, einen starken Widerhall.625 Dem Theater und der Literatur in Europa eignet ei- ne unmittelbar interaktive Beeinflussung, was Friedrich Schlegel in seiner Geschichte der europäischen Literatur (1803/04) unterstreicht:

„Die europäische Literatur bildet ein zusammenhängendes Ganzes, wo alle Zweige in- nigst verwebt sind, eines auf das andere sich gründet, durch dieses erklärt und ergänzt wird. Dies geht durch alle Zeiten und Nationen herab bis auf unsere Zeiten. Das Neueste ist ohne das Alte nicht verständlich. [...] Sich nur auf die Literatur einer gewissen Zeit oder einer Nation einschränken wollen, geht gar nicht an, weil eine immer auf die andere zurückführt und alle Literatur nicht allein vor- und nacheinander, sondern auch nebenei- nander innig zusammenhängend ein großes Ganzes bildet.“626

Schlegel stilisiert hier einen europäischen Einheitsraum aus dem Geiste der Literatur, dessen Ganzheitlichkeit der späteren nationalistischen Zersplitterung Hohn zu sprechen scheint. Aber auch Novalis entwirft in seiner Schrift Die Christenheit oder Europa (1799) eine Vision „für eine gewandelte, wiedergeborene neue Christenheit in einem geeinten Europa, [...] geeint in universeller spiritueller Gemeinschaft, ohne Rücksicht auf Landesgrenzen.“627

624 Leo Karl Gerhartz: Die Auseinandersetzungen des jungen Giuseppe Verdi mit dem literarischen Drama. Ein Beitrag zur szenischen Strukturbestimmung der Oper. Berliner Studien zur Musikwis- senschaft. Bd. 15. Berlin 1968. S. 34. 625 Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas. Bd. 6. 2. Aufl. Salzburg 1977. S. 122f. 626 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 11. S. 5, S. 11. 627 Rüdiger Safranski: Romantik. A. a. O. S. 126.

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Die romantische Theorie des Gesamtkunstwerks

Romantische Variationen ganzheitlicher Entwürfe

Synthetische Spielarten des Romantischen

Begriff und Vorstellung des Romantischen eröffnen einen geradezu unermesslichen Deutungsspielraum. Vor diesem Hintergrund sollen romantische Spezifika weitgehend im Umfeld synthetischer Aneignungen erörtert werden, auch wenn dabei weitere We- sensmerkmale vernachlässigt werden. Grundsätzlich beinhaltet das Romantische eine regenerative Ursprungsorientierung, und entwirft ganzheitliche Gegenentwürfe zu defi- zitären Wirklichkeitserfahrungen. Joseph von Eichendorff erläutert: „Aber die Romantik war keine bloß literarische Erscheinung, sie unternahm vielmehr eine innere Regenera- tion des Gesamtlebens, wie sie Novalis angekündigt hat.“628 In jenen „kritischen Tagen einer kranken Zeit“629 waren Religion und Kunst die rezentrierenden Bereiche einer sol- chen Genesung. Einerseits sollen Entzweiung und Zergliederung durch Verganzheitli- chungen aufgehoben und in die Sphäre des Religiösen zurück geführt werden.630 Ande- rerseits ist die Kunst der Raum in dem romantische Wunschvorstellungen eine bessere Welt gegenüber den „Armseligkeiten des bedürftigen Lebens“631 nachzubilden suchen.

„In einer Mischung aus gesteigerten Erwartungen und deren zunehmender Enttäuschung in der Wirklichkeit richten sich die romantischen Hoffnungen auf die Kunst. Je weiter die Erwartung schwindet, daß das neue bürgerliche Zeitalter das ersehnte Zeitalter der Synthese sein werde, desto mehr konzentrieren sich die Erwartungen auf eine ästhetische Versöhnung.“632

Synthetische Entwürfe reagieren auf eine ganzheitlich orientierte Erlösungssehnsucht: „Ganz allgemein gilt die Romantik heute als Versuch, aus einer eingesehenen Krisensi- tuation zu einer neuen Kultursynthese zu kommen [...].“633 Sie kennzeichnen einen Mo- dus allumfassender Aneignung, der sowohl werk- als auch gattungsimmanent nach Grenzüberschreitungen strebt. Die Kupferstiche des Franzosen Jacques Callot inspirie-

628 Joseph von Eichendorff: Werke. Bd. 1. A. a. O. S. 944. 629 Jean Paul. SW. München 1963. S. 25. 630 Rudolf Wildbolz: Romantik. In Werner Kohlschmidt, Wolfgang Lange (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Vier Bände. 2. Aufl. Bd. 3. P-SK. Berlin, New York 1977. S. 587. 631 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 314. 632 Cornelia Klinger: Flucht – Trost – Revolte. Die Moderne und ihre ästhetischen Gegenwelten. München, Wien 1995. S. 137. 633 Alexander von Bormann: Romantik. In Ulfert Ricklefs (Hg.): Das Fischer Lexikon. Literatur. Bd. 3. A. a. O. S. 1712.

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ren beispielsweise E. T. A. Hoffmann zu seinem Erzählband Fantasiestücke in Callots Manier634 (1813) sowie zu der Erzählung Prinzessin Brambilla (1821). In diesem phan- tastischen Capriccio nach Callots Kupferstichzyklus Balli di Sfessania (1621) vollzieht sich die Destillation eines Werkes der bildenden Kunst in die sprachliche Erscheinungs- form des literarischen Kunstwerkes, in dem das ursprüngliche Werk beinahe dialektisch aufgehoben ist.635 Unter dem Primat einer sinnlichen Zusammenstimmung verschiedens- ter Erlebniswerte und Wahrnehmungen werden in allen Bereichen der Kunst, der Philo- sophie sowie des gesellschaftlichen Alltagslebens synthetische Parameter angelegt und zur maßgeblichen Leitlinie erhoben. In Ludwig Tiecks Einleitung zu seiner Novellen- sammlung Phantasus werden vielfältige Formen, Gebilde, Elemente und Erscheinungen aus der Perspektive einer ästhetischen Zusammenschau betrachtet. Inspiriert durch die Festkultur des Mittelalters wird beispielsweise das gemeinsame Festmahl zu einem syn- thetischen Kunstwerk stilisiert, bei dem die einzelnen Komponenten wie in einer musi- kalischen Komposition zusammenklingen sollen:

„Das führt darauf, [...] daß so wie in den Gefäßen und Speisen Harmonie sein muß, diese auch durch die herrschenden Gespräche nicht darf verletzt werden. Die einleitende Suppe werde [...] mit Stille, Sammlung und Aufmerksamkeit begleitet [...], denn mit dem Kon- fekt und Obst und den feinen Weinen soll aller Ernst völlig verschwinden, [...] jede Tischunterhaltung sollte selbst ein Kunstwerk sein, das auf gehörige Art das Mahl ak- kompagnierte und im richtigen Generalbaß mit ihm gesetzt wäre.“636

In den Hymnen an die Nacht (1800) beschwört Novalis die Vereinigung der Liebenden innerhalb einer immerwährenden Synthese von Liebe, Nacht und Tod. Noch im Subtext dieser Hymnen vollzieht sich ein Zusammenklang von erotischer Erfahrung und religiö- ser Offenbarung. Dies entspricht Novalis‟ Auffassung von einer magischen Korrespon- denz zwischen anorganischer und organischer Natur, zwischen Natur und Geist, Tier und Mensch, letztendlich zwischen dem Individuum, der Welt und dem Kosmos. Lud- wig Tieck wiederum entwirft eine Poetologie aufgehobener Gegensätze auf der Grund- lage allgemeiner Mischungen:

„Wie alles Schaffen doch nur ein Verwandeln ist, so dünkt mir, wäre es der Zweck des Dichters [...] das Leibliche mit dem Geistigen, das Ewige mit dem Irdischen, Cupido und Psyche, im Sinne des alten Märchens, auf das innigste in Gegenwart und mit dem Beifall

634 Ähnlich wie in den Werken Glucks, Mozarts und Beethovens erkannte Hoffmann auch in dem Werk des zweihundert Jahre älteren Callot ein romantisches Potential. In dem Aufsatz Jacques Callot schreibt er: „Selbst das Gemeinste aus dem Alltagsleben – sein Bauerntanz, zu dem Musi- kanten aufspielen, die wie Vögelein in den Bäumen sitzen – erscheint in dem Schimmer einer ge- wissen romantischen Originalität, so daß das dem Phantastischen hingegebene Gemüt auf eine wunderbare Weise davon angesprochen wird.“ E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 14f. 635 Winfried Sdun: E. T. A. Hoffmanns »Prinzessin Brambilla«. Analyse und Interpretation einer er- zählten Komödie. Dissertation. Freiburg/Breisgau 1961. S. 64, S. 104ff. 636 Ludwig Tieck: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 63f.

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aller Götter zu vermählen.“637

Die romantische Vermischung von Kunst und Leben, die in vielfältigen Schattierungen hinter allen Variationen synthetischer Gestaltungen hervorleuchtet, wird in Achim von Arnims Erzählung Hollins Liebeleben (1801) zu einem theatralischen Exzess gesteigert. Während einer Aufführung von Schillers Maria Stuart tötet sich einer der Hauptdarstel- ler entsprechend der Schillerschen Dramaturgie auf der Bühne selbst und integriert da- mit das Leben in Gestalt der eigenen Auslöschung in die Kunst.

„Was ist alle Schauspielkunst gegen die schreckliche Wahrheit dieser Darstellung, [...] hier schien sich Leben und Spiel zu verbinden, in einander greifen, unwiderstehlich ei- nander fortzuziehen [...] – Er durchsticht sich mit dem Dolch und fällt der Wache in die Arme – Laut riefen alle Beifall, [...] da ruft einer aus der Wache, die ihn trägt: »Jesus Ma- ria! Er zuckt fürchterlich und ist voll Blut!«“638

Auch der von Goethes Homunculus639 in Faust II präfigurierte künstliche Mensch wird in Mary Shelleys Erzählung Frankenstein or The Modern Prometheus (1816) zu einem synthetischen Konstrukt. Aber auch die erzählerische Haltung bedient sich einer stilisti- schen Adaptation mythologischer, phantastischer, melodramatischer, sentimentaler, tri- vialpopulärer Motive und verknüpft diese mit einer philosophisch-sozialkritischen Be- wusstseinshaltung. Die differenzierten Erzählperspektiven (Notizen, Forschungsberich- te, Ich-Erzählung des Monsters, auktoriale Perspektive etc.), gepaart mit stark diversifi- zierten Elementen der dichterischen Einbildungskraft640 ergeben eine Entsprechung zwi- schen den formalen Gestaltungsmitteln und der narrativen Grundthematik. In dem Maß in dem die Welt in ihre Einzelteile zerfällt, Wissen und Schriftlich- keit sich vermehren und ausdifferenzieren und deren Vermittlung sich drastisch be- schleunigt, bildet sich auch die Utopie einer subjektiven Ganzheitlichkeit. Das romanti- sche Ich wird als eine dynamische Potenz aufgefasst, die weniger auf Identität als viel- mehr auf Entgrenzung und Erweiterung ausgerichtet ist: „Das romantische Ich [...] schlingt alle Außenwelt in sich hinein, und die ewige Rastlosigkeit dieses Entgrenzens, das ewige Verlangen nach einer Synthese, [...] gerade das macht den Romantiker.“641 Exemplarisch kommt diese Auffassung einer romantischen Personalität in Novalis‟ De- finition der synthetischen Person zum Ausdruck:

637 Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Bd. 3. A. a. O. S. 345. 638 Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bd. 2. Walter Migge (Hg.). München 1963. S. 74f. 639 Ulrich Holbein: Der illustrierte Homunculus. Goethes Kunstgeschöpf auf seinem Lebensweg durch hundertfünfzig Jahre Kunstgeschichte. München 1989. S. 14f. 640 Wilfried Dittmar, Redaktion Kindlers Literaturlexikon: Mary Wollenstonecraft Shelley. In Walter Jens (Hg.) Kindlers Neues Literatur Lexikon. Bd. 15. Scho-St. München 1991. S. 392. 641 Victor Klemperer: Romantik und französische Romantik. In Helmut Prang (Hg.): Begriffsbestim- mung der Romantik. Darmstadt 1968. S. 62.

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„Eine ächt synthetische Person ist eine Person, die mehrere Personen zugleich ist – ein Genius. Jede Person ist der Keim zu einem unendlichen Genius. Sie vermag in mehrere Person[en] zertheilt, doch auch Eine zu seyn. [...]. Eine Person ist eine Harmonie – keine Mischung, keine Bewegung [...]. Alle Äußerungen – der Person gehören zur unbestimm- ten (Universal) personalität und zu einer oder mehreren bestimmten Personalitäten zu- gleich.“642

Novalis bestimmt das romantische Ich als eine harmonische Einheit von Identitätssphä- ren. Deren vielfältige Zusammensetzung erst entgrenzt das Ich zu einer universalen Per- sonalität. Vor diesem Hintergrund generiert das romantische Subjektverständnis ein neues Menschenbild. Die Aufklärungspsychologie formulierte ein analytisches Men- schenbild, das

„den Menschen gleichsam in einzelne Eigenschaften und Vermögen zerlegt und dabei wenig Sinn für deren organischen Zusammenhang hat. Der Gegensatz eines solchen Ver- fahrens ist die synthetische Gestaltung, die den Menschen primär als Ganzes auffaßt [...]. Ein solches synthetisches Verfahren ist der Ausdruck einer Auffassung, welche die orga- nische Einheit des Menschen als Wesentlichstes, und die einzelnen Eigenschaften als von dieser Einheit bedingt sieht.“643

Mit der Hinwendung zur Innerlichkeit vollzieht sich die Wende von der objektiven Weltschau der Klassik zur romantischen Subjektivität. Durch Innenschau wird das un- endliche An sich der Dinge erkannt. Hegel definiert: „Diese innere Welt macht den In- halt des Romantischen aus [...]. Die Innerlichkeit feiert ihren Triumph über das Äußere [...].“644 Das Ich wird zum konstituierenden Faktor der Erscheinungswelt. In das Ich kulminiert das Universum, im Ich verschmelzen Mikrokosmos und Makrokosmos mit- einander.

„In unserm Gemüth ist alles auf die eigenste, gefälligste und lebendigste Weise ver- knüpft. Die fremdesten Dinge kommen durch Einen Ort, Eine Zeit, Eine seltsame Aehn- lichkeit, einen Irrthum, irgend einen Zufall zusammen. So entstehn wunderliche Einhei- ten und eigenthümliche Verknüpfungen – und Eins erinnert an alles – wird das Zeichen Vieler [...]. Verstand und Fantasie werden durch Zeit und Raum auf das sonderbarste vereinigt und man kann sagen daß jeder Gedanke, jede Erscheinung unsers Gemüths das individuellste Glied eines eigenthümlichen Ganzen ist.“645

Die klassische Anthropologie formuliert Ausschlusskriterien und empfiehlt eine dyna- mische Ausbildung ausgewählter Persönlichkeitsanteile. Die romantische hingegen er- laubt anarchische Mischungen heterogenster Elemente, sie verzichtet auf eine wertende Unterscheidung und ermöglicht so ein Vielerlei personaler Spielarten.

642 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 250f. 643 Hermann Meyer: Der Sonderling in der deutschen Dichtung. Frankfurt/Main 1990. S. 62f. 644 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 13. S. 113. 645 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 650f.

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Synthetische Landschafts- und Stadtkonzepte

Die utopischen Landschaftssynthesen der Romantik bedienen sich eines umfangreichen vorromantischen Motiv- und Formeninventars, das bis zur Antike zurück reicht.646 Mit der biblischen Initialzündung im ganzheitlichen Naturraum beginnt eine Dissoziation, die den Verlust göttlicher Seinsunmittelbarkeit zur Folge hat; der Mensch wird auf seine schwere Wanderschaft durch die Weltgeschichte geschickt.647 An mittelalterliche sowie islamische Gartengestaltungen knüpfen die Landschaftsanlagen und Gartenkunstwerke des Humanismus648, der Renaissance- und der Barockepoche an, die gleichfalls syntheti- schen Prämissen genügen.649 Im Tagebuch einer Reise durch Italien von Michel de Montaigne wird die Gartenanlage der Villa d’Este in Tivoli einer näheren Betrachtung unterzogen. Montaigne beschreibt insbesondere die Kombination von Wasserkunstwer- ken mit wassergetriebenen Musikmaschinen, die selbst Vogelgesang zu imitieren ver- mögen.650 Die Faszination dieses naturarchitektonischen Wunderwerks wird noch in Ludwig Tiecks Novelle Vittoria Accorombona (1840) zum Ausdruck kommen:

„Am meisten entzückten ihn aber die mannigfaltigen Wasserkünste, die in sinnreichen und versteckten Erfindungen bald in kleinen Erzfiguren den Gesang der Vögel nachahm- ten, bald aus menschlichen Gestalten die Töne der Laute und vielfachen Gesang bildeten; so wechselten Sirenen und Wassertiere in seltsamen Gruppen, so spielten die Nereiden und Pan und Schäfer die Wasserorgeln, die Syrinx und Flöten und Pfeifen, dort klang die ländliche Schallmei und ferner abrieselte das Element, welches erst zur künstlichen Mu- sik abgerichtet war, als klarer Bach in seinen Naturtönen dahin.“651

Tieck schafft hier einen romantischen Zusammenklang von freier Natur und gestaltetem Naturraum. In den Gartenanlagen der Villa d’Este wird „Natur in ihrer lieblichen Er- scheinung nur in eine Regel gebunden, um sie wieder auf andre Weise in die höchste poetische Freiheit hinein zu führen.“652 Höhepunkt barocker Gartengestaltung ist die Gartenanlage in Versailles, in welcher der französische Absolutismus seine ästhetisch beeindruckendste Entsprechung findet. Seit etwa 1760 verbreitet sich die Gartenkunst im gesamten europäischen Raum und beginnt am allgemeinen Wettbewerb der Künste zu partizipieren.

646 Clemens Alexander Wimmer: Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt 1989. S. 406. 647 Näheres dazu im Kapitel Gottesgarten, Weltenrad und Uhrwerk. In Regine Kather: Ordnungen der Wirklichkeit. Die Kritik der philosophischen Kosmologie am mechanischen Paradigma. Reihe: Spektrum der Philosophie. Würzburg 1998. 648 Hana Seifertová: Der Garten in den Augen der Humanisten. In Ursula Härting (Hg.): Gärten und Höfe der Rubenszeit. Im Spiegel der Malerfamilie Brueghel und der Künstler um Peter Paul Ru- bens. München 2000. S. 33. 649 Näheres dazu bei Wilfried Hansmann: Gartenkunst der Renaissance und des Barock. Köln 1983. 650 Michel de Montaigne: Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland. In den Jahren 1580 und 1581. Frankfurt/Main 1988. S. 167ff. 651 Ludwig Tieck. Schriften. In zwölf Bänden. Bd. 12. 1836-1852. A. a. O. S. 575. 652 Ebd. S. 576.

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„Seit der Renaissance war der Wettstreit der Künste um den Vorrang ein ständiges The- ma der Kunsttheorie. Jetzt zum ersten Male beansprucht die Gartenkunst den Primat [...]. Zunächst ist die Gartenkunst die umfassendste von allen; denn sie schließt Architektur und Skulptur räumlich in sich, wie die Architektur ihrerseits Skulptur, Ornament und Malerei. Sie schafft also die umfassendste Form des Gesamtkunstwerks, die man sich vorstellen kann: ein ÜberGesamtkunstwerk.“653

Einen programmatischen Anspruch verfolgt die Gartenkunst jedoch nicht; vielmehr ist der Landschaftsgarten Ausdruck einer sich unwillkürlich entwickelnden Sehnsucht, den zivilisatorisch bedingten Gegensatz zwischen Natur und Kultur – wenn nicht zu über- winden – so doch zu harmonisieren. Das Thema des ästhetisierten Gartens und das da- mit verbundene Gartenkunststück654 wird noch die Romantiker beschäftigen, zumal dem formal gestalteten romantischen Garten eine synthetische Qualität zukommt, deren „metrisches und taktmäßiges Schwingen, eine Einheit von Welt, Seele und Gott“655 evo- ziert. In der Barockepoche entspricht den architektonischen Konzeptionen eines ganz- heitlichen Naturraums der Topos einer Architektur des Geistes. Die Naturdarstellungen und Landschaftsbetrachtungen des späteren 18. Jahrhunderts656 hingegen sind von aus- schließlich ästhetischen Repräsentationszwecken entbunden. Sie werden bereits mit der Kategorie des Erhabenen in Verbindung gebracht, aus der sich eine ganzheitliche Erfah- rung von Grenzenlosigkeit ergeben soll. Dabei ist der Englische Landschaftsgarten von beispielgebender Bedeutung. Mit ihm kann einerseits eine radikale Autonomie von den gängigen kulturellen Form- und Regelzwängen artikuliert werden; andererseits bedient er den romantischen Traum eines durch Kunstmittel generierten paradiesischen Ur- sprungsgartens.657 Auch die sich von konventionellen Betrachtungsmustern lösende ro- mantische Naturanschauung strebt danach, die Vielfalt des analytischen Blicks zurück zu binden in eine Erfahrungstotalität, die alle Wahrnehmungsformen zu integrieren sucht. Zudem lassen sich auch an der barocken Gartenkunst direkte Rezeptionslinien zur Romantik aufzeigen.658 Hinzu kommt die antihöfische Bedeutung der Landschaft als ganzheitliches Gegenbild einer frühbürgerlichen Melancholie gegenüber der urbanen feudalaristokratischen Kultur.659 Wesentlich für diese Genealogie einer romantischen Landschaftsauffassung sind auch die gestalterischen Impulse, die von der spätbarocken

653 Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Salzburg 1983. S. 21. 654 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 3. S. 325. 655 Marianne Thalmann: Der romantische Garten. In Romantik in kritischer Perspektive. Heidelberg 1976. S. 32. 656 Grundsätzliches zur Landschaftserfahrung um 1800 bei Andreas Müller: Landschaftserlebnis und Landschaftsbild. Studien zur Dichtung des 18. Jahrhunderts und der Romantik. Stuttgart 1955. 657 Oskar Bätschmann: Entfernung der Natur. Landschaftsmalerei 1750-1920. Köln 1989. S. 23. 658 In Jean Pauls Roman Siebenkäs (1796) wird die barocke »Eremitage« in Bayreuth zu einem inner- weltlichen Lustgarten der Erinnerungen des Protagonisten stilisiert. Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 2. S. 451. 659 Wolf Lepenies: Melancholie und Gesellschaft. Frankfurt/Main 1969. S. 99-103.

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sowie klassizistischen Architektur und Gartenkunst ausgehen.660 In der Schönheit des gestalteten Landschaftsgartens soll die Harmonie von Natur und Kultur der göttlichen Ordnung der Welt entsprechen.661 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird der Kunst- und Landschaftsgarten als eine begehbare Vergegenwärtigung einer idealisierten Vergan- genheit konzipiert und als solche von der Romantik aufgegriffen. In seiner Novellen- sammlung Phantasus führt Ludwig Tieck die Spielarten der europäischen Gartenkunst diskursiv vor, um das Wesen des spezifisch romantischen Gartens zu veranschaulichen.

„Dagegen ist mir [...] ein Garten bekannt, der allen romantischen Zauber auf die sinnigste Weise in sich vereinigt, weil er, nicht um Effekt zu machen, sondern um die innerlichen Bildungen eines schönen Gemütes in Pflanzen und Bäumen äußerlich zu erschaffen voll- endet wurde; [...] in jedem Freunde der Natur, der diese liebliche Schatten besucht, müs- sen sich dieselben heitern Gefühle erregen, mit denen der sinnvolle Pflanzer die anmu- tigste Landschaft hier mit dem Schmuck der schönsten Bäume dichtete [...]. Denn ein wahres und vollkommenes Gedicht muß ein solcher Garten sein [...].“662

Tiecks Reflexion über den romantischen Kunstgarten folgt den Gestaltungsprinzipien umfassender Integration unter dem Primat einer sinnlichen Erfahrung. Zudem ist ein solches Gartengebilde selbst Bestandteil eines übergeordneten Ganzen, in dem die Gär- ten „eine grünende geräumige Fortsetzung des Hauses sind [...].“663 Vor diesem Hinter- grund bildet der romantische Garten auch einen Raum für eine sowohl gesellschaftliche Kommunikation als auch für die Zwiesprache mit der Natur. Vor dieser kommunikati- ven Folie avancieren integrale Tendenzen in Tiecks romantischer Landschaft zugleich zur Metapher einer Theaterlandschaft.

„Das verwirrend Unbestimmte und gleichzeitig sehnsüchtig Ahnungsvolle, das Tieck an der Landschaft immer wieder hervorhebt, begegnet ihm auch in der Welt des Theaters. Das heißt, der poetische Gehalt, den er in der realen Landschaft vorfindet, scheint für ihn in ähnlicher Weise auch die »Kunst-Landschaft« der Theaterwelt zu enthalten.“664

Die Landschaft und das Theater beginnen ihre semantische Zuordnung allmählich preis- zugeben und auf eine übergeordnete Bedeutung hinzuweisen. Das synthetische Moment wird in dem Maße für die romantische Landschaft konstitutiv als sie sowohl in der Dichtung als auch auf der Bühne Tiecks eine Theatralisierung erfährt. Durch das Mo- ment einer inszenierten Landschaft wird die symbolhafte Qualität des romantischen Na- turraums um eine wirkungsreiche Dimension erweitert. So hat das Motiv des Natur-

660 Norbert Miller: Die beseelte Natur. Der literarische Garten und die Theorie der Landschaft nach 1800. In Helmut Pfotenhauer (Hg.): Kunstliteratur als Italienerfahrung. Tübingen 1991. S. 112ff. 661 Maren Sofie Røstvig: >Beatus ille vir< - das Ideal des >Glücklichen Mannes<. In Propyläen Ge- schichte der Literatur. Bd. 3. A. a. O. S. 506. 662 Ludwig Tieck. Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 77. 663 Ebd. S. 70. 664 Eva Bosch: Dichtung über Kunst bei Ludwig Tieck. Stuttgart 1962. S. 81f.

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raums bei Eichendorff die Funktion, die Sphäre von Kindheit und Heimat sinnbildlich zu veranschaulichen: „Ebenso wie der Wald Symbol der Romantik ist, so ist der Garten Eichendorffs persönliches, ureigenstes Symbol in seiner speziell kindheits- und heimat- bezogenen Ausprägung.“665 Hinzu kommt neben einer motivischen Nobilitierung im romantischen Musikdrama666 auch eine Musikalisierung des Gartens.

„Vom romantischen Garten muß wohl gesagt werden, daß Plastik und Kontur, die der formale Garten hatte, in ein Farbenerlebnis umgewertet wird, dessen Sinnfälligkeit musi- kalisch interpretiert wird. [...] Blumen, Töne, Farben werden ein integrierender Teil der Raumeinheit. Das Zusammenspiel von Gegenstand und Licht, das als Haupterlebnis da- hinter steht, ist mehr als ein »ästhetisches Spiel«“.667

Durch vielfältige musikalische Assoziationen gewinnt der Garten jenen transitorischen Charakter, der den statischen Eindruck des vor- oder dargestellten Naturraums in die Nähe musikalisch dramatischer Szenen rückt. In seinem durch E. T. A. Hoffmann, Ludwig Tieck und Clemens Brentano mitinspirierten Romanfragment Tonkünstlers Le- ben (1819-20) artikuliert der Musikdramatiker Carl Maria von Weber den Versuch einer solchen synästhetisch musikalisierten Landschaft.

„Das Anschauen einer Gegend ist mir die Aufführung eines Musikstückes. Ich erfühle das Ganze, [...] die Gegend bewegt sich mir, seltsam genug, in der Zeit. Sie ist mir ein sukzessiver Genuß. [...] Aber, gerechter Himmel, mit welchen Purzelbäumen stürzen die Trauermärsche, Rondos, Furiosos und Pastorales durcheinander, wenn die Natur so an meinen Augen vorbeigerollt wird.“668

Die Romantik erklärt die Landschaft zu einer Chiffre der Natur, die als stimmungstra- gende Phantasmagorie in mythisch-mittelalterlicher Vorzeit vom poetischen Gemüt ver- standen werden kann. Das Romanfragment Heinrich von Ofterdingen (1800) von No- valis stiftet eine Vielzahl solcher Bezüge. Novalis hat in diesem Text „die Landschafts- erfahrung, die Analogie von Landschaft und Seelenstand, schulbildend als Wesens- merkmal altdeutscher Kultur geadelt.“669 Somit vereinigt die romantische Landschafts- darstellung sowohl die objektive als auch die subjektive Natur. Die ästhetisch verwan- delte Landschaft avanciert zu einem Abbild der höchsten Harmonie mit ganzheitlicher Tendenz. In einem ganzheitlichen Kontext stehen auch die urbanen Visionen der Romantik.

665 Cornelia Nolte: Symbol und historische Wahrheit. Eichendorffs satirische und dramatische Schrif- ten im Zusammenhang mit dem sozialen und kulturellen Leben seiner Zeit. Paderborn 1986. S. 33. 666 Vgl. die romantischen Zaubergärten und -wälder beispielsweise in Glucks, Haydns und Rossinis Armida-Opern oder in Wagners Parsifal. 667 Marianne Thalmann: Der romantische Garten. In Romantik in kritischer Perspektive. A. a. O. S. 43. 668 Carl Maria von Weber: Kunstansichten. Ausgewählte Schriften. Wilhelmshaven 1978. S. 35f. 669 Friedmar Apel: Deutscher Geist und deutsche Landschaft. Eine Topographie. Berlin 2000. S. 75.

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Als geistig-kulturelles, religiöses, aber auch wirtschaftliches Zentrum ist die Stadt das herausragende Symbol der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Sie ist zugleich der kommunikative Kristallisationspunkt schlechthin. Komplexe urbane Sinnbilder670 erlau- ben, die Stadt als ein Experimentierfeld synthetischer Forschungen zu betrachten. Die Stadt ist zugleich Ausgangspunkt, Motor, Zentrum und Zielpunkt von Kultur- und Zivi- lisationsgeschichte überhaupt.671 Ganzheitliche Stadtansichten bringt bereits die astro- nomisch und kosmologisch begründete architektonische Idealstadt-Utopie der italieni- schen Renaissance zum Ausdruck.672 Im Zeitalter von Gegenreformation und Absolu- tismus entspricht die Totalität der infrastrukturellen Ordnung der totalitären Staatsrai- son.673 Hier wird ein letztes Mal versucht, dem totalitären Herrschaftsanspruch von Feu- dalismus und katholischer Kirche in einer alles umfassenden barocken Vision674 Aus- druck zu verleihen: „Die Stadt war wieder zu einer funktionalen Einheit und einem äs- thetischen Gesamtkunstwerk geworden, wie sie es in der Antike schon einmal gewesen war.“675 Das Ensemble der Künste in der barocken Residenz ergibt eine üppig aufblü- hende Infrastruktur, die eine Konvergenz von Architektur, Malerei und Plastik mit der Funktionalität des urbanen Lebensraums beinhaltet.676 Mit der Revolutionsarchitektur nach 1789 weichen die perspektivischen Stadtent- würfe des Barock abstrakteren Modellen. Zudem versucht sich das neue architektoni- sche Konzept durch einen metaphysischen Bezug zu legitimieren. Die Idealstadt bedeu- tet eine säkulare „Vorwegnahme des himmlischen Paradieses. Sie projiziert das Ideal der vollkommenen Gesellschaft in eine auf Erden erreichbare, nahe bevorstehende Zu- kunft.“677 Aus der Perspektive einer romantischen Betrachtung werden Stadt und Land- schaft unter kompositorischen Gesichtspunkten als ganzheitlich gedachte Gebilde mit transzendentalem Verweisungspotential aufgefasst.678 Im Schaffen des Architekten Gott- fried Semper kommt immer wieder eine enge Verwobenheit von soziokulturellen Fakto- ren mit der Kunst die romantische Theorie eines architektonischen Gesamtkunstwerks

670 Stefan Iglhaut, Armin Medosch, Florian Rötzer (Hg.): Stadt am Netz. Ansichten von Telepolis. Mannheim 1996. 671 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschich- te. München 1973. S. 661. 672 Reinhard Bentmann, Michael Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. A. a. O. S. 63. Siehe auch Ruth Eaton: Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin 2003. S. 49. 673 Hanno-Walter Kruft: Städte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit. München 1991. S. 91-93. 674 Ehrenfried Kluckert: Barocke Stadtplanung. In Rolf Toman (Hg.): Die Kunst des Barock. Archi- tektur, Skulptur, Malerei. Köln 1997. S. 76. 675 Loren Partridge: Renaissance in Rom. A. a. O. S. 40. 676 Frank Schneider: Lokales Kolorit – Nationaler Ton – Europäischer Geist. Dresdens Impulse zur Geschichte der Künste in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Peter Andraschke, Edelgard Spaude (Hg.): Welttheater. Die Künste im 19. Jahrhundert. Freiburg 1992. S. 22. 677 Hans Sedlmayr: Eine soziale Idealstadt am Vorabend der Französischen Revolution. In Hans Sed- lmayr: Epochen und Werke. Gesammelte Schriften zur Kunstgeschichte. Bd. 3. Mittenwald 1982. S. 239. 678 Siehe dazu auch Marianne Thalmann: Romantiker entdecken die Stadt. München 1965.

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neugotischer Prägung zum Ausdruck.

„Über Jahrzehnte reifte Sempers Kunstkonzept zur Vorstellung einer Art »Gesamtkunst- werk« der Gesellschaft, dessen Primärmotiv die Harmonisierung aller Sozialstrukturen und -beziehungen durch beherrschende künstlerische Formierung ist [...].“679

Auch die neugotische Stilisierung einer mittelalterlichen Idealstadt in der Romantik be- schwört eine religiöse Utopie festlich-urbaner Gemeinschaftlichkeit,680 die zum bürger- lichen Biedermeiergepränge in Kontrast tritt. Aber auch der retrospektive synthetische Blick auf die idealisierte Stadt in der frühen Neuzeit ist nichts weniger als romantisch. In einem Brief an Richard Strauss schreibt Hugo von Hofmannsthal über den romanti- schen Gehalt der Meistersinger von Nürnberg:

„Dieses Stadtganze, [...] die deutsche bürgerliche Geistes-, Gemüts- und Lebenswelt von 1500 nicht bloß widerspiegelnd, sondern wahrhaft vergegenwärtigend, das war eines der großen entscheidenden Erlebnisse der Romantik, von Tieck, Wackenroders «Herzenser- gießungen eines kunstliebenden Klosterbruders» mit der Dürergestalt im Hintergrund, über Arnim und E. Th. A. Hoffmann zu dem Vollender der Romantik: R. Wagner.“681

Die Stadt war stets ein semiotischer Erfahrungsraum, dessen integratives Moment alle Stadtelemente zu einer ganzheitlichen Textur vereinte.682 Als atmosphärische Zusam- menballung einer kulturellen Infrastruktur sowie als ästhetisiertes Konglomerat des Si- multanen und Disparaten bildet sie ein „äußerst differenziertes Netzwerk künstlerischer, literarischer und wissenschaftlicher Aktivitäten“683 mit einer akkumulativen Dynamik,684 die sie auch für romantische All-Einheitssehnsüchte prädestiniert.

Romantische Vernetzungen zwischen den Künsten

Eine weitere Variation interaktiver Adaptationen ergibt sich aus den Wechselwirkungen zwischen Malerei, Dichtung und Musik. So werden in Clemens Brentanos Nazarener- Lyrik Gedichte eigens zu bestimmten Bildern von Malern der Künstlergemeinschaft der

679 Eckart Kröplin Theatralität als gesellschaftliches Phänomen im 19. Jahrhundert. In Peter Andraschke und Edelgard Spaude (Hg.): Welttheater. A. a. O. S. 88. 680 Helmut Börsch Supan: Deutsche Romantiker. Deutsche Maler zwischen 1800 und 1850. München, Gütersloh, Wien 1972. S. 75f. 681 Hugo von Hofmannsthal in Richard Strauss – Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel. A. a. O. S. 498. 682 Karlheinz Stierle: Der Mythos von Paris. München 1993. S. 14. 683 Wolfgang J. Momsen: Stadt und Kultur im deutschen Kaiserreich. In Tilo Schabert (Hg.): Die Welt der Stadt. Veröffentlichungen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Bd. 4. München 1990. S. 110f. 684 Näheres dazu bei Walter Kieß: Urbanismus im Industriezeitalter. Von der klassizistischen Stadt zur Garden City. Berlin 1991.

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Nazarener entworfen. In dem Gedicht Transitus Apostolorum auf eine Sepiazeichnung von Adam Eberle wird die sakrale Stimmungsmalerei durch eine musikalische Dimen- sion verstärkt.685 Aber auch die Malerei partizipiert ausgiebig an Dichtung, Musik und Drama. Vor allem der Musik kommt die Bedeutung eines synthetisierenden Mediums zu. Beispiele für die Adaptation musikalischer Formen, Elemente und Stilmittel lassen sich bei fast allen romantischen Malern der Epoche aufzeigen. So finden sich beispiels- weise in der Kunst Moritz von Schwinds musikalische sowie musikalisierende Elemen- te. Diesen Aspekt erhellt die intensive Künstlerfreundschaft zwischen dem Maler Schwind und dem Komponisten Franz Schubert. Beide verwenden sie eine Vielzahl der- selben Themen, Motive oder Dichtungen zum Vorwurf ihrer Kunst.686 Vor allem für Schwind ist diese Freundschaft außerordentlich fruchtbar: „immer wieder wird für ihn, der in Wien zum Freundeskreis Franz Schuberts gehört hatte, die Musik zum Inhalt der Malerei.“687 Im Jahre 1835 projektiert Schwind gar ein Schubertzimmer, das nach Moti- ven aus Franz Schuberts Liedern gestaltet und in dem vornehmlich der Vortrag von Franz Schuberts Liedgut gepflegt werden soll.688 Ansätze einer übergreifenden Vermischung der Künste zu einem farb- symbolischen Monumentalkunstwerk finden sich auch im Frühwerk des Malers Philipp Otto Runge. Fundament dieser Synthese bildet der Gedanke einer Musikalisierung so- wohl der Malerei, als auch der einzelnen Bildelemente, die zu einer Vereinigung der Künste unter dem Primat der Musik führen soll. Runge betrachtet seine Werke als Kompositionen, deren Ausarbeitung strengen musikalischen Formgesetzen unterworfen ist, was er am Beispiel seines Werkes Die Lehrstunde der Nachtigall (1804) erläutert:

„Ich habe hiebey etwas bemerkt, das mich auf recht deutliche Gedanken in der Composi- tion bringt, [...] nämlich, daß dieses Bild dasselbe wird, was eine Fuge in der Musik ist. Dadurch ist mir begreiflich geworden, daß dergleichen in unserer Kunst ebensowohl stattfindet [...] wenn man den musikalischen Satz, der in einer Composition im Ganzen liegt, heraus hat, und ihn variirt durch das Ganze immer wieder durchblicken läßt.“689

Von der Wirkung, welche die Musik des Oratoriums Die Jahreszeiten (1798) von Jo-

685 Bernhard Gajek: Homo Poeta. Zur Kontinuität der Problematik bei Clemens Brentano. Reihe: Goethezeit. Bernhard Gajek u.a. (Hg.). Bd. 3. Frankfurt/Main 1971. S. 216. 686 Moritz von Schwind hat etwa 20 Werke nach Themen oder Motiven aus Schuberts Liedgut ge- schaffen. Die bedeutendsten Solo- oder Chorliedervorlagen sind dabei Der Liedler (Schubert 1815 / Schwind 1822), Gesang der Geister über den Wassern (Schubert 1821 / Schwind 1822), Der Tod und das Mädchen (Schubert 1817 / Schwind 1823/24) und Der Erlkönig (Schubert 1815 / Schwind 1860). Darüber hinaus hat Schwind Illustrationen zu Schuberts Opern Fierabras, Eginhart und Emma sowie Rosamunde angefertigt. 687 Helmut Börsch-Supan: Die Deutsche Malerei. Von Anton Graff bis Hans von Marees. 1760-1870. München 1988. S. 409. 688 Siehe dazu auch Ulrike Olbricht: Moritz von Schwind und die musikalische Bilddichtung. In Sieg- mar Holsten (Hg.): Moritz von Schwind. Meister der Spätromantik. Ausstellungskatalog der Staat- lichen Kunsthalle Karlsruhe. Karlsruhe 1996. S. 76ff. 689 Philipp Otto Runge. Hinterlassene Schriften. Bd. 2. Göttingen 1965. S. 223.

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seph Haydns auf ihn ausübt, schließt Runge auf eine innere Musik, die Dichtung, Male- rei und Architektur beseelt.690 Zugleich adaptiert er die satztechnische Behandlung der Symphonie für die Musikalisierung seines Bildgegenstands.691 Hier klingt die frühro- mantischen Poetisierung und Musikalisierung der Künste durch Novalis, Wackenroder, Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Tieck etc. an.692 Vor allem in Runges tetralogi- scher Zeichnungsfolge Die Zeiten (1803) „manifestiert sich, was Novalis und Schlegel und Tieck im »Athenäum« erträumt hatten: die synästhetische Vereinigung der Künste zur neuen, romantischen Kunst.“693 In einem Brief an seinen Bruder Daniel vom 06. No- vember 1803 betrachtet er die Musik selbst als immanentes Prinzip aller Künste.

„Die Musik ist doch immer das, was wir Harmonie und Ruhe in allen drei anderen Küns- ten nennen. So muß in einer schönen Dichtung durch Worte Musik sein, wie auch Musik sein muß in einem schönen Bilde und in einem schönen Gebäude oder in irgendwelchen Ideen, die durch Linien ausgedrückt sind.“694

Im synästhetischen Zusammenspiel der einzelnen Künste ist eine Verknüpfung ver- wandter Sinnsphären angelegt, die das Nebeneinander der verschiedenen Gattungen zu einem einheitlichen Ganzen macht. Runge geht dabei von einer Totalwahrnehmung aus, die in einer Identität von Sehen und Hören gründet. Diese Analogie „der Grunderschei- nung aller Sichtbarkeit, mit der Grunderscheinung des Gehörs, führt auf sehr schöne Re- sultate für eine zukünftige Vereinigung der Musik und Mahlerey, oder der Töne und Farben [...].“695 Auf der Grundlage dieser Wahrnehmungsgemeinschaft der Sinne ent- wirft er seinen Zyklus Die Tageszeiten: „es wird eine abstracte, mahlerische phantas- tisch-musikalische Dichtung mit Chören, eine Composition für alle drey Künste zu- sammen, wofür die Baukunst ein ganz eigenes Gebäude aufführen sollte.“696 Die synäs- thetische Wirkung gründet hier in der zeitlich-strukturellen Organisation, die sich der individuellen Wahrnehmung auf imaginäre Weise erschließt. Damit gibt Runge den normativen Charakter des klassischen Kunstideals auf und intendiert ein entgrenztes romantisches Universalkunstwerk mit eschatologischer Tendenz: „Runges oft diskutier- te Konzeption einer Vereinigung der Künste erweist sich als Entwurf eines paradiesi- schen Totalwerks.“697 Entsprechend der romantischen Intention, das Unendliche in das

690 Näheres dazu in Runges Brief an seinen Bruder Daniel vom 06. April 1803. 691 Näheres dazu in Runges Brief an seinen Bruder Daniel vom 30. Januar 1803. 692 Die exemplarischen Schriften der deutschen Frühromantik hat Runge durch seinen Freund Ludwig Tieck kennengelernt. Näheres dazu bei Jens Christian Jensen: Philipp Otto Runge. Leben und Werk. Köln 1977. S. 107-114. 693 Claus Sommerhage: Deutsche Romantik. Literatur und Malerei 1796-1830 Köln 1988. S. 80. 694 Philipp Otto Runge. Die Begier nach der Möglichkeit neuer Bilder. Briefwechsel und Schriften zur bildenden Kunst. Hannelore Gärtner (Hg.). Leipzig 1978. S. 140. 695 Philipp Otto Runge. Hinterlassene Schriften. Bd. 2. Göttingen 1965. S. 388. 696 Ebd. S. 202 697 Jörg Traeger: Philipp Otto Runge und sein Werk. Monographie und kritischer Katalog. Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts. München 1975. S. 131.

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Endliche der Kunst einzubinden, stellt er sein synthetisches Werkkonzept in einen uni- versellen Verweisungszusammenhang: „Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Mo- ment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme?“698 Ge- genüber seinem Bruder Daniel spricht Runge von einer „Empfindung des Zusammen- hanges des ganzen Universums mit uns [...].“699 In seiner symbolischen Kunst entsteht „eine Art sakrales Gesamtkunstwerk, in dem alle Künste zur Verherrlichung des Göttli- chen zusammenwirken sollten.“700 Vergleichbar mit Caspar David Friedrichs Bildfolge Die Tageszeiten (1821) oder auch mit Wagners Ring-Zyklus, dem tönenden „Schauge- dicht von der Welt Anfang und Ende“701 gibt auch Runges zyklisches Hauptwerk Die Zeiten, eine Schöpfungsgeschichte, deren romantische Utopie eine Erneuerung aus der Vernichtung vorsieht.

„Mir rauscht das Jahr in seinen vier Abwechslungen: blühend, erzeugend, gebärend und vernichtend, wie die Tageszeiten so beständig durch den Sinn, daß meine einzige Sehn- sucht nach diesem fortwährenden Wunder sich eben so immer von neuem erzeugt, und nach Künstlerweise sollte dann das letzte immer der Frühling seyn, die blühende Zeit, welche gerettet aus der vernichteten hervorgegangen, und irdischer Weise wieder andre Zeiten erzeugt [...].“702

Der traditionellen historischen Landschaftsmalerei stellt Runge die subjektive Land- schaft entgegen. Seine Konzeption einer symbolischen Landschaftsmalerei entwickelt die Bildelemente „zu rätselhaften Bedeutungsträgern, deren Gehalt sich ins Geistig- Weitläufige, schließlich im Unendlichen verliert.“703 Somit ist der überhistorische Hin- tergrund von Runges zyklisch orientiertem Gesamtkunstwerk bezeichnet: Mutiert Ge- schichte bei den literar-philosophischen Frühromantikern zum Mythos, so löst sie sich bei Caspar David Friedrich in religiös-symbolischen Sehnsuchtsmotiven704, bei Philipp Otto Runge in musikalisierten Arabesken705 und Hieroglyphen706 des Unendlichen auf. Formale Entgrenzungen und synästhetische Musikalisierungen kennzeichnen auch das frühromantische Drama. In Tiecks Spiel um Die verkehrte Welt mischen sich nicht nur epische mit dramatischen Formen, das epische Element erlangt gegenüber dem dramati- schen bereits jene gesteigerte Bedeutung, die es später auch im Musikdrama bei Wagner erhalten wird. Aber auch das Neben- und Miteinander sowie die Improvisation ver-

698 Philipp Otto Runge. Hinterlassene Schriften. Bd. 1. A. a. O. S. 6. 699 Philipp Otto Runge: Briefe und Schriften. Peter Betthausen (Hg.). München 1982. S. 73. 700 Hanna Hohl: Das Universum der Zeiten. In Werner Hofmann (Hg.): Runge in seiner Zeit. Ausstel- lungskatalog der Hamburger Kunsthalle. München/Hamburg 1977. S. 192. 701 Thomas Mann: Richard Wagner und der >Ring des Nibelungen<. In Thomas Mann: Wagner und unsere Zeit. Aufsätze, Betrachtungen, Briefe. Erika Mann (Hg.). Frankfurt/Main 1983. S. 137. 702 Philipp Otto Runge. Hinterlassene Schriften. Bd. 1. A. a. O. S. 66. 703 Ebd. 704 Näheres dazu bei Werner Busch: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion. München 2003. 705 Näheres zu Runges Arabesken-Konzeption in seinem Brief an Friedrich Christoph Perthes vom 06. September 1802. 706 Jens Christian Jensen: Philipp Otto Runge. A. a. O. S. 116f

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schiedener Episoden führen zu einer Verknüpfung der Illusionsebenen. Die Übernahme von musikalischen Satz- und Vortragsbezeichnungen für die Sprach- und Dramenhand- lung, die Musikalisierung der Sprache, die Verwendung von wortmusikalischen Zwi- schenspielen707 und improvisierten musikalischen Intermedien schaffen in Tiecks Thea- terstück den Rahmen für synästhetische Effekte. Das Schauspiel Die verkehrte Welt be- ginnt mit einer Reflexion einzelner symphonischer Satzbezeichnungen, die mit dem Ti- tel Symphonie überschrieben sind:

„VIOLINO PRIMO SOLO Wie? Wäre es nicht erlaubt und möglich, in Tönen zu denken und in Worten und Gedanken zu musizieren? [...] Denkt ihr nicht so manche Gedanken so fein und geistig, daß diese sich in Verzweiflung in Musik hineinretten, um nur endlich Ruhe zu finden? [...] Was redet uns in Tönen oft so licht und überzeugend an? Ach ihr lieben Leute, (die Zuhörer mein ich) das meiste in der Welt grenzt weit mehr an einander, als ihr es meint [...].“708

Vor allem Tiecks Emanzipation von gängigen Dramenkonventionen sowie seine zahl- reichen Musikalisierungen ergeben eine unmittelbare Nähe zum romantischen Musik- drama. Er adaptiert unterschiedlichste lyrische Formen und Versmaße, vermischt hohe und volkstümliche Stile, verwendet allegorische Verweise und gestaltet so ein raum- und zeitübergreifendes Kontinuum, das keiner spezifischen Gattung mehr eindeutig zu- zuordnen ist. Hier vollzieht sich eine Gattungsmischung im Zeichen des Musikalischen, die über die reine Assimilation poetologischer Mittel deutlich hinaus geht: „Als Univer- salpoesie oder Gesamtkunstwerk vereinigt das Drama Theater und Musik und allego- risch-bildhafte Darstellung [...].“709 Vor diesem Hintergrund können Tiecks dramatische Grenzüberschreitungen als poetologischer Kommentar zu den literatur- und theaterwis- senschaftlichen Vorlesungen der Schlegel-Brüder betrachtet werden.

„Ich hatte mich vorsätzlich von allem Theater und dessen Einrichtungen entfernt, um größeren Raum zu gewinnen, um einige Stellen ganz musikalisch, andere ganz malerisch behandeln zu können. Die Begeisterung des Kriegers, die Leidenschaft des Liebenden, die Vision und das Wunder sollte jedes in einem ihm geziemenden Tone vorgetragen, und das Ganze durch Prolog und Epilog in einen poetischen Rahmen traumähnlich fest- gehalten und auch wieder verflüchtigt werden [...].“710

Ähnlich wie Brentanos Beiträge „zur Phantasiebühne der Romantiker“711 leistet auch

707 Karl Pestalozzi: „Die verkehrte Welt“. Text und Materialien zur Interpretation. Berlin 1964. S. 105. 708 Ludwig Tieck. Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 569. 709 Roger Paulin: Ludwig Tieck. Sammlung Metzler. Realien zur Literatur. Bd. 185. Stuttgart 1987. S. 62. 710 Ludwig Tieck. Dichter über ihre Dichtungen. Bd. 9/I. A. a. O. S. 207f. 711 Lerke von Saalfeld, Dietrich Kreidt, Friedrich Rothe: Geschichte der Deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1989. S. 342.

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Tiecks phantastisch-romantische Imaginationsbühne712 einen bedeutenden Beitrag zur Emanzipation von der Tyrannei der Textvorlage. Das Unbehagen an Sprache und Schrift befördert im Kontext einer zeitgenössischen Korrespondenzästhetik eine Aufwertung der integralen Dimensionen des Szenischen. Diese Tendenz hatte Auswirkungen auf vielerlei Ebenen: „In der Akzentuierung des Sinnlichen, Körperlichen uns Spielerischen artikuliert sich eine subtile Revolte gegen die Anmaßungen der Gutenberg-Galaxis.“713 Begreift man die Bühne als den idealen Ort des Gesamtkunstwerks, so bedeutet „die epochale Verschiebung des Theaterbegriffs vom Dramatischen zum Integralen“714 nicht nur die zwingende Konsequenz einer erweiterten Gesamtkunstidee, sondern auch die Fortschreibung des Synthetischen auf translingualer Ebene.

712 Ludwig Tieck. Dichter über ihre Dichtungen. Bd. 9/I. A. a. O. S. 246f. 713 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 160. 714 Ebd. S. 9.

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Poetologie der synthetischen Werkauffassung

Auflösung der Gattungspoetik und Entgrenzung der Form

Die umfassende Auflösung der Form- und Gattungsgrenzen am Ende des 18. Jahrhun- derts ist eine entscheidende Voraussetzung für die synthetischen Theorien der frühro- mantischen Ästhetik. Bis dahin war der Spielraum dessen, was poetisch relevant und opportun sei weitgehend kodifiziert. Das Kunstwerk war an die Prämissen der form- und normgebietenden Gattung gebunden, der es angehörte. Erst die Erosion tradierter Normen, Begriffe, Poetologien und Kunstauffassungen sowie der rapide Zerfall der Formgrenzen im zeitgeschichtlichen Rahmen von Spätaufklärung und Klassik bildet die Grundlage, auf der sich der tradierte Kanon der Stoffe, Themen und Motive weiter ent- wickelt. Die bislang normative antike Regelpoetik wird relativiert; gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit geschärft für geschichtlich abfolgende Epochen-, Stil- und Gattungs- phänomene.715 Der Kanon ästhetischer Möglichkeiten wird drastisch erweitert. Doch erst durch den Kausalnexus einer allgemeinen Auflösungstendenz werden die Gattungen miteinander kompatibel und das Phänomen einer Grenzüberschreitung innerhalb der Kunstgattungen ästhetisch opportun. Die Erosion der Gattungsgrenzen sowie „unbe- kümmerte Gattungsmischung gehören ja insgesamt in einen Prozeß, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Anbruch der Moderne in der Literatur kennzeichnet.“716 Dieser Prozess bleibt nicht allein auf die Literatur beschränkt und kollidiert unweiger- lich mit den Positionen der klassischen Abgrenzungs- und Vollendungsästhetik. Mit der romantischen Kritik an differenzierenden Kategorien und den damit verbundenen Grenzüberschreitungen erfährt die Erosion der Gattungsgrenzen einen ersten Höhe- punkt. Hier beginnt recht eigentlich die Theoriegeschichte der synthetischen Werkidee. Spätestens in der Frühromantik wird das charakteristische Wesen des Kunstwerks vom spezifischen Charakter der Gattung emanzipiert, bzw. diese in einen übergeordneten Kontext dergestalt einbezogen, dass sie ihren eindeutig definierten Grundcharakter preisgibt. Hatte die literarische Klassik seit Lessings Laokoon den Stil jeder Kunst noch durch deren streng voneinander geschiedene Darstellungsmittel erklärt, so beginnt die Frühromantik sich von diesem Dogma zu befreien. Die künstlerischen Ausdrucksformen werden erweitert und neue Formen und Gegenstände der Darstellung gesucht. Im Kon- text eines allgemeinen ästhetischen Paradigmenwechsels vollzieht sich eine Preisgabe der klassischen Stilhöhe sowie eine Verabschiedung des klassischen Primats des Schö- nen zugunsten des Charakteristischen oder Interessanten. Diese Insignien der Moderne

715 Näheres dazu bei Dieter Gutzen: Positivistische Literaturwissenschaft. In Dieter Gutzen, Norbert Oellers, Jürgen H. Petersen: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Ein Arbeits- buch. Berlin 1989. S. 140ff. 716 Kurt Wölfel: Jean Paul-Studien. Frankfurt/Main 1989. S. 26.

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kommen bei Friedrich Schlegel in Begriffen wie das Pikante, das Frappante, das Fade, das Schockierende zum Ausdruck und stehen stets in einem abenteuerlichen, ekelhaften, hässlichen oder gar grässlichen Kontext. Das Interessante ist hier ein Medium des Über- gangs. Schlegel erklärt,

„daß das Interessante, als die notwendige Vorbereitung zur unendlichen Perfektibilität der ästhetischen Anlage, ästhetisch erlaubt sei. Denn der ästhetische Imperativ ist abso- lut, und da er nie vollkommen erfüllt werden kann, so muß er wenigstens durch die end- lose Annäherung der künstlichen Bildung immer mehr erreicht werden.“717

Mit dem Interessanten avancieren auch die irrationalen sowie triebhaften Aspekte der menschlichen Natur zu Gegenständen ästhetischer Darstellung. Sinnlichkeit beispiels- weise unterläuft als interessantes Thema die klassisch-abgeklärte Pose eines schönen Eros und bezeichnet mit dieser Negation einen „Aufstand der Sinne gegen das abstrakt gewordene Leben.“718 Damit wird das Interessante auch zur Initialzündung einer Ent- grenzung des ästhetischen Ausdrucksensembles. Prominentester Gegner dieser Poetik des Interessanten ist Hegel, der die dissonierende Ästhetik der Romantik verwirft, je- doch deren Verbreitung bezeugt:

„Vorzüglich jedoch ist in neuester Zeit die innere haltlose Zerrissenheit, welche alle wid- rigsten Dissonanzen durchgeht, Mode geworden und hat einen Humor der Abscheulich- keit und eine Fratzenhaftigkeit der Ironie zuwege gebracht, in der sich Theodor Hoff- mann z. B. wohlgefiel.“719

In diesem Zusammenhang steht neben dem Charakteristischen auch das Schauerliche sowie das Abgründige irrationaler Seelenzustände wie sie u.a. in der Romantischen Oper und im Romantischen Musikdrama zum Ausdruck kommen. Das ästhetische Ent- setzen einer verworfenen Welt und die mit religiösen Bildern eines metaphysischen Grauens getränkten Höllenvisionen wird nicht nur in den literarisch stilisierten Nacht- seiten der Romantik evident. In der Oper ist es u.a. Carl Maria von Weber, der diesem sowohl ästhetischen als auch anthropologischen Paradigmenwechsel die Richtung weist: „Erst mit Weber stieß die Romantik das Tor sperrangelweit auf. Das Abgründige im Menschen, das Unbegreifliche der Natur und des Lebens wandelte er hier in Musik um.“720 Im traumseligen Unbewussten wird ein Bereich des Schreckens geortet, der sich einer klassischen Vortrefflichkeitsbestimmung genauso entzieht wie einer pädagogi- schen Perfektibilität des Individuums. All diese Erweiterungen werden erst möglich,

717 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 1. S. 214. 718 Rolf Grimminger: Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. Für eine neue Dialektik der Aufklä- rung. Frankfurt/Main 1986. S. 96. 719 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 13. S. 289. 720 Hans Hoffmann: Carl Maria von Weber. Biographie eines realistischen Romantikers. Düsseldorf 1986. S. 209.

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nachdem eine Entgrenzung normativer Formgrenzen und -begriffe die Gattungen öffnet und dadurch Gattungsmischungen ermöglicht.

Die romantische Ironie

Stilmittel dieser ästhetischen Grenzüberschreitung ist die romantische Ironie. Friedrich Schlegel bestimmt Ironie generell als ein Medium der Überschreitung: „Sie ist die frei- este aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg [...].“721 Ironie bedeutet jenes Moment im Bewusstsein des Künstlers, das die Spannung zwischen Be- dingtem und Unbedingtem, Vollendetem und Unvollendetem, zwischen Endlichem und Unendlichem aufzeigt und deren dialektische Beziehung deutlich macht. Diese dialekti- sche Spannung zwischen gegensätzlichen Elementen ist für die Künstler der Frühroman- tik notwendigerweise unaufhebbar. Die Kunst soll mit dem Mittel der Ironie diesen Wi- derstreit erregen und zugleich enthalten. Die romantische Ironie bewirkt dabei, dass ein Kunstwerk nicht nur etwas Bestimmtes, sondern immer auch sich selbst darstellt.722 Da- raus ergibt sich, dass das inhaltlich Dargestellte nicht der Endzweck der Kunst ist. Über die inhaltliche Aussage hinweg muss sich das Kunstwerk selbst reflektieren. Wichtiger als eine Kernaussage ist der einzelne beredte Bestandteil, der den Charakter eines Ver- weisungszeichens erhält. Bedeutender als ein definierter Sinngehalt ist die Tendenz nach einem verborgenen Sinn. Dadurch bewirkt die romantische Ironie eine Preisgabe der konkreten Abbildung realer oder idealer Gegenstände der Kunst wie sie seit Aristoteles und Horaz über Opitz und Gottsched bis hin zu Lessing und Goethe die klassische und klassizistische Ästhetik kennzeichnet. Durch das Vermögen, vom Inhalt zu abstrahieren bewirkt die romantische Ironie zugleich auch eine Irritation, die den Gegenstand der Po- esie der gewöhnlichen Wahrnehmung entzieht und verfremdet. Dieses Verfahren hatte schon für Novalis einen zutiefst romantischen Charakter: „Die Kunst auf eine angeneh- me Art zu befremden, einen Gegenstand fremd zu machen und doch bekannt und anzie- hend, das ist die romantische Poetik.“723 Aufgegeben wird durch diese Ironiekonzeption auch der klassische Anspruch auf inhaltliche und stilistische Vollendung des Kunst- werks innerhalb streng gewahrter Formgrenzen. Die romantische Ironie als Modus der Reflexion der Formgrenzen gewährt jene Durchlässigkeit und Offenheit, die, gemein- sam mit der Autonomie von inhaltlichen Determinationen, die Voraussetzung für die Synthese unterschiedlichster Formen, Stoffe, Motive und Gattungen schafft. Der roman- tischen Ironie ist eine synthetische Tendenz zutiefst inhärent, da sie in sich Ernst und Scherz, kombinatorischen Witz und spekulativen Geist, Kunst und Leben sowie die

721 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 160. 722 Ebd. S. 205. 723 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 685.

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Universalität des Chaos vereinigt.724 Vor diesem Hintergrund bestimmt Friedrich Schle- gel das Wesen der Ironie als eine umfassende Synthese absoluter Antithesen: „Sie ent- springt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollendeter Kunstphiloso- phie.“725 Durch Ironie wird das Unendliche im Endlichen in Form von unbestimmten Verweisungszeichen zum Ausdruck gebracht. Dazu gehört eine poetische Sprache, die weniger auf die mimetische Bedeutung des Ausgedrückten zielt als vielmehr eine Evo- kation von Bildern und Bilderketten beabsichtigt. Durch die Ironie wird die konkrete Referenzialität des Kunstwerks transzendiert und das Unendliche als ästhetisches Kon- zept augenscheinlich. Die romantische Ironie macht einen begrifflich nicht definierten, übergeordneten Gesamtzusammenhang in der Kunst deutlich. Sie erzeugt jene Transpa- renz, die hinter der Form die göttliche Idee der Kunst offenbart.

„Die Ironisierung der Darstellungsform ist gleichsam der Sturm, der den Vorhang vor der transzendentalen Ordnung der Kunst aufhebt und in ihr das unmittelbare Bestehen des Werkes als eines Mysteriums enthüllt.“726

Das ironisch reflektierte Kunstwerk bezieht sich fast ausschließlich auf den Bereich des Unsagbaren, dessen Chiffre es darstellt. Dadurch wird das ästhetische Gebilde zu einem absoluten Kunstwerk erhoben, da es eindeutig konnotierbare Bezüge preisgibt. Zugleich avanciert es zu jenem Über-Kunstwerk, das alle anderen Kunstwerke in concreto und in abstracto integriert. Der ironische Modus wird somit zu einem Motor des romantischen Gesamtkunstwerks, dessen transzendentale Erweiterung über den Bereich der Kunst hinaus das Ganze der Welt zu amalgamieren trachtet.

Entwicklung, Diskontinuität, Zufall und Chaos

Die Ironisierung des Kunstwerks, die Reflexion seiner unterschiedlichen Bedingungen und Bedeutungen erzeugt eine generelle Offenheit und Unabgeschlossenheit des Kunst- werks. Diese bewirkt eine produktionsästhetische Akzentverlagerung und unterstreicht damit dessen prozessualen Charakter.

„Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden [...]. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr erstes Gesetz aner-

724 Walter Schulz: Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik. Pfullin- gen 1985. S. 271f. 725 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 160. 726 Walter Benjamin. Gesammelte Schriften. Bd. I/1. Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser (Hg.). Frankfurt/Main 1974. S. 86.

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kennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide.“727

Das Prinzip einer unendlichen Entwicklung wird konstitutiv für die gesamte romanti- sche Ästhetik und deren verschiedene Gesamtkunstkonzeptionen. Noch die immanente Entwicklungs- und Fortschreitungstendenz der Leitmotivik im romantischen Musikdra- ma, deren Elemente sich in beständigem Fluss verändern und fortbilden, gehören in die- se poetologische Genealogie. Schon bei Novalis finden fortwährende Veränderungen statt, die eine eindeutige Werkkonfiguration verhindern: „Alles ist in Bewegung und Bewegungsverben lösen die festen Umrisse auf.“728 Die beliebige Wahl, Anordnung und Variation der Stoffe, Themen und Motive entheben das Kunstwerk von kausalen Zwän- gen. Sinnbild dieser Erosion von zielgerichteten Entwicklungsprozessen und Vollen- dungsprämissen ist das Chaos, das August Wilhelm Schlegel als Tendenz der romanti- schen Poesie und Kunst „einer schön geordneten und die ewigen Urbilder der Dinge in sich abspiegelnden Welt“729 der Klassik entgegenstellt. Die romantische Poesie ist dage- gen „der Ausdruck des geheimen Zuges zu dem immerfort nach neuen und wundervol- len Geburten ringenden Chaos, welches unter der geordneten Schöpfung, ja in ihrem Schoße sich verbirgt [...].“730 Das poetische Spiel mit Chaos und Zufall, der Verfrem- dung einzelner Formen und Motive sowie mit der magischen Zeichenhaftigkeit der Welt soll eine Beziehung zwischen dem intuitiven Schaffensprozess und der chaotischen Rät- selhaftigkeit von Welt und Dasein herstellen. Chaos bedeutet für Schlegel aber auch ein reflexives, systemüberschreitendes Moment mit transzendentaler Referenz.731

„Vor allem ist der Begriff des Chaos die positive Entsprechung zum Begriff des Systems, wenn unter ihm das Telos des analytischen Verfahrens verstanden wird. Chaotisch meint das synthetische als das Denken erweiternde Verfahren des Verstandes.“732

Diese desintegrierte Dimension der Verwirrung und Auflösung oszilliert in einer fort- währenden Dialektik zwischen der Evokation von Chaos und dessen künstlerischer Be- wältigung. Die romantische Chaostheorie geht davon aus, dass die künstlerische Dar- stellung von Diskontinuität zugleich deren Kompensation beinhaltet. Neben Tieck sind es vor allem Friedrich de la Motte Fouqué, Clemens Brentano und E. T. A. Hoffmann, die dem Chaos dichterische Formen abringen.

„Fouqué ? Die endlos verschlungenen Riesengobelins seiner Ritterromane : immer ist

727 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 183. 728 Marianne Thalmann: Formen und Verformen durch die Vergeistigung der Farben (1964). In Rom- antik in kritischer Perspektive. A. a. O. S. 167. 729 August Wilhelm Schlegel: Kritische Schriften und Briefe. Bd. 6. A. a. O. S. 112. 730 Ebd. 731 Ebd. S. 262. 732 Heinz Gockel: Friedrich Schlegels Theorie des Fragments. In Ernst Ribbat (Hg.): Romantik. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch. Königstein/Taunus 1979. S. 26.

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Krieg Wirrwarr Schwerter klirren gegen Zauberstäbe. / Brentanos vielberufene . / Hoffmann : ist da etwa ein , wenn Hexen und Zau- berer jeden Augenblick Unfug pfuschen können ? !“733

Hier wird der rationale Diskurs obsolet, Zeit und Raum kongruieren auf geradezu mär- chenhafte Weise miteinander; reale Zeitabläufe werden aufgehoben oder in eine zykli- sche Abfolge von Beginnen, Werden, Enden und Wiederbeginnen eingebunden. Kausale Abläufe werden verschoben, aufgehoben oder vermischt, das Zufallsprinzip wird zum konstituierenden Faktor der Darstellung. Gleichzeitig behauptet Novalis: „Alle Zufälle unsers Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen.“734 Ge- rade weil sie einer irrationalen Gesetzmäßigkeit unterworfen zu sein scheinen, sind Zu- fälle als dichterisches Material geeignet. Novalis konstatiert: „Der Dichter betet den Zu- fall an.“735 Die geschichtlich-empirische Welt verwandelt sich in eine unbestimmbare zeitlose Gefühlswelt. Um diesen unendlichen Fluß der Entwicklung und Veränderung zu gewährleisten, bedarf es einer Ästhetik des Unabgeschlossenen, in der das Kunstgan- ze keine in sich geschlossene Welt bildet.

Fragment

Auch die fragmentarisch entworfenen oder Fragment gebliebenen Kunstwerke in allen Gattungen der Kunst markieren eine empirische Differenz gegenüber dem Abgeschlos- senheitsverdikt der Klassik. Beispielhaft sind die lyrischen Fragmententwürfe Hölder- lins sowie die zahlreichen Fragmentüberlieferungen Clemens Brentanos736, die zugleich das poetische Abbild eines zerrissenen, widersprüchlichen aber auch depressiven Selbstverständnisses darstellen.737 Als kryptischer Aphorismus und als allegorisches Be- deutungsspiel kommt dem Fragment ein Doppelsinn zu, der einerseits aus sich heraus Bedeutung erzeugt, andererseits in einem übergeordneten Bedeutungsrahmen steht. Auch steht die romantische Auffassung des Fragments in einem umfassenden Kontext, dessen Einzelelemente expandieren ohne aber zu einem Abschluss zu gelangen.

„Das frühromantische Denken ist gekennzeichnet durch das Paradox einer fragmentari- schen Enzyklopädie. Ihr Ausdruck ist die literarische Form des Fragments selbst, das sich immer als Teil eines unendlichen Ganzen versteht, im Unterschied zum in sich abge-

733 Arno Schmidt: . Vom Wunderkind der Sinnlosigkeit. In Dialoge. Bd. 2. Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe II. Arno Schmidt Stiftung (Hg.). Bargfeld 1990. S. 304. 734 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 436. 735 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 449. 736 Siehe u.a. auch das Märchenfragment Die Rose (1800), das Erzählfragment Der Sänger (1801), das zwischen 1803 und 1812 entstandene Versepos Romanzen vom Rosenkranz, das Romanfrag- ment Der schiffbrüchige Geleerensklave vom toten Meer (1811). 737 Hartwig Schultz: Schwarzer Schmetterling. Zwanzig Kapitel aus dem Leben des romantischen Dichters Clemens Brentano. Berlin 2000. S. 123ff.

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schlossenen und vollendeten Aphorismus. Auch eine fragmentarische Enzyklopädie er- hebt einen universalistischen Anspruch, das heißt: sie umfaßt nicht nur die Gebiete der Natur und der Kunst, sondern die Totalität aller Lebensbereiche.“738

Eine eingegrenzte, abgeschlossene Stoffgestaltung vermag das Unendliche nur verengt und unvollkommen zum Ausdruck zu bringen. Darum hat gerade die Unabgeschlossen- heit des Fragments eine Tendenz zum Unendlichen. In Schlegels Fragmentauffassung scheint das Unendliche als Einheit in der Vielheit auf und singularisiert das klassische Vollendungsverdikt: „Nicht das System ist das Ganze. Das Einzelne soll das Ganze er- scheinen lassen“739 und ist darum auf das Unendliche ausgerichtet.740 Große Bedeutung für eine Ästhetik des Fragments kommt der schöpferischen Phantasie des Rezipienten zu. Diese ergänzt oder erweitert das unvollständige Kunst- werk nach eigenem Interesse und Vermögen. Noch Nietzsche begreift „Das Unvoll- ständige als das Wirksame“741 gerade weil dieses einen Vollendungsimpera- tiv an den Rezipienten formuliert. Diesen Gedanken bringt E. T. A. Hoffmann in seiner Erzählung Die Automate zum Ausdruck. Darin bemerkt der Serapionsbruder Ottmar: „Ich meine, die Phantasie des Lesers oder Hörers soll nur ein paar etwas heftige Rucke erhalten und dann sich beliebig fortschwingen.“742 Die romantische Ruinenbegeisterung, die daraus resultierende Ruinenpoesie und die unvollendete Sinfonie der Romantik ge- hören diesem Werkverständnis genauso an wie Byrons fragmentarisches Lese- und Ima- ginationsdrama oder Wagners Vorstellung von einem unsichtbaren Theater. Für Fried- rich Schlegel ist es der transzendentale Hintergrund der Kunst, der durch die romanti- sche Ironie reflexiv erregt wird und im romantischen Fragment ästhetisch zum Vor- schein kommt.743 Eine formvollendete Abgeschlossenheit wird vermieden zugunsten vielfältiger Möglichkeitsformen einer fragmentarischen Ästhetik. Ein signifikantes Beispiel für eine fragmentarische Ästhetik stellt Hoffmanns Künstlerroman Lebensansichten des Katers Murr (1819-21) dar. Dieser wird nicht nur in formaler Hinsicht fragmentarisch entworfen, sondern betont bereits im Untertitel den bruchstückhaft beigefügten Lebensbericht: nebst fragmentarischer Biographie des Ka- pellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern. Dieses Werk umfasst nicht nur verschiedene Romantypen (Autobiographie, Bildungsroman, Schauerroman, humoristischer und parodistischer Roman), sondern reproduziert gerade in seiner zer- gliederten, ironisch gebrochenen Anlage eine Synthese von Kunst- und Philisterwelt, de- ren geheimnisvolle Verschlungenheit sich aus den narrativen Einheiten ergibt. „Diese

738 Horst Meixner: Politische Aspekte der Frühromantik. In Silvio Vietta (Hg.): Die literarische Frühromantik. Kleine Vandenhoek-Reihe 1488. Göttingen 1983. S. 181. 739 Heinz Gockel: Friedrich Schlegels Theorie des Fragments. A. a. O. S. 32. 740 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 18. S. 242. 741 Friedrich Nietzsche. KSA. Bd. 2. S. 161f. 742 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 428. 743 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 169.

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wirklich fragmentarische Erzählweise trägt unmittelbar zu der Atmosphäre des Geheim- nisses bei, in der sich Kreislers Leben abspielt.“744 Das Fragment versinnlicht die Viel- deutigkeit des Kunstwerks und seiner Verweisungszeichen dadurch, dass die im ge- schlossenen sprachlichen Kunstwerk eindeutig konnotierten Zeichen und Elemente aus ihrer semantischen Verankerung herausgelöst werden und neue Bedeutungen, Bezüge und Zusammenhänge stiften. Losgelöst von den tradierten Bedeutungen und Konnotati- onen wird das dichterische Wort zu einem magischen Instrument. Es bringt, analog zur romantischen Musikauffassung, keine bestimmten mimetischen Abbilder, dafür jedoch das umfassende Wesen der Dinge zum Ausdruck. Der Verlust von Eindeutigkeit und Verständlichkeit wird ersetzt durch eine assoziative Empfindung, die durch bruchstück- hafte Aneinanderreihungen von Symbolen, Schlüsselwörtern und Bildern erregt wird. In Tiecks Gedicht Schalmeiklang wird das poetische Verfahren einer fragmentierten Spra- che beispielhaft vorgeführt: „Himmelblau, / Hellbegrünte Frühlingsau, / Lerchenlieder / Zur Erde nieder, / Frisches Blut, / Zur Liebe Muth; / Beim Gesang / Hüpfende Schäf- chen auf Bergeshang.“745 Gerade die Auslassungen eröffnen über den assoziativen Spiel- raum von Wahrnehmung und Interpretation eine musikalische Sphäre jenseits der wort- sprachlichen Semantik. Auch E. T. A. Hoffmann stellt in seinem Capriccio Prinzessin Brambilla (1820) fragmentierte Sprachelemente in einen musikalischen Zusammen- hang. Schon die Textbezeichnung Capriccio (in der Musik seit dem 16. Jahrhundert ein launenhaftes, einfalls- und empfindungsreiches Charakterstück mit überraschenden Wendungen)746 verdeutlicht das in Hoffmanns Vorwort angedeutete kecke launische Spiel, dessen unterschiedliche Erzähl- und Stilebenen sowie dessen antimimetischer Grundzug „dem Zerfall, bzw. der Auflockerung der vorromantischen Gattungspoetik“747 zuarbeitet. Zum klingenden Spiel von Pfeifen, Zimbeln und Trommeln wird in einem Maskenzug ein weißbärtiger Greis in einer goldgleißenden Tulpe vorgeführt, der in ei- nem großen Buch liest.

„Ihm folgten zwölf reichgekleidete Mohren [...] die [...] ein sehr feines scharf durchdrin- gendes: Kurri – pire –ksi – li – i i i vernehmen ließ, mit gewaltig dröhnenden Stimmen sangen: Bram – bure – bil – bal – Ala monsa Kikiburra – son – ton!“748

744 Wolfgang Nehring: Lebensansichten des Katers Murr. Romantradition. In Brigitte Feldges, Ulrich Stadler: E. T. A. Hoffmann. Epoche – Werk – Wirkung. München 1986. S. 226. 745 Ludwig Tieck: Gedichte. Ruprecht Wimmer (Hg.). In Schriften in 12 Bänden. Manfred Frank u.a (Hg.). Frankfurt/Main 1995. S. 38. 746 Näheres zu dieser Begriffsbestimmung bei Reinhold Grimm: Die Formbezeichnung des »Capric- cio« in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. In Heinz Otto Burger (Hg.): Studien zur Tri- vialliteratur. Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Frank- furt/Main 1968. S. 101-107. 747 Brigitte Feldges, Ulrich Stadler: E. T. A. Hoffmann. A. a. O. S. 124. 748 E. T. A. Hoffmann. Sämtliche Werke. In sechs Bänden. Wulf Segebrecht, Hartmut Steinecke (Hg.). Bd. 3. Frankfurt/Main 1985. S. 781.

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Diese lyrisch-musikalische Depotenzierung von Worten, Sätzen und Sinnbezügen durch eine sich auflösende Syntax, findet sich auch im romantischen Musiktheater. In Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868) ist es die Figur Sixtus Beckmes- ser, die durch lächerliche Unsinnsworte sowie eine zerrissene, sinnentstellte Syntax pa- rodiert wird. Das von Beckmesser nur bruchstückhaft memorierte Preislied Walters stellt dabei weit mehr dar, als nur eine Parodie auf einen gescheiterten Plagiatsversuch.

„Morgen ich leuchte in rosigem Schein, / von Blut und Duft / geht schnell die Luft; / wohl bald gewonnen, / wie zerronnen; / im Garten lud ich ein / garstig und fein. [...] Wo- hin‟ ich erträglich im selbigen Raum, - / hol‟ Geld und Frucht, - / Bleisaft und Wucht ... [...] Mich holt am Pranger / der Verlanger, / auf luft‟ger Steige kaum, / häng‟ ich am Baum. [...] Heimlich mir graut, / weil es hier munter will hergehn: / an meiner Leiter stand ein Weib; - / sie schämt und wollt‟ mich nicht besehn; / bleich wie ein Kraut / um- fasert mir Hanf meinen Leib; / mit Augen zwinkend - / der Hund blies winkend, / was ich vor langem verzehrt, / wie Frucht so Holz und Pferd / vom Leberbaum!“749

Neben der instrumentalen Beckmesserpantomime [III; 3]750 ist es gerade das travestie- rende Preislied Beckmessers, das die Tore zur ästhetischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts öffnet, weil es nicht nur die reguläre Form, sondern auch den zu vermit- telnden Sinngehalt fragmentiert: „Auch Beckmessers Text wird von Wagner mit Hohn hingesetzt und ist doch wie erster Dadaismus oder was sonst an Wortlaboratorien an- ging; so ist er also trotz einiger Zeugen am Ort fast traditionslos.“751 Zugleich vollzieht Wagner hier eine Synthese zwischen einer tradierten Regelkunst752 und einer romanti- schen Auffassung von improvisatorischer Naturpoesie. In der Malerei findet eine fragmentarische Darstellung u.a. in dem Ölgemälde Die Dantebarke (1822) von Eugène Delacroix statt. Über den teilweise monochrom gerahm- ten Bildgegenständen wird neben der Bildstruktur auch der formale Akt der ästhetischen Produktion augenscheinlich. Delacroix beabsichtigt mit seiner fragmentarischen Dar- stellungsweise einen Modus, „das schöpferische Anschauungsvermögen des Betrachters anzuregen, um ihn zur imaginierenden Ergänzung des vom Maler bloß angedeuteten zu bringen.“753 Entsprechende Tendenzen werden auch in der Musik der Epoche aufgegriffen.

749 Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). A. a. O. S. 133f. 750 Siehe auch Ernst Bloch: Paradoxa und Pastorale bei Wagner. In Verfremdungen I. Frankfurt/Main 1970. S. 118. 751 Ernst Bloch: Über Beckmessers Preislied. In Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). A. a. O. S. 261. 752 Carl Dalhaus bemerkt hier zutreffend: „Hans Sachs ist Wagners Selbstporträt als Klassiker.“ In Carl Dalhaus: Richard Wagners Musikdramen. A. a. O. S. 70. 753 Stefan Germer: Alte Medien – neue Aufgaben. Die gesellschaftliche Position des Künstlers im 19. Jahrhundert. In Monika Wagner (Hg.): Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Ge- genwartskunst. Bd. 1. Reihe: rowohlts enzyklopädie. Burghard König (Hg.). Reinbek bei Hamburg 1991. S. 110.

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Durch Fragmentierung der tonalen Struktur erreicht Robert Schumann in seinem Lie- derzyklus Dichterliebe (1844) ein zwar verwirrendes, in sich instabiles, aber doch ge- schlossenes, motivisch-thematisches Verweisungsgefüge. In diesem Zyklus sind die ein- zelnen Lieder durchaus aufeinander bezogen und wechselseitig voneinander abhängig, was am Beispiel des Eingangsliedes Im wunderschönen Monat Mai veranschaulicht werden kann:

„Das Lied erfüllt die Anforderungen der scheinbar widersprüchlichen Ästhetik des Fragments. Es wirkt wie eine eigenständige, in sich geschlossene traditionelle Struktur, die mit einer klaren Melodie und der Dominantsept/Tonika-Kadenz allen formalen Gebo- ten Genüge tut; ohne den Zusammenhang mit den anderen Liedern macht dieses Stück jedoch keinen Sinn.“754

An dieses Verfahren knüpft Schumanns Konzeption einer Verflechtung von Gesangsli- nie und Klavierstimme, bei der die musikalische Motiventwicklung teilweise durch das gesungene Wort herausgebildet wird. Vor allem das Wagnersche Musikdrama, „in dem die allgemeine musikalische Linie auch immer wieder durch Worte individualisiert wird, jedoch sowohl über das Orchester als auch die Singstimme hinausweist“755 hat von dieser Technik profitiert. Gerade die fragmentarische Unabgeschlossenheit der ver- schiedenen Elemente garantiert modulhafte Anschlussmöglichkeiten zur Bildung eines übergeordneten Werkganzen. Inhaltlich-thematische Einheiten, wie Lieder- oder Kla- vierzyklen, die aus scheinbar differenten Formen bestehen, profitieren von dieser syn- thetischen Potenz. Im klassischen, in sich abgeschlossenen Sonatenhauptsatzverfahren wird ein Motiv im besten Fall erweitert oder entwickelt wiederholt. Im zyklischen Schaffen von Romantikern wie Schumann, Mendelssohn oder Chopin hingegen erschei- nen frühere Motive oder Sätze authentisch wieder. Allerdings leuchten sie wie unter- schwellige, unerwartete Störungen in die Struktur des großräumig angelegten Werkgan- zen hinein und scheinen doch aus diesem organisch hervorzugehen.756

Improvisation

Gerade so wie sich das Fragment einer räumlichen Abgeschlossenheit verweigert, ver- weist auch die romantische Theorie der Improvisation auf jenen Bereich unmittelbarer Spontaneität, Phantasie und Zufallsproduktion, dem jegliche regelästhetische Festlegung fehlt. In Ludwig Tiecks Novelle Dichterleben (1831) wird das improvisatorische Ele- ment gegenüber einem literarisch fixierten Dramenbau als das eigentliche Agens des

754 Charles Rosen: Musik der Romantik. Salzburg, Wien 2000. S. 78. 755 Ebd. S. 85. 756 Ebd. S. 117f.

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Dramatischen erachtet:

„was ich als Dialog und Drama wohl bisher gelesen hatte, konnte sich meiner Imaginati- on nicht bemächtigen. Es war auch nicht, daß ich hier etwas Vortreffliches sah und hörte, denn vieles, das Spaßhafte vorzüglich, war nicht aufgeschrieben, die Spielenden sagten es nur so aus dem Kopfe her, und gewisse Scherze kamen in allen Stücken wieder vor.“757

Nachdem das freie Improvisieren mit dem Ende der Commedia dell‟ arte im 18. Jahr- hundert seinen Niedergang erlebt hatte wird das Stilmittel der Improvisation von der Romantik aufgegriffen und erneut zum ästhetischen Gestaltungsprinzip nobilitiert. Mit der Romantik beginnt sich die ästhetische Determinierung der klassischen Kunstdoktrin wieder aufzulösen, das improvisatorische Moment wird zu einem kontrastierenden Mo- dus, der nicht nur an die Commedia dell‟ arte, sondern auch an die Kunst des barocken Virtuosentums anknüpft. So hat die Improvisation in technischer Hinsicht vor allem in der Musik eine beinahe konstitutive Bedeutung, da es dabei weniger um das Verfahren einer Zufallsproduktion geht als vielmehr um das spielerisch-experimentelle, varianten- reiche Herantasten an eine endgültige Form. In Tiecks Roman Der junge Tischlermeis- ter (1836) kommt dem Musiker/Komponisten die musikalische Form qua Eingebung zu. Er führt das improvisatorische Moment auf die Inspiration einer göttlichen Eingebung zurück:

„Der Sänger, mehr fast noch der Virtuos eines Instrumentes, der Kapellmeister, wie der Komponist, alle leben dem Augenblick, ohne an morgen zu denken. Der Genuß der Kunst, so gut wie des Weins und der Liebe, reißt sie über Zeit, Sorge und Ordnung hin- weg, denn in keiner andern Kunst ist das unmittelbare Gelingen, das Improvisieren so notwendig. Maler, Dichter und Bildhauer mögen sich bedenken; wenn der Musiker es wollte, so wäre der auflodernde Augenblick schon entflogen.“758

Auch Novalis erkennt in der Improvisation, die er auch Zufallsproduktion nennt, einen assoziativen, spielerisch prozessualen Akt, der die Poetologie der Romantik weit eher kennzeichnet als die konzeptionellen Verfahren der klassischen Ästhetik: „Der Poet braucht die Dinge und Worte, wie Tasten und die ganze Poesie beruht auf thätiger Ide- enassociation – auf selbstthätiger, absichtlicher, idealischer Zufallproduktion – [...] (Spiel).“759 Wirkungsgeschichtlich kulminiert das Moment der romantischen Improvisa- tion in jene Kongenialität des Rezipienten, der vermöge seiner Anteilnahme und Einfüh- lung das Werk mitgestaltet, es sozusagen weiterdichtet: „Der wahre Leser muß der er- weiterte Autor seyn.“760 Diese romantische Theorie eines improvisatorischen Kunst-

757 Ludwig Tieck. Werke in vier Bänden. Bd. 3. A. a. O. S. 456f. 758 Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Bd. 4. A. a. O. S. 298. 759 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 451. 760 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 470.

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schaffens führt schließlich zum Musikdrama Richard Wagners, dessen unendliche Me- lodie sich selbst jeden Augenblick neu erfinden soll. Inspiriert von der szenischen Akti- on sowie von der Semantik der Wortsprache eignet der unendlichen Melodie die Un- willkürlichkeit der Improvisation, ohne jedoch jeden Augenblick frei improvisiert zu sein. Denn die frei improvisierte, stets sich fortspinnende Melodielinie wie auch das Dichterwort bedürfen einer schriftlichen Festlegung, um Tradierung zu ermöglichen. Darum ist es notwendig, schreibt Wagner in Über die Bestimmung der Oper (1871), „auch diese Improvisation zu fixieren, denn im höchsten denkbaren Kunstwerke sollen die erhabensten Inspirationen Beider mit unermeßlicher Deutlichkeit fortleben“761. Der Gedanke einer fixierten Improvisation ist ein Paradox, das eine kalkulierte Unwillkür- lichkeit in sich zu vereinbaren sucht. Es ist der einmalige, unverwechselbare ästhetische Augenblick, den zu erschaffen die Einzelkünste zusammentreten und der als solcher den Schein erwecken soll, periodisch nicht wiederholbar zu sein. Von dieser Überlegung ausgehend spielt Wagner kurzzeitig mit dem Gedanken, Partitur, Bühnenbild und Aus- stattung seines Ring-Zyklus nach der Uraufführung sogleich zu vernichten, um so die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Kunstwerks zu gewährleisten. Da dies ökonomisch unausführbar ist, beschränkt er sich darauf, den Schein der Improvisation zu erzeugen und das poetologische Prinzip der Improvisation rezeptionsästhetisch zu verfeinern.762 Eine satirische Brechung erfährt der Topos in dem Chaos, das Albert Lortzing sei- nen Bürgermeister van Bett in der komischen Oper Zar und Zimmermann (1837) wäh- rend der Chorprobe [III; 13] inszenieret. In der Kantatenparodie Heil sei der Tag, an welchem du bei uns erschienen zeichnet Lortzing nicht nur eine Karikatur der lokalen Obrigkeit, sondern ironisiert den Bürgermeister durch dessen verbale Orchesterimitati- on: „van Bett (ihnen nachäffend): Dideldum! – Dideldum ist kein Gesang; / Es ist, ich sagte es euch schon, / Nur Instrumentenreflexion. Chor: Aha! Es ist nur Reflexion!“763 Die Ironie beginnt sich zu verselbständigen, wenn van Betts vorgegebene Melodie vom Chor in gnadenlosen Dissonanzen wiederholt und in tonales Chaos überführt wird, aus dem letztendlich nur die ungeleitete kollektive Improvisation wieder heraushilft: „van Bett: Jeder singe, wie er kann; / Fanget ohne meine Leitung / Noch einmal von vorne an.“764 Dieser Jubelchor artikuliert nicht nur „eine spöttisch-kritische Distanz zu den Singechören seiner Gegenwart,“765 mit dieser Szene schafft Lortzing zugleich eine Er- gänzung zu seinen eigenen virtuos-kabarettistischen Bühnenimprovisationen.766 Im Kontext der romantischen Kunstsynthese bedeutet die Improvisation ein retar-

761 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 149. 762 Dieter Borchmeyer: Das Theater Richard Wagners. Stuttgart 1982. S. 58f. 763 Albert Lortzing: Zar und Zimmermann. Kompletter Text und Erläuterung zum vollen Verständnis des Werkes. Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König. Reihe: Opern der Welt. München 1981. S. 141ff. 764 Ebd. S. 143. 765 Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. A. a. O. S. 263. 766 Jürgen Lodemann: Lortzing. Gaukler und Musiker. Göttingen 2000. S. 193ff.

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dierendes Moment gegenüber einer ästhetischen Verfestigung des Kunstwerks zuguns- ten seiner dynamischen Offenheit. Sie hat aber auch die Inthronisation eines ästhetisch mitgestaltenden Rezipienten zur Folge.

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Synthetische Programmdiskussionen

Philosophie des romantischen Gesamtkunstwerks

Das Nachahmungsprinzip, das die Ästhetik des 18. Jahrhunderts dominierte, wird um das Jahr 1800 nachhaltig erschüttert durch ein Syntheseprogramm, das eine formal ge- gliederte, differenzierte Rückbezüglichkeit durch Vernetzungen sowie gegenseitige Durchdringung und Vermischung ersetzt. Die mimetisch aufeinander bezogenen Einhei- ten geben innerhalb dieser Verschmelzung sowohl ihre inneren Grenzen als auch ihre unterschiedliche charakteristische Wesenheit zugunsten einer neuen Identität preis. Die hierarchisch gegliederten, voneinander abgesetzten Gattungen der Kunst werden egali- siert und in ein breit gefächertes Netz gegenseitiger Beziehungen eingebunden.

„An die Stelle hierarchischer Strukturen im Verhältnis der poetischen Gegenstände tritt ihre vollkommene Gleichheit und Gleichberechtigung, statt sorgsam getrennter, überei- nander geordneter Gattungen propagiert man mit Friedrich Schlegel die progressive Uni- versalpoesie, die alle Gattungen und Künste ohne Unterschied vereinigen soll [...].“767

Das Prinzip einer horizontalen Gliederung sollte sich von der Dichtkunst bald auf alle anderen Gattungen der Kunst übertragen.768 Mit der Preisgabe einer vertikalen Organisa- tion der Gattungen wird der Kunst ein egalitäres Moment verliehen, das den agonalen Widerstreit der Einzelkünste aufzuheben vermag. Dabei geht es den Frühromantikern weitaus weniger darum, ein diffuses Primärchaos zu revitalisieren oder einen plan- und ziellosen Urzustand durch ästhetische Entgrenzung zu reproduzieren. In einer Zeit der umfassenden Zergliederung sollen durch das Moment des Synthetischen oder Integralen die widerstrebenden Kräfte des Lebens wieder miteinander in Einklang gebracht und das Unendliche im Endlichen zur Darstellung gebracht werden. Somit wird offensichtlich, dass das romantische Gesamtkunstwerk den Rahmen des Ästhetischen überschreitet.

„Dabei scheint es nützlich, als besonderes Kennzeichen des Gesamtkunstwerks nicht al- lein die multimediale Verbindung aller Künste in einem einzigen Kunstwerk gelten zu lassen, sondern vor allem auch noch eine andere Verbindung: die von Kunst und Wirk- lichkeit; denn zum Gesamtkunstwerk gehört die Tendenz zur Tilgung der Grenze zwi- schen ästhetischem Gebilde und Realität.“769

Die philosophische Initialzündung dieser Idee einer Identität von Kunst und Wirklich- keit gründet im Idealismus. Dieser hat sein Zentrum in der Philosophie Johann Gottlieb

767 Gert Ueding: Klassik und Romantik. Bd. 2. Fünfter und sechster Teil. A. a. O. S. 728f. 768 Fritz Strich: Die Synthese. In Deutsche Klassik und Romantik. A. a. O. S. 332f. 769 Odo Marquardt: Aesthetica und Anaestetica. Philosophische Überlegungen. Paderborn u.a. 1989. S. 100.

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Fichtes und Friedrich Wilhelm Joseph Schellings. Schon Schellings Frühwerk Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799) behauptet eine ursprüngliche Identi- tät von Natur und Geist. Da dieser jene rational zu objektivieren vermag, muss er ihr als erkennendes Subjekt vorausgehen; da die Natur dem Geist ontologisch zugrunde liegt, Geist sich im antithetischen Dreischritt aus der Natur entwickelt und im Selbstbewusst- sein der freien Vernunft erfüllt, müssen beide in dialektischer Verschränkung miteinan- der identisch sein: „Natur und Geist, Objekt und Subjekt, Realität und Idealität sind identisch. Natur ist der sichtbare Geist, Geist die unsichtbare Natur, im Wesen aber han- delt es sich immer um ein und dasselbe.“770 Natur und Geist bilden eine identische Ein- heit, die lediglich durch verschiedene Stufen ihrer Objektivierung (Potenzen) eine Un- terscheidung erfährt. Die Einheit von objektiver Natur und subjektivem Geist nennt Schelling das Absolute oder auch das Göttliche, durch das die Gegensätze versöhnt werden. Die universale zivilisationsgeschichtliche Ausdifferenzierung erfolgt dadurch, dass der Geist sich selbst objektiviert. Das wichtigste Medium einer solchen Wiederver- einigung ist für Schelling die Kunst: „Kunst [ist] demnach eine absolute Synthese oder Wechseldurchdringung der Freiheit und der Notwendigkeit.“771 Notwendigkeit ist im Verständnis der Klassiker ein Prädikat der Natur, Freiheit dagegen die Bedingung des modernen Individuums (Schiller). Beide Begriffe erhalten ihre Kontur durch eine strikte Unterscheidung voneinander. Geschichtliche Abläufe und deren undurchschaubaren Prämissen verleihen den Handlungen und ihren Produkten ein determinierendes Geprä- ge. Es muss also eine Anschauung gefunden werden, in der sich der Widerspruch zwi- schen den objektiven kausal-historischen Abläufen und dem denkend-handelnden Sub- jekt aufheben lässt. Insbesondere ist es notwendig, die bei Kant erkenntnistheoretisch zwingende Dialektik von Erscheinung und Ding an sich aufzuheben. Zu einer Lösung gelangt Schellings System des transcendentalen Idealismus (1800) durch die Kunst. Sie vermag zu vereinen, was noch die Klassik streng unterschieden dachte. Schelling er- kennt im Prozess des Kunstschaffens die Synthese eines bewussten, frei handelnden Subjekts mit der unbewussten Dynamik der Natur. In der Kunst sollen bewusste und unbewusste Handlungen die Dynamik des ästhetischen Prozesses erzeugen. Das Unend- liche wird im Endlichen erfahrbar und das Endliche zu einem Symbol des Unendlichen. Die Kunst wird dadurch nicht nur zu einem entscheidenden Medium der Erkenntnis, sondern auch zu einem identitätsstiftenden Faktor, durch den Subjekt und Objekt, Natur und Geschichte zusammengebracht, Leben, Handeln und Denken harmonisiert werden. Schelling bemerkt,

„daß die Kunst das einzig wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philo- sophie sei, welches immer und fortwährend aufs neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produzieren

770 Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Bd. 2. A. a. O. S. 384. 771 F. W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. In Ausgewählte Werke. A. a. O. S. 27 [383].

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und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam eröffnet, wo in ewi- ger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß.“772

Um die Differenz zwischen Geschichte, Geist und Natur zu überwinden, bedurfte es je- ner ästhetischen Illusion, welche die Gesamtwirklichkeit nicht mehr im, sondern als Kunstwerk betrachtet. Diese ästhetische Egalisierung der Wirklichkeit erst legitimiert, „daß das Identitätssystem in die Geschichte des Gesamtkunstwerks gehört: eben weil es die Wirklichkeit stricte dictu zum Gesamtkunstwerk erklärt.“773 Gerade aufgrund dieser synthetischen Potenz wird die Kunst einer philosophischen Aufwertung teilhaftig, die im weiteren Verlauf der Kunstdebatte des 19. Jahrhunderts von einer ästhetischen Sak- ralisierung überboten werden wird. Kunst als Ausdruck der Übereinstimmung des Sub- jektiven mit dem Objektiven bedeutet für Schelling das Absolute. Dieses deduziert sich aus der Erkenntnis, dass vordergründig freies Handeln „in diesem Ganzen gesetzmäßig war, und daß alle Handlungen, obgleich sie frei zu sein schienen, doch notwendig wa- ren, eben um dieses Ganze/ hervorzubringen.“774 Das Absolute geht der differenzieren- den Reflexion voraus und bedeutet jenen Ursprungsbereich, der jeglicher Erkenntnis zu- grunde liegt. Diese neue Totalität wird gewonnen durch ein Zusammenwirken von sinn- licher Wahrnehmung und Intellektualität. Im Zeichen einer Mythologisierung der Ver- nunft werden deren Defizite entschärft und durch eine Neuverortung im Kunstwerk auf- gehoben. In diesem Kontext unternimmt auch Arthur Schopenhauer eine Ästhetisierung der Philosophie: „Der Philosoph vergesse nie daß er eine Kunst treibt und keine Wis- senschaft.“775 Da die Philosophie einerseits eine begriffliche Reflexion abstrakten Wis- sens bedeutet, andererseits aber auch den Ideengehalt der Erscheinungen zum Ausdruck bringt, ist sie der ideale synthetische Modus, der Kunst und Wissenschaft miteinander vereinigt.

„Sofern die Philosophie nicht Erkenntniß nach dem Satz vom Grund ist, sondern Er- kenntniß der Idee, ist sie allerdings den Künsten beizuzählen: allein sie stellt die Idee nicht, wie die andern Künste, als Idee, d. h. intuitiv dar, sondern in abstracto. Da nun al- les Niederlegen in Begriffen ein Wissen ist, so ist sie in sofern eine Wissenschaft: eigent- lich ist sie ein Mittleres von Kunst und Wissenschaft, oder vielmehr etwas, was beide vereinigt.“776

772 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Ruth-Eva Schulz (Hg.). Hamburg 1957. S. 297 [627-628]. 773 Odo Marquardt: Aesthetica und Anaestetica. A. a. O. S. 105f. 774 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. A. a. O. S. 270 [601-602]. 775 Arthur Schopenhauer: Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden. Arthur Hübscher (Hg.). Bd. 1. München 1985. S. 154. 776 Ebd. S. 482.

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Einzig Kunst als erkenntnistheoretischer Modus sowie als ein Erfüllungsmoment des Absoluten vermag es, die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit und letztendlich von Wesen und Erscheinung zu gewährleisten.777 Diese Preisgabe analytischer Abstrakta in- nerhalb der ästhetischen Anschauung hat eine Referenz auf die künstlerischen Produkti- onsbedingungen. Denn so wie sich die durch das Kunstwerk entdifferenzierte Welt in der Anschauung des Absoluten reharmonisiert, müssen sich auch die Gattungen der Kunst entdifferenzieren, um nicht jenem dissoziativen Prinzip zu verfallen, zu dessen Überwindung sie angetreten sind. Die Folge ist eine gattungsentgrenzende Werkkonzep- tion, die durch die Synthese der Einzelgattungen jenem Gesamtkunstwerk zuarbeitet, das Gesamtwirklichkeit nicht mehr darstellt, sondern durch ein neues Konzept ersetzt. Das im Gesamtkunstwerk vollzogene Verbinden und Mischen verschiedenster Elemente, Arten und Gattungen bedeutet eine Preisgabe spezifischer Erscheinungsfor- men. Das hat zur Folge, dass sich die Einzelkünste zum Teil aufheben, zum Teil ergän- zen, sich gegenseitig ersetzen oder auch durchdringen. Durch die Mischung des Ver- schiedenartigen gewinnt das Kunstgebilde eine gesteigerte Ausdruckskraft. Aufgrund seiner Tendenz zur Grenzauflösung eignet ihm aber auch jene Unendlichkeit, die trans- zendentale Absolutheit gewährleistet. Dies betont Friedrich Schleiermacher in seinen Vorlesungen über die Ästhetik:

„Aber dann werden diese Künste für sich nicht hinreichen, eine solche Leistung in ihrer höheren Geltung zu geben, sondern dies ist die eigenthümliche Aufgabe der Poesie, der sich Mimik und Musik auf verschiedene Weise anschließen. [...] so wird man sogleich dahin kommen, daß das Höchste eine Vereinigung aller Künste zu einer gemeinschaftli- chen Leistung ist.“778

Diese Synthese aller Kunstgattungen entspricht auch der Idee einer Vereinigung von Re- ligion und philosophischem Bewusstsein.779 Die Kunst soll jene Vollendung der Religi- on herbeiführen, die auf dem natürlichen Weg ihrer geschichtlichen Entwicklung nicht erreicht werden kann: „O goldnes Zeitalter der Religion, wann werden die Umwälzun- gen der menschlichen Dinge dich künstlich herbeiführen, nachdem du auf dem einfa- chen Wege der Natur verfehlt worden bist!“780 Die Erfüllungsgehilfen dieser Sehnsucht sind für Schleiermacher jene unorthodoxen Künstler der Religion, deren Leben selbst ein priesterliches Kunstwerk darstellt. Träger dieser Idee ist eine Gemeinschaft von Gläubigen, welche die wahre Kirche dadurch hervorbringt, „daß sie eine fließende Mas-

777 Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Bd. 2. A. a. O. S. 237. 778 Friedrich Schleiermacher: Vorlesungen über die Ästhetik. Carl Lommatsch (Hg.). Berlin 1842. Nachdruck Berlin 1974. S. 167. 779 Karl Holzamer: Philosophie. Einführung in die Welt des Denkens. Gütersloh 1961. S. 264. 780 Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Ausgabe: Rudolf Otto. 7. Aufl. Göttingen 1991. S. 145.

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se wird, wo es keine Umrisse gibt, wo jeder Teil sich bald hie, bald dort befindet und al- les sich friedlich unter einander mengt.“781 Mit diesem grenzauflösenden Synkretismus vollzieht Schleiermacher einen Transfer synthetischer Elementarvorstellungen aus dem Bereich der Kunsttheorie in die Sphäre einer ästhetischen Theologie.

Romantische Universalität

Ein weiteres poetologisches Bestimmungsmerkmal der romantischen Synthesetheorie wird durch den Begriff der Universalität bestimmt. Die damit verknüpfte Ästhetik unter- liegt den Prämissen poetischer Reflexion. Sie beinhaltet eine virtuose Beherrschung der unterschiedlichsten Gattungen und Disziplinen zum Zwecke ihrer interdisziplinären Vernetzung.782 Entsprechend definiert August Wilhelm Schlegel Universalität in seinen Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801-1804):

„So muß auch der heutige Dichter über das Wesen seiner Kunst mehr im klaren seyn, als es ehemalige große Dichter konnten [...]. Deswegen ist jetzt Universalität das einzige Mittel, wieder etwas Großes zu erschwingen. Ein Dichter muß nicht nur die umfassends- ten Studien antiker und moderner Poesie gemacht haben, er muß in gewissem Grade auch Philosoph, Physiker und Historiker seyn.“783

Die nachrevolutionäre Welt ist in Bewegung geraten, weshalb die Frühromantik „der 784 begrenzten und daher fixierten ‚Klassizität‟“ der Weimarer Kunstanschauung ein dy- namisches Kulturmodell gegenüber stellt. Dieser kulturellen Dynamik entspricht Fried- rich Schlegels Vorstellung von einer progressiven Universalpoesie, die zu einer Welt- formel des Gesamtkunstwerks avanciert.

„Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Pro- sa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen [...]. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang.“785

Alles Divergierende, Differenzierte und Polarisierte, selbst der Mikrokosmos und der

781 Ebd. S. 154f. 782 Näheres dazu bei Jochen Hörisch: Die fröhliche Wissenschaft der Poesie. Der Universalitätsan- spruch von Dichtung in der frühromantischen Poetologie. Frankfurt/Main 1976. 783 August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Erster Band. A. a. O. S. 540f. 784 Klaus Peter: Romantik. A. a. O. S. 354. 785 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 182.

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Makrokosmos sollen durch die Poetologie der progressiven Universalpoesie in ein äs- thetisches Weltganzes verwandelt werden. Dieses romantische Programm beginnt „mit der grenzenlosen Verwandlung des Einen in das entgegengesetzte Andere. Kaum an- derswo wird der Gegensatz zu klassischer Kunstgesinnung so deutlich wie hier.“786 Friedrich Schlegel versucht seinem Entwurf einer umfassenden Kunstsynthese noch die Erfahrung einer Gesamtwirklichkeit systematisch zu integrieren.787 Diese spekulative In- tegration der Erscheinungswelt in die Kunst führt dazu, dass die Wirklichkeit durch das Gesamtkunstwerk substituiert wird. Allegorisch vorweg genommen wird diese Position mit der assimilatorischen Struktur des romantischen Romans, der dadurch gekennzeich- net ist, dass

„er als integrative Großgattung mit Hilfe von Gesprächen, Märchen, Novellen, Liedern oder Briefen aus dem Zwangssystem streng voneinander geschiedener Gattungen heraus- gelöst und zu einer Art von »romantischem« Gesamtkunstwerk ausgestaltet werden soll- te.“788

Schlegel bekräftigt dieses Ideal mit einem Bezug auf Boccaccio und Cervantes: „Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und andern Formen.“789 Bereits Tiecks Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) bemüht vielfältige poetologische Formen: Neben Briefen, Prosastrukturen, Kuns- treflexionen, Lyrik und Gesang, mischen sich hier verschiedene Kunst- und Lebenssphä- ren.790 Bekräftigt wird diese Synthese durch die Metamorphose der Antike in das Chris- tentum – symbolisiert durch die Verwandlung von Venus in Maria.791 Entsprechendes gilt auch für Clemens Brentanos Roman Godwi (1801/02), der die Gattung aus ihrer po- etologischen Verankerung löst und ins Universelle steigert.

„Der Roman ist keine fest umrissene Gattung [...]. Selten aber ist die Romanform so ab- sichtlich und radikal gesprengt worden wie in Godwi. Keine Geschichte, keine Personen, kein konkreter Rahmen, ein kaum noch in Worten faßbarer Gehalt; ein Buch, das jede Gegenständlichkeit systematisch auflöst, wo alles ins Atmosphärische, Stimmungshafte verfließt.“792

786 Gerhard Storz: Klassik und Romantik. A. a. O. S. 106f. 787 Harro Segeberg: Phasen der Romantik. In Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. A. a. O. S. 45. 788 Detlef Kremer: Romantik. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart, Weimar 2001. S. 46. 789 Friedrich Schlegel: KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 336. 790 Werner Kohlschmidt: Der junge Tieck und Wackenroder. In Hans Steffen (Hg.): Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Göttingen 1970. S. 36ff. 791 Hans Schumacher: Romantik (1788-1835). In Bernd Balzer, Volker Mertens (Hg.): Deutsche Lite- ratur in Schlaglichtern. Mannheim, Wien, Zürich 1990. S. 258. 792 Claude David: Clemens Brentano. In Hans Steffen (Hg.): Die deutsche Romantik. A. a. O. S. 168.

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Auch die vielfältigen romantischen Bemühungen um Übersetzungen aus Werken ver- schiedenster Sprachen, Epochen und Kulturkreisen bedienen das Ideal einer universalen Stilmischung. In der von Dorothea und Friedrich Schlegel übersetzten Autobiographie der Margaretha von Valois werden neben einer Kompilation der Memoiren historische Quellen sowie Erläuterungen und Kommentare zu einem komplexen literar-historischen Sittenbild des späten 16. Jahrhunderts zusammengefügt: „Im universalpoetischen Sinn gehen dabei Gattungen durcheinander, Texte und Fragmente vermengen sich“793 zu ei- nem synthetischen Konvolut gleichberechtigter, sich gegenseitig ergänzender und erhel- lender Elemente. Damit wird auch auf der Ebene literarischer Übertragungen jenes Pro- gramm einer progressiven Universalpoesie umgesetzt, das als zentrales Medium der ro- mantischen Kunstsynthese betrachtet werden kann.

„Der von den Schlegels erstellte Text darf [...] als originäres Zeugnis romantischer gelten. Die Brüder [...] wollten die Gattungen der Literatur sprengen und mischen und in einer Art Gesamtkunstwerk Poesie und Bildungsstoffe aller Art vermen- gen, so daß aus der Verbindung heterogenster Elemente schließlich ein Spiegel der Zeit entstehen konnte.“794

Dem romantischen Universalismus in Roman, Novelle und Übersetzungen entspricht Novalis‟ und Friedrich Schlegels Vision einer universalen Poetisierung des Lebens. Hier wird die Grenze zwischen Kunst und Leben zugunsten einer ästhetischen Totalität des Gesamten aufgehoben.795 Die tradierten Sinnbezüge werden ersetzt durch das poetische System. Die Kunst soll bei Schelling den gemeinsamen Ursprung und die Identität von Natur und Geist anschaulich machen. Darüber hinaus soll die Orientierung auf einen metaphysischen Fluchtpunkt zum Vorschein kommen. Jede geistige Strömung definiert sich durch ihr Verhältnis zu einer letzten Instanz und ihre Bezogenheit auf ein absolutes Zentrum. Diese metaphysische Sehnsucht mündet letztendlich in einen ästhetisierten christlichen Gottesbegriff. Den transzendentalen Nexus dieser Kunstauffassung stiftet das Unendliche, das als Telos auch in allen gattungsspezifischen Programmdiskussionen aufscheint. Konnte dieser abstrakte Unendlichkeitsbegriff zunächst synonym zu der religiösen Vorstellung von einer Einheit mit und im Gottesbegriff gedacht werden, so bildet die allgemeine Synthese von „sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaf- ten“796 das dynamische Verfahren zu dieser Einheit. Ganz im Gegensatz zu Schillers Primat einer Versöhnung im Kunstwerk, versucht Schlegels Programm den ursprüngli-

793 Michael Andermatt: Nachwort zu Marguerite de Valois (France, Reine): Geschichte der Marga- retha von Valois. Gemahlin Heinrichs IV. Von ihr selbst beschrieben. Nebst Zusätzen und Ergän- zungen aus andern französischen Quellen. Michael Andermatt (Hg.). Zürich 1998. S. 292. 794 Ebd. S. 291. 795 Siehe dazu Bernd Witte: Genie. Revolution. Totalität. Mythische Tendenzen der Kunstepoche. In Christa Bürger (Hg.): Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht. Frankfurt/Main 1986. S. 35f. 796 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S 200.

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chen Bereich der Kunst auf die Philosophie, die Wissenschaft, die Religion und schließ- lich auch auf das Leben zu übertragen. Universalität ist hier die konstitutive Vorausset- zung einer solchen Synthese.

„Universalität ist Wechselsättigung aller Formen und aller Stoffe. Zur Harmonie gelangt sie nur durch Verbindung der Poesie und der Philosophie: auch den universellsten voll- endetsten Werken der isolierten Poesie und Philosophie scheint die letzte Synthese zu fehlen; dicht am Ziel der Harmonie bleiben sie unvollendet stehn.“797

Vor dem Hintergrund der romantischen Universalität erlangt das idealistische Programm jene Weltbezogenheit, die im Modus der Einzeldisziplinen stets funktionalisierten Prä- missen genügen musste. Erst die romantische Universalität schafft eine semiotische Komplexität, deren Expansion sich nicht in einer zielgerichteten Aneignung von Zei- chen und Formen erschöpft. Sie wird zum entscheidenden Parameter einer integralen Synthese der Künste.

Die Synthese der Kunstgattungen

Setzt die Synthese der Kunstgattungen eine Entgrenzung der Kunstgrenzen voraus, so bedeutet das Gesamtkunstwerk eine Verdichtung. Diese hat das Ziel, die Wirkung des Kunstwerks unendlich zu intensivieren, um so im Kunstwerk einen utopischen oder auch metaphysischen Gehalt aufscheinen zu lassen. Eine durch die Synthese intensivier- te Kunstwirkung erfordert kein demokratisches Vielerlei der verschiedenen Kunstgat- tungen; die Einzelkünste müssen vielmehr agogisch in ihrer spezifischen Wirkungswei- se ineinander spielen, um den ästhetischen Eindruck zu erhöhen. Vor diesem Hinter- grund kann die Entwicklungsgeschichte des Gesamtkunstwerks als eine Auflösungsge- schichte von Strukturen und Grenzen betrachtet werden, die in der Autonomie der Kunst gründet. Zugleich bedeutet diese Autonomie auch eine Emanzipation vom Mimesis- Prinzip. Die aus dieser Autonomiediskussion entwickelte Vorstellung von einer absolu- ten Kunst gewinnt ihren Sinngehalt aus der Reflexion der Bedingungen, Mittel und Wirkungen des Kunstwerks. Somit entledigt sich das autonome Kunstwerk auch jegli- cher gesellschaftlicher Referenz. Ein derart verabsolutierter Kunstbegriff muss sich zwangsläufig entgegenständlichen und sich gegen jede außerästhetische, gesellschaftli- che Wirklichkeit gleichgültig verhalten. Kunst und Gesellschaft verneinen jene Einheit, die eine Synthese der Künste im Gesamtkunstwerk vorzubilden trachtet. An genau die- sem Dilemma setzt die romantische Gesamtkunstästhetik an, welche die einzelnen Künste aus ihren determinierten Wirkungsbereichen herauszuführen sucht. In dem Athenaeums-Dialog Die Gemälde (1799) schreiben August Wilhelm und Caroline

797 Ebd. S. 255.

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Schlegel: „Und so sollte man die Künste einander nähern und Uebergänge aus einer in die andre suchen. Bildsäulen belebten sich vielleicht zu Gemählden, [...] Gemählde würden zu Ge- dichten, Gedichte zu Musiken; und wer weiß? so eine feyerliche Kirchenmusik stiege auf einmal wieder als ein Tempel in die Luft.“798

Poesie stellt für Novalis jenes verganzheitlichende Medium dar, durch das „die höchste Sympathie und Coactivität, die innigste Gemeinschaft des Endlichen und Unendli- chen“799 entsteht. Entsprechend Schellings Vorstellung einer ästhetischen Einbindung des Unendlichen in das Endliche, wird auch für Novalis die Poesie zum Prinzip einer verinnerlichten Synthese. Grundlage ist eine wechselseitige Aneignung und Durchdrin- gung der jeweiligen Schwesterkünste: „Überhaupt können die Dichter nicht genug von den Musikern und Mahlern lernen. [...] Sie sollten poetischer und wir musikalischer und mahlerischer seyn – beydes nach der Art und Weise unserer Kunst.“800 Durch das Zu- sammenwirken der Einzelkünste soll zudem die Intensität der ästhetischen Empfindung gesteigert werden: „Man sollte plastische Kunstwercke nie ohne Musik sehn – musikali- sche Kunstwercke hingegen nur in schön dekorirten Sälen hören. Poetische Kunst- wercke aber nie ohne beydes zugleich genießen.“801 Auch Schelling fordert eine pragma- tische Vermischung der Künste aus dem Geist eines musikalisierten Dramas:

„Ich bemerke, nur noch, daß die vollkommenste Zusammensetzung der Künste, die Ver- einigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesirt die componirteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Alterthums war, wovon uns nur eine Karikatur, die Oper geblieben ist, die in höhe- rem und edlerem Styl von Seiten der Poesie sowohl als der übrigen concurrirenden Küns- te uns am ehesten zur Aufführung des alten mit Musik und Gesang verbundenen Dramas zurückführen könnte.“802

Mit einer musikalisierten Theateridee bringt auch Novalis die Oper in den medialen Kontext einer integralen Zusammenstimmung: „Eine Oper, ein Ballett sind in der That plastisch poëtische Koncerte – Gemeinschaftliche Kunstwercke mehrerer plastischer In- strumente.“803 Eine an der antiken Tragödie orientierte musikdramatische Spekulation findet sich auch in Hoffmanns Novellensammlung Die Serapionsbrüder (1819-21):

„Wurden, beiläufig gesagt, nicht schon die antiken Tragödien musikalisch deklamiert? und sprach sich nicht darin das Bedürfnis eines höheren Ausdrucksmittels, als es die ge-

798 August Wilhelm Schlegel, Friedrich Schlegel (Hg.): Athenaeum. Eine Zeitschrift. Fotomechani- scher Nachdruck. Bd. 2. Erstes Stück. Darmstadt 1960. S. 49f. 799 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 533. 800 Novalis. SCH. Bd. 1. S. 286. 801 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 537f. 802 F. W. J. Schelling: Besonderer Theil der Philosophie der Kunst. Kapitel cc: Von der modernen dramatischen Poesie. A. a. O. S. 380 [736]. 803 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 575.

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wöhnliche Rede gewähren kann, recht eigentlich aus?“804

Dass Hoffmann dabei auch auf „die innige Verwandtschaft der Kirchenmusik mit der tragischen Oper“805 Spontinis, Glucks oder Piccinis verweist, muß im direkten Kontext seiner opernkritischen Schriften gesehen werden.806 Darin wird die synthetische Reform des romantischen Musikdramas in eine Entwicklungslinie mit einzelnen wegbereitenden Werken der Operngeschichte gestellt und den traditionellen opernhistorischen Verfalls- erscheinungen kontrastiert. Weitere dichtungspragmatische Umsetzungen dieser Pro- grammdiskussionen finden sich in der gesamten Dichtung der deutschen Frühromantik.

„Charakteristisch für Tiecks Frühwerk [...] ist die lyrische Stimmung und die Vorliebe für musikalisch getönte Kurzlyrik, oftmals als Verseinlage ins Prosawerk oder Drama zwischengeschaltet. Schon seine frühe Vorliebe für das Singspiel, einer auf Stilmischung beruhenden Gattung, läßt dies erkennen. Die Tendenz zur Gattungsmischung zeigt sich aber auch an den Verseinschüben der »Eisernen Maske« und des »Grünen Bandes«. [...] Die Synästhesie von Sprache und Musik mancher Partien der »Herzergießungen« und der »Phantasien« erscheint in Tiecks Lyrik wieder. Gerade er [...] war bemüht, die Musik und ihre Klangfarben synästhetisch in Sprache zu überführen.“807

Aufgrund seiner Unabschließbarkeit ist das romantische Gesamtkunstwerk auch meta- physischen Vorstellungen verpflichtet. Deren ästhetische Zielsetzung verschließt sich jedoch einer letztendlichen Erfüllung gerade aufgrund dieser Unabschließbarkeit. Dem romantischen Gesamtkunstwerk eignet also a priori jener Grundzug einer Unerfüllbar- keit, die zugleich auch eine seiner Bedingungen darstellt.

804 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 107. 805 Ebd. 806 Hoffmann bezieht sich dabei vor allem auf die Opern Armide (1776), Iphigénie en Aulide (1774) und Iphigénie en Tauride (1779) von Christoph Willibald Gluck sowie auf die Opéra heroique La Didone (1783) von Niccolò Piccini. 807 Roger Paulin: Ludwig Tieck. A. a. O. S. 47.

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Der Gesamtkünstler

Gesamtkunst und Gesamtkünstlertum

Gehen im Gesamtkunstwerk die verschiedenen Einzelkünste ineinander auf, so hat der Gesamtkünstler die unterschiedlichen künstlerischen Formen, Methoden und Techniken qua multitreferentieller Begabung verinnerlicht: „Der Verwischung der Grenzen der einzelnen Künste, besonders zwischen Musik und Dichtkunst, entspricht die plötzliche Erscheinung der Doppelbegabung unter den romantischen Künstlern.“808 Die Konjunk- tur des Gesamtkünstlertums während und nach der Romantik kann als eine Reaktion auf die fortschreitende Trennung der Lebens- und Alltagswelt sowie aus der allmählich um sich greifenden Arbeitsteilung innerhalb der Disziplinen erklärt werden. Darüber hinaus symbolisiert der Gesamtkünstler auch jene Verschränkung des Künstlersubjekts mit sei- nem Werk, welche das Romantische in der Kunst mitbegründet. Allein das Gesamt- künstlertum hat eine lange vorromantische Tradition: Schon der Magister artium Le- onardo da Vinci exzelliert aus romantischer Perspektive nicht nur als Maler, sondern auch als Bühnenbildner, Techniker, Entdecker, Kartograph, Physiologe und Naturfor- scher aus und erwirbt dadurch den Rang eines Universalgenies. In den Herzensergie- ßungen eines kunstliebenden Klosterbruders schreibt Wackenroder:

„Wie aber schon erwähnt ist, so war er nicht bloß ein großer Maler, sondern auch ein gu- ter Bildhauer wie auch ein ansehnlicher Baumeister. Er war in allen Zweigen der mathe- matischen Wissenschaften erfahren; ein tiefer Kenner der Musik, ein angenehmer Sänger und Spieler auf der Geige und ein sinnreicher Dichter. [...] Und wenn er überdies nicht bloß einer einzigen Kunst ergeben ist, sondern mehrere in sich vereinigt, ihre geheime Verwandtschaft fühlt und die göttliche Flamme, die in allen weht, in seinem Inneren empfindet; so ist dieser Mann von der Hand des Himmels auf eine wunderbare Weise vor anderen Menschen hervorgehoben [...] und so stellte er bloß in seiner Person fast eine ganze Akademie aller menschlichen Erkenntnisse und Fertigkeiten vor.“809

Die literarische Romantik stilisiert Leonardo zu einem repräsentativen Universal- und Gesamtkünstler, der durch die personale Konzentration verschiedener künstlerischer Begabungen zum einen die geheime Verwandtschaft der Künste evident macht und zum anderen den vermeintlich göttlichen Ursprung künstlerischer Zeugungskraft symboli- siert. Das wohl beeindruckendste Multitalent der Epoche ist der Gesamtkünstler E. T. A. Hoffmann. Dieser betätigt sich im Laufe seines Lebens als Dichter, Komponist, Ka-

808 Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik. A. a. O. S. 23. 809 Wilhelm Heinrich Wackenroder. Werke und Briefe. Gerda Heinrich (Hg.). München, Wien 1984. S. 167ff.

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pellmeister, Musiker, Zeichner und Maler, als Musikkritiker, Bühnenbildner, Musikdi- rektor. Hauptberuflich war er Kammergerichtsrat.

„Seit Novalis hatten die Romantiker den künstlerischen Universalismus gefordert, die Gesamtkunst, die mehr wäre als eine Summe aus den Teilkünsten. Scheinbar war der Künstler Hoffmann die ragende Erfüllung solcher universalistischen Romantik.“810

Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Synthese der Künste wird Hoffmann zu einer zentralen Schlüsselfigur innerhalb der romantischen Gesamtkunstdiskussion. Der inneren Tendenz der Einzelkünste zu einer Vermischung entspricht die Konzentration unterschiedlicher künstlerischer Begabungen im ästhetischen Subjekt: „Hoffmann zeigt sich nicht nur [...] als Universalkünstler, daß er in mehreren Kunstgattungen Bedeuten- des schuf, sondern auch darin, daß er die verschiedensten Ausdrucksweisen und -formen virtuos beherrschte.“811 Gerade eine solch hochdifferenzierte Anlage befördert jenes syn- thetische Kunstwerk, das alle Künste unter dem Primat einer spezifischen Gesamtwir- kung miteinander vereinigt. Darum wird eine schöpferische Künstlergemeinschaft bei- spielsweise in E. T. A. Hoffmanns Textsammlung Die Serapionsbrüder eher skeptisch beurteilt:

„»Überhaupt«, nahm Cyprian das Wort, »ist es mit dem gemeinschaftlichen Arbeiten ein mißliches Ding. Vollends unausführbar scheint es, wenn mehrere sich vereinen wollen zu einem und demselben Werk. Gleiche Stimmung der Seele, tiefes Hineinschauen, Auffas- sen der Ideen, wie sie sich aufeinander erzeugen, scheint unerläßlich, soll nicht, selbst bei verabredetem Plan, verworrenes barockes Zeug herauskommen.“812

In der Bildenden Kunst ist es der Universalkünstler Karl Friedrich Schinkel, dessen Ge- samtkünstlertum den Architekten, Architekturtheoretiker, Innenarchitekten, Stadtplaner, Landschafts- und Bühnenmaler, Zeichner sowie den Möbel- und Gebrauchswarengestal- ter in sich vereinbart.813

„Das Prinzip künstlerischer Gestaltung des menschlichen Daseins schloß keinen Bereich aus. Schinkel war sowohl Maler wie Architekt [...]. In seinem Schaffen als Architekt ist stets der Blick des Malers zu spüren wie in seinen Gemälden der Geist der Baukunst. Ei- ne Mittlerstellung zwischen Architektur und Malerei, aber auch zwischen bildender Kunst und Literatur nehmen seine Entwürfe für Theaterdekorationen ein.“814

810 Hans Mayer: Das unglückliche Bewußtsein. Zur deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine. Berlin, Weimar 1990. S. 505. 811 Hartmut Steinecke: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. In Gunter E. Grimm, Frank Rainer Max (Hg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren vom Mittelalter bis zur Ge- genwart. Stuttgart 1993. S. 102. 812 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 124. 813 Harald Olbrich u.a. (Hg.): Lexikon der Kunst. Bd. 6. A. a. O. S. 476f. 814 Helmut Börsch-Supan: Deutsche Romantiker. A. a. O. S. 72.

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Schinkels über 40 Bühnenbilder u.a. für die Opern Alceste von Gluck, Die Zauberflöte von Mozart, E. T. A. Hoffmanns Undine oder für Kleists Ritterschauspiel Das Käthchen von Heilbronn stellen kulturgeschichtliche Abbilder einer Weltanschauung dar, welche die Synthese eines architektonischen Klassizismus mit der christlich-romantischen Poe- tik815 als Stilprinzip empfiehlt. Schinkels „romantische Überzeugung von der Einheit der Künste“816 findet im Theater eine pragmatische Umsetzung und entspricht damit jenen Ansprüchen seines Dienstherren des Reichsgrafen von Brühl, der gleichfalls eine Syn- these der Künste als grundlegend für seine Theaterarbeit erkennt: „Brühl betrachtete das Theater als Kunstereignis, dem die Vereinigung mehrerer, sehr verschiedener Künste vorauszugehen hatte.“817 Damit wird jener legislative sowie exekutive Rahmen bezeich- net, in dem eine größtmögliche Annäherung an die synthetische Werkidee unternommen werden kann.

Der Gesamtkünstler im Musiktheater

Die ultimative Erfüllung des romantischen Gesamtkünstlertums vollzieht sich auf der Bühne des Musiktheaters. Der vollendete Gesamtkünstler ist der synthetische Musik- dramatiker, der über die einzelnen Theaterkomponenten frei verfügt, diese bündelt oder gar eigenständig erzeugt. Im Zuge einer Verganzheitlichung des musikdramatischen Kunstwerks musste diese kooperative Generalunion beinahe notwendig in den Typus des auktorialen Gesamtkünstlers münden. Mit einer Anspielung auf E. T. A Hoffmann kennzeichnet Jean Paul jenen musikdramatischen Universalkünstlertypus, den später Spohr, Weber, Lortzing, Wagner, Cornelius und andere repräsentieren.818 In der Vorrede zu Hoffmanns Erzählband Fantasiestücke in Callots Manier (1813) schreibt er:

„denn bisher warf immer der Sonnengott die Dichtgabe mit der Rechten und die Tongabe mit der Linken zwei so weit auseinander stehenden Menschen zu, daß wir noch bis die- sen Augenblick auf den Mann harren, der eine ächte Oper zugleich dichtet und setzt.“819

Als Dichter und Komponist hatte Hoffmann einen unmittelbaren Zugang zu einer integ-

815 August Griesebach: Carl Friedrich Schinkel. Architekt, Städtebauer, Maler. Frankfurt/Main, Ber- lin, Wien 1983. S. 65. 816 Hannelore Gärtner, Sybille Einholz: Pro Memoria Romantik. In Hannelore Gärtner, Annette Pur- fürst (Hg.): Berliner Romantik. Orte, Spuren und Begegnungen. Berlin 1992. S. 53. 817 Ruth Freydank: Theater in Berlin. Von den Anfängen bis 1945. Berlin 1988. S. 184. 818 Hoffmann war jedoch nicht das erste multitalentierte Musiktheatergenie der Neuzeit. Bereits der Opernkomponist Stefano Landi (1585-1639) verfasste eigene Opernlibretti. Der Komponist und Kapellmeister Andrea Bontempi (1624-1705) war u.a. am Dresdner Hof sowohl Bühnenbildner als auch Maschinenmeister und Hofhistoriograph. Siehe dazu Anna Amalie Abert: Geschichte der Oper. A. a. O. S. 46. 819 Jean Paul. SW. Abt. II. Bd. 3. S. 646.

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ralen Produktionsauffassung. Zudem thematisiert er das Defizit eines unzulänglichen Zusammenwirkens von Dichtung und Musik in seinen poetologischen Exkursen und Diskursen. Er erklärt das zergliederte Kunstprodukt mit der problematischen Werkge- meinschaft von Dichter und Komponist. Darum bedarf ein ganzheitliches Musikdrama einer universellen Künstlerpersönlichkeit, die beide Bereiche adäquat zu bedienen ver- mag: „Ist denn nicht vollkommene Einheit des Textes und der Musik nur denkbar, wenn Dichter und Komponist ein und dieselbe Person sind?“820 Hoffmann selbst entspricht den Kategorien eines romantischen Universalgenies, das sich sowohl im bürgerlichen Leben, in der Musik und Literatur, aber auch als Theaterpraktiker zu behaupten weiß, was er in einem Brief an Eduard Hitzig andeutet:

„Als das Theater durch Holbein neu organisirt wurde, fiel mir die ganze Last der ökono- mischen und ein großer Theil der ästeth[ischen] Einrichtung zu, und bald darauf wurde ich nächstdem, daß ich fürs Theater fortkomponiren mußte, noch TheaterArchitekt und Dekorateur, indem der recht geschickte Maschinist Holbein mich bald in die Geheimnis- se der Maschinerie praktisch einweihte und so die Theorie, die ich aus allen Bü- chern, die ich nur erhalten konnte, eingeschlungen hatte, ergänzte.“821

Wenngleich Hoffmann die Synthese von Kunst und Leben zuweilen problematisiert wie etwa in der Erzählung Der goldene Topf (1814) oder Das Fräulein von Scuderi (1819), so unternimmt er in Erzählungen wie Meister Martin der Küfner und seine Gesellen (1817/18) oder Der Feind (1824) den Versuch, einer Annäherung dieser beiden seit Aufklärung und Klassik so unversöhnlichen Sphären. In repräsentativen Anekdoten um die paradigmatischen Kunsthandwerkergestalten Meister Martin und Albrecht Dürer veranschaulicht Hoffmann, „wie eine im Handwerklichen verwurzelte Tüchtigkeit [...] sich zur Kunst steigert, ohne doch den Boden des gesellschaftlichen Lebens und der bürgerlichen Moral verlassen zu müssen.“822 In der Nachfolge dieser Kunst und Hand- werk integrierenden Gesamtkünstlerschaft Hoffmanns steht vor allem Richard Wagner. Man bedenke hierbei nur die Bedeutung der Erzählung Meister Martin der Küfner und seine Gesellen für Richard Wagners Künstler- und Handwerkeroper Die Meistersinger von Nürnberg (1868).823 Vor Wagner beteiligt sich bereits Hoffmanns Zeitgenosse Carl Maria von Weber in seiner Funktion als Kapellmeister nicht nur am Entstehungsprozess sondern auch an der Inszenierung der aufzuführenden Werke. Dabei erweist er sich nicht nur als ein ver- sierter Theaterpraktiker, sondern auch als ein vielseitig talentierter Gesamtkünstler. Er

820 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 91. 821 E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Bd. 1. Königsberg bis Leipzig 1794-1814. Friedrich Schnapp (Hg.). München 1967. S. 333. 822 Rüdiger Safranski: E. T. A. Hoffmann. Das Leben eines skeptischen Phantasten. Frankfurt/Main 2000. S. 422. 823 Siehe dazu auch Hans Mayer: Augenblicke. Ein Lesebuch. Wolfgang Hofer, Hans Dieter Zimmer- mann (Hg.). Frankfurt/Main 1987. S. 321.

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gilt „als der früheste Repräsentant eines neuen Künstlertypus, der Musiker, Literat und Musikschriftsteller in Personalunion ist.“824 Ähnlich wie Hoffmann und später Wagner ist für ihn der theatralische Prozess ein Kunstganzes, für dessen Erfüllung nicht das kleinste Detail vernachlässigt werden darf.825

„Er [...] sorgte sich um Auswahl, Besetzung, Ausstattung, Kostüme, Bühnenbild und so- gar um die Beleuchtung. Sein Probenplan war bis zur Erschöpfung ausführlich. [...] es handelte sich vielmehr um Stellproben, bei denen die Inszenierung in bezug auf Hand- lung und Bildwirkung erprobt wurde. [...] Dieser differenzierte Probenplan war die prak- tische Umsetzung seiner sehr festen Theorie über die deutsche Oper, die sich ihm nun ausgebildet hatte.“826

Als Musikschriftsteller und Operntheoretiker betritt Weber, ähnlich wie vor ihm schon Christoph Willibald Gluck, die Arena einer kritischen Publizistik, die neben musiktheo- retischen Fragen, neben Informationen über den Spielbetrieb auch die künstlerischen Prämissen der eigenen Werkauffassung erörtert. Mit seinen werkbegleitenden Veröf- fentlichungen präfiguriert Weber die enzyklopädischen Multibegabungen Wagners, Schumanns und auch Liszts: „Weber ist bereits ein Literat und Publizist im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts; er ist der erste Musiker, der über den gesamten Apparat der Bildung seiner Zeit verfügt [...].“827 Am Werk des Komponisten und Violinvirtuosen Louis Spohr lässt sich u.a. die Schnittstelle zwischen klassischem Repertoire und einem modernen Werkbegriff auf- zeigen. Der Interpretationsspielraum des Virtuosen wird dabei stark eingeschränkt und einzig auf die Intention des Komponisten verpflichtete. Spohr war

„ein bedeutender Virtuose, Kammermusiker, Violinpädagoge, Dirigent und Orchesterer- zieher, Leiter großer Opernhäuser und vieler Musikfeste, Musikschriftsteller – und dazu ein Komponist, der im Spannungsfeld zwischen Klassik und Romantik zu so gut wie al- len wichtigen Gattungen der Zeit wertvolle Beiträge lieferte.“828

Ein weiteres künstlerisches Multitalent ist auch Albert Lortzing, der gleich Hoffmann zahlreiche künstlerische Begabungen in sich vereinbart. Auch Lortzing verfasst seine Opernlibretti selbst, bemüht sich als Regisseur, Bühnenbildner und Kapellmeister um eine theatralische Umsetzung, und wirkt als Sänger und Schauspieler in seinen Büh-

824 Constantin Floros: Carl Maria von Weber – Grundsätzliches über sein Schaffen. In Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik-Konzepte 52. Carl Maria von Weber. edition text + kritik. München 1986. S. 6. 825 Siehe dazu auch Güter Zschacke: Carl Maria von Weber. Romantiker im Aufbruch. Lübeck 1985. S. 126f. 826 John Warrack: Carl Maria von Weber. Eine Biographie. Leipzig 1986. S. 271f. 827 Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik. A. a. O. S. 24. 828 Martin Wulfhorst: Louis Spohr und die moderne, werkorientierte Interpretation. In Das Orchester. Zeitschrift für Orchesterkultur und Rundfunkchorwesen. 46. Jahrgang. Heft 7/8. Hamburg 1998. S. 3.

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nenwerken mit. Ähnlich wie Hoffmann versucht auch er sämtliche Gattungen in einem Kunstganzen zu integrieren. Weitere romantische Multitalente sind Komponisten und Musikdramatiker wie Otto Nicolai, Heinrich Marschner, Robert Schumann oder Franz Liszt. Neben seinem kompositorischen Schaffen und einer umfangreichen Publizistik adaptiert Schumann für seine Chorwerke, Oratorien und Bühnenwerke literarische Texte und arbeitet diese wesentlich um. Einen Höhepunkt erreicht das romantische Gesamtkünstlertum in der Person und im Kunstschaffen Richard Wagners. Wagner vereinbart in sich auf beispielhafte Weise den Dichter, Musiker, Kapellmeister, Dramaturgen und Publizisten. Sein künstlerisches Bewusstsein ist unmittelbar mit der Idee des Gesamtkunstwerks assoziiert: „Ich habe nie daran gedacht, daß man Wagners Tendenz zum >Gesamtkunstwerk< nicht als wesentli- ches Symptom seiner Existenz sehen kann.“829 Voraussetzung für diese Verschränkung von Gesamtkunstwerk und Gesamtkünstlertum ist die poetologische Notwendigkeit ei- ner Einheit von Komponist und Dichter, die einzig eine Parität von Dichtung und Musik im Werk gewährleistet. Wagner schreibt an Eduard Hanslick:

„Ich kann nicht den besonderen Ehrgeiz haben, durch meine Musik meine Dichtung in den Schatten zu stellen, wohl aber würde ich mich zerstücken u. eine Lüge zu Tage brin- gen, wenn ich durch meine Dichtung der Musik Gewalt anthun wollte.“830

Neben die musikalisch-dichterische Komposition stellt Wagner als gleichberechtigte Faktoren die Fragen der Inszenierung und Aufführung. Sein Gesamtkünstlertum ist in- tegraler Bestandteil einer Vorstellung vom Gesamtkunstwerk, das nicht allein durch eine multitalentierte Begabung gewährleistet wird, sondern auch durch eine beständige Ver- feinerung und Vervollkommnung der im Werk bedienten ästhetischen Parameter. Da- rum nennt Liszt Wagner den unübertrefflichen Gestalter

„eines Ideals, das vor ihm in der Gesamt-Kunst, Dichtung, Musik und Theaterdarstellung, nicht verwirklicht wurde. […] Von Tannhäuser und Lohengrin bis zu den Nibelungen und Parzival ist die Gesamt-Kunst in Erscheinung getreten.“831

Wagner vollzieht jene Selbstermächtigung, welche die künstlerische Autorität eines Ge- samtkünstlers bedarf, um das absolute Werk zu verwirklichen: „Durch die personale Einheit des Tonsetzers und Dichters wollte er die Totalität seines Gesamtkunstwerks gewährleisten [...].“832 Der von Friedrich Schlegel zur ästhetischen Gattung stilisierte Begriff der programmatischen Kritik wird von Wagner adaptiert und in den Meistersin-

829 Ludwig Marcuse. Aus dem Briefwechsel Thomas Mann – Ludwig Marcuse. In Daniel Keel, Gerd Haffmans (Hg.): Das Tintenfaß. Ein Diogenes Taschenbuch für Literatur und Grafik. 10. Jahrgang. Heft 24. Zürich 1974. S. 142. 830 Richard Wagner: Sämtliche Briefe. Bd. 2. A. a. O. S. 536. 831 Hans Rudolf Jung (Hg.): Franz Liszt in seinen Briefen. Frankfurt/Main 1988. S. 290. 832 Ernst Alker: Die Deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1969. S. 575.

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gern zu einem dynamischen Moment der theatralischen Gestaltung erhoben. Durch die Methode, Kritik und Kommentar auch dramaturgisch zu gestalten, wird das Wagnersche Gesamtwerk um eine weitere Kategorie ergänzt. Darum müssen auch die theatertheore- tischen und musikästhetischen Schriften Wagners komplementär zu einem musikdrama- tischen Schaffen gedacht werden, in dem sich der Künstler selbst als Kunstwerk stili- siert: „Wo immer er auftritt, wirkt, stürzt oder steigt, da wird ein Stück gegeben: Wag- ner als Gesamtkunstwerk.“833 Wagner hat die Ambivalenz des Gesamtkünstlers in der Oper Die Meistersingern von Nürnberg künstlerisch verarbeitet. Hans Sachs ist das vollendete Abbild eines Gesamtkünstlers und zugleich „Wagners Selbstporträt als Klas- siker“834. Die Unvereinbarkeit von bürgerlicher Existenz und absolutem Künstlerdasein soll hier durch die Überwindung der Grenzen von Kunst und Leben aufgelöst werden. Das bürgerlich-ständische Leben wird zur Grundlage und zum Gegenstand der Kunst und die Kunst wiederum integraler Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft. In den Meistersingern vollzieht sich eine Synthese, in der die romantische Utopie einer Identi- tät von Kunst, Geist und Leben in dialektischer Hinsicht aufgehoben ist. Medium dieser Synthese ist die Gesamtkünstler-Existenz des Hans Sachs. So wie das ursprünglich nicht näher bezeichnete Bühnenfestspiel835 im Spiel auf der Festwiese [III; 5] aufgeht, gehen Künstlertypus und Bürgerexistenz in der dramatischen Konzeption des Hans Sachs inei- nander auf. Die Kunst als unmittelbarer Ausdruck des Lebens artikuliert sich in der Schusterliedszene [II; 6], deren musikalischer Vortrag unmittelbar an das performative Element der simultan ausgeführten handwerklichen Betätigung geknüpft ist. Aber auch in der Regelkunst der Meister sowie in der genialischen Improvisation im Probelied [I; 3] Walthers, erhält diese Dialektik szenische Realität. Als spiegelbildliches alter ego Wagners repräsentiert Hans Sachs nicht nur den Gesamtkünstler als Bühnenerschei- nung, sondern auch als ein epochales Ereignis der Musiktheaterkultur. Der in Hans Sachs vollblütig verkörperte Künstler-Bürger-Dualismus wird von ei- ner weiteren paradigmatischen Gesamtkünstlerfigur der musikalischen Komödie flan- kiert: Giovanni Paisiellos und Gioacchino Rossinis Alleskönner Figaro in der Oper Il Barbiere die Siviglia. In Rossinis Version erhält der »Barbiere di qualità« genügend Raum, seinen vielfältigen Begabungen sowohl stimmlich als auch dramaturgisch Aus- druck zu verleihen und sich als Gesamtkünstler par excellence zu profilieren: Neben seinem ursprünglichen Beruf als Barbier glänzt dieser Belcanto-Virtuose auch in den Bereichen der Heiratsvermittlung, der Intrige sowie der Unterhaltung und stilisiert sich dabei als ein unabkömmliches Universalgenie der kleinen Leute: „Là dentro io son bar- biere, parrucchier, chirurgo, botanico, spezial, veterinario, il faccendier di casa.“836 Auf

833 Peter Wapnewski: Richard Wagner. Die Szene und ihr Meister. München 1983. S. 9f. 834 Carl Dahlhaus: Richard Wagners Musikdramen. A. a. O. S. 70. 835 In den Prosa-Entwürfen wird das Werk lediglich als Komische Oper (1845) oder auch als große komische Oper (1861) geführt. Eine andere Gattungsbezeichnung ist nicht auszumachen. 836 Gioachino Rossini: Der Barbier von Sevilla. Libretto von Cesare Sterbini. Kompletter Text in ita-

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der Bühne des Musiktheaters beginnen spätestens im 19. Jahrhundert Gesamtkunstwerk und Gesamtkünstler zu konvergieren.

______lienischer Originalfassung mit deutscher Übersetzung und Erläuterung. Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König (Hg.). Reihe: Opern der Welt. München 1986. S. 41ff. „Dort bin ich Barbier, Damenfriseur, Chirurg, Botaniker, im besonderen Tierarzt sowie der Diener des Hauses.“ [Über- setzung: Peter Machauer].

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Unendlichkeitskonzeptionen

Dialektik von Unendlichkeit und Begrenzung

Der signifikanteste Bewertungsparameter einer jeden kulturellen Bewegung ist die me- taphysische Formel: „Jede Bewegung beruht einmal auf einer bestimmten, charakteristi- schen Haltung zur Welt und zweitens auf einer [...] Vorstellung von einer letzten In- stanz, einem absoluten Zentrum.“837 Die romantische Ästhetik bezieht sich nicht mehr auf den ideellen Gehalt eines Kunstwerks, sondern auf seine transzendentalen Bezüge. In diesem Kontext steht das Streben der Romantik nach Entgrenzung und Unendlich- keit. Diese erhält schon bei Schiller den Anschein eines utopischen Gegenentwurfs zur gesamtgesellschaftlichen Dissoziation.838 Diese Idealität des Unendlichen hat sich die Frühromantik auf höchst subjektive Weise angeeignet und für ihre synthetischen Speku- lationen fruchtbar gemacht. Die Romantik stellt die Sehnsucht nach Unendlichkeit einer begrenzten, erschütterbaren und disharmonischen Wirklichkeit gegenüber. Unter dem Diktat einer zergliedernden Rationalität und vor dem Hintergrund bedrohlicher Ge- schichtsabläufe empfinden die Frühromantiker ihre Epoche als instabil und gefährdet. Dieser Erfahrung hält Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik (1804) die Vision eines beständigen inneren Reichs der Poesie entgegen:

„Was blieb nun dem poetischen Geiste nach diesem Einsturze der äußeren Welt noch üb- rig? – Die, worin sie einstürzte, die innere [...], so blühte in der Poesie das Reich des Un- endlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf.“839

Prädikat dieser inneren Welt ist jener Unendlichkeitsbegriff, der das poetische Subjekt über die Enge der bürgerlichen Alltagswelt hinausführen soll. Neben diesem krisenhaf- ten Eskapismus etabliert sich ein „Führungswechsel der Zeithorizonte“840, der die Ge- genwart nicht mehr als historischen Endpunkt festschreibt, sondern vielmehr einer zwar zielgerichteten, aber auch unabschließbaren Geschichtsdynamik öffnet. Begrenzung erfährt die Erlebnis- und Alltagswelt aber auch durch die Zweckratio- nalität einer nutzenorientierten Weltordnung, die das Haltbarkeitsdatum von ästheti- schen Entwürfen und Utopien nach Maßgabe ihrer pragmatischen Verwendbarkeit defi- niert. Eine zweckenthobene autonome Kunst markiert einen Widerspruch gegenüber uti- litaristischen Wirklichkeitsansprüchen. Dieser Widerspruch findet bei E. T. A. Hoff-

837 Carl Schmitt: Romantik. In Helmut Prang (Hg.): Begriffsbestimmung der Romantik. A. a. O. S. 88. 838 Friedrich Schiller. NA. Bd. 20. S. 32. 839 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 5. S. 93. 840 Niklas Luhmann: Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme. In Hans M. Baumgartner, Jörn Rüsen (Hg.): Semi- nar: Geschichte und Theorie. Umrisse einer Historik. Frankfurt/Main 1976. S. 370.

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mann Ausdruck im Antagonismus von prosaischer und poetischer Weltauffassung. De- ren Exponenten sind der Typus des Philisters und des Künstlers. Eine Umwertung des Nutzenprinzips vor der Folie des Unendlichen unternimmt auch Friedrich Schlegel: In- dem er die Nützlichkeit vom endlichen, zweckorientierten Gegenstand ablöst legitimiert er das Unendliche als Fluchtpunkt einer neuen Bewusstseinshaltung: „Nur durch Bezie- hung aufs Unendliche entsteht Gehalt und Nutzen; was sich nicht darauf bezieht, ist schlechthin leer und unnütz.“841 Wie Hoffmann und Jean Paul bezieht auch Schlegel den Ausdrucksgehalt der Kunst auf einen ästhetischen Gegenbereich, der durch einen elitä- ren Akt göttlicher Verselbständigung erreicht wird und den Künstler „auf ewig von al- lem Gemeinen absonderte und isolierte; auf das Werk, was alle Absicht göttlich über- schreitet [...].“842 Diese Überschreitung des Gemeinen und Alltäglichen führt unmittelbar zum Unendlichen als dem Prinzip einer dynamischen Synthese: „Wer Sinn fürs Unend- liche hat, und weiß was er damit will, sieht in ihm das Produkt sich ewig scheidender und mischender Kräfte, denkt sich seine Ideale wenigstens chemisch [...].“843 Damit wird das Unendliche zu einem wichtigen Faktor für die Entwicklungsgeschichte synthe- tischer Konstrukte.844 Zugleich korreliert der Begriff mit dem Prinzip einer progressiven Universalpoesie sowie mit der unendlichen Perfektibilität der romantischen Poesie, die sich über eine Ahnung des Unendlichen definiert: „Das Unendliche umgibt den Men- schen, das Geheimnis der Gottheit und der Welt. [...] dies Ahnen des Unendlichen in den Anschauungen ist das Romantische.“845 Schelling ergänzt diese romantische Defini- tion durch die Bestimmung der Kunst als zeitenthebendes und zeitaufhebendes Moment. Eine räumliche und im erkenntnistheoretischen Sinne transzendental gedachte Unend- lichkeit ergänzt er durch die Komponente einer zeitlichen Unendlichkeit:

„In diesem Augenblick ist es, was es in der ganzen Ewigkeit ist: außer diesem kommt ihm nur ein Werden und ein Vergehen zu. Die Kunst, indem sie das Wesen in jenem Au- genblick darstellt, hebt es aus der Zeit heraus; sie läßt es in seinem reinen Sein, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen.“846

Diese Aufhebung der Zeit im Kunstwerk entspricht jenen Gesamtkunsttendenzen, die durch einen transzendentalen Zeitbegriff die Erfahrung von Unendlichkeit über die Grenzen des Kunstwerks hinaus evozieren. Aber auch gattungsimmanent versucht die

841 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 256. 842 Ebd. S. 270. 843 Ebd. S. 243. 844 Ursula Franke: Kunst, Kunstwerk. Die romantische K.[unst]-Philosophie. In Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Sechs Bände. Bd. 4. I-K. Ba- sel, Stuttgart 1976. S. 1389. 845 Ludwig Uhland. Werke. Zwei Bände. Hans-Rüdiger Schwab (Hg.). Bd. 2. Frankfurt/Main 1983. S. 8f. 846 F. W. J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (1807). Stuttgart 1982. S. 66 [302/303].

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romantische Ästhetik dem Zeitproblem beizukommen: Durch die Auflösung des Zeitbe- griffs wird ein Wahrnehmungsparadigma geschaffen, das die Grenzen rationaler Diffe- renzierungen überwindet und eine Kongruenz von innerer und äußerer Natur ermöglicht.

Raum und Zeit

Chronologische Zeit-, Ereignis- und Geschichtsabläufe sind die stereotypen Muster ei- ner analytischen Anschauung, die mit der mechanischen Messbarkeit der Zeit eine kul- turgeschichtliche Bedeutung erhielten.847 Durch die zeitliche Segmentierung von Abläu- fen entsteht jene homogene Zeiterfahrung, die Zeit erst als ganzheitliches Kontinuum er- fahrbar macht. Aus diesem Vermögen zur zeitlichen Abgrenzung und Untergliederung ergibt sich die logozentrische Herrschaft über Zeit und Raum, in dem sich diese sukzes- sive entwickelt. Dieser technischen Beherrschung von Zeitanschauung, -beherrschung und -kontrolle korrespondiert die Gliederung der historischen Zeit und des historischen Raums. Raum und Zeit sind, nach Schopenhauer, durch transzendentale Idealität gekenn- zeichnet.848 Sie sind Faktoren des begrenzten menschlichen Vorstellungsvermögens. Da- rum haben Raum und Zeit „nur ein relatives Daseyn“849 und sind eher einem Traum850 vergleichbar. Neben den berühmten literarischen Vorbildern Calderón und Shake- speare851, unterstützt auch Herder diese Anschauung,

„daß Raum und Zeit eigentlich an sich nichts, daß sie die relativeste Sache auf Dasein, Handlung, Leidenschaft, Gedankenfolge und Maß der Aufmerksamkeit in oder außerhalb der Seele sind?“852

Herder betreibt hier eine Relativierung der Zeit im Zeichen einer Verwirrung der gram- matischen Logik, die durch ästhetische Sprünge, Würfe und Inversionen zu beständigen Revisionen genötigt wird. Damit wird eine Anarchie der Form eingesetzt,853 die auch auf das romantische Syntheseprogramm einwirkt. Eine entsprechende Inkongruenz zwischen Spielzeit und gespielter Zeit im beleb- ten Raum ist auch seit der Entstehung der Oper virulent. Auch bei dieser Gattung wird

847 Näheres dazu bei Harald Weinrich: Knappe Zeit. Kunst und Kritik des befristeten Daseins. Mün- chen 2004. S. 27f. 848 Arthur Schopenhauer: Werke in fünf Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 35ff. 849 Ebd. S. 36. 850 Ebd. S. 47f. 851 Calderón zeigt dies in seinem Drama Das Leben ein Traum (1635). Shakespeare in Der Sturm (1611): „Wir sind solcher Zeug / Wie der zu Träumen, und dies kleine Leben / Umfaßt ein Schlaf.“ In William Shakespeare. Werke in zwei Bänden. A. a. O. Bd. 1. S. 1195. 852 Johann Gottfried Herder: Herders Werke in fünf Bänden. Bd. 2. A. a. O. S. 222. 853 Siehe dazu auch Rolf Grimminger: Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. A. a. O. S. 131.

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die Synchronisierbarkeit von gesprochenem und gesungenem Text problematisch: „Die Vereinigung von Text und Musik im Drama provozierte den Zusammenstoß zweier he- terogener Zeiträume.“854 Selbst das flüssig vorgetragene einstimmige Rezitativ verab- schiedet die zeitkonforme Stringenz der gesprochenen Rede. Daraus folgt, dass die mu- sikalische Zeit mit dem dramatischen Zeitablauf nicht übereinkommen kann.

„Die Musik ist also nicht im selben Sinn Handlungsträger wie der Dialog im Drama. Sie rückt aber die Handlung immer wieder in einen anderen Zeit-Raum [...]. Der Raum, der hier entsteht, vereinigt die an der Handlung teilhabenden Menschen: die Musik syntheti- siert eine dramatische Situation zu einer Stimmung [...].“855

Ein spezifisches, eigens der Musik gemäßes Zeitempfinden beginnt sich zu etablieren. Mit der Loslösung von einer dramatischen Kausalität wird ein neuer Erfahrungsraum eröffnet. Zeit und Raum beginnen sich gegenseitig stets neuen Definitionen zu unter- werfen. Zugleich bedarf es einer Überführung von Musik in Raum, da diese die räumli- che Dimension zu tilgen trachtet. Erst im szenischen Raum der Oper konkretisiert sich die musikalische Zeit, deren Korrelat die historische, aber auch die Märchen- und My- thenzeit darstellt. Die Zeitabläufe in der Oper sind irreal, die Beziehungen zwischen den Darstellern werden durch die zeitliche Dehnung des gesungenen Tones und die Kom- primierung szenischer Abläufe sowie durch die Wiederholungen verschiedener Textphrasen stilisiert. Die Oper gerät dadurch in eine Distanz zum Schauspiel, das sich zeitlich linear entwickelt. Zugleich wird die Nähe der Oper zum Roman evident: Im Roman kommt nicht nur die Heterogenität der Welt zum Ausdruck, er ist das syntheti- sche Paradigma schlechthin:

„Eben diese Eigenschaft des Romans, eine wilde Gattung zu sein, Poesie und Prosa, Ly- rismen und Reflexion, Spannung und Begrifflichkeit zu mischen, im eigenen Medium thematisiert werden zu können, verhalf dem Roman zur Karriere als Paradigma aller ro- mantischen Poesie.“856 Auch im musikalischen Drama, dessen szenisch-dramatischer Ablauf sich an der Struk- tur des Sprechtheaters orientiert, wird der Ablauf durch die Musik verzögert – selbst wenn es die periodischen Wiederholungen der Oper vermeidet. Die Möglichkeit der Musik, die Zeit aufzuheben und einen bestimmten dramatischen Augenblick zu expo- nieren, verleihen dem musikalischen Drama epischen Charakter: „Und die Oper rückt, wenn man Zeitstrukturen analysiert, unversehens aus der Nähe des Schauspiels in die des Romans.“857 Eine romanhafte Gestaltung musikdramatischer Abläufe ist weit eher geeignet, vielschichtige Themen und Sachverhalte adäquat zum Ausdruck zu bringen als

854 Gerhard Scheit: Dramaturgie der Geschlechter. A. a. O. S. 35. 855 Ebd. S. 36. 856 Gerhard Kurz: Ästhetik, Literaturtheorie und Naturphilosophie. In Deutsche Literatur, Eine Sozi- algeschichte. Bd. 5. Reinbek bei Hamburg 1987. S. 99. 857 Carl Dahlhaus: Vom Musikdrama zur Literaturoper. A. a. O. S. 29.

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das Schauspiel. Darum erkennt Richard Wagner im Roman nicht nur eine zeitgemäße li- terarische Kunstform, sondern auch „das Pendant zur (absoluten) Instrumentalmusik.“858 Die sublimste Form einer Verschichtung von Zeit- und Handlungsstrukturen eröffnet Wagner in seinem Bühnenweihfestspiel Parsifal (1882). Hier verwandelt sich sowohl musikalisch als auch szenisch die Zeit in einen epischen Raum jenseits von Handlungs- zeit und Geschichte. Simultan zu der Erläuterung des Protagonisten Gurnemanz wird die eine Dimension in der anderen aufgehoben: „Parsifal: Ich schreite kaum, / doch wähn‟ ich mich schon weit. / Gurnemanz: Du siehst, mein Sohn, / zum Raum wird hier die Zeit.“859 Mit dieser Formel wird die gesamte Raum-Zeit-Problematik der Musik in- mitten eines szenisch bespielten Raumes auf einer höheren Ebene aufgelöst. Dieser Transfer von Zeit in Raum „kann man sicherlich als die gelungenste Definition des My- thos schlechthin bezeichnen, die jemals gegeben worden ist.“860 Eine Entsprechung die- ser epischen Zeitverschichtung findet sich bereits in der Vorlage von Wolfram von Eschenbachs Heldengedicht Parzifal (1200/10).

„So bewegte sich Parzifal in der Dichtung Wolframs von Eschenbach bald in einer heid- nischen Vorzeit, bald in einer christlich geprägten Gegenwart. Die für uns selbstverständ- liche Einheit von Raum und Zeit zerbröckelt in der Erzählung gewissermaßen unter den Augen des neuzeitlichen Lesers.“861

Während das Drama zeitliche Abläufe intensiviert und auf einen Höhepunkt zu treibt, der Roman hingegen die Erfahrung von Zeit in „die extensive Totalität des Lebens“862 überführt, versucht das romantische Musikdrama die Virtualität von Raum und Zeit in eine genuin transzendentale Erfahrung zu übersetzen. Im Zusammenhang mit dem zeit- enthobenen Programm mythologischer Narration und einer synthetischen Utopie ver- wirklicht sich die Aufhebung der Zeit im Musikdrama in einer zentrierenden und totali- sierenden ästhetischen Erfahrung. Auch in der Opera seria sind teleologische Raum- und Zeitstrukturen obsolet, da der dramatische Akzent stets auf einem singulären szenisch- musikalischen Augenblick liegt. Erscheint im mythischen System des romantischen Musikdramas der dramatische Prozess aufgehoben, „so erweist sich in der Opera seria die musikalisch-szenische Präsenz, die das Frühere und Spätere [...] vergessen läßt, als tragende dramaturgische Kategorie.“863 Das Problem einer fortschreitenden, in einzelne Einheiten zergliederten, logozentrisch beherrschten Zeit wird in der Virtualität romanti-

858 Dieter Borchmeyer: Das Theater Richard Wagners. A. a. O. S. 127. 859 Richard Wagner: Parsifal. Textbuch, Einführung und Kommentar. Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König. Reihe: Opern der Welt. München, Mainz 1981. S. 47. 860 Claude Lévi-Strauss: Von Chrétien de Troyes zu Richard Wagner. In Richard Wagner: Parsifal. Der Opernführer: Libretto, Analyse, Kommentare, Diskussionen. Ulrich Drüner (Hg.). München 1990. S. 20. 861 Lucian Hölscher: Die Entdeckung der Zukunft. Frankfurt/Main 1999. S. 22. 862 Georg Lukács: Die Theorie des Romans. Neuwied, Berlin 1963. S. 41. 863 Carl Dahlhaus, Norbert Miller: Europäische Romantik in der Musik. Bd. 1. A. a. O. S. 598.

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scher Medien aufgehoben; die Wahrnehmung des Raumes wird dabei für eine spezifisch romantische Zeiterfahrung kompatibel, die unter anderem auch die sinnlichen Wahr- nehmungsmuster umkodiert.

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Synästhesie

Terminologische und physiologische Betrachtungen

Unter dem Begriff Synästhesie (griechisch: Zusammenempfindung) versteht die Schul- psychologie eine assoziative Verbindung zwischen verschiedenen Sinnesreizen. Diese beruht auf einer physiologischen und psychologischen Gütergemeinschaft der Sinne, die sich gegenseitig bedingen oder auch ergänzen.864 Neurophysiologisch ermöglicht wird sie dadurch, dass sinnliche Wahrnehmungssphären auch in inadäquater Weise erregt werden. Psychologisch beruht sie auf dem Umstand, dass durch einen Reiz eine große Anzahl subjektiver Empfindungen assoziiert werden kann.865 So vermag ein akustischer Reiz einen optischen Sinneseindruck hervor rufen. Dieses Farbenhören866 nennt die Wissenschaft Chromaestesia oder auch eine audition colorée, zu der sich die akustisch- chromatische Synopsie, das Tönesehen, analog verhält.867 Auf ein Zusammenspiel der Sinne macht bereits der Romantiker August Wilhelm Schlegel in Die Kunstlehre (1801/02) aufmerksam:

„Dasjenige also, was in andere Sinne fällt, muß durch vermittelte Ähnlichkeiten bezeich- net [werden]. Diese liegen entweder in Analogieen der Eindrücke auf die verschiedenen Organe, der Sanftheit, Stärke u. s. w. Ein Blinder soll einmal die rothe Farbe mit dem Schall einer Trompete verglichen haben. Treffend genug!“868

Beim Anblick glattpolierter Metallgegenstände assoziiert man eher die Temperaturemp- findung kalt. Der Anblick einer Verfolgungsjagd im Kino kann den Gleichgewichtssinn täuschen und ein Schwindelgefühl erregen. Synästhetische Empfindungen sind aber auch vom Kulturkreis abhängig: Die Einordnung von Tonarten nach Tast- Empfindungen – man empfindet Dur-Tonarten eher hart, Moll-Tonarten dagegen eher weich – sind nur sinnfällig, wenn diese beiden Tongeschlechter generell gebräuchlich sind. Auch das Vokabular der Wortsprache enthält Beispiele für synästhetische Korres- pondenzen: Worte wie einförmig und eintönig beziehen sich nicht nur auf Formen und Töne, sie können im Grunde zahlreiche Situationen, Verhältnisse oder Abläufe be- schreiben. Rauhe Sitten beziehen sich nicht auf eine taktil erfahrbare rauhe Oberflä-

864 Vgl. dazu James J. Gibson: Die Sinne und der Prozeß der Wahrnehmung. Bern 1982. 865 Über das medizinisch-neurologische Phänomen unwillkürlicher Wahrnehmungen: Volker Lange: Wunderwelt der Synästhesie. In MorgenWelt-Magazin. Juli/August 1998. 866 Lola l. Cuddy, Helmut Rösing: Synästhesie. In Herbert Bruhn, Rolf Oerter, Helmut Rösing (Hg.): Musikpsychologie. Ein Handbuch. Reihe: rowohlts enzyklopädie. Burkhard König (Hg.). Hamburg 1997. S. 500ff. 867 Annelies Argelander: Das Farbenhören und der synästhetische Faktor der Wahrnehmung. Jena 1927. S. 1ff. 868 August Wilhelm Schlegel: Kritische Ausgabe der Vorlesungen. Erster Band. A. a. O. S. 400f.

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chenbeschaffenheit, heiße Rhythmen nicht auf Temperaturen. Das Adjektiv hell stammt etymologisch von hallen ab und bezeichnet nicht nur Lichtverhältnisse, sondern auch die helle Stimme, die helle Freude oder den hellen Wahnsinn. Ein weicher Klang, eine kalte Farbe oder eine dunkle Tonart erzeugen ebenfalls eine vom Ursprungssinn des Ad- jektivs stark abstrahierte Vorstellung. Wir kennen in optischer Hinsicht die Vorstellung von einem scharfen Auge, scharfen Kurven und einem scharfen Verstand; akustisch ist die Vorstellung von der Klangfarbe, optisch die Bezeichnung des Farbtons signifikant. Es gibt hitzige Versammlungen mit funkensprühenden Reden. Die zeitgenössische Literaturwissenschaft erkennt in der Synästhesie ein rhetori- sches Stilmittel und subsumiert dieses den sogenannten Klangfiguren, die, ähnlich den Tropen, die rhetorische oder textuelle Ornamentik unterstützt. Synästhesie ist vor die- sem Hintergrund eine „Lautliche Nachahmung von nichtlautlichen und nichtsinnlichen Eindrücken.“869 Im Gegensatz zur onomatopoetischen Nachahmung eines Naturlautes durch die Wortsprache bedient sich die Synästhesie einer entkonventionalisierten Laut- malerei und Lautsymbolik, deren Wirkungsweise auf die subjektive Wahrnehmung refe- riert.

Präfigurationen synästhetischer Wahrnehmungen

Seit der Antike lassen sich synästhetische Erfahrungen sowie deren mediale Instrumen- talisierung in fast allen Kulturepochen aufzeigen. Während bereits Homer im dritten Teil der Ilias von lilienfarbenen Stimmen spricht, legt Aristoteles in seiner Abhandlung De anima der Wahrnehmung von unterschiedlichen Objekten einen Gemeinsinn zu- grunde.

„Daher ist es [...] unmöglich, daß es für irgendeines von diesen (gemeinsamen Objekten) einen spezifisch eigenen Wahrnehmungssinn gibt, z. B. für Bewegung. Das wäre so, wie wir jetzt mit dem Gesichtssinn das Süße wahrnehmen. Dies geschieht, weil wir nun ein- mal für beides (Weißes und Süßes) einen Wahrnehmungssinn haben, mit dem wir beides, wenn es zusammenfällt, zugleich erkennen.“870

Dieses gemeinschaftliche Zusammenwirken der Sinne erhält bei Aristoteles eine trans- sensuelle Komponente durch den Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung und ih- rem Gegenstand sowie durch die Verbindung des Sinnlichen mit dem Sinn, der das wahrnehmende Subjekt mit der Objektwelt verbindet.871 Die römischen Dichter Vergil

869 Lothar Kolmer, Carmen Rob-Santer: Studienbuch Rhetorik. Reihe: Rhesis. Arbeiten zur Rhetorik und ihrer Geschichte 1. Lothar Kolmer (Hg.). Paderborn, München, Wien, Zürich 2002. S. 60. 870 Aristoteles: Über die Seele. In Philosophische Schriften in sechs Bänden. Bd. 6. Buch III. Über- setzt von Willy Theiler. Bearbeitung: Horst Seidl. Hamburg 1995. S. 63. 871 Jens Brockmeier, Hans-Ulrich Treichel: Worte, Klänge, Farben. Erkundungen in »Synaesthesia«.

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und Horaz gestalten eine, sich aus diversen sinnlichen Reizen und Empfindungen gene- rierende, Landschaftskulisse, den sogenannten Locus amoenus. Dabei ist der anthropo- logische Bezug auf die sinnliche Wahrnehmungsökonomie von zentraler Bedeutung, denn die dabei beschworene äußere Natur der bukolischen Landschaft korrespondiert unmittelbar mit der genuinen Landschaft menschlicher Leidenschaften und Affekte. Diese spiegeln sich synästhetisch erregt im ästhetischen Wunsch- oder Traumbild wider.

„Der locus amoenus will alle Sinne ansprechen und >Schönheit der Natur< als synästhe- tische Totalität evozieren; was durch ihn ausgelöst werden soll, ist ein integrales Emp- finden und Fühlen, freilich weniger ein >Naturgefühl< als ein durch jene Außenreize er- regtes Wohlgefühl des Empfindens selbst; Freude (gaudium) und Lust [...]. Der locus amoenus ist ein sinnlicher, die Sinne erregender Ort und daher seit Homers Nymphen- grotte [...] ein erotischer Ort, ein Ort der Liebe [...].“872

Schon in der späten Renaissance und im Barock werden synästhetische Wahrnehmun- gen für die Kunst fruchtbar gemacht. Das Versepos L’Adone (1623) von Giambattista Marino, der von Zeitgenossen auch der Dichter der fünf Sinne genannt wird, veran- schaulicht dem Leser/Hörer einen Garten der Sinne, in dem Venus und Merkur ihrem Adepten Adonis zahlreiche Wahrnehmungsphänomene vorführen. In zwanzig Gesängen werden die Allegorien von Spiel und Tanz, des Seh- und Tastsinns, des Geruchs-, des Geschmacks- sowie des Gehörsinns vorgeführt und erläutert. Zur gleichen Zeit malte der niederländische Maler Jan Brueghel d. Ä. eine Bilderserie der fünf Sinne. Die Kunst der Renaissance bevorzugt noch taktil erfahrbare, materialisierte Synäs- thesien (Farben-, Licht- und Tönetasten), während im Barock eher das Farben-, Licht- und Formenhören sowie das Tönesehen im Vordergrund synästhetischer Gestaltung steht.873 Beispiele für synästhetische Übertragungen in der Kunst des Barock finden sich u.a. in der barocken Theatralik der frühen Bildnisse Rembrandts874 oder in den Werken Jean Antoine Watteaus. In dessen Gemälde Die Einschiffung nach Cythera (1718/19) wird ein visionärer Ort jenseits zeitlicher oder kausaler Abläufe gezeigt. Dieses Bild operiert mit mythologischen Bezügen und schafft durch symbolische und allegorische Verweise sowie durch eine kreisend-schwingende Aufwärts- und Auflösungsbewegung von ikonographischen Bildelementen in die azur-leuchtende Lichtquelle eine synästheti- sche Vermischung von Natur und Kunst zu einer visuellen Offenbarung unbeschwerter ______In Hans Werner Henze (Hg.): Die Chiffren. Musik und Sprache. Reihe: Neue Aspekte der musika- lischen Ästhetik IV. Frankfurt/Main 1990. S. 89. Siehe darüber hinaus auch Wolfgang Welsch: Aisthesis. Grundzüge und Perspektiven der Aristotelischen Sinneslehre. Stuttgart 1987. S. 307f. und S. 381f. 872 Wolfgang Riedel: Natur/Landschaft. In Ulfert Ricklefs (Hg.): Das Fischer Lexikon. Literatur. Bd. 3. A. a. O. S. 1421 873 Albert Wellek: Renaissance- und Barock-Synästhesie. In Deutsche Vierteljahresschrift für Litera- turwissenschaften und Geistesgeschichte. Nr. IX. 1931. S. 534-584. 874 Theodor Hetzer: Rubens und Rembrandt. Schriften Theodor Hetzers. Bd. 5. Gertrude Berthold (Hg.). Mittenwald, Stuttgart 1984. S. 258.

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und freier Liebe.875 In Deutschland erzeugt im 18. Jahrhundert Friedrich Gottlieb Klopstock in dem Gedicht Unsere Sprache (1775) mit dem Vers „An der Höhe, wo der Quell der Barden in das Tal / Sein fliegendes Getöne, mit Silber bewölkt [...].“876 einen synästhetischen Eindruck. Selbst im Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs lassen sich synästhetische Formen aufzeigen. In der Kantate Mit Fried und Freud ich fahr dahin BWV 125 (1725) erhält das Licht des Glaubens das akustische Vermögen fortzuschallen: „Ein unbegreif- lich Licht erfüllt / Den ganzen Kreis der Erden. / Es schallet kräftig fort und fort / [...].“877 In der literarischen Klassik ist es Johann Gottfried Herder, der in seiner Schrift Über den Ursprung der Sprache (1772) eine Generalunion der Sinne postuliert:

„Wie hängt Gesicht und Gehör, Farbe und Wort, Duft und Ton zusammen? [...] Allen Sinnen liegt Gefühl zum Grunde, und dies gibt den verschiedenartigsten Sensationen schon ein so inniges, starkes, unaussprechliches Band, daß aus dieser Verbindung die sonderbarsten Erscheinungen entstehen. Mir ist mehr als ein Beispiel bekannt, da Perso- nen [...] mit diesem Schall jene Farbe, mit dieser Erscheinung jenes ganz verschiedne dunkle Gefühl verbinden, was durch Vergleichung der langsamen Vernunft mit ihr gar keine Verwandtschaft hat; denn wer kann Schall und Farbe, Erscheinung und Gefühl vergleichen? Wir sind voll solcher Verknüpfungen der verschiedensten Sinne [...].“878

Aber auch in Goethes Römischen Elegien (1791) wird durch eine Inversion der Verb- Adverb-Zuordnung die sinnliche Wahrnehmung der Geliebten synästhetisch potenziert: „ich denk‟ und vergleiche / Sehe mit fühlendem Aug‟, fühle mit sehender Hand.“879 Ein auch für die Romantik bedeutsamer Aspekt ist die Verknüpfung synästhetischer Erfah- rungen einerseits mit Musik, andererseits mit der Sphäre des Traums. Heinrich von Kleist beschreibt dies in einem Brief an Adolfine von Werdeck vom 28./29. Juni 1801:

„Ach, ich entsinne mich, daß ich in meiner Entzückung zuweilen, wenn ich die Augen schloß, besonders einmal, als ich an dem Rhein spazierenging, und so zugleich die Wel- len der Luft und des Stromes mich umtönten, eine ganze vollständige Sinfonie gehört ha- be, die Melodie und alle begleitenden Akkorde, von der zärtlichen Flöte bis zu dem rau- schenden Kontra-Violon. Das klang mir wie eine Kirchenmusik, und ich glaube, daß al- les, was uns die Dichter von der Sphärenmusik erzählen, nichts Reizenderes gewesen ist, als diese seltsame Träumerei.“880

Gerade die Form einer musikalisierten Naturwahrnehmung wird von Kleists romanti-

875 Näheres dazu bei Margaret Morgan Grasselli, Pierre Rosenberg: Watteau. 1684-1721. Berlin 1985. 876 Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. Karl August Schleiden (Hg.). Darmstadt 1962. S. 115. 877 Johann Sebastian Bach: Mit Fried und Freud ich fahr dahin. BWV 125. In Beibuch zur Kantaten- aufnahme Les plus belles Cantates. Harmonia mundi france. Arles 1999. S. 86. 878 Johann Gottfried Herder: Herders Werke in fünf Bänden. Bd. 2. A. a. O. S. 136. 879 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 1. S. 160. 880 Heinrich von Kleist: Werke und Briefe. Bd. 4. A. a. O. S. 246.

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schen Zeitgenossen auf vielfältige Weise aufgegriffen und in Kunst transferiert. Das synästhetische Phänomen, das bei Kleist noch als unwillkürliches Bild aufscheint, etab- liert sich schließlich bei den Romantikern als poetologisches Stilmittel.

Romantische Synästhesie

In der Romantik wird mit der Preisgabe einer strukturierten und differenzierten Wahr- nehmung auch die gegenständliche, empirisch erfahrbare Wirklichkeit aufgegeben. Den Primat sinnlicher Erfahrung gegenüber der geistig-intellektuellen Erkenntnismächtigkeit einer logozentrisch ausgerichteten Rationalität formuliert Ludwig Tieck in seiner Shake- speare-Novelle Dichterleben (1831). Darin leitet er die Virtualität der Wahrnehmung von einem untergründigen Zusammenspiel verschiedenster Sinne her:

„Wieviel Vermögen und Kräfte wir haben, ist schwer auszumachen; wissen wir doch nicht einmal, wie viele Sinne wir besitzen. Über die ziemlich groben körperlichen sind alle Menschen einig; aber neben diesem Reiz des Gefühls, neben dem geistigen Sehen, dem wollüstigen Schmecken, dem tiefsinnigen Hören und poetischen Geruch – [...] diese und andere Empfindungen, was sind sie denn sonst als wahre Sinne, die nur tiefer liegen, die nicht immer tätig sind, aber dafür auch um so mächtiger wirken [...]?“881

Einen originären synästhetischen Sinneseindruck schilderte Tieck bereits in seinem Ro- man Franz Sternbalds Wanderungen (1798), wo sich dem jungen Helden bei einem Kirchenbesuch das Reich der Farben durch die Wirkung der Musik erschließt: „Es schien, als wenn sich unter den Orgeltönen die Farbengebilde bewegten und sprächen und mitsängen, als wenn die fernen Engel näher kämen [...].“882 Eine Identität der Sinne kommt auch in Novalis‟ Romanfragment Heinrich von Ofterdingen (1800) zum Aus- druck: „Alle Sinne sind am Ende Ein Sinn. Ein Sinn führt wie Eine Welt allmälich zu allen Welten.“883 Die allmählich in allen Gattungen der Kunst verwendeten synästheti- schen Verfahren sollen auch einer transzendentalen Erfahrung von Natur und Geist Ausdruck verleihen. In der Erzählung Der Sandmann (1814) wird eine junge Frau syn- ästhetisch verklärt: „Können wir denn das Mädchen anschauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesänge und Klänge entgegenstrahlen, die in unser In- nerstes dringen, daß da alles wach und rege wird?“884 In Hoffmanns Erzählzyklus Kreis- leriana (1816) ist es die Musik, die dem inneren Wesen der Natur und deren Erschei- nungen Ausdruck verleiht:

881 Ludwig Tieck. Werke in vier Bänden. Bd. 3. A. a. O. S. 371. 882 Ebd. Bd. 1. A. a. O. S. 742. 883 Novalis. SCH. Bd. 1. S. 331. 884 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 3. S. 26.

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„Der Ton wohnt überall, die Töne, das heißt die Melodien, welche die höhere Sprache des Geisterreichs reden, ruhen nur in der Brust des Menschen. – Aber geht denn nicht, so wie der Geist des Tons, auch der Geist der Musik durch die ganze Natur? [...] Der Musi- ker [...] ist überall von Melodie und Harmonie umflossen. Es ist kein leeres Bild, keine Allegorie, wenn der Musiker sagt, daß ihm Farben, Düfte, Strahlen als Töne erscheinen und er in ihrer Verschlingung ein wundervolles Konzert erblickt. So wie, nach dem Aus- spruch eines geistreichen Physikers, Hören ein Sehen von innen ist, so wird dem Musiker das Sehen ein Hören von innen, nämlich zum innersten Bewußtsein der Musik, die, mit seinem Geiste gleichmäßig vibrierend, aus allem ertönt, was sein Auge erfaßt.“885

In seiner physikalischen Aphorismensammlung Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers (1810) verweist Johann Wilhelm Ritter auf eine untergründige Bezie- hung des Akustischen zum Unsichtbaren. Im Gehörsinn erkennt er ein universelles Or- ganon des äußeren und inneren Welterwerbs. Die von Hoffmann beschriebene Verknüp- fung von Sehsinn und Gehörsinn grundiert diese Poetologie des Synästhetischen:

„Das Gehör [...] soll ein Sinn sein, der uns alles beibringt. [...] In jedem Körper ist alles, so auch das Unsichtbare enthalten. [...] So klingt hier alles, alles wird gewußt, gefühlt. Das Hören ist ein Sehen von innen, das innerstinnerste Bewußtsein. [...] Der Gehörsinn ist unter allen Sinnen des Universums der höchste, größte, umfassendste, ja es ist der ein- zige allgemeine, der universelle Sinn.“886

Durch sein synästhetisches Vermögen wird der Gehörsinn zum umfassenden Weltwahr- nehmungsorgan schlechthin. Dieses Vermögen prädestiniert ihn zu einem Katalysator romantischer Ganzheitlichkeit. Zugleich hat Ritters Aufwertung des Akustischen gegen- über dem Visuellen unmittelbare Referenzen auf die musikalische Determinierung des transzendentalen Welturgrundes. Gleich musikalischen Kompositionen sollen synästhe- tische Gebilde eine Harmonie erzeugen, die auf einer Mischung von Licht, Farben und Tönen sowie bizarrsten Naturerscheinungen beruht. In seiner Erzählung Der goldene Topf (1814) beschreibt E. T. A. Hoffmann ausführlich eine solche synästhetische Wahr- nehmung:

„Glühende Hyazinthen und Tulipanen und Rosen erheben ihre schönen Häupter, und ihre Düfte rufen in gar lieblichen Lauten dem Glücklichen zu: »Wandle, wandle unter uns, Geliebter, der du uns verstehst - unser Duft ist die Sehnsucht der Liebe - wir lieben dich und sind dein immerdar!« - Die goldnen Strahlen brennen in glühenden Tönen: »Wir sind Feuer, von der Liebe entzündet [...]«. Die Quellen und Bäche plätschern und sprudeln: »Geliebter, wandle nicht so schnell vorüber, schaue in unser Kristall [...]!« - Im Jubel- chor zwitschern und singen bunte Vögelein: »Höre uns, höre uns, wir sind die Freude, die Wonne, das Entzücken der Liebe!« [...] heller und freudiger jauchzen die Quellen [...] seltsame Düfte wehen mit rauschendem Flügelschlag daher [...].“887

885 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 401. 886 Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur. Steffen und Birgit Dietzsch (Hg.). Leipzig und Weimar 1984. S. 166. 887 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 312ff.

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Die synästhetische Erzählweise assoziiert eine Märchenwelt, in der jeglicher Naturer- scheinung eine ihr eigentümliche Sprache zukommt.888 Dieses archaische Sprachvermö- gen setzt eine allen Wesen und Erscheinungen inne wohnende Identität voraus, die in mythischer Vorzeit allen Wesen und Elementen Sprachmächtigkeit Verständigung er- möglichte. Ein signifikantes Beispiel hierfür ist das Kunstmärchen Heinrich von Ofter- dingen von Novalis:

„Ich hörte einst von alten Zeiten reden; wie da die Tiere und Bäume und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten. Mir ist gerade so, als wollten sie allaugenblicklich anfan- gen, und als könnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es muß noch viele Worte geben, die ich nicht weiß [...]; jetzt denke ich lieber nach der Musik.“889

Eine synästhetische Überführung musikalischer Wahrnehmungen und Empfindungen in die Wortsprache lässt sich auch in den Romanen Jean Pauls aufzeigen. In seinem Ro- man Flegeljahre (1805) bewirkt die Musikalisierung eine Synästhesie, die selbst noch das Personal betrifft: So verfügt der Protagonist Walt über „Herzohren für die Ton- kunst“890, das Kapitel Nr. 25 (Smaragdfluß) trägt den deutungsreichen Untertitel Musik der Musik891 und eine Tanzschilderung beinhaltet den Vergleich „wie da sogar der Kör- per Musik werde.“892 Beseelt werden selbst einzelne musikalische Töne, welche die poe- tisch erregte Landschaftswahrnehmung präludierend und umspielend akkompagnieren:

„so lagen und spielten die Töne wieder drüben auf den roten Höhen und zuckten in den vergoldeten Vögeln, die wie Aurorens Flocken umherschwammen [...].Vom Gewitter wandt‟ er sich wieder gegen das vielfarbige Sonnenland - ein Wehen von Osten trug die Töne - schwamm mit ihnen an die Sonne - auf blühenden Abendwolken sang das kleine Echo, das liebliche Kind, die Spiele leise nach.“893

Landschaft beschreibt hier keinen ikonographisch ausdeutbaren Symbolraum, sondern einen tönenden Innenraum: „Musik- und Natur-Erleben liegen in Jean Paul so nah zu- sammen, daß er auch die Natur vor allem akustisch aufnimmt.“894 Mit dem Bild einer musikalisierten Natur schließen die Flegeljahre; sowohl der Protagonist als auch der Leser finden sich in einen theatralisch stilisierten Naturraum versetzt, der eher einer Opernbühne gleicht als einer urtümlichen Landschaft:

888 Näheres zu Hoffmanns Synästhesien bei Gerhard R. Kaiser: E. T. A. Hoffmann. Realien zur Litera- tur. Sammlung Metzler. Bd. 243. Stuttgart 1988. S. 149f. 889 Novalis. SCH. Bd. 1. S. 198. 890 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 2. S. 758. 891 Ebd. S. 757. 892 Ebd. S. 1073. 893 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 2. S. 659. 894 Gustav Lohmann: Jean Pauls „Flegeljahre“ gesehen im Rahmen ihrer Kapitelüberschriften. Würzburg 1990. S. 71.

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„Aber der Morgenröte gegenüber stand eine Morgenröte auf; immer herzerhebender rauschten beide wie zwei Chöre einander entgegen, mit Tönen statt Farben, gleichsam als wenn unbekannte selige Wesen hinter der Erde ihre Freudenlieder heraufsingen. [...] Die Chöre der Morgenröten schlugen jetzt wie Donner einander entgegen, und jeder Schlag zündete einen gewaltigern an. Zwei Sonnen sollten aufsteigen, unter dem Klingen des Morgens.“895

In dieser synästhetischen Naturschau spricht sich bereits jene latente Neigung zur Oper aus, die Jean Paul in seiner Erziehungslehre Levana (1806) am Beispiel der Bedeutung der Oper für Kinder erläutert: „Gibt nicht die Oper ihrem Auge die romantische Feen- welt, und verschonet ihr Ohr [...] mit sittlicher Verunreinigung?“896 Wesentlich dabei ist die sublimierende synästhetische Wirkung der Musik, die er „als die angeborne Dich- tung der Empfindungen“897 erkennt. Vor allem erscheint ihm „die Oper, dieses handeln- de lebendige Märchen, worin die Musik metrisch und die Schau-Glanzwelt romantisch hebt“898 als ein die prosaische Gegenwart transzendierendes Medium einer einheitlichen sinnlichen Wahrnehmung. Diese Auffassungen „über die Oper dokumentieren seine Af- finität zum romantischen Konzept des Gesamtkunstwerks.“899 Schließlich sollte man bei diesen werkimmanenten musikalischen Referenzen nicht vergessen, „daß das Publikum der »Zauberflöte« und der neuen großen Tongemälde von Mozart, Haydn und Beethoven auch die hingerissene Leserschaft der Romane von Jean Paul gewesen ist.“900 In Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen wird der Topos einer unstill- baren Sehnsucht des Helden stets von Waldhörnern untermalt. Musikalische Empfin- dungen sind auch hier allgegenwärtig und finden in synästhetischen Naturmetaphern klingenden Ausdruck:

„aber ein melodischer Gesang quoll durch die Bäume ihnen wie ein rieselnder Bach ent- gegen, und Franz glaubte, die Geisterwelt habe sich plötzlich aufgeschlossen, weil sie vielleicht, ohne es zu wissen, das große zaubernde Wort gefunden hätten [...].“901

Auch die Lyrik Clemens Brentanos reproduziert synästhetisch aufeinander bezogene Klangwirkungen, deren musikalisierte Reim- und Echostruktur Klang und Bild mitei-

895 Ebd. S. 1087f. 896 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 5. S. 816. 897 Ebd. S. 617. 898 Ebd. S. 816. 899 Monika Schmitz-Emans: Schnupftuchsknoten oder Sternbild. Jean Pauls Ansätze zu einer Theorie der Sprache. Bonn 1986. S. 366. 900 Robert Minder: Die Verlassenheit eines Genius. Jean Paul, geboren am 21. März 1763. In Peter Sprengel (Hg.): Jean Paul im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Jean Pauls in Deutschland. Karl Robert Mandelkow (Hg.): Wirkung der Literatur. Bd. 6. München 1980. S. 290f. Näheres dazu bei Richard Benz: Die Zeit der deutschen Klassik. Stuttgart 1953. S. 567-571. 901 Ludwig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen. Alfred Anger (Hg.). Stuttgart 1966. S. 221f.

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nander verschmelzen. Die virtuose Melismatik in dieser Dichtung unterstützt eine per- manente Transformation akustischer Reize und bildlicher Vorstellungen in literarisch- musikalische Empfindungen. Brentanos Gedicht Hör’, es klagt die Flöte wieder macht dies durch einen synästhetischen Ausgleich der Empfindungen deutlich.

„Fabiola: Hör‟, es klagt die Flöte wieder, / Und die kühlen Brunnen rauschen. / Piast: Golden wehn die Töne nieder, / Stille, stille, laß uns lauschen! / Fabiola: Holdes Bitten, mild Verlangen, / Wie es süß zum Herzen spricht! / Piast: Durch die Nacht, die mich um- fangen, / Blickt zu mir der Töne Licht.“902

Brentanos Personifizierung naturmystischer Figuren, aber auch von Landschaftselemen- ten sowie deren Einbindung in ein Geflecht von Korrespondenzen erzeugt jene ganzheit- liche Harmonie, die zugleich rückverweisend, aber auch innovativ ist. Seine Lyrik ist eine Kunstlyrik, die ihren ursprachlichen Naturbezug durch musikalisierende Mittel er- reicht: „zugleich erzielte er jedoch durch Reime, Assonanzen und rhythmische Glätte einen musikalischen Effekt und evozierte eine Natur-»Stimmung«, wie sie dem Pro- gramm der Romantik entsprechen.“903 Auf gleiche Weise verfährt auch Joseph von Ei- chendorffs Gedicht Wünschelrute (1835): „Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauber- wort.“904 Auch hier wird durch synästhetische Sprachbilder eine magische Weltbe- schwörung unternommen, deren Wesen zutiefst musikalisch ist. Das Phänomen einer Animation von Naturerscheinungen, Pflanzen und Tieren findet seinen potenziertesten Ausdruck folgerichtig auch in der romantischen Oper. Die Oper an sich ist jene multimediale Gattung, deren sinnliche wie auch sinnfällige Rezep- tion durch die darstellende Aufführung sowie durch das wahrnehmende Publikum ge- währleistet wird.

„Die Oper bedarf der Aufführung und des Publikums – schon allein deshalb, weil Opern- aufführungen in viel höherem Grade einen synästhetischen Reiz auf die Zuschauer ausü- ben können und müssen als das gesprochene Drama. Diese Reize reichen [...] bis hin zur ästhetischen Betrachtung der Oper als Gesamtkunstwerk.“905

Die Oper bildet von Anbeginn an jenes Forum, in dem das Zusammenspiel und der Zu- sammenklang nicht nur verschiedener Kunstgattungen, sondern auch unterschiedlichster Wahrnehmungsparameter bereits qua definitionem vorgegeben sind. Vor allem aber im romantischen Musikdrama hat die Synästhesie Konjunktur, was die dämonische Besee- lung der Natur in der Wolfsschluchtszene von Webers romantischer Oper Der Frei-

902 Clemens Brentano: Werke. Bd. 1. A. a. O. S. 144f. 903 Hartwig Schultz: Clemens Brentano. Reihe: Literaturstudium. Stuttgart 1999. S. 35. 904 Joseph von Eichendorff: Werke. Wien, München, Basel 1955. S. 98. 905 Michael Walter: Die Oper ist ein Irrenhaus. Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert. Stutt- gart, Weimar 1997. S. 3f.

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schütz [II; 4] oder die synästhetische Verknüpfungen von Sinnesreizen in Richard Wag- ners Musikdrama belegen. Durch synästhetische Wirkungen wird die Sprachwerdung der Natur im Es-Dur-Dreiklang zu Beginn des Rheingolds sowie das Waldweben und der singend-sprechende Waldvogel im Siegfried unterstützt.906 Schon in seinem Oratori- um Die Jahreszeiten (1801) greift Joseph Haydn die musikalische Umsetzung von Son- nenaufgang und Sonnenlicht auf. Hier erreicht er vor allem mit der Verdichtung von So- lostimmen, Chor und Orchestertutti zu den Signalverben steigen, nahen, strahlen, schei- nen [I; 12] eine, die rein musikalisch-mimetischen Mittel übersteigende, synästhetische Wirkung. Richard Wagner hat Haydns Sinfonien häufig dirigiert, aber auch dessen Ora- torien zur Aufführung gebracht907, weshalb die Übereinstimmung zwischen dem Lob- preis auf das Licht in Haydns Die Jahreszeiten und der Lichterweckungshuldigung in Wagners Siegfried keineswegs zufällig ist. In Haydns Die Jahreszeiten heißt es: „Heil! O Sonne Heil! / Des Lichts und Lebens Quelle, Heil!“908 In Wagners Siegfried singt Brünhilde: „Heil dir, Sonne! / Heil dir, Licht! / Heil dir, leuchtender Tag!“909 Weitere synästhetische Formen lassen sich in Wagners Musikdrama Tristan und Isolde aufzei- gen. Neben der musikalischen Illustration von Hörnerschall, lachendem Wind und Quel- lenklang [II; 1] oder der in orchestrales Wogen eingebetteten, synästhetischen Apotheo- se von wogendem, tönendem Weltatem in Isoldes Schlussgesang ist es die musikalische Lichtmodulation zu einer „Eudaimonia des Liebestods“910, die synästhetisch gestaltet wird. Um dieses kosmische Gewebe aus Metamorphosen, Entsubstantialisierungen und Derealisierungen zu vermitteln, genügt es nicht mehr, nur die einzelnen Künste anei- nanderzureihen. Der Zusammenhang der Gattungen bedurfte einer Gefühlsanschauung, die in der Dialektik von Isoldes Weltblindheit und dem Blick der Welt zum Ausdruck kommt. Brangänes Frage: „Weil du erblindet, / wähnst du den Blick / der Welt erblödet für euch?“911 erklärt die synästhetische Naturwahrnehmung Isoldes aus deren tagblinden Nachtsichtigkeit.

„Durch die Ausdrucksmittel [...] der sogenannten romantischen Synästhesie ließ sich der Knotenpunkt einer solchen Repräsentation des Ganzen im Kunstwerk zur Vorstellung bringen. [...] Dies erhellt, wenn man die Wagnersche Tristan-Dichtung als Darstellung des Menschen im Ganzen, in seiner ungeteilten Einheit auf dem Hintergrund der vorder-

906 Richard Wagner: Siegfried. Partitura. Tamás Zászkaliczky (Hg.). Budapest 1994. S. 215 und S. 269. 907 Richard Wagner: Mein Leben. A. a. O. S. 341, S. 572. Zahlreiche weitere Hinweise auf das Werk Haydns finden sich auch in Wagners umfangreicher Korrespondenz. 908 Joseph Haydn: Die Jahreszeiten. Booklett zur Gesamtaufnahme unter Karl Böhm. Hamburg 1967. S. 23. 909 Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen. Vollständiger Text mit Notentafeln der Leitmotive. Julius Burghold (Hg.). Mainz und München 1991. S. 251f. 910 Heinrich Proos: Die Tristan-Hieroglyphe. Ein allegoretischer Versuch. In Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik-Konzepte 57/58. Richard Wagner/Tristan und Isolde. edition text + kri- tik. München 1986. S. 93. 911 Richard Wagner: Tristan und Isolde. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.). A. a. O. S. 57.

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gründigen Handlung zu verstehen sucht.“912

Was sich durch das Stilmittel der Synästhesie in der romantischen Dichtung an Geheim- nisvollem und begrifflich Unsagbarem vermittelt, wird im Gesamtkunstwerk Wagners vor dem Hintergrund der Musikästhetik Schopenhauers einer geschärften inneren Wahr- nehmung zugeordnet. Diese nennt Wagner den traumartigen Zustand, in dem das inners- te „Wesen mit dem innersten Wesen alles jenes Wahrgenommenen Eines ist [...].“913 Dieses Traumgesicht entspricht der synästhetischen Empfindung im Zustand des Träu- mens oder Delirierens, wie ihn E. T. A. Hoffmann in seiner Kreisleriana (1814) be- schreibt:

„Nicht sowohl in Traume als im Zustande des Delirierens, der dem Einschlafen vorher- geht, vorzüglich wenn ich viel Musik gehört habe, finde ich eine Übereinkunft der Far- ben, Töne und Düfte. Es kömmt mir vor, als wenn alle auf die gleiche geheimnisvolle Weise durch den Lichtstrahl erzeugt würden und dann sich zu einem wundervollen Kon- zerte vereinigen müßten.“914

Die Analogie synästhetisch erzeugter Verknüpfungen von Sinnesreizen mit musikali- schen Eindrücken und Empfindungen sowie die adäquate Substitution visueller Wahr- nehmung durch den Gehörsinn werden von Wagner im Nachhinein bestätigt. In seinem Aufsatz Beethoven (1870) spricht er explizit von einer transzendentalen Erfahrung mit- tels einer notwendigen synästhetischen Depotenzierung des optischen Wahrnehmungs- vermögens, die nur durch die Wirkung der Musik gewährleistet werden kann:

„Den traumartigen Zustand, in welchen die bezeichneten Wirkungen durch das sympathi- sche Gehör versetzen, und in welchem uns daher jene andere Welt aufgeht, aus welcher der Musiker zu uns spricht, erkennen wir sofort aus der einem jeden zugänglichen Erfah- rung, daß durch die Wirkung der Musik auf uns das Gesicht in der Weise depotenziert wird, daß wir mit offenen Augen nicht mehr intensiv sehen.“915

Gerade vor dem Hintergrund der Unzulänglichkeiten einer traditionellen Differenzie- rung der Sinne gewinnt die Synästhesie ihre Legitimation. Durch synästhetische Ver- knüpfungen sinnlicher Wahrnehmungen und den damit verbundenen Ausgleich defizitä- rer Wahrnehmungen werden die Erfahrungs- und Empfindungsmöglichkeiten entgrenzt. Zugleich unterhält die Synästhesie einen transzendentalen Bezug, der das vereinzelte Kunstwerk mit dem Weltganzen verbindet. Die einzelnen Komponenten sind dabei nicht mehr begrifflich konnotierbar, sondern auf ein offenes Kontinuum unendlicher

912 Heinrich Proos: Die Tristan-Hieroglyphe. In Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik- Konzepte 57/58. A. a. O. S. 60. 913 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 75. 914 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 60. 915 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 75.

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Zeichenzusammenhänge ausgerichtet, die ihre Bedeutung aus der Erregung von Ge- fühlswerten erhalten.916 Damit wird eine physiologische Dimension erkennbar, die be- reits in der philosophischen Diskussion um und über Schellings synthetische Identifizie- rung von Natur und Geist aufscheint:

„Der Partikularisation der Welt entspricht die unserer Sinne. Ihre Wiedervereinigung kann nur nach der Maßgabe einer sensorischen Reorganisation unserer Wahrnehmung funktionieren. [...] Im Rekurs auf Synästhesie offenbart sich damit die Reflexion auf den körperlichen Aspekt des Gesamtkunstwerks.“917

Damit eröffnen sich jene neuen Spielräume, die einer Dezentrierung der Sinne genauso regenerativ begegnen wie einer schmerzhaft empfundenen Dezentrierung der Welt. Die Synästhesie entspricht sowohl dem romantischen Programm einer experimentellen Äs- thetik, als auch den grundsätzlichen Schlussfolgerungen einer theoretischen Gesamt- kunstwerkskonzeption, die sich über den literarisch projektierten Bereich hinaus bis hin zur szenischen Realisation auf der Theaterbühne verlagert. Sie ist zugleich das Stilmit- tel, das es Richard Wagner ermöglicht, den konventionellen Bühnenrealismus zu über- winden und vorgeschichtliche Mythen in einem sinnlichen Spektrum szenischer Über- wirklichkeiten neu und wirkungsmächtiger zu inszenieren.

916 Peter Utz: Das Auge und das Ohr im Text. Literarische Sinneswahrnehmung in der Goethezeit. München 1990. S. 208f. 917 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 40.

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Synthetische Formen in der Literatur

Märchen

Die Konjunktur der Märchengattung in der Romantik gründet vor allem in der magi- schen Beschwörung einer mit sowohl dem Unterbewussten als auch dem Urtümlichen und Ursprünglichen verknüpften archaischen Sphäre. Diese garantiert eine spielerische Ablösung von rationalen sowie gattungsspezifischen Gesetzmäßigkeiten, Normen und Grenzen.

„Wie die Romantiker überhaupt darauf ausgingen, die Umrisse der Künste, wie die der Sinne, zu verwischen und ineinander überfließen zu lassen – die romantische Verwirrung – so wurde unter ihren Händen jede Dichtungsart, auch das Drama, zum Märchen.“918

Das Märchen ist jene Gattung, in der die gegenständliche Wirklichkeitserfahrung durch die wundersame Entbindung von kausalen Gesetzen, chronologischen Abfolgen und ra- tionaler Kritik aufgehoben wird. An deren Stelle tritt im Märchen die sinnliche Erfah- rung eines vielgestaltigen Ganzen, das die Möglichkeit eröffnet, unterschiedliche Erleb- nissphären simultan zu präsentieren. Im Märchen ereignet sich das übergangslose Ne- beneinander unheimlicher, magischer, prosaischer und profaner Elemente zu einem syn- thetischen Amalgam von Riten, Sitten, Gebräuchen und Tabus. In Ludwig Tiecks Phan- tasus erweist sich die schöpferische Virtualität des Unterbewussten (Phantasie) als Ent- stehungsort von Naturmärchen. In diesen „mischt sich das Liebliche mit dem Schreckli- chen, das Seltsame mit dem Kindischen, und verwirrt unsre Phantasie bis zum poeti- schen Wahnsinn [...].“919 Die romantische Faszination am Märchen befördert auch des- sen ungeschichtliche, zeitübergreifende- und überwindende Aussagemächtigkeit. Kenn- zeichen dafür ist die flächenhafte Struktur des Märchens. Schließlich stellt das Märchen einen Gegenbereich zur bürgerlich gegenwärtigen Alltagswelt dar. Deren prosaische Stoffe sind kaum für eine romantische Aneignung geeignet, da sich der Mensch darin nicht höher potenzieren und dem Irdischen entrücken lässt. Allerdings finden sich gera- de in E. T. A. Hoffmanns Kunstmärchen faszinierende alltagsthematische Adaptationen:

„Mich beschäftigt die Fortsetzung ungemein, vorzüglich ein Mährchen, das beynahe ei- nen Band einnehmen wird - Denken Sie dabey nicht, Bester! an Schehezerade und Tau- send und Eine Nacht – der Turban und türkische Hosen sind gänzlich verbannt – Feen- haft und wunderbar aber keck ins gewöhnliche alltägliche Leben tretend und sei[ne] Ge- stalten ergreifend soll das Ganze werden.“920

918 Ricarda Huch: Die Romantik. Blütezeit, Ausbreitung und Verfall. Tübingen 1951. S. 289. 919 Ludwig Tieck: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 112f. 920 E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Bd. 1. A. a. O. S. 408.

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Hoffmanns Märchen spielen in einer gegenwärtigen Wirklichkeit, in der er die Mög- lichkeit einer höheren, poetischen Existenz bekräftigen will. Kunst und Alltag bedingen einander geradezu und potenzieren sich gegenseitig. Die empirische Gegenwart erfährt durch die Mischung mit dem Irrationalen zahlreiche Brechungen und Verfremdungen, was Ludwig Tieck in seiner Märchenerzählung Der blonde Eckbert am Protagonisten zeigt:

„Jetzt war es um das Bewußtsein, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Rätsel heraus finden, ob er jetzt träume, oder ehemals von einem Weibe Bertha geträumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung mächtig.“921

Die Vermischung von Traum und Realität, von kognitiven Bewusstseinsinhalten und Unterbewusstem, von Erinnertem, Vergessenem und Gegenwärtigem ergibt das Vexier- spiel einer gebrochenen subjektiven Perspektivität, die surrealen Charakter erlangt922 und die empirische Alltagswirklichkeit transzendiert. Noch in der Anthologie Der Scheik von Allessandria und seine Sklaven (1826) von Wilhelm Hauff kommt die ro- mantische Anschauung vom Märchen als ein synthetisches Medium zum Ausdruck:

„Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet ihr zum voraus da- rauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder [...] ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es greifen in das Schicksal [...] fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten ein [...].“923

Im Märchen vollzieht sich jene Auflösung der Stil- und Gattungsgrenzen, die für die romantische Ästhetik programmatisch ist.924 Auch das Märchen reproduziert eine ganz- heitliche Natur- und Welterfahrung, in der sich die verlorene Harmonie eines ursprüng- lich mythischen Zustands sublimiert. Vor diesem Hintergrund erblickt Novalis im Mär- chen die Verbindung zu jener „heymathlichen Welt, die überall und nirgends ist“925, die hinter der geschichtlichen Fassade versunken liegt und in der Natur und Geisterwelt miteinander im Einklang sind. Gleichzeitig bedeutet das Märchen aber auch eine pro- phetische Vorwegnahme der Zukunft: „Das ächte Märchen muß zugleich Prophetische Darstellung – idealische Darstell(ung) [...] seyn. Der ächte Märchendichter ist ein Seher

921 Ludwig Tieck: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 145. 922 Marianne Thalmann: Das Märchen und die Moderne. Zum Begriff der Surrealität im Märchen der Romantik. Stuttgart 1961. S. 30f. 923 Wilhelm Hauff: Werke. Bd. 2. Bernhard Keller (Hg.). Frankfurt/Main 1969. S. 154. 924 Friedmar Apel: Von der Nachahmung zur Imagination. In Propyläen Geschichte der Literatur. Bd. 4. Frankfurt/Main, Berlin 1988. S. 95. 925 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 564.

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der Zukunft.“926 Zeitenthobenheit und Ungeschichtlichkeit kennzeichnen den romanti- schen Märchenbegriff. Analog zu Wagners Ring-Zyklus ‚von der Welt Anfang und En- de‟, ist auch das Märchen eingebunden in einen Kreislauf, in dem Anfang und Ende im eschatologischen Sinn miteinander identisch sind. Die bildhaft zyklische Struktur der Märchenzeit führt das Erzählen selbst an seinen dichtungstheoretischen Höhe- und End- punkt.

„Betrachtet man nun das Märchen als Organ des Dichtens und Mittel des Dichters, dann enthült sich seine Kreisstruktur selbst als Einheit des Zwiespältigen, wie sie im Dichter vorliegt, der [...] die Sprache der Natur versteht und mit ihr im Gespräch stehen kann. [...] Das Märchen selbst hat aber den Kreis, den der gesamte Roman einst schließen sollte, bereits vorgeführt. Er ist die höchste Form der Poesie.“927

Diese poetologische Zyklizität des Märchens entspricht dem romantischen Traum vom Goldenen Zeitalter, der eine harmonische Vorzeit mit der utopischen Vision einer ver- söhnten Endzeit identifiziert. Deren vollkommene Glückseligkeit klingt u.a. in den Oden von Novalis als Erinnerungsmotiv an.928 Auch eine an diese Denkfigur anknüp- fende Zeitenthobenheit wird von Novalis mit dem Märchen assoziiert, denn „Mit der Zeit muß d[ie] Gesch[ichte] Märchen werden – sie wird wieder, wie sie anfieng.“929 Aber auch die rationale Wahrnehmung von zusammenhängenden Abfolgen werden im Märchen suspendiert: Dem ordnenden Prinzip der Vernunft steht das gesetzlose Chaos, die natürliche Anarchie des vorgeschichtlichen Urzustandes gegenüber.

„In einem ächten Märchen muß alles [...] geheimnißvoll und unzusammenhängend seyn – alles belebt. [...]. Die ganze Natur muß auf eine wunderliche Art mit der ganzen Geister- welt vermischt seyn. [...] Diese Zeit vor der Welt liefert gleichsam die zerstreuten Züge der Zeit nach der Welt – wie der Naturstand ein sonderbares Bild des ewigen Reichs ist. Die Welt des Märchens ist die durchausentgegengesetzte Welt der Welt der Wahrheit (Geschichte) [...] wie das Chaos der vollendeten Schöpfung.“930

Diesem Bild einfacher, urtümlicher und geschichtsloser Naturbezogenheit entspricht der volkstümliche Erzählduktus, der sich in einfacher Sprache an die Menschen richtet. Die- se ursprüngliche Bezogenheit zum einfachen Volk sowie das immanente Vermögen zur umfassendsten Synthese macht die Nähe zu den verschiedensten Gesamtkunstwerks- konzeptionen deutlich: „Sonderbar, daß eine abs(olute), wunderbare Synthesis oft die Axe des Märchens – oder das Ziel desselben ist.“931 Kraft der anarchischen Gesetzlosig-

926 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 281. 927 Hans Schuhmacher: Narziß an der Quelle. Das romantische Kunstmärchen. Reihe: Schwerpunkte Germanistik. Wiesbaden 1977. S. 24. 928 Winfried Freund: Novalis. Reihe: dtv Potrait. München 2001. S. 83f. 929 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 281. 930 Ebd. S. 280f. 931 Ebd. S. 455.

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keit seiner inneren Struktur vermag das romantische Märchen unterschiedlichste Stile, Formen, Motive, Gattungen, Zeitebenen und Räumlichkeiten zu amalgamieren und dadurch einen Gesamtzusammenhang aller Dinge aufscheinen zu lassen.

„Es liegt also in der Form des Märchens bereits der tiefere Zug angelegt, die Dinge im Allzusammenhang zu sehen [...]. Wo der Verstand an die Erscheinung und den Schein fesselt, entfesselt die Phantasie, die durch die Oberfläche hindurchsieht, und in den my- thischen Grund der Allverwandtschaft eindringt, der sich als ein unendlich viele Gestal- ten erzeugender Urgrund darstellt.“932

Das Märchen ist für die Poetik der Romantik „gleichsam der Canon der Poësie – alles poëtische muß mährchenhaft seyn [...].“933 So liegt es nahe, dass sich vor allem jene Gat- tung sich des Märchens bedient, die selbst ein integrales Kunstwerk zu sein den An- spruch erhebt: die romantische Oper insbesondere das romantische Musikdrama. In bei- den Gattungen sowie im melodramatischen Zwischenbereich der italienischen und fran- zösischen Romantik beginnt sich die Zahl sogenannter Sagen- und Märchenopern nach der Jahrhundertwende zu vervielfachen: Webers Silvana (1810), Euryanthe (1823) und Oberon (1826), E. T. A. Hoffmanns Undine (1816), Rossinis La Cenerentola (1817) und Armida (1817), François Adrien Boildieus Oper La Dame blanche (1825), Heinrich Marschners Hans Heiling (1833) und Der Vampyr (1828), Albert Lorzings Undine (1845) und Rolands Knappen (1849) sowie Robert Schumanns Genoveva (1848) sind hierfür nur die prominentesten Beispiele.

Mythopoetische Systeme

Die deutsche Romantik ist sowohl geschichtsphilosophisch als auch mythopoetisch ori- entiert. So verlagert Friedrich Schlegel die Blickrichtung auf das universalistische Mo- ment von Geschichte und Religion, von deren Zentrum aus die dissoziierte und ent- fremdete Kultur wieder mit sich in Einklang kommen soll.934 Novalis betont in seiner Schrift Die Christenheit oder Europa (1799) ein geschichtsphilosophisches Kontinuum, das von einer archaischen Vorzeit ausgeht, in der alle auseinander strebenden Elemente der Natur voneinander ungeschieden waren. Seine eschatologische Geschichtsutopie gründet auf einem idealtypischen Mittelalterbild, das symbolhaft eine neue Einheit der katholischen Welt gewährleistet und die universale Synthese aller divergierenden Sphä- ren des Daseins anstrebt.935 Europa bildet dabei sowohl das geographische als auch kul-

932 Hans Schuhmacher: Narziß an der Quelle. A. a. O. S. 93. 933 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 449. 934 Siehe dazu auch Hans Joachim Heiner: Das Ganzheitsdenken Friedrich Schlegels. Wissenssozio- logische Deutung einer Denkform. Stuttgart 1971. S. 67, S 84. 935 Wilhelm Emrich: Der Universalismus der deutschen Romantik. Mainz, Wiesbaden 1964. S. 9.

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turelle Zentrum, aber auch den geistesgeschichtlichen Rahmen dieser Vereinigung: „Die Europavisionen der Romantiker lassen sich als Konkretionen dieser Utopie eines wie- derkehrenden Goldenen Zeitalters begreifen.“936 Die historische Rückorientierung wird zum Leitbild des Lebens; „die Geschichte wird zum Traum einer unendlichen, unabseh- lichen Gegenwart.“937 Auf der Grundlage dieser Geschichtsorientierung wird das defizi- täre Alltagsbewusstsein in einen heilsgeschichtlichen Plan eingebunden. Romantisches Symbol dieser Geschichtsauffassung ist u.a. die synthetische Werkidee. Diese wird vor der geschichtsphilosophischen Folie zum Vermittlungsmedium einer neuen Utopie:

„Es ist jener Gedanke an die in ferner Vergangenheit liegende universale Welteinheit, die [...] im Kunstwerk als »Ganzheit« neu beschworen werden soll. Dabei dürfen die Einzel- künste nicht getrennt, sondern zusammen wirken [...]. Die Grenzen zwischen den Küns- ten sollen daher verwischt und das Kunstwerk ein Gesamtkunstwerk sein. Gesamtkunst- werk ist somit keine künstlerische Konzeption, kein Programm, sondern eine Utopie.“938

Im romantischen Mythos wird eine Vermischung unterschiedlichster lyrischer, epischer und narrativer Verfahren ersichtlich, die auch das synthetische Kunstprogramm kenn- zeichnet. Zudem liefert der Mythos das konstitutive Themen- und Motivarsenal der ro- mantischen Dichtung. Der Rückgriff des romantischen Musikdramas auf mythologische Stoff-, Motiv- und Sagenkreise wird vor dem Hintergrund dieser Grundierung plausibel. Noch Richard Wagner verweist in seiner Schrift Die Kunst und die Revolution (1849) auf die integrale Verschränkung von Volk und Mythos in einem überhistorischen Raum zyklisch wiederkehrender Archetypen.939 Gleichzeitig ist der Mythos jenes Medium, dessen Dynamik die ausdifferenzierte Komplexität der Wirklichkeit einerseits dem Volk zu vermitteln und dieses ästhetisch produktiv zu integrieren vermag:„Aller Gestaltungs- trieb des Volkes geht im Mythos somit dahin, den weitesten Zusammenhang der man- nigfaltigsten Erscheinungen in gedrängtester Gestalt sich zu versinnlichen.“940 Struktu- rell versucht bereits die frühromantische Mythenadaptation die Wirklichkeit als ein ganzheitliches, engmaschig vernetztes Beziehungssystem zu interpretieren. Die romanti- sche Anschauung jedoch beansprucht jene metaphysische Referenz, die in letzter Kon- sequenz zeitgeschichtliche Bezüge negiert. Dabei wird die geschichtsphilosophische Idee von teleologisch abfolgenden historischen Standards in gleicher Weise verabschie- det wie den Abläufen alltäglicher Zeit- und Ereignisfolgen die Anerkennung verweigert wird. Verabschiedet werden die logischen Diskurse, sowie die lineare Geschichtsphilo- sophie (Hegel) zugunsten einer zyklischen Auffassung, die den historischen Gesamt-

936 Markus Schwering: Romantische Geschichtsauffassung – Mittelalterbild und Europagedanke. In Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. A. a. O. S. 543. 937 Novalis. SCH. Bd. 1. S. 87. 938 Peter Rummenhöller: Romantik in der Musik. A. a. O. S. 18. 939 Näheres zu Wagners Mythoskonzepten bei Petra-Hildegard Wilberg: Richard Wagners mythische Welt. Versuche wider den Historismus. Freiburg/Breisgau 1996. S. 77-184. 940 Richard Wagner. GSD. Bd. 4. S. 32.

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raum evolutionären Abfolgen entgegen setzt.941 So beschreiben Ursprungsmythen „eine übergeschichtliche Zeit, eine Ur-Zeit, die als unvergängliches ‚Immer‟ gegenwärtig bleibt, bevorzugt dort, wo das Ursprungsgeschehen rezitierend vergegenwärtigt wird.“942 Die mythologische Weltschau erkennt nur Perioden, die sich stets neu reproduzieren. „Im Gegensatz dazu führt nun der Mythos alle Abläufe in der Natur- und Menschenwelt auf bestimmte numinose Ursprungsgeschichten zurück, [...] die sich beständig wieder- holen.“943 Vor diesem Hintergrund imaginiert der Mythos einen überzeitlichen Naturzu- stand, der sich auch in der Vorstellung von einem Goldenen Zeitalter artikuliert. Mythi- sche Visionen beschreiben einen vollkommenen Urzustand der Welt und spiegeln die Sehnsucht des Menschen nach jener Identität zwischen Subjekt und Objektwelt, die im Verlauf zivilisatorischer Entwicklungs- und Entfremdungsprozesse verloren gegangen war. Diese mit einem Zustand immerwährender Glückseligkeit assoziierte Vollkom- menheit eines Uranfangs ist unmittelbar konnotiert mit einem religiösen Weltbezug, „gespeist von der imaginären Erinnerung an ein »verlorenes Paradies«, eine Glückselig- keit, die der gegenwärtigen Verfassung des Menschen vorausging.“944 Mythologische Konstrukte bezeichnen also nichts weniger als einen idealen einheitlichen Gegenentwurf zu einer Welt der „Arbeit, Plage und Abhängigkeit des Menschen von der Prosa des Le- bens [...].“945 Hegel folgt hier Jean Pauls Definition der Idylle als einer epischen „Dar- stellung des Vollglücks in der Beschränkung.“946 Sie verringert die Zahl der beteiligten Mitglieder genauso wie „die Gewalt der großen Staatsräder“947 aus ihrem Reich ausge- schlossen bleibt.

„Das irdische Paradies ist eine statische Menschheitsvision. Das Leben hält darin den Atem an, sein fließendes Geschehen ist in reine Zuständlichkeit überführt. Es fällt nichts vor, der Mensch ist einfach anwesend, umgeben von einer immerwährenden Gegenwart, die von Vergangenem und vom Zukünftigen nicht abzuheben ist. Er kennt weder Zeit- lichkeit noch Vergänglichkeit, kein Altern und Vergehen, keine Jahreszeiten, weder Er- innerung noch Sehnsucht. Ewige Jugend, geschichtslose Dauer.“948

Ort dieser Utopie ist ein Kontinuum von Sagen, Märchen und Legenden, die, obschon nicht vorkulturell so doch vorzivilisatorisch, zunächst nur mündlich tradiert wurden. Die Unmöglichkeit einer konkreten historischen Zuordnung bedeutet zugleich auch Unab- hängigkeit von jeglicher zeitlicher und epochenspezifischer Determination sowie von

941 Siehe dazu Klaus Behrens: Friedrich Schlegels Geschichtsphilosophie (1794-1808). Ein Beitrag zur politischen Romantik. Tübingen 1984. 942 Carl-Friedrich Geyer: Mythos. Formen – Beispiele – Deutungen. München 1996. S. 17. 943 Kurt Hübner: Aufstieg vom Mythos zum Logos? Eine wissenschaftstheoretische Frage. In Peter Kemper (Hg.): Macht des Mythos – Ohnmacht der Vernunft? Frankfurt/Main 1989. S. 40. 944 Mircea Eliade: Mythos und Wirklichkeit. Frankfurt/Main 1988. S. 56. 945 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 13. S. 335. 946 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 5. S. 258. 947 Ebd. S. 261. 948 Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Kunst im 19. Jahrhundert. München 1960. S. 351f.

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dem Zwang, historische Wahrheit reproduzieren zu müssen. Clemens Brentano schreibt in der Einleitung zu seinem Drama Die Gründung Prags (1815): „Wo die historische Wahrheit eintritt, steht der Engel mit dem feurigen Schwerte bereits vor dem verlorenen Paradies.“949 Die mit dieser imaginären Sphäre assoziierte Vorstellung einer autonomen Vollkommenheit kann nur noch im künstlerischen Schaffensprozess reproduziert wer- den.950 Mythologische Legenden nehmen ihren Ausgang in einer unbestimmten Vorzeit, einer „absoluten Vergangenheit“951 und wirken als verschlüsselte Texte bis in die Ge- genwart. Da die dergestalt tradierten mythopoetischen Systeme einen Mehrwert an Be- deutung aufweisen, kann es den Frühromantikern nicht genügen, sich auf eine Decodie- rung des mythologischen Subtextes zu beschränken. In einem übergeordneten Zusam- menhang ist es die zentrierende Eigenschaft der Mythenerzählung, welche die Bedeu- tung im Kanon romantischer Poetik begründet und den Mythos schlechthin für Synthe- seprogramme attraktiv macht. Gründet das Wesen der Rationalität auf einem logischen Diskurs mit den Mitteln einer begrifflichen Analyse, so bezeichnet die mythische An- schauung gerade das Gegenteil:

„Mythische Anschauung, das ist totalisierende Intuition, und diese ist trennfaul. Sie liebt den Zusammenhang zwischen dem, was Logik trennen muß, zwischen Zeichen und Bild, zwischen Glaube und Wissen, zwischen Magie und Empirie, zwischen Menschen und Göttern.“952

Dieses totalisierende Moment markiert die Differenz zwischen der romantischen und der klassischen Mythenadaptation. An die Stelle der anthropomorphen Götter tritt be- reits in der Klassik (besonders bei Hölderlin und Stolberg), die Natur. Im Naturbegriff erkennt die Frühromantik ein poetologisches Zeichensystem, dessen verklärte Entspre- chung die Mythologie darstellt. So verdeutlicht Friedrich Schlegel vor allem den hiero- glyphischen Bezug der Mythologie auf die Natur: „Und was ist jede schöne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklärung von Fantasie und Liebe?“953 Die Romantik artikuliert ein Mythenverständnis, das „einen Zustand beschrieb, in dem der Mensch noch eins war mit der Natur, d. h. sein Bewußt-

949 Clemens Brentano. Werke. Bd. 4. A. a. O. S. 528. 950 Wolfgang Frühwald: Die Gründung Prags. In Walter Jens (Hg.) Kindlers Neues Literatur Lexikon. Bd. 3. Bp-Ck. München 1989. S. 140. 951 Ernst Cassierer: Philosophie der symbolischen Formen II: Das Mythische Denken (1923). Darm- stadt 1958 S. 130. 952 Dietrich Harth: Revolution und Mythos. Sieben Thesen zur Genesis und Geltung zweier Grundbe- griffe historischen Denkens. In Revolution und Mythos. Dietrich Harth und Jan Assmann (Hg.). Frankfurt/Main 1992. S. 22. 953 Friedrich Schlegel. KFSA. Abt. 1. Bd. 2. S. 318.

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sein noch nicht den Gang der Geschichte angetreten hatte.“954 Auf der mythologischen Entwicklungsstufe existiert der Mensch präreflexiv; die mit der Natur unmittelbar korrespondierende Sprache gleicht dem Gesang. Das Denken des Menschen ist von einem somnambulen Wachtraumzustand gekennzeichnet. Dessen Traumzustände stellen gleichsam Naturoffenbarungen dar. Für die Programmatiker der Frühromantik steigert sich die vom Naturbegriff abgeleitete Utopie einer Neuen Mytho- logie zu einem Sinnbild höherer Geisteszusammenhänge. Diese wird jedoch nicht aus den Motivzusammenhängen der tradierten Mythen generiert, sondern gründet auf einer poetischen Textgestaltung, die in sich zwar mythologische Prämissen reproduziert, als freie geistige Produktion jedoch autonom bleibt:

„Die neue Mythologie muß im Gegenteil aus der tiefsten Tiefe des Geistes herausgebil- det werden; es muß das künstlichste aller Kunstwerke sein, denn es soll alle andern um- fassen […]. Denn Mythologie und Poesie, beide sind eins und unzertrennlich.“955

Durch die synthetische Struktur des Mythos‟ wird die Evokation eines Weltganzen ge- währleistet, welches einerseits Sinndefizite kompensiert, andererseits im Bild zyklischer Geschlossenheit eine totalitäre Vereinigung von Idee und Wirklichkeit zu erzwingen versucht. Hier befindet sich die Schnittstelle zwischen mythologischen Entwürfen und dem Programm des Gesamtkunstwerks. Dieses versucht, entsprechend der Totalisierung des Weltganzen im Mythos, das Ganze der Kunst in sich zu vereinigen, um es zum Er- füllungsmoment einer höheren metaphysisch orientierten Wesenheit zu stilisieren. Diese „Tendenz zum mythologisch inspirierten Gesamtkunstwerk“956 artikuliert nicht nur den Anspruch einer poetologischen Totalität, die das Ganze der Welt im Kunstwerk nachzu- bilden trachtet, sondern greift letztendlich über seine ästhetische Determination hinaus auf den gesamten Kosmos. Auch Schelling erkennt in der Mythologie darum mehr als nur einen Fundus ästhetisch verwertbarer Stoffe und Motive. Mythologie stellt ein poe- tologisches Programm dar, das der Entstehung von Kunst zugrunde liegt:

„Mythologie ist die nothwendige Bedingung und der erste Stoff aller Kunst. [...] Die My- thologie ist nichts anderes als das Universum im höheren Gewand, in seiner absoluten Gestalt, das wahre Universum an sich, Bild des Lebens und des wundervollen Chaos in der göttlichen Imagination, selbst schon Poesie und doch für sich wieder Stoff und Ele- ment der Poesie. Sie (die Mythologie) ist die Welt und gleichsam der Boden, worin allein die Gewächse der Kunst aufblühen und bestehen können.“957

Mit dieser Bestimmung wird idealphilosophisch der ganzheitliche Anspruch der Mytho- logie formuliert. Wie die Religion beansprucht auch die Mythologie sich im Rahmen ih-

954 Klaus Peter: Romantik. A. a. O. S. 384. 955 Friedrich Schlegel. KFSA. Abt. 1. Bd. 2. S. 312f. 956 Detlef Kremer: Romantik. A. a. O. S. 112. 957 F. W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. A. a. O. S. 49f. [405/406].

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rer Erscheinungsformen zweifels- und kritikfrei entfalten zu können. Zu diesem Zweck verschafft ein mythologischer Kern der ideologischen Heilsbotschaft innere Stabilität und äußere Legitimität. Die religiöse Grundierung mythologischer Systeme evoziert kraft ihrer transzendentalen Polyvalenz eine unauslotbare innere Unendlichkeit und er- weckt zugleich den äußeren Anschein einer eschatologischen Endbestimmung des je- weiligen Mediums. Dieser Bestimmung kommt die semiotische Ungenauigkeit mytho- logischer Systeme entgegen, da diese ein Zeichensystem mit einem nur schwer ergründ- baren Sinnzusammenhang reproduzieren. Dabei ist der Modus der Zeichenvarianz und - verschiebung von großer Bedeutung für die simultane Konstitution und Rücknahme von Sinneinheiten.

„Es ist im wesentlichen dieser selbstreferentielle Gestus des komplexen literarischen Textes, der die Zeichen verschiebt, den Sinn in sich selbst zurücklaufen läßt und das er- möglicht, was Schelling und Schlegel als zentrales Merkmal sowohl des archaischen My- thos als auch des modernen poetischen Kunstwerks, als Kennzeichen artifizieller My- thopoiesis werten: rätselhafte und inkommensurable Bildgestalt oder, was das gleiche meint: Überschuß und gleichzeitige Zurücknahme des Sinns.“958

Mythopoetische Systeme sind durch eine qualitative Reduktion von Wirklichkeit ge- kennzeichnet, deren hoher semiotischer Komplexitätsgrad Sinnzusammenhänge vorzu- spiegeln, jedoch nicht zu etablieren vermag. Identitätsstiftende Sinnstrukturen werden, so sie vorgegeben werden, sogleich widerrufen und erhalten Bedeutung lediglich in ei- nem Verhältnis beständiger Metamorphosen. In diesem Zusammenhang steht die ro- mantische Verwendung der Hieroglyphe. Deren begriffliche Unbestimmbarkeit gewähr- leistet einen Ausdruck des Unsagbaren sowie die Synthese der unsichtbaren mit der em- pirischen Welt, was Novalis in seinem Roman Heinrich von Ofterdingen (1800) lyrisch umschreibt:

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen, / Wenn die, so singen oder küssen, / Mehr als die Tiefgelehrten wissen, / Wenn sich die Welt in‟s freie Leben, / Und in die Welt wird zurück begeben, / Wenn dann sich wieder Licht und Schatten / Zu ächter Klarheit werden gatten, / Und man in Mährchen und Gedichten / Er- kennt die ewgen Weltgeschichten, / Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort.“959

In dieser hieroglyphischen Suspendierung der logozentrischen Muster von errechenbarer Zahl und konturierter Figur durch das eine geheime Wort spricht sich das Wesen der romantischen Poesie aus. Aus dem allgemeinen Kontext von Märchen, Gedichten und Hieroglyphen deduziert sich der Universalschlüssel des individuellen Seins genauso wie

958 Detlef Kremer: Ästhetische Konzepte der „Mythopoetik“ um 1800. In Hans Günther (Hg.): Ge- samtkunstwerk. A. a. O. Bielefeld 1994. S. 25. 959 Novalis. SCH. Bd. 1. S. 360.

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das universale Erkenntnismuster der Welt. In E. T. A. Hoffmanns Märchenerzählung Der Sandmann (1814) bezeichnet die Hieroglyphe einen semantischen Kosmos, den der Protagonist Nathanael in die stereo- typen Worte des Automaten Olimpia projiziert: „Sie spricht wenig Worte, […] aber die- se wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und ho- her Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen Jenseits.“960 In Hoffmanns Erzählung Das Majorat (1817) wird der geheimnisvolle Zauber des Textes durch musikalische Vermittlung zu einer „Hieroglyphe des Unaussprechlichen“961 und dadurch einer gegenständlichen Beurteilung enthoben. In dem musiktheoretischem Se- rapionsgespräch über Alte und neue Kirchenmusik greift Hoffmann den Topos nochmals auf, um im Bild der „Hieroglyphe des Tons in seiner melodischen und harmonischen Verkettung“962 die in der Notenschrift nachvollziehbar niedergelegten und konservierten „wunderbaren Laute der Geistersprache“963 anschaulich zu machen. Das musikalische Geisterreich der Musik wird auch hieroglyphisch evident und greift rezeptionsgeschicht- lich auf das Musiktheater über, weshalb Arthur Schopenhauer in Mozarts „Zauberflöte, dieser grottesken, aber bedeutsamen und vieldeutigen Hieroglyphe“964 ein vieldimensio- nales Spiel um die Metaphysik der Welt- und Willensverneinung erblickt. Mythopoeti- sche Systeme arbeiten einer romantischen Ganzheitssehnsucht zu. Dabei avanciert der Topos zu einer Chiffre dessen, was das synthetische Kunstwerk durch die Bündelung unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmungen zu vermitteln trachtet.

960 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 3. S. 40f. 961 Ebd. S. 227. 962 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 497. 963 Ebd. 964 Arthur Schopenhauer: Werke in fünf Bänden. Bd. 4. A. a. O. S. 410.

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Synthese von Kunst und Religion

Philosophie einer Sakralisierung der Kunst

Im Zusammenhang einer allmählich einsetzenden religiösen Tendenz bei der Rezeption von Kunstwerken avancierte das Christentum zu einem herausragenden Vorwurf roman- tischer Ästhetik. Als einzigartiger, alleinherrschender, grenzenloser Gott war der christ- liche Gott als Projektionsfläche romantischer Unendlichkeitssehnsucht geradezu prädes- tiniert. Vorweggenommen wird die romantische Verknüpfung von Religion und Kunst bereits lange vor Wackenroder, Tieck, Novalis oder Schleiermacher in der kultischen Kunstverehrung der Epoche der Empfindsamkeit zwischen 1740 und 1800.

„Im Kraftfeld dieser Tradition können schon vor der Romantik dem Genius wie dem Werk Weihe und Andacht, Pietät und Verehrung entgegengebracht werden – man denke etwa an die kultisch-religiösen Züge der Klopstock-Anbetung.“965

Avancierte der Dichter bei Klopstock zum „Verkünder des alloffenbarten Gottes“966, so war Schiller daran gelegen, das System der Religion durch eine säkulare Sinnstiftung zu ersetzen.967 Neben Schiller sprechen aber auch schon Johann Georg Sulzer sowie Karl Philipp Moritz von einem „Heiligtum der Kunst“968. Und selbst der junge Goethe hebt in seinen hymnischen Schriften Von deutscher Baukunst (1772) und Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775 das religiöse Moment sowohl im ästhetischen Prozess als auch in der Kunstrezeption hervor. Und noch in seiner Schrift über Winkelmann (1805) spricht Goethe von einer natürlichen Religion und von „Gott als Urquell des Schö- nen“.969 In Hölderlins Vorstellung von einer Kunstreligion970 kommen Schönheit, Kunst und Religion sowie religiöses Empfinden miteinander in Einklang.

„Das erste Kind der menschlichen, der göttlichen Schönheit ist die Kunst. In ihr verjüngt und wiederholt der göttliche Mensch sich selbst. [...] Denn im Anfang war der Mensch und seine Götter eins [...]. Das erste Kind der göttlichen Schönheit ist die Kunst. So war es bei den Athenern. Der Schönheit zweite Tochter ist die Religion. Religion ist Liebe der Schönheit.“971

965 Georg Bollenbeck: Von der Kunstreligion zur »kulturellen Kristallisation«? Stationen einer Er- nüchterungsgeschichte. In Insel-Almanach auf das Jahr 2000. Hans-Joachim Simm (Hg.). Frank- furt/Main, Leipzig 1999. S. 81. 966 Gerhard Kaiser: Klopstock. Religion und Dichtung. Gütersloh 1963. S. 337. 967 Hans Robert Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Bd. 1. Versuche im Feld der ästhetischen Erfahrung. München 1977. S. 29 und S. 80f. 968 Karl Philipp Moritz: Werke in zwei Bänden. Bd. 1. Berlin und Weimar 1976. S. 303. 969 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 12. S. 124. 970 Siehe Wolfgang Binder: Friedrich Hölderlin. Studien von Wolfgang Binder. Elisabeth Binder, Klaus Weimar (Hg.). Frankfurt/Main 1987. S. 50-81. 971 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 3. S. 83.

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Hölderlins Werk prägt jene Synthese von antikem und christlichem Gedankengut, die auch die Anschauungen der deutschen Frühromantiker kennzeichnet. Unter dem Primat der Schönheit werden Religion und Dichtung miteinander vereint, es etabliert sich das pädagogische Modell eines Priesters der göttlichen Natur, deren umfassende Einheit sich in einer sakralisierten Dichtung offenbart.972 Doch erst die Philosophie des deut- schen Idealismus erteilt der Kunst jene metaphysische Weihe, die diese für den spezi- fisch romantischen Vorwurf des Unendlichen nobilitiert. Schelling erklärt in seiner Schrift Philosophie der Kunst den Begriff und die Vorstellung des christlichen Gottes zur Grundlage und Zielsetzung der Kunst überhaupt:

„Die unmittelbare Ursache aller Kunst ist Gott. [...] Nun ist aber die Kunst Darstellung der Urbilder, also Gott selbst die unmittelbare Ursache, die letzte Möglichkeit aller Kunst, er selbst der Quell aller Schönheit. (§23) [...] Das Universum ist in Gott als abso- lutes Kunstwerk und in ewiger Schönheit gebildet. (§21) [...] Gott ist unmittelbar kraft seiner Idee absolutes All.“973

Kraft seiner ursprünglichen Potenz und seiner universellen Totalität verweist das Reli- giöse auf ein Unendliches, das Schelling in eine ursächliche Verbindung mit der plato- nischen Ideenlehre bringt. Obschon die Nähe der Frühromantik zum Gedankengut der Klassik unübersehbar ist, wird der Wandel vom klassisch Idealen zum romantisch Transzendentalen gerade in der religiösen Tendenz des Denkens sowie in der Sakralisie- rung der Kunst offensichtlich. Die Aufwertung der Kunst unter dem Primat des Religiö- sen befördert die Verehrung christlich-mittelalterlicher Kunst, beispielsweise in Wa- ckenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797): „die Kunst muß seine höhere Geliebte sein, denn sie ist himmlischen Ursprungs; gleich nach der Religion muß sie ihm teuer sein; sie muß eine religiöse Liebe werden oder eine ge- liebte Religion [...].“974 Zum Ausdruck kommt das Religiöse u.a. im »Unendlichen«, weil auch dieses die gegenwärtige Welt der Erscheinungen transzendiert und wie die Religion metaphysischen Charakter hat. Nach Friedrich Schlegel ist nur der Künstler, „welcher eine eigene Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat [...]. Die Re- ligion ist schlechthin unergründlich. Man kann in ihr überall ins Unendliche immer tie- fer graben.“975 Im Kontext einer ästhetischen Auffassung, die das grenzüberschreitende Moment zum Ausgangspunkt der Gestaltung erhebt, ist das entgrenzende Moment der Religion gerade aufgrund seiner begrifflichen Unbestimmbarkeit prädestiniert, mit man- nigfaltigsten Bedeutungen aufgeladen zu werden. So wie das Gesamtkunstwerk die ver- schiedenen Künste in sich aufnimmt, assimiliert auch die Gottheit die Totalität des

972 Gerhard Kurz: Der deutsche Schriftsteller: Hölderlin. In Gunter E. Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. A. a. O. S. 130. 973 F. W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. A. a. O. § 23 (S. 30), § 21 (S. 29), § 3 (S. 19). 974 Wilhelm Heinrich Wackenroder. Werke und Briefe. A. a. O. S. 162. 975 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 259.

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Weltganzen, ohne selbst je eine Unterscheidung oder Begrenzung zu erfahren: „Jede Beziehung des Menschen aufs Unendliche ist Religion [...]. Das Unendliche in jener Fülle gedacht, ist die Gottheit.“976 Auch Schleiermachers bezeichnet die Religion in Über die Religion (1799) als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche.“977 Religion be- deutet für ihn eine autonome und transzendentale Sphäre menschlicher Erfahrung, die nicht mehr auf begriffliches oder empirisches Denken gründet. „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“978 Das bedeutet, dass Religi- on auch eine subjektive Anschauung und Empfindung des Universums beinhaltet.979

Ästhetische Kirche und Kunstreligion

Bereits im Denken Friedrich Hölderlins beginnt sich ein sakrales Kunstverständnis zu etablieren, das in der Vorstellung von einer ästhetischen Kirche980 Ausdruck erhält. Eine weitere Schnittstelle zwischen Kirche und Kunst markiert der romantische Dramatiker Zacharias Werner. Dieser begründet die motivische Substitution der Antike durch das Christentum u.a. mit einer kultischen Nähe der christlichen Tragödie zu der heidnischen und stilisiert dabei Christus zum tragischen Helden, was er in einem Brief an August Wilhelm Iffland näher ausführt:

„Als auf den Trümmern des Heidentums der Katholizismus entstand, so waren die heid- nischen Gebräuche desselben, das Meßopfer, Prozessionen pp. gleichsam Surrogate des Schauspiels, oder vielmehr der Tragödie, und Christus, der Stifter einer neuen romanti- schen Religion, der reinste Heros einer göttlichen Tragödie, dem Volke durch einen fortwährenden religiösen Kultus stets vergegenwärtigt, gewährte, in der Blütezeit seiner Erscheinung, ein Kunstbild, was den tragischen Kothurn weit überragte; seine Erschei- nung war aber bei jedem Meßopfer, und in dem Sinne war, in den schönen Zeiten des Katholizismus, jede Messe dem Volke eine göttliche Tragödie.“981

Grundlage dieser Denkfigur ist die Einführung eines transzendentalen Modells, das den tragischen Ausgleich, die Rettung in der Vernichtung in ein christlich determiniertes Jenseits verlegt. Problematisch wird dabei jedoch die Notwendigkeit des Tragischen: Wo Rettung grundsätzlich im finalen Jenseits garantiert wird, braucht es keinen diessei- tigen Ausgleich.982 Mit einem ästhetisierten Christus als Spiritus rector einer romanti-

976 Ebd. S. 264. 977 Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. A. a. O. S. 51. 978 Ebd. S. 49. 979 Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Bd. 2. A. a. O. S. 398f. 980 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 6. S. 354. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammt der Begriff der »ästhetischen Kirche« ursprünglich von Karl Hölderlin. 981 Zacharias Werner in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. A. a. O. S. 315. 982 Siehe dazu auch Peter Szondi: Versuch über das Tragische. In Peter Szondi: Schriften. Bd. 1. Frankfurt/Main 1978. S. 151ff.

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schen Religion werden die romantisierenden Bezüge überdeutlich. Erblickt man in der Religion eine theatralische Urform der Kunst, so liegt es nahe, die beiden im Auflö- sungsprozess der Geschichte auseinanderlaufenden Wege von Kunst und Religion unter romantischen Gesichtspunkten wieder zusammenzuführen: „Religion und Kunst sind zwei Quellen, die, wenn gleich ephemerisch getrennt, doch immer wieder ineinander- fließen.“983 Auf diese Weise wird Religion zu einem Modus, der die geistige und seeli- sche, aber auch die pragmatische Beziehung zum Kunstwerk regelt und das religiös in- spirierte Künstlertum legitimiert. Für Friedrich Schlegel ist der Dienst am Kunstwerk zugleich Gottesdienst; der Künstler wird aufgrund der ästhetischen Weihe seines Künst- lertums zum Priester: „Auch ist das Verhältnis des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen [...] Religion. Wem dieser innre Gottesdienst Ziel [...] des ganzen Lebens ist, der ist Priester [...].“984 Schlegels kollektiver Rückbezug auf eine sak- rale Gemeinschaft von kunstschaffenden Priestern markiert einen entscheidenden Unter- schied gegenüber Hölderlins esoterisch-elitärer Vorstellung vom Dichter-Priester: „Und immer ist Dichtung die Sache des Einen oder der Wenigen, der Auserwählten und »Priester [...].«“985 Im Kontext der romantischen Kunstreligion ist die Dichtung selbst abgesondert von allem Profanen oder Zweckgebundenen. Ihr Ursprung sowie ihre Be- deutung sind in eine sakrale Sphäre enthoben und darum allein durch den göttlichen Auftraggeber beglaubigt.

„Erst die romantische Generation löst [...] die Kunst aus allen über sie hinausgehenden Zweckreihen und muß dabei [...] den immer noch alles überwölbenden religiösen Him- mel ins Kunstwerk hineinziehen: Kunst wird säkularisierte Religion. Der Künstler wird zum Priester und das Publikum [...] soll zur Gemeinde werden.“986

Diese Position entfernt sich weit von Kants Auffassung einer Vernunftreligion oder der anglikanischen Church of Reason. Stand die mimetische Kunst bis zur Aufklärung noch im Dienste der christlichen Religion, so wechselt nun die hierarchische Dialektik vom bestimmenden System und seinem Medium. Nicht mehr die Religion bedient sich der Kunst, um ihre Inhalte zu illustrieren – die Romantik macht sich die Religion nun selbst dienstbar. Das religiöse Moment einer übersinnlichen Wahrnehmung wird der Kunst implantiert. Transzendentale Erfahrungen zu vermitteln ist nicht mehr allein eine Ange- legenheit der Religion. Seit der Frühromantik übernimmt die Kunst zusehends diese Aufgabe. Der Begriff Kunstreligion, wie er sich im späten 19. Jahrhundert etabliert, nimmt hier seinen Ausgang987 und wird sich in den verschiedenen Kunst- und Dich-

983 Zacharias Werner in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. A. a. O. S. 315. 984 Friedrich Schlegel. KFSA. 1. Abt. Bd. 2. S. 242. 985 Wolfgang Binder: Friedrich Hölderlin. A. a. O. S. 138. 986 Rüdiger Safranski: E. T. A. Hoffmann. A. a. O. S. 234. 987 Vgl. Viktor Zmegac: Kunst und Gesellschaft im Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts. In Propyläen Geschichte der Literatur. Bd. 5. Das bürgerliche Zeitalter. 1830-1914. Frankfurt/Main, Berlin

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tungstheorien des Säkulums niederschlagen. Dies unterstreicht noch Friedrich Hebbel in einer Tagebuchnotiz:

„denn Religion und Poesie haben einen gemeinschaftlichen Ursprung und einen gemein- schaftlichen Zweck, und alle Meinungs-Differenzen sind darauf zurückzuführen, ob man die Religion oder die Poesie für die Urquelle hält. [...] bis beide sich im reinen Kunst- werk durchdringen und in gegenseitiger Sättigung zusammenwirken.“988

Mit den frühromantischen Versuchen einer Ästhetisierung der Alltagswirklichkeit wer- den jene Grenzen zwischen Welt und Subjekt aufgehoben, die auch die Religion über- winden muss, um die Einheit des Gläubigen mit der Gottheit zu gewährleisten. Mittler dieser einheitsstiftenden Metaphysik ist der Priester. Mit ihm wird die Identität von Diesseits und Jenseits im Gottesdienst publikumswirksam inszeniert. Eine entsprechen- de Funktion nimmt auch das romantische Künstlertum für sich in Anspruch. Den An- fang dieser Entwicklung markieren die Frühromantiker, den Kulminationspunkt stellt die Künstlerpersönlichkeit Franz Liszts dar: „Berufene sind vor allen anderen der genia- le, schöpferische Künstler und der mit heiligem Feuer ausgestattete Priester.“989 Nach der Säkularisation der Kirchengüter im Reichsdeputationshauptschluss (1803) und im Zuge der Rationalisierung der Welt wird die Kirche sowohl ihrer ideolo- gischen als auch materiellen Mittel beraubt, um Kunst sozial, funktional und weltan- schaulich auf einen christlichen Vermittlungsdienst zu verpflichten. Bei Hölderlin avan- ciert die Trias Philosophie Kunst und Religion zu einer Priesterschaft der Natur, die ein- zig dem Zweck dient, ein Ideal „aller menschlichen Gesellschaft“990 darzustellen. Die metaphysische Werkästhetik der Romantik wird in der Verbindung von klassischer Idea- lität und religiösem Empfinden vorweggenommen. Noch E. T. A. Hoffmann verwendet in dem Zeitungsbeitrag Alte und neue Kirchenmusik (1814) den Begriff der »unsichtba- ren Kirche«991 gleichfalls im Kontext einer Sakralisierung der Kunst.992 In dem Aufsatz Nachträgliche Bemerkungen über Spontinis Oper „Olympia“ (1821) erkennt Hoffmann in den Opern Spontinis Werke, „die zugleich der unsichtbaren Kirche angehören wer- den, deren Glieder von dem himmlischen Feuer der Kunst durchglüht, nichts wollen als das Wahrhaftigste in der reinsten Integrität.“993 In dem Dialog Der Dichter und der Komponist (1813) verbindet er seine Anschauungen von der metaphysischen Macht der Musik mit dem Kult des Religiösen.

„Ja, in jenem fernen Reiche [...] aus dem wunderbare Stimmen zu uns herabtönen [...], ______1988. S. 17. 988 Friedrich Hebbel: Werke in fünf Bänden. Bd. 5. A. a. O. S. 281. 989 Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. A. a. O. S. 214f. 990 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 6. S. 354f. 991 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 220. 992 Siehe dazu auch Helga de la Motte-Haber (Hg.): Musik und Religion. 5. Aufl. Laaber 2003. 993 Ebd. S. 383.

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sind Dichter und Musiker die innigst verwandten Glieder einer Kirche: denn das Ge- heimnis des Worts und des Tons ist ein und dasselbe, das ihnen die höchste Weihe er- teilt.“994

Hoffmann erweitert diese Position um eine ätherische Dimension der Musik, die in ih- rem Wesen den göttlichen Ursprung der gesamten Natur sowie ein damit verbundenes Schöpferlob zum Ausdruck bringt: „Ihrem innern eigentümlichen Wesen nach ist daher die Musik religiöser Kultus und ihr Ursprung einzig und allein in der Religion, in der Kirche zu suchen und zu finden.“995 Für die Frühromantik soll religiöses Empfinden das Unendliche erahnbar, Kunst soll die Identität von Universum und Gott in Urbildern darstellbar machen. Von der äs- thetischen Religion soll eine Erneuerung der Kunst ausgehen. Diese Erneuerung bedeu- tet auch eine Synthese der dissoziativen Elemente durch das Moment des Erhabenen im religiösen Kunstwerk. Der Gedanke einer Generalunion von Kirche und Kunst, wie er in dem Gedicht Der Bund der Kirche mit den Künsten (1800) von August Wilhelm Schle- gel zum Ausdruck kommt, macht die Tendenz einer sakralen Revitalisierung der Kunst genauso deutlich wie Schinkels Pläne einer Synthese von Kirche und Denkmal im alt- deutschen Stil.996 Schinkels Projekt eines gotischen Doms besteht aus einer Synthese der unterschiedlichsten Baustile von der Antike über das Mittelalter bis hin zur Renais- sance.997 Architektonisch in die Praxis umgesetzt wird dieses Konzept einer ästhetischen Kirche als Gesamtkunstwerk im Alten Museum (1830) in Berlin sowie im Berliner Dom.

„Für das Alte Museum als »Ästhetische Kirche« schien ihm die antikisch römische Säu- lenfront und ein an das Pantheon erinnernder Mittelraum der großen Aufgabe zu entspre- chen. Als Mensch der Zeit architektonischen Umbruchs erwies sich Schinkel noch in sei- nen Plänen für den Bau des Berliner Doms. Er wollte ihn [...] als gemeinsames Werk der Gewerbe wie der Künste. Es ist die Idee des Gesamtkunstwerkes [...].“998

Die Reflexionen einer Sakralisierung der Kunst und der daraus abgeleitete Begriff der Kunstreligion beinhalten auch die rituelle Zelebrierung des Religiösen durch eine ein- heitliche Glaubensgemeinschaft in Prozession und Gottesdienst. So verklärt Novalis „die schönen Versammlungen in den geheimnißvollen Kirchen, die mit ermunternden Bildern geschmückt, mit süßen Düften erfüllt, und von heiliger erhebender Musik belebt waren.“999 Der Dienst für Gott und die Religion wird unter dem Primat der Musik zum Fest und dieses zu einem alle Teile verschmelzenden Kunstwerk. Entsprechend beurteilt

994 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 99f. 995 Ebd. S. 495. 996 Klaus Günzel: Die deutschen Romantiker. 125 Lebensläufe. Zürich 1995. S. 268. 997 Irmgard Wirth: Berliner Malerei im 19. Jahrhundert. Von der Zeit Friedrichs des Großen bis zum Ersten Weltkrieg. Berlin 1990. S. 85f. 998 Karl Baur: Zeitgeist und Geschichte. A. a. O. S. 216. 999 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 508.

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auch Friedrich Schleiermacher die Bedeutung religiöser Rituale:

„Wenn an festlichen Tagen große Volksmassen sich in mannigfaltigen Verhältnissen ordnen und sich mit Würde und Leichtigkeit bewegen, [...] ist nicht eine solche Fülle schöner freier Bewegung, ein solcher Inbegriff von Kunstdarstellung [...] nicht auch wie- der ein Kunstwerk für sich, ohnerachtet keiner es hervorbringt?“1000

Bereits in den Vorlesungen über die Ästhetik erkennt Schleiermacher das Volk als den Ursprung und Ort des Kunstwerks1001. In seiner Schrift Über den Begriff der Kunst nennt er die „Versammlungen der Frommen“1002 ebenfalls ein Kunstwerk. War vor der Aufklä- rung Kunst ganz selbstverständlich dem Religiösen integriert, so wird sie nun einer me- taphysischen Absolutheit vor- und zugleich nachgeordnet. Durch Kunst wird dem un- endlichen Charakter Gottes ein sinnlicher Vorschein verliehen; gleichzeitig bildet das Absolute Gottes den Urgrund, aus dem allein Kunst hervorgeht. Kunst und Religion werden in dem Maße miteinander verschränkt, als ihr Kern auf eine Erkenntnis des Ab- soluten ausgerichtet ist, ihr gemeinsames Wesen einen gesteigerten Begriff von Unend- lichkeit versinnlicht. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die frühromantische Sakralisierung der Kunst schon den vorästhetischen Prozess der Inspiration an eine hö- here, übermenschliche Eingebung knüpft, den Schaffensprozess metaphysisch rückbin- det und das Werk einer religiösen Rezeptionsästhetik unterwirft. Doch ist diese sakrale Betrachtung der Kunst nicht allein den Romantikern vorbehalten, denn auch Goethe weist in seiner Schrift Maximen und Reflexionen (1833) auf diesen Kontext hin: „Die Kunst ruht auf einer Art religiosem Sinn, auf einem tiefen, unerschütterlichen Ernst; deswegen sie sich auch so gern mit der Religion vereinigt.“1003 Eine solche Verbindung von Kunst und Religion ist die Grundlage jener romantischen Konzeption einer Resak- ralisierung des Ästhetischen unter umgekehrten Vorzeichen, die über die Frühromantik hinaus vor allem Wagners Bühnenweihfestspiel inspiriert hat.

„Richard Wagner hätte seine Freude gehabt: der Gottesdienst als Gesamtkunstwerk, aus- staffiert mit allen Stimulantien der Musik und der bildenden Künste im weltentrückten Kunstraum einer sakralisierten Bühne. Poesie und Religiosität vereinigen sich in buch- stäblich reizvoller Synästhesie; denn in demselben Maß, wie die Poesie zum Steige- rungsmittel der Religiosität wird, potenziert umgekehrt die Religiosität das poetische Empfinden: Im sich stets neu überbietenden Streben nach einer Überwindung des Dies- seitig-Immanenten zugunsten eines [...] Jenseitig-Transzendenten haben sie ihr entschei- dendes Gemeinsame.“1004

1000 Friedrich Schleiermacher: Über den Begriff der Kunst. Thomas Lehnerer (Hg.). Hamburg 1984. S. 157f. 1001 Friedrich Schleiermacher: Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. 4. Leipzig 1911. S. 100f. 1002 Ebd. S. 158. 1003 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 12. S. 468. 1004 Claus Sommerhage: Deutsche Romantik. A. a. O. S. 42ff.

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Damit sind die zentralen Motive jener romantischen Kunstmetaphysik zusammenge- fasst, die im auratischen Schein einer ästhetischen Kirche jene restitutio ad integrum be- treibt, welche die dissoziierten Fragmente einer auseinanderbrechenden Welt zu einer neuen Totalität zu verschmelzen versucht.1005 Dieses Projekt wird jedoch weniger in ei- nem werkbezogenen Kunstganzen verwirklicht, als durch eine transzendentale Pro- zessualität. Für die musikdramatischen Entwürfe von Berlioz‟ und Liszt bis hin zu Wagners Gesamtkunstwerk wird der romantische Kontext der Kunstreligion geradezu konstitutiv: „Die Vorstellung einer Kunstreligion, die für die Konzeption eines musika- lischen Gesamtkunstwerks den notwendigen Hintergrund gibt, ist durchaus romanti- scher Herkunft.“1006 Dass sich dieser sakrale Aspekt auch einer sozialen Utopie integrie- ren lässt, zeigt das Musiktheater Richard Wagners.

Sakrale Wirkungsästhetik

Im entsprechenden Kontext einer romantischen Synthese von Kunst und Religion steht die sakral stimulierte Wahrnehmung von Kunst. So stellt die Erfahrung des sinnenfreu- digen fränkischen Barock einer „süddeutsch-katholischen Kultur“1007 in Bamberg für Wilhelm Heinrich Wackenroder in den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klos- terbruders (1797) eine subjektiv-sakrale Schlüsselerfahrung dar. Dieses religiöse Erle- ben „verlagert sich in das innerste Gefühl des Menschen und ruft Seelenregungen wach, von denen man kaum mehr sagen kann, ob sie dem Reich des Glaubens oder des sinnli- chen Genusses angehören.“1008 Eine sakrale Wirkungsästhetik ermöglicht auch Heinrich von Kleist eine durch Musik beförderte Synthese von Kunst und Religion:

„Nirgends fand ich mich aber tiefer in meinem Innersten gerührt, als in der katholischen Kirche, wo die größte, erhebendste Musik noch zu den andern Künsten tritt, das Herz gewaltsam zu bewegen. Ach, Wilhelmine, unser Gottesdienst ist keiner. Er spricht nur zu dem kalten Verstande, aber zu allen Sinnen ein katholisches Fest.“1009

Der emotionale Wahrnehmungsapparat lässt sich durch sinnliche Empfindungen verein- nahmen und schafft eine Gefühlsunmittelbarkeit, die erst eine Teilhabe an und Identität mit dem Kunstganzen gewährleistet. In diesen Zusammenhang gehört auch das hermeti-

1005 Ebd. S. 44. 1006 Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. A. a. O. S. 436. 1007 Richard Benz: Die deutsche Romantik. Geschichte einer geistigen Bewegung. 5. Aufl. Leipzig 1956. S. 23ff. 1008 Friedrich Strack: Die „göttliche“ Kunst und ihre Sprache. Zum Kunst- und Religionsbegriff bei Wackenroder, Tieck und Novalis. In Richard Brinkmann (Hg.): Romantik in Deutschland. Ein in- terdisziplinäres Symposion. Stuttgart 1978. S. 372. 1009 Heinrich von Kleist: Werke und Briefe. Bd. 4. A. a. O. S. 219f.

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sche Verhältnis zwischen Rezipient und Kunstwerk.1010 Am Beispiel des Gemäldes Der Mönch am Meer (1808-10) von Caspar David Friedrich integriert Heinrich von Kleist die Erfahrung des Naturerhabenen in die Erfahrung des Kunsterhabenen.

„das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bil- de, nämlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild tat; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wohinaus die Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz.“1011

Neben der ossianischen Motivik nordischer Entgrenzung ist es dieser Identifikationsas- pekt, der Friedrichs Gemälde und vor allem dessen Rezeption durch Kleist zu einem Pa- radigma romantischer Malerei und in diesem Zusammenhang zu einem „Altarbild des modernen Menschen“1012 macht. In seinem kulturgeschichtlichen Abriss Halle und Hei- delberg (1839/57) betont auch Eichendorff die Konnexionen zwischen Kunst und Reli- gion, deren Kausalnexus durch das ästhetische Credo romantischer Jenseitsdesiderate konstituiert wird.

„Aber die Romantik war keine bloß literarische Erscheinung, sie unternahm vielmehr ei- ne innere Regeneration des Gesamtlebens […]. Ihre ursprüngliche Intentionen, alles Irdi- sche auf ein Höheres, das Diesseits auf ein größeres Jenseits zu beziehen, mußten daher insbesondere auch das ganze Gebiet der Kunst gleichmäßig umfassen und durchdringen. […] Der Malerei vindizierte sie die Schönheit der Religion als höchste Aufgabe [...].“1013

Eine sakrale Wirkungsästhetik bedient auch Franz Liszt mit seinen beiden Oratorien Die Legende von der Heiligen Elisabeth (1865) und Christus (1873), worüber Cosima von Bülow-Liszt in einem Brief an den bayrischen König Ludwig II. Auskunft gibt: „Die zwei Aufführungen der h. Elisabeth waren rührende Ereignisse; Kunstwerk, Künstler, Zuhörer wie zusammengeschmolzen bildeten das Ganze einer, im tiefsten Sinne des Wortes, religiöse Feier.“1014 Flankiert wird diese Position durch Liszts eigenes Bekennt- nis zu einer sakralen Musikästhetik, die „es als eine vornehme Aufgabe des »composi- teur religieux« erachtet, im Medium der Musik über alle Klassenschranken hinweg ei- nen Kontakt mit dem Numinosen zu stiften.“1015 In seiner Schrift Über zukünftige Kir- chenmusik (1834) schreibt er, diese Musik

1010 Jörg Traeger: Die Kirche der Natur. Kunst und Konfession in der romantischen Epoche. In Chris- tian Beutler (Hg.): Kunst um 1800 und die Folgen. München 1988. S. 182f. 1011 Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. A. a. O. S. 935f. 1012 Eberhard Roters: Jenseits von Arkadien. A. a. O. S. 27. 1013 Joseph von Eichendorff. Werke. Bd. 1. A. a. O. S. 943f. 1014 Cosima Wagner in Cosima Wagner, Ludwig II. von Bayern: Briefe. Eine erstaunliche Korrespon- denz. Martha Schad (Hg.). Bergisch Gladbach 1996. S. 39. 1015 Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Musik-Konzepte 12. Franz Liszt. edition text + kritik. München 1980. S. 15.

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„sei weihevoll, stark und wirksam, sie vereinige in kolossalen Verhältnissen Theater und Kirche, sie sei zugleich dramatisch und heilig, prachtentfaltend und einfach, feierlich und ernst, feurig und ungezügelt, stürmisch und ruhevoll, klar und innig.“1016

Die Vermittlung des Religiösen durch die Künste erreicht auch den konservativ- pietistischen Schinkelschüler und Dichterfreund Friedrich Wilhelm IV., der auf dem preußischen Thron Verfassungsentwürfe über eine Welt-Zukunftskirche ausbrütet. Die- ser Romantiker auf dem Königsthron beabsichtigt, preußischen Patriotismus, Politik, Kunst und Religion zu einer organischen Ganzheit zusammenzufügen und damit „den kühl und nüchtern disponierten preußischen Staat zum romantischen »Gesamtkunst- werk« zu steigern […].“1017 Am Ende dieser Sakralisierungstendenz im Zeichen synthe- tischer Integrationen steht jene Substituierung der Religion durch die Kunst, die Nietz- sche in seiner Schrift Menschliches, Allzumenschliches I (1878) erläutert:

„Beseelung der Kunst. – Die Kunst erhebt ihr Haupt, wo die Religionen nachlassen. Sie übernimmt eine Menge durch die Religion erzeugter Gefühle und Stimmungen, legt sie an ihr Herz und wird jetzt selbst tiefer, seelenvoller, so dass sie Erhebung und Begeiste- rung mitzutheilen vermag [...]. Der zum Strome angewachsene Reichthum des religiösen Gefühls bricht immer wieder aus und will sich neue Reiche erobern: aber die wachsende Aufklärung hat die Dogmen der Religion erschüttert und ein gründliches Misstrauen ein- geflösst: so wirft sich das Gefühl, durch die Aufklärung aus der religiösen Sphäre hin- ausgedrängt, in die Kunst [...].“1018

Offensichtlich ist, „daß die christliche Religion, zu der man sich so gerne bekehren wollte, inzwischen nur mehr ein ästhetisches Bedürfnis erfüllte.“1019 Religiöse Bedürf- nisse werden in die Kunst übertragen,1020 da die christlichen Welterklärungsmodelle und Sinnstiftungskonstrukte zusehends unerfüllbar werden.1021 Und eine damit verbundene „Säkularisierung des religiösen Gefühls“1022 verlagert die sakrale Wirkungsästhetik der romantischen Kunstreligion aus dem Äther metaphysischer Wolkenreiche in die tieferen Regionen des menschlichen Seelenapparats.

1016 Franz Liszt: Gesammelte Schriften. Bd. 2. A. a. O. S. 56. 1017 Klaus Günzel: Silhouettenbilder. Gestalten von damals und gestern. München, Berlin 2001. S. 185. 1018 Friedrich Nietzsche. KSA. Bd. 2. S. 144. 1019 Hans Belting: Das unsichtbare Kunstwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München 1998. S. 87. 1020 Siehe dazu auch Sigmund Freud: Abriß der Psychoanalyse/Das Unbehagen in der Kultur. Frank- furt/Main 1989. S. 74. 1021 Curt Paul Janz: Friedrich Nietzsche. Biographie in drei Bänden. Bd. 1. Frankfurt/Main, Wien 1994. S. 830f. 1022 Hermann Glaser: Sigmund Freuds Zwanzigstes Jahrhundert. Seelenbilder einer Epoche. Materia- lien und Analysen. Frankfurt/Main 1979. S. 307.

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Romantische Innenwelten

Perspektivische Erweiterung des Blickwinkels

Die Geschichte des romantischen Gesamtkunstwerks ist verbunden mit veränderten Er- fahrungssystemen sowie einer Bedeutungssteigerung prärationaler Wahrnehmungsstruk- turen. Um 1800 beginnen die gewohnten Reichweiten zu expandieren: Handel und Ver- kehr (Infrastruktur, Dampfeisenbahn und Dampfschiffahrt), der Waffen (Zündnadelge- wehr), der Information (Telegraph), des Wissens sowie der breitgefächerten Informati- onsvermittlung (Papiermaschine, Buchpresse, Zeitungs- und Zeitschriftenwesen) erfah- ren bislang ungeahnte Entgrenzungen. Eine Erweiterung des Gesichtskreises bewirkt der erste Aufstieg eines Heißluftballons im Jahre 1783. Diese technische Verwirklichung einer Draufsicht wird in Jean Pauls Erzählung Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch (1801)1023 zur Metapher einer satirischen Distanzierung alles Irdischen: „Auf der Fläche, die auf allen Seiten ins Unendliche hinausfloß, spielten alle verschiedenen Theater des Lebens mit aufgezogenen Vorhängen zugleich [...].“1024 Flankiert werden diese Verände- rungen durch eine alles erfassende Beschleunigung. Dynamik bestimmt fortan die Fort- bewegung, die Warenproduktion, die Informationsübermittlung und bewirkt einen ent- scheidenden Wandel der Wahrnehmung von Zeit und Raum. Eine neue Virtualität des Sehens wird durch die mit der Eisenbahn verbundene Beschleunigung angeregt, was Ei- chendorff in seiner autobiographischen Prosa Erlebtes (1849-57) diagnostiziert:

„Diese Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüberjagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefaßt, immer neue Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer andere Sozietäten bildet, bevor man noch die alten recht über- wunden.“1025

Die am Betrachter vorbeieilende Landschaft erzeugt ein Raum-Zeit-Panorama, das mit dem totalisierenden Horizontblick der Luftperspektive insofern korrespondiert, als es die tradierten Perspektiven auflöst und das Subjekt zu einer neuen Haltung gegenüber dem Objekt aber auch gegenüber dem Prozess der Wahrnehmung zwingt. Aus der visu- ellen Zergliederung der Welt in Fragmente und Segmente ergibt sich die Tendenz einer unwillkürlichen Zusammenschau der Einzelteile. Die durch Geschwindigkeit und Be- schleunigung verlorene Ganzheitlichkeit des Sehens wird durch einen synthetischen Akt der Betrachtung ersetzt.

1023 Wolfgang Hädecke: Poeten und Maschinen. Deutsche Dichter als Zeugen der Industrialisierung. München, Wien 1993. S. 90f. 1024 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 3. S. 959f. 1025 Joseph von Eichendorff. Werke. Bd. 1. A. a. O. S. 895.

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„Das synthetische Sehen, das Sehen gleitender Zeitreiseübergänge, das Sehen im Schnitt, das Sehen komprimierter Raum- und Zeitpanoramen [...], das Verschleifungssehen und das Montage-Sehen haben das ganzheitliche Sehen abgelöst. Die visuelle Wahrneh- mungsweise hat sich dadurch radikal geändert. Begonnen hat das alles mit der Erweite- rung des Blickwinkels um 1800.“1026

Die Diskontinuität der Wirklichkeitserfahrung sowie die vielfältigen und weiträumigen Verlagerungen des anthropologischen Standorts zwingen dem Individuum der romanti- schen Moderne neue Blickrichtungen auf. Durch die Verwendung von hieroglyphischen Formen, einer grotesken Ikonographie, durch synästhetische Musikalisierungen und iro- nische Brechungen reagiert der romantische Dichter auf diesen Wandel. Der Multiper- spektivismus dieses neuen Sehens ermöglicht ein Höchstmaß an Irritationen, wie sie E. T. A. Hoffmann in seinen Erzählungen Der goldene Topf und Der Sandmann sowie in dem Roman Lebensansichten des Katers Murr vorführt.1027 Die Erweiterung und Vervielfältigung des Blickwinkels erzeugt das Chaos einer verkehrten Welt, deren Kennzeichen der Verlust einer zentrierenden Mitte ist. Protago- nisten und Leser scheinen in einen polydimensionalen Raum versetzt, der keine eindeu- tige Orientierung mehr ermöglicht. „Der durch die Pluralität der Perspektiven verunsi- cherte Leser sieht sich mit der Unentscheidbarkeit konfrontiert und bleibt auf eigene Schlußfolgerungen angewiesen.“1028 Der subjektiv gebrochene, individualisierte Künst- lertypus bei Hoffmann oder Tieck ist dafür genauso signifikant wie die Auflösung ratio- naler Ordnungsprinzipien in der Kunst.1029

„Die objektive Überschaubarkeit einer [...] erfaßbaren Welt wird durch die subjektive Phantasie eines einzelnen Individuums aufgehoben. Alle Mittel der durch die Renais- sance entwickelten Perspektive werden angewandt, um den »logischen« Zusammenhang des Raumes zu zerstören, um an die Stelle eines sich kontinuierlich bis zur äußersten Grenze des Sichtbaren erstreckenden »stabilen« Raumgehäuses […] etwas Unfaßbares und Labiles zu setzen, das eine neue Art von Unendlichkeit schuf, in der der Mensch sich verliert. [...] sie wird aus dem Himmel in die menschliche Phantasie versetzt.“1030

Auch die Weiterentwicklung der Beobachtungsinstrumente hat einen nachhaltigen Ein- fluss auf die Wahrnehmung des Subjekts. Ferngläser, Linsen, Perspektive, Mikroskope, Teleskope und Vergrößerungsgläser sind seit der frühen Neuzeit vor allem in der See- fahrt aber auch für die Astrologie, die optische Physik sowie für die Kriegsführung ge- bräuchliche Hilfsmittel. Dieser technologische Blick wird von der Romantik adaptiert

1026 Eberhard Roters: Jenseits von Arkadien. A. a. O. S. 129. 1027 Gerhard R. Kaiser: E. T. A. Hoffmann. A. a. O. S. 151. 1028 Michael Rohrwasser: Optik und Politik. Die Figur des Zauberers bei E. T. A. Hoffmann. In Heinz Ludwig Arnold (Hg.): E. T. A. Hoffmann. Reihe: Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Sonder- band. München 1992. S. 41. 1029 Siehe dazu Lothar Pikulik: Frühromantik. Epoche – Werk – Wirkung. München 1992. S. 75. 1030 Fritz Baumgart: Vom Klassizismus zur Romantik. 1750-1831. Die Malerei im Jahrhundert der Auf- klärung, Revolution und Restauration. Köln 1974. S. 42.

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und mit jenem visionären Gehalt aufgeladen, der die technische Virtualität des Geister- reichs erst ermöglichte. In der Erzählung Ein Waldabenteuer (1816) von Friedrich de la Motte Fouqué verwandeln sich der Schleier einer Elfenfrau und die Feldbinde eines El- fenritters in einen televisionären Zauberspiegel, der die entferntesten Landschaften zu vergegenwärtigen vermag.

„Und beide Gewebe schwebten und schwebten und wurden ein Nebelspiegel, in welchem Kunwart die seltsamsten Erscheinungen vorüberziehen sah. Bald erblickte er sich selbst, wie er als ein stattlicher Reitersmann gegen die Türken ins Feld zog. [...] Eine liebliche Gegend am Meere tat sich auf, voll wundersamer, fremder Bäume, mit hochschlanken, farbigschimmernden Blumen wie übersäet. [...] Und wieder sich verwandelnd, zeigte die Spiegelfläche den Kaiserhof zu Wien [...].“1031

Bereits Alain-René Lesages Roman Der hinkende Teufel (1707), Johann Carl Wezels Roman Belphegor (1776) oder Wielands Versepos Oberon (1780) operieren mit den märchenhaften Motiven einer Überwindung von Raum und Zeit. Diese sind jedoch ihrer jeweiligen historischen Gegenwart enthoben und auf symbolische Funktionen be- schränkt. Mit Fouqués Vision hingegen werden aus der romantischen Fernsicht der Bildschirm und mit den raumübergreifenden Szenenwechseln die Schnittfolge und das Kameraauge der Fernseh- und Videoperspektive auf bemerkenswerte Weise vorwegge- nommen.

Irrationalität

Mit der romantischen Aufwertung der Subjektivität geht auch die Nobilitierung unbe- wusster oder traumhafter Innenwelten einher. Maßgeblicher Vordenker dieser Umwer- tung ist Novalis.1032 Dieser erhebt das innere Weltall zum eigentlichen Wesenskern des Menschen: „Ist denn das Weltall nicht in uns? [...] Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten – die Vergangenheit und Zukunft.“1033 Gleich Novalis wertet auch Jean Paul das Unbewusste radikal auf. Er ver- weist dabei einerseits auf die nach innen gerichtete unergründliche Unendlichkeit des Unbewussten, andererseits dreht er die Kausalität von Erzeuger und Erzeugnis um: Nicht das Subjekt ist Träger des Unbewussten, das Unbewusste bringt das Subjekt erst hervor:

„Das Mächtigste im Dichter, welches seinen Werken die gute und die böse Seele einblä-

1031 Friedrich de la Motte Fouqué: Romantische Erzählungen. Gerhard Schulz (Hg.). München 1977. S. 302f. 1032 Näheres dazu bei Hans Joachim Mähl: Einleitung zu Philosophische Studien des Jahres 1797 von Novalis. In Novalis. SCH. Bd. 2. S. 314. 1033 Ebd. S. 418.

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set, ist gerade das Unbewußte. [...] Ein unauslöschliches Gefühl stellet in uns etwas Dunkles, was nicht unser Geschöpf, sondern unser Schöpfer ist, über alle unsere Ge- schöpfe. [...] Wenn man die Kühnheit hat, über das Unbewußte und Unergründliche zu sprechen: so kann man nur dessen Dasein, nicht dessen Tiefe bestimmen wollen.“1034

Schopenhauer, Nietzsche und Freud werden hier ahnungsvoll vorweggenommen; die Vernunftbestimmung des Menschen erfährt eine starke Einschränkung.1035 Zum pri- mären Medium der Welt- und Selbsterkenntnis avanciert die intuitive Wahrnehmung. Der künstlerische Schaffensprozess entsteht nicht mehr im bewusst ordnenden, glie- dernden und begrenzenden Verstand, sondern im Chaos eines unendlichen magisch- betörten Unbewussten:

„Der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt – dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigent- lichsten Sinn Subjekt Objekt vor – Gemüth und Welt. [...] Der Sinn für Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn der Weissagung und dem religiösen, dem Sehersinn über- haupt. Der Dichter ordnet, vereinigt, wählt, erfindet – und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders.“1036

Diese romantische Auffassung von der Kunst als Medium einer höheren Wesenheit kor- respondiert mit der Anschauung, dass Kunst auch dem unergründlichen Kosmos des Unbewussten Ausdruck verleihen kann. Schelling spricht in diesem Zusammenhang vom Kunstschaffen als einer bewusstlosen Wissenschaft, die das Kunstwerk einer rein rationalen Ausdeutung entzieht. Durch die Anerkennung unbewusster Kräfte und Dispo- sitionen wird dem Kunstwerk „zugleich jene unergründliche Realität erteilt, durch die es einem Naturwerk ähnlich erscheint.“1037 Die Autonomie der Kunst von der Naturnach- ahmungsdoktrin wird dadurch nicht aufgehoben, allerdings wird Natur im schöpferi- schen Subjekt als kooperierende Kraft wieder zugelassen und in das Kunstwerk rückge- bunden. Mit der Entdeckung des Unbewussten geht eine romantische Umwertung des Irra- tionalen einher. Die mit einer Entpathologisierung von Traum und Wahnsinn einher ge- hende Würdigung irrationaler Kategorien durch die Romantik bedeutet zugleich auch eine Erweiterung der Wahrnehmungs- und Assoziationspotentiale. Von Hölderlins Ver- sen: „Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn, / Wenn er in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift.“1038 über Tiecks frühe Erzählungen, Bona-

1034 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 5. § 13. S. 60. 1035 Siehe auch Karl Heinz Bohrer: Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die litera- rische Moderne. Frankfurt/Main 1989. S. 276-311. 1036 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 686. Vgl. auch Hegels entschiedenen Einwand gegen jede Form unreflek- tierten Kunstschaffens: „Ohne Besonnenheit, Sonderung, Unterscheidung vermag der Künstler kei- nen Gehalt, den er gestalten soll, zu beherrschen, und es ist töricht, zu glauben, der echte Künstler wisse nicht, was er tut.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel. TWA. Bd. 13. A. a. O. S. 365. 1037 F. W. J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur. In Texte zur Philoso- phie der Kunst. A. a. O. S. 64 [300/301]. 1038 Friedrich Hölderlin. SHA. Bd. 2. S. 95.

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venturas Nachtwachen (1804), Kleists Novelle Das Bettelweib von Locarno (1819), E. T. A. Hoffmanns Schauergeschichten bis hin zu Achim von Arnims Novellen Isabella von Ägypten (1810) und Die Majoratsherren (1819) sowie Joseph Eichendorffs Erzäh- lung Das Marmorbild (1819) wird das Thema des Irrationalen und des Wahnsinns viel- fältig variiert. In Eichendorffs Erzählung Das Marmorbild sowie in Tiecks Erzählungen Der blonde Eckbert (1797) und Der Runenberg (1804) eröffnen die schauerlichen Per- spektiven zugleich einen unmittelbaren Zugang zu jenem erotisierten Venusberg, in den sich noch Wagners Tannhäuser verirrt: „Der Runenberg stellt das Verfallensein an die Tiefe dar, das sich an nichts mehr zu orientieren vermag […].“1039 Die Sexualisierung des Sujets unterstützt die anthropologische Umwertung im Kontext romantischer In- nenwelten. Hinzu kommt die Aufwertung des Traumes als topographischer Fluchtort1040 sowie als Wahrnehmungsmodus. So schreibt Tieck an August Wilhelm Schlegel:

„Nun ist es freilich sonderbar an mir, daß ich durch einige ängstliche Verluste gewöhnt bin, alles nur im Traum zu empfinden und nicht daran zu glauben, so daß mir seit langem schon das wirkliche Leben mit allen seinen Ereignissen nur wie ein Traum vorschwebt [...].“1041

Diese defizitäre Weltwahrnehmung Tiecks war vor allem durch eine literarisch überfei- nerte Sensibilität bedingt „und führte dazu, daß sich ihm Phantasie und Wirklichkeit zu halluzinatorischen Schreckensbildern vermischten.“1042 Traum und Poesie stehen vor dem Hintergrund einer Weltsicht, die im Irdischen nur noch einen Verzweiflungsort er- blickt, in derselben kulturkritischen Fluchtlinie. War das Motiv des Traums in der Dich- tung von Homer über Shakespeare bis hin zur Frühaufklärung entweder eine Möglich- keit der Vorausdeutung oder ein Forum des Numinosen, so entwickelt er sich mit der Frühromantik zu einer eigenständigen Dimension. Wenn Penelopeia in Homers Epos Odyssee aus „der süßen Betäubung im stillen Tore der Träume“1043 Pallas Athene ant- wortet oder Herzog Gloster im zweiten Teil von Shakespeares Historiendrama Heinrich VI. (1623) mit den Worten „Mich macht mein ängst‟ger Traum von nachts betrübt“1044 sich selbst eine ungewisse Zukunft voraus deutet, dann erfüllen solche Traumvisionen eher eine dramaturgische Funktion als daß sie Aufschluss über unbewusste Seelenre- gungen geben.

1039 Johannes P. Kern: Ludwig Tieck: Dichter einer Krise. Reihe: Poesie und Wissenschaft. Bd. 18. Heidelberg 1977. S. 95. 1040 Näheres dazu bei Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Realität. Frankfurt/Main 1979. 1041 Ludwig Tieck in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. A. a. O. S. 139f. 1042 Roger Paulin Ludwig Tieck. A. a. O. S. 19. 1043 Homer: Odyssee. Übertragung von Johann Heinrich Voß. Text nach der Erstausgabe, Hamburg 1781. Düsseldorf, Zürich 2001. S. 65. 1044 William Shakespeare. Werke in zwei Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 438. Originaltext: „My troublous dream this night doth make me sad.“ William Shakespeare. The Works of William Shakespeare. Bd. 3. A. a. O. S. 316.

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In einem schlafwandlerischen Zustand geistiger Traumentrücktheit windet sich Kleists Friedrich von Homburg selbst den Ruhmeskranz, erscheint als ein zerstreuter, „sinn- verwirrter Träumer“1045 und erringt den Sieg in der Schlacht von Fehrbellin durch eine intuitive Entscheidung. Im Traum antizipiert er seinen späteren Sieg und verschränkt somit die Traum- und Wirklichkeitsebenen zu jener Erkenntnisfolie, welche die sieg- bringende Schlachtentscheidung als eine Order des Herzens generiert. „Angesichts der Realitätskraft seines Traumes wird die Wirklichkeit selbst als Spiel und Scheingefecht begriffen.“1046 In Kleists Drama vollzieht sich in der irrationalen Synthese von präratio- naler Wahrnehmung und präreflexiver Entscheidung eine poetische Gleichsetzung von Traum und Dichtung. Die synthetische Potenz des Traumes behauptet auch Achim von Arnim: „Dinge, die sich in Ewigkeit nicht zusammenfügen, sind im Traum wie auf ein Zauberwort geschehen [...].“1047 Diese Traumbestimmung entspricht einer Position Arthur Schopenhauers, der dem Traum gleichfalls ein synthetisches Vermögen zuer- kennt. Dieses stellt der Dissoziation der empirischen Erscheinungswelt einen ganzheitli- chen Raum entgegen: „Aber auch im Traume hängt alles Einzelne ebenfalls […] in allen seinen Gestalten zusammen […].“1048 Darüber hinaus erzeugt die Hieroglyphik des Traumes eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten, Assoziationen und Kombinationen und ermöglicht dadurch eine Transzendierung einer rationalen Semantik.1049 Ex negativo erhellt gerade die klassizistische Gegenposition des Hegelschülers Karl Rosenkranz in seiner Hauptschrift Ästhetik des Häßlichen (1853) den Sachverhalt:

„Es war der gefährliche Abweg der neueren Romantik, ihre Opposition gegen die Auf- klärung und Verständigkeit, ihre Ironie, wie sie es nannte, so weit zu treiben, daß die Verrücktheit, der Traum, die Narrheit als die eigentliche Wahrheit der Welt angesehen werden sollten; eine in sich selbst verrückte Auffassung, die nichts als häßliche Produkte zur Folge haben konnte“1050

Ob es um untergründige Seelenvorgänge, um die an Goethes „Labyrinth der Brust“1051 angelehnte Verrätselung des Busens1052 oder um Penthesileas Liebesrasen1053 geht – im-

1045 Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. A. a. O. S. 761. 1046 Harro Müller-Michaels: Insubordination als Autonomie: Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“. In Harro Müller-Michaels (Hg.): Deutsche Dramen. Interpretationen zu Werken der Aufklärung bis zur Gegenwart. Bd. 1. Von Lessing bis Grillparzer. 3. Aufl. Reihe: Studienbü- cher Literaturwissenschaft. Königstein/Taunus 1994. S. 134. 1047 Bettina von Arnim in Willi A. Koch (Hg.): Briefe deutscher Romantiker. A. a. O. S. 444. 1048 Arthur Schopenhauer: Werke in fünf Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 47. 1049 Erika und Ernst von Borries: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 5. Romantik. A. a. O. S. 34. 1050 Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Leipzig 1990. S. 249. 1051 Johann Wolfgang von Goethe schreibt in seinem Gedicht An den Mond (1777/78): „Was, von Menschen nicht gewußt / Oder nicht bedacht, / Durch das Labyrinth der Brust / Wandelt durch die Nacht.“ HA. Bd. 1. S. 130. 1052 In Kleists Drama Penthesilea spricht Prothoe: „Was in ihr walten mag, das weiß nur sie, / Und je- der Busen ist, der fühlt, ein Rätsel.“ Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke. A. a. O. S. 522. 1053 Ebd. S. 519.

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mer ist es das rationale Erkennen, das versagt, das die Protagonisten verstummen lässt und den Rezipienten ratlos macht. Diese Ästhetik unbewusster Regungen und Zustände findet ihren narrativen oder dramatischen Niederschlag in dem weltverlorenen Däm- mern, dem abgründigen Träumen, der lähmenden Melancholie oder in der rasenden Lie- beswut der Protagonisten. Nachdem sich diese Topoi poetologisch etabliert haben, wer- den sie auch zu konstituierenden Elementen innerhalb der romantischen Oper und des romantischen Musikdramas. Spätestens seit Spohrs Faust, Webers Freischütz und Obe- ron und noch weit über Marschners Vampyr, Wagners Holländer, Lohengrin oder Göt- terdämmerung hinaus avancieren Träume, Wachträume, Traumvisionen, Ahnungen und Hellsichtigkeiten zu alternativen Medien einer Weltwahrnehmung höherer Natur. Einer- seits verweisen sie direkt auf das Geisterreich untergründiger Bewusstseinsregionen, an- dererseits korrespondiert das irrationale Moment in Traum, Wahn und Vision mit der magischen, begriffslosen Qualität der Musik. Die noch von der romantischen Identitäts- philosophie Schellings intendierte Synthese von Natur und Geist erfährt in Wagners Meistersingern sowohl musikdramatische Darstellung als auch einen poetologischen Ausdruck. Richard Wagners alter ego Hans Sachs bleibt es vorbehalten, dieser Dich- tungstheorie Ausdruck zu verleihen:

„Mein Freund! Das grad‟ ist Dichters Werk, / daß er sein Träumen deut‟ und merk‟. / Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn / wird ihm im Traume aufgetan - / all Dicht- kunst und Poeterei / ist nichts als Wahrtraumdeuterei.“1054

In seinem Aufsatz Über Beethoven (1870) widmet sich Wagner dem Traum und seinem Vermögen, das eigentliche Wesen der Dinge zu offenbaren. Aufgrund der zerebralen Befähigung eines Traumorgans nimmt gerade der Musiker „zuerst das aller Erkenntnis verschlossene An-sich“1055 der Dinge in einer inneren Vision wahr. Diese erkenntnisthe- oretische Position einer den unterbewussten Regionen verhafteten Erkenntnismächtig- keit der Musik steht noch am Ende des Säkulums eindeutig im Schatten sowohl der transzendentalen Musiktheorie der Frühromantik als auch der musikalischen Metaphy- sik Schopenhauers. Nach dessen Verständnis ist Musik ein Abbild des allen Erschei- nungen zugrunde liegenden Willens. Dieser wird durch die und in der Musik selbst un- mittelbar zum Ausdruck gebracht. Ihre Wahrnehmung kann sich darum auch nicht auf eine Abfolge rational reflektierter Motive beschränken, sondern vollzieht sich „mit gänzlicher Ausschließung des Raumes, auch ohne Einfluß der Erkenntniß der Kausali- tät, also des Verstandes […].“1056 Damit wird die transrationale Potenz musikalischer Wahrnehmungen, wie sie bereits von Wackenroder, Tieck, Hoffmann, Jean Paul und anderen Romantikern entsprechend paraphrasiert wurde auch philosophisch grundiert.

1054 Ebd. S. 108. 1055 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 79. 1056 Arthur Schopenhauer: Werke in fünf Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 352.

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Romantische Musikästhetik

Die musikalische Romantik gründet auf einem Gattungs- und Formenkanon, der sich im 18. Jahrhundert ausbildete und der zugleich auch die Grundlage der musikalischen Klas- sik darstellt. „Keine der im hochklassischen Zeitalter gebräuchlichen Gattungen ist in der Romantik aufgegeben worden [...].“1057 Auch Carl Dahlhaus verwirft die strikte Trennung von klassischer und romantischer Musikästhetik:

„Die Übereinstimmungen, die zwischen Karl Philipp Moritz und Friedrich von Schiller einerseits, E. T. A. Hoffmann und Arthur Schopenhauer andererseits bestehen, sind fun- damental, die Differenzen dagegen, wenn nicht bedeutungslos, so doch sekundär. Man kann [...] von einer klassisch-romantischen Musikästhetik, und ebenso von einer klas- sisch-romantischen Musik, sprechen [...].“1058

Diese zeitlichen aber auch formgeschichtlichen Kongruenzen besagen jedoch nur, dass die musikalische Klassik als auch die daraus hervor gegangene musikalische Romantik auf dem selben Fundament stehen. Entscheidender als formspezifische Zuweisungen sind jedoch die literar-philosophischen Reflexionen, welche die Musik aus einem funk- tionalen Kontext heraus lösen und auf einen übergeordneten metaphysischen Bereich beziehen. So nennt E. T. A. Hoffmann die Instrumentalmusik ein geheimnisvolles „Reich des Ungeheuern, Unermeßlichen, das sich in donnernden Tönen erschließt“1059 und transzendentale Erfahrungen im Kontext des Unendlichen ermöglicht. Im Kapitel Beethovens Instrumentalmusik aus der Erzählsammlung Kreisleriana (III) schreibt Hoffmann:

„Jede Leidenschaft – Liebe – Haß – Zorn – Verzweiflung etc. –, wie die Oper sie uns gibt, kleidet die Musik in den Purpurschimmer der Romantik, und selbst das im Leben Empfundene führt uns hinaus aus dem Leben in das Reich des Unendlichen.“1060

Die transzendentale Ausrichtung der Musik auf einen metaphysischen Gegenbereich be- zeichnet wesentlich das Romantische dieser Musikästhetik.1061 In einem Brief an Fried- rich de la Motte-Fouqué schreibt Hoffmann über dieses Potential der Musik, „welche mit ihren wunderbaren Tönen und Akkorden dem Menschen recht eigends das geheim- nißvolle Geisterreich der Romantik aufschließt [...].“1062 Für die romantische Musikäs- thetik ist diese unmittelbare Referenz der Musik auf ein Jenseits der kognitiven Wahr-

1057 Friedrich Blume: Romantik. A. a. O. S. 347. 1058 Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988. S. 9. Siehe dazu auch: Carl Dahlhaus: Romantik und »Vorromantik«. In: Die Musik des 18. Jahrhunderts. Laaber 1985. S. 62ff. 1059 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 40. 1060 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 50. 1061 Klaus Dieter Dobat: Musik als romantische Illusion. A. a. O. 1062 E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Bd. 1. A. a. O. S. 347.

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nehmung geradezu konstitutiv und wird, wie das Beispiel Glucks und Mozarts zeigt, keineswegs nur der als romantisch tradierten Musik unterlegt. Im Zeichen einer romanti- schen Universaleinvernahme jeglicher Musik wird die Geistermetapher schon der frühen mittelalterlichen Musik Guido von Arezzos unterlegt.

„Merkwürdig ist es, daß bald nachher, als Guido von Arezzo tiefer in die Geheimnisse der Tonkunst eingedrungen, diese den Unverständigen ein Gegenstand mathematischer Spekulationen und so ihr eigentümliches, inneres Wesen [...] verkannt wurde. Die wun- derbaren Laute der Geistersprache waren erwacht und hallten hin über die Erde; schon war es gelungen, sie festzubannen, die Hieroglyphe des Tons in seiner melodischen und harmonischen Verkettung war gefunden (die Noten) [...].“1063

Im Kontext der romantischen Musikästhetik ist es vor allem die Instrumentalmusik, die das Wesen der Welt auszusprechen vermag, sowie dessen metasprachliche Kommuni- zierbarkeit ermöglichen soll: „Das Medium der wortlosen Instrumentalmusik hat nicht zuletzt den Vorzug, daß sich die Festlegung auf einengende Textaussagen erübrigt.“1064 Für Hoffmann bedeutet die Instrumentalmusik eine Symbolkunst romantischer Weltan- schauung schlechthin. Programmatisch schreibt er über die Metaphysik der Instrumen- talmusik: „Sie ist die romantischste aller Künste, beinahe möchte man sagen, allein echt romantisch, denn nur das Unendliche ist ihr Vorwurf. – Orpheus Lyra öffnete die Tore des Orkus.“1065 Zugleich spielt er auf jene Nachtseite der Romantik an, die sich als das Unbewusste und Irrationale objektiviert. Dem Begrenzten und Endlichen enthoben ver- weist Musik auf einen Bereich jenseits rationaler Erfahrung und Wahrnehmung. Unend- liche Sehnsucht ist der zentrale Gegenstand der Musik, aber keineswegs mehr eine de- chiffrierbare, an der Wortsprache orientierte Klangrede.

„Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts ge- mein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt und in der er alle bestimmten Gefüh- le zurückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben.“1066

Auch in der Anthologie Die Serapionsbrüder verweist Hoffmann auf den untergründi- gen jenseitigen Ursprung der Musik, die ihrem innersten Wesen nach einen metaphysi- schen Charakter hat und in ihrer Wirkung unmittelbar auf das Spektrum menschlicher Leidenschaften zielt. Dabei gebraucht er den, im Kontext seiner Musikanschauung sig- nifikanten Terminus Geisterreich1067, der für die romantische Musikästhetik richtungs- weisend wird.

1063 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 9. S. 223. Diesen Passus übernimmt Hoffmann beinahe wörtlich in das gleichfalls mit Alte und neue Kirchenmusik übertitelten Kapitel der Erzählsammlung Die Sera- pionsbrüder. GWE. Bd. 4. S. 497. 1064 Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. A. a. O. S. 15. 1065 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 49. 1066 Ebd. 1067 Näheres dazu bei: Gerhard R. Kaiser: E. T. A. Hoffmann. A. a. O. S. 128ff.

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„Ist nicht die Musik die geheimnisvolle Sprache eines fernen Geisterreiches, deren wun- derbare Akzente in unserem Inneren widerklingen und ein höheres, intensives Leben er- wecken. Alle Leidenschaften kämpfen, schimmernd und glanzvoll gerüstet, miteinander und gehen unter in einer unaussprechlichen Sehnsucht, die unsere Brust erfüllt. [...] Kann denn die Musik etwas anderes verkünden als die Wunder jenes Landes, von dem sie zu uns herübertönt?“1068

Entgegen der noch im 18. Jahrhundert üblichen ästhetischen Geringschätzung der Musik aufgrund ihrer begrifflichen Mangelhaftigkeit wird sie nach 1800 als Ahnung und Aus- druck des Absoluten über das rein rationale Denken und dessen begriffliche Verständi- gung erhoben. Sie wird zum Synonym dessen, dem sie zugleich Ausdruck verleiht; sie bedeutet die „in Tönen ausgesprochene Sanskrita der Natur!“1069 Diese erfährt bei Hoff- mann eine Präzisierung, in welcher der Aspekt einer inneren Natur anklingt, deren psy- chologische Dynamik, unmittelbar durch Musik affiziert, die „Ahndungen eines fernen Geisterreichs und unseres höheren Seins“1070 anschaulich macht. Musik wird zu einem Medium der Vermittlung zwischen dem psychologischen Prinzip einer inneren und dem Lebensprinzip einer äußeren Natur. Hoffmanns Metapher vom Geisterreich der Musik weist nicht nur über den Menschen hinaus, sondern zugleich auch in sein Inneres hinein.

„Unmöglich kannst du die Macht unseres psychischen Prinzips wegleugnen, unmöglich dein Ohr verschließen wollen den wunderbaren Anklängen, die in uns hinein-, aus uns heraustönen, der geheimnisvollen Sphärenmusik, die das große unwandelbare Lebens- prinzip der Natur selbst ist.“1071

Entsprechend äußert sich auch Wilhelm Heinrich Wackenroder in der Aufsatz- Sammlung Phantasien über die Kunst (1799), in der er den Topos einer wechselwirk- samen Verbindung von Musik und Gefühl in einen metaphysischen Kontext stellt:

„Sie greift beherzt in die geheimnisvolle Harfe, schlägt in der dunkeln Welt bestimmte, dunkle Wunderzeichen in bestimmter Folge an, – und die Saiten unsres Herzens erklin- gen, und wir verstehen ihren Klang. In dem Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen Winkeln des Gemüts träumenden Geistern, lebendes Bewußtsein, und berei- chern mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres.“1072

Auch hier wird der empirischen Erscheinungswelt ein transzendentaler Gegenbereich gegenüber gestellt. An anderer Stelle ergänzt Wackenroder diese Anschauung mit dem erkenntnistheoretischen Aspekt, dass die Musik über eine höhere, quasi göttliche Aus- sagekraft verfügt, die einer Darstellung von Emotionen und Affekten einzig adäquat ist.

1068 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 100. 1069 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 1. S. 60f. 1070 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 4. S. 419. 1071 Ebd. S. 318. 1072 Wilhelm Heinrich Wackenroder. Werke und Briefe. A. a. O. S. 327.

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„Die Musik aber halte ich für die wunderbarste dieser Erfindungen, weil sie menschliche Gefühle auf eine übermenschliche Art schildert, weil sie uns alle Bewegungen unsers Gemüths unkörperlich, in goldne Wolken luftiger Harmonien eingekleidet, über unserm Haupte zeigt, – weil sie eine Sprache redet, die wir im ordentlichen Leben nicht kennen, die wir gelernt haben, wir wissen nicht wo? und wie? und die man allein für die Sprache der Engel halten möchte.“1073

Auch hier wird Musik über ihre seelischen Bezüge hinaus zum Fluchtpunkt einer sakra- lisierten Ästhetik: „Deutlich wird, daß das musikalische Kunstwerk als metaphysisches Gesamterlebnis vorgestellt wird, das an alle Sinne appelliert und als Endpunkt der reli- gionsgeschichtlichen Entwicklung erscheint.“1074 Vor diesem Hintergrund stellt auch Ludwig Tieck die Musik in den sakralen Kontext einer Kunstreligion. In seinem Beitrag Symphonien (1799) für Wackenroders Phantasien über die Kunst schreibt er: „Denn die Tonkunst ist gewiß das letzte Geheimnis des Glaubens, die Mystik, die durchaus geof- fenbarte Religion.“1075 In dieser Linie steht auch Richard Wagners Definition von einer dem Kunstwerk der Zukunft entsprechenden Religion der Zukunft: „Das Kunstwerk ist die lebendig dargestellte Religion.“1076 So erreicht diese Konvergenz von Musik, Kunst und Religion ihren Höhepunkt in der Metamorphose eines zunächst sozial-utopisch ori- entierten Gesamtkunstwerks in das sakrale Mysterium des Bühnenweihfestspiels. Von großer Bedeutung für die religiöse Apotheose des Ästhetischen unter dem Primat der Musik ist neben der metaphysischen Referenz ein totalisierendes Ausdrucksvermögen, das die tönende Wortlosigkeit einer ahnungsvollen Sehnsucht zu überwinden sucht und nach einer lebendigen Darstellung auf der Bühne strebt. Deshalb bedeutet die Opern- bühne die zwingende Konsequenz für die zunächst instrumental orientierte romantische Musikästhetik.

Mediale Phantasie

Für die Frühromantiker ist die Phantasie das Medium, das im gestalterischen Prozess die Vernunft als Instanz ablöst und dem klassischen Kanon die Regellosigkeit der mensch- lichen Natur entgegensetzt. Die Vernunft trachtet nach Einheit, während die Phantasie „in grenzenloser Mannigfaltigkeit ihr Spiel“1077 treibt. Und Novalis stellt gar die Frage, ob nicht die Grundgesetze der Phantasie die umgekehrten Gesetze der Logik darstellen. Analog dazu postuliert Friedrich Schlegel die Aufhebung der Vernunft und die Inthroni- sation der Phantasie als oberste kreative Instanz.

1073 Ebd. S. 312. 1074 Matthias Brzoska: Die Idee des Gesamtkunstwerks in der Musiknovellistik der Julimonarchie. Rei- he: Thurnauer Schriften zum Musiktheater. Bd. 14. Laaber 1995. S. 142. 1075 Wilhelm Heinrich Wackenroder. Werke und Briefe. A. a. O. S. 351. 1076 Richard Wagner. GSD. Bd. 3. S. 63. 1077 August Wilhelm Schlegel: Vorlesungen. Bd. 1. Paderborn 1989. S. 527.

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„Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denken- den Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen [...].“1078

Phantasie vermittelt eine Erfahrung des Unendlichen jenseits vernünftiger Erkenntnis oder empirischer Erfahrungen. Aufgrund ihrer Bezugnahme auf einen metaphysischen Bereich nennt Novalis die Einbildungskraft auch eine „transscendente, /äußre/ Kraft“1079 und unterscheidet sie damit von der kausalen Rationalität. Betrachtet die Romantik das Unbewusste als ein Symbol des Unendlichen, zugleich aber auch als Ort einer Vereini- gung mannigfaltigster Elemente, so bedeutet Phantasie im Kontext jene produktive Kraft, welche die Mischung und Durchdringung sämtlicher Elemente des Weltganzen zu leisten vermag. Für Jean Paul ist die Phantasie darum auch das exponierte Medium der Synthese schlechthin:

„Aber etwas Höheres ist die Phantasie oder Bildungskraft, sie ist die Welt-Seele der See- le und der Elementargeist der übrigen Kräfte [...]. Die Phantasie macht alle Teile zu Gan- zen [...] und alle Weltteile zu Welten, sie totalisiert alles, auch das unendliche All [...]. Sie führt gleichsam das Absolute und das Unendliche der Vernunft näher und anschauli- cher vor den sterblichen Menschen. [...] die Phantasie drängt die Teile zu einem abge- schlossenen heiteren Ganzen zusammen.“1080

Der romantische Phantasiebegriff behauptet jene Autonomie, die sich der transzendental verankerten Logik der Vernunft entzieht und sich der idiosynkratischen Sprache des Unbewussten bedient. Für Novalis ist Phantasie nicht nur Ausdrucksform einer regello- sen Unendlichkeit des Unbewussten, sie entfaltet zugleich auch eine schöpferische Dy- namik:

„Gefühl und Einbildungskraft sind die Arten der persönlichen Naturkräfte [...]. Das Ge- fühl, der Verst[and] und d[ie] Vernunft sind gewisserweise passiv [...] hingegen ist die Einbildungskraft allein Kraft – allein das Thätige – das Bewegende.“1081

Für Schelling stellt die Einbildungskraft das amalgamierende Medium einer allumfas- senden Synthese dar. Phantasie ist „die Kraft der Ineinsbildung, auf welcher in der Tat alle Schöpfung beruht.“1082 Durch sie wird die unendliche Produktivität der Natur in ein endliches (ästhetisches) Produkt integriert. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht darin, sinnliche Erkenntnis zu gewährleisten, sondern beruht in einer kreativen Gestaltungs- kraft, deren Projektionsfläche das unendliche Wirkungsfeld des Ästhetischen darstellt. Dabei soll der rauschhaft-göttliche Ausnahmezustand des Wahnsinns qua Kunst sowohl

1078 Friedrich Schlegel. KFSA. Abt. 1. Bd. 2. S. 319. 1079 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 224. 1080 Jean Paul. SW. Abt. I. Bd. 5. § 9. S. 47ff. 1081 Novalis. SCH. Bd. 2. S. 166f. 1082 F. W. J. Schelling: Philosophie der Kunst. A. a. O. S. 30 [386].

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innersubjektiv als auch werkästhetisch konstituiert werden.1083 Für Jean Paul besitzt die Phantasie ein zeitenthebendes Vermögen: „So zieht das Fernrohr der Phantasie einen bunten Diffusionsraum um die glücklichen Inseln der Vergangenheit, um das geliebte Land der Zukunft.“1084 Mythische Vergangenheitsseligkeit und die Utopie einer romanti- schen Entgrenzung erlangen im Fokus der Imagination eine gemeinsame Identität.

Kommunikationsbrüche und Vermittlungsdifferenzen

Im Kontext einer Aufwertung der romantischen Innenwelten, des Unbewussten und der Phantasie steht eine Inflationierung tradierter Kommunikationsformen: „Die öffentliche Diskussion ist das Medium der Aufklärung, die sich vernünftige Gesetze gibt [...]. Diese aufgeklärte Welt verdunkelt sich schon im 19. Jahrhundert [...].“1085 Zur einheitlichen Erfahrungskonstruktion der Aufklärung bildet die fragmentierte Weltwahrnehmung nach 1800 einen markanten Kontrast. Achim von Arnim berichtet in Erzählungen von Schauspielen (1803): „die lebende Welt neben mir zerfällt in einzelne Gruppen und Bil- der, die ich mit dem selben Gefühle, wie Gemälde betrachte [...]“1086 Aber auch die lite- rarische Fixierung der Wirklichkeit kollidiert mit ihren technischen Möglichkeiten: „Ich kann nicht schreiben, die Buchstaben jagen mir wie auf Pferden, wie ein flüchtiges Kriegsheer vorüber.“1087 Mit der literarischen Frühromantik wird Kommunikation als unzulänglich problematisiert. Kants Auflösung eines objektiv-verbindlichen Wahrheits- begriffs bewirkt bei Heinrich von Kleist eine fundamentale Erschütterung. Da die Wahrnehmung der empirischen Erscheinungswelt unmittelbar an den menschlichen Wahrnehmungsapparat geknüpft ist und dieser sich bei gründlicher Reflexion als äu- ßerst beschränkt erweist, ist Wahrheit als solche nicht mehr erkennbar.

„Vor kurzem ward ich mit der neueren Kantischen Philosophie bekannt [...]. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so erscheint. [...] Seit diese Überzeugung, nämlich, daß hienieden keine Wahrheit zu finden ist, vor meine Seele trat, habe ich nicht wieder ein Buch angerührt.“1088

Mit dem Verlust von Wahrheit bzw. deren Erkennbarkeit, sowie dem daraus resultie- renden wachsenden Unbehagen gegenüber dem geschriebenen Wort, deutet sich schon bei Kleist das Ende der sogenannten Gutenberg Galaxis an:

1083 Wolfgang Lange: Der kalkulierte Wahnsinn. Innenansichten ästhetischer Moderne. Frankfurt/Main 1992. S. 116ff. 1084 Jean Paul: SW. Abt. I. Bd. 4. S. 197. 1085 Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. München 1993. S. 13. 1086 Achim von Arnim. Werke in sechs Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 150. 1087 Ebd. S. 151 1088 Heinrich von Kleist: Werke und Briefe. Bd. 4. A. a. O. S. 200.

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„Der Gedanke, daß wir hienieden von der Wahrheit nichts, gar nichts wissen, [...] dieser Gedanke hat mich in dem Heiligtum meiner Seele erschüttert [...]. Seitdem ekelt mich vor Büchern, [...] mich ekelt vor allem, was Wissen heißt.“1089

Kritik an sprachlichen Vermittlungsformen findet man bereits bei Shakespeare: In Der Sturm (1611) äußert das durch Sprache gebändigte Naturwesen Caliban sein Unbehagen über dieselbe: „Ihr lehrtet Sprache mich, und mein Gewinn / Ist, daß ich weiß zu flu- chen. Hol‟ die Pest euch / Fürs Lehren eurer Sprache!“1090 Dennoch bedeuten die vielfäl- tigen Ansätze einer kritischen Betrachtung logozentrischer Weltvermittlung und - deutung, wie sie um und nach 1800 formuliert werden, einen neuen sprachkritischen Standard. Im Ablösungsprozess von der rein wortsprachlichen Verständigung deutet sich eine neue Medialität der kommunikativen Formen an. Paradigmatisch für diese Bruchstellen steht das Verständigungsdilemma in Goethes Roman Die Wahlverwandt- schaften (1809). Aber auch in seiner autobiographischen Schrift Dichtung und Wahrheit (1833) kommt diese Sprachvermittlungsskepsis noch einmal dezidiert zum Ausdruck.

„Denn daß niemand den andern versteht, daß keiner bei denselben Worten dasselbe was der andere denkt, daß ein Gespräch, eine Lektüre bei verschiedenen Personen verschie- dene Gedankenfolgen aufregt, hatte ich schon allzu deutlich eingesehn [...].“1091

Historisch und inhaltlich parallel zu diesen Positionen verläuft die Argumentationslinie der romantischen Poesie, welche die Diskussion über die wortsprachliche Vermittelbar- keit der Welt auch werkimmanent führt. In den Nachtwachen Bonaventuras wird das Szenario eines an sich selbst scheiternden Ausdrucksbegehrens auf fast groteske Weise vorgeführt.

„Ich erinnerte mich an ähnliche überpoetische Stunden, wo das Innere Sturm ist, der Mund im Donner reden und die Hand statt der Feder den Blitz ergreifen möchte, um da- mit in feurigen Worten zu schreiben. Da fliegt der Geist von Pole zu Pole, [...] und wenn er zuletzt zur Sprache kommt – so ist es kindisch Wort, und die Hand zerreißt rasch das Papier.“1092

Gerade in der Problematisierung von Wort- und Schriftsprache wird das Ringen der Epoche um eine neue, die wortsprachlichen Barrieren überwindende Medialität deutlich. Ein Modus, defizitäre Sprachkonventionen zu überwinden, ist deren Kompensation durch die Musik, was Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Brief zum Ausdruck bringt:

1089 Ebd. S. 202f. 1090 William Shakespeare. Werke in zwei Bänden. Bd. 1. A. a. O. S. 1165. 1091 Johann Wolfgang von Goethe. HA. Bd. 10. S. 78. 1092 Bonaventura: Nachtwachen. Peter Küpper (Hg.). Gerlingen 1993. S. 13.

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„Die Leute beklagen sich gewöhnlich, die Musik sei so vieldeutig; es sei so zweifelhaft was sie sich dabei zu denken hätten, und die Worte verstände doch ein Jeder. Mir geht es aber gerade umgekehrt. Und nicht blos mit ganzen Reden, auch mit einzelnen Worten, auch die scheinen mir so vieldeutig, so unbestimmt, so mißverständlich im Vergleich zu einer rechten Musik, die Einem die Seele füllt mit tausend besseren Dingen, als Worten.“1093

Dieser Aufwertung der Musik gegenüber der Wortsprache korrespondiert der frühro- mantische Rückbezug auf jenen musikalischen Urgrund, dem sich die Sprache wieder annähern soll: „Sie muß wieder Gesang werden.“1094 Vor dieser Problematisierung wort- sprachlicher Vermittlung nimmt sich Nietzsches Kritik an dem sprachlich-begrifflichen Erfassen der Erscheinungswelt in der Schrift Richard Wagner in Bayreuth (1876) fast anachronistisch aus. Was in dieser Analyse offensichtlich wird, ist weniger die romanti- sche Klage einer Nichtsagbarkeit der Welt, sondern vielmehr das Versagen der Sprache angesichts einer sich stetig ausdifferenzierenden und verkomplizierenden Welt.

„überall ist hier die Sprache erkrankt, [...] so dass sie nun gerade Das nicht mehr zu leis- ten vermag, wessentwegen sie allein da ist: um über die einfachsten Lebensnöte die Lei- denden miteinander zu verständigen. Der Mensch kann sich in seiner Noth vermöge der Sprache nicht mehr zu erkennen geben, also sich nicht wahrhaft mittheilen: bei diesem dunkel gefühlten Zustande ist die Sprache überall eine Gewalt für sich geworden, welche nun wie mit Gespensterarmen die Menschen fasst und schiebt, wohin sie eigentlich nicht wollen; sobald sie miteinander sich zu verständigen und zu einem Werke zu vereinigen suchen, erfasst sie der Wahnsinn der allgemeinen Begriffe [...].“1095

Diese von Nietzsche diagnostizierte grundsätzliche Problematik der Kommunikation knüpft an die Verständigungsproblematik der Goethezeit und an den Wandel der ästhe- tischen Sprachumdeutung der Frühromantik an. Diese Entwicklung führt zu einer Eli- minierung der Grenzen der Einzelgattungen und zum ästhetischen Diskurs über die Möglichkeit eines synthetischen Kunstwerks. Vor diesem Hintergrund ergibt sich nicht nur ein Kanon neuer Vermittlungsformen sondern auch die Notwendigkeit neuer Kom- munikationsverhältnisse. Unter dem Primat der Poesie entsteht bereits bei Hölderlin eine Ästhetisierung des Daseins, die im Zeichen der Mythologie „die sinnlich-bildhafte Seite des Erkennens aufzuwerten“1096 trachtet und in der poetischen Verschmelzung von Ideen, Begriffen, Charakteren, Begebenheiten ihr synthetisches Potential entfaltet. Das Subjekt wird zum Projektionsmedium, dessen Wahrnehmung auf der Verbindung des apollinischen und dionysischen Prinzips beruht.

1093 Felix Mendelssohn Bartholdy. Briefe. Zwei Bände. Julius Schoeps (Hg.). Bd. 2. Potsdam 1997. S. 337. 1094 Novalis. SCH. Bd. 3. S. 284. 1095 Friedrich Nietzsche. KSA. Bd. 1. S. 455. 1096 Henning Bothe: Hölderlin zur Einführung. A. a. O. S. 75.

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„Schon Nietzsche hat den wahren ästhetischen Menschen durch das Vermögen charakterisiert, mit seinen Bildern völlig zu verschmelzen. Aus Subjekten werden Medien, die sich [...] selbst als Bilder und künstlerische Projektionen des Gesamtkunstwerks Welt wissen. Das Götter- bündnis Apollo / Dionysos steht für den Synergismus von Traum und Rausch, den Medienver- bund von Bildern und Tönen ein.“1097

Auf der romantischen Theaterbühne sind es vor allem Tiecks Märchenspiel Der gestie- felte Kater (1797) und sein Schauspiel Die verkehrte Welt (1799), in denen stilistische Grenzen entbunden werden und sich eine neue Weltsicht spiegelt. Die tradierte Wahr- nehmung der Wirklichkeit wird durch den veränderten Blickwinkel nachhaltig erschüt- tert und als beliebiges Konstrukt entlarvt. Die Diskontinuität des uneinheitlichen Hand- lungsverlaufs sowie die Gebrochenheit der Protagonisten unterstreichen diesen Aspekt. „Das virtuose Spiel mit der Irritation an der Wirklichkeit der Figuren, eine Dramaturgie der Spiegelungen und Täuschungen“1098 verstärken diese Medialität einer verkehrten Welt.

Medialer Wandel nach 1800

Die Romantik ist eine Epoche der ästhetischen Aneignung und Instrumentalisierung von unorthodoxen Medien und Technologien. Schränkt der normative Imperativ der klassi- schen Stilhöhe das Spektrum ästhetischer Adaptation stark ein, so sind der Romantik vielfältige Assimilationen im Kontext einer entgrenzten Werk- und Gattungspoetik we- sentlich immanent. Hinzu kommt ein Wandel in der Beurteilung der medialen Wahr- nehmung, wie sie Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes (1807) zum Ausdruck bringt. Denn es „so fällt sogleich auf, daß die Anwendung eines Werkzeugs auf eine Sa- che sie vielmehr nicht läßt, wie sie für sich ist, sondern eine Formierung und Verände- rung mit ihr vornimmt.“1099 Vor diesem Hintergrund müssen Erkenntnismedium und Er- kenntnisgegenstand eng miteinander verbunden gedacht werden. Dementsprechend sind die Gläser, Brillen und vor allem das Perspektiv in Hoffmanns Erzählung Der Sand- mann (1816) keineswegs nur Hilfsmittel, um eine vorgegebene Wirklichkeit dem Auge vergrößert darzustellen. Betrachter und Wirklichkeit beginnen sich durch die Verwen- dung von Sehmedien zu verwandeln, das Objekt der Betrachtung scheint im Auge Nathanaels seine ursprüngliche Erscheinungsweise zu verändern.

„Er ergriff ein kleines [...] Taschenperspektiv und sah, um es zu prüfen, durch das Fens- ter. [...] Doch wie er immer schärfer und schärfer durch das Glas hinschaute, war es, als

1097 Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. A. a. O. S. 163. 1098 Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Bd. 3. A. a. O. S. 82. 1099 G. W. F. Hegel. TWA. Bd. 3. S. 68.

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gingen in Olimpias Augen feuchte Mondstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke.“1100

Hoffmanns Erzählung kann als eine Parabel auf das Sehen im anbrechenden technischen Zeitalter betrachtet werden.1101 Medialität und Virtualität beginnen einander zu bedingen und das romantische Subjekt wechselseitig zu anzuregen. Nathanael scheitert einerseits an der Verfeinerung seiner Wahrnehmung, andererseits aber auch daran, dass er eine undifferenzierte Haltung zum Medium einnimmt.1102 Denn gerade darin besteht die Crux dieser spezifischen Medialität, dass Hoffmanns Protagonist Nathanael in Der Sandmann gerade „durch die Illusion des genauen Blicks der Täuschung anheimfällt.“1103 Hoff- mann diagnostiziert hier einen medialen Tatbestand der anbrechenden technischen Mo- derne am Beispiel einer wahnhaften Verschmelzung von Subjekt und Objekt durch eine technologische Perspektivität. Ironisch gebrochen leistet sie der subjektiven Perspektivi- tät des Protagonisten enormen Vorschub. Eine entsprechende Dialektik von technologi- scher Medialität und der visuellen Eröffnung eines Zauberreiches erzeugen in Hoff- manns Erzählung Prinzessin Brambilla auch die verschiedenen Brillen.

„Voll Begier ergriff Giglio die schöne glänzende übergroße Brille, die ihm Celionati dar- bot und schaute nach dem Palast. Wunderbar genug schienen die Mauern des Palastes durchsichtiges Krystall zu werden; aber nichts, als ein buntes undeutliches Gewirre von allerlei seltsamen Gestalten stellte sich ihm dar und nur zuweilen zuckte ein elektrischer Strahl durch sein Innres, das holde Traumbild verkündend, das sich vergebens dem tollen Chaos entringen zu wollen schien.“1104

Im Gegensatz zur reflektierten Welt des Verstandes und der Vernunft, die hier durchweg pejorativ als „düstre Werkstatt der Gedanken“1105 oder als ein „Irrsal der Gedanken“1106 dargestellt wird, bedeutet die Instrumentalisierung dieser Gedankenwelt und ihrer tech- nischen Betrachtungsmedien mehr als nur eine fiktionale Unvereinbarkeit. Schließlich geht es in der Erzählung Der Sandmann um mehr als nur eine „Aetiologie des Wahn- sinns“.1107 Ein technisches Medium der Wissenschaft und des Fortschritts wird hier zu einem Katalysator des Irrationalen. In Tiecks Märchenspiel Der gestiefelte Kater dient

1100 E. T. A. Hoffmann. GWE. Bd. 3. S. 34. 1101 Siehe dazu auch Peter von Matt: Die Augen der Automaten. E. T. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzählkunst. Reihe: Richard Brinkmann, Friedrich Sengle, Klaus Ziegler (Hg.): Studien zur deutschen Literatur. Bd. 24. Tübingen 1971. S. 76-86. 1102 Siehe auch Wulf Segebrecht: Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk E. T. A. Hoffmanns. Stuttgart 1967. S. 161f. 1103 Michael Rohrwasser: Optik und Politik. In Heinz Ludwig Arnold (Hg.): E. T. A. Hoffmann. A. a. O. S. 38. 1104 E. T. A. Hoffmann. Sämtliche Werke. Bd. 3. A. a. O. S. 786f. 1105 Ebd. S. 792. 1106 Ebd. S. 793. 1107 Friedrich A. Kittler: ‚Das Phantom unseres Ichs’ und die Literaturpsychologie: E. T. A. Hoffmann – Freud – Lacan. In Friedrich A. Kittler, Horst Turk (Hg.): Literaturwissenschaft als Diskursanaly- se und Diskurskritik. Frankfurt/Main 1977. S. 142.

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ein Mikroskop dazu, die allgemeine Wahrnehmung der Realität zu konterkarieren. Wäh- rend das Medium einen Mikrokosmos erkennbar, Feinstrukturen unterscheidbar macht, vermögen die Beteiligten es noch nicht einmal, den Kater als einen solchen zu erkennen und somit das sprechende Tier von den Menschen zu unterscheiden. Auch in Der gestie- felte Kater weist das visuelle Medium weit über seine immanent-technische Bedeutung hinaus, denn seine Virtualität besteht gerade darin, den vielfachen Verblendungszu- sammenhang der Realität auf einer höheren Reflexionsebene zu objektivieren.1108 Das Medium dient also nicht allein der Vermittlung eines Kunstwerkes; es kommt ihm im Spannungsverhältnis von Werk und Rezipienten eine romantische Qualität zu, die auf den zu vermittelnden Gegenstand der Kunst einen unmittelbaren Einfluss ausübt. In sei- nem Roman Godwi (1801/02) erläutert Clemens Brentano diese romantische Poetik des Mediums, die den Wert dessen, was es zu vermitteln trachtet bereits in sich selbst trägt:

„Alles, was zwischen unserm Auge und einem entfernten zu Sehenden als Mittler steht, uns den entfernten Gegenstand nähert, ihm aber zugleich etwas von dem Seinigen mit- giebt, ist romantisch. [...] Das Romantische ist also ein Perspectiv oder vielmehr die Far- be des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes durch die Form des Glases.“1109

Technische Mittel und Apparaturen wurden seit den Anfängen des Theaters verwendet. Schon das griechische Theater der Antike benutzte mechanische Geräte zur visuellen Unterstützung vor allem numinoser Handlungsbezüge. Diesen Medien oblag keineswegs eine illusionistische Täuschung des Zuschauers, „denn mit keiner der Maschinen sind wirkliche Bilder oder Vorgänge vorgetäuscht worden; was sie zeigten, war als manipu- liert erkennbar, es war Theater.“1110 Auf der Welttheaterbühne des Barock diente die Maschine einer opulenten Überwältigungsdramaturgie, die in der Barockoper ihren ers- ten ultimativen Höhepunkt fand: „Der Anspruch auf die totale Wiedergabe der sinnli- chen Welt führte zum Triumph der Maschinerie, der Kulissen, der Feuer- und Wasseref- fekte […].“1111 Allein der mit diesen Formen verbundene maschinelle Zauber auf der Theater- und der Opernbühne war keiner Utopie verpflichtet, sondern eng an referentiel- le Funktionen gebunden.

„Was Maschinenposse und Zaubersingspiel, Feenstück und Handlung an exotischen Stät- ten bisher schon der naiven Schaulust geboten hatten, wurde nun in die höhere Sphäre der zum Gesamtkunstwerk strebenden romantischen Oper erhoben.“1112

Nicht allein durch die poetologischen Programme der Frühromantik wird ein Musik-

1108 Ludwig Tieck. Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6. A. a. O. S. 528f. 1109 Clemens Brentano: Werke. Bd. 2. A. a. O. S. 258f. 1110 Siegfried Melchinger: Das Theater der Tragödie. A. a. O. S. 191. 1111 Gérard Schneilin: Barocktheater. In Manfred Brauneck, Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. A. a. O. S. 129. 1112 Siegfried Goslich: Die deutsche Romantische Oper. Tutzing 1975. S. 132.

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drama als Gesamtkunstwerk auf den Weg gebracht, sondern auch durch das Hinzu- kommen einer technologischen Adaptation, die nur auf den ersten Blick antiromantisch erscheint. Mit dem industriellen Aufbruch nach 1800 ergibt sich eine Vielzahl neuer Techniken, die durch eine Verschränkung mit der Körperlichkeit des Menschen auch dessen Wahrnehmungsapparat beeinflusst.1113 Optisch augenscheinlich wird dieser mate- rielle Aspekt des Gesamtkunstwerks am Beispiel von Wagners Bayreuther Festspiel- haus, das den ultimativen Höhepunkt einer romantischen Medialität bezeichnet.

„Wagner entwickelt wiederum – in dezidiert wirkungsästhetischer Absicht – technische Lösungen für die materielle Umsetzung eines Theaters der Andacht und der Weihe. Im Mittelpunkt steht ein besonderes Wahrnehmungsdispositiv, nämlich das Bayreuther Fest- spielhaus selbst.“1114

Durch die Interpolation eines Raumes zwischen dem Proszenium und der ersten Sitzrei- he, sollen Realität und Idealität wirkungsmächtig voneinander differenziert werden; das Bühnenereignis wird zu einer von der Architektur vermittelten Traumerscheinung, „während die aus dem »mythischen Abgrund« geisterhaft erklingende Musik“1115 den Rezipienten in einen ahnungsvoll hellsichtigen Enthusiasmus versetzt. Das Medium als eine ehemals traditionelle Schnittstelle zum Jenseits wird zu einem technischen Arte- fakt. „Das metaphysische Konzept gerinnt zur Medienmaschine, der musikalisch garan- tierte Durchbruch zum Wesen wird technisch implementiert: Einheit von Ambition und Apparatur.“1116 Diese technisch generierte ekstatische Wahrnehmung deutet auf die Überwältigungsmedien des 20. Jahrhunderts voraus; zugleich bewirkt sie die mediale Möglichkeit einer numinosen Erfahrung. Neben dieser uralten Sehnsucht nach einer magischen Teilhabe an einem hinter dem Verblendungszusammenhang der Erscheinungswelt liegenden Gegenbereich macht die Integration technologisch-materieller Elemente auch die urromantische Synthese von Kunst und Leben augenscheinlich. Dadurch, dass alle Bereiche von Natur und Kultur, von Geist, Wissenschaft und Technik dem Kunstwerk dienstbar gemacht werden, ent- steht aus einer neuen technischen Virtualität die Utopie einer multimedial unbeschränk- ten, scheinbar grenzenlosen Wahrnehmung. Diese Wirkungspotenzierung nutzen vor al- lem die Praktiker des romantischen und spätromantischen Musikdramas. Das syntheti- sche Theaterkunstwerk der Romantischen Oper ist das unmittelbare Ergebnis all dieser Tendenzen und Bestrebungen. Von der spätromantischen Vollendung und Überbietung früh- und hochromantischer Gesamtkunstkonzepte durch Richard Wagner führt der Weg direkt zu den ästhetischen sowie medialen Avantgarden des 20. Jahrhunderts.

1113 Angela Spahr: Magische Kanäle. Marshall McLuhan. In Daniela Klook, Angela Spahr: Medien- theorien. Eine Einführung. 2. Aufl. München 2000. S. 53. 1114 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 95. 1115 Richard Wagner. GSD. Bd. 9. S. 338. 1116 Guido Hiß: Synthetische Visionen. A. a. O. S. 96.

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Ausblick

Die vorliegende Arbeit verdankt sich einer mehrere Jahre währenden Auseinanderset- zung um die Grundlagen und Bedingungen einer synthetische Ästhetik, die eher unzu- reichend unter der Bezeichnung Gesamtkunstwerk firmiert. Mit meiner These eines syn- thetischen Vorlaufs synthetischer Entwürfe und Dispositive habe ich versucht, eine his- torische Perspektive zu eröffnen, die eine Genealogie von der Renaissance bis hin zur Romantik erkennbar machen soll. An die Nahtstelle der romantischen Übergangszeit setzt die Schrift Synthetische Visionen (2005) von Guido Hiß an. Diese Arbeit markiert nicht nur einen paradigmatischen Standard in der Wissenschaftsgeschichte des syntheti- scher Entwürfe, sie formuliert auch einen theaterwissenschaftlichen Fluchtpunkt, der diese bemerkenswerte Thematik bis hin zur Gegenwart einer kritischen Reflexion un- terwirft. Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, zentrale Themen und Motive innerhalb des Denkens in ganzheitlichen Kategorien in jenen historischen sowie ideengeschichtlichen Kontext zu stellen, der die romantische Synthese-Theorie präfiguriert bzw. diese inspi- riert hat. Dabei wird einer fortschreitenden Zergliederung der Welt seit der Renaissance mit einer Synchronisierung der Einzelkünste begegnet, die eine eingebüßte Einheit mit der Natur im Kunstwerk zunächst als absolutistische Repräsentation, dann als romanti- sches Sehnsuchtsmotiv, schließlich als soziale Utopie reproduziert. Flankiert wird die These einer Verfallsgeschichte der Oper sowie deren Regenera- tion im romantischen Musikdrama durch entsprechende Überlegungen Richard Wag- ners, die dieser in seinen Züricher Kunstschriften erörtert. Auch wenn Wagner hier dis- soziative Tendenzen in der Kunst gesamtgesellschaftlich deutet, bleiben seine Studien vornehmlich auf das Musiktheater fokussiert, dessen Geschichte er sehr selektiv und da- rum tendentiell auswertet. Das methodische Verfahren einer Gesamtschau synthetischer Phänomene und Elaborate mag mit dem postmodernen Verdikt gegen ein Denken in umfassenden Zu- sammenhängen kollidieren; eine generalisierende Betrachtung mag vielfach störende Details zugunsten einer einheitlichen Hauptlinie verabschieden, dennoch werden auch Abweichungen und Widersprüche aufgegriffen, auch wenn sie sich herkömmlichen Ka- tegorisierungen verweigern. Der in dieser Arbeit unternommene Versuch einer Genealogie des Gesamtkunst- werks sollte ursprünglich mit einer umfassenden Abhandlung des Gesamtkunstwerks der Romantischen Oper schließen. Ein entsprechendes Kapitel war unter der Prämisse verfasst worden, dass mit der romantischen Synthesetheorie der Beginn einer Geschich- te des Gesamtkunstwerks anzusetzen ist. Diese These ließ sich im Laufe einer langen Beschäftigung mit dem Thema immer weniger aufrecht erhalten und mußte schließlich verabschiedet werden. Vor diesem Hintergrund hatten sich Schwerpunkte der Arbeit

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notwendig vom romantischen Paradigma hin zu einer Vorgeschichte synthetischer Ent- würfe und Utopien verschoben. Die ursprüngliche Konzeption einer Geburt des Ge- samtkunstwerks aus dem Geist der Romantik trifft für eine erste schlüssige Theorie ei- ner integralen Ästhetik zu. Das Denken in ganzheitlichen Kategorien jedoch reicht weit hinter die Romantik und ihre unmittelbaren Voraussetzungen und Bedingungen zurück. Wie bereits zu Beginn der Arbeit erwähnt, sollte ein umfassender Exkurs auf das musikdramatische Gesamtkunstwerk der Romantischen Oper den entwicklungsge- schichtlichen Höhepunkt und Abschluss dieser Arbeit bilden. Dabei wäre die Romanti- sche Oper und das Romantische Musikdrama als ein europäisches Gesamtphänomen behandelt worden, das entscheidend auf der Grundlage gegenseitiger Inspirationen und Adaptationen aufblühte. Jedoch machte die überbordende Fülle des zu bearbeitenden Materials eine Zäsur notwendig. Die hier vorliegende Arbeit kann in dieser Form und an dieser Stelle als abgeschlossen betrachtet werden, die ausgesparte Erörterung syntheti- scher Tendenzen im romantischen Musikdrama wird als eine Fortsetzung dieser Schrift zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt werden.

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Literatur

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Zeitschriften – Jahrbücher – Periodika

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Lexika – Kompendien – Chroniken – Gesamtdarstellungen

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Gero Von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 2001. Bernd Witte (Hg.): Goethe Handbuch in vier Bänden. Stuttgart/Weimar 1998. Erika Wischer (Red.): Propyläen Geschichte der Literatur. Literatur und Gesellschaft der westlichen Welt. Sechs Bände. Frankfurt/Main und Berlin 1988. Karl H. Wörner: Geschichte der Musik. Ein Studien- und Nachschlagebuch. 8. Aufl. Lenz Meierott (Hg.). Göttingen 1993. Victor Zmegac (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. II/1. 1848-1918. Reihe: Athenäum. Königstein/Taunus 1980.

Ausgewählte Sekundärliteratur

Musik – Musiktheater – Musikgeschichte – Musikästhetik

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zur öffentlichen Wissenschaft. Bd. 9. Berlin, Hamburg 1992. Udo Bermbach (Hg.): Oper in 20. Jahrhundert. Entwicklungstendenzen und Komponis- ten. Stuttgart, Weimar 2000. Udo Bermbach: Wo Macht ganz auf Verbrechen ruht. Politik und Gesellschaft in der Oper. Hamburg 1997. Heinrich Besseler: Bourdon und Fauxbourdon. Studien zum Ursprung der niederländi- schen Musik. Leipzig 1950. Lorenzo Bianconi, Giorgio Pestelli (Hg.): Geschichte der italienischen Oper. Sechs Bände. Laaber 1992. Oscar Bie: Die Oper. München 1988. Richard Bletschacher: Apollons Vermächtnis. Vier Jahrhunderte Oper. Wien 1994. Friedrich Blume (Hg.): Epochen der Musikgeschichte in Einzeldarstellungen. Edition MGG. München und Kassel 1974. Wolfgang Boetticher: Einführung in die musikalische Romantik. Taschenbücher zur Musikwissenschaft 89. Richard Schaal (Hg.). Wilhelmshaven 1983. Volkmar Braunbehrens: Salieri. Ein Musiker im Schatten Mozarts. München 1989. Marcel Brion: Robert Schumann und die Welt der Romantik. Erlenbach-Zürich, 1955. Heinz Alfred Brockhaus: Europäische Musikgeschichte. Bd. 2. Europäische Musikkul- turen vom Barock bis zur Klassik. Berlin 1986. Heinz Alfred Brockhaus: Europäische Musikgeschichte. Bd. 3. Europäische Musikkul- turen von der Romantik bis zum Impressionismus. Berlin 1986. Herbert Bruhn, Rolf Oerter, Helmut Rösing (Hg.): Musikpsychologie. Ein Handbuch. Reihe: rowohlts enzyklopädie. Burkhard König (Hg.). Reinbek bei Hamburg 1997. Matthias Brzoska: Die Idee des Gesamtkunstwerks in der Musiknovellistik der Julimo- narchie. Reihe: Thurnauer Schriften zum Musiktheater. Bd. 14. Laaber 1995. Matthias Brzoska, Michael Heinemann (Hg.): Die Geschichte der Musik. Zwei Bände. Laaber 2001. Claus Canisius: Goethe und die Musik. München 1998. Barry Cooper (Hg.): Das Beethoven-Kompendium. Sein Leben - seine Musik. München 1992. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.): Claudio Monteverdi. Orfeo. Christoph Willi- bald Gluck. Orfeo ed Euridice. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei Hamburg 1988. Attila Csampai, Dietmar Holland (Hg.): Richard Wagner. Die Meistersinger von Nürn- berg. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek bei Hamburg 1981. Peter Csobádi, Gernot Gruber u.a. (Hg.): Fidelio/Leonore. Annäherungen an ein zentra- les Werk des Musiktheaters. Vorträge und Materialien des Salzburger Symposions 1996. Reihe: Salzburger akademische Beiträge. Salzburg 1998.

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Bildende Kunst – Kunstgeschichte – Architektur

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Lebenslauf

1961 Geburt in Kirrlach (Baden-Württemberg 1978–1982 Berufsausbildung zum Industriemechaniker bei der Firma SEW- EURODRIVE in Graben-Neudorf 1988 Abitur am Karl Friedrich Gymnasium in Mannheim Redaktionstätigkeit im PRO PRESS & TRANSMEDIA MEDIEN- VERLAG in Mannheim 1989 Beginn des Studiums der Geschichte, Philosophie, Publizistik, The- aterwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität Berlin 1990 Redaktionelle Mitarbeit bei der Tanztheaterzeitschrift TANZ AKTUELL 1992 Konzeption eines Rundfunk-Features über das Musiktheater Giu- seppe Verdis 1997 Magisterarbeit über das Thema Richard Wagners Gesamtkunstwerk und die deutsche Frühromantik bei Prof. Dr. Guido Hiß Magisterabschluß im Fach Germanistik bei Prof. Dr. Anke Benn- holdt-Thomsen Vortrag an der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM am Institut für Theaterwissenschaft über Die Ästhetik der deutschen Frühromantik 1998-2009 Lehrtätigkeit am Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum 2005 Vortrag am Theater Oberhausen über Richard Wagners Parsifal 2009 Abschluss der Dissertation Die Genealogie der synthetischen Werk- idee. Disputation am 15. 07. 2009

Publikationen

2001 Von der Tradition zur Innovation: John Dews Tristan und Isolde und Francesco Espositos Il trovatore in Dortmund. Ein Vergleich. In: THEATER ÜBER TAGE Buffo-Spaß mit tieferer Bedeutung: Gaetano Donizettis Don Pasquale am Essener Aalto-Theater mit Querverweisen auf Don Pasquale an der Deutschen Oper am Rhein. In: THEATER ÜBER TAGE

2005 Rezension von „Guido Hiß: Synthetische Visionen“. In: FORUM MODERNES THEATER 2006 Massenpsychologische Götterdämmerung. In: Literaturkritik.de

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2008 „Ich höre Wasser“. Anselm Weber inszeniert die Arabische Nacht von Christian Jost im Grillo-Theater. In: SCHAUPLATZ RUHR 2010 Halbzeit im Essener „Ring“. Tilmann Knabes Rheingold und Dietrich Hilstorfs Walküre in Essen. In: SCHAUPLATZ RUHR Lyrikpublikation in der FRANKFURTER BIBLIOTHEK der BRENTANO-GESELLSCHAFT FRANKFURT Lyrikpublikation in der Anthologie Träume sind Schäume des AU- RORA BUCHVERLAGS BERLIN

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