Deutschland

SPIEGEL-GESPRÄCH „Diabolische Logik“ Bundesinnenminister über die Herausgabe von -Akten prominenter Politiker und seinen Streit mit der Gauck-Behörde

SPIEGEL: Herr Schily, der Bundeskanzler selbst hat „Feuer einstellen“ angeordnet. Warum führen Sie die Auseinandersetzung um die Stasi-Akten Prominenter und die Herausgabe des Kohl-Dossiers dennoch unverdrossen weiter? Schily: Ich habe mir diesen Streit doch nicht ausgesucht. Im Gesetz steht, dass die Bun- desregierung die Rechtsaufsicht hat. Wenn dieses Recht da steht, dann ist das eben nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht. Und das heißt, dass wir strikt dar- auf achten müssen, dass sich die prakti- sche Gesetzesanwendung an das Stasi-Un- terlagen-Gesetz und die Verfassung hält. Im Übrigen, schauen Sie sich doch mal an, wer in der Sache mehr Interviews gege- ben hat, Marianne Birthler, die Bundesbe- auftragte für die Stasi-Unterlagen, oder ich. Von mir aus hätte dieser Streit nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werden müssen. SPIEGEL: Ihr eigener Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, hat Ihnen vorgeworfen, Sie hätten sich in eine völlig überflüssige De- batte mit Frau Birthler verstrickt.

Schily: Peter Struck neigt manchmal zu un- M. EBNER / MELDEPRESS bedachten Äußerungen. Aber er hat ein Innenpolitiker Schily: „Zweck des Gesetzes ist der Schutz der Opfer“ anstrengendes Jahr hinter sich, und inso- fern lege ich das nicht auf die Goldwaage. SPIEGEL: Sehen Sie denn nicht, dass das, SPIEGEL: Aber er könnte doch trotz eines Der Streit um die Kohl-Akten was Sie tun, ein absolutes Novum ist? Kein anstrengenden Jahres Recht gehabt haben. begann im April, als der Altkanzler Innenminister vor Ihnen ist auf die Idee ge- Schily: Wenn es so ist, wie Herr Struck erstmals drohte, die Herausgabe seines kommen, die Behörde an der Herausgabe meint, sollten wir die Bestimmung, dass bestimmter Materialien zu hindern. Dossiers mit allen juristischen Mitteln zu die Bundesregierung die Rechtsaufsicht Schily: Aber ich kann dieser Frage nicht verhindern (SPIEGEL 14/2000). Das hat, aus dem Gesetz streichen. Ich bin für ausweichen. Der Streit ist an mich heran- Konvolut enthält auch Protokolle von Kohl- alle Vorschläge offen. Einige wollen die getragen worden, auch der Innenausschuss Rechtsaufsicht wohl bei den Ministerpräsi- Telefonaten, die die Stasi abgehört hat. des Bundestages verlangt, dass ich meiner denten der neuen Bundeslän- Innenminister Otto Schily (SPD) hält Pflicht nachkomme. Und was wäre im um- der oder beim Verwaltungsge- ihre Herausgabe an Medien und gekehrten Fall, wenn die Behörde eine richt oder auch beim Jus- Historiker für rechtswidrig, ein von Herausgabe zu Unrecht verweigern würde? tiziar der Behörde ansiedeln. ihm eingeholtes Rechtsgutachten Wären Sie dann ebenso dagegen, dass ich Wer das will, soll es sagen. stützt seine Position. Seitdem ver- eingreife? SPIEGEL: Sie wären damit ein- sucht Schily, der Gauck-Behörde SPIEGEL: Die Praxis, die Sie jetzt unterbin- verstanden? die Weitergabe der Akten Prominen- den wollen – die Herausgabe der Akten Schily: Ich wäre froh, wenn ich ter zu verbieten, und droht mit einem Prominenter –, wird von der Stasi-Akten- Veto des für die Rechtsaufsicht ein Problem weniger hätte. M. URBAN Behörde seit ihrem Bestehen praktiziert. Aber im Ernst: Diese ganze Birthler zuständigen Bundeskabinetts. Warum merken Sie das erst jetzt? Debatte nimmt wirklich uner- Die Bundesbeauftragte für die Stasi- Schily: Sie können mir den Vorwurf ma- freuliche Formen an. Es wird mir unter- Akten, Marianne Birthler, weigert sich chen, dass ich zu spät Innenminister ge- stellt, ich hätte eine Kampagne gegen die aber beharrlich, Schilys Verlangen worden bin. Aber auch die Gauck-Behör- Behörde inszeniert – Unsinn. Es wird mir nachzukommen. Sie argumentiert, die de hat erst im vergangenen Jahr bemerkt, unterstellt, ich wollte das Gesetz ändern – Herausgabe der Prominenten-Dossiers dass die Herausgabe von Wortprotokollen schlichter Unsinn. Es wird mir unterstellt, sei eine seit Bestehen der Behörde ge- und Tonbändern abgehörter Gespräche un- ich wollte die Akten schließen – ebenfalls übte und nie beanstandete Praxis. Ein zulässig ist, und hat dann ihre Praxis ver- Unsinn. Die Birthler-Behörde erhält von von ihrer Behörde eingeholtes juristisches ändert. meinem Ministerium alle Unterstützung, Gutachten gibt ihr Recht. SPIEGEL: Auf diese Naivität kann sich ein auch in materieller Hinsicht. Mitglied des Deutschen Bundestages nicht

42 der spiegel 2/2001 zurückziehen. Die Politik kann doch heu- te nicht so tun, als hätte sie nicht gewusst, dass die Behörde auch die Protokolle ab- gehörter Telefongespräche von Prominen- ten herausgegeben hat. Der Bundestags- Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Umtriebe des DDR-Devisenbeschaf- fers Alexander Schalck-Golodkowski hat Lauschprotokolle von Franz Josef Strauß und dem früheren Bundestagspräsidenten verwendet. Schily: Ich war nicht der Oberaufseher des Untersuchungsausschusses. Meiner Mei- nung nach war der Sachverhalt auch an- ders, jedenfalls hat damals wohl niemand

der Verwertung der Unterlagen wider- / OSTKREUZ RÖTZSCH J. sprochen. Es geht eben manchmal nach Stasi-Akten in der Gauck-Behörde: „Wo kein Kläger, da kein Richter“ dem Vers: Wo kein Kläger, da kein Richter. Jetzt haben wir es damit zu tun, dass Hel- schutz gelten sollte: Der Politiker Schily Stasi-Mitarbeiter? Das wäre die Konse- mut Kohl der Herausgabe der Protokolle etwa muss sich nun mal eher gefallen las- quenz der Gegenmeinung. widerspricht. Es ist ein Unglück, dass der sen, dass ein Forscher, ein Historiker oder SPIEGEL: Auch von Ihnen sind Abhörpro- Streit am Fall Kohl durchexerziert wird. Journalist seine Akte anschaut als der Pri- tokolle gefunden worden. Erteilen Sie denn Dadurch werden allerlei Ressentiments vatmann Schily. – die nach Ihrer Auffassung notwendige – aufgerührt. Westpolitiker sollen bevorzugt Schily: In dem Gesetz steht, leider etwas Einwilligung zur Einsicht? werden, wird behauptet. Damit kann man verklausuliert, dass bei Personen der Zeit- Schily: Die über mich von der Stasi ge- alle Emotionen entfachen, die man ent- geschichte, wenn sie Opfer der Stasi waren, sammelten Unterlagen dürfen Sie einse- fachen will. Mir wäre es viel lieber, wenn die Veröffentlichung der Unterlagen nur hen. So weit es sich um Abhörprotokolle wir es am Fall Bärbel Bohley diskutie- mit ihrer Einwilligung zulässig ist. handelt, die ich bisher noch nicht kenne, ren würden. Frau Bohley ist durch ihre SPIEGEL: Mit dieser Interpretation führen muss ich mir die Entscheidung vorbehal- sehr couragierte Opposition gegen das Sie das Gesetz ad absurdum. Denn dann ten. Dabei sollten Sie bedenken: Abgese- DDR-Regime zur Person der Zeitgeschich- hätte der Gesetzgeber die Personen der hen vom Schutz des Artikels 10 des Grund- te geworden. Will man ihr zumuten, dass Zeitgeschichte doch erst gar nicht erwäh- gesetzes kann das illegale Abhören ein ihre von der Stasi abgehörten Telefona- nen müssen, sie würden behandelt wie alle massiver Eingriff in besonders geschützte te jetzt gegen ihren Willen veröffentlicht anderen. Wenn sich diese Sicht durchsetzt, Vertrauensverhältnisse sein. Dazu gehören werden? so Ihr Parteifreund, Bundestagspräsident etwa das Anwaltsgeheimnis, das Arztge- SPIEGEL: Der heutige Staatssekretär im , könne man die Behör- heimnis und das Beichtgeheimnis. Will der Justizministerium, Hansjörg Geiger, hat de lieber gleich schließen. SPIEGEL das ignorieren? diese Praxis, als er noch Direktor der Schily: Das ist eine wirklich abenteuerliche SPIEGEL: Nein, auch die Gauck-Behörde Behörde war, für zulässig gehalten. Behauptung. Es ist ja wohl nicht so, dass will keineswegs etwa Privates über Politi- Schily: Ich schätze Herrn Geiger sehr, aber die Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit vom ker herausgeben. Nur: möch- selbst er kann sich irren. Zugang zu Abhörprotokollen abhängig ist. te per Gerichtsverfahren und mit Ihrer Hil- SPIEGEL: Es war doch der Wunsch des Ge- Im Übrigen: Sollen die Stasi-Opfer – zum fe nicht allein die Herausgabe der Abhör- setzgebers, dass für Personen der Zeitge- Beispiel Bärbel Bohley – nur denselben protokolle, sondern sogar seiner gesamten schichte ein geringerer Persönlichkeits- Schutz vor Veröffentlichung haben wie die Akte verhindern. Deutschland

Schily: Dieser Entwurf ist aus guten Grün- den nicht Gesetz geworden, das war über- haupt nicht praktikabel. Aber die Veröf- fentlichung eines Abhörprotokolls seitens eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters könn- te sicher rechtlich unterbunden werden. SPIEGEL: Bei Kohl gilt derzeit ein Heraus- gabestopp, für andere Prominente nicht. Warum schreiten Sie da nicht auch ein? Schily: Ich werde sicherlich auf eine kon- sistente Verfahrensweise der Behörde hin- wirken. SPIEGEL: Sie machen doch die Augen zu vor dem, was seit Jahren in Sachen Ak- tenherausgabe geschieht – und privilegie- ren so Helmut Kohl. Schily: Nein, ich versuche, über eine strit- tige Rechtsfrage ein Einvernehmen mit der Behörde herzustellen. Wenn Kohl im Mo- ment privilegiert ist, dann deshalb, weil er eine Klage eingereicht hat und weil das

M. URBAN Gericht Frau Birthler darum gebeten hat, Ex-Kanzler Kohl: Geringerer Schutz für Personen der Zeitgeschichte? dass bis zur Entscheidung keine Unterlagen herausgegeben werden. Schily: Ich will zunächst einmal nur die wieder an anderer Stelle anzusiedeln, also SPIEGEL: Es ist doch kein Zufall, dass es um Frage der Verwertung der Abhörprotokol- die Herrschaft, die die Stasi mittels ihrer Kohl geht. Im Kanzleramt wird seit Mona- le entschieden wissen. Akten ausübte, jetzt auf eine andere Insti- ten dafür plädiert, dass insbesondere die SPIEGEL: Merken Sie denn nicht, welches tution, auf den SPIEGEL etwa oder die Gespräche der Altkanzler und anderer Re- Fass Sie da aufmachen? Das Gesetz sieht Medien allgemein, zu übertragen. Der gierungsmitglieder unter Verschluss blei- keine Unterscheidung zwischen Abhör- Zweck des Gesetzes ist in erster Linie der ben müssen, um den Staat zu schützen. protokollen und dem vor, was etwa durch Schutz der Opfer. Die Unterlagen, die über Schily: Nehmen wir mal an, der frühere Spitzelei Inoffizieller Mitarbeiter beschafft sie gesammelt wurden, sollten ihnen zu- Bundeskanzler Helmut Schmidt hat wich- wurde. Sie hebeln über diesen Punkt die gänglich bleiben, damit sie über das volle tige Gespräche geführt, die für das Schick- Offenheit aus, die durch das Stasi-Unter- Ausmaß dessen, was ihnen angetan wurde, sal unseres Landes von sehr großer Be- lagen-Gesetz geschaffen worden ist. informiert werden. Nach Ihrer Logik müss- deutung waren. Die Stasi hat das abgehört. Schily: Aber das Grundgesetz macht einen te dann ja alles veröffentlicht werden, also Soll denn dieses Staatsgeheimnis jetzt über Unterschied. Meine Auffassung wird von etwa auch: Was wusste die Stasi über die den Umweg der Aktenöffnung ausgeplau- den innenpolitischen Sprechern aller Bun- privaten Affären des Politikers X? dert werden? Wollen wir mit den Instru- destagsfraktionen, mit Ausnahme der Grü- SPIEGEL: Und was gilt, wenn die Stasi ihn menten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes das nen, unterstützt. So sieht es übrigens auch mit diesem Wissen erpresste? Sie schützen Regierungshandeln der Herren Adenauer, der frühere Präsident des Bundesverfas- mit Ihrer Rechtsauffassung nicht nur das Brandt, Schmidt und Kohl aufklären? Das sungsgerichts, Ernst Benda, so hat es das Privileg der Belauschten, sondern auch das ist gewiss nicht Sinn des Stasi-Unterlagen- Landgericht Kiel gesehen, so sieht es der Privileg der Belauscher. Die können ent- Gesetzes. Bundesdatenschutzbeauftragte. Ich schlage scheiden, woran sie sich erinnern, und es, SPIEGEL: Wann gehen Sie denn nun ins Ka- Frau Birthler vor, einigen wir uns auf einen wenn sie wollen, veröffentlichen. binett, um die bisherige Herausgabepraxis Obergutachter. Sein Urteil soll dann gelten. Schily: Sie argumentieren geradezu dia- der Behörde zu beenden? Ich will diesen Streit auch nicht in alle bolisch. Schily: Derzeit besteht keine Eile, weil Frau Ewigkeit fortsetzen. SPIEGEL: Nein, logisch. Birthler dem Verwaltungsgericht zugesagt SPIEGEL: Wenn Sie sich mit Ihrer Rechts- Schily: Diabolische Logik, wenn das Opfer hat, bis zu einer Entscheidung voraus- auffassung durchsetzen, müssen künftig die schlechter gestellt werden soll, weil es Op- sichtlich im Juli dieses Jahres die Akten Akten von Personen der Zeitgeschichte un- fer geworden ist. Kohl nicht herauszugeben. Demnächst ter Verschluss bleiben. Dabei war Sinn des SPIEGEL: Vielleicht sollten Sie auch noch wird das Thema nochmals im Innenaus- Gesetzes doch gerade, der Stasi etwa deren den alten Gesetzentwurf der Kohl-Regie- schuss behandelt, dann sehen wir weiter. Herrschaftswissen über westdeutsche Poli- rung aus der Schublade holen, der Stasi- SPIEGEL: Wird das Stasi-Unterlagen-Gesetz tiker zu nehmen. Wenn beispielsweise Offizieren unter Strafandrohung verbie- geändert? frühere Stasi-Mitarbeiter behaupten, etwas ten sollte, ihr dienstliches Wissen auszu- Schily: Das ist eine Frage, mit der sich über die illegale Spendenpraxis der CDU plaudern. der befassen muss. Er wird da- zu wissen, dann sollte eine bei abzuwägen haben, inwie- Möglichkeit geschaffen wer- weit eine Klarstellung durch den, in den Akten nachzu- das Parlament – ob das Ge- schauen, ob das stimmt. Da- setz, dessen Wortlaut eigent- her kam es zu der weitgehen- lich eindeutig ist, anders zu den Öffnung. interpretieren ist – einer jah- Schily: Da bin ich ganz anderer relangen gerichtlichen Aus- Meinung. Es geht nicht darum, einandersetzung vorzuziehen irgendein Herrschaftswissen wäre. SPIEGEL: Herr Schily, wir dan-

* Mit den Redakteuren Stefan Aust, Wolf- M. EBNER / MELDEPRESS ken Ihnen für dieses Ge- gang Krach und Georg Mascolo. Schily beim SPIEGEL-Gespräch*: „Den Streit nicht ausgesucht“ spräch.

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