SWR2 Feature Am Sonntag Helene Fischer Seismograph Der Sehnsucht Von Vito Pinto
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Feature am Sonntag Helene Fischer Seismograph der Sehnsucht Von Vito Pinto Sendung: Sonntag, 15. Oktober 2017, 14.05 Uhr Redaktion: Mareike Maage (RBB) Walter Filz Regie: Mareike Maage Produktion: RBB/SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Es wird eine Dienstleistung ausgeübt… Matthias Weiß (MW): […] das, was wir sehen, zu sehen bekommen, ist ja erst mal ein gesteuertes Bild, und wir sehen Helene Fischer so wie sie möchte, dass wir sie sehen. ML: Ich glaub, viele, die das nicht sind, die das Geschäft nicht kennen, wissen gar nicht, wie hart es ist. Und dass es wirklich ein hartes Geschäft ist, für alle Beteiligten, soviel Spaß ist es nicht. Sehr wohlhabend werden auch nur wenige, das darf man dabei auch nicht vergessen. Erzähler: Über Schlager zu arbeiten schien vor einiger Zeit noch provokant zu sein oder irgendwie schmuddelig... Oder man geriet als theater- und kulturwissenschaftlicher Autor ins Kreuzfeuer der akademischen Polizei… Was kann man von der Auseinandersetzung mit so einem Phänomen erwarten, dass sonst weniger mit Samt- als vielmehr mit Gummi handschuhen angefasst wird? Sicher ist: Wenn man zu Strategien der Selbstinszenierung im Pop forscht – so wie ich es zu ganz 2 unterschiedlichen Künstlern wie Marilyn Manson oder Lana del Rey schon getan habe –, kommt man im deutschsprachigen Raum an Helene Fischer, dem derzeit erfolgreichsten Pop-Star, nicht vorbei. Ganz egal, ob ich deswegen belächelt werde oder nicht… Ich nehme das Thema ernst, sehr ernst und gehe dabei einfach meiner Arbeit nach… Es geht hier weder um biedere Lobhudelei noch um plumpes Schlager-Bashing. Ich möchte dem großen Erfolg des in vielerlei Hinsicht faszinierenden und komplexen Phänomens ›Ha Eff‹ ganz sachlich nachspüren… HF (singt): Du lässt mich sein, so wie ich bin / mich zurecht zu biegen, hätte keinen Sinn / Ich bin bei dir und atme frei, ob ich wein´, ob ich lach´ / und auch wenn ich Fehler mach´ / du gibst mir Kraft und stehst mir bei Erzähler: Selbstverständlich versuche ich mit ihr persönlich über die Arbeit als Schlagerstar zu sprechen… – Wer will das nicht…? – Ich frage ein Interview mit ihr an und plane den Besuch der Fernseh-Aufzeichnung der Helene Fischer Show. Dort werde ich mir ein Bild von ihrer Performance machen und mit Fans sprechen. Doch vor allem möchte ich mithilfe einiger Musik-Expertinnen und -Experten die wesentlichen Dimensionen des Phänomens ›Ha Eff‹ ausleuchten: die Musik zum Beispiel, die Songtexte, das Frauenbild, das sie verkörpert…, ihr Verhältnis zum Publikum. Und natürlich ihr Image… ML: Ja, das Image ist ja eigentlich relativ schwierig bei ihr zu beantworten, weil ich muss mich selbst fragen: Was hat sie für ein Image? […] Erzähler: Martin Lücke…: Musikwissenschaftler und Professor für Musikmanagement an der Hochschule Macromedia in Berlin. ML: […] Also man weiß, dass sie Sängerin ist, dass sie singen kann, dass sie sich auf der Bühne bewegen kann, dass sie immer wieder neue Kleider anzieht, dass sie sehr fleißig ist, und sie ist mit Florian Silbereisen zusammen, aber ansonsten, wie gesagt, weiß man sehr wenig über sie… Christa Brüstle (CB): […] Und dazu gehört die Stimme, dazu gehört ein ganzes Produzententeam, dazu gehört die Inszenierung, die im Hintergrund aufgebaut wird. Dazu gehört fast ne, fast ne Industrie, die um einen solchen Popstar eigentlich aktiv ist. […] Erzähler: Besonders auffällig ist ja, dass Helene Fischer in relativ kurzer Zeit einen schier unglaublichen Bekanntheitsgrad erlangt hat…, und dass so ziemlich jeder etwas über sie sagen kann – im negativen wie im positiven Sinne. Das schafft heutzutage sonst keine Pop- geschweige denn Schlagersängerin… Selbst in meinem näheren und weiteren Bekanntenkreis mache ich erstaunliche Entdeckungen: Auf einmal 3 bekennen sich Leute dazu, zwar nie etwas mit Schlager zu tun gehabt haben zu wollen, aber bei Helene Fischer sei es doch etwas anderes… Oder es wird gesagt: ›Naja, Schlager ist nicht so ganz meins, aber trotzdem kann die ja wirklich was… Und die ist doch eigentlich ganz sympathisch…‹ Selbst wenn man die Musik nicht mag, um die es ja allem voran gehen sollte, können viele der Sängerin etwas abgewinnen. Das ist jedenfalls Anlass genug, diesem Anderen bei Helene Fischer nachzugehen und mögliche Antworten auf die Frage zu bekommen, warum sie so erfolgreich ist […] CB: […] Also sie hat auch eben dieses Produktionsteam um sich herum, übrigens relativ viele Männer, wie mir aufgefallen ist, sehr spannend, warum das nur Männer sind… Erzähler: Christa Brüstle…: Professorin für Musikwissenschaft, Frauen- und Genderforschung an der Kunst Universität Graz. ML: Vielleicht ist das aber auch ihre Selbstinszenierung, die sie entweder selbst möchte, oder ihr Management ihr aufgetragen hat. Und das ist eigentlich ein ganz spannender Bereich, dass man wenig von ihr weiß, das macht eigentlich so’n gewissen Mythos dann auch wieder aus. Sie ist dadurch natürlich auch unangreifbar – auf ne gewisse Art und Weise. Man könnte negativ sagen, es ist ein bisschen Teflon-beschichtet. Man könnte aber auch positiv sagen: Endlich mal jemand, der nicht sein Privatleben nach außen trägt. Erzähler: Es gibt also einen mehr oder weniger großen Unterschied zwischen dem Pop-Star, den wir aus der Öffentlichkeit, aus dem Fernsehen oder von den Titelbildern der Illustrierten kennen, und der privaten Helene Fischer… Holger Schulze (HS): Ich spreche da sehr gerne vom Unterschied zwischen der medialen Persona und der empirischen Persona. […] Erzähler: Der Klangforscher und Pop-Theoretiker Holger Schulze ist Professor für Musikwissenschaft an der Universität Kopenhagen. HS: […] wenn ich der tatsächlichen Person begegne, so wie wir beide uns jetzt begegnen, erlebe ich den Menschen ja in ganz vielen Momenten dynamisch, auch zweifelnd, vielleicht verwirrt, vielleicht sich verhaspelnd, unsicher, oder auch in eben unsicheren Momenten, die gar nicht immer so fertig gestaltet sind. Die mediale Persona dagegen ist in aller Regel in ihrer Form sehr gestaltet. Die kann dann auch ein großer Skeptiker sein oder von deren Sehnsüchten sprechen oder sowas, aber das ist alles ne ganz starke und sehr zugespitzte Form der Inszenierung, die hier dargestellt wird… und hat in dem Sinne, die mediale Persona, zwar einen Bezug zur 4 Person, der ist aber natürlich in keinem Fall die gesamte Persönlichkeit, sondern zieht vielleicht einen Strang aus der Persönlichkeit hinaus und inszeniert ihn. Szene 2: Die Musik bei Helene Fischer (Intro: »Feuer am Horizont«) Erzähler: So sehr uns (neugierig, wie wir alle nun mal sind) die private Helene Fischer interessieren mag: Darum wird es hier nicht gehen. Und persönlich finde ich es eh spannender herauszufinden, welche Faktoren den Erfolg, die Popularität der Künstlerin Helene Fischer ausmachen... Bei ihr, die vor allem als Sängerin in Erscheinung tritt, liegt die Vermutung nahe, dass es die Musik ist… ML: …das Faszinosum daran ist eigentlich, dass es aus meiner Sicht gar kein Faszinosum ist, sondern Schlager letztendlich etwas ist, was zumindest im deutschsprachigen Raum – die Bevölkerung seit über einhundert Jahren stetig begleitet, ein Quell der Unterhaltung, ein Quell der Freude ist. Und ob man diese Musik jetzt mag, ihr zuspricht, oder ob man diese Musik verachtet, aufgrund ihrer vielleicht manches Mal banalen Texte, aufgrund ihrer vielleicht manches Mal auch sehr einfach strukturierten Musik, das ist absolut legitim, aber Schlager ist einfach ein ganz wichtiger Teil deutscher Kultur. Andreas Gabalier (singt): Happy Hour mitten in der Nacht / Sexy, alles tanzt, alles lacht / Vierzig Grad am Dancefloor / Hulapalu, sagst du immer… ML: Schlager ist ja qua Definition schon quasi eine populäre Musik, ein populärer Musikstil und es ist ja eigentlich etwas, was nie weg war. Es ist jetzt medial wieder verbreiteter und man hat das Gefühl, alle Medien stürzen sich wieder auf dieses Phänomen Schlager – seit fünf, sechs Jahren. Das hat mit Künstlern zu tun. Dazu gehört zum Beispiel Helene Fischer, dazu gehört aber auch Andreas Gabalier, dazu gehören auch –