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Das Schweizer & Blues Magazin Jan/Feb N r. 1 /2019 ts Schweiz CHF 11.00 / Deutschland € 5.90 / Österreich € 6.10 ro

Bolues'n'

JAZZ‘ N 'MORE

Giovanni Mirabassi Silvan Schmid Niko Seibold Lionel Loueke James Armstrong Herbie Kopf Georges Aperghis Studer/FRey Michael Heitzler Dominic Egli's Plurism Christoph Irniger Jesse A. Finkelstein Johnny Tucker Sandro Schneebeli Ben Zahler Philipp Eden The Savory Collection Ambrose Art Ensemble of Chicago Dimitri Howald Akinmusire Bovet/Coleman/Blaser more than trumpet

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JNM_01_19_01_Cover_Ambrose Akinmusire_lay_2indd.indd 1 27.12.18 10:37 Coverstory

More than trumpet Ambrose Akinmusire

Im Oktober 2018 kam das neue Album heraus, das fünfte unter seinem Namen, ein aussergewöhnliches mit Jazz, Rap und Streichquartett. Vergangenen Dezember weilte Ambrose Akinmusire für eine Woche in Basel. Jazz'n'More hat ihn getroffen. Von Steff Rohrbach

Er war mit seiner Band schon zweimal im JAZZ’N’MORE: Ambrose, ein Kompositions- AA: Alle meinen das – aber so ist es nicht. Jazzcampus Basel. Ein erstaunlicher Trompe­ auftrag stand am Anfang von Origami Har- Wer immer auch Präsident war oder ist, für die ter, das Instrument scheint Teil seiner selbst, vest, deinem neuen Opus. Schwarzen änderte und ändert sich nichts. gewissermassen die natürliche Verlängerung Ambrose Akinmusire: Judd Greenstein, Kura­ Meine Realität als Schwarzer bleibt dieselbe, von Lunge, Luftröhre und Mund. Seine Musik tor der Liquid Music Series in Manhattan, ich bin afrikanischer Amerikaner: Zu allen Zei­ ist so eigen und eindeutig wie manchmal fragte mich vor Jahren schon, ob ich nicht ten wurden und werden immer wieder Schwar­ auch sperrig, sie kommt oft herausfordernd Lust hätte, Musik für das Festival zu schrei­ ze von der Polizei erschossen. Auf meinem daher, aber nie billig. Akinmusire ist einer, der ben. Die Liquid Music Series des Saint Paul Album "The Imagined Savior Is Far Easier to voll in die Seile geht, ganz in die Musik hinein, Chamber Orchestras laden ein abenteuerlus­ Paint" habe ich ein Stück Oscar Grant gewid­ da wo es nichts Halbbatziges gibt und Ober­ tiges Pu­blikum ein, faszinierend Neues in der met, den die Polizei am 1. Januar 2009 in Oa­ flächliches keinen Platz hat. Trotzdem kommt blühen-den Landschaft der zeitgenössischen kland erschossen hatte. Auf jedem Album seine Musik nicht tierisch ernst daher, zuwei­ Kammermusik zu entdecken. habe ich so etwas gemacht, unabhängig vom len blinzelt Schalk hervor. Auf der Trompete gerade wehenden politischen Wind. Das war kann der Mann alles, vom warmen, leichten, JNM: Das Mivos String Quartet, das mit da- bei Bush und auch bei Clinton nicht anders. reinen Ton bis zur freien, heftigsten Expressi­ bei ist, kanntest du sicher schon länger. Natürlich ist Trump mit seiner Administration vität. Er kann sein Instrument mit gequetsch­ AA: Ja, dieses Quartett ist eines meiner liebs­ eine Katastrophe und wir können nur immer ten Klängen spielen, wenn er zuweilen die Ven­ ten, ich hätte es schon bei meinem zweiten hoffen, dass sich eines Tages wirklich was tile nur halb drückt, er spielt sie, wenn die Album für Blue Note gerne dabeigehabt, aber ändern wird. Und natürlich betrifft mich die Musik dies braucht, in höchsten Tönen schnei­ ich war wohl zu scheu, um anzufragen. Dieses Politik – und trotzdem ist Trump nicht der dend, rasend schnell oder lässt sie in den Tie­ Quartett engagiert immer wieder neue Kom­ Grund für dieses Projekt. fen murmeln. Ambrose ist ein Akrobat auf ponisten. seiner Trompete, wobei das Virtuose in kei­ JNM: Hast du vor drei, vier Jahren die Dis- nem Augenblick Selbstzweck ist. JNM: Das Quartett spielt u. a. Werke von kussion zwischen Nicholas Payton und Diesmal war er als Coach gekommen, um mit Sofia Gubaidulina, Helmut Lachenmann, Branford Marsalis mitbekommen, bei der es der siebenköpfigen Focusyear Band 19 ein George Lewis, Georg Friedrich Haas und auch um Begrifflichkeiten – Jazz als rassis- Konzert mit Kompositionen aus seinem Schaf­ Thomas Kessler. Haas und Kessler waren tisches Wort oder afrikanisch-amerikani- fen vorzubereiten. Die zwei Musikerinnen und übrigens Professoren in Basel, Letzterer hat sche Musik – ging? fünf Musiker der Focusyear Band wurden aus das Elektronische Studio der Musik-Akade- AA: Ja, nicht wirklich. Ich meine, diese Guys Dutzenden von internationalen Bewerbungen mie aufgebaut. gehören zu meinen Vorbildern. Als ich jünger ausgewählt. Sie alle wollten die Möglichkeit AA: Oh, das wusste ich nicht, eine Überra­ war, gab mir Nicholas Stunden. Mit Branford zu erhalten, sich als junge Musikerin oder schung! spielte ich lange – solche Musiker beeinflus­ ­junger Musiker ein Jahr lang im Jazzcampus sen nachkommende Generationen, das ist ganz der Musik zu widmen, ein Exzellenzjahr JNM: Kool A.D., ebenfalls Teil des Projekts, klar. Aber für mich, Ambrose, persönlich spielt ausserhalb von Credits und Hochschulalltag. kanntest du wohl schon von Oakland, ihr es keine Rolle, wie man Dinge benennt. Ich Jede zweite Woche wird die Band von einer seid ja etwa gleich alt. kann dir Poah sagen, es ändert an deiner Per­ Koryphäe wie Ambrose Akinmusire betreut, AA: Ja, ihn kannte ich schon lange, er ist Rap­ sönlichkeit, in deinem Innern nichts. Oder mit anspruchsvoller Musik vertraut gemacht, per, schreibt seine Stücke selbst, ein Dichter, wenn ich statt Hip-Hop Pflip-Pflop sage. An­ um nach wenigen, aber intensiven Proben­ Novellist und Denker. Wir haben gemeinsame dererseits, Worte können Türen öffnen, aber tagen gemeinsam mit dem Dozenten auf die Freunde. auch verschliessen. Ich konzentriere mich auf Bühne zu gehen. Auf Akinmusire folgt als die Musik und versuche dabei, stets meine Coach Marilyn Mazur; das Konzert mit ihr JNM: Wie kam es zu dieser einstündigen Integrität zu bewahren und authentisch zu ­findet am 24. Januar um 18 Uhr im Perfor­ Musik mit den diversen Gegensatzpaaren? sein. mancesaal statt. AA: Ich hatte einfach den Wunsch, ganz Ge­ Nach einem langen Probentag, bei dem Akin­ gensätzliches miteinander in Beziehung zu JNM: Du kommst aus einem religiösen El- musire als warmherziger, sensibler und witzi­ bringen: gegensätzliche Stile, gegensätzliche ternhaus. ger Mensch zu erleben war, stand er für ein Themen, unterschiedliche Akteure: ein Rap­ AA: Ja, aber ich denke, dass dies bei mehr Gespräch zu seinem neuen Opus und darüber per, ein modernes Streichquartett und natür­ oder weniger allen afrikanischen Amerikanern hinaus zur Verfügung. lich Jazz. so ist. Aus verschiedenen Gründen. Mein Dad kommt aus Nigeria und für die meisten mit JNM: Hatte diese Absicht etwas mit der diesem Background hat das Religiöse eine ­gespaltenen, auseinanderdriftenden ameri- Bedeutung. Ich ging mit meinen Eltern zur kanischen Gesellschaft zu tun, besonders Kirche, dort kam die Musik in mein Leben, seit Donald Trump? dort lernte ich Klavier spielen und später ­20 JAZZ

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Ambrose Akinmusire ist 1982 als Sohn niger­i- anischer Eltern in Oakland geboren, wo er heu- te wieder mit Frau und zweieinhalbjährigem Sohn lebt. Nach der Berkeley Highschool ging er mit einem Stipendium an die Manhattan JNM: Die Musik, die du in der Kirche hör- sie mir Stunden. Aber ich hatte damals nicht School of Music nach New York (Dick Oatts, test, war Gospel, Soul, Blues, Hip-Hop, Jazz? einen festen, "richtigen" Lehrer. Lew Soloff). Er spielte mit Steve Colemans Five AA: Ja, ich wuchs in einer schwarzen Com­ Elements (Europatournee, CD "Resistance Is munity auf und mit schwarzer Musik. Mein JNM: Das änderte sich, als du in die Man- Futile", 2001), bevor er am Thelonious Monk Institute of Jazz Performance bei Terence Blan- Dad brachte Musik aus Nigeria mit. Das ist, hattan School of Music gingst, zu Lew Soloff chard und Billy Childs studierte, mit Herbie wie zum Beispiel in einem bulgarischen Haus und Dick Oatts. Hancock und Wayne Shorter und im Postgradu- bulgarische Musik gespielt wird. Es ist überall AA: Genau. Dick Oatts war mein erster Kom­ ierten-Programm an der University of Southern so – und überall gibt es in der Musik auch positionslehrer. Ich blieb bei Lew Soloff, auch California arbeitete. 2007 gewann er die Monk- Spiritualität. Cecil Bridgewater unterrichtete dort. Aber die Competition und nahm sein erstes Album auf Lady, die mein Leben wirklich verändert hat, (Prelude ... to Cora) u. a. mit Walter Smith III, und Justin Brown). Er spielte mit JNM: Du hast mit dem Klavier begonnen. war Laurie Frink [1951–2013, sie war Trompe­ , und erhielt zahl- Hattest du Unterricht? terin und Musikpädagogin, im klassischen Be­ reiche Auszeichnungen, u. a. 2012 den Down- AA: Ich hatte am Anfang Klavierunterricht, reich wie im Jazz zu Hause, spielte bei Maria beat-Kritikerpoll als bester Trompeter. später aber nicht mehr oft. Auf der Trompete Schneider, mit John Hollenbeck, David Bowie hatte ich nur wenige Stunden und eher Men­ oder den Talking Heads]. Sie war ganz er­ Trompete. Ich glaube, alle Eltern meiner Peer­ toren als Lehrer, sie führten mich in die Mu- staunlich, eine unglaubliche Frau! Mit ihr än­ group waren religiös, nicht fundamentalis­ sik ein, nahmen mich in Plattengeschäfte mit, derte sich mein Trompetenspiel fast komplett. tisch, aber zumindest im Wissen, dass es eine brachten mir die Jazzgeschichte näher. Wenn höhere Macht gibt und dass eine gewisse Wynton Marsalis oder , Nick JNM: Und andere Trompeter? Don Cherry Spiritualität einfach zum Leben gehört. Payton oder andere in der Stadt waren, gaben beispielsweise? ­21 JAZZ

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AA: Ja, natürlich, ich bin ihm nie begegnet, gewohnter Third-Stream-Mix, sondern vielmehr da war ich noch zu jung. Was aber nicht ein engagiertes, eindringliches und äusserst kon- trastreiches musikalisches Manifest mit ablösen- heisst, dass nicht auch von ihm ein Einfluss da den Passagen und gezielt eingesetzten, nichts ver- wäre. Ich spielte ab und zu mit Peter Apfel­ süssenden Streichern – Jazz, Funk, Soul und Rap, baum, der oft mit Cherry arbeitete. Oder mit der die Dinge beim Namen nennt. Akinmusires Roscoe Mitchell, auch so ein grosser Musiker, höchst gelungenes, aber für manches Ohr wohl auch gewöhnungsbedürftiges Opus ist Musik, bei der mit Don Cherry spielte. der sich der Trompeter so dosiert wie effektvoll, Ambrose Akinmusire vor allem aber seine Band mit Kool A.D. und das JNM: Das neue Album wirkt auf mich nicht Origami Harvest Mivos String Quartet in Szene setzt. Eine Musik, Ambrose Akinmusire (tp, synth, voc), Kool A.D. (voc), unbedingt wie Third Stream, wo die Pole die, ob sie will oder nicht, durchaus auch als State- Mivos Quartet, Walter Smith III (ts), Sam Harris (p, keys), ment gehört werden kann in einer Zeit, in der sich mehr ineinanderfliessen. Ich höre die Strings (dr) politische, ökologische und ökonomische Verhält- mit zeitgenössischer Musik, die nicht ver- (Blue Note/Universal) nisse zuspitzen und dem Individuum zusetzen. Eine sucht, sich dem Rap oder dem Jazz anzu- Musik aber vor allem auch, die mit ihrem Spekt- rum, ihrer Spannung und als Ganzes überzeugt. passen und zumeist wirklich mehr ein Ge- Origami ist die Kunst des Papierfaltens zu zwei- genpart bleibt. Was das Quartett spielt, ist oder dreidimensionalen Objekten. Ambrose Akin- ausgeschrieben. Bei dir scheint mir hinge- musire könnte damit die Art meinen, wie sich Konzerte Ambrose Akinmusire Quartet gen Improvisation zumindest im Spiel zu Schwarze "zusammenfalten" müssen, um in die Ge- 16.–30.01.19 Europatournee sellschaft der Weissen zu passen. Allerdings relati- Ambrose Akinmusire Quartet sein. viert er im Interview die Interpretation des Titels. 20.01.19 Bern, BeeFlat AA: Das stimmt, die Streicher spielen ganz Eines seiner Leitmotive dreht sich aber klar um die 22.01.19 Zürich, Moods nach Noten, ich bin mit der Trompete etwas soziale Situation in den USA. Eine Auftragskompo- 23.01.19 Milano, Blue Note sition ermöglichte ihm, unter dem Motto "Extre- Konzerte mit Origami Harvest in Europa freier, aber auch was die Rhythmusgruppe 01.02.19 Le Kremlin-bicêtre, spielt, ist vollkommen ausgeschrieben. Das mes" in einer einstündigen Suite mit sechs Kompo- Espace Cult. André Malraux sitionen Gegensatzpaare zu thematisieren und sich Ganze ist etwa zu 95 Prozent notiert, würde 02.02.19 Yverdon-les-Bains, aneinander reiben zu lassen: von männlich/weib- Théâtre Benno Besson ich sagen. lich, passiv/aggressiv über Ghetto/Wohlstand bis zu Hip-Hop/Klassik und Improvisation/Komposi­ Diskographie ➤ A Rift In Decorum, Live At The Village Vanguard JNM: Eine letzte Frage: Willst du mit dem tion. Akinmusire engangierte zusätzlich zu seiner her- (Blue Note 2017) Titel "Origami Harvest" etwas Bestimmtes vorragenden Band den – wie der Trompeter selbst ➤ The Imagined Savior Is Far Easier To Paint sagen? – aus Oakland stammenden Rapper und Autor Kool u. a. mit und , (Blue Note 2014) A.D. (Victor Vazquez) und das New Yorker Mivos AA: Nein. Die Interpretation überlasse ich ➤ When The Heart Emerges Glistening den Leuten. Ich glaube nicht an Definitionen String Quartet, das sich besonders der zeitgenös- Co-Producer (Blue Note 2011) sischen Literatur verschrieben hat: Helmut Lachen- im Titel, man setzt ihn wie für ein Gedicht. Alle ➤ Prelude, New Talent mann, Sofia Gubaidulina, George Lewis, Georg (FSNT 312 2008) können ihn auf ihre Art interpretieren – und Friedrich Haas, Thomas Kessler zum Beispiel. Ent- www.ambroseakinmusire.com machen dies hoffentlich auch. ■ standen ist weder eine Allerweltmusik noch ein

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30.01. SAMUEL LEIPOLD SOLO Samuel Leipold, g SIMON SPIESS TRIO Simon Spiess, sax | Bänz Oester, b | Jonas Ruther, dr 27.02. BAMERT/TSCHOPP DUO Bernhard Bamert, tb | Andreas Tschopp, tb HELY Lucca Fries, p | Jonas Ruther, dr 27.03. JOE HAIDER TRIO Joe Haider, p | Raffaele Bossard, b | Claudio Strüby, dr 24.04. LE STRING’BLÖ Lino Blöchlinger, as, bs | Sebastian Strinning, ts, bcl Roberto Domeniconi, p | Urban Lienert, b | Reto Eisenring, dr

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