Behinderung Und Gesellschaft
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Gottfried Biewer & Michelle Proyer (Hrsg.) Behinderung und Gesellschaft Ein universitärer Beitrag zum Gedenkjahr 2018 In Kooperation mit der Hochschüler*innenschaft der Universität Wien Studienrichtungsvertretung Inklusionspädagogik: Coralie Geier & Elvira Seitinger Open-Access-Publikation, 182 Seiten Lektorat & Grafik: Udo Lakovits Titelbild: Eva Theresa Böhm © Wien 2019 Inhalt Gottfried Biewer & Michelle Proyer Einleitung .......................................................................................................................................................... 4 Christian Stöger Demokratie und Heilpädagogik. Überlegungen zur Levana-Pädagogik ......................... 8 Johannes Gstach Heilpädagogik in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen ................................................ 22 Peter Schwarz Eugenik in Österreich unter besonderer Berücksichtigung Julius Tandlers ............ 45 Volker Schönwiese Geschichte der Behindertenbewegung. Selbstbestimmt Leben Bewegung in Österreich ....................................................................... 72 Herwig Czech Der Spiegelgrund-Komplex. Kinderheilkunde, Heilpädagogik, Psychiatrie und Jugendfürsorge im Nationalsozialismus .................................................... 85 Werner Brill Die Verankerung der Eugenik durch die Sonderpädagogik während des Nationalsozialismus. Historische Fakten und sonderpädagogische Historiographie ......................................................................................... 107 Dagmar Hänsel Sonderschullehrkräfte im Nationalsozialismus ..................................................................... 120 Hemma Mayrhofer Zwischen umfassender Deprivation und „liebevoller Verwahrung“. Kinder mit Behinderungen in der Wiener Psychiatrie nach 1945 ............................... 136 Gertraud Kremsner Gewalterfahrungen in Institutionen............................................................................................. 150 Bernhard Bruckner Umsetzung der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) in Österreich..................................................... 163 Autorinnen und Autoren ........................................................................................................................ 180 Einleitung Gottfried Biewer & Michelle Proyer Dieses Buch ist das Ergebnis einer Ringvorlesung an der Universität Wien im Winter- semester 2018/19 mit dem Titel „Behinderung und Gesellschaft“. Die Initiative zu dieser Vorlesung kam von der Studienrichtungsvertretung Inklusionspädagogik und wurde über eine finanzielle Förderung der Hochschüler*innenschaft (ÖH) der Uni Wien als uni- versitärer Beitrag zum Gedenkjahr 2018 erst ermöglicht. Die Herausgeber*innen des Bandes danken insbesondere Coralie Geier und Elvira Seitinger, die von Studierenden- seite dieses Projekt ermöglichten, für ihre Initiative und die tatkräftige Unterstützung. Großer Dank gilt auch Udo Lakovits, der als studentischer Mitarbeiter die Vorlesung be- gleitete und an der Erstellung des Buches über die kritische Lektüre der eingereichten Manuskripte, den Buchsatz und die Gestaltung des Umschlagbildes mitwirkte. Unser Dank gilt auch Eva Theresa Böhm, die die in die Ringvorlesung eingebundene Podiumsdiskus- sion zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung über ein großformatiges Tafelbild im Hörsaal visualisierte. Ein Ausschnitt dieses Bildes ist auf der Titelseite dieses Buches zu sehen. Besonderer Dank gilt natürlich den Vortragenden der Ringvorlesung, die gleichzeitig auch die Verfasser*innen der nachfolgenden Beiträge sind. Worauf beziehen sich Ringvorlesung und Buchpublikation? Wenn es in Österreich um das Gedenkjahr 2018 geht, dann ist dies in der öffentlichen Wahrnehmung in erster Linie die Gründung der Republik vor 100 Jahren. Es sind aber weitere denkwürdige Ereignisse zu nennen. 1938 war das Jahr der Annexion Österreichs durch den NS-Staat. Dies ist 80 Jahre her und sollte es wert sein, dass wir darüber nachdenken, welch einschneidende Folgen die nachfolgenden Jahre auch für die heutige Zeit noch haben. Es ist aber auch das Jahr 1948 zu nennen, das mit der Deklaration der Menschenrechte als Folge der vorausgegangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Geschichte einging. Die Menschenrechte sind seitdem eine Norm des menschlichen Zusammenlebens auf unserem Planeten. Auch wenn sie oft nicht gewährt werden oder bedroht sind, so schärft ihre prominente Stellung in internationalen Organisationen den Blick auf Verlet- zungen der Regeln des menschlichen Zusammenlebens weltweit. 1968 steht für eine europaweite und gesellschaftspolitisch wirksame Studentenbewe- gung, mit langfristigen Auswirkungen auch auf unsere heutige Zeit. Es ist aber auch das Jahr 1968, das mit der Unterdrückung der Demokratiebewegung, dem sogenannten „Prager Frühling“ und dessen Ende in der Tschechoslowakei verbunden ist. Das war vor mittlerweile 50 Jahren und beides waren Ereignisse, welche die gesellschaftlichen Ent- wicklungen in Mitteleuropa auf Jahrzehnte prägten. Wenn wir an die Anfänge einschneidender und nachhaltiger gesellschaftlicher Entwick- lungen zurückgehen, so dürfen wir auch das Jahr 1848 nicht vergessen als ein Jahr der Artikulierung von Freiheitsrechten gegenüber staatlicher Repression. Aber es stellt sich auch die Frage: Wie ist es heute um die Freiheitsrechte bestellt im Jahre 2018? Gibt es Einleitung 5 Entwicklungen die bedenklich sind und gegen die wir uns im hier und jetzt zur Wehr set- zen müssen? Gibt es positive neue Entwicklungen, die Förderung und Unterstützung verdienen, sowohl im globalen wie im nationalen Rahmen? Wenn wir auf die Seite des Bundeskanzleramts zum Gedenkjahr 2018 schauen, dann finden wir dort die Jahre 1848, 1918, 1938, 1948 und 1968 (https://www.bundeskanz- leramt.gv.at/100-jahre-republik). Es ist auch ein Anlass auf die Geschichte des Umgangs mit behinderten Menschen, die Selbstorganisation und die gesellschaftliche Stellung zu schauen. Hier sind alle genannten Jahreszahlen relevant von 1848 bis 2018 und genau so weit ist der zeitliche Rahmen der diesem Buch zugrundeliegenden Ringvorlesung ge- spannt. Es gibt aber noch ein weiteres Gedenken, das mit dem Jahr 2008 verbunden ist. Es ist der Jahrestag der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich. Hier könnte ein 10-jähriges Jubiläum gefeiert werden. Österreich war das erste der deutsch- sprachigen Länder, das die UN-BRK ratifizierte. In Deutschland geschah dies erst 2009 und in der Schweiz gar erst im Jahre 2014. Die Bundesregierung hat im Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012-2020 eine Übersicht der geplanten Maßnahmen aller Bundesministerien vorgelegt, einschließlich des geplanten Zeitrahmens. Die Initiative zu diesem Gedenkprojekt kam von der Studienrichtungsvertretung Inklu- sionspädagogik (ÖH Wien) als bewusst wurde, dass in all den vielen geplanten Veranstal- tungen zum Gedenkjahr 2018 Menschen mit Behinderungen nur partiell vorkamen. Einige der Gedenkjahre betreffen Menschen mit Behinderungen in besonderem Maße, mit negativen oder positiven Folgen für ihre weitere soziale Stellung. Die Ringvorlesung „Behinderung und Gesellschaft“ nahm durch die Auswahl ihrer Beiträge die Geschichte als eine Geschichte des Umgangs mit Behinderungen in den Blick. Es waren Ausschlüsse, Zurücksetzungen, Abwertungen, bis hin zur Ermordung, aber auch Phasen, in denen ihr Potential entdeckt wurde, ihnen neue Wege eröffnet wurden, aber auch Phasen der Auf- lehnung gegen ungerechtfertigte Diskriminierung bis hin zur Selbstorganisation zur Durchsetzung legitimer Rechte. All diese Aspekte des Verhältnisses von Behinderung und Gesellschaft versuchte diese Veranstaltung in den Blick zu nehmen. Das Phänomen der Behinderung ist von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt, die zu Ausschlüssen und Marginalisierungen führen oder konstituiert sich erst über diese. Besonders deutlich wird dies im Blick auf die historische Entwicklung. Die Ringvorlesung war als Veranstaltung von Vertreter*innen verschiedener Fachgebiete konzipiert, aller- dings mit einem Schwerpunkt auf der Bildungswissenschaft. Der Beitrag von Christian Stöger führt in die Anfänge einer wissenschaftlich begründeten Heilpädagogik, deren Ideen über die Person von Heinrich Marianus Deinhardt mit dem Revolutionsjahr 1848 verbunden sind. Er belegt Deinhardts Verwurzelung in der Demo- kratiebewegung und bringt das Projekt der Levana mit seinen über die damalige Zeit hinaus weisenden Ideen in Verbindung mit seinem politischen Engagement. Die Zeit zwischen der Gründung der Republik im Jahre 1918 bis zum Beginn der NS-Herr- schaft wird von Johannes Gstach beleuchtet. Er beschreibt dabei die vielfältigen Strömungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderte, die dieser Zeitphase 6 Gottfried Biewer & Michelle Proyer vorausgegangen sind und sie beeinflussten. Es war eine Zeit, in der speziell in Wien inno- vative Ideen, wie etwa die Erziehungsberatungsstellen, umgesetzt wurden. Mit Julius Tandler und seiner Haltung zur Eugenik nimmt Peter Schwarz einen der wichtigsten sozialpolitischen Akteure des „roten Wien“ der Zwischenkriegszeit in den Blick. Er gibt ein sehr differenziertes Bild auf Tandlers Aktivitäten und Schriften, die in hohem Maße vom sozialhygienischen Diskurs der damaligen Zeit beeinflusst waren, aber auch eugenische Positionen aufnahmen. Volker Schönwiese setzt sich mit der Entstehung und Geschichte der Behinderten- bewegung auseinander und zeichnet dabei turbulente Entwicklungen nach, welche im Rahmen eines Projektes erarbeitet wurden. Erste