Sport

DRESSURREITEN „Dann bin ich selbst das Pferd“ Die amerikanische Vizeweltmeisterin Lisa Wilcox über die Olympia-Chancen ihres Teams, das Intrigenspiel unter Dressurreitern und ihre tägliche Arbeit mit Zuchthengsten

SPIEGEL: Frau Wilcox, bei Wilcox: Natürlich. In Europa den Weltreiterspielen vor kann ich mich ein bisschen zwei Jahren in Jerez gewann verstecken. Angesichts der das US-Team mit Ihnen ständigen Bedrohung durch die Silbermedaille. Seitdem Terroranschläge ist man gelten die Amerikaner als auch nicht besonders glück- schärfste Konkurrenten der lich, in Athen unter der US- Deutschen, die seit 1984 stets Flagge aufzutreten. Olympia-Gold geholt haben. SPIEGEL: Martin Schaudt wur- Steht bei den Olympischen de Deutscher Meister in der Spielen in Athen die Wach- Herrenkonkurrenz, obwohl ablösung bevor? sein Pferd Weltall einen Wilcox: Wer in Athen ge- verkrampften Hoppelgalopp winnt, ist noch offen – viel- zeigte; leicht so offen wie lange auf Wensuela Suerte wurde nicht. trotz sehr korrekter Kür nur SPIEGEL: Bei den Deutschen Zweiter. Ist das der neue Meisterschaften in Balve Trend: Das elegantere Pferd wirkten einige der deutschen schlägt das unauffällige, ob- Olympia-Starter erstaunlich wohl dieses korrekter geht? schwach. Wilcox: Ich hoffe nicht. Ich Wilcox: Das war wohl so. glaube es auch nicht, sonst Trotzdem gilt: Wenn eine hätte ich so manches Mal, Mannschaft jahrelang so wo Relevant Fehler gemacht erfolgreich ist wie die deut- hat, besser abschneiden sche, dann haben die Wett- müssen, denn er ist ein kampfrichter von vornher- selbstbewusster Schönling. ein eine positive Erwartung. Die Amerikaner gehen bei Außerdem haben die Deut- der Olympia-Nominierung schen mit strikt nach den Punkten aus und Rusty immer noch das den Sichtungsturnieren vor. beste Paar am Start – so eine Bei den Deutschen scheint starke Reiterin tritt in der es leicht schon mal einen Regel als Erste an, und die Bonus für große Namen zu Teamkollegen profitieren geben; das gilt für Reiter, dann von ihrem Glanz. Das aber auch für Pferde. Weltall könnte am Ende doch wie- hat nun mal – und das wis- der den Ausschlag geben. sen alle Richter – Ausstrah- SPIEGEL: Seit 1997 trainieren lung und Schwung ohne

Sie Pferde, die dem Gestüt RIBEIRO / REUTERS JOSE MANUEL Ende, ist aber momentan Vorwerk in Cappeln bei WM-Zweite Wilcox auf Relevant (in Jerez): „Leicht wirken wie ein Ballett“ wegen eines Unfalls nicht Cloppenburg gehören, der topfit. Trainer der US-Reiter ist der ehemalige Championaten rumzuturnen. Aber was SPIEGEL: Spielt der subjektive Faktor beim Coach der Deutschen, . Olympia angeht, da kämpfe ich natürlich Richten eine ähnlich ärgerliche Rolle wie Wenn Sie in Athen auf das Dressurviereck für meine Nation, die USA. bei einer Kür im Eislaufen? reiten: Klopft Ihr Herz dann astrein ame- SPIEGEL: Würden Sie eigentlich nicht lieber Wilcox: Genau so ist es, da ist viel Politik im rikanisch oder doch auch ein bisschen im favorisierten deutschen Team reiten? Spiel. Dressurreiter werben auch mit schö- deutsch? Wilcox: Nein, dann müsste ich mich weni- nen Worten um die Gunst der Richter. Wilcox: Zunächst reite ich für mein Gestüt ger anstrengen. Ich kämpfe aber gern. In Nicht zuletzt darum gibt es den berüch- und seine exzellenten Zuchthengste, dann einer deutschen Equipe zu gewinnen ist tigten Zickenkrieg unter den Dressur- fürs Oldenburger Land – diese Region ist keine so große Herausforderung. Wir Ame- reiterinnen. meine zweite Heimat, ich bin hier als Rei- rikaner haben eine noch junge Mann- SPIEGEL: Sind Dressurreiter eine besonders terin groß herausgekommen. Neulich bin schaft mit sehr guten Pferden. Ich will, intrigante Spezies? ich mit dem sechsjährigen Jazz Time Weser- dass wir für unsere harte Arbeit belohnt Wilcox: Es sind nicht die Menschen, es ist Ems-Meisterin geworden, und ob Sie es werden. die Sportart. Unter Springreitern zum Bei- mir glauben oder nicht, das ist mir wichti- SPIEGEL: Waren Sie während des Irak-Kriegs spiel gibt es keinen Stress. Was sollen die ger, als auf irgendwelchen ausländischen froh, in Europa zu leben? auch erzählen? Entweder bleibt die Stan-

112 der spiegel 29/2004 ge liegen, oder sie fällt runter. Mit Kollegen, jeder mit einem eige- Springreitern kann man viel Spaß nen Charakter. Das macht Spaß haben. Aber versuchen Sie mal und ist immer wieder spannend. eine Runde mit vier, fünf Dres- SPIEGEL: Böse Zungen behaupten: surreitern zusammenzubekom- Ihr Trainer, Ernst Hoyos von der men. Da wird kein Wort ohne Spanischen Hofreitschule in Wien, Rechtsanwalt ausgetauscht. lehre die Hengste Mores, nehme SPIEGEL: Rührt Ihre Distanz zum sie auch schon mal hart ran – und eigenen Metier daher, dass Sie Sie erweckten dann erfolgreich nicht wie viele der Dressurreite- den Eindruck, Sie hätten die ei- rinnen aus reichem Hause stam- genwilligen Kraftnaturen mit Ih- men? Sie selbst sind zwar jetzt rem lächelnden Charme bezwun- ein Star, aber Sie haben klein an- gen. Verhält es sich so? gefangen. Wilcox: Nein. Sehen Sie: Unsere Wilcox: Ja, in meinem ersten eu- Reithallen stehen täglich offen,

ropäischen Stall, das war in Dä- ROSE / BONGARTS MARTIN dauernd kommen spontan Zu- nemark, habe ich Boxen ausge- Deutsche Dressur-Equipe*: „Kein Wort ohne Rechtsanwalt“ schauer oder Züchter und wol- mistet und musste im Winter, weil len die Hengste bei der Arbeit der Hallenboden so kalt war, während des Wilcox: Ja und? Dann steigt man wieder begutachten – da kann man nicht auf den Trainings immer wieder vom Pferd stei- auf. Schauen Sie sich doch an, was India- Pferden herumhauen. Es klappt auch nicht, gen, um den gefrorenen Matsch aus den ner alles können, wie leicht die auf dem wenn der eine haut und der andere lächelt. Hufen zu kratzen. Das war eine harte Prü- Pferd sitzen, was die für ein Balancegefühl Das würde nichts nützen: Ein Pferd, be- fung, da habe ich manches Mal – heimlich haben. sonders ein Hengst, weiß genau, wer auf – geheult. Aber dabei habe ich auch zu mir SPIEGEL: Je bekannter ein Reiter wird, des- ihm sitzt – ob Ernst Hoyos oder ich. Wenn selbst gefunden. Da wurde aus der Pferde- to mehr muss er die Blamage fürchten. es ihm gehorcht, gehorcht es mir noch lan- wissenschaftlerin, was ich in Amerika stu- Führt dieser Druck nicht zu Verkrampfun- ge nicht. Ich muss mir den Respekt des diert habe, endgültig eine Reiterin. gen, die das sensible Zusammenspiel von Pferdes möglichst selbst erarbeiten, sonst SPIEGEL: Sie sind in den USA zunächst Mi- Reiter und Pferd stören können? macht es spätestens beim Turnier, was es litary geritten und über Ihren damaligen Wilcox: Ja, aber ich habe keine Angst, mich will. Das kann schlimm enden. Ehemann, den Deutschamerikaner Jan zu blamieren. Ich kann gut verlieren. Die SPIEGEL: Was heißt das? Ebeling, zum Dressurreiten gekommen. Ausbildung eines Pferdes ist das, was mich Wilcox: Wenn ich den Hengst für einen Feh- Was ist so toll an der Dressur? reizt. Die ist mir wichtiger als Olympia- ler hart bestrafe, mit den Sporen oder der Wilcox: Diese haargenaue, disziplinierte Ar- Medaillen. Ich will im Beruf nicht abhän- Gerte, dann versucht er bei der nächsten beit mit einem Pferd, diese intensive Kom- gig sein von Wertungsrichtern. Ich könnte Gelegenheit, sozusagen prophylaktisch, bei munikation durch subtile Körpersprache, auch nicht in einem Stall arbeiten, der die der Wiederholung des Fehlers der Strafe diese feinen Hilfen,vor allem durch die Ba- Pferde, kaum sind sie halbwegs ausgebil- des Reiters zuvorzukommen – mit einer lance, den richtigen Sitz, durch leichte Ge- det, verkauft. Im Dressurwettbewerb muss unberechenbaren Reaktion, die alle Hilfen wichtsverlagerung. Hilfen, die der Außen- ich nur aufpassen, dass der Hengst sich des Reiters ignoriert: ein Teufelskreis. So stehende kaum sieht. nicht blamiert. Wenn er zu viele Fehler funktioniert das nicht. SPIEGEL: Die Balance zu üben scheint sehr macht, kaufen sich die Züchter lieber den SPIEGEL: Wie denn? wichtig zu sein. Wie haben Sie’s gelernt? Samen woanders. Dieses Problem hatte Wilcox: Ich muss mein Pferd kennen und Wilcox: Wohl am wichtigsten für mich war, zum Beispiel mit Gigolo nie seine Reaktionen im Voraus bedenken. Ich dass ich als Jugendliche oft ohne Sattel rei- – er ist ja ein Wallach. muss Fehler durch Vorausdenken vermei- ten musste. Wir hatten daheim ein sehr SPIEGEL: Woher nimmt eine so zarte Person den, durch rechtzeitige Einwirkung, durch großes Land. Und mein Vater, der in Co- wie Sie die Kraft, täglich so viele Pferde, korrekten Sitz – meine Bauchmuskula- lorado auf einer richtigen Cowboy-Ranch dazu noch Hengste, zu reiten? tur muss mich tragen, unabhängig vom aufgewachsen ist, hatte Angst, dass ich am Wilcox: Aus dem täglichen Training, aus Schwung des Pferdes, und doch muss ich Steigbügel hängen bliebe und das Pferd der richtigen Technik, die dann auch Kräf- mit dem Pferd schwingen, und das Ganze mich hinter sich herschleifte. Deshalb sag- te spart. Und aus dem Kopf: Ich habe heu- muss leicht wirken wie ein Ballett, nicht te er: Reite ohne Sattel, und wenn du run- te elf Pferde geritten. Für mich sind das wie schweißtreibendes Krafttraining – das terfällst, macht es nichts, das Pferd findet ist es, was Ernst Hoyos mir beigebracht hat zurück zum Stall und du auch … zu Fuß. und täglich beibringt. Gewissermaßen bin * Isabell Werth, Ulla Salzgeber, Alexandra Simons-de Rid- SPIEGEL: Aber man fällt doch ohne Sattel der und nach ihrem Olympia-Sieg ich dann selbst das Pferd, nur ein wenig und Steigbügel viel leichter herunter. am 27. September 2000 in Sydney. schneller im Kopf. SPIEGEL: Welches der Pferde, die Sie reiten, ist Ihr Favorit? Lisa Wilcox Wilcox: Ich habe keine Favoriten. Aber schaffte es 2001 als erste US-Amerikanerin unter die Royal Diamond und Relevant sind in der Top Ten der Dressurweltrangliste. Die 37-Jährige Ausbildung am weitesten und stehen mir studierte in Colorado „Equine Science“ (Pferdewis- deshalb besonders nah. senschaft), kam 1996 als Bereiterin nach Europa und SPIEGEL: Wie unterscheiden sich die beiden? trainiert seit 1997 beim Gestüt Vorwerk in Cappeln Wilcox: Royal Diamond ist unser Albert (Oldenburger Land) vor allem die Zuchthengste. Wil- Einstein, ein intellektueller Macho. Der cox, die 2002 Mannschaftsvizeweltmeisterin wurde, geht immer voraus und erwartet, dass man ist mit ihrem Pferd Relevant (Foto) für die Olympi- ihm folgt. Relevant ist mehr ein charman- schen Spiele in Athen nominiert. Diese Woche star- ter Cary Grant, der gern hinter mir bleibt tet sie mit Royal Diamond beim Aachener CHIO in und verstohlen schaut. der Einzelwertung des Grand Prix Special. Interview: Mathias Schreiber, Alfred Weinzierl MANFRED WITT MANFRED

der spiegel 29/2004 113