»Schönheit in der Kunst hat gewiss etwas mit Magie zu tun. Durch kreative Vernunft beherrschte Magie: Das ist Kunst.«

Helmut Lachenmann

HELMUT LACHENMANN Sa, 13.02.2016 | So, 14.02.2016 | Hamburg, Kampnagel

DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE

14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 2 28.01.16 11:31 Samstag, 13. Februar 2016, 20 Uhr Sonntag, 14. Februar 2016, 18 Uhr Ausschnitte aus dem Konzert werden am Ausschnitte aus dem Konzert werden am 03.04.2016 ab 22.05 Uhr in der Sendung Hamburg, Kampnagel 03.04.2016 ab 22.05 Uhr in der Sendung Hamburg, Kampnagel Soirée auf NDR Kultur gesendet. Soirée auf NDR Kultur gesendet.

NDR Sinfonieorchester JACK QUARTET Peter Rundel Dirigent Yuko Kakuta Sopran Florent Boffard Klavier Yukiko Sugawara Klavier

Helmut Lachenmann „Gran Torso“ Luigi Nono Composizione per orchestra Nr. 1 (1951) Musik für Streichquartett (1971/1976/1988) (1924 – 1990) Lecture zu „Ausklang“ Helmut Lachenmann Streichquartett Nr. 3 „Grido“ (2000/2001) mit Helmut Lachenmann und Peter Rundel (mit Klangbeispielen von Florent Boffard und Pause dem NDR Sinfonieorchester) Helmut Lachenmann Streichquartett Nr. 2 „Reigen seliger Geister“ (1989)

Pause Pause

Helmut Lachenmann „Got lost“ Helmut Lachenmann „Ausklang“ Musik für hohen Sopran und Klavier (2007/2008) (*1935) Musik für Klavier mit Orchester (1984/1985)

Mit Werkeinführungen von Helmut Lachenmann im Rahmen des Konzerts

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 3 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 4 28.01.16 11:31 Peter Rundel Florent Boffard Dirigent Klavier

Peter Rundel wurde 1958 in Friedrichshafen Florent Boffard erhielt seine erste musikalische geboren. Er studierte Violine bei Igor Ozim Ausbildung am Conservatoire National de und Ramy Shevelov in Köln, Hannover und New Région de Lyon. 1976 wechselte er ans Pariser York, Dirigieren bei Michael Gielen und Peter Konservatorium, wo er die Klavierklasse von Eötvös und erhielt Privatunterricht bei dem mit dem Premier Prix de Piano Komponisten Jack Brimberg in New York. Von abschloss. Anschließend vervollkommnete er 1984 bis 1996 war er als Geiger Mitglied des seine Klavierausbildung bei Germaine Mounier, Ensemble Modern, dem er auch als Dirigent zudem studierte er Kammermusik bei Gene- weiter verbunden ist. Im Bereich der Neuen viève Joy. 1982 ging der Pianist beim Concours Musik kann er außerdem auf eine langjährige de piano – Grand Prix Claude Kahn in Paris so- Zusammenarbeit mit dem Ensemble Recherche, wie bei der Vianna da Motta International Music dem Asko/Schönberg Ensemble und dem Competition in Lissabon als Sieger hervor. Von Klangforum Wien zurückblicken. Regelmäßig 1988 bis 1999 war Florent Boffard Mitglied ist er auch beim Ensemble interContemporain des Ensemble InterContemporain, mit dem er Paris und dem Ensemble Musikfabrik zu Gast. zahlreiche Werke von zeitgenössischen Kom- Nach Tätigkeiten als musikalischer Leiter des ponisten wie , György Ligeti, Königlich-Philharmonischen Orchesters von von Orffs „Prometheus“ bei der Ruhrtriennale , Philippe Fénelon und Michael Flandern sowie der damals neu gegründeten wurde 2013 mit dem Carl-Orff-Preis gewürdigt. Jarrell aufführte. Seine Diskographie enthält Kammerakademie Potsdam übernahm Peter Für seine Aufnahmen mit Musik des 20. Jahr- u. a. Einspielungen von ’ Structures Rundel im Januar 2005 die Leitung des Remix hunderts erhielt Peter Rundel ebenfalls zahl- pour deux pianos (mit Pierre-Laurent Aimard), Ensemble Casa da Música in Porto. Regelmäßig reiche Preise, darunter mehrmals den Preis Luciano Berios Sequenza IV sowie von Béla gastiert er beim Symphonieorchester des der deutschen Schallplattenkritik (Nono, Bartóks 2. Sonate für Violine und Klavier (mit Bayerischen Rundfunks, beim DSO Berlin, beim Prometeo; Kyburz, Ensemble- und Orchester- Isabelle Faust); weiterhin legte er Aufnahmen RSO Stuttgart sowie bei den Rundfunkorches- werke; Reich, City Life; Furrer, Klavierkonzert) von Werken Debussys, Bartóks und Schönbergs tern des WDR, RBB, NDR, des SWR, des Saar- sowie den Grand Prix du Disque (Barraqué, vor. Als Konzertpianist trat Florent Boffard bei ländischen Rundfunks, des ORF Wien und beim Gesamtwerk), eine Grammy-Nominierung Festivals in Salzburg, Berlin, Bath und Brüssel Orchestra Nazionale della RAI Torino. Peter (Heiner Goebbels, Surrogate Cities) und einen auf und arbeitete mit Dirigenten wie Pierre Rundel leitete Opernuraufführungen an der Echo Klassik (Sprechgesänge mit dem En- Boulez, , Leon Fleisher und David Deutschen Oper Berlin, der Bayerischen Staats- semble Musikfabrik). Robertson. Seit 1997 ist Florent Boffard Pro- oper, bei den Wiener Festwochen, den Bregen- fessor am Konservatorium in Paris. Seit 2009 zer Festspielen und den Schwetzinger SWR ist der Musiker, der auch an der Musikhoch- Festspielen. Dabei arbeitete er mit namhaften schule in Stuttgart unterrichtet, Professor am Regisseuren wie Peter Konwitschny, Philippe Conservatoire national supérieur musique Arlaud, Peter Mussbach, Calixto Bieito, Reinhild et danse in Lyon. Hoffmann, Heiner Goebbels, Carlus Padrissa (La Fura dels Baus) und Willy Decker zusammen. Die von ihm dirigierte spektakuläre Produktion

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 5 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 6 28.01.16 11:31 NDR Sinfonieorchester JACK QUARTET

Das NDR Sinfonieorchester, zukünftiges Resi- Die Mitglieder des JACK Quartet kennen sich denzorchester der Elbphilharmonie Hamburg, seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Eastman unterhält eigene Konzertreihen in Hamburg, School of Music in Rochester (New York) und Lübeck, Kiel und Wismar. Gastspielreisen führen haben seither bei dem Arditti Quartet, dem das Orchester regelmäßig zu den wichtigsten Kronos Quartet, dem Muir String Quartet und europäischen Festivals und auf die bedeutends- bei Mitgliedern des Ensembles InterContempo- ten Konzertpodien. Auch bei seinen Tourneen rain studiert. Das JACK Quartet konzentriert nach Asien, Südamerika und in die USA unter- sich auf die Auftragsvergabe und Aufführung streicht es seinen Rang als eines der weltweit neuer Werke. Dies führte zu engen Kooperatio- führenden Konzertorchester. Gegründet wurde nen mit Komponisten wie Helmut Lachenmann, das NDR Sinfonieorchester im Jahr 1945. György Kurtág, Matthias Pintscher, Georg Über ein Vierteljahrhundert lang prägte Hans Friedrich Haas, James Dillon, Toshio Hosokawa, Schmidt-Isserstedt als Chefdirigent das künst- Wolfgang Rihm, Elliott Sharp, Beat Furrer, lerische Profi l des Orchesters. Nach den Chef- Caleb Burhans und Aaron Cassidy. Neben zeit- dirigenten der siebziger Jahre, Moshe Atzmon genössischen Kompositionen interpretiert das und Klaus Tennstedt, erreichte die 20-jährige JACK Quartet immer wieder auch Repertoire Zusammenarbeit des Orchesters mit Günter formen wie z. B. die jeweils zur Saisoneröff- alter Musik, darunter Werke von Carlo Gesualdo, schen Musikhochschulen. Der Name des En- Wand eine ähnliche Bedeutung wie die Ära nung gespielte „Opening Night“ lösten eine Guillaume de Machaut und Josquin Desprez. sembles leitet sich von den Anfangsbuchstaben Schmidt-Isserstedt. Wand, seit 1982 Chefdiri- bei Orchester, Publikum und Presse gleicher- 2012 begleitete das Quartett den Pianisten der Mitglieder-Vornamen ab: John Pickford gent und 1987 schon zum Ehrendirigenten auf maßen empfundene Aufbruchstimmung aus Maurizio Pollini bei seiner Reihe „Pollini Pers- Richards (Viola), Ari Streisfeld (Violine II), Lebenszeit ernannt, hat bis zu seinem Tod im und setzten neue Maßstäbe im Konzertleben pectives“. Das Ensemble trat u. a. in der Lon- Christopher Otto (Violine I) und Kevin McFarland Jahr 2002 die künstlerische Arbeit des NDR Hamburgs und Norddeutschlands. Seit der doner Wigmore Hall, im Muziekgebouw aan ’t (Violoncello). Sinfonieorchesters geprägt. Die Reihe der Saison 2015/2016 steht ihm der junge polni- IJ in Amsterdam, in der New Yorker Carnegie Chefdirigenten wurde zunächst mit John Eliot sche Dirigent Krzysztof Urbański als Erster Hall, im Kimmel Center in Philadelphia und in Gardiner und Herbert Blomstedt fortgesetzt. Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters der Library of Congress in Washington auf; es 1998 wurde Christoph Eschenbach in diese Po - zur Seite. Dokumente der Zusammenarbeit gastierte bei den Donaueschinger Musiktagen, sition berufen. Mit Beginn der Saison 2004/2005 Hengelbrocks mit dem NDR Sinfonieorchester bei Les Flâneries Musicales de Reims, der setzte Christoph von Dohnányi die Tradition sind u. a. bei Sony veröffent lichte CDs mit Biennale di Venezia, den Darmstädter Ferien- bedeutender Dirigentenpersönlichkeiten in Werken von Mendelssohn, Schumann, Dvořák kursen für Neue Musik, beim Ultraschall-Festi- der Chefposition des NDR Sinfonieorchesters und Schubert sowie die zuletzt erschienene val in Berlin sowie beim Festival Internacional fort. Seit 2011 ist Thomas Hengel brock Chef- Einspielung der Hamburger Fassung von Cervantino in Mexiko. Ein wichtiger Bestand- dirigent des NDR Sinfonie orchesters. Inter- Gustav Mahlers Erster Sinfonie. Im Juni 2015 teil der Arbeit des JACK Quartet ist jungen pretatorische Experimentierfreude und un- vereinbarte das NDR Sinfonie orchester eine Komponisten und Instrumentalisten gewidmet: konventionelle Programmdramaturgie sind mehrjährige Kooperation mit dem Shanghai So geben die vier Musiker Workshops an den Markenzeichen seiner Arbeit. Hengelbrocks fri- Symphony Orchestra, in deren Mittelpunkt Universitäten von Iowa, Wisconsin-Madison, sche Art des Musizierens, seine inspirierende ein groß angelegtes Ausbildungsprojekt in Buffalo, Illinois, Washington und New York und Musikvermittlung und innovative Darbietungs- China steht. lehren überdies an verschiedenen amerikani-

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 7 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 8 28.01.16 11:31 Yuko Kakuta Yukiko Sugawara Sopran Klavier

Yuko Kakuta studierte Gesang an der Musik- Yukiko Sugawara begann ihr Klavierstudium bei hochschule Osaka, an der Staatlichen Univer- Michiko Endo in ihrer Heimatstadt Sapporo. sität der Künste in Kyoto und ab 1999 an der Später wechselte sie zu Aiko Iguchi an das Universität der Künste in Berlin. Bei den Fest- Toho College of Music in Tokio sowie zu Hans spielen in Aix-en-Provence debütierte sie als Erich Riebensahm nach Berlin, bevor sie ihre Hermia in Brittens „A Midsummer Night’s Ausbildung an der Hochschule für Musik Köln Dream“. 2002/2003 ging sie ins Festengage- bei Aloys Kontarsky mit dem Konzertpianisten- ment an die Staatsoper Hannover, bevor die Diplom abschloss. Yukiko Sugawara gewann Sängerin 2006/2007 Ensemblemitglied der zahlreiche internationale Preise (u. a. den Staatsoper Stuttgart wurde. In der umjubelten Kranichsteiner Musikpreis) und nahm an zahl- Produktion „Al gran sole carico d’amore“ von reichen europäischen Festivals teil (Donau- Luigi Nono in der Regie von Peter Konwitschny eschinger Tage für Neue Musik, ECLAT Festival gastierte Yuko Kakuta beim Edinburgh Inter- Stuttgart, „Mouvement. Musik im 20. Jahrhun- national Festival. In Stuttgart war sie u. a. auch dert“, Saarbrücken, Holland Festival, Berliner als Despina („Così fan tutte“), Blonde („Die Festwochen, Festival d’Automne Paris, War- Entführung aus dem Serail“), Prinzessin Fanta- schauer Herbst, Huddersfi eld Music Festival, sia („Die Reise zum Mond“), Celia („Lucio Silla“), Compostela und im Concertgebouw Brugge; Ars Musica Brüssel). Als Solistin arbeitete sie tieren ihre künst lerische Arbeit; für ihre Ilia („Idomeneo“), Alice („Le comte Ory“), zudem war sie als Königin der Nacht an der mit Dirigenten wie Pierre Boulez, Sylvain Interpretation von Helmut Lachenmanns Barbarina („Le nozze di Figaro“) und Amor Komischen Oper Berlin zu erleben. An der Oper Cambreling, Peter Eötvös, Peter Hirsch, Peter „Serynade“ erhielt sie den Preis der („Orphée et Euridice“) zu erleben. Ferner wirkte Stuttgart singt sie in dieser Spielzeit die Partien Rundel, Lothar Zagrosek und Hans Zender Deutschen Schallplattenkritik. die Künstlerin bei der Uraufführung von iOPAL der Musetta („La Bohéme“), Jano („Jenůfa“), zusammen. Dabei wirkte sie bei zahlreichen von Hans-Joachim Hespos in Hannover mit. Despina („Così fan tutte“), Rosina („Der Barbier Uraufführungen mit; viele Komponisten haben Konzerte und Gastspiele führten Yuko Kakuta von Sevilla“) und Wendy („Peter Pan“). Werke für sie geschrieben. Im Bereich der nach Berlin, Bremen, Schwerin, Ingolstadt, Kammermusik hat die Pianistin in verschiede- München sowie nach Japan. Unter dem Dirigat nen Formationen gespielt: als Duo mit der von Andrew Litton und mit dem Rundfunk- Violinistin Tomoko Kiba, als Piano-Duo mit orchester NHK Tokyo sang sie das Sopransolo Tomoko Hemmi sowie als Begleiterin von Yuko in Beethovens 9. Sinfonie; das Konzert wurde Kakuta (Sopran). Als Dozentin war Yukiko von Radio und Fernsehen ausgestrahlt. Yuko Sugawara an der Chicago Northwestern Uni- Kakuta übernahm das Sopransolo in Helmut versity sowie am Goethe-Institut New York Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefel- tätig. Zudem gab sie Sommerkurse an den hölzern“ bei der Eröffnungs premiere 2012/2013 Musikhochschulen von Krakau, Stuttgart, an der Deutschen Oper Berlin sowie 2013/2014 Saarbrücken, Trossingen und Straßburg. Vom bei der Ruhrtriennale und am Teatro Colón Winter semester 2003 bis 2005 war Yukiko in Buenos Aires. 2014/2015 gestaltete Yuko Sugawara Gastprofessorin für Klavier und Kakuta die Uraufführung diverser Liedkompo- Kammermusik an der Hochschule für Musik sitionen von Toshio Hosokawa in Santiago de Saar. Zahlreiche CD-Produktionen dokumen-

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 9 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 10 28.01.16 11:31 Orchesterkonzert | 13.02. Musik als existentielle Erfahrung Nonos „Composizione“ und Lachenmanns „Ausklang“

Kaum ein anderer deutscher Komponist hat von einem, dem es über einen Allerweltshuma- die musikalische Nachkriegs-Avantgarde und nismus hinaus Ernst mit dem Sozialismus war“ das Denken über Musik so geprägt wie Helmut (Lachenmann). Lachenmann, der am 27. November 2015 seinen 80. Geburtstag feierte. Über mehr als Diese politische Ebene, die in Werken wie ein halbes Jahrhundert hat er eine Ästhetik „Il canto sospeso“ für Sopran-, Alt- und Tenor- der akustischen Freiheit entwickelt, die im Solo, gemischten Chor und Orchester nach konstruktiven Widerstand gegen das Gewohnte Abschiedsbriefen zum Tod verurteilter Wider- steht und Essentielles entfaltet. Mit seiner standskämpfer (1955/1956) oder der „szeni- Vorstellung von einer „musique concrète ins- sche Handlung“ „Intolleranza 1960“ nach einer trumentale“, die das Geräusch als gleichbe- Idee von Angelo Maria Ripellino (1960/1961) rechtigte Klangquelle neben den herkömmlich offen zutage tritt, fi ndet sich in Nonos 1951 erzeugten Tönen aufwertet, beeinfl usste er entstandener „Composizione per orchestra“ eine ganze Generation von Komponisten. nicht. Allerdings hatte Nono, bevor er sich Lachenmann geht es um die Unterminierung Luigi Nono, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen Von Nono angeführter „Boykott und Kampf von Studenten, diesem Werk zuwandte, an einem großen Pro- gewohnheitsmäßiger Hörhaltungen, weshalb in Donaueschingen (1950) Arbeitern, Intellektuellen gegen die Biennale [1968 in jekt für zwei Sprecher und Orchester gear- Venedig], eine kommerziell eingestellte kulturelle Institution sein Komponieren untrennbar mit der Anstren- zur Unterstützung von ökonomischen Monopolinteressen beitet, das dem Schriftsteller, Journalisten gung verbunden ist, die Bedingungen des lung entscheiden müssen, wie er sich zu der und der Regierungsmacht.“ (Luigi Nono) und Kommunisten Julius Fučik gewidmet war, gesellschaftlichen Umgangs mit Musik immer Gesellschaft, als deren Requisit er fungiert, zu einem prominenten Mitglied des tschechi- wieder aufs Neue zu hinterfragen. In diesem verhalten hat.“ Und weiter: „Zu einer Zeit, als sich der Kontakt seiner Musik zum Publikum schen Widerstands. Nach seiner Verhaftung Sinne könnte der Titel seiner 1996 erschiene- noch keiner daran dachte, mit roten Fähnchen der fünfziger Jahre.“ am 24. April 1942 schrieb er im Prager Ge- nen Aufsatzsammlung „Musik als existentielle sein Dirigentenpult zu schmücken, ‚Freibriefe fängnis Pankrác das Buch, das in den 1950er Erfahrung“ auch als künstlerisches Credo für die Jugend‘ zu veröffentlichen oder Opern- Luigi Nono, der 1952 als aktives Mitglied in die Jahren nicht nur in der Tschechoslowakei zur gelten: „Musik hat Sinn doch nur, insofern häuser anzuzünden, verstand sich Nono schon italienische Kommunistische Partei eintrat anti faschistischen Pfl ichtlektüre werden sollte: sie über die eigene Struktur hinausweist auf als politisch engagierter und wirkender Musiker, und in den 1970er Jahren auch in deren Zen- die „Reportage unter dem Strang geschrieben“, Strukturen, Zusammenhänge, das heißt: dessen Kunst Appell sein wollte, Aufruf zu tralkomitee tätig war, verstand seine Werke Gefängnisprotokolle und Dokumente des auf Wirklichkeiten und Möglichkeiten um uns neuem Denken und zur permanenten Empfi nd- immer auch als Stellungnahme zur politisch- Wi der stands, denen Nono die Texte für sein und in uns selbst.“ lichkeit gegenüber altem Denken, vor allem gesellschaftlichen Realität ihrer Entstehungs- neues Werk entnahm, das er jedoch nicht zu gegenüber den offenen und latenten Denkfor- zeit. Nicht umsonst bekam der gebürtige Ve- Ende führte – wohl, weil er erkannte, dass ein men des Faschismus und seiner Wurzeln, die nezianer, den mit Lachenmann eine intensive der artiges Stück im Deutschland der 1950er Kunst als Appell: er auch und besonders gefährlich in Vergess- und in mehr als einhundert Briefen dokumen- Jahre aus politischen Gründen unaufführbar Lachenmann und Nono lichkeit und Bequemlichkeit sah – einer ver- tierte Lehrer-Schüler Beziehung verband, gewesen wäre (erst in „Intolleranza 1960“ sollte gesslichen Bequemlichkeit, die es nicht zuletzt spätestens zu „Beginn der sechziger Jahre […] Nono Texte von Julius Fučik wieder aufgreifen). „Jeder Künstler“, schrieb Helmut Lachenmann im ästhetischen Bereich nachzuweisen und von der westdeutschen Öffentlichkeit – nicht Ein Vergleich der erhaltenen Partiturseiten von 1969 in seinem Aufsatz „Luigi Nono oder aufzurütteln gilt. Das Moment des pathetischen nur von ihr – zu spüren, dass sie genug von der „Fučik“ – Nono stellte den ersten Teil der groß Rück blick auf die serielle Musik“, „wird sich in Appells lässt sich bei Nono von seinen frühes- Linkskoketterie hatte und sich nicht mehr in angelegten, sinfonischen Komposition weit- einem bestimmten Stadium seiner Entwick- ten Werken an nachweisen. Ihm verdankt ihrem restaurativen Weg irritieren lassen wollte, gehend fertig – und der „Composizione per

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 11 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 12 28.01.16 11:31 klingenden fl üchtigen Glockenklängen, die sich kriegs rechtfertigte. „Das einseitige Gedenken allmählich (hier zeigt sich einmal mehr Nonos an die faschistische Vergangenheit, nämlich überragendes Formgefühl) zu illuminierten fast nur durch die in Italien glücklicher weise Klanggespinsten verdichten, welche ihrerseits existierende kommunistische Partei“, erinnerte den kaum greifbaren Impuls ihrer Entstehung sich Lachenmann später, „erklärt nicht den festzuhalten versuchen. Das Klang bild wirkt Dissens zwischen Nono und mir als einen irreal und verhalten, bis nach mehre ren ver- solchen zwischen einem Italiener und einem geblichen Versuchen die Streicher eine verhal- Westdeutschen. Zumal ich nach dem Vorbild tene Monodie ausbreiten. Mit wild auffahrenden Nonos auch so etwas wie ein Linker geworden Klanggesten, die wie erstarrte Bruchstücke war. Das war nicht der Gegensatz Italiener den musikalischen Raum füllen, beginnt der und Deutscher, sondern eher der zwischen zweite Teil des Werks, bevor die Musik in einen dem orthodox sich gebenden Kommunisten wilden Strudel unbändiger Ver dichtung gerät, und dem nach allen Richtungen verunsicher- der schließlich in dem furiosen Schlagzeug- ten Christen.“ Finale kulminiert. Nono brachte sein kritikloses Lob der politi- schen Verhältnisse in Osteuropa und auf Kuba Konsens und Dissens: von vielen Seiten den Vorwurf der politischen Der Schüler und sein Lehrer Naivität ein, worauf auch Lachenmann in einem Interview mit Bettina Ehrhardt im Vorfeld des Lachenmanns Studium bei Nono zwischen Films „Intolleranza 2004“ einging: „Alle sagten, Luigi Nono (1957) 1957 und 1960 – beide lernten sich während Helmut Lachenmann 1972 in Hamburg er sei naiv. Das sagte sogar Bruna Maderna. der Darmstädter Ferienkurse 1957 kennen – Aber er ist liebenswert! Und in der Naivität, die orchestra“ zeigt, dass außer der identischen fi el in eine Zeit der zunehmenden Abkehr des Menschen“ zu setzen (Lachenmann). Dessen im Grunde eine Indifferenz gegenüber Dingen, Orchesterbesetzung keine Ähnlichkeit zwischen italienischen Komponisten von der europäi- ungeachtet kam es in politischen Dingen die widersprüchlich waren, bedeutete, war den beiden Stücken besteht. Im Gegenteil: schen Avantgarde-Szene, insbesondere von mehr als einmal zu Streit, der bisweilen zu eine ganz große künstlerische und humane Im größten Teil der „Composizione“, die am den führenden Vertretern Stockhausen und mehr jährigen Verstimmungen führte. So hielt Vision […]. Und die musste man dem Nono, wie 18. Februar 1952 von Bruno Maderna und dem Boulez. Von seiner Kritik an einer manierierten Lachenmann anlässlich „Intolleranza 1960“ ich fand, immer zu Gute halten. Aber einfach NDR Sinfonieorchester in der Reihe NDR das und dogmatischen Fortschreibung des Serialis- seinem Lehrer vor, er prangere in der Oper nur nur die Augen zumachen oder das alles nur neue werk in Hamburg uraufgeführt wurde, mus gab Nono zweifellos viel an seinen Schüler den rechten Faschismus an, während er die beschönigen, was […] an Porzellan zerbrochen beschränkte sich Nono auf neun Töne, die ganz weiter, was sich nicht zuletzt an Lachenmanns verbrecherischen Machenschaften des sowje- wurde, was an Beziehungen zerstört wurde, im Sinne zwölf tönigen Komponierens gehand- reservierten Äußerungen gegenüber dem tischen Stalinismus und DDR-Sozialismus und was auch an Unrecht dabei entstand, das habt werden; erst im abschließenden reinen Darmstädter Kreis in seinen frühen Briefen unter Walter Ulbricht ignoriere. Anlässlich kann ich nicht, will ich nicht. Jeder von uns Schlagzeug-Abschnitt werden die drei übrigen und Vorträgen zeigt. Von Anfang an verband des Mauerbaus kam es dann zu einem ernsten kommt in diese Situation, wo er im Hinblick Töne der chromatischen Skala verwendet. beide Komponisten eine gewisse Verwandt- Streit, da Nono die Errichtung als geschichtlich auf etwas, was ihn fasziniert, um sich herum Das Stück beginnt ohne eigentlichen Anfang schaft des Denkens und Fühlens, ging es doch notwendige Folge der Naziverbrechen und des verletzt und zerstört. Man soll nur nicht das mit ein paar wie aus weiter Ferne he rüber- beiden darum, „Musik in direkte Beziehung zum von den Deutschen entfesselten Zweiten Welt- alles heilig sprechen […].“

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 13 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 14 28.01.16 11:31 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen die Schwerkraft zu überwinden, zu überlisten, anzuregen‘, deren Ausklingen es dann zuvor- holungen, chromatischen Läufen, Glissandi Nono und Lachenmann führten 1971 zu einem oder wenigstens Situationen solch überwun- zukommen gilt durch verschieden massive und Arpeggien bestimmt, was immer wieder vorläufi g endgültigen Zerwürfnis, dem sich dener Schwerkraft zu simulieren, hat vielleicht Eingriffe, mehr oder weniger rhythmisierte an die Virtuosität sinfonischer Klavierkonzerte ein über zehn Jahre andauerndes Schweigen ein Pendant in den vielfältigen Versuchen, die Abbau- und Umbau-Prozesse, Filterung, un- denken lässt. Zudem verbinden sich die Klavier- anschloss. Erst ab 1983 fanden die beiden per Impuls in Schwingung versetzte Materie, vermittelte Integration in ganz andere Wahr- klänge mit denen des Orchesters zu ausgedeh n- Komponisten wieder zueinander, wobei die zum Beispiel den Klavierklang, am Verklingen nehmungskategorien usw.: Solche Modelle, ten Makrokantilenen, tonlosen Geräuschfeldern neu gefundene ungetrübte Freundschaft bis zu hindern.“ hereingeschmuggelt zunächst, entfalten ihre und dynamisch bewegten Intervallfl ächen, die zu Nonos Tod am 8. Mai 1990 anhielt. eigene Dynamik. Bei dem sich so präzisieren- zwischen Stillstand und Raserei changieren. Dabei stellt sich das Werk, in dem sich auch den kompositorischen Instrumentarium spielt Hinzu kommen erweiterte Spieltechniken wie Eine wichtige Rolle bei dieser Wiederannähe- tonale Momente fi nden lassen, als einsätziges aber auch die Transferierbarkeit des pianisti- Glissando-Aktionen mit Hilfe von „zwei oder rung spielte Nonos 1981 bis 1984 entstandene Solokonzert den Rezeptionsbedingungen der schen Ausgangstyps (Anschlagsimpuls bezie- drei Plastik-Töpfchen von 4 – 8 cm Durchmesser“ und ein Jahr darauf revidierte dritte und letzte spätromantischen Tradition, wobei die damit hungsweise -fi gur, Klanggestalt, Klangverände- bzw. mittels eines Metallstabs, das Schlagen Oper „Prometeo“, die am 25. September 1984 verbundenen Erwartungen weder erfüllt noch rung – aber auch seine Umkehr- und vielfache gegen die Instrumenten-Außenseite und gegen in Venedig unter Leitung von Claudio Abbado unterlaufen werden. Lachenmann geht es um Strapazierbarkeit) auf das Orchester, auf ein- den Stahlrahmen mit Handfl ächen und Hammer Premiere hatte – ein Ereignis, dem Lachenmann das Spannungsfeld von Fremdheit und Ver- zelne charakteristische Orchestergruppen, sowie das Anreißen der Saiten mit Fingernägeln beiwohnte und das bei ihm, wie er Anfang trautheit, nicht „um neue Klänge, sondern um im Sinn eines Superklaviers, bei welchem das und Fingerkuppen. „Die Musik“, so der Kompo- November desselben Jahres an Nono schrieb, ein neues Hören“, wie er 1988 in einem Ge- Solo-Instrument zum partikular beteiligten nist, „durchläuft so einen Parcours von Situa- einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte: spräch mit Heinz-Klaus Metzger bemerkte. Gerät wird, eine wesentliche Rolle.“ tionen, die – fortsetzend, kontrastierend oder „Prometeo war sehr wichtig für mich, ich habe Die musikalische Kernidee, das unvermeidliche qualitativ umschlagend – auseinander hervor- Dir wieder einmal zu danken.“ Diminuendo des Klavierklangs mit Hilfe von Die Mittel, mit denen Lachenmann die Flüch- gehen, wobei die Musik den Ausgangsgedanken vielfältigen Filter-, Halte-, Pedal-, Resonanz-, tigkeit des Klavierklangs zu überwinden bzw. zu verraten scheint, weil sich die Bewegungen In dieser Zeit, 1984/1985, komponierte Oberton-, Echo- und Nachgreif-Techniken das „Aus der Klänge“ so weit wie möglich mehr und mehr verselbständigen, bis diese, Lachenmann sein Klavierkonzert „Ausklang“, immer wieder anders auszudifferen zieren, herauszuzögern sucht, sind außerordentlich als perforiertes Riesencantabile sich erken- dessen Revision Anfang März 1986 abgeschlos- manifestiert sich bereits im metaphorischen facettenreich, wobei die Prominenz von Klavier- nend, wieder in ihn einmünden und sich ihm sen war und dessen Uraufführung am 18. April Titel und bestimmt nicht erst seit der Roman- Tonrepetitionen erklärtermaßen eine Hommage unterwerfen.“ Das Werk endet mit drei aufein- 1986 mit dem WDR Sinfonieorchester unter der tik die Geschichte des Klaviersatzes: „Wo aber an den amerikanischen Klavierperformer anderfolgenden Akkorden in E-Dur – später Leitung von Peter Eötvös und dem Pianisten die Spekulation mit solcher Illusion mit sich Charlemagne Palestine darstellt, der in seinen „Ausklang“ einer Tonalität, die bereits gegen Massimiliano Damerini in Köln stattfand. Das selbst spielt, geht es über die Nutzung von Konzerten den Flügel durch unablässig gespiel- Ende des 19. Jahrhunderts an Verbindlichkeit Konzert, das Lachenmann seiner Frau, der ja- Pedal- und Flageolett-Techniken des modernen te Tonrepetitionen in glockengleiche Resonanz verloren hat: „Im Grunde war das vielleicht panischen Pianistin Yukiko Sugawara, widmete, Flügels hinaus. Wenn diese auch weithin meine versetzte – ein klangliches Schlüsselerlebnis noch einmal das Zeigen der Flucht nach vorn. ist mit seinen rund 50 Minuten Aufführungs- Komposition mitgeprägt haben, so scheint mir für Lachenmann, der sich diesen Aspekt des Nachdem ich die Rituale zum Gegenstand der dauer eine groß dimensionierte Komposition wichtiger, wie der Umgang mit den Mitteln magischen Klangrituals allerdings nur als Aus- Refl exion gemacht habe, spiele ich sie durch.“ mit einem konkret pianistischen Material des überhaupt sich dabei modifi ziert. Grifftechnisch einandersetzung mit seiner Unmöglichkeit an- Soloklaviers, dessen schnelle Läufe, Akkord- abgeleitete pianistische Spielmodelle, orga- eignen konnte. Neben allen Varianten des Pedal- Harald Hodeige schichtungen und Ausklänge durch das Orches- nisiert als mechanistisch funktionierende gebrauchs und des stummen Niederdrückens ter wie in einem imaginären und vielfarbigen Speicherungsobjekte, halb bewusstlose Ein- von Tasten ist der betont spielerische Klavier- Resonanzraum fortklingen: „Der Wunschtraum, schwingprozesse, erstmal ‚bloß um die Saiten part in „Ausklang“ von rasanten Tonwieder-

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 15 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 16 28.01.16 11:31 Kammerkonzert | 14.02. „Komponieren heißt, ein Instrument bauen …“ Zu Lachenmanns Streichquartetten und „Got lost“

„‚Gran Torso‘, 1971/1972 komponiert und 1978 mit akustischen Instrumenten elektronischer entfernte Gegenposition zum Streichquartett revidiert,“ schrieb Helmut Lachenmann in Geräusch-Musik annähern will, sondern bei der klassischen Zuschnitts darstellt, denn in dem einem Werkkommentar im Jahr der Revision, es auf der Basis eines strukturellen Denkens Werk zeigt in den Worten des Komponisten „gehört mit ‚Air‘, ‚Kontrakadenz‘, ‚Pression‘ und in Aktions- oder Klangfarben-Kategorien wie „der Bogenstrich nicht mehr in erster Linie ein ‚Klangschatten‘ zu einer Werkreihe, deren Ma- „reiben“, „pressen“, „zupfen“, „stoßen“ oder intervallisch bezogenes Klangereignis an, son- terialbegriff sich von der Konvention zu lösen „perforieren“ um das Bewusstmachen der An- dern das Moment der Friktion bei Erzeugung versucht, indem er statt vom Klang von den strengungen geht, die benötigt wird, um Klang von Klang.“ Dabei übernimmt der „bewusstge- mechanischen und energetischen Bedingungen zu erzeugen. Bei der so erfolgten Erkundung machte Bogendruck“ eine thematische Funk- bei der Klang-Erzeugung ausgeht und von dort der klanglichen Möglichkeiten eines jeden Ins- tion, da er unter ständiger Abänderung und strukturelle und formale Hierarchien ableitet. truments verlangt Lachenmann in „Gran Torso“ Variation die Funktion traditioneller Motive Klar ist, dass ein solcher Ausbruchsversuch eine Fülle von neuen Spieltechniken, für die oder Rhythmen übernimmt. Für Lachenmann nicht einfach ‚gelingt‘: Der Apparat, die vorge- er eigens neue Notationsformen entwickelte. werden so Pizzicato und Col legno battuto gebenen Mittel, der Klangkörper selbst als So haben sich die Spieler in eine Trennung und „Varianten desselben Impulsprinzips“, die mit Verkörperung von Konventionen sträuben sich Neu-Kombinierung der Aktionen von linker und Hilfe nachhallender Flageoletts „verwandt (die verfremdeten Spieltechniken markieren rechter Hand einzuarbeiten, auf abgestufte gemacht“ werden. Großen Raum nehmen auch nur die Spitze eines Eisbergs von tiefgehenden Arten der Dämpfungen, auf ein Spiel auf Korpus, die Flautato-Passagen ein, bei denen die Widersprüchen, wo der bürgerliche Künstler Wirbel, Zarge und oberstem Teil des Griffbretts bestmögliche Wahrnehmbarkeit des Streich- sich am eigenen Schopf aus dem Graben ziehen sowie auf vielfältige Aktionen, die den Geräusch- geräusches im Vordergrund steht sowie die möchte). Hinter solcher Auseinandersetzung und Tonhöhenanteil immer wieder in neuer Abschnitte des tonlosen Streichens, in denen aber und darin zugleich steht ein Anspruch Relation zusammensetzen, wie etwa der Halb- geräuschhafte bzw. tonhöhenunbestimmte ästhetischer Prägnanz, ein Angebot, wenn man fl ageolettgriff, der „eine verschleierte, quasi Streichbewegungen einen deutlichen Gegen- so will, von Schönheit, die sich nicht abfi ndet. entmaterialisierte, kaum wahrnehmbare Ton- Helmut Lachenmann (2005) pol zu den Passagen mit gepresstem Bogen- ‚Torso‘ heißt das Stück deshalb, weil all die höhenfärbung des dominierenden Streichge- strich bilden. strukturellen Bereiche, die berührt werden, räuschs“ produziert. Allerdings wollte Lachen- bringen. Und dann bilden sie eine Landschaft deutlich die Möglichkeit in sich tragen, selb- mann nicht nur neue Klänge erzeugen, sondern von klingenden Ereignissen, die sich gegen- Nach eröffnenden Fragmenten folgt in „Gran ständig in sich weiter fortentwickelt zu werden. erreichen, dass auch die althergebrachten neu seitig neu bestimmen und dabei durchaus ihre Torso“ eine umfangreiche Sequenz aus aggres- Auf diese Möglichkeit, die jeglichen realisti- wahrgenommen werden, indem diese in unge- alten Qualitäten mitbringen, sie aber zugleich siv wirkenden, gepressten und knirschen den schen Rahmen einer Aufführung im Konzert wohnten Zusammenhängen erklingen: „Mich verwandeln. Wenn ich so ein imaginäres In - Klängen, die allmählich in sich zusammensin- sprengen würde (wo es doch seine Wirkung tun interessiert beim Komponieren nicht einfach s trument geschaffen habe, egal aus welchen ken und verklingen – in einem Abschnitt, in soll), wird gleichsam ‚widerstrebend‘ verzichtet: das Trümmerfeld der zerstörten, sondern das Klängen, die jetzt neu gepolt sind und trotzdem dem zu einer „schreibenden“ Bewegung über deshalb ‚Gran Torso‘.“ jetzt erst mögliche Kraftfeld der freigelegten auch an ihre Herkunft erinnern, dann kann ich den Corpus des Violoncellos ein verhaltenes und zu schaffenden Klangbeziehungen“, sagt beim Komponieren nichts mehr falsch machen, Flautato der Bratsche sowie Atemgeräusche In seinem ersten Streichquartett wandte er. In anderem Zusammenhang heißt es: kann angstlos arbeiten, denn ich spiele auf erklingen. Anschließend kommt die Musik Helmut Lachenmann – nach der Anwendung „‚Komponieren‘ – eines meiner goldenen Worte – ‚meinem‘ Instrument.“ wieder in Bewegung, indem Saltato- und auf zwei Orchesterwerke („Air“ und „Kontra- heißt, ‚ein Instrument bauen‘: also die vorhan- Balzato-Gesten sich zu scharrenden Klängen kadenz“) – die von ihm entwickelte „musique denen klangtechnischen Mittel aus ihrem Angesichts dieses Ansatzes überrascht es steigern, bevor sich eine Art Morse-Episode aus concrète instrumentale“ an, die sich nicht vertrauten Kontext lösen und in einen neuen kaum, dass „Gran Torso“ eine denkbar weit Bartók-Pizzicatos anschließt, die Lachenmann

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 17 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 18 28.01.16 11:31 paradox als „Knall-Kantilene“ bezeichnete. 16-saitigen Klang-Gerät zu tun.“ Die Entwick- Die kompositorischen Thematisierungen der lung dieses „Makro-Instruments“ steht in enger verschie denen Klang-Hervorbringungen führ- Verbindung zu der Entwicklung der verschie- ten den Komponisten nach eigenem Bekunden denen Triller-Formen in der Anfangsphase, „in eine Welt der systematisch abgestuften in der auch Flautato-, Tremolo und Rausch-Va- Klang-Verfremdungen. Mein ‚Gran Torso‘ war rianten überwiegen; in der sich anschließenden eine Art feierliche Musik-Ruine und so erneut Tutti-Textur, in welcher der Höhepunkt der expressiv. Und das Trümmerfeld entpuppte Triller-Varianten erreicht wird, bildet sich auch sich als geheimnisvolles Kraft-Feld von einer ein erster Höhepunkt bei der Entwicklung des anderen Art Schönheit.“ „Makro-Instruments“: „Jene Tutti-Textur wird, durch synchrone Dynamik und gemeinsame Bogenverlagerung auf den Steg und von ihm Ironischer Traditionsbezug: zurück auf die Saiten, auf dieselbe Weise zum „Reigen seliger Geister“ Verschwinden im Tonlosen und Wieder-Auf- tauchen gebracht wie die einfachen Flautato- Während in „Gran Torso“ dynamische An- und Klänge zuvor: was sich beim einzelnen Instru- Abschwellungen in Verbindung zu jeweils spe- mentalklang zuträgt, wird auf den ganzen zieller Bogentechnik im Vordergrund stehen, Instrumentalapparat übertragen.“ Im folgenden fi ndet im zweiten Streichquartett, „Reigen Verlauf des Werks werden die impulshaften seliger Geister“ von 1989 – einem Werk, in dem Pizzicato-Varianten verarbeitet und weiter von Ferne und ironisch gebrochen bereits Helmut Lachenmann (1997) transformiert, bis ein Pizzicato-Akkordfeld er- Helmut Lachenmann am Flügel (2006) wieder ein Traditionsbezug durchscheint – eine reicht ist, in dem die Spieler ihre Bögen bei- intensive Untersuchung von Klangprozessen sondern Integration im Vorwärtsblick auf einen seite legen und die Saiten ihrer Ins trumente vallkonstellationen (‚Text‘) als ‚Fassade‘, als statt, wobei mit dem drucklosen Flautato-Spiel so oder so konsequent fortzusetzenden Weg mit einem Plektrum anreißen. Was folgt ist ein ‚Vorwand‘ (‚prétexte‘), um bei deren Realisati- (bei dem Töne eher als Schatten von Geräu- bedeuten musste.“ In seinem Aufsatz „Über ironischer „Quasi-Walzer“, bei dem das Streich - on die natürlichen akustischen Ränder des schen fungieren) das Spannungsverhältnis mein Zweites Streichquartett“ beschrieb der quartett wie eine gigantische sechzehnsaitige, hervorgebrachten Tones, seiner timbrischen zwischen Ton und „Nicht-Ton“ im Vordergrund Komponist das Werk als ein „sich ergänzendes durchdrehende Mandoline klingt, bevor die Artikulation, seiner Dämpfung, beim Verklingen, steht. Hierfür musste sich der Komponist mit und zugleich transformierendes Kategorien- Tonhöhen wieder verwischen. In der Schluss- beim Stoppen der schwingenden Saiten (zum Material auseinandersetzen, das für ihn zu feld“; der Klangraum verwandle sich vom phase fi nden sich dann Reminiszenzen an den Beispiel auch die Veränderung des Geräusch- früheren Zeitpunkten unbrauchbar war: „Dazu Flautato-Gestus „allmählich in eine diametral Anfang, da verschiedene Rausch-Varianten anteils beim Wandern des Bogens zwischen gehörte – nicht nur im ‚Reigen‘ – auch die entgegengesetzte Landschaft von Pizzicato- liegender Klänge erneut eine prominente Rolle Ponticello und Tasto) durch die ‚tote‘ Tonstruk- Rückbesinnung auf früher Ausgesperrtes, die Feldern“, wobei zeitweise alle Instrumente in spielen. „Nach dem Abenteuer in meinem tur hindurch zum lebendig gemachten Gegen- ‚Versöhnung‘ mit zeitweilig Obsoletem: mit einer wilden Scordatura inklusive Pizzicati ver- ersten Streichquartett ‚Gran Torso‘ mit exterri- stand der Erfahrung zu machen. So wurden melodischen, rhythmischen, auch harmonisch stimmt werden, um den Klang einer Art großen torialen Spielformen am Instrument – heute spieltechnisch bestimmte Aktionsfelder in- bestimmten, gar konsonanten Elementen – Gitarre zu erreichen: „Immer wieder und immer längst von anderen touristisch erschlossen –“, szeniert, verwandelt, verlagert, verlassen, ver- wobei Versöhnung keinesfalls Rückzug in den mehr bekommen wir es im Verlauf des Ge- schrieb Lachenmann über seinen „Reigen bunden. Das Pianissimo als Raum für ein viel- vorkritischen Zustand sein heißen konnte, samtprozesses […] mit einem einzigen […] se liger Geister“, „hier der Rückgriff auf Inter- faches Fortissimo possibile der unterdrückten

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 19 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 20 28.01.16 11:31 Fassung des Stücks und widmete sie der fran- gebahnt hat? Er stellt sich bloß und schreibt die, so Lachenmann, „früher unhinterfragt“ zösischen Königin Marie Antoinette. Als Reprä- sein ‚Drittes Streichquartett‘… Denn der selbst- waren und nun im Kontext einer gewandelten sentantin des Ancien Régime wurde sie an der gefällige Schein trügt: nichts ist erschlossen… Musiksprache wieder „fremd und neu erlebbar“ Seite ihres Mannes Ludwig XVI. vom Revoluti- ‚Wege‘ in der Kunst führen nirgendwo hin und werden. Hinzu kommen impulsive Akzente, etwa onstribunal angeklagt und zum Tode verurteilt. schon gar nicht zum ‚Ziel‘. Denn dieses ist nir- Pizzicatos oder abgestoppte „Raketentöne“, gends anderswo als hier – wo das Vertraute Repetitionsfi guren wie Tremolos und rasche nochmals fremd wird, wenn der kreative Wille Sechzehntelsextolen sowie über viele Takte Dramatischer Sog: Lachenmanns sich daran reibt […].“ ausgehaltene Liegetöne. Der erste Teil des Streichquartett „Grido“ Werks beginnt mit einer chromatisch aufstei- Dass sich in dem Streichquartett Nr. 3, welches genden Linie, bevor die Musik mit melodie- Ein dialektisches Verhältnis zu den Traditio - 2001/2002 entstand und 2004 mit dem Royal artigen Gestalten dem Hauptthemenkomplex nen der Musikgeschichte fi ndet sich auch in Philharmonic Society Music Award for Chamber- entgegensteuert, der in einen durch Schwe- Am 26. Januar 1997 wurde Helmut Lachenmanns Lachenmanns drittem Streichquartett „Grido“, Scale Composition ausgezeichnet wurde, bungen verfremdeten C-Dur Akkord mündet. „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an der Hamburger in dem die Klangforschung mittels neuer kaum eingeschliffene Verfahrensweisen von Im mittleren Abschnitt werden chromatisch Staatsoper in einer Inszenierung von Achim Freyer ur auf geführt. Szenenfoto mit Anna Karger Spieltechniken fortgesetzt wird, wobei gele- Lachenmanns eigenem Komponieren nachwei- absteigende oder in Ganztonschritten aufwärts gentlich aufblitzende melodische Floskeln hier sen lassen, überrascht angesichts dieses Kom- steigende Melodiefragmente durchführungs- Zwischenwerte: Figuren, die mit verlagertem in unterschwelliger Reminiszenz auf die Oper mentars wenig; das Werk weist fast keine ge- artig verarbeitet, wobei die Musik nach wilder Bogenstrich im tonlosen Rauschen verschwin- „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zu räuschhaften Passagen mehr auf, weshalb in Caccia-Manier schließlich in homorhythmischen den oder auftauchen, das Pizzicato-Gemisch, verweisen scheinen – etwa wenn Klänge der der Süddeutschen Zeitung nach der Premiere Figuren gebunden wird. Von feierlichem Duktus das trotz seines fl üchtigen Verklingens dennoch japanischen Mundorgel Shô imitiert werden, auch folgende bezeichnenden Sätze zu lesen wird der langsame letzte Abschnitt des Werks vorzeitig teilweise gedämpft, ‚ausgefi ltert‘ wird. die auch in der vorletzten Szene der Oper auf- waren: „Ihre einstige Schockwirkung haben die geprägt, der mit Klängen wie aus weiter Ferne Wenn man so will: ein Plädoyer der Phantasie taucht. In einem umfangreichen Kommentar gepressten, gekratzten, perforierten, dröhnen- beginnt, bevor die Musik immer wieder in vi- für des Kaisers neue Kleider.“ zu seinem 2001/2002 entstandenen Werk den Klänge und irrwitzigen Tremoli mittlerweile brierenden Unisonos gebündelt wird. Für den schrieb Lachenmann, er habe das „Trauma verloren. Doch Lachenmann versteht es, sein Titel des Werks gibt es zwei Erklärungen: Zum Lachenmann entlehnte den Titel seines zweiten Streichquartett“, die Überwindung der eigenen Material in großen Bögen zu entfalten, dem einen bildet das Wort ein Akronym der Anfangs- Streichquartetts der Ballettmusik aus Christoph Ehrfurcht vor der „gute[n], alte[n], ehrwürdige[n] Ganzen dramatischen Sog sowie szenische buchstaben der Namen der damaligen Musiker Willibald Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“, einem und traditionsbeladene[n] Besetzung“, mit sei- Präsenz zu geben.“ Unabhängig von gewohnten des Arditti-Quartetts, für das Lachenmann das prototypischen Werk des vorrevolutionären, nen ersten beiden Werken dieses Genres hin- Mustern entwickelt sich die Form des Stückes Werk komponiert hat und dem es auch gewid- aristokratischen Ancien Régime – und sträubte reichend bewältigt, um wenig später die Frage in einer Kette von Phasen oder musikalischen met ist: Graeme Jennings (Violine), Rohan de sich damit ironisch gegen die Umstände des zu stellen: „Was macht Robinson Crusoe, wenn „Szenen“, in denen Klangaspekte wie das Spiel Saram (Violoncello), Irvine Arditti (Violine), Dov Auftrags, das Werk entstand nämlich anlässlich er seine (seine?) Insel erschlossen glaubt? mit Schwebungen in den Vordergrund gestellt Scheindlin (Viola). Zum anderen ließe sich auch der großen Zweihundertjahrfeier der Französi- Wird er erneut sesshaft, kehrt im selbst einge- werden; das dritte Quartett zeichnet sich all- an die italienische Bedeutung von „grido“ schen Revolution in Paris. Gluck schrieb das richteten Ambiente zur bürgerlich-behaglichen gemein durch eine intensive Verwendung von („Schrei“) denken – ein Bezug, der innerhalb tragische Bühnenwerk 1762 zunächst für den Lebensweise zurück? Sollte er das Errichtete Vierteltönen aus. In der Partitur lassen sich der stretta-artigen Schlussphase des Stückes Wiener Hof zum Namensfest des habsburgi- heroisch wieder niederreißen, sollte er sein dennoch ungewohnte tonale Momente fi nden mit einer „phonetischen Aktion“, wie es in der schen Kaisers Franz I. Bei seinem ersten Paris- Nest verlassen? Was macht der Wegsuchende, (bis hin zum Dreiklang), die zu den Grund- Partitur heißt, seine musikalische Bestätigung Aufenthalt 1774 erarbeitete er die französische wenn er bereits sich Wege durchs Unwegsame elementen des Stücks gehören – Momente, fi ndet, bevor die Musik fast tonlos verklingt.

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 21 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 22 28.01.16 11:31 Helmut Lachenmann Got lost

„Drei nur scheinbar inkompatible Texte, ihrer TEXT 1 Quem me dera no tempo em que escrevia pathetischen, poetischen, profanen Diktion Sem dar por iso entkleidet“, so Lachen mann, „werden aus der- 27. Der Wandrer Cartas de amor selben Klangquelle, einer ,wie auch immer‘ Ridículas. singenden Sopranstimme, in ein intervallisch Kein Pfad mehr! Abgrund rings und Totenstille! ständig sich wandelndes Klang-, Hall- und So wolltest du’s! Vom Pfade wich dein Wille! A verdade é que hoje Bewegungsfeld geschickt: rufend, verspielt, Nun, Wandrer, gilt’s! Nun blicke kalt und klar! As minhas memórias ,trällernd‘, ariosoid lamen tierend: sie unter- Verloren bist du, glaubst du an Gefahr. Dessas cartas de amor brechen und durchsetzen einander und stecken É que são so einen ihnen letztlich selbst fremden Raum (aus: Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. Ridículas. Scherz, List und Rache. Vorspiel in deutschen Reimen, ab, in welchem wie in allen meinen Komposi- Chemnitz 1882) tionen Musik in ,aus drucks‘-loser Heiterkeit, (Fernando Pessoa [Pseudonym: Álvaro de Campos], Todas as palavras esdrúxulas, Como os sentimentos esdrúxulos, São und so der diese drei Texte verbindenden naturalmente Ridículas) transzendenten, gott-losen Botschaft des TEXT 2 ,ridículas‘ bewusst, über sich selbst nachdenkt.“ Die Verlustanzeige bildet den gedanklichen Todas as cartas de amor são ridículas TEXT 3 Ausgangspunkt des Stücks, wobei das „got lost“ des banalen Alltagsgegenstands im Zusam- Todas as cartas de amor são Today my laundry basket got lost. menhang mit der musikalischen Sprache Ridículas. It was last seen standing near the dryer. Fernando Pessoas die Erinnerung an eine Liebe Não seriam cartas de amor se não fossem Since it is pretty diffi cult to carry the laundry auf sarkastische Art und Weise der Lächerlich- Ridículas. without it I’d be most happy to get it back. keit preisgibt. Durch den berühmten, scherz- haften Ausruf Nietzsches an den Wanderer wird Também escrevi em meu tempo cartas (Annonce im Aufzug der Villa Walther in Berlin-Grunewald, 2001/2002?) ihr allgemeiner Verlust manifest: „Kein Pfad de amor, Fernando Pessoa (1888 – 1935) mehr! Abgrund rings und Todtenstille! / Como as outras, So wolltest du’s! Vom Pfade wich dein Wille! / Ridículas. Mit „Got lost“ schuf Helmut Lachenmann Nun, Wandrer, gilt’s! Nun blicke kalt und klar! / 2007/2008 seine einzige Komposition für die Verloren bist du, glaubst du an Gefahr.“ As cartas de amor, se há amor, traditionelle Besetzung „Singstimme und Têm de ser Klavier“ – ein virtuoses Stimmspiel, in dem drei Harald Hodeige Ridículas. heterogene Texte einander gegenübergestellt werden: vier gereimte Zeilen aus Friedrich Mas, afi nal, Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“, Só as criaturas que nunca escreveram Fernando Pessoas Gedicht „Todas as cartas Cartas de amor de amor são ridículas“ (Alle Liebesbriefe sind É que são lächerlich) – und eine lapidare englischspra- Ridículas. chige Notiz um einen verlorenen Wäschekorb.

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 23 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 24 28.01.16 11:31 Konzerttipp Ein Konzertwochenende mit Anders Hillborg, Composer in Residence des NDR

Anders Hillborg ist in vielen Stilen zu Hause – Mi, 02.03.2016 Sa, 05.03.2016 ein Allrounder der neuen Musik, dessen origi- Hamburg, Bucerius Kunst Forum Hamburg, St. Nikolai am Klosterstern nelle und einfallsreiche Tonsprache eine unwi- 20 Uhr | Konzert 20 Uhr | Konzert derstehliche Anziehungskraft auf ein breites MUSIK-DIALOG NDR Chor Pu blikum ausübt. „Heute ist eine sehr viel Gesprächskonzert mit Anders Hillborg und Florian Helgath Dirigent krea tivere Zeit als die, zu der ich studiert habe“, Mitgliedern des NDR Sinfonieorchesters Anders Hillborg sagt er. „Damals hätten meine Kollegen mich Anders Hillborg • Mouyayoum ausgelacht, wenn ich gesagt hätte, dass ‚West Kongsgaard-Variations für Streichquartett • A Cradle Song Side Story‘ eine brillante Komposition ist.“ Astor Piazzolla • Lilla sus grav Am 2. März ist der meistgespielte Gegenwarts- Tango Ballet • Vem är du som står komponist Schwedens, erster Composer in für Streichquartett • Två motetter (Auszug) Residence des NDR, im Rahmen eines Ge- sowie Werke von sprächskonzerts im Bucerius Kunst Forum mit Anders Hillborg Fr, 04.03.2016 Einojuhani Rautavaara Mitgliedern des NDR Sinfonieorchesters zu er - Hamburg, Kampnagel Lars Johan Werle leben. Auf dem Programm stehen die „Kongs- Erfolgsstück „Exquisite Corpse“ („Köstlicher 20 Uhr | Konzert Sven-David Sandström gaard Variations“ für Streichquartett, die den Leichnam“), das Hillborg selbst als einen guten NDR Sinfonieorchester renommierten kalifornischen Winzern John und Einstieg in seine Musiksprache empfi ehlt: „Da Brad Lubman Dirigent Maggy Kongsgaard gewidmet sind. Das musik- ist es mir gelungen, die Musik präzise und viel- Carolin Widmann Violine liebende Ehepaar vertreibt edle Tropfen unter fältig zu gestalten. Außerdem glaube ich, dass Hannah Holgersson Sopran dem Markennamen „Arietta“, deren Flaschen- es ganz unterhaltsam ist.“ Mit dem „Stockholm Anders Hillborg etiketten das Arietta-Thema von Beethovens Diary“ von Esa-Pekka Salonen ist zugleich ein • Violinkonzert letzter Klaviersonate op. 111 zieren. Hillborg virtuoses Streichorchesterstück eines von Hill- • … lontana in sonno … wählte für sein Quartett Beethovens Thema borg zutiefst bewunderten Kollegen zu hören. • Exquisite Corpse (das „nach einem bestechend schönen und Und auch György Ligetis Raummusik „Lontano“ Esa-Pekka Salonen ruhigen Anfang gleichermaßen im ersten Rag- hinterließ hörbare Spuren in Hillborgs Schaffen. Stockholm Diary time der Musikgeschichte gipfelt“) als „musi- György Ligeti kalisches Epizentrum“, um es dann durch Abgerundet wird das Hillborg-Wochenende am Lontano verschiedene Epochen und Stile wandern zu 5. März mit einem Konzert des NDR Chors in lassen. Weiterhin hat Hillborg das Tango Ballett St. Johannis-Harvestehude. Neben anderen von Astor Piazzolla aufs Programm gesetzt. Chor kompositionen Hillborgs ist auch sein hyp - notisch-meditatives Erfolgsstück „Muoyayoum“ Zwei Tage später präsentieren das von Brad zu hören – kaum ein zeitgenössisches Chorwerk Lubman dirigierte NDR Sinfonieorchester und wurde so oft auf CD eingespielt wie diese enorm Carolin Widmann Hillborgs Violinkonzert sowie klangreiche Apotheose des Chorminimalismus dessen „… lontana in sonno …“ für Sopran und aus dem Jahr 1983. Weiterhin stehen Werke Orchester (Solistin ist die Schwedin Hannah von Einojuhani Rautavaara, Lars Johan Werle Holgersson). Ebenfalls vertreten ist Hillborgs und Sven-David Sandström auf dem Programm.

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14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 25 28.01.16 11:31 14877_NDR_SO_Lachenmann_15_16_PRO.indd 26 28.01.16 11:31 ffmann o : Harald: H o t o Foto:F Harald Hoffmann Impressum Saison 2015 / 2016

Herausgegeben vom NDR | Markendesign NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE Leitung: Andrea Zietzschmann Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Redaktion NDR Sinfonieorchester: Achim Dobschall Das NDR Sinfonieorchester im Internet ndr.de/sinfonieorchester Redaktion NDR das neue werk: facebook.com/ndrsinfonieorchester Dr. Richard Armbruster Koordination: Janina Hannig, Yaltah Worlitzsch

Redaktion des Programmheftes: Dr. Harald Hodeige

Die Einführungstexte von Dr. Harald Hodeige sind Originalbeiträge für den NDR.

IRIS BERBEN Fotos: Henrik Jordan (S. 4); Philippe Gontier (S. 5); Klaus Westermann | NDR (S. 6); Justin Bernhaut (S. 7); MartinSigmund (S. 8); Dirk Kittelberger (S. 9); culture-images/ Lebrecht (S. 10, S. 18, S. 19); akg/Archivio Cameraphoto Epoche (S. 11); akg-images / Imagno/Franz Hubmann (S. 12); picture-alliance / dpa (S. 13, S. 20); picture alliance/Keystone (S. 17); picture alliance/Effigie/Leema (S. 22); Mats Lundqvist (S. 24) DAS NDR SINFONIEORCHESTER AUF NDR KULTUR Regelmäßige Sendetermine: NDR Sinfonieorchester | montags | 20.00 Uhr Das Sonntagskonzert | sonntags | 11.00 Uhr

UKW-Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur, im Digitalradio über DAB+ Hören und genießen 27

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