Sport

SPIEGEL-GESPRÄCH „Wir nähern uns dem Zirkus“ Dressurtrainer über den Streit um rüde Ausbildungsmethoden, die hohe Schule des Reitens und die jüngsten Misserfolge der Deutschen

Klaus Balkenhol war als Reiter an zwei Olympiasiegen der

deutschen Dressurmannschaft beteiligt / AFP (L.); ROBIN UTRECHT (R.) ROLAND GEISHEIMER / ATTENZIONE und holte als deren Trainer sechs Goldme- Dressurstar van Grunsven, Pferd daillen. Der 65-jährige ehemalige Polizei- reiter, der bei Münster lebt, trainiert seit SPIEGEL: Wird die Debatte von den Deut- SPIEGEL: Und das passiert bei den angeblich 2001 die Dressurreiter der USA, mit denen schen besonders leidenschaftlich geführt, neuen Trainingsmethoden der niederlän- er in Athen 2004 die Bronzemedaille holte. weil ihre Reiter beim jüngsten großen Tur- dischen Equipe um Anky van Grunsven? nier in Aachen gegen die Niederländer ver- Balkenhol: Wird berichtet. Einige Reiter ha- loren haben? ben kein Problem damit, mit ihren Pferden SPIEGEL: Herr Balkenhol, das führende Balkenhol: Die Diskussion um guten Dres- öffentlich auf den Abreiteplätzen so zu ar- deutsche Reitsport-Magazin „St. Georg“ sursport ist zu jeder Zeit im Interesse der beiten. Ich halte Anky van Grunsven für titelte hintereinander: „Dressur pervers“, Pferde richtig. Das hat nichts mit der eine gute Reiterin. Aber ich bin nicht dabei, „Dressur wohin?“ und „Die Szene steht EM oder dem CHIO in Aachen, wo die wenn sie und ihr Trainer zu Hause mit Sa- Kopf“ – es geht um die straffen Trainings- deutsche Equipe den Niederländern un- linero üben, einem sehr temperamentvollen, methoden etwa der niederländischen Olym- terlegen war, zu tun. Die Zukunft der ho- schwierigen Tier. Es wird gesagt, sie würden piasiegerin Anky van Grunsven. Ist die hen Schule, der klassischen Reitkunst, steht die Pferde mit allen möglichen technischen Empörung gerechtfertigt? auf dem Spiel. Ein Pferd für kurze Zeit Tricks so sehr stretchen, dass diese nicht Balkenhol: Wir stehen in Deutschland und auch mal rundzustellen, also den Hals einmal mehr entspannt stehen und gehen in der Welt, was die Dressurreiterei an- herunterzunehmen, um den Rücken zu he- könnten, das heißt: Es fehlte jegliche Los- geht, vor einer schwierigen Situation. Wir ben, das kann als gymnastische Übung gelassenheit. Die vermisse ich übrigens in haben ein internationales und ein nationa- sinnvoll sein und ist nicht weiter schlimm. jüngster Zeit bei etlichen vierbeinigen Dres- les Reglement, das ganz klar vorgibt: Bei Darum beweisen die jetzt herumgereich- surstars, nicht nur bei niederländischen. der Ausbildung der Reitpferde müssen die ten Fotos extrem tiefgestellter Pferde re- SPIEGEL: Sie meinen beispielsweise Weltall, natürlichen Anlagen der Pferde berück- lativ wenig – das können ja Momentauf- das Pferd von Martin Schaudt, an sich ein sichtigt und gefördert werden. Ein Dres- nahmen sein. Wenn ein Pferd aber, mit wunderbares, tänzerisch begabtes Tier. In surpferd darf nicht gewaltsam zusammen- Hilfszügeln und scharfen Gebissen, sehr Aachen ist Weltall jedoch nur nervös getrabt, geschraubt werden, wie die Reiter sagen. eng geritten und der Kopf über eine län- wo er gehen sollte – ein klarer Regelverstoß. Das ist in meinen Augen Tierquälerei und gere Phase gewaltsam tief, eng und teil- Balkenhol: Lassen wir die Namen der Pfer- höchst unnatürlich. Die Berichte über Trai- weise zusätzlich seitwärts gezogen wird, de und Reiter einmal weg. Prinzipiell gilt: ningsmethoden der niederländischen Rei- dann entspricht das nicht der artgerechten Wenn ein Pferd piaffiert, also auf der Stel- ter haben den Eindruck erweckt, diese al- Ausbildung des Pferdes. Es tut dem Tier le trabt, statt gehorsam zu halten, dann ist ten Regeln hätten keine Gültigkeit mehr. garantiert weh. es verspannt. Viele Reiter wollen heute an-

146 der spiegel 41/2005 scheinend vor allem Eindruck schinden mit Instanz bestimmt werden. Die Deutsche spektakulären Lektionen, statt den reellen Reiterliche Vereinigung sollte das kontrol- Ausbildungsstand des Pferdes vorzuführen. lieren und auch die Einhaltung ihrer eige- SPIEGEL: Und dieselben Reiter plädieren nen Richtlinien fordern. Eigentlich sollten dann für eine Änderung des Reglements auch auf dem Abreiteplatz Richter stehen, mit dem Hinweis, klassische Lektionen wie die das Vorspiel des großen Auftritts über- das losgelassene Schreiten, das Stehen oder wachen, wenn nötig, mahnend eingreifen, Rückwärtsrichten seien für den Fernseh- vielleicht sogar Noten dafür geben. zuschauer langweilig. SPIEGEL: Viele Fernsehzuschauer finden ein Balkenhol: Ja, da nähern wir uns dem Zir- schreitendes Pferd ja tatsächlich langweilig. kus. Vielleicht kann man ja noch einem Schon die Einführung der Kür – mit Musik und individueller Figurenfolge – war ein Schritt in Richtung Show. Das hat sich be- währt … Balkenhol: … auch bei der Kür werden sau- bere Grundgangarten verlangt … SPIEGEL: … und so fragt sich, ob nicht dem medienwirksamen Zirkuseffekt die Zu- kunft gehört, und sei es in der gemäßigten, hochprofessionellen Form der Spanischen Hofreitschule in Wien? Balkenhol: Ich glaube nein. Die alte Schu- le, die übrigens in Wien gründlich gepflegt wird, dürfte sich bald wieder ganz durch- setzen. Allein sie gewährleistet, dass teure, edle Pferde möglichst lange gesund blei- ben. Woran ein Besitzer ja schon aus finan- ziellen Gründen Interesse hat. Dass ein Pferd so hart geritten wird und dauernd unter Spannung steht wie manche Star- pferde heute – das gefällt, wie Reaktionen bei jüngsten Turnieren gezeigt haben, auch der Mehrzahl der Zuschauer nicht. SPIEGEL: Leistungssport bedeutet aber auch, dass man immer neue Grenzen sucht. Warum soll man die Leistungssportler un- ter den Pferden schonender behandeln, als menschliche Leistungssportler mit dem ei- genen Körper umgehen? Schinden sich Salinero: „Sehr eng geritten“ nicht auch Gewichtheber oder Ruderer wi- der die Natur ihres Bewegungsapparats? Pferd den Handstand beibringen wie ei- Balkenhol: Der Sportler kann frei über sich nem Elefanten. Entscheidend ist doch: Was verfügen, aber bei den Tieren sind wir Men- entspricht den natürlichen Bewegungsarten schen es, die bestimmen, ob sie artgerecht des Pferdes? Wo ist die Grenze zwischen gehalten, überfordert oder sogar misshan- klassischer Reitkunst, die sich in Jahrhun- delt werden. Daraus wächst uns eine be- derten entwickelt hat, und zirzensischer stimmte Verantwortung zu, der wir gerecht Schaumschlägerei? werden müssen. Ich habe als Mensch nicht SPIEGEL: Müssen nicht die Richter diese das Recht, aus purer Lust, aus purem Gel- Grenze ziehen? tungsdrang oder für meinen persönlichen Balkenhol: Natürlich. Da hat es in Aachen an Erfolg einem Tier zuzusetzen. einigem gefehlt. Dressurrichter zu sein bei SPIEGEL: Sind die Trainingsmethoden nicht Wettbewerben, in denen es um viel geht – bloß deshalb härter geworden, weil man das ist ein sehr schweres Amt. Sie müssen es nur damit schafft, vorn mitzureiten? sehr gut geschult sein und einen tadellosen Balkenhol: Das kann es nicht sein: allzu har- Charakter haben, damit sie wirklich unab- te Methoden, dieses Drücken, Pressen und hängig von Interessen und Einflüsterungen Ziehen, um etwas Graziles, Harmonisches urteilen. Wenn der Reiter einen Richter zu erzeugen! Bei Pferden, die so ausschließ- fragt: Was mache ich, mein Pferd bleibt lich unter Druck gearbeitet werden, ist nicht stehen? Dann muss der Richter eine beispielsweise der Schritt häufig nicht mehr seriöse Antwort geben können. Er hat zu in Ordnung. Ein starker, raumgreifender beurteilen, ob die Ausbildung des Pferdes Schritt, etwa nach einer Passagetour, bringt korrekt war. Sogar an solch elementaren es an den Tag, ob ein Pferd übermäßig an- Dingen fehlt es heute manchmal. gespannt oder wirklich losgelassen ist. SPIEGEL: Ist es richtig, dass der Turnierver- SPIEGEL: Erklären Sie doch mal dem Laien, anstalter die Richter auswählt? Werden was „Losgelassenheit“, einer Ihrer Lieb- dadurch nicht Lokalmatadore bevorzugt? lingsbegriffe, genau meint. Balkenhol: Vielleicht sollten die Richter bei Balkenhol: Das Pferd strahlt Zufriedenheit großen Turnieren von einer unabhängigen aus, keine Hektik in der Bewegung, der

der spiegel 41/2005 147 Schweif pendelt, ein selbstverständlicher, nicht übertriebener Schwung, ein ent- spanntes Schnauben; wenn all dies fehlt, und es gibt trotzdem tolle Noten für ver- spannte Lektionen, dann muss das Regle- ment geändert werden. Noch stellt es die bewährte Ausbildungsskala – Takt, Losge- lassenheit, Anlehnung, Schwung, Gerade- richten und Versammlung – in den Mittel- punkt der Dressurprüfung. SPIEGEL: Gelten diese Kriterien auch inter- national? Balkenhol: Natürlich. Die Hochschätzung der Losgelassenheit hat neben dem ästhe- tischen auch einen medizinischen Grund: Nur ein Pferd, das sich loslässt, versorgt seine Muskeln regelmäßig mit Blut, also

Sauerstoff. Ein verspannter Muskel öffnet SCHREYER / IMAGO sich ja nicht, er kann kein Blut durchlassen Deutsche Olympiasieger in der Mannschaftsdressur (Athen 2004): „Natürliche Anmut“ und sich somit auch nicht schnell erholen. Muskel- und Sehnenzerrungen und Ge- einen erstklassigen Ausbilder gefunden zu nen. Beim letzten großen Turnier in Aa- lenkschäden sind häufige Folgen. haben – das war keine Frage des Geldes. chen war der dritte Platz in der Kür für SPIEGEL: Manche Pferde wirken nicht nur Von ihm habe ich gelernt: Auf die ehrliche der größte Einzelerfolg. angespannt, sondern überspannt – das Gymnastizierung des ganzen Pferdekör- Geht es auch in Ihrer Paradedisziplin ab- nennt man dann genial und wäre Natur, pers und die sensible, im Grenzfall auch wärts mit den Deutschen? nicht Gewaltfolge. Etwa Elvis von Nadine mal kraftvolle Einwirkung des Reiters über Balkenhol: Jede Nation macht mal einen Capellmann. Der Fuchs versagte bei den Sitz, Rücken und Schenkel, weniger über Knick nach unten. Vielleicht ist im Mo- deutschen Meisterschaften seiner Reiterin die Zügel – darauf kommt es an, anders ment – einmal abgesehen vom Streit über den Dienst … geht es auf Dauer nicht. Die freie, natür- Trainingsmethoden – das Problem, dass Balkenhol: … da war ein Nerv eingeklemmt. liche Art, aus dem Stand anzutraben, zu wir plötzlich ein Gleichmaß an guten Pfer- Elvis ist ein außerordentliches, geniales galoppieren und im Galopp kontrolliert den haben, die aber nicht top sind – oder, Dressurpferd – in allen Gangarten. Ich habe umzuspringen und dann wieder ruhig wenn top, zufällig gerade nicht fit. Und ihn selbst im Frühjahr mal geritten. schwingend zu gehen – all dies gehört doch schon passiert es, dass plötzlich die ande- SPIEGEL: Wie war das? zur Schönheit des Pferdes. Schon der alt- ren ein paar Punkte besser abschneiden. Balkenhol: Na ja, ich bin runtergeknallt. Ich griechische Schriftsteller Xenophon wet- Klar ist: Das wird nächstes Jahr in Aachen wollte ihn auffordern, mehr vorwärts zu terte gegen die Versklavung der Vierbeiner, eine sehr schwierige Dressur-Weltmeister- gehen. Da buckelte er plötzlich los, drehte der berühmte Reitlehrer Pluvinel verglich schaft. Man weiß nicht, wie dieses oder je- sich, stieg wie ein Rodeopferd. Trotzdem: im 17. Jahrhundert die „natürliche Anmut“ nes Pferd auf das große, neue Stadion mit Dieses Pferd bewegt sich auf dem schma- des gewaltfrei gerittenen Pferdes mit dem den hohen Zuschauerrängen reagieren len Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Es „Blütenduft der Früchte“. wird. Und die Deutschen müssen wissen: bringt alle Voraussetzungen für ein Welt- SPIEGEL: Im Januar 2001 wurden Sie, nach Die Niederländer, Schweden, Dänen, Spa- klassepferd mit. Wir werden von ihm noch vier Jahren als deutscher Bundestrainer, nier, Amerikaner, Franzosen, die schlafen hören. Ich hoffe, Nadine kann ihren WM- Coach der US-Dressurmannschaft. Was ist alle nicht. Das wird spannend. Titel mit ihm verteidigen. bei den Amerikanern anders? SPIEGEL: Die Dressurdamen , SPIEGEL: Solche Geniepferde kosten nicht Balkenhol: In den USA gibt es keine staat- , – sie hatten selten eine halbe Million Euro und mehr. lichen Zuschüsse, da lebt der Dressursport große Erfolge mit jeweils einem Pferd. Da- Sie selbst haben Ihre ersten Erfolge mit nur von Sponsoren und Spenden. Außer- nach war Sendepause. Verlernen Spitzen- Rabauke und Goldstern erreicht – Polizei- dem ist die Mentalität dort angenehmer reiter irgendwann ihr Können, oder ist ein pferden, die mal 4000 und 6700 Mark ge- als hier. Die Leistung des Konkurrenten, Spitzenpferd so schwer zu finden? kostet hatten. Geht da nicht ein sozialer auch außerhalb des Reitsports, wird frei- Balkenhol: Anky van Grunsven, die jetzt Riss durch die Dressurszene, der auch mütig anerkannt. Da sagt man zum Sieger: nach Bonfire mit Salinero gleich wieder ihren olympischen Rang immer wieder in Du warst gut, sag mir, wie ich auch so gut ein exzellentes Pferd reitet, hat zwischen- Frage stellt: Hier der bodenständige Reiter werden kann. Offenen Neid und klein- durch auch etliche Ausfälle erlebt. Aber auf seinem Mittelklasse-Hannoveraner, mütige Meckerei erlebt man selten. prinzipiell gilt: Es gibt nun mal keine dort die Tochter des wohlhabenden Ge- SPIEGEL: Vier Jahrzehnte lang haben die Produktionsstätte für Ausnahmepferde. Sie nie-Besitzers, die sich teure Lehrer leistet? deutschen Dressurreiter fast alles gewon- halten ein Pferd mit bester Abstammung Balkenhol: Es ist für weniger Bemittelte für hochbegabt, haben auch erste Erfolge nicht immer einfach, nach oben zu kom- – und plötzlich will es nicht mehr so rich- men, aber auch nicht so schwierig, wie vie- tig. Vielleicht hat dieses Unberechenbare le meinen. Spitzenreiter wie Ingrid Klim- auch sein Gutes. ke und Hubertus Schmidt und auch ande- SPIEGEL: Sie reiten seit Ihrer Jugend regel- re Kaderreiter sind gute Beispiele dafür. mäßig. Haben die vielen launischen Stuten Als ich als unbedarfter Polizist anfing, zu und störrischen Hengste, denen Sie be- Hause herumzumuscheln mit einem Dienst- gegnet sind, Ihnen noch nicht die Freude pferd, Rabauke, hatte ich das Glück, in am Pferd genommen? Otto Hartwich, einem väterlichen Freund, Balkenhol: Absolut nicht. Ein Leben ohne

ROLAND GEISHEIMER / ATTENZIONE Pferd kann ich mir gar nicht vorstellen. * Olaf Stampf, Mathias Schreiber und Stefan Aust in Balkenhol (3. v. l.), SPIEGEL-Redakteure* SPIEGEL: Herr Balkenhol, wir danken Ihnen Rosendahl bei Münster. „Entspanntes Schnauben“ für dieses Gespräch.

der spiegel 41/2005 149