Rechtsgeschichte Legal History
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Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts R Journal of the Max Planck Institute for European Legal History geschichte g Rechtsgeschichte Legal History www.rg.mpg.de http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg28 Rg 28 2020 183 – 198 Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte – Legal History Rg 28 (2020) http://dx.doi.org/10.12946/rg28/183-198 Dieter Ziegler * DiePeelscheBankakteunddieStabilitätder Finanzmärkte in England, 1844–1890 [The Peel’s Act and the Stability of English Financial Markets, 1844–1890] * Ruhr-Universität Bochum, [email protected] Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International License Abstract This article examines the evolution of central banking in England during the 19th century. Although the Bank of England was, during the period examined in this contribution, a privately- owned and privileged company, its money market operations (at least from 1873 onward) are always interpreted as the gradual adaption of the duties of a modern central bank, including the role as the »bankers’ bank«. The fact that it was also in com- petition with discount houses and commercial banks on the money market is, however, largely neglected. Contrary to conventional wisdom, this article analyses the Bank of England operations under the rationale of a utility-maximising institu- tion which had to hide that its principal business objectivewasahighandstabledividend. Keywords: Bank Charter Act of 1844, Bank of England, lender of last resort, Walter Bagehot □× Fokus focus Dieter Ziegler DiePeelscheBankakteunddieStabilitätder Finanzmärkte in England, 1844–1890 DerLondonerFinanzmarktwiesim›langen der Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst nicht viel 19. Jahrhundert‹ eine beeindruckende Stabilität mehr hieß, als die Konvertibilität der Währung auf.NatürlichereignetensichauchindieserZeit durchdieBildungausreichender(Währungs-)Me- Bankenzusammenbrüche, darunter auch recht tallreserven bei der Zentralnotenbank zu sichern. spektakuläre, die ganze Marktsegmente betrafen In den meisten europäischen Staaten übertrugen –wiedieCountry Banks im Jahr 1825 und die die Regierungen diese Aufgabe an ihre ›Hausbank‹. Diskonthäuser und Finance Companies im Jahr Das konnte, musste aber nicht notwendigerweise 1866 –, aber selbst in diesen Fällen gelang es relativ die Staatsbank sein. Im Falle Englands übernahm schnell, ein Übergreifen der Krise auf andere dies die zwar staatlich privilegierte, sich aber voll- Marktsegmente zu verhindern. Auf der anderen ständig in Privatbesitz befindliche Bank of Eng- Seite blieb London von den bedeutendsten inter- land, die auch die Konten der Regierung führte. nationalen Finanz(markt)krisen der Jahre 1873 DiezweiteFunktionzielteaufdieSicherung und 1907 weitgehend unbeeindruckt und erwies der Stabilität des jeweiligen Bankensystems. Da die sich in diesen Jahren als ein Stabilitätsanker des Geschäftsbanken in Großbritannien (mit Ausnah- internationalen Währungssystems. Schließlich ge- me von London) bis zur Jahrhundertmitte größ- lang es im Jahr 1890 sogar, die potentiell größte tenteils sog. Zettelbanken – also solche Banken, Gefahr für den Londoner Finanzplatz während deren Passivgeschäft wesentlich aus der Emission dieses Jahrhunderts frühzeitig zu erkennen und eigener Banknoten bestand – waren, glaubte man durch eine konzertierte Aktion der Londoner City lange Zeit, dass auch deren Stabilität eine Frage der rechtzeitig zu entschärfen, so dass der Zusammen- Notendeckung war. Die Provinznotenbanken hiel- bruch von Baring Bros., der seinerzeit zweitbedeu- ten zur Deckung ihrer ›Zettel‹ jedoch kein Metall, tendsten Merchant Bank Londons (und damit der sonderninersterLinieBankofEngland-Noten. Welt), verhindert werden konnte. Insofern hing auch die Stabilität des Bankensys- Diese Stabilität des Finanzplatzes London wäh- tems ganz wesentlich von der Bereitschaft der Bank rend des 19. Jahrhunderts wird in der Forschung of England ab, die Märkte mit Bank of England- zu einem Gutteil der Bank of England zugeschrie- Noten zu versorgen. Durch die Ausweitung oder ben, die sich innerhalb des durch den Bank Charter Kontraktion ihrer Notenzirkulation konnte die Act von 1844 (Peel’s Act oder Peelsche Bankakte) Bank of England somit auch die Zirkulation der gesetzten Rahmen in eine embryonale Regulie- ›Zettel‹ beeinflussen. rungsinstanz verwandelte, auch wenn sie diese Zur Senkung der Transaktionskosten beim ge- Rolle niemals öffentlich anerkannte und der ge- genseitigen Austausch ihrer ›Zettel‹ institutionali- setzliche Rahmen sie auch nicht zwang, eine solche sierten die Geschäftsbanken das Clearing zunächst Rolle auszufüllen.1 Der Ökonom und langjährige durch die Gründung von Clearinghäusern. Zur Berater der Bank of England, Charles Goodhart, weiteren Vereinfachung des Clearingverkehrs wur- sieht mit Blick auf das 19. Jahrhundert zwei Regu- de dann vereinbart, dass alle beteiligten Banken lierungsfunktionen als wesentlich für die Stabilität Guthaben bei einer Bank halten sollten, mit de- von Finanzmärkten an.2 Dies sind erstens die nen die gegenseitigen Forderungen saldiert wer- Sicherung der Geldwertstabilität, wobei dies in den konnten. Diese Clearingbank-Funktion wur- 1 In der Festschrift zum 300-jährigen Gründungsjubiläum der Bank of England bezeichnete David Kynaston dieBankals»aniconofVictorian England«, Kynaston (1995a) 21. 2Goodhart (1988) 7. Dieter Ziegler 183 Rg 28 2020 de sinnvollerweise der Bank der Regierung über- genüberzutreten. Schließlich wurden Einlagen bei tragen, da sie in der Regel die größte Bank am der Bank of England nicht verzinst.5 Platze war. Auf diese Weise wurde die Zentral- In der Konsequenz musste sich die sehr häufig notenbank zur ›Bank der Banken‹. Mit der Zeit ursprünglich wettbewerbsorientierte, Nutzen ma- sicherten sich die Geschäftsbanken gegen unerwar- ximierende Zentralnotenbank ganz auf den Ge- tete Forderungen seitens des Publikums, und zwar schäftsverkehr mit den Geschäftsbanken zurück- dadurch, dass sie ihre Guthaben bei der Clearing- ziehen; und damit diese sie auch uneingeschränkt bank über das für den Clearing-Verkehr notwen- als Regulierungsinstanz annahmen, musste die dige Maß hinaus anwachsen ließen. So entstand Zentralnotenbank ausdrücklich auf eine Unter- eine Art Versicherung gegen Liquiditätsengpässe nehmenspolitik der Nutzenmaximierung verzich- auf Gegenseitigkeit. Ein solcher Versicherungsver- ten. Im Falle einer staatlichen Zentralnotenbank ein besaß aber zunächst keinerlei Sicherungsme- war ein solches Verhalten wahrscheinlich, weil der chanismus gegen Moral Hazard. Deshalb wurde Staat als Eigentümer an der Sicherung eines stabi- die Verselbständigung der Zentralnotenbank als len Bankensystems ein größeres Interesse haben Lender of Last Resort erforderlich, d. h. die Zen- sollte als an den Gewinnen seiner Zentralbank; tralnotenbank entschied allein, wann, gegenüber und auch im Falle einer privaten Zentralnoten- wem und in welchem Umfang sie Liquiditätseng- bank war ein Rückzug aus dem Wettbewerb mit pässe durch den Einsatz ihrer Reserven abzumil- den Geschäftsbankendannmöglich,wennVer- dern bereit war. Die Anerkennung der Zentral- treter der Geschäftsbanken oder anderer Unter- notenbank als Lender of Last Resort durch den nehmen mit einem hohen Interesse an der rei- Markt setzte aber voraus, dass die Zentralnoten- bungslosen Funktionsweise des Bankensystems ei- bank darauf verzichtete, als Konkurrent um Nicht- nen entscheidenden Einfluss auf die Unterneh- bankenkunden auf dem Markt in Erscheinung zu mensentscheidungen der Zentralbank ausüben treten. Denn nur dann konnten die beteiligten konnten. Nur wenn auch dieser Schritt, der Rück- Geschäftsbanken diese Regulierungsfunktion un- zug aus dem Wettbewerb um Nichtbankenkun- eingeschränkt akzeptieren.3 den, vollzogen war, kann nach Charles Goodhart Clearinghäuser zur Verrechnung von ›Zetteln‹ von einem Lender of Last Resort gesprochen wer- wurden in Großbritannien nur in Schottland und den, und nur wenn sich dieser, zunächst nur der englischen Provinz gegründet, da in London theoretisch abgeleitete Prozess tatsächlich empi- bereits im 18. Jahrhundert fast nur Bank of Eng- risch nachweisbar so vollzogen hatte, kann be- land-Noten zirkulierten. Das Clearing der Londo- hauptet werden, dass nicht der Staat den Finanz- ner Banken betraf deshalb seit seinen Anfängen im märkten eine Zentralnotenbank oktroyiert hat, ausgehenden 18. Jahrhundert dieVerrechnung von sondern dass diese Institution durch den Markt Schecks. Als die Bank of England im Jahr 1864 selbst geschaffen wurde.6 dem London Bankers’ Clearing House beitrat, Im Folgenden werde ich zum einen fragen, legten die Londoner Banken tatsächlich ihre Re- inwieweit sich unter den gegebenen Rahmenbe- serven zumindest zum Teil bei ihr ein.4 Damit dingungen in England eine private Zentralnoten- übernahm die Bank of England zwar diese Rolle bank zu einer Regulierungsinstanz entwickeln als Versicherungsverein, aber die Bereitschaft der konnte, die maßgeblich für die erwähnte Stabilität Geschäftsbanken, einen Teil ihrer Barreserven bei von Währung und Finanzmarkt verantwortlich der Bank of England zu hinterlegen, hing wesent- war. Zum anderen wird zu klären sein, wie diese lich davon ab, dass die Bank of England die ihr Bank im Falle möglicher Konflikte zwischen ihrer zufließenden Depositen nicht dazu nutzte, diese gesamtwirtschaftlichen Verantwortung und ihrer gewinnbringend anzulegen und womöglich den Renditeorientierung agierte. Geschäftsbanken sogar noch als Konkurrentin ge- 3Goodhart (1988) 29 ff.; Goodhart (1991) 11–12. 4Matthews