Einsicht 18 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

, »Volk«, »völkisch«, »Volksgemeinschaft« – Fritz Bauer Institut Kampfbegriffe der politischen Rechten Geschichte und bis zur Gegenwart Wirkung des Holocaust MMitit BBeiträgeneiträgen vvonon JJörnörn RRetterath,etterath, An-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main HHajoajo FFunkeunke undund SteffenSteffen KailitzKailitz Psychosozial-Verlag Editorial Henri Parens Wolfgang Hegener Heilen nach dem Holocaust Heilige Texte Erinnerungen eines Psychoanalytikers Psychoanalyse und talmudisches Judentum

319 Seiten 251 Seiten Liebe Leserinnen und Leser, die mentalen Prägungen der »Volksgemeinschaft« waren allerdings Broschur • € 34,90 Broschur • € 32,90 nicht über Nacht getilgt. Zähe Kämpfe gegen eine strafrechtliche Auf- ISBN 978-3-8379-2731-3 ISBN 978-3-8379-2653-8 es bedurfte nicht der Forderung der AfD- arbeitung der NS-Vergangenheit in den 1950er Jahren zeugen ebenso Parteivorsitzenden nach einer positiven von solchen Kontinuitäten wie der schubweise auftretende Rechts- Besetzung des Begriffes »völkisch«, um radikalismus der folgenden Jahrzehnte. Bis heute sieht Funke diese Henri Parens schildert ein- Ausgehend von der Traum- hellhörig zu werden. Schon bevor sich mentalen Traditionen wirksam, nicht zuletzt in der AfD, die sich wieder drücklich seine Lebensge- deutung und der Anmer- Frauke Petry im Herbst 2016 in diesem der Begriffe »Volk«, »völkisch« und »Volksgemeinschaft« bedient. schichte, die von den Schre- kung Freuds, er behandle Sinne äußerte, war der Slogan »Wir Die »Ethnisierung« des Volksbegriffs, die die völkische Rechte cken des Holocaust bestimmt den Traum »wie einen hei- sind das Volk!«, der vermutlich auf die im frühen 20. Jahrhundert vorantrieb und die in der NS-Weltanschau- ist. Nicht zuletzt aufgrund ligen Text«, skizziert Wolf- Zeit des Vormärz zurückgeht und den ung gipfelte, beschreibt Steffen Kailitz in seinem Beitrag. So wie ein seiner frühen Erfahrungen gang Hegener in dieser Stu- die Demonstranten in der zerfallenden – immer auch antisemitisch konnotiertes – Verständnis eines ethnisch mit Rassismus, Gewalt, Vor- LQM[a[\MUI\Q[KPLMV-QVÆ][[ DDR im Herbst 1989 skandiert hatten, und rassisch homogenen Volkes das Handeln der NS-Führung prägte, urteilen, Trennung und Ver- der Kultur und Tradition auf Kundgebungen von »Pegida« und so bestimmt ein ethnischer Volksbegriff auch die Politik der NPD und lust beschloss er, Kinderana- des rabbinisch-talmudischen ähnlichen regionalen Zusammenschlüs- des rechten Flügels der AfD. Nicht die Staatsbürgerschaft, sondern lytiker zu werden. Seitdem Judentums auf Freuds Werk. sen »patriotischer Europäer« zu hören vermeintliche Erbanlagen werden zum Kriterium der Zugehörigkeit widmet er sich den psycho- Hegener stellt damit insbe- gewesen. Nun richtete er sich aber nicht zum deutschen Volk erklärt und damit zur Vorbedingung für staats- sozialen Bedingungen der sondere heraus, welche grund - NZ†PMV3QVLPMQ\8IZMV[¼)]\WJQWOZIÅMQ[\VQKP\V]ZMQVb]\QMN[\ legende Bedeutung diesem vergessenen Erbe für die Methode mehr gegen die greisenhafte Politiker- bürgerliche Rechte und Freiheiten gemacht. Statt der Juden stehen persönlicher Zeitzeugenbericht, sondern darüber hinaus ein Plä- des psychoanalytischen Verstehens zukommt. riege einer untergehenden Diktatur, dabei heute die Muslime im Mittelpunkt der Agitation. doyer gegen Hass und Rassismus. sondern in durchaus unscharfer Weise Aus dem Fritz Bauer Institut gibt es Neues zu berichten: Sybille gegen »die Politiker«, die »Lügenpres- Steinbacher ist seit Mai 2017 Direktorin des Instituts und Inhaberin se«, gegen »die da oben« und nicht zu- des am Historischen Seminar der Goethe-Universität neu geschaf- Thomas A. Kohut Merle Funkenberg letzt gegen die seit 2015 vermehrt nach fenen Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Eine deutsche Generation Zeugenbetreuung von Deutschland gelangenden Flüchtlinge. Holocaust. Tobias Freimüller kam im Juli 2017 an das Institut, er ist und ihre Suche Holocaust-Überlebenden und Sprachliche Tabubrüche und seman- wissenschaftlicher Mitarbeiter und (gemeinsam mit Gottfried Kößler) tische Rückgriffe wurden zum Mittel stellvertretender Direktor. Das neu eingerichtete Wissenschaftliche nach Gemeinschaft Widerstandskämpfern bei politischer Provokation. Die AfD, aus deren Reihen inzwischen Sekretariat übernimmt ab Oktober 2017 Hannah Hecker. Mit Unter- Erlebte Geschichte NS-Prozessen (1964–1985) auch eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« gefordert stützung des Präsidiums der Frankfurter Universität wurden Mittel für des 20. Jahrhunderts Zeitgeschichtlicher Hintergrund und emotionales Erleben wurde, schickt sich an, im Herbst 2017 als erste rechtspopulistische ein Forschungsprojekt über die Geschichte der Goethe-Universität im Partei in den Bundestag einzuziehen. Grund genug, um in diesem Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik eingeworben. Heft der Einsicht auf die Konjunkturen, politischen Aufl adungen und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt ist Jason Pollhammer M.A. 455 Seiten 371 Seiten semantischen Verschiebungen der Begriffe »Volk«, »völkisch« und Als DAAD-Stipendiaten sind im Wintersemester Max Lazar (Chapel Broschur • € 44,90 Broschur • € 39,90 »Volksgemeinschaft« im 20. Jahrhundert zu blicken. Hill) und Denisa Nestaková (Bratislava) an das Institut angebunden. ISBN 978-3-8379-2496-1 ISBN 978-3-8379-2551-7 Jörn Retterath zeichnet nach, wie der Volksbegriff nach dem Beide recherchieren in Deutschland für ihre Forschungsprojekte, die Ersten Weltkrieg populär wurde und zunehmend Verwendung fand auch im Forschungskolloquium des Lehrstuhls vorgestellt werden. – allerdings in ganz unterschiedlichem Sinne. »Volk« konnte als Die Arbeit des Fritz Bauer Instituts wird künftig eng mit dem neu Die Generation der kurz vor Als die Holocaust-Opfer 1964 Sammelbegriff für die minderprivilegierten Schichten verstanden geschaffenen Lehrstuhl verknüpft sein. Der Takt unserer öffentlichen Ausbruch des Ersten Welt- als ZeugInnen im Auschwitz- werden, als Beschreibung eines ethnisch defi nierten Kollektivs oder Veranstaltungen ist dem universitären Rhythmus angepasst. Sie fi nden kriegs Geborenen erlebte ein prozess erstmals wieder nach auch als Bezeichnung für die Gesamtheit der erwachsenen und wahl- mittwochs in den Semestermonaten (Oktober bis Februar; April bis Juli) bewegtes Jahrhundert. Viele Deutschland reisten, befand berechtigten Staatsbürger in der jungen Demokratie. Während das statt, die Veranstaltungen des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. traten auf der Suche nach sich die psychologische Trau- Adjektiv »völkisch« schon zeitgenössisch klar auf ein bestimmtes auch außerhalb dieser Zeiten. Unser Bulletin Einsicht wird ab 2018 Gemeinschaft Gruppierun- maforschung noch in ihren Verständnis der »völkischen Bewegung« verwies, ließ sich der ver- in etwas größerem Umfang jeweils im Herbst erscheinen, mit einem gen der Jugendbewegung bei Anfängen. Die Autorin stellt meintliche »Wille des Volkes« für verschiedenste Ziele in Anspruch (oder mehreren) thematischen Schwerpunkt(en), einem Rezensionsteil und schlossen sich nach dem die Begegnungen von Zeu- nehmen – und »Volksgemeinschaft« konnte zu einem positiv besetz- und den Informationen des Fördervereins. Ab Frühjahr 2018 werden Zweiten Weltkrieg im 1947 ge- gInnen und Zeugenbetreue- ten Begriff aufsteigen, der Sehnsüchte nach Ordnung und Einheit wir darüber hinaus einen Jahresbericht mit Darstellungen über die gründeten Freideutschen Kreis rInnen bei NS-Prozessen in wieder zusammen. Thomas A. den Fokus und belegt deren bündelte und in nahezu allen politischen Lagern Verwendung fand. Projekte, Veranstaltungen und Forschungsvorhaben des Fritz Bauer Kohut verknüpft charakte- Einzigartigkeit anhand von Hajo Funke skizziert die inszenierte Mobilisierung der »Volks- Instituts sowie den Informationen des Fördervereins veröffentlichen. ristische Aussagen aus Befragungen und Interviews mit Vertre- Interviews, Briefen und Berichten. gemeinschaft« im NS-Staat, die eine zentrale Bedeutung für die Zu- terInnen dieser Gruppe zu einer repräsentativen Collage deut- stimmung der Deutschen zum Nationalsozialismus hatte. Nach 1945 Prof. Dr. Sybille Steinbacher und Dr. Tobias Freimüller scher Erfahrungsgeschichte. verschwand der Begriff zwar aus der öffentlichen Kommunikation, Frankfurt am Main, im September 2017

Einsicht 18 Herbst 2017 Sybille Steinbacher, Foto: privat 1 Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 Tobias Freimüller, Foto: Werner Lott [email protected] · www.psychosozial-verlag.de Inhalt

Einsicht Nachrichten und Berichte Forschung und Vermittlung Information und Kommunikation Antisemitismuskritische »Volk«, »völkisch«, »Volksgemeinschaft« – Aus dem Institut Bildung in der Migrations- Kampfbegriffe der politischen Rechten bis zur Gegenwart 88 »Holding Accountability Accountable«, 18 »Die Staatsgewalt geht vom Volke aus« Tagungsbericht / Johannes Beermann gesellschaft Volks- und Volksgemeinschaftsvorstellungen in der 90 Abschied von Monica Kingreen , 10.1.1952 bis 2.9.2017 Weimarer Republik / Jörn Retterath 91 Einführung in das Visual History Archive (VHA) 25 Volk, völkisch, Volksgemeinschaft – historische Konzepte. 92 Neue Institutsleitung: Prof. Dr. Sybille Steinbacher Die Rechtspopulisten heute und die Gesellschaft der 92 Neuer wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Tobias Freimüller Vielfalt / Hajo Funke 93 Neuer Projektmitarbeiter: Jason Pollhammer, MA 32 Völkisches Denken gestern und heute. Die Volksgemein-schaft aus Sicht der NSDAP und Aus dem Förderverein der NPD / Steffen Kailitz 94 Sybille Steinbacher stellt sich vor. Außerordentliche Mitgliederversammlung im Oktober / Jutta Ebeling Fritz Bauer Institut Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung 95 Werner Schn eider-Quindeau 23.10.1949 bis 24.8.2017 Im Überblick 40 »The Magical Scent of the Savage«. Ein Nachruf von Micha Brumlik Kolonialismus und Legalismus in der Entstehung der 4 Das Institut / Mitarbeiter / Gremien modernen Welt / Devin O. Pendas Aus Kultur und Wissenschaft 96 Fritz Bauer Studienpreis 2017 an Nachwuchsjuristen verliehen Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers 97 Die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen 48 Der Fritz-Bauer-Saal im Landgericht Frankfurt am Main während der Nachkriegszeit. Hessische Ausstellung über Ansprachen aus Anlass der Einweihungsfeier den Auschwitz-Prozess wird in Israel gezeigt Veranstaltungen Wilhelm Wolf / Sybille Steinbacher / Johannes Warlo 97 Simon-Dubnow-Institut: Aufnahme in die Bund-Länder- Vorschau Förderung der Leibniz-Gemeinschaft / Leitungswechsel: Yfaat Weiss folgt auf Raphael Gross 6 Tagung in : Raul Hilberg und die 98 Lager- und Holocaustliteratur: Neue Professur an der Antisemitismus ist in Deutschland ein beständiges Holocaust-Historiographie Universität Gießen Problem. Von der Öffentlichkeit verpönt, bestehen 8 Conference: Jews in Postwar Europe (1945–1950) Rezensionen 99 Jahresbericht 2016 der Gerda Henkel Stiftung: Veröffentli- Ressentiments gegen Juden etwa in verkürzter 10 Mobiles Denkmal: Die grauen Busse. »Wohin bringt ihr uns?« chung der Tondokumente mit Originaltönen von Fritz Bauer Buchkritiken Kapitalismuskritik oder in der radikalen Ablehnung 11 Vortragsveranstaltungen 100 Namensgebung: Fritz-Bauer-Gesamtschule in Sankt Augustin des Staates Israel. Mit der zunehmenden Einwan- 12 Wanderausstellungen: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt / 60 Rezensionsverzeichnis: Liste der besprochenen Bücher 101 Platz der vergessenen Kinder. Kunstwerk erinnert an Die IG Farben und das Konzentrationslager Buna-Monowitz 62 Rezensionen: Aktuelle Publikationen ehemaliges jüdische Kinderhaus derung nach Deutschland verschärft sich diese 12 Ausstellung: Legalisierter Raub zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 102 Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main: Konstellation: In der migrationsfeindlichen Abwehr 13 Lehrveranstaltungen Auszeichnung für Eva Szepesi gegen fremd gemachte Andere wird der Antisemi- tismus derer, die sich zu einer national definierten Mehrheitsgesellschaft zählen, oft den angeblich Fremden zugeschrieben. Der Band fragt, wie Bil- Pädagogisches Zentrum dungsarbeit auf diese Entwicklung reagieren kann. Neuerscheinungen Ausstellungsangebot Frankfurt am Main 2017 · 309 Seiten · € 19,95 Aktuelle Publikationen des Instituts Wanderausstellung des Instituts ISBN 978-3-593-50781-1 86 Angebote und Kontakt Auch als E-Book erhältlich 15 Lena Foljanty, David Johst (Hrsg.): Fritz Bauer. Kleine Schriften 86 Unterrichtsmaterial online: Novemberpogrom 1938 103 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht 16 Jörg Osterloh, Katharina Rauschenberger (Hrsg.): Der 87 Auszeichnung: »Film verstehen | Geschichte: Holocaust« Holocaust. Neue Studien zu Tathergängen, Reaktionen und Aufarbeitungen 16 Wolf Gruner, Jörg Osterloh (Eds.): The Greater German campus.de Reich and the Jews. Nazi Persecution Policies in the 104 Publikationen des Fritz Bauer Instituts Annexed Territories 1935–1945 108 Impressum

2 Inhalt Einsicht 18 Herbst 2017 3 Fritz Bauer Institut Im Überblick

Zentrum, zu dessen Aufgaben die gesellschaftliche und pädagogische Vermittlung der Geschichte und Wirkung des Holocaust sowie der jüdischen Geschichte und Gegenwart gehören. Im Jahr 2017 wurde der Lehrstuhl zur Geschichte und Wir- kung des Holocaust, der erste in der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Themenfeld, geschaffen und am Historischen Seminar der Goethe-Universität angesiedelt. Der Lehrstuhl ist mit der Leitung des Fritz Bauer Instituts verbunden. Seine Einrichtung stärkt die Forschungsarbeit des Instituts und intensiviert seine Kooperation mit der Goethe-Universität.

Mitarbeiter und Arbeitsbereiche

Direktorin / Lehrstuhl zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Das Fritz Bauer Institut Prof. Dr. Sybille Steinbacher

Das Fritz Bauer Institut ist eine unabhängige, zeitgeschichtlich Administration ausgerichtete und interdisziplinär orientierte Forschungs- und Bil- Marina Gribanova (Sachbearbeitung Verwaltung) dungseinrichtung. Es untersucht und dokumentiert die Geschichte Hannah Hecker (Wissenschaftliches Sekretariat) der nationalsozialistischen Massenverbrechen – insbesondere des Werner Lott (Technische Leitung/Digital- und Printmedien) Holocaust – und deren Wirkung bis in die Gegenwart. Ein Schwer- Manuela Ritzheim (Leitung Verwaltung und Projektmanagement) punkt seiner Arbeit ist die Vermittlung der einschlägigen deutschen und internationalen Forschung durch Publikationen, Vortragsveran- Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Stiftungsrat Wissenschaftlicher Beirat staltungen und Ausstellungen. Dr. Tobias Freimüller (stellv. Direktor, Forschung) Das Institut trägt den Namen Fritz Bauers und ist seinem An- Dr. Jenny Hestermann (Zeitgeschichtsforschung) Für das Land Hessen: Prof. Dr. Joachim Rückert denken verpfl ichtet. Fritz Bauer (1903–1968), jüdischer Remigrant Dr. Jörg Osterloh (Zeitgeschichtsforschung) Volker Bouffi er Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main und radikaler Demokrat, widmete sich seit seiner Rückkehr aus dem Dr. Katharina Rauschenberger (Programmkoordination) Ministerpräsident Prof. Dr. Moritz Epple Exil in Skandinavien 1949 der Rekonstruktion des Rechtssystems in Boris Rhein Stellv. Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main der Bundesrepublik Deutschland und der strafrechtlichen Verfolgung Archiv und Bibliothek Minister für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. Wolfgang Benz von NS-Verbrechern. Im Jahr 1956 wurde er Generalstaatsanwalt in Johannes Beermann (Archiv und Dokumentation) Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Hessen und hat maßgeblich den Frankfurter Auschwitz-Prozess an- Josefi ne Ruhe (Bibliothek) Für die Stadt Frankfurt am Main: Universität Berlin gestoßen, der im Dezember 1963 begann und im August 1965 endete. Peter Feldmann Prof. Dr. Dan Diner Dass Adolf Eichmann, der Organisator der Todestransporte in die Lehrstuhl zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Oberbürgermeister Hebrew University of Jerusalem Vernichtungslager, gefasst und 1961 in Jerusalem vor Gericht gestellt Jason Pollhammer, MA Dr. Ina Hartwig Prof. Dr. Atina Grossmann werden konnte, ist ebenfalls wesentlich auf Bauer zurückzuführen, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft The Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York der dem israelischen Geheimdienst Mossad den entscheidenden Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp Hinweis zum Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien gab. und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main Für den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Das Fritz Bauer Institut wurde am 11. Januar 1995 vom Land Dr. Türkân Kanbıçak, Gottfried Kößler (stellv. Direktor, Jutta Ebeling Prof. Dr. Walter H. Pehle Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Pädagogik), Manfred Levy, Dr. Martin Liepach, Sophie Schmidt Vorsitzende Verlagslektor und Historiker, Dreieich-Buchschlag Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben geru- Herbert Mai Prof. Dr. Peter Steinbach fen. Als An-Institut ist es seit Herbst 2000 mit der Goethe-Universität Studentische Hilfskräfte 2. Vertreter des Fördervereins Universität Frankfurt am Main assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus Maximilian Aigner, Vanessa Gelardo, Laura S. Tittel auf dem Campus Westend. Im Stiftungsrat des Instituts sind das Für die Goethe-Universität Frankfurt am Main: Land Hessen, die Stadt Frankfurt am Main, die Goethe-Universität Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Projekten Prof. Dr. Birgitta Wolff und der Förderverein des Fritz Bauer Instituts e.V. vertreten. Der Dr. des Irene Aue-Ben-David, Dr. Lena Folianty, Dr. Wolfgang Universitätspräsidentin Förderverein und der Wissenschaftliche Beirat unterstützen und Geiger, Dr. David Johst, Alex Jordan, Dagi Knellessen, Prof. Dr. Christoph Cornelißen Abb. oben: Campus Westend der Goethe-Universität Fankfurt am Main: Blick vom Hörsaalzentrum auf den Theodor-W.-Adorno-Platz. Hinter dem Mensagebäude und begleiten seine Arbeit. Gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Dr. Sharon Livne, Ursula Ludz, Dr. Ingeborg Nordmann, Dekan, Fachbereich Philosophie und vor der Skyline das IG Farben-Haus, Sitz des Fritz Bauer Instituts. Frankfurt am Main betreibt das Fritz Bauer Institut das Pädagogische Christoph Schneider, Dr. Katharina Stengel Geschichtswissenschaften Foto: Werner Lott

4 Fritz Bauer Institut Einsicht 18 Herbst 2017 5 Veranstaltungen Vorschau

Blick nimmt sowie die Rezeptionsgeschich- 14.30–16.00 Uhr: 10.00–11.30 Uhr: Hilberg, the Jewish victims and the te seiner Werke verfolgt. Panel II: Hilbergs opus magnum »The Panel V: Themen und Kontroversen in dead – the »Jewish reaction pattern« in Ziel der Tagung wird es sein, die Aus- Destruction of the European Jews« Hilbergs Werk historiographical context einandersetzungen um Hilbergs Thesen in › Prof. em. Dr. Christopher Browning › Dr. Andrea Löw (München): Raul › Prof. Dr. Francis Nicosia (University of einer Debattengeschichte zu analysieren und (Chapel Hill): The three editions of The Hilbergs Bewertung der Judenräte im Vermont): Raul Hilberg und die Opfer- sie mit Hilbergs 1996 zuerst bei S. Fischer Destruction of the European Jews (1961, Lichte der neueren Forschung perspektive. Persönliche Erinnerungen erschienenen Lebenserinnerungen (The 1985, 2003) › Prof. Dr. Doris Bergen (Toronto): › Dr. Susanne Heim (Berlin): Raul Hil- of Memory, dt. Unerbetene Erinne- › Dr. Götz Aly (Berlin): Wie und warum »Much is Unsaid« Women in Hilberg’s berg und die Dokumente der Täter rung) zu kontrastieren. Die Konferenz fragt das Institut für Zeitgeschichte 1964 und Work and Life Moderation: darüber hinaus nach der Genese und den 1980 die Übersetzung Hilbergs hinter- › Dr. Jürgen Matthäus (Washington): › Dr. Winfried Süß (Potsdam) Grenzen von Hilbergs Werk und geht den trieb. Raul Hilberg und die Diskussion um 17.45–18.30 Uhr: Imbiss Impulsen, die er für die Holocaustforschung › Prof. em. Dr. Dan Michman (Jerusa- den »Führerbefehl« 18.30–20.00 Uhr gab und gibt, nach. Von Hilberg ausgehend, lem): Revisiting Hilberg’s Conceptual Moderation: Diskussion (in englischer Sprache) werden sich die Konferenzbeiträge auch den Model of the Development of the De- › Prof. Dr. Jonathan Huener (Burlington) › Christopher Browning and Stefan Kühl Perspektiven der Holocaustforschung wid- struction of the European Jews 11.30–12.30 Uhr: Mittagsimbiss (Bielefeld) in a conversation with Harald men. Moderation: 12.30–14.00 Uhr Welzer: Ordinary Men or Ordinary Or- › Prof. Dr. Dietmar Süß (Augsburg) Panel VI: Die Sprache Hilbergs ganizations? Tagungsprogramm 16.00–16.30 Uhr: Kaffeepause › Dr. Nicolas Berg (): Das Innere 16.30–18.00 Uhr: der Schriftstücke – Zur Lakonie von Freitag, 20. Oktober 2017 Mittwoch, 18. Oktober 2017 Panel III: Die Anfänge der Holocaust- Raul Hilberg 9.00–10.30 Uhr Tagung Raul Hilberg, von 1956 bis ab 10.00 Uhr: Anmeldung historiographie › Prof. Dr. Wulf Kansteiner (Aar- Panel IX: Die Grenzen von Hilbergs 1991 Professor für Politik- 11.00–11.15 Uhr: › Dr. Elisabeth Gallas (Leipzig): Wider- hus): Von Metaphern und Holocaust- Werk Raul Hilberg und die wissenschaft an der Universität von Ver- Begrüßung streitende Perspektiven: Raul Hilberg, Geschichte(n): Der Vernichtungsprozess › Dr. Christoph Dieckmann (Frankfurt Holocaust-Historiographie mont, war einer der ersten Wissenschaftler › Dr. Roland Schmidt (Geschäftsfüh- Philip Friedman und die frühe Holo- als Große Erzählung am Main): Krieg, Besatzung und ost- weltweit, die sich kurz nach dem Kriegs- rendes Vorstandsmitglied der Friedrich- caustforschung › Prof. Dr. Harald Welzer (Berlin): Hil- europäisches Judentum in den Studien Eine Tagung aus Anlass ende mit dem nationalsozialistischen Ge- Ebert-Stiftung) › Prof. Dr. Peter Hayes (Evanston): Hil- bergs narrative Ästhetik Raul Hilbergs seines 10. Todestages nozid an den Juden Europas beschäftigten. 11.15–11.30 Uhr: berg, die Eisenbahn und der Holocaust Moderation: › Prof. Dr. Hilary Earl (Ontario): Learn- Die 1961 von ihm unter dem Titel The De- Einführung › Prof. Dr. Magnus Brechtken (Mün- › Prof. Dr. Susanna Schrafstetter (Bur- ing from Perpetrators: Raul Hilberg, the Mittwoch, 18., bis Freitag, 20. Oktober 2017 struction of the European Jews vorgelegte › Dr. René Schlott (Potsdam): Raul Hil- chen): Raul Hilberg, Christopher Brow- lington) Nuremberg Evidence, and the Genesis Friedrich-Ebert-Stiftung, Zentrale Berlin, Gesamtdarstellung des Verfolgungs- und berg als Gegenstand einer Tagung ning und die Holocaust-Konferenzen 14.00–14.30 Uhr: Kaffeepause of the Historiography of the Holocaust Hiroshimastr. 28, Haus 2, 10785 Berlin Mordprozesses gilt als Meilenstein der Ho- 11.15–12.00 Uhr: von San Jose bis Stuttgart 14.30–16.00 Uhr in The Destruction of the European Jews Eine Veranstaltung des Zentrums für Zeithistorische locaustforschung. Sein späteres Werk Per- Keynote Moderation: Panel VII: Raul Hilberg als Public His- › Prof. Dr. Peter Klein (Berlin) Emi- Forschung Potsdam in Kooperation mit dem Fritz petrators Victims Bystanders, erschienen › Prof. Dr. Sybille Steinbacher (Frankfurt › Prof. Dr. Alan Steinweis (Burlington) torian gration und Enteignung im Werk Raul Bauer Institut, Frankfurt am Main, der Friedrich- 1992, konstituierte zudem eine bis heute am Main): Pionier, Solitär, Außenseiter. 18.00–19.00 Uhr: Imbiss › Prof. Dr. Walter Pehle (Frankfurt am Hilbergs Ebert-Stiftung, Referat Public History, Bonn, dem von der Forschung diskutierte stilbildende Zur Rolle von Raul Hilberg in der Ho- 19.00–20.30 Uhr: Main): Fußnote zur Publikationsge- Moderation: Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts, der S. Fischer Stiftung Berlin, dem The Carolyn and Trias aus Tätern, Opfern und Zuschauern locaustforschung Panel IV: Raul Hilberg und Saul Fried- schichte Hilbergs in Deutschland › Prof. Dr. Stephen Lehnstaedt (Berlin) Leonard Miller Center for Holocaust Studies, des Holocaust. Panel I: Raul Hilbergs frühe Jahre länder › Dr. Noah Shenker (Melbourne): »I have 10.30–10.45 Uhr: Kaffeepause University of Vermont, The Jack, Joseph and Morton Angesichts der Bedeutung von Raul › Dr. Elizabeth Anthony (Washington): › Prof. Dr. Michael Wildt (Berlin): Ein- never begun by asking the big ques- 10.45–13.00 Uhr Mandel Center for Advanced Holocaust Studies, Hilberg ist es überraschend, dass sich die Hilberg and Vienna führungsvortrag tions«: Raul Hilberg and Testimonial Abschlussdiskussion Washington (DC), dem Touro College Berlin und dem Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Forschung bislang nur sporadisch mit sei- › Prof. Dr. Alfons Söllner (Chemnitz/ Im Gespräch Reenactment in Shoah › Frank Bajohr, Norbert Frei, Saul Fried- Zeitgeschichte, München nem Leben, mit seinem Werk und mit des- Berlin): Raul Hilberg und Franz Neu- › Prof. Dr. Saul Friedländer (Los Ange- › Christian Mentel, MA (Potsdam): Raul länder und Sybille Steinbacher sen Wirkung beschäftigt hat. Die Tagung mann. Der Einfl uss des »Behemoth« les) und Prof. Dr. Norbert Frei (Jena) Hilberg und die Holocaust-Negationi- 13.00 Uhr: Mittagsimbiss und Tagungsende Konzept und Organisation: soll hierfür einen Anstoß liefern, indem sie › Anna Corsten, MA (Gießen): »Immer sten Dr. René Schlott nicht nur Stationen des Lebenswegs dieses wieder, wie ein Gespenst kommt sie Donnerstag, 19. Oktober 2017 Moderation: Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam außergewöhnlichen Wissenschaftlers vom zurück.« – Differenzen zwischen Raul 9.00–9.45 Uhr: › Prof. Dr. Frank Bösch (Potsdam) Am Neuen Markt 1, 14467 Potsdam Tel.: 0331/74510-174 akademischen Außenseiter zum weltweit an- Hilberg und Hannah Arendt Keynote 16.15–17.45 Uhr [email protected] erkannten Doyen der Holocaustforschung Moderation: › Prof. Dr. Ulrich Herbert (Freiburg): Zur Panel VIII: Raul Hilbergs Blick auf Tä- beleuchtet, sondern auch seine akademi- › Prof. Dr. Frank Bajohr (München) Entwicklung der Holocaustforschung ter und Opfer schen und persönlichen Netzwerke in den 13.30–14.30 Uhr: Mittagsimbiss seit den 1980er Jahren › Olof Bortz, MA (Stockholm): Raul

6 Veranstaltungen Einsicht 18 Herbst 2017 7 Conference communities rebuilt in postwar Europe? 9.30–11.15 oʼclock: (re-)building, the role of aid from world Chair: What roles did international and Ame- Panal 1. The collapse of , end Jewry. › Christian Wiese (Goethe-Universität Jews in Postwar Europe rican Jewish aid organizations play in of the war: Displacement, dilemmas of › Ewa Koźmińska-Frejlak (Jewish His- Frankfurt am Main) Eine bahnbrechende (1945–1950) this revival process? emigration and return. torical Institute Warsaw, Poland): The 11.45–12.15 oʼclock: coffee break Darstellung des 3. Economic and social structures. How › Kateřina Čapková (Institute of Contem- assimilation of Polish Jews to Polishness 12.15–13.45 oʼclock: Sunday, 3 to Tuesday, December 5, 2017 did survivors (re-)establish the most ba- porary History, Academy of Sciences of and the attitude of the Jewish community Panel 5. Justice and revenge: war- Holocaust Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus sic social unit: the family? What stra- the Czech Republic): Competing Jewish in Poland towards assimilation (1945– crimes trials, People’s Tribunals, Jewish Westend, Nobert-Wollheim-Platz 1, Casino-Gebäude, tegies did they come up with to get by Narratives: Jewish migrants in Postwar 1950) Honour Courts, restitution. Raum 1.801 economically on an everyday basis? Czechoslovakia › Tamar Lewinsky (Jewish Museum › Katarzyna Person (Jewish Historical Eine Kooperation des Fritz Bauer Instituts mit dem 4. Historiography and memory of the Je- › Naama Seri-Levi (The Hebrew Uni- Berlin): Cultural rebuilding in the DP Institute, Warsaw, Poland): Defense Jüdischen Museum Frankfurt, dem Simon-Dubnow- wish catastrophe. What kind of institu- versity of Jerusalem, Israel): Wander- camps of postwar . strategies in the postwar Jewish Honour Institut für jüdische Geschichte und Kultur und dem tions and methodologies did postwar ers, Refugees, Displaced Persons: The › Irit Chen (The Hebrew University of Courts Seminar für Judaistik der Goethe-Universität Frankfurt am Main Jewish communities establish to docu- Experience of Jewish-Polish Repatriates Jerusalem, Israel): »Dear Child of Is- › Philipp Graf (Simon Dubnow Insti- ment the recent catastrophe? How did during and after the War. rael« or a »Cheap Partner«: The Relation tut, Leipzig, Germany): »The Central The conference will feature they commemorate the Jewish victims › G. Daniel Cohen (Department of His- of the Israeli Consulate in Munich to the Secretariat […] approves the draft bill« the state of the art in acade- of the war? tory, Rice University): »Philosemitic« Rebuilding of the Jewish Community in – Restitution in the Soviet Zone of Ger- mic research on the postwar history of Euro- 5. Postwar justice. How did European Western Europe? The Jewish Question Germany 1948–1953. many Reconsidered pean Jews. As the vast majority of surviving countries in general and Jewish com- in the Aftermath of the War, 1945–1967. › Izabela Dahl (School of Humanities, › Annette Weinke (Friedrich Schiller European Jews endured Nazi occupation, munities in particular deal with the Chair: Education and Social Sciences, Örebro University, Jena, Germany): At the In- the focus of the conference will be on Jews question of wartime responsibility? › Sybille Steinbacher (Goethe-Univer- University, ): The complexity of tersection of Law, History, and Legal who experienced the war in these parts of What legal and illegal methods were sität/Fritz Bauer Institut Frankfurt am displacement . Polish Jews in Sweden Lobbying: Transatlantic Jewish Legal the continent. employed and what results did they Main) after World War II Think Tanks and Postwar Justice. In the postwar years, Europe was a »sa- yield in bringing war-time criminals to 11.15–11.45 oʼclock: coffee breack Chair: Chair: 1 vage continent« , trying to come to terms justice? What measures were taken to 11.45–13.30 oʼclock: › Rebekka Voß (Goethe-Universität › Mirjam Wenzel (Jüdisches Museum Warum geschah der Holocaust? with perhaps the most lethal moment in provide restitutions for Jews? Panel 2: Economic and social structu- Frankfurt am Main) Frankfurt am Main) Peter Hayes ist der erste Historiker, modern human history. Amidst the ruins, 6. Analyzing the past, building the future. res: re-integration into old structures, 18.30 oʼclock: Dinner for the participants, 13.45–14.45 oʼclock: lunch buffet der die Frage nach dem »Warum« poverty and destruction, the surviving Jews In what ways – both concrete and the- and the construction of new ones. Reception at the Römer 14.45–16.30 oʼclock: ins Zentrum eines Buches stellt. of the continent were trying to rebuild their oretical – did Jews fi ght the political › Laura Hobson-Faure (Université Panel 6: Imagining and building the Er spannt den Bogen von den Ur- lives and communities, fi nd their postwar ideas of Nazism during and after the Sorbonne Nouvelle, 3.): Protect- Tuesday, December 5, 2017 future: Jewish participation in the post- sprüngen des Antisemitismus bis identities, and face the recent Jewish cata- war? What kind of political and ideo- ing the European Branch of the Jewish 9.30–11.45 oʼclock: war administration and the formation hin zur Bestrafung von NS-Verbre- strophe. We will address these immediate logical movements did they join and Diaspora: The American Jewish Joint Panel 4: Memory and silence: Jewish of different states. chern nach 1945. So gelingt ihm ein kluger und kundiger Überblick postwar Jewish experiences by focusing on why? Distribution Committee in Europe after Holocaust documentation and Holo- › Jan Gerber (Simon Dubnow Institute, über die Vernichtung der europä- six key topics: the Shoah caust memory. Leipzig): Socialist Homogenization. ischen Juden. Ein eindrucksvolles 1. The collapse of Nazism, end of the war: Sunday, December 3, 2017 › Katharina Friedla (Yad Vashem, Jeru- › Manuela Consonni (The Hebrew Uni- Jews in the Czechoslovak Communist Buch, an dem künftig nicht vorbei- Displacement, dilemmas of emigration 18.00–20.00 oʼclock: salem, Israel): Socio-Economic Patterns versity of Jerusalem, Israel): Auschwitz Party, 1945–1952 zukommen sein wird. and return. What were the most imme- Public round table discussion: »A Va- and Reconfi guration of Jewish Life in and the lesson of Srebrenica in the post- › Anna Koch (University of Southamp- diate dilemmas of survivors after the nishing Diaspora?« Recent develop- Post-War Poland (1945–1949) – Lower memory age ton, UK): »The foundation for a new »Das Buch spiegelt meine Überzeu- end of the war? What kind of answers ments, questions and debates in acade- Silesia as a Case Study. › Natalia Aleksiun (Touro College, New and better Germany« – Communists gung wider, dass sich der Holocaust genau wie jede andere menschliche did they give to the question: What to mic research about the history of Jews › Kamil Kijek (University of Wroclaw): York, USA): Documentation (Self) of Jewish origin in the early German Erfahrung erklären lässt, auch wenn do next? Why did they decide to go in post-war Europe. Polish-Jewish-German triangle, com- Censorship and the Early Holocaust Democratic Republic das nicht einfach ist.« Peter Hayes back to their countries or why did they › G. Daniel Cohen (Rice University) munism, »regained territories« and Jew- Testimonies in Poland › Avinoam Patt (University of Hartford, opt for emigration? › Tobias Freimüller (Fritz Bauer Institut) ish transnationalism. Jewish experience › Ferenc Laczó (University of Maas- Connecticut, USA): From Destruction 2017 · 445 Seiten · Gebunden · € 29,95 Auch als E-Book erhältlich 2. Cultural revival and community › Jan T. Gross (Princeton University) of Rychbach/Dzierżoniów in the years tricht, the Netherlands): Interpreting to Rebirth: Jewish Displaced Persons www.campus.de building. In what form were Jewish › Atina Grossmann (Cooper Union) 1945–1950. Responsibility. On the Incipient Histori- and the Creation of the State of Israel Chair: Chair: ography of the Holocaust in Hungary. Chair: › Elisabeth Gallas (Dubnow Institut) › TBA › Yechiel Weizmann (Haifa University, › TBA 13.30–14.30 oʼclock: lunch buffet Israel): Breaching the Silence: Jewish 16.30–17.00 oʼclock: coffee break 1 Keith Lowe, Savage Continent. Europe in the Af- termath of World War Two, New York: Viking, Monday, December 4, 2017 14.30–16.45 oʼclock: Sites as Reminders of the Holocaust in 17.00–17.30 oʼclock: 2012. 9.00–9.30 oʼclock: Welcome Panel 3: Cultural revival: community Communist Poland. Closing remarks

8 Veranstaltungen Einsicht 18 Herbst 2017 9 Mobiles Denkmal in Heil- und Pfl egeanstalten eingewiesenen stalten transportiert, ermordet und vor Ort in Vortragsreihe: Mittwoch, 29. November 2017, 18.15 Uhr, Goethe- senschaftlichen Beirats dieses Museums war Patienten nach Hadamar, wo sie unmittelbar Krematorien verbrannt. In Hadamar fanden »Holocaust in europäischen Museen« Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Oliver Rathkolb von Anfang an in die Dis- Die grauen Busse nach ihrer Ankunft mit dem Giftgas Kohlen- vom 13. Januar bis zum 24. August 1941 Nobert-Wollheim-Platz 1, IG Farben-Haus, Raum 311 kussionen über die Ausstellungsgestaltung »Wohin bringt ihr uns?« monoxid umgebracht wurden. im Rahmen der T4-Geheimaktion 10.122 Prof. Dr. Pawel Machcewicz, Warschau eingebunden. Die Kuratierung wurde von Adolf Hitler hatte im September 1939 Kranke einen grausamen Tod. Der »Unabhängige Staat der Direktorin, Taja Vovk van Gaal, und ih- den Befehl zur sogenannten »Euthanasie«- Kritik vonseiten der katholischen Kir- Presentation of the Kroatien« betrieb im Zwei- rem Team umgesetzt. Am Ende des Vortrags Zum Gedenken an die Opfer der Aktion im Deutschen Reich gegeben. Mit che und der Beginn des Russlandkrieges Holocaust at the Museum ten Weltkrieg eigene Todeslager. In den soll auch auf die Vermittlungsprogramme zu »Euthanasie«-Verbrechen im National- dem Begriff »Euthanasie«, der aus dem Grie- bewogen die Verantwortlichen im August 1990er Jahren strebte der kroatische Präsi- diesem Thema eingegangen werden. sozialismus – Denkmalsinstallation mit chischen kommt und »guter Tod« bedeutet, 1941, zumindest die zentral gelenkte »Ak- of the Second World War dent Franjo Tuđman vergeblich an, aus dem umfangreichem Begleitprogramm verschleierten die Nationalsozialisten die tion T4« zu beenden. Ein großer Teil des in Gdańsk größten von ihnen, Jasenovac, eine »natio- Oliver Rathkolb ist Professor am Institut systematische Tötung von in ihren Augen »Euthanasie«-Personals kam anschließend nale Versöhnungsstätte« zu machen und die für Zeitgeschichte der Universität Wien und 19. August 2017 bis Mai 2018 »lebensunwertem Leben«. bei der Ermordung der Juden in Europa Mittwoch, 25. Oktober 2017, 18.15 Uhr, Goethe-Uni- sterblichen Überreste der Opfer des »kroa- Institutsvorstand. Rathenauplatz, Frankfurt am Main Die Mordaktion wurde von einer zen- zum Einsatz. Dezentral fanden bis zum versität Frankfurt am Main, Campus Westend, Nobert- tischen Holocaust« neben die KZ-Opfer zu tralen Dienststelle mit Sitz in der Berliner Kriegsende 1945 fortgesetzt weitere NS- Wollheim-Platz 1, Casino-Gebäude, Raum 1.801 betten. Im Zuge der EU-Beitrittsbemühungen Veranstalter: Amt für multikulturelle Angelegenheiten Lecture in English der Stadt Frankfurt am Main, Dezernat Kultur und Tiergartenstraße 4 organisiert, weshalb die »Euthanasie«-Verbrechen statt. Im Regie- entstand 2006 eine neue Ausstellung, deren Wissenschaft, Dezernat Personal und Gesundheit, Fritz »Euthanasie«-Verbrechen auch unter dem rungsbezirk Wiesbaden starben in den An- Eine Kooperation des Fritz Bauer Instituts mit dem Fokus auf den individuellen Opfern liegt. Bauer Institut, Gesundheitsamt, Haus am Dom, Namen »Aktion T4« bekannt sind. Die An- stalten Hadamar, Eichberg, Kalmenhof und Deutschen Polen-Institut, Darmstadt Dabei scheint die Erinnerung an die jüdi- Tag des Gedenkens Katholische Akademie Rabanus Maurus, Institut für Stadtgeschichte im Karmeliterkloster, Kulturamt, staltsleitungen mussten der Berliner Ver- Weilmünster nochmals Tausende – unter schen Opfer leichter zu fallen als jene an die an die Opfer des Nationalsozialismus Psychiatriewoche Frankfurt, Stadtbücherei Frankfurt waltungsstelle Meldebögen mit Angaben ihnen viele Frankfurterinnen und Frankfur- Most museums dealing ermordete serbische Bevölkerung oder die zu bestimmten Patientengruppen senden. ter – durch überdosierte Medikamente, Ein- with the time of the Second kroatischen Ustaša als Täter. 2016, nach dem Dr. Stefan Hördler, Nordhausen Mehr als 1.000 Frankfur- Gutachter prüften die Krankengeschichten spritzungen oder gezielte Unterernährung. World War focus either on the military his- Wahlsieg der ehemaligen Tuđman-Partei, terinnen und Frankfurter und versahen die Bögen, ohne jemals die Insgesamt fi elen der nationalsozialistischen tory or exclusively on the extermination of wurde diese Erinnerungspolitik revidiert. Zwangsarbeit unter der mit psychischen Krankheiten oder geisti- Patienten gesehen zu haben, mit einem ro- Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945 etwa Jews. The Museum of the Second World NS-Herrschaft gen Behinderungen wurden zwischen Ja- ten »+« für »Töten« oder einem blauen »–« 300.000 psychisch Kranke und Menschen War in Gdańsk is one of the fi rst attempts Ljiljana Radonić ist APART-Stipendiatin nuar und August 1941 in der Gaskammer für »Weiterleben«. Daraufhin wurden etwa mit Behinderungen zum Opfer. to present the overall narrative of all crucial der Österreichischen Akademie der Wissen- der NS-»Euthanasie«-Anstalt Hadamar bei 70.000 psychisch kranke und geistig behin- Die Urnen von 315 »Euthanasie«-Op- events of the war with the special empha- schaften. Freitag, 26. Januar 2018, 12.00 Uhr, Goethe-Univer- Limburg ermordet. Grau gestrichene ehema- derte Menschen mit grauen Bussen in sechs fern aus Frankfurt und Umgebung ruhen in sis on the genocide and terror suffered by sität Frankfurt am Main, Campus Westend, Theodor- W.-Adorno-Platz 1, Präsidiums-Gebäude, Lobby (EG) lige Postbusse beförderten die zuvor bereits über das Reichsgebiet verteilte Tötungsan- der Gräberanlage für Opfer des Nationalsozi- civilians. The extermination of the Jews is alismus auf dem Hauptfriedhof. Das von den presented there alongside the fate of other Eine Kooperation des Fritz Bauer Instituts mit dem Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz categories of victims. Such a perspective Präsidium der Goethe-Universität und dem For- entworfene mobile »Denkmal der Grauen enables to grasp the evolution of the Nazi Prof. Dr. Oliver Rathkolb, Wien schungszentrum Historische Geisteswissenschaften. Busse« erinnert an die Todestransporte der genocidal policy and to understand how its »Aktion T4«. Die eingemeißelte Inschrift various elements infl uenced each other. Holocaust Bis zu 20 Millionen Men- »Wohin bringt ihr uns?« überliefert die bange Darstellungen und Narrative schen aus ganz Europa Frage eines Patienten. Pawel Machcewicz, a founding director of mussten Zwangsarbeit im Deutschen Reich the Museum of the Second World War in im Haus der Europäischen oder in den besetzten Ländern leisten. Weitere Informationen zum Denkmal und Gdańsk, is professor at the Polish Academy Geschichte in Brüssel Tausende KZ-Häftlinge und andere Grup- zum umfangreichen Begleitprogramm: of Sciences. pen waren schon in der Vorkriegszeit zur www.die-grauen-busse-frankfurt.de Mittwoch, 13. Dezember 2017, 18.15 Uhr, Goethe- Zwangsarbeit in den Lagern, in Kommu- Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, nen und Privatbetrieben eingesetzt worden. Website des mobilen Denkmals: Nobert-Wollheim-Platz 1, IG Farben-Haus, Raum 311 In öffentlichen Diskussionen fungiert der www.dasdenkmaldergrauenbusse.de Begriff der NS-Zwangsarbeit allgemein als Dr. Ljiljana Radonić, Wien Auf der Basis der im Mai Sammelbegriff für unfreie Arbeit im Natio- 2017 eröffneten Daueraus- nalsozialismus. Die formalen Rahmenbedin- Das kroatische Gedenk- stellung des neu gegründeten Hauses der gungen, nach denen Menschen im National- museum Jasenovac als Europäischen Geschichte in Brüssel wer- sozialismus zur Arbeit gezwungen wurden, Mobiles »Denkmal der grauen Busse« den die zentralen Objekte und Erzählsträn- waren jedoch sehr unterschiedlich. Auch das auf dem Rathenauplatz in Frankfurt am Main. »Zugpferd nach Europa« ge bezüglich der Ursachen und Folgen des Ausmaß des Zwangs und die Lebensbedin- Foto: Werner Lott und »nationales Schandmal« Holocaust analysiert. Als Mitglied des wis- gungen konnten stark variieren.

10 Veranstaltungen Einsicht 18 Herbst 2017 11 Der Vortrag geht den zentralen Fragen Wanderausstellung Die Neugestaltung der Ausstellung Lehrveranstaltung Anmeldung per Mail an: j.osterloh@fritz- dann im Nationalsozialismus eine prakti- nach den Voraussetzungen, Strukturen und wurde erstellt von: Funkelbach. Büro für bauer-institut.de sche Umsetzung, die sich als sukzessive Akteuren von Zwangsarbeit sowie den ver- Die IG Farben und das Architektur und Grafi k, Leipzig. Die Einsatzgruppen der Radikalisierung vor dem Hintergrund ei- schiedenen Gruppen und dem Alltag der Konzentrationslager Sicherheitspolizei und des Literatur: ner moralischen und rechtlichen Entgren- Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen Weitere Informationen zur Ausstellung: › Andrej Angrick, Besatzungspolitik und zung medizinischen Handelns vollzog. Es im Nationalsozialismus zwischen 1933 und Buna-Monowitz www.fritz-bauer-institut.de/ig-farben.html SD im Vernichtungskrieg Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der werden die wesentlichen Stationen dieser 1945 nach. Darüber hinaus stehen Aspekte Wirtschaft und Politik im gegen die Sowjetunion, südlichen Sowjetunion. 1941–1943, Ham- Radikalisierung analysiert, die bis zum Ho- der Entschädigung und Debatten nach 1945 Nationalsozialismus 1941–1945 burg 2003 locaust führte: Zwangssterilisationen, Kin- um die Anerkennung der NS-Zwangsarbeit Vorgeschichte – Massenmor- › Hilary Earl, The Nuremberg SS-Ein- der- und Erwachsenen-»Euthanasie« sowie als Unrecht im Fokus. Räumlich wird die Donnerstag, 25. Januar bis Sonntag, 18. Februar satzgruppen Trial, 1945–1958. Atrocity, Menschenversuche in Konzentrations- und europäische Dimension der NS-Zwangsar- 2018, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Ausstellung de – justizielle Aufarbeitung Law, and History, Cambridge 2009 Vernichtungslagern. Im letzten Teil des Se- beit in den Blick genommen. Im Zentrum Westend, Theodor-W.-Adorno-Platz 1, PA-Gebäude › Helmut Krausnick, Hans-Heinrich Wil- minars soll die Nachgeschichte der Medi- (Präsidium der Administration), Lobby (Erdgeschoss) des Vortrags steht daher die transnationale Legalisierter Raub Dr. Jörg Osterloh, Übung, Blockveranstaltung, helm, Die Truppe des Weltanschauungs- zinverbrechen in Ost- und Westdeutschland Verfl echtungsgeschichte der Zwangsarbeit Der Chemiekonzern I.G. Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am krieges. Die Einsatzgruppen der Sicher- behandelt werden. Der Fiskus und die Main, Termine und Ort werden noch bekanntgegeben unter NS-Herrschaft als europäische Erfah- Farben ließ ab 1941 in un- heitspolizei und des SD 1938–1942, Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt. rung und elementarer Teil eines europäischen mittelbarer Nähe zu dem Konzentrationsla- Ausplünderung der Juden Stuttgart 1981 Gedächtnisses. ger Auschwitz die größte chemische Fabrik in Hessen 1933–1945 Bereits beim »Anschluss« › Sabrina Müller, Timo John, Die Mörder Literatur: Osteuropas bauen. Sie sollte zugleich ein Österreichs und des Sude- sind unter uns. Der Ulmer Einsatzgrup- › Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Tödliche Stefan Hördler ist Historiker und Leiter der Baustein der »Germanisierung« der Regi- Mittwoch, 23. Mai bis Sonntag, 14. Oktober 2018, tenlandes 1938 kamen polizeiliche Sonder- penprozess 1958, Stuttgart 2008 Medizin im Nationalsozialismus, Köln u.a. KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. on werden. Neben deutschen Fachkräften Historisches Museum Frankfurt, Saalhof 1 einheiten zum Einsatz, deren Aufgabe u.a. › Ralf Ogorreck, Die Einsatzgruppen und 2008 setzte das Unternehmen auf der riesigen 60311 Frankfurt am Main, Tel.: 069.212-35599, die Festnahme von »Reichsfeinden« war. In die »Genesis der Endlösung«, Berlin 1996 › Robert Jütte (mit Wolfgang U. Eckart, Hans- [email protected], Baustelle Tausende von Häftlingen aus https://historisches-museum-frankfurt.de den besetzten polnischen Gebieten ermorde- Walter Schmuhl und Winfried Süß), Medizin dem KZ Auschwitz, Kriegsgefangene und ten aus SS-Männern und Polizeiangehörigen und Nationalsozialismus. Bilanz und Pers- Zwangsarbeiter aus ganz Europa ein. Für Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des gebildete und unter der Führung von Offi zie- pektiven der Forschung, Göttingen 2011 Wanderausstellung die zunehmende Zahl von KZ-Häftlingen Hessischen Rundfunks. ren der Sicherheitspolizei und des Sicher- › Winfried Süß: Der »Volkskörper« im Mit Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung errichteten der Konzern und die SS 1942 das Hessen-Thüringen und des Hessischen Ministeriums heitsdienstes der SS stehende Einsatzgrup- Lehrveranstaltung Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheits- Fritz Bauer. Der Staatsanwalt fi rmeneigene KZ Buna-Monowitz. Tausende für Wissenschaft und Kunst. pen 1939 Tausende Polen, darunter bereits verhältnisse und Krankenmord im nati- NS-Verbrechen vor Gericht Menschen kamen durch die unmenschlichen zahlreiche Juden. Nach dem Überfall auf die Medizinverbrechen im onalsozialistischen Deutschland 1939– Arbeitsbedingungen zu Tode oder wurden Die Ausstellung »Legali- Sowjetunion am 22. Juni 1941 folgten vier Nationalsozialismus 1945, München 2003 in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau sierter Raub« ist seit ihrer Einsatzgruppen (A–D) der zunächst rasch Sonntag, 15. Oktober 2017 bis 25. Februar 2018 ermordet, wenn sie nicht mehr arbeitsfähig Eröffnung in der Goldhalle des Hessischen vorrückenden Wehrmacht und ermordeten Jüdisches Museum Westfalen, Julius-Ambrunn-Str. 1, 46282 Dorsten, Öffnungszeiten: Di. bis Fr., 10.00– waren. Rundfunks am 28. Mai 2002 sehr erfolg- Hunderttausende Menschen, vor allem Juden, Dr. Tobias Freimüller, Übung, 17. Oktober 2017 bis 12.30 Uhr und 14.00–17.00 Uhr; Sa., So. und Feiertage, Die Ausstellung zeichnet die Entste- reich durch Hessen und darüber hinaus aber auch Sinti, kommunistische Funktionäre 6. Februar 2018, dienstags, 14.00–16.00 Uhr, 14.00–17.00 Uhr; Mo. geschlossen; das Museum ist hung, den Alltag und die Aufl ösung des KZ gewandert. Das Ausstellungsteam hatte für und Anstaltspatienten. Nach dem Ende des Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt Lehrveranstaltung vom 23. Dezember 2016 bis einschließlich 1. Januar am Main, Campus Westend, Seminarhaus, Raum 2.102 Buna-Monowitz nach. Historische Fotografi - jeden Ausstellungsort neue regionale Vitri- »Dritten Reiches« mussten sich 24 frühere 2017 geschlossen. Kontakt: Tel.: 02362.45279, Fax: 45386, [email protected], www.jmw-dorsten.de en dokumentieren die Perspektive der SS und nen erarbeitet, die sich mit der Geschichte Führer der Mordeinheiten im sogenannten Jüdische Geschichte im Weitere Ausstellungsorte sind in Vorbereitung. der I.G. Farben auf der Baustelle und im La- des legalisierten Raubes vor Ort beschäftig- Einsatzgruppenprozess vom 15. September Seit den 1980er Jahren Schulbuch geralltag. Sie wurden angefertigt anlässlich ten. Nach 16 Jahren Wanderschaft und 29 1947 bis zum 10. April 1948 vor einem US- wurden die Verbrechen, die Eine Ausstellung des Fritz eines Besuches des Reichsführers der SS, Ausstellungsstationen kehrt sie jetzt nach amerikanischen Militärtribunal in Nürnberg von Medizinern im Nationalsozialismus Bauer Instituts und des Heinrich Himmler, am 17. und 18. Juli 1942. Frankfurt zurück, wo sie – erweitert um neue verantworten. 1958 war schließlich der so- begangen wurden, breit diskutiert. In die- Dr. Martin Liepach, Übung, 20. Oktober 2017 bis Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Die Fotografi n werden kontrastiert mit au- lokale Forschungsergebnisse – im Histori- genannte Ulmer Einsatzgruppenprozess ein ser Lehrveranstaltung wird zunächst ihre 9. Februar 2018, freitags, 14.00–16.00 Uhr, Seminar Ausstellungspräsentation in Dorsten in tobiographischen Texten von Überlebenden, schen Museum abschließend präsentiert Wendepunkt in der bundesrepublikanischen Vorgeschichte rekonstruiert, insbesondere Didaktik der Geschichte, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, IG Farben-Haus, Raum Kooperation mit dem Verein für jüdische darunter Primo Levi, Eli Wiesel, Jean Améry werden wird. Dazu ist eine umfangreiche Strafverfolgung der NS-Verbrechen. die gesellschaftlichen und wissenschaftli- 3.401 Geschichte und Religion e.V., Jüdisches und Paul Steinberg, sowie den Aussagen von Publikation in Vorbereitung. Die Übung befasst sich auf Basis um- chen Debatten um Eugenik, »Rassenhygie- Museum Westfalen. Überlebenden in den Nachkriegsprozessen. fangreichen publizierten Quellenmaterials ne« und »lebensunwertes Leben« seit dem In dieser Übung sollen ein- Informationen zu den Gerichtsverfahren in Weitere Informationen zur Ausstellung: mit den Verbrechen der Einsatzgruppen und späten 19. Jahrhundert, in denen medizi- schlägige Geschichtslehr- Weitere Informationen zur Ausstellung auf der Nachkriegszeit und den Bemühungen www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter- deren späterer Strafverfolgung. nische und bevölkerungspolitische Fragen bücher im Hinblick auf die Thematisierung S. 103 und unter: www.fritz-bauer-institut. der Überlebenden um Entschädigung nach raub.html Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt; eng verzahnt waren. Diese bis 1933 nur der jüdischen Geschichte im historischen de/fritz-bauer-ausstellung.html 1945 beschließen die Ausstellung. Teilnahme ausschließlich nach persönlicher theoretisch geführten Debatten erfuhren Längsschnitt (Mittelalter bis NS-Zeit) und

12 Veranstaltungen Einsicht 18 Herbst 2017 13 damit verbundener Themen fachwissen- In der Historiographie rück- Lehrveranstaltung Fritz Bauer (1903–1968) war eine der be- schaftlich und didaktisch analysiert werden. ten die Leidtragenden des Neuerscheinungen deutendsten Persönlichkeiten im Kampf für Jüdische Geschichte wird im Geschichtsun- NS-Regimes erst um die Jahrtausendwende Neuere Forschungen zur die juristische Ahndung der NS-Verbrechen terricht vorrangig in Verbindung mit dem Na- in den Blick. Zeugen des Holocaust fanden Geschichte und Wirkung in den fünfziger und sechziger Jahren in tionalsozialismus und dem Holocaust unter- indes schon Jahrzehnte früher öffentliche Aktuelle Publikationen Deutschland. Der jüdische Jurist und Sozi- richtet. Die Materialien in den gegenwärtigen Aufmerksamkeit, erstmals im Eichmann- des Holocaust aldemokrat wurde schon früh durch die Na- Schulbüchern werfen dazu zahlreiche Fragen Prozess 1961, später auch in anderen Ver- des Instituts tionalsozialisten ins Exil getrieben. Im Jahr auf. Aber nicht nur für diese Epoche gibt fahren, die sich mit den nationalsozialisti- Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Forschungskolloquium, 1949 kehrte er nach Deutschland zurück es Fragen an die jüdische Geschichte: Wie schen Verbrechen befassen, beispielsweise 24. Oktober 2017 bis 6. Februar 2018, dienstags, und setzte sich für die Demokratisierung werden Antisemitismus und Verfolgungs- im Frankfurter Auschwitz-Prozess. Der 18.00–20.00 Uhr, Historisches Seminar, Goethe- des Landes ein. Als Generalstaatsanwalt in Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, geschichte im Vergleich zur allgemeinen Begriff »Zeitzeuge« wurde in den siebzi- IG Farben-Haus, Raum 3.401 Braunschweig war Bauer 1952 Ankläger jüdischen Geschichte thematisiert und in ger Jahren in Westdeutschland gebräuchlich, Sprechstunde: während des Semesters dienstags von im sogenannten Remer-Prozess. 1961 war welchem Verhältnis stehen sie zueinander? verbreitete sich rasch und ist heute aus der 15.00–16.00 Uhr er Mitglied der Gründungsversammlung Erscheinen Juden nicht nur als Objekte und Debatte um die (globalisierte) Erinnerung an der Humanistischen Union. Als Hessischer Opfer von Geschichte, sondern auch als Trä- die Verbrechen nicht mehr wegzudenken. Im Im Forschungskolloquium Generalstaatsanwalt initiierte er den Ausch- ger einer eigenen Kultur und Mitgestalter der Seminar geht es darum, nach der Bedeutung werden laufende Untersu- witz-Prozess in Frankfurt am Main (1963 Moderne? Erfolgt die Thematisierung auf der und Rolle von Zeitzeugen des Holocaust in chungen und jüngst abgeschlossene Studien bis 1965) und strengte ein Verfahren gegen Grundlage einer Wissenschaftsorientierung, den Jahrzehnten seit dem Ende des Zwei- zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Beteiligte am »Euthanasie«-Programm an. um gegen stereotype Bilder anzugehen, oder ten Weltkriegs zu fragen. Frühe Zeugnisse vorgestellt und diskutiert. Es richtet sich an Darüber hinaus engagierte er sich für die Re- werden diese unfl ektiert reaktiviert? des Mordgeschehens kommen ebenso zur fortgeschrittene Studierende, Examenskan- Die Analyse der Schulgeschichtsbücher Sprache wie die gesellschaftspolitische didaten und -kandidatinnen, Promovierende Lena Foljanty und David Johst (Hrsg.) Generalstaatsan- wird Aspekte der historisch-sachlichen Fakti- Funktion von Zeitzeugen in den siebziger und wissenschaftliche Mitarbeiter und Mit- walt Fritz Bauer zität und ihrer politisch-moralischen Bewer- und achtziger Jahren in Deutschland (West arbeiterinnen. auf einer Presse- Fritz Bauer konferenz in tung mit den Formen ihrer didaktischen Um- wie Ost) und anderswo. Für die Entstehung Kleine Schriften Frankfurt, auf der setzung im Lehrbuch (Autorentext, Text- und eines kritischen Geschichtsbewusstseins in am 13. Februar Bildquellen, Arbeitsaufträge) verknüpfen. Deutschland spielten Zeitzeugen eine be- 1964 der Tod von Eingangs der Veranstaltung erfolgt eine kur- deutende Rolle. Wie steht es darum in der Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Lena Dr. Werner Heyde, dem Leiter der ze methodische Einführung in Formen der stark medial geprägten Erinnerungskultur Weitere Veranstaltungsinformationen Foljanty und David Johst Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2017 NS-»Euthanasie«- Schulbuchanalyse. der Gegenwart? Was hat sich im Laufe der entnehmen Sie bitte den Ankündigungen auf 2 Bände, ca. 1.600 S., gebunden, ca. € 78,– Zentrale, bekannt- Zeit geändert und in welchem Verhältnis ste- unserer Website: EAN 9783593508597 gegeben wurde. hen Erinnerung und kritisches Geschichts- www.fritz-bauer-institut.de Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Heyde hatte sich wenige Tage vor bewusstsein zueinander? und auf unserer Facebook-Seite: Band 32 in zwei Teilbänden Erscheinungstermin: voraussichtlich Juni 2018 Prozessbeginn Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt. www.facebook.com/fritz.bauer.institut auch als E-Book erhältlich in seiner Zelle Lehrveranstaltung erhängt. Foto: Literatur: picture alliance/ Roland Witschel Der Zeitzeuge und die › Laura Jokusch, Collect and record! Jew- Fritz Bauer ist als der Staats- NS-Geschichte ish Holocaust Documentation in Early anwalt in die Geschichte Postwar Europe, New York 2012 der Bundesrepublik eingegangen, der den Schriften oft für seine Zeit ungewöhnliche form des Strafrechts sowie des Strafvollzugs Zur Funktion von Zeitzeu- › Martin Sabrow, Norbert Frei (Hrsg.), Die Auschwitz-Prozess initiiert und in einer Positionen eingenommen; zugleich zeigen und wirkte in zahllosen Auftritten und Auf- gen in Öffentlichkeit und Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttin- Vielzahl weiterer Fälle die Verfolgung von die Texte, wie eng er dem Denken seiner sätzen auf eine humane Rechtsordnung hin. Geschichtskultur Deutsch- gen 2012 NS-Verbrechen in die Wege geleitet hat. In Zeit verbunden war. Sie gewähren damit lands und anderer Länder › Jan Taubitz, Holocaust Oral History und Büchern, Aufsätzen, Zeitungsartikeln, In- Einsicht in Diskussionen der frühen Bun- Dr. jur. Lena Foljanty ist als Wissenschaft- das lange Ende der Zeitzeugenschaft, Göt- terviews und Reden in Hörfunk und Fern- desrepublik und führen eindrucksvoll vor lerin am Max-Planck-Institut für europäische tingen 2016 sehen refl ektierte er die gesellschaftliche Augen, wie sich Bauer als Jurist, Remigrant, Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main tätig. Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Seminar, 17. Oktober und politische Lage der Bundesrepublik in jüdischer Intellektueller und Sozialdemokrat 2017 bis 6. Februar 2018, dienstags, 12.00–14.00 Uhr, der Nachkriegszeit. Daneben formulierte er einmischte und Gehör verschaffte. So eröff- Dr. phil. David Johst hat Geschichtswis- Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Seminarhaus, Raum 1.107 ein kriminalpolitisches Programm, in dem nen die Schriften den Blick auf die Brüche in senschaft und Journalistik an der Univer- Sprechstunde: während des Semesters dienstags von er Ziel und Zweck des Strafrechts grundle- seiner Biografi e, auf Exil und Remigration sität -Wittenberg und der Universität 15.00–16.00 Uhr gend in Frage stellte. Bauer hat in diesen als Schlüsselerfahrungen. Leipzig studiert.

14 Veranstaltungen / Neuerscheinungen Einsicht 18 Herbst 2017 15 Jörg Osterloh und So gelangen Uneindeutigkeiten, Wechselwir- › Anja Horstmann: Das Nachleben der Bilder. annexed territories and their impact on the › Albert Lichtblau: Austria Das Großdeutsche Reich und die Juden. Na- Katharina Rauschenberger (Hrsg.) kungen und Gleichzeitigkeiten in den Blick. Farbfi lmmaterial aus dem Warschauer Ghet- Jewish population, as well as the attitudes › Jörg Osterloh: Sudetenland tionalsozialistische Verfolgung in den »an- to von 1942 in Fernsehdokumentarfi lmen and actions of non-Jews, Germans, and in- › Wolf Gruner: Protectorate of Bohemia gegliederten« Gebieten. Die Übersetzung Der Holocaust Inhalt digenous populations. They demonstrate and Moravia wurde ermöglicht durch eine großzügige Neue Studien zu › Frank Görlich: Fluchtpunkt Transnistrien. Dr. Jörg Osterloh ist wissenschaftlicher that diverse anti-Jewish policies developed › Ruth Leiserowitz: Memel Territory Förderung im Rahmen des Programms »Gei- Grenzüberschreitende Biographien und Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut. in the different territories, which in turn af- › Wolfgang Gippert: Danzig-West Prussia steswissenschaften International« durch die Tathergängen, Reaktionen historische Kontinuitäten zwischen Ers- fected practices in other regions and even › Ingo Loose: Wartheland Fritz Thyssen Stiftung, die VG Wort, den und Aufarbeitungen ter Globalisierung, Erstem Weltkrieg und Dr. Katharina Rauschenberger ist wis- infl uenced Berlin’s decisions. Having these › Andreas Schulz: Zichenau Börsenverein des Deutschen Buchhandels nationalsozialistischer Ostexpansion senschaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer systematic studies together in one volume › Sybille Steinbacher: East Upper Silesia und das Auswärtige Amt. › Andrea Kirchner: Wie Noah auf dem Berg Institut. enables a comparison – based on the most › Christoph Brüll: Eupen-Malmedy Ararat. Richard Lichtheim in Genf, 1939– recent research – between anti-Jewish poli- › Marc Schoentgen: Luxembourg Prof. Dr. Wolf Gruner ist Shapell-Guerin 1946 cies in the areas annexed by the Nazi state. › Jean-Marc Dreyfus: Alsace-Lorraine Chair in Jewish Studies und Professor of › Birte Meinschien: Writing History with The results of this book call into question the › Wolf Gruner, Jörg Osterloh: Conclusion History sowie Direktor des Shoah Foun- an Accent. Emigrierte deutschsprachige common assumption that one central plan › Wolf Gruner, Jörg Osterloh: Review dation Center for Advanced Genocide Re- Historikerinnen und Historiker in Großbri- Mitarbeiterpublikation: for persecution extended across Nazi-occup- of the Literature and Research on the search an der University of Southern Cali- tannien und ihre Forschungen zur deutsch- Wolf Gruner and Jörg Osterloh (Eds.) ied Europe, shifting the focus onto differing Individual Regions fornia, Los Angeles/USA. jüdischen Geschichte regional German initiatives and illuminating › Christine Kausch: »Viel früher als die The Greater German the cooperation of indigenous institutions. Das 2015 als Hardcover erschienene Buch Dr. Jörg Osterloh ist wissenschaftlicher niederländischen Juden müssen sie sich Reich and the Jews ist eine vollständig überarbeitete und aktua- Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut. vogelfrei gefühlt haben«. Jüdische Flücht- Inhalt lisierte englischsprachige Ausgabe des 2010 linge in den Niederlanden 1940–1942 Nazi Persecution Policies › Wolf Gruner, Jörg Osterloh: Introduction in der Wissenschaftlichen Reihe des Fritz › Agnieszka Wierzcholska: Besatzungsge- in the Annexed Territories › Gerhard J. Teschner: Saar Region Bauer Instituts erschienenen Sammelbandes Jahrbuch 2017 sellschaften und Mikrohistorie. Alltagspra- 1935–1945 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust xen polnisch-jüdischer Beziehungen im Herausgegeben im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Generalgouvernement Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2017, ca. 260 S., kartoniert, € 29,95 › Niklas Krawinkel: Rassismus und Gemein- EAN 9783593507996 schaftserfahrung. Biographische Einblicke Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts, Band 21 in die Juden- und Volkstumspolitik in der Amnestieren, verdrängen, Erscheinungstermin: 9. 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Originalausgabe che neue Studien stehen die zwölf in diesem Gespräch 1947« New York, Oxford 2017, 434 pages, 21 illus., 3 tables, Gebunden ISBN 978-1-78533-503-7, $39.95/£28.00 276 S. · € 20,00 Band versammelten Beiträge, die im interdis- › Julia Menzel: »Von jetzt an also ist keine ISBN 978-3-15-011135-2 ziplinären Doktorandenkolloquium des Fritz Zeit.« Zeitordnungen und Zeitbrüche in H. Bauer Instituts diskutiert worden sind. Viele G. Adlers wissenschaftlicher und literari- Between 1935 and 1940, verfolgen einen transnationalen Ansatz und scher Auseinandersetzung mit der Shoah the Nazis incorporated gehen – im Sinne Saul Friedländers – über › Raphael Rauch: Die TV-Verfi lmung EIN large portions of Europe into the German www.reclam.de die Perspektive reiner Opfer- beziehungs- STÜCK HIMMEL. Janina David – die Anne Reich. The contributors to this volume ana- Reclam weise Tätergeschichtsschreibungen hinaus. Frank, die überlebte lyze the evolving anti-Jewish policies in the

16 Neuerscheinungen Einsicht 18 Herbst 2017 17 Einsicht Forschung und Vermittlung

»Volk«, »völkisch«, »Volksgemeinschaft« – Kampfbegriffe der politischen Rechten bis zur Gegenwart Zum einen bezeichnete »Volk« die Plebs. Diese Variante knüpfte Kreisen bereits zuvor verbreitet gewesen, so wurde infolge der Ab- an eine etymologisch weit zurückreichende Bezeichnung für die dankung des Monarchen das Volk nun auch innerhalb des deutsch- »unteren Schichten« an. Ihrer negativen Konnotation entkleidet, nationalen, vormals kaisertreuen Lagers zum zentralen weltanschau- ließ sich mit ihrer Hilfe der Machtanspruch der vormals minder- lichen Bezugspunkt. Die konservativ-monarchistische Deutsche privilegierten Schichten postulieren. Unter »Volk« in diesem Sinne Tageszeitung beispielsweise änderte nur wenige Tage nach dem »Die Staatsgewalt geht vom Volke aus« wurde die Masse der Arbeiter und Soldaten verstanden. Vor allem Sturz Wilhelms II. ihr Motto von »Für Kaiser und Reich!« in »Für im linkssozialistischen Lager, bei USPD und KPD, war ein entspre- das deutsche Volk!« um.7 Volks- und Volksgemeinschaftsvor- chender Volksbegriff anzutreffen – etwa wenn von »Vertretern des Die als Volk bezeichneten Gruppierungen waren somit nur in revolutionären Volkes (Spartakus-Gruppe)« oder von den »prole- Teilen kongruent. Insbesondere die Bedeutungsvarianten Plebs stellungen in der Weimarer Republik tarischen Volksmassen« die Rede war.4 Auch in der Bezeichnung und Ethnos waren durch Ab- sowie Ausgrenzungsvorstellungen »Rat der Volksbeauftragten« für die aus SDP und USPD gebildete gekennzeichnet. Zudem ließ sich »Volk« sowohl pluralistisch als Übergangsregierung kam ein solches Verständnis zum Ausdruck. auch holistisch deuten. Wer erstgenannter Lesart folgte, erkannte von Jörn Retterath Zum anderen fand »Volk« aber auch im Sinne von Demos Ver- unterschiedliche Meinungen innerhalb der Nation an und begriff wendung. Hierbei wurden alle (erwachsenen) Staatsbürger unter das »Volk« lediglich als ein gemeinsames Fundament, auf dem sich den Begriff subsumiert. Für die Zugehörigkeit zum Volk war nach eine Vielfalt entwickeln konnte. Wer hingegen den Begriff »Volk« »Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie diesem Verständnis nicht ausschlaggebend, welcher Schicht der holistisch deutete, verstand dieses häufi g metaphysisch als ein Wesen gesiegt.« Mit diesen Worten proklamierte Einzelne angehörte oder welche Abstammung er hatte, vielmehr mit eigenem Charakter und Willen und negierte dessen Pluralität. der SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann wurde das Volk als eine Gemeinschaft begriffen, die auf dem freien In der Zeit der Weimarer Republik existierten die verschiedenen am Mittag des 9. November 1918 von ei- Bekenntnis zu den Werten von Staat und Verfassung beruhte. In Verständnisse von »Volk« nebeneinander. Eine Debatte über die Dr. Jörn Retterath, geb. 1983; 2004– nem Fenster des Berliner Reichstagsgebäudes aus »die deutsche diesem Sinne wurde der Volksbegriff zumeist von den politischen Bedeutung dieses für die Demokratie so wichtigen Wortes wur- 2009 Studium der Neueren/Neuesten Republik«. In seiner kurzen Ansprache kam dem »deutschen Volk« Kräften gebraucht, die der liberalen parlamentarischen Demokratie de nicht geführt. Häufi g fi el es den Zeitgenossen wohl gar nicht Geschichte, der Politikwissenschaften ein zentraler Stellenwert zu.1 Anders als der USPD-Politiker Karl nicht gänzlich ablehnend gegenüberstanden – etwa vonseiten der auf, dass mit »Volk« unterschiedliche Dinge bezeichnet wurden. sowie des Staats- und Völkerrechts an Liebknecht, der wenige Stunden später die »freie, sozialistische SPD, der DDP, der DVP und des Zentrums. Der bayerische Able- So überdeckte der unablässige Gebrauch des schillernden Begriffs, der Universität Augsburg, 2010–2013 Republik Deutschland« ausrief, wandte sich Scheidemann mit seiner ger des Zentrums, die Bayerische Volkspartei, erhob beispielsweise dass die Sprecher je nach Kontext und je nach politischer Couleur wissenschaftlicher Mitarbeiter am Rede nicht nur an die eigenen Parteigenossen, sondern an alle demo- den Anspruch, »allen Schichten des Volkes« eine politische Heimat höchst unterschiedliche Vorstellungen von der Zusammensetzung Institut für Zeitgeschichte München- kratisch gesinnten Kräfte.2 Er setzte »Volk« als integratives Hoch- bieten zu wollen.5 Und nach Ansicht des sozialdemokratischen Vor- des Volkes hegten. Nur in Einzelfällen wurden die verschiedenen Berlin; Promotion 2013 an der wertwort ein und appellierte damit an demokratische Erwartungen, wärts sollte der Sozialismus »behutsam« »durch den allgemeinen Verständnisse des Wortes explizit thematisiert. Ludwig-Maximilians-Universität die nicht nur bei den Anhängern seiner eigenen Partei, sondern auch Volkswillen« eingeführt werden, nicht überstürzt mit diktatorischen Eine solche Ausnahme stellt der Leitartikel im sozialdemo- München mit der Arbeit »›Volk‹ im im Liberalismus und im politischen Katholizismus vorhanden waren. Mitteln.6 kratischen Vorwärts vom 13. November 1918 dar. Chefredakteur Übergang vom Kaiserreich zur Wei- Nach der doppelten Republikausrufung war zwar für fast al- Mit »Volk« konnte aber auch das Ethnos bezeichnet werden. In Friedrich Stampfer warf darin die Frage »Was ist das Volk?« auf. marer Republik. Pluralistisches und le politischen Akteure klar, dass die neue Ordnung demokratisch dieser Bedeutungsvariante dienten angeblich objektive, nicht – be- Seine Antwort lautete: »Das Volk ist die Gesamtheit aller erwach- holistisches Denken im Spektrum der sein müsse, doch herrschte keineswegs Einigkeit darüber, was denn ziehungsweise nur schwer – abänderbare individuelle Merkmale wie senen Staatsangehörigen männlichen und weiblichen Geschlechts.« politischen Mitte 1917–1924«; seit das Volk sei, von dem fortan alle Macht auszugehen habe. »Volk« Abstammung, Herkunft, Religion, Sprache und Kultur zur Bestim- »Nur vom ganzen Volke«, so Stampfer weiter, könne die Regierung 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter gehörte in der politischen Sprache der Weimarer Republik zu den mung der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum Volk. Dem »durch ordentlichen Mehrheitsbeschluß auf dem Wege allgemeiner am Historischen Kolleg (München). am häufi gsten gebrauchten Begriffen, seine Bedeutung war jedoch »deutschen Volk« als Abstammungsgemeinschaft kam dabei der Wahlen oder Abstimmungen« Aufträge erhalten.8 Damit verknüpf- Veröffentlichungen (Auswahl): widersprüchlich und blieb vielfach vage. Dies zeigte sich bereits in Höchstwert zu. War diese Ansicht in völkisch-radikalnationalistischen te der Vorwärts-Chefredakteur das Demokratieprinzip mit seinem »Der Volksbegriff in der Zäsur des den ersten Tagen der Revolution. Unter Bezug auf das Volk warben Verständnis von »Volk« als Demos. In der revolutionären Situation Jahres 1918/19. Pluralistisches und verschiedenste politische Richtungen für unterschiedliche Forde- des November 1918 war dies sowohl eine Zurückweisung linksra- holistisches Denken im katholischen, rungen. Idealtypisch wurde das Wort dabei in drei verschiedenen dikaler Ideen von einer »Diktatur des Proletariats« als auch eine len Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 141–431; zum Volksbegriff 3 liberalen und sozialdemokratischen Hauptbedeutungen verwendet. im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik (mit Hinweisen auf Absage an ethnische Konzepte, wie sie aufseiten des konservativ- Milieu«, in: Heidrun Kämper, Peter weitere Literatur) siehe Jörn Retterath, »Was ist das Volk?« Volks- und Gemein- nationalistischen Lagers anzutreffen waren. Haslinger, Thomas Raithel (Hrsg.), schaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917–1924, Berlin 2016. Demokratiegeschichte als Zäsurge- 4 »Berlin unter der roten Fahne. Polizeipräsidium gestürmt. – 650 Gefangene bef- 1 Zit. nach Manfred Jessen-Klingenberg, »Die Ausrufung der Republik durch reit. – Rote Fahnen am Schloß«, in: Die rote Fahne v. 9.11.1918, S. 1; Rosa Lux- schichte. Diskurse der frühen Weima- Philipp Scheidemann am 9. November 1918«, in: Geschichte in Wissenschaft und emburg, »Die Nationalversammlung«, in: Die Rote Fahne v. 20.11.1918, S. 1 f., 7 Diese Änderung fand im Laufe des 11.11.1918 statt. Während die Morgenausga- rer Republik, Berlin 2014, S. 97–122; Unterricht, Jg. 19, Nr. 11 (1968), S. 649–656, hier: S. 653. hier: S. 2. be der Deutschen Tageszeitung noch die alte Devise »Für Kaiser und Reich! – »Was ist das Volk?« Volks- und Ge- 2 Zit. nach »Der 9. November in Berlin«, in: Vossische Zeitung v. 10.11.1918, 5 Gründungsaufruf der Bayerischen Volkspartei vom 12.11.1918. Zit. nach Claudia Für deutsche Art! – Für deutsche Arbeit in Stadt und Land!« trug, lautete der Un- meinschaftskonzepte der politischen S. 1 f., hier: S. 2. Friemberger, Sebastian Schlittenbauer und die Anfänge der Bayerischen Volks- tertitel der Abendausgabe »Für das deutsche Volk! – Für deutsche Art! – Für 3 Allgemein zur Etymologie und zu den Bedeutungen des Volksbegriffs vgl. Fritz partei, St. Ottilien 1998, S. 121–123, hier: S. 121. deutsche Arbeit in Stadt und Land!«. Eine Erklärung zum Wechsel des Mottos Mitte in Deutschland 1917–1924, Geschnitzer u.a., »Volk, Nation, Nationalismus, Masse«, in: Otto Brunner u.a. 6 Friedrich Stampfer, »Die Reichsregierung und die Arbeiter- und Soldatenräte«, wurde nicht abgedruckt. München 2016. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozia- in: Vorwärts v. 13.11.1918, S. 1 f., hier: S. 1. 8 Stampfer, »Reichsregierung«, S. 1.

18 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 19 Nicht selten blieb aber das, was unter Volk verstanden wurde, wie Carl Schmitt und Erich Kaufmann der holistischen Annahme, unklar oder oszillierte zwischen verschiedenen Bedeutungsvarianten. dass der »Wille des Volkes« präexistent sei und von den Politikern im In dieser Hinsicht kann die Rede, mit der Scheidemann die Republik Parlament erfasst und abgebildet werden müsse.15 Hans Liermann, ausgerufen hatte, als beispielhaft gelten. Indem er das Volk in einen der sich in seiner 1927 erschienenen Habilitationsschrift mit dem latenten Gegensatz zur bisher herrschenden aristokratischen Elite Volksbegriff in der Verfassung auseinandersetzte, kam zu einem stellte, knüpfte der SPD-Politiker zum einen an die Begriffsbedeu- ähnlichen Ergebnis wie Kaufmann und Schmitt: Mit »das Deutsche tung im Sinne von Plebs an, zum anderen schwang das rechtlich- Volk« in der Präambel der Weimarer Verfassung sei »unmöglich al- politische Verständnis des Wortes im Sinne von Demos mit. Wenn lein die Summe der deutschen Staatsangehörigen« gemeint, sondern auch nicht direkt das Ethnos angesprochen wurde, stellte der Zusatz »die beseelte deutsche Volksgenossenschaft«, also »die Gemein- »deutsch« doch zumindest die nationale Zugehörigkeit des Volkes schaft derjenigen, denen das deutsche [sic!] Reich ihr Staat« sei.16 heraus. Eine solche Mehrdeutigkeit war nicht unüblich und konnte Und in Bezug auf den Verfassungsartikel über die Reichstagsabge- dazu genutzt werden, verschiedene Gruppen anzusprechen und un- ordneten führte er aus: Das Volk könne »überhaupt nicht vertreten, terschiedliche Assoziationen hervorzurufen. sondern […] nur ›verkörpert‹« werden.17 In dieser Sichtweise traten links: Im Vorfeld der Preußischen Landtagswahlen Dies machte auch vor der rechtlichen Grundlage der neuen Re- antipluralistische und mystische Vorstellungen in den Vordergrund. vom Februar 1921 gehen Wahlkämpfer der Deutschen publik nicht halt: Mit dem Satz »Die Staatsgewalt geht vom Volke Das Volk wurde als vorstaatliche Größe und als metaphysisches Volkspartei (DVP) mit Wahlplakaten auf die Straßen aus«9 stellte die Weimarer Verfassung klar, dass das Volk und nicht Wesen mit eigenem Charakter und Willen begriffen. Die Vielfalt von Berlin. Die Plakate zeigen ein Bild von König Friedrich dem Großen mit der Aufschrift: »Rettet länger der vormals meist aus Fürsten zusammengesetzte Bundesrat von Meinungen und Interessen in einer diversifi zierten Gesellschaft Preußen! Deutsche Volkspartei«. der Souverän des Reichs sei. Jedoch schrieb das Grundgesetz des wurde ebenso wenig anerkannt wie die Idee, dass sich das Volk Foto: SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo neuen Staates keineswegs eindeutig dem pluralistischen Demos die über einen Konsens auf der Grundlage von demokratischen Werten Macht zu. Bei der Erarbeitung der Konstitution durch die National- konstituieren könne. unten: Wahlwerbung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zur Reichspräsidentenwahl am versammlung im Jahr 1919 diente der Begriff »Volk« vielmehr als In der politischen Sprache der Weimarer Republik war der 13. März 1932: Ein Fahrzeug des Stahlhelm (Bund der 10 ein Integral. Für die unterschiedlichen politischen Lager war das Begriff »Volk« trotz – und vielleicht auch gerade wegen – seiner Frontsoldaten) mit Wahlplakaten, die mit dem Spruch Wort von zentraler – wenn auch unterschiedlicher – Bedeutung. unterschiedlichen Bedeutungen immer präsent. Unter Rückgriff auf »Wer die echte Volksgemeinschaft will, der wählt So kam es denn auch, dass konservative Staatsrechtler wie Hans das Volk und seinen (angeblichen) Willen wurden eigene Positionen Duesterberg den deutschen Mann« zur Wahl Theodor Duesterbergs als Reichspräsidenten aufrufen. Liermann unter Rückgriff auf den Volksbegriff Bestimmungen der gerechtfertigt und andere Meinungen verworfen. Zumeist fand ein Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Weimarer Konstitution antipluralistisch auslegen konnten.11 Neben solcher Rekurs ohne Rückbindung an empirische Erhebungen oder der Präambel (»Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und Abstimmungsergebnisse statt – der »Wille des Volkes« war ledig- von dem Willen beseelte, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu lich ein behaupteter. Die rhetorische Vereinnahmung des »gesamten erneuen und zu festigen, […] hat sich diese Verfassung gegeben.«)12 Volkes« suggerierte, dass im Volk nur eine einzige Überzeugung waren insbesondere die Artikel über den Reichspräsidenten (»Der existiere, und half des Weiteren dabei, die Schwäche der eigenen Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volke gewählt.«)13 und Sachargumente zu kaschieren. Dies konnte zu paradoxen Situati- über den Reichstag (»Der Reichstag besteht aus den Abgeordneten onen führen: Im März 1920 etwa behaupteten die Putschisten um des deutschen Volkes.« »Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Wolfgang Kapp, dass sie dem »Volkswillen« zur Durchsetzung ver- Volkes.«)14 Einfallstore, durch die die Verfassung antipluralistisch helfen würden, die Anhänger der Republik wie der SPD-Politiker gedeutet werden konnte. Während liberale Staatsrechtslehrer wie Otto Wels proklamierten hingegen, dass »das ganze deutsche Volk« Richard Thoma und Hans Kelsen die Vielfalt im Volk als Grundlage »einig in der Wiederherstellung der Ordnung« und in der Abwehr jeder demokratischen Herrschaft anerkannten, folgten Konservative des Staatsstreichs sei.18 Von vielen Zeitgenossen wurde die deutsche Gesellschaft als hochgradig zersplittert wahrgenommen. Zu diesem Eindruck tru-

9 »Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919«, in: Reichsgesetz- gen die unterschiedlichen – oftmals unversöhnlich nebeneinan- blatt v. 14.11.1919, Nr. 152, S. 1382–1418, hier: Art. 1, Satz 2. derstehenden und nicht selten gewaltsam verfolgten – politischen 10 Zum Volksbegriff in der Weimarer Nationalversammlung vgl.: Heiko Bollmeyer, »Das ›Volk‹ in den Verfassungsberatungen der Weimarer Nationalversammlung 1919 – ein demokratietheoretischer Schlüsselbegriff zwischen Kaiserreich und Republik«, in: Alexander Gallus (Hrsg.), Die vergessene Revolution von 1918/19, 15 Eine Zusammenstellung bei Retterath, Volk, S. 195 f. Göttingen 2010, S. 57–83. 16 Liermann, Volk, S. 166 (Hervorhebung im Original). 11 Vgl. Hans Liermann, Das deutsche Volk. Als Rechtsbegriff im Reichs-Staatsrecht 17 Ebd., S. 139 f. der Gegenwart, Berlin 1927. 18 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin ZG Kap: [Regierung 12 »Verfassung«, Präambel. Kapp], Die Lüge vom monarchistischen Putsch! [Flugblatt v. 16.3.1920]; Ver- 13 »Verfassung«, Art. 41. handlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 332, 14 »Verfassung«, Art. 20 f. 158. Sitzung v. 30.3.1920, Rede von Otto Wels (SPD), S. 5008.

20 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 21 Überzeugungen ebenso bei wie die durch Krieg und Infl ation noch der Volksgemeinschaft«. 1930 ließ die mit dem Jungdeutschen der Besitzenden gerichtet sind. Volksgemeinschaft kann es erst geben, Zentrumspartei aus. Der Reichstagsabgeordnete und Vorsitzende einmal verschärfte soziale Ungleichheit. Zudem hatte die zum »Geist Orden zur Deutschen Staatspartei vereinigte DDP die Parole »Für wenn es weder Vorrecht des Besitzes noch der Bildung gibt.«28 der Christlichen Gewerkschaften, Adam Stegerwald, plädierte im von 1914« verklärte Stimmung zu Beginn des Ersten Weltkriegs Einigkeit, Fortschritt, Volksgemeinschaft!« plakatieren.22 Für die Die Überwindung des Klassenkampfes hatte sich die DVP auf die November 1920 unter Bezug auf die Volksgemeinschaft für die hohe Erwartungen geweckt: Die Zustimmung der Sozialdemokraten Linksliberalen war die Volksgemeinschaft also nicht nur mit der Fahnen geschrieben.29 Durch die Bildung von mit Arbeitgebern und Gründung einer überkonfessionellen »christlich-nationalen Volks- zu den Kriegskrediten galt vielen als Zeichen dafür, dass der poli- parlamentarischen Demokratie von Weimar vereinbar, sie wurde Arbeitnehmern paritätisch besetzten »Arbeitsgemeinschaften« sollten partei der Mitte«, stieß aber – selbst in den eigenen Reihen – auf tische Meinungsstreit (endlich) der »Einheit der Nation« gewichen geradezu als Grundlage für die Errichtung einer »demokratischen »wirtschafts- und sozialpolitische Fragen« entpolitisiert werden.30 Kritik und Ablehnung. Volksgemeinschaft bedeutete für Stegerwald sei.19 Die Propaganda in den Kriegsjahren war mitverantwortlich Einheit« betrachtet.23 Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Volks- Ziel war es, »über die mechanische Demokratie hinweg zu einer gesellschaftliche Solidarität, Überwindung des Klassenkampfes so- dafür, dass der »August 1914« idealisiert wurde. Mit Verweis auf gemeinschaft sei die Anerkennung der Verfassungsordnung und der Volksgemeinschaft« zu gelangen.31 Unter Volksgemeinschaft wurde wie nationale Einheit – Ziele, die nach Ansicht vieler Katholiken am den »Geist von 1914« sollten – zunehmend vergeblich – Ruhe und geschlossenen internationalen Verträge.24 Damit stand der Begriff hier vor allem die Aufhebung des Klassenkampfs und die Zurück- besten in einer auf Berufsständen basierenden Staats- und Gesell- Einheit erzwungen und der lauter werdende Unmut unter der Decke im linksliberalen Sinne für den Konsens der verschiedenen Kräfte drängung von Parteien und Parlamentarismus mittels Gründung ver- schaftsordnung verwirklicht werden könnten.37 Neben Adam Steger- des »Burgfriedens« gehalten werden. In der militärischen Niederlage auf Basis der in der Konstitution kodifi zierten Werte. Der politische meintlicher Expertengremien verstanden. Den Stuttgarter Parteitag wald zählte auch Reichskanzler Wilhelm Marx zu den Verfechtern und im Ausbruch der Revolution brach sich 1918 die Unzufrie- Streit zwischen den Parteien um die richtigen Konzepte sollte in der der DVP 1921 durchzog dann auch das Bekenntnis zur Volksgemein- eines Volksgemeinschaftskonzeptes. Für Marx – ähnlich wie für denheit mit Kaiser und Generalität jedoch schließlich Bahn. Die Volksgemeinschaft keineswegs aufgehoben sein.25 schaft – dieses war nicht zuletzt als Appell zur Geschlossenheit an die Stresemann – verkörperte eine Koalition von SPD bis DNVP seine vermeintliche »Gemeinschaft des Volkes« von 1914 war endgültig Wenn auch nicht so häufi g wie im linksliberalen Milieu, so wur- eigenen Mitglieder und die verschiedenen Parteifl ügel gerichtet.32 Für Idee von Volksgemeinschaft. Zwar scheiterten Marx’ Pläne an den zerbrochen. Der Umsturz, das Chaos des Übergangs und die in den de doch auch innerhalb der Sozialdemokratie der Begriff gebraucht. Parteichef Gustav Stresemann ließ sich die Volksgemeinschaft am inhaltlichen Differenzen zwischen den Parteien, doch hielt er an Anfangsjahren der Republik vermehrt auftretenden Krisen befl ügel- Reichspräsident Friedrich Ebert etwa appellierte häufi g an die »Volks- ehesten durch die »Zusammenfassung aller Kräfte von rechts bis zu seinem Ideal fest. Im Wahlkampf um das Reichspräsidentenamt im ten die Sehnsucht nach Einheit und Geschlossenheit. Entsprechend gemeinschaft« und fasste darunter sein Ideal von einer gesellschaft- den staatsbejahenden Sozialdemokraten«33 realisieren, sprich: durch Frühjahr 1925 präsentierte das Zentrum seinen Kandidaten Wilhelm hohe Erwartungen knüpften sich an die »Volksgemeinschaft«. Die lichen »Einheit über trennende politische Anschauungen hinweg«.26 eine um die DNVP erweiterte Große Koalition. Marx als »Apostel der Volksgemeinschaftsidee« sowie als »Präsident mit ihr verbundenen Vorstellungen beinhalteten die Nivellierung Aber auch andere SPD-Politiker wie der Nationalversammlungsabge- Auch innerhalb des katholischen Milieus war die Hoffnung auf der Volksgemeinschaft«.38 Marx wurde zu einem politischen Messias von Klassenunterschieden und die Herstellung von politischer Ein- ordnete Simon Katzenstein plädierten für eine »Volksgemeinschaft«, Verwirklichung der Volksgemeinschaft anzutreffen. So propagierte stilisiert und als der »Mann der Volksgemeinschaft, der Mann der heit. »Volksgemeinschaft« war in fast allen politischen Lagern der die auf der Verfassungsordnung beruhen und eine »Brücke zur Völ- das Zentrum im Vorfeld der Reichstagswahlen 1920 die durch es Mitte« dargestellt, der von den Wählern »erkannt« werde.39 Damit Weimarer Republik ein äußerst positiv besetzter Begriff – allein in kergemeinschaft« schlagen sollte.27 Jedoch gab es in der SPD auch verkörperte »christliche, deutsche Volksgemeinschaft«.34 Unter dem griff das Zentrum Semantiken auf, die an die in der Bevölkerung linkssozialistisch-kommunistischen Kreisen wurde er kaum verwen- Skepsis angesichts der Gefahr, dass durch die starke Verbreitung des Begriff wurden Werte wie »Versöhnung«, »gegenseitiges Dienen weitverbreitete Führersehnsucht andockten. det. In ihm drückten sich die Sehnsucht nach Einheit und die Hoff- Volksgemeinschaftsbegriffs in den bürgerlichen Parteien der Antago- und Helfen« sowie das Walten eines »positiv christlichen und damit Aufseiten der Deutschnationalen wurde Volksgemeinschaft hin- nung auf eine Überwindung der Unterschiede aus. Doch divergierten nismus der Klassen übertüncht werde. Ein im sozialdemokratischen auch wahrhaft sozialen Geistes« gefasst.35 Mystische, organische gegen nicht als eine Gemeinschaft auf der Grundlage der Verfas- – ähnlich wie beim Volksbegriff – die mit ihm verbundenen Inhalte Milieu entstandenes Lexikon stellte 1932 fest: »Die Idee der Volks- und holistische Ideen spielten im katholischen Milieu eine große sungsordnung, sondern in einem ethnischen, organisch-holistischen je nach Situation und politischer Couleur des Sprechers erheblich.20 gemeinschaft beruht auf der bewußten oder übersehenen Täuschung, Rolle. So defi nierte etwa der Sozialethiker und Verbandsfunktionär Sinne verstanden. Im Gegensatz zu den anderen politischen Milieus Innerhalb des linksliberalen Milieus wurde durch die Verwen- daß alle Bewohner (Volksgenossen) gleiche Lebensinteressen haben. August Pieper 1920 die Volksgemeinschaft als eine »organische, wurde hier der exklusive Charakter der Volksgemeinschaft stark dung des Begriffs »Volksgemeinschaft« vor allem dem Wunsch Selbst in Zeiten der Not (und da gerade erst recht) haben die besitzlo- vom Schöpfer gewollte Lebens- und Schicksalsverbundenheit«.36 herausgestellt: Alle »nicht zusammengehörigen [sic!]« sollten aus nach einer einträchtigen, verantwortungsbewussten Gemeinschaft sen Klassen wichtige Eigeninteressen, die stets gegen die Interessen Pragmatischer fielen die Konzepte bei aktiven Politikern der ihr ausgeschlossen bleiben.40 Damit waren vor allem die Juden ge- sowie der Ablehnung des Klassenkampfs Ausdruck verliehen. Dass meint. »Wirkliche Volksgemeinschaft« müsse auf dem »völkischen es in der Gesellschaft unterschiedliche Interessen gab, wurde hier- Gedanken« beruhen, schrieb die Deutsche Tageszeitung zu Jahresbe- bei nicht in Abrede gestellt; Sprecher aus dem linksliberalen Lager ginn 1923 und forderte im gleichen Atemzug den »Willen zur Rein- machten aber klar, dass es notwendig sei, diese »mit dem großen 22 Bundesarchiv (BArch), R 45 III/45: »Ein Bekenntnis zu Demokratie, Republik 28 Ernst Mühlenberg, Neues Volks-Wörterbuch für Wirtschaft, Recht und Politik, haltung« und die »Ablehnung fremder Art und fremden Blutes«.41 Ganzen der Volksgemeinschaft« zu verweben.21 Im Zweifel müssten und Volksgemeinschaft. Dem deutschen Manne und der deutschen Frau gewidmet Bad Dürrenberg 1932, S. 379. Noch radikaler fi elen die Volksgemeinschaftsvorstellungen von der Deutschen Demokratischen Partei« [1922]; Archiv des Instituts für Zeit- 29 Vgl. BArch, R 45 II/362: Fraktion der DVP in der Nationalversammlung, Aufruf Partikularinteressen hinter Gemeinschaftsinteressen zurückstehen, geschichte München – Berlin ZG e030: [DDP], Die deutschen Frauen sind zum Arbeitsfrieden! An das deutsche Volk!, 21.8.1919, fol. 63. bei den Nationalsozialisten aus. Die Begriffsverwendung ging mit so der Tenor. Die DDP warb 1922 für ihre Politik gar mit dem Slo- deutsch und national! [1924]; Wahlplakat der Deutschen Staatspartei: »Für 30 Ebd. Forderungen nach rassistischer Exklusion und antisemitischen Maß- gan »Bekenntnis zu Demokratie, Republik und Volksgemeinschaft« Einigkeit, Fortschritt, Volksgemeinschaft! Wählt Liste 6 Staatspartei« [1930]; ab- 31 Ebd. nahmen einher. So schrieb der Völkische Beobachter im März 1921, und bezeichnete sich im Reichstagswahlkampf 1924 als »Partei gedruckt bei: Christian Fuhrmeister, »Ikonografi e der ›Volksgemeinschaft‹«, in: 32 Vgl. BArch, R 45 II/327: Geschäftsstelle der DVP, Vierter Parteitag der dass »der einzige Weg zur Gesundung der Volksgemeinschaft« in Hans-Ulrich Thamer, Simone Erpel (Hrsg.), Hitler und die Deutschen. Volksge- Deutschen Volkspartei in Stuttgart am 1. und 2. Dezember 1921, fol. 821. meinschaft und Verbrechen, Dresden 2010, S. 94–103, hier: S. 97. 33 Gustav Stresemann bei einer Rede am 30.3.1924 in Hannover, zit. nach »Strese- 23 »Demokratische Wirtschaftsaussprache. Um Rathenaus Programm«, in: Vossische manns Sieg. Nachrichtendienst der ›Vossischen Zeitung‹«, in: Vossische Zeitung Zeitung v. 14.12.1920, S. 1 f., hier: S. 1. v. 31.3.1924, S. 1. 19 Vgl. Thomas Raithel, Das »Wunder« der inneren Einheit. Studien zur deutschen 24 Vgl. Reichstagsfraktion der DDP/Vorstand der DDP, »Unser Wahlaufruf! An die 34 Wahlaufruf der Deutschen Zentrumspartei, Mai 1920. Zit. nach Herbert Lepper 37 Vgl. Retterath, Volk, S. 310. und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn 1996; deutschen Wähler!«, in: Der Demokrat. Mitteilungen aus der Deutschen De- (Hrsg.), Volk, Kirche und Vaterland. Wahlaufrufe, Aufrufe, Satzungen und Statu- 38 »Marx – der nationale Kandidat«, in: Germania v. 17.3.1925, S. 1 f., hier: S. 1; Steffen Bruendel, Die Geburt der »Volksgemeinschaft« aus dem »Geist von mokratischen Partei, Jg. 5, Nr. 34/35 (1924), S. 281–283, hier: S. 282. ten des Zentrums. 1870–1933. Eine Quellensammlung zur Geschichte insbeson- Wahlaufruf in der Germania v. 27.3.1925, zit. nach Lepper, Volk, S. 450–453, 1914«. Entstehung und Wandel eines »sozialistischen« Gesellschaftsentwurfs, 25 Vgl. Hugo Preuß, »Volksgemeinschaft?«, in: Berliner Tageblatt v. 1.1.1924, dere der Rheinischen und Westfälischen Zentrumspartei, Düsseldorf 1998, hier: S. 450. 5/2004, http://edoc.hu-berlin.de/histfor/3/PHP/Artikel_3-2004.php#517. S. 1 f., hier: S. 2 S. 400–406, hier: S. 405. 39 »Marx – der nationale Kandidat«, in: Germania v. 17.3.1925, S. 1 f., hier: S. 1. 20 Vgl. zu den Volksgemeinschaftskonzepten in der Weimarer Republik jüngst: Mi- 26 Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871–1925. Reichspräsident der Weimarer 35 Constantin Noppel, »Volksgemeinschaft«, in: Stimmen der Zeit, Jg. 100, Nr. 2 40 BArch, R 8034 II/7886: Hermann Jäger, »Volksgemeinschaft und Werkgemein- chael Wildt, Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017, S. 51–67; Retterath, Republik, Bonn 2006, S. 816. (1921), S. 343–354, hier: S. 343 u. 354. schaft«, in: Deutsche Zeitung v. 21.11.1920. Volk, S. 272–327. 27 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 36 Zit. nach Alois Baumgartner, Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ideen und Strömun- 41 »Das neue Jahr«, in: Deutsche Tageszeitung, Jg. 30, Nr. 1 (2.1.1923), S. 1 f., hier: 21 »Notwehr«, in: Vossische Zeitung v. 30.8.1921, S. 1 f., hier: S. 2. Bd. 328, 69. Sitzung v. 29.7.1919, Rede von Simon Katzenstein (SPD), S. 2077. gen im Sozialkatholizismus der Weimarer Republik, Paderborn 1987, S. 95. S. 2.

22 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 23 der »Beseitigung dieses ›Grundübels‹«, des »Judentums«, bestehe.42 Gemeinschaft«, der auch alle im Ausland lebenden Deutschen ange- Volksgemeinschaft wurde hier als exklusive Rassengemeinschaft hörten.47 Infolge des Versailler Vertrags und der damit verbundenen Volk, völkisch, Volksgemeinschaft – propagiert, in der Juden, Slawen, Sinti und Roma keinen Platz hatten. Gebietsabtretungen kam das Thema »Auslandsdeutsche« vermehrt Für diejenigen, die sich zur »arischen Rasse« zählen durften, ver- auf die politische Agenda – nicht nur in konservativ-nationalistischen historische Konzepte hieß das nationalsozialistische Volksgemeinschaftskonzept »soziale Kreisen. Auffallend ist, dass als Argument für die Zugehörigkeit eines Gerechtigkeit«.43 Territoriums (und der dort lebenden Menschen) zum Deutschen Reich Die Rechtspopulisten heute und die Die unterschiedlichen Bedeutungen des Volksbegriffs sowie die – selbst im Spektrum der politischen Mitte – zumeist auf ethnische 1 seit dem 19. Jahrhundert existierende stark normative Aufl adung des Merkmale wie Kultur, Sprache, Sitte und Geschichte und nicht etwa Gesellschaft der Vielfalt Wortes »Gemeinschaft«, das – im Gegensatz zu »Gesellschaft« – mit auf den in Volksabstimmungen zum Ausdruck kommenden Willen Attributen wie Geborgenheit, Nähe und Natürlichkeit gedacht wurde,44 des regionalen Demos verwiesen wurde. Wenngleich Sprecher aus der ließen das Wort »Volksgemeinschaft« in Zeiten des Umbruchs, der politischen Mitte nur verhältnismäßig selten damit argumentierten, von Hajo Funke Krisen und der sozialen Friktionen zur Bezeichnung für einen uto- zeigt das Beispiel doch, dass explizit ethnische Volksvorstellungen pischen Sehnsuchtsort werden. Zunehmend gelang es den rechten keineswegs nur im rechten Lager anzutreffen waren.48 Kräften in der Weimarer Republik, den eigentlich bedeutungsoffenen Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass »Volk« und »Volks- Begriff zu besetzen und untrennbar mit der Vorstellung einer exklu- gemeinschaft« zwei Begriffe waren, die während der Weimarer Re- dierenden Abstammungs- und Rassengemeinschaft zu verbinden. publik in fast allen politischen Lagern Verwendung fanden. Zumeist Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs Im Gegensatz dazu hatte das Wort »völkisch« bereits zu Be- wurden sie kritiklos gebraucht und waren normativ aufgeladen. Seine hatte Kaiser Wilhelm II. den Kriegsbegeis- ginn der Weimarer Republik eine eindeutige Konnotation. Nur in verschiedenen Bedeutungen machten »Volk« zu einem schillernden terten in Berlin zugerufen, er kenne keine seltenen Fällen wurde es als neutrales Adjektiv (im Sinne von »na- Terminus, der die unteren Schichten ebenso bezeichnen konnte wie Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche tional«, »das Volk betreffend«) verwendet. Bereits seit etwa 1900 die Gesamtheit der Staatsbürger oder eine vermeintlich homogene Prof. Dr. Hajo Funke, von 1993 – eine Integrationsformel der Volksgemeinschaft. Am Ende dieses stand es fast ausschließlich für eine auf rassistisch-antisemitischen, Abstammungsgemeinschaft. Sprecher, die das Wort im Mund führten, bis 2010 Inhaber des Lehrstuhls gescheiterten Kriegs wurde nach der Novemberrevolution eine Ver- sozialdarwinistischen und expansionistischen Vorstellungen beru- konnten die pluralistischen Grundlagen der liberalen Demokratie an- für Politik und Kultur am Institut fassung verabschiedet, nach der die Staatsgewalt (durch Wahlen) hende Weltanschauung, die in Teilen des rechten Lagers Verbrei- erkennen oder aber holistischen Vorstellungen anhängen. Häufi g blieb für Politische Wissenschaften, vom Volk ausging und nicht mehr autoritär verfügt wurde. Aber tung gefunden hatte.45 Zwar war die »völkische Bewegung« in ihrer unklar, was mit »Volk« und »Volksgemeinschaft« eigentlich genau Freie Universität Berlin. gleichzeitig blieb in der zerrissenen Gesellschaft der frühen Weima- Ideologie und ihren Zielen durchaus heterogen, sie verfügte aber mit gemeint war. So konnte »Volk« in der Weimarer Reichsverfassung Forschung und Lehre unter rer Republik die Volksgemeinschaft die beherrschende »politische dem ethnisch-rassistisch gedachten »Volk« über einen gemeinsamen sowohl im Sinne von Demos als auch von Ethnos verstanden und anderem zu Rechtsextremismus und Deutungsformel«.2 »Volksgemeinschaft« war bereits vor dem Na- Nenner und Höchstwert. Radikalnationalistische Vereinigungen wie zudem entweder pluralistisch oder holistisch interpretiert werden. Rechtspopulismus, zur Aufarbeitung tionalsozialismus ein durchaus verbreiteter Begriff. der Alldeutsche Verband verfolgten seit dem ausgehenden 19. Jahr- Die Weimarer Republik fand zu keinem Konsens über die für eine des Nationalsozialismus sowie zu Er hatte die Bedeutung, gegen die destruktiven Erfahrungen am hundert offen eine Expansionspolitik und forderten eine »völkische Demokratie entscheidende Frage, von wem konkret die Staatsgewalt den Konfl iktlagen im Nahen und Ende des Ersten Weltkriegs zum Zusammenhalt in der neuen Repub- Flurbereinigung«.46 Bei der Entstehung des Reichs- und Staatsange- auszugehen habe – von den gleichberechtigten Staatsbürgern des De- Mittleren Osten. Er war Gutachter lik aufzufordern. In der zerrissenen Gesellschaft der Nachkriegsjahre hörigkeitsgesetzes hatten sich 1913 diese Gruppen in wesentlichen mos, vom angeblich homogenen Ethnos, von den unteren Schichten, im Prozess, den der Holocaust- geriet die Formel von der Volksgemeinschaft bei den regierenden Punkten durchgesetzt. Das in der Folge geltende »ius sanguinis« von einem metaphysischen Wesen mit eigenem Charakter und Willen Leugner David Irving gegen die Sozialdemokraten, die sich der Schwäche ihrer revolutionären Macht beruhte auf der Vorstellung einer ethnisch-homogenen »nationalen oder von unterschiedlichen Individuen, die sich zu den Werten der Historikerin Deborah Lipstadt allzu bewusst waren, zu einer Beschwörung der Einheit und der Verfassung bekannten. Dieses Defi zit ließ den Volks- und Volksge- anstrengte, und Sachverständiger im Akzeptanz der neuen republikanischen Ordnung. Der Staatsrechtler meinschaftsbegriff zu einem Anknüpfungspunkt für die Konzepte NSU-Untersuchungsausschuss des Hugo Preuß erklärte am 14. November 1918 im Berliner Tageblatt: der extremen Rechten werden. Weimar mangelte es nicht nur an Bayerischen Landtags. »Nicht Klassengruppen, nicht Parteien und Stände in gegensätzli- 42 »Wulle spinnt nationalsozialistische Wolle! Xylander hält das Garn!«, in: Demokraten, sondern auch an republikanischem Bewusstsein und Jüngste Monographien: Staatsaffäre cher Isolierung, sondern nur das gesamte deutsche Volk, vertreten Völkischer Beobachter v. 3.3.1921, S. 1. an einer republikanischen Sprache. Die schwammige und zugleich NSU. Eine offene Untersuchung, 43 Adolf Hitler, »Rede auf einer NSDAP-Versammlung in Zwickau am 15.7.1925«, emphatische Verwendung von demokratischen Schlüsselbegriffen Münster, Berlin 2015; Von zit. nach De Gruyter, Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933– 1945, http://db.saur.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=HRSA-0060. trug dazu bei, dass sich die radikale Rechte ihrer bemächtigen und Wutbürgern und Brandstiftern. 44 Eine solche Interpretation griff auf die sozialwissenschaftliche Arbeit von Ferdi- sie mit antirepublikanischen Inhalten ausfüllen konnte. AfD – Pegida – Gewaltnetze, 1 Grundlage dieses Textes ist vor allem: Hajo Funke, Von Wutbürgern und Brand- nand Tönnies zurück und wandte dessen Idealtypenunterscheidung stark verkürzt unter Mitarbeit von Ralph Gabriel, stiftern. AfD – Pegida – Gewaltnetze, Berlin 2016; daneben meine Analyse der und normativ aufgeladen an. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin 2016; Antiautoritär. 50 Jahre gesellschaftlichen und politischen Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturfor- Deutschland, in: Hajo Funke, Paranoia und Politik. Rechtsextremismus in der men, Leipzig 1887. Studentenbewegung. Die politisch- Berliner Republik, Berlin 2002, sowie die inspirierende Studie von Michael 45 Uwe Puschner, »›Wildgeworden‹ und ›gefährlich‹! Die öffentliche Auseinander- 47 Vgl. ebd., S. 149–172; Dieter Gosewinkel, »Homogenität des Staatsvolks als Sta- kulturellen Umbrüche, Hamburg Wildt, Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017, in der er sich gegen die setzung mit den Völkischen in ihrer Zeit«, in: Patrick Merziger u.a. (Hrsg.), Ge- bilitätsbedingung der Demokratie? Zur Politik der Staatsangehörigkeit in der 2017. missbräuchliche Nutzung seiner Kritik des Volksgemeinschafts-Konzepts durch schichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann zum Weimarer Republik«, in: Wolther von Kieseritzky (Hrsg.), Demokratie in die AfD wehrt. 65. Geburtstag, Stuttgart 2010, S. 109–126, hier: S. 111 f. Deutschland. Chancen und Gefährdungen im 19. und 20. Jahrhundert. Histo- 2 Hans Ulrich Thamer, »Volksgemeinschaft: Mensch und Masse«, in: Richard van 46 Peter Walkenhorst, Volk – Nation – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen rische Essays, München 1999, S. 173–201. Dülmen (Hrsg.), Erfi ndung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007, S. 334. 48 Vgl. Retterath, Volk, S. 223–239. 1500–2000, Wien 1998, S. 367–388, hier S. 367.

24 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 25 durch die aus völlig demokratischen Wahlen hervorgehende deutsche Organisationen verankert, zunächst vor allem in ländlichen bäu- Nationalversammlung, kann den deutschen Volksstaat schaffen.«3 erlich-protestantischen, aber auch kleinstädtischen Regionen wie Hier war nicht mehr das begeistert in den Krieg ziehende Volk etwa in Teilen Frankens, Thüringens, Mittelhessens oder Schlesiens, des August 1914 gemeint, und diese Volksgemeinschaft bedeutete Ostpreußens und Nordfrieslands. Am Ende des Jahrzehnts erlebte es keine Rückkehr zum wilhelminischen Obrigkeitsstaat. Der Begriff einen weiteren Aufschwung und wurde durch die nationalsozialisti- der Volksgemeinschaft war in dieser heiklen politischen Konstella- sche Bewegung zu immer mehr Gewaltakten geführt. tion eher ein Kampfbegriff gegen die Bedrohung der Republik von Die Verteidiger der Weimarer Republik kamen schließlich rechts – ein Begriff zur Verteidigung der Verfassung, ehe er von nicht mehr an gegen ein sich ausweitendes Bewusstsein von der den antidemokratischen Rechten, vor allem dann den Nationalsozi- Möglichkeit eines neuen großen Reiches, gegen den Glauben an alisten, angeeignet und gegen die von ihnen defi nierten »Fremden« eine kampfstarke Volksgemeinschaft, die zugleich der Wut das ent- links: Berlin, 1940, drei Frauen werden auf gerichtet wurde. scheidende Ventil bot, und gegen die Glaubenszuversicht an den einem Podest die Haare von drei jungen Erlöser der Nation und seine Bewegung. Bei allzu vielen war nach Männern geschoren. Um den Hals tragen sie Schilder mit der Aufschrift: »Ich bin aus der der Phase traumatischer Schwäche und Dekadenz zum Zeitpunkt Volksgemeinschaft ausgestoßen«. Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus der Machtübernahme der quasi-religiöse Glauben an den sozialen Eine Menschenmenge schaut dabei zu. Aufstieg und an die Wiederherstellung nationaler Größe durch Hit- Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Für die Nationalsozialisten ging es seit Ende der Weimarer Republik ler verbreitet. Mit der Hingabe an diesen neuen Heilsbringer war unten: NPD-Demonstration am 4. November jedoch um die Einheit gegen die Verschiedenheit: durch eine Empha- zugleich die Entfesselung der Gewalt gegen die anderen fusioniert. 2000 in Berlin se der Abwehr der Feinde, vor allem der Juden. Carl Schmitt erklärte Denn sie waren es, die man für schuldig erklärte an der Niederlage Foto: snapshot-photography/Tobias Seeliger/ die Identität und Homogenität des politischen Volkes zur Vorausset- im Ersten Weltkrieg, am »Schandfrieden« von Versailles und an Süddeutsche Zeitung Photo zung jedweder »demokratischen« Verfassungsordnung. Es sei nicht den ökonomischen Katastrophen des folgenden Jahrzehnts, und die nur Gleiches gleich, sondern das nicht Gleiche nicht gleich und so man mit dem Terror der SA nun endlich zu entmachten willens war, zu behandeln – nötigenfalls durch die Ausscheidung oder Vernich- um sich in der tätigen Volksgemeinschaft der Exklusionen selbst zu tung des Ungleichen. Entgegen der Vorstellung von der Weimarer bemächtigen. Allzu viele sahen in der Erreichung der politischen Republik als jedenfalls zeitweilig relativ stabil zeichnen historische Macht nur die Voraussetzung für den Beginn der eigentlichen erlö- Studien das Bild eines vergleichsweise schwachen Rechtsstaats, in sungsantisemitischen Mission.5 dem auch antisemitische Gewalt nicht hat systematisch abgewehrt Durch Hitler sah sich die große Mehrheit der Deutschen von werden können.4 den traumatischen Niederlagen des Ersten Weltkriegs, den Gefah- Der Nationalsozialismus konnte hierbei auf die innere Schwäche ren von Revolution, Blut und Bolschewismus der Sowjetunion und der Weimarer Republik als eine Demokratie ohne Demokraten und der sozialen Misere entlastet, ja befreit und glaubte mit Hitler und eine nie ganz zurückgedrängte Abwehr gegen den »Feind« – ob innen den Nationalsozialisten an den neuen kommenden tausendjährigen oder außen – zurückgreifen. Es war gewissermaßen üblich, die schon Sonnenstaat. Auch wenn nicht jeder diesen Glaubensgeboten in allen in den begeisterten Tagen vor dem Ersten Weltkrieg entfachte Volks- Elementen folgen mochte, so würdigte man doch die Erfolge auf dem gemeinschaftsstimmung als eine nicht nur gegen den äußeren Feind, Arbeitsmarkt, die Anstrengungen zur Wiederherstellung von Würde sondern auch gegen die Spione im Inneren zu begreifen. Während und Stärke sowie später die militärischen Erfolge der ersten Kriegs- man aber am Beginn des Ersten Weltkriegs gegen die Spione des jahre. So nahmen viele zunächst das eine oder andere ihnen zunächst Feindes mobilisierte, wandte man sich wenige Jahre später gegen die zu brutal Erscheinende als unvermeidbaren Teil der in rauschhafter Juden, die für die Niederlage verantwortlich gemacht werden sollten. Stärke inszenierten Mobilisierung der Volksgemeinschaft bereit- Die Information der Obersten Heeresleitung über einen alsbaldigen willig hin. Wer in vielem gern mitmachte, widerstand auch nicht Waffenstillstand im September 1918 traf die deutsche Öffentlichkeit bei Aspekten, die man vielleicht privat gar nicht teilen mochte – wie ein Schock. zunächst jedenfalls. Die meisten lehnten sich nicht auf und konnten Das völkische, deutschnationale und später nationalsozialis- dies ab einem bestimmten historischen Zeitpunkt auch nicht mehr, tische Milieu des Antisemitismus hatte sich im Laufe der 1920er als ihnen die Gewalt von SS und SA gegenüber den Juden zu weit Jahre im Vereinsleben, in entsprechenden Vereinigungen und

5 Das Konzept der politischen Religion ist dabei hilfreich, auf den besonderen poli- 3 Hugo Preuß, »Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat«, in: ders., Staat, Recht tischen Glauben der NS-Führung hinzuweisen und ihn auf eine gesellschaftliche und Freiheit. Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte, Tübingen 1926, Rezeptionsbereitschaft zu beziehen, die sich neben den über Jahrzehnte gefestig- S. 365–368, hier S. 367 f. ten kulturellen Codes des Antisemitismus aus der Intensität der epochalen Krisen- 4 Vgl. Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen erfahrung und einer nur partiellen Säkularisierung in der Weimarer Republik, vor Juden in der deutschen Provinz, 1919 bis 1939, Hamburg 2007. allem an ihrem Ende, speist.

26 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 27 ging. Alles in allem erschien es der großen Mehrheit der deutschen Die Gegner und künftigen Opfer waren zu schwach, der Machtwille beobachten Historiker in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegsrepu- »Bundesamnestie«, dann 1950 zu den Empfehlungen des Bundes- Bevölkerung sinnvoll, mitzumachen, und aussichtslos, zu widerste- der Nationalsozialisten zu totalitär. Insbesondere die konservativen blik Elemente einer in vielem wieder ähnlichen Volksgemeinschaft, tages zum Abschluss der Entnazifi zierung, 1951 zum sogenannten hen. So kam es zu einer schwer aufl ösbaren Mischung – einer Art Bündnispartner in Bürokratie, Reichswehr und Wirtschaft ließen die- der die große Mehrheit der Deutschen sich anvertraute. Erst eine »131-Gesetz« zur Wiedereingliederung der Beamten und schließlich Fusion – von Identifi zierung und Begeisterung einerseits und einer se »« in einer Mischung von ideologischer Überein- grundlegende Studie von Norbert Frei hat das Ausmaß freigelegt, in 1954 zum »zweiten Straffreiheitsgesetz« (nach dem ersten der Bun- »Verstrickung« mit dem alles in allem in den ersten sechs Jahren stimmung und Partikularinteressen zu, vor allem unterschätzten sie dem mit den ersten Anfängen ehrlichen Entsetzens über die Verbre- desamnestie von 1949). erfolgreich scheinenden neuen System andererseits. Vor allem aber die rechts-revolutionäre Intensität der NSDAP. Dies schwächte und chen des NS-Regimes und mit den Bemühungen um Re-Education Schon das 1949 durchgesetzte Straffreiheitsgesetz amnestierte kam es zu einer präzise orchestrierten Identifi zierung speziell mit zerstörte schließlich die Chancen zum Widerstand. Mehr noch – und und Entnazifi zierung seitens der westlichen Alliierten von der gerade alle vor dem 15. September 1949 begangenen Taten eines bestimm- Hitler, sowohl durch die propagierten innen- und außenpolitischen das zeigt das Ausmaß der autoritären gesellschaftlichen Strukturen: etablierten Bundesrepublik unter Konrad Adenauer aufgeräumt wor- ten Schweregrads. Es bezog sich genauso auf nicht-politische Delikte Erfolge als auch nicht zuletzt durch die von Goebbels gesteuerte Es gab eine wachsende Hinnahmebereitschaft und teilweise Zustim- den ist. Die »Vergangenheitspolitik«7 der ersten Jahre der Bundes- aus der Schwarzmarktzeit wie auf noch nicht verjährte Straftaten aus Propagandamaschine des NS-Systems. mung vor allem in bürgerlich-nationalen Gesellschaftsschichten. republik war nichts anderes als die Abwehr der Auseinandersetzung der NS-Zeit. Und es begünstigte diejenigen, die es im Frühjahr 1945 Hans-Ulrich Thamer hat betont, dass Hitlers Macht weniger aus Durch diesen tiefgreifenden, oft durch Verzweifl ung und sozi- mit der NS-Vergangenheit. vorgezogen hatten, sich durch Annahme einer falschen Identität der seinem vermeintlichen persönlichen Charisma zu erklären sei als ale Deklassierung verschärften Autoritarismus von Individuen und Gesellschaftsgeschichtlich und politikgeschichtlich ist da- Internierung und Entnazifi zierung zu entziehen: die sogenannten Il- vielmehr aus den politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Gesellschaft wurde es möglich, dass den Verheißungen, den Verspre- mit Rechtsextremismus das, was über diese rabiate Überwindung legalen. Vermutlich profi tierten Zehntausende von NS-Tätern davon, und Motiven der Deutschen, die ihre Ängste und Erwartungen auf chungen, dem Fanatismus des Führers geglaubt wurde. In diesem der Vergangenheit hinaus übrigblieb: ein vor allem subkultureller insbesondere die Schergen aus der »Reichskristallnacht«. ihn projizierten.6 Offenkundig waren die autoritären Erwartungen Autoritarismus ist, wie die Kritische Theorie gezeigt hat, zugleich Rechtsextremismus, der die alten NS-Verhältnisse und die Ideologie Frei hat gezeigt, mit welcher Intensität die Bundesregierung, die und Projektionen eines großen Teils der Deutschen auf Hitler un- die Bereitschaft zur kompensatorischen autoritären Aggression ein- der Volksgemeinschaft mehr oder weniger restaurieren wollte. Frei Bonner Politik insgesamt, die Publizistik, die Kirchen, die alten mi- vergleichlich hoch. Solche Erwartungen gab es in vielen Ländern geschlossen, ja sie ist sein zentrales Element. Sosehr zeitweise die spricht von einem »Triumph« des »Beschweigens«, der zu einer litärischen, wirtschaftlichen, bürokratischen Eliten auf eine »Lösung im Europa der Zwischenkriegszeit. Die Entstehung von Führerkult verbale und praktische Aggression gegenüber den vom Nationalso- kollektiven Entlastung beigetragen haben mag – auf Kosten der des Kriegsverbrecherproblems« drängten – in krassem Kontrast zu und die Erwartungen an politische Heilsbringer waren angesichts zialismus defi nierten Gegnern – den Kommunisten, den Sozialisten Fähigkeit, sich in die Opfer von Krieg und Vernichtungsmaschinerie den halbherzigen Bemühungen um die Opfer. Die Freilassung auch von Nachkriegselend und nationaler Demütigung vielerorts Zeichen und vor allem den rassistisch defi nierten Feinden – zurückgenommen oder gar überhaupt in andere Menschen einzufühlen. Der Triumph der letzten Kriegsverurteilten wurde zu einer »Frage der nationalen für eine tiefe Krise von Staat und Gesellschaft und in der Epoche schien, so entschieden wurde nach der Machtübergabe mit ihnen des Beschweigens dürfte stattdessen jene Wirtschaftswunder-Men- Ehre stilisiert«, und es kam zu immer neuen Begnadigungswellen, des Faschismus mit der Entstehung entsprechender Bewegungen verfahren. Im April 1933 wurde bereits zum Boykott jüdischer Ge- talität bekräftigt haben, nach der der Erfolg selbst einem mitteile, »auf denen zuletzt sogar zum Tode verurteilte Einsatzgruppenführer verbunden. schäfte aufgerufen, es kam zu Gewaltübergriffen auf Juden und zur dass man die Geschichte bewältigt habe. Dies hat dazu beigetragen, in die Freiheit schwammen«. Dies »trug maßgeblich dazu bei, dass In Deutschland hatte es nicht nur die militärische Niederlage Legalisierung des Ausnahmezustands durch das »Ermächtigungsge- dass man offen und in offener Identifi zierung über das, was man der fundamentale Unrechtscharakter des NS-Regimes und seines gegeben, sondern zugleich den Zerfall der alten kaiserlichen Ord- setz«, schließlich zur Zerschlagung der Gewerkschaften nach dem erlebt hatte, sprach: über die großartigen Kriegserlebnisse und ihre Angriffskrieges ausgeblendet werden konnte«.10 nung und die Errichtung einer Demokratie, die zudem ökonomisch umjubelten Tag der nationalen Arbeit auf dem Tempelhofer Feld am Fixierung durch das, was an traumatischen Todeserfahrungen hin- Dies alles trug zu einer prekären politischen Moral bei: Um den durch die Weltwirtschaftskrise bald bis ins Mark erschüttert wurde. 1. Mai 1933. In der Logik des Autoritarismus machte diese Gewalt zutrat. So stand neben dem Jammer die Rücksichtslosigkeit – auch Preis der historischen Wahrheit erhielten die ehemaligen Soldaten Dies verstärkte die Bereitschaft, einem völkischen Erlöser zu folgen. Menschen und Institutionen – so noch nicht zerschlagen – noch im Wortsinn: kein Blick zurück; die Abwehr von Geschichte und die Möglichkeit, in ihrem oft opferreichen Kriegseinsatz einen Sinn Hitler beziehungsweise den Nationalsozialisten wurden Züge eines anpassungs- und unterordnungsbereiter und erhöhte das Potenzial Erinnerung, erst recht Erinnerung an das, was »andere« als Opfer des zu erkennen. Mit der Leugnung der Wahrheit wurden die Opfer neuen Bismarck, eines Kriegshelden oder einer nationalen Mythen- an autoritärer Aggression, die sich auf einen beliebig defi nierten Nationalsozialismus erlebt hatten und im Deutschland der 1950er ausgeblendet. So unterschiedliche Autoren wie Hermann Hesse und gestalt sowie die Kraft eines deutschen »Duce« zugesprochen. In Sündenbock richtete. Jahren mitzuteilen suchten. Hannah Arendt haben diese Ausblendung und die damit verbundene diesem Sinn haben große Teile der deutschen Gesellschaft – sowohl Das war der Kern der völkischen Volksgemeinschaft der nati- Gleichzeitig setzten sich Politik und Öffentlichkeit in »selbstver- tiefgestaffelte Gleichgültigkeit schon kurz nach Ende des Krieges der verunsicherten Massen als auch der Eliten – dem Führer »ent- onalsozialistischen Bewegung vor und nach 1933. Wenn wir nach ständlicher Pauschalität« für die Freilassung und Integration der von in Deutschland ausgemacht. Konsequenterweise bezog sich die gegengearbeitet« (Ian Kershaw). Das Hitler zugeordnete Charisma 1945 von Volksgemeinschaft lesen, ist dieser nach innen integrieren- den Alliierten verurteilten Kriegsverbrecher und NS-Täter ein. Frei normative Abgrenzung schließlich lediglich auf die unmittelbare war vornehmlich eine gesellschaftliche Projektion auf einen Erlöser. de, gegen den inneren und äußeren Feind auf Vernichtung ausgelegte nannte als »vielleicht überraschendstes, in jedem Fall bestürzendstes Verherrlichung des Nationalsozialismus und die schiere Tatsache der In den ersten Wochen und Monaten des »Dritten Reiches« Doppelcharakter der Volksgemeinschaft mit zu bedenken und nicht Ergebnis« seiner Arbeit8, dass es ein solches Maß an gesellschaft- Ermordung der Juden. Die Vergangenheit blieb »unbewältigt«. Die wurden mit präzedenzloser Geschwindigkeit Verfassungsstaat und abzustreifen. Der Begriff der Volksgemeinschaft hatte spätestens licher Unterstützung sogar schwerstens kompromittierter einstiger Politik Adenauers zielte auf ein vergangenheitspolitisches »social en- Rechtsordnung zerstört, Länder und Gemeinden gleichgeschaltet, mit der Eskalation der Gewalt gegen die Juden, und erst recht im »Führer« gab, die man als »Refl ex und Konsequenz der hohen sozi- gineering«, das die Perspektive der von den Deutschen überfallenen Parteien und Verbände aufgelöst und ein großer normativer Macht- Vernichtungskrieg, seine »Unschuld« verloren. alen Bindekraft des Nationalsozialismus« verstehen könne.9 Nachbarn und Kriegsgegner zunehmend aus dem Blick verlor: »Das komplex aus Gestapo, SA und wenigen Konzentrationslagern er- Gleich nach der Gründung der Bundesrepublik begann die nur deutsche Volk will Ruhe und Arbeit und ist dabei, die ungeheuren richtet. Innerhalb weniger Monate kam es zu Gleichschaltung und knapp ins Amt gewählte Adenauer-Regierung, das Heer der soge- Schäden, die der Krieg ihm geschlagen hat, auszuheilen.« So redete Selbstgleichschaltung und der Zerschlagung aller demokratischer In- Volksgemeinschaft nach 1945 nannten Mitläufer politisch zu amnestieren und sozial zu integ- Otto Lenz, einer der engsten Mitarbeiter Konrad Adenauers.11 stitutionen und Organisationen in der ersten Hälfte des Jahres 1933. rieren. In einem Rausch der Entlastung kam es zunächst 1949 zur Norbert Frei sieht in der Hysterie um die Kriegsverbrecher »eine Es erstaunt nicht, dass nach der militärischen und moralischen Nie- nur schwach säkularisierte Volksgemeinschaft« wirksam. Ihr Am- derlage 1945 auch der Begriff der Volksgemeinschaft aus der breiten nestiebedürfnis habe den realen Interessen der übergroßen Mehrheit

6 Hans-Ulrich Thamer, »Prolog. Hitler und die Deutschen – eine vieldeutige Bezie- Öffentlichkeit verschwand – und es ist ebenso wenig verwunderlich, 7 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- hungsgeschichte«, in: ders., Simone Erpel (Hrsg.), Hitler und die Deutschen. dass für die Rechtsextremen, genauer die Neo-Nationalsozialisten, Vergangenheit, München 1996. Volksgemeinschaft und Verbrechen. Eine Ausstellung der Stiftung Deutsches Hi- nach 1945 dieser Begriff für ihre Vorstellung eines neuen national- 8 Ebd., S. 16. 10 Ebd. storisches Museum, Berlin 15. Oktober 2010 bis 6. Februar 2011, Dresden 2010, revolutionären Großdeutschland unverzichtbar schien. Gleichwohl 9 Ebd. 11 Ebd., S. 395 f. S. 162 f., hier S. 162.

28 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 29 sehr widersprochen – wenn auch dies womöglich eben doch auf ein dominierten rechtextremen Jugendbewegung vor allem in Teilen und ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein positiver Ausdruck und ein solcher Agitator, wenn wir der Rekonstruktion seiner politischen »indirektes Eingeständnis der gesamtgesellschaftlichen Verstrickung Ostdeutschlands. Vorbereitet durch ihre Jugendorganisation, die Bestandteil der deutschen Sprache sind. Volksgemeinschaft ist ein Sprache folgen, wie sie der Politikwissenschaftler Andreas Kemper in den Nationalsozialismus« zu deuten sein könne.12 Manches sprä- »Jungen Nationaldemokraten«, ist ihr dies insbesondere seit dem solcher Begriff. Die enthaltenen Worte Volk und Gemeinschaft sind in profund aufbereitet hat.19 In Höckes Reden zeigt sich ein völkisches, che jedenfalls dafür, »den fast unbegrenzten Willen zur Amnestie als Antritt des Parteivorsitzenden Udo Voigt gelungen – vor allem in keiner Weise negativ zu sehen, sowie der Begriff Volksgemeinschaft auf deutscher Abstammung beruhendes »Selbstbestimmungsrecht«. eine unbewusste Anerkennung der schon 1945 auf hohe psychische den Jahren 1998/99 und teilweise im Jahr 2000. insgesamt.«15 Die Vorsitzende Frauke Petry erklärte nach dem Partei- Trotzig formulierte er immer wieder: »Ich will unsere Selbstbestim- Disponiertheit – und entsprechend vehemente Abwehr – gestoßenen Die NPD ist in Ideologie und Programmatik rechtsextrem und tag vom 1. Mai 2016 in Stuttgart »völkisch« und auch »deutschnatio- mung aber nicht an eine fremdstämmige Migranten-Mehrheit ab- Kollektivschuldthese zu begreifen, die in der vielbeklagten Form vorherrschend neonationalsozialistisch. Sie wendet sich in ihrem nal« als angemessene Beschreibung der AfD. Man möchte sich von geben«. Durch die Migrationsbewegungen nach Deutschland sieht von den Alliierten zwar nie formuliert worden war, den Deutschen völkischen Nationalismus und mit ihrem Konzept einer nationa- der Verbindung dieser Begriffe zum Nationalsozialismus absetzen Höcke die Selbstbestimmung bedroht, und so fordert er ebenso auf aber von Anfang an als willkommener Anlass diente, sich ungerecht len und sozialen Volksgemeinschaft wie durch ihre antisemitische und damit diesen selbst entsorgen. Es ist aber kaum denkbar, Volks- den Demonstrationen: »Wir haben als Volk das Recht, Herr im ei- behandelt zu fühlen«.13 und fremdenfeindliche Agitation gegen die Anerkennung der Men- gemeinschaft ohne diese Begriffsgeschichte zu begreifen. genen Haus zu bleiben«. Höcke wendet sich damit gegen die grund- Es mag eben doch sein, dass man sich in der einen oder ande- schenrechte, gegen das Recht der Persönlichkeit auf Leben und Aber es geht auch um den Begriff »Volk« selbst. Mit dem Satz gesetzlich verankerte Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der ren Weise mitschuldig sah daran, wie die Nationalsozialisten zur freie Entfaltung. Ihre Ideologie der völkischen Ungleichheit und »wir sind das Volk« will die AfD an die appellieren, die sich von der Menschen in Deutschland. Konsequenterweise lehnt er die Aufnahme Macht gelangt waren, dass man wusste, dass man weggeschaut hatte Ungleichwertigkeit ist damit gegen das Kerngrundrecht der bun- herrschenden Politik unbeachtet, abgehängt oder gar missachtet fühlen von Flüchtlingen grundsätzlich ab: »Wir brauchen jetzt: die unzwei- und sich mit dem neuen Staat und dem von ihm entfachten Krieg desrepublikanischen Verfassung gerichtet. und nun mit dem Hinweis auf das »Volk« eine Aufwertung erfahren.16 deutige Ansage, dass es grundsätzlich keine dauerhafte Integration identifi ziert hatte. Die Kollektivschuldthese wäre demnach eine auf Auf ihrem Parteitag hat die AfD 2016 klargemacht, dass für sie Islam von Flüchtlingen geben kann. […] Nein, wir können und wir wollen das deutsche Kollektiv rückbezogene Selbstprojektion und nicht und die Muslime im Land der Feind sind. In der Gründungserklärung diese Integration nicht schaffen.« Der völkische Rassismus Höckes umgekehrt eine vom Gegner formulierte These. Entsprechend ent- Volksgemeinschaft und Rechtspopulismus heute der im Dezember 2014 gebildeten »patriotischen Plattform« innerhalb und die rechtsextreme Stoßrichtung der Thüringer AfD-Fraktion un- hielt die Wahrnehmungsfi gur »Ausland« oft Elemente altbekannter der AfD, die sich als Kampfverband zur Durchsetzung rechtsradikaler terscheiden sich von kritischen Äußerungen anderer demokratischer Vorstellungen einer »jüdischen Volksverschwörung« – zugleich »die Die mentalen Traditionsströme, an die die NPD anknüpfen konnte, Positionen verstehen lässt, heißt es unter anderem: »Das deutsche Volk Politiker zur Asylpolitik. Deren zum Teil erhebliche Kritik fußt näm- einzig verbliebene, wirksame Barriere« gegen noch weiter reichende haben sich mit dem Wechsel der Generationen und den entschiede- ist die Gesamtheit der Menschen, die unsere Kultur tragen. Wir sind lich nicht auf einer »völkischen Marginalisierungsparanoia«, sondern Forderungen nach einer »General amnestie«.14 nen Prozessen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gerne Deutsche und heißen jeden in unserer Mitte willkommen, der auf praktischen (materiellen, logistischen oder sicherheitspolitischen) Die beschriebenen Amnestien und damit verbundenen Amnesien und der Demokratisierung der Gesellschaft gewiss reduziert. Aber unsere Sprache spricht, der sich wie wir mit unserem Land identifi ziert Fragestellungen. Höcke hingegen lehnt Integration rundherum ab. zusammen mit traumatischen, jedenfalls tief verstörenden Desinte- sie blieben ein erheblicher Rand, nach unterschiedlichen Studien von und sich als Deutscher versteht, ganz gleich, wo seine Eltern geboren Die gesellschaftlichen Bezugsebenen für die drei Begriffe grationserfahrungen gefährdeten eine lebendige Erinnerung an Opfer zwischen 15 und 25 Prozent – im Osten Deutschlands jeweils stärker sind. Patriotismus sollte auf kein politisches Lager beschränkt sein. »Volk«, »völkisch« und »Volksgemeinschaft« haben sich im Laufe und »andere«. Das, was gemeinhin rechtsextrem genannt wurde, war ausgeprägt. Mit den durch rassistische Thesen Thilo Sarrazins ange- Nationalliberale fi nden bei uns genauso Platz wie patriotische Linke des letzten Jahrhunderts in Deutschland im Zuge gesellschaftlicher nichts anderes, als sich in Teilen oder vollständig an den Ideen der heizten Debatten um den Charakter der deutschen Identität und der und Konservative, solange sie ihre Lager- und Klientelinteressen nicht Umbrüche und politischer Revolutionen immer wieder verändert, das nationalen und sozialen Volksgemeinschaft zu orientieren. Während Abweisung der Muslime und Türken als unproduktive Minderheit über das nationale Interesse stellen.«17 gilt auch und gerade für »völkisch« und »Volksgemeinschaft«. Aber diese Ideen nach der Niederlage für die meisten obsolet oder auch war nach der Finanz- und Euro-Krise eine Grundlage dafür gegeben, Besonders prägnant ist der durch die massive Unterstützung genauso entschieden gilt es zu betonen, dass die Ausrichtung einer in der Besatzungszeit schlicht nicht opportun waren, hielten die dass es fast unvermutet 2014 zu einer Explosion rechtspopulistisch Alexander Gaulands inzwischen in die Mitte der AfD gelangte Björn völkischen Volksgemeinschaft-Vorstellung auf Exklusion und auf klassischen neonationalsozialistischen Rechtsextremen an ihnen fest geschürten Ressentiments und alsbald einer neuen Gewaltwelle kam. Höcke. Er hält die Zuwanderung durch sogenannte Fremde für eine eine auf die Exkludierten gerichtete Gewaltbereitschaft ausgerichtet und sprachen wie selbstverständlich von nationaler Solidarität – als Spätestens 2015 griff die zuvor gegründete Alternative für existenzielle Gefährdung deutscher Identität und ethnischer Homo- ist. Es handelt sich um eine Volksgemeinschaft im Kampf gegen den Volksgemeinschaft (so der langjährige NPD-Parteichef Udo Voigt). Deutschland (AfD) diese Ressentiments rechtspopulistisch auf und genität. Migranten und Zuwandernde zerstören seiner Ansicht nach inneren oder äußeren Feind, den es zu besiegen, zu verbannen oder Das machte ihren randständigen und zugleich für viele immer wieder präsentierte sich als diejenige Partei, die das Volk angemessen re- Deutschlands Gesellschaft und das Volk. Das Denken Höckes richtet auszumerzen gilt. Es ist ein gegen die Rechte von Menschen, die attraktiven Charakter aus. präsentiere. Zunächst vom rechten Flügel um Björn Höcke und An- sich daher zuallererst gegen Flüchtlinge, die seiner Auffassung nach hier sind, ebenso wie gegen die Bürgerrechte derer, die man ethnisch Nach ihrer Gründung 1964 konnte die NPD binnen weniger dré Poggenburg wurde ein Volksbegriff breitgetreten, der mit dem ethnisch divergent sind, sowie gegen die gegenwärtige politische ausschließen will, gerichtetes Konzept. Es ist menschenfeindlich. Jahre bei Landtagswahlen eine Reihe von Erfolgen erzielen, zum völkischen Volksgemeinschafts-Verständnis zu tun hat. Die Begriffe und parteipolitische Verfassung. Entsprechend umfassend ist die Teil zweistellige Ergebnisse erreichen und in eine Reihe von Lan- »völkisch« und »Volksgemeinschaft« wurden zwar anders verwandt agitatorische Eskalationsfähigkeit, wie sie Höcke in seinen Reden desparlamenten einziehen. Nur knapp verfehlte sie 1969 den Ein- als im Nationalsozialismus, aber Höcke und Poggenburg – und später zeigt: unerbittlich, ohne Einschränkung setzt er sich als ein autoritärer zug in den Bundestag, was mit dazu beitrug, dass sich besonders auch der Parteivorsitzenden Frauke Petry – war es wichtig, solche Agitator für ein extrem rechtes Politik- und Gesellschaftskonzept ein. militante junge Neo-Nationalsozialisten von der Partei abspalteten, Begriffe im Wissen um die Geschichte des Nationalsozialismus Eine solch dunkle, einen tödlich gefährlichen Feind beschwörende die später an verantwortlicher Stelle die gegen Asylfl üchtlinge und bewusst zu rehabilitieren und ihnen jenseits der Geschichte eine Sprache hat Leo Löwenthal am Beispiel des Judenhasses als Sprache Juden gerichtete Gewaltwelle in den frühen 1990er Jahren mit zu neue Unschuld zu verleihen, mit der man strategisch operieren kann. des »faschistischen Agitators« kenntlich gemacht.18 Björn Höcke ist verantworten hatten. Die NPD selbst wurde in den 1990er Jahren »Volksgemeinschaft« und »völkisch« sind Begriffe, mit denen die 19 Björn Höcke ist sehr auskunftsfreudig. So haben wir dank der vorzüglichen Re- konstruktion der Reden durch Andreas Kemper einen außerordentlich offenen einfl ussreicher Organisator einer breiten, gewaltbereiten, männlich Defi nition von »Volk« ethnozentrisch verengt werden kann. André Einblick in das völkisch rassistische Denken eines der mächtigsten Akteure in der Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, benutzt, wie AfD, dem es wesentlich gelungen ist, mit seinen Mitstreitern die moderateren Michael Wildt kritisch anmerkt, Volksgemeinschaft als positiven 15 Wildt, AfD, S. 115. Kräfte aus der Partei zu drängen oder zu marginalisieren. Vgl Andreas Kemper, Begriff: »Die AfD Sachsen-Anhalt spricht eine klare, unideologische 16 Ebd., S. 118. »… die neurotische Phase überwinden, in der wir uns seit 70 Jahren befi nden«. 17 https://patriotische-plattform.de/beispiel-seite Zur Differenz von Konservatismus und Faschismus am Beispiel der »historischen 12 Ebd., S. 399. Sprache und verwehrt sich gegen das ideologische Überzeichnen und 18 Leo Löwenthal, Falsche Propheten. Studien zum Autoritarismus (Schriften, Mission« Björn Höckes (AfD), überarbeitete und erweiterte Version der ursprüng- 13 Ebd. einseitige Zuordnen sprachlicher Begriffe, die in ihrem Ursprung Bd. 3), Frankfurt am Main 1981. lichen Online-Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, Erfurt 2016. 14 Ebd.

30 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 31 derssein identifi zierte die völkische Rechte in der Weimarer Republik dem »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Ab- stark mit dem Judentum. Die meisten der Zuwanderer in den 1920er erkennung der deutschen Staatsangehörigkeit« auch die Möglichkeit, Jahren, die im Vergleich zur Gegenwart in weit geringerer Anzahl unerwünschte Menschen aus der deutschen »Volksgemeinschaft« nach Deutschland kamen, waren osteuropäische Juden, die vor Ver- auszusondern. Insbesondere Juden mit deutscher Staatsangehörig- folgung aus Osteuropa gefl ohen waren. Generell richtete sich die völ- keit wurden nach Hitlers Machtantritt rasch durch eine Flut von Völkisches Denken gestern und heute kische NS-Ideologie aber nicht nur gegen Juden, sondern gegen alle, Sondergesetzen Schritt für Schritt systematisch aus der »Volksge- die als nicht dem deutschen Volk oder zumindest der »nordischen/ meinschaft« ausgeschlossen.8 Die Volksgemeinschaft aus Sicht der NSDAP arischen Rasse« zugehörig empfunden wurden.5 In ihrem Programm Die tief prägende Bedeutung der Volksgemeinschaftsideologie von 1920 erklärte die NSDAP (unter Punkt 4) knapp, wer für sie für die NS-Politik zeigte Hitlers Führererlass mit der Aufgaben- und der NPD Deutscher war und dem deutschen Volk angehörte: »Staatsbürger zuweisung des »Reichskommissars für die Festigung deutschen kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer Volkstums«9 vom 7. Oktober 1939. Die Aufgaben des Reichskom- deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein missars, die Heinrich Himmler übernahm, waren demnach erstens von Steffen Kailitz Jude kann daher Volksgenosse sein.«6 Nicht-Deutsche konnten aus die »endgültige Heimkehr in das Reich« der Reichs- und »Volks- dieser völkischen Perspektive nur zeitweilig geduldete »Gäste« des deutschen« aus dem Ausland, zweitens die »Ausschaltung des schä- deutschen Volks sein. So hieß es in Punkt 5: »Wer nicht Staatsbürger digenden Einfl usses« von »volksfremden Bevölkerungsteilen auf Die Ethnisierung des Volksbegriffs und ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Reich und deutsche Volksgemeinschaft« und drittens »die Gestal- die Entwicklung der nationalsozialisti- Fremden-Gesetzgebung stehen.« Die abgeleiteten Folgen aus diesem tung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung«,10 was schen Volksgemeinschaftsideologie völkischen Weltbild waren unter Punkt 7 und 8 so gefasst: »7. Wenn faktisch die Vertreibung von Nicht-Deutschen und die Ansiedlung es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, von ethnischen Deutschen in diesen Gebieten bedeutete. Auf der Steffen Kailitz, Dr. habil., ist Senior Die NSDAP, die NPD und mit ihr das gesamte völkische Spektrum so sind die Angehörigen fremder Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus Grundlage dieses Führererlasses begannen am 1. Dezember 1939 Research Fellow am Hannah-Arendt- setzten bzw. setzen Ethnos und Demos gleich. Die Zugehörigkeit dem Reiche auszuweisen. 8. Jede weitere Einwanderung Nicht- die Deportationen von Juden und Polen aus dem Reichsgebiet. Unter Institut für Totalitarismusforschung zum Volk wird von den Völkischen allein über die Abstammung be- Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, dass alle Nicht-Deutschen, Berufung auf diesen Führererlass wurde letztlich auch die Vernich- und Privatdozent an der TU Dresden. stimmt. Historisch ist die Ethnisierung des Volksbegriffs im Kern ein die seit 2. August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort tung der europäischen Juden durch das »Reichskommissariat für die Seine Forschungsschwerpunkte sind Phänomen, das erst Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt dann im zum Verlassen des Reiches gezwungen werden.« Festigung deutschen Volkstums« mitorganisiert. Rechtsextremismus, Demokratie- 20. Jahrhundert weite Verbreitung fand.1 Ihren Gipfelpunkt erreichte Nachdem die NSDAP am 30. Januar 1933 die Macht errang, zusammenbrüche und Autokratien. diese Entwicklung in der nationalsozialistischen Weltanschauung. Das setzte sie diese Ziele auch umgehend um. Reichsinnenminister Wil- Er war u.a. 2012 Gutachter des Konzept der »Volksgemeinschaft« bildete einen zentralen Knotenpunkt helm Frick propagierte nach der Reichstagswahl im März 1933 eine NPD und Volksgemeinschaft NSU-Ausschusses des Bayerischen der völkischen NS-Ideologie.2 Der tief von der nationalsozialistischen »bewusst völkische Politik«, die darauf zielte, die Einwanderung Landtags und 2016 Sachverständiger Ideologie geprägte Neue Brockhaus von 1941 arbeitete die Zentralität von Juden aus Osteuropa zu verhindern und bereits Eingewanderte Die NPD vertritt wie die NSDAP einen rein ethnischen Volksbegriff im NPD-Verbotsverfahren vor dem des Begriffs »Volksgemeinschaft« für die NS-Ideologie so heraus: auszuweisen.7 Die Möglichkeit der Einbürgerung gab es in Deutsch- und strebt wie diese an, eine ethnisch homogene »Volksgemein- Bundesverfassungsgericht und ver- »Volksgemeinschaft, die auf blutsmäßige Verbundenheit, auf gemein- land ab 1933 nur noch für sehr eng begrenzte Ausnahmefälle. Ein- schaft« zu schaffen.11 Zweierlei fordert die NPD, um dies zu errei- fasste zahlreiche Schriften zum politi- sames Schicksal und gemeinsamen politischen Glauben beruhende gebürgert werden konnten lediglich Menschen, deren Großeltern chen: Wer keinen deutschen Stammbaum hat, muss aus Deutschland schen Extremismus und insbesondere Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassen- und Standesunter- sämtlich deutscher Abstammung waren. »Fremdstämmige« hat- verschwinden. Wer einen deutschen Stammbaum hat, muss sich den Rechtsextremismus. schiede wesensfremd sind. Sie ist Ausgang und Ziel der nationalso- ten unabhängig von ihrer Befähigung und ihren Verdiensten keine Interessen der »Volksgemeinschaft« unterordnen.12 Veröffentlichungen (Auswahl): zialistischen Weltanschauung und des von ihr getragenen Volkes.«3 Einbürgerungsmöglichkeit mehr. Selbst vor bereits Eingebürgerten Auf die Frage »Wer ist denn ein Deutscher? Was versteht (Hrsg.), Nach dem »Großen Krieg«. Die Volksgemeinschaftsideologie der NSDAP war eng verwo- machte die Ausgrenzungspolitik der Nationalsozialisten nicht halt. die NPD unter ›Volk‹?« erläutert die NPD auf ihrer Homepage: Vom Triumph zum Desaster der ben mit einer radikal antisemitischen Stoßrichtung.4 Ethnisches An- Kurzerhand schufen die Nationalsozialisten am 14. Juli 1933 mit Demokratie 1918/19 bis 1939, Vandehoek & Ruprecht 2017; 8 Vgl. Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat: Eine Sammlung der (Hrsg. zusammen mit Stefan Wurster), 5 Vgl. u.a. Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde: Anpassung, gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien, Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 1981. Legitimationsstrategien von Autokra- 1 Vgl. Ulrich Bielefeld, Nation und Gesellschaft. Selbstthematisierungen in Frank- Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Köln 1982; Detlef 9 Der Dienstbereich ging aus der »Leitstelle für Ein- und Rückwanderung« hervor. tien. Themenheft der Zeitschrift für reich und Deutschland, Hamburg 2003. Schmiechen-Ackermann, »Rassismus, politische Verfolgung und Migration: Aus- 10 Zit. nach Tammo Luther, Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933–1938: die vergleichende Politikwissenschaft, 2 Vgl. Werner Konitzer, David Palme (Hrsg.), »Arbeit«, »Volk«, »Gemeinschaft«: grenzung und Austreibung ›unerwünschter‹ Gruppen aus dem nationalsozialisti- Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozi- Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus, Jahrbuch 2016 zur Geschichte und schen Deutschland«, in: Jochen Oltmer (Hrsg.), Handbuch Staat und Migration alisten, Stuttgart 2004, S. 170. Springer VS 2017; (Hrsg. zusammen Wirkung des Holocaust, Frankfurt am Main 2016; Michael Wildt, Volk, Volksge- in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin, Boston 2016, S. 573–642. 11 Vgl. zu diesem Thema auch Steffen Kailitz, »Die nationalsozialistische Ideologie mit Uwe Backes), Ideocracies in meinschaft, AfD, Hamburg 2017. 6 Die NSDAP bewegte sich damit allerdings keineswegs sehr weit weg von der da- der NPD«, in: Uwe Backes, Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingun- Comparison: Legitimation – Coopta- 3 »Volksgemeinschaft«, in: Der Neue Brockhaus (Hrsg.), Der Neue Brockhaus, mals vorherrschenden Ansicht. Bayern, Württemberg und einige andere Länder gen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007, S. 337–354; Gideon tion – Repression, Routledge 2016. Bd. 4: S–Z, Leipzig 1942, S. 608. erkannten bereits zur Zeit der Weimarer Republik Juden prinzipiell nicht als Botsch, Wahre Demokratie und Volksgemeinschaft: Ideologie und Programmatik 4 Vgl. Avraham Barkai, »The German Volksgemeinschaft from the Persecution of »deutschstämmig« an. Vgl. Oliver Trevisiol, Die Einbürgerungspraxis im der NPD und ihres rechtsextremen Umfelds, Wiesbaden 2017. the Jews to the ›Final Solution‹«, in: Michael Burleigh (Hrsg.), Confronting the Deutschen Reich 1871–1945, Konstanz 2004, S. 70. 12 Vgl. NPD, Aktionsprogramm für ein besseres Deutschland. Taten statt Worte: Nazi Past. New Debates on Modern German History, London 1996, S. 84–97. 7 Vgl. ebd., S. 73. NPD – Die Nationalen, Berlin 2002.

32 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 33 »Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch- dieser Perspektive »um einen elementaren Begriff« der eigenen kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. Weltanschauung: »Die Naturgesetze verlangen, dass wir uns mit […] Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden den Menschenrassen beschäftigen. […] Das deutsche Volk enthält können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (eines BRD-Passes) im Vergleich zu anderen europäischen Völkern noch einen hohen ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprä- Anteil des nordischen Menschen, der sich einst in den heutigen gung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzel- skandinavischen Ländern in einem Isolat entwickelte, welches von menschen und Völkern verantwortlich sind. Längst ist erwiesen, dass Gletscher- und Eismassen umrandet war. […] Die Großrassen müs- das Erbliche bei Einzelnen wie bei Völkern und Rassen (als evoluti- sen in ihrem Bestehen gefördert werden. Die Vernichtung dieser wäre onsbiologische Lebensordnungen verwandter Menschen) gleicher- eine Absage an das Leben und die Natur.«16 Eine »Vermischung mit maßen für die Ausbildung körperlicher wie nicht-körperlicher Merk- andersrassigen Völkern« gehe »immer mit dem Niedergang einher«. male verantwortlich ist. Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb Es entstehe ein »Einheitsbrei, der im Untergang«17 ende. körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich wie Beim Begriff »Volksgemeinschaft« orientiert sich die NPD – links: Der Spiegel, Ausgabe vom lange sie in Deutschland leben, und mutieren durch die Verleihung wie bereits die NSDAP – streng an einem rein ethnischen Volksbe- 4. April 1966 (NPD-Vorsitzender 13 Fritz Thielen und der stellvertretende bedruckten Papiers nicht zu germanischstämmigen Deutschen.« griff und bleibt ansonsten vage. So heißt es im Politischen Lexikon Vorsitzende Wilhelm Gutmann auf Die »Jungen Nationaldemokraten« buchstabierten in ihrem der NPD: »Volksgemeinschaft soll vorrangig das Gemeinwohl si- dem NPD-Parteitag 17.–19. Juni 1966 »Leitfaden«14 aus dem Jahr 2013 die rassistische Grundierung des chern, u.a. Schutz der Einzelnen vor den Einzelanliegen anderer, in Karlsruhe) / Der Spiegel, Ausgabe ethnischen Volksbegriffs der NPD so aus: »Europa ist der recht- Ausbeutung und Entfremdung von ihrer nationalen Identität. Die vom 28. November 1966 Foto: Teutopress/Süddeutsche Zeitung mäßige Lebensraum und Ursprung aller europäisch-germanischen Volksgemeinschaft schafft die Verpfl ichtung für die Mitwirkung aller Photo Völker. […] Zwar unterscheiden sich die Mentalitäten der einzel- im Volk. Sie wird stets eine klare soziale Unterscheidung zeigen, als nen europäischen Völker voneinander, doch sind sich diese unter- Folge der Verschiedenheit der Menschen (nach Alter, Begabung, An- unten: Björn Höcke, Landes- und einander wiederum ähnlicher als das identitäre Bewusstsein der spruch, Kenntnis, Fähigkeit, Leistung, Haltung usw.).«18 Die »Würde Fraktionsvorsitzender der AfD Thüringen, eröffnet den Landesparteitag negroiden (afrikanischstämmigen) oder mongoliden (asiatischen) des Menschen als soziales Wesen« ist nach Ansicht der NPD aus der AfD am 9. April 2016 in Arnstadt, Menschen im Vergleich zum europäischen Menschenschlag. […] dieser völkischen Sichtweise heraus nicht jedem Menschen unabhän- Foto: Vincent Eisfeld/vincent-eisfeld.de/ So stellen wir fest, dass Identität das entscheidende Merkmal un- gig von Ort und Zeit eigen, sondern sie »verwirklicht sich vor allem CC-BY-SA-4.0. seres gesamten Lebens im Sinne der völkischen Gemeinschaft ist. in der Volksgemeinschaft«. Laut Aussage der NPD garantiert erst Wir sind gekennzeichnet durch eine genetische als auch eine kul- »die Volksgemeinschaft […] die persönliche Freiheit«. Die persön- turelle Identität.«15 Bei dem »Wort ›Rasse‹« handelt es sich aus liche Freiheit ende dort, »wo die Gemeinschaft Schaden nimmt«.19 Schaden nimmt die »Volksgemeinschaft« aber aus Sicht der NPD vor allem durch die Anwesenheit von Menschen, die ethnisch nicht zur »Volksgemeinschaft« gehören. Die NPD fordert daher in ihrem 13 Dies., Wer ist Deutscher? Was versteht die NPD unter »Volk«?, https://npd.de/ Parteiprogramm als einen »Grundsatz deutscher Ausländerpolitik«: wer-ist-deutscher-was-versteht-die-npd-unter-volk/ [letzter Zugriff: 16.08.17]. 20 Die NPD steht damit ganz in der Tradition der NSDAP. Die Bedeutung der Be- »Rückkehrpfl icht statt Bleiberecht«. zugnahme auf das Ariertum des historischen Nationalsozialismus wird im Rück- Die propagandistische Gegenwartsdiagnose der NPD ist mit blick überschätzt. Rasch wurde von den Nationalsozialisten klargestellt, dass Ari- Blick auf den Zustand des deutschen Volkes wie bereits bei der er kein Synonym für die Angehörigen der nordischen Rasse und/oder Deutsche NSDAP in den 1920er und 1930er Jahren von Untergangsszenarien sei, sondern lediglich ein Gegenbegriff zu Jude. Bereits seit 1935 verwendete die NS-Diktatur »arisch« nicht mehr als amtlichen Rechtsbegriff. So war analog des gekennzeichnet. Im Aktionsprogramm der NPD von 2002 hieß es, heutigen Sprachgebrauchs der NPD bereits in den Nürnberger Gesetzen vom die »Volksgemeinschaft« sei »in der BRD zerstört«21 worden. Das September 1935 von »Person deutschen oder artverwandten Blutes« die Rede. Die Wendung wurde schließlich im November 1935 weiter auf »deutschblütig« eingeschränkt. Zum gemeinsamen Abrücken vom »Arier«-Begriff im Jahre 1935 durch das Reichsjustizministerium, das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS S. 23. und das Reichsinnenministerium vgl. Isabel Heinemann, »Rasse, Siedlung, deut- 16 Ebd. sches Blut«: Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische 17 Ebd., S. 17. Neuordnung Europas, Göttingen 2003, S. 81. 18 NPD, Politisches Lexikon, Art. Volksgemeinschaft, http://www.npd-bw.de/index. 14 Die NPD distanzierte sich im Rahmen des Verbotsverfahrens gegen sie von dieser php/menue/58/thema/213/Politisches_Lexikon.html#lexianker_10. [Letzter Zu- Broschüre und behauptete in einem Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht griff: 16.8.2017] vom 11. April 2016, das der Parteivorstand am 5./6. April 2014 beschlossen habe, 19 Dies., Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands den »Leitfaden der Jungen Nationaldemokraten« aus dem Verkehr zu ziehen. (NPD). Arbeit, Familie, Vaterland, Berlin 2010, S. 6. Diese Distanzierung wurde vom Bundesverfassungsgericht mit triftiger Begrün- 20 Ebd., S. 12. dung als unglaubwürdig angesehen. Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil des 21 NPD, Aktionsprogramm für ein besseres Deutschland. Taten statt Worte: NPD – Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13.2017) S. Rn. 671. Die Nationalen, S. 10. Im Zuge des Verbotsverfahrens seit 2013 wurde das »Ak- 15 Vgl. Junge Nationaldemokraten, Politische Grundbegriffe – Teil 2, Berlin 2013, tionsprogramm« zunehmend seltener öffentlich propagiert. Die NPD rückte indes

34 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 35 Parteiprogramm von 2010 skandierte nicht minder dramatisch, die Migrationshintergrund gehört inzwischen deutlich mehr als jeder kulturellen Eroberung und Inbesitznahme fremden Landes« und In ähnlicher Weise propagierte Pastörs bereits in einer Rede zum »Deutschen befi nden sich […] in einem ›Existenzkampf um den fünfte Mensch, der dauerhaft in Deutschland lebt. Rund 9,6 Milli- mithin Deutschlands. »Politischen Aschermittwoch« der NPD in Saarbrücken 2009, sich Bestand unseres Volkes‹«.22 Den demokratischen »Altparteien« der onen dieser Menschen sind deutsche Staatsbürger. Der Anteil der Auf dem »Schwabentag« der NPD in Günzburg 2011 beschrieb »wehrhaft dieser muselmanischen Bedrohung« entgegenzustellen, Bundesrepublik wurde in beiden Programmen im Rahmen einer im deutschen Staatsbürger mit Migrationshintergrund an der Gesamt- der damalige Fraktionsvorsitzende der Landtagsfraktion in Meck- »mit Herz, mit Verstand und wenn nötig, auch mit Hand, meine Da- gesamten völkischen Spektrum vorherrschenden Verschwörungs- zahl der Staatsbürger steigt dabei stetig. So haben in der Gruppe der lenburg-Vorpommern und spätere Bundesvorsitzende Udo Pastörs men und Herren«.32 Offen artikulierte Jürgen Gansel namens des theorie unterstellt, den Untergang des deutschen Volkes herbeizu- 0–5-Jährigen deutlich mehr als ein Drittel einen Migrationshinter- Angehörige des Islam, in seinen Worten »Muselmanen«, pauschal als Landesverbandes Sachsen das Kalkül der NPD hinter der islam- führen. Im Aktionsprogramm 2002 formulierte die NPD dies so grund und zugleich mit großer Mehrheit die deutsche Staatsbürger- irrationale Gewalttäter: »Wichtig ist, dass wir einen Glauben haben, feindlichen Hetze: »Die NPD ist also wahltaktisch gut beraten, die aus, dass die »gemeinsame[n] Werte« und »die Gemeinsamkeit von schaft.28 Gerade dies ist dem völkischen Spektrum ein Dorn im Auge. etwas Metaphysisches, denn daraus ziehen z. B. die Muselmanen Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich Geschichte, Kultur und Abstammung« »durch bewusst herbeigeführ- Es ist sehr schwierig, die Zahl der Menschen genau zu bestim- unglaubliche Kraft. Sie sind so irrational […] vergeistigt, dass sie darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfl äche für all ten, fortgesetzten Ausländerzustrom vernichtet«23 worden seien. Im men, die von einer »Ausländerrückführung« der NPD potenziell be- mit Freuden in den Tod gehen, weil sie glauben, sie tun ganz genau das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. Parteiprogramm von 2010 bezeichnete die NPD eine Integration von troffen wären, da die NPD offenlässt, wie genau sie mit Zuwanderern das Richtige und deswegen sind sie auch ohne moderne Waffen so Die populäre Moslemkritik kann so zum Türöffner für die viel weiter- Menschen, die ethnisch nicht deutsch sind, in die deutsche Gesell- aus sogenannten »ethnisch-kulturell verwandten europäischen Völ- gefährlich.«31 Gegen diese Bedrohung durch »Muselmanen« führte gehende Ausländerkritik der nationalen Opposition werden. Salopp schaft als »Völkermord«24 [an den Deutschen]. kern« umgehen wird und wer aus NPD-Sicht alles zu den ethnischen er ein Widerstandsrecht der »weißen Rasse« ins Feld: »Das Men- formuliert: Man hat propagandistisch die Moslems zu schlagen, um Auf der Grundlage der rassistischen Auslegung der Volkszu- Verwandten zählt. Nicht auf der Liste derer, die vertrieben werden schenrecht besteht aber auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der noch ganz andere Ausländergruppen politisch zu treffen.«33 Insgesamt gehörigkeit sind – bis auf einen eng ausgelegten Ausnahmebereich sollen, dürften etwas mehr als drei Millionen Spätaussiedler seit 1950 Völker, und wenn wir selbstbestimmt sagen, Europa ist das Land der hat die »Moslemfrage« derzeit für die NPD allerdings noch nicht die der Ermessenseinbürgerungen für Europäer, der auch schon in der und ihre Nachkommen stehen. Zwar nehmen viele Anhänger der weißen Rasse und es soll es auch bleiben, dann haben wir auch ein zentrale Stellung, wie sie die »Judenfrage« für die NSDAP erreichte. NS-Zeit bestand – keine politisch-rechtlichen Möglichkeiten für NPD die Spätaussiedler kaum anders wahr als etwa Zugewanderte Recht darauf, das notfalls mit militärischer Gewalt sicherzustellen.« Ausländer vorgesehen, in das deutsche Volk als gleichberechtigtes aus der Türkei, aus der völkischen Sicht der NPD-Ideologie gelten Mitglied aufgenommen werden zu können.25 Millionen von Men- die Spätaussiedler aber als deutsch. Die NPD will also ganz grob 32 Ders., Redebeitrag auf dem Politischen Aschermittwoch der NPD, 25. Februar 2009. schen würden auf dieser geistigen Grundlage zudem im Rahmen geschätzt bis zu 15 Millionen Menschen auf der Grundlage ihrer 31 Udo Pastörs, Rede auf dem »Schwabentag« der NPD, 19. März 2011 in Günz- 33 NPD-Sachsen (Jürgen Gansel), Deutsches Land niemals in Moslem-Hand, https:// des Projekts »Ausländerrückführung« aus Deutschland vertrieben.26 völkischen Ideologie aus Deutschland vertreiben. burg, Videobeitrag, https://www.youtube.com/watch?v=f2eVrmE9T0w [Letzter npd-sachsen.de/deutsches-land-niemals-in-moslem-hand/ [Letzter Zugriff: Die Zahl der Menschen, die die NPD aus Deutschland vertrei- Im Unterschied zur NSDAP, deren Agitation sich in den 1920er Zugriff: 16.8.2017]. 16.8.2017]. ben will, lässt sich ungefähr über die Zahl der für das Jahr 2016 Jahren vor allem gegen die Juden – und dabei immer wieder gezielt vom Statistischen Bundesamt erfassten Personen mit Einwande- gegen die sogenannten Ostjuden – richtete, rücken für die NPD und rungshintergrund erschließen.27 Laut offi ziellen Zahlen sind dies für das gesamte rechtsextremistische Spektrum auf der Grundlage etwa 18,6 Millionen Menschen. Zu der Gruppe der Menschen mit der Veränderung der Zuwanderungsstruktur zunehmend Muslime in den Vordergrund ihrer Hetze. Die zunehmende Konzentration der Sheila Heidt NPD auf die sogenannte »Moslemfrage« ist wie die Konzentration der NSDAP in den 1920er Jahren auf die »Judenfrage« zeitbedingt. Restitutionsbegehren bei NS-Raubkunst inhaltlich zu keinem Zeitpunkt von den Positionierungen in diesem Programm 29 ab, sondern verwies vielmehr im Rahmen des Verbotsverfahrens selbst in ihrem Es wird jeweils die größte nichtchristliche Minderheit adressiert. Praxisleitfaden zur »Handreichung zur Umsetzung der ›Erklärung zentralen Schriftsatz mehrfach ausdrücklich auf das »Aktionsprogramm«, um In der Broschüre Wortgewandt, einer Argumentationshilfe für Man- der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände ihre Positionierungen zu erläutern. Vgl. Peter Richter, Antragserwiderung in dem dats- und Funktionsträger der NPD aus dem Jahr 2012, hieß es zur Auffi ndung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Parteiverbotsverfahren des Bundesrates gegen die Nationaldemokratische Partei ohne jegliche Einschränkung: »In Deutschland […] haben Moslems Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz‹« Deutschlands, Saarbrücken 2016, S. 217, 226, 270. 22 NPD, Das Parteiprogramm, 2010, S. 6. und ihre Religion nichts verloren!« Die Zahl der Menschen, die 248 Seiten, 2017 23 NPD, Aktionsprogramm, S. 10. aus dieser Perspektive nichts in Deutschland verloren hätten, also ISBN 978-3-428-15027-4, € 49,90 24 NPD, Parteiprogramm, 2010, S. 6. »rückgeführt« werden müssten, bezifferte die NPD selbst auf 4,4 Titel auch als E-Book erhältlich. 25 Vgl. NPD, Wortgewandt. Argumente für Mandats- und Funktionsträger, Berlin Millionen Menschen. Die Gegenwart von Muslimen in Deutsch- 2012, S. 20. Wie ist die »Handreichung« entstanden und weshalb wird sie angewendet? 26 Die NPD hat im Jahr 2016 – letztlich erfolglos – versucht, dem Autor dieses Arti- land war nach Ansicht der NPD verbunden mit »Alltagsgewalt, Was kann es für Fallkonstellationen geben, wie ist mit ihnen umzugehen kels diese Deutung der Konsequenzen ihrer Programme zu untersagen. Vgl. zu dem Ausnutzung des Sozialstaates und religiös motivierte[r] Landnah- und welche »gerechten und fairen Lösungen« sind möglich? Die Antworten in der ersten Phase durch die Aktionen des rechtsextremistischen Richters Jens Mai- me. In vielen Großstädten machen eifernde Moslems Deutschen auf diese und weitere Fragen werden in dieser Publikation nachvollziehbar er am Landgericht Dresden im Rückblick skandalös zu nennenden Prozessverlauf: das Leben zur Hölle.«30 Der Islam sei »das mentale Rüstzeug zur und anschaulich illustriert. Sie beinhaltet einen rechtlichen und einen Antonie Rietzschel, »Urteilsverkündung in der Causa Steffen Kailitz: NPD scheitert praxisorientierten Teil. Zum besseren Verständnis der Hintergründe der mit Klage gegen Wissenschaftler«, in: Süddeutsche Zeitung, 28. April 2017. »Handreichung« wird zunächst erklärt, aus welchen Bestimmungen sie sich entwickelt hat und weshalb 27 Die Bezugnahme auf die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland fi ndet sich bei der NPD selbst in offi ziellen Schriften. So heißt es et- für Restitutionsbegehren keine anderen Regelungen in Frage kommen. Es werden zudem die für wa im Aktionsprogramm: »Während die Zahl der Deutschen rückläufi g ist, 28 Vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung Restitutionsbegehren wichtigsten juristischen Begriff e und Grundsätze erklärt. Die »Orientierungshilfe« nimmt die Zahl der Ausländer in der BRD stetig zu. Die offi zielle Zahl von mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2016, Berlin 2017, S. 38. der »Handreichung« dient als Leitfaden für die 43 Musterfälle, die insbesondere die in deren Anlage V b 7.318.600 Ausländern im Jahr 2001 gibt die Realität nur unzureichend wieder. In 29 Vgl. Steffen Kailitz, »Flüchtlingswelle in der Weimarer Republik. Rechte Kam- benannten Problematiken visualisieren, erweitern und erklären. Verschiedene »gerechte und faire Lösungen« ihr sind weder die Ausländer mit BRD-Pass – allein im Jahr 2001 erhielten pagnen damals und heute«, in: Cicero online, 2015, http://cicero.de/innenpolitik/ werden in Form von Muster vereinbarungen anschaulich gemacht. 178.098 Ausländer einen BRD-Personalausweis – noch die hohe Zahl der illegal fl uechtlingsdebatte-was-wir-aus-der-judeneinwanderung-der-20er-lernen/60106 www.duncker-humblot.de in der BRD lebenden Ausländer, noch die in der BRD stationierten Besatzungs- [Letzer Zugriff: 16.8.2017] truppen und deren Angehörige enthalten.« NPD, Aktionsprogramm, S. 13. 30 NPD, Wortgewandt, S. 8 f.

36 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 37 FRITZ BAUER. DER STAATSANWALT – NS-VERBRECHEN VOR GERICHT Anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt sind folgende Publikationen in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut erschienen:

Das Zuckerbrot der NPD für die von ihr auserkorenen Mit- Während des Verbotsverfahrens versuchte der NPD-Parteivor- glieder der deutschen »Volksgemeinschaft« ist wie bereits bei der sitzende Frank Franz vor dem Bundesverfassungsgericht im März NSDAP ein großzügig ausgebauter Wohlfahrtsstaat. So fordert die 2016 noch erfolglos zu argumentieren, es bestehe kaum ein Unter- FRITZ BAUER: GESPRÄCHE, INTERVIEWS UND REDEN AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) NPD etwa ein »Recht auf Arbeit« für alle Deutschen und will sie schied zwischen der NPD-Deutung des Begriffs »Volk« und jener des AUS DEN FERNSEHARCHIVEN 1961-1968 STRAFSACHE 4 Ks 2/63 (1993) am »Produktivvermögen« beteiligen. Rechtsextremistisch ist an Grundgesetzes bzw. des Bundesverfassungsgerichts. Im Anschluss Erstveröff entlichung historischer Fernsehaufnahmen. TEIL 1: Die Ermittlung TEIL 2: Der Prozess TEIL 3: Das Urteil den sozialpolitischen Forderungen der NPD nicht der Inhalt, son- an das Urteil fand die NPD jedoch sofort scharfe Töne gegen das 2 DVD, 298 Min., ausführliches Booklet, PDF-Materialien Zwei Dokumentationen von Rolf Bickel und Dietrich Wagner dern nur die völkische Bestimmung des Kreises der Personen, die Bundesverfassungsgericht: »Das Urteil des Bundesverfassungsge- Redaktion: Bettina Schulte Strathaus 2 DVD, 45 + 180 Min., ergänzende PDF-Materialien zusammengestellt begünstigt werden sollen. Diese sozialen Parolen gehören zum Kern richts hat die Fronten in Deutschland geklärt: auf der einen Seite ste- von Werner Renz der Volksgemeinschaftsideologie der NPD. Die Vertreibung aller hen diejenigen, die Deutschland als Heimat der Deutschen bewahren Fritz Bauer (1903‒1968), bekannt als Initiator der Frankfurter Ausch- als ausländisch defi nierten Menschen soll den Deutschen vor allem wollen, auf der anderen die, die Deutschland abschaffen wollen. Jetzt witz-Prozesse, betrachtete den Gerichtssaal als einen öff entlichen Ort Die legendäre Aufb ereitung des Auschwitz-Prozesses von Bickel und der historischen und demokratischen Bewusstwerdung. Weniger be- Wagner in einer aktuellen KURZVERSION und der ausführlichen dadurch schmackhaft gemacht werden, dass ihnen ein Recht auf muss jeder für sich selbst entscheiden, auf welcher Seite er steht. Die, kannt ist, dass er als Interviewpartner, Diskutant oder Redner auch vor ORIGINALDOKUMENTATION aus den 1990er Jahren: Arbeit versprochen wird. Die Ermöglichung dieses Rechts erscheint die im Namen des deutschen Volkes urteilen, aber dessen Interessen den Fernsehkameras Stellung bezog. Er äußerte sich zu den NS-Prozes- Am 20. Dezember 1963 begann vor dem Landgericht Frankfurt am dabei als eine logische Folge davon, dass bei einer Herrschaft der mit Füßen treten, die, die sich Demokraten nennen, denen aber die sen, zur politischen Verantwortung der Justiz, zu Geschichtsleugnung Main der Auschwitz-Prozess. Auf der Anklagebank saßen 21 Angehö- NPD Millionen in Deutschland Arbeitender aus völkischen Gründen Zukunft des ›demos‹ (Volk) völlig gleichgültig ist, sind die wah- und Rechtsradikalismus, aber auch zu Fragen der Wirtschaft skrimina- rige der Waff en-SS und ein Funktionshäft ling. Die SS-Männer gehör- vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen würden. ren Verfassungsfeinde!«37 Die Agitation der NPD, die Parlaments- lität, dem Sexualstrafrecht oder der Humanisierung des Strafvollzugs. ten zum Personal des Konzentrations- und Vernichtungslagers. Nach parteien strebten einen »Bevölkerungsaustausch« an, richtet sie Nicht zuletzt sprach er über seine Biografi e als politisch und antisemi- dem Krieg hatten sie in Deutschland unbehelligt ein ganz normales nun auch gegen das Bundesverfassungsgericht: »Die Reduzierung tisch Verfolgter und als jüdischer Remigrant. Auch fünfzig Jahre später Leben führen können. Nun konfrontierte man sie mit den Aussagen Fazit des Staatsvolkes auf den Besitz eines Stückes bedruckten Papieres, haben diese politischen Debatten nichts von ihrer Brisanz verloren. ihrer Opfer von einst. Die ganze Welt verfolgte damals dramatische das je nach politischer Wetterlage mehr oder weniger wahllos an Verhandlungstage. Der gesamte Prozess wurde – einmalig in der deut- »Verfassungsschutz, Wahrung der Freiheitsrechte, Ungehorsam und Kampf schen Rechtsgeschichte – auf Tonband aufgenommen. Den Autoren der Der ethnische Volksbegriff, der den Kern des Denkens der NPD aus- Angehörige anderer Kulturkreise ausgehändigt wird, ist zugleich gegen totalitäre Tendenzen sind viel zu wichtige Dinge, als dass sie amt- Dokumentation gelang es, die verschollenen Bänder aufzuspüren und macht, ist im rechtsextremen Spektrum weit über die Partei hinaus die Erhebung des Bevölkerungsaustausches zum Verfassungsprin- lichen Funktionären überlassen werden könnten.« Fritz Bauer auszuwerten. Zusammen mit exklusivem Filmmaterial entstand eine verbreitet. Verankert ist er bis hinein in den rechtsextremen Flügel der zip, mit dem Ergebnis des biologischen Aussterbens des deutschen historisch präzise wie packende Dokumentation. AfD um Protagonisten wie Björn Höcke, André Poggenburg und Jens Volkes.«38 Auch weit über die NPD hinaus wurde in der extremen Maier.34 Das Bundesverfassungsgericht bewertete im NPD-Verbots- Rechten das signalkräftige Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit prozess den ethnischen Volksbegriff in aller wünschenswerten Deut- Bestürzung aufgenommen. So hieß es etwa in der Blauen Narzisse, lichkeit als »Ausdruck eines menschenverachtenden Rassismus«.35 Er die publizistisch die »Identitäre Bewegung« Deutschlands unter- sei »gegen die Menschenwürde« gerichtet und greife »zugleich das stützt: »Der volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff der Deutschen Gebot gleichberechtigter Teilhabe aller Bürger am politischen Wil- Burschenschaft, der Ethnopluralismus der Identitären Bewegung, lensbildungsprozess« an. Diese Bewertung des Gerichts hat demnach der normale Sprachgebrauch großer Teile der Bevölkerung: All eine weit über den Fall NPD hinausgehende Bedeutung. Der von der das ist nun offensichtlich vom Bundesverfassungsgericht höchst- NPD und dem gesamten rechtsextremen Spektrum vertretene Volks- richterlich als mit der Menschenwürde nicht vereinbar eingestuft.« begriff ist mithin mit der universalen Geltung der Menschenrechte Auf Gegenstrom, der »Plattform für rechte Metapolitik« hieß es in unvereinbar, und er verweigert allen die Rechtsgleichheit, die aus gleichem Sinne: »Mit dem Urteilsspruch vom 17. Januar 2017 hat Sicht der Völkischen nicht zum Volk gehören. Im demokratischen das deutsche Volk seine Kriegserklärung von höchstrichterlicher Verfassungsstaat Deutschland gilt dagegen – wie das Bundesverfas- Stelle erhalten.« Umgekehrt jedoch wird hier ein Schuh daraus: sungsgericht im Urteil zum Verbotsverfahren gegen die NPD bekräf- Di e Völkischen haben dem deutschen Demos in der gegenwärtigen tigte – ein politischer Volksbegriff. Dies bedeutet: »Es müssten alle Zusammensetzung den Krieg erklärt, indem sie einen bedeutenden Menschen eingebürgert werden und damit gleiche staatsbürgerliche Teil des Volks seiner deutschen Staatsbürgerschaft berauben, ihn Rechte erwerben können.«36 Der Zugang zur Staatsangehörigkeit entrechten und letztlich vertreiben wollen. muss in der Demokratie also prinzipiell offen sein für alle Migran- ten unabhängig von ihrer kulturellen oder religiösen Prägung. Die Ideologie der »Volksgemeinschaft« ist mithin gänzlich unvereinbar mit demokratischem und rechtsstaatlichem Denken.

37 Ronny Zaskow, Höchstrichterliche Abschaffung des deutschen Volkes? Nicht mit uns!, 19. Januar 2017, https://npd.de/hoechstrichterliche-abschaffung-des-deut- 34 Vgl. dazu auch Wildt, Volk, Volksgemeinschaft, AfD, S. 105–120. schen-volkes-nicht-mit-uns/ [Letzter Zugriff: 16.8.2017] 35 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 38 Vgl. NPD, Ja zu Deutschland – Ja zum deutschen Volk! Leitantrag auf dem NPD- gefördert durch 2 BvB 1/13.S. Rn. 46. Bundesparteitag in Saarbrücken, https://npd.de/ja-zu-deutschland-ja-zum- 36 Ebd., Rn. 28. deutschen-volk/ [Letzter Zugriff: 16.8.2017].

38 Einsicht ImEinsicht Buch- 18oder Herbst Fachhandel 2017 oder direkt bei www.absolutmedien.de 39 Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung Sommersemester 2017 versprach. Damit machten die Alliierten ihre Absicht deutlich, sich in zwischenstaatlichen Beziehungen »barbarische« Verhältnisse neben einer militärischen und politischen Strategie auch rechtliche beseitigt seien. Henri Bonfi ls und Paul Fauchille argumentierten in Regelungen für die Neuordnung nach Kriegsende vorzubehalten.4 ihrem Lehrbuch für Völkerrecht von 1898, dass »die Gründung des Dass die Herstellung von Gerechtigkeit wie die von Frieden oder Völkerrechts also in der unleugbaren und notwendigen Tatsache der internationaler Stabilität ein wesentliches Ziel der Nachkriegspo- Existenz einer dauerhaften und rechtlich anerkannten Gemeinschaft »The Magical Scent of the Savage« litik sein würde, stellt etwas Neues in der Weltgeschichte dar: den unter den Staaten liegt, die ein bestimmtes Zivilisationsniveau er- Triumph eines neuen Paradigmas, das man mit Michael Walzer ein reicht oder überschritten haben«.6 Das Völkerrecht einschließlich der Kolonialismus und Legalismus in der »legalistisches Paradigma des Krieges« nennnen könnte.5 Kriegsgesetze, wie sie beispielsweise in den Haager Konventionen 1 Wenn ich vom »legalistischen Paradigma des Krieges« spreche, von 1899 und 1907 festgeschrieben wurden, war ein Gesetz zwi- Entstehung der modernen Welt möchte ich auf zwei zentrale Aspekte hinweisen: Erstens impliziert schen zivilisierten Nationen. Diese Tatsache grenzte ein, was das der Begriff die Möglichkeit, dass staatliche Handlungen kriminell Kriegsvölkerrecht zu regulieren hatte: Exzesstaten gegen feindliche sein können. Zweitens hält der Begriff an der Vorstellung von in- Zivilisten oder Kriegsgefangene sollten geächtet werden, da die Op- von Devin O. Pendas dividueller Schuld fest, die besagt, dass sich der Einzelne auch im fer selbst als Bürger souveräner Nationalstaaten galten. Es legte auch Falle des kriminellen Handelns des Staates schuldig macht, wenn fest, wer für die Ahndung zuständig war, nämlich jeder souveräne er verbrecherische Handlungen ausführt, die ihm staatlicherseits Staat für seine eigene Bevölkerung. Es gab keine Bestimmung für Seit1Anfang der Menschengeschichte ist befohlen wurden. Das legalistische Paradigma besagt also, dass die Ahndung von Grausamkeiten, die Individuen im Auftrag ihrer Krieg mit der Ausübung von Gräueltaten staatliche und individuelle Kriminalität im Krieg parall auftreten kriminellen Regierung ausgeführt hatten. Man ging vielmehr von verbunden gewesen. Zivilisten und andere können und vielfach miteinander verfl ochten sind. einer radikalen Disjunktion zwischen individuellem und staatlichem Nicht-Kombattanten wurden regelmäßig Wenn die Entstehung des legalistischen Paradigmas nach dem Handeln aus. Dass ein zivilisierter Nationalstaat eine kriminelle Devin O. Pendas, Ph.D. ist Associate massakriert und allzu oft wurden ganze Städte zerstört. Fast immer Zweiten Weltkrieg eine grundlegende Umwandlung des Verhältnis- Politik verfolgen könnte, war einfach unvorstellbar. Professor für Geschichte am De- wurde dies als eine unglückliche, aber unvermeidliche Tatsache ses von Recht und Krieg darstellt, so stellt sich die Frage, warum Das legalistische Paradigma, wie es nach dem Zweiten Welt- partment of History, Boston College, des Lebens behandelt. Insoweit es Anstrengungen zur Verhütung diese Verwandlung eingetreten ist. Warum war es nach 1945 so krieg entstand, markiert eine deutliche Abkehr von diesem Modell. Chestnut Hill, Massachusetts in den von Gewaltakten oder zur Leistung von Wiedergutmachung gab, drängend wie nie zuvor, über die Kriegsführung als potenziell kri- Insbesondere in den Kategorien »Verbrechen gegen den Frieden« USA. Seine Forschungsschwerpunkte waren diese weitgehend politischen oder militärischen Charakters, minelles Unternehmen, das strafrechtlich verfolgt werden könnte, und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, wie sie in der Londo- sind deutsche Geschichte, Rechts- nicht juristischen. Zwar gab es ein Kriegs- bzw. Kriegsvölkerrecht, nachzudenken? Warum wurde die Herstellung eines Zustands von ner Charta zum Nürnberger Prozess auftauchten, wurde weitgehend geschichte und die Geschichte von dies war jedoch nicht schriftlich verbrieft, sondern meist gewohn- Gerechtigkeit im rechtlichen, weniger im politischen oder morali- kodifi ziert, wie individuelle und staatliche Kriminalität miteinander Kriegen und Völkermord. In zahlrei- heitsrechtlich verankert.2 Das Kriegsrecht war vor allem darauf aus- schen Sinne, ein zunehmend anerkanntes Kriegsziel im Unterschied verbunden sein konnten. Es bleibt die Frage, warum damals diese chen Publikationen hat er sich mit den gerichtet, die innere militärische Disziplin zu bewahren, während zu früher, wo sich das Kriegsziel auf den Sieg oder zumindest die Kriterien neu geschaffen wurden? Die offensichtlichste und häu- Prozessen gegen NS-Täter und der das Kriegsvölkerrecht weitgehend eine theoretische akademische Herstellung des Friedens beschränkte? Warum wurde es in der in- fi gste Antwort darauf ist, dass der beispiellose Charakter der Nazi- juristischen Aufarbeitung von Mas- Disziplin blieb, die nur einen begrenzten Einfl uss auf das tatsächliche ternationalen Ordnung immer wichtiger, Rechtlichkeit zum Maßstab Gräueltaten eine neue Reaktion erforderte. Geoffrey Robertson zum senverbrechen auseinandergesetzt. Im Verhalten im Feld hatte.3 des zwischenstaatlichen Miteinanders zu machen? Meine zentrale Beispiel kam zu dem Schluss, dass »The Holocaust was a revelation Sommersemester 2017 war Devin O. Doch das hat sich in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkrieges These hier ist, dass die Entstehung des legalistischen Paradigmas (…). It crystallized the Allied war aims, and called forth an internati- Pendas Gastprofessor für interdiszipli- geändert. Im Oktober 1943 wurde die Kriegsverbrecherkommission des Krieges nach 1943/45 die Replik auf eine Krise war, nämlich onal tribunal – the court at Nuremberg – to punish individual Nazis näre Holocaustforschung an der Goe- der Vereinten Nationen gegründet, im November 1943 verabschie- den Zusammenbruch eines langjährigen zivilisatorischen Konsenses. fort he barbarities they had authorized against German citizens.« 7 the-Universität Frankfurt am Main. deten die Staatschefs der drei führenden alliierten Mächte, Winston Dieser zivilisatorische Konsens beruhte auf der Annahme, dass Diese Antwort is aus zwei Gründen unzureichend. Erstens, weil Veröffentlichungen (Auswahl): Der Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin, im Anschluss an es einen intrinsischen Zusammenhang gebe zwischen dem souve- die Sanktionierung des Holocaust in Nürnberg nicht von zentraler Auschwitz-Prozess: Völkermord vor ein Treffen ihrer Außenminister in Moskau eine Erklärung die die ränen Nationalstaat, wie er im Westfälischen Frieden von 1648 de- Bedeutung war, auch wenn die Massenverbrechen, die heute unter Gericht. Aus dem Englischen von Gräueltaten der Achsenmächte ächtete und eine gerichtliche Ahndung fi niert wurde, und der Praxis des Schutzes »zivilisierter« Normen diesem Begriff gefasst werden, in den Nürnberger Prozessen nicht to- Klaus Binder (Original: The Frankfurt des internen und internationalen Verhaltens. »Barbarei«, die fast tal ignoriert wurden.8 Insbesondere die Betonung des Anklagepunk- Auschwitz Trial, 1963–1965: Genoci- immer rassistisch defi niert wurde, wurde als Zustand vorstaatlicher tes »Verbrechen gegen den Frieden« durch die Staatsanwaltschaft in de, History, and the Limits of the Law, Völker gesehen. Das Völkerrecht geht davon aus, dass zumindest Cambridge University Press, 2006), 1 Eine andere längere Version dieses Aufsatzes wurde veröffentlicht unter: Devin München: Siedler Verlag, 2013; Politi- O. Pendas, »›The Magical Scent of the Savage‹: Colonial Violence, the Crisis of Civilization and the Origins of the Legalist Paradigm of War«, in: The Boston 6 Henri Bonfi ls, Paul Fauchille, Manuel de droit international public, 2. Aufl ., Paris cal Trials in Theory and History, hrsg. College International and Comparative Law Review 30 (Winter 2007), S. 29–53. 4 Zur UNWCC siehe Michel Fabréguet, »La Commission des Nations Unies pour 1898, S. 17–18. von Jens Meierhenrich und Devin O. 2 Theodore Meron, War Crimes Law Comes of Age: Essays, Oxford: Clarendon les Crimes de Guerre et la Notion de Crimes contre l’Humanité (1943–1948)«, 7 Geoffrey Robertson, Crimes Against Humanity: The Struggle for Global Justic, Pendas, Cambridge University Press, Press, 1998. in: Revue d’Allemagne 23 (Herbst 1991), S. 519–553. Zur Vorgeschichte Nürn- New York 1999, S. XIV. 2016. 3 Devin O. Pendas, »War Crimes Trials in Theory and Practice from the Middle bergs siehe Arieh J. Kochavi, Prelude to Nuremberg: Allied War Crimes Policy 8 Siehe Michael R. Marrus, »The Holocaust at Nuremberg«, in: David Silberklang Ages to the Present«, in Jacques Schumacher, Jonathan Waterlow (Hrsg.), and the Question of Punishment, Chapel Hill 1998. (Hrsg.), Yad Vashem Studies, Bd. 26, Jerusalem 1998, S. 4–45. Noch kritischer: A Multi-Disciplinary Introduction to War Crimes Trials and Investigations, 5 Michael Walzer, Just and Unjust Wars: A Moral Argument with Historical Illus- Donald Bloxham, Genocide on Trial: War Crimes Trials and the Formation of Foto: Werner Lott London, erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2018. tration, New York 1977, S. 61–63. Holocaust History and Memory, Oxford 2003.

40 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 41 Nürnberg gegenüber den »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« Vereinten Nationen stellten einen unmittelbaren Angriff auf den sowie die Feststellung des Gerichts, dass die »Verbrechen gegen staatlichen Souveränitätsanspruch dar. In dieser Hinsicht muss das die Menschlichkeit« mit den »Verbrechen gegen den Frieden« ver- legalistische Paradigma des Krieges als ein Schlüsselelement eines bunden sein mussten, um strafwürdig zu sein, hat den Holocaust wesentlich breiteren Universalisierungsprojekts verstanden werden, in erheblichem Maße marginalisiert. Eine Konsequenz aus dieser das die Menschheit insgesamt betraf, indem es die Menschenrechte Entscheidung war, dass damit viele Verbrechen, die vor Kriegsbeginn international anerkannt sehen wollte. begangen wurden, nicht verurteilt werden konnten. Die Lehre von der staatlichen Souveränität, die in ihrer strengs- Zweitens ging es nach 1945 nicht nur um die Ahndung der ten Form von Thomas Hobbes postuliert worden ist, besagt: »Da nationalsozialistischen Verbrechen. Es gab schließlich eine ganze jeder Untertan durch diese Einsetzung Urheber aller Handlungen und Reihe von Prozessen in Ostasien.9 Es wäre ein Fehler, die ostasia- Entscheidungen des eingesetzten Souveräns ist, folgt, daß nichts, was tischen Verfahren als ein rein derivatives Phänomen zu sehen. Der dieser tut, ein Unrecht gegen einen seiner Untertanen sein kann und links: Kämpfe gegen sogenannte Yamashita-Präzedenzfall hatte einen erheblichen Einfl uss ihn auch keiner von ihnen der Ungerechtigkeit anklagen dürfte.«12 Hottentotten und Hereros, 1904–1905. 10 auf die Nachkriegsentwicklung des internationalen Strafrechts. Die Entstehung einer universalistischen Menschenrechtskultur Bildtitel: Deutsch- Obwohl es relativ wenige direkte Verbindungen zwischen den eu- steht im Gegensatz zu Vorstellungen von starker staatlicher Souverä- Südwestafrika. Der ropäischen und asiatischen Prozessen gab, müssen sie doch als Teil nität. Sie ist in der Tat ein Versuch, Normen zu ersetzen, die politisch gefangene Hohe Rat der eines Gesamtprojektes für die Weltordnung gesehen werden. Die vom Staat gewahrleistet sind, durch Normen, die gesetzlich durch Bondelzwarts- Hottentotten. spezifi sche europäische Erfahrung des Holocaust kann ein solch internationalen Konsens garantiert werden. Diese Normen müssen Foto: SZ Photo/ globales Projekt nicht hinreichend erklären. ihrerseits durch eine Vielzahl von Staaten durchgesetzt werden, die Süddeutsche Zeitung Wenn also der beispiellose Charakter der Nazi-Gräueltaten die im Namen internationaler Institutionen handeln.13 So erscheinen die Photo Entstehung des legalistischen Paradigmas nicht vollständig erklären Menschenrechte oft als utopisches Projekt für eine liberale Weltre- kann, wie ist sie dann zu erklären? gierung oder – pragmatischer – als Versuch, die Staaten durch einen Um diese Frage zu beantworten, muss man sich ein bestimmtes internationalen kulturellen Konsens zwangsweise zu verbinden.14 Merkmal des vorangegangenen Zivilizationsparadigmas anschauen. Die Frage ist also nicht nur, warum der Staat als Bedrohung für Im Juli 1998 wurde in Rom das Statut des Internationalen Strafge- bestimmte rechtebasierte Normen gesehen wurde, sondern auch wa- richtshofs verhandelt. US-Senator Jesse Helms erklärte seine Op- rum es jemals anders gewesen war. Angesichts des ausdrücklich an- position gegen das Internationale Straftribunal wie folgt: »I’ve been omischen Charakters der Souveränität ist es desto erstaunlicher, dass accused by advocates of this court of engaging in ’18th century generell ausgeschlossen wurde, dass der souveräne Staat sich nicht thinking. Well, I fi nd that to be a compliment. It was the 18th cen- auch auf unmoralische Normen stützen könnte. Wenn nach 1945 tury that gave us our Constitution and the fundamental protections viele erkannten, dass ein Staat im besten Fall moralisch neutral ist, of our Bill of Rights. I’ll gladly stand with James Madison and the im schlimmsten jedoch fähig zu großer Unmoral, warum ging man rest of our Founding Fathers over that collection of ne’er-do-wells so lange davon aus, dass es einen solchen Fall nicht geben könne? in Rome any day.«11 In seiner einzigartigen Weise argumentierte Die Antwort, die nach den Religionskriegen formuliert wor- Senator Helms dahingehend, dass die Hoheit über die Strafjustiz den war, war es, jedes noch so große Übel einer Staatsform der untrennbar mit der Souveränität der Einzelstaaten verbunden sei. anarchischen Gewalt vorzuziehen, die sich aus universalisierenden Der Staat sei ihr einzig möglicher Garant. Er hatte Recht: Das war moralischen Projekten ergab. Das war Hobbes Antwort. Doch diese eine Idee des 18. Jahrhunderts. Im Grunde war das Völkerrecht vor Antwort war nur dann plausibel, wenn die Staatsform grundsätzlich 1945 ein Gesetz der Souveränität der Nationalstaaten. Und das le- nicht schlecht sein könnte. Wie kam man darauf? galistische Paradigma des Krieges war eine direkte Herausforderung In der Geschichte des modernen europäischen Nationalstaates für diese Vision des souveränen Nationalstaates. Das Internationale galt als selbstverständlich, dass die anomische Staatsform in einen oben: Robert H. Jackson, der US-amerikanische Hauptankläger, Nürnberger Tribunal und zur gleichen Zeitpunkt die Gründung der größeren, transnationalen normativen Rahmen eingebettet sei, der und J. W. Pokrowsky, der stellvertretende Hauptankläger der grob als »Zivilisation« gedacht war.15 Die europäischen Staaten, Sowjetunion, während der Vorlesung der Urteilsbegründung im Nürnberger Haupt-kriegsverbrecherprozess am 1. Oktober 1946. Foto: SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo 9 Philip R. Piccigallo, The Japanese on Trial: Allied War Crimes Operations in the East, 1945–1951, Austin 1979; Richard H. Minear, Victor’s Justice: The Tokyo 12 Thomas Hobbes, Leviathan, Hamburg 1996, S. 149. links: Koloniale Rekrutierung: Plakat von J. L. Beuzon, 1931, War Crimes Trial, Princeton 1971; Yuma Totani, Justice in Asia and the Pacifi c 13 Paul Gordon Lauren, The Evolution of International Human Rights: Visions Seen, herausgegeben vom französischen Kriegsministerium zur Region, 1945–1952: Allied War Crimes Prosecutions, Cambridge 2015. Philadelphia 2003. Rekrutierung von indochinesischen Soldaten für die 10 Allan A. Ryan, Yamashita’s Ghost: War Crimes, McArthur’s Justice, and Com- 14 Siehe z.B. Ann Marie Clark, Diplomacy of Conscience: Amnesty International Kolonialtruppen. mand Accountability, Lawrence 2014. and Changing Human Rights Norms, Princeton 2001. Foto: Rue des Archives/RDR/Süddeutsche Zeitung Foto 11 Zit. nach Lawrence Wechsler, »Clinton Grows a Spine«, in: Salon, www.salon. 15 Cf. Gerrit W. Gong, The Standard of »Civilization« in International Society, Ox- com/news/feature/2001/01/05/icc/index1.html [letzter Zugriff: 25.7.2017]. ford 1984.

42 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 43 zusammen mit anderen sozusagen »ehrenamtlichen« Europäern wie des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, indem er schrieb, dass sich die Barbaren in ihrer »Verfolgungsnei- scher General, Boniface de Castellane, erklärte: »In Europe, once den Vereinigten Staaten, waren zivilisierte Staaten und würden sich das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.«17 gung« von zivilisierten Nationen unterschieden, wie schon beim [you are] master of two or three large cities the entire country is entsprechend verhalten – zumindest gegenüber anderen zivilisierten Es gibt zwei bemerkenswerte Aspekte in dieser Rede: Zum einen »magische[n] Geruch(sinn) des Wilden« zu sehen sei, den er als yours … but in Africa, how do you act against a population whose Staaten.16 Es bestand keine Notwendigkeit, einzelne staatliche Agen- ist die Vernunft hier gleichgesetzt mit dem Gesetz. Jackson stellte Ursache für ihre erstaunliche körperliche Hingabe ansah.21 Koloniale only link with the land is the pegs of their tents? The only way is ten auf die festgelegten Normen des formalen Rechts zu verpfl ichten, klar, dass auch staatliche Macht dem Gesetz untergeordnet ist oder Untertanen wurden für besonders gewalttätig gehalten, besonders to take the grain which feeds them, the fl ocks which clothe them. weil der Staat immer schon eine institutionelle Verkörperung der sein sollte. Zum Zweiten stellte er das Gesetz in den Dienst der anfällig für Gräueltaten gegen Nichtkombattanten, sie vergewaltig- For this reason, we make war on silos, war on cattle, the razzia.«25 Zivilisation war. So lautete der nirgends fi xierte internationale Kon- Zivilisation, damit es als seine Verkörperung und sein mächtigster ten Frauen und ermordeten Kinder. Sie führten eine Art von Krieg, Das ist natürlich eine euphemistische Art zu sagen, dass die sens. Staatsbeamten würden im Sinne der Normen der »zivilisierten« Schild dienen könne. die sich systematisch weigerte, die einvernehmlichen Grenzen der Franzosen in Algerien gegen Zivilisten Krieg führten und ihn durch Welt handeln, und wenn sie dies nicht taten, würde der Staat selbst sie Selbst wenn der Holocaust als Begründung herangezogen wur- »zivilisierten« Kämpfe zu erkennen. rassistische Zuschreibungen rechtfertigten. Dass sich die Europäer bestrafen. Erst als sich diese Annahme als defi nitiv unwahr erwies, de, um das aufkommende legalistische Paradigma zu rechtfertigen, Viele Intellektuelle projezierten europäische »Exzesse« auf wie Barbaren in den Kolonien verhielten, geschah, weil die bar- konnte das Projekt der exogenen Regulierung staatlicher Gewalt ging es dabei nicht um die unvorstellbare Menge der Opfer, sondern die koloniale Situation selbst. Das berühmteste Beispiel ist Joseph barischen Umstände sie dazu zwangen. Die Gräueltaten, die die durch das Völkerrecht mehr als nur utopische Gestat annehmen. um den »zivilisierten« Status der Mörder. So schrieb der Richter Conrad mit seiner Novelle Herz der Finsternis. Darin zeichnet er hemmungslose Gewalt gegen die örtliche Bevölkerung begleiteten, Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies als eine Existenzfrage für Michael Musmanno in einem der Nachfolgeprozesse in Nürnberg: die Figur des Elfenbeinhändlers Kurtz in Afrika, dessen brutales wurden den Opfern selbst zur Last gelegt: »Ihre Barbarei« habe den Staat und die Zivilisation selbst wahrgenommen. »How can one write about a planned and calculated killing of a Regiment auf seiner Station den Protagonisten abstößt. Doch es »unsere barbarischen Handlungen« verursacht. Der Holocaust bietet nur teilweise eine Erklärung für den Zu- human race? It is a concept so completely fantastic and so devoid of ist Afrika selbst, das Kurtz lehrt, die Oberfl äche der Zivilization Offensichtlich war Conrad nicht allein damit, die Barbarei zu sammenbruch dieser Annahme. So beispiellos der Holocaust auch sense that one simply does not want to hear about it and is inclined to abzustreifen und zu einer atavistischen Wildheit zurückzukehren.22 zähmen, indem er sie anderswo inszenierte. Barbarisches Handeln war: Er war kein isoliertes Ereignis. Vielmehr markierte er den Hö- turn a deaf ear to such arrant nonsense. Barbarous tribes in the wilds Barbarei ist etwas, das Kurtz in Afrika lernt, nicht etwas, das er aus war der Situation geschuldet und stellte keine militärische Gewalt hepunkt einer dreißigjährigen Krise, bestehend aus zwei Weltkriegen of South Pacifi c jungles have fallen upon other tribes and destroyed Europa mitbringt. dar. Folglich musste man sich nicht fürchten, dass sie in der inner- und einer unvergleichlichen globalen Zerstörung, einer Krise, die den their every member; in America, Indian massacres have wiped out Die Novelle vermittelt die Auffassung, dass die von den Eu- europäischen Kriegsführung zum Problem werden würde. Beginn des Endes der globalen europäischen Hegemonie markierte. caravans and destroyed whole settlements and communities; but that ropäern im Kolonialkrieg praktizierte barbarische Taktik nur eine Die logische Schlussfolgerung aus dieser Auffassung war, dass Vor allem beunruhigte in der Mitte des 20. Jahrhunderts zahl- an enlightened peole in the 20th century should set out to exterminate, Antwort auf die Kriegsführung sei, die die Barbaren praktizierten bei der gesetzlichen Regulierung des innereuropäischen Krieges ein reiche europäische und amerikanische Eliten, dass die Ereignisse one by one, another enlightened people, not in battle, not by frenzied und den Kolonisatoren gewissermaßen auferlegten. Ein führender gewisser Standard des zivilisierten Verhaltens vorausgesetzt werden den Pessimisten Recht zu geben schienen. Solche Pessimisten wie mobbing, but by calculated gassing, burning, shooting, poisoning is britischer Theoretiker des Kolonialkriegs, Oberst C. E. Callwell, konnte. Man sieht dies in der sogenannten Martens-Klausel zur der nationalistische und antidemokratische Geschichtsphilosoph simply blood-curdling fi ction, fi t companion for H.G. Wells’ chimera bemerkte, »[that] uncivilized races attribute leniency to timidity. A Präambel der Haager Landkriegskonvention von 1907. Dort heißt Oswald Spengler, der Sozialist H. G. Wells oder der Liberale Joseph on the invasion from Mars.«18 system adapted to [the suppression of the French rebellion in] La es: »Solange, bis ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch festgestellt Conrad hatten lange argumentiert, dass die europäische Zivilisation Musmanno legte rassistische Kriterien beim Urteilen über die Vendée is out of place among fanatics and savages, who must be werden kann, halten es die hohen vertragschließenden Teile für zerbrechlich sei und dass paradoxerweise die Europäer selbst die deutschen Massenverbrechen zugrunde. Das überrascht nicht, da thoroughly brought to book and cowed or they will rise again.« Er zweckmäßig, festzusetzen, daß in den Fällen, die den Bestimmungen Hauptquelle der Bedrohung seien. Die deutsche Barbarei in den Amerika das Verständnis einer zivilisatorischen Mission des späten fügte hinzu, »[that in small wars] operations are sometimes limi- der von ihnen angenommenen Ordnung nicht einbegriffen sind, die beiden Weltkriegen war also ein Problem, weil Opfer und Täter Imperialismus teilte. Die Hauptrolle, die die Vereinigten Staaten bei ted to committing havoc which the laws of regular warfare do not Bevölkerung und die Kriegsführenden unter dem Schutze und der Europäer waren. Dass solche Dinge passierten, war unglücklich, aber der Formulierung des legalistischen Paradigmas nach 1945 spielten, sanction.«.23 Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich nicht überraschend. Dass sie von Europäern an anderen Europäern war begründet durch ihre eigene imperialistische Vergangenheit.19 Die Franzosen hatten die Kunst des barbarischen Krieges gegen ergeben aus den unter gesitteten [zivilisierten] Völkern feststehen- begangen wurden, war jedoch zutiefst schockierend. Die Zivilisa- Musmannos Schock ist der eines Kolonisators, der gezwungen ist, die Barbaren bei ihrer Invasion in Algerien in den 1840er Jahren den Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den tion selbst stellte offensichtlich nur eine unzureichende moralische in einer Gesellschaft wie seiner eigenen ein Verhalten zu sehen, das perfektioniert und praktizierten die sogenannte Razzia oder den Forderungen des öffentlichen Gewissens.«26 In der Tat wurde ein Kontrolle über souveräne »zivilisierte« Staaten dar. normalerweise den Kolonisierten zugeschrieben wurde. Überfall auf die indigene Wirtschaftsinfrastruktur als Mittel, um die Großteil der Kriegsführung innerhalb Europas in das Gewohnheits- Dies ist einer der Schlüsselpunkte in der berühmten Eröffnungs- Catherine Hall beschrieb dies folgendermaßen: »The right to Menschen durch Aushungern zu unterwerfen. »We must forget those völkerrecht übertragen, das als normative Handlungsanweisung der rede von Chefankläger Robert H. Jackson in Nürnberg. Er sagte: colonial rule was built on the gap between metropole and colony: orchestrated and dramatic battles that civilized peoples fi ght against »zivilisierten« Länder fungierte.27 Kulturelle Normen wurden aus- »Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren civilization here, barbarism/savagery there.«20 Walter Bagehot brach- one another … and realize that unconventional tactics are the soul of drücklich als ein adäquater Ersatz für Recht und Gesetz angesehen. so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, daß die te den Standpunkt der Kolonisatoren im Jahre 1869 zum Ausdruck, this war«, verkündet General Thomas Bugeaud, der Kommandant Nicht-Europäer wurden ausdrücklich von diesen Schutzmaßnah- menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu der französischen Streitkräfte in Algerien.24 Ein anderer französi- men ausgeschlossen. Zum Beispiel schrieb Heinrich von Treitschke: lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben. Daß vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache 17 Auf Deutsch: http://www.zeno.org/Geschichte/M/ üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richtspruch Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Zweiter+Tag.+ 21 Walter Bagehot, Physics and Politics, or, Thoughts on the Application of the 25 Ebd., S. 46. Mittwoch,+21.+November+1945/Vormittagssitzung [zuletzt aufgerufen: Principles of »Natural Selection« and Inheritance« to Political Society, New 26 Auf Deutsch: http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ 25.07.2017]. York 1948 [1869], S. 104–105. de&dokument=0201_haa&object=translation&l=de. In den französischen und 18 Michael A. Musmanno, »Concurring Opinion«, in: USA, Trials of War Criminals 22 Joseph Conrad, Herz der Finsternis, übersetzt von Urs Widmer, Frankfurt am englishen Fassungen heißt es nicht »gesitteten Völkern«, sondern »nations civili- Before the Nuernberg [sic] Military Tribunal 5, Washington, D.C. 1950, Main 2007. Zu Conrad und Völkermord siehe Sven Lindqvist, »Exterminate all sées« und »civilized nations«. Zuletzt aufgerufen: 25.07.2017. 16 Es bleibt offen, ob es so etwas wie »Zivilisation« eigentlich gibt. Siehe z.B. Nor- S. 1.128–1.129. the Brutes«: One Man’s Odyssey into the Heart of Darkness and the Origins of 27 Die »hohen vertragschließenden Teile« enthielten keine formalen Kolonien, bert Elias, Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogeneti- 19 Peter Maguire, Law and War: An American Story, New York 2001. European Genocide, New York 1992. ebenso viele der nicht-westlichen Länder, die die Haager Landkriegsordnung von sche Untersuchungen, Bd. 1, Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Ober- 20 Catherine Hall, Civilizing Subjects: Metropole and Colony in the English Imagi- 23 C. E. Callwell, Small Wars: Their Principles and Practice, Lincoln 1996, S. 148. 1899 selbst unterzeichnet hatten, wie z.B. Argentinien, Chile, Kolumbien, Ecua- schichten des Abendlandes, Frankfurt am Main 1976. nation, 1830–1867, Chicago 2002, S. 10. 24 Cited Douglas Porch, Wars of Empire, London 2001, S. 81. dor, Honduras, Korea, Paraguay, Persien, Peru, Türkei, Uruguay oder Venezuela.

44 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 45 »[D]as Völkerrecht wird zur Phrase, wenn man dergleichen Grund- konkurrierende militärische Kraft, sondern gegen die sie konstituie- von denen ungefähr 25 Millionen starben. Die Allgegenwärtigkeit und Untersuchung bei der Bestrafung herrschen zu lassen. Die Ge- sätze auch auf barbarische Völker anwenden will. Einem Negerstam- rende Gesellschaft, das heißt gegen Zivilisten. Der totale Krieg war des Massensterbens verbarg die Spezifi tät des Holocaust vor den sellschaft der Völker hat sich über das primitive ›Zetergeschrei‹, über me muß man zur Strafe seine Dörfer anzünden, ohne ein solches vergleichbar einer Razzia im kolonialen Raum auf einer nach oben meisten Beobachtern bis weit nach Kriegsende. Daher lag der das Gesetz des ›Fangens und Tötens‹, herausgehoben.«38 Exempel richtet man da nichts aus. Es ist nicht Humanität und feines offenen Skala der Gewalt, und als solcher war er unausweichlich Schwerpunkt in den Nürnberger Prozessen auf der fundamentalen Mit anderen Worten, das Recht, als verkörperte Vernunft und Rechtsgefühl, sondern schimpfl iche Schwäche, wenn das Deutsche mit Gräueltaten verbunden. militärischen Gewalt als dem Kern der Krise der Zivilisation. damit als Merkmal der Zivilisation und des Fortschritts, bot die Reich heute nicht nach diesen Grundsätzen verfährt.«28 Der Erste Weltkrieg begann die Form der kolonialen Gewalt Die Nürnberger Prozesse waren wie der Nationalsozialismus, Gelegenheit für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, die erste zu Dieser zivilisatorische Konsens war bereits vor dem Ersten zu europäisieren. Aus der Perspektive der einzelnen Kämpfer auf aber unter einem anderen, liberalen Vorzeichen, ein Versuch, wie- erlösen, das Gesetz zu nutzen, um die Grundsätze der internationalen Weltkrieg in der Krise. Die Literatur des kulturellen Pessimismus beiden Seiten wurde Gewalt als asymmetrisch und überwältigend der Herr des eigenen Handelns zu werden. Man fürchtete, dass die Ordnung denen der Zivilization anzupassen. Wenn diese Bemühung in dieser Zeit ist enorm und vieles davon konzentriert sich auf die empfunden. Ernst Jünger bemerkte zu seiner ersten Kampfhandlung Moderne selbst die Fähigkeit zur menschlichen Selbstbeherrschung versage, bemerkte Jackson mit einem apokalyptischen Ton ganz im vermeintliche Zerbrechlichkeit der Zivilisation.29 Schon 1892 konnte im Ersten Weltkrieg: »Sie war ganz anders, als ich gedacht. Ich hatte zerstörte. Daher versuchten die Nürnberger Prozesse, den totalen Einklang mit der Zeit, könne das wohl das Ende der Zivilisation der Anthropologe J.G. Frazer grübeln: »It is not our business here to an einer großen Kampfhandlung teilgenommen, ohne einen Gegner Krieg selbst zu verbieten, da man zu Recht fürchtete, der totale Krieg selbst bedeuten. Das legalistische Paradigma des Krieges entstand consider what bearing the permanent existence of such a solid layer zu Gesicht bekommen zu haben.«33 Die Artillerie war für etwa 70 könne nicht ohne Barbarei geführt werden. also als ein Erlösungsversuch, ein Bollwerk gegen die Apokalypse, of savagery beneath the surface of society, and unaffected by the Prozent der Verwundungen im Ersten Weltkrieg verantwortlich. So war es weniger der beispiellose Charakter als das massive nichts weniger als eine eschatologische letzte Chance auf die Dau- superfi cial changes of religion and culture, has upon the future of In offenen Kämpfen verursachten Maschinengewehre die meisten Ausmaß der Nazi-Barbarei, das für die Entstehung des legalistischen erhaftigkeit der Zivilisation angesichts ihrer eigenen unbestreitbaren humanity. The dispassionate observer, whose studies have led him tödlichen Wunden. Diese waren bei den Militärs gerade wegen ihres Paradigmas entscheidend war. Dieses entstand als eine Replik auf barbarischen Tendenzen. to plumb its depths, can hardly regard it otherwise than as a standing maschinellen Charakters, mit festen Zündbögen und festen Feuersät- die Erkenntnis, dass souveräne Nationalstaaten nicht einfach unzu- menace to civilisation.«30 Dieses Motiv fi ndet sich vielfach in der zen, die den Kanonier absichtlich zu einer Nebenfi gur reduzierten, reichende Garanten »zivilisatorischer« Grundrechte waren, sondern populären Literatur dieser Tage wieder. In John Buchans Bestsseller beliebt.34 So wurde für den durchschnittlichen Soldaten im Ersten dass sie selbst oft ihre größten Feinde sind. Diese Schlussfolgerung 38 Ebd., S. 398. Auf Deutsch: http://www.zeno.org/Geschichte/M/ 35 aus dem Jahr 1913, The Power-House, verspottet der Erz-Bösewicht Weltkrieg das Sterben zur Kernerfahrung, nicht das Töten. Soldaten wurde durch die Erfahrung der Massenvernichtung und Gräueltaten, Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Einhundertsiebe Andrew Lumley den Helden Sir Edward Leithen, Barrister und Par- wurden Gegenstände, keine Agenten von Gewalt. Ihre militärische die von den Nationalstaaten im Laufe des globalen Krieges verübt nundachtzigster+Tag.+Freitag,+26.+Juli+1946/Vormittagssitzung [zuletzt aufge- lamentsmitglied der Tories, wegen seiner Verteidigung der Prinzipien Wirksamkeit wurde durch Maschinen ersetzt. wurden, unausweichlich gezogen. rufen: 25.07.2017]. der Zivilisation. »That is the lawyer’s view, but, believe me, you are Die faschistische Antwort auf den Ersten Weltkrieg kann zum Es war diese Erfahrung, die viele Teilnehmer in Nürnberg, vor wrong. Refl ect, and you will fi nd that the foundations are sand. You Teil als ein Versuch interpretiert werden, menschliche Wirksamkeit allem Chefankläger Robert H. Jackson, vorrangig beschäftigt hatten. think a wall as solid as the earth separates civilization from barba- im Zuge ihrer gewaltsamen Zerstörung im Krieg wieder erfahrbar Am 26. Juli 1946 begründete Jackson die rechtlichen Neuerungen rism. I tell you the division is a thread, a sheet of glass. A touch here, zu machen. Aber die Wirksamkeit, die für eine neue Ära konzipiert des Tribunals: a push there, and you bring back the reign of Saturn. «31 worden war, war eine anti-liberale, anti-individualistische Kollektiv- »Es ist üblich, unsere eigene Zeit als auf dem Höhepunkt der Dennoch war es die Erfahrung dessen, was Raymond Aron den wirksamkeit, eine Wirksamkeit als historisches Schicksal, Wirksam- Zivilisation stehend anzusehen, von dem aus die Mängel der ver- »Zweiten dreißigjährigen Krieg« Europas nannte: Zwei totale Kriege keit als Stimme der Toten.36 Natürlich bedeutete diese neue kollektive gangenen Zeitalter in gönnerhafter Art und Weise im Licht des so- »Wir sind das Volk!« innerhalb einer Generation von 1914 bis 1945 hatten die Europäer Wirksamkeit zwangsläufi g wieder Krieg. genannten Fortschritts betrachtet werden können. Die Wirklichkeit die Lehren ihres eigenen Verhaltens in den Kolonialkriegen ge- Der Erste Weltkrieg brachte die Europäer in die Situation, ihr ist, daß das gegenwärtige Jahrhundert in der großen Perspektive Aber wer ist das Volk? Wer lehrt. Der moderne Nationalstaat war in der Lage, Brutalität und militärisches Vorgehen gegenüber den »Wilden« aus deren eigenem der Geschichte keine bewundernswerte Stellung einnehmen wird, gehört dazu und wer nicht? eine Missachtung der elementarsten Rechte in ungeahntem Ausmaß Beispiel abzuleiten. Der Zweite Weltkrieg hatte sie in eine radika- es sei denn, daß sein zweiter Teil für den ersten Wiedergutmachung Die historisch-politische auszuüben.32 Der totale Krieg mag seine frühesten Ursprünge in den le soziale Situation gebracht. Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht leistet. […] Wenn wir nicht in der Lage sind, die Ursachen dieser Intervention von Michael napoleonischen Kriegen gehabt haben, aber er wurde im Koloni- mehr darum, die Linie zwischen Soldaten und Zivilisten, zwischen barbarischen Geschehnisse auszuschalten und ihre Wiederholung zu Wildt lotet die Ambiva- alkrieg perfektioniert, und er wurde zur dominierenden Erfahrung Agenten und Opfern, zwischen Subjekt und Objekt zu verwischen, verhindern, dann ist es wohl keine verantwortungslose Prophezei- lenzen und Abgründe des zweier Generationen von Europäern. Der totale Krieg hatte zwei sondern sie ganz zu tilgen. Letztlich gab es um die 50 Millionen tote ung, wenn man sagt, daß es diesem 20. Jahrhundert vielleicht noch politischen Konzepts des verwandte Dimensionen: die Anwendung von grober, asymmetri- Zivilisten im Zweiten Weltkrieg, fast zweimal so viel wie Soldaten, gelingen wird, das Verhängnis für die Zivilisation herbeizuführen.«37 Volkes aus und hinterfragt scher Gewalt und die Durchführung des Krieges nicht nur gegen eine Das Ziel des Internationalen Militärgerichtshofes, so Jackson, war auf dieser Grundlage die eine »Änderung im Völkerrecht«, »die ungefähr der Entwicklung populistischen Äußerungen des örtlichen Rechtes entspricht, als die Menschen aufhörten, Ver- der AfD, die sich lauthals 33 Ernst Jünger, In Stahlgewittern, Stuttgart 1983, S. 38. brechen mit ›Zetergeschrei‹ zu bestrafen, und begannen, Vernunft auf das Volk beruft . 28 Heinrich von Treitschke, Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Ber- 34 John Keegan, The Face of Battle: A Study of Agincourt, Waterloo and the Somme, lin, Leipzig 1911, S. 570. London 1976, S. 269, 239. Leseprobe und Bestellung unter www.hamburger-edition.de 29 Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr: Eine Analyse nationaler 35 Mann sollte diesen Punkt natürlich nicht übertreiben, da es auch im Ersten Welt- Ideologie in Deutschland, übersetzt von Alfred Zeller, Stuttgart 2005. krieg viele Tötungen gab. Siehe z.B. die provokativen Refl exionen in Stéphanie Gebunden | 160 Seiten | € 122,– 978-3-86854-309-4 | auch als E-Book 30 James George Frazer, The Golden Bough, Teil 1, Bd. 1, The Magic Art and the Audoin-Rouzeau, Annette Becker, 14–19: Understanding the Great War, New 37 International Military Tribunal, Trial of the Major War Criminals before the In- Evolution of Kings, New York 1966 [1906], S. 236. York 2000, S. 15–45. ternational Military Tribunal, 14 November 1945–1 October 1946, vol. 19 31 John Buchan, »The Power-House«, in: ders., The Leithen Stories, Edinburgh 36 Siehe z.B. Giovanni Gentile, Origins and Doctrine of Fascism, with Selections (Nuremberg: n.p., 1947), S. 397–398. Auf Deutsch: http://www.zeno.org/ 2000 [1913], S. 28. from Other Writings, übers. und hrsg. von A. James Gregor, New Brunswick Geschichte/M/Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Ei 32 Raymond Aron, Peace and War: A Theory of International Relations, Garden 2002. Cf. George L. Mosse, The Fascist Revolution: Toward a General Theory of nhundertsiebenundachtzigster+Tag.+Freitag,+26.+Juli+1946/Vormittagssitzung City 1966, S. 297. Fascism, New York 1999, S. 83–87. [zuletzt aufgerufen: 25.07.2017].

46 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 47 Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers Grußwort von Dr. Wilhelm Wolf

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, sehr geehrte Frau Prof. Dr. Steinbacher, Der Fritz Bauer Saal sehr geehrter Frau Abgeordnete Hofmann, sehr geehrter Herr Abgeordneter Honka, im Landgericht Frankfurt am Main sehr geehrter Herr Präsident des Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Poseck, sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt Prof. Dr. Fünfsinn, Ansprachen aus Anlass der Einweihungsfeier meine sehr geehrten Damen und Herren, Seien Sie alle herzlich willkommen!

Noch sitzen beziehungsweise stehen Sie im Foyer vor einem von vielen Räumen des Landgerichts Frankfurt am Main, Gebäude B. Die schmucklose Ordnungszahl des Raumes 253 gibt auch keinen Hinweis darauf, dass dieser Raum eine ganz besondere Geschichte Dr. Wilhelm Wolf, Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main hat. Die Stufen unmittelbar vor mir könnten zumindest einen archi- Foto: Katharina Rauschenberger tektonischen Fingerzeig darauf geben, dass es sich um eine – im wahrsten Sinne des Wortes – erhabene Räumlichkeit handeln dürfte. Und schließlich lässt sich die Frage aufwerfen: Was kann die Nicht zufällig tagt hier das Präsidium des Landgerichts Frankfurt Benennung eines Raumes nach einer herausragenden Person der hes- am Main. Raum 253 ist sozusagen unsere »gute Stube«, in der wir sischen Justiz mehr leisten als die Institutionen und Gedenkstätten, auch gerne Delegationen ausländischer Gäste empfangen. Mit dem die schon untrennbar mit ihrem Namen verbunden sind, sei es das letzten Akt dieser Feierstunde erhält dieser Raum einen neuen Na- einen Eisberg stilisierende Monument der Künstlerin Tamara Gricic men und eine besondere Widmung: Aus Raum 253 wird der »Fritz vor dem Oberlandesgericht oder die Benennung eines Forschungs- Bauer Saal« des Landgerichts Frankfurt am Main. und Dokumentationszentrums an der Goethe-Universität Frankfurt Kennern der Frankfurter Justizgebäude und -geschichte war und nach Fritz Bauer? ist die Verbindung Fritz Bauers mit Raum 253 durchaus bekannt. Diese Fragen sind berechtigt, vielleicht sogar naheliegend. Aus Aus alten Raumbelegungsplänen, vor allem aber aus dem Zeugnis meiner Sicht sind sie aber ebenso klar und eindeutig zu beantworten. zweier ehemaliger Mitarbeiter Fritz Bauers wissen wir, dass es sich Erlauben Sie mir hierzu drei Thesen: bei dem hinter mir liegenden Raum um das frühere Arbeitszimmer 1. Die Erinnerung an und die Würdigung von Fritz Bauer an zentraler des hessischen Generalstaatsanwalts handelt. Diese beiden Zeit- Stelle in der hessischen Justiz sind notwendig und überfällig. zeugen, die Oberstaatsanwälte a. D. Gerhard Wiese und Johannes 2. Es gibt kaum einen angemesseneren Ort hierfür als das frühere Warlo, darf ich an dieser Stelle ganz herzlich begrüßen. Ich danke Arbeitszimmer des hessischen Generalstaatsanwalts. Ihnen sehr, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, und fi nde, dass 3. Es ist eine glückliche Fügung, dass dieser Raum heute örtlich dies einen besonderen Applaus verdient. gleichsam im Herzen des Frankfurter Landgerichts liegt. So objektiv eindeutig der Bezug zwischen Raum 253 und dem Fritz Bauer gilt, das darf ich in diesem illustren Kreis als bekannt vo- Das Gerichtsgebäude B des Frankfurter Landgerichts, Gerichtsstr. 2, hessischen Generalstaatsanwalt auch ist, rechtfertigte er alleine es raussetzen, als treibende Kraft hinter dem Auschwitz-Prozess, der vor Frankfurt am Main. Der Fritz Bauer Saal befi ndet sich im 2. Stock, Das vom ehemaligen hessischen General- nicht, für diesen Raum den Namen Fritz Bauers zu reklamieren. Bei dem Landgericht Frankfurt im Dezember 1963 begann und sich über Raum 253, hinter dem Balkon. staatsanwalt Fritz Bauer genutzte Dienst- kritischer Betrachtung fi nden sich sogar naheliegende Einwände: 183 Verhandlungstage erstreckte. Vieles für die Wirkung des Prozesses Foto: Werner Lott zimmer im Gerichtsgebäude B des Frankfur- Bauer wirkte in Frankfurt als Generalstaatsanwalt, als oberster hes- Entscheidende dürfte von Raum 253 ausgegangen sein: die schließlich ter Landgerichts wurde in Zusammenarbeit sischer Ankläger; in dieser Funktion und nicht als Richter schrieb erfolgreichen Bemühungen, überhaupt eine örtliche Zuständigkeit der mit dem Fritz Bauer Institut als zeitgeschichtliche Stätte umgestaltet. er Rechtsgeschichte und wurde selbst Gegenstand der historischen Justiz in Frankfurt für das Strafverfahren zu begründen, die Einbin- Am 17. Mai 2017 wurde der Fritz Bauer Saal feierlich eingeweiht. Forschung. Liegt dann in der heutigen Widmung nicht gleichsam dung zeithistorischer Gutachten zur Struktur, zur Organisation und zur Anlässlich der Feierstunde zur Eröffnung sprachen Dr. Wilhelm eine Vereinnahmung Fritz Bauers durch die Gerichtsbarkeit, die sich Funktionsweise des Vernichtungslagers Auschwitz, die publizistische Wolf, Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main, Eva Kühne- in seiner aktiven Zeit lange schwergetan hat mit ihm? Begleitung des Prozesses sowie vielfältige Prozessberichte. Hörmann, Justizministerin des Landes Hessen, Prof. Dr. Sybille Wenn heute – im Jahre 2017 – ein Raum im Landgericht nach Der Prozess gegen »Mulka u.a.«, insgesamt 22 Angeklagte, en- Steinbacher, Direktorin des Fritz Bauer Instituts, und Johannes War- ihm benannt wird, liegt es dann nicht nahe, so etwas zu vermuten wie dete nach 183 Verhandlungstagen mit einem Urteil, das der Überprü- lo, Oberstaatsanwalt a.D. und ehemaliger Mitarbeiter Fritz Bauers. historisches Namedropping, dem es im Kern nur darum geht, einen fung in der Revisionsinstanz im Wesentlichen standhielt und Rechts- Nachfolgend dokumentieren wir drei der vier Ansprachen im Wortlaut. Teil des Glanzes dieser Persönlichkeit für sich zu vereinnahmen? geschichte schrieb. Dieser Prozess markiert eine Zäsur; eine Zäsur

48 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 49 nicht nur für die strafrechtliche Aufarbeitung des Holocaust, sondern Und diese Stimme setzte Akzente. Das zeigt sich recht deutlich – mindestens ebenso wichtig – für den Beginn eines fundamentalen in einem Interview, das der Norddeutsche Rundfunk mit Fritz Bauer Wandels im Umgang der deutschen Gesellschaft mit ihrer jüngsten 1963 zu den Naziverbrecher-Prozessen führte. Unter der Überschrift Vergangenheit und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in »Ihr hättet Nein sagen müssen« lässt er sich wie folgt zitieren: »Ich den Jahren 1933 bis 1945 millionenfach verübt wurden. Es begann formuliere die Sache jetzt ziemlich brutal: Man hat dann in Deutsch- mit diesem Verfahren ein langer keineswegs immer gradlinig und land zwar den Heldenmut an der Front gefeiert; es gab Mut und gleichmäßig verlaufender Weg von der systematischen Verdrängung Courage in jeder Richtung gegenüber dem äußeren Feind. Man hat bis zur wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Aufarbeitung aber völlig übersehen, dass die Zivilcourage – der Mut vor dem der eigenen Vergangenheit und Geschichte, an dessen Ende wir auch Feind im eigenen Volk – genauso groß, wahrscheinlich größer ist heute noch nicht angekommen sind und wohl auch nie ankommen und nicht weniger verlangt wird. Man hat völlig übersehen, dass es werden.Es ist deswegen zweifellos zutreffend, wenn Michael Stolleis ehrenhaft ist, auch in seinem eigenen Staat für das Recht zu sorgen. schon vor Jahren festgestellt hat, Fritz Bauer habe die Bundesrepub- Deswegen ist es das A und O dieser Prozesse zu sagen: Ihr hättet lik verändert. Alleine dies rechtfertigt es, dieser außergewöhnlichen Nein sagen müssen.« Persönlichkeit, der in der Geschichte der hessischen und spezifi scher Die Klarheit und – in den Worten Bauers – Brutalität dieser der Frankfurter Justiz ein herausragender Platz zukommt, auch ei- Aussage steht in deutlichem Kontrast zu dem Befund, den die neuere nen Ort zu widmen, an dem sich die Erinnerung und Anerkennung rechtshistorische Forschung zu dem Umgang der Rechtswissen- gleichsam materialisiert. schaft mit ihrer Vergangenheit erhoben hat. Sie spricht von einem Wenn wir an Fritz Bauer erinnern und ihn würdigen, wird gleich- »kommunikativen Beschweigen« und meint das stillschweigende zeitig auch ein Kreis von Justizjuristen dem Vergessen entrissen, Übereinkommen aller an den ideologischen Umbrüchen aktiv Be- deren Schicksal in doppelter Hinsicht tragische Züge trägt. Gemeint teiligten, öffentlich in fachlichen Diskursen wie etwa auch in der sind jene jüdischen Kolleginnen und Kollegen, die wie Fritz Bauer Ausbildung dieses dunkle Kapitel der eigenen Vergangenheit nicht trotz höchster fachlicher Qualifi kation alleine wegen ihres jüdischen oder höchstens in apologetischer Absicht zu thematisieren. Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung von den Nationalso- Dieses zunächst rein deskriptive Modell rechtshistorischer For- zialisten aus dem Justizdienst entfernt wurden. Dieser bitteren und schung kann in höchstens geringer Modifi kation ohne weiteres auch existentiellen Erfahrung staatlicher Willkür und Entrechtung folgte auf die Nachkriegsjustiz übertragen werden. Gerne und offen hat man nicht selten nach 1945 ein zweiter Akt berufl icher und persönlicher über seine berufl iche Vergangenheit von 1933 bis 1945 nicht gespro- Diskriminierung. Zwar bestand in diesen Fällen regelmäßig ein An- chen – und wenn, dann in der Absicht, Verantwortung zu verdrängen. spruch auf Wiedereinstellung in den Staatsdienst, dem seitens der Lan- Erinnert sei hier nur an die vielfältigen Versuche hoher und höchster desjustizverwaltungen auch Rechnung getragen wurde. Nicht selten Richter des nationalsozialistischen Deutschland, ihre verbrecherischen aber mussten die in die Justiz Zurückkehrenden die bittere Erfahrung Judikate unter Hinweis auf die Bindung des Richters an das Gesetz zu machen, dass sie im Kreis der verbliebenen Kollegen keineswegs rechtfertigen. Dass die hinter dieser Rechtfertigung stehende These, oben: Publikum der Eröffnungsfeier im Foyer vor willkommen waren, sondern mindestens als Konkurrenten um Be- der Gesetzespositivismus sei letztlich verantwortlich für die richter- dem Fritz Bauer Saal Foto: Katharina Rauschenberger förderungsoptionen betrachtet wurden und nicht selten Anfeindungen liche Entscheidung, nicht trägt, wissen wir längstens, spätestens seit und Ausgrenzungen mehr oder weniger subtiler Art ausgesetzt waren. Rüthers epochaler Habilitationsschrift1 zur unbegrenzten Auslegung. links (von links): Dr. Wilhelm Wolf, Präsident des Literarisch ist dieses Kapitel deutscher Geschichte eindrücklich von Wenn wichtige Beiträge zur Durchbrechung dieses Schwei- Landgerichts Frankfurt am Main; Rechtsanwalt Ursula Krechel in ihrem Roman Landgericht behandelt worden. gekartells in durchaus aufklärerischer und demokratischer Absicht Christian Raabe, Vertreter der Nebenklage im Frankfurter Auschwitz-Prozess; Rechtsanwalt Rupert Der US-amerikanische Ankläger der Nürnberger Prozesse, Ro- in einem Raum dieses Gerichts erarbeitet, schriftlich niedergelegt von Plottnitz, Justizminister des Landes Hessen a.D.; bert Kempner, sah in Bauer den »größten Botschafter, den die BRD oder in Interviews der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurden, Dr. Jörg Osterloh, Fritz Bauer Institut hatte«. Das bezog sich ohne Zweifel zum einen auf die Intensität, dann – so meine feste Auffassung – rechtfertigt auch das, diesen Foto: Werner Lott mit der sich Bauer in die deutschen Nachkriegsdebatten der 50er Raum dem Autor dieser Gedanken und Worte zu widmen. Das gilt und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts vielfältig zu gesellschafts- erst recht vor dem Hintergrund der Belastungen und Anfeindun- politischen wie justiziellen Themen einbrachte. Zum anderen dürfte gen, denen Fritz Bauer allein wegen seiner Überzeugungen, seiner darin auch zum Ausdruck kommen, dass der Stimme Bauers gerade Amtshandlungen und seiner profi lierten Ansichten zur Gesellschaft deswegen, weil sie einerseits durchaus deutschen akademischen Tra- im Nachkriegsdeutschland ausgesetzt war. Hier spielt das Arbeits- ditionen verhaftet, aber andererseits nationalsozialistischer Ideologie zimmer von Fritz Bauer eine explizite und zentrale Rolle. völlig unverdächtig war, insbesondere im Ausland besondere Autori- tät und Bedeutung zukam; und das in seinem Falle insbesondere für die Einschätzung der Glaubwürdigkeit der deutschen Bemühungen 1 Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsord- um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. nung im Nationalsozialismus, Tübingen 1968 [Red.].

50 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 51 Von ihm ist das Zitat überliefert: »Ich betrete Feindesland, wenn Hofmeyer, der von der historischen Forschung mittlerweile hohe Rede von Sybille Steinbacher ich mein Büro verlasse.« Auch wenn dieses Zitat nicht wörtlich zu Anerkennung erfahren hat. Auch an ihre Arbeit und Leistung soll Gedanken über das Vergessen und Erinnern verstehen sein sollte und im Kern darauf hinweist, dass sich Bauer im Fritz Bauer Saal erinnert werden. außerhalb seines engeren Kreises, zu dem auch nur wenige Justiz- Meine Damen und Herren, dies ist der geeignete Ort, allen, die juristen gehört haben dürften, massiven Anfeindungen gegenüber- an diesem Projekt mitgewirkt haben, herzlich zu danken. Mit diesem Der Auschwitz-Prozess brachte Fritz Bauer international in die sah, zeigt es doch bei aller Beklemmung, die wir heute unmittelbar kollektiven Dank banne ich die Gefahr, die eine oder den anderen Schlagzeilen. In Deutschland – West wie Ost – war sein Name An- verspüren, welchen Belastungen und Zumutungen eine profi lierte zu vergessen, was mich schmerzen würde. Alle hätten es verdient, fang der sechziger Jahre ein Begriff. Doch schon bald nach seinem Persönlichkeit ausgesetzt sein konnte, die lediglich das tat, was ihre namentlich erwähnt zu werden. Gleichwohl muss ich mich an dieser Tod 1968 geriet er in Vergessenheit. Rudolf Wassermann, sein Freund Amtspfl icht war. Raum 253 erinnert damit auch an Bauers Persön- Stelle beschränken. und Kollege, damals Oberlandesgerichtspräsident in Braunschweig, lichkeit und Fähigkeit, trotz Anfeindungen von außen Kurs zu halten, Ausdrücklich zu danken habe ich den fi nanzierenden Instituti- konstatierte bitter, als er 1974 über ihn schrieb: »Die Justizgeschich- seine Amtspfl ichten zu erfüllen und beharrlich an der Verwirklichung onen, namentlich dem Hessischen Ministerium der Justiz, vertreten te, in der er so manches Kapitel geschrieben hat, ist kein Fach, dem der Idee des Rechtsstaats zu arbeiten. durch Frau Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann sowie dem För- Beachtung gewiss ist, und gerade auf diesem Sektor ist auch das Generell lässt sich daraus vielleicht die Lehre ziehen, dass auch im derverein des Fritz Bauer Instituts, der heute fast mit dem gesamten Gedächtnis sehr kurzlebig. Unsere Strafrechtswissenschaft, die für Kampf ums Recht trotz aller gesetzlicher Vorgaben und Sicherungen Vorstand vertreten ist, stellvertretend sage ich meinen Dank der Außenseiter und die Anstöße, die sie von diesen erhält, nur wenig die jeweilige Persönlichkeit der Handelnden darüber entscheidet, ob Vorsitzenden des Vereins, Frau Jutta Ebeling. übrig hat, wird ihn, wie mir scheint, wohl nur als Merkwürdigkeit Recht Recht bleibt oder zu Unrecht wird. Unser Grundgesetz scheint Zu danken ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fritz gleichsam in einer Fußnote würdigen, sofern sie ihn nicht etwa als Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Direktorin des Fritz Bauer Instituts mir diesen Gedanken aufgenommen zu haben, wenn es in Artikel 97 Bauer Instituts für ihre so zentral wichtige Mitarbeit und Unterstüt- Negativsymbol für ihre weitere Entwicklung benötigt.«1 Foto: Katharina Rauschenberger nicht dem Gericht, sondern dem Richter Unabhängigkeit zuweist. Da- zung bei der Gesamtkonzeption, der Auswahl der Ausstellungs- Von wenigen Institutionen abgesehen, wie beispielsweise der mit wird er als Individuum mit seinem höchstpersönlichen Gewissen stücke, der Fotografi en, dem Abfassen der Ausstellungstexte bis Humanistischen Union, zu deren Gründern er gehört hatte und die Lassen Sie mich als Zeithistorikerin ein paar Überlegungen zum nicht nur vor Übergriffen geschützt, sondern – leider gerät das mitunter zur Gestaltung und dem Druck der Einladungen zu der heutigen nach seinem Tod einen Preis in seinem Namen vergab,2 war Bauer Vergessen und Erinnern in Bezug auf Fritz Bauer anstellen. Ange- in Vergessenheit – zuvörderst in die richterliche Pfl icht genommen. Veranstaltung. Ganz herzlichen Dank für Ihre Unterstützung, lieber auch dann noch weitgehend vergessen, als Anfang der neunziger sichts der vielfältigen Ehrungen, die er heute erfährt, der Spiel- und Sehr geehrte Damen und Herren, bei der Neugestaltung des Herr Werner Renz, liebe Frau Dr. Katharina Rauschenberger, liebe Jahre hier in Frankfurt ein »Lern- und Dokumentationszentrum zur Dokumentarfi lme, die seit einigen Jahren über ihn zu sehen sind, der Raumes 253 waren wichtige Rahmenbedingungen zu beachten. Das Frau Manuela Ritzheim. Sie haben uns auch den Kontakt zu vielen Geschichte und Wirkung des Holocaust« initiiert wurde. Konstituiert Ausstellungen, die gezeigt werden, der Vorträge, der Medienberichte Landgericht ist kein Museum, sondern dient der Rechtsprechung. Experten vermittelt, deren Arbeit Sie heute noch bestaunen können. aus einer Bürgerinitiative und ins Leben gerufen vom Land Hessen, und Bücher, die erschienen sind, ist kaum vorstellbar, dass dieser Auch Raum 253 soll weiter für Besprechungen, Präsidiumssitzungen Sie alle haben nicht nur herausragende Arbeit geleistet, sondern ihre der Stadt Frankfurt am Main und einem eigenen Förderverein, erhielt Mann einmal vergessen gewesen sein soll. Verhalten ist die Wieder- und Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Arbeitskraft ohne Berechnung zur Verfügung gestellt, weil sie von das Zentrum bei seiner Gründung 1995 Fritz Bauers Namen. Das entdeckung Bauers heute freilich nicht mehr, im Gegenteil: Seine Den Bezug zu Fritz Bauer, seiner Persönlichkeit und der Moder- dem Projekt überzeugt waren und dabei sein wollten. Das ist einen war sozusagen der erste, freilich noch etwas verhaltene Auftakt zur Leistungen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken machen sich viele nität seines Denkens und seiner Arbeit versuchen wir daher mit eher besonderen Applaus wert. öffentlichen Wiederentdeckung des bedeutenden Juristen.3 zur Aufgabe, darunter nicht nur politische Institutionen und staatliche abstrakten gestalterischen Mitteln herzustellen. An einer Wand des Frau Prof. Dr. Sybille Steinbacher, die zu der heutigen Veran- Das Fritz Bauer Institut, eine Stiftung bürgerlichen Rechts und seit Einrichtungen, sondern auch zivilgesellschaftliche Gruppierungen.4 Raumes sehen sie die Rekonstruktion einer Tapete Le Corbusiers, staltung mit eingeladen hat, war so freundlich, auch für ein Gruß- Ende 2000 ein An-Institut der Goethe-Universität, darf ich als neue In mehreren Städten wurden in den letzten Jahren Straßen nach ihm die Bauer ursprünglich in seinem Arbeitszimmer hatte anbringen wort bereitzustehen, auf das ich mich schon sehr freue. Wenn ich Direktorin heute bei dieser Feierstunde vertreten. Es ist eine Ehre für benannt, 2012 auch im neu geschaffenen Stadtteil Riedberg hier in lassen und die – heute ein Design-Klassiker – damals als ebenso es recht sehe – Sie sind heute in Ihr Amt eingeführt worden –, ist mich, aus Anlass der Eröffnung des Fritz Bauer Saales hier im Land- Frankfurt. Vor dem hiesigen Oberlandesgericht an der Zeil liegt seit spezifi scher wie deutlicher Ausdruck des Anspruchs von Modernität, die Eröffnung des Fritz Bauer Saals Ihr erster offi zieller Auftritt in gericht zu Ihnen zu sprechen; es ist für mich überdies eine der ersten dem vergangenen Jahr ein imposanter Gedenkstein für ihn. Und erst Formenklarheit und -strenge gegolten haben dürfte. Ich danke an der Funktion der Direktorin des Fritz Bauer Instituts. Was für ein öffentlichen Veranstaltungen in meiner neuen Position. Ich danke dem vor wenigen Wochen, im März, wurde am Haus in der Feldberg- dieser Stelle der Fondation Le Corbusier in Paris ganz herzlich für Auftakt! Man könnte meinen, wir hätten es so geplant. Präsidenten des Landgerichts, Herrn Dr. Wilhelm Wolf, für seine Ein- straße im Westend, wo Bauer gewohnt hat und wo er gestorben ist, die großzügige Bereitschaft, als Inhaberin der Verwertungsrechte Besonders danken will ich an dieser Stelle auch Herrn Ober- ladung und die schöne Gelegenheit, ein Grußwort an Sie zu richten. eine Gedenktafel angebracht, die an ihn erinnert. In Stuttgart, seiner an dieser Tapete auf eine fi nanzielle Gegenleistung zu verzichten. staatsanwalt a. D. Johannes Warlo, der trotz der für ihn damit ver- Heimatstadt, wo er bis zu seiner Verhaftung im März 1933 zunächst Der ansonsten regelmäßig zu erbringende Betrag hätte bereits unser bundenen Umstände und Belastungen sich bereiterklärt hat, über Gerichtsassessor und später Amtsrichter gewesen war, trägt der Gro- Budget gesprengt und das Projekt gefährdet. seine Erinnerungen an Fritz Bauer zu berichten. ße Veranstaltungssaal des Amtsgerichts seit 2012 seinen Namen. In 1 Rudolf Wassermann: »Fritz Bauer (1903–1968)«, in: Peter Glotz, Wolfgang R. Wenn Sie nach der Eröffnung des Fritz Bauer Saals eintreten, Das führt mich abschließend zu der größten Dankesschuld, die Langenbucher (Hrsg.), Vorbilder für Deutsche. Korrektur einer Heldengalerie, Braunschweig, wo er, gerade zurück aus dem skandinavischen Exil, werden Sie ferner zwei Schauvitrinen vorfi nden, in denen unter ich abzutragen habe. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass gute München 1974, S. 296–309, hier S. 308. Vgl. Norbert Frei: »Fritz Bauer oder: von 1949 bis 1956 anfangs Landgerichtsdirektor, dann Generalstaats- anderem eine Originalmitschrift des Beisitzenden Richters im Richterinnen zu allem in der Lage sind. Frau Richterin am Landge- Wann wird ein Held zum Helden?«, in: Stefan Gerber, Werner Greiling, Tobias anwalt gewesen war, ist inzwischen der Platz gegenüber dem Dom Auschwitz-Prozess, Josef Perseke, zu sehen ist sowie akribische richt Dr. Eva-Marie Distler zu noch viel mehr. Sie hat dieses Projekt Kaiser, Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft nach ihm benannt. Deutschland. Festschrift für Hans-Werner Hahn, Göttingen 2014, S. 273–279, Aufzeichnungen zu Einzelheiten der im ehemaligen Konzentrati- mitkonzipiert, gesteuert, vorangetrieben, koordiniert, die Finanzie- hier S. 273. onslager in Auschwitz durchgeführten Beweisaufnahme. rung geklärt, verwertungsrechtliche Fragestellungen aufgearbeitet, 2 Mit dem Fritz Bauer Preis würdigt die Humanistische Union bis heute, wie es in Diese nüchternen Tatsachenfeststellungen stehen gleichsam mit- und vorgedacht, überzeugt – und das alles stilsicher und gelassen ihren Statuten heißt, »Verdienste um die Humanisierung, Liberalisierung und De- stellvertretend für den streng an der Strafprozessordnung und dem fast nebenbei. Liebe Frau Dr. Distler, an Ihnen hätte Fritz Bauer seine mokratisierung des Rechtswesens«. Ausgezeichnet wird damit, wer »unbequem 4 Vgl. Nicolas Berg: »Selbstansprachen der Gegenwart. Die Spielfi lme über Fritz und unerschrocken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit Geltung verschafft«. Bauer im Kontext seiner Rezeptions- und Wirkungsgeschichte«, in: Einsicht. Bul- materiellen Strafrecht orientierten Verhandlungsstil der Schwur- Freude gehabt. Mir bleibt nur, Ihnen meinen ganz herzlichen und 3 Zur Gründungsgeschichte des Fritz Bauer Instituts vgl. http://www.fritz-bauer-in- letin des Fritz Bauer Instituts, H. 16, Herbst 2016, S. 38–47. Die folgenden An- gerichtskammer unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Hans aufrichtigen Dank für dieses enorme Engagement zu sagen. stitut.de/gruendungsgeschichte.html. gaben nach Berg, »Selbstansprachen«.

52 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 53 Es gibt ferner den »Fritz Bauer Studienpreis für Menschenrechte und Die Zeitgeschichtsforschung der fünfziger Jahre hatte indes juristische Zeitgeschichte«, 2014 von Bundesjustizminister Heiko noch längst nicht auf den Begriff gebracht, was Bauer bereits juris- Maas schon kurz nach seinem Amtsantritt geschaffen; damit werden tisch auseinandernahm. Die Historiographie, die westdeutsche wie rechtswissenschaftliche Dissertationen ausgezeichnet, die sich mit die internationale, befasste sich bis Mitte der sechziger Jahre noch Bauers Werk und, wie es in der Ausschreibung heißt, mit seinen »Le- so gut wie nicht mit der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik im bensthemen« auseinandersetzen. Und jüngst initiierte der Fritz Bauer Dritten Reich. Studien über die Ermordung der europäischen Juden Freundeskreis, eine private Initiative, die es sich zur Aufgabe macht, blieben bis dahin eher eine Ausnahme; kamen sie zustande, stamm- an den bedeutenden Juristen zu erinnern, eine Fritz-Bauer-Briefmarke. ten sie aus der Feder von (zumeist jüdischen) Emigranten, die den Es lohnte sich zweifellos, der Frage nachzugehen, woher das noch NS-Terror überlebt hatten, beispielsweise Gerald Reitlinger, Léon relativ neue, starke Bedürfnis, an Bauer zu erinnern, kommt, was es Poliakov, Joseph Wulf und Raul Hilberg.7 Über Auschwitz wurde nach den Jahrzehnten des Vergessens seiner Person und seiner politisch lange fast ausschließlich im Ostblock geforscht, insbesondere in und rechtspolitisch gar nicht hoch genug zu schätzenden Leistungen Polen, wo das Lager als Leidensstätte der polnischen Intelligenz bedeutet und in welchem Bezug es zum heutigen politischen und ge- galt, nicht jedoch als zentrale Stätte des Massenmords an den eu- links (von links): Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Eva Kühne-Hörmann, Justizministerin sellschaftlichen Umgang mit den NS-Verbrechen steht, anders gesagt: ropäischen Juden. Die Studien gerieten alsbald in die Frontstellung des Landes Hessen, und Dr. Wilhelm Wolf Es lohnte sich, den Kontexten des Gedenkens intensiv nachzuspüren, des Kalten Krieges und wurden im Westen kaum rezipiert.8 vor der Wand mit der Le-Corbusier-Tapete im insbesondere den Bezügen zur Erinnerungskultur unserer Gegenwart.5 Entscheidende Anstöße für die westdeutsche Zeitgeschichts- ehemaligen Büro Fritz Bauers Doch lassen Sie mich zurückblenden ins Jahr 1956, als Fritz Bauer forschung, die NS-Verbrechen zu untersuchen, kamen aus der Jus- unten: Wandtafeln und Ausstellungsvitrinen aus Braunschweig, wo er mit dem Prozess gegen den ehemaligen Gene- tiz. Fritz Bauer war es, der das Institut für Zeitgeschichte in Mün- im Fritz Bauer Saal ralmajor der Wehrmacht Otto Ernst Remer die weitere Verunglimpfung chen einschaltete und veranlasste, dass Historiker als Gutachter im Fotos: Werner Lott der Widerstandskämpfer des 20. Juli unterbunden hatte, nach Frankfurt Auschwitz-Prozess auftraten und für die Kontextualisierung des kam und dieses Dienstzimmer bezog, vor dem wir uns heute befi nden. Tatgeschehens sorgten. Ihre Expertisen, gleich 1965, dem Jahr, als Und lassen Sie mich dabei einen Blick auf die Zeitgeschichtsschrei- das Urteil fi el, veröffentlicht,9 setzten in der deutschsprachigen Zeit- bung jener Jahre und ihren Umgang mit den NS-Verbrechen werfen. geschichtsforschung nachhaltig Impulse zur systematischen empiri- Das ist hilfreich, denke ich, um den Zusammenhang von Vergessen schen Untersuchung der nationalsozialistischen Massenverbrechen. und Erinnern in Bezug auf Fritz Bauer zu erschließen. Fritz Bauer stützte sich gezielt auf die Zeitgeschichtsforschung. Er Eigentlich war Bauers Ziel Berlin gewesen, weil Willy Brandt, wollte eine möglichst breite Öffentlichkeit für den Auschwitz-Prozess damals Präsident des Abgeordnetenhauses, im Jahr darauf dann schaffen, um zu erreichen, worum es ihm ging: nämlich neue Maßstäbe Regierender Bürgermeister, ihn dort haben wollte. Da aber keine mitmenschlichen Handelns zu setzen, um ein demokratisches Rechts- passende Stelle frei war, folgte Bauer dem Ruf des hessischen Minis- bewusstsein zu schaffen.10 Bezugspunkt seines Verständnisses von terpräsidenten Georg-August Zinn und trat das Amt des hessischen Staat und Gesellschaft waren Menschenwürde, Recht und Verantwor- Generalstaatsanwalts an. Frankfurt am Main war der Ort, an dem er tung. Die NS-Verbrechen waren für ihn Ausdruck der zivilisatorischen sich dann (gegen allerlei Widerstände) weiteren »Lebensthemen« Gefährdung des Individuums und der Gesellschaft – ermöglicht durch widmete: der Ergreifung von Adolf Eichmann, dem Organisator Passivität, Schweigen und Anpassung. Moralische Selbstbehauptung, der »Endlösung«, dem Großverfahren gegen das KZ-Personal von Zivilcourage, das Recht zum Widerstand, der Mut des Einzelnen und Auschwitz und der Vorbereitung eines noch größeren Komplex- seine Verantwortung für die Gesellschaft sind die Themen, die er in verfahrens gegen die Verantwortlichen und Organisatoren des NS- der öffentlichen Debatte starkmachte. Darüber sprach er im Radio wie Krankenmordes, der sogenannten Euthanasie (das aus verschiedenen im Fernsehen und auch in vielen Diskussionsrunden.11 Gründen aber nicht zustande kam).6

enreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 32, Frankfurt am Main, New York 2014. 7 Zum Überblick über die Entwicklung der Historiographie vgl. Ulrich Herbert, 5 Vgl. dazu Norbert Frei, »Fritz Bauer oder: Wann wird ein Held zum Helden?« »Holocaust-Forschung in Deutschland. Geschichte und Perspektiven einer schwi- Das Bundesjustizministerium bringt das Gegenwartsbedürfnis zum Ausdruck, erigen Disziplin«, in: Frank Bajohr, Andrea Löw (Hrsg.), Der Holocaust. Ergeb- wenn es seiner Online-Publikation über die erste Verleihung des Fritz Bauer Stu- nisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt am Main 2015, S. 31–79. dienpreises für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte den Titel gibt: 8 Vgl. Sybille Steinbacher, »Musterstadt« Auschwitz. Germanisierungspolitik und »Fritz Bauer – ›ein Held von gestern für heute‹«. Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000, S. 14–19. 6 Zu Bauers Leben und Wirken vgl. Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Bi- 9 Vgl. Hans Buchheim, Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen, Helmut Krausnick, ographie, Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 23, München 22009, Anatomie des SS-Staates, München, 81999, zuerst 1965 (2 Bände). Neuausgabe 2016; Ronen Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, 10 Vgl. Fritz Bauer, Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, hrsg. München 2013; Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.), Fritz Bauer. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak, Frankfurt am Main, New York 1998. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht. Begleitband zur Ausstellung, Schrift- 11 Das Fritz Bauer Institut veröffentlichte eine vierteilige CD mit Tondokumenten,

54 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 55 Damit ging es Bauer um weit mehr als rein juristische Belan- Rede von Johannes Warlo ge. Er wollte entscheidend auf das Selbstverständnis der deutschen Nachkriegsgesellschaft einwirken, wollte ein Bewusstsein schaffen links: Oberstaatsanwalt a.D. Johannes Warlo, für die NS-Geschichte, die gesellschaftliche Verantwortung für die Als einer von wenigen Überlebenden aus dem Mitarbeiterstab des ehemaliger Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft Verbrechen und gerade auch für die Bedeutung von Menschenwürde früheren Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer bin ich gebeten wor- in Frankfurt am Main unter Fritz Bauer und Mitmenschlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft. In der den, etwas zu Dr. Bauer und zu dem Gedenkraum zu sagen. Ich muss Foto: Katharina Rauschenberger allmählich selbstkritischer werdenden bundesdeutschen Öffentlich- gestehen, ich weiß nicht so recht, wie ich es anstellen soll. Zu seinem 12 unten links (von links): Oberstaatsanwalt a.D. keit der sechziger Jahre stieß er damit auf Resonanz. Leben, Wirken und Denken ist bereits viel gesagt, geschrieben und Gerhard Wiese, Vertreter der Anklage im Frankfurter Geschichtsbewusstsein ist mit Erinnern freilich nicht identisch. gedruckt worden: etwa die Arbeit von Claudia Fröhlich über Bauers Auschwitz-Prozess im Gespräch mit Johannes Warlo Das gilt es angesichts der heute weithin akzeptierten normativen Widerstandsbegriff und zwei Biografi en – soweit ich es übersehen Rhetorik des Erinnerns zu betonen, die sich nicht selten in bloßer kann – von Matthias Meusch im Jahre 2001, eine sehr ausführliche unten rechts (von links): Gerhard Wiese im Gespräch mit Andrzej Bodek, dessen Vater Józef Bodek Moralisierung erschöpft. Geschichtsbewusstsein zu schaffen heißt und lobenswerte von Irmtrud Wojak 2009 (2016 wieder aufgelegt) Überlebender der Lager Auschwitz und Mauthausen indes, auf (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sowie eine – meines Erachtens eher missglückte – von Ronen Steinke und Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess war. zu setzen, Gegenwartsrelevanz zu vermitteln sowie Erkenntnis und 2013, die zwar gut lesbar ist, aber eine Reihe von Ungenauigkeiten Fotos: Werner Lott Einsicht herzustellen.13 Weil Fritz Bauer genau das wollte, war er und Fehlern enthält und mir recht einseitig erscheint, auch Dinge wohl vielen unbequem, und ihn allmählich zu vergessen oder jeden- thematisiert, die höchst unwahrscheinlich und völlig unbewiesen sind falls nicht angemessen anzuerkennen – was übrigens auch in seiner und daher als Spekulation nicht in eine ernst zu nehmende Biografi e eigenen Partei, der SPD, geschehen ist – war ein Weg, seine hohen gehören, schon gar nicht als Tatsachen hingestellt werden dürfen. Ansprüche an die deutsche Gesellschaft am Ende beiseitezuschie- Auch ist zu seiner Person, seinem Wirken, seinen Ideen und Vor- ben. Auch die Zeitgeschichtswissenschaft würdigte ihn lange nicht. stellungen eine Vielzahl von Aufsätzen und Vorträgen in Zeitschrif- Sie widmete sich erst nach der Ausstrahlung der amerikanischen ten erschienen – etwa von Ilse Staff und Erardo Rautenberg; dem Fernsehserie HOLOCAUST 1979 wieder der empirischen Erforschung brauche ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. So will ich Ihnen der NS-Verbrechen, dann vor allem der Geschichte der Täter. Die etwas aus meinem persönlichen Erleben mit Dr. Fritz Bauer erzählen. Leidtragenden der Verfolgung, zu denen Bauer gehört hatte, rückten Schließlich hat er mich im Mai 1961 persönlich nach Frankfurt am noch später, erst Ende der Neunziger in den Blick. Weitere Jahre Main geholt, und ich muss sagen, dass ich ihm hinsichtlich meiner vergingen, ehe mit der Studie von Irmtrud Wojak 2009 erstmals persönlichen und berufl ichen Entwicklung viel zu verdanken habe. eine zeithistorische Biographie über ihn erschien.14 Und es lässt sich Dass Bauer zu seiner Zeit – ich denke an die ausgehenden 50er unschwer vorhersagen, dass Bauers Wirkungs- und Rezeptionsge- und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts – umstritten, von den einen schichte die Zeitgeschichtsforschung in Zukunft noch beschäftigen verehrt, geachtet oder wenigstens akzeptiert, von den anderen aus wird, auch beschäftigen muss, und das nicht nur, weil sich sein welchen Gründen auch immer abgelehnt oder bekämpft, von wieder Todestag im nächsten Jahr zum 50. Mal jähren wird. anderen – vor allem den unbelehrbaren Antisemiten – geradezu ge- Lassen Sie uns die Eröffnung des Fritz Bauer Saals hier im hasst, von den eigentlichen Nestbeschmutzern als Nestbeschmutzer Landgericht Frankfurt am Main – ganz im Sinne des Geehrten – als beschimpft und selbst in seinem Privatleben verleumdet, beleidigt Ich kam zu Bauer völlig unvorbereitet. Eines Tages im Mai ist bereits abgeordnet. Damit gab es nichts mehr zu sagen, und ich Appell an das Geschichtsbewusstsein verstehen, als Anstoß, im Sinne und sogar bedroht worden ist, dass man ihm noch nicht einmal die 1961 – ich war damals Dezernent für Wirtschaftsstrafsachen bei musste wenige Tage später meinen Dienst in Frankfurt antreten. eines kritischen Selbstverständnisses über die geschichtskonkrete Nachtruhe gönnte und ihn durch nächtliche Telefonanrufe belästigte, der Staatsanwaltschaft in Wiesbaden – rief mich mein damaliger Übrigens sollte es zunächst nur für drei Wochen sein. Es wurden Gegenwartsrelevanz der NS-Verbrechen nachzudenken. dürfte Ihnen nicht zuletzt durch die in den letzten Jahren herausge- Behördenleiter zu sich (ich war damals 33 Jahre alt) und eröffnete schließlich 30 Jahre. Der Traum Wiesbaden war damit ausgeträumt. kommenen Filme über Bauer von Ilona Ziok mit dem Titel FRITZ mir, dass die Behörde des Generalstaatsanwalts in Frankfurt versu- Bauer habe ich als einen sehr angenehmen Vorgesetzten erlebt. BAUER – TOD AUF RATEN – bisher nicht von der ARD gezeigt – sowie che, mich an diese Behörde zu holen; er habe dies bisher verhindern Er strahlte Ruhe, Sicherheit und menschliche Wärme aus. Ich habe die drei Spielfi lme IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, DER STAAT GEGEN können; nun habe die Sache aber eine eigene Brisanz erhalten, weil nie erlebt, dass er einen seiner Untergebenen ärgerlich, launisch oder die zeigen, wie sehr Bauer während der fünfziger und sechziger Jahre in den Me- dien präsent war: Fritz Bauer. Sein Leben, sein Denken, sein Wirken, hrsg. im FRITZ BAUER sowie DIE AKTE GENERAL bekannt geworden sein. der Generalstaatsanwalt persönlich auf meiner Abordnung bestehe. bösartig zurechtgewiesen oder gar beschimpft oder sonst irgendwie Auftrag des Fritz Bauer Instituts von David Johst, Berlin 2017. Leider geben diese drei Spielfi lme durch die Einführung irrealer Wir sollten bei einer persönlichen Vorstellung bei Dr. Bauer – ich heruntergemacht hätte. Er war höfl ich, beherrscht und sachlich, in 12 Vgl. Norbert Frei, »Die Rückkehr des Rechts. Justiz und Zeitgeschichte nach Personen und die Ausrichtung auf bestimmte Verfahren ein schiefes kannte ihn damals nicht – einen letzten Versuch unternehmen, ihn Diskussionen nie besserwisserisch oder herablassend, wie es ander- dem Holocaust – eine Zwischenbilanz«, in: Arnd Bauerkämper, Martin Sabrow, Bild ab und verfälschen die Wirklichkeit beträchtlich. Die dort auftre- davon abzuhalten und mich in Wiesbaden zu belassen. Also begaben weitig vorkommen soll. Unbeherrschtheit oder Sich-Gehen-Lassen Bernd Stöver (Hrsg.), Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche Beziehungen 1945–1990. Festschrift für Christoph Kleßmann, Bonn 1998, S. 417–431, auch tenden jungen Staatsanwälte Johann Radmann, Karl Angermann und wir uns nach Frankfurt, wo uns der Generalstaatsanwalt Dr. Bauer habe ich bei ihm nie erlebt, auch wenn er nachts wieder einmal beläs- in: ders., 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München Joachim Hell hat es nie, auch nicht ansatzweise bei unserer Behörde in seinem eindrucksvollen Dienstzimmer empfi ng. Die Atmosphäre tigt und beschimpft worden war. Seine Meinung hat er klar vertreten 2005, S. 78–97. oder der landgerichtlichen Staatsanwaltschaft gegeben. Dass übri- war sehr entspannt, und mein Behördenleiter Dr. Rahn trug wohlbe- und erwartete das auch von seinen Gesprächspartnern. Wenn man ihn 13 Vgl. Volkhard Knigge: »›Das radikal Böse ist das, was nicht hätte passieren dür- gens zwei Neonazis in den Jahren 1965/1966 ein Attentat auf Bauer gründet seinen Wunsch, mich in Wiesbaden zu behalten, vor. Bauer zu sprechen wünschte, hatte man immer Zutritt und wurde nicht auf fen.‹ Unannehmbare Geschichte begreifen«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016) H. 3–4, Holocaust und historisches Lernen, S. 3–9. planten, das aber nicht zur Ausführung kam, hat der BGH in einem sah mich lächelnd an und sagte zu Dr. Rahn: Sie können und sollen spätere Termine vertröstet. Er behandelte seinen Gesprächspartner 14 Vgl. Wojak, Fritz Bauer (1903–1968). Urteil vom 9.11.1966 festgehalten und sollte nicht unerwähnt bleiben. alles sagen, aber geben Sie sich keine unnötige Mühe: Der Mann immer auf gleicher Augenhöhe. Hier war er vorbildlich. Ich glaube,

56 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 57 sagen zu können, dass er mich durch seine Art zu diskutieren und die nach einem vielversprechenden Anfang in den 1940er Jahren Bauers gefolgt – eine späte, für Bauer nicht mehr realisierbare Ge- Pulverkaffee) und sein Schlaftablettenmissbrauch; für die zweite seine innere Ruhe mitgeprägt und mein bis dahin etwas unterent- plötzlich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zum Stillstand nugtuung (Verfahren gegen den ukrainischen Wachmann Demjanjuk Version gewisse Ausführungen im Gutachten Dr. Joachim Gerchows wickeltes Selbstbewusstsein gestärkt hat, was mir später bei nicht gekommen war und nun auf eine allgemeine Schlussstrichmentalität in München sowie gegen Gröning, den sogenannten Buchhalter des sowie das Datum der Abfassung des Testaments (ein halbes Jahr vor ausbleibenden Auseinandersetzungen zustattenkam. stieß – es ging ihm um eine innere Erneuerung und Distanzierung Todes, in Lüneburg). Als Staatsanwalt Joachim Kügler, einer der vier seinem Tod), gewisse resignative Äußerungen Bauers sowie Hinwei- Ich hatte zunächst – und das war der Grund meiner Abordnung von der Zeit des Nationalsozialismus. »Gerichtstag halten über uns Sitzungsvertreter im Auschwitz-Verfahren und zuständiger Sachbe- se auf den nicht allzu weit zurückliegenden Tod eines von ihm ge- – auf seinen Wunsch hin Ermittlungen in Bezug auf die Person des selbst« – wie sich Bauer ausdrückte. Aber da stieß er allgemein auf arbeiter für die Aufarbeitung der noch offenen Ermittlungen dieses schätzten Kollegen; für die dritte Version die ständige Beschimpfung früheren Reichsleiters Martin Bormann zu führen. Bauer waren taube Ohren. Dazu dienten ihm die Verfahren um die Komplexe Verfahrens, bald nach Ende der Hauptverhandlung aus dem Justiz- und Bedrohung durch Alt- und Neonazis sowie der von mir in einer glaubhafte Berichte zugegangen, dass sich dieser – ähnlich wie Adolf Judenvernichtung und Vernichtungslager, sogenannte »Euthanasie« dienst ausschied, blieb ein Anhängsel dieses Prozesses unerledigt: BGH-Entscheidung erwähnte Mordplan von zwei Neonazis. Aber Eichmann – in einem südamerikanischen Staat aufhalte. Im Nürnber- an Kranken und Missliebigen und die unselige Rassenpolitik. In der Fall der Skelettsammlung des Prof. August Hirt in Straßburg. Hirt es gibt auch gegen alle drei Versionen Gegengründe. Ich persönlich ger Kriegsverbrecherprozess hatte der frühere Reichsjugendführer diesem allgemeinen Rahmen waren Schwerpunkte die Verfahren hatte an der Reichsuniversität Straßburg, wo er Ordinarius war, eine halte die erste Version für die wahrscheinlichste, allein wegen meiner Artur Axmann als Zeuge erklärt, Bormann habe nach Hitlers Tod gegen Adolf Eichmann, Bormann und Hans Globke, den Kommen- Skelett- und Schädelsammlung zu Rassedemonstrationen angelegt Kenntnis der Persönlichkeit Dr. Bauers. Aber jeder kann sich irren. die Reichskanzlei verlassen und er selbst sei auf seiner Flucht auf tator der Rassengesetze und Staatssekretär Adenauers, ferner die und wollte weitere, für ihn charakteristische Schädel vor allem von Noch ein Wort zu dem oft zitierten, in zwei Versionen über- die beiden Leichen des Reichsleiters Martin Bormann und des SS- Auschwitz-Verfahren, die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an Juden dazuhaben, weshalb er im KZ Auschwitz mit der Erlaubnis lieferten Ausspruch Bauers: Wenn er sein Dienstzimmer oder sein Arztes Dr. Ludwig Stumpfegger, der auf Veranlassung der Magda den Judenvernichtungsmaßnahmen in Ungarn und anderen Balkan- von Himmler einige Dutzend männliche und weibliche Häftlinge, Büro verlasse, betrete er feindliches Ausland. Da gibt es die tollsten Goebbels deren Kinder mit Giftampullen getötet hatte, gestoßen. staaten (das Verfahren gegen Beckerle und von Hahn) sowie gegen die er für seine Zwecke als geeignet erachtete, aussuchte, die dann Ausdeutungen und Interpretationen. Unstreitig ist, dass in der dama- Aber diese Aussage war sowohl vom damaligen Militärgerichtshof Krumey und Hunsche, das Babi-Yar-Verfahren und die Verfahren im in das Konzentrationslager Natzweiler überstellt und dort ermordet ligen Zeit eine ausgesprochene Verdrängungsmentalität herrschte: als auch von Bauer angezweifelt worden, zumal man damals die Hinblick auf die sogenannten »Euthanasie«-Maßnahmen (Verfahren wurden, um schließlich in Hirts Skelettsammlung zu landen. Nach Man wollte von den Nazi-Gräueln nichts mehr hören – oft auf Grund Leichen nicht gefunden hatte. Bormann wurde daher seinerzeit in gegen Prof. Dr. Werner Heyde u. a., gegen Vorberg und Allers, gegen Straßburg in Hirts Sammlung gelangten die Leichen allerdings nicht des eigenen schlechten Gewissens. Bauer war ein Reformer und Nürnberg in Abwesenheit verurteilt. Ich sollte also den zur Erlan- Lorent und Becker, gegen Ärzte sogenannter »Euthanasie«-Anstalten mehr, weil der Krieg zu Ende ging und Hirt sich an einem Baum im stieß dabei keineswegs auf große Gegenliebe. Aber er war auch ein gung eines Haftbefehls erforderlichen Sachverhalt zusammentragen und weitere beteiligte Personen). Ein Verfahren gegen Eichmann in Schwarzwald aufknüpfte oder erschoss (das ist nicht ganz klar), um Kämpfer und konnte vieles wegstecken. Das habe ich an ihm bewun- und einen Haftbefehl des Gerichts erwirken, um gegebenenfalls die Deutschland, wie es sich Bauer wünschte, scheiterte letzten Endes nicht bei den Alliierten am Galgen zu enden. Aber vorher mussten dert. Anfangs mögen einige ältere Herren unserer Behörde gegen ihn Auslieferung Bormanns zu betreiben, auch die zahlreichen Nach- an dessen Hinrichtung in Israel, ein Bormann-Prozess kam nicht diese armen Menschen sterben – welch wahnwitzige Idee! Vorbehalte gehabt haben, sie gingen im Laufe der Zeit in Pension. Die richten über seinen angeblichen Aufenthalt in Südamerika sichten zustande, weil Bormann tatsächlich den Ausbruchsversuch aus der Bauer bat mich, mich der Sache anzunehmen, die entsprechen- Kollegen, die die von ihm initiierten Verfahren bearbeiteten, standen und überprüfen. Daraus ergab sich natürlich ein enger Kontakt zu Reichskanzlei nicht überlebt hatte. Bei späteren Ausgrabungen in den Akten zusammenzustellen und eine Anklage anzufertigen, die hinter ihm. Bei den Gerichten mag das anders gewesen sein, aber er Bauer, was bei einigen älteren Kollegen in der Behörde Neugier- Berlin fand man in der Nähe der von Axmann angegebenen Stel- dann über die entsprechende landgerichtliche Staatsanwaltschaft hatte zu dem Präsidenten des OLG, Prof. Curt Staff, ein freundschaft- de, Misstrauen und wohl auch Neid hervorrief, zumal ich keinem le tatsächlich die Skelette von Bormann und Stumpfegger, die bei dem Landgericht Frankfurt zugestellt wurde. Das Ergebnis der liches Verhältnis und zu dem einen oder anderen Senatspräsidenten Abteilungsleiter, sondern Bauer direkt unterstellt war und ihm un- gründlichen Untersuchungen als die von Bormann und Stumpfegger Hauptverhandlung war allerdings alles andere als befriedigend: der Strafsenate – etwa zu Arnold Buchthal – einen guten Kontakt. mittelbar berichtete. Da ich bei dieser Situation auf Dauer nicht in identifi ziert werden konnten. Globke genoss den persönlichen Schutz Freispruch für den beteiligten Arzt Hans Helmut Fleischhacker, Von den hessischen Justizministern fand er immer Unterstützung. Ihn einem Drei-Personenzimmer ungestört arbeiten und die erforderliche Adenauers, das Verfahren gegen ihn musste an die für den Wohnsitz eine geringfügige Freiheitsstrafe für den an der Auswahl beteilig- störte etwas anderes: die restriktive Rechtsprechung, die Verzögerung Vertraulichkeit wahren konnte, erhielt ich ein kleines, früher als zuständige Staatsanwaltschaft in Bonn abgegeben werden, die es ten Anthropologen des »Ahnenerbes« Bruno Beger, Einstellung von Verfahren wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit, obwohl Aktenzimmer genutztes Zimmerchen gegenüber dem Dienstzim- dann auch bald einstellte. Ein Verfahren gegen einen engen Mitarbei- wegen Verfolgungsverjährung gegen den »Ahnenerbe«-Referenten die Betroffenen oft ihren Berufen uneingeschränkt nachgingen. mer des Behördenleiters. Ich war also für mich allein und konnte ter Eichmanns, Alois Brunner, scheiterte an der Weigerung des BKA Wolf-Dietrich Wolf, der zwar den gesamten Briefwechsel wegen der Dass Bauer jetzt in Frankfurt am Main einen Erinnerungsort meine Akten selbst unter Verschluss halten. Da mein früherer Chef beziehungsweise von Interpol, sich an der Fahndung nach Brunner, Überführung von Auschwitz nach Natzweiler und Straßburg geführt erhält, und zwar in seinem ehemaligen Dienstzimmer, ist eine gute in Wiesbaden offi ziell berichtete, dass ich von einem Kriminellen der sich im Vorderen Orient, abwechselnd in Ägypten, Libyen be- hatte, aber von allem nichts gewusst haben wollte. Idee. Dieser Raum hatte damals seine eigene Ausstrahlung. Mit aus meiner Wiesbadener Zeit, der demnächst aus der Haft entlassen ziehungsweise im Sudan aufhielt, zu beteiligen. Andere Verfahren Vom völlig unerwarteten Tod Bauers erfuhren wir, als wir uns seiner groß gemusterten schwarz-weißen Bauhaustapete, dem gro- werden sollte, bedroht würde und diese Bedrohung sehr ernst zu scheiterten an Selbstmorden (Heyde, Tillmann), Verhandlungsun- am 1. Juli 1968 zu einem Betriebsausfl ug auf der Oberschweinsstiege ßen, dunklen Schreibtisch mit Chromapplikationen, den schwarzen nehmen sei, musste ich mir auch noch eine Pistole zulegen. Es ergab fähigkeitsattesten oder sonstigen Krankschreibungen und Freisprü- in Frankfurt zusammengefunden hatten. Bauer hatte seine Teilnahme Sesseln mit Chromgestellen und dem großen, sehr farbintensiven sich also, dass nicht nur mein Vorgesetzter Dr. Bauer, sondern auch chen. Schließlich gab es auch Verfahren, die zu Verurteilungen führ- für den späten Nachmittag zugesagt. Wir waren alle sehr erschüttert, Ölgemälde an der Wand gegenüber dem Schreibtisch: Das zeugte sein jüngster Mitarbeiter bewaffnet sein musste. Glücklicherweise ten, wie der Auschwitz-Prozess, der Babi-Yar-Prozess in Darmstadt, als uns die Todesnachricht erreichte. Niemand hatte von uns damit von Bauers Geschmack und Kunstverständnis. In Braunschweig, brauchte ich bis heute keinen Gebrauch davon zu machen. die Verfahren gegen Beckerle und von Hahn, gegen Krumey und gerechnet, zumal kurz vorher bekannt geworden war, dass das Justiz- seinem früheren Wirkungsort, wird längst die Erinnerung an Bauer Bauer war nicht der »Nazijäger«, wie er noch kürzlich in ei- Hunsche sowie eine Reihe der sogenannten »Euthanasie«-Prozesse, ministerium Bauers Antrag auf Verlängerung seiner Amtszeit, auf die wachgehalten, und auch in Braunschweig kümmert sich ein Freun- nem Spiegel-Artikel bezeichnet wurde. Ihm ging es um die Aufklä- wenngleich die grundsätzliche Annahme nur von Beihilfe sowie er als politisch Verfolgter einen Anspruch hatte, befürwortet hatte. deskreis um die Erinnerung an Bauer. rung der regelrechten Massenmordverbrechen der Nazis und die die Ausklammerung von Personal, das zwar zum Stammpersonal Zu den Todesumständen, die bis heute ungeklärt sind, gibt es drei Bauer war sicherlich der umstrittenste, aber auch der bedeu- Ermittlung der dafür Verantwortlichen, um sie dafür vor Gericht zu von Konzentrations- oder Vernichtungslagern gehörte, aber nicht Versionen: natürlicher Tod in Verbindung mit dem Zusammentreffen tendste Generalstaatsanwalt Hessens im 20. Jahrhundert. Robert M. stellen und damit ein in die Zukunft weisendes Zeichen zu setzen, unmittelbar an den Tötungen beteiligt war, nicht den Intentionen unglücklicher Umstände, Freitod oder Tod durch Fremdeinwirkung, W. Kempner nannte ihn bei der Trauerfeier im Haus Dornbusch im auch diejenigen zu widerlegen, die von allem nichts gewusst ha- Bauers entsprach. Diese einschränkende Rechtsprechung gerade im also Mord. Alle drei Versionen haben Gründe für sich und schließen Juli 1968 den größten Botschafter Deutschlands. Dass man ihn jahre- ben wollten. Es ging nicht um eine Form der Wiederaufnahme der großen Auschwitz-Prozess wurde vom BGH ausdrücklich gebilligt einander aus: Für die erstgenannte Version sprechen sein Gesund- lang bekämpft, dann verschwiegen hat, ist beschämend. Glücklicher- leider völlig missglückten Spruchkammerverfahren, sondern um und jahrzehntelang aufrechterhalten. Erst in den 90er Jahren wurde heitszustand (chronische Bronchitis), sein übermäßiger Zigaretten- weise scheint sein Denken bei der Jugend zunehmend auf Interesse eine juristische Aufarbeitung der Nazizeit und ihrer Verbrechen, diese Rechtsprechung vom BGH aufgegeben und der Rechtsansicht konsum, sein Kaffeeverbrauch (er trank massenweise hauptsächlich und Zustimmung zu stoßen. Das war immer sein größter Wunsch.

58 Einsicht Einsicht 18 Herbst 2017 59 Rezensionen Buchkritiken

68 Konzentrationslager. Studien zur Geschichte des 78 Jan Gerber: Ein Prozess in Prag. 83 Beate Meyer: Fritz Benscher. NS-Terrors. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Das Volk gegen Rudolf Slánský und Genossen Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und KZ-Gedenkstätten hrsg. von Insa Eschebach, Detlef Garbe, von Mathias Schütz, München Fernsehstar in der Bundesrepublik Gabriele Hammermann, Thomas Lutz, Günter Morsch, von Dorothee Lottmann-Kaeseler, Wiesbaden Thomas Rahe, Jens Skribeleit und Jens-Christian Wagner 79 Rebecca Schwoch: Herbert Lewin. von Kim Wünschmann, München Arzt – Überlebender – Zentralratspräsident 84 Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart von Monika Boll, Düsseldorf Hrsg. von Micha Brumlik, Marina Chernivsky, 69 Herlinde Pauer-Studer, J. David Velleman: Max Czollek, Hannah Peaceman, Anna Schapiro, »Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin«. 80 Karol Sauerland, Yvonne Pörzgen (Hrsg.): Lea Wohl von Haselberg Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen Das kulturelle Gedächtnis Europas im Wandel. von Igal Avidan, Berlin von Werner Konitzer, Berlin Literatur über Shoa und Gulag von Anna Schor-Tschudnowskaja, Wien 85 Meron Mendel, Astrid Messerschmidt (Hrsg.) 70 Gerd Kühling: Erinnerung an nationalsozialistische unter der Mitarbeit von Tom David Uhlig Verbrechen in Berlin. Verfolgte des Dritten Reiches und 81 Primo Levi : So war Auschwitz. Zeugnisse 1945–1986 Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung geschichtspolitisches Engagement im Kalten Krieg von Werner Renz, Frankfurt am Main in der Migrationsgesellschaft 1945–1979 von Doron Kiesel, Frankfurt am Main Gerhard Schönberner: Nachlese. 82 Nicola Brauch: Das Anne Frank Tagebuch. Texte zu Politik und Kultur Eine Quelle historischen Lernens in Unterricht von Cornelia Siebeck, Berlin/Bochum und Studium von Martin Liepach, Pädagogisches Zentrum Frankfurt Rezensionsverzeichnis 72 Susanna Schrafstetter, Alan E. Steinweis (Hrsg.): Liste der besprochenen Bücher The Germans and the Holocaust: Popular Responses to the Persecution and Murder of the Jews von Alex J. Kay, Berlin

62 Johann Nicolai: »Seid mutig und aufrecht!« 73 Alex J. Kay: The Making of an SS Killer. Das Ende des Centralvereins deutscher Staatsbürger The Life of Colonel Alfred Filbert, 1905–1990 EINE jüdischen Glaubens 1933–1938 von Jens Westemeier, Aachen GESCHICHTE ÜBER von Kurt Schilde, Berlin/Potsdam MACHTSPIELE 74 Karola Fings: Sinti und Roma. UND 63 Peter Longerich: Wannseekonferenz. Geschichte einer Minderheit KORRUPTION Der Weg zur Endlösung von Petra Maurer, Bremen von Hans-Christian Jasch, Berlin DER VERSTÖRENDE 75 Hagit Lavsky: The Creation of the German-Jewish BLICK IN DAS INNENLEBEN 64 David Cesarani: »Endlösung«. Diaspora. Interwar German-Jewish Immigration to Das Schicksal der Juden 1933–1948 Palestine, the USA, and England EINES FÜHRENDEN von Markus Roth, Gießen von David Jünger, Washington D.C. NS-FUNKTIONÄRS

66 Daniel Brewing: Im Schatten von Auschwitz. 76 Johannes Hürter (Hrsg.): Notizen aus dem UND »KRIEGSHELDEN« Deutsche Massaker an polnischen Zivilisten Vernichtungskrieg. Die Ostfront 1941/42 in den 1939–1945 Aufzeichnungen des Generals Heinrici von Stephan Lehnstaedt, Berlin von Jörg Osterloh, Fritz Bauer Institut

67 Anton Weise: Nach dem Raub. 77 Anja Siegemund (Hrsg.): »Deutsche und Die Vermögensverwertungsstelle beim zentraleuropäische Juden in Palästina und Israel«. Oberfi nanzpräsidenten Hannover, 1941–1950 Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten. von Martin Friedenberger, Berlin Beispiele aus Haifa von Jenny Hestermann, Fritz Bauer Institut WWW.FISCHERVERLAGE.DE

60 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 61 Ende des Centralvereins des Beistands für die deutschen Juden analysiert und entsprechende Entscheidung zum Völkermord? Erklärungsansätze zu einer komplexen Erklärung verknüpft. Dem- Anlaufstellen errichtet« (S. 49). nach sei »der Holocaust nicht aufgrund einer einzelnen zentralen In der C.-V.-Zeitung sollten »aus Rotationspapier und Drucker- Entscheidung in Gang gesetzt worden, sondern er ist – im Rahmen

schwärze Dämme gegen Mut- und Hoffnungslosigkeit« gebaut wer- einer langfristig orientierten, aber immer wieder Veränderungen den, so in der Ausgabe vom 6. Mai 1937 (S. 302). Diese oft vom unterwo rfenen antijüdischen Politik der Nationalsozialisten – das Johann Nicolai Herausgeber Alfred Hirschberg (1901–1971) und seiner Stellvertre- Peter Longerich Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, in dem Hitler, die zentrale »Seid mutig und aufrecht!« terin Margarete Edelheim (1891–1975) sowie der Herausgeberin der Wannseekonferenz. Führungsinstanz des ›Dritten Reiches‹, im engen Zusammenspiel mit Das Ende des Centralvereins deutscher Literaturzeitschrift Der Morgen, Eva G. Reichmann (1897–1998), Der Weg zur Endlösung anderen Teilen des Machtapparates, schrittweise aus einer noch vagen Staatsbürger jüdischen Glaubens stammenden Artikel werden von Nicolai meist ausführlich wieder- München: Pantheon Verlag, 2016, 224 S., Absicht zur Vernichtung der Juden ein konkretes Mordprogramm 1933–1938 gegeben. Jahr für Jahr verschlechterte sich die Situation: »Der Verein € 14,99 entwickelte und in Gang brachte.« (S. 13 f.) Dieses Vorhaben meistert Berlin: be.bra wissenschaft verlag, 2016, und seine Protagonisten mussten die engagiertesten und wichtigsten Longerich virtuos: Er ordnet die Konferenz in einen Reigen von Be- 314 S., € 34,– Mitglieder ins Exil ziehen lassen und verloren damit beständig ihre sprechungen zur Judenfrage ein, die seit Herbst 1940 stattfanden, und eigene Substanz« (S. 303). Zum 75. Jahrestag der Wannsee-Konferenz skizziert den Radikalisierungsprozess, der nach dem Überfall auf die Das Buch von Johann Nicolai kann als Er- Die führenden Männer und Frauen des Jüdischen Centralvereins am 20. Januar 1942 hat Peter Longerich ein Sowjetunion am 22. Juni 1941 an immer größerer Dynamik gewann. gänzung zum großen Werk von Avraham – wie er am Schluss hieß – sowie der Reichsvertretung der Juden neues, gut lesbares Buch vorgelegt, welches Neu ist vor allem, dass er versucht, die Wannsee-Konferenz in Barkai »Wehr Dich!« über den Centralverein deutscher Staatsbürger in Deutschland bzw. Reichsvereinigung der Juden in Deutschland den Forschungsstand zusammenfasst und versucht, dieses Ereignis den Kontext von (vermeintlichen) Gegensätzen zwischen den beiden jüdischen Glaubens 1893–1938 (München 2002) gelesen werden. kamen aus dem »großstädtisch-bürgerlichen Milieu« (S. 86). Im in die Holocaustforschung einzuordnen. Hierbei unterzieht er den zentralen Akteuren zu stellen. Er spricht von »zwei miteinander Nicolai befasst sich mit den letzten fünf Jahren des Bestehens des Vergleich zu dieser Überrepräsentanz ist das Fehlen des ländlichen ebenfalls in diesem Buch als Faksimile abgedruckten Protokolltext zunehmend konkurriende(n) Linien«: »zum einen der Ansatz von Centralvereins. Dessen 1938 von der Geheimen Staatspolizei be- Judentums zu konstatieren. Diese Feststellung von Nicolai ist be- einer detaillierten Textanalyse. Heydrich, der nach wie vor die große Deportationslösung nach einem schlagnahmtes Archiv ist die Basis der Darstellung. Die im Rus- merkenswert und bisher selten angesprochen worden. Am Berliner Wannsee berieten auf Einladung Reinhard Heyd- ausgearbeiteten Gesamtplan verfolgte, zum anderen die Position sischen Staatlichen Militärarchiv (ehemaliges Sonderarchiv) in Einen großen Stellenwert hatten die starken Spannungen im richs 15 hochrangige Polizei- und Ministerialbeamte über die »End- [Heinrich] Himmlers, der den durch die Deportationen in bestimmten Moskau aufbewahrten Akten befi nden sich heute auch als Mikro- deutschen Judentum zwischen dem Centralverein und der Zionisti- lösung der Judenfrage«.1 Das Morden hatte zu diesem Zeitpunkt Schlüsselzonen in Gang gekommenen Mordprozess mit allen Mitteln fi lmkopie im Central Archive for the History oft the Jewish Peo- schen Vereinigung für Deutschland. Die von zionistischer Seite pro- längst begonnen. In Polen hatten bereits im Herbst 1939 Massaker an weiter vorantreiben wollte, ohne die Erstellung eines Gesamtplans« ple in Jerusalem. Die Arbeit ist 2014 an der Universität Potsdam pagierte Auswanderung nach Palästina ist anfänglich stark kritisiert, der jüdischen Bevölkerung stattgefunden. In den Ghettos starben die (S. 129) abwarten zu wollen. Hierbei rekonstruiert Longerich die als Dissertation (Gutachter: Thomas Brechenmacher und Julius aber dann zunehmend mehr oder weniger akzeptiert worden. Der Menschen an Hunger und Seuchen, und in den besetzten Gebieten zwei maßgeblichen Befehlsketten, die einmal von Hitler über Gö- Schoeps) eingereicht worden. Verfasser spricht von einem »gemäßigten Zionismus« (S. 307) des der Sowjetunion ermordeten die Einsatzgruppen seit Sommer 1941 ring zu Heydrich und einmal direkt von Hitler zu Himmler und von Nach einleitenden Informationen zur Vorgeschichte des 1893 C.-V. Als nichtzionistische Ergänzung und Alternative ist offenbar Hunderttausende bei Massenerschießungen. In Wannsee ging es diesem zu den Höheren SS- und Polizeiführern (HSSPF) verliefen. gegründeten Centralvereins und der Gründung der C.-V.-Zeitung die ausführliche Beschreibung der Gründung der nichtzionistischen daher vor allem um Fragen der Planung und Organisation, das heißt Heydrich habe im Januar 1941 einen – nicht mehr überlieferten – 1922 befasst sich Nicolai im Kern mit der Zeit zwischen 1933 und Auswanderungsschule Groß-Breesen in Brandenb urg zu sehen. um das Wie der Deportationen und des Mordes. Ungeachtet dessen Plan für eine »territoriale Lösung der Judenfrage« in einem »noch 1938. Zentral geht es um die Frage: »Mit welchen Maßnahmen hat Hier einzuordnen sind auch die beiden ausführlich angesprochenen hält sich in der Öffentlichkeit hartnäckig der Glaube, dass auf der zu bestimmenden Territorium« vorgelegt und sich bereits im März der C.-V. die Fortsetzung seiner Arbeit gegenüber seinen Mitgliedern Fallbeispiele Südafrika, »Einwanderung in eine rassistische Gesell- Konferenz die Entscheidung zum Übergang zum systematischen 1941 bei Göring um eine entsprechende Ermächtigung bemüht, die er begründet, obwohl im Nationalsozialismus die grundlegenden Bür- schaft« (S. 232–247), und Brasilien, »Einwanderung in unbeständige Mord gefällt wurde. Dies ist offenbar dem verbreiteten Bedürfnis ge- schließlich am 31. Juli 1941 mit der Maßgabe erhalten hatte, »andere gerrechte für die deutschen Juden, die er ursprünglich verteidigen Verhältnisse« (S. 247–266), als Möglichkeiten der Auswanderung. schuldet, außergewöhnliche geschichtliche Ereignisse mit konkreten Zentralinstanzen« – insbesondere Ostminister Alfred Rosenberg – wollte, nicht mehr gewährleistet waren?« (S. 19) Die Beschreibun- Diese wollte der C.-V. nicht auf Palästina beschränkt sehen. Die Entscheidungssituationen und Orten zu belegen. Zudem gibt es kaum einzubeziehen (S. 26 f.). Seine Planungen für Göring bezogen sich gen wichtiger Ereignisse zwischen 1933 und 1938 folgen weitgehend beiden jüdischen Anschauungen will der Autor offenbar mit seinem ein so eindrückliches Dokument wie das Protokoll der Konferenz. grundsätzlich auf die Zeit nach einem erfolgreichen Sowjetfeldzug der Berichterstattung in der C.-V.-Zeitung, dem »Sprachrohr eines letzten Satz versöhnen: »Die Arbeit des C.-V. und der ZVfD verbleibt Dieses gilt heute – wie Longerich eingangs betont – als »Synonym und nahmen die gesamte jüdische Bevölkerung des europäischen liberalen, deutschpatriotischen jüdischen Bürgertums« (S. 300). als Vermächtnis des deutschen Judentums« (S. 307). für den kaltblütigen, bürokratisch organisierten und arbeitsteiligen Kontinents in den Blick. Himmler hingegen habe mit einer »bei- Nicolai zufolge kam es in der frühen Phase zur »Anbiederung Als Kritik an der sehr informativen und akribischen Darstellung Massenmord an den europäischen Juden« (S. 8); als ein »Gesamtplan spiellosen Radikalisierung der Judenverfolgung im Osten« versucht, an das NS-Regime in Artikeln der C.-V.-Zeitung« (S. 41) und »zum und insgesamt ordentlichen Studie sollen mehrere Satz-, aber auch zur Ermordung der europäischen Juden« (S. 9). »machtpolitisches Terrain zurückzugewinnen«. Er habe sich zurück- Teil grotesken Wirrungen des Vereins« (S. 306). Anfänglich lautete inhaltliche Fehler nicht verschwiegen werden: Die Darstellung des Longerich stellt in seinem Buch eine Interpretation der Konferenz gesetzt gefühlt, als Hitler am 16. Juli 1941 die Kompetenzbereiche noch die »Parole: Ruhig abwarten« (Februar 1933), dann folgten die Attentats von Herschel Grzynszpan am 7. November 1938 erfolgte und des Holocausts vor, die intentionalistische und funktionalistische in den besetzten Ostgebieten festlegte und ihm nur die »polizeiliche« »absurde Kampagne gegen ausländische ›Greuelpropaganda‹ (März nicht auf den »deutschen Botschafter von Rath«, sondern auf den als und nicht auch die »politische Sicherung« der neuen Ostgebiete 1933)« und sogar eine »groteske Wahlempfehlung« für die NSDAP Gesandtschaftsrat in der deutschen Botschaft in Paris tätigen Ernst anvertraut habe. Er habe daher seine Kompetenzen als »Reichskom- im November 1933 (S. 301). Es sind auch die Verhaftungen von vom Rath. Nach dessen Tod sind Pogrome ausgelöst worden – die 1 Zur Wannsee-Konferenz und zum Stand der Forschung siehe Hans-Christian missar für die Festigung des Deutschen Volkstums« mit jenen in den kommunistischen Oppositionellen gerechtfertigt worden. aber weit über die »Nacht vom 9. auf den 10. November 1938« Jasch, Christoph Kreutzmüller (Hrsg.), Die Teilnehmer. Die Männer der Wannsee- Bereichen »Polizei und Siedlung« verknüpft. Spätestens in der ersten Aber die »Hoffnung auf eine Gleichbehandlung der deutschen (S. 298) hinausgingen. Konferenz, Berlin 2017; Peter Klein, Die »Wannsee-Konferenz« am 20. Januar Augusthälfte 1941 habe er daher »die massenhafte Ermordung auch Juden auch unter einer Regierung Hitler« (S. 25) löste sich bald 1942. Eine Einführung, Berlin 2017; Norbert Kampe, Peter Klein (Hrsg.), Die von Frauen und Kindern« durch die Einsatzgruppen, die bisher vor Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942. Dokumente, Forschungsstand, Kontro- in Luft auf. »Mit einem beeindruckenden Pragmatismus wurden Kurt Schilde versen, Köln, Weimar, Wien 2013; Mark Rosemann, Die Wannsee-Konferenz. Wie allem jüdische Männer im wehrpfl ichtigen Alter ermordet hatten, durch jüdische Organisationen und Gemeinden die Möglichkeiten Berlin/Potsdam die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte, Berlin 2002 (engl. Ausg.: 2002). angeordnet und zwei ihm direkt unterstellte SS-Totenkopfbrigaden

62 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 63 den HSSPF Russland-Mitte und Russland-Süd zugeordnet, die er Massenmord an den europäischen Juden. Das Buch des 2015 ver- situativen Faktoren und Akteuren, die den meist selbstgeschaffenen ausgeklügelte Mordmaschinerie zurückzuführen, vielmehr sei sie angehalten habe, »Großmassaker mit mehreren Tausend jüdischen storbenen David Cesarani, des langjährigen Direktors der Londoner Problemlagen mit Improvisation und immer weiteren Radikalisierun- »eine Folge deutscher Hartnäckigkeit sowie der aktiven oder pas- Zivilisten« zu begehen (S. 30). Hiervon sei dann der Impuls aus- Wiener Library und Verfassers zahlreicher Bücher zum Holocaust, gen nach gescheiterten Lösungsversuchen begegneten. Ein Beispiel siven Mithilfe der Bevölkerungen, unter denen die Juden lebten, gegangen, der die Einsatzgruppenführer dazu veranlasst habe, zur ist das voluminöseste und am konventionellsten erzählte von ihnen.1 von vielen ist das Handeln der Verantwortlichen im Reichsgau War- und der Dauer der Mordkampagne, die wiederum zum großen Teil fl ächendeckenden Ermordung der sowjetischen Zivilbevölkerung Cesarani schildert die verschlungenen Entwicklungslinien theland und in Lodz, die ohne jede zentrale Steuerung schließlich eine Folge des militärischen Versagens der Alliierten war.« (S. 945) überzugehen. Konkrete Quellen für diese Entwicklung legt Longe- von Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zum Massenmord chro- im organisierten Massenmord in der Tötungsstation Kulmhof den David Cesarani bietet eine polyperspektivische Darstellung mit rich in diesem Buch jedoch nicht vor, sondern verweist stattdessen nologisch und bemüht sich sehr darum, den offenen Charakter, Ausweg aus der Sackgasse sahen, in die sie sich durch volkstums- klarer Interpretation, die aber keine grundlegend neuen Deutun- auf zwei Kapitel in seinem Standardwerk Politik der Vernichtung2 den der Prozess für die Beteiligten hatte, in Balance zu bringen politische Utopien manövriert hatten. Diese Entwicklung, das un- gen bringt. Dies versucht er jedoch mitunter durch verzerrte Dar- und seine Himmler-Biographie.3 mit dem Wissen und den Interpretationen des Historikers. Dabei terstreicht Cesarani immer wieder, kann jedoch nicht hinreichend stellungen eines angeblichen Forschungskonsenses zu kaschieren. Longerich gelingt es insgesamt, das Konferenzgeschehen plausi- bedient er sich, wie vor ihm bereits etliche andere, zahlreicher erklärt und verstanden werden, wenn nicht der enge Zusammenhang Einleitend schreibt er zum Beispiel, er stelle im »Unterschied zu bel zu deuten und in den Kontext der aktuellen Holocaustforschung vor allem zeitgenössischer Dokumente, Briefe und Tagebücher, zum Kriegsverlauf hergestellt wird. den meisten bisherigen Darstellungen« in Frage, dass die antijü- einzuordnen. Aspekte wie die »Lösung der Mischlings- und Misch- deren Horizont der der jeweiligen historischen Gegenwart war. »Das Schicksal der europäischen Juden zwischen 1933 und dische Politik »systematisch und zusammenhängend, geschweige ehenfrage«, die einen erheblichen Umfang im Protokoll einnehmen Damit wollte er dem Leser zudem »ein Gespür für den zufälligen, 1945 wurzelte im Antisemitismus, wurde aber vom Krieg geformt« denn vorsätzlich und wohlüberlegt war« (S. 16). Gleichwohl liegt und auch für die Zahlenkolonnen auf Seite 6 des Protokolls etwa chaotischen Verlauf« (S. 26) der Geschichte vermitteln. Es sind (S. 941), auf diese pointierte Formel bringt er am Schluss seinen mit Cesaranis Werk eine umfassende und lehrreiche Gesamtinter- bei der Bestimmung der Anzahl der niederländischen Juden offen- vor allem die bereits vielfach zitierten Stimmen von Personen wie Ansatz. Der Kriegsverlauf 1941, die Entwicklung von anfängli- pretation der »Endlösung« vor, die – auch ohne, dass es wie im bar eine Rolle spielten, werden von Longerich indes nur gestreift Victor Klemperer, Willy Cohn, Adam Czerniaków und anderen, cher Siegeseuphorie zum Steckenbleiben und der Ausweitung zum Klappentext als »das maßgebliche Standardwerk« überhöht werden und kaum als Erklärungsansatz für die Konferenz berücksichtigt, die Cesarani souverän orchestriert. Weltkrieg mit dem Kriegseintritt der USA, sei entscheidend für den müsste – lesenswert ist. obschon diese Frage für das Deutsche Reich und Westeuropa in In acht großen Kapiteln führt er beginnend mit dem Jahr 1933 Holocaust gewesen, der auch im Krieg weitgehend planlos von- den der Konferenz vorgelagerten Besprechungen und den beiden durch die Geschichte, drei davon widmen sich der Vorkriegszeit, stattengegangen sei. Dass das Morden diese gewaltige Dimension Markus Roth Nachfolgebesprechungen eine zentrale Rolle spielte. die übrigen dem Krieg. In dichten Beschreibungen zeigt er ein- angenommen habe, sei nicht auf eine aufwendig betriebene und Gießen drucksvoll die Wucht der Ereignisse von Anfang an und misst Hans-Christian Jasch dabei den Zeugnissen der Verfolgten über einen bloß illustrativ- Berlin erzählerischen Stellenwert besonderes Gewicht bei: »Tatsächlich haben die Opfer den Historikern etwas Wichtiges zu sagen: Zum Zeitpunkt des Geschehens schien die Judenpolitik deshalb nicht

2 Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Ju- zusammenhängend und zielgerichtet zu sein, weil sie es nicht denverfolgung, München, Zürich 1998. war. Vielmehr war sie improvisiert, ungeplant und daher unvor- 3 Heinrich Himmler. Biographie, München 2008. hersehbar.« (S. 92) Diese und andere Urteile haben nicht immer Schuld, Leid und Erinnerung den Neuigkeitswert, den Cesarani ihnen zuschreibt, aber in der Deutschland gedenkt seiner Toten im Zweiten Weltkrieg Konsequenz, diese in Darstellung und Interpretation einfl ießen zu Herausgegeben von Rony Margalit lassen, geht er vielleicht weiter als viele andere. Auch berücksich- Von Prof. Gilad Margalit tigt Cesarani die Perspektive und den Einfl uss des Auslands auf die Entwicklung in NS-Deutschland und den deutschen Machtbereich 2016, 419 S., geb., 79,– € Neues Standardwerk zum Holocaust? mehr als manch anderer Autor. ISBN 978-3-8487-2744-5 Die Entwicklung während des Krieges koppelt Cesarani eng eISBN 978-3-8452-7088-3 an den militärischen Verlauf der Kampfhandlungen und der stra- (Historische Grundlagen der Moderne, Bd. 15) tegischen Planungen, die – neben ökonomischen Erfordernissen nomos-shop.de/26518 David Cesarani – ausschlaggebend für die Behandlung der Juden gewesen seien. »Endlösung«. »Mehr als eine vorgefertigte Agenda für die Behandlung der Ju- Die nachkriegsdeutsche Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg erfolgte in einem Spannungsfeld, in dem Diskurse um Schuld und Verantwortung der Deutschen mit solchen um Das Schicksal der Juden 1933–1948 den«, schreibt er, »schuf der Kriegsverlauf die Bedingungen für ihr Leiden konkurrierten. Die Opfer und die Gegner des Nationalsozialismus standen dabei lange Berlin: Propyläen Verlag, 2016, 1.100 S., eine mörderische Dynamik von beispiellosem Ausmaß und unfass- Zeit nicht im Vordergrund. Gilad Margalit zeichnet ein diff erenziertes Bild der Erinnerungskultur € 42,– barer Brutalität.« (S. 433) Die Eskalation von der (durch den Krieg und bezieht in die Analyse Denkmäler, publizistische und literarische Quellen mit ein. erheblich verschärften) Verfolgung zum Massenmord sieht er in einer Mischung aus ideologischer Disposition, vagen Utopien sowie Nomos Eine kaum mehr zu überblickende Zahl eLibrary Unser Wissenschaftsprogramm ist auch online verfügbar unter: www.nomos-elibrary.de von Studien zu den verschiedensten As- Bestellen Sie jetzt telefonisch unter (+49)7221/2104-37. pekten des Holocaust sowie eine stattliche Reihe umfangreicher 1 Die anderen beiden sind: Timothy Snyder, Black Earth. Der Holocaust und wa- Portofreie Buch-Bestellungen unter www.nomos-shop.de Gesamtdarstellungen füllen inzwischen ganze Bibliotheken. Allein rum er sich wiederholen kann, München 2015; Christian Gerlach, Der Mord an Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer in jüngster Zeit erschienen drei recht unterschiedliche Synthesen zum den europäischen Juden: Ursachen, Ereignisse, Dimensionen, München 2017.

64 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 65 Jenseits des Holocaust ländlichen Gebiete des besetzten Polen – und besonders Wälder – nur Der Reichsfi skus als Profi teur der relativ kleine Dienststelle mit einem Personalbestand von lediglich noch unter Lebensgefahr betreten. Judendeportationen elf Personen handelte, Juristen, Finanzbeamte sowie Angestellte der Als sich die Wehrmacht dann einschaltete und 1944 im Distrikt Devisenstelle Hannover. Eine besondere antisemitische oder national-

Lublin selbst einen großen Antipartisaneneinsatz organisierte, unter- sozialistische Prägung lässt sich bei den Tätern Weise zufolge nicht schieden sich ihre Methoden freilich nicht von denen der SS. Ganz feststellen. Vielmehr sei das Verwaltungshandeln profi skalisch und an Daniel Brewing im Gegenteil setzten auch die Militärs auf die wahllose Erschießung Effi zienzkriterien ausgerichtet gewesen. Nur in Einzelfällen zählten Im Schatten von Auschwitz. von Zivilisten und das Niederbrennen von Dörfern – und mussten Anton Weise Finanzbeamte auch selbst zu den Profi teuren des Vermögensraubs. Deutsche Massaker an polnischen sich im Anschluss ihr Scheitern eingestehen. Wie die SS nicht ohne Nach dem Raub. Die Vermögensverwer- Der Autor stuft die Vermögensverwertungsstelle als wichtige Zivilisten 1939–1945 Genugtuung bemerkte, ließ sich auch diesmal kein Rückgang der tungsstelle beim Oberfi nanzpräsidenten Akteurin im Holocaust ein: Ihre Tätigkeit bildete den Abschluss des Darmstadt: Wissenschaftliche Buch- »Bandenaktivitäten« konstatieren. Hannover, 1941–1950 Prozesses der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Hannovers und gesellschaft, 2016, 400 S., € 89,95 Brewing bettet seine Darstellung in umfangreiche soziologische Göttingen: Wallstein, 2017, 328 S., € 35,90 weiter Teile Niedersachsens. Ihre Gründung wird von ihm treffend als Erkenntnisse und die differenzierte polnische Forschungslandschaft »Tiefpunkt« der Geschichte der Reichsfi nanzverwaltung bezeichnet, Jenseits des Holocaust ist über die Gewalt ein. Letztere freilich beschränkt sich ganz wesentlich auf die Opfer, da erstmals eine Finanzbehörde eigens zu dem Zweck gegründet an ethnischen Polen während des Zweiten wohingegen der Fokus dieses Buchs bis auf einen kleinen Exkurs Um es vorwegzunehmen: Mit seiner Disser- wurde, geraubtes Eigentum von Juden zu verwerten. Im Unterschied Weltkriegs hierzulande kaum etwas bekannt. Daniel Brewing tritt ausschließlich auf den Tätern liegt. Und obwohl die Kontextualisie- tation zur Vermögensverwertungsstelle beim zur Devisenstelle, die als staatliche Beraubungsinstanz primär gegen- mit seiner Stuttgarter Dissertation von 2014 an, dies zu ändern. Er rung etwa in Bezug auf die allgemeine Kriegslage oder die deutsche Oberfi nanzpräsidenten Hannover schließt Anton Weise eine große über den vor der Auswanderung stehenden Juden tätig wurde, hatte widmet sich dabei ausschließlich den Opfern der deutschen »Par- Ausbeutungspolitik erfolgt, wäre eine stärkere Einbettung des »Par- Lücke bei der Erforschung der Rolle der Finanzverwaltung beim die Vermögensverwertungsstelle keinen Kontakt zu ihren Opfern. tisanenbekämpfung« im Generalgouvernement, mithin also jenen tisanenkampfes« in den Holocaust und andere Massenverbrechen der Holocaust. Mit Beginn der Massendeportationen der deutschen Juden Auch war für sie als ausführende Behörde der Handlungsspielraum etwa 35.000–40.000 Menschen, die im Rahmen von Massakern deutschen Besatzer wünschenswert gewesen. Zwar sind die Exzesse aus dem »Altreich« im Herbst 1941 wurden bei den Oberfi nanzprä- eher gering. Weise präsentiert sowohl Fälle, in denen die VVS zu ermordet wurden. Brewing versteht unter Massakern grausame, des Polenfeldzugs 1939 sowie der Warschauer Aufstand 1944 integ- sidien regionale Vermögensverwertungsstellen eingerichtet. Diesen Ungunsten der Opfer intervenierte, etwa wenn bei der Gestapo auf exzessive und überbordende Gewalt, für die die Besatzer »gute riert, aber am Ende sind die hier analysierten Massaker doch nur ein kam die Aufgabe zu, den zurückgelassenen Hausrat sowie noch vor- eine Deportation einer jüdischen Anteilseignerin hingewirkt wurde, Gründe« (Anführungszeichen im Original) gesehen hätten; dies in kleiner Teil der Verbrechen an ethnischen Polen – von denen alleine handenes Vermögen der Deportierten zu verwalten und zu Gunsten um ein Grundstück verwerten zu können, als auch Fälle, in denen sie Abgrenzung zum Genozid, wobei Nutzwert und Trennschärfe der im Generalgouvernement über eine Million starben. des Deutschen Reiches zu verwerten. Der pseudolegale Rechtsakt der zu Gunsten von Hinterbliebenen der Opfer handelte, wenn beispiels- Kategorie etwas fraglich bleiben – für die Nationalsozialisten hatte Jenseits dessen hat Brewing mustergültig herausgearbeitet, wie Enteignung hatte zuvor schon stattgefunden, entweder infolge des Ver- weise ein Härteausgleich anerkannt wurde. auch der Holocaust »gute Gründe«. sehr das deutsche Vorgehen ein trial and error war. Er kann zeigen, mögensverfalls nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom Die Untersuchung veranschaulicht den Prozess der Vermögens- Aber gerade die Ursachen der Gewalt arbeitet Brewing sehr dass es zwar vereinzelt Partizipationsangebote an die Einheimi- 25. November 1941 oder durch eine staatliche Einziehungsverfügung. verwertung durch Einzelfälle, wobei die Ausführungen Weises sich überzeugend heraus. Hoch analytisch und klar geschrieben belegt er, schen gab, diese aber weder konsistent noch nennenswert waren Obwohl nach 1945 die zum Teil recht umfangreichen Aktenüberlie- bisweilen in den Details des Inkasso verlieren. Ab 1942, als die VVS wie Stereotype von brutalen Polen und von notwendiger Selbstver- – Denunziation oder die Mithilfe beim Holocaust wären hier zu ferungen der Finanzverwaltung in Restitutionsverfahren und später Hannover 834 Akten vom Oberfi nanzpräsidenten Berlin-Brandenburg teidigung sich mit Ideen vom Volkstumskampf vermischten und so nennen. Insgesamt bietet das Werk wichtige neue Erkenntnisse, die auch in der Forschung eine große Rolle spielten, existierte bisher keine übernahm, war die VVS nicht nur für das Vermögen deportierter Juden, eine Rechtfertigungsgrundlage boten. Der »Bromberger Blutsonn- über den durchaus avancierten polnischen Forschungsstand deutlich Monografi e über die Tätigkeit einer Vermögensverwertungsstelle. sondern auch für das emigrierter Juden zuständig. Darüber hinaus war tag« und die Auseinandersetzungen um Schlesien nach dem Ersten hinausgehen. Diesen in Beziehung zur deutschen Täterforschung Weise kam bei seiner Arbeit zugute, dass neben den über 2.000 die VVS auch für weitere Opfergruppen wie etwa Sinti, Zwangsarbeiter Weltkrieg prägten das Bild. Die Selbstviktimisierung der (Volks-) gesetzt zu haben ist Brewings großes Verdienst. Und mehr noch: Einzelfallakten auch die Generalakten der Behörde überliefert sind. und Widerstandskämpfer verantwortlich, was jedoch vom Arbeits- Deutschen führte zu der Überzeugung, selbst Opfer der Polen ge- Er lenkt das Augenmerk auf die wichtige Tatsache, dass keineswegs Sehr hilfreich für die wissenschaftliche Durchdringung des umfang- umfang her keine größere Rolle spielte. Nach 1945 führte die Vermö- wesen zu sein. Und Gewalt wäre demzufolge die einzige Sprache, nur in der Sowjetunion ein rücksichtsloser Krieg gegen Zivilisten reichen Materials dürfte sich zudem die vorangegangene Tätigkeit gensverwertungsstelle ihre Tätigkeit fort, indem sie das eingezogene die diese verstünden. geführt wurde. In Polen gehört das zum Grundwissen und ist Teil des Weises in der Bundesvermögensverwaltung ausgewirkt haben, die sich Vermögen weiter verwaltete. Eine personelle Kontinuität gab es in Diese wichtige Erkenntnis wird anhand von chronologisch an- nationalen Selbstverständnisses. In Deutschland hingegen sorgt es unter anderem im souveränen Gebrauch rechtlicher Termini widerspie- der Person Dr. Fritz Goebels, der seit 1941 beim Oberfi nanzpräsidium geordneten Beispielen belegt. Für jedes Kriegsjahr stellt Brewing ein immer wieder für Befremden, wenn polnische Politiker das Leiden gelt, der für historische Studien nicht unbedingt selbstverständlich ist. Hannover als Gruppenleiter auch für den Bereich »Judenvermögen« oder zwei besonders brutale »Bandenkampf«-Unternehmen vor, die der ethnischen Polen hervorheben; gerne wird ihnen dann Ignoranz Die Vermögensverwertungsstelle (VVS) beim Oberfi nanzpräsi- zuständig war und nach 1945 mit der organisatorischen Abwicklung sich durch stetig steigende Gewalt auszeichneten. Dass es sich bei gegenüber dem Holocaust und Opferrivalität vorgeworfen. Das Buch denten Hannover nahm ihre Tätigkeit am 8. Januar 1942 auf, als die der VVS betraut wurde; die sich bis 1950 hinziehen sollte. den Opfern in der großen Mehrzahl nicht um bewaffnete Kämpfer zeigt, warum es wenig Substanz für solche Anschuldigungen gibt. Gestapo die Transportlisten, Einziehungsverfügungen und Vermögens- Abschließend grenzt der Verfasser seine Ergebnisse von den The- handelte, ist wohl kaum überraschend und ein aus den besetzten Ge- erklärungen derjenigen Juden an die Finanzverwaltung übergab, die am sen Götz Alys ab. Die VVS hatte für Weise keine systemstabilisierende bieten der Sowjetunion bekanntes Phänomen. Ganz wesentlich war Stephan Lehnstaedt 15. Dezember 1941 von Hannover aus nach Riga deportiert und dort Funktion, da die Umverteilung des geraubten Vermögens an die regio- den Deutschen, ihre Aktionen als Kommunikationsinstrument nach Berlin größtenteils ermordet worden waren. Auf der Basis der Vermögens- nale Bevölkerung keinen größeren Umfang hatte. Zudem überstieg die innen und außen zu verstehen: Stärke galt ihnen als eine wesentliche erklärungen, die von den jüdischen Opfern kurz vor der Deportation Anzahl abgewiesener Antragsteller bei weitem die Zahl der Profi teure. Herrschaftslegitimation. Das galt auch für die internen Auseinander- ausgefüllt werden mussten, verwertete die VVS den zurückgelassenen Und als durch Kriegswirtschaft und Bombenkrieg ab 1943 allgemeiner setzungen der Besatzer, denn die SS wollte damit ihre Kompetenz Besitz. Hierbei bediente sie sich im Regelfall der örtlich zuständi- Mangel herrschte, war der Hausrat der Deportierten schon verteilt. in der Befriedung des Landes gegenüber der Wehrmacht bewei- gen Finanzämter, die insbesondere die Versteigerung des Hausrats sen, hatte aber letztlich keinen Erfolg, weil ihre Gewalt nur noch übernahmen. Die dezentrale Durchführung der Verwertung lag darin Martin Friedenberger mehr Gegengewalt erzeugte: Spätestens 1943 konnten Deutsche die begründet, dass es sich bei der Vermögensverwertungsstelle um eine Berlin

66 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 67 Neue Zeitschrift zur NS-Gewaltgeschichte Betrachtung polemisiert [wird], wenn Deutungsmacht in eigener Befehl Himmlers, wonach kein KZ-Häftling den Alliierten lebend in kurzen Kapitel über die Genese der SS-Gerichtsbarkeit, seinen Weg Sache beansprucht wird« (H. 1, S. 150). Verfolgte von Nationalso- die Hände fallen sollte: Während die Existenz dieses »ominöse[n] als SS-Richter nach. Morgen, 1909 als Sohn eines Lokomotivführers zialismus und Kommunismus treten dabei zuweilen in eine span- Befehl[s]« in der Einleitung »mit guten Argumenten angezweifelt in Frankfurt am Main geboren, studierte zwischen 1930 und 1933

nungsvolle Opferhierarchie. Ähnlich zugespitzt wie Benz schreibt werden kann« (S. 11), datiert Wagner ebendiesen Befehl auf den Rechtswissenschaften, trat im März 1933 in die SS und im darauffol- im zweiten Heft auch Bill Niven, der anhand jüngster Kontroversen 14. April 1945 (S. 26), wohingegen Ley betont, dass im Fall der genden Monat in die NSDAP ein, promovierte 1936 und wurde nach Konzentrationslager. um die Kriegsschuldfrage in der deutschen Öffentlichkeit einen Räumung von Sachsenhausen »[e]in schriftlicher Befehl Himmlers einer kurzen Zeit als Assessor am Landgericht Stettin zur Waffen-SS Studien zur Geschichte des NS-Terrors Wandel hin zu »einem postmoralisierenden Zugang zur Zeit des zur Tötung der erwähnten Häftlingsgruppen [als politisch gefährlich eingezogen. Von dort bewarb er sich um eine Tätigkeit in der SS- und Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialismus« (H. 2, S. 149) konstatiert. Beide Beiträge sind und »marschunfähig« Eingestufte] nicht überliefert« sei (S. 41). Polizeigerichtsbarkeit, wurde SS-Richter und ermittelte wegen Kor- der KZ-Gedenkstätten hrsg. von Insa geeignet, der neuen Zeitschrift einen deutlich politischen Charakter Dieser kleine Kritikpunkt trübt jedoch nicht den Gesamteindruck ruption, bei der er auch nicht vor Konfrontationen mit hochrangigen Eschebach, Detlef Garbe, Gabriele zu verleihen, welcher wiederum auch der Arbeit der Gedenkstätten eines gelungenen Starts einer neuen Fachzeitschrift zur Erforschung SS-Führern zurückschreckte. Nachdem er beim SS-Gericht um seine Hammermann, Thomas Lutz, Günter entspricht, deren Forschungstätigkeiten, wie das in Heft 1 abge- der Geschichte und Nachgeschichte des NS-Terrors. Versetzung aus dem Generalgouvernement ersucht hatte, wurde er Morsch, Thomas Rahe, Jens Skribeleit druckte Gutachten von Günter Morsch zur Existenz eines Massen- aber auf Befehl Himmlers aus der SS- und Polizeigerichtsbarkeit und Jens-Christian Wagner. grabes ermordeter Häftlinge des Lagers Lieberose zeigt, häufi g von Kim Wünschmann entlassen und zum gemeinen Soldaten degradiert. Nach kurzer Zeit Heft 1: Kriegsendverbrechen zwischen politischer Brisanz sein können. Dass Forschung an Gedenkstätten München an der Front beorderte Himmler ihn jedoch wieder zur SS- und Untergangschaos und Vernichtungs- darüber hinaus schon längst auch interdisziplinär ist, belegt Barbara Polizeigerichtsbarkeit zurück. Morgen erhielt den Auftrag, Finanz- programm (2015), Heft 2: Repatriierung Schulz’ bauhistorische Studie zum Gelände des ehemaligen »Indus- korruption im KZ Buchenwald zu untersuchen. Die Ermittlungen in Europa 1945 (2016) triehofs« in Ravensbrück (H. 2). führten zur Anklage gegen den früheren Lagerkommandanten Karl Berlin: Metropol Verlag, je € 16,– Im ersten Heft zum Thema Kriegsendverbrechen sowie auch Otto Koch, der von einem SS-Gericht später zum Tode verurteilt in der nachfolgenden Nummer zu Repatriierungen tragen die Auto- »Nicht immer intakt« wurde. Morgens Tätigkeit wurde daraufhin auf weitere Konzent- rinnen und Autoren zu einer differenzierten Betrachtung der letzten rationslager ausgeweitet. Er leitete Untersuchungen gegen weitere Der Metropol Verlag, in dessen Programm Phase des NS-Regimes und des Schicksals der Millionen Befreiten, hochrangige SS-Führer ein, so unter anderem gegen Adolf Eichmann die Geschichte der nationalsozialistischen nunmehr »Displaced Persons«, bei. Beiträge zur Geschichte und und Rudolf Höß, den Kommandanten von Auschwitz. Konzentrationslager einen Schwerpunkt Nachgeschichte der KZs sind dabei neben Studien platziert, die bildet, publiziert eine neue Zeitschrift: sich mit Kriegsendverbrechen an tausenden Strafgefangenen der Herlinde Pauer-Studer, Konzentrationslager. Studien zur Geschichte des NS-Terrors. Her- Justiz (Christoph Bitterberg und Sylvia de Pasquale) und zivilen J. David Velleman ausgegeben wird das Periodikum von den Leiterinnen und Leitern Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern (Christine Glauning) »Weil ich nun mal ein der KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flos- sowie der Rückkehr von 1.750.000 Menschen nach Italien (Giovanna Gerechtigkeitsfanatiker bin«. senbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsen- D’Amico) beschäftigen. Die Eskalation der Gewalt zum Kriegsen- Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen hausen. Erklärtes Ziel ist es, »wissenschaftlich besonders innovative de – schätzungsweise 250.000 KZ-Häftlinge starben bei Lagerräu- Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2017, und wichtige Beiträge vor[zu]stellen« und – einen Trend vieler neu- mungen und auf Todesmärschen – erklärt Jens-Christian Wagner 348 S., € 26,– erer Studien widerspiegelnd – als ein »Forum zur Erforschung der überzeugend als ein Zusammenwirken ideologischer und situativer nationalsozialistischen Zwangslager« zu dienen, »das dem gesamten Faktoren. Den Täterkreis erweitert er, indem er neben den regionalen FFritzritz BauerBauer Spektrum der mit dem Lagersystem und seiner Nachgeschichte ver- und lokalen Instanzen, die ab Sommer 1944 »über Methoden und Gab es eine eigene nationalsozialistische Moral? Vor dem Hinter- IInstitutnstitut bundenen Themen Raum geben sowie deren Einordnung in die ge- Zeitpunkt der ›Evakuierungen‹« entschieden (S. 19), auch die Be- grund dieser Frage haben Herlinde Pauer-Studer und J. David Vel- GGeschichteeschichte undund WWirkungirkung ddeses HolocaustHolocaust schichtswissenschaftliche Debatte über den Nationalsozialismus und teiligung deutscher und österreichischer Zivilpersonen untersucht. leman dem Leben und vor allem Wirken des SS-Richters Konrad AAn-Institutn-Institut derder GGoethe-Universitätoethe-Universität die staatliche Massengewalt im 20. Jahrhundert behandeln möchte« Großangelegte Mordaktionen in den Endphasen der Lagerkomplexe Morgen eine Studie gewidmet. Die interne Gerichtsbarkeit der SS FFrankfurtrankfurt amam MainMain (Heft 1, S. 7 f.). Das Journal tritt dabei ganz bewusst die Nachfolge Sachsenhausen und Mauthausen-Gusen erforschen Astrid Ley und ist ein guter Ansatzpunkt, um die Eigendynamik und Besonderheit der auch international vielbeachteten Dachauer Hefte an, die 2009 Bertrand Perz, die auch stichhaltig die Zahl der Opfer erhellen. Die nationalsozialistischer Normativität zu erfassen. Allein die Tatsache, eingestellt wurden. Die ersten beiden Ausgaben enthalten jeweils Dynamik der Geschichte tritt ebenso in den Beiträgen des zweiten dass es diese besondere Gerichtsbarkeit gab und dass SS-Richter fünf thematische Beiträge, die um einen Dokumentations- und einen Heftes deutlich zutage. Neben den bereits Genannten schreiben hier über Angehörige der SS Urteile sprachen, belegt ja den Versuch, 3.450 likes Danke für Ihr Interesse! Debattenteil ergänzt werden. Susanne Urban zur politikgeschichtlichen Dimension von Repatriie- besondere Normen zu etablieren und ihre Nichteinhaltung zu sank- In der Abhandlung von Wolfgang Benz, die den Debattenteil rungen, Insa Eschebach und Katharina Zeiher über das Leben nach tionieren. Insofern ist der Fall des SS-Richters Morgen bestens für Folgen auch Sie uns auf Facebook? eröffnet, begegnen uns Überlebende in Gestalt streitbarer Zeitzeu- der Befreiung in Ravensbrück, Jens Binner über die Heimkehr in eine Studie zur nationalsozialistischen Moral geeignet. Pauer-Studers Aktuelle Informationen aus dem Fritz Bauer Institut, ginnen und -zeugen, für die eine wissenschaftliche Darstellung oft die Sowjetunion und Anna Szasz zum Schicksal ungarischer Roma. und Vellemans gründliche Recherchen sowie ihre kenntnisreichen Veranstaltungshinweise, neue Publikationen, genug im Widerspruch zu eigenen Erfahrungen steht. Am Beispiel Geringfügige Unklarheiten, die in der Zusammenschau aller und klugen Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Moral Nachrichten und Berichte aus Kultur und Wissenschaft der Diskussionen um Potsdamer Erinnerungsorte – das ehemalige Beiträge eines Heftes aufkommen, hätten durch sorgfältiges wissen- machen das Buch zu einer spannenden und lesenswerten Lektüre. sowjetische Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße, der Gedenk- schaftliches Lektorat und eine systematischere Einordnung in einen Die Verfasser skizzieren einleitend das Verhältnis von Recht www.facebook.com/fritz.bauer.institut stätte Lindenstraße sowie den Wiederaufbau der Garnisonskirche größeren Forschungszusammenhang in der Einleitung vermieden und Moral im Verständnis nationalsozialistischer Rechtstheoretiker. – zeigt Benz, wie »gegen das Bemühen kritischer und objektiver werden können. So diskutieren mehrere Texte des ersten Heftes einen Sie schildern Morgens Eintritt in die SS und zeichnen, nach einem

68 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 69 Im August 1946 sagte Morgen im Prozess gegen die Haupt- Frühe Kämpfe um die Erinnerung »Endlösung der Judenfrage« beraten worden war. Detailreich be- eigentlich?« (S. 31), fragte Schoenberner 1955 angesichts restau- kriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in schreibt Kühling das Engagement des polnisch-jüdischen Historikers rativ-antidemokratischer Tendenzen der Adenauerzeit. Diese Frage Nürnberg als Zeuge der Verteidigung aus. Dabei versuchte er die und Überlebenden Joseph Wulf, der hier seit den 1960er Jahren für und das Bedürfnis, zu einer nachhaltigen Demokratisierung dieses

SS reinzuwaschen, indem er alle offenbar gewordenen Verbrechen die Einrichtung eines »Internationalen Dokumentationszentrums für Landes beizutragen, trieben ihn zeitlebens um und motivierten auch korruptiven Tendenzen und einzelnen Personen in der SS anlastete. die Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerschei- sein geschichtspolitisches Engagement. Seine eigene Tätigkeit begann er schon damals als Widerstand gegen Gerd Kühling nungen« stritt. Dort sollten in alle Welt verstreute Dokumente über Personelle und ideelle Kontinuitäten aus der NS-Zeit, der die Verbrechen des NS-Regimes darzustellen. Besonders bekannt Erinnerung an nationalsozialistische das NS-Regime und seine Verbrechen gesammelt und zugänglich fortdauernde Antisemitismus, der reaktionäre Antikommunismus, geworden ist seine Darstellung seines Aufenthalts im Konzentra- Verbrechen in Berlin. Verfolgte des gemacht werden − ein Vorhaben, das sich unter den Prämissen des die anhaltende Bedrohung der Demokratie aus dem rechten politi- tions- und Vernichtungslager Auschwitz, in der er nicht nur seine Dritten Reiches und geschichtspolitisches Ost-West-Konfl ikts, aber auch aufgrund der Vorbehalte, die Wulf schen Spektrum und die verbreitete Schlussstrichmentalität − um Eindrücke aus dem Lager schilderte, sondern auch erklärte, dass Engagement im Kalten Krieg 1945–1979 vonseiten bundesdeutscher Historiker entgegenschlugen, als nicht diese Themen kreisen Schoenberners Zeitdiagnosen der 1950er und das Wissen um die Judenvernichtung zu dem Entschluss geführt Berlin: Metropol Verlag, 2016, 581 S., € 29,– realisierbar erwies. Erst 1992 konnte in der Villa die heutige Ge- 1960er Jahre. Spätere Texte befassen sich mit geschichts- und ge- habe, gegen die am Völkermord Beteiligten zu ermitteln: zwar nicht denkstätte eröffnet werden. denkstättenpolitischen Fragen, etwa mit der Entstehung des »Hauses »wegen der von dem Staatsoberhaupt befohlenen Tötungen«, wohl Gerhard Schönberner Kühlings Arbeit bietet keine grundlegend neuen Einsichten in der Wannseekonferenz« oder dem umstrittenen Holocaust-Mahnmal aber wegen Tötungen, »die außerhalb dieses Befehls oder gegen Nachlese. Texte zu Politik und Kultur die gedächtniskulturellen Dynamiken der ersten Nachkriegsjahr- in Berlin. diesen vorgenommen wurden«, um so eine »Erschütterung dieses Hamburg: Argument Verlag + Ariadne, zehnte. Ihr besonderer Wert liegt darin, dass sie ehemals Verfolgte Vielfach diskutierte er auch das deutsch-jüdische Verhältnis. Systems« (S. 221) herbeizuführen. 2016, 538 S., € 29,– als zentrale Akteure und Akteurinnen innerhalb dieser Dynamiken Hier kommt man indes kaum umhin, ein gewisses Ressentiment zu Im Schlusskapitel versuchen Pauer-Studer und Velleman das begreift und sie auf ihren prekären geschichtspolitischen Gratwan- konstatieren: In der Walser-Debatte mahnte Schoenberner vermeint- Verhalten Morgens, der 1982 in Frankfurt am Main verstarb, mora- derungen begleitet: zwischen Kooperation und Konfrontation mit liche »Sprecher der Juden« zu mehr »Abgemessenheit des Urteils« lisch zu bewerten. Dabei ziehen sie seine Darstellungen nur so weit in Die Kämpfe für eine Erinnerung an die einer Mehrheitsgesellschaft, die jenseits »antifaschistischer« oder (S. 270) und räsonierte darüber, ob »nicht auch viele Juden, wenn Zweifel, wie sich evidente Unwahrheiten aus den Quellen nachweisen NS-Verbrechen in der postnationalsozialis- »antitotalitärer« Pathosformeln nur sehr bedingt zu einer Auseinan- man es ihnen nur erlaubt hätte, Hitler gefolgt wären, solange nur lassen. So kommen sie zu dem Schluss, Morgen habe zwar einerseits tischen Gesellschaft setzten bereits unmit- dersetzung mit den NS-Verbrechen bereit war. In der streckenweise Kommunisten und Sozialdemokraten totgeschlagen worden wären« das Ethos der SS geteilt und an keinem Punkt dagegen rebelliert. Auf telbar nach Kriegsende ein. Wer aber waren allzu detaillierten Nacherzählung des empirischen Geschehens geht (S. 271 f.). Die öffentliche Kritik an den antisemitischen Implikati- der anderen Seite aber habe der industrielle Massenmord vermocht, die frühen Lobbyistinnen und Lobbyisten jedoch mitunter der rote Faden verloren. Eine stärkere Synthetisie- onen von Günter Grass’ Gedicht »Was gesagt werden muss« (2012) Morgens »persönliches Gewissen wachzurütteln, das von Nachrichten auf diesem Feld? Welche konkreten Anlie- rung der dargestellten Entwicklungen und resümierende Refl exionen interpretierte er als bloße »Schmutzkampagne« (S. 301) gegen den über Pogrome und Exekutionen zuvor nicht groß berührt worden war«. gen verfolgten sie? Mit welchen politischen entlang der forschungsleitenden Fragestellungen hätten der Arbeit befreundeten Autor. Doch auch Schoenberners Texte rund um An- Morgen habe »echte Anteilnahme für das Schicksal jüdischer Häftlin- und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen waren sie konfrontiert? an manchen Stellen gutgetan. ti- und Philosemitismus, speziell im Verhältnis zu seiner Lesart des ge« gezeigt und deren »Recht auf Leben« (S. 291) anerkannt. Daher Diesen Fragen geht Gerd Kühling in seiner Dissertation zum ge- Vielfältige Einblicke in die Geschichte des öffentlichen Ge- israelisch-palästinensischen Konfl ikts, können exemplarisch gelesen sprechen sie von einem »nicht immer intakten« (S. 301) Moralgefühl. schichtspolitischen Engagement ehemals Verfolgter in Berlin während dächtnisses an die NS-Verbrechen bietet auch die kürzlich veröffent- werden: Eindrücklich führen sie die notorischen Schwierigkeiten Die Auffassung, dass Morgens Persönlichkeit in dieser Hinsicht als der ersten Nachkriegsjahrzehnte nach. Sowohl der räumliche als auch lichte Nachlese des Publizisten Gerhard Schoenberner (1931–2012). deutscher Linker vor Augen, sich in diesem historisch-psychologisch »moralisch ambivalent« zu bewerten ist, wirkt jedoch nur plausibel, der zeitliche Horizont sind dabei klug gewählt: Berlin als Hotspot Als Mitinitiator der Ausstellung »Die Vergangenheit mahnt«, die ab vielfach aufgeladenen Spannungsfeld zu positionieren. wenn man, wie die Verfasser, annimmt, dass die Darstellung, die Mor- des Kalten Krieges und umkämpfter Symbolort in beiden deutschen 1960 in vielen westdeutschen Städten zu sehen war, war Schoen- Ohne das Wissen um den frühen Aktivismus von Überleben- gen in seinen Aussagen nach dem Krieg gegeben hat, in allen ihren Staaten; die Zeit zwischen 1945 und 1979 als eine Phase, die im berner ein Pionier der bundesrepublikanischen Aufklärungsarbeit zu den und ihren Mitstreitern und Mistreiterinnen ist die gegenwärtige Teilen zutrifft. Liest man aber etwa Morgens Aussage im Frankfurter vorherrschenden Narrativ derzeit eher als »Vorgeschichte« des ge- den NS-Verbrechen. Sein zeitgleich publizierter Dokumentarbild- Erinnerungskultur zu den NS-Verbrechen nicht zu verstehen. Die Auschwitz-Prozess aufmerksam durch, so stößt man auf eine Fülle von dächtniskulturellen Aufbruchs seit den 1980er Jahren gehandelt wird. band Der gelbe Stern. Die nationalsozialistische Judenverfolgung in Gedenkstättenbewegung der späten 1970er Jahre hat nicht bei Null Ungereimtheiten. Der Verdacht, dass es sich um eine nachträglich ent- Genaugenommen hat man es dabei mit zwei Studien zu tun: Die Europa 1933–1945 wurde vielfach neu aufgelegt und in zahlreiche angefangen, sondern muss als zeittypische Fortsetzung geschichtspo- wickelte Rechtfertigungslegende handelt, wird durch viele Befunde, erste behandelt Kämpfe um das öffentliche Gedächtnis an die NS- Sprachen übersetzt. Auch war Schoenberner prominent an der Ent- litischer Aushandlungsprozesse um den öffentlichen Raum begriffen die die Verfasser selbst vorlegen, erhärtet: so etwa durch einen Brief Verbrechen und deren Repräsentation im öffentlichen Raum zwischen wicklung der Westberliner Gedenklandschaft beteiligt. Früh setzte werden, die ihren Anfang bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Morgens vom Juli 1944, in dem er bekundet, durch eine Rede Himm- Kriegsende und Mauerbau. Akribisch verfolgt Kühling hier den zu- er sich mit Joseph Wulf für das erwähnte Dokumentationszentrum Jahre nahmen. Folglich sollte die gegenwärtige Erinnerungskultur zu lers in seiner Haltung bestärkt worden zu sein. Dass Morgen auch nehmenden geschichtspolitischen Antagonismus zwischen Ost und in der Wannsee-Villa ein. Später wurde er mit der Gründung der den NS-Verbrechen auch nicht als ultimative Errungenschaft einer noch im Auschwitz-Prozess seinen vermeintlichen Widerstand damit West und die daraus resultierende politische Spaltung und Ausdif- Gedenkstätte »Haus der Wannseekonferenz« betraut, die er bis 1996 spezifi schen »Generation Aufarbeitung« gedeutet werden, wie es begründete, dass der Massenmord moralische Korruption nach sich ferenzierung der Verfolgtenverbände. An zahlreichen Fallbeispielen leitete. Seit Beginn der 1980er Jahre engagierte er sich zudem für ein derzeit oft geschieht. Vielmehr ist sie als vorläufi ges (!) Ergebnis ziehe (plausibler wäre, den Massenmord als Ausdruck des Verlustes arbeitet er eindrucksvoll heraus, in welchem Ausmaß die Gegenwart »Aktives Museum« am Ort des ehemaligen Reichssicherheitshaupt- jahrzehntelanger Kämpfe um (gedächtnis-)kulturelle Hegemonie in angemessener moralischer Maßstäbe zu betrachten), macht deutlich, der Systemkonkurrenz auch die erinnerungskulturelle Gemengelage amtes und war somit ein Vorkämpfer auch der heute dort befi ndlichen der postnationalsozialistischen Gesellschaft zu denken. Die hier vor- dass sich auch nach 1945 wenig an seinen Maßstäben geändert hatte, in der »Frontstadt Berlin« und damit die Gestaltungsspielräume invol- »Topographie des Terrors«. gestellten Bücher leisten einen wertvollen Beitrag dazu, die frühen die ihn noch 1944 trotz seines Wissens um die Massenverbrechen mit vierter Akteure und Akteurinnen determinierte: Deren Anliegen ließen Die in dem Band versammelten Texte Schoenberners reichen Kämpfe um die Erinnerung wieder sichtbar und in ihren historischen Bewunderung auf Himmler blicken ließen. sich meist nur so weit durchsetzen, wie sie jeweiligen Entscheidungs- von 1946 bis 2012. Sie refl ektieren einen politisch-intellektuellen Bedingtheiten und Ambivalenzen nachvollziehbar zu machen. trägerinnen und Entscheidungsträgern ideologisch nutzbar schienen. Werdegang, der in vieler Hinsicht exemplarisch für das Selbst- Werner Konitzer Die zweite Studie widmet sich den Aushandlungsprozessen um und Weltverständnis einer ganzen Generation von Linken in der Cornelia Siebeck Berlin die Westberliner Wannsee-Villa, in der 1942 die Organisation der alten Bundesrepublik stehen kann. »In welchem Land leben wir Berlin/Bochum

70 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 71 »Zustimmung und Handlungsspielräume« existed for every individual, including police offi cers« (S. 60). Ber- Ein Mörder ohne Gewissen entziehen. Mehr noch, bereits im Sommer 1945 legte er unter falschem liner Polizeibeamte besaßen ebenso Handlungsspielräume wie viele Namen einen berufl ichen Neustart hin. Am 31. Januar 1951 begnadigte andere an der Verfolgung beteiligte Berliner. Im vierten Beitrag der amerikanische Hochkommissar John McCloy neun der zum Tod

befasst sich Peter Fritzsche mit den Kenntnissen der Deutschen über verurteilten Einsatzgruppenangehörigen und bestätigte vier Todesur- die »Endlösung«. Er stellt fest, dass das Wissen hierüber »extensive, teile. Mit Unterstützung der Regierung Adenauers und getragen von Susanna Schrafstetter, but deformed« war (S. 99) und die Deutschen vielfach wesentlich Alex J. Kay den gesellschaftlichen Eliten der jungen Bundesrepublik, war dem Alan E. Steinweis (Hrsg.) mehr über das Wüten der Mordkommandos gegen die sowjetischen The Making of an SS Killer. eine regelrecht hysterische Begnadigungskampagne vorhergegangen, The Germans and the Holocaust: Juden im zweiten Halbjahr 1941 wussten als über den Betrieb der The Life of Colonel Alfred Filbert, die sich nunmehr auch für die Aufhebung der letzten Todesurteile Popular Responses to the Persecution Vernichtungslager und das Vorhandensein von Gaskammern. 1905–1990 einsetzte. Filbert fühlte sich dadurch so sicher, dass er sich Ende April and Murder of the Jews Mitherausgeberin Susanna Schrafstetter untersucht in ihrem Cambridge: Cambridge University Press, 1951 unter seinem richtigen Namen als selbstständiger Wirtschafts- New York, Oxford: Berghahn Books, Beitrag das Untertauchen von Münchner Juden zwischen 1941 und 2016, 258 S., £ 18,99 berater in Mannheim anmeldete. Dass seine ehemaligen Kameraden 2016, XII + 186 S., $ 110,–/£ 78,– 1945. Sie konstatiert, dass die Überlebenschancen für untergetauchte Otto Ohlendorf, Erich Naumann, Paul Blobel und Werner Braune am Juden in München besser waren als in Berlin. Dies lag einerseits Im September 1947 begann vor dem Interna- 7. Juni 1951 im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg hingerichtet daran, dass es in Berlin die mit Abstand größte jüdische Gemeinde tionalen Militärgerichtshof in Nürnberg der wurden, schien ihn nicht weiter berührt zu haben. Dieser Sammelband geht auf ein Symposium über die deutsche Be- in Deutschland gegeben hatte, weswegen dort deutlich mehr Juden sogenannte Einsatzgruppenprozess. Angeklagt waren Kommandeure Ermittlungen der Westberliner Staatsanwaltschaft gegen Angehö- völkerung und die Verfolgung der Juden zurück, das im April 2012 auf der Flucht waren und entsprechend große Anstrengungen unter- der Einsatzgruppen (EG) wie auch Führer der Einsatz- und Sonder- rige des Reserve-Polizei-Bataillons 9 führten im Februar 1959 schließ- an der University of Vermont stattfand. Er besteht aus der Einleitung nommen wurden, sie zu fassen. Andererseits kamen viele Juden bei kommandos (EK/SK), die nach dem deutschen Überfall auf die Sowje- lich doch noch zur Verhaftung Filberts. Angeklagt wegen Mordes in der Herausgeber, jeweils drei Beiträgen von US-amerikanischen und den häufi gen alliierten Bombenangriffen auf die deutsche Hauptstadt tunion die Erschießung von mehr als einer Million Menschen hatten über 10.000 Fällen, verurteilte ihn ein Westberliner Gericht 1962 zu von deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie ums Leben, da sie es nicht wagten, Luftschutzbunker zu betreten. Im durchführen lassen. Im April 1948 sprach das Gericht die Urteile aus, lebenslanger Freiheitsstrafe. Filbert zeigte keine Reue, erging sich einem knappen Dokumentenanhang. Vier der Beiträge behandeln die abschließenden Beitrag fragt Atina Grossmann nach dem Zusam- 14 der 22 Angeklagten erhielten die Todesstrafe. SS-Obersturmbann- dafür in Selbstmitleid und sah sich als das eigentliche Opfer, auch weil Jahre 1933 bis 1945, während sich das erste und das letzte Kapitel menleben von nichtjüdischen Deutschen und jüdischen Vertriebenen, führer Alfred Filbert, von Juni bis Oktober 1941 als Chef des EK 9 der er aufgrund der regimefeindlichen Einstellung seines Bruders seine mit der Zeit vor der NS-Machtübernahme bzw. der Zeit unmittelbar vielfach aus Osteuropa, im Nachkriegsdeutschland. Es gab sowohl EG B für den Mord an über 18.000 sowjetischen Juden verantwortlich, Karriere in der SS nicht fortsetzen konnte. 1975 wurde er aus gesund- nach dem Ende des »Dritten Reiches« befassen. Proteste und Drohungen gegen Juden als auch sogar körperliche suchte man wie viele andere SD-Führer auf der Liste der Angeklagten heitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Er starb 1990 in Berlin. In seiner Untersuchung über den Antisemitismus in Deutschland Angriffe auf sie. Grossmann fasst eine Stellungnahme des Buch- vergebens. Alex J. Kay legt nunmehr eine Biografi e dieses eigentlich Der für SD-Führer in gewisser Weise prototypische Lebensweg zwischen 1890 und 1933 stellt Richard S. Levy fest, dass die An- enwald-Überlebenden Eugen Kogon zusammen, wonach »the very schon recht bekannten Direkttäters aus der mittleren Führungsebene Filberts hält dann aber doch noch eine geradezu bizarre Besonderheit haltspunkte für die Verbreitung des Antisemitismus unter den Deut- presence of the remnants had given rise to a new anti-Semitism, des Sicherheitsdienstes (SD) vor. Dabei lässt sich Filbert in keine bereit. Mitte der 1980er Jahre übernahm er in dem kontroversen schen »ambiguous« (S. 32) seien, sieht aber im Ersten Weltkrieg, driven by resentment of Jews as the visible but unwanted reminders bestimmte Kategorie von SD-Führern im Rahmen der Täterforschung Spielfi lm WUNDKANAL – HINRICHTUNG FÜR VIER STIMMEN (Frankreich, insbesondere ab 1916, dem Jahr der berüchtigten »Judenzählung« of German crimes« (S. 144). Hatte es im April 1948 noch 165.000 einordnen, unterschiedliche Motive trieben ihn zu seinen Mordtaten an. BRD 1984) die Hauptrolle – er spielte einen SS-Massenmörder, quasi im deutschen Heer, einen entscheidenden Wendepunkt. Frank Bajohr jüdische Vertriebene in Deutschland gegeben, sank deren Zahl bis 1905 in Darmstadt geboren und damit der Kriegsjugendgeneration sich selbst. Regisseur Thomas Harlan (1929–2010) hatte ihn insbe- analysiert in seinem Beitrag Reaktionen auf die Verfolgung der Juden September desselben Jahres auf nur noch 30.000. Grossmann sieht zuzuordnen, wuchs Filbert in einer Soldatenfamilie auf. 1932 trat er sondere zur Mitarbeit gewinnen können, weil Filbert dessen Vater bis 1940 anhand von drei veröffentlichten Quellensammlungen: in Deutschland der Nachkriegszeit »a strong and entirely accept[ed] der SS bei und wurde nach Abschluss seines Jurastudiums 1935 vom Veit Harlan (1899–1964), Regisseur des berüchtigten antisemitischen regimeinterne Lageberichte, Berichte ausländischer Diplomaten und anti-Semitism« (S. 148). Auch Moses Moskowitz, Offi zier der US- SD in ein hauptamtliches Dienstverhältnis übernommen. Schnell stieg NS-Spielfi lms JUD SÜSS (1940), verehrte. Diese grotesk-skurrile die Deutschland-Berichte des Exilvorstands der SPD. Bajohr merkt amerikanischen Streitkräfte, beobachtete unter den Deutschen 1946 der überzeugte Antisemit bis zum stellvertretenden Chef des Amtes VI Episode wird von Kay durch Interviews mit damals Beteiligten ganz an, dass die antijüdische Politik eine breite Akzeptanz und sogar eine »a painful lack of sympathetic understanding for the most tragic (SD-Ausland) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) auf, wurde in ausgezeichnet ausgeleuchtet. Dass Filbert für die Mitwirkung 50.000 mehrheitliche Zustimmung unter der deutschen Bevölkerung genoss, victims of Nazism« (Dokumentenanhang, S. 178). rascher Folge bis zum SS-Obersturmbannführer befördert. Die Verhaf- DM Honorar erhielt, macht sprachlos. insbesondere wenn es sich um gesetzliche Maßnahmen handelte. Die im Anhang abgedruckten Dokumente haben eine unmit- tung seines älteren Bruders Otto wegen regimekritischer Äußerungen Kays Arbeit, die bisweilen trocken daherkommt, ist akribisch re- Obwohl die systematische Ausgrenzung und Vertreibung der deut- telbare Relevanz für die vorangegangenen Beiträge und werden und dessen Einweisung in ein Konzentrationslager stoppte 1939 Filberts cherchiert, das Quellenverzeichnis weist Überlieferungen aus rund 30 schen Juden kaum Widerspruch erfuhr, gab es bei vielen Deutschen teilweise darin behandelt oder zitiert. Da der Umfang des Bands Laufbahn.1 Sich nicht wirklich um eine Haftentlassung des Bruders be- Archiven auf – allerdings stehen 85 Seiten Fußnotenapparat in einem eine Aversion gegen öffentlich sichtbare Gewalt. Bajohr schließt verhältnismäßig knapp ausfällt, hätten die Herausgeber den aus mühend, versuchte er seine Karriere wieder in Gang zu bringen. Selbst deutlichen Missverhältnis zu den eigentlich 126 Textseiten. Insgesamt daraus, dass es 1940 »no social consensus for the systematic mass nur 24 Seiten bestehenden Dokumentenanhang eventuell erweitern mitschießend, legte er mit besonderer Radikalität großen »Diensteifer« ergänzt Kays Arbeit das mittlerweile sehr gut erforschte Gebiet der SD- murder of the Jews« gab, dieser aber schließlich auch gar nicht können. Auch hätte ein sorgfältigeres Lektorat dem Band gutgetan. bei den Mordtaten seines Einsatzkommandos an den Tag. Vergebens, Führer und der Morde der Einsatzgruppen in der Sowjetunion, aus der erforderlich sei: Der antijüdische Konsens »proved suffi cient for Die meisten Kapitel, insbesondere aber die Einleitung der beiden weitere Beförderungen blieben aus, sein letzter Dienstposten als Ab- Michael Wildts Generation des Unbedingten2 noch immer herausragt. the purpose« (S. 52 f.). Herausgeber, weisen Tipp- und Rechtschreibfehler auf. Insgesamt teilungsleiter V B im RSHA wirkte wie ein Abstellgleis. Im vielleicht aufschlussreichsten Beitrag des Bandes untersucht ist der vorliegende Band ein interessanter und instruktiver Beitrag Filbert gelang es, sich nach Kriegsende nicht nur der alliierten Jens Westemeier Wolf Gruner Polizeiberichte und Prozessakten aus den Beständen zu einem bedeutenden und weiterhin viel diskutierten Aspekt der Strafverfolgung, sondern auch Gefangenschaft und Internierung zu Aachen des Landesarchivs Berlin, die »historians have never consulted in Holocaustforschung. this context«, hinsichtlich individuellen Reaktionen auf die Verfol- gung der Juden (S. 60). Er kommt zum wichtigen Schluss, dass das Alex J. Kay 1 Zu dieser ungewöhnlichen Konstellation siehe Alex J. Kay, »Ungleiche Brüder. 2 Michael Wildt, »Generation des Unbedingten«. Das Führungskorps des Reichssi- von ihm ausgewertete Quellenmaterial »demonstrates that choices Berlin Der SS-Massenmörder und der KZ-Häftling«, in: Einsicht 10 (2013), S. 49–55. cherheitshauptamtes, Hamburg 2003.

72 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 73 Umfassende Überblicksdarstellung Kinder zählten – stellt Fings die Reaktionen der Minderheit (etwa Das Fortleben des deutschen Judentums Lavsky, sei heute nur noch in Israel und Großbritannien aufzufi nden, eine große Flexibilität in der Ausübung von Erwerbstätigkeit wie in der Emigration in Amerika hingegen fast spurlos verschwunden. auch die Intensivierung der Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft) Indem die Verfasserin die Jahre 1933 bis 1938 mit den Instru-

gegenüber. Aus ideengeschichtlicher Perspektive betont sie die He- mentarien der vergleichenden Migrationsforschung untersucht, kann rausbildung des modernen Rassismus, wobei die Schriften etwa sie tiefe Einblicke in das komplizierte Gefl echt jüdischer Migration Karola Fings eines Arthur de Gobineau von denen zahlreicher Anthropologen und der Zwischenkriegszeit geben. In der Gegenüberstellung von pull- Sinti und Roma. Ethnologen fl ankiert werden. Im Ergebnis wurden alle Klischees Hagit Lavsky und push-Faktoren zeigt sich, dass für die Emigrationsentscheidung Geschichte einer Minderheit und Vorurteile über »Zigeuner« »nun kategorisiert und als Erbgut The Creation of the German-Jewish nicht allein der Auswanderungsdruck – nach 1933 zunehmend durch München: C.H. Beck, 2016, 128 S., € 8,95 eines angeblichen fremden und die Europäer zersetzenden Volkes Diaspora. Interwar German-Jewish die nationalsozialistische Politik forciert – ausschlaggebend war, kanonisiert« (S. 55 f.). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte Immigration to Palestine, the USA, sondern immer auch die Perspektiven im potenziellen Aufnahme- sich die polizeiliche Erfassung der Roma. Polizeifotografi en stellten and England land abgewogen wurden. Schlussendlich, so zeigt Lavsky deutlich, Karola Fings gelingt das Kunststück, auf nur Roma als besonderen Verbrechertypus dar, sie wurden in diversen Berlin: DeGruyter, 2017, 154 S., € 59,95 war diese Entscheidung immer eine sehr individuelle. Die Studie 128 Seiten die über 600-jährige Geschichte europäischen Karteien erfasst und mit Ausweisen versehen, die ihnen hebt sich wohltuend von einer Forschungstradition ab, in der das der Roma und Sinti in Europa nachzuzeichnen. Die Geschichte einer einen Sonderstatus außerhalb der Gesellschaft zuwiesen. Gleichwohl Jüdische Geschichte ist per se eine transna- rückblickende Urteil zur Maßgabe der Darstellung gemacht wird: Minderheit macht, wie Fings betont, auch den kritischen Blick »auf konnten sich die Sinti und Roma als eine eigenständige, wenn auch tionale. Dass jüdische Migrationsgeschichte Warum sind die deutschen Juden nicht eher ausgewandert oder wie die gesellschaftlichen Prozesse, die Zuschreibungen und Exklu- heterogene Gruppe etablieren: Von bitterer Armut bis hin zu groß- daher erst recht nur in transnationaler Perspektive erforscht werden erfolgreich waren sie in der Emigration? Lavsky hingegen wertet sionspraktiken seitens der Mehrheitsgesellschaft hervorbringen« bürgerlichem Wohlstand reichten die Lebensverhältnisse. kann, scheint evident. Und trotzdem wird diese noch immer haupt- nicht, sondern möchte verstehen. (S. 10), unabdingbar. Das folgende Kapitel befasst sich mit dem nationalsozialistischen sächlich im nationalen Rahmen betrieben. In The Creation of the Besonders eindrucksvoll gelingt ihr dies in der Darstellung der Die Darstellung gliedert sich in vier große Kapitel. Im ersten Völkermord an den Sinti und Roma, dem zwischen 200.000 und German-Jewish Diaspora richtet sich die Historikerin Hagit Lavsky deutsch-jüdischen Immigration nach Palästina. Hiervon fällt die Aus- Abschnitt (»Mehrheit und Minderheit«) legt Fings die theoretische 500.000 Menschen zum Opfer fi elen. Durch die Nürnberger Gesetze gegen diese nationale Selbstbeschränkung und bietet eine »compa- einandersetzung mit Großbritannien und Amerika jedoch ab. Das Basis für ihre Darstellung. Zunächst stellt sie die verschiedenen gelangten ab 1935 auch Sinti und Roma in den Fokus der NS-Rassen- rative migration history« (S. 2), indem sie die jüdische Zwischen- hängt auch damit zusammen, dass die von der Verfasserin herange- Selbstbezeichnungen der in sich heterogenen Minderheit und Roma- politik. Gutachten der »Rassenhygienischen und bevölkerungsbio- kriegsmigration von Deutschland nach Großbritannien, Palästina und zogene Forschungsliteratur insgesamt etwas dünn und bisweilen auch nes als gesprochene, erst im 20. Jahrhundert verschriftlichte Sprache logischen Forschungsstelle« (mit Einstufungen als »Zigeuner«, »Zi- in die Vereinigten Staaten von Amerika untersucht. Im Blickpunkt veraltet ist. Gerade jüngere Arbeiten zur deutsch-jüdischen Migration vieler Roma vor. Aufschlussreich ist der Vergleich der verschiedenen geunermischling« oder »Nichtzigeuner«) und Erfassungen durch die stehen dabei die nationalen Einwanderungssysteme, demografi sche, nach Amerika (Cornelia Wilhelm, Michael A. Meyer), Großbritannien nationalen Politiken: Während in der frühen Sowjetunion Romanes ab 1938 in Berlin befi ndliche »Reichszentrale zur Bekämpfung des politische und sozioökonomische Faktoren der Eingliederung sowie (Astrid Zajdband), Palästina (Christian Kraft) oder in allgemeinerer als eine der Nationalsprachen anerkannt war und die Schriftspra- Zigeunerunwesens« waren die Grundlage für Berufsverbote, kommu- der Einfl uss der Immigrantinnen und Immigranten auf die Einwande- Perspektive (Fritz Kieffer, Dan Michman) wurden nicht zur Kenntnis che von der Minderheit selbst verwendet wurde, nutzten sie in den nale Lager und Zwangssterilisationen. 1939 begann die Vernichtung rungsgesellschaften und deren jüdische Gemeinschaften. Es handelt genommen. Dabei sind es gerade diese Arbeiten, die in jüngster Zeit anderen Staaten nur Linguisten der Mehrheitsgesellschaft. Auch in der Sinti und Roma: Fings zeichnet einen gesellschaftlichen Prozess sich hierbei um einen schmalen Band, der dennoch einen guten histo- die Forschung zu diesen Themen bereichert haben. der historischen Darstellung geht Fings über den deutschsprachi- kollektiver Gewalt unter breiter Beteiligung von Wissenschaft und rischen Überblick bietet. Dieser wird immer wieder durch individuelle Zwar schafft es Lavsky, mit ihrer vergleichenden Darstellung die gen Raum hinaus und bezieht kontrastierend die Entwicklungen in Verwaltung, von Hilfswilligen und Profi teuren nach. Sie zeigt dabei Migrationsgeschichten untermauert und damit die Politikgeschichte Perspektive auf das Thema zu erweitern, versäumt es dabei jedoch, anderen europäischen Staaten mit ein. Im Unterkapitel »Wissens- auch die Selbstbehauptungsstrategien der Opfer wie Flucht, aber auch gekonnt mit der Sozialgeschichte verknüpft. Angereichert ist der Band die vier Regionen stärker miteinander zu verknüpfen, anstatt sie diskurse« analysiert sie literarische und pseudowissenschaftliche Teilnahme am Kampf gegen den Nationalsozialismus in regulären überdies mit einer Vielzahl an Fotos, Statistiken und Tabellen. nur nebeneinanderzustellen. Besonders die enge Zusammenarbeit Bildproduktionen als stereotype Konstruktionen des »Zigeuners«, Armeen oder Partisaneneinheiten in ganz Europa. In Abgrenzung von einer Forschungstradition, in der die deutsch- jüdischer Organisationen und Repräsentantinnen und Repräsentanten deren Zählebigkeit sich für den deutschen Sprachraum schon anhand Abschließend stellt Fings ausgehend von der Lebenssituation jüdische Migration nach 1933 unter dem Blickwinkel von »Flucht aus Deutschland, Palästina, Großbritannien und den Vereinigten der Einträge in der Brockhaus-Enzyklopädie, die von 1796 an bis traumatisierter Überlebender und den von vielen als zweite Verfolgung und Vertreibung« betrachtet wird, betont Lavsky, dass sich die Migra- Staaten – vor allem zwischen 1935 und 1936 – hätte über die Ver- in die 1980er Jahre den gleichen Tenor hatten, gut nachverfolgen empfundenen Reaktionen auf ihre Bemühungen um »Wiedergutma- tionsgründe und -faktoren vor und nach 1933 nur graduell voneinan- schränkungen Auskunft geben können, ohne die die tatsächlichen lässt. Als Beleg der beharrlichen Weitergabe antiziganistischer Bilder chung« die Ausdifferenzierung der nationalen und internationalen der unterschieden. Auch nach 1933 handelte es sich demzufolge bei Migrationsbewegungen und ihre Hürden wohl kaum zu verstehen und Stereotype über die Jahrhunderte hinweg wäre ein Blick auf die Bürgerrechtsbewegungen dar und analysiert die – wenig erfolgreiche der Auswanderung überwiegend um einen »act of choice« (S. 4) und sind. Letztlich ist die Arbeit etwas zu detailliert und kleinteilig sowie Kinderliteratur und ihre Bildproduktion lohnenswert gewesen. Seit – Integrationspolitik der EU. Erst jüngst intensivierten Sinti und Roma somit eine »›voluntary‹ emigration« (S. 47). Im Vergleich der drei mit neun Kapiteln und vielen weiteren Unterkapiteln zu sehr zer- den 1980ern üben Bürgerrechtsbewegungen zunehmend Kritik am das Bestreben, ihre Geschichte selbst zu schreiben und die Darstellung Destinationen – so vielleicht die Haupterkenntnis des Buchs – lässt gliedert. Größere Fragen, die über den unmittelbaren Gegenstands- historisch gewachsenen Antiziganismus: Gewalttaten gegen Sinti ihrer Kultur selbst zu defi nieren: Das 2016 in Berlin gegründete Eu- sich kein allgemeines Muster herauslesen. Deutsch-jüdische Migrati- bereich hinausgehen, werden somit kaum erörtert. Nichtsdestotrotz und Roma werden publik gemacht, ihre strukturelle Stigmatisierung ropean Roma Institut dient dem Abbau von Vorurteilen, der Stärkung on in die Vereinigten Staaten war über den gesamten Zeitraum hinweg wird an der Arbeit zukünftig nicht vorbeikommen, wer sich mit der benannt. Immer mehr Sinti und Roma, etwa im Literatur- und Kul- des Selbstbewusstseins und der Überwindung des stigmatisierenden möglich, nach Palästina nur bis ungefähr 1936, nach Großbritannien (deutsch)-jüdischen Migrationsgeschichte der Zwischenkriegszeit turbetrieb, bekennen sich öffentlich zu den Minderheitengruppen. Redens über Sinti und Roma. Kurz gesagt: Fings hat auf knappem eigentlich erst nach dem Novemberpogrom 1938. Während sich die beschäftigen will, sei es wegen der transnationalen Perspektive, we- Das zweite Kapitel führt bis in die späten 1920er Jahre: Den mit Raum eine umfassende Überblicksdarstellung der Geschichte der Sinti deutschen Juden in Amerika relativ unproblematisch integrierten, gen des systematischen Vergleichs oder auch nur wegen des hervor- der Entstehung der Nationalstaaten und der Herausbildung des Bür- und Roma vorgelegt, die zudem glänzend geschrieben ist. standen ihnen in Großbritannien hohe Hürden im Weg. In Palästina ragend aufbereiteten und zur Verfügung gestellten Zahlenmaterials. gertums in Europa einhergehenden Exklusionspraktiken der Mehr- wiederum entstand eine Kluft zwischen recht reibungsloser sozialer heitsgesellschaft – wozu Strafandrohungen, Ansiedlungsverbote, Petra Maurer und ökonomischer Integration auf der einen, aber politischer Ab- und David Jünger Zwangsarbeit, Zwangsassimilationen oder auch die Wegnahme der Bremen Ausgrenzung auf der anderen Seite. Das deutsch-jüdische Erbe, so Washington D.C.

74 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 75 »… kein schöner Anblick« Unverblümt berichtete dieser seiner Familie nicht nur von den Von Verlust und Ankommen Kulturtransfers, Kulturkämpfe«) befassen sich unter anderem Anja Gefahren des Krieges, sondern auch von dem äußerst rücksichtslosen Siegemund mit der »Alija Chadascha«, der sogenannten fünften Vorgehen der Wehrmacht und den Verbrechen an Kriegsgefangenen, Aliyah aus den deutschsprachigen Ländern in den 1930er Jahren,

Partisanen und Zivilisten: Bereits am 23. Juni 1941, dem Tag nach und deren Einfl uss auf die politische Gestaltung der Stadt Haifa, dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion, schrieb er an Christiane Reves mit der renommierten technischen Universität Johannes Hürter (Hrsg.) seine Familie: »Der Russe führt überhaupt hintertückisch Krieg. Un- Anja Siegemund (Hrsg.) »Technion« als einer »Filiale Preussens am Carmel« und somit mit Notizen aus dem Vernichtungskrieg. sere Leute haben daraufhin mehrfach stark aufgeräumt, ohne Gnade.« »Deutsche und zentraleuropäische Juden der Tradition deutscher Wissenschaftskultur in Haifa, Ofer Ashkena- Die Ostfront 1941/42 in den (S. 43) Am 8. Juli teilte er seiner Frau mit, man habe eine Kommunistin in Palästina und Israel«. zi mit »Sport als Identitätspolitik« und Viola Alianov-Rautenberg mit Aufzeichnungen des Generals Heinrici erschießen müssen, die »versprengte Russen verpfl egte und gegen uns Kulturtransfers, Lebenswelten, Identitäten. den alten und neuen Rollen der »jeckischen Hausfrauen«. Anhand Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell- mit allen Mitteln arbeitete« (S. 48). Ebenso offen berichtete er über die Beispiele aus Haifa von Interviews und Tagebüchern untersucht sie, wie die Frauen schaft, 2016, 248 S., € 39,95 Umsetzung des sogenannten Kommissarbefehls, der die Ermordung Berlin: Neofelis Verlag, 2016, 514 S., zwischen ihren bürgerlichen Standards und Ansprüchen einerseits von Politoffi zieren der Roten Armee anordnete. Bemerkenswerter- € 39,– und der fremden und oft sehr unbequemen und provisorischen Re- Ehemalige hochrangige Offi ziere prägten weise bedauerte Heinrici die Feldgendarmen, die die Morde verüben alität andererseits hin- und hergerissen waren. Harte körperliche mit ihren apologetischen Schriften maß- »mussten«. Am 21. November notierte er in seinem Tagebuch, dass Die Geschichte der Jeckes, der deutschen Juden in Israel, wurde Arbeit, fremdartige Lebensmittel und Gepfl ogenheiten, die wirt- geblich das Bild der Wehrmacht und des Zweiten Weltkriegs in er »das Ende eines Kommissars« erlebt habe: »Nicht schön für unsere bisher meist als eine »Beitragsgeschichte« geschrieben. Meist wird schaftliche Notwendigkeit zusätzlicher Lohnarbeit – all dies stand der jungen Bundesrepublik: So legte beispielsweise der ehemalige Leute« (S. 93). Auch die erbarmungslose Ermordung von Partisanen gefragt, welchen Anteil die aus den deutschsprachigen Ländern ein- im Widerspruch zum erlernten »bürgerlichen Wertekodex« (S. 212), Generaloberst und Chef des Generalstabs des Heeres Heinz Guderian verzeichnete er immer wieder. Am 5. November 1941 berichtete er gewanderten Juden am Jishuw sowie am 1948 gegründeten Staat der Familie einen behaglichen Haushalt zu bieten. In der Summe, so bereits 1951 seine Erinnerungen eines Soldaten vor, und der frühere seiner Familie: »Dem Dolmetscher [Beutelsbacher] ist es gelungen, in Israel hatten und haben. Dabei interessiert vor allem, ob und inwie- analysiert die Autorin, stünden damit die oft übersehenen »berufl i- Feldmarschall Erich von Manstein beklagte 1955 Verlorene Siege. In den verfl ossenen 3 Tagen 15 [Partisanen] zu fangen und zu erledigen, fern eine »Integration« gelungen sei. chen Veränderungen und Anpassungsleistungen« der weiblichen Ein- ihren »Erinnerungen« gaben sich die Generäle a. D. betont unpoli- darunter mehrere Frauen.« (S. 86 f.) Zwei Tage später hielt er mitleids- Abgesehen davon, dass der Begriff der »Jeckes« sich über die wanderinnen dem der Männer in ihrer Dramatik oftmals nicht nach. tisch, unterstrichen den heldenhaften Kampf deutscher Landser und los fest: »Ich sage Beutelsbacher, er soll Partisanen nicht 100 m vor Jahrzehnte gewandelt habe und bis heute mit Klischees beladen sei, Im dritten Abschnitt (»Menschen, Familien, Generationen«) wälzten militärische Fehlentscheidungen und vor allem die Verant- meinem Fenster aufhängen. Am Morgen kein schöner Anblick.« (S. 88) werde laut Anja Siegemund dabei übersehen, dass es sich bei ihnen befasst sich Ruthi Ofek mit dem bekannten Künstler Hermann wortung für alle Kriegsverbrechen auf Hitler und das NS-Regime ab. Immer wieder thematisierte Heinrici die Ausplünderung der be- um eine heterogene Gruppe handelte. Mit ihrem Band verfolgt die Struck. In Berlin aufgewachsen, wanderte dieser mit seiner Frau Auch der frühere Generaloberst Gotthard Heinrici (*1886), der setzten Gebiete. So machte er sich am 12. September Hoffnung, dass Herausgeberin den Anspruch, Geschichte(n) aus der Binnenperspek- bereits im Jahr 1922 nach Haifa ein. Sein Zionismus bezog sich von 1941 bis 1945 an der Ostfront im Einsatz war, bemühte sich bis zu »aus den eroberten Gebieten für das kommende Ernährungsjahr man- tive der Akteure erzählen zu lassen. Die 25 Autorinnen und Autoren spezifi sch auf diese Stadt, in seinen Kunstwerken hielt er deren seinem Tod 1971 darum, die Wehrmachtsgeneralität zu rehabilitieren. ches herauszuholen« sei (S. 63). Zunächst aber war die Wehrmacht fast des reich bebilderten Sammelbandes waren aufgefordert, sich mit Landschaft, Strände und Bewohner fest. In seiner Wohnungsein- Sein umfangreicher Nachlass, der im Bundesarchiv-Militärarchiv in vollständig auf die Ressourcen der besetzten Gebiete angewiesen. Am einem kulturgeschichtlichen Ansatz der Frage zu nähern, wie in richtung wie auch in seinen Gewohnheiten und seinem Kleidungsstil Freiburg verwahrt wird und der unter anderem Briefe und Berichte an 19. November berichtete er dementsprechend seiner Familie: »Un- konkreten Fällen die Akkulturation der deutschsprachigen Juden »refl ektierte« Struck Zentraleuropa und entsprach damit durchaus Familienangehörige sowie Tagebücher umfasst, lässt hingegen keinen sere Nachschubverbindungen sind noch immer höchst kümmerliche. und der Kulturtransfer zwischen der alten und der neuen Heimat dem typischen Bild eines »Jecken« (S. 271). Im vierten Abschnitt Zweifel über Heinricis politische Gesinnung und die Verbrechen der […] Das bedeutet, daß wir fast ganz aus dem Lande leben müssen.« ablief. Wichtig war Siegemund, ein Mosaik statt eines kohärenten (»Gedächtnisse, Tradierungen, Hinterlassenschaften«) stellt unter Wehrmacht in der Sowjetunion aufkommen. Johannes Hürter, wissen- (S. 92) Während Heinrici bereits am 1. August 1941 seiner Frau Narrativs zu zeichnen. Die Hafenstadt Haifa steht im Fokus, da sie anderem Linde Apel unter dem Titel »Nichts Besonderes erlebt?« schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München und schrieb, es hätten sich »alle Leute in dem Russen verschätzt« (S. 53), zum einen eine sehr jeckisch geprägte Stadt war, zum anderen neben ihr Oral-History-Projekt zu den Emigrationserfahrungen junger Experte für den »Ostkrieg«, veröffentlichte anlässlich des 75. Jahrestags und am 1. September feststellte, »daß dieser Krieg noch lange dauert« den intellektuellen Zentren Tel Aviv und Jerusalem in der Forschung deutsch-jüdischer Frauen und Mädchen vor, die in einer männlich des Überfalls auf die Sowjetunion eine Auswahl von Texten Heinricis, (S. 59), kritisierte er erst mit dem endgültigen Erlahmen des deut- bisher noch unterbelichtet ist. dominierten Erinnerungskultur bisher nicht als »Zeitzeuginnen mit die den Vernichtungskrieg in den Jahren 1941/42 und die Ausplünde- schen Vormarschs im Herbst, den im Winter zunehmend bedrohlichen Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil (»An- historisch relevanten Erlebnissen« (S. 400) gegolten hätten. Da die rung der besetzten Gebiete umfangreich dokumentieren und über eine Vorstößen der Roten Armee und den damit verbundenen erheblichen näherungen. Die Jeckes und Haifa«) refl ektiert beispielsweise Jo- meisten nicht zionistisch organisiert waren, stünden sie selbst un- ebenfalls von Hürter verantwortete frühere Auswahl hinausgehen.1 Verlusten der Wehrmacht in seinen Briefen und Aufzeichnungen die achim Schlör über »Abschied, Transit, Ankunft«: Von allen fünf ter dem Eindruck, »nichts Besonderes erlebt« zu haben. Für Apel Gotthard Heinrici war ein »traditioneller rechter Nationalist« oberste militärische und politische Führung. Am Weihnachtsabend klassischen Einwanderungswellen (Alijot) fänden sich Dokumente zeigen ihre individuellen Lebensgeschichten jedoch das allgemeine (S. 14) und Antisemit – dies, obgleich seine Frau nach NS-Kategorien 1941 schrieb er an seine Frau: »Das Verhängnis schreitet fort«, aber zu Erinnerungen an den Moment des Aufbruchs und der Ankunft Motiv des »Herausgerissen-Werden« und der Ankunft in der Fremde »Halbjüdin« war. Er war überzeugt, dass »die Juden« die kriegstrei- »oben, in Berlin« wolle es niemand sehen (S. 122). in Haifa, das eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft bedeutete. (S. 417), die so das Bild vom Alltagsleben einer Generation zeichnen. benden Kräfte seien. Wie Hürter einleitend zeigt, prägten bereits vor Die von Johannes Hürter edierten Dokumente spiegeln eindrucks- Sie belegen, dass die »›Ankunft‹ nicht nur ein kurzer historischer Anschaulich macht den Band auch die reiche Bebilderung des dem deutschen Überfall rassistische Ressentiments und antibolsche- voll die frühe Erkenntnis des Scheiterns der deutschen Kriegspläne in Moment« (S. 68) sei, sondern ein langer Prozess, in dem die Ange- alltäglichen Lebens in Haifa in den 1930er und 1940er Jahren mit wistische Feindbilder Heinricis Wahrnehmung der Sowjetunion. der militärischen Führung an der Front wider. Vor allem aber verdeutli- kommenen noch über Jahre und Jahrzehnte Furcht vor einer erneuten Fotos aus Privatbeständen. Als Mosaik verstanden, skizziert dieses chen sie die Alltäglichkeit der Kriegsverbrechen – und stehen hiermit im Entwurzelung empfanden. Die Erfahrung aus der NS-Zeit, »fremd Buch viele Einzelschicksale und bietet neue Perspektiven auf die Widerspruch zu den öffentlichen Erinnerungen und Selbststilisierungen gemacht worden zu sein, ist aus Europa mit eingewandert« (S. 73). Geschichte der Jeckes in Israel, die den bisherigen Forschungsstand deutscher Generäle nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik. Sowohl die, wenn auch erzwungene, Ausreise aus Europa als auch bereichern dürften. 1 Anlässlich des 60. Jahrestags des Überfalls auf die Sowjetunion hat Johannes die Kontakte zur einheimischen arabischen Bevölkerung wurden zur Hürter eine einerseits ausführlicher eingeleitete, andererseits aber knapper gehal- tene Dokumentenauswahl veröffentlicht: Ein deutscher General an der Ostfront. Jörg Osterloh kulturellen Praxis. Die Stadt Haifa ist zu einem »Speicher europäi- Jenny Hestermann Die Briefe und Tagebücher des Gotthard Heinrici 1941/42, Erfurt 2001. Fritz Bauer Institut scher Erinnerungen« geworden. Im zweiten Teil (»Akkulturationen, Fritz Bauer Institut

76 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 77 Die mächtige Gewohnheit F. C. Weiskopf und Louis Fürnberg macht Gerber diese Bedeutung Der Fall Lewin jüdischer Patienten sicherzustellen hatten. Im Oktober 1941 wurde transparent. Als in Böhmen und Mähren geborene, deutsch akkultu- er gemeinsam mit seiner Frau Alice und tausend anderen Kölner rierte, multilinguale Kommunisten jüdischer Herkunft, die den Zwei- Juden in das Ghetto Litzmanstadt deportiert, wo beide als Ärzte

ten Weltkrieg in Jugoslawien, Jerusalem und New York überlebten, arbeiteten. Nach der Aufl ösung des Ghettos wurden sie im Sommer kommt ihnen in der Darstellung der ethnisch-sozialen Gemengelage 1944 nach Auschwitz transportiert. Alice Lewins Spur verliert sich Jan Gerber der ČSR, der kommunistischen Verfolgung von vermeintlichen »Ti- Rebecca Schwoch später im KZ Flossenbürg. Herbert Lewin überlebte knapp einen Ein Prozess in Prag. Das Volk gegen toisten«, »Zionisten« und »Kosmopoliten« sowie der Entwicklung Herbert Lewin. Arzt – Überlebender – der Todesmärsche. Rudolf Slánský und Genossen der sozialistischen Tschechoslowakei zu einer ethnisch und sozial Zentralratspräsident Nach dem Krieg konnte Lewin seine Habilitation in Köln nach- Göttingen, Bristol, CT: Vandenhoeck & homogenisierten Volksdemokratie eine paradigmatische Bedeutung Jüdische Miniaturen, Bd. 186 holen. 1949 folgte das erwähnte skandalöse Berufungsverfahren Ruprecht, 2016, 296 S., 45,– € zu. Dass die einzelnen Kapitel nach Titeln ihrer Werke benannt sind, Berlin: Hentrich & Hentrich, 2016, für eine Chefarztstelle in Offenbach. Es ist mehr als bedauerlich, unterstreicht den gelungenen Zugriff Gerbers: »ihr literarisches Werk 94 S., € 9,90 dass die Hauptamtsakten und die Magistratsunterlagen der Stadt wird zur historischen Quelle« (S. 18). Gerade weil die Vermengung weiterhin Sperrfristen unterliegen. So beruht Rebecca Schwochs Der Titel von Jan Gerbers Habilitations- von ethnischen und sozialen Kategorien in der Tschechoslowakei der Darstellung auf den damaligen Presseberichten: Nachdem der Ma- schrift ist gleichermaßen irritierend wie marxistisch-geschichtsphilosophischen Überzeugung Weiskopfs und Als 1949 der Magistrat der Stadt Offenbach die Wahl von Herbert gistrat – sozusagen zu seiner eigenen Überraschung – in geheimer bezeichnend: Irritierend, weil hier keineswegs allein der berüch- Fürnbergs widersprach, sensibilisierte sie ihre spezifi sche Erfahrung Lewin zum Leiter der Frauenklink mit rassistischen Begründungen Wahl Lewin mit einer Stimme Mehrheit gewählt hatte, entspann tigte Schauprozess behandelt wird, der Ende 1952 die stalinistische als »Minderheit innerhalb einer nationalen Minderheit« (F. C. Weis- ablehnte, löste dies den ersten antisemitischen Skandal der Bundes- sich demnach eine interne Debatte, in der Bürgermeister Dr. Karl Säuberung der kommunistischen Parteien des Ostblocks abschloss, kopf) für die damit verbundenen politischen Konsequenzen, die im republik aus, der als der »Fall Lewin« in die Geschichte einging. Kasperkowitz (CDU) mit der Warnung vor Lewin als einem Mann auch wenn dieser Prozess den permanenten Referenzpunkt der Slánský-Prozess ihren Höhepunkt erreichten. Dessen eindeutig anti- Das lohnenswerte Buch von Rebecca Schwoch würdigt nun mit den »Ressentiments seiner Rasse und dem Rachegefühl ei- Darstellung bildet. Vielmehr geht es um eine Neubewertung sei- semitische Stoßrichtung veranlasste Weiskopf und Fürnberg 1953/54 Arbeit und Leben des 1899 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns nes KZlers« (67) auf Neuwahl gedrängt haben soll. In der Presse ner Vorgeschichte, was konkret bedeutet: um die Geschichte der dazu, in die DDR überzusiedeln – eine Rückkehr nach Deutschland, in Posen geborenen und 1982 in Wiesbaden verstorbenen Medizi- fanden sich bald Titel wie: »Magistrat lehnt Arzt wegen jüdischer Tschechoslowakei, ihrer kommunistischen Partei (KPČ) sowie der die ihnen 1945 aufgrund des Holocaust unvorstellbar erschienen war. ners Herbert Lewin. Ähnlich wie beim Berufsstand der Juristen, wo Abstammung ab«, »Rassenwahn in Offenbach«. Am Ende wurde sozialen und ethnischen Konfl iktlinien des Landes, die in Habsburger Während die historisch bedingte »doppelte (soziale und ethnische) personelle Kontinuitäten aus NS-Zeiten weit in die Geschichte der Lewins Wahl bestätigt, und beide für die Neuwahl verantwortlichen Zeiten zurückreichten und erst in der sozialistischen »Volksdemo- Verschlüsselung« der politischen Verhältnisse in der ČSR einen anti- Bundesrepublik ragten, setzte auch die Forschung zur Entrechtung Bürgermeister verloren ihr Amt. kratie« ein nominelles, vorläufi ges Ende fanden. Deswegen ist der semitischen Schauprozess hervorbrachte, war in der DDR die »sozia- und Verfolgung jüdischer Ärzte im Nationalsozialismus verzögert Die Studie thematisiert auch Lewins außerberufl iche Aktivitäten Titel gleichermaßen bezeichnend: Denn Gerber arbeitet anschaulich le Semantik der Klasse keine Chiffre für ethnische Fragen« (S. 231), ein. Schwochs Biographie ist eingebettet in die von vielen Hemmnis- und legt nahe, dass sich nach dem Krieg seine SPD-nahen sozialpo- heraus, wie in der spezifi schen tschechoslowakischen Konstellation so Gerber. Der Slánský-Prozess nahm seinen Ausgang also nicht in sen geprägte deutsch-jüdische Emanzipationsgeschichte. Das betraf litischen Engagements hin zu jüdischen Belangen verschoben hätten. die Präsenz verschiedener ethnischer Minderheiten – insbesondere Moskau, sondern in der Vermischung ethnischer und sozialer Kate- auch den Arztberuf. Eine Position als Ordinarius an einer Universität Leider führt Schwoch mögliche Motive hierfür nicht an. Fest steht: von Deutschen und Ungarn, den Habsburger Dominanznationen – gorien in der tschechoslowakischen Geschichte, durch welche Juden blieb Juden schon in der Weimarer Republik oft verwehrt. Auch Lewin hatte bereits 1946 den Vorsitz der Kölner Jüdischen Gemeinde die soziale Wahrnehmung und Konfl iktlage affi zierte. So konnte die als Agenten fremder Mächte identifi ziert wurden. Wie im polnisch- Herbert Lewin erhielt erst 1965 in Frankfurt am Mai ein Ordinariat übernommen, seit 1957 führte er den Landesverband der Jüdischen KPČ, obwohl als einzige Partei der Zwischenkriegszeit gesamtstaat- ukrainisch-litauisch-belarussischen Raum, dessen blutige ethnische als Wiedergutmachungsleistung, als er allerdings bereits vor seiner Gemeinden in Hessen. 1963 trat er schließlich die Nachfolge von lich organisiert und orientiert, nicht beanspruchen, für die Interessen Homogenisierung Stalin infolge des unter großen Opfern erkämpften Pensionierung stand. Heinz Galinski als Präsident des Zentralrates der Juden in Deutsch- des werktätigen Volks der Tschechoslowakei zu kämpfen, vielmehr Rückzugs der Wehrmacht ermöglichte und forcierte,1 war auch in der Andererseits bot eine Tätigkeit als frei niedergelassener Arzt land an. Seine Abscheu vor Interviews spiegelt seine Einschätzung für dessen Völker. Erst die Aussiedlung der Sudetendeutschen und tschechoslowakischen Volksdemokratie der Klassenkampf letztlich sozialen Status und fi nanzielle Unabhängigkeit, weshalb sich viele der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft: »Jedes Interview … der slowakisch-ungarische Bevölkerungstausch sorgten nach dem ein Code für ethnische Konfl ikte und hatten die Verwerfungen der Jüdinnen und Juden für ein Medizinstudium entschieden. In Kaiser- muss bei der Mischung von Unkenntnis, Fantasterei und Mangel an Zweiten Weltkrieg dafür, dass jene Minderheiten, mit denen das Nachkriegszeit einen autochthonen Grund. So weist Gerber in seiner zeit und Weimarer Republik stellten sie an manchen Universitäten Einfühlungsvermögen der Journalisten zu einer regelrechten Gefahr Besitzbürgertum identifi ziert wurde, verschwanden – die Kommu- hervorragend lesbaren Studie überzeugend nach, was der Gründer ein Drittel aller Medizinstudenten. Lewin erhielt nach Studien in für uns Juden werden.« (79) Lewin übernahm auch ein leitendes Amt nisten sich also auf ein mehr tschecho- als slowakisches, werktätiges und langjährige Präsident der Ersten Tschechoslowakischen Repu- Breslau, Leipzig und Berlin 1924 seine Approbation für Frauen- bei »Keren Hayesod«, dem israelischen National- und Spendenfond. Volk stützen konnten: Wie Gerber resümiert, war »gerade mit Blick blik, Tomáš Masaryk, 1926 über den ihm als Kind anerzogenen An- heilkunde. Neben seiner Privatpraxis, die er mit seiner ersten Frau Er war zudem Präsident der »Kinder und Jugend-Alijah« sowie der auf die ethnografi sche Entwicklung, die mit der Herausbildung der tisemitismus sagte: »die Gewohnheit ist mächtig und schrecklich«.2 Alice Belgard gemeinsam betrieb, arbeitete er zwischen 1924 und »Franz Oppenheimer-Gesellschaft« zur Pfl ege deutsch-jüdischer neuen Staatsform einherging, […] die Rede von der Volksdemokratie 1932 als Assistent im Jüdischen Krankenhaus Berlin sowie wissen- Kulturwerte in Frankfurt am Main. Späte Ehrungen wie das Bun- weniger tautologisch, als gelegentlich behauptet wird« (S. 214). Als Mathias Schütz schaftlich am Physiologischen Institut der dortigen Universität. Als desverdienstkreuz (1964) und die Wilhelm-Leuschner-Medaille des letzte Irritation des ethnisch aufgeladenen Klassenkampfes der KPČ München diese die Konversion für die Zulassung zur Habilitation verlang- Landes Hessen (1973) zollten ihm zwar symbolisch Anerkennung verblieben jene wenigen Juden, die den Holocaust überlebt hatten te, lehnte Lewin ab. Als aktiver Sozialdemokrat und Mitglied des für ein berufl ich wie gesellschaftlich hoch aktives Leben, seine oder aus dem Exil zurückkehren konnten. »Bundes jüdischer Arbeiter« war Lewin gleich nach Machtantritt »Wunden« aber ließen sich – wie Lewin drei Jahre vor seinem Tod In der Vorgeschichte des offen antisemitischen Slánský-Prozes- der NSDAP Vernehmungen durch die Gestapo ausgesetzt. Kurz schrieb – »durch die Zeit nicht heilen« (83). ses – elf der vierzehn Angeklagten waren jüdischer Herkunft – hatte 1 Timothy Snyder, The Reconstruction of Nations. Poland, Ukraine, Lithuania, Be- nach seiner Berufung auf eine Chefarztposition in Köln entzogen wiederum die Stellung der Juden im Rahmen der tschechoslowaki- larus, 1569–1999, New Haven, London 2003, S. 184. die Nazis im September 1938 allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten Monika Boll 2 Tomáš G. Masaryk, »Unser Herr Füchsel«, in: Wilma Iggers (Hrsg.), Die Juden schen Bevölkerungskonstellation eine hervorgehobene Bedeutung. in Böhmen und Mähren. Ein historisches Lesebuch, München 1986, S. 191–193, die Approbation. Lewin gehörte zu den 17 jüdischen Ärzten, die Düsseldorf Anhand der Lebens- und Werksgeschichte der beiden Schriftsteller hier S. 192. fortan in Köln als »Krankenbehandler« die medizinische Betreuung

78 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 79 Analyse des Schreibens über Literatur über die deutschen Lager die von den Deutschen verübten Lebenssinn aus Zeugenschaft der zurückgekehrten Auschwitz-Häftlinge. Von den 650 Juden, die Lagererfahrungen Grausamkeiten betonen und die sowjetischen weitgehend verschwei- vom Lager Fossoli (bei Modena) im Februar 1944 nach Auschwitz gen. Rainer Grübel untersucht das Verhältnis von historischem Ge- deportiert wurden, wies die SS nur 95 Männer und 29 Frauen ins

dächtnis und fi ktionaler Erzählung über die Shoa und den Gulag Lager ein. Die anderen wurden nach Birkenau verbracht und ermor- anhand der Werke des sowjetisch-jüdischen Schriftstellers Vasilij det. Von den 124 registrierten Häftlingen überlebten 24: Sechzehn Grossman, der die Sinnlosigkeit (in) der Geschichte strikt ablehnte. Primo Levi Männer und acht Frauen. Karol Sauerland, Yvonne Pörzgen (Hrsg.) In den nächsten drei Beiträgen stehen die deutschen Konzen- So war Auschwitz. Zeugnisse 1945–1986 Auschwitz, die Vernichtung der europäischen Juden, begriff Das kulturelle Gedächtnis Europas im trations- und Vernichtungslager im Zentrum der Betrachtung. In- Mit Leonardo De Benedetti. Hrsg. von Levi als singuläres Ereignis, als weltgeschichtliche Zäsur. Ihm und Wandel. Literatur über Shoa und Gulag ge Kleemann analysiert die Darstellung der Entmenschlichung in Domenico Scarpa und Fabio Levi. den wenigen Davongekommenen wuchs nach seinem Verständnis Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 2016, der autobiographischen Zeugnisliteratur am Beispiel des Begriffs Aus dem Ital. von Barbara Kleiner. die Pfl icht zu, von denen zu berichten und an die zu erinnern, die 229 S., € 49,95 »Muselmann«, der »aufs Engste mit der Frage nach den Grenzen München: Carl Hanser Verlag, 2017, untergegangen waren. Levis Texte stellen beeindruckende Doku- der Zeugenschaft über den Holocaust verknüpft« sei (S. 57). Die 303 S., € 24,– mente gelebter Zeugenschaft dar. Autorin untersucht die Nuancen der Lagersprache der Häftlinge und Die Herausgeber, vorzügliche Kenner von Levis Werk, ha- Dieses Buch unternimmt eine vergleichende die Texte vieler europäischer Zeitzeugen. Sabine Offe nähert sich ben eine überzeugende und wichtige Sammlung von Zeugnissen Analyse der Literatur über die Shoah und sehr feinfühlig den Gedichten des erst 1975 geborenen spanischen Buna/Monowitz war ein »gutes Lager« (S. 108, 117), kein Vernich- vorgelegt. An einigen Stellen lassen sie aber editorische Prinzipi- den sowjetischen Gulag mit dem Ziel, das Verhältnis zwischen Kunst Dichters Martin López-Vega über die Shoah und die Erinnerung tungs-, sondern ein Arbeitslager. Drei Monate konnte ein Häftling en vermissen. In ihren Anmerkungen korrigieren sie wiederholt und Zeugnis hinsichtlich der Erfahrung einer systematischen Ent- daran. Dagmar Burkhart analysiert »den Abusus des Menschen im in der Regel die mörderische Sklavenarbeit überstehen. Primo Levi »faktische Fehler« (S. 268) in den Fällen, in denen sich Levi in menschlichung auszuloten. Ein solcher – wenngleich in der deutschen Lager-Kosmos« im Werk des serbisch-jüdisch-ungarischen Autors (1919–1987) war elf Monate in dem IG-Farben-eigenen KZ. Zu Abfahrts- und Ankunftsdaten und bei Zahlenangaben geringfügig Öffentlichkeit nicht unumstrittener − Vergleich ist sehr wichtig, denn Aleksander Tišma. seinem Glück kam der Chemiker im Sommer 1944 in ein »gutes irrt. Namenfalschschreibungen, die stillschweigend hätten behoben er vertieft die Erkenntnisse über das NS-Regime wie auch über den Drei Beiträge behandeln ausschließlich das Schreiben über den Kommando«. Er hatte dort ein Dach über dem Kopf und war nicht werden können, versehen sie mit sic-Hinweisen. Geht Levi aber Gulag, dessen erste Lager älter sind als diejenigen der Nationalsozia- Gulag. Monika Tokarzewska stellt die Berichte von Julius Margolin mehr den Unbilden des Wetters ausgesetzt. Anfang 1945 von der bei wichtigen Angaben fehl, bleibt die Korrektur aus. Spiegeln die listen. Aber vor allem erlaubt er, die systematische und massenhafte und Gustaw Herling-Grudzińskis vor und geht unter anderem der Roten Armee befreit, war Levi sogleich bereit, Zeugnis abzulegen. genannten Opferzahlen (S. 148, 166) den damaligen Kenntnisstand Entmenschlichung, die phänomenologisch zwar ausführlich beschrie- Frage nach, inwieweit den beiden sehr unterschiedlich erzählenden Nur Erzählen und Bezeugen konnte seinem zufälligen Überleben wider, fehlt eine berichtigende Anmerkung zum heutigen Stand der ben ist, aber nach wie vor viele Fragen aufwirft, besser zu erfassen. Überlebenden und Zeitzeugen der »absoluten Grenzerfahrungen Sinn verleihen (S. 146). Bereits 1947 veröffentlichte er sein Buch Forschung. Schreibt Levi, kein Mitglied des Sonderkommandos von Der Sammelband geht auf eine gleichnamige Tagung zurück, menschlicher Existenz« (S. 112) das Denken in den humanen Ka- Se questo è un uomo, das freilich noch wenig Beachtung fand. Erst Birkenau habe überlebt (S. 118), »kein einziger Jude« (S. 108 f.) deren Ausgangspunkt die These war, dass »eine Form der Erinnerung, tegorien nicht abhandengekommen ist. Yvonne Pörzgen untersucht die 1958 erfolgte Neuaufl age machte Levi bekannt (dt.: Ist das ein sei aus Chełmno, Sobibór, Treblinka und Majdanek zurückgekehrt, die Gulag und Shoah umfasst, eine Grundvoraussetzung für politische die Werke von Evgenija Ginzburg und Vasilij Aksenov, die sie als Mensch?, Frankfurt am Main: Fischer-Bücherei, 1961). Der Autor Auschwitz sei das erste von der Roten Armee befreite Lager (S. 154) und gesellschaftliche Annäherung und Einigungsprozesse in Europa zwei »Pole« der sowjetischen Gulagliteratur bezeichnet. Im Beitrag begriff seine literarischen Arbeiten als »kollektive Werke«, als »eine gewesen – um nur wenige Beispiele zu nennen –, stellen sie dies ist« (S. 12). Die deutschen und polnischen Autoren analysieren Texte von Wolfgang Stephan Kissel geht es um die autobiographische Stimme, die für viele andere Stimmen steht« (S. 117), insbesondere nicht richtig. Erinnert sich Levi 1960 an die jüdischen Häftlingsärzte unter anderem aus Polen, der Sowjetunion, Spanien und Deutschland. Lagerprosa von Varlam Šalamov, der in seinem Streit mit Alexander für die für immer verstummten. »Dr. COENKA aus Athen, Dr. WEISS aus Straßburg« (S. 92), dann Ein Beitrag von Antonia Grunenberg über die Totalitaris- Solženizyn die berühmt gewordenen Maximen der Lagerliteratur Die 24 in So war Auschwitz versammelten Zeugnisse – das erste wissen die Herausgeber nicht, dass Leo Cuenca und Robert Waitz musstudien von Hannah Arendt eröffnet die Zusammenschau des festlegte. So warf er, ohne Theodor W. Adorno jemals gelesen zu hat Levi zusammen mit seinem Freund Leonardo De Benedetti auf gemeint sind. (Die Nennung von Josef Mengele als überaus präsen- Schreibens über Lagererfahrungen. Begründet wird das dadurch, haben, der Sprache der »klassischen Literatur« vor, an den blutigen Anregung seiner Befreier verfasst – lassen uns einen Überlebenden ten SS-Arzt in Buna/Monowitz durch Levi und De Benedetti bleibe dass Arendt der Tradition des Schreibens folgt, das »zu verstehen Exzessen des 20. Jahrhunderts nicht ganz unschuldig zu sein, und entdecken, der von Beginn an seinen Beitrag zur Ahndung der NS- hier unerörtert). Das ist bedauerlich, weil es den Eindruck erweckt, hilft, was zunächst unverstehbar erscheint« (S. 15), das heißt, wenn forderte eine neu strukturierte Sprache und eine besondere morali- Verbrechen leisten wollte. Zum Höß- sowie zum Eichmann-Prozess es fehle das nötige Augenmaß für die Bedeutung der Fehler. Darüber die analytischen Instrumente der Wissenschaft versagen. Arendt er- sche Zurückhaltung in der Literatur – nachdem sowohl Gott als auch (1947 und 1961) machte er schriftliche Aussagen. Auch die bundes- hinaus enthalten die Anmerkungen der Herausgeber Ungenauigkei- kannte die Zäsur, die durch die Verbrechen der modernen totalitären die Kunst »tot« seien (so Šalamov in einem Brief). deutsche Justiz unterstützte er im Verfahren gegen einen Angehöri- ten, die darauf schließen lassen, dass sie keine genaue Vorstellung Regime gesetzt wurde. Auch hat sie als eine der ersten im Lager Bemerkenswert ist, dass Ginsburg und Šalamov – stellvertretend gen des Reichssicherheitshauptamts, der in Eichmanns Auftrag an etwa von der Durchführung eines Strafprozesses haben. (unter Hitler wie unter Stalin) »die eigentliche zentrale Institution für viele andere Gulag-Häftlinge – selbst nach den langen Jahren in Deportationen aus Italien beteiligt gewesen war. Levi war der – von Auch was die Übersetzung angeht, wäre der Verlag gut bera- des totalen Macht- und Organisationsapparat« erkannt, denn es die- den sowjetischen Lagern, in denen sie knapp dem Tod entkommen der bundesdeutschen Rechtsprechung in Auschwitz-Verfahren bis ten gewesen, Spezialisten aus dem juristischen und historischen ne nicht nur der Ausrottung, sondern auch dem Zweck, Individuen waren, mehr oder weniger überzeugte Anhänger des kommunisti- zum Gröning-Urteil (2014) verworfenen – Auffassung, die gesam- Bereich hinzuziehen, um Fehler zu vermeiden. Insgesamt jedoch in »willenlose Menschenmassen« zu verwandeln und sie in einer schen bzw. sowjetischen gesellschaftlichen Modells geblieben sind. te SS-Besatzung des Lagers sei für die Verbrechen verantwortlich ist die Edition eine wichtige Ergänzung zum literarischen Werk »Gesellschaft des Sterbens« total beherrschbar zu machen (S. 17 f.). Dieses eigenartige Phänomen der tiefen utopischen Treue der Opfer (S. 55). Er bezeugte nicht nur die Verbrechen, er war auch sogleich Levis. Wir lernen in vielen Hinsichten einen unbekannten Levi ken- Karol Sauerland, der Treblinka nicht als Vernichtungslager, son- und Überlebenden zu dem Regime, das für die Erniedrigung und nach seiner Rückkehr bemüht, das Schweigen und die den Über- nen. Es ist aber zu bedauern, dass gerade die Zeugnisse des großen dern als »Vernichtungsstätte« bezeichnet, stellt in seinem Beitrag Entmenschlichung in den Lagern verantwortlich war, ist im Falle lebenden entgegengebrachte ungläubige Haltung zu brechen. An Schriftstellers Primo Levi nicht mit mehr Sachkunde und Sorgfalt die wichtigsten früheren polnischen Lagerschilderungen im sowohl der Shoah undenkbar. der Mitteilung von historischen Fakten war ihm gelegen. Akribisch veröffentlicht wurden. durch die Deutschen als auch durch die Sowjetunion besetzten Polen hat er deshalb die Daten seines Transports festgehalten und nach vor und führt die darin vorkommenden systematischen Unterschie- Anna Schor-Tschudnowskaja 1945 Nachforschungen angestellt. Immer wieder nennt er in seinen Werner Renz de unter anderem auf politische Bedingungen zurück: So sollte die Wien Texten die Zahl der Deportierten, der ins Lager eingewiesenen und Frankfurt am Main

80 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 81 Re-Lecture des Anne Frank Tagebuches systematische Zusammenfassung. Sie hilft bei der inhaltlichen und sind, und ein Register, gegliedert nach Personen, Begriffen, Lagern nach Theresienstadt deportiert wurde. Für die Zeit im Ghetto gibt begriffl ichen Erschließung der Texte und dient als Wegweiser zur und Kriegsschauplätzen. Das Werk besitzt defi nitiv einen Mehrwert es eine Reihe von Zeugnissen, die Benschers Beteiligung an den Förderung der Sachkompetenz im Sinne der Begriffskompetenz. für Lehrkräfte und Lehramtsstudenten, für die Begriffe wie Orien- kulturellen Aktivitäten dort wahrscheinlich machen. Im September

Mit Blick auf die Multiperspektivität folgt dann, sofern vorhanden tierungskompetenz zum gängigen Berufsjargon gehören, und kann 1944 fanden die großen Transporte nach Auschwitz statt: Benscher und zielführend, ein entsprechender Auszug aus der ersten Fassung für die Praxis uneingeschränkt empfohlen werden. gelangte ins Durchgangslager – wie etwa auch Victor Frankl und Nicola Brauch des Tagebuches. Weitere Quellen (wie etwa ein Bericht aus Wes- Miroslav Kárný. Sein Alter hatte er mehrfach »geändert«, konnte Das Anne Frank Tagebuch. terbork, die Mitteilung des Jüdischen Rates) schließen sich an und Martin Liepach dadurch bei der Selektion »fl exibel« bleiben und entging vermutlich Eine Quelle historischen Lernens in helfen bei der Erläuterung relevanter Begriffe und der Einordnung Pädagogisches Zentrum Frankfurt so der Ermordung. Er wurde zum Arbeitseinsatz selektiert und kam Unterricht und Studium von größeren Zusammenhängen. Sie wurden alle der Quellenedition schließlich nach Dachau in das Außenlager Kaufering III. Viele Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2016, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das Häftlinge überlebten die Arbeitskommandos dort nicht. Benscher 249 S., € 30,– nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (VEJ) entnommen.1 hatte mit der Einteilung zum Transportkommando »Glück«. Nach Am Ende steht jeweils eine Kurzinterpretation, die verschiedene einer körperlichen Misshandlung verbrachte er einige Zeit in der Zu Anne Frank gibt es mittlerweile zahlrei- historische Bezugspunkte für die Unterrichtsvertiefung aufzeigt. Krankenstation. Victor Frankl beschrieb später, wie Benscher ihm che Bücher, Handreichungen, Unterrichts- Neben den drei Phasen alliierter Kriegspolitik in Gestalt der In- Ein vergessener »Star« der frühen mit einer Suppe und gutem Zureden das Leben rettete. Die letzte materialien und Wanderausstellungen. Sie ist zentraler Bestandteil vasionen in Nordafrika, Italien und der Normandie sind die The- Bundesrepublik Station auf Benschers Leidensweg war das Dachauer Außenlager der Erinnerung an den Holocaust. Doch zwischen »geschichtskul- matisierung weiterer wichtiger Aspekte, wie etwa Widerstand und Allach. tureller Welt« und »fachlicher« Welt, das heißt die Betrachtung der Zwangsarbeit, oder auch die Perspektive der Versteckten auf diese Nach seiner Befreiung durch die Amerikaner gelangte er nach Aufzeichnungen Anne Franks als Quelle historischer Erkenntnis zur Ereignisse möglich. Die Länge der Quellen ist unterrichtstauglich, München und fand bereits im Mai 1945 eine Anstellung beim Ame- Rekonstruktion der Zeitläufte, sieht Brauch eine »Wand«. Ihr Ziel die Auswahl plausibel. Beate Meyer rican Radio. Dort traf er Klaus Brill wieder, mit dem er schon in ist es, beide »Welten« zusammen zu denken. Ein weiteres umfangreiches Kapitel widmet sich zusätzlichen Fritz Benscher. Ein Holocaust- Berlin und beim Kulturbund in Hamburg auf der Bühne gestanden Ausgehend von der Diagnose, Veröffentlichungen zum Holo- Möglichkeiten der Kompetenzförderung. Für einen Vergleich zwi- Überlebender als Rundfunk- und hatte. Er wurde Oberspielleiter und Rundfunksprecher. Weil er Ent- caust im schulischen Kontext seien häufi ger pädagogischer, nicht schen deutscher und englischer Fassung wurden Textstellen mit sig- Fernsehstar in der Bundesrepublik nazifi zierung und »re-education« weiter sehr ernst nahm, diese aber aber geschichtsdidaktischer Natur, unternimmt die Autorin den nifi kanten Unterschieden in den Formulierungen ausgewählt. Diese Göttingen: Wallstein Verlag, 2017, 272 S., sowohl von den US-Instanzen als auch den bayerischen Politikern »Versuch einer Re-Lecture des Tagebuches der Anne Frank aus ge- könnten im bilingualen Geschichtsunterricht Verwendung fi nden. € 24,90 allmählich abgeschwächt wurden, machte Benscher sich unbeliebt schichtsdidaktischer Perspektive« (S. 10). Die Arbeit ist somit an Der Abschnitt »Invasionserwartungen in den Niederlanden 1942 bis und wurde im Juli 1946 entlassen. der Schnittstelle von Geschichtsdidaktik und Fachwissenschaft an- 1944« enthält sechs weitere Quellenauszüge aus der VEJ-Sammlung Zu dieser Zeit erwog er auch die Auswanderung in die USA. gesiedelt, die Autorin erörtert, wie das Tagebuch als Ausgangspunkt und ermöglicht eine Problematisierung der noch immer gängigen Beate Meyer stieß bereits in den 1980er Aber schließlich blieb er in München und setzte im April 1947 seine zur Förderung historischen Denkens genutzt werden kann. Opfer-Täter-Bystander-Klassifi zierung. Die Tagebuchauszüge im Jahren bei Zeitzeugen-Interviews auf Fritz Berufstätigkeit als freier Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk Das didaktische Potenzial liegt auf der Hand: Die Briefform an Abschnitt »Perspektiven der Forschung« sind häufi g in Englisch. Benscher, einen jüdischen Holocaustüberlebenden, der – ähnlich fort. Diese Karriere spiegelt die Rundfunkgeschichte der frühen die fi ktive Freundin Kitty spricht den Leser direkt an und schafft die Im Sinne der Unterrichtspraxis wäre es wünschenswert gewesen, wie Hans Rosenthal – nach der Befreiung in Deutschland geblieben Nachkriegszeit bis zum Beginn des Fernsehens wider. Die belasten- Möglichkeiten der Perspektivenübernahme und Empathie. Das Ta- mehr Auszüge in Deutsch vorzufi nden. Eine entsprechende fach- und durch seine Tätigkeit bei Rundfunk und Fernsehen berühmt den Begleitumstände des von ihm angestrengten Entschädigungs- gebuch erlaubt es, die Verbindung eines individuellen Schicksals mit wissenschaftliche Einschätzung zum Attentat vom 20. Juli 1944 geworden war. Nun hat Meyer eine sehr lesenswerte Biographie des verfahrens hatten 1957 einen Herzinfarkt und eine Zwangspause den Entwicklungen der Makrogeschichte herzustellen. Ausgangs- wäre sicherlich ebenso verfügbar gewesen wie ein deutschsprachiger heute weithin Vergessenen vorgelegt. zur Folge. Schließlich kam er im Fernsehen zu spätem Ruhm. 1970 punkt bilden dabei drei Perspektiven: Anne Frank als Repräsentantin Textauszug aus den Veröffentlichungen von Peter Longerich, dessen Der 1904 geborene Fritz Benscher entstammte einer konservati- starb er. einer Gruppe von Juden in den Niederlanden, die in Reaktion auf die Hypothese zum Judenhass hier aus einem seiner englischsprachigen ven jüdischen Familie in Hamburg, wo sein Vater einen Lederhandel Beate Meyer hat trotz einer schwierigen Quellenlage – es gibt Judenpolitik in die Illegalität gingen; Anne Frank als Mitglied einer Bücher stammt.2 betrieb. Benscher aber hatte kein Interesse am Kaufmannsberuf, nur wenige Zeitzeugen, die zuverlässig Auskunft geben können – Versteckgemeinschaft; und schließlich Anne Frank als Zeitzeugin Der Anhang ist ausführlich und enthält knappe, chronologisch vielmehr begann er, mehr oder weniger heimlich, eine Karriere als Benschers Leben und vor allem sein Wirken als »Rundfunk- und von Kollaboration und Widerstand in den Niederlanden. aufgelistete Hintergrundinformationen zu den zwölf Quellen, Kurz- Schauspieler in Hamburg, Oldenburg und Berlin und arbeitete für Fernsehstar« der jungen Bundesrepublik eindrucksvoll rekonstruiert. Kern des Buches sind zwölf Tagebuchauszüge aus den Jahren biographien zu den Akteuren, eine Kurzbeschreibung relevanter In- kurze Zeit auch bei der Nordischen Rundfunk AG in Hamburg. 1942 bis 1944. Der erste Eintrag stammt vom 9. Oktober 1942, der stitutionen und Gruppen in den besetzten Niederlanden, vier Karten, Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der zu- Dorothee Lottmann-Kaeseler letzte vom 21. Juli 1944. Dieser bezieht sich unmittelbar auf das die für die räumliche Einordnung der Tagebuchauszüge hilfreich nehmend forcierten Ausschaltung jüdischer Künstler aus dem Wiesbaden Attentat auf Hitler am Tag zuvor. Anne Frank verwies häufi g auf Kulturleben war er im Jüdischen Kulturbund in Hamburg aktiv. die Herkunft ihres Wissens, sei es aus Zeitungen, von Personen oder Die Beziehung zur Familie blieb schlecht. Die Eltern emigrierten den Rundfunksendern BBC und Radio Oranje. Dabei ging sie aber bereits 1933 nach Palästina und überließen ihren drei Söhnen Fir- nicht ins Detail und machte kenntlich, wo ihre subjektive Bewertung 1 VEJ, Bd. 5: West- und Nordeuropa 1940–Juni 1942, bearb.v. Katja Happe, Mi- ma und Grundbesitz. Während seine Brüder noch rechtzeitig aus dieser Zusammenhänge einsetzt. Die Tagebuchauszüge stammen chael Mayer, Maja Peers, Berlin, München 2012; VEJ, Bd. 12: West- und Nord- Deutschland ausreisen konnten, blieb Fritz Benscher in Hamburg aus der populären Fischer-Taschenbuchausgabe (15. Aufl age 2001) europa Juni 1942–1945, bearb. v. Katja Happe, Barbara Lambauer, Clemens zurück, wo er schließlich bei der Jüdischen Gemeinde eine Aus- Maier-Wolthausen, München 2015. und sind optisch hervorgehoben. Die Struktur dieses Zentralkapitels 2 Peter Longerich, Holocaust. The Nazi Persecution and Murder of the Jews, bildung zum Tischler durchlief. Anschließend arbeitete er auf dem ist fest umrissen. Einem Quellenauszug folgt eine tabellarische, Oxford 2010. jüdischen Friedhof Stellingen als Sargtischler, bis er im Juni 1943

82 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 83 »Jalta« – Neue Halbjahreszeitschrift für jüdische Einwanderung. Immerhin fühlt sich die Autorin Greta Antisemitismuskritische Bildung reichen und auch von denjenigen Gruppen vertreten werden, die zur jüdischen Gegenwart Zelener unwohl in dieser »jüdischen Blase«, wie sie sagt, und zeigt selbst von rassistischen Zuschreibungen betroffen sind. Dieses sich interessiert für die Geschichten der heutigen Flüchtlinge. Schade, scheinbar paradoxe Verhalten ist häufi g auch bei muslimischem dass eine solche Begegnung nicht stattgefunden hat. Jugendlichen und Erwachsenen anzutreffen.

Israel spielt in Jalta eine marginale, aber interessante Rolle. Denn Antisemitismuskritische Bildung will sowohl spezifi sche Aus- man kann im neuen Magazin zum Beispiel über die rebellischen isra- Meron Mendel, Astrid Messerschmidt drucksformen von Judenfeindschaft, ihre Funktion und ihre Denkfi - Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart elischen Frauen lesen, die ihren Platz an der Klagemauer in Jerusalem (Hrsg.) unter der Mitarbeit von Tom guren identifi zieren als auch die Wirkungsweise tradierter antisemiti- Hrsg. von Micha Brumlik, Marina Cher- erkämpfen. Oder über deutsche Schäferhunde in Israel. Im Judentum David Uhlig scher und populistischer Weltanschauungen analysieren. Zielsetzung nivsky, Max Czollek, Hannah Peaceman, gelten Hunde als minderwertige Tiere, und nach der Shoah waren sie Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische einer solchen methodischen Herangehensweise ist die Verknüpfung Anna Schapiro, Lea Wohl von Haselberg bei Juden besonders verpönt, sagt Micha Brumlik: »Wo Juden sich Bildung in der Migrationsgesellschaft von theoretischen Zusammenhängen, die im Kontext der Antisemitis- Berlin: Neofelis Verlag, 2017, erscheint an die deutschen oder nichtjüdischen Sitten gewöhnt haben, haben Frankfurt am Main: Campus, 2017, musforschung diskutiert werden, mit einer hierauf Bezug nehmenden halbjährlich als Print- und als E-Journal, sie auch die Hundehaltung als kulturelles Kapital mit übernommen. 309 S., € 19,95 pädagogischen Praxis, die eine kritische Hinterfragung bisheriger Einzelheft: € 16,– / Jahresabonnement: Ich würde aber vermuten, dass das bei den ›Ostjuden‹ kaum vorge- migrationspädagogischer Grundannahmen als notwendig erachtet. € 28,– / Förderabonnement: € 42,– kommen ist. Der deutsche Schäferhund gilt für die Generation der In einer Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, Konsequenzen aus der Die Bandbreite der Beiträge ist beeindruckend und kann an dieser http://neofelis-verlag.de 80- und 90-Jährigen natürlich immer noch als der Wachhund in den eigenen Vergangenheit zu ziehen und eine politische Kultur zu etab- Stelle nur angedeutet werden: So wird die Erfahrung im pädagogi- Konzentrations- und Vernichtungslagern. In meiner jüdischen Ge- lieren, die auf demokratischen und liberalen Grundlagen basiert, löst schen Feld thematisiert, die sich auf die Grenzen der Vermittlung an- Bereits erschienen im April 2017: meinde in Frankfurt am Main in den 50er- und 60er-Jahren habe ich das Wiedererstarken antisemitischer Einstellungen einen erheblichen tisemitismuskritischer Positionen bezieht. Die fehlende Empathie, die Jalta 01/2017 (01/5777), Selbstermächtigung nie einen einzigen jüdischen Hundebesitzer gesehen.« Ganz anders im Grund zur Sorge aus. Antisemitische Denk- und Handlungsmuster Geschichtsleugnung oder die Abwehrhaltung jugendlicher Gesprächs- Erscheint im Oktober 2017: Judenstaat selbst. In ihrem Text »Jews and Dogs« schreibt die Israelin wenden sich in der Regel nicht alleine gegen eine spezifi sche Min- partner gegenüber einer kritischen Refl exion eigener judenfeindlicher Jalta 02/2017 (02/5778), Desintegration Rakefet Zalashik über die Beziehungen zwischen Juden und Hunden. derheit, sondern auch gegen die demokratischen Strukturen unserer Denkmuster bestätigt die Erkenntnis, dass ein ausschließlich auf histo- Ausgerechnet der israelische Generalstabschef Mordechai »Motta« Gesellschaft. Sie lassen sich sowohl in der deutschen Mehrheitsge- rische Fakten basierender Unterricht die Adressaten affektiv nicht tan- Jalta, die Tochter des Anführers der jüdi- Gur verewigte die deutsche Schäferhündin »Azit«, hebräisch »Die sellschaft als auch in Teilen der migrantischen Communities fi nden. giert, da das Faktenwissen sich nicht mit ihren eigenen biographischen schen Gemeinde in Babylon, stellte im vier- Tapfere«, in einer Kinderbuchserie, die in Israel auch verfi lmt wurde. Daher ist der von Meron Mendel und Astrid Messerschmid Erfahrungen in Verbindung bringen lässt. Antisemitismuskritische ten Jahrhundert die männliche Auslegung der Thora in Frage. Sieben Zalashiks Ausführung sowie ein weiterer Text aus England er- herausgegebene Band Fragiler Konsens Ausdruck eines kritischen Bildung hat nur dann eine Chance, relevante Einstellungsverände- Mal wurde sie im Talmud erwähnt – mehr als jede andere Frau. Für scheinen im englischen Original. Die Juden in Deutschland sind halt Blicks auf die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung eines Landes, rungen zu bewirken, wenn sowohl die mit der Thematik befassten Micha Brumlik, Mitherausgeber von Jalta, ist die Namensgeberin mehrsprachig und die Herausgeber experimentierfreudig. Dennoch das trotz seine Wohlstands und seiner Stabilität Sollbruchstellen Pädagoginnen und Pädagogen als auch ihre Zielgruppen die eigenen der neuen jüdischen Zeitschrift »eine rebellische Frau, die sich in verzichten auch sie nicht auf die »üblichen« Themen Shoah und An- erkennen lässt. Hierzu zählen nachhaltige Defi zite in der politischen biographischen Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus refl ek- der späten Antike in rabbinischer Zeit darüber geärgert hat, dass ihr tisemitismus. So kann man in Jalta zum Beispiel über den jüdischen Bildung, fehlende historische Kenntnisse der jüngsten deutschen tieren. Erst in einem solchen Prozess können Erinnerungsabwehr und Vater es nicht erlaubt hat, dass sie den Segen über den Wein spricht. KZ-Überlebenden Fritz Benscher lesen, über Martin Heideggers Ju- Vergangenheit und eine sich absenkende Tabuschwelle gegenüber Distanzierungswünsche artikuliert und bearbeitet werden. Daraufhin, so berichtet es der Talmud, ist sie in den Weinkeller ihres denhass oder eine Stolpersteinverlegung in der ostdeutschen Provinz. antisemitischer Ressentiments, die nicht selten in eine einfältige Der Beitrag, der sich mit dem Zusammenhang von postkolonialen Vaters gegangen und hat vor Wut sämtliche Weinkrüge zerschlagen.« Jalta bemüht sich im Gegensatz zur 2010 eingestellten Zeit- Kritik an der Politik des Staates Israel gekleidet werden. Theorien, Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzt, verweist Juden kommen in den deutschen Medien überwiegend in Bezug schrift Babylon – Beiträge zur jüdischen Gegenwart auch um Leser Der Sammelband stellt in einer vorbildlichen Weise die aktuellen auf die Engführung einer Argumentation, die die aktuellen Formen des auf Antisemitismus und die Shoah vor. Der gewöhnliche Zeitungs- ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse. Genauso wichtig ist es für Debatten zu diesem Themenkomplex in der Bundesrepublik dar und Antisemitismus aus ihren Analysen ausblendet. Die Autoren machen leser, Radiohörer oder Fernsehzuschauer hat daher den Eindruck, die Redaktion, auch nichtjüdische Autoren mit einzubeziehen. So spiegelt die Reichweite der Problemkomplexe präzise wider. In der darauf aufmerksam, dass eine Denunziation westlicher Forderungen dass Juden vor allem Opfer sind. Um das zu ändern, schlossen sich schreibt die Afro-Österreicherin und Erziehungswissenschaftlerin seit 2011 stattfi ndenden Tagungsreihe »Blickwinkel. Antisemitis- nach universalistischen Prinzipien wie Emanzipation und Aufklärung die sechs jüdischen Herausgeber von Jalta zusammen. Sie wollen Pasquale Rotter über Verbindungen zwischen Schwarzen und Juden. muskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft« (gemeinsam als kolonial die inhärenten Gründe des sozialen und ökonomischen die Berichterstattung mitgestalten und ein Forum für Debatten zur Gerade derartige Dialoge könnten dazu beitragen, dass Jalta in der veranstaltet von der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, dem Pä- Niedergangs der arabischen Welt kaschiert. Die Verfasser dieses Tex- jüdischen Gegenwart schaffen, die sich aus der Vielfältigkeit der jü- deutschen Medienlandschaft einen festen Platz einnimmt. dagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Mu- tes bemängeln die fehlende Verständigung zwischen postkolonialer dischen Gemeinschaft in Deutschland heute ergeben. Mitherausgebe- Im April 2017 erschien die erste Ausgabe von Jalta mit einem seums Frankfurt, dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Theoriebildung und Antisemitismusforschung, die dazu führt, dass rin Hannah Peaceman betont: »Wir nehmen keine Rollen an, die uns Umfang von 180 Seiten. Der Berliner Neofelis Verlag, der sich auf Berlin und der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, Antisemitismus keine Erwähnung in den postkolonialen Studien fi ndet. von außen zugetragen werden. Wir wollen diese Diskussion, die wir jüdische Themen konzentriert, erhält im ersten Jahr aus Fördermit- unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen Die Tour d’Horizon durch die antisemitismuskritische Bildungs- hinter verschlossenen Türen führen, nach außen bringen. Und das ist tel der Kulturstiftung des Bundes eine Anschubfi nanzierung, um und Jugend) wurden bisher acht Fachtagungen durchgeführt, die sich landschaft in der Migrationsgesellschaft, die mit dieser Veröffent- für mich zum Beispiel ein wichtiger Akt von Selbstermächtigung.« das Magazin auf dem Markt einführen zu können. Verleger Frank mit Phänomenen des Antisemitismus, des Rassismus und der Islam- lichung vorliegt, vermag nicht nur zu einem sensiblen Umgang mit Der Name »Jalta« steht auch für die vielen Juden, die nach Schlöffel hofft darauf, die Zeitschrift langfristig etablieren zu kön- feindlichkeit in der Migrationsgesellschaft befassen und innovative der Thematik beizutragen, sondern auch einen Paradigmenwechsel Deutschland aus der ehemaligen Sowjetunion als »Kontingentfl ücht- nen. Den engagierten Herausgebern und der Diskussionskultur in bildungsstrategische Ansätze entwickelt, die die gesellschaftliche, in der interdisziplinär und intersektional aufgestellten Bildungsarbeit ling« kamen. Die Künstlerin Evgenia Gostrer refl ektiert zum Beispiel diesem Land wäre es zu wünschen. wissenschaftliche und pädagogische Auseinandersetzung mit Vorur- zu bewirken, der den fragilen Konsens zu stützen vermag. über ihren Prozess der Selbstermächtigung. Drei weitere zugewander- teilen und mit ausgrenzenden Denk- und Deutungsmuster fördern. te Autoren berichten von ihrem Besuch im Bundesamt für Migration Igal Avidan Die Autorinnen und Autoren teilen die Einsicht, dass antise- Doron Kiesel und Flüchtlinge. Leider beschränkt sich ihre Visite auf die Abteilung Berlin mitische ideologische Muster bis weit in die Mitte der Gesellschaft Erfurt

84 Rezensionen Einsicht 18 Herbst 2017 85 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

Unterrichtsmaterial online Auszeichnung Novemberpogrom 1938 »Film verstehen | Wallstein Verlag Geschichte: Holocaust« Das Reichsarbeitsministerium In Zusammenarbeit mit im Nationalsozialismus EUROCLIO, dem Dach- Die DVD »Film verstehen Verwaltung – Politik – Verbrechen verband europäischer Geschichtslehrerver- | Geschichte: Holocaust« Ein herausragen- bände, wurde eine dreistündige Unterrichts- wurde mit dem Comenius EduMedia Sie- der Beitrag zur einheit unter dem Titel »What could they gel für didaktische Multimediaprodukte Erforschung von know? Censorship and Information about 2017 ausgezeichnet. Seit 1995 werden die Bürokratie und Gewaltherrschaft the November Pogrom 1938« entwickelt. Comenius-EduMedia-Auszeichnungen von im »Dritten Reich«. Die Arbeitsblätter sind in englischer und der Gesellschaft für Pädagogik, Informa- Hg. von Alexander deutscher Sprache auf der Website des Pä- tion und Medien e.V. verliehen. Mit den Nützenadel 592 S., 56 Abb., geb., dagogischen Zentrums unter der Rubrik Preisen sollen pädagogisch, inhaltlich und Schutzumschlag Themen und Materialien/Unterrichtsmate- gestalterisch herausragende informations- 34,90 € (D); 35,90 € (A) ISBN 978-3-8353-3002-3 Pädagogisches Zentrum Das Pädagogische Zentrum bietet Fortbil- rialien online als Download verfügbar. Die und kommunikationstechnisch-basierte Bil- Beiden Aspekten – den Darstellungs- und Angebote und Kontakt dungen und Workshops zu folgenden The- Einheit wurde im Rahmen des Projekts »Si- dungsmedien gefördert werden. Produktionslogiken des narrativen Films men und Arbeitsbereichen: lencing Citizens through Censorship. Lear- Die ersten praktischen Erfahrungen mit und den Wirklichkeitsmomenten histori- Vida Bakondy › Deutsch-jüdische Geschichte im europä- ning from Europe’s 20th-century dictatorial der DVD zeigen das Potenzial der Kombi- scher Ereignisse – gilt es Aufmerksamkeit Montagen der Vergangenheit Das Pädagogische Zentrum ischen Kontext and totalitarian past« erstellt und während nation aus fi lmanalytischen und historischen zu schenken, um der Wirkungsweise der Flucht, Exil und Holocaust in den Fotoalben der Wiener Hakoah-Schwimmerin Fritzi Löwy ist eine gemeinsame Ein- › Jüdische Gegenwart und Religion im Ver- der Evaluation auch in Spanien und Itali- Fragestellungen. Damit die fi lmische Form Filme gewahr zu werden. richtung des Fritz Bauer Instituts und des gleich en getestet. Die Materialien wurden von (ihre Grenzen und Möglichkeiten) selbst Ge- Die von Christoph Schneider konzi- Zwei Fotoalben als Zeugnisse von Jüdischen Museums Frankfurt. Es verbin- › Holocaust und Nachgeschichte des Nati- einer Arbeitsgruppe aus Geschichtslehrern genstand der Auseinandersetzung und somit pierte DVD enthält Arbeitsmaterialien und NS-Verfolgung det zwei Themenfelder: jüdische Geschichte onalsozialismus und -lehrerinnen aus Frankreich, Spanien, Lerninhalt werden kann, werden in der DVD Filmsequenzen, die in acht Modulen inhalt- und Exil. und Gegenwart sowie Geschichte und Nach- › Antisemitismus und andere Formen des Italien, Polen, Ungarn, Mazedonien und Fragen des fi lmischen Erzählens nah an den lich gegliedert sind. Die behandelten Filme 304 S., 123 z. T. farbige Abb., geb., Schutzumschlag geschichte des Holocaust. Juden und jüdi- Rassismus Deutschland entwickelt. Im Blickpunkt historischen Sachgehalten einerseits und mit werden zusätzlich über die Medienzentren 39,90 € (D); 41,10 € (A) sches Leben werden als Teil der deutschen Weitere Angaben zu den Workshops fi nden standen die Epochen des Faschismus in Ita- Blick auf konkrete Darstellungsformen aus- bereitgestellt. Die Entwicklung der DVD ISBN 978-3-8353-3094-8 Geschichte und Gegenwart thematisiert. Der Sie hier: www.pz-ffm.de/191.html lien (1922–1943), Deutschland (1933–1945) gewählter Filme andererseits erschlossen. wurde begleitet von einem Beirat: Gottfried Nationalsozialismus wird vor allem unter und Spanien (1939–1975), Vichy-Frank- Kößler, Pädagogisches Zentrum, Prof. Dr. der Fragestellung der Beteiligung der Mehr- Kontakt reich (1940–1944) sowie Jugoslawien unter Ulrike Weckel, Universität Gießen, Prof. Dr. heitsbevölkerung an den Massenverbrechen Pädagogisches Zentrum Frankfurt der Herrschaft Titos (1945–1980) und die Stefanie Schüler-Springorum, Zentrum für in den Blick genommen. Seckbächer Gasse 14 kommunistischen Regimes in Ungarn und Antisemitismusforschung an der TU-Berlin. Freilegungen 60311 Frankfurt am Main Das Pädagogische Zentrum unterstützt in Polen. Das Projekt wurde durch das »Eu- Rebuilding Lives – Child Survivors and Tel.: 069.212 742 37 DP Children in the Aftermath of the Holocaust Film verstehen | Geschichte: HOLOCAUST Schulen bei der Beschäftigung mit jüdischer [email protected] rope for Citizens«-Programm der Europäi- and Forced Labor DVD-Video: Acht Unterrichtsmodule zum Thema Ho- Geschichte und Gegenwart sowie der Ver- www.pz-ffm.de schen Union unterstützt. Die entwickelten Kinder als Über- locaust für die Sekudarstufen I und II mit 29 Ausschnit- lebende der NS- mittlung der Geschichte und Nachgeschichte Unterrichtsmaterialien sind nunmehr Teil ten aus acht Spielfi lmen. Autor: Christoph Schneider; Verfolgung und als des Holocaust. Hierzu bietet es Lehrerfort- des Historiana-Portals, eines permanent in hrsg. von VISION KINO – Netzwerk für Film- und Displaced Persons bildungen und Lehrveranstaltungen an der Weiterentwicklung befi ndlichen digitalen Medienkompetenz in Kooperation mit dem Fritz Bauer nach 1945. Institut, dem Zentrum für Antisemitismusforschung der Goethe-Universität Frankfurt, Workshops europäischen Geschichtsbuches. Hg. von Henning Borg- Technischen Universität Berlin und der Justus-Liebig- gräfe, Akim Jah, Nina Ritz und Studientage an Schulen und für Institu- Universität Gießen; gefördert durch die Beauftragte der und Steffen Jost tionen der Jugend- und Erwachsenenbildung Unterrichtsmaterialien online Bundesregierung für Kultur und Medien und die Stif- Jahrbuch des International sowie themenbezogene Führungen, Vorträ- www.pz-ffm.de/128.html tung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« e.V. Tracing Service, Bd. 6 Info und kostenfreie Bestellung: 288 S., 26 Abb., ge, Unterrichtsmaterialien und Beratung an. Klappen broschur www.visionkino.de/publikationen/didaktische-dvds/ 29,90 € (D); 30,80 € (A) Begleitend zu den aktuellen Ausstellungen dvd-fi lm-verstehen-geschichte-holocaust ISBN 978-3-8353-3014-6 des Jüdischen Museums Frankfurt gibt es Komplett in englischer Fortbildungen mit Perspektiven für den Comenius-EduMedia-Award Sprache Unterricht. www.comenius-award.de Abb. links: die Verleihungsurkunde www.wallstein-verlag.de oben: das Comenius EduMedia Siegel

86 Pädagogisches Zentrum Einsicht 18 Herbst 2017 87 Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

eine Strafverfolgung unmöglich machten. Panels der Tagung. Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung Erst seitdem der argentinische Kongress im Sara E. Brown von setzte sich mit der sogenannten »Corporate Jahr 2003 diese Gesetze für null und nich- der San Diego Sta- Responsibility«, das heißt mit der Verant- tig erklärt hat, setzt sich Argentinien wieder te University zeig- wortung von Unternehmen im Rahmen auf juristischer Ebene mit den Verbrechen te am Beispiel des von Massenverbrechen, auseinander. Mo- der Militärjunta auseinander. Seitdem sind Völkermords in Ru- nica Mazariegos Rodas von der Univer- in einer ganzen Reihe aufsehenerregender anda im Jahr 1994, sidad Rafael Landivar stellte am Beispiel Verfahren mehrere hundert Täter vor Ge- dass bestimmte der Vertreibung der indigenen Bevölkerung richt gestellt und verurteilt worden – zuletzt Tätergruppen – in Guatemalas und des Raubes ihres Landes für im August 2016 in einem über drei Jahre diesem Fall Täte- die Produktion von Zucker und Palmöl die währenden Prozess gegen 43 Angeklagte, rinnen – aufgrund Frage, wer für solche Taten verantwortlich denen vorgeworfen worden war, in zwei La- festgefahrener Vor- gemacht werden könne, wenn Staat und Un- gern nahe Córdoba Gefangene systematisch urteile oftmals aus ternehmen so weit miteinander verschmöl- gefoltert und ermordet zu haben. Gualde, der öffentlichen zen, dass das eine kaum noch vom anderen die in den 2000er Jahren im Auftrag des Wahrnehmung her- zu trennen sei. Dass eine enge Kooperation Aus dem Institut – der Anthropologie, der Geschichtswissen- argentinischen Justizministeriums selbst ausfallen, mit fata- zwischen Staat und Unternehmen letztere schaften, der Soziologie und der Rechtswis- maßgeblich daran beteiligt gewesen war, die len Konsequenzen tatsächlich oftmals aus dem Blickfeld gera- »Holding Accountability senschaften, aber auch Vertreterinnen und Prozesse gegen die ehemaligen Angehörigen für den gesellschaft- ten lässt, musste auch Sara Federman von Accountable« Vertreter von NGOs sowie Journalistinnen der Militärjunta vorzubereiten, betonte in lichen Frieden. Was der George Mason University in ihrem Bei- Tagungsbericht und Journalisten. Die Fallbeispiele reichten ihrem Vortrag, wie wichtig die juristische es wiederum be- trag zur Rolle der französischen Eisenbahn- vom 19. Jahrhundert – mit dem Genozid an Auseinandersetzung mit der Vergangenheit deutet, wenn um- gesellschaft SNCF bei der Deportation der der indigenen Bevölkerung Nordamerikas sei. Die Verfahren gegen die Täter würden gekehrt die Opfer Juden aus Frankreich im Zweiten Weltkrieg Ein ambitioniertes Ziel hat- und der Vertreibung der Tscherkessen aus Argentinien dabei helfen, seine jüngste Ge- von Gewalt von der feststellen. Sie monierte, dass Unternehmen te sich das Strassler Center dem Kaukasus – bis zu den gegenwärtigen schichte besser zu verstehen und dafür zu- Strafverfolgungs- generell zu wenig Beachtung in Bezug auf for Holocaust and Genocide Studies an der Menschenrechtsverletzungen in Myanmar.1 gleich die Verantwortung zu übernehmen. behörden überse- ihre Rechtschaffenheitspfl icht geschenkt Clark University in Worcester, Massachu- Den Hauptvortrag hielt Andrea Gula- In ihrer gesellschaftlichen Wirkung seien Jonas Clark Hall, Clark University, Worcester, Mass., Foto: Kathrin Schön hen werden, führte würde, und das obwohl sie in vielen Ge- setts, gesetzt. Die mit großzügiger Unter- de, Professorin für Internationales Recht sie vergleichbar mit ähnlichen Verfahren Danielle Taschereau noziden eine wichtige Rolle spielten. Fe- stützung der Charles E. Scheidt Family an der Universidad Torcuato Di Tella in in anderen Ländern, etwa den Frankfurter von Accountability. Die Ursprünge des Kon- von der University of Western Ontario am derman führte das auf die Ausrichtung des Foundation vom 6. bis 9. April 2017 reali- Buenos Aires und Senior Advisor for La- Auschwitz-Prozessen. Genau wie diese vor zepts und der Begriffl ichkeit untersuchte Beispiel von verschwundenen und ermorde- Internationalen Gerichtshofes in Den Haag sierte Tagung »Holding Accountability Ac- tin America am Auschwitz Institute for fünfzig Jahren würde die Beschäftigung beispielsweise Ronen Steinberg von der ten indigenen Frauen in Kanada vor Augen. zurück, der zwar in der Lage sei, Anklage countable« sollte den in der Praxis oft recht Peace and Reconciliation in New York. Sie mit den Taten der Militärjunta heute dabei Michigan State University. Er stellte die Die Forderung nach Accountability läuft gegen natürliche, nicht aber gegen juristi- ubiquitär gebrauchten Begriff der Accoun- referierte über die gegenwärtigen Versu- helfen, die argentinische Gesellschaft gegen These auf, dass sich die Forderung nach hier schlichtweg ins Leere. Und dass, selbst sche Personen zu erheben. Unter welchen tability – zu Deutsch »Verantwortlichkeit«, che Argentiniens, die zwischen 1976 und zukünftige autoritäre Tendenzen und ins- einer Verantwortlichkeit für öffentliche wenn Täter und Opfer bekannt sind, die Tat Bedingungen Unternehmen überhaupt bereit »Rechtschaffenheitspfl icht« – in Bezug auf 1983 verübten Verbrechen der Militärdik- titutionalisierte Gewalt zu sensibilisieren. Handlungen erstmals im Zuge der Franzö- immer noch juristisch schwierig zu fassen sind, Verantwortung für ihre Mitwirkung an Massenverbrechen näher beleuchten. Wel- tatur juristisch aufzuarbeiten. Zwar war es Der pädagogische und didaktische Effekt sischen Revolution entwickelt habe. Vorher sein kann, arbeitete Melanie O’Brien von der Massenverbrechen zu übernehmen, versuch- che Dimensionen birgt er in theoretischer, in dem lateinamerikanischen Land bereits juristischer Aufarbeitung als einer Form sei der absolutistische Herrscher niemandem University of Queensland anhand des De- te wiederum der Autor dieses Textes am Bei- aber auch moralischer und juristischer Hin- kurz nach Wiedereinführung der Demo- von Accountability – so Gualdes Fazit – sei gegenüber Rechenschaft schuldig gewesen. likts »Zwangsheirat« eindrücklich heraus. spiel der jüngsten Debatte um die Rolle des sicht? Was genau bedeutet es in post-genozi- kratie zu einem groß angelegten Prozess in seiner Gesamtwirkung für die Stabilisie- Doch von nun an habe gegolten, dass sich Internationale Strafgerichtshöfe hätten sich Speditionsgewerbes bei der Ausplünderung dalen Gesellschaften, »Verantwortlichkeit« gegen die hauptverantwortlichen Täter rung einer Demokratie deshalb auch kaum Machthaber gegenüber denjenigen, über die mit der Verfolgung dieses Phänomens in Zu- der Juden in Bremen deutlich zu machen. einzufordern? Wie können Initiatoren, Mit- gekommen, weitere Verfahren blieben je- zu überschätzen.2 sie ihre Macht ausübten, zu verantworten sammenhang mit Massenverbrechen bislang Das Beispiel der Hansestadt zeigt, dass eine läufer und Profi teure nach Völkermorden doch in der Folge größtenteils aus, da ein Der weitere Verlauf der Tagung wid- hätten. Die Französische Revolution führte eher schwergetan. Dies sei auf die unschar- aufmerksame Öffentlichkeit sowie eine brei- überhaupt zur Rechenschaft gezogen wer- 1986 erlassenes »Schlussstrichgesetz« so- mete sich anhand verschiedener Massenver- demnach – so Steinberg – zur Demokrati- fe Abgrenzung zu Zwangsprostitution und te mediale Diskussion den Schlüssel für die den? Welche Hindernisse müssen dazu über- wie bald darauf folgende Amnestiegesetze brechen den unterschiedlichen Dimensionen sierung der Rechtschaffenheitspfl icht und dem Tatvorwurf »sexual slavery« einerseits, Wahrnehmung der Rechtschaffenheitspfl icht wunden werden? Und was lässt sich aus den damit zu unserem heutigen Verständnis von andererseits aber auch darauf zurückzufüh- durch Unternehmen darstellen. Beispielen der Vergangenheit für die Ge- Accountability. ren, dass Zwangsheirat in unterschiedlichen Den Abschluss der viertägigen Tagung genwart lernen? Diese Fragen diskutierten Mit den verschiedenen Schwierigkeiten, Kontexten ganz verschiedene Tatbestände bildeten Überlegungen, wie die Erinnerung auf Einladung des Strassler Centers rund 40 1 Das Tagungsprogramm mit allen Beiträgen kann auf 2 Ein Mitschnitt der Keynote Lecture mit anschlie- in post-genozidalen Gesellschaften überhaupt meinen könne. O’Brien plädierte deshalb an Massenverbrechen lebendig gehalten wer- der Website der Clark University eingesehen wer- ßender Diskussion kann auf der Website der Clark Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wis- den: www.clarku.edu/departments/holocaust/confe- University nachgehört werden: http://commons. Verantwortung für Massenverbrechen einzu- für eine grundlegende Reform des Delikts den kann. Puleng Segalo von der Universi- senschaftler unterschiedlichster Disziplinen rences/emerging/program.cfm [Stand: 26.07.2017]. clarku.edu/videoarchive/257 [Stand: 26.07.2017]. fordern, beschäftigten sich gleich mehrere im internationalen Strafrecht. ty of South Africa stellte hierzu ein Projekt

88 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 89 vor, in dem Frauen ihre Erfahrungen der Aus dem Institut Aus dem Institut etwa 50 ausgewählte Institutionen in Ko- Unterdrückung und Entrechtung durch das operation mit der USC Shoah Foundation Apartheid-Regime in Südafrika in Sticke- Abschied von Einführung in das Visual einen Vollzugang zu dem Archiv an. Als reien – sogenannten herstories – festhalten. Monica Kingreen History Archive (VHA) zweite Einrichtung in Deutschland verfügt Hierdurch, so Segalo, werde die persönliche 10.1.1952 bis 2.9.2017 Workshopbericht die Universitätsbibliothek der Goethe- Leidensgeschichte gleichsam in die politi- Universität Frankfurt seit 2017 über einen sche und historische Landschaft »eingenäht«. solchen Vollzugang für Mitarbeiter und Die Stickereien gäben den Frauen damit den Wir trauern um unsere lang- Am 14. Juni 2017 gab Wolf Studierende. Anlass, erstmals mit ihren Verwandten über jährige und geschätzte Kol- Gruner im Rahmen eines Wolf Gruner erläuterte den rund 30 An- ihre bis dahin oftmals verschwiegene Vergan- legin Monica Kingreen, die am 2. September vom Fritz Bauer Institut ausgerichteten wesenden – nicht nur Mitarbeiterinnen und genheit zu sprechen. Vergessenes sichtbar zu 2017 nach schwerer Krankheit im engsten zweistündigen Workshops an der Goethe- Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts, son- machen ist auch ein Ziel der neuen App des Familienkreis friedlich gestorben ist. Auch Universität Frankfurt am Main eine Einfüh- dern auch der Goethe-Universität Frankfurt Jüdischen Museums Frankfurt, die Kathrin nach ihrem Eintritt in den Ruhestand im rung in das Visual History Archive (VHA). und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an Schön präsentierte. »Unsichtbare Orte« soll August 2015 war sie uns weiterhin als freie Dieses ist eine Online-Plattform, die Zu- der Justus-Liebig-Universität Gießen – den die Geschichte jüdischer Frankfurter nach Mitarbeiterin und kompetente Ansprechpart- gang zu den Oral-History-Beständen der Aufbau des Archivs und die Recherchemög- 1945 mit derjenigen anderer ethnischer und nerin verbunden. Wir werden sie vermissen. USC Shoah Foundation – The Institute for lichkeiten hierin. Wolf Gruner, Foto: Werner Lott religiöser Minderheiten der Stadt verknüpfen Visual History and Education bietet. Die und in Form von Stadtspaziergängen erlebbar Monica Kingreen wurde am 10. Januar von Steven Spielberg ins Leben gerufene Einen eingeschränkten Zugang zu etwa Dr. Wolf Gruner ist seit 2008 Shapell-Gue- machen. Die Nutzer der App sind eingela- 1952 in Lüdenscheid geboren. Seit 1983 Monica Kingreen, Foto: privat USC Shoah Foundation erstellte zwischen 1.800 lebensgeschichtlichen Interviews rin Chair in Jewish Studies and Professor of den, sich mit einer Migrationsgemeinschaft lebte sie in Windecken im Main-Kinzig- 1994 und 2000 eine Sammlung von Inter- des Visual History Archive der USC Shoah History an der University of Southern Ca- Frankfurts näher auseinanderzusetzen, wo- Kreis. Die Diplom-Pädagogin wurde 2003 Jüdisches Leben und antijüdische Politik in views mit Überlebenden und Zeugen des Foundation erhält jeder Interessierte über lifornia, Los Angeles, und seit 2014 Grün- durch Vorurteile gegen eine andere abgebaut vom Hessischen Kultusministerium an das Frankfurt am Main 1938–1945. In der Reihe Holocaust, aber auch anderen Verfolgten folgenden Link: dungsdirektor des USC Shoah Foundation werden sollen – nach der Idee, dass derjenige, Fritz Bauer Institut abgeordnet und erhielt Pädagogische Materialien des Fritz Bauer In- des NS-Regimes wie etwa Sinti und Roma, http://vhaonline.usc.edu/login Center for Advanced Genocide Research. dessen Geschichte gehört wird, offener ist für einen Lehrauftrag am Seminar für Didaktik stituts veröffentlichte sie 2004 den Band Der Homosexuellen, Zeuginnen und Zeugen Je- die Geschichten anderer. der Geschichte an der Goethe-Universität Auschwitz-Prozess 1964–1965. Geschichte, hovas oder auch Überlebenden der Kran- Am Ende der Tagung stand das we- Frankfurt. Seit 2009 war sie für das Päda- Bedeutung und Wirkung. Kingreen sammelte kenmordaktionen, die die umfangreichste nig überraschende Fazit, dass der Begriff gogische Zentrum des Fritz Bauer Instituts Bilder, Briefe und Dokumente aus dem jüdi- ihrer Art ist. Inzwischen ergänzen Inter- Accountability in den diskutierten Kontexten und des Jüdischen Museums Frankfurt tätig, schen Alltagsleben vor dem Holocaust und viewsammlungen zu anderen Genoziden und Disziplinen etwas ganz Verschiedenes das die pädagogischen Abteilungen von Mu- recherchierte die Geschichte hinter den Do- wie etwa dem Völkermord an den Arme- Das Norbert Wollheim Memorial meinen kann. Zudem kristallisierte sich her- seum und Institut in sich vereinigt. kumenten. Aus diesen Materialien konzipierte niern 1915–1923, dem Nanjing-Massaker aus, dass mit zunehmend zeitlichem Abstand Monica Kingreens Interesse galt vor al- sie das Internet-Portal »Vor dem Holocaust 1937/38 und dem Völkermord in Ruanda auf dem Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main zum Ereignis unterschiedliche Anforderun- lem der Lokal- und Regionalgeschichte der – Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hes- 1994 den Bestand. ist derzeit wegen Instandsetzungsarbeiten geschlossen. gen an die Rechtschaffenheitspfl icht gestellt Juden und ihrer Verfolgung und Ermordung sen« [www.vor-dem-holocaust.de], auf dem Das Archiv beinhaltet rund 54.000 Neben dem Wollheim-Pavillon betrifft dies auch die Fotostelen werden. Einig waren sich die Teilnehmerin- im Nationalsozialismus. In ihren Recherche- über 5.000 Aufnahmen aus etwa 300 hessi- lebensgeschichtliche Interviews mit einer im Park vor dem IG Farben-Haus, die teilweise abgebaut sind. nen und Teilnehmer jedoch letztlich darin, projekten ist sie den Schicksalen jüdischer schen Dörfern und Städten veröffentlicht sind. durchschnittlichen Dauer von etwa zwei wie wichtig eine juristische Aushandlung Familien »vor Ort« nachgegangen und hat Be- In Anerkennung für ihre besonderen Ver- Stunden, die in 62 Ländern und 41 Sprachen Das Memorial wird zu Beginn der Jüdischen Kulturwochen Frankfurt von Verantwortlichkeiten für Massenver- suchsprogramme ehemaliger jüdischer Bürger dienste im Bereich der zeitgeschichtlichen aufgezeichnet worden sind. Die insgesamt (ab Sonntag, 15. Oktober 2017) wieder zugänglich sein. brechen in post-genozidalen Gesellschaften organisiert. Neben ihrer eigenen Forschung hat Forschung und der Erinnerungskultur erhielt circa 115.000 Stunden Filmmaterial von ist. So hat sich wiederholt gezeigt, dass in sie zahlreiche Projekte der Spurensuche zu jü- Monica Kingreen 2012 den Kulturpreis des Holocaustüberlebenden sind minutengenau Die feierliche Wiedereröffnung fi ndet statt am Gesellschaften, in denen juristische Prozesse dischem Leben vor und während der NS-Zeit Main-Kinzig-Kreises. Sie war Trägerin der verschlagwortet worden: Die etwa 65.000 Sonntag, 5. November 2017, 11.00 bis 14.00 Uhr. wegen Völkermordes stattfanden, anschlie- mit ihrer umfangreichen Expertise unterstützt. Charlotte-Petersen-Medaille 2011, die von vergebenen Indexbegriffe, 1,8 Millionen er- ßend die Sensibilisierung für Menschen- Zu ihren Veröffentlichungen zählen Buchpu- der Stadt Dillenburg alle zwei Jahre für Ver- fassten Namen und detailliert verzeichneten Alle Inhalte des Memorials sind jederzeit auf der Website rechtsverletzungen gestiegen ist. Dabei war blikationen und wissenschaftliche Aufsätze dienste um die Verständigung zwischen den Länder, Regionen und Orte ermöglichen ei- www.wollheim-memorial.de zugänglich. nicht entscheidend, welche Art von Strafe in Periodika, Sammelbänden und Nachschla- Menschen verliehen wird. ne zielgerichtete Suche in der Datenbank. die Täterinnen und Täter erhielten, sondern gewerken. Bereits 1994 erschien ihre Studie Seit 2006 befi ndet sich das Archiv an der einzig die Gewissheit ihrer Bestrafung. Jüdisches Landleben in Windecken, Ostheim In ehrendem Gedenken University of Southern California, Los Fritz Bauer Institut Geschichte und und Heldenbergen und 1999 in der Schriften- Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Angeles (USA), die 2014 das USC Shoah Wirkung des Holocaust Johannes Beermann reihe des Fritz Bauer Instituts das von ihr her- des Fritz Bauer Instituts und des Foundation Center for Advanced Genocide Fritz Bauer Institut ausgegebene Buch »Nach der Kristallnacht«. Pädagogischen Zentrums Frankfurt Research eingerichtet hat. Weltweit bieten

90 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 91 Aus dem Institut sie 2012/13 Ina Levine Invitational Scholar Aus dem Institut als Fellow am Franz Rosenzweig Minerva Aus dem Institut am dortigen Mandel Center for Advanced Center for German-Jewish Literature and Die tragische Geschichte Neue Institutsleitung Holocaust Studies. Von 2010 bis 2017 war Neuer wissenschaftlicher Cultural History an der Hebrew University Neuer Projektmitarbeiter vom Leben und Sterben sie Universitätsprofessorin für Zeitgeschich- in Jerusalem. Prof. Dr. Sybille Steinbacher Mitarbeiter Jason Pollhammer, MA des „ersten Märtyrers der te/Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Dr. Tobias Freimüller Genozidforschung an der Universität Wien. Buchveröffentlichungen Bekennenden Kirche“ Zum 1. Mai 2017 hat Prof. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die › (Hrsg.) Die Idee der Rasse. Objekte aus Seit Mitte Juni ist Jason Poll- Dr. Sybille Steinbacher die Geschichte des Nationalsozialismus, des Seit Anfang Juli verstärkt anthropologisch-zoologischen Sammlun- hammer wissenschaftlicher Direktion des Fritz Bauer Instituts übernom- Faschismus in Europa und des Holocaust, Dr. Tobias Freimüller als gen der Universität Jena, Weimar 2015 Mitarbeiter im Forschungsprojekt zur »Ge- men und ist Inhaberin des neu geschaffenen ferner die Geschichte der Diktaturen und wissenschaftlicher Mitarbeiter die For- › (Hrsg. mit Hans-Joachim Hahn, Elisabeth schichte der Goethe-Universität Frankfurt am Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte der Massengewalt im 20. Jahrhundert und schungsarbeit des Fritz Bauer Instituts. Kohlhaas und Werner Konitzer), Kommu- Main in der Zeit des Nationalsozialismus und und Wirkung des Holocaust am Historischen die (Zeit-)Geschichte der Sexualität. Er hat zugleich (gemeinsam mit Gottfried nikationsräume des Europäischen – Jüdi- der frühen Bundesrepublik «. Für das Projekt Seminar der Goethe-Universität Frankfurt Kößler) die Funktion des stellvertretenden sche Wissenskulturen jenseits des Natio- wurden mit Unterstützung der Goethe-Uni- am Main. Buchveröffentlichungen (Auswahl) Direktors inne. Seine Forschungsschwer- nalen, Leipzig 2014 versität Mittel der Johanna Quandt-Stiftung › (Hrsg.): Rechte Gewalt in Deutschland. punkte sind die Geschichte und Nachge- › (Hrsg.) Psychoanalyse und Protest. Ale- sowie der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung Leseproben Sybille Stein- Zum Umgang mit dem Rechtsextremismus schichte des Nationalsozialismus, die Ge- xander Mitscherlich und die »Achtund- eingeworben. Es ist am Lehrstuhl zur Erfor- unter bacher stu- in Gesellschaft, Politik und Justiz. Dach- schichte der Medizin und der Psychiatrie im sechziger«, Göttingen 2008 schung der Geschichte und Wirkung des Ho- www.v-r.de dierte in Mün- auer Symposien zur Zeitgeschichte Band 20. Jahrhundert, die Geschichte der Sozial- › Alexander Mitscherlich. Gesellschafts- locaust am Historischen Seminar der Goethe- chen Neuere 16, Göttingen 2016. psychologie und der Psychoanalyse sowie diagnosen und Psychoanalyse nach Hit- Universität Frankfurt am Main angesiedelt. und Neueste › Wie der Sex nach Deutschland kam. Der die Jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert. ler, Göttingen 2007 Geschichte, Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der Aktuell forscht er zu den Themen »Frank- Jason Poll- Mittelalterli- frühen Bundesrepublik, München 2011 furt und die Juden 1945–1990« und »Die Kontakt hammer stu- che Geschich- (Habilitationsschrift). Jenaer Psychiatrie im 20. Jahrhundert«. Dr. Tobias Freimüller dierte von Fritz Bauer Institut 2017. 320 Seiten mit 31 Abb., gebunden te und Politik- › Auschwitz. Geschichte und Nachgeschich- An-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main 2010 bis 2013 € 30,– D ISBN 978-3-525-30109-8 wissenschaft. te, München 32015 (zuerst 2004, 22007). Tobias Frei- Tel.: 069.798 322 31 an der Uni- Sie wurde an › »Musterstadt« Auschwitz. Germanisie- müller studier- [email protected] versität Wien In seinem gut geschriebenen Buch er- Foto: Werner Lott der Ruhr-Uni- rungspolitik und Judenmord in Ostober- te Geschichte, Geschichte zählt der versierte Kirchenhistoriker versität Bo- schlesien, München 2000 (Dissertation). Germanistik, im Bachelor- Manfred Gailus [...] Leben und Wirken dieses eindrucksvollen Menschen im chum promoviert und habilitierte sich an › Dachau. Die Stadt und das Konzentra- Pädagogik und studiengang. Kontext der Politik- und Kulturge- der Friedrich-Schiller-Universität Jena. tionslager in der NS-Zeit. Die Untersu- Sozialwissen- Danach absol- schichte des 20. Jahrhunderts. Dafür Sie war Stipendiatin am Institut für Zeit- chung einer Nachbarschaft, Frankfurt am schaften an der vierte er ein hat er den Nachlass Weißlers sowie geschichte München und am Deutschen Main u.a. 21994 (zuerst 1993, Magister- Ruhr-Univer- Foto: Werner Lott Masterstudium zahlreiche Archivmaterialien gründ- Historischen Institut in Warschau. Sie ar- arbeit). sität Bochum. der Zeitge- lich ausgewertet.« beitete am Lehrstuhl für Neuere und Neueste 2001 legte er schichte, welches er 2016 mit einer Mas- DAMALS (Prof. Dr. Rainer Hering) Geschichte von Prof. Dr. Norbert Frei an Kontakt sein Erstes terarbeit über den Wohnungsbau in der DDR »[...] es ist Manfred Gailus nicht nur zu der Ruhr-Universität Bochum und später Prof. Dr. Sybille Steinbacher Staatsexamen abschloss. Von 2013 bis 2014 arbeitete er danken, dass er den »ersten Märtyrer Fritz Bauer Institut Foto: Louisa Reichstetter der Bekennenden Kirche« mit seiner an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. An-Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main ab. Mit einer als studentischer Mitarbeiter am Institut für Für die Unabhängige Historikerkommission Tel.: 069.798 322 40 Biographie des Psychoanalytikers und Zeitgeschichte der Universität Wien und Geschichte aus dem Gedächtnis holt. Er transportiert auch heftige Fragen. zur Erforschung der Geschichte des Hauses [email protected] kritischen Intellektuellen Alexander Mit- war dort auch als Tutor tätig. Seine For- Warum etwa gab es keinen Solidari- Bertelsmann im Dritten Reich war sie als scherlich wurde er 2006 an der Friedrich- schungsinteressen sind die Wissenschafts- tätskampagne mit Weißler nach seiner wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Als Schiller-Universität Jena promoviert. Er war und Universitätsgeschichte, die NS-Ge- Verhaftung, warum setzte sich die Be- Lynen-Stipendiatin der Alexander von Hum- zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an schichte sowie die Geschichte der DDR. kennende Kirche nicht für ihn ein?« boldt-Stiftung ging sie 2004/05 an die Har- der Ruhr-Universität Bochum und seit 2006 zeitzeichen (Margot Käßmann) vard University. Im Sommersemester 2010 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Kontakt hatte sie die Gastprofessur des Fritz Bauer jeweils am Lehrstuhl für Neuere und Neue- Jason Pollhammer, MA Instituts zur interdisziplinären Holocaust- ste Geschichte (Prof. Dr. Norbert Frei). 2010 Lehrstuhl zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust am Historischen Seminar forschung an der Goethe-Universität inne. war Tobias Freimüller Heuss Lecturer und der Goethe-Universität Frankfurt am Main Auf Einladung des United States Holocaust Assistant Professor an der New School for Tel.: 069.798 319 02 www.v-r.de Memorial Museum in Washington D.C. war Social Research in New York, 2012 war er [email protected]

92 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 93 Aus dem Förderverein Aus dem Förderverein Sybille Steinbacher Werner Schn eider-Quindeau stellt sich vor 23.10.1949 bis 24.8.2017 Außerordentliche Mitglieder- versammlung im Oktober Ein Nachruf von Micha Brumlik

Anfang Mai hat Prof. Dr. Plötzlich und unerwartet Sybille Steinbacher ihre verstarb am 24. August Arbeit als Direktorin des Fritz Bauer Ins- 2017, Pfarrer i.R. Werner Schneider-Quin- tituts und Inhaberin des neu geschaffenen deau, der erste Vorsitzende des 1993 ge- Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte gründeten Fördervereins Fritz Bauer Institut und Wirkung des Holocaust am Historischen e.V. und damit einer der Begründer des Fritz Seminar der Goethe-Universität aufgenom- Bauer Instituts. Dass ihm die Etablierung men. Der Förderverein und zahlreiche ge- dieses Forschungs- und Dokumentations- ladene Kooperationspartner des Instituts zentrums zur Geschichte des Holocaust und haben sie am 23. Mai mit einem Empfang seiner Wirkung ein Herzensanliegen war, im Festsaal des Casinos auf dem Campus folgte schlüssig aus seiner wissenschaftli- Westend begrüßt. Musikalisch umrahmt chen sowie aus seiner theologischen Exis- wurde die Veranstaltung durch Thilo Wag- Empfang des Fördervereins für Sybille Steinbacher am 23. Mai 2017, mit Emil Mangelsdorf (Saxophon) und tenz. In eine sozialdemokratische nord- Werner Schneider-Quindeau, Foto: Rolf Oeser ner am Klavier und Emil Mangelsdorff am Thilo Wagner (Klavier). Foto: Werner Lott hessische Familie geboren, führte ihn sein Saxophon. wissenschaftlicher Weg über die kirchliche Am 28. Oktober 2017 wird sich Sybille Hochschule Bethel 1975 nach Göttingen, protestantischer, lutherischer Theologie. Als großer Nachfrage und eines ebenso großen, Steinbacher den Mitgliedern des Förderver- Schnell und Klaus Schilling. Sie alle wollen für Veranstaltungen sind uns willkommen. wo er studierte und bis 1982 als Hochschu- Schüler Hans Georg Geyers und damit indi- nachhaltigen Erfolges. Dass er darüber hi- eins auf einer außerordentlichen Mitglieder- dem Förderverein und dem Fritz Bauer Insti- Ihre persönliche Ansprache neuer Freunde lassistent bei dem der Kritischen Theorie rekt Karl Barths war der reformierte Christ naus als ehemaliger Filmbeauftragter der versammlung vorstellen und einen Vortrag tut gewogen bleiben. Herbert Mai, Prof. Dr. und Freundinnen, die effektivste Form der verbundenen theologischen Systematiker davon überzeugt, dass die verhängnisvolle Evanglischen Kirche in Deutschland (EKD) halten. Auf der Versammlung wird zudem Eike Hennig und Dr. Rachel Heuberger sind Werbung, unterstützt das Fritz Bauer Insti- Hans-Georg Geyer (1929–1999) tätig war. Entgegensetzung von »Gesetz vs. Evange- ein Spezialist für den jüdischen Film in all über eine notwendig gewordene Satzungs- als Vorstandsmitglieder bestätigt worden. tut fi nanziell und ideell. Trotz zahlreicher Von 1984 bis 1989 wirkte Werner Schnei- lium« eine der Wurzeln des Antijudaismus seinen Facetten war, versteht sich daher bei- änderung diskutiert und abgestimmt werden. Gundi Mohr hat neben dem Amt der Schatz- neuer Eintritte haben wir die Hürde von der-Quindeau als Gemeindepfarrer in Wall- und damit auch des Antisemitismus war. Als nahe von selbst. Veranstaltungseinladung und Tagesordnung meisterin auch den stellvertretenden Vorsitz 1.000 Mitgliedern noch nicht genommen. dorf bei Frankfurt, wo er als gesellschaftlich Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Mit Werner Schneider-Quindeau ver- werden Ihnen demnächst postalisch zuge- übernommen. Ich selbst führe weiterhin den Helfen Sie mit, das Vermächtnis Fritz Bau- engagierter Geistlicher mit der von ihm ins Christen beim Deutschen Evangelischen lieren Förderverein und Institut einen ihrer stellt. Vorsitz und vertrete den Förderverein zu- ers, des Namensgebers des Instituts, leben- Leben gerufenen Hüttenkirche den Protest Kirchentag, als Referent und Diskutant in Gründer und ungebrochen tatkräftigen Un- Auf der letzten Mitglie derversamm- sammen mit Herbert Mai im Stiftungsrat des dig zu halten. der Anwohner gegen die Erweiterung des der Evangelischen Akademie Arnoldshain terstützer. Der Vorstand des Fördervereins lung am 18. März 2017 ist turnusgemäß Fritz Bauer Instituts. Rhein-Main-Flughafens tatkräftig unter- sowie als Lehrbeauftragter der Johann Wolf- und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein neuer Vorstand gewählt worden. Drei Nach wie vor sehen wir den Auftrag Jutta Ebeling stützte. Von 1989 bis 2000 als Pfarrer für gang Goethe-Universität legte er wieder und des Fritz Bauer Instituts trauern mit seiner neue Vorstandsmitglieder sind zu begrü- des Fördervereins in der Vermittlung wis- Vorsitzende des Fördervereins gesellschaftliche Verantwortung sowie wieder überzeugend dar, dass christlicher Witwe, der Psychoanalytikerin Ilka Quin- ßen: Gabriele Mielcke wird unsere Arbeit senschaftlicher Erkenntnisse zur Geschichte als Leiter des theologischen Konvikts der Glaube die Akzeptanz des Glaubens des deau, und seinen Kindern Lara, Alischa und als Publizistin voranbringen, der Staatsan- und Wirkungsgeschichte des Holocaust in Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau biblischen Israel sowie der jüdischen Reli- Nikolaus und werden ihm, dem sie so viel walt Dr. Christopher Wenzl die Kontakte die außeruniversitäre Öffentlichkeit und in (EKHN) tätig, wurde er im Jahre 2000 Stadt- gion zur notwendigen Voraussetzung haben verdanken, ein ehrenvolles Andenken be- zur Justiz festigen und Dr. Nikolaus Meyer der Anregung gesellschaftlicher Diskurse – kirchenpfarrer in Frankfurt am Main – ein muss. wahren. wird den Interessen der Studierenden und auch mit aktuellen Bezügen. Ein Blick auf Amt, das er bis 2007 ausübte. Daher auch galt sein engagiertes In- der jüngeren Generation eine Stimme geben. die politischen Bewegungen in Europa – und Bei alledem blieb er aufgrund seiner po- teresse der jüdischen Existenz in der Ge- Prof. Dr. Micha Brumlik ist emeritierter Dankbar verabschiedet haben wir Brigitte nicht nur dort – lehrt uns, dass Einmischung litischen und theologischen Biographie stets genwart, eine Existenz, die sich für ihn bei- Professor am Institut für Allgemeine Erzie- Tilmann, die von 2006 bis 2013 den Vorsitz vonnöten ist. der Erneuerung des Verhältnisses von Juden spielhaft in der Stadt Jerusalem, aber auch hungswissenschaft der Goethe-Universität des Fördervereins innehatte und zuletzt als Wir suchen Spender und Förderer für und Christen verpfl ichtet, verstand er doch und vor allem im jüdischen Leben der Stadt Frankfurt am Main, seit Oktober 2013 ist er stellvertretende Vorsitzende im Vorstand die wichtige Arbeit des Instituts und wer- den sechsmillionenfachen Massenmord an New York zeigte. Die von Werner Schnei- Senior Advisor am Zentrum Jüdische Studi- saß, sowie die bisherigen Beisitzerinnen ben neue Mitglieder. Dabei sind wir auf Ihre den europäischen Juden auch – keineswegs der-Quindeau geführten Reisen nach Isra- en Berlin-Brandenburg, von 2000 bis 2005 und Beisitzer, Beate Bermanseder, David Mitarbeit angewiesen. Auch Anregungen nur – als eine Wirkung missverstandener el und nach New York erfreuten sich stets war er Leiter des Fritz Bauer Instituts.

94 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 95 Aus Kultur und Wissenschaft ein. Neben dem Auschwitz-Prozess unter- Aus Kultur und Wissenschaft (nahe Tel Aviv) gezeigt. Letzte Station ist stützte er israelische Behörden auch bei der die Universität Haifa, wo die Ausstellung Fritz Bauer Studienpreis 2017 Ergreifung des einstigen SS-Obersturm- Die justizielle Aufarbeitung langfristig verbleiben soll, um als Lehrmate- Auszeichnung für Nach- bannführers Adolf Eichmann, dem Organi- von NS-Verbrechen in rial für deutsche Zeit- und Rechtsgeschichte wuchsjuristen verliehen sator des Holocausts. Fritz Bauer engagierte Hessen während der zu dienen und für andere israelische Orga- sich zudem für ein modernes Strafrecht und nisationen zugänglich zu sein. einen humanen Strafvollzug, der stets die Nachkriegszeit Bundesjustizminister Hei- Würde des Menschen in den Mittelpunkt Hessische Ausstellung über Kontakt ko Maas hat am 4. Juli 2017 stellte. Am 1. Juli 1968 starb Bauer in Frank- den Auschwitz-Prozess Hessische Staatskanzlei zum zweiten Mal den vom Bundesministe- furt am Main. Mit seinem unerschütterlichen Georg-August-Zinn-Str. 1 wird in Israel gezeigt 65183 Wiesbaden rium der Justiz und für Verbraucherschutz Engagement für eine Justiz, die an demo- https://aktuelle-woche.hessen.de ausgelobten und mit 5.000 Euro dotierten kratischen, sozialen und humanistischen »Fritz Bauer Studienpreis für Menschen- Werten orientiert ist, ragte er aus der west- Die Ausstellung des Hessi- rechte und juristische Zeitgeschichte« ver- deutschen Nachkriegsjustiz weit heraus. schen Landesarchivs »Die liehen. Ausgezeichnet wurden drei Nach- justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen wuchsjuristen für ihre herausragenden Fritz Bauer Studienpreis 2019 in Hessen während der Nachkriegszeit« Doktorarbeiten. Bewerben können sich Doktorandinnen wird jetzt auch an drei Orten in Israel prä- Aus Kultur und Wissenschaft Der Studienpreis wurde 2014 von Bun- und Doktoranden, die 2017 oder 2018 ihr sentiert. Mit Unterstützung des Hessischen desjustizminister Heiko Maas gestiftet, um von links: die Preisträger Dr. Christoph Thiele, Dr. Franceline Delgado Ariza und Dr. Katharina Krämer, Promotionsverfahren abgeschlossen haben. Ministeriums der Justiz konnten die 55 Bundesminister Heiko Maas. Foto: Bundesministerium der Justiz und für Verbrauc herschutz Simon-Dubnow-Institut: an den einstigen hessischen Generalstaats- Es können auch Vorschläge von Dritten ge- Tafeln und vier Dokumentarfi lme der Aus- Aufnahme in die Bund- anwalt und Initiator des Frankfurter Ausch- macht werden. Zur Bewerbung müssen das stellung aktualisiert und vollständig ins Länder-Förderung der witz-Prozesses Fritz Bauer (1903–1967) zu dortigen Versuche, das vergangene Un- Straftaten vorzubereiten. Dies ist ein An- ausgefüllte Bewerbungsformular sowie ein Hebräische übersetzt werden. Im Zentrum erinnern. »Fritz Bauer ist zu seinen Lebzei- recht justizförmig zu bewältigen. satz, der ganz im Sinne Fritz Bauers ist, tabellarischer Lebenslauf, ein Exemplar der stehen Strafverfahren, die von dem dama- Leibniz-Gemeinschaft ten verfolgt, umstritten, ja verhasst gewe- › Dr. Katharina Krämer von der Univer- der sich als Strafrichter und Staatsanwalt Arbeit, die Promotionsurkunde und – soweit ligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Leitungswechsel: Yfaat Weiss sen. Heute aber ist er für die Justiz und für sität Jena wird für ihre Doktorarbeit mit stets auch um die Belange von Strafgefan- verfügbar – die Gutachten zur Arbeit einge- Bauer initiiert worden waren, unter anderem folgt auf Raphael Gross uns Juristen ein Vorbild – und deshalb ist er dem Titel »Individuelle und kollektive genen gekümmert hat. reicht werden. Die Einreichungsfrist endet der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess von genau der richtige Namenspatron für diese Zurechnung im Strafrecht« geehrt. Sie am 31. Dezember 2018. 1963 bis 1965 oder der Frankfurter Sobibor- Auszeichnung. Mit unserem Preis wollen geht der Frage nach, wie Straftaten, die im Zur Person Fritz Bauer Über die Vergabe des Fritz Bauer Stu- Prozess. Die Ausstellung war in ihrer deut- Die Gemeinsame Wissen- wir Nachwuchsjuristinnen und -juristen aus- arbeitsteiligen Zusammenwirken began- Fritz Bauer, einstiger Generalstaatsanwalt dienpreises entscheidet der Bundesminis- schen Ursprungsvariante von 2014 bis 2016 schaftskonferenz von Bund zeichnen, die sich in ihrer Doktorarbeit mit gen werden, geahndet werden können. Ein von Hessen, ist vor allem als Initiator des ter der Justiz und für Verbraucherschutz in 13 hessischen Städten zu sehen. und Ländern hat am 4. April 2017 die Auf- Fritz Bauer, seinem Werk oder seinen Le- Thema, das bereits Fritz Bauer vielfach Auschwitz-Prozesses, der von 1963 bis 1965 in Zusammenwirken mit einer hochrangig Die erste Ausstellungsstation in Israel nahme des Simon-Dubnow-Instituts für bensthemen befasst haben«, so Bundesmi- beschäftigte. Frau Krämer setzt sich aber in Frankfurt am Main stattfand, bekannt. besetzten Jury: ist der Oberste Gerichtshof in Jerusalem – jüdische Geschichte und Kultur e.V. an nister Heiko Maas. Mit dem alle zwei Jahre nicht nur mit den Massenverbrechen der Bauer wurde 1903 in Stuttgart als Kind jüdi- › Christoph Flügge (Internationaler Ge- damit ist dies erst die zweite deutsche Aus- der Universität Leipzig in die gemeinsame vergebenen Studienpreis sollen Nachwuchs- Nationalsozialisten auseinander, sondern scher Eltern geboren und wurde 1930 einer richtshof für das ehemalige Jugoslawien, stellung an diesem Ort. Der Präsident des Bund-Länder-Förderung der Leibniz-Ge- juristinnen und -juristen motiviert werden, macht auch Vorschläge, wie das Strafrecht der jüngsten Richter Deutschlands. In der Den Haag) hessischen Staatsgerichtshofs, Roman Pos- meinschaft beschlossen. Wissenschaftsmi- sich mit Leben, Werk und Lebensthemen heute auf arbeitsteilig begangene Krimi- Weimarer Republik engagierte er sich u.a. › Prof. Dr. Sybille Steinbacher (Fritz Bauer eck, und der Leiter des Hessischen Haupt- nisterin Dr. Eva-Maria Stange gratulierte Fritz Bauers zu befassen. nalität reagieren sollte, etwa bei Strafta- im Republikanischen Richterbund für die Institut, Frankfurt am Main) staatsarchivs, Johann Zilien, sprachen zur den Mitarbeitern des Instituts und dankte ten, die aus einem Unternehmen heraus im Demokratie. Die Nationalsozialisten vertrie- › Werner Koep-Kerstin (Humanistische Eröffnung am 14. September. »Die justi- dem vielfach ausgezeichneten Direktor Pro- Die Preisträgerinnen und der Preisträger Interesse dieses Unternehmens begangen ben Bauer 1933 aus dem Richteramt und Union, Berlin) zielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen ist fessor Raphael Gross für sein Engagement: › Dr. Franceline Delgado Ariza von der werden. inhaftierten ihn kurzzeitig in einem Kon- › Prof. Dr. Beate Rudolf (Deutsches Institut leider insgesamt eine Geschichte des Weg- »Das ist ein großartiger Erfolg für die Wis- Goethe-Universität Frankfurt am Main › Dr. Christoph Thiele, der an der Univer- zentrationslager. Den Holocaust überlebte für Menschenrechte, Berlin) schauens, des Verdrängens und der Misser- senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Mit erhält den Preis für ihre Dissertation »Die sität Greifswald promoviert hat, wird für er, da er 1936 nach Dänemark, später nach › Prof. Dr. Gerhard Werle (Humboldt-Uni- folge«, so Possek. »Immerhin hat Hessen der Aufnahme in die gemeinsame Förderung Rolle des Strafrechts in Übergangspro- seine Doktorarbeit über »Ehe- und Famili- Schweden emigriert war. 1949 kehrte Bauer versität, Berlin) mit Fritz Bauer und dem Auschwitz-Prozess wird die hohe gesellschaftliche Relevanz der zessen ohne Übergang. Überlegung an- enschutz im Strafvollzug« ausgezeichnet. nach Deutschland zurück, wirkte zunächst leuchtende und mutige Gegenbeispiele zu Forschung des Dubnow-Instituts auch in Zu- hand des Falles Kolumbien«. Ihre Arbeit Herr Thiele plädiert in seiner Arbeit für in Braunschweig und ab 1956 als General- Kontakt dem weit verbreiteten Schlussstrichdenken sammenarbeit mit zahlreichen wissenschaft- schlägt eine Brücke von Fritz Bauers An- eine familienfreundliche Gestaltung des staatsanwalt in Frankfurt am Main. Bundesministerium der Justiz in der jungen Bundesrepublik zu bieten.« lichen Einrichtungen im In- und Ausland strengungen, die nationalsozialistischen Strafvollzugs, um das Ziel der Freiheits- Bauer setzte sich gegen große Wider- und für Verbraucherschutz Im Oktober wird die Ausstellung für bescheinigt.« Kennwort: Fritz Bauer Studienpreis Verbrechen zu ahnden, zum aktuellen strafe zu fördern, den Gefangenen auf ein stände in der westdeutschen Nachkriegsjus- Mohrenstr. 37, 10117 Berlin zehn Tage einer breiteren Öffentlichkeit Fast zeitgleich nimmt Professor Raphael Friedensprozess in Kolumbien und die künftiges Leben ohne die Begehung von tiz für die Strafverfolgung von NS-Tätern www.bmjv.de/fritz-bauer in der Wiesbadener Partnerstadt Kfar Saba Gross nach zwei Jahren Direktorentätigkeit

96 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 97 zwar nicht Abschied von der Universität Hebräischen Universität in Jerusalem, ei- Aus Kultur und Wissenschaft Zusammenarbeit auf Aus Kultur und Wissenschaft Leipzig, aber doch vom Simon-Dubnow- ne für uns wichtige und hochinteressante der Grundlage eines im Institut. Er wechselt nach Berlin zur Stiftung Partnerschaft.« Lager- und Jahre 2015 abgeschlos- Jahresbericht 2016 Deutsches Historisches Museum, zu deren Bevor Yfaat Weiss 2008 zur Professorin Holocaustliteratur senen Kooperationsver- der Gerda Henkel Stiftung Präsidenten er im November vergangenen für Jüdische Geschichte an der Hebräischen Neue Professur an der trages geben. Veröffentlichung der Tondo- Jahres berufen wurde. Gross hat eine Um- Universität in Jerusalem berufen wurde und Der Hessische Mi- strukturierung des Instituts und damit eine dort seit 2010 dem Franz Rosenzweig Mi- Universität Gießen nister für Wissenschaft kumente mit Originaltönen effektivere Gliederung der Arbeitsbereiche nerva Forschungszentrum für deutsch- jüdi- und Kunst, Boris Rhein, von Fritz Bauer vorangetrieben. Unter seiner Leitung sind sche Literatur und Kulturgeschichte sowie Nach Frankfurt wurde nun betont: »Die Unterstüt- langfristige Drittmittelprojekte, unter ande- der School of History vorstand, begründete in Gießen die zweite Holo- zung der Arbeitsstelle Die Gerda Henkel Stiftung rem zur Arbeiterbewegung und zu jüdischen und leitete sie von 2001 bis 2008 das Buce- caust-Professur Hessens eingerichtet: Prof. Holocaustliteratur ist hat im zurückliegenden Jahr Juristen des 19. und 20. Jahrhunderts, ange- rius Institute for Research of Contemporary Dr. Sascha Feuchert, Leiter der Arbeitsstelle mir ein wichtiges Anlie- mehr als 16,6 Millionen Euro für Forschung stoßen worden. German History and Society an der Uni- Holocaustliteratur am Institut für Germa- gen. Gerade die Doku- in den Historischen Geisteswissenschaften Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria versität Haifa. Ihr Studium hatte sie an der nistik der Justus-Liebig-Universität Gießen mente der Opfer werden Sascha Feuchert, Foto: Werner Lott und ihren benachbarten Disziplinen bewil- Stange: »Wir bedauern den Weggang von Universität Hamburg absolviert, wo sie sich (JLU), hat zum 1. Juni 2017 die an der JLU nach dem ›Zeitalter der ligt. Im Vorjahr waren es knapp 12 Millionen Professor Gross außerordentlich. Gleich- bereits früh auf deutsch-jüdische Geschichte neu eingerichtete Ernst-Ludwig-Chambré- Zeitzeugen‹ eine überragende Bedeutung für Prof. Dr. Sascha Feuchert, Jahrgang 1971, Euro. Auch in der Entwicklung des Stiftungs- zeitig schätzen wir uns ausgesprochen spezialisierte. 1997 promovierte sie an der Stiftungsprofessur für Neuere Deutsche die schulische Bildungsarbeit und insgesamt studierte Germanistik, Anglistik und Päda- vermögens setzte sich ein positiver Trend glücklich, dass wir die international renom- Universität Tel Aviv und war anschließend Literatur mit dem Schwerpunkt Holocaust- als Gedächtnis für die ganze Gesellschaft gogik für das Lehramt an Gymnasien an der fort: Zum 31.12.2016 betrug das Kurswert- mierte Wissenschaftlerin Frau Professor bis 1999 Wissenschaftliche Assistentin am und Lagerliteratur sowie ihre Didaktik an- erhalten. Die damit verbundene Erweiterung JLU. Im Jahr 2003 promovierte er mit einer vermögen 862,8 Millionen Euro gegenüber Yfaat Weiss als neue Direktorin gewinnen Historischen Seminar der Universität Mün- getreten. Neben der literaturwissenschaftli- der Forschung über die in Frankfurt ange- Arbeit zu »Oskar Rosenfeld und Oskar Sin- 776,5 Millionen Euro zum Ende des Jahres konnten. Sie wird das Dubnow-Institut mit chen. 2012 wurde Professor Weiss der Han- chen und didaktischen Auseinandersetzung siedelte Holocaust-Professur hinaus macht ger – zwei Autoren des Lodzer Gettos. Stu- 2015. Nun legt die Gerda Henkel Stiftung ih- seiner gesamteuropäischen Perspektive auf nah-Arendt-Preis für politisches Denken mit Holocaust- und Lagerliteratur ist das Hessen zu einem bedeutenden Zentrum in dien zur Holocaustliteratur«. Am Institut für ren Jahresbericht vor: Die Stiftungsgremien jüdische Geschichte und Kultur weiter fes- anlässlich der Veröffentlichung der deut- Ziel der Gießener Professur, die Erinnerung der Holocaustforschung.« Germanistik der Justus-Liebig-Universität bewilligten im vergangenen Jahr Projekte in tigen und neue Impulse geben. Zudem wird schen Übersetzung ihres Buchs »Verdrängte an den Holocaust durch einen aktiven Um- »Mit dieser Professur nimmt die Uni- Gießen ist er seit dem Jahr 2000 tätig, zuletzt 38 Ländern. In die Förderung aufgenommen sie durch ihren Verbleib an der Hebräischen Nachbarn. Wadi Salib – Haifas enteignete gang mit der Literatur auch dann noch zu versität Gießen auch ihre Verantwortung an, als Vertreter der neuen Professur für Neue- wurden insgesamt 337 Forschungsvorhaben. Universität Jerusalem die Vernetzungsdich- Erinnerung« zuerkannt; 2015 wurde sie sichern, wenn die Generation der Zeitzeugen an die dunklen Zeiten deutscher Geschich- re deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Erstmals liegt der Jahresbericht zugleich ge- te der Einrichtung international wie auch mit dem Polonsky Prize for Creativity and in naher Zukunft nicht mehr da sein wird. te zu erinnern«, so JLU-Präsident Prof. Dr. Holocaust- und Lagerliteratur und ihre Di- druckt und als digitale Publikation in Form in der deutschen Forschungslandschaft Originality in the Humanistic Disciplines Gefördert wird die Gießener Professur Joybrato Mukherjee. »Aus der ehrlichen und daktik. Im Juli 2008 übernahm Feuchert die einer App für Tablets vor. stärken.« ausgezeichnet. Professor Weiss’ gegenwär- von der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung kritischen Auseinandersetzung mit unserer Leitung der Arbeitsstelle Holocaustliteratur Neben ihrer Tätigkeit in Lehre und tige Forschungen befassen sich mit Fragen zu Lich. Gleichzeitig unterstützt das Hes- Vergangenheit beziehen wir Einsichten über an der JLU, deren stellvertretende Leitung er Fritz Bauer – Förderprojekt Forschung hat sich Frau Professor Weiss materieller Kultur und ihrer Restitution, der sische Ministerium für Wissenschaft und die Gegenwart und lernen für die Zukunft: seit 2000 innehatte. Für seine Arbeit erhielt er aus dem Jahresbericht im Bereich der Wissenschaftsorganisation Raumkultur, des Wissenstransfers sowie der Kunst (HMWK) über das Innovations- und ›Zukunft braucht Herkunft‹, wie der Gieße- verschiedene Auszeichnungen, darunter die 2018 jähren sich der Tod Fritz Bauers (1903– intensiv der Betreuung junger Forscher Universitätsgeschichte. Strukturentwicklungsbudget des Landes den ner Philosoph Prof. Odo Marquard treffend Medaille »Für Verdienste um Gesellschaft 1968) und das Ende des dritten Auschwitz- gewidmet. Sie gilt als führend unter den Ausbau der Arbeitsstelle Holocaustliteratur formulierte. Ich freue mich daher sehr darü- und Wissenschaft« der Universität Lodz, Prozesses zum fünfzigsten Mal. Auf den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Quelle: Pressemitteilung des Sächsischen Staatsminis- an der JLU bis Ende 2020 mit jährlich knapp ber, dass Prof. Sascha Feuchert seine hervor- Polen, (2006) sowie den Wolfgang-Mitter- Remigranten Fritz Bauer, seit 1956 Gene- ihres Fachs. terium für Wissenschaft und Kunst, 7. April 2017 200.000 Euro. ragende Arbeit als Leiter der international maier-Preis für hervorragende akademische ralstaatsanwalt des Landes Hessen, gehen Erfreut äußerte sich auch Frau Profes- Mit dieser Professur wird die Holo- renommierten Arbeitsstelle Holocaustlite- Lehre der Erwin-Stein-Stiftung (2009). Im die Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963– Kontakt: sor Beate Schücking, Rektorin der Universi- Simon-Dubnow-Institut caustforschung in Hessen weiter gestärkt ratur nun im Rahmen einer ordentlichen Jahr 2009 wurde Feuchert zum Honorarpro- 1968) und viele weitere Fälle der Verfolgung tät Leipzig: »Zum Amtsantritt von Frau Pro- für jüdische Geschichte und Kultur e.V. und vernetzt. Anfang Mai hatte Prof. Dr. Professur fortführen kann.« fessor am Department of World Languages von NS-Verbrechen zurück. Durch Vorträge fessor Yfaat Weiss können sich Universität an der Universität Leipzig Sybille Steinbacher den bundesweit ersten »Ich bin überaus glücklich, dass es (German Section) der Eastern Michigan Uni- und Reden, in Aufsätzen für Zeitschriften und Simon-Dubnow-Institut nur gegen- Goldschmidtstr. 28 , 04103 Leipzig Holocaust-Lehrstuhl an der Goethe-Univer- diese Professur jetzt an der Justus-Liebig- versity, USA, ernannt. Seit 2012 ist er Vize- und Tageszeitungen sowie mit Auftritten in Tel.: 0341.21735-50, Fax: -55 seitig gratulieren. Ich habe Frau Professor [email protected] sität Frankfurt angetreten, dessen Fokus auf Universität Gießen gibt«, so Prof. Dr. Sa- präsident und Writers-in-Prison-Beauftragter Radio und Fernsehen wandte Fritz Bauer sich Weiss als hoch engagierte Wissenschaftlerin www.dubnow.de der Erforschung der Geschichte und Wir- scha Feuchert. »Sie kann sicherstellen, dass des PEN-Zentrums Deutschland. zudem immer wieder an eine breite Öffent- kennengelernt und freue mich besonders kung des Holocaust liegt. Steinbacher ist die literarischen Zeugnisse über den Holo- lichkeit. Dennoch sind etwa seine Hörfunk- über ihr Engagement für Nachwuchswis- zudem Direktorin des Fritz Bauer Instituts caust auch in Zukunft eine gesellschaftlich Kontakt: beiträge heute nahezu vergessen. Das Fritz senschaftler, das sicherlich auch in der Zu- in Frankfurt am Main. Zwischen den beiden bedeutsame Rolle spielen können. Dass der Arbeitsstelle Holocaustliteratur am Institut für Bauer Institut in Frankfurt am Main stellt mit Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen sammenarbeit mit der Universität Leipzig komplementär ausgerichteten Holocaust- Umgang mit Holocaust- und Lagerliteratur Otto-Behaghel-Str. 10 B/1, 35394 Gießen Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung positiv wirken wird. Zudem haben wir mit Professuren in Gießen und Frankfurt sowie an der JLU Teil auch der Lehrerausbildung arbeitsstelle.holocaustliteratur@germanistik. und der Gerda Henkel Stiftung die Tondo- ihr die Brücke der Universität Leipzig zur dem Fritz Bauer Institut wird es eine enge bleibt, ist gerade jetzt enorm wichtig.« uni-giessen.de, www.holocaustliteratur.de kumente von und mit Fritz Bauer zwischen

98 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 99 1965 und 1968 zusammen. Das wissenschaft- Historischen Geisteswissenschaften, vorran- Aus Kultur und Wissenschaft »Schule ohne Rassismus – Schule mit Cou- liche Projekt ergänzt zwei Editionen der Auf- gig der Geschichtswissenschaft, der Archäo- rage« der Aktion Courage e.V. verliehen be- sätze und Fernsehauftritte Fritz Bauers, die logie, der Kunstgeschichte und historischen Namensgebung kommen. Die Frage nach den Gründen für die Gerda Henkel Stiftung seit 2014 fördert. Teildisziplinen. Seit einigen Jahren wendet Fritz-Bauer-Gesamtschule den Namenspatron beantwortet die Fritz- https://www.gerda-henkel-stiftung.de/Fritz_ sich die Stiftung vor allem im Rahmen der in Sankt Augustin Bauer-Gesamtschule auf ihrer Website wie Bauer_Radiobeitraege Sonderprogramme »Islam, moderner Natio- folgt: nalstaat und transnationale Bewegungen« so- › Weil Fritz Bauer dem Ungeist unermüdlich Veröffentlichungen wie »Sicherheit, Gesellschaft und Staat« auch »Ich würde mir wünschen, dass junge mit Zivilcourage, Mut, Entschlossenheit des Fritz Bauer-Projekts: gegenwarts- und zukunftsbezogenen Themen Leute von heute vielleicht den selben und Konsequenz entgegentrat. › David Johst (Hrsg.) im Auftrag des Fritz zu. Im Rahmen des Lisa Maskell Stipendi- Traum von Recht besäßen, den ich einmal › Weil seine Hoffnung der Jugend galt und Bauer Instituts, Fritz Bauer. Sein Leben, enprogramms fördert die Stiftung seit 2014 hatte; und dass sie das Gefühl haben, dass sein Wirken auf die Zukunft gerichtet war. sein Denken, sein Wirken, Tondokumente junge Geisteswissenschaftler in Afrika und das Leben einen Sinn hat, wenn man für › Weil er »Erinnern für die Zukunft« zu mit Originaltönen von Fritz Bauer, kom- Südostasien. Seit 2015 setzt sich die Stiftung Freiheit, Recht und Brüderlichkeit eintritt.« seinem Credo gemacht hat. mentiert und eingeleitet von Burghart in ihrem Förderschwerpunkt »Patrimonies« Fritz Bauer (1903–1968) › Weil er ein Vorbild für »Schule ohne Ras- Klaußner. Berlin: Der Audio Verlag, 2017, verstärkt für den Erhalt kulturellen Erbes sismus – Schule mit Courage« ist. 4 CDs, ISBN: 978-3-86231-994-7 vor allem in Krisenregionen ein. Die Gerda Die Gesamtschule der Stadt › Weil Fritz Bauer für Schülerinnen und › Fritz Bauer Institut (Hrsg.), Fritz Bauer. Henkel Stiftung ist in Deutschland und inter- Sankt Augustin trägt seit Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und El- Gespräche, Interviews und Reden aus den national tätig. Seit ihrem Bestehen wurden dem 1. August 2017 den Namen Fritz-Bau- tern eine Identifi kationsfi gur sein kann. Fernseharchiven 1961–1968, Red.: Bettina weltweit mehr als 6.600 Forschungsprojekte er-Gesamtschule. Der Schulausschuss hatte Infobroschüre (pdf-Datei): www.fritz-bauer- Schulte Strathaus, Absolut MEDIEN, Berlin mit rund 160 Millionen Euro unterstützt. sich bereits im März für den früheren Hessi- gesamtschule.de/docs/FrtzBrVrstllg.pdf 2014, 2 DVDs, ISBN: 978-3-8488-4017-5 schen Generalstaatsanwalt und Initiator des Dreidel-Skulptur der Künstlerin Filippa Pettersson auf dem »Platz der vergessenen Kinder«, Foto: Werner Lott www.fritz-bauer-institut.de/e-medien.html Kontakt Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Fritz Bau- Kontakt › Die Veröffentlichung der Edition der Auf- Gerda Henkel Stiftung er als Namensgeber ausgesprochen. Mit Be- Fritz-Bauer-Gesamtschule sätze Fritz Bauers ist für 2018 geplant. Pressestelle, Dr. Sybille Wüstemann schluss vom 10. Mai 2017 hatte der Stadtrat Siegstr. 123, 53757 Sankt Augustin 43 Kindern im Alter von einem bis 14 Jahren Mahnmals zu einem Wettbewerb für das Malkastenstr. 15, 40211 Düsseldorf Tel.: 02241.1650980 Tel.: 0211.93652419, der Namensgebung zugestimmt. Die 2011 [email protected] überlebten nur sechs. 75 Jahre danach – am Kunstwerk eingeladen worden. Eine Jury Das Stiftungsjahr als App [email protected] gegründete vierzügige Gesamtschule hatte www.fritz-bauer-gesamtschule.de 26. April 2017 – wurde das Mahnmal am aus Mitgliedern der Bürgerinitiative, Fach- Der Jahresbericht der Gerda Henkel Stif- www.gerda-henkel-stiftung.de schon im Januar 2014 die Auszeichnung »Platz der vergessenen Kinder« feierlich leuten und Vertretern der Stadt Frankfurt und tung steht neben der Print-Version auch als eingeweiht. des Ortsbeirats hat sich einstimmig für den digitale Publikation für Tablets in den gän- Foto: Fritz-Bauer-Gesamtschule, Sankt Augustin Die von Volker Mahnkopp – dem Entwurf von Filippa Pettersson entschieden. gigen App-Stores zur Verfügung. Die App- Pfarrer an der benachbarten Lukaskirche Die 1987 in Schweden geborene Künstlerin Fassung enthält zusätzliche Bildergalerien, – recherchierte Geschichte zeigt, dass bis- ist Absolventin der Städelschule, an der sie Videos zu Veranstaltungen und Förderpro- Aus Kultur und Wissenschaft her weder die Existenz des Kinderhauses bei Peter Fischli und Simon Starling von jekten sowie weiterführende Links. noch das Schicksal seiner Bewohner im 2010 bis 2015 Bildhauerei studierte. Sie lebt Informationen zum Download: Platz der vergessenen Kinder Bewusstsein der Bevölkerung verankert und arbeitet in Frankfurt am Main. Zent- www.gerda-henkel-stiftung.de/jahresbericht Kunstwerk erinnert an ehe- waren. Aus diesem Grund hat die »Initia- raler Ankerpunkt ihres Kunstwerks ist die maliges jüdische Kinderhaus tive Jüdisches Kinderhaus Hans Thoma- Skulptur eines »Dreidels«. Das Spiel mit Die Gerda Henkel Stiftung wurde im Juni Straße 24« die Errichtung eines Mahnmals dem Dreidel ist ein Kinderspiel zum jüdi- 1976 von Frau Lisa Maskell zum Gedenken angeregt, das jetzt – vor allem durch das schen Lichterfest Chanukka – der Dreidel ist an ihre Mutter Gerda Henkel als gemeinnüt- Am 15. September 1942 Engagement Frankfurter Bürger – reali- ein Kreisel mit vier Seiten, auf denen jeweils zige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz räumte die Gestapo das siert werden konnte. Die Finanzierung der ein hebräischer Buchstabe zu sehen ist. in Düsseldorf errichtet. Ausschließlicher jüdische Kinderhaus in der Hans-Thoma- für das Kunstwerk erforderlichen 27.000 Stiftungszweck ist die Förderung der Wis- Straße 24 im Frankfurter Stadtteil Sachsen- Euro erfolgte zum Großteil durch private Mahnmal »Platz der vergessenen Kinder« senschaft, vornehmlich durch bestimmte hausen. Die im Kinderhaus des »Vereins Spenden, die die Bürgerinitiative einge- Ecke Hans-Thoma-Straße und Gartenstraße fachlich und zeitlich begrenzte Arbeiten der Weiblichen Fürsorge, Israelitischer worben hat. Die Stadt Frankfurt am Main Frankfurt am Main/Sachsenhausen [email protected] auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft an Frauenverein zur Förderung gemeinnütziger und der Ortsbeirat 5 (Niederrad, Oberrad, www.platz-der-vergessenen-kinder.de Universitäten und Forschungsinstituten. Die Bestrebungen« lebenden Kinder und ihre Sachsenhausen) beteiligen sich ebenfalls. Weiterbildung graduierter Studenten ist ein Betreuer wurde von SA-Männern abgeholt Ende 2015 waren die Künstler Filippa Pet- besonderes Anliegen der Stiftung. Die Förde- und über die Frankfurter Großmarkthalle ins tersson, Simone Decker, Silke Wagner und rungen der Gerda Henkel Stiftung gelten den Ghetto Theresienstadt deportiert. Von den Udo Wuttke von der Planungsgruppe des

100 Nachrichten und Berichte Einsicht 18 Herbst 2017 101 Ausstellungsangebot Wanderausstellung des Fritz Bauer Instituts

Aus Kultur und Wissenschaft › 7. Mai bis 26. Juni 2015 Landgericht Tübingen Ehrenplakette der › 27. Januar bis 28. März 2016 Stadt Frankfurt am Main Museum zur Geschichte von Christen Auszeichnung für und Juden in Laupheim › 21. April bis 21. August 2016 Eva Szepesi EL-DE-Haus ‒ NS-Dokumentations- zentrum der Stadt Köln Im Rahmen einer Feierstun- › 9. März bis 27. Juni 2017 de im Kaisersaal im Römer, Militärhistorisches Museum der dem historischen Festsaal des Frankfurter Rat- Bundeswehr in Dresden hauses, wurde der Holocaust-Überlebenden › 15. Oktober 2017 bis Anfang Februar 2018 Eva Szepesi am 26. April 2017 die Ehrenpla- Jüdisches Museum Westfalen in Dorsten kette der Stadt Frankfurt am Main verliehen. (Weitere Informationen zur aktuellen Aus- Eva Szepesi gehört zu den wenigen stellungsstation fi nden Sie auf Seite 12.) noch lebenden Zeitzeuginnen, die in der Fritz Bauer. Der Staatsanwalt Erinnerungsarbeit mit Jugendlichen aktiv NS-Verbrechen vor Gericht Publikationen zur Ausstellung sind. Die 84-Jährige arbeitet zusammen mit › Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael der Bildungsstätte Anne Frank und dem Päd- Oberbürgermeister Peter Feldmann überreicht die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt an Eva Szepesi. Foto: Werner Lott Gross (Hrsg.), Fritz Bauer. Der Staats- Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts agogischen Zentrum Frankfurt. Sie berichtet anwalt. NS-Verbrechen vor Gericht und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main regelmäßig in Schulen, Kirchengemeinden Ausstellungskatalog, Frankfurt am und vor Studierenden über ihre Erlebnisse das noch bis du 120 Jahre bist!«, ergänzte auf kommunalpolitischem, kulturellem, wirt- Main, New York: Campus Verlag, 2014, in Auschwitz und sucht das Gespräch mit ihre zweite Tochter Anita. schaftlichem, sozialem oder städtebaulichem Fritz Bauer gehört zu den ju- Die Ausstellung steht unter der Schirm- 300 S., zahlr. Abb., € 29,90, ISBN: 978- vornehmlich jungen Menschen. Dazu wird Gebiet verdient gemacht und durch sein Wir- ristisch einfl ussreichsten jü- herrschaft des Bundespräsidenten Joachim 3-5935-0105-5, Schriftenreihe des Fritz sie nicht nur in Frankfurt nachgefragt, son- Ein Mädchen allein auf der Flucht ken dazu beigetragen hat, das Ansehen der dischen Remigranten im Nachkriegsdeutsch- Gauck. Sie wird gefördert durch die Stiftung Bauer Instituts, Band 32 dern erhält Einladungen aus ganz Deutsch- Als die Deutschen im Frühjahr 1944 in Stadt zu mehren. Jedes Jahr werden vom land. Als hessischer Generalstaatsanwalt, der Polytechnische Gesellschaft, die Hamburger › Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Fritz Bauer. land. Mit Zeitzeugengesprächen, Vorträgen Ungarn einmarschieren, beginnt die Ver- Magistrat der Stadt Frankfurt nur bis zu fünf den Frankfurter Auschwitz-Prozess auf den Stiftung zur Förderung von Wissenschaft Gespräche, Interviews und Reden aus und Lesungen aus ihrem 2011 erschienenen folgung und Ermordung der ungarischen Persönlichkeiten benannt, die für ihr großar- Weg brachte, hat er bundesrepublikanische und Kultur, das Bundesministerium der den Fernseharchiven 1961‒1968 Erinnerungsbuch Ein Mädchen allein auf Juden. Die elfjährige Eva Szepesi wird von tiges Engagement für die Stadtgesellschaft Geschichte geschrieben. Die Ausstellung Justiz und für Verbraucherschutz, das Hes- Redaktion: Bettina Schulte Strathaus der Flucht leistet sie wertvolle Arbeit im ihrer Mutter in die Slowakei geschickt. Von mit der Ehrenplakette ausgezeichnet werden. nimmt den Prozess, der sich 2013 zum fünf- sische Ministerium der Justiz, für Integra- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Hinblick auf eine Erziehung zu Toleranz, nun an lebt das jüdische Mädchen auf der Neben Eva Szepesi erhielten die Ehrenpla- zigsten Mal jährte, zum Anlass, Fritz Bauer tion und Europa, die Georg und Franziska Dokumente 4017, 2 DVDs, 298 Min., Mitmenschlichkeit und Weltoffenheit. Flucht. Sie fi ndet Verstecke bei gutwilli- kette in diesem Jahr: einem größeren Publikum vorzustellen. Speyer’sche Hochschulstiftung, die Fazit- s/w, € 19,90, ISBN: 978-3-8488-4017-5 Oberbürgermeister Peter Feldmann über- gen Menschen, doch schließlich wird sie › der Konzertveranstalter Marek Lieber- Bauers Leben blieb nicht unberührt von Stiftung sowie Christiane und Nicolaus www.absolutmedien.de reichte die Ehrenplakette und die Ehrenur- gefangengenommen und nach Auschwitz berg für sein innovatives und internatio- den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Weickert. kunde und dankte in seiner Ansprache der verschleppt. Nach dem Krieg schweigt Eva nal beachtetes Kulturschaffen sowie seine Ausstellung dokumentiert seine Lebensge- Ausstellungsausleihe Preisträgerin für ihr großes Engagement. Szepesi fünfzig Jahre lang. Erst Mitte der vielfältigen Initiativen für Menschlichkeit schichte im Spiegel der historischen Ereignis- Kuratoren der Ausstellung Die Wanderausstellung »Fritz Bauer. Der Er versicherte, die Entgegennahme dieser neunziger Jahre kann sie über das Erleb- und gegen Rechtsradikalismus, Fremden- se, die ihn auch persönlich betrafen. Als Jude › Monika Boll (Fritz Bauer Institut): Kon- Staatsanwalt« kann gegen Gebühr ausge- Auszeichnung sei eine Würde für die Stadt. te sprechen. 2011 sind ihre bewegenden feindlichkeit und Gewalt; blieb Fritz Bauer vom Antisemitismus nicht zeption und Aufbau der Erstausstellung liehen werden. Das Institut berät Sie gerne Nach der anschließenden bewegenden Re- Kindheitserinnerungen unter dem Titel › Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt für sein verschont. Als Sozialdemokrat glaubte er in Frankfurt am Main bei der Organisation des Begleitprogramms de von Eva Szepesi erhoben sich die An- Ein Mädchen allein auf der Flucht. Un- facettenreiches Wirken, das Ansehen dennoch an den Fortschritt, dann trieben ihn › Erik Riedel (Jüdisches Museum Frank- und bei der Suche nach geeigneten Referen- wesenden im gut gefüllten Kaisersaal und garn – Slowakei – Polen (1944–1945) als Frankfurts als Stadt der Stiftungen und die Nationalsozialisten für 13 Jahre ins Exil. furt): Betreuung der Wanderausstellung ten. Weitere Informationen und ein Ausstel- applaudierten anhaltend. Frankfurt sei zu Band 22 der »Bibliothek der Erinnerung« innovativen Förderung der Bildung und Als Generalstaatsanwalt hat er das überkom- lungsangebot senden wir Ihnen gerne zu. einer weltoffenen Stadt geworden, in der im Berliner Metropol Verlag erschienen. Integration zu mehren; mene Bild dieses Amtes revolutioniert. Nicht Bisherige Ausstellungsstationen sie sich wohlfühle, hatte Szepesi zuvor be- http://metropol-verlag.de/produkt/eva-sze- › der Architekt Prof. Dr. Dietrich-Wilhelm der Gehorsam der Bürger gegenüber dem › 10. April bis 7. September 2014 Kontakt Fritz Bauer Institut kannt, aber sie sei auch besorgt, wenn sie pesi-ein-maedchen-allein-auf-der-fl ucht Dreysse für sein Engagement für die Staat stand im Vordergrund. Bauer verstand Jüdisches Museum Frankfurt am Main Manuela Ritzheim sich in der Welt umschaue. Deshalb wolle Frankfurter Stadtentwicklung und das sich stets als Vertreter der Menschenwürde › 9. Dezember 2014 bis 15. Februar 2015 Tel.: 069.798 322-33 sie sich auch weiter für die Jugendlichen Ehrenplakette der Stadt Frankfurt Einbringen seiner Expertise in den Frank- vor allem auch gegen staatliche Gewalt – ein Thüringer Landtag in Erfurt [email protected] einsetzen, damit diese aufgeklärt und mit Laut Ehrungsordnung der Stadt Frankfurt furter Städtebaubeirat. großer Schritt auf dem Weg der Demokrati- › 26. Februar bis 17. April 2015 Website zur Ausstellung offenen Augen durchs Leben gehen. »Und am Main erhält die Ehrenplakette, wer sich www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=8650 sierung in der frühen Bundesrepublik. Landgericht Heidelberg www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer-ausstellung.html

102 Nachrichten und Berichte / Ausstellungsangebot Einsicht 18 Herbst 2017 103 Werner Renz (Hrsg.) Jenny Hestermann Liliane Weissberg (Hrsg.) Interessen um Eichmann Inszenierte Versöhnung. Reisediplomatie und die Affi nität wider Willen? Schriftenreihe Publikationen Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte deutsch-israelischen Beziehungen von 1957 bis 1984 Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die Kameradschaften Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Frankfurter Schule des Fritz Bauer Instituts Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, 290 S., gebunden, € 29,95, EAN 9783593506159 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Hanno Loewy (Hrsg.) 332 S., € 34,90, EAN 9783593397504 Wissenschaftli che Reihe, Band 28 236 S., 18 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39490-9 Holocaust. Die Grenzen des Verstehens Wissenschaftliche Reihe, Band 20 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2011, Band 15 Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte Franziska Krah Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1992, 256 S., Katharina Stengel: »Ein Ungeheuer, das wenigstens theoretisch Sybille Steinbacher (Hrsg.) € 9,60, ISBN 3-499-19367-1 Hermann Langbein besiegt sein muß …« Holocaust und Völkermorde Schriftenreihe, Band 2 Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungs- Pioniere der Antisemitismusforschung in Deutschland Die Reichweite des Vergleichs politischen Konfl ikten der Nachkriegszeit Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Oskar Rosenfeld Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, 466 S., gebunden, € 39,95, EAN 9783593506241 248 S., € 24,90, EAN 9783593397481 Wozu noch Welt 635 S., € 34,90, EAN 9783593397887 Wissenschaftliche Reihe, Band 29 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2012, Band 16 Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz Wissenschaftliche Reihe, Band 21 Hrsg. von Hanno Loewy. Verlag Neue Kritik, Christoph Schneider Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Frankfurt am Main, 1994, 324 S., € 25,–, Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.) Diener des Rechts und der Vernichtung Rückkehr in Feindesland? ISBN 3-8015-0272-4 Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Schriftenreihe, Band 7 Kommentierte Quellenedition von 1941 oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer Nachkriegsgeschichte Das Fritz Bauer Institut ver- Wissenschaftliche Reihe Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Knut Dethlefsen, Thomas B. Hebler (Hrsg.) öffentlicht mehrere Publika- 1.398 S., Hardcover, gebunden, Edition in zwei 242 S., gebunden, € 29,95, EAN 9783593506890 240 S., € 29,90, EAN 9783593399805 Bilder im Kopf / Obrazy w glowie tionsreihen, darunter das Jahrbuch und die Teilbänden, € 78,–, EAN 9783593399607 Wissenschaftliche Reihe, Band 30 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2013, Band 17 Auschwitz – Einen Ort sehen Wissenschaftliche Reihe, Band 22 Oswiecim – Ujecia pewnego miejsca Wissenschaftliche Reihe, jeweils im Cam- Katharina Stengel (Hrsg.) Jörg Osterloh, Kim Wünschmann (Hrsg.) Werner Konitzer (Hrsg.) Edition Hentrich, Berlin, 1996, 146 S., 134 Abb., pus Verlag, und die Schriftenreihe, die in Vor der Vernichtung Jörg Osterloh, Harald Wixforth (Hrsg.) »… der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert« Moralisierung des Rechts € 9,90, ISBN 3-89468-236-1 verschiedenen Verlagen erscheint. Daneben Die staatliche Enteignung der Juden im Unternehmer und NS-Verbrechen Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933–1936/3 Kontinuitäten und Diskontinuitäten Schriftenreihe, Band 12 Nationalsozialismus gibt es Publikationsreihen, die im Eigenver- Wirtschaftseliten im »Dritten Reich« und in der Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017, nationalsozialistischer Normativität Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, Bundesrepublik Deutschland 460 S., gebunden, € 39,95, EAN 9783593507026 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Hanno Loewy, Andrzej Bodek (Hrsg.) lag verlegt sind, darunter die Pädagogischen 336 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38371-2 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2014, Wissenschaftliche Reihe, Band 31 248 S., € 29,90, EAN 99783593501680 »Les Vrais Riches« – Notizen am Rand Materialien und die Reihe Konfrontationen. Wissenschaftliche Reihe, Band 15 416 S., € 34,90, EAN 9783593399799 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2014, Band 18 Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz Video-Interviews, Ausstellungskataloge und Wissenschaftliche Reihe, Band 23 Lena Foljanty, David Johst (Hrsg.) (Mai bis August 1944) Christoph Jahr andere Einzelveröffentlichungen ergänzen Fritz Bauer. Kleine Schriften Katharina Rauschenberger, Werner Konitzer (Hrsg.) Reclam Verlag, Leipzig, 1997, 165 S., € 9,20, Antisemitismus vor Gericht Katharina Rauschenberger, Werner Renz (Hrsg.) Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Antisemitismus und andere Feindseligkeiten ISBN 3-379-01582 das Publikations-Portfolio des Instituts. Debatten über die juristische Ahndung judenfeindli- Henry Ormond – Anwalt der Opfer Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2017 Interaktionen von Ressentiments Schriftenreihe, Band 13 Eine komplette Aufl istung aller bisher cher Agitation in Deutschland (1879–1960) Plädoyers in NS-Prozessen 2 Bände, ca. 1.600 S., gebunden, ca. € 78,– Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 erschienenen Publikationen des Fritz Bau- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015, EAN 9783593508597, erscheint im Juni 2018 197 S., € 29,90, EAN 9783593504698 Margrit Frölich, Hanno Loewy, 476 S., € 39,90, EAN 978-3-593-39058-1 er Instituts fi nden Sie auf unserer Website: 364 S., 27 Abb., € 34,90, EAN 978-3-593-50282-3 Wissenschaftliche Reihe, Band 32 in zwei Teilbänden Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2015, Band 19 Heinz Steinert (Hrsg.) Wissenschaftliche Reihe, Band 16 Wissenschaftliche Reihe, Band 24 Lachen über Hitler – Auschwitz Gelächter? www.fritz-bauer-institut.de Werner Konitzer, David Palme (Hrsg.) Filmkomödie, Satire und Holocaust Wolf Gruner, Jörg Osterloh (Hrsg.) Werner Renz (Hrsg.) »Arbeit«, »Volk«, »Gemeinschaft« München: Edition text + kritik im Richard Boorberg Bestellungen bitte an die Das »Großdeutsche Reich« und die Juden »Von Gott und der Welt verlassen« Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus Verlag, 2003, 386 S., 40 s/w Abb., € 27,50, Nationalsozialistische Verfolgung in den Karl Marx Buchhandlung GmbH Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016 ISBN 3-88377-724-2 »angegliederten« Gebieten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Jahrbuch zur Geschichte 284 S., € 29,95, EAN 9783593506227 Schriftenreihe, Band 19 Publikationsversand Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, 300 S., gebunden, 24 s/w-Fotos, € 29,90 und Wirkung des Holocaust Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2016, Band 20 Jordanstr. 11, 60486 Frankfurt am Main 438 S., , € 39,90, EAN 978-3-593-39168-7 EAN 978-3-593-50468-1 Barbara Thimm, Gottfried Kößler, Tel.: 069.778 807, Fax: 069.707 739 9 Wissenschaftliche Reihe, Band 17 Wissenschaftliche Reihe, Band 25 Jörg Osterloh, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Susanne Ulrich (Hrsg.) [email protected] Der Holocaust Verunsichernde Orte Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.) Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.) Werner Konitzer, Raphael Gross (Hrsg.) Neue Studien zu Tathergängen, Reaktionen und Selbstverständnis und Weiterbildung in der www.karl-marx-buchhandlung.de Umdeuten, verschweigen, erinnern Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte Moralität des Bösen Aufarbeitungen Gedenkstättenpädagogik Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa Kommentierte Quellenedition (1781–1931) Ethik und nationalsozialistische Verbrechen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2017 Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag, 2010, Liefer- und Zahlungsbedingungen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, ca. 260 S., kartoniert, € 29,95, EAN 9783593507996 208 S., € 19,90, Lieferung auf Rechnung. Die Zahlung ist sofort fällig. 257 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39271-4 361 S., gebunden, € 39,90, EAN 978-3-593-50470-4 272 S., € 29,90, EAN 978-3-59339021-5; Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2017, Band 21 SBN 978-3-86099-630-0 Bei Sendungen innerhalb Deutschlands werden ab Wissenschaftliche Reihe, Band 18 Wissenschaftliche Reihe, Band 26 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2009, Band 13 Schriftenreihe, Band 21 einem Bestellwert von € 50,– keine Versandkosten be- Mitgliederabonnement rechnet. Unter einem Bestellwert von € 50,– betragen Ronny Loewy, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Isabell Trommer Ulrich Wyrwa (Hrsg.) Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Jaroslava Milotová, Zlatica Zudová-Lešková, die Versandkosten pauschal € 3,– pro Sendung. Für »Der Letzte der Ungerechten« Rechtfertigung und Entlastung Einspruch und Abwehr Das Jahrbuch wird herausgegeben im Auftrag des Fritz Jiří Kosta (Hrsg.): Lieferungen ins Ausland (Land-/Seeweg) werden Ver- Der Judenälteste Benjamin Murmelstein in Albert Speer in der Bundesrepublik Deutschland Die Reaktion des europäischen Judentums auf die Bauer Instituts. Es erscheint mit freundlicher Unter- Tschechische und slowakische Juden im sandkosten von € 5,– pro Kilogramm Versandgewicht Filmen 1942–1975 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2016, Entstehung des Antisemitismus (1879–1914) stützung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Widerstand 1938–1945 in Rechnung gestellt. Besteller aus dem Ausland erhal- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 320 S., gebunden, € 34,90, EAN 9783593505299 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Mitglieder des Fördervereins können das aktuelle Metropol Verlag, Berlin, 2008, 272 S., € 19,–, ten eine Vorausrechnung (bei Zahlungseingang wird 208 S., 36 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39491-6 Wissenschaftliche Reihe, Band 27 372 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39278-3 Jahrbuch zum reduzierten Preis von € 23,90 ISBN 978-3-940938-15-2 das Paket versendet). Wissenschaftliche Reihe, Band 19 Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2010, Band 14 (inkl. Versandkosten) im Abonnement beziehen. Schriftenreihe, Band 22

104 Publikationen Einsicht 18 Herbst 2017 105 Irmtrud Wojak Kooperation mit dem Thüringer Justizministerium David Johst im Auftrag des Fritz Bauer Instituts (Hrsg.) Fritz Bauer 1903–1968 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Reihe »Konfrontationen« Zeitzeugen-Videos auf DVD DVD/DVD-ROM Fritz Bauer Eine Biographie 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 Bausteine für die pädagogische Annäherung Sein Leben, sein Denken, sein Wirken Verlag C.H. Beck, München, 2009, 24 Abb., 638 S., ISBN: 978-3-5935-0105-5 an Geschichte und Wirkung des Holocaust Tondokumente mit Originaltönen von Fritz Bauer, € 34,–, ISBN 978-3-406-58154-0; Schriftenreihe, Band 32 Die Video-Interviews sind für die pädagogische Arbeit Veröffentlichung elektronischer Medien des Fritz Bauer kommentiert und eingeleitet von Burghart Klaußner Schriftenreihe, Band 23 mit Zeitzeugenaussagen konzipiert. Sie sind für den Ein- Institut und Veröffentlichungen, die mit Unterstützung Veröffentlicht mit Unterstützung der Friedrich-Ebert- Broschierte Sonderausgabe 2011: Martin Liepach, Wolfgang Geiger: satz in der Schule (ab Klasse 8), der Erwachsenenbil- des Fritz Bauer Instituts erschienen sind. Stiftung und der Gerda Henkel Stiftung. Gottfried Kößler, Petra Mumme Verlag C.H. Beck, München, 2011, € 28,– Fragen an die jüdische Geschichte dung, der Lehrerfortbildung und der außerschulische Bil- Berlin: Der Audio Verlag, 2017, 4 CDs, 306 Min., Identität ISBN 978-3-406-62392-9 Darstellungen und didaktische Herausforderungen dungsarbeit geeignet. Die DVD-Reihe wird fortgeführt. Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum mit umfangreichem Booklet, € 19,99 › Individuum und Gesellschaft Neuausgabe 2016: Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2014, Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): ISBN: 978-3-86231-994-7 › Anfänge des Nationalsozialismus Buxus Edition, München, 2016 Reihe Geschichte unterrichten, 192 S., € 19,80 »Ich habe immer ein bisschen Sehnsucht und Der Auschwitz-Prozess Frankfurt am Main, 2000, 56 S., ISBN 3-932883-25-X 614 S., € 28,– (zuz. € 4,50 Versand) ISBN: 978-3-7344-0020-9 Heimweh …« Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Konfrontationen Heft 1 Bestelladresse: [email protected] Schriftenreihe, Band 33 Marianne Schwab, geboren 1919 in Bad Homburg, DVD-ROM, ca. 80.000 S. Öffentlicher Vortrag 1992 Berlin: Directmedia Verlag, 2004, Jacqueline Giere, Gottfried Kößler Joachim Perels (Hrsg.) Fritz Bauer Die Digitale Bibliothek 101, € 45,– Gruppe Auschwitz in der deutschen Geschichte Die Wurzeln faschistischen und »Meine Eltern haben mir den Abschied leicht ISBN 3-89853-501-0 › Gemeinschaft und Ausschluss Sonstige Veröffentlichungen Offi zin-Verlag, Hannover, 2010, 258 S., nationalsozialistischen Handelns gemacht« Eine Neuaufl age der DVD ist für € 19,90 (zzgl. › Volksgemeinschaft und Verfolgung von Minderheiten ISBN 978-3930345724, € 19,80; Mit einer Einleitung von David Johst Dorothy Baer, geboren 1923 in Frankfurt am Main Versand) zu beziehen über: www.versand-as.de Frankfurt am Main, 2001, 56 S., ISBN 3-932883-26-8 Schriftenreihe, Band 25 Herausgegeben vom Fritz Bauer Institut Interview 1992 Konfrontationen Heft 2 Hamburg, Europäische Verlagsanstalt, 2016, ca.120 S., Hessischer Rundfunk (Hrsg.) Kersten Brandt, Hanno Loewy, Krystyna Oleksy (Hrsg.) Raphael Gross Broschur, ca. € 15,00, EAN 978-3-86393-085-1 »…dass wir nicht erwünscht waren« Der große Raub (D 2002) Vor der Auslöschung… Heike Deckert-Peaceman, Uta George, Petra Mumme Anständig geblieben Schriftenreihe, Band 34 Martha Hirsch, geboren 1918 in Frankfurt am Main, Wie in Hessen die Juden ausgeplündert wurden Fotografi en gefunden in Auschwitz Ausschluss Nationalsozialistische Moral und Erwin Hirsch, geboren in Straßburg Ein Film von Henning Burk und Dietrich Wagner, Hrsg. im Auftrag des Staatlichen Museums Auschwitz- › Voraussetzungen und Zusammenhänge des Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2010, 288 S., Interview 1993 Hrsg. in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Birkenau. Gina Kehayoff Verlag, München, 2001, Ausschlusses von Minderheiten aus der € 19,95, ISBN 978-3-10-028713-7; dem Fritz Bauer Institut 2. überarb. Aufl ., Bildband, 492 S., ca. 2.400 Farbabb. NS-Volksgemeinschaft Schriftenreihe, Band 26 »Rollwage, wann willst Du endlich aufwachen?« DVD zur Ausstellung »Legalisierter Raub. Der Fiskus und Textband, 158 S., € 124,95; ISBN 3-934296-13-0 › NS-»Euthanasie«-Verbrechen Erinnerungen an die Kinderlandverschickung und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933– › Verfolgung schwarzer Deutscher in der NS-Zeit Rolf Pohl, Joachim Perels (Hrsg.) 1940–1945 1945« des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Hrsg. von Irmtrud Wojak Pädagogische Materialien › Der Weg zum Völkermord an den Sinti und Roma Normalität der NS-Täter? Herbert Rollwage, geboren 1929 in Hamburg Rundfunks im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Frankfurt am Main, 2003, 80 S., ISBN 3-932883-27-6 Eine kritische Auseinandersetzung des Pädagogisches Zentrums des Fritz Bauer Ausschnitte aus einem Gespräch im Rahmen eines DVD, hr media, 2007, 45 Min., € 10,– Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main Konfrontationen Heft 3 Hannover: Offi zin Verlag, 2011, 148 S., € 14,80 Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Seminars des Fritz Bauer Instituts 1996 ISBN 978-3-89844-311-1 Katalog zur gleichnamigen historisch-dokumentari- ISBN 978-3-930345-71-7 schen Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler, Oliver Tauke Schriftenreihe, Band 27 »Returning from Auschwitz« Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Snoeck Verlag, Köln, 2004, 872 S., 100 farb. und Ghetto Bernhard Natt, geboren 1919 in Frankfurt am Main Fritz Bauer 800 s/w Abb., € 49,80, ISBN 3-936859-08 Mirjam Thulin › Vernichtung durch Arbeit: das Ghetto Lodz Monika Boll und Raphael Gross (Hrsg.) Interview 1999 Gespräche, Interviews und Reden aus den Von Frankfurt nach Tel Aviv › Theresienstadt – ein »Musterghetto«? »Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können« Fernseharchiven 1961‒1968 Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Die Geschichte der Erna Goldmann › Der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945 Ein Leben zwischen Konzentrations-lager und Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Auschwitz- Birkenau (Hrsg.): Materialheft zum Filmporträt Frankfurt am Main, 2002, 88 S., ISBN 3-932883-28-4 Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2013, Dorfgemeinschaft Erstveröffentlichung historischer Fernsehaufnahmen Der Auschwitz-Prozess Redaktion: Gottfried Kößler, Manfred Levy Konfrontationen Heft 4 384 S., € 14,99, ISBN: 978-3-596-18909-0 Ruth Lion, geboren 1909 in Momberg (Hessen) anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Frankfurt am Main, 2012, 48 S., € 5,– Schriftenreihe, Band 28 Interview 1998 und des Jüdischen Museums Frankfurt: »Fritz Bauer. DVD-ROM, ca. 80.000 S., Directmedia Verlag, ISBN 978-3-932883-34-7 Verena Haug, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler Der Staatsanwalt – NS-Verbrechen vor Gericht« Berlin, 2004, Digitale Bibliothek, Band 101, € 45,– Pädagogische Materialien Nr. 01 Deportationen Fritz Backhaus, Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.): Kindheit und Jugend im Frankfurter Ostend Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 ISBN 978-3-89853-801-5. › Leben zwischen Novemberpogrom und Deportation Bild dir dein Volk! 1925–1941 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 Eine Neuaufl age der DVD ist für € 10,– (zzgl. Versand) Wolfgang Geiger, Martin Liepach, › Ausplünderung Axel Springer und die Juden Norbert Gelhardt, geboren 1925 in Frankfurt am Main, ISBN: 978-3-8488-4017-5 zu beziehen bei Versand-AS, Berlin: www.versand-as.de Thomas Lange (Hrsg.) › Verschleppung Göttingen: Wallstein Verlag, 2012, 224 S., 64 überw. Interview 2000 http://absolutmedien.com/fi lm-1565 Verfolgung, Flucht, Widerstand und Hilfe farb. Abb., € 19,90, ISBN: 978-3-8353-1081-0 Mit einem Beitrag von Peter Longerich: Deportatio- Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.) außerhalb Europas im Zweiten Weltkrieg nen. Ein historischer Überblick. Schriftenreihe, Band 29 »Heim ins Reich« Fritz Bauer Institut, Absolut MEDIEN (Hrsg.) Ausgerechnet Deutschland! Unterrichtsmaterialien zum Ausstellungsprojekt Frankfurt am Main, 2003, 64 S., ISBN 3-932883-24-1 Margarethe Eichberger, geb. Drenger; geboren 1926 Auschwitz vor Gericht (D 2013) Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« Konfrontationen Heft 4 Raphael Gross im Baltikum (heute Lettland), Strafsache 4 Ks 2/63 (D 1993) Essayband zur Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, 2013, 76 S., € 7,– November 1938 Interview 2001 Zwei Dokumentationen Frankfurt. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, ISBN 978-3-932883-35-4 Jacqueline Giere, Tanja Schmidhofer Die Katastrophe vor der Katastrophe von Rolf Bickel und Dietrich Wagner 2010, 192 S., 100 farb. Abb., € 24,95, Pädagogische Materialien Nr. 02 Todesmärsche und Befreiung München: Verlag C. H. Beck, 2013, 128 S., € 8,95 Die DVDs können entliehen werden über: DVD-Booklet mit einem einführenden Text von ISBN 978-3-89479-583-2 › Todesmärsche Beckʼsche Reihe: bsr – C.H. Beck Wissen; 2782 Medienzentrum Frankfurt e.V., Ostbahnhofstr. 15, Werner Renz, Fritz Bauer Institut Dagi Knellessen › Befreiung der Lager ISBN 978-3-406-65470-1; Schriftenreihe, Band 31 60314 Frankfurt am Main, Tel.: 069.949424-0, Extras der DVD-ROM: ergänzende Texte und Fritz Backhaus, Liliane Weissberg, Raphael Gross (Hrsg.) Novemberpogrome 1938 › »Ein Leben auf’s Neu« – Eine Publikation des Leo Baeck Institute London [email protected] Materialien zum Auschwitz-Prozess (pdf-Dateien), Juden. Geld. Eine Vorstellung »Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit« Jüdische Displaced Persons 1945 bis 195 www.medienzentrum-frankfurt.de zusammengestellt von Werner Renz. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen Mit einem Vorwort von Raphael Gross Frankfurt am Main, 2003, 56 S., ISBN 3-932883-29-2 Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) Die DVDs können erworben werden (€ 5,– plus Versand- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4021 Museums Frankfurt und des Fritz Bauer Instituts. Redaktion: Gottfried Kößler Konfrontationen Heft 6 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt kosten), Bestelladresse: Karl Marx Buchhandlung, Regie: Rolf Bickel und Dietrich Wagner (hr) Ausstellung vom 25. April bis 6. Oktober 2013 im Frankfurt am Main 2015, 116 S., € 10,– NS-Verbrechen vor Gericht Jordanstraße 11, 60486 Frankfurt am Main, 2 DVDs, PAL, Mono, codefree, 4:3, Farbe + s/w, Jüdischen Museum Frankfurt am Main. IBAN 978-3-932883-36-1 Alle Hefte der »Konfrontationen«-Reihe sind zum Begleitband zur Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Tel.: 069.778807, [email protected] 220 Min., € 24,90, EAN: 978-3-8488-4021-2 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Pädagogische Materialien Nr. 03 Preis von € 7,60 (ab 10 Hefte € 5,10) erhältlich. und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, in www.karl-marx-buchhandlung.de http://absolutmedien.com/fi lm-1569 436 S., zahlr. Abb., € 19,90, ISBN 978-3-59339-923-2

106 Publikationen Einsicht 18 Herbst 2017 107 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken

Kontakt: über den Fritz Bauer Institut An-Institut der Goethe-Universität Holocaust Frankfurt am Main Norbert-Wollheim-Platz 1 D-60323 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69.798 322-40 [email protected] www.fritz-bauer-institut.de www.facebook.com/fritz.bauer.institut Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Foto: Schindler-Foto-Report Bankverbindung: Frankfurter Sparkasse SWIFT/BIC: HELADEF1822 IBAN: DE91 5005 0201 0000 3219 01 Einsicht 18 Steuernummer: 45 250 8145 5 - K19 Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am 13. Vorstand des Fördervereins Bulletin des Finanzamt Frankfurt am Main III Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer Institut, Ergebnis der Vorstandswahl vom 18. März 2017 Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung Jutta Ebeling (Vorsitzende und 1. Vertreterin im Stiftungsrat), Fritz Bauer Instituts Redaktion: des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausein-andersetzung Gundi Mohr (stellvertretende Vorsitzende und Schatzmeisterin), Sybille Steinbacher (V.i.S.d.P.), unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holocaust und seinen Prof. Dr. Eike Hennig (Schriftführer), Herbert Mai (2. Vertreter im Herbstausgabe, Oktober 2017 Tobias Freimüller, Werner Lott, Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut trägt den Namen Stiftungsrat), Dr. Rachel Heuberger, Dr. Nikolaus Meyer, Gabriele 9. Jahrgang Jörg Osterloh, Katharina Rauschenberger Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Mielcke, Staatsanwalt Dr. Christopher Wenzl (Beisitzer/innen) ISSN 1868-4211 Anzeigenredaktion: Martina Sichelschmidt Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt am Lektorat: Gerd Fischer Main. Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust Gestaltung/Layout: Werner Lott Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. Herstellung: Vereinte Druckwerke Aufgaben des Fördervereins Ein mitgliederstarker Förderverein setzt ein deutliches Signal bürger- Titelabbildung: Frankfurt am Main Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- schaftlichen Engagements, gewinnt an politischem Gewicht im Stif- Unter dem Motto »Zukunft Europa – für die Ver- Erscheinungsweise: zweimal jährlich det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und tungsrat und kann die Interessen des Instituts wirkungsvoll vertreten. teidigung unserer Identität, Kultur und Lebensweise« (April/Oktober) dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das Zu den zahlreichen Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören demonstrierten am 17. Juni 2017 mehrere Hundert Anhänger der Identitären Bewegung in Berlin. Aufl age: 5.500 ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlreicher engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des Die rechtsgerichtete Gruppierung wird vom Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. Der öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und Verfassungsschutz beobachtet. Manuskriptangebote: Verein sammelt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. Foto: Jochen Eckel/Süddeutsche Zeitung Photo Textangebote zur Veröffentlichung in die Erweiterung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts Öffentlichkeit die Erkenntnisse, die das Institut im universitären Raum Werden Sie Mitglied! bitte an die Redaktion. Die Annahme mit hohen wissenschaftlichen Standards erarbeitet hat. Er schafft Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– von Beiträgen erfolgt auf der Basis einer neue Kontakte und stößt gesellschaftliche Debatten an. Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! Begutachtung durch die Redaktion. Für Für die Zukunft gilt es – gerade auch bei zunehmend knapper wer- Frankfurter Sparkasse, SWIFT/BIC: HELADEF1822 unverlangt eingereichte Manuskripte, denden öffentlichen Mitteln –, die Projekte und den Ausbau des IBAN: DE43 5005 0201 0000 3194 67 Fotos und Dokumente übernimmt das Fritz Bauer Instituts weiter zu fördern, seinen Bestand langfristig Werben Sie neue Mitglieder! Fritz Bauer Institut keine Haftung. zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Gerne senden wir Copyright: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial zur Fördermit- © Fritz Bauer Institut Seit 1996 erscheint das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene gliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. QR-Code: Link zu allen bisher Stiftung bürgerlichen Rechts Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust im Campus erschienenen Ausgaben Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur Verlag. In ihm werden herausragende Forschungsergebnisse, Reden Förderverein von Einsicht. Bulletin mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. und Kongressbeiträge zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des des Fritz Bauer Instituts Fritz Bauer Institut e.V. Holocaust versammelt, welche die internationale Diskussion über als pdf-Dateien. [fritz-bauer-institut.de/ Einsicht erscheint mit Unterstützung des Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen Norbert-Wollheim-Platz 1 einsicht.html] Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. refl ektieren und bereichern sollen. 60323 Frankfurt am Main Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch des Fritz Bauer Telefon: +49 (0)69.798 322-39, Fax -41 Instituts zum Vorzugspreis im Abonnement beziehen. [email protected] / www.fritz-bauer-institut.de 108 Impressum NEUERSCHEINUNGEN HERBST 2017 (AUSWAHL) METROPOL VERLAG | ANSBACHER STR. 70 | 10777 BERLIN BESTELLUNGEN UND REZENSIONSEXEMPLARE: DR. NICOLE WARMBOLD TEL.: (030) 23 00 46 23 | FAX: (030) 2 65 05 18 | E-MAIL: [email protected]

ZYGMUNT KLUKOWSKI PETER JAHN · FLORIAN WIELER · MARIO WENZEL INES REICH (HRSG.) DANIEL ZIEMER (HRSG.) TAGEBUCH AUS DEN JAHREN ARBEITSZWANG UND JUDENMORD VOM MONUMENT ZUR ERINNERUNG DER OKKUPAATION 1939–1944 DER DEUTSCHE KRIEG UM Die Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau 25 Jahre Stiftung Brandenburgische Herausgegeben von Christine Glauning »LEBENSRAUM IM OSTEN« 1939–1945 des Generalgouvernements 1939–1944 Gedenkstätten in 25 Objekten und Ewelina Wanke Ereignisse und Erinnerung Günter Morsch zum 65. Geburtstag ISBN: 978-3-86331-354-8 ISBN: 978-3-86331-244-2 ISBN: 978-3-86331-359-3 400 Seiten · 24,– Euro ISBN: 978-3-86331-357-9 ca. 560 Seiten · 24,– Euro 195 Seiten · 19,– Euro 238 Seiten · 24,– Euro Arbeitslager für Juden waren ein Spezifikum der NS- Der Arzt und Schriftsteller Zygmunt Klukowski begann Das Schicksal der in der NS-Ideologie als »rassisch Besatzungsherrschaft und integraler Bestandteil der 25 Objekte erzählen eine kleine Geschichte der Stiftung direkt nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen minderwertig« angesehenen »Slawen«, die dem natio- Judenverfolgung im besetzten Polen, in der Phase der Brandenburgische Gedenkstätten. Essays, chronologisch am 1. September 1939 ein Tagebuch zu führen, das er bis nalsozialistischen Vernichtungskrieg zum Opfer fielen, »Judenpolitik« bis Anfang 1942 wie auch in der Zeit geordnet nach dem Fortschritt bei der Neugestaltung zur Befreiung fortsetzte. Minutiös beschreibt er die wird im kollektiven Gedächtnis der Deutschen bis heute der physischen Vernichtung. Am Beispiel des Distrikts der historischen Orte, berichten über die KZ Oranienburg, Gewalt der Besatzer und den Alltag der Bevölkerung nur am Rande wahrgenommen. Acht Beiträge ausge- Krakau zeigt Mario Wenzel die Etappen der Verfolgungs- Sachsenhausen und Ravensbrück, die Raststätte des in der Region Zamość. Himmler hatte 1942 diesen Teil wiesener Historiker und ein Dokumentenanhang in- praxis, die sich in den Unterstellungsverhältnissen, in Todesmarsches im Belower Wald, die Euthanasie-An- Polens zum ersten deutschen Siedlungsgebiet und formieren über den rassenideologischen Raub- und den Arbeits- und Lebensbedingungen der Insassen, den stalt in Brandenburg, das Zuchthaus Brandenburg- somit zum »Laboratorium« für die Umsetzung des Vernichtungskrieg um »Lebensraum im Osten«, des- Einflussmöglichkeiten jüdischer Institutionen und der Görden, das sowjetische Speziallager Nr. 7/Nr. 1 und das »Generalplan Ost« erklärt – mit verheerenden Folgen sen erklärter Zweck die Dezimierung der slawischen Funktion der Lager spiegelten. sowjetische Geheimdienstgefängnis in der Potsdamer für die Bevölkerung. Bevölkerung um 30 Millionen Menschen war. Leistikowstraße.

INTERNATIONALER FREUNDESKREIS E. V. RAMONA SAAVEDRA SANTIS · SIEGFRIED MIELKE · STEFAN HEINZ BJOERN WEIGEL FÜR DIE MAHN- UND GEDENKSTÄTTE CHRISTL WICKERT (HRSG.) RAVENSBRÜCK (HRSG.) EISENBAHNGEWERKSCHAFTER VOM DEUTSCHEN ZUM »… UNMÖGLICH, DIESEN SCHRECKEN IM NS-STTAAAT »ARISCHEN« THEAATER ZWANGSARBEIT FÜR SIEMENS IM AUFZUHALLTEN« Verfolgung – Widerstand – Emigration Die Verdrängung jüdischer Theater- FRAUEN-KONZENTRAATIONSLAGER Die medizinische Versorgung durch Häftlinge (1933–1945) unternehmer in Berlin in der NS-Zeit RAVENSBRÜCK im Frauen-KZ Ravensbrück Kommentierte Berichte von Zeitzeuginnen ISBN: 978-3-86331-353-1 ISBN: 978-3-86331-362-3 ISBN: 978-3-86331-344-9 ca. 820 Seiten · 36,– Euro ca. 300 Seiten · 24,– Euro ISBN: 978-3-86331-342-5 216 Seiten · 20,– Euro 335 Seiten · 24,– Euro Die Rolle der Deutschen Reichsbahn im »Dritten Reich« Berlin hatte bis 1933 die weitaus meisten privatwirt- Krankenreviere in Konzentrationslagern fanden bislang ist weitgehend bekannt, anders der Widerstand von schaftlich geführten Theater Deutschlands. Viele der Von August 1942 bis April 1945 unterhielt die Siemens wenig Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt des Bandes Eisenbahngewerkschaftern. Auf der Basis neuer Quellen bedeutendsten Bühnenleiter waren Juden, doch schon & Halske AG eine »Fertigungsstelle« direkt neben dem stehen das Krankenrevier im Frauen-KZ Ravensbrück rekonstruieren die Autoren Verfolgung und Widerstand im Sommer 1933 amtierte kein einziger mehr. Bjoern Frauen-KZ Ravensbrück. Bis zu 2300 weibliche Häft- und dessen Häftlingspersonal. Ärztinnen und Pflege- von gewerkschaftlich organisierten Eisenbahnern nach Weigel fragt, wie die Nationalsozialisten die Theater- linge mussten hier gleichzeitig Zwangsarbeit leisten. Im rinnen mussten eine Gratwanderung zwischen den 1933. Im Zentrum stehen vor allem der freigewerk- leiter aus den Häusern verdrängten, ohne an den Un- Zentrum der Quellenedition stehen Briefe, Zeugen- Befehlen der SS, den Bedürfnissen der Kranken und ihren schaftliche Widerstand, aber auch der von kommunis- ternehmensstrukturen zu rütteln, und beleuchtet die aussagen, Haftberichte, Tagebücher, Entschädigungs- eigenen Überlebensinteressen bewältigen. SS-Doku- tischen, christlichen und Hirsch-Dunckerschen Eisen- wirtschaftlichen und politischen Hintergründe, die aus anträge, Interviews von Überlebenden aus 15 Ländern. mente und Zeichnungen ehemaliger Revierarbeite- bahngewerkschaftern und von Mitgliedern der Berufs- deutschen Renommier-Bühnen ein »arisches« Theater Dokumentiert wird das System der Zwangsarbeit im rinnen und ihrer Patientinnen schildern den Alltag im verbände. schaffen sollten. Kontext der ökonomischen Interessen der SS und der Krankenbau. Kriegsindustrie.

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