Die Leipziger Singakademie – Mitglieder, Repertoire und Geschichte

Stephan Wünsche

Die Leipziger Singakademie – Mitglieder, Repertoire und Geschichte

Studien zur Chormusik in , besonders am

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© Leipziger Universitätsverlag GmbH 2014 Umschlaggestaltung: berndtstein | grafikdesign, Radebeul Satz: Sabine Ufer, Leipzig Druck: docupoint GmbH, Barleben

ISBN 978-3-86583-906-0 Inhalt

1 Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung . . . 11 1.1 Institutionenforschung, Leipziger Musikgeschichte und die Rolle der Singakademie ...... 11 1.2 Methoden und Überblick ...... 17

2 Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung 22 2.1 Das Große Konzert, Hillers Singschule, die Musikübende Gesellschaft und das Gewandhaus vor 1802 ...... 23 2.2 Chöre in Oper und Schauspiel ...... 33 2.3 Organisation im Verein als Novum 35

3 Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818) 38 3.1 Das Engagement Jacob Bernhard Limburgers. Ein biografischer Abriss 38 3.2 Das Vorbild Sing-Akademie zu ...... 41 3.3 Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte ...... 44 3.4 Neue Quellen zur Gründungszeit 51 3.5 Das geprobte, aber nicht aufgeführte Repertoire der Anfangszeit . . . . 60 3.6 Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818 ...... 63 3.7 Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21 ...... 69

4 Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821 73 4.1 Quellen und Entstehungsprozess des biografischen Lexikons der Mitglieder ...... 73 4.2 Biografik ...... 76 4.2.1 Familienbande ...... 76 4.2.2 Prominente Mitglieder ...... 82 4.3 Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur ...... 88 4.3.1 Zur Methode ...... 88 4.3.2 Überblick: Mitgliederzahl, Geschlechterverteilung, Durchschnittsalter ...... 92 Inhalt

4.3.3 Überblick: Haupttätigkeiten der Sängerinnen und Sänger 93 4.3.4 Überblick: Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen ...... 98 4.4 Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten ...... 100 4.4.1 Anzahl, Alter und Geschlecht der Mitglieder ...... 101 4.4.2 Studenten, Lehrende an der Universität, Akademiker ...... 103 4.4.3 Kaufleute, Kramer und Bankiers 105 4.4.4 Freimaurer ...... 106 4.4.5 Mitglieder der Gesellschaft Harmonie ...... 110 4.4.6 Mitglieder der Gesellschaft Die Vertrauten 113 4.4.7 Professionelle Musiker, Musiker im Gewandhaus und Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion ...... 116 4.4.8 Politik und Verwaltung. Schnittmengen aller untersuchten Gruppen ...... 117 4.5 Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens« – Zur Definition von Bürgerlichkeit im musikalischen Kontext 123

5 Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick . . . . 129 5.1 Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen 129 5.2 Einteilung der Vereinsgeschichte in Phasen ...... 135 5.3 Die Auftrittsfrequenz im Überblick 138 5.4 Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire ...... 140 5.5 Mitgliederzahlen 148

6 Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847) ...... 152 6.1 Entwicklung des Vereins nach 1818 und Repertoire der Konzerte außerhalb von Konzertreihen ...... 152 6.2 Wandel der Machtverhältnisse zwischen Musikdirektor und Vorstehern (1823) ...... 158 6.3 Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds ...... 161 6.4 Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts ...... 168

7 Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861) . . . 177 7.1 Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847 . . . . 178 7.2 Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹ ...... 181 Inhalt

7.3 Die Singakademie und andere Chöre in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses ab 1847 ...... 188 7.4 Das Repertoire der ›größeren‹ Choraufführungen im Gewandhaus 1847–1861 ...... 191 7.5 Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhaus- Abonnementkonzerten und Gründung des ­Gewandhauschors 194 7.6 Weitere Auftritte der Singakademie in der Gewandhaus-Phase 198

8 Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900) 202 8.1 Kooperation und Konkurrenz. Musikalische Leiter, Konzertanlässe und beginnende Geldprobleme 203 8.2 Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866 206 8.3 Intermezzo: Die Singakademie als Gewandhauschor unter 1879 211 8.4 Das Repertoire 1861–1900 ...... 213

9 Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937) ...... 221 9.1 Gustav Wohlgemuth und die Chormusik in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts ...... 222 9.2 Kooperation zwischen Singakademie und Leipziger Männerchor. Die Entstehung des Schubertbunds ...... 226 9.3 Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900 und Unterstützung durch die Stadt Leipzig 229 9.4 Das Repertoire 1900–1937 238 9.5 Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945 243

10 Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967) . . . . 250 10.1 In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945 251 10.2 Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950) ...... 258 10.3 Die AG Philharmonie und die DDR-Kulturorganisationen (1951–1957) . . 264 10.4 Letzte Jahre und Auflösung (1958–1967) ...... 269 10.5 Das Repertoire nach 1945 ...... 272

11 Fazit. Geschichte und Profil eines Gesangvereins zwischen individuellen Details und übergreifenden Phänomenen ...... 279 11.1 Zusammenfassung ...... 279 11.2 Perspektiven ...... 284 Inhalt

12 Anhang 288 12.1 Abkürzungen 288 12.1.1 Zeitungen und Zeitschriften 288 12.1.2 Häufiger zitierte Nachschlagewerke 289 12.1.3 Querverweise auf Personeneinträge im Anhang ...... 290 12.1.4 Abkürzungen im Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Singakademie(n) 290 12.2 Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967 ...... 292 12.2.1 Vorbemerkung ...... 292 12.2.2 Verzeichnis ...... 293 12.2.3 Biogramme ...... 294 12.3 Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 . . . 315 12.3.1 Vorbemerkung ...... 315 12.3.2 Aufbau der Einträge ...... 317 12.3.3 Biogramme ...... 320 12.3.4 Übersichten über die Ergebnisse der Mitgliederstatistik 383 12.4 Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866 ...... 390 12.4.1 Vorbemerkung ...... 390 12.4.2 Biogramme ...... 391 12.4.3 Ergebnisübersicht der Mitgliederstatistik ...... 401 12.5 Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n) 401 12.6 Verzeichnis benutzter Archivalien ...... 403 12.6.1 Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz . . . 403 12.6.2 Kirchliches Archiv Leipzig (KAL) ...... 403 12.6.3 Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig (D-LEsta) 403 12.6.4 Stadtarchiv Leipzig (D-LEsa) ...... 403 12.6.5 Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm) 405 12.6.6 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (D-LEsm) ...... 413 12.6.7 Universitätsarchiv Leipzig (UAL) ...... 415 12.6.8 Nichtöffentliche Akten ...... 416 12.7 Literaturverzeichnis ...... 417 12.8 Abbildungsverzeichnis 429 12.9 Tabellenverzeichnis ...... 430 12.10 Personenregister 431 1 Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

Die Leipziger Singakademie ist ein Chorverein, der vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts existierte. Diese Arbeit handelt hauptsächlich von der Entwicklung dieses Chores über mehr als anderthalb Jahrhunderte, sie stellt dar, wer dort mitsang und warum, und trägt das Repertoire sämtlicher Auftritte zusammen. Das Wirken der Leipziger Singakademie wird einerseits innerhalb der lokalen Musikgeschichte eingeordnet und bewertet, andererseits durch Vergleiche und durch Angebote allgemeiner Deutungsmuster in überregionale Zusammenhänge gestellt. 11 Auch wenn sie noch so viele Anschlussmöglichkeiten bieten, stehen Einzelfallstudien immer vor der Herausforderung, nachvollziehbar zu machen, warum ihr Kernthema eine so intensive Untersuchung verdient. Angewandt auf die vorliegende Arbeit stehen einige Fragen im Raum: Warum soll sich Musikwissenschaft mit den Trägern der musikalischen Praxis beschäftigen, erst Recht, wenn es sich um Laien handelt? Warum ist die Entschei- dung auf einen Chorverein in Leipzig gefallen, nicht auf einen in Altona, Berlin oder Dan- zig – schließlich existierten ähnliche Vereine in vielen europäischen Städten?1 Und nicht zuletzt: Es gab und gibt in Leipzig eine fast unüberschaubare Menge von Chorvereinen – warum lohnt sich eine genauere Untersuchung ausgerechnet für die Singakademie? Diese Fragen bilden den Leitfaden der folgenden einführenden Betrachtungen.

1.1 Institutionenforschung, Leipziger Musikgeschichte und die Rolle der Singakademie

Nachdem es für lange Zeit fast ausschließlich die Musikwerke selbst waren, die im Zentrum des Interesses der Musikwissenschaft standen, herrscht mittlerweile in der Forschung weit- gehend Konsens über eine wesentlich weitere Auffassung des Gegenstandes. Neben ande- ren Teilbereichen des Faches bilden heute die Bedingungen, unter denen Musik kompo- niert, verbreitet, aufgeführt und konsumiert wird, ein bedeutendes Forschungsfeld.2 Vor dem Hintergrund der Einsicht, dass Musikwerke und ihre Rezeption in historische, soziale

1 Siehe dazu den Überblick zu Singakademien anderer Städte in Kapitel 11.2: Perspektiven. 2 So findet sich etwa bei Rebecca Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet 1850 bis 1875. Ein Bei- trag zur Gattungs- und Institutionengeschichte (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Studien und Quellen 7), Sinzig 1998, S. 49–57, eine grundsätzliche und ausführliche Rechtfertigung einer Mu- sikgeschichte, die »nicht in erster Linie auf Darstellung, Einordnung und Verständnis musikalischer Kunstwerke zielt, sondern im Anschluß an Norbert Elias das konkrete musikalische Handeln von wirk- lichen Menschen in der Vergangenheit zu ihrem Erkenntnisgegenstand macht«. (Ebd., S. 49.) Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

und wirtschaftliche Prozesse eingebunden sind, findet in jüngerer Zeit eine breite Aus- einandersetzung mit entsprechenden Themen statt. So entstanden beispielsweise Studien zur beruflichen Situation von Komponisten und Musikern,3 zum Musikverlagswesen,4 zum Zusammenhang zwischen Publikumserwartung und musikalischer Produktion5 und nicht zuletzt zahlreiche Einzelstudien zu musikalischen Institutionen und Ensembles.6 Immer wieder stellen sich in diesem Kontext auch Fragen der Repertoirebildung. Die vorliegende Arbeit ist eine solche Einzelstudie zu einem Anfang des 19. Jahrhun- derts gegründeten Chorverein. In der bisher vorliegenden Fachliteratur zu musikalischen Institutionen lassen sich Prioritäten feststellen, die erklären, warum die Singakademie trotz ihrer Bedeutung bisher nicht in einer Monografie gewürdigt wurde: Eindeutig be- vorzugt werden bislang Orchester gegenüber Chören, Berufsmusiker gegenüber Laien und abhängige gegenüber unabhängigen Institutionen.7 Mit diesen impliziten Prioritäten hängt es zusammen, dass Chorvereine momentan von der Forschung recht wenig berück- 12 sichtigt werden. Als rühmliche Ausnahmen sind hier nach wie vor die Arbeiten Friedhelm Brusniaks und Dietmar Klenkes aus den 1990er Jahren zu nennen.8 Unter den aktuell von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten sticht nur eines her- vor, dass sich explizit Chorvereinen (Sing-Akademie zu Berlin und Zelter’sche Liedertafel) widmet.9

3 Mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und historischen Eingrenzungen beispielsweise bei Jörg- Peter Mittmann, »Musikerberuf und bürgerliches Bildungsideal«, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahr- hundert. Bildungsgüter und Bildungswissen, hrsg. von Reinhart Koselleck (Industrielle Welt. Schriften des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 41/II), Stuttgart 1990, S. 237–258; im Kapitel »Zum sozia- len Wandel der Musikberufe« in: Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet, S. 128–140; sowie bei Dorothea Trebesius, Komponieren als Beruf. Frankreich und die DDR im Vergleich, 1950–1980 (Moderne europäische Geschichte 4), Göttingen 2012. 4 Axel Beer, Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum. Die Rahmenbedingungen des Musikschaffens in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Tutzing 2000. 5 Andreas Ballstaedt/Tobias Widmaier, Salonmusik. Zur Geschichte und Funktion einer bürgerlichen Mu- sikpraxis (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 28), Stuttgart 1989. 6 Einige sehr verschiedene Beispiele aus diesem weiten Forschungsfeld seien genannt: Zwischen 1993 und 2003 erschienen 9 Bände der Quellen und Studien zur Geschichte der Mannheimer Hofkapelle; Fritz Trümpi, Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus, Wien 2011; Josef M. Wagner, Das Württembergische Hoforchester im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Anstellungspraxis (Studien zur Musikwissenschaft 8), 2006. 7 Diese Vorlieben lassen sich besonders gut an der Forschungsliteratur zu Leipziger Institutionen nach- weisen, siehe dazu unten S. 15. 8 Friedhelm Brusniak/Dietmar Klenke, »Heil deutschem Wort und Sang!«. Nationalidentität und Gesangs- kultur in der deutschen Geschichte. Tagungsbericht Feuchtwangen 1994 (Feuchtwanger Beiträge zur Musik- forschung 1), Augsburg 1995; Friedhelm Brusniak/Walter Blankenburg, »Chor und Chormusik«, in: MGG2, Sachteil 2, Sp. 766–824; Dietmar Klenke, Der singende »deutsche Mann«. Gesangvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster-New York 1998. 9 Das an der Universität Münster angesiedelte DFG-Projekt Quellen zur frühen Geschichte der Sing-Akade- mie zu Berlin. Probenbücher – Briefe – Dokumente läuft seit 2009. Vgl. Eintrag in der Datenbank GEPRIS, , 26.2.2013. Für den Hinweis hierauf danke ich Fried- helm Brusniak. Institutionenforschung, Leipziger Musikgeschichte und die Rolle der Singakademie

Die Vernachlässigung der Musikvereine in der Musikwissenschaft steht in einem selt- samen Missverhältnis dazu, dass es in der Geschichtswissenschaft längst zu einem fest- stehenden Topos geworden ist, dass gerade im 19. Jahrhundert die Bedeutung des Vereins- wesens kaum überschätzt werden kann.10 Vereine gelten als Freiräume für demokratische Experimente in einer undemokratischen Staatsform, als Ursprünge der politischen Parteien und als die zentrale Form der Selbstorganisation von Menschen aller Schichten außerhalb kirchlicher oder staatlicher Einflussbereiche. Dass das Vereinswesen selbstverständlich auch die Formen der Musikausübung und -rezeption grundsätzlich veränderte, darauf ist in musikwissenschaftlicher Literatur zwar oft hingewiesen worden,11 die tatsächliche Aus- einandersetzung mit den Strukturen des musikalischen Vereinswesens anhand lokaler Beispiele oder im überregionalen Vergleich ist jedoch – bis auf die erwähnten Ausnah- men – noch weitgehend ausgeblieben. Das ist insofern verwunderlich, als das Interesse an musikalischer Repertoireforschung immer weiter zunimmt12 und sich im Zusammen- 13 hang mit den dort gestellten Fragen, w a s, w a n n und w o aufgeführt wird, auch die Frage aufdrängt, w e r für eine Musikaufführung verantwortlich ist und welche Strukturen sich dahinter verbergen. Symptomatisch für die geringe Wertschätzung von Laienchören ist, dass auch jüngere Repertoirestatistiken bei Chorwerken zwar oft die ausübenden Solisten, Dirigenten und Orchester erwähnen, von den Chören jedoch schweigen.13 Wenn hier also ein Chorverein im Detail untersucht wird, geschieht das in der Über- zeugung, dass dessen Entwicklung in der langen untersuchten Zeitspanne gewichtige (mu- sik-)historische Phänomene widerspiegelt und dass die ausgewählte Institution in vielerlei Hinsicht prototypisch ist. Die Leipziger Singakademie gehört in Leipzig zu den ältesten,

10 Spätestens seit Thomas Nipperdey, »Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frü- hen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung«, in: Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte historischer Forschung in Deutschland, hrsg. von Hartmut Boock- mann (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 1), Göttingen 1972, S. 1–44. Darauf weist auch hin: Margaret Eleanor Menninger, Art and Civic Patronage in Leipzig, 1848–1914, Diss., Cam- brigde, Mass. 1998, S. 50. 11 Etwa bei Carl Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), Laaber 1989, S. 38–39. 12 So laufen beispielsweise derzeit an der Universität Leipzig zwei Forschungsprojekte, bei denen das Hauptaugenmerk auf Repertoiredaten liegt oder diese zumindest eine wichtige Basis für weitergehende Fragen darstellen. Zum einen handelt es sich um die Erstellung einer Datenbank zum Repertoire des Thomanerchors zwischen 1808 und 2008, vgl. Helmut Loos u. a., »Untersuchungen zum Repertoire des Leipziger Thomanerchores zwischen 1808 und 2008 auf der Grundlage EDV-gestützter statistischer Erhebungen«, in: 800 Jahre Thomana. Glauben – Singen – Lernen. Festschrift zum Jubiläum von Thomas- kirche, und Thomasschule, hrsg. von Stefan Altner u. Martin Petzoldt, Wettin, OT Dößel 2012, S. 219–233. Die bisher eingegebenen Repertoiredaten sind einsehbar unter . Zum anderen werden für das Projekt Leipzig und die Internationalisierung der Sym- phonik. Untersuchungen zu Präsenz und Rezeption ›ausländischer‹ Orchesterwerke im Leipziger Musikleben 1835–1914 ebenfalls Konzertprogramme statistisch ausgewertet. 13 Ein Beispiel dafür ist das ansonsten sehr verdienstvolle Werk von Bert Hagels, Konzerte in Leipzig 1779/80–1847/48. Eine Statistik, Berlin 2009. Obwohl Hagels akribisch alle Quellen zusammenträgt, die auf einzelne Konzerte hinweisen, und obwohl in diesen Quellen durchaus öfter erwähnt wird, welcher Chor sang, übernimmt Hagels diese Angaben fast nie in seine Repertoire-Übersicht. Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

mitgliederstärksten und für eine gewisse Zeit auch zu den in der öffentlichen Wahrneh- mung bedeutendsten musikalischen Vereinigungen. Zweifellos ist es denkbar, sogar wün- schenswert, in Zukunft Musikvereine anderer Städte ähnlich intensiv unter die Lupe zu nehmen und vor allem vergleichende Studien anzustellen. Eine Reihe von Gründen spricht allerdings dafür, ein solches Projekt in Leipzig zu beginnen. Leipzig ist im 19. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht ein bedeutendes musikalisches Zentrum. Obwohl eine zusammenfassende Darstellung der Musikgeschichte Leipzigs nicht vorliegt und auch in absehbarer Zeit nicht vorliegen wird,14 wird doch in zahlreichen Publikationen immer wieder auf Aspekte hingewiesen, die Leipzigs große Ausstrahlung auf die Musikwelt nach 1800 belegen.15 Zum einen ist die Stadt Sitz des damals schon weit- hin bekannten Gewandhausorchesters, das mit seiner Programmgestaltung einen großen Einfluss auf die Programmstruktur und das Repertoire andernorts ausübt.16 Zum anderen – und in engem Zusammenhang damit – sind hier die damals überregional wichtigsten Mu- 14 sikzeitschriften ansässig, die Allgemeine musikalische Zeitung, die Neue Zeitschrift für Musik und die Signale für die musikalische Welt. Vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhun- derts ist Leipzig ein Zentrum des Druck- und Verlagswesens, etliche Musikverlage haben hier ihren Sitz, darunter die einflussreichen Häuser von Breitkopf & Härtel und C. F. Peters (anfangs Bureau de Musique). Zusammen mit dem 1843 gegründeten und ebenfalls inter- national ausstrahlenden Konservatorium entsteht im Laufe des Jahrhunderts ein Geflecht an Institutionen und Personen, das Leipzig zeitweise zu einem der wichtigsten musikali- schen Zentren Europas werden lässt. Dem besseren Verständnis dieses Komplexes widmen sich seit den 1990er Jahren verschiedene Konferenzen, Forschungsprojekte und Publikatio- nen am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig.17

14 Nach wie vor eine eine unausgeführte Skizze ist: Fritz Hennenberg, »Musikgeschichte der Stadt Leip- zig im 19. und 20. Jahrhundert. Studien zur Methodologie und Konzeption«, in: Beiträge zur Musikwis- senschaft 33 (1991), S. 225–249 u. S. 259–289. 15 Einen Überblick mit umfangreicher Literaturliste bietet Peter Krause/Gunther Hempel, »Leipzig«, in: MGG2, Sachteil 5, Sp. 1050–1075. 16 Grundlegend zum Gewandhausorchester: Hans-Rainer Jung/Claudius Böhm, Das Gewandhaus-Orches- ter. Seine Mitglieder und seine Geschichte seit 1743. Mit Beiträgen zur Kultur- und Zeitgeschichte von Claudius Böhm, Leipzig 2006; sowie Claudius Böhm/Sven-W. Staps, Das Leipziger Stadt- und Gewandhausorches- ter. Dokumente einer 250jährigen Geschichte, Leipzig 1993. Zum ›Gewandhaus-Typus‹, der sich ab etwa 1830 im deutschen Kulturgebiet verbreitet und ab etwa 1850 zur Hauptform von Konzertprogrammen wird, siehe Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet, S. 102–121. 17 Hier ist zuerst die von Wilhelm Seidel initiierte Reihe Leipzig. Musik und Stadt zu nennen, von der drei Bände erschienen sind. Auf den Zusammenhang zwischen Konzertwesen, Publizistik und Verlagswe- sen weist hin: Wilhelm Seidel, »Vorwort«, in: Musik und Bürgerkultur. Leipzigs Aufstieg zur Musikstadt, hrsg. von Stefan Horlitz u. a. (Leipzig. Musik und Stadt. Studien und Dokumente 2), Leipzig 2007, S. 4–9. Auch auf dem XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung vom 28. Sep- tember bis 3. Oktober 2008 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig wurden im Rahmen des Dachthemas Musik – Stadt zahlreiche Einzelaspekte der Leipziger Musikgeschichte dieses Zeitraums beleuchtet. Gesamtherausgeber des vier Bände umfassenden Kongressberichts Musik–Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen ist Helmut Loos, die für Leipzig relevanten Beiträge sind nachzulesen in Stefan Keym/Katrin Stöck (Hrsg.), Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im Institutionenforschung, Leipziger Musikgeschichte und die Rolle der Singakademie

Eine weitere Eigenheit Leipzigs im 19. Jahrhundert, auf die zu Recht immer wieder hin- gewiesen wird, ist die Abwesenheit einer wie auch immer gearteten staatlichen oder kirch- lichen Machtzentrale.18 Im Gegensatz zu Residenzstädten gibt es hier keine Hofkapelle, die professionelle Musiker an sich bindet, sondern die Hauptinstitutionen des Musiklebens in Leipzig, etwa Thomanerchor, Gewandhaus und Konservatorium, sind längst in städti- scher Hand oder gehen aus privaten Initiativen schrittweise in die Verantwortung der Stadt über.19 In diesem die bürgerliche Selbstorganisation begünstigendem Klima entwickelt sich Leipzig in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Hochburg des Gesangvereins- wesens. Das zeigt sich nicht nur an den verschiedenen Zählungen von Einzelvereinen, die darauf hinweisen, dass es hier mehr Vereine als beispielsweise in Berlin oder Wien gibt,20 sondern auch daran, dass hier die Zeitschrift Die Sängerhalle – das offizielle Blatt des Deut- schen Sängerbundes – herausgegeben wird. Die Eigenart und die Ausstrahlung Leipzigs rechtfertigen den Schwerpunkt der vorlie- 15 genden Studie auf diesem musikalischen Zentrum im Mitteleuropa des 19. Jahrhunderts. Zudem bleibt die bisherige Forschungsliteratur zur Leipziger Musikgeschichte nicht von dem Phänomen verschont, dass Orchester – allen voran das Gewandhausorchester – gegen- über Chören, Berufsmusiker gegenüber Laien und abhängige gegenüber unabhängigen Ensembles bevorzugt werden: Neben dem sehr gut erforschten Gewandhausorchester liegen Einzelstudien zum Orchesterverein Euterpe21 und zum Sinfonieorchester des Mit- teldeutschen Rundfunks vor;22 institutionell angebundene Chöre wie der Thomanerchor, der Gewandhauschor und der Universitätschor wurden gewürdigt.23 Zu unabhängigen

19. und 20. Jahrhundert. Verlage, Konservatorien, Salons, Vereine, Konzerte (Musik–Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Bericht über den XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung 3), Leipzig 2011. Speziell dem Verlagswesen widmete sich die vom 20. bis 22. Juni 2013 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig und am Staatsarchiv Leipzig abgehal- tene internationale Konferenz Das Leipziger Musikverlagswesen im internationalen Kontext. 18 Etwa bei Rudolf Eller u. a., »Leipzig«, in: MGG1, Bd. 8, Sp. 540–573, hier Sp. 540, und bei Helmut Loos, »Leipzig, die bürgerliche Musikstadt«, in: Musik – Bürger – Stadt. Konzertleben und musikalisches Hören im historischen Wandel. 200 Jahre Frankfurter Museums-Gesellschaft, hrsg. von Christian Thorau u. a., Re- gensburg 2011, S. 181–191, hier S. 181. 19 Die Unterstützung des Gewandhausorchesters durch die Stadt wird ausführlich thematisiert von Men- ninger, Art and Civic Patronage, S. 216–267. 20 Vgl. Helmut Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, in: Choral Music and Choral Societies, and their Role in the Development of the National Musical Cultures, hrsg. von Primož Kuret, Ljubljana 2004, S. 153–161, hier S. 154. Weitere Quellen, die Zahlen von Musikvereinen in Leipzig angeben, bei Stephan Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion 1849–1936. Eine singende Studentenverbindung aus der Blütezeit der Leipziger Gesangvereine, Markkleeberg 2010, S. 13–15. 21 Manfred Würzberger, Die Konzerttätigkeit des Musikvereins »Euterpe« und des Winderstein-Orchesters im 19. Jahrhundert (Die Musikstadt Leipzig. Arbeitsberichte 4), Leipzig 1966; Ders., Die Entwicklung des Orchesterwesens in Leipzig außerhalb des Stadt- und Gewandhausorchesters in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts, Diss., Leipzig 1968. 22 Jörg Clemen/SteffenLieberwirth, Mitteldeutscher Rundfunk. Die Geschichte des Sinfonieorchesters, Alten- burg 1999. 23 Z. B. Michael Maul, »Dero berühmbter Chor«. Die Leipziger Thomasschule und ihre Kantoren (1212–1804), Leipzig 2012; Wolfgang Langner, Der Gewandhauschor zu Leipzig. Von den Anfängen bis 2000, Beucha Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

Chorvereinen gibt es neben einigen Überblicksdarstellungen24 bislang nur Einzelstudien zu Arbeitergesangvereinen, die in der DDR-Zeit entstanden, also kritisch zu hinterfragen sind,25 sowie eine jüngere Arbeit zum Akademischen Gesangverein Arion.26 Unter den vielen nicht oder nur teilweise erforschten Leipziger Chören erschien die Beschäftigung mit der Singakademie als besonders vordringlich. Zum einen war davon auszugehen, dass der Chor als ältester Leipziger Chorverein eine Vorbildwirkung in der lokalen Musikszene sowie als einer der ältesten unter dem Namen ›Singakademie‹ firmie- renden Vereine eine gewisse überregionale Ausstrahlung hatte. Zum anderen schien bei einer ersten Sichtung der Sekundärliteratur und der zeitgenössischen Quellen der Ver- ein bis ungefähr zum Ersten Weltkrieg eine herausragende Rolle in der Chormusikpflege in Leipzig zu spielen. Er tritt zeitweise regelmäßig in Gewandhauskonzerten auf, er ist an Reihen wie den Karfreitagskonzerten oder den Benefizkonzerten des Gewandhauses immer wieder beteiligt und organisiert darüber hinaus zahlreiche eigene Konzerte mit 16 abendfüllenden Werken. Im Gegensatz zu der offenkundigen Präsenz der Leipziger Singakademie in der Öf- fentlichkeit stand das spärliche Wissen über die Hintergründe dieses Chores in der Se- kundärliteratur zur Musikgeschichte Leipzigs. Die zum 100-jährigen Bestehen herausge- gebene Festschrift27 erwies sich als sehr lückenhaft, auch in Bezug auf das Repertoire. In der jüngeren Forschungsliteratur fielen eklatante Widersprüche in der Darstellung der Gründungsphase der Singakademie auf,28 flankiert von völligem Nichtwissen über das Schicksal des Chores im 20. Jahrhundert. Auf der Hand liegende erste Forschungs- fragen, auf welche die Sekundärliteratur keine Antworten bot, waren: Wie genau war die Position der Singakademie im Leipziger Konzertwesen und im Kontext der verschiedenen Chormusik-Konzertreihen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, wer leitete den Chor im 20. Jahrhundert, unter welchen Umständen hörte er auf zu existieren, wie gestaltete sich das Repertoire – auch in Wechselbeziehungen zu anderen Leipziger Musikinstitutionen und im überregionalen Vergleich?

2005; Manuel Bärwald, »Der Leipziger Universitätschor in Geschichte und Gegenwart – Untersuchun- gen zu Ursprung, Entwicklungen und Traditionen im Kontext seiner Chorleiter«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 349–365. 24 Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«; Thomas Schinköth, »Chorkunst in Leipzig. Die ›goldenen‹ zwanziger Jahre«, in: Leipziger Blätter (Frühjahr 1989), S. 65–67; Ders., »Chöre und Chormusik«, in: Musikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem verdrängten Thema, hrsg. von Thomas Schinköth, Al- tenburg 1997, S. 292–319. 25 Eberhard Lippold, Die Lichtschen Chöre. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Arbeitersängerbewegung in Leipzig (Die Musikstadt Leipzig. Arbeitsberichte 3), Leipzig 1966; Hans Pezold, »Zur Geschichte der Leipziger Volkssingakademie bis 1933«, in: Leipzig. Aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadt- geschichte 2, Leipzig 1983, S. 163–187. 26 Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion. 27 Paul Langer, Chronik der Leipziger Singakademie. Herausgegeben zur 100jährigen Jubelfeier am 14.–16. Feb- ruar 1902, Leipzig 1902. 28 Siehe Kapitel 3.3: Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte. Methoden und Überblick

Bei anschließenden Erkundungen stellte sich heraus, dass umfangreiches Archivma- terial existiert, manches davon nur indirekt von der Singakademie berichtend, welches offenbar noch gar nicht oder wenigstens nicht mit Bezug auf die Geschichte der Leipzi- ger Singakademie ausgewertet worden war. Zusammen mit den häufigen Erwähnungen von Singakademie-Konzerten in Musikzeitschriften erwies sich eine Rekonstruktion des Repertoires in weiten Teilen als möglich und die angesprochenen Fragen ließen sich be- antworten. Darüber hinaus versprachen sich viele weitere Aspekte zu eröffnen, etwa zur Mitgliederstruktur der Singakademie oder überhaupt zur Geschichte der Chormusik in Leipzig.

1.2 Methoden und Überblick 17 Die verschiedenen Methoden, die sich beim Ordnen, Analysieren und Interpretieren des vorgefundenen Materials als hilfreich erwiesen, lassen sich unter den Stichworten Historio- grafie, historische Sozialforschung und Repertoireforschung zusammenfassen. In den Bereich der Historiografie, der klassischen Geschichtsschreibung, fällt das Zu- sammentragen und Auswerten von Namen, Daten und Fakten zum Leipziger Chorwesen und zur Singakademie. Ausgehend von dem Ziel, eine konsistente und überprüfbare Schil- derung der Geschichte der Leipziger Singakademie als Institution vorzulegen, ergeben sich Teilaspekte wie etwa die Aufklärung der Gründungsgeschichte, die Fragen nach den Namen und Amtszeiten der einzelnen Chorleiter bis zum Ende der Existenz des Chores, nach Sta- tuten, Mitgliederzahlen, Auftrittsmöglichkeiten und Kooperationen. Hier wurden Quellen verschiedenster Provenienz ausgewertet, miteinander abgeglichen und katalogisiert. Vor- handene Primär- und Sekundärquellen boten Ansatzpunkte für weitere musikhistorische Fragestellungen, etwa nach der Chorpraxis vor der Singakademie-Gründung, nach lokalen Konzerttraditionen und nach personellen und politischen Einflussfaktoren auf die Musik- pflege in Leipzig. Diese gewissermaßen traditionelle (musik-)historische Arbeitstechnik, bei der aus den Quellen eine Geschichte konstruiert und diese gedeutet und kontextuali- siert wird, bildet den roten Faden der vorliegenden Arbeit und resultiert in einer weitgehend chronologischen Ordnung der Kapitel: Nach einer Studie zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung (Kapitel 2) folgen die weiteren Kapitel im Wesentlichen den ›Pha- sen‹, in welche die Geschichte der Leipziger Singakademie für die vorliegende Arbeit ein- geteilt wurde. Die Phasen umspannen meist einen Zeitraum von rund 30 bis 40 Jahren. Die entsprechenden Kapitel konzentrieren sich auf das Repertoire und seine Veränderungen im 19. und 20. Jahrhundert, sie stellen die Singakademie in ihrer Wechselwirkung mit anderen Chor- und Konzertinstitutionen Leipzigs dar und versuchen, die Singakademie im Musik- leben Leipzigs zu verorten sowie mit überregionalen gattungs- und institutionsgeschichtli- chen Entwicklungen in Zusammenhang zu setzen. So wird beispielsweise im Kapitel 6, das sich mit der zweiten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie beschäftigt (1818– 1847), unter anderem in Leipziger Chorkonzerttraditionen eingeführt und im Kapitel 9, wo Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

es um das erste Drittel des 20. Jahrhunderts geht, auch über Konkurrenzsituationen im städtischen Musikleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachgedacht. Allerdings ist nicht für jede Phase, für jedes Kapitel, die Quellenlage gleich gut. Zen- trale hier vorgestellte Ergebnisse betreffen das 19. Jahrhundert. Für diese Zeit liegt eine starke Basis an Primär- und Sekundärmaterial über die Singakademie vor. Aspekte wie Ju- biläen, Dirigentenwechsel und Wechsel der Probenlokale, die schon Paul Langer in seiner Festschrift ausführlich dokumentiert, werden hier nicht erneut thematisiert, falls sie keinen Beitrag dazu leisten, die zentralen Forschungsanliegen zu beantworten. Vielmehr wird das Auf und Ab des Vereinslebens nur dann eingehender dargestellt, wenn daraus ein wesent- licher Einfluss auf das institutionelle Gefüge, in dem sich die Singakademie befindet, oder auf das Repertoire erkennbar ist. Für das 20. Jahrhundert erschien es aufgrund der schlech- teren Quellenlage, der komplexen Rahmenbedingungen des Musiklebens und wegen der sinkenden Bedeutung der Leipziger Singakademie nicht angemessen und teils auch nicht 18 möglich, ebenso tief ins Detail zu gehen wie in den ersten Kapiteln. Die von Joachim Kre- mer völlig zu Recht aufgestellte Forderung, dass regionalgeschichtliche Studien sich nicht in Materialsammlungen erschöpfen dürfen, sondern eine »Einordnung in größere Zusam- menhänge«29 leisten müssen, kann also nicht in allen Teilen dieser Arbeit gleichermaßen erfüllt werden. Für die Zeit nach 1902, die nicht mehr durch Langers Chronik abgedeckt ist, ist ein stärker dokumentierender Charakter der Darstellung nötig, wird intensiver von Dirigentenwechseln, Parallelgründungen und schließlich von der Auflösung der Leipziger Singakademie die Rede sein, so dass die Geschichte dieses Chors hier erstmals bis zu ihrem Ende in den 1960er Jahren verfolgt werden kann. Der zweite Bereich, dessen Methoden zum Einsatz kommen, ist der der historischen Sozialforschung. Die Anwendung formaler Methoden in den historischen Wissenschaften ist inzwischen sehr weit fortgeschritten und setzt unter anderem auf komplexe statistische Analysetechniken auf Basis historischer Daten.30 Im Vergleich dazu mag das hier ange- wandte Verfahren relativ simpel wirken: Mitgliederlisten des Vereins wurden mit biografi- schen Daten angereichert und diese wurden nach verschiedenen Kriterien ausgewertet, etwa nach Alter, Geschlecht, Beruf und Zugehörigkeit zu bestimmten Assoziationen. Die Methode wird ausführlich erläutert und angewandt für das Personal in der Gründungsphase der Leipziger Singakademie (Kapitel 4) und wird für eine spätere Stichprobe des Mitglieder- bestandes im Jahr 1866 wieder aufgegriffen (Kapitel 8.2). Obwohl hier mit vergleichsweise einfachen Rechnungen gearbeitet wird, namentlich Erhebung von Durchschnittswerten und prozentualen Anteilen an Gesamt- und Teilgruppen, ist dieses Verfahren in der Mu- sikforschung des 20. Jahrhunderts kaum verbreitet. Das mag einerseits an dem geringen Stellenwert liegen, den die Forschung zu Musikvereinen bisher hatte, andererseits auch da-

29 Joachim KREMER, »Regionalforschung heute? Last und Chance eines historiographischen Konzepts«, in: Die Musikforschung 57 (2004), S. 110–121, hier S. 115. 30 Vgl. hierzu die Vielfalt der Themen in den bisher erschienen Bänden der Zeitschrift Historische Sozial- forschung. Jahrgänge, die älter als zwei Jahre sind, sind einsehbar unter . Methoden und Überblick ran, dass es sehr aufwändig ist, die einzelnen Biogramme der Mitglieder, die als Datenbasis dienen, überhaupt erst zu erstellen. Bezeichnenderweise ist es mit Margaret Eleanor Menninger eine Historikerin, die in ihrer Dissertation über Art and Civic Patronage in Leipzig, 1848–1914 das Wirken verschie- dener Leipziger Vereine für Kunst und Kultur sowie die personelle Vernetzung der Asso- ziationen untereinander und mit der Stadtverwaltung unter die Lupe nimmt und zu die- sem Zweck eine biografische Datenbank erstellt.31 In den letzten Jahren ändert sich aber die Wertschätzung quantitativer biografiebezogener Verfahren in der Musikwissenschaft spürbar. So verfolgt beispielsweise das Forschungsprojekt Musica migrans – Lebenslinien mittel- und osteuropäischer Musiker am Institut für Musikwissenschaft und am Institut für Informatik der Universität Leipzig die Wanderungsbewegungen von Musikern anhand in- dividueller Lebensläufe.32 Einer vergleichbaren, ebenfalls biografiebasierten Herangehens- weise bedient sich Claudius Böhm, wenn er die Gründungsbesetzung des Gewandhausor- 19 chesters rekonstruiert und die Berufe der Musiker auswertet.33 Claudia Heine ergründet in ihrer Dissertation ebenfalls die Mitgliederzusammensetzung von Musikvereinen, schließt jedoch Gesangvereine aus ihren Überlegungen aus.34 Trotz dieser insgesamt positiven Ten- denz der jüngsten Zeit hat Rebecca Grotjahns Plädoyer, dass von »einer intensiveren Kom- munikation zwischen Historischer Musikwissenschaft und allgemeiner Geschichtswissen- schaft […] beide Disziplinen und damit die Erkenntnis der Geschichte insgesamt profitieren [könnten]«,35 nichts von seiner Gültigkeit verloren – besonders hinsichtlich der Sozial- und Institutionengeschichte. Der dritte und letzte methodische Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt im Be- reich der Repertoireforschung. Unter Repertoire wird hier immer die tatsächlich zur Auf- führung gekommene Musik verstanden, von der sich nachweisen lässt, wann und im Idealfall auch wo, von welchen Beteiligten, unter wessen Leitung sie aufgeführt wurde. Die zweite Bedeutung des Begriffs ›Repertoire‹, die die Musik meint, die ein Künstler oder ein Ensemble zur Aufführung bereithält – sei es in Form vorhandener Noten oder einstudierter Werke –, spielt hier keine Rolle.36

31 Menninger, Art and Civic Patronage. Erwähnung der Datenbank ebd., S. 53, Anm. 128. 32 Die Ergebnisse sind in Form einer Datenbank zugänglich: 33 Claudius Böhm, »Ohne Universität kein Gewandhausorchester«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 197–202. 34 Claudia Heine, »Geschlossene Gesellschaft oder öffentlicher Verein? Bürgerliche Musikvereine in deutschsprachigen Städten zwischen 1800 und 1840«, in: Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im 19. und 20. Jahrhundert. Verlage, Konservatorien, Salons, Vereine, Konzerte, hrsg. von Stefan Keym u. Katrin Stöck (Musik–Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Bericht über den XIV. Inter- nationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung 3), Leipzig 2011, S. 457–466, hier S. 457. 35 Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet, S. 71. 36 Zur Diskussion des Terminus siehe Werner Braun, »›Repertoire‹: unspezifisches Schlüsselwort«, in: Musica 37 (1983), S. 125–129. Vgl. Loos, »Leipzig, die bürgerliche Musikstadt«, S. 183. Die hier verwendete Definition unterscheidet sich damit auch von der bei Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet, S. 160, die »neue oder nur einmalig dargebotene Werke« ausschließt. Leipzig und die Singakademie – regionale und überregionale Bedeutung

Ein Grundgedanke der musikwissenschaftlichen Repertoireforschung ist der, dass sich nur aufgrund einer verlässlichen und umfangreichen Datenbasis überhaupt vergleichende Aussagen über die Bedeutung einzelner Musikwerke in der Aufführungspraxis zu einer be- stimmten Zeit und an einem bestimmten Ort machen lassen.37 Dabei erscheinen nüchterne Betrachtungen darüber, welche Werke in welchem Kontext auf den Spielplänen standen, be- sonders wichtig, wenn man bedenkt, dass sich die Musikwissenschaft in der Vergangen- heit allzu oft auf einzelne ›Meister‹ und einzelne ›Meisterwerke‹ konzentrierte und dabei Gefahr lief, wichtige Teile der vielfältigen musikalischen Wirklichkeit etwa des 19. Jahrhun- derts auszublenden. Selbstverständlich wurden auch in der Vergangenheit schon Fragen zur Kanonbildung, zu kompositorischen Schulen und zu Repertoireschwerpunkten einzelner Städte und Institutionen bearbeitet, aber es mangelte häufig an empirischen Belegen und an transparent dargelegtem Datenmaterial, dass nachvollziehbar macht, auf welchem Weg und auf der Basis welcher Quellen diese Erkenntnisse erlangt wurden.38 Noch im Jahr 2011 20 wiederholt Helmut Loos, dass eigentlich eine »Repertoirestatistik […] für jede Kanondis- kussion vorzulegen sein müsste«, und muss feststellen: »Dies rührt nun allerdings an ein Grundproblem der Musikgeschichtsschreibung, denn europaweit ist bis in die jüngste Zeit eine breitere, mit stadtgeschichtlichen Untersuchungen verbundene Repertoireforschung nur in Ansätzen erkennbar.«39 Positivbeispiele von repertoirebasierten Forschungsprojekten wurden bereits genannt,40 diesen hinzuzufügen sind in jedem Fall die Dissertationen von Rebecca Grotjahn (1998) und Mirjam Gerber (2013), die beide der jeweiligen Forschungs- frage angepasste Aufführungsdatenbanken erstellen.41 Grotjahn erfasst 2895 öffentliche Auf- führungen sinfonischer Werke, Gerber operiert mit einer Datenbank von über 700 privaten Musikaufführungen. Dieser Methode, repertoirebezogene Fragestellungen nur auf einer so- liden Datengrundlage anzugehen, ist die vorliegende Arbeit ebenfalls verpflichtet. Sie bietet deshalb als online veröffentlichten Anhang ein mit Quellenangaben versehenes Verzeich- nis aller bekannten Auftritte der Leipziger Singakademie. Das Zustandekommen und die Quellen dieses Verzeichnisses werden in Kapitel 5 ausführlich besprochen. Alle Kapitel zu den einzelnen Phasen der Geschichte der Leipziger Singakademie enthalten Abschnitte, in denen das Repertoire auf dieser Grundlage diskutiert wird. Dort ist das gesungene Repertoire auf verschiedene Arten aufbereitet, etwa als Ausschnitt, der nur bestimmte Konzertreihen berücksichtigt, oder als nach Komponisten und Werken geordnetes Register.

37 »In letzter Instanz schafft die Dokumentation des Repertoires [des Leipziger Thomanerchors] über- haupt erst die Voraussetzungen dafür, dass zum Kanon, zur Alterung wie zur Verjüngung des Reper- toires erstmals präzise Stellung genommen werden kann.« Loos u. a., »Untersuchungen zum Reper- toire«, S. 233. 38 Vgl. Loos, »Leipzig, die bürgerliche Musikstadt«, S. 186. Konkrete Defizite der »vagen, teils auch tenden- ziösen Urteile[ ]« in der bisherigen Forschung zeigen am Beispiel des Leipziger Thomanerchors: Loos u. a., »Untersuchungen zum Repertoire«, S. 221. 39 Loos, »Leipzig, die bürgerliche Musikstadt«, S. 182. 40 Siehe Anm. 12. 41 Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet; Mirjam Gerber, Zwischen Salon und musikalischer Ge- selligkeit. Henriette Voigt, Livia Frege und Leipzigs bürgerliches Musikleben, Diss., Leipzig 2013. Methoden und Überblick

Während der Textteil der vorliegenden Arbeit also versucht, die verschiedenen ge- nannten Methoden produktiv zu vereinen, hat der Anhang mehrere Funktionen, die ihn hoffentlich vielseitig verwendbar und für zukünftige Studien nutzbar machen. Einerseits verzeichnet er die Biogramme von Mitgliedern der Leipziger Singakademie und alle nach- gewiesenen Auftritte mit den aufgeführten Werken. Hier wird also die Datenbasis der im Textteil aufgestellten Thesen präsentiert und gleichzeitig der Textteil von vielen Einzelnach- weisen entlastet, weil jedes Konzert mit den dazugehörigen Quellen in der Auftrittsüber- sicht über das Datum zu finden ist. Andererseits wurden die Angaben zu den Amtszeiten, Biografien und Quellen zu den einzelnen musikalischen Leitern der Leipziger Singakade- mie ebenfalls in den Anhang ausgelagert. Im Sinne einer möglichst vollständigen Darstel- lung der Eckdaten der Geschichte dieses Chores, vor allem im 20. Jahrhundert, schien es zwar sinnvoll, diese Informationen zusammenzustellen, der Haupttext sollte aber von den Einzelbiografien freigehalten werden und sich mehr auf Zusammenhänge und Vergleiche 21 konzentrieren. Zu guter Letzt verzeichnet der Anhang neben der verwendeten Literatur selbstverständlich alle aufgefundenen und benutzen Archivalien, um zukünftige Recher- chen zum Thema zu erleichtern. 2 Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Die Leipziger Singakademie wird in der Sekundärliteratur immer wieder der »erste ge- mischte Laienchor«42 Leipzigs genannt. Ist diese Bezeichnung gerechtfertigt? Als ›Chor‹ wird hier ein Gesangsensemble verstanden, das über eine gewisse Zeit als feste Formation besteht – im Unterschied zu einer ad hoc zusammengestellten Sängerschar, die sich nach einem Auftritt wieder zerstreut. Dies vorausgesetzt, bleiben zwei Kriterien zu diskutieren: ›gemischt‹ und ›Laie‹. Die Fragen lauten daher: Waren Gesangs-Ensembles, die es in Leip- zig vor der Singakademie gab, gemischtgeschlechtlich besetzt oder waren es Knaben- und 22 Männerchöre? Und: Bestanden sie aus Laien? Von welchem Punkt in der Geschichte an die Unterscheidung zwischen professionel- lem und laienhaftem Chorgesang überhaupt sinnvoll ist und welche Stufen zwischen ›Profi‹ und ›Laie‹ im historischen Kontext existieren, darüber lässt sich streiten.43 Wesentlich bri- santer ist zunächst aber die Frage, nach den Frauen- oder Knabenstimmen. Sie bestimmt nicht nur, wer das Prädikat des ›ersten gemischten Chors‹ in Leipzig ›verdient‹, sondern berührt einen entscheidenden Punkt der Aufführungspraxis im späten 18. Jahrhundert: Falsettierende Männer, Knaben vor dem Stimmbruch oder Frauenstimmen – wie klang Chormusik in öffentlichen Konzerten? Nicht zuletzt sagt es viel über die Moralvorstellun- gen einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt aus, ob und in welchem Rahmen Frauen überhaupt singend an die Öffentlichkeit treten durften. Um dem nachzugehen, ist ein Einblick in die Leipziger Chorpraxis vor der Gründung der Singakademie nötig. Das sogenannte ›Große Konzert‹ (in der damaligen Schreibung ›Großes Concert‹) wird 1743 ins Leben gerufen. Im Jahr 1781 bezieht das Konzertunternehmen den Saal im Gewand- haus. Zwar werden noch heute die Abonnementkonzerte im Gewandhaus als ›Großes Con- cert‹ annonciert, der Klarheit halber soll hier aber zwischen ›Großem Konzert‹ (1743–1778) und ›Gewandhauskonzerten‹ (ab 1781) unterschieden werden. Im Großen Konzert bzw. später in den Gewandhauskonzerten werden durchaus Stücke für vierstimmigen Chor aufgeführt, und zwar vorrangig Opernchöre. Diese Chöre stehen selten für sich allein, sondern sind meist Teil einer Konfiguration wie ›Arie mit Chor aus der Oper …‹. Das Publikum ist vor allem an den Leistungen der Gesangssolisten interessiert. Um die Frage zu beantworten, mit welchen Sängern hier die Chorpartien besetzt sind, soll die Überlieferung zum Chorgesang im Großen Konzert beziehungsweise im Gewandhaus

42 Langner, Der Gewandhauschor, S. 17. Wortgleich bei Jörg Clemen, »Die ersten ›Gemischten‹«, in: Ge- wandhaus-Magazin (Frühjahr 2002), S. 49–51, hier S. 49, und bei Loos u. a., »Untersuchungen zum Repertoire«, S. 224. 43 Diese Frage wird weiter unten diskutiert, siehe Kapitel 2.3: Organisation im Verein als Novum. Großes Konzert, Singschule, Musikübende Gesellschaft und Gewandhaus befragt werden. Außerdem wird die ›Musikübende Gesellschaft‹ eine Rolle spielen, die in den Jahren von 1778 bis 1881 mit ihren regelmäßigen öffentlichen Konzerten die Lücke überbrückt, die zwischen dem Ende des Großen Konzerts im Drei-Schwanen-Saal und dem Beginn der Konzerte im Gewandhaus liegt. Im Folgenden ist daher die Rede von der Chor- arbeit der Musikdirektoren (Dirigent des Großen Konzerts 1763–1775, der Musikübenden Gesellschaft 1775–1781, der Gewandhauskonzerte 1781–1785) und ( am Gewandhaus 1785–1810).

2.1 Das Große Konzert, Hillers Singschule, die Musikübende Gesellschaft und das Gewandhaus vor 1802

Erst seit 1861 existiert der Gewandhauschor zu Leipzig. Die Zuständigkeit für die Chorpar- 23 tien im Gewandhaus bzw. in der Vorgängerorganisation, dem Großen Konzert, wechselte in der Zeit davor mehrmals. Die Überlieferung zur Chorbesetzung in diesen Abonnement- konzerten vor der Gründung des Gewandhauschores ist spärlich. Hier soll es zunächst nur um die Zeit bis zur Gründung der ersten Singakademie 1802 gehen.44 Wenn von Gesang im Großen Konzert in den Quellen die Rede ist, dann zumeist von den auftretenden Solisten. Seit der Gründung der Konzertgesellschaft im Jahr 1743 ist es üb- lich, dass manche im Orchester angestellten Instrumentalisten zusätzlich zum Sologesang verpflichtet sind. Johann Adam Hiller, der im Jahr 1763 Musikdirektor dort wird, gibt uns in seiner Autobiografie eine Vorstellung davon: »Man hatte […] nie andere Sänger gehabt, als wenn einer von der Bratsche oder Violin vortrat, und mit einer kreischenden Falsett- stimme, dem Salinbeni [sic] eine Arie nachsingen wollte, die er oben drein nicht recht lesen konnte.«45 Diesen Zustand zu verbessern, schreibt Hiller sich auf die Fahnen. Dazu bricht er zunächst ein Tabu, das in Leipzig bisher galt: Erstmals engagiert er 1764 eine Frau als Sängerin im Konzert, nämlich Corona Schröter, der er damit den Beginn ihrer Karriere er- möglicht.46 Weitere Engagements anderer Sängerinnen folgen, so tritt 1767 erstmals die spä- ter berühmte Sängerin Gertrud Elisabeth Schmeling (später verh. Mara) im Großen Konzert auf.47 Aus dem gleichen Zeitraum stammen auch die ersten sicheren Nachrichten über die

44 Zur Zeit danach siehe Kapitel 7.1: Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847. Vgl. als Überblicksdarstellung zur Vorgeschichte des Gewandhauschores Stephan Greiner, »Wer sang denn vorher im Gewandhaus?«, in: Gewandhaus-Magazin (Sonderheft zum 150-jährigen Bestehen des Ge- wandhaus-Chores 2011), S. 46–51. 45 Johann Adam Hiller, Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit. Erster Theil, Leipzig 1784, S. 310. Gemeint ist der Kastrat Felice Salimbeni. 46 Vgl. Karl Peiser, Johann Adam Hiller. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1894, S. 21–22, und Greiner, »Wer sang denn vorher im Gewandhaus?«, S. 47–48. 47 Vgl. Peiser, Johann Adam Hiller, S. 22. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Choristen des Großen Konzerts. Über die Jahre von 1765 bis 1768 berichtet Ernst Ludwig Gerber: »Die Chöre wurden mit Thomasschülern besetzt.«48 Für die 1760er Jahre lässt sich zusammenfassen: Erstmals gibt es weibliche Solosän- gerinnen beim Konzert, der Chorgesang liegt in der Verantwortung des Thomanerchors, also eines Knabenchors, der zur städtischen Kirchenmusik gehört. Im Jahr 1771 gründet die Direktion des Großen Konzerts eine vom amtierenden Musikdirektor Hiller geleitete Sing- schule, deren Mitglieder sich einmal wöchentlich zu einer Übungsgesellschaft treffen.49 Die Hiller’sche Singschule beim Großen Konzert hat zunächst das Ziel, solistische Sängerinnen und Sänger für das Große Konzert heranzuziehen. Hiller tritt 1775 von seinem Posten als Musikdirektor des Großen Konzerts zurück, er führt die Singschule jedoch weiter. Im sel- ben Jahr begründet er bekanntermaßen die Musikübende Gesellschaft, die schließlich 1778 mit 30 Konzerten pro Saison in die Lücke einspringen wird, die das Große Konzert nach sei- nem vorläufigen Ende hinterlässt. Die Singschule Johann Adam Hillers ist für unsere Frage 24 von großem Interesse, weil sie für den Gesangsanteil der Konzerte der Musikübenden Ge- sellschaft tragend verantwortlich ist, und zwar in Bezug auf die Solisten wie auf den Chor. Das Personal der Singschule und dessen Aufgaben verändern sich in der Zeit zwischen der Gründung der Singschule 1771 und der zweiten Hälfte der 1770er Jahre entscheidend. Über die ersten Schritte der Singschule berichtet Hiller in seiner Selbstbiografie:

Den Anfang machte ich damit, daß ich einige Knaben aus der Stadt frey unter- richtete, und diese bisweilen im Concert mit einer Arie, oder einem Duett auftre- ten ließ. Bald darauf fanden sich einige junge Frauenzimmer aus Familien, die zu ihrem Vergnügen den Gesang studiren wollten, und meiner Unterweisung anver- traut wurden.50

Bei der Gründung der Singschule gehören also nur Knaben zu den Schülern, erst später kommen Frauen hinzu. In späteren Quellen wird die Singschule meist in direktem Zu- sammenhang mit der Musikübenden Gesellschaft erwähnt. Letztere muss man sich in den Anfangsjahren ab 1775 als ein wöchentliches Treffen vorstellen, bei dem unter Hillers Lei- tung in verschiedenen Besetzungen musiziert wird. ›Gesellschaft‹ ist hier also im Sinne eines wiederkehrenden gemeinschaftlichen Termins zu verstehen, nicht etwa im heute geläufigeren Sinne einer festen Personengruppe. Die zeitgenössische Formulierung, dass

48 Ernst Ludwig Gerber, Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler, welches Nachrichten von dem Le- ben und Werken musikalischer Schriftsteller, berühmter Componisten, Sänger, Meister auf Instrumenten, Dilet- tanten, Orgel- und Instrumentenmacher, enthält, Erster Theil: A–M, Leipzig 1790, Sp. 639. 49 Dass die Singschule nicht Hillers eigene, private Unternehmung war und dass Hiller nicht 1771 (wie es in der Sekundärliteratur lange irrtümlich behauptet wurde), sondern wahrscheinlich erst 1775 die mu- sikalische Leitung des Großen Konzerts aufgab, wird ausführlich dargelegt von Claudius Böhm, »›Vor- züglich ein Werk des Herrn Kapellmeister Hillers‹. Johann Adam Hiller als Musikdirektor des Großen Concerts«, in: Johann Adam Hiller. Kapellmeister und Kantor, Komponist und Kritiker, hrsg. von Claudius Böhm (Beiträge zur Musikgeschichte Leipzigs), Altenburg 2005, S. 19–42, hier S. 26–34. 50 Hiller, Lebensbeschreibungen, S. 315. Großes Konzert, Singschule, Musikübende Gesellschaft und Gewandhaus die Musikübende Gesellschaft »jährlich 30mal gehalten«51 werde, macht diesen wichtigen Sachverhalt deutlich. Es wäre zum Beispiel nicht angebracht zu sagen, die Musikübende Gesellschaft bestehe aus einer bestimmten Anzahl von Personen, sondern zunächst ist diese ›Gesellschaft‹ ein Termin, der veranstaltet wird von Johann Adam Hiller. Dort treffen sich nun einmal wöchentlich – immer dienstags – Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen, um sich unter Hillers Leitung im Gesang und Instrumen- talspiel zu üben. Im ersten »Pro Memoria« der Musikübenden Gesellschaft vom 7. Januar 1777 heißt es: »Junge Frauenzimmer, aus guten Familien, treten mit Gesange auf; andere angesehene Damen der Stadt üben sich mit Concerten auf dem Flügel, und die Plätze des Orchesters sind, zum Theil, mit Liebhabern besetzt […].«52 Es werden aber nicht nur Ins- trumentalstücke und Sologesangswerke aufgeführt, sondern es stehen regelmäßig Chöre auf den Konzertprogrammen der Musikübenden Gesellschaft.53 In seiner Selbstbiografie äußert sich Hiller konkreter darüber, wie es möglich ist, bei der Musikübenden Gesellschaft 25 Chorwerke aufzuführen:

Zu ihrer [seiner Schülerinnen und Schüler] noch größern Ermunterung […] er- richtete ich im Jahre 1775, im Apelischen Hause, eine eigene Musikübende Gesell- schaft, welcher sogleich verschiedene angesehene Damen der Stadt, als Klavier- spielerinnen, beytraten, sowie das Orchestre zum Theil von Liebhabern besetzt ward. Ich hatte vorher schon aus den hier Studirenden ein kleines Chor von Sän- gern zusammen gebracht, in deren Gesellschaft meine Singscholaren wöchentlich einer sogenannten Chorübung beywohnten, und dadurch so geübt wurden, daß sie vor keiner lateinischen großen Kirchenfuge erschracken; wie ich denn mit diesem, größtentheils aus Liebhabern bestehenden Musikchore, das Graunische und Hän- delische Te Deum aufgeführt habe.54

Es ist also zunächst ein studentischer Chor, der gemeinsam mit Hillers Singschülern größere Chorwerke wie die erwähnten Te-Deum-Kompositionen einstudiert und der die Chorpartien singt, während die Teilnehmer der Musikübenden Gesellschaft sich im Sologesang üben. Eine zusätzliche Momentaufnahme aus Gründungszeit der Musikübenden Gesell- schaft bietet Hiller in einem Brief an Friedrich Nicolai. Das Schreiben datiert auf den 13. Fe- bruar 1775, die Singschule besteht also bereits 4 Jahre:

51 »Nachricht von der Errichtung einer Musik- und Singschule zu Leipzig, von Hrn. Hiller«, in: Musika- lisch-kritische Bibliothek 2 (1778), S. 332–337, hier S. 335. 52 D-LEsa, Gewhaus, D 437, fol. 1. Ebenfalls abgedruckt bei Carl Augustin Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig hauptsächlich aber des großen Conzert- u. Theater-Orchesters 1750–1838, hrsg. u. transkribiert von Otto Werner Förster, Leipzig 2005, S. 31, und bei Arnold Schering, und das Musikleben Leipzigs im 18. Jahrhundert. Von 1723–1800 (Musikgeschichte Leipzigs 3), Leipzig 1941, S. 476–477. 53 Vgl. Böhm, »›Vorzüglich ein Werk des Herrn Kapellmeister Hillers‹«, S. 36. 54 Hiller, Lebensbeschreibungen, S. 315–316. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Ich betreibe das Gesangs-Studium mit allem Eifer. Alle Dienstage haben wir eine Uebungsgesellschaft im Concertsaale, wobei Frau von Alvensleben, Mademoiselle Hilmer, Mademoiselle Frosch, Obermann, von Heimthal, und Seelig, als Sänge- rinnen auftreten. Zur Aufführung großer Stücke habe ich noch ein Chor Sänger von 9 Personen dabei: so daß schon im ersten Jahre unsere öffentliche Musik eine bessere Gestallt gewonnen hat.55

Interessant ist das Zitat, weil Hiller hier die ›jungen Frauenzimmer‹ einmal namentlich nennt und weil er in seiner Sprache eine deutliche Unterscheidung trifft: Die »Sängerin- nen« werden einzeln aufgezählt, die Formulierung »ein Chor Sänger« steht zusammenfas- send für eine Gruppe von männlichen studentischen Sängern. Wenn man die bisher genannten Quellen über die Musikpraxis von Singschule und Musikübender Gesellschaft zusammenfasst, lässt sich festhalten: Ein Orchester wird in der 26 Musikübenden Gesellschaft von Dilettanten56 gebildet, es sind aber auch einige Berufsmu- siker dabei. Frauen spielen Tasteninstrumente und treten solistisch als Sängerinnen auf. Studenten der Universität, also Männer, bilden einen Chor zur Aufführung größerer Werke. Bis zu diesem Punkt wäre davon auszugehen, dass es eine gemischte Chorpraxis im Rah- men der Musikübenden Gesellschaft nicht gibt, sondern dass Frauen nur Soli singen und die Chöre allein von den – teils wohl falsettierenden – Studenten gesungen werden. Es gibt allerdings ein Dokument, dass diesen Befund widerlegt oder zumindest seine Gültigkeit zeitlich begrenzt. Diese »Nachricht von der Errichtung einer Musik- und Singschule zu Leipzig, von Hrn. Hiller« wurde am 3. Januar 1778 von Johann Adam Hiller offenbar als Individualdruck verbreitet57 und liegt in der Wiedergabe durch die von Johann Nikolaus Forkel herausgegebene Musikalisch-kritische Bibliothek vor. Zwei wichtige Werke berufen sich auf diese Schrift, ohne sie jedoch als Quelle eindeutig zu nennen: Karl Peiser zitiert in seiner Biografie Johann Adam Hiller mehrfach daraus und fasst sie in eigenen Worten zu- sammen;58 Arnold Schering arbeitet im dritten Band der Musikgeschichte Leipzigs ebenfalls

55 Johann Adam Hiller, Mein Leben. Autobiographie, Briefe und Nekrologe, hrsg. von Mark Lehmstedt, Leip- zig 2004, S. 48. Mit in Einzelheiten abweichenden Schreibweisen auch zitiert bei Peiser, Johann Adam Hiller, S. 28. Für den Hinweis auf diese Briefstelle danke ich Claudius Böhm (Gespräch mit dem Autor am 18. Mai 2012). 56 Der von Hiller verwendete Begriff ›Liebhaber‹ und der im deutschen Sprachraum später weiter ver- breitete Begriff ›Dilettant‹ werden in dieser Arbeit synonym eingesetzt. Bis ins frühe 19. Jahrhundert konnten damit auch Personen gemeint sein, die sich passiv, konsumierend, mit Kunst beschäftigen. Im Folgenden werden als ›Dilettanten‹ im Bereich der Musik diejenigen bezeichnet, die zum eigenen Vergnügen selbst musizieren oder singen. Im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch ist ›Dilettan- tismus‹ im 18. und 19. Jahrhundert noch nicht negativ konnotiert. Zur Begriffsdiskussion siehe Bernd Sponheuer, »Kenner – Liebhaber – Dilettant«, in: MGG2, Sachteil 5, Sp. 31–37. 57 Das belegen die Worte des Herausgebers: »[…] wir rücken daher seine [Hillers] Nachricht, so wie er sie selbst hat abdrucken lassen, wörtlich hier ein.« (»Nachricht von der Errichtung einer Musik- und Sing- schule«, wie Anm. 51, S. 333.) 58 Vgl. Peiser, Johann Adam Hiller, S. 22–27. Großes Konzert, Singschule, Musikübende Gesellschaft und Gewandhaus damit, verweist aber nur vage auf eine »gedruckte[ ] Ankündigung« bzw. ein »Propaganda- schreiben« aus dem Januar 1778.59 Wegen ihrer Wichtigkeit im hier angesprochenen Zusammenhang und weil oft nur Versatzstücke daraus zitiert worden sind,60 soll Hillers »Nachricht« (ohne die einleitenden Worte des Redakteurs) hier vollständig wiedergegeben werden:

Zur Nachricht.

Die nachlässige Betreibung des Gesangstudiums unter den Deutschen[,] wodurch eine der edelsten, und für das Herz interessantesten Künste, in ein bloßes Gau- kelspiel einer zügellosen Phantasie, oder eines kahlen Mechanismus ausarten würde, hat manchem rechtschaffenen Musikfreund schon unangenehme Stunden gemacht. Was ich an meinem Theile, dem Verderben entgegen zu arbeiten, seit 27 einigen Jahren versucht und gethan habe, ist denen bekannt, die die Vorreden zur Sammlung kleiner Clavier- und Singstücke gelesen haben. Wie weit ich nun mei- nen Plan verfolgt, und in wiefern mir derselbe gelungen ist, mache ich mit wahrem Vergnügen jetzt vorläufig bekannt. In meinem Tractate: Ueber das Studium der Musik, welcher künftigen Sommer, so Gott will, ans Licht treten soll, werde ich mich über alles weitläuftiger und umständlicher erklären.

Die in Leipzig zu Stande gebrachte Musik- und Singschule hat zur Absicht, junge Personen, beyderley Geschlechts, im Gesange, und was dazu gehört, zu unterrich- ten; auch Studirenden, die sich zu musikalischen Aemtern bestimmen, vom wah- ren Guten und Schönen der Musik, und von den Pflichten ihres künftigen Berufs, richtigere Begriffe beyzubringen.

Die Schüler werden in drei Classen, nach eben so viel Jahren, vertheilt. Die Anzahl derselben in jeder Classe ist gleichgültig: sie kann stark oder schwach seyn, so wie sich die Subjecte zusammen finden. Zu Johannis wird jedes Jahr der Unterricht vom Neuen angefangen.

Im ersten Jahre werden bloß die ersten Gründe der Musik gelehrt; es wird dabey für die Bildung der Stimme gesorgt, und mit Solfeggiren zum sichern Treffen, und zur Taktfestigkeit Anleitung gegeben.

In der zweyten Classe, oder im zweyten Jahre, wird mit Wörtern gesungen. Chöre aus Opern, kleine Duetten für bloße Singstimmen, Choräle, leichte Motetten, in

59 Schering, Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs, S. 466–467. 60 Auch Böhm, »›Vorzüglich ein Werk des Herrn Kapellmeister Hillers‹«, S. 36, zitiert nur Ausschnitte der Nachricht nach Peiser und Schering. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

deutscher, lateinischer und italiänischer Sprache, werden dazu angewandt. Auch müssen die Schüler dieser Classe bey Aufführung einer Oper, eines Oratoriums, oder einer größern lateinischen Kirchenmusik die Chöre verstärken.

In der dritten Classe, d. i. im dritten Jahre, wird das Arienstudium vorgenommen, und alles beygebracht, was zum guten Vortrage, und zum Singen mit Ausdruck ge- hört. In Opern und Oratorien legen diese Schüler ihre Probe mit ganzen Rollen ab.

In der italiänischen Sprache wird sogleich, vom ersten Jahre an, Unterricht ge- geben. Ein gleiches geschieht auch mit dem Clavierspielen, durch einen eigenen dazu bestellten Lehrer.

Drey Jahre werden also in dieser Schule erfodert [sic], um mit allem durchzukom- 28 men, was zu einem Sänger gehört. Freylich müssen fleißige Wiederholung des Ge- lernten, und fortgesetzte Uebung noch ein oder ein paar Jahre darauf folgen, und alles mehr zu Reife bringen.

Auswärtige Subjecte werden, um einen nach den Umständen verschiedenen Preis, in Pension genommen, mit allen Nothwendigkeiten versehen, und finden, außer dem angezeigten musikalischen Unterrichte, auch noch Gelegenheit auf andern Instrumenten, ingleichen, wenn es nöthig ist, in der Religion, Geographie, Histo- rie, Schreiben, Rechnen, und sofern es Frauenzimmer sind, im Stricken, Nähen, und andern weiblichen Beschäfftigungen unterwiesen zu werden.

In Pension sind jetzt da, zwey junge Frauenzimmer aus Beraun in Böhmen, zwey Schwestern, Namens Podlesky,61 eine von 16. die andere von 13 Jahren.

Der ganze singende Chor bestehet zur Zeit aus aus

8 Soprani, worunter 6 Frauenzimmer,

6 Contr’alti, worunter 2 Frauenzimmer,

5 Tenori

5 Bassi [die letzten beiden Zeilen, Tenöre und Bässe betreffend, werden mit einer geschweiften Klammer zusammengefasst, dahinter steht:] von hier Studirenden.

61 Es handelt sich um die Schwestern Thekla und Marianne Podleska. Thekla nimmt 1820 und 1821 an Privatakademien von Jacob Bernhard Limburger teil, vgl. den Eintrag »Battka, Thekla (geb. Podleska)« im Anhang 12.3: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821. Großes Konzert, Singschule, Musikübende Gesellschaft und Gewandhaus

Unter den Frauenzimmern sind fünf, die den Gesang als Dilettanten, bloß zu ihrem Vergnügen studiren.

Für diejenigen, die künftig selbst Lehrer der Musik und Musikdirectoren abgeben sollen, wird jedes Winterhalbe Jahr eine historisch-theoretische Vorlesung über die Musik gehalten werden.

Zur Befestigung der Schüler in dem Erlernten, und zu Unterstützung dieses In- stituts, werden auf einem dazu eingerichteten Saale, im Apelischen Hause am Markte, folgenden Zusammenkünfte angestellt:

1. Eine Musikübende Gesellschaft. Diese wird jährlich 30mal gehalten. Die Sänger der dritten Classe singen Arien, Duette, Terzette u. d. g. Die aus der zweyten Classe, 29 Chöre aus Opern. Concerte werden sowohl von Dilettanten, als eigentlichen Musi- kern gespielt. So ist auch das Orchestre aus beyden vermischt zusammen gesetzt.

2. Ein Concert spirituel im Advent und in der Fasten, worinne deutsche und ita- liänische Oratorien, lateinische Missen, Hymnen und Psalme aufgeführt werden. Auch hat es die Musikschule sich zum Gesetz gemacht, das höchste Geburtsfest Sr. Durchl. ihres gnädigsten Landesvaters, ingleichen das höchste Namensfest Ihrer Durchl. der gnädigsten Landesmutter, mit Aufführung einer italiänschen Oper, wie auch den höchsten Namenstag Sr. Durchl. des Churfürsten, den 5 März, mit einem De [sic] Deum laudamus, und einer Cantate zu feyern. Dem zu folge sind im vori- gen Jahre aufgeführet worden

1. Te Deum laudamus von Graun, den 5 März.

2. Le virtù appiè della croce von Hasse, in der Fasten.

3. L’Asilo d’Amore von Hasse, am 10 Julius.

4. Die Israeliten in der Wüsten, von Bach, im Advent.

5. Alcide al Bivio von Hasse, am 23 Dezember.

Außer diesen noch einige Missen, Magnificat, Motetten, Psalmen und große Chöre aus Kirchencantaten.

3. Eine Chorübung, welche Sonnabends von 5 bis 7 Uhr, mit Begleitung der Orgel gehalten wird. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Sollten nun auswärtige Gönner und Freunde der Musik eine solche Gelegenheit be- nutzen, und unserer Singschule ein oder das andere Subject anvertrauen wollen, so können wir über die Bedingungen leicht durch Briefe mit einander einig werden.

Diejenigen Freunde, welche zur Bekanntmachung dieser Nachricht an auswärti- gen Orten beytragen wollen, dürfen bey mir nur so viel Exemplare abfodern [sic] lassen, als Ihnen zu dieser Absicht nöthig sind. Leipzig, den 3ten Januar. 1778. Jo- hann Adam Hiller.62

Zu Anfang des Jahres 1778 stellt Hiller die Situation also etwas anders dar als in den oben zitierten Schilderungen aus der Selbstbiografie von 1784 und in dem Brief von 1775. Hiller widerspricht sich selbst nicht, aber er wird wesentlich konkreter, was die Besetzung des Chores betrifft. Auffällig an dieser Darstellung ist, dass sie suggeriert, die Musikübende 30 Gesellschaft sei eine Art Anhang der Singschule und diene vor allem dazu, die Singschüler durch Tasteninstrumente und ein Orchester begleiten zu können. Zentral für unsere Frage- stellung ist aber die Schilderung des »singenden Chores«. Er besteht Anfang 1778 aus 24 Personen. Dort eingerechnet ist bereits der aus den anderen Zitaten bekannte Studenten- chor aus 5 Tenor- und 5 Bass-Sängern. Die Sopran- und Altstimmen sind jeweils gemischt männlich und weiblich besetzt. Bei den 8 Frauen unterscheidet Hiller nochmals die Gruppe der 5 Dilettantinnen. Letztere besuchen seine Schule offenbar nicht mit dem Berufsziel, Konzertsängerin zu werden, sondern aus Vergnügen. Die Auftritte der Singschüler in der Musikübenden Gesellschaft sind klar geregelt: Die Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse treten gar nicht auf, die der zweiten Klasse singen im Chor, die der dritten Klasse tragen Solo- und Ensemblestücke vor. Im gleichen Jahr, in dem Hillers »Nachricht« erscheint, stellt das Große Konzert sein Wirken vorerst ein, die Musikübende Gesellschaft tritt dessen Erbe an und veranstaltet Sub- skriptionskonzerte und Concerts spirituels. Alle Indizien sprechen dafür, dass in diesen Konzerten ein Chor singt, der aus der zweiten Klasse von Hillers Singschule gebildet wird. Nimmt man eine Gleichverteilung der 24 Schülerinnen und Schüler über die drei Klassen an, besteht dieser gemischte Chor aus nur etwa 8 Personen. Da Hiller formuliert, dass die Sängerinnen und Sänger der zweiten Klasse »die Chöre verstärken«, könnte man auch an- nehmen, dass zusätzlich zu den Singschülern noch weitere Personen im Chor singen. Es sind darüber aber keine Nachrichten überliefert. Ob allein oder mit Verstärkung, kombi- niert man Hillers Aussagen, so läuft alles darauf hinaus, dass ein kleiner gemischter Chor nun im Rahmen regelmäßiger Konzerte an die Öffentlichkeit tritt – wieder eine kleine Re- volution unter der Ägide Johann Adam Hillers. Diese Neuerung hält allerdings nicht lange an und schlägt seltsamerweise auch keine Wellen in der Presse. Bei der Wiederaufnahme des Konzertbetriebs 1781 im neuerrichteten

62 »Nachricht von der Errichtung einer Musik- und Singschule«, wie Anm. 51, S. 333–337. Großes Konzert, Singschule, Musikübende Gesellschaft und Gewandhaus

Gewandhaussaal geht die Musikübende Gesellschaft im wiederbelebten Großen Konzert auf, das man bald auch ›Gewandhauskonzert‹ nennt. Zwölf Choristen werden mit der Neu- gründung der Gewandhauskonzerte dort fest angebunden und halten ebenfalls eine wö- chentliche Übung ab. Für Wolfgang Langners naheliegende Vermutung »Es scheint sich hier um begabte Dilettanten aus Johann Adam Hillers Musikübender Gesellschaft gehan- delt zu haben«63 gibt es leider keine gesicherten Nachweise. Die Formulierung aus der öf- fentlichen Ankündigung, »Zwo Sopranstimmen, nebst zwölf Chorsängern«64 verdeutlicht, dass der eigentliche Chor des Gewandhauskonzerts nun aus Männern besteht. Das ist ein Rückschritt, der verwundert, wenn man bedenkt, dass Hiller an der Neuorganisation des Konzertunternehmens wesentlich beteiligt ist und sicherlich gerade in Bezug auf den Ge- sang viel mitbestimmen darf.65 Es wäre Hiller bei seinem fortdauernden Engagement für Frauen als Sängerinnen durchaus zuzutrauen, für einen gemischten Chor am Gewand- haus zu votieren. Die Vorarbeit dafür, dass es dem Ansehen junger Frauen nicht mehr 31 schädlich ist, sich im Singen zu üben, hat Hiller schon mit dem äußerst erfolgreichen Ein- satz für weibliche Solistinnen im Großen Konzert geleistet. Seine Schriften enthalten auch keinerlei Hinweis auf eine Meinungsänderung in dieser Hinsicht.66 In der Singschule er- hielten ausdrücklich »auch Mädchen und junge Frauen aus dem Bürgertum methodisch- regelmäßig Musiklektionen […]; so etwas war in dieser konsequenten Form nach den Wertvorstellungen jener Zeit für das weibliche Geschlecht eigentlich nicht schicklich«.67 Es ist denkbar, dass die Konzertdirektion in diesen Wertvorstellungen konservativer ist als ihr Kapellmeister. Claudius Böhms Vermutung im Zusammenhang mit Hillers Trennung vom Großen Konzert 1775 ist nicht von der Hand zu weisen: »Nicht alle Bürger Leipzigs werden so progressiv gewesen sein, dass sie das [Hillers Gesangsunterricht für Frauen aus ›guten Familien‹] gut fanden. Sehr wohl möglich, dass es darüber Streit der der Ge- sellschaft des Großen Concerts gab […].«68 So kann sich Hiller allem Anschein nach auch dieses Mal nicht gegen die Konzertdirektion durchsetzen.

63 Langner, Der Gewandhauschor, S. 14. 64 § 5 der »Nachricht von der künftigen Einrichtung des Leipziger Concerts«, 1781, zit. nach Schering, Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs, S. 484: »Zwo Sopranstimmen, nebst zwölf Chor- sängern werden beym Concerte gehalten, und wenn sie noch nicht Vollkommenheit genug haben, in besonders dazu ausgesetzten Stunden, im Gesange und der italiänischen Sprache unterwiesen, auch wird mit ihnen eine wöchentliche Übung angestellt werden.« 65 Auch für diesen Gedanken bin ich Claudius Böhm zu Dank verpflichtet (Gespräch mit dem Autor am 18. Mai 2012). 66 Im Gegenteil, Hiller schreibt noch 1780: »Wenn Gott den Menschen die vortreffliche Gabe, melodische Töne mit ihrer Kehle hervor zu bringen, vornehmlich gegeben hat, um ihn damit zu loben und zu preisen: so ist es ja höchst ungereimt, wenn man das andere Geschlecht, das diese Gabe in einem reich- lichern Maaße vom Schöpfer empfieng [sic], davon ausschließt.« Johann Adam Hiller, Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesange, mit hinlänglichen Exempeln erläutert, Leipzig 1780, S. xii–xiii. 67 Lukas Neumann, »›Ein Menschenfreund in der That‹. Biographischer Abriss zu Leben und Werk Jo- hann Adam Hillers«, in: Johann Adam Hiller. Kapellmeister und Kantor, Komponist und Kritiker, hrsg. von Claudius Böhm (Beiträge zur Musikgeschichte Leipzigs), Altenburg 2005, S. 9–18, hier S. 14. 68 Böhm, »›Vorzüglich ein Werk des Herrn Kapellmeister Hillers‹«, S. 35. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Für die anschließende Periode, als Johann Gottfried Schicht 1785 das Musikdirektorat der Gewandhauskonzerte von Johann Adam Hiller übernimmt, ist die Überlieferung klarer. Übereinstimmend berichten die Quellen davon, dass der spätere Mitgründer der ersten Leip- ziger Singakademie damals einen Chor aus Knaben und Männern zusammenstellt und »für die von ihm zu stellenden Chorsänger bis zum Jahre 1801 jährlich noch 96 Thlr.«69 erhält. Carl Augustin Grenser, auf dessen Chronik zum Leipziger Musikleben später noch genauer einzugehen sein wird,70 berichtet für das Jahr 1786: »Schicht bildet sich zur Aufführung grö- ßerer Musiken im Conzert und in der Neukirche mit großem Fleiß einen eigenen Singchor aus Knaben Leipziger Familien, und aus Studierenden.«71 Sänger in diesem Chor ist im Jahr 1787 auch Johann Philipp Christian Schulz,72 der nach Schichts Vorbild später ebenfalls eine Singakademie gründen wird. Er ist auch 1794 noch dort aktiv.73 Schichts Singechor für die Gewandhaus- und Kirchenkonzerte existiert bis 1810, als Schicht das Thomaskantorat über- nimmt. Aus dem Musicalischen Taschen-Buch auf das Jahr 1805 stammt folgender, bestätigen- 32 der Hinweis zur Besetzung dieses Chores:

Ein anderes Singechor, welches aus einer Anzahl Studenten, besonders abgegang- nen Thomasschülern, besteht, singt in dem großen Concerte. Der Director dessel- ben Hr. Musikdirector Schicht zog sonst einige Knaben zu guten Sopranisten und bildete mehrere gute Sänger; da es aber jetzt überhaupt an Stimmen fehlt, so muß diese Lücke durch eine Anzahl Thomasschüler ersetzt werden: daher die Sänger des Concerts ein Aggregat beider Chöre sind, dem das Verdienst gebührt, das beste Chor, welches hier gehört wird, hervorzubringen.74

Zusammenfassend lässt sich über den Chorgesang im Großen Konzert, bei Hillers Sing- schule und Musikübender Gesellschaft sowie beim Gewandhauskonzert Folgendes sagen – wie gesagt, mit einiger Vorsicht aufgrund der schwierigen Quellenlage: Im Großen Konzert ist zunächst ein Knabenchor, der Thomanerchor, für die Chorpartien zuständig. Der Kapell- meister Johann Adam Hiller baut aber parallel ab 1771 eine Singschule auf, an der bald auch Frauen und Mädchen im Gesang unterrichtet werden. Ob diese allerdings auch als Chor- sängerinnen an die Öffentlichkeit treten, ist für die ersten Jahre nicht bekannt. Erst für das Jahr 1778 existiert eine Besetzungs-Übersicht, die zeigt, dass Frauen, Knaben und Männer gemeinsam im Chor der Singschule singen. Zwischen 1778 und 1781 tritt dieser Chor im Rahmen der Musikübenden Gesellschaft in regelmäßigen Konzerten auf. Bei der Neugrün-

69 Alfred Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte zu Leipzig vom 25. November 1781 bis 25. November 1881, Leipzig 1884, S. 25. 70 Siehe Kapitel 3.3: Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte. 71 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 44. 72 Vgl. ebd., S. 46. 73 Vgl. ebd., S. 59. 74 Friedrich Theodor Mann (Hrsg.), Musicalisches Taschen-Buch auf das Jahr 1805. Mit Music von Wilhelm Schneider. Zweiter Jahrgang, Penig 1805, S. 40. Chöre in Oper und Schauspiel dung der Leipziger Abonnementkonzerte als Gewandhauskonzerte werden allerdings nur männliche Chorsänger engagiert. Daran, dass der Gewandhauschor ein Männer- und Kna- benchor ist, ändert sich im Prinzip auch nichts während der Kapellmeisterzeit von Johann Gottfried Schicht, der hierfür Studenten und Thomaner heranzieht.

2.2 Chöre in Oper und Schauspiel

Weil die Vokalstücke im Großen Konzert und in den Gewandhauskonzerten in der Zeit vor der Gründung der Singakademie fast ausschließlich Opernauszüge sind, ist es interessant zu wissen, wie es um den Chorgesang im Leipziger Musiktheater bestellt ist, um die dort singenden Ensembles und deren Besetzung. Seit 1791 wird das Theater auf der Rannischen Bastei von der zwischen und 33 Leipzig pendelnden Operngesellschaft von Joseph Seconda bespielt.75 Freilich sind Sänge- rinnen in dieser Truppe vorhanden, aber hier handelt es sich um die Sängerinnen der Solo- partien. Die Chorsänger werden offenbar vor Ort angeheuert. So heißt es über den oben er- wähnten Schicht’schen Singechor für das Gewandhaus und die Neukirche im Musicalischen Taschen-Buch auf das Jahr 1805 weiter: »[…] auch stellt eine bestimmte Anzahl derselben [Chormitglieder] im Theater die Chöre hinter den Coulissen vor.«76 Es sind also in etwa die gleichen – männlichen – Sänger, die für den Chorgesang im Gewandhaus und in der Oper zuständig sind. Andererseits scheint auch diese Regel Ausnahmen zu kennen. Das lässt sich aus Berich- ten über eine Aufführung schließen, die wohlgemerkt ein Schauspiel betrifft, keine Oper, und die im Herbst 1802 stattfindet, also im Gründungsjahr der ersten Leipziger Singakademie: die Leipziger Inszenierung des Dramas Die Hussiten vor Naumburg im Jahr 1432 von August von Kotzebue durch die Theatergesellschaft von Franz Seconda, den Bruder Joseph Secondas.77 Der Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung ist zu entnehmen, dass das Stück mit einer Ouvertüre beginnt und im weiteren Verlauf mit acht Chören von verschiedenen Kompo- nisten durchsetzt ist: Ouvertüre und Chor der Schnitter von Bernhard Anselm Weber, erster

75 Vgl. Corinna Kirschstein, »Joseph (Josef) Seconda«, in: Sächsische Biografie, , 21.6.2012. 76 Mann (Hrsg.), Musicalisches Taschen-Buch auf das Jahr 1805, S. 41. Damit korrespondiert der Eintrag für das Jahr 1794 in Grensers Chronik: »In dieser Zeit wurden die Chöre zu den italienischen sowohl als deutschen Opern, hinter den Coulissen von Studenten gesungen […]. Ziemlich dasselbe Chor sang auch in den Gewandhauskonzerten […].« (Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 59.) Erst für die im Herbst 1806 gastierende Fürstlich-Dessauische Hoftheater-Gesellschaft ist bekannt, dass dort die Chöre nicht mehr hinter, sondern auf der Bühne gesungen werden: »Vorzüglichen Effekt machen die Ensembles und die Chöre, die stark besetzt sind und allezeit auf dem Theater selbst gesungen werden.« (AmZ 9 (1807), Sp. 219.) 77 AmZ 5 (1803), Sp. 19–22. Vgl. auch Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 78. Zu Franz Seconda siehe Corinna Kirschstein, »Franz Seconda«, in: Sächsische Biografie, , 19.12.2012. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Chor der Bürger und Bürgerinnen von Johann Philipp Christian Schulz, zweiter Chor der Bürger und Bürgerinnen von Franz Danzi, Marsch und erster Chor der Hussiten von Ignaz­ Walter, zweiter Chor der Hussiten von Johann Friedrich Kranz, dritter Chor der Hussiten von Joseph Schuster und Schlusschor der Bürgerinnen und Bürger von Georg Joseph (Abt) Vogler. Bis hierhin könnte man spekulieren, ob die »Bürgerinnen« vielleicht von Knaben oder falsettierenden Männern gesungen werden. Ganz deutlich wird der Rezensent aber bei dem Chor, der bei der Aufführung an vorletzter Stelle steht und von Johann Friedrich Reichardt komponiert wurde: »Im siebenden [sic] Chor (Chor der Frauen) war der Musiker dadurch be- schränkt, dass er nur für Frauenstimmen schreiben durfte.«78 Weitere Berichte über Frauen- stimmen im Leipziger Theaterchor finden sich allerdings in dieser Zeit nicht. Um so bedeutender ist die folgende Mitteilung, die aus der Zeit stammt, als in Leipzig der Wechsel vom Gastspieltheater zum ständigen Stadttheater stattfindet. Im Jahr 1817 er- öffnet das Singakademie-Mitglied Carl [Karl] Theodor Küstner79 im renovierten Gebäude 34 auf der Rannischen Bastei das Theater der Stadt Leipzig. Hierzu heißt es bei Grenser: »Hr. Hofrath Küstner ist der erste in Leipzig, der ein regelmäßiges Theatersinge-Chor von 12 Frauenzimmern u. 12 Herren annimmt.«80 Küstner selbst schreibt in seinem 1830 erschie- nenen Rückblick auf das Leipziger Stadttheater sogar von anfangs »20 Choristen und Choris- tinnen«.81 Im selben Buch bekräftigt er, dass neben der Anstellung von Solisten und dem Einsatz des Orchesters, das sich größtenteils aus dem Gewandhausorchester rekrutierte, ein »früher nicht dagewesenes Chor- und Tanzpersonale«82 hinzukam. Der Theaterchor unter Küstners Intendanz ist fest engagiert, ganz im Gegensatz zu dem vorher dort singenden Ensemble, von dem es geheißen hatte, dass »kein festes Band, keine eigentliche Direction, die freywillig Gesammelten zu einem Chore vereinigt«.83 Es gibt demnach von 1817 an einen ständigen gemischten Chor am Leipziger Stadttheater. Wie sehr zu diesem Schritt die Er- fahrungen Küstners sowie seines Musikdirektors Friedrich Schneider in der Singakademie beigetragen haben, muss der Spekulation überlassen bleiben. Jedenfalls sind die Ohren des Leipziger Publikums bis zu diesem Zeitpunkt durchaus Männer- bzw. Knabenchorgesang

78 AmZ 5 (1803), Sp. 22. 79 Vgl. hierzu Küstners Biografie im Mitgliederlexikon im Anhang sowie weiter unten das Kapitel 4.2.2: Prominente Mitglieder. 80 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 127. 81 Karl Theodor Küstner, Rückblick auf das Leipziger Stadttheater. Ein Beitrag zur Geschichte des Leipziger Theaters, nebst allgemeinen Bemerkungen über die Bühnenleitung in artistischer, wie finanzieller Hinsicht, Leipzig 1830, S. 27. 82 Ebd., S. 30. Übrigens gibt Küstner, aus der Perspektive des Jahres 1830 schreibend und auf seine Direk- tionszeit in Leipzig zurückblickend, auch die Kosten des Chores an: »Dies Conzert [gemeint sind die Abonnementkonzerte im Gewandhaus], sowie die Kirchen, haben ein Chor zusammen, das im Theater nicht singen darf, sonach muß das Letztere ein eigenes halten, ein Gegenstand von 3000 Thalern und drüber; in Wien, Prag und vielen andern Städten dagegen singen die Kirchensänger mit im Theater […].« (Ebd., S. 348.) 83 Mann (Hrsg.), Musicalisches Taschen-Buch auf das Jahr 1805, S. 41. Organisation im Verein als Novum in der Oper gewohnt, so dass sie sich auch über diese Art der Besetzung auf der Bühne des Großen Konzerts bzw. Gewandhauses nicht gewundert haben werden.

2.3 Organisation im Verein als Novum

Gab es also öffentlichen gemischten Chorgesang in Leipzig, bevor die Singakademie ent- stand? Die Antwort muss nach den hier vorgestellten Quellen lauten: Ja, aber nur in Aus- nahmefällen. Außer der erwähnten Inszenierung von Kotzebues Hussiten im Jahr 1802 mit Frauen- und gemischten Chören sind bis 1817 keine Berichte von weiblichen Chorstimmen im Theater bekannt. Im Leipziger Konzertbetrieb gibt es gemischten Chorgesang nur für eine kurze Zeit und auf Initiative eines einzelnen Mannes, als die Konzertdirektion die Fortführung des Großen Konzerts aufgeben muss und Hiller mit seiner Singschule und 35 Musikübenden Gesellschaft für drei Jahre diesen Platz einnimmt. Abgesehen von diesen Ausnahmen ist das Leipziger Publikum zumindest im Chorklang noch immer Knaben oder falsettierende Männer gewohnt, auch wenn die Hürden für den Einsatz von Frauenstim- men im Chor durch Johann Adam Hillers vielfältigen Einsatz niedriger geworden sind – niedrig genug für die Gründer der Leipziger Singakademie, diesen Schritt zu wagen. Als weiteres Kriterium des ›ersten gemischten Laienchors‹ wurde die Frage genannt, ob es sich bei den vor der Singakademie vorhandenen Gesangsensembles um Laienchöre gehandelt hat. Wie die bisherige Schilderung schon gezeigt hat, ist die Unterscheidung zwi- schen professionellem und laienhaftem Chorgesang im betrachteten Zeitraum nur sehr be- grenzt sinnvoll. Von berufsmäßigen Chorsängern zu sprechen, dafür ist die Professionali- sierung und Spezialisierung des Musikbetriebs im ausgehenden 18. Jahrhundert noch nicht weit genug fortschritten. Im heutigen Sinne professionelle Chorsänger, also berufsmäßig ausgebildete und/oder von dieser Tätigkeit als Chorsänger lebende Personen gibt es damals schlichtweg nicht. Die Fürsten- und Landesschulen in Meißen, Pforta und Grimma sowie die Leipziger Thomasschule entlassen im Chorgesang gut ausgebildete junge Männer,84 aber der Gesangsunterricht nach der Schule, außerhalb der Schulchöre, ist noch kaum in- stitutionalisiert. Hillers Singschule zeigt für Leipzig die ersten vorsichtigen Anfänge einer schulmäßigen Gesangsausbildung für beide Geschlechter und außerhalb des Thomaner- chors. In Hillers Ausbildung gibt es keine Spezialisierung, etwa in Richtung Bühnen- oder Chorgesang. Es gehören vielmehr beide Aspekte zu einer umfassenden Gesangsausbildung und müssen – bei Hiller in der zweiten und dritten Klasse – von jeder und jedem durch- laufen werden. Mit seiner Trennung in Dilettanten und Nicht-Dilettanten meint Hiller wohl eher die Ziele seiner Schülerinnen: Die einen studieren Gesang zum Vergnügen, die ande- ren möchten Konzertsängerinnen werden.

84 Vgl. Stefan Altner, »Die Thomana und die Universität Leipzig. Über die Anfänge einer seit 600 Jahren verknüpften Geschichte«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 155–171, hier S. 166. Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung

Ums Geldverdienen geht es bei den Konzerten der Singschüler zusammen mit der Musikübenden Gesellschaft ebenfalls nicht, im Gegenteil: Schüler, Musiker und Zuhörer zahlen alle einen Beitrag, um die Schule zu finanzieren. Die 1781 angestellten Sänger am Gewandhaus werden zwar entlohnt, können aber mit Sicherheit davon nicht ihren Lebens- unterhalt bestreiten. Man sieht: Die gängigen Kriterien dafür, wer ein Profi und wer ein Laie ist, lassen sich auf den Sachverhalt nicht anwenden. Auch bei der Singakademie wird sich zeigen, dass es zu verallgemeinernd wäre, von einem Laienchor zu sprechen. Die meisten Mitglieder haben einen Beruf, der nichts mit Musik zu tun hat, oder sind Hausfrauen oder Studenten. Dennoch arbeiten einige unter ihnen im Brotberuf tatsächlich als Orchestermu- siker, Konzertsängerin oder Organist. Insofern wird hier dafür plädiert, die Unterscheidung Laie/Profi im Chorgesang im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht überzubewerten. Die Bezeichnung ›Laienchor‹ ist zu unscharf, um Konstellationen wie die des Chors von Hillers Singschule oder die der Leipziger Singakademie zu beschreiben. 36 Das bis hierhin Gesagte zusammenfassend lässt sich festhalten, dass vor der Gründung der Leipziger Singakademie gemischter Chorgesang in Leipzig zwar nicht unbekannt ist, aber eine Ausnahme darstellt, und dass die Bezeichnung ›Laienchor‹ im Zeitkontext eigent- lich nicht angemessen ist. Insofern ist die Rede von der Leipziger Singakademie als ›erstem gemischten Laienchor‹ Leipzigs zu präzisieren. Es gibt Merkmale, die die Singakademie von ihren Vorläufer-Ensembles wesentlich unterscheiden und die für eine Charakterisie- rung besser geeignet sind. Diese liegen in der Organisationsstruktur: Die älteren Chöre der Gewandhaus-Musikdirektoren werden von diesen selbst für die Choraufführungen im Gewandhaus engagiert. Die Organisation wird allein von den Chorleitern verantwortet und offenbar entscheiden Hiller und Schicht auch selbst, wer in den Chor eintreten darf. Glei- ches gilt für Hillers Singschule und Musikübende Gesellschaft. Der Spiritus Rector, der in sich die organisatorische, pädagogische und musikalische Leitung vereinigt, ist allein Jo- hann Adam Hiller. Die Singakademien hingegen sind in hohem Maße von den Mitgliedern selbst organisiert. Die Chorleiter dort beeinflussen zwar das Repertoire, haben jedoch das Prozedere der Mitgliedsaufnahme in der Regel nicht in der Hand. Sie sorgen nicht selbst für das Eintreiben der Mitgliedsbeiträge und für das Anmieten von Proberäumen, sondern diese Aufgaben liegen in der Verantwortung anderer Mitglieder. Auch verstehen sich die Singakademien nicht als Haus-Chöre des Gewandhauses oder eines anderen Orchesters, sondern als eigenständige Korporationen mit eigenen Statuten und einem unabhängigen Leitungsgremium.85 Bei den Singakademien handelt es sich, im Gegensatz zu den Vor- läufern, um unabhängige Vereine im modernen Sinne. Bei den besprochenen Chören von Johann Adam Hiller und Johann Gottfried Schicht sind diese Vereinsstrukturen, abgesehen von einem Mitgliedsbeitrag in der Singschule und Musikübenden Gesellschaft, noch nicht

85 Dass dieses Leitungsgremium in der Anfangszeit durch personelle Überschneidungen dennoch relativ eng mit dem Gewandhausdirektorium verbunden ist, steht auf einem anderen Blatt. Siehe hierzu Ka- pitel 4.4.7: Professionelle Musiker, Musiker im Gewandhaus und Mitglieder der Gewandhaus-Konzert- direktion. Organisation im Verein als Novum vorhanden oder zumindest nicht nachweisbar. Insofern ist die Formulierung von der Leip- ziger Singakademie als ›erstem gemischten Laienchor‹ zwar nicht falsch, aber sie vermag nicht, das eigentlich Neue an der Singakademie zu charakterisieren. Treffender wäre es, darauf hinzuweisen, dass die Singakademie Leipzigs erster Musik- verein im modernen Sinne ist: Die Singakademie ist der ›erste (gemischte) Chorverein‹ der Stadt. Das Attribut ›gemischt‹ ist dabei nicht unbedingt nötig, denn der älteste nicht-ge- mischte Gesangverein in diesem Sinne, die Leipziger Liedertafel, gründet sich als Männer- chor erst 1815. Die Bezeichnung der Leipziger Singakademie in der hier vorgeschlagenen Weise ist übrigens keine Neuheit. Schon 1884 nennen die Leipziger Neuesten Nachrichten die Singakademie »Leipzigs älteste[n] Chor-Gesangverein«.86 Der Umstand, dass auch die genannten Vorläuferorganisationen in der Literatur mitunter als ›Singvereine‹ bezeichnet werden,87 tut dieser Einschätzung keinen Abbruch. Vielmehr handelt es sich hier durchweg um Formulierungen später schreibender Autoren, die ihre Vorstellung vom Gesangverein 37 auf die Hiller’schen und Schicht’schen Chöre zurückprojizieren. Den Zeitgenossen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wäre es nicht eingefallen, die genannten Gruppen als Vereine zu bezeichnen.

86 LNN vom 19.11.1884, zit. nach Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 84. 87 So etwa bei Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 33, mit Bezug auf den Chor der Singschule und bei Langner, Der Gewandhauschor, S. 16, mit Bezug auf Schichts Singechor am Gewandhaus. 3 Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Am Anfang des 19. Jahrhunderts sind in Leipzig die Bedingungen dafür gegeben, in der Or- ganisation des Chorwesens neue Wege zu gehen. Nicht mehr allein von dem Enthusiasmus einzelner Musikdirektoren soll es abhängen, dass der Chorgesang gepflegt wird, sondern die Sängerinnen und Sänger selbst nehmen das Heft in die Hand. Sie organisieren sich, sie suchen sich ›ihren‹ Dirigenten, sie übernehmen später auch die Planung großer Konzert- ereignisse. Der Beginn des modernen Musikvereinswesens ist damit markiert, er liegt für Leipzig im Jahr 1802. 38 Neben den anderen Chorvereinigungen, die als lokale Vorläufer der Singakademie gelten können, lässt sich eine weitere Gruppe von Voraussetzungen unter dem Stichwort ›Nachfrage‹ subsumieren: Es gibt nicht wenige Frauen und Männer, die sich dafür inter- essieren, sich in wöchentlichen Treffen im Gesang zu üben, die die einschlägige Literatur kennenlernen wollen, die das Gemeinschaftserlebnis im Gesang schätzen – und die auch bereit sind, dafür zu zahlen.88 Um Leipzigs ersten Chorverein zu errichten, brauchte es dar- über hinaus noch zweierlei: Einerseits einen anderen Verein als Vorbild, als Inspiration und als Beispiel, das sich auf Leipzig übertragen ließ, andererseits einen fähigen Organisator, der die Gelegenheit erkannte und bereit war, viel Zeit und Energie in die Umsetzung der Idee zu investieren, dass es in Leipzig einen großen gemischten Chorverein geben soll. Das Vorbild war die Sing-Akademie zu Berlin, der Organisator hieß Jacob Bernhard Limburger.

3.1 Das Engagement Jacob Bernhard Limburgers. Ein biografischer Abriss

Jacob Bernhard Limburger (1770–1847) ist bei der Gründung der ersten Leipziger Singaka- demie im Jahr 1802 bereits vielseitig in Leipzig anerkannt und vernetzt:89 Als Kaufmann hat er ein gutes Auskommen in der väterlichen der Seiden- und Garngroßhandlung, die 1805 dann in seinen Besitz übergeht. Er ist verheiratet, hat eine dreijährige Tochter, ist Mitglied in zwei der drei Leipziger Freimaurerlogen und gehört seit 1799 der Konzertdirektion des Gewandhauses an. Damit zeichnet sich schon eine Position ab, die er im weiteren Leben

88 Zur Motivation der Sängerinnen und Sänger, durch die diese Nachfrage erst entsteht, siehe Kapitel 4.5: Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens« – Zur Definition von Bürger- lichkeit im musikalischen Kontext. 89 Die Angaben in diesem Abschnitt beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf den Eintrag zu Jacob Bernhard Limburger im Anhang 12.3 (Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821) und stammen aus den dort verwendeten Quellen. Das Engagement Jacob Bernhard Limburgers. Ein biografischer Abriss noch stärker ausbauen wird: Er kombiniert Geschäftssinn mit kulturellem und karitativem Engagement und gelangt dabei an die Schaltstellen des politischen Lebens in Leipzig. Im Jahr 1808 steigt er zum Stadtrat und einige Zeit später zum Baumeister auf, das heißt, er ge- hört zu den Verantwortlichen, »denen die Aufsicht über die städtischen Liegenschaften und ihre Einnahmen und Ausgaben oblag«.90 Für lange Jahre (1814 bis 1831) ist er Vorsteher des Georgenhauses, eines städtischen Waisen- und Armenhauses, das die Vorgängerinstitution des heutigen Klinikums St. Georg ist. Zeit seines Lebens setzt sich Limburger auf verschiedenen Wegen für die Musikpflege ein. In der Konzertdirektion, der er fast ein halbes Jahrhundert lang angehört, übernimmt er den Posten des Kassierers. Er erarbeitet sich den Ruf, besonders gut mit auswärtigen Künst- lern verhandeln zu können: »Von je her war sein Augenmerk darauf gerichtet, tüchtige, be- deutende Künstler nach Leipzig zu ziehen, sei es, um sie bleibend daselbst zu fesseln, oder ihre vorübergehende Erscheinung dem Publikum zum Genuss und zur Anregung vorzu- 39 führen.«91 Er tritt nicht nur als Stifter der Leipziger Singakademie in Erscheinung, sondern ist ebenfalls 1815 für die Gründung der (älteren) Leipziger Liedertafel verantwortlich. Damit darf man ihn getrost als Gründungsvater sowohl des ersten gemischten Chorvereins – der Singakademie – als auch des ersten Männergesangvereins Leipzigs – der Liedertafel – be- zeichnen. Als 1838 eine zweite Liedertafel (die jüngere genannt) gegründet wird, nimmt man ihn dort als Ehrenmitglied auf. In den 1830er Jahren ist der über Sechzigjährige in so gut wie allen Kreisen vertreten, die für das Leipziger Musikleben wichtig sind: Im engeren Sinne sind das das Gewandhaus und die Gesangvereine (neben den bisher genannten ist Limburger ebenfalls Mitglied im gemischten Chor Orpheus, gegründet 1829, und in meh- reren Männergesangvereinen),92 im weiteren Sinne müssen aber auch der Rat der Stadt, die geselligen und wohltätigen Vereine und die Freimaurerlogen dazu gezählt werden, als Zirkel, in denen es zwar nicht primär um Musik geht, wo aber Kontakte geknüpft und Pläne geschmiedet werden. Dieser Komplex an Institutionen sei am Beispiel Limburgers schon einmal angerissen: Er tritt 1808 der Gesellschaft Harmonie bei, deren Mitgründer sein Vater war. Dort treten im gleichen Jahr auch der Schriftsteller und Redakteur Siegfried August Mahlmann (dessen Mutter bereits Singakademie-Mitglied war und auf dessen Text die Singakademie später ein Lied singen wird) sowie der Weingroßhändler Johann Gottfried Erckel ein, dessen Töchter, Nichten und Neffen später Singakademie-Sängerinnen und -Sänger werden bzw. teilweise damals schon sind.93 Im Jahr 1820 tritt Limburger als Ehrenmitglied der Loge Minerva bei und ist damit nun in allen drei Leipziger Logen vertreten. Zu Limburgers Logenbrüdern bei der Loge Minerva zählen der Musikverleger Carl Friedrich Kistner und der Mediziner

90 Bernd Leibbrandt, »Und nebenbei Gewandhausdirektor [Friedrich Ludolph Hansen]«, in: Gewand- haus-Magazin (Sommer 2011), S. 48–49, hier S. 49. 91 Nekrolog, in: AmZ 49 (1847), Sp. 261–264, hier Sp. 262. 92 Vgl. ebd., Sp. 263. 93 Vgl. hierzu Kapitel 4.2.1: Familienbande, insbesondere Abbildung 3, S. 80. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Carl Friedrich Gustav Klug. Zwei von Kistners Schwestern nehmen im gleichen Jahr und im Jahr darauf an Limburgers Privatakademien teil, Klug ist von der ersten Gründung der Schicht’schen Singakademie 1802 bis zur letzten von Limburgers Privatakademien 1821 (und vermutlich darüber hinaus) als Tenorsänger aktiv, zusammen mit seiner Ehefrau gehört er auch der Schulz’schen Singakademie an. Schließlich wird Jacob Bernhard Limburger im Jahr 1822 noch Mitglied der Gesellschaft Die Vertrauten, wo er die Gelegenheit hat, unter anderem die Kaufmänner Carl Heinrich Platzmann, Jean Henri Lacarriere und Christian Gottlob Frege III zu treffen. Diese drei kennen sich ebenfalls aus der Gesellschaft Harmonie und ihre Angehörigen – Platzmanns Sohn, Lacarrieres Tochter, Freges Ehefrau – singen in verschiedenen Zweigen der Singakademie. Solche Mehrfachmitgliedschaften und perso- nellen Querverbindungen sind typisch für die Assoziationen des frühen 19. Jahrhunderts. Limburgers Beziehungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft Leipzigs sind aber inso- fern ein Sonderfall, als er zu den wenigen Personen gehört, die nicht nur in zwei oder drei, 40 sondern in so gut wie allen bedeutenden Vereinen, Gesellschaften und Logen verkehren. Auch seine familiären Beziehungen begünstigen Jacob Bernhard Limburgers Erfolg. Seine Ehefrau Julie ist eine Tochter des Bankiers Johann Heinrich Küstner, der ebenfalls in der Gewandhaus-Konzertdirektion aktiv war, als Freimaurer der Loge Minerva ange- hörte und – wie Limburgers Vater – zu den Mitgründern der Gesellschaft Harmonie zählt. Der Mann, der vor Jacob Bernhard Limburger als Kassierer am Gewandhaus wirkte, der 1819 jung verstorbene Bankierssohn und Stadthauptmann Carl Schultze-Küstner, war ein Schwager von Limburgers Ehefrau. Und Carl Küstner, der Gründungsdirektor des Leipziger Stadttheaters im Jahr 1817, ist Limburgers Schwager. Mit dieser Überschneidung von verschiedenen gesellschaftlichen und familiären Krei- sen ist Jacob Bernhard Limburger das Paradebeispiel des reichen Stadtbürgers, der seine Zeit, sein Geld und seinen Einfluss für die Kultur verwendet. Es gibt nur ein für das Musik- wesen Leipzigs bedeutendes Gebiet, zu dem er keine direkten Kontakte pflegt: die Univer- sität. Aber immerhin ist er durch die Singakademie persönlich bekannt mit drei Leipziger Universitätsmusikdirektoren (Johann Gottfried Schicht, Johann Philipp Christian Schulz und Christian August Pohlenz) und einer ganzen Reihe von Professoren und Dozenten an der Universität. Das Knüpfen und Pflegen von Beziehungen, das Limburger überall be- treibt, kann nur indirekt bewiesen werden durch die Erfolge seiner Unternehmungen und durch die Anerkennung, die ihm dafür von den Zeitgenossen zuteil wird: Am Vorabend sei- ner goldenen Hochzeit (29. Januar 1845) veranstaltet die Konzertdirektion ein nichtöffent- liches, auf das Jubelpaar zugeschnittenes Extrakonzert mit der Unterstützung beider Lieder- tafeln.94 Zum selben Anlass stiftet die Gesellschaft Die Vertrauten dem Paar eine prunkvolle silberne Sammelbüchse.95 Jacob Bernhard Limburger richtet testamentarisch eine Stiftung

94 Vgl. Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 134–135. 95 Vgl. Herbert Helbig, Die Vertrauten. 1680–1980. Eine Vereinigung Leipziger Kaufleute. Beiträge zur Sozial- fürsorge und zum bürgerlichen Gemeinsinn einer kaufmännischen Führungsschicht, Stuttgart 1980, S. 172, und ebd., Abb. 13. Das Vorbild Sing-Akademie zu Berlin ein, die alle drei Jahre eine Aufführung von Mozarts Requiem im Gewandhaus ermöglichen soll, gesungen vom Thomanerchor und dirigiert vom jeweiligen . Das erste dieser Konzerte findet am 14. Mai 1847 statt.96 Auch die Singakademie beteiligt sich daran und veranstaltet darüber hinaus eine eigene Gedächtnisfeier für Limburger.97 Bei alledem steht Limburger im Ruf eines Mannes von großer Bescheidenheit und ist anscheinend ein hervorragender Kommunikator, wie es in einem Nachruf zu lesen ist: »Wo Menschen seiner bedurften, […] da fand er seinen Beruf, nicht eilfertig gebend, sondern sorgsam prüfend, leutselig sich unterhaltend, nach allen Seiten hin emsig forschend und endlich still und unerkannt helfend.«98 Musikalisch ist er durchaus begabt, er verfügt über eine schöne Bass- stimme, die er einige Male sogar als Solist in öffentlichen Konzerten hören lässt, so zum Beispiel am 30. März 1806 in Johann Gottfried Schichts Oratorium Das Ende des Gerechten99 und am 20. April 1814 in Haydns Schöpfung100. Im kleineren Kreis gibt er gerne Buffopartien aus verschiedenen Opern zum Besten. Vincenzo Righini widmet Limburger eine Szene mit 41 Arie101 und Limburger soll auch selbst einige Lieder komponiert haben.102 Alles in allem ist es wohl nicht übertrieben, wenn die Konzertdirektion im Nachruf auf ihn schreibt: »So war der Verewigte in vieler Hinsicht ein Mittelpunkt für das Musikwesen Leipzigs und hat sich um dasselbe unvergessliche Verdienste erworben.«103

3.2 Das Vorbild Sing-Akademie zu Berlin

In den von ihm verfassten Annalen – einer wichtigen Quelle, die später noch ausführlich besprochen wird – benennt Jacob Bernhard Limburger das unmittelbare Vorbild für die Leipziger Singakademie: Die Idee zur Gründung der Singakademie entsteht, so schreibt er, nachdem er »im Frühjahr 1802 […] ein paar Wochen in Berlin gewesen war und die dortige Fasch-Zeltersche Singacademie in ihrer Vortreflichkeit [sic] gehört hatte«.104 Was ist das für ein Verein, der Limburger so nachhaltig beeindruckt, und in welchem Zustand befindet er sich bei dessen Besuch? Die ›Sing-Akademie zu Berlin‹, so der offizielle Name, wird etwa elf Jahre vor der Leip- ziger Singakademie gegründet, nämlich am 24. Mai 1791.105 Gründer ist der königlich preu-

96 Vgl. AmZ 49 (1847), Sp. 365. 97 Vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 128. 98 Zit. nach Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 231. 99 Vgl. ebd., S. 45. 100 Vgl. Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 118. 101 »Sia luminoso il fine« und »Serberò fra ceppi ancora questa fronte«, offenbar aus dem Metastasio-Li- bretto zu Temistocle, vgl. Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 45. 102 Vgl. ebd., S. 231. 103 AmZ 49 (1847), Sp. 148. 104 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 1v–2. 105 Vgl. hier und im Folgenden die Chronik bei Gottfried Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin. »Ein Kunstverein für die heilige Musik«, Berlin 1991, S. 222–227. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

ßische Hof-Cembalist Carl Friedrich Fasch, der den Chor auch bis 1800 leitet. Zur Zeit von Limburgers Besuch in Berlin steht sie unter der Leitung von Carl Friedrich Zelter, der dem Verein von 1800 bis 1832 als Musikdirektor dient. Die Sing-Akademie zu Berlin ist aus dem Bestreben heraus entstanden, die städtische, vor allem die kirchliche Vokalmusikpflege zu verbessern. Das entscheidende Manko der bis dahin in Berlin tonangebenden Schulchöre ist deren unbefriedigende Leistung. Es handelt sich um reine Knabenchöre, das heißt, für die tiefen Stimmen können zwar auch erfahrenere Sänger herangezogen werden, Sopran und Alt jedoch müssen – wie auch im Leipziger Thomanerchor, im Großen Konzert und in der Anfangszeit der Gewandhauskonzerte – von Knaben vor dem Stimmbruch übernom- men werden. So ist in den hohen Stimmen die Fluktuation besonders groß. Kaum sind die Jungen ausgebildet, können sie in den Oberstimmen nicht mehr mitsingen. Die Forderung von Faschs Schüler Johann Friedrich Rellstab ist daher so naheliegend wie revolutionär: »Zwölf solcher Frauenzimmer[,] die Stimme und mäßiges Talent haben, von ihrem 10ten 42 Jahr im Clavier, und vom 14ten im Singen ein halb Jahr unterrichtet, und wir haben Alt und Discant für immer […].«106 Obwohl offenbar ein Bedarf an einem öffentlich auftretenden ge- mischten Chor besteht, muss Gottfried Eberle in seinem Buch zum 200-jährigen Bestehen der Sing-Akademie zu Berlin feststellen: »Er [der Chor] singt zunächst primär für sich – und zu wohltätigen Zwecken.«107 Diesem Muster, dass der neu gegründete Chor erst einmal überhaupt nicht auftritt und dass seine ersten Konzerte Benefizkonzerte sind, folgt später auch die Leipziger Singakademie. Selbstverständlich hat auch die Sing-Akademie zu Berlin ihre Vorläufer. Schon aus den 1720er Jahren wird davon berichtet, dass der Domorganist Gottlieb Hayne Schülerinnen und Schüler der Domschule sowie erwachsene Musikliebhaber um sich versammelt habe, sein Nachfolger Philipp Sack gründet 1749 eine Musikübende Gesellschaft, in der seine Schüler die Chorpartien singen – diese Idee wird von Johann Adam Hiller später für Leipzig übernommen. Verschiedene Initiativen folgen, teils auf große öffentliche Konzerte ausge- richtet, teils in privatem Rahmen. Eine davon ist in den Jahren 1787/88 das ›Konzert für Kenner und Liebhaber‹ des bereits erwähnten Verlegers Johann Friedrich Rellstab. Dessen Sohn, der Dichter Ludwig Rellstab, formuliert mit Bezug auf dieses Unternehmen seines Vaters eine Kunstanschauung, die auch in die ersten Jahrzehnten der Leipziger Singaka- demie immer wieder implizit und explizit auftauchen wird: »Die Werke der gediegensten Meister kamen zur Aufführung, und nicht um die Menge gedankenlos zu unterhalten, son- dern um den von Ehrfurcht vor dem Heiligthum der Kunst Erfüllten zur Belehrung, Erwär- mung, Erbauung zu dienen.«108

106 Johann Carl Friedrich Rellstab, Ueber die Bemerkungen eines Reisenden die Berlinischen Kirchenmusiken, Concerte, Oper, und Königliche Kammermusik betreffend, Berlin [1789], S. 40. Zitiert auch bei Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 12, dort allerdings mit Abweichungen gegenüber dem Original. 107 Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 12. 108 Ludwig Rellstab, Aus meinem Leben, Bd. 1, Berlin 1861, S. 6. Zitiert auch bei Eberle, 200 Jahre Sing-Aka- demie zu Berlin, S. 18, dort allerdings mit Abweichungen gegenüber dem Original. Das Vorbild Sing-Akademie zu Berlin

Am 24. Mai 1791 finden sich in einer Berliner Privatwohnung 22 Sängerinnen und Sän- ger zu einer von da an regelmäßig stattfindenden ›Singe-Übung‹ zusammen. Es handelt sich um Schüler Faschs zusammen mit einigen professionellen Vokalisten – auch der Sing- Akademie zu Berlin wird man also mit dem Begriff ›Laienchor‹ nicht gerecht. 1793 ist der Chor bereits auf 41 Mitglieder angewachsen und sucht einen neuen Probenraum. Dieser findet sich im Saal der Königlichen Akademie der Künste und verschafft dem Chorverein seinen bis heute bestehenden Namen.109 Freilich versinnbildlicht der Begriff ›Akademie‹ (der letztlich auf die 385 v. Chr. von Platon gegründete Akademie zurückgeht) auch den aufklärerischen, bildungsbetonten Grundgedanken der Musikpflege in dieser Zeit. In der Folge verbreitet sich der Name und die Idee der ›Sing-Akademie‹ im gesamten deutsch- sprachigen Raum. Die erste Vereinigung, die sich nach der Berliner diesen Namen gibt, ist die Leipziger Singakademie. Die Sing-Akademie zu Berlin erarbeitet in den ersten Jahren Werke von Fasch, Reichardt 43 und (ab 1794) Johann Sebastian Bach, tritt aber zunächst sehr selten an die Öffentlichkeit, die Anlässe sind meist Gedenktage und Feierlichkeiten des Berliner Hofes. Im Laufe des ersten Jahrzehnts wird das Repertoire um Händel (Judas Makkabäus), Graun (Der Tod Jesu) und Johann Abraham Peter Schulz ergänzt, um nur einige zu nennen. Um 1800 ist der Chor bereits auf etwa 100 Sängerinnen und Sänger angewachsen,110 um 1804 sollen es schon um 200 gewesen sein. Limburger hört bei seinem Besuch 1802 gewiss einen Chor von beein- druckender Größe, wie es ihn in Leipzig bis dahin nie gegeben hat. Zu diesem Zeitpunkt ist die Sing-Akademie zu Berlin nach bescheidenen Anfängen bereits bestens organisiert: Es bestehen neben den dienstäglichen Hauptproben sogenannte ›Vorübungen‹ für die weniger erfahrenen Sängerinnen und Sänger; ein elaboriertes Verfahren regelt, wer unter welchen Bedingungen Mitglied werden kann (Empfehlung durch ein Mitglied und Abstimmung durch den Vorstand sind die Voraussetzungen);111 Zelter, der die Leitung seit 1800 innehat, gibt zusätzlichen Einzel- und Gruppenunterricht und vermittelt durch umfangreiche Reden vor der Akademie seine Kunstanschauung und seine pädagogischen Prinzipien.112 Aufführungen der Sing-Akademie zu Berlin aus dem Frühjahr 1802 sind nicht bekannt, Limburger wohnt demnach bei seinem Besuch (mindestens) einer Probe bei. Nach diesen Eindrücken kommt es also im Frühjahr 1802 dazu, dass sich in Leipzig 17 Damen und Herren zusammentun, »welche unter der Leitung des Herrn Musikdirektor nachmaligen Cantor an der Thomasschule Johann Gottfried Schicht, Gesangübungen nach Art der Berli-

109 Vgl. Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 28–29. 110 Vgl. ebd., S. 35. 111 Jedoch ist dieses Verfahren nicht schriftlich niedergelegt, die erste gedruckte ›Verfassung‹ der Sing- Akademie zu Berlin stammt aus dem Jahr 1816, vgl. den Nachdruck in Werner Bollert (Hrsg.), Sing- Akademie zu Berlin. Festschrift zum 175jährigen Bestehen, Berlin 1966, S. 61–68. Der Zweck des Vereins ist dort in Paragraf 1 angegeben: »Die Sing-Akademie ist ein Kunstverein für die heilige und ernste Musik, besonders für die Musik im gebundnen Styl, und ihr Zweck: practische Uebung an den Werken derselben, zur Erbauung der Mitglieder, daher sie nur selten und nie anders, als unter der Leitung ihres Directors öffentlich auftritt.« (Ebd., S. 65.) 112 Vgl. Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 43–44. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

ner Academie doch in sehr verkleinertem Maasstabe [sic] hielten«.113 Dieses Anfangsdatum 1802 ist allseits bekannt und unumstritten, ganz im Gegensatz zu den darauf folgenden verschiedenen Neu- und Parallelgründungen von Singakademien in Leipzig.

3.3 Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte

»Als ich im April vor zwei Jahren die Aufgabe übernahm, die Geschichte der L. S.-A. [Leip- ziger Singakademie] niederzulegen, fand ich, wie ich auch schon verschiedene Male er- wähnen musste, ein recht lückenhaftes, unvollständiges Actenmaterial vor.«114 So beginnt Paul Langers Nachwort zur 1902 erscheinenden Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum der Leipziger Singakademie. Die ihm damals vorliegenden Rechnungen, Vorstandsakten, Kas- senbücher und Korrespondenzen setzen im Jahr 1814 ein, also ganze 12 Jahre nach dem 44 von Langer mitgeteiltem Gründungsjahr. Sein Buch ist die Hauptreferenz für alle, die sich später mit der Leipziger Singakademie beschäftigen. In besagtem Nachwort wird, neben der Last der lückenhaften Quellen, auch die Lust deutlich, die Langer das Erforschen der Gründungszeit bereitet hat – und er schreibt die Lorbeeren einem anderen zu:

Es ist das Verdienst des Herrn Hofkapellmeister Dr. Paul Klengel (früheren Di- rigenten der S.-A.), zuerst derjenige gewesen zu sein, welcher das Jahr 1802 als Gründungsjahr angab. In einem Briefe, am 23. Mai 1897 schrieb Herr Dr. Klengel an den damaligen Vorsitzenden, Herrn Alphons Weber: ›Es ist mir gestern gelun- gen, in einer alten handschriftlichen Musikgeschichte der Stadt Leipzig das Ge- burtsjahr der S.-A. herauszufinden. Es ist 1802 im Frühjahr. Der Gründer war der Bekannte Musikdirector, Cantor und Componist Schicht.‹115

Beim besagten Manuskript, das sich zu Langers Zeit in der Sammlung des Vereins für die Geschichte Leipzigs befindet,116 handelt es sich um Carl Augustin Grensers Geschichte der Musik hauptsächlich aber des großen Conzert- u. Theater-Orchesters in Leipzig. Langer dankt in seinem Nachwort ausdrücklich für die Gelegenheit, »die alte, werthvolle Handschrift von Grenser […] eingehend nachzulesen«.117 Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf das Doku- ment zu werfen, das offenbar für die ersten Jahre als HauptquelleLangers dient, um danach zu sehen, wie Langer mit den durchaus nicht unproblematischen Notizen Grensers umge- gangen ist.

113 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2. 114 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 127. 115 Ebd. 116 Vgl. ebd., S. 5. Heute befindet es sich in der Bibliothek des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, vgl. Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 2. 117 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 128. Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte

Die mittlerweile für die Jahre 1750 bis 1838 im Druck erschienene Chronik Grensers, herausgegeben von Otto Werner Förster, ist in der Tat voller interessanter Hinweise in Be- zug auf die Singakademie und überhaupt auf den Chorgesang in Leipzig. Man muss dazu aber wissen, dass Grenser selbst über die entscheidenden Jahre nur aus zweiter Hand be- richtet. 1802, im Gründungsjahr der Singakademie, hat er zwar seine ersten öffentlichen Auftritte als Flötist bereits absolviert, hält sich aber noch bei seinem Vater in Dresden auf. Grenser, der im Ruf eines Flöten-Wunderkinds steht, ist damals gerade acht Jahre alt. Erst 1814 kommt er als erster Flötist ans Leipziger Gewandhausorchester. Grenser tritt im Sep- tember 1816 der Schulz’schen Singakademie bei. An das Verfassen seiner Chronik macht er sich erst im Jahr 1840, so steht es auf der Titelseite des Manuskripts. Folglich kann er nur für die Zeit ab 1814 aus eigener Erinnerung berichten und muss sich für die Jahre da- vor auf Zeitzeugenberichte und Dokumente verlassen. Erwiesenermaßen kennt Grenser eine Reihe von Gründungsmitgliedern der ersten Singakademie persönlich, zum Beispiel 45 Wilhelm Seyfferth, Bankier und Direktoriumsmitglied des Gewandhauses, Betty Kunze, geb. Tischbein, die Frau des Kramers und nebenberuflichen Geigers im Orchester Wilhelm Friedrich Kunze, sowie natürlich den omnipräsenten Jacob Bernhard Limburger – alle sind ebenfalls, wie Grenser, Mitglieder der Schulz’schen Singakademie. Als Grenser zu schrei- ben beginnt, 1840, lebt Seyfferth nicht mehr, von Betty Kunze sind keine Lebensdaten be- kannt, aber Limburger lebt noch und hält sich in Leipzig auf. Es hätte also Gelegenheit gegeben, ihn persönlich zu befragen. Allerdings stellt sich bereits vor dem Abgleich mit den Originalquellen heraus, dass Grensers Angaben zur Singakademie nicht durchweg verlässlich sind. Schon die Wider- sprüche innerhalb des Manuskripts selbst sind enorm. Allenfalls die Hälfte der von Grenser zusammengestellten Informationen kann als richtig gelten, die andere Hälfte behauptet entweder das glatte Gegenteil zu anderen Stellen in Grensers Manuskript oder weicht in nicht unwichtigen Details ab. Es kommt auch vor, dass dasselbe Ereignis doppelt in ver- schiedenen Jahren der Chronik auftaucht oder mehrmals im gleichen Jahr erwähnt wird. Da Grensers Manuskript ganz offensichtlich eher den Charakter einer Materialsammlung hat – Förster glaubt sogar an die Existenz einer ausformulierten Fassung »die entweder beim Bombenangriff 1943 mit verbrannte – oder bis heute in einem Nachlaß liegt«118 –, lässt sich vermuten, dass Grenser durchaus bewusst widersprüchliche Informationen pro- tokolliert, um später zu prüfen, welche sich als richtig erweist. Außerdem liegt, wie es der Titel der Schrift bereits sagt, sein Hauptaugenmerk auf dem Gewandhausorchester. Die Singakademie-Gründungen laufen eher unter den weiteren musikalischen Ereignissen, die Grenser in großer Zahl protokolliert, offenbar zunächst ohne sich um irgendeine Art von Validierung zu bemühen. Was genau berichtet nun Grenser? Zum ersten Mal taucht das Wort ›Singakademie‹ schon für das Jahr 1771 auf, nämlich als Bezeichnung für die Singschule Johann Adam

118 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 3. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Hillers.119 Bekanntermaßen entsteht der Begriff ›Singakademie‹ erst 1793, als die Berliner Akademie der Künste zum Namensgeber der Sing-Akademie zu Berlin wird. An dieser ahis- torischen Verwendung der Bezeichnung ›Singakademie‹ zeigt sich: Grenser projiziert die Begriffe und Ideen seiner Gegenwart zurück ins 18. Jahrhundert. Der nun tatsächlich die erste Singakademie-Gründung unter Johann Gottfried Schicht meinende Passus, auf den sich Langer und spätere Autoren beziehen, lautet für das Jahr 1802 lapidar: »Schicht errichtet eine Singakademie im Frühjahre.«120 Irritierenderweise heißt es im Jahr darauf gleich noch einmal: »Schicht errichtet eine Singakademie.«121 Be- sonders interessant wird es im Jahr 1804, wo unmissverständlich steht, was in Langers Chronik (ob aus Unwissenheit oder Prestigegründen) keinen Platz hat: »Die Schichtsche Singakademie löst sich aus Mangel an Theilnahme wieder auf.«122 Einige Jahre später, 1809, kommt ein neuer Name ins Spiel, nämlich der Organist an der reformierten Kir- che Wilhelm Friedrich Riem. Er »dirigirt die Singakademie auf dem kleinen Gewand- 46 haussaal«.123 Dirigiert er dieselbe Singakademie, die sich fünf Jahre zuvor aufgelöst hat, oder eine andere? Mit dem Jahr 1810 tritt schließlich der dritte Akteur der Singakademie- Gründungen auf, der neue Gewandhauskapellmeister Johann Philipp Christian Schulz: »zu Michaeli, Schulz wird Musikdirektor im Conzert an Schichts Stelle, u. Direktor der Singakademie.«124 Wieder fragt man sich: Direktor welcher Singakademie eigentlich? Völ- lig unübersichtlich wird die Lage schließlich im Jahr 1811, wo Grenser schreibt: »Riem errichtet, neben der Schichtischen [sic], auch eine Singakademie.«125 Und, im selben Jahr, noch einmal etwas konkreter: »Riem, der Organist, errichtet zu Ende des Jahrs eine Sing- akademie, (die Schichtsche war (Kunstblatt v. Wendt) schon 1804 eingegangen.) aus seinen Schülerinnen u. Freunden, die sich bald durch einige gelungene Aufführungen erweiterte u. fester begründete.«126 Das erstgenannte Zitat geht davon aus, dass die Schicht’sche Sing- akademie noch – oder wieder – besteht, das zweite betont noch einmal, dass es sie nicht mehr gibt. Außerdem sollen Riem und Schulz 1809 und 1810 eine Singakademie dirigiert haben, wo doch die eine 1804 sich auflöste und die andere erst Ende 1811 gegründet wurde? Weiter geht es, nicht weniger widersprüchlich:

119 Ebd., S. 25. Vgl. Andreas Mitschke, »Musikausbildung in Leipzig vor der Gründung des Konservato- riums am Beispiel Johann Adam Hillers«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anläss- lich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 191–196, hier S. 193. Siehe auch Kapitel 2.1: Das Große Konzert, Hillers Singschule, die Musikübende Gesellschaft und das Gewandhaus vor 1802. 120 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 81. 121 Ebd., S. 82. 122 Ebd., S. 85. 123 Ebd., S. 97. 124 Ebd., S. 100. 125 Ebd., S. 104. 126 Ebd., S. 106. Das »Kunstblatt v. Wendt« ist das von herausgegebene Leipziger Kunstblatt für gebildete Kunstfreunde. Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte

1812: »Anacker bezieht die Universität um Theologie zu studiren, er tritt noch in diesem Jahre in den Pseudosingverein Riems ein.«127 1812: »Fr. Schneider hat die Schichtische Singakademie übernommen.«128 1812: »begann eine neue Singanstalt unter Schichts Leitung in seiner Wohnung auf der Thomasschule, welche nachher der Musikdir. Schneider übernahm.«129 1812: »Die beyden Singinstitute des Hrn. Mskdir. Schicht, u. des Hrn. Riem für geübte Di- lettanten beider Geschlechter, haben ihren guten Fortgang.«130 1812: »Konz. […] d. 28. Nov. im Saale des Gewandh. wobey das gesammte Conzertorchester Personal, wozu auch eine Auswahl der Sänger der Thomasschule zu rechnen, die bey­ den Singinstitute Schichts u. Riems, die Schülerinnen u. Schüler des Hrn. Mskdir. Schulz u. andre Liebhaber beyder Geschlechter zusammen wirkten.«131 1813: »Riem geht von Leipzig nach Bremen; er übergiebt seine Singakademie an Schulz, und seine Klavierschüler an Annacker [sic].«132 47 1814: »Dienst. d. 9. Aug. 1814 war der Schluß der Riemschen Singakademie.«133 1814: »Hr. Riem, Komponist u. Klaviervirtuos in Leipzig, der auch seit mehrern Jahren ein sehr nützliches Institut zur Bildung junger Sänger u. Sängerinnen gestiftet hatte[,] ging gegen Michaeli als Musikdir. nach Bremen.«134 1815: »Als Ihre Majestäten der König u. die Königin von Sachsen, den 13. Nov. die Sing- akademie zu Leipzig mit Ihrer Gegenwart beehrten, wurde von der Akademie das Sachsenlied, gedichtet v. M. gesungen.«135 1816: »beyde Singakademien bestehen gut.«136 1817: »Fr. Schneider übergiebt seine Singakademie an Schulz, die dieser mit der seinigen vereinigt.«137 1817: »d. 11. May Sontags, wurde in der Thomaskirche, zum Besten der hiesigen Armen, Händels Messias nach Mozarts Bearbeitung, mit einem stark besetzten Orchester gegeben. Mad. Neumann-Sessi sang die Sopran Soloparthie; die andern Parthien, u. Chöre, wurden von den Mitgliedern der beiden vereinigten Sing-Academien u. dem Thomanerchor ausgeführt.«138

127 Ebd., S. 109. Gemeint ist August Ferdinand Anacker. Er immatrikuliert sich nicht 1812, sondern 1814 (vgl. Personeneintrag in Anhang 12.3: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821). 128 Ebd., S. 109. 129 Ebd., S. 110. 130 Ebd. Nochmals in fast identischer Formulierung ebd., S. 113. 131 Ebd., S. 110. 132 Ebd., S. 117. 133 Ebd., S. 118. 134 Ebd., S. 120. 135 Ebd., S. 123. Der Dichter des Sachsenliedes ist Siegfried August Mahlmann, seine Mutter war Mitglied der Ersten Schicht’schen Singakademie. Siehe Eintrag »Mahlmann, Auguste Wilhelmine« in Anhang 12.3: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821. 136 Ebd., S. 125. 137 Ebd., S. 131. 138 Ebd. Anna Maria Neumann-Sessi (1790/93–1864) ist 1817 sowohl am Gewandhaus als auch am Theater als Sängerin engagiert, vgl. Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 49–50. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Von da an ist nur noch von e i n e r Singakademie unter der Leitung von Schulz die Rede. Wie man sieht, ergeben die Informationen, die Grenser zusammenstellt, keine konsistente Geschichte. Trotz aller Ungereimtheiten sind die Kernpunkte der Frühphase der Leipziger Singakademien in Grensers Geschichte der Musik in Leipzig alle enthalten: –– Gründung im Jahr 1802 (oder 1803?) durch Schicht, –– Auflösung im Jahr 1804, –– Gründung einer weiteren (oder zweier weiterer?) Singakademie(n) durch Riem und des- sen Weggang nach Bremen, –– erneute Gründung einer Singakademie durch Schicht im Jahr 1812 und Übernahme die- ses Vereins durch Friedrich Schneider, –– schließlich Gründung oder Übernahme einer Singakademie durch Schulz, der letzten Endes alle Zweige der Singakademien in seiner Hand vereinigt. 48 Wie löst Paul Langer als Chronist und Festschriftautor die Aufgabe, aus diesen verwirrenden Daten eine Geschichte der Frühzeit der Singakademie zu erzählen? Kurz gesagt, er wählt aus und lässt weg. Wenn ihm zwei widersprüchliche Informationen vorliegen, entscheidet er sich für die ehrenvollere Variante, das heißt für das frühere von zwei Gründungsdaten, für den Fortbestand und gegen die Auflösung. Man muss Langer zu Gute halten, dass er auch andere Quellen heranzieht, zeitgenössische Almanache und Zeitungen, nur schwei- gen diese leider über die Modalitäten von Gründung, Übergabe der musikalischen Leitung oder Auflösung. Die Entwicklung, dieLanger in seiner Beschreibung der Gründungsjahre konstruiert, lässt sich folgendermaßen darstellen:139

Tabelle 1: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie nach Paul Langer

Schicht’sche Singakademie Riem’sche Singakademie Zweite Riem’sche Singakademie Frühjahr 1802: Gründung durch Schicht und Limburger Ende 1805: Gründung durch Riem Michaeli 1810: Übernahme durch Schulz 1811: Gründung durch Riem Sommer 1814: Auflösung 1816: Übernahme durch Friedrich Schneider 1817: Übernahme durch Schulz 1817: Vereinigung beider Vereine unter Schulz

139 Die Übersicht basiert auf Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 5–8. Die bisherigen Versionen der Gründungsgeschichte

Im Gegensatz zu den gesammelten Notizen Grensers haben die Leser nun eine konsistente Geschichte vor sich, allerdings um den Preis, dass Langer folgende Informationen Grensers verschweigt oder verändert: Die Auflösung der Schicht’schen Singakademie 1804 und ihre Neugründung 1812; die Tatsache, dass Grenser für 1812 von zwei Singakademien spricht, einer Schicht’schen und einer Riem’schen (laut Langers Variante müssten es drei sein); das Datum der Übernahme der Schicht’schen Singakademie durch Friedrich Schneider (laut Grenser 1812, laut Langer 1816). Außerdem macht Langer den Fehler, die für 1811 von Gren- ser protokollierte Gründung einer Singakademie durch Riem zu duplizieren und dieses Duplikat ins Jahr 1805 zu verlegen.140 Nichtsdestoweniger ist seine Version der Gründungs- geschichte sehr einflussreich, beziehen sich doch Publikationen zur Musikgeschichte Leip- zigs bis heute immer wieder auf Langers Festschrift von 1902. Zweifellos ist Langers Werk trotzdem äußerst wertvoll, vor allem weil er große Abschnitte aus Akten direkt wiedergibt, die heute nicht mehr aufzufinden sind. Aber es ist nötig, die von ihm fehlerhaft geschilderte 49 Gründungsgeschichte zu berichtigen. Zuvor sollen noch zwei jüngere Annäherungen an die Geschichte der Leipziger Singakademie diskutiert werden. Der erste Text ist ein Beispiel für das Fortwirken der von Langer überlieferten Daten. Ähnlich wie Langer – und durchaus zu Recht – spricht Jörg Clemen von einer schwierigen Suche im »diffuse[n] Licht der Anfänge«,141 als er im Jahr 2002 an das zweihundertjährige Gründungsjubiläum der Leipziger Singakademie erinnert. Er stützt sich in seinem Artikel im Gewandhaus-Magazin »abgesehen von einigen spärlichen Dokumenten und Pressenoti- zen«142 vor allem auf Langers Chronik. Unter anderem erzählt er die Gründungsgeschichte genau so nach, wie sie von Langer überliefert ist. Clemen betont dabei selbst, dass viele Fragen hinsichtlich der verschiedenen Akademien offen bleiben:

Wer […] hielt ihre Mitglieder auseinander? […] Aber aus welchen Kreisen stammten die Mitglieder? Vermutlich aus sozial bessergestellten, denn der anfängliche Mit- gliedsbeitrag von zwölf Talern war für damalige Verhältnisse ziemlich hoch. Um so gespenstischer wirkt es, wenn kein einziger Mitgliedsname überliefert ist […].143

Es sind zum Glück doch sehr viele Mitgliedsnamen überliefert, die meisten davon übri- gens in einer Quelle, die Clemen selbst erwähnt,144 so dass in der vorliegenden Arbeit diese

140 Langer schreibt mit Bezug auf die Seitenzählung des Manuskripts: »So steht aufgezeichnet auf Seite 135a, dass Riem, der Organist, zu Ende des Jahres 1805 eine S.-A. errichtet.« (Ebd., S. 5.) Besagte Seite 135a enthält aber die Aufzeichnungen zum Jahr 1811, vgl. Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 105. (Die Seitenzahlen des Manuskripts sind in der Edition am Rand vermerkt.) Wie Langer auf das Jahr 1805 kommt, bleibt unklar. 141 Clemen, »Die ersten ›Gemischten‹«, S. 49. 142 Ebd. 143 Ebd., S. 50–51. 144 Clemen bemerkt nämlich, dass »sich die im Stadtarchiv befindlichen Archivalien auf Statuten von 1814 beziehen« (Ebd., S. 49), womit nur die Akte D-LEsa, SingA gemeint sein kann, die Material zur Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Fragen detailliert beantwortet werden können. Die Vermutung von den bessergestellten Kreisen, aus denen die Singakademien ihre Mitglieder rekrutieren, lässt sich weitgehend belegen. Der zweite unter den jüngeren Texten, die von der Gründungsgeschichte der Leipziger Singakademie berichten, liefert dagegen eine andere Sicht der Dinge. Zwar beginnt auch Annegret Rosenmüller den kurzen Passus über die Geschichte der Singakademie in ihrem Artikel »Naumann und Leipzig – eine Spurensuche« mit dem mittlerweile bekannten Leit- motiv: »Die Geschichte der Leipziger Singakademie stellt sich für den heutigen Betrachter als verworren und nur schwer überschaubar dar.«145 Was dann allerdings folgt ist – umso verblüffender, als es in dem Text nur am Rande um die Singakademie geht – die bisher einzige Darstellung der Gründungsgeschichte, die sich nach Prüfung aller Quellen als fast vollkommen richtig erweist:146 50 Tabelle 2: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie nach Annegret Rosenmüller

Schicht’sche Singakademie Riem’sche Singakademie [Vorgeschichte: 1786 Gründung eines Singechors durch Schicht] 1802: Gründung der Singakademie durch Schicht 1804: Auflösung 1805: Gründung durch Riem 1812: erneute Gründung durch Schicht 1814: Übernahme durch Schulz 1816: Übernahme durch Friedrich Schneider 1817: Vereinigung beider Singakademien unter Schulz

Rosenmüller kommt ohne das Postulat einer dritten Singakademie aus, sie nimmt die Auf- lösung und Neugründung der Schicht’schen Singakademie zur Kenntnis und sie verlegt die Übernahme der Riem’schen Singakademie durch Schulz ins Jahr 1814. Ohne es explizit zu sagen, weicht sie damit von der seit Langer überlieferten Version ab. Sie entscheidet sich mit guten Gründen dafür, einer anderen, Quelle zu folgen, nämlich Jacob Bernhard Lim- burgers Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig.

Schulz’schen Singakademie enthält. Das dortige Mitgliederverzeichnis gehört zu den Hauptquellen der in Kapitel 4 dieser Arbeit angestellten Untersuchungen zur Mitgliederstruktur der Singakademien. 145 Annegret Rosenmüller, »Naumann und Leipzig – eine Spurensuche. Quellen und Rezeption«, in: Johann Gottlieb Naumann und die europäische Musikkultur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Bericht über das Inter- nationale Symposium vom 8. bis 10. Juni 2001 im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele 2001, hrsg. von Ortrun Landmann u. Hans-Günter Ottenberg (Dresdner Beiträge zur Musikforschung 2), Hildesheim 2006, S. 365–400, hier S. 368. 146 Die Übersicht basiert auf Rosenmüller, »Naumann und Leipzig«, S. 368–369. Neue Quellen zur Gründungszeit

3.4 Neue Quellen zur Gründungszeit

Damit ist eine der beiden Hauptquellen genannt, die es erlauben, den tatsächlichen Ablauf der Gründungsphase der Leipziger Singakademie detailliert nachzuvollziehen. Auch diese Dokumente stammen nicht direkt aus der Gründungszeit, sondern wieder ist es das Jahr 1814 – das Jahr der frühesten Quellen, die Langer vorliegen, das Jahr in dem Grenser in Leipzig eintrifft –, hinter das man nicht zurückzukommen scheint. Allerdings weisen diese Quellen eine wesentlich höhere Glaubwürdigkeit auf als Grensers Berichte aus zweiter und dritter Hand. Sie ermöglichen es, den Gründungsprozess, die Motivationen der Mitglieder und sogar die genaue Zusammensetzung der Sängerschar zu rekonstruieren. Beide Quel- len sind keine Neuentdeckungen im eigentlichen Sinne, sie sind schon seit langem im Leipziger Stadtarchiv gut zugänglich und wurden mehrfach genutzt. Nur eine gründliche Auswertung stand bisher aus. 51 Beim ersten Dokument ist es vielleicht der etwas irreführende Titel, der eine einge- hende Rezeption bisher verhinderte. Das handschriftlich geführte Büchlein im graubraun marmorierten Einband, das im Bestand »Gewandhausdirektorium und Gewandhaus zu Leipzig« die Nummer 2 trägt, heißt Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig angefan- gen im Jahre 1814147 (siehe Abbildung 1). Es stammt direkt aus der Feder des Gründungsva- ters der Leipziger Singakademie, Jacob Bernhard Limburger. Der Band im Format 18,1 cm x 26,5 cm enthält insgesamt 68 Blätter, von denen aber abgesehen von Vorsatz- und Titelblatt, nur 27 beschrieben sind. Wie ein Vermerk auf dem Vorsatzblatt verrät, wurde das Büch- lein im Jahr 1900 dem Gewandhaus übergeben, und zwar durch »B. Limburger«.148 Ver- mutlich handelt es sich dabei um den Urenkel Jacob Bernhard Limburgers, Paul Bernhard Limburger d. J.149 Das Schriftstück beginnt mit einem allgemeinen Blick des Verfassers auf das musikalische Leipzig an der Wende zum 19. Jahrhundert und geht dann recht schnell zur Geschichte der Leipziger Singakademie über. Denn mit den im Titel angeführten ›gro- ßen Musikaufführungen‹ sind Aufführungen umfangreicher Chorwerke mit Orchester ge- meint, und diese stehen im Zentrum des Singakademie-Repertoires. Limburger beginnt sein Manuskript im Jahr 1814, das heißt, er beschreibt die Ereignisse zunächst im Rückblick, mit zwölf Jahren Abstand zur ursprünglichen Gründung, und geht dann nahezu unmerk- lich zu einer zeitnah geführten Chronik über, die bis ins Jahr 1821 reicht. Der Autor, der selbst in allen Zweigen der Singakademie mitsingt und organisatorisch beteiligt ist – in der Schulz’schen jedoch erst ab März 1818 –, nimmt verständlicherweise Partei für den Zweig, dessen Gründung er selbst mit veranlasst hat, nämlich die Schicht’sche Singakademie. Er

147 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2. 148 »Uebergeben 1900 durch B. Limburger« (Ebd., fol. I.) 149 *8.6.1861 in Dölitz, †13.11.1905. »Erst Teilhaber, dann Inhaber der von seinem Urgroßvater begründeten Großhandlung für Seidenwaren und Wolle, J. B. Limburger.« (Helbig, Die Vertrauten, S. 123.) Sowohl er als auch sein gleichnamiger Vater, Paul Bernhard Limburger d. Ä. (1826–1891), waren Mitglieder der Ge- sellschaft Die Vertrauten (vgl. ebd., S. 120, 123) und Mitglieder des Gewandhaus-Direktoriums (der Ältere von 1868 bis 1891, der Jüngere von 1898 bis 1905, vgl. ebd., S. 135). Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

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Abbildung 1: Titelblatt der von Jacob Bernhard Limburger verfassten Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. II) Neue Quellen zur Gründungszeit protokolliert penibel die Vorbereitungen zu den einzelnen Auftritten, beschreibt Ort, Zeit und Anlass der Konzerte, widmet sich sogar der Kritik an einzelnen Solisten und er tut etwas, was sich von großem Wert für die Nachwelt erweist: Er listet die Sängerinnen und Sänger zu mehreren Gelegenheiten namentlich auf. Die zweite wichtige Quelle zur Gründungszeit liegt ebenfalls im Stadtarchiv Leipzig und bildet einen eigenen Bestand »Singakademie zu Leipzig«, der nur aus einer einzigen Akte besteht. Das Dokument ist insofern ein Gegenstück zu Limburgers Annalen, als es sich nicht mit der Schicht’schen Singakademie beschäftigt, sondern von »Der/SING – ACADE- MIE/unter dem/Musikdirector Schulz«150 handelt, wie die Prägung in der golden eingefass- ten grünen Raute auf dem graugrün marmorierten Einband verrät. Die Akte hat das Format 24 cm x 37,2 cm und enthält 21 Blätter, wobei auf dem 11., 12. und dem 13. Blatt weitere Doku- mente von kleinerem Format eingeklebt sind. Die verschiedenen Bögen des Buches zeigen drei verschiedene Wasserzeichen des Hauses »Van der Ley«. Nach dem 13. Blatt wurden 53 drei Seiten herausgeschnitten, die darauffolgenden Blätter sind leer. Die verbliebene Akte besteht aus vier Teilen von verschiedenen Händen, nämlich: –– der Gründungssatzung der Schulz’schen Singakademie von 1814151 (fol. 1–5), –– einem von 1814 bis 1818 reichenden Mitgliederverzeichnis (fol. 5–10), –– einem Vertrag zwischen Schulz und der Singakademie vom 1. September 1823 (einge- klebt, Wasserzeichen »C. C. Geipel«, fol. 11–13) sowie –– einem, dem Vertrag zeitlich vorangehenden, ausführlichen Brief des Vorstandes an Schulz vom 22. April 1823 (eingeklebt, Wasserzeichen »Hecker«, fol. 14–18).

Bei der Satzung, dem Vertrag und dem Brief handelt es sich augenscheinlich um Abschrif- ten. In die mit 155 Einträgen sehr umfangreiche Mitgliederliste trugen sich hingegen die Sängerinnen und Sänger eigenhändig ein. So überliefert diese Tabelle eine Vielzahl Auto- grafe von Personen, die in Leipzigs Kultur und Gesellschaft führende Rollen spielten (siehe Abbildung 2). In Limburgers Annalen teilt der Autor wichtige Fakten zur Singakademie-Gründung mit, die hier en bloc zitiert und kommentiert seien: –– »Erst im Frühjahr 1802 […] suchte er [Limburger] mit Hülfe des russischen Consuls Herrn Hofrath Schwarz seinen Enthusiasmus für diese vortrefliche [sic] Anstalt [die Sing-Aka- demie zu Berlin] andern Gesangliebhabern mitzutheilen. Er fand eine Empfänglichkeit

150 D-LEsa, SingA, äußerer Einband, Vorderseite. Hervorhebungen im Original. 151 Liegt auch gedruckt vor als Statuten der Sing-Academie des Musikdirektor’s Schulz in Leipzig, Leipzig 1815. Das Exemplar in der Leipziger Universitätsbibliothek trägt den Besitzervermerk »Herr Gustav Kunze« (ebd., S. 1). Die Druckfassung weicht nur in unwesentlichen Details in Bezug auf Wortwahl, Interpunk- tion und Schreibweisen von der Handschrift ab. Im Unterschied zu dem Manuskript sind am Ende der Druckfassung die Namen der Unterzeichnenden aufgelistet: »Christian Schulz, Director. Dr. Karl Klug, Dr. Adolph Wendler, Vorsteher. Dr. August Clarus, Secretair. Wilhelm Kunze, Cassirer. Mariane Klug, geb. Richter. Julie Wendler, geb. Ernesti. Julie Clarus, geb. Träger. Betty Kunze, geb. Tischbein. Vorste- herinnen.« (Ebd. S. 16.) Zitiert wird im Folgenden nach dem Manuskript. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

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Abbildung 2: Ende der Gründungssatzung der Schulz’schen Singakademie von 1814 und Beginn der Mitgliederliste mit Unterschriften von August Ferdinand Anacker, Ernst Anschütz, Emilie Apel, Henriette Bärbalk und Emilie Bärbalk (D-LEsa, SingA, fol. 5) Neue Quellen zur Gründungszeit

dafür und es gelang ihm einen Verein von nachfolgenden Personen zu bilden, welche unter der Leitung des Herrn Musikdirektor nachmaligen Cantor an der Thomasschule Johann Gottfried Schicht, Gesangübungen nach Art der Berliner Academie doch in sehr verkleinertem Maasstabe [sic] hielten.«152 – Die Gründung im Frühjahr 1802 ist bestätigt, zu den bekannten Gründern Schicht und Limburger gesellt sich der russische Konsul Johannes Schwarz. –– »Zum Alt wurden einige Thomaner als Hülfe genommen, und die erste vollständige Ue- bung den 16 Juny 1802 gehalten.«153 – Wenn man, wie es bei Musikvereinen oft geschieht, die erste gemeinsame Probe als Gründungstag annehmen möchte, dann muss für die Singakademie Mittwoch, der 16. Juni 1802, als solcher gelten. –– »Die Uebungen wurden mit wenig Unterbrechung bis zum 3.n März 1804 im kleinen Saale des Gewandhauses fortgesetzt. Um diese Zeit schien der Eifer der Theilnehmer zu erkalten. Verschiedenheit der Ansichten zwischen Herr Hofr. Schwarz und Herrn Musik- 55 dir. Schicht, manche Anstöße wegen Zutheilung der Soloparthieen [sic] und dergleichen, lösten diesen Verein, der nun privatim von einigen der bisherigen Glieder im Hause des Herrn Commer.-rath Limburger, doch nur kurze Zeit, fortgesetzt wurde und endlich ganz erlosch. Die Freunde des Gesanges begnügten sich einige Jahre lang mit Uebungen in kleinen und engen Kreisen. In der Folge bildete sich durch den hiesigen Privatmusik- lehrer Herrn Riem ein neues Dillettanten [sic] Concert dessen Dauer aber nur auf einen Winter beschränkt blieb.«154 – Auch Limburger bestätigt die Auflösung der ersten Sing- akademie im Jahr 1804 (letzte Probe am Samstag, den 3. März). Sein Versuch, die Aka- demien im eigenen Haus weiterzuführen, verläuft im Sande. Riem gründet seinerseits einen kurzlebigen Singverein, aber Limburger lässt im Dunkel, wann das geschah. –– »Im Jahre 1812 hatte der ebengenannte wackre Musiklehrer Riem mit günstigem Erfolg einen Verein unter seinen Schülerinnen gebildet, um mit Zuziehung noch einiger Lieb- haber Chorgesangsübungen in seiner Wohnung zu halten […]. Das Gelingen dieser An- stalt machte nun bei dem Herrn Musikdirektor Schicht die Idee rege mit seinen Schola- ren ähnliche Uebungen zu unternehmen. Er theilte seinen Plan einigen Liebhabern mit und es entstand daraus ein zweiter Gesangverein, welcher in dessen Wohnung am 6. May 1812 die erste Uebung hielt.«155 – Im Jahr 1812 finden also zwei Neugründungen statt, erst die der Riem’schen, dann die der Schicht’schen Singakademie. Gründungstag der letzte- ren ist Mittwoch, der 6. Mai. –– »Die Singanstalt welche Herr Riem vor mehrern Jahren in dem Kreise seiner Schüler mit treflichem [sic] Erfolge gestiftet und wodurch er das Studium des Gesanges sehr gehoben und ausgebreitet hatte, löste sich durch seinen zu Michaelis 1814 erfolgten Abgang als Cantor und Musikdirektor nach Bremen, auf und Hr. M. D. Schulz, aufgefordert durch

152 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 1v–2. 153 Ebd., fol. 2v. 154 Ebd., fol. 3. 155 Ebd., fol. 3v. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

den Wunsch der Theilnehmer jener Anstalt, fand sich bewogen einen neuen unter seiner Leitung zu errichten. Er lud hierzu, außer den bisherigen Schülern des Herrn Riem, noch eine bedeutende Anzahl von Gesangliebhabern ein, und so bildete sich bald ein zweiter schöner Verein, welcher noch zahlreicher als der unter Hr. Schichts Leitung, stehende wurde, und dessen Eifer zu Vervollkommnung des Gesanges sich auf das Rühmlichste hervorthat.«156 – Die Übernahme der Riem’schen Singakademie durch Schulz findet also nicht 1810 (wie von Langer angegeben) oder 1813 (nach Grenser) statt, sondern erst zu Michaelis 1814, also um den 29. September. Dabei handelt es sich genau genommen um eine Auflösung und erweiterte Neugründung. –– Bei der Schilderung eines Auftritts am 19. März 1815 wird zum letzten Mal deutlich, dass eine der Singakademien von Schicht dirigiert wird,157 dann heißt es unvermittelt, ohne dass von einem Dirigentenwechsel die Rede war: »Da in den darauf folgenden Jahren [nach 1815] die Singacademie unter Hr. Musikdirector Schneider sich auflöste und zum 56 Theil sich mit der des Hr. Musikdirector Schulz verschmolz, so hat letzterer es übernom- men, die seit jener Zeit öfters vorgefallenen Gelegenheiten zu größern musikalischen Aufführungen aufzuzeichnen.«158 – Der sonst so penibel protokollierende Limburger wird hier unkonkret. Wann genau die Übergabe des Dirigats von Schicht zu Schneider er- folgte, und wann die Verschmelzung der beiden Akademien unter Schulz geschah, bleibt offen. Klar ist an dieser Stelle nur, dass beides nach März 1815 passiert sein muss. Die von Limburger erwähnten Aufzeichnungen der Auftritte der Schulz’schen Akademie schei- nen, falls sie je existiert haben, verschollen zu sein. Der Aufgabe, die weitere Geschichte zu protokollieren, nahm sich erst zum 100-jährigen Jubiläum Paul Langer wieder an. –– »Da man jedoch im Streben nach dem Besten nie müde werden muß, so hat der Schrei- ber dieses [Dokuments] geglaubt einen Versuch machen zu müssen, ob durch eine, von Zeit zu Zeit zu sich eingeladene Gesellschaft, der Zweck erreicht werden könnte die Meis- terwerke, besonders älterer Komponisten, in möglichster Vollkommenheit darzustellen. Seine geehrten Freunde, die Herren Rochlitz und Wendt haben der Idee Beifall gegeben und die Sache durch ihre Erfahrungen, Kentnisse [sic] und Theilnahme überhaupt, zu unterstüzzen [sic], versprochen, wozu sich auch Herr Fink bereitwillig gezeigt. Es wurden demnach zur ersten Versammlung am 22 October 1820 zu Limburger eingeladen:«159 – Wie schon nach der Auflösung der Ersten Schicht’schen Singakademie versucht Limbur- ger auch diesmal die Fortführung der Singübungen in kleinerer Runde bei sich daheim. Der Erfolg ist diesmal etwas größer, aber auch nicht nachhaltig: Weitere Versammlun- gen dieser Art – im Folgenden als ›Limburgers Privatakademien‹ bezeichnet – finden am 17.11.1820, am 25.12.1820 und am 4.3.1821 statt, dann hört diese Institution auf zu existieren.

156 Ebd., fol. 15–15v. 157 Die aufgezählten Mitglieder werden den beiden Singakademien durch die Kürzel »St« für Schicht und »Sz« für Schulz zugeordnet, vgl. ebd., fol. 19–21. 158 Ebd., fol. 23. 159 Ebd., fol. 23v–24. Neue Quellen zur Gründungszeit

Was Grenser, und nach ihm Langer, falsch wiedergegeben haben, wird durch diese Aussa- gen Limburgers berichtigt. Zwar steht in manchen Punkten Aussage gegen Aussage, doch die Tatsache, dass Limburger bei all diesen Versammlungen nicht nur anwesend, sondern ganz wesentlich an der Organisation beteiligt ist und Mitgliederlisten führt, spricht dafür, im Zweifel Limburger zu glauben und nicht dem wesentlich jüngeren Grenser. Offen ist nach dieser Lektüre noch 1. wann genau die kurzlebige Erste Riem’sche Singakademie gegründet wird (bisher ist nur klar, dass es irgendwann nach 1804 geschieht), 2. wann Friedrich Schneider die 1812 neugegründete Schicht’sche Singakademie über- nimmt und 3. wann diese mit der Schulz’schen verschmilzt (beides geschieht irgendwann nach dem März 1815). 57 Zur ersten Frage kann die zweite der vorgestellten Akten weiterhelfen, nämlich die Akte »Der/SING – ACADEMIE/unter dem/Musikdirector Schulz«. Die dort überlieferte Grün- dungssatzung der Schulz’schen Singakademie, die nach Riems Weggang aus Leipzig vor- nehmlich aus Mitgliedern von dessen, Riems, Singakademie gebildet wurde, platziert den neu entstehenden Gesangverein nämlich sehr selbstbewusst im Musikleben der Stadt. Das Dokument ist auf den 3. September 1814 datiert. Von Riem ist bekannt, dass er seine neue Stelle in Bremen zu Michaelis, also zum 29. September antritt. Man ist offenbar um einen reibungslosen Übergang von der Riem’schen zur Schulz’schen Singakademie bemüht, auch wenn es sich formal um die Auflösung des einen und die Neugründung des anderen Vereins handelt. Gleich in Paragraf 2 der Satzung heißt es unter der Überschrift »Erste Ge- sellschaft dieser Art in Leipzig. Stiftung der Gegenwärtigen«:

Herr Music Director Riem, jetzt Dom Organist in Bremen bildete – nachdem schon früher im Jahr 1805. unter der Aufsicht des Herrn Music Dir: Schicht eine ähn- liche Gesellschaft eine kurze Zeit lang bestanden hatte – im Jahr 1812. durch Ver- einigung seiner Schüler und Schülerinnen und einiger Musikfreunde, eine kleine Academie, die sich unter seiner Leitung im mehrstimmigen Gesange übte. Von dieser Gesellschaft wurde […] unter andern zuletzt, in Verbindung mit der später gestifteten, neueren Gesellschaft des Herrn Music Directors Schicht und mehre- ren anderen Dilettanten, die Schöpfung von Haydn in der Nicolai Kirche am [sic] April und May dieses Jahres [1814] zum Besten der durch die Schlacht bey Leipzig Verunglückten, aufgeführt. Mit Aufführung mehrerer größeren [sic] Stücke von seiner eigenen Composition, legte er am 9. August a. c. [1814] die Direction die- ser Academie feierlich nieder.160 – Da durch thätige Mitwirkung von seiner Seite

160 Zu dieser Aufführung liegt auch ein Blatt vor mit den Texten »zu den Chören, welche Dienstags den 9ten August beym Schluss der Riemschen Singakademie [handschriftlich ergänzt: in der Reformirten Kirche] aufgeführt werden« (D-LEsa, Gewhaus, D 445, fol. 97). Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

und durch freundschaftliche Uebereinkunft mit dem gegenwärtigen Director der Gesellschaft, der größte Theil der Mitglieder seiner Academie zu Fortsetzung des Unternehmens unter der Leitung des Letzteren sich vereinigte, und diese Fort- setzung noch während seiner Anwesenheit zu Stande kam; so wird die Riem’sche Academie mit Recht für immer als der Anfang und deren Mitglieder als der Stamm der gegenwärtigen betrachtet.161

Zwischen den Zeilen liest man hier die Konkurrenz zur vor kurzer Zeit (am 6. Mai 1812) neu gegründeten Schicht’schen Singakademie. Die Verfasser wollen festhalten, dass die eigene Gründung der des mittlerweile zum Thomaskantor avancierten Schicht zeitlich vorausging. Dabei ignorieren sie das frühere Bestehen der Ersten Schicht’schen Singakademie, die von 1802 bis 1804 existiert hat. Davon, dass sie nichts von dieser älteren Vereinigung wissen, darf man bei dem hohen Grad an personellen Überschneidungen und bei den mehrmals 58 vorkommenden gemeinsamen Konzerten mit der Zweiten Schicht’schen Singakademie nicht ausgehen. Problematisch ist die Formulierung, dass »im Jahr 1805. unter der Aufsicht des Herrn Music Dir: Schicht eine ähnliche Gesellschaft eine kurze Zeit lang bestanden hatte«. Was zunächst wie eine Erwähnung der Ersten Schicht’schen Singakademie mit fal- schem Datum anmutet, ist wohl eher als eine Referenz an die erste kurzlebige Singakade- mie-Gründung unter Riem zu lesen (die Limburger irgendwann nach 1804 verortet und die auch Langer und Rosenmüller für 1805 erwähnen, wenn auch bei den beiden letztge- nannten unklar ist, woher das Datum stammt). Wäre Schicht tatsächlich der Dirigent dieser Vereinigung im Jahr 1805 gewesen, hätte man wohl kaum die Formulierung »unter der Aufsicht« gewählt. Vielmehr scheint es, dass damit eine Art Patronats- oder Beraterfunktion Schichts gegenüber dem 26 Jahre jüngeren Riem gemeint ist. Schicht war zu diesem Zeit- punkt Gewandhauskapellmeister, Riem hatte einige Zeit Violoncello im Orchester gespielt. Riem versuchte, nachdem er sich als Pianist und Organist einen Namen gemacht hatte, nun auch als Chorleiter Fuß zu fassen – da lag es nahe, dass der wesentlich erfahrenere Schicht ihm beratend zur Seite stand, zumal seine eigene Singakademie sich ein Jahr zuvor aufgelöst hatte. Dass beide Männer später, 1812 bis 1814, zwei in Konkurrenz stehende Sing- akademien in Leipzig leiten sollten, war da noch nicht abzusehen. Zur zweiten der oben genannten offenen Fragen, die Übernahme der Zweiten Schicht’schen Singakademie durch Friedrich Schneider betreffend, existiert glücklicher- weise ein Bericht in der Allgemeinen musikalischen Zeitung:

Hr. Cantor und Musikd. Schicht in Leipzig hat die, unter seiner Leitung schön blühende Singakademie, da seine Jahre ihn nöthigen, sich so viel Ruhe zu bereiten als sein Amt ihm verstattet, unserm als Componist, Director, und Virtuos auf Pia- noforte und Orgel, so verdienten und hochgeachteten Hrn. Friedr. Schneider, mit

161 D-LEsa, SingA, fol. 1v–2. Neue Quellen zur Gründungszeit

Zustimmung der Mitglieder, zu fernerer Leitung überlassen. Die Auflösung jener Verbindung war für beyde Theile rührend, und so ehrenvoll, als die Verbindung selbst gewesen war.162

Diese kurze Meldung, die auch schon Langer zitiert, stammt aus der Ausgabe vom 12. Juni 1816 und verifiziert den Zeitpunkt der Übergabe von Schicht an Schneider in den ersten Monaten des Jahres 1816. Zur Klärung der dritten Frage, jener nach dem Zeitpunkt des Verschmelzens beider Akademien, liefert Bert Hagels in seinem Buch Konzerte in Leipzig 1779/80–1847/48 den entscheidenden Hinweis. Er weicht zwar in seiner kurzen Schilderung der Singakademie- Gründungsgeschichte in mehreren Punkten von der hier dargestellten Fassung ab,163 ver- weist jedoch zur Vereinigung beider Singakademien auf die Allgemeine musikalische Zeitung. Dort ist noch für das erste Quartal 1818 davon die Rede, dass »die beyden, hier bestehenden 59 Singanstalten, unter Leitung des Hrn. Musikd. Schneider und des Hrn. Musikdir. Schulz […] ihre wohlgeordneten, wöchentlichen Uebungen«164 fortsetzen. Diese Meldung ist verfasst von Friedrich Rochlitz, der mit mehreren führenden Singakademie-Mitgliedern persönlich bekannt ist, was einen Irrtum Rochlitz’ sehr unwahrscheinlich macht.165 Erst ab Oktober 1818 sei dann in der Allgemeinen musikalischen Zeitung erstmals von e i n e r Singakademie die Rede.166 Bei genauerer Suche lässt sich sogar ein noch früherer Beleg für die Nennung einer einzigen, ungeteilten Singakademie finden, nämlich in Bezug auf einen Auftritt im Rahmen des Gottesdienstes in der Paulinerkirche am 20. September 1818: »Bey der Feyer- lichkeit der Universität [zum Regierungsjubiläum des Königs] um die Mittagsstunden hatte sich, mit dem Orchester und andern Musikfreunden, die hiesige Singakademie (über 100 Herren, Frauen und Jungfrauen) vereinigt […].«167 Betrachtet man die Mitgliederliste der Schulz’schen Singakademie, die für die Zeit von 1814 bis 1818 vorliegt, findet man die These einer Verschmelzung im Jahr 1818 anhand des jährlichen Mitgliederzuwachses bestätigt: Im Jahr 1816 treten 19 Sängerinnen und Sänger bei, im Jahr 1817 sind es 11 und im Jahr 1818 steigt die Zahl der Neuzugänge sprunghaft auf 27. So lässt sich auch die letzte verbleibende Frage zur Gründungsphase der Singakademie mit großer Wahrscheinlichkeit als geklärt be- trachten. Alle Argumente zusammenfassend stellt sich der Ablauf der Singakademie-Grün- dungen nun folgendermaßen dar:

162 AmZ 18 (1816), Sp. 406. 163 Hagels setzt, dem Leipziger Kunstblatt für gebildete Kunstfreunde 1 (1818/1819), S. 102, folgend, die Gründung der Zweiten Riem’schen Singakademie schon Ende 1811 an, die Gründung der Zweiten Schicht’schen Singakademie hingegen mit Ende 1812 etwas zu spät, vgl. Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 80–82. 164 AmZ 20 (1818), Sp. 260. Hervorhebung im Original. Vgl. Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 82. 165 Rochlitz kennt zahlreiche führende Köpfe aus der Gewandhaus-Konzertdirektion, der er seit 1804 an- gehört; er ist ebenfalls an der Organisation des Singakademie-Konzerts am 18.10.1814 beteiligt (siehe Kapitel 4.4.7: Professionelle Musiker, Musiker im Gewandhaus und Mitglieder der Gewandhaus-Kon- zertdirektion). Außerdem singt die Nichte seiner Ehefrau (Ernestine Hansen) in der Singakademie. 166 Vgl. AmZ 20 (1818), Sp. 764, und Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 82. 167 AmZ 20 (1818), Sp. 680. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Tabelle 3: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie, revidiert nach Auswertung aller bekannten Quellen

Schicht’sche/Schneider’sche Singakademie Riem’sche/Schulz’sche Singakademie 16.6.1802 (erste Probe): Gründung durch Schicht, Limburger und Schwarz 3.3.1804 (letzte Probe): Auflösung 1805: Gründung durch Riem (mit Beratung durch Schicht?) Frühjahr 1806: Auflösung 1812 (vor dem 6. Mai): erneute Gründung durch Riem 6.5.1812 (erste Probe): erneute Gründung durch Schicht 60 9.8.1814 (letzter Auftritt unter Riem): Auflösung 3.9.1814 (Datum der Gründungssatzung): Übernahme bzw. Neugründung unter Schulz 1816 (vor dem 16. Juni): Übernahme durch Friedrich Schneider 1818 (zwischen April und September): Vereinigung beider Singakademien unter Schulz

3.5 Das geprobte, aber nicht aufgeführte Repertoire der Anfangszeit

Es mag aus heutiger Perspektive verwunderlich erscheinen, dass die ersten Singakademien zunächst gar keine öffentlichen Aufführungen im Sinn haben. Weder von der 1802 bis 1804 bestehenden Schicht’schen noch von der 1805 bis 1806 bestehenden Riem’schen Singaka- demie sind irgendwelche Auftritte überliefert. Dass die ersten beiden Gründungen reine Übungsvereine sind, liegt vermutlich an den immer noch bestehenden gesellschaftlichen Vorbehalten gegenüber öffentlich singend auftretenden Frauen.168 Andererseits finden die Teilnehmer offenbar schon in der Übung die Erfüllung ihrer musikalischen Ambitio- nen. So begründet auch Jacob Bernhard Limburger in seinen Annalen die Gründung der Schicht’schen Singakademie, ohne von Auftritten zu sprechen:

Die an Leipzigs Cultur und Wohlfart Theil Nehmenden wird es noch mehr freuen, die Bewohner dieser, an Zerstreuungen aller Art gewöhnten Stadt, sich der ernsten

168 Vgl. Kapitel 2: Zur Chorpraxis in Leipzig vor der Singakademie-Gründung. Das geprobte, aber nicht aufgeführte Repertoire der Anfangszeit

Uebung der Tonkunst mit einem Fleiße widmen zu sehen, welcher das, den Sachßen überhaupt mangelnde natürliche Talent dazu, vollkommen zu ersetzen fähig ist.169

Abgesehen von der süffisanten Bemerkung, dass die Leipziger mangelndes Gesangstalent durch um so größeren Fleiß wettmachen, steht eindeutig das gemeinsame Proben, stehen die »Gesangübungen nach Art der Berliner Academie doch in sehr verkleinertem Maassta- be«170 im Vordergrund. In der Satzung der Schulz’schen Singakademie von 1814 werden als »Ansicht und Zweck des Unternehmens« im Paragrafen 1 zwar viele hohe Ziele genannt,171 öffentliche Konzerte zählen aber nicht dazu. Auch wenn die Singakademien vor 1812 nicht öffentlich auftreten, stellt sich die Frage nach dem geübten Repertoire. Limburgers Manuskript schweigt über die Stücke, welche in der Ersten Schicht’schen Singakademie zwischen 1802 und 1804 geprobt werden, auch aus der Ersten Riem’schen Singakademie (1805/06) ist kein Repertoire bekannt. Zwar findet 61 sich im Musicalischen Taschen-Buch auf das Jahr 1805 unter der Überschrift »Extraconcerte fremder Künstler« folgende Passage, die bereits Langer zitiert:

Noch kann ich eine rühmliche musicalische Anstalt nicht unerwähnt lassen: die Singacademie, zu welcher sich zahlreiche Gesellschaft vornehmer und angesehe- ner Herren und Damen […], aus Liebe für den Gesang verbunden haben. Man hätte zum Director derselben keinen fähigern Mann als Hr. M. Schicht wählen können, unter dessen Aufsicht die zweckmäßigsten und besten Choräle, Motetten, Arien, Fugen und Opern gesungen werden.172

Jedoch informieren diese Sätze allenfalls darüber, dass bereits in der frühesten Übungen der Singakademie sowohl geistliche als auch weltliche Musik auf dem Programm steht. Die Satzung der Schulz’schen Singakademie legt sich, wie zitiert, auf den »ernsten Gesang« fest, womit, cum grano salis, Kirchenmusik gemeint ist. Aufschlussreicher in Bezug auf das in den Proben gesungene Repertoire ist ein Blick auf die von Paul Langer mitgeteilte »Erste Rechnung. 1817–1818«.173 Dort gibt es ein »Mu- sicalien-Conto«, das Noten enthält, die Johann Philipp Christian Schulz in das Eigentum der Singakademie übergibt. Hier liegt tatsächlich der Schwerpunkt auf Kirchenmusik. Es finden sich etwa Messen von Georg Joseph Vogler (1749–1814), Friedrich Heinrich Him- mel (1765–1814), Joseph und Michael Haydn; Te-Deum-Kompositionen von Niccolò Jomelli

169 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 1r. 170 Ebd., fol. 2r. 171 Siehe Tabelle 7, S. 141. 172 Mann (Hrsg.), Musicalisches Taschen-Buch auf das Jahr 1805, S. 71–72. Vgl. auch Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 5. Der Umstand, dass in dem 1805 erschienenen Bericht die Schicht’sche Singakademie als nach wie vor bestehend geschildert wird, obwohl sie sich schon 1804 aufgelöst hat, geht vermutlich auf den zeitlichen Abstand zwischen Niederschrift und Druck zurück. 173 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 9–12. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

(1714–1774), Joseph Elsner (1769–1854), (1699–1783) und Carl Hein- rich Graun (1704–1759); Hymnen von Elsner, Vogler und Giacomo Meyerbeer sowie Mo- tetten von Christian Gottlob Gründling (1755–1818) und Gottfried August Homilius (1714– 1785). Die sehr wenigen weltlichen Gesänge sind Joseph Haydns Chorlied Der Augenblick, Hob. XXVc:1, Andreas Rombergs (1767–1821) Kantate Die Harmonie der Sphären, op. 45 so- wie die beiden Chöre Die Gewissheit und Der Winter von Christian Gottlob August Bergt (1772–1837). Die Noten zu einem Großteil dieser Werke finden sich noch heute im Bestand »Leipziger Singakademie« in der Musikbibliothek der Leipziger Stadtbibliothek.174 Diese Aufzählung erlaubt vermutlich einen Einblick in das Repertoire, das in der Schulz’schen Singakademie zwischen 1814 und 1817 gesungen wird. Klar ersichtlich ist, dass hier mit den in der Satzung erwähnten »Werken älterer und neuerer Zeit« ein wesentlich schmaleres Spektrum gemeint ist, als heute von den Begriffen ›Alte‹ und ›Neue Musik‹ umfasst wird. Keine der Kompositionen ist zum Zeitpunkt der Übung älter als 100 Jahre, die Singakade- 62 mie widmet sich unter Schulz vor allem Werken der musikalischen Klassik, die zu dieser Zeit noch gar nicht weit entfernt ist. Eine Rezeption von Barockmusik hat kaum begonnen: Neben Hasse findet sich in der Aufstellung genau ein Werk von Johann Sebastian Bach, nämlich eine »Fuga«. In späteren Jahren, als die Singakademien bereits öffentlich auftreten, kommt es wei- terhin vor, dass Werke nur geübt, aber nicht öffentlich vorgetragen werden: Im April 1816 berichtet ein anonymer Referent (vermutlich Friedrich Rochlitz) in der Allgemeinen musika- lischen Zeitung über die vergangene Konzertsaison:

In die beyden Singakademien ist ein solcher Ernst, ein so einmüthiges Bestreben für das Edelste und Einfachste des Gesanges gekommen, dass sie sich jetzt fast allein an Hauptwerke religiöser Musik […] halten. Wie sehr eben auf diesem Wege die Mitglieder sich selbst, nicht nur in wahrer Sing-Kunst, sondern auch in Ein- sicht, Sinn und gründlicher Bildung für Musik überhaupt fördern, braucht so we- nig erwähnt zu werden, als dass eben solche Unterhaltungen mit Musik auch sonst von wahrhaft wohlthätigem Einfluss seyn müssen. Von neuen, im Publicum noch unbekannten und hier ausgeführten Werken kann Ref. nur die treffliche, meist achtstimmige Missa […] von Hrn. Friedrich Schneider […] nennen.175

Schneiders Messe wird aber nur in den Proben gesungen, ihre Erstaufführung erfolgt im Abonnementkonzert im Gewandhaus am 30. März 1817; die Chorpartie übernimmt dort der Thomanerchor.176

174 Siehe Anhang 12.6.5: Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm). 175 AmZ 18 (1816), Sp. 284. 176 Vgl. Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 63, und AmZ 19 (1817), Sp. 356. Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818

3.6 Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818

Erst aus dem Jahr 1812, als Riem und Schicht jeweils zum zweiten Mal die Gründung einer Singakademie versuchen, sind Auftritte dieser Gesangvereine überliefert. Bis Anfang 1818 sind sie bei folgenden Konzerten zu hören:177

Tabelle 4: Die ersten öffentlichen Auftritte der verschiedenen Zweige der Leipziger Singakademie von 1812 bis 1818 178

Datum Ort Anlass Mitwirkende Werke 1812 unbe- unbekannt Zweite Riem’sche : kannt Singakademie Requiem (Riem) 63 1812 GWH unbekannt Zweite Riem’sche Carl Heinrich Graun: Pas- Singakademie sionskantate Der Tod Jesu (Riem) 28.11.1812 GWH Extrakonzert: Zweite Riem’sche : Introduzione Gedächtnis­ und Zweite aus dem Oratorium Die sieben konzert für Schicht’sche letzten Worte unseres Erlösers den Dresdner Singakademie,178 am Kreuze Oberhofpredi- drei Thomaner, Bernhard Anselm Weber: ger ­Reinhard, GWH-Orch Trauerkantate Die Grabstätte zum Besten der (Schulz) Reinhards (Neutextierung von ­Reinhard’schen Webers Kantate auf Lessings Stiftung und Schillers Tod von Magister Dyck)

177 Es handelt sich bei der Tabelle um einen Ausschnitt aus der im Anhang 12.5 vorgelegten Konzertüber- sicht. Deren Entstehen und Inhalt wird genauer beschrieben in Kapitel 5.1: Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen; die verwendeten Abkürzungen sind aufgeschlüsselt in Anhang 12.1.4: Abkürzun- gen im Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Singakademie(n). Im Verlauf dieser Arbeit folgen noch weitere ähnliche Ausschnitte aus der Konzertübersicht; es gilt dabei immer, dass Quellenangaben zu den einzelnen Konzerten hier, im Haupttext, weggelassen werden, weil sie in der vollständigen Konzert- übersicht im Anhang einfach nachzuschlagen sind. 178 In einer Abschrift des Programmzettels in D-LEsa, Gewhaus, D 445, fol. 70, heißt es abweichend: »Die Solo und Chorgesänge fürhten [sic] die Mitglieder von drei Singe-Academien aus.« Dass es zu der ge- gebenen Zeit allem Anschein nach aber nur zwei Singakademien gegeben hat, wurde bereits dargelegt. Auch sprechen alle anderen Quellen zu diesem Konzert von zwei Singakademien. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Datum Ort Anlass Mitwirkende Werke 20.4.1814 Nikolai­- Zum Besten Zweite Riem’sche Joseph Haydn: Oratorium kirche des Männerver- und Zweite Die Schöpfung eins zur Unter­ Schicht’sche stützung von Singakademie, Leipzigs Um- GWH-Orch gebungen [d. h. verstärkt durch für die Opfer der zwölf Liebhaber Völkerschlacht] (Chorleitung Riem, Gesamt­ leitung Schulz) 8.5.1814 Wiederholung des Konzerts vom 20.4. 9.8.1814 Refor- Abschieds­kon­ Zweite Riem’sche Wilhelm Friedrich Riem: mierte zert zu Riems Singakademie »Unser Vater, der du bist 64 Kirche Weggang nach (Riem) im Himmel«; »Lebensfunke, Bremen vom Himmel erglüht« (Her- der); »Hinunter in der Erde Schooss [sic]« (Novalis); »Wenn ich ihn nur nahe« (Novalis) 18.10.1814 GWH Extrakonzert Zweite Wolfgang Amadeus Mozart: Jahrestag zum Gedenken Schicht’sche Motette »Ob fürchterlich to- der an die Völker­ und Schulz’sche bend sich Stürme erheben« Völker- schlacht, zum Singakademie; [Parodie des Chors »Ihr Kinder schlacht Besten der Ar- GWH-Orch des Staubes« aus der Schau- bei men verstärkt durch spielmusik zu Thamos, König Leipzig einige Liebhaber in Ägypten] (Schicht und Giovanni Pierluigi da Palest- Schneider) rina: Zweichöriger römischer Kirchengesang »Salvum fac populum tuum, Domine, et benedic hereditati tuae!« Georg Friedrich Händel: Chor »Hallelujah« aus dem Orato- rium Der Messias Martin Luther: Choral »Erhalt’ uns Frieden gnädiglich« »Dem Erhalter unsrer Ge­ liebten«, Ode von Klop­stock, zur Musik gesprochen von Wilhelm Fink Georg Friedrich Händel: Chöre »Würdig ist das Lamm, das er- würget ist« und »Alle Gewalt, und Preis und Macht« aus dem Oratorium Der Messias Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818

Datum Ort Anlass Mitwirkende Werke 19.3.1815 GWH Konzert zum Zweite Georg Friedrich Händel: Palm- Besten des Schicht’sche ­Kantate Alexanders Fest oder sonntag Orchester­ und Schulz’sche Die Gewalt der Musik (in pensions­fonds Singakademie der Bearbeitung Wolfgang (Schulz) ­Amadeus Mozarts) 13.11.1815 GWH Extrakonzert Zweite Wolfgang Amadeus Mozart: ­anlässlich des Schicht’sche und Hymne »Gottheit! Dir sei Preis ­Besuchs des Schulz’sche Sing- und Ehre« [Parodie des Chors sächsischen akademie »Gottheit, über alle mächtig« Königs­paars aus der Schauspielmusik zu in Leipzig Thamos, König in Ägypten] Giovanni Pierluigi da Palest- rina: Zweichöriger römischer Kirchengesang »Salvum fac 65 populum tuum, Domine, et benedic hereditati tuae!« August Bergt: Chor »Serbate, o Dei custodi della Romana sorte« Sachsenlied »Gott segne Sach- senland« nach »God save the King« (Text: Siegfried August Mahlmann) 15.12.1816 GWH Konzert zum Schneider’sche Wolfgang Amadeus Mozart: Besten des und Schulz’sche Requiem Orchester­ Singakademie pensions­fonds 27.1.1817 GWH Extrakonzert Schneider’sche Gaspare Spontini: Die Vesta- zum Besten der und Schulz’sche lin, lyrisches Drama in drei Not­leiden­den im Singakademie ­Aufzügen Erzgebirge 11.5.1817 Thomas- Konzert zum Schneider’sche Georg Friedrich Händel: kirche Besten der und Schulz’sche ­Oratorium Der Messias (in ­ ­Armen Singakademie, der Bearbeitung Wolfgang Thomaner, Amadeus Mozarts, gekürzt) GWH-Orch (Schulz) 11.1.1818 GWH Konzert zum Schneider’sche Pietro Generali: Szene und Besten des und Schulz’sche Arie mit Chor »Le sacre Orchester­ Singakademie, trombe!« aus der Oper I pensions­fonds GWH-Orch ­baccanali di Roma Friedrich Schneider: Messe für fünf Singstimmen und Chor a cappella Nr. 11, e-Moll Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Die ersten öffentlichen Auftritte der Singakademien bis zum Beginn des Jahres 1818, als beide damals existierenden Akademien zu einer verschmelzen, zeichnen sich durch fol- gende Charakteristika aus: –– Die Anbindung an das Gewandhaus als Ort nicht nur der Proben, sondern auch der ersten Auftritte aller Singakademien. Die Konzerte im Frühjahr 1814 können nicht im Gewandhaus stattfinden, da der dortige Saal als Lazarett dient. Der Auftritt 1817 in der Thomaskirche ist eine Ausnahme, da die »Konzerte zum Besten der hiesigen Armen« traditionell eigentlich im Gewandhaus stattfinden. –– Die Vorliebe zum Zusammenschluss: Zu den großen öffentlichen Konzerten singen immer alle gleichzeitig bestehenden Singakademien zusammen. Obwohl die Chöre ge- trennt proben, kommt es bei Konzerten in der Regel zur Verschmelzung. Nur von der Riem’schen Singakademie sind Einzelkonzerte belegt, die aber in kleinerem Rahmen stattfinden. Die Formulierungen »vor einer kleinen Anzahl seiner Freunde«179 und »je- 66 doch nur vor ohngefähr 50 Zuhörern«180 bei den ersten beiden Auftritten der Riem’schen Singakademie im Jahr 1812 lassen eher auf halböffentliche Darbietungen vor den Familien und Freunden der Sängerinnen und Sänger schließen. –– Die beginnende Konzentration auf ›große‹ und ›ernste‹ Musik im damaligen Sprach- gebrauch. Dafür stehen Mozarts Requiem, Grauns Tod Jesu, Haydns Sieben letzte Worte und die Schöpfung, Händels Messias und Alexanderfest. Mit ›groß‹ ist die Besetzung (Chor, Orchester und Gesangssolisten) dieser Werke gemeint, mit ›ernst‹ ihr sakraler Charakter. Hier beginnt sich ein Kanon herauszubilden, für dessen Aufführung sich die Singakade- mie im Laufe der Jahre mehr und mehr verantwortlich fühlt. Messkompositionen, Kan- taten und vor allem Oratorien gehören in diese Kategorie, was auch zu der Bezeichnung ›Oratorienvereine‹ für die großen gemischten Chöre des 19. Jahrhunderts führt. –– Der Benefizcharakter: Abgesehen vom Huldigungskonzert für das Königspaar haben alle Auftritte der frühen Zeit wohltätige Zwecke. Die Einnahmen gehen an die Reinhard’sche Stiftung,181 an die Opfer die Völkerschlacht, an den Orchesterpensionsfonds sowie an die Armen der Stadt Leipzig. Hier zeigt sich bereits ein typischer Charakterzug von Vereinen im frühen 19. Jahrhundert: Man fühlt sich nicht nur für die Bildung und das Wohlerge- hen der Vereinsmitglieder zuständig, sondern auch für das Gemeinwohl.

Der letztgenannte Punkt weist außerdem darauf hin, dass sich die Singakademien in bereits bestehende Traditionen einfügen: Die ersten Anlässe für wohltätige Konzerte sind einmali- ger Natur (ein Gedächtniskonzert und eines für die Notleidenden nach der Völkerschlacht bei Leipzig), bald jedoch bereichern die Singakademien Benefizkonzertreihen, die es schon

179 D-LEsa, SingA, fol. 1v. 180 Ebd., fol. 3v. 181 Der Dresdener Oberhofprediger Franz Volkmar Reinhard stirbt am 6. September 1812, die seinen Na- men tragende Stiftung wird mit dem Konzert am 28.11.1812 errichtet und soll »ausgezeichnete Candi- daten des Predigtamtes« unterstützen. (Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 201.) Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818 länger gibt, nämlich die Konzerte zum Besten der Armen und die zum Besten des Orches- terpensionsfonds. Bei beiden handelt es sich um jährliche Benefizkonzerte des Gewand- hausorchesters. Die Konzerte zum Besten der Armen finden seit der Eröffnung des Gewandhaussaa- les in der Regel einmal jährlich am Palmsonntag statt. In Dörffels Geschichte der Gewand- hausconcerte sind alle Termine dieser sogenannten ›Armenkonzerte‹ von 1782 bis 1880 ver- zeichnet.182 Die Tradition beginnt aber laut Ernst Krokers Festschrift über die Gesellschaft Harmonie schon im Jahr 1778 und geht auf Johann Adam Hillers Musikübende Gesellschaft zurück. Ein »Pro Memoria« der Musikübenden Gesellschaft vom 15. Mai 1779 stützt diese These: »Außerordentlich wird kein Concert spirituel gegeben, als das in der Fasten, zum Besten der Armen.«183 Die Musikübende Gesellschaft bestreitet seit spätestens 1778 ein- mal jährlich ein Oratorienkonzert in der Fastenzeit, von dessen Ertrag die Hälfte der Ge- sellschaft Harmonie für wohltätige Zwecke überwiesen wird. Kroker listet die Konzerte der 67 ersten Jahre auf:

1778, 5. April. Abraham auf Moria, in dem Saale der Musikübenden Gesellschaft […]. 1779, 21. März. Saul oder die Gewalt der Musik, ebenda […]. 1780, 13. März. Der Tod Jesu, ebenda […]. 1781, 10. April. Die Israeliten in der Wüste, ebenda […]. 1782, 10. März. Abraham auf Moria, in dem neuen Konzertsaal im Gewandhaus […].184

Wie die Übersicht zeigt, werden die Konzerte zum Besten der Armen nahtlos weitergeführt, als Hiller nach der Eröffnung des Gewandhauses den dortigen Musikdirektorposten über- nimmt. Die von Dörffel gegebene Übersicht über die ersten knapp 100 Jahre der Armen- konzerte zeigt eine große Kontinuität: Abgesehen vom Völkerschlachtsjahr 1813 findet in jeder Saison ein Armenkonzert statt, aber – wie Maria Hübner in ihrer Artikelserie über die Leipziger Karfreitagskonzerte feststellt – das Armenkonzert steht »nach 1830 seltener im Zusammenhang mit der Karwoche«.185 Die Gewandhaus-Konzertdirektion veranstaltet die Konzerte dieser Reihe zwar, verzich- tet aber auf jegliche Einnahmen und überlässt die Hälfte des Profits der Harmonie, die an- dere Hälfte geht an die »Armenverwaltung der Stadt«.186 Seit der Saison 1875/76 finden die Armenkonzerte nicht mehr außerhalb des Abonnements statt, sondern werden in die jähr- lichen Konzertreihen des Gewandhauses integriert. Die Praxis, dass die Harmonie direkt von diesen Konzerten profitiert und ihrerseits das Geld in wohltätige Projekte investiert,

182 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 184–187. 183 D-LEsa, Gewhaus, D 437, fol. 2, hier fol. 2v. 184 Ernst Kroker, Die Gesellschaft Harmonie in Leipzig 1776 bis 1926. Zum hundertfünfzigjährigen Bestehen der Gesellschaft, Leipzig 1926, S. 32. 185 Maria Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, in: Gewandhaus-Magazin (Herbst 2003), S. 40– 42, hier S. 40. 186 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 184. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

hält bis 1884 an, als »das Direktorium der Gewandhauskonzerte diese Leistung durch eine Jahrrente von 200 Mark ablöste«.187 Personelle Überschneidungen zwischen Harmonie, Stadtverwaltung, Gewandhaus-Konzertdirektion und Singakademie spielen bei dieser lang- jährigen Kooperation sicherlich eine Rolle.188 Die Armenkonzerte sind zunächst klassische Concerts spirituels, das heißt, sie sind an die Fastenzeit gebunden und bieten ausschließlich geistliche Werke für Gesang und Or- chester, mit Schwerpunkt auf Passionsmusiken. Dieser strenge Charakter der Armenkon- zerte löst sich aber recht bald, als etwa 1808 der erste Akt von Glucks Oper Alceste gegeben wird und 1809 neben der Kantate Die Macht der Töne von Peter Winter auch Beethovens Pas- toralsinfonie (Sinfonie Nr. 6) zur Leipziger Erstaufführung gebracht wird. Schon 1816 wird es möglich, dass dem Publikum in einem Armenkonzert die aus den üblichen Abonne- mentkonzerten bekannte Programmgestaltung aus Ouvertüre, Opernausschnitten, Instru- mentalkonzert, Chören und einer Sinfonie (bzw. in diesem Fall Wellingtons Sieg, op. 91 von 68 Beethoven) begegnet. Die frühen Leipziger Singakademien beteiligen sich in ihrer Grün- dungsphase an zwei dieser Armenkonzerte, allerdings an solchen, die nicht am damals üblichen Termin, dem Sonntag vor Ostern, stattfinden: Das ursprünglich für Palmsonntag, den 11. April 1813 geplante Armenkonzert muss »wegen der Kriegsunruhen noch in letzter Stunde abgestellt werden. Dafür wurde am 18. October 1814 das Concert ›zur Erinnerung an den Rettungstag Leipzigs‹ zum Besten der Armen gegeben«.189 Das Armenkonzert des Jahres 1817 findet ausnahmsweise erst nach Ostern statt. Die andere von der Gewandhaus-Konzertdirektion getragene Tradition, in welche die frühen Singakademien sich einreihen, sind die Konzerte zum Besten des ›Instituts für alte und kranke Musiker‹. Hierbei handelte es sich um eine Pensionskasse für Orchestermu- siker, die wegen Alters oder Krankheit ihren Dienst nicht mehr verrichten können, daher auch der Name ›Orchesterpensionsfonds‹.190 Das Institut wird im Sommer 1786 gegründet, seine Mitgliederzahl ist zunächst auf 21 Musiker beschränkt, wächst aber bis 1881 auf 52 Personen. In einem Gegenseitigkeitsvertrag legen die beitretenden Musiker nicht nur die Regeln ihrer Pensionskasse fest, sondern klären auch »organisatorische, disziplinarische und sogar künstlerische Fragen«.191 Es sind die 27 im Orchesterpensionsfonds organisier- ten Mitglieder des Gewandhaus- und Theaterorchesters, die 1840 als ›Stadtorchester‹ in den Dienst der Stadt Leipzig genommen werden und fortan auch den Dienst bei der Kirchen- musik versehen.192 Insofern ist dieses Institut auch als organisatorischer Kern der Orches- tergemeinschaft anzusehen. Heute existiert die »Gemeinschaft der Mitglieder des Gewand-

187 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 32. 188 Siehe Kapitel 4.4: Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten. 189 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 184. 190 Offiziell heißt das Institut erst ab 1841 »Orchester-Pensionsfonds«. Vgl. Jung/Böhm, Das Gewandhaus- Orchester, S. 37. 191 Ebd., S. 35. Vgl. auch Menninger, Art and Civic Patronage, S. 236–237. 192 Siehe Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester, S. 95. Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21 hausorchesters« als dessen Nachfolger.193 Um den Pensionsfonds mit Kapital zu versorgen, veranstaltete das Orchester einmal im Jahr ein Benefizkonzert. Wie auch die Konzerte zum Besten der Armen finden die Orchesterpensionsfonds-Konzerte zunächst außerhalb des Abonnements statt und werden erst später, nämlich in der Saison 1880/81, in die Konzert- reihen integriert. Vom ersten Benefizkonzert am 25. Februar 1787 bis zum 10. Februar 1881 ist bei Dörffel in konstanter Folge in jeder Spielzeit ein solches Konzert vermerkt.194 Der Termin des Konzerts zum Besten des Orchesterpensionsfonds scheint in der Zeit vor 1830 weniger festgelegt als der des Armenkonzerts. Meist wird das Konzert in der Ad- ventszeit angesetzt, mehrfach fällt es aber auch auf einen der letzten Sonntage der Fasten- zeit und tritt so an die Seite des Armenkonzerts. So entsteht in etwa in den Jahren 1789, 1790, 1793 und 1800 die Situation, dass an den beiden Sonntagen vor Ostern (Passions- sonntag und Palmsonntag) hintereinander das Armenkonzert und das Orchesterpensions- fonds-Konzert stattfinden, wobei die Reihenfolge nicht festgelegt scheint.195 Auch im Jahr 69 1815, als die Singakademien erstmals beteiligt sind, fällt das Konzert zum Besten des ›Insti- tuts für alte und kranke Musiker‹ auf den Palmsonntag. Vom wohltätigen Zweck der Pen- sionsfonds-Konzerte profitiert, anders als bei den Armenkonzerten, nur ein kleiner Kreis von Personen, nämlich diejenigen Musiker im Orchester, die in den Fonds aufgenommen werden. Wiederum ist auf die große Überschneidung zwischen den führenden Köpfen der Singakademie und denen der Gewandhaus-Konzertdirektion hinzuweisen, auf die diese Zusammenarbeit höchstwahrscheinlich zurückgeht. Weder bei den Armenkonzerten noch bei den Konzerten zum Besten des Orchester- pensionsfonds bleibt die Mitwirkung der Singakademien eine einmalige Sache. In beiden Konzertreihen etabliert sich in den folgenden Jahrzehnten eine gewisse Regelmäßigkeit der Beteiligung der Leipziger Singakademie.196

3.7 Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21

Jacob Bernhard Limburgers Annalen enden mit der Beschreibung des Versuchs, in seinem eigenen Haus eine private Musikübungsrunde zu etablieren. Die Bezeichnung ›Limburgers Privatakademien‹ stammt nicht von Limburger selbst, sondern wurde hier gewählt, um den intimeren Charakter dieser Treffen sowie die tragende Rolle des Veranstalters zu betonen.

193 Vgl. Gewandhaus zu Leipzig (Hrsg.), »Thomaskirche und Oper Leipzig«, , 12.7.2012. 194 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 187–192. 195 Vgl. hierzu aber Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 55, der eine stärkere Fixierung der Konzerttermine im Kirchenjahr behauptet: »Von Hillers ›Musikübender Gesellschaft‹ wurde die Praxis übernommen, den Ertrag des Fastenkonzerts der städtischen Armenfürsorge zukommen zu lassen; der Gewinn des Ad- ventskonzerts kam seit 1787 dem in diesem Jahr gegründeten Orchester-Pensionsfonds zu Gute.« 196 Zur weiteren Entwicklung siehe Kapitel 6.3: Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Über diese Treffen im – verglichen mit den Singakademieproben – kleinen Kreis liegen, soweit bekannt, nur Limburgers eigene Schilderungen vor. Limburger, dessen Manuskript mit der Gründung der Schicht’schen Singakademie 1802 beginnt und nun mit seinen Pri- vatakademien schließt, bettet diese direkt in die Singakademie-Traditionen ein: Er berich- tet zunächst von der Verschmelzung der Schneider’schen (ehemals Schicht’schen) mit der Schulz’schen (ehemals Riem’schen) Singakademie. Die Aufführungen dieser vereinigten Singakademie nennt Limburger »theils mehr, theils weniger gelungen«, zu den regelmäßig stattfindenden Übungen äußert er diplomatisch: »indessen glaubt man zu bemerken, daß das Ganze, anstatt in seinen Leistungen fortzuschreiten, gewissermaßen stillsteht.«197 Er urteilt, dass der Chor der Singakademie zwar auf gutem Niveau stehe, aber in den feineren Nuancen nicht überzeuge, was am oft vorkommenden Wechsel der Mitglieder und am un- regelmäßigen Probenbesuch liege. Außerdem, so weiter, entbehre 70 die Schulzesche Singacademie noch eines Mitdirektors der, nicht am Pianoforte, auf alle noch mangelnden Vollkommenheiten aufmerksam machen und die […] Gesellschaft dahin leiten könne, denn der Director am Pianoforte hat am Instru- mente genug zu thun, um die Intonation, das richtige Treffen und das pünktliche Eintreten zu bewirken.198

Mit anderen Worten: Schulz leitet seine Akademie vom Klavier aus und ist in Limburgers Augen damit überfordert. Daraus folgt die bereits zitierte Idee »einen Versuch machen zu müssen, ob durch eine, von Zeit zu Zeit zu sich eingeladene Gesellschaft, der Zweck erreicht werden könnte die Meisterwerke, besonders älterer Komponisten, in möglichster Vollkom- menheit darzustellen«.199 Diese Idee führt zu vier Treffen am 22. Oktober, am 17. Novem- ber und am 25. Dezember 1820 sowie am 4. März 1821. Zu allen Terminen außer dem am 25. Dezember liegen Teilnehmerlisten vor.200 Die jeweils zwischen 17 und 19 teilnehmenden Sängerinnen und Sänger rekrutieren sich teils aus Mitgliedern der Singakademie, teils aus dem Bekanntenkreis Limburgers. Auch zwei professionelle Sängerinnen, Thekla Battka und Chatinka Comet, kommen hinzu. Ferner sind als Sänger August Adolph Barghiel (da- mals selbst als Gesangslehrer tätig) sowie Christian August Pohlenz, der spätere Nachfolger Schulz’ als Gewandhauskapellmeister und Singakademiedirektor, mit von der Partie. Bemerkenswert ist der Umstand, dass Limburger seine Privatakademien nicht als Kon- kurrenzveranstaltung zur Singakademie versteht – im Gegenteil, er lädt sogar deren Leiter Schulz dazu ein –, sondern als eine Art Elitechor. Eine entscheidende Rolle hierbei spielen die sogenannten ›Musikgelehrten‹, welche zu allen Treffen geladen werden. Sie leiten die

197 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 23r. 198 Ebd., fol. 23v. 199 Ebd., fol. 24r. 200 Diese Listen sowie Limburgers vollständiger Bericht, aus dem alle Informationen dieses Abschnitts stammen, sind ebd., fol. 24r–27r, zu finden. Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21

Probe, begleiten am Klavier und referieren über bestimmte Werke. Als ›Musikgelehrte‹ neh- men an Limburgers Privatakademien teil: der fast 70-jährige Thomaskantor Johann Gott- fried Schicht, der damalige Thomasorganist und Theatermusikdirektor Friedrich Schneider sowie der Gewandhauskapellmeister und Singakademiedirektor Johann Philipp Christian Schulz, außerdem Friedrich Rochlitz und Amadeus Wendt. Die Treffen zu Limburgers Privatakademien muss man sich als eine Mischung aus gemeinsamem Kaffeetrinken, einem musikhistorischen bzw. -theoretischen Vortrag und einer Chorprobe vorstellen. Beim ersten Treffen spricht zunächst Amadeus Wendt »über den Zweck der heutigen Versammlung, über den Geist der Tonkunst, ihre verschiedenen Darstellungen und Wirkungen, besonders in Bezug auf die Werke der ältern Meister und deren würdige Darstellung«.201 Dann folgt ein Vortrag von Friedrich Rochlitz über das »Mi- serere« von Gregorio Allegri und seine Geschichte, woraufhin das besprochene Werk ge- meinsam geprobt wird. Diesen Wechsel von Vortrag und Probe macht sich die Gesellschaft 71 zur Regel. Bei der eigentlichen Chorübung gibt es dann, im Unterschied zur Singakademie, keine Personalunion von Klavierbegleiter und Chorleiter: »Hr. M. D. Schulz setzte sich an das Pianoforte und Hr. Hofrath Rochlitz leitete Takt und Ausdruck.«202 Mit ihrer Mischung aus Geselligkeit, Konversation und der Beschäftigung mit Kunst rücken Limburgers Privatakademien in die Nähe der sogenannten ›Kränzchen‹, die später – in den 1830er Jahren – regelmäßig bei Friedrich Rochlitz und Henriette Voigt stattfinden. Dort treffen sich ebenfalls bis zu 20 Personen und widmen sich der Kammermusik, der bildenden Kunst oder dem gemeinsamen Lesen.203 Alle Treffen zusammenfassend, seien hier die in Limburgers Privatakademien geübten Stücke aufgezählt (manche Werke werden mehrfach geprobt; Limburger listet nicht alle geprobten Stücke auf; uneindeutige Stückbezeichnungen gehen auf Limburger zurück):

Gregorio Allegri: »Miserere« (Sätze 1 bis 3) Emanuele d’Astorga: zwei Terzette; Arioso; Duett François-Adrien Boieldieu: Stücke aus der Spieloper Jean de Paris (1812) Francesco Durante: Requiem (erster Satz) Johann Friedrich Fasch: »Du bist gütig und freundlich«; »Meine Seele hanget ihm nach« sowie weitere Stücke : Vater unser (ca. 1820); »In heil’ger Tempel Hallen«; Die Geburt Christi Jacobus Gallus [Jacob Handl]: Motette »Ecce quomodo moritur justus« Giovanni Pergolesi: Duett aus dem »Stabat mater« Antonio Salieri: Stücke aus der Oper Axur, Re d’Ormus C. [Johann Philipp Christian?] Schulz: »eine ernsthafte Composizion«204

201 Ebd., fol. 24v. 202 Ebd. 203 Vgl. Gerber, Zwischen Salon und musikalischer Geselligkeit, S. 64–66. 204 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 26v. Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818)

Vierstimmige Gesellschaftslieder (an der Tafel am ersten Weihnachtsfeiertag)

Wie man sieht, beschränkt sich das Repertoire nicht nur auf die »Werke der ältern Meister«, womit offenbar Renaissance- und Barockkomponisten gemeint sind, sondern man schreckt auch vor moderneren Kompositionen wie denen von Fesca nicht zurück. Außerdem darf es durchaus auch einmal heiter und weltlich zugehen, wie die Opernauszüge und Gesell- schaftslieder beweisen. Allerdings können sich Limburgers Privatakademien nicht dauerhaft etablieren. Resi- gniert zieht der Fünfzigjährige nach dem Ende der letzten Privatakademie in seiner Woh- nung das Fazit, dass die Ensemblestücke zwar gut gingen, aber nicht so gut, wie er es sich wünscht, und dass ferner die Soli arg zu wünschen übrig ließen. Außerdem sei der Vortrag von Friedrich Rochlitz der Persönlichkeit des Komponisten nicht nahe genug gekommen. An dieser Stelle verlässt Limburger der Enthusiasmus und er schreibt die Vergeblichkeit 72 seiner Bemühungen dem Fehlen geeigneter Gesangslehrer zu:

Alles dieses bringt mich zu dem Schlusse, daß auf diesem Wege das vorgesteckte Ziel eines möglichst vollkommenen Vortrages älterer Gesangstücke nicht erreicht werden könne, da es in diesem Zweige des Gesanges durchaus an zweckmäsigen [sic] Privatunterrichte fehlt und Niemand hier ist, der es, so wie es seyn soll, vor- machen könnte. Alle unsere Singemeister beschränken sich auf das Einstudieren weltlicher Composizionen und erwarten, daß das Geistliche durch Zusammen Sin- gen erlernt werden soll, was aber nicht hinlänglich ist.205

Mit diesen Worten endet Limburgers wertvolles Manuskript. In dem kleinen Büchlein, in dem er es notiert, bleiben noch viele Seiten frei.

205 Ebd., fol. 27r. 4 Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Die im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Akten erlauben nicht nur, die Gründungs- phase der verschiedenen Zweige der Leipziger Singakademie detailliert nachzuvollziehen, sondern sie bieten in Form von Mitgliederlisten auch das Rohmaterial für weitergehende Untersuchungen zur Struktur der Chöre, zur sozialen Einordnung der Mitglieder sowie zu den Beziehungen der Sängerinnen und Sänger untereinander und zu anderen ähnli- chen Assoziationen in Leipzig. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte erläutert, die notwendig waren, um die vorliegenden Namenslisten in einen historischen Kontext zu 73 bringen, biografische Informationen zu Einzelpersonen zu gewinnen, diese gesammelten Daten auszuwerten und schließlich daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Ergebnisse ermöglichen eine genauere Vorstellung davon, wie ein Paradebeispiel eines ›bürgerlichen‹ Musikvereins am Beginn des 19. Jahrhunderts zusammengesetzt ist, und bieten Anlass zu Überlegungen, was ›Bürgerlichkeit‹ im musikalischen Kontext bedeutet. Es wird sich zei- gen, dass die Singakademie einer von mehreren Kreisen ist, in denen sich eine bestimmte gesellschaftliche Elite trifft und vernetzt.

4.1 Quellen und Entstehungsprozess des biografischen Lexikons der Mitglieder

Die aus der Frühzeit der Leipziger Singakademie erhaltenen Akten enthalten mehrere Mit- gliederlisten. Auf diesen Dokumenten basiert das im Anhang abgedruckte Verzeichnis, des- sen Entstehungsprozess im Folgenden erläutert wird. In Limburgers Annalen werden ganze elf Einzellisten überliefert, nämlich –– jeweils die Gründungsmitglieder und die später hinzugetretenen Mitglieder der Schicht’schen Singakademie bei der ersten Gründung 1802 und bei der zweiten Grün- dung 1812, –– das beteiligte Personal bei vier Auftritten, die die Schicht’sche Singakademie gemeinsam mit der Riem’schen bzw. Schulz’schen Singakademie absolvierte (wobei auch die Sänge- rinnen und Sänger des letztgenannten Vereins mit aufgeführt werden), –– und zuletzt alle Beteiligten an drei von vier der von Jacob Bernhard Limburger veranstal- teten Privatakademien in den Jahren 1820 und 1821.

Die Akte zur Schulz’schen Singakademie enthält hingegen nur eine Liste, dort hat sich jedes Mitglied von der Gründung 1814 bis ca. 1818 eigenhändig in eine Tabelle eingetragen, dahin- ter ist in den meisten Fällen das jeweilige Eintrittsdatum und eventuell das Austrittsdatum Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

vermerkt. Diese zwölf Listen galt es zunächst miteinander abzugleichen. Zusätzlich wurde die erste in der Festschrift von Paul Langer abgedruckte Mitgliederliste herangezogen, näm- lich die Aufstellung der Sängerinnen und Sänger, die Langer einem Kassenbuch aus dem Jahr 1814 entnimmt.206 Zwar teilt Langer nicht mit, zu welchem der beiden Singakademie- Zweige diese Liste gehört, doch stellte sich heraus, dass sie ungefähr dem Mitgliederstand der Schulz’schen Singakademie zum Jahresende 1814 entspricht.207 In Langers Chronik fol- gen noch einige weitere Mitgliederlisten, die nächste aus dem Jahr 1823. Außerdem existiert im Staatsarchiv Leipzig eine Aufstellung der Mitglieder für das Jahr 1853.208 Dieses zusätz- liche Material wurde für die Herstellung des ersten hier vorgelegten Verzeichnisses aus methodischen Gründen außen vor gelassen: Der Zeitraum 1802 bis 1821 soll als Gründungs- phase für sich behandelt und die Mitgliederstruktur für genau diesen Zeitraum ausgewertet werden. Eine zweite Untersuchung zur den Sängerinnen und Sängern der Singakademie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgt in einem späteren Kapitel und wird nochmals 74 Anlass zu vergleichenden Überlegungen bieten.209 Im zweiten Schritt wurden die in den Primärquellen überlieferten Personennamen in verschiedenen biografischen Lexika und Datenbanken nachgeschlagen. Erklärtes Ziel war es, die Position der Sängerinnen und Sänger in der Leipziger Gesellschaft zu ermitteln. Um die Mitglieder sozial einzuordnen, stellte sich die Frage, welchem Broterwerb sie nach- gingen und welchen Assoziationen sie beruflich oder privat angehörten. Zur Beantwortung dieser Frage sind, neben Alter und Geschlecht, von vordringlichem Interesse: Beruf und Stand, eventuelle Zugehörigkeit zur Universität oder zu den administrativen Einrichtun- gen der Stadt Leipzig bzw. des Königreichs Sachsen sowie eventuelle Beziehungen zu den kulturell und sozial engagierten Kreisen (wofür exemplarisch stehen: die Freimaurerlogen, die Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten, die Journalgesellschaft und die Gewand- haus-Konzertdirektion). Dieses Erkenntnisziel bestimmte die Quellenwahl. So wurden beispielsweise die Leipziger Adressbücher, die Matrikeln der Universität Leipzig und der drei Leipziger Freimaurerlogen, die Mitgliederlisten der genannten Gesellschaften sowie die einschlägigen Werke zur Geschichte des Gewandhausorchesters zu Rate gezogen. Die einzelnen Quellen sind en détail zu Beginn des Verzeichnisses aufgeführt. Beim Blick auf die verzeichneten Namen deutete sich schnell an, dass das kulturelle Netzwerk der Stadt Leipzig offenbar nicht zuletzt ein familiäres Netzwerk war. Oft treten mehrere Mitglieder derselben Familien den Singakademien bei, Frauen und Männer finden

206 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 7. 207 Von 70 bei Langer genannten Personen sind vier laut D-LEsa, SingA zum Jahresende 1814 keine Mit- glieder der Schulz’schen Singakademie: Wilhelm Crusius (war zwar zum Mitglied vorgeschlagen wor- den, trat aber nicht bei), Laura Erckel (trat erst im September 1815 ein), Carl Friedrich Salomon Liskow (nahm nur an der ersten Probe unter Schulz teil), Susette von Wuthenau (beendete die Mitgliedschaft am 1.10.1814). Außerdem werden in D-LEsa, SingA zwei Personen als Mitglieder der Schulz’schen Sing- akademie ab September 1814 genannt, fehlen jedoch bei Langer; es handelt sich um Friedrich August Berger und Emilie Zucker. 208 D-LEsta, PP-V 150, fol. 2–3. 209 Siehe Kapitel 8.2: Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866. Quellen und Entstehungsprozess des biografischen Lexikons der Mitglieder während (und vielleicht sogar aufgrund) der gemeinsamen Mitgliedschaft zusammen und heiraten. Eine unschätzbare Hilfe bei der Aufklärung der mitunter komplexen Verwandt- schaftsverhältnisse zwischen den Sängerinnen und Sängern war die sogenannte ›Moritzkar- tei‹ im Staatsarchiv Leipzig. Diese Kartei Leipziger Familien ist nach Helga Moritz (1926– 2003) benannt, einer ehemaligen Mitarbeiterin der Zentralstelle für Genealogie in Leipzig. Sie kompilierte genealogische Informationen zur in Leipzig ansässigen Bevölkerung von etwa 1501 bis 1875 aus verschiedensten Quellen210 und schuf so eine Datensammlung, die es ermöglicht, umfangreiche genealogische Recherchen wie die vorliegende in relativ kur- zer Zeit zu erledigen. Die Verwandtschafts- und Schwägerschaftsverhältnisse innerhalb der Singakademien, die mit Hilfe der Moritzkartei und der zusätzlich herangezogenen Bürger- bücher und Polizeimeldebücher aus dem Stadtarchiv Leipzig rekonstruiert werden konn- ten, werden im Personenlexikon durch Querverweise kenntlich gemacht. Aus dieser Arbeit an Primär- und Sekundärquellen resultiert eine Sammlung von Bio- 75 grammen, die mit der Information gekoppelt ist, wann und in welchem Zweig der Leipziger Singakademie die entsprechenden Personen aktiv waren. Oft haben die biografischen Infor- mationen, die das Personenlexikon bietet, fragmentarischen Charakter. Das liegt zum einen an den verfügbaren Quellen, hat aber auch sozialhistorische Gründe. So bringt es die patriar- chale Gesellschaftsstruktur der betreffenden Zeit mit sich, dass bei jungen Menschen Beruf und Stand zunächst dadurch definiert sind, wessen Tochter oder Sohn sie sind. Insbesondere die Stellung von Frauen beschränkt sich in der von Männern geprägten Überlieferung in der Regel auf die Angabe »Ehefrau von …«, was die Mitgliederlisten auch in Einträgen wie »Frau Prof. Clodius« offenbaren. Diese historische Ungleichbehandlung der Geschlechter schlägt sich unweigerlich auch im hier vorliegenden Personenverzeichnis nieder. Um trotz der großen Anzahl der Personen die Forschungsfrage effizient beantworten zu können, wurde zudem folgende Regelung getroffen: Wenn die oben genannten Kriterien (Alter, Beruf, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, Verwandtschaft innerhalb der Sing- akademien) einmal hinreichend geklärt waren, wurde nicht weiter ermittelt, obwohl es bei einzelnen Personen gewiss mehr zu ihrer wirtschaftlichen, politischen und nicht zuletzt kulturellen Rolle in Leipzig zu sagen gäbe. Dass über die mindestens zur Charakterisierung erforderlichen Angaben hinaus weitere Details zu manchen Sängerinnen und Sängern berichtet werden, ist entweder der sehr guten Quellenlage zur bestimmten prominente- ren Personen oder aber Zufallsfunden zu verdanken. Beispielsweise fiel auf, dass einige (Schwieger-)Eltern später erfolgreicher Künstler unter den Singakademie-Mitgliedern sind (z. B. Sophia Henriette Frege, Marianne Wieck, Friedrich Wieck, Adolph Bargiel), ohne dass danach konkret gesucht wurde. In diesem Sinne muss darauf hingewiesen werden, dass das vorliegende Personenlexikon nur in einer Hinsicht Vollständigkeit beansprucht, nämlich

210 Die Quellen sind im Einzelnen: Ratsleichenbücher der Stadt Leipzig 1814 bis 1851 (ohne Uneheliche und Auswärtige), Bürgerbücher der Stadt Leipzig 1501 bis 1818, Kirchenbücher (Trauungen) St. Nikolai (ab 1541) und St. Thomas (ab 1549) der Stadt Leipzig, bis 1850 vollständig, bis 1875 für gebürtige Leipziger, Kirchenbücher (Taufen) vollständig für die Zeit 1580 bis 1850. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

dahingehend, alle Personen so eindeutig wie möglich zu identifizieren und ihnen jeweils wenigstens eine der genannten Basisinformationen zuzuweisen. Schon dieses Unterfangen konnte aufgrund der Quellenlage nicht immer mit hundert- prozentiger Sicherheit gelöst werden. So stellen besonders die Sängerinnen und Sänger, von denen nur der Nachname überliefert ist, den Forscher vor erhebliche Probleme. Dort, wo ein seltener Nachname eine fundierte Eingrenzung auf wenige in Frage kommende Per- sonen zulässt (z. B. Herr Hasenritter, Herr Kotzer), wird innerhalb der Einträge auf die mög- lichen Kandidaten verwiesen. Wo allerdings häufig auftretende Namen eine seriöse Ver- mutung unmöglich machen, wurde auf Spekulationen verzichtet (siehe z. B. Herr ­Werner; mitunter betrifft das auch Einträge mit überlieferten Vornamen, z. B. Henriette Müller). Insgesamt konnte ein großer Teil der Sängerinnen und Sänger identifiziert werden und es liegen ausreichend Daten vor für eingehende Untersuchungen zur Mitgliederstruktur und zur Rolle der verschiedenen angesprochenen gesellschaftlichen Gruppen. Dabei bieten 76 sich zwei Herangehensweisen bei der Auswertung der Daten an: Die eine geht von den ein- zelnen Personen und Familien aus, in deren Leben die Mitwirkung in der Leipziger Sing- akademie eine mehr oder weniger große Rolle spielte. Dieser Ansatz wird im Folgenden als Biografik bezeichnet. Der Hauptbeitrag zu dieser auf Individuen bezogenen Sicht der Dinge ist das Personenlexikon selbst, einige Aspekte werden in den nächsten Abschnitten beson- ders hervorgehoben. Die andere Herangehensweise ist eine empirische, zahlenbasierte, der es darum geht, die Chöre als Gruppen zu begreifen, in denen sich bestimmte gesellschaft- liche Kreise überschneiden. Dabei kann der Anteil der jeweiligen Kreise (etwa Kaufleute, Studenten, Freimaurer) durch einfaches Auszählen bestimmt werden und es wird möglich, Thesen über die soziale Zusammensetzung der Singakademie anhand empirisch gewon- nener Erkenntnisse zu prüfen. Diese eher soziologisch orientierte Art der Auswertung ist gemeint, wenn im Folgenden von Statistik die Rede ist.

4.2 Biografik

4.2.1 Familienbande Vereine sind bekanntlich immer auch Kontaktbörsen, willkommene Gelegenheiten, an- dere Menschen kennenzulernen, und sie sind – was gemischtgeschlechtliche Vereine an- belangt – mitunter der Ort, wo sich spätere Ehepartner treffen. Diese Binsenweisheit lässt sich an den Mitgliederlisten der Leipziger Singakademie gut nachvollziehen. Hier ein paar ausgewählte Beispiele: 1. Der Theologiestudent Ernst Friedrich Bäumler tritt zum ersten Mal als Bass-Sänger beim Konzert am 28.11.1812 auf, da ist er etwa 23 Jahre alt. Unter den Sopranistinnen beim gleichen Konzert ist die Kaufmannstochter Emilie Fleischer. Beide sind noch bei drei weite- ren Konzerten anwesend, sie sind treue Mitglieder der Schulz’schen Singakademie (Emilie bereits seit der Zeit, als der Verein noch von Riem geleitet wurde). Im Jahr 1819, Ernst Fried- rich ist mittlerweile fertiger Magister und Prediger, heiraten sie. Biografik

2. Der Jurist Wilhelm Crusius, späteres Landtagsmitglied, singt Bass bei drei Konzerten in den Jahren 1812, 1814 und 1815. Seine Ehefrau Julia Charlotte ist im April 1814 ebenfalls als Sängerin dabei, gut zwei Monate zuvor haben sie geheiratet. Wilhelm Crusius wird zwar im November 1814 zum Mitglied der Schulz’schen Singakademie vorgeschlagen, tritt aber nicht bei, so dass er das Konzert im März 1815 als »Liebhaber« bestreitet, das heißt als extra hinzu- gezogenes Nichtmitglied. Nachdem seine erste Ehefrau 1816 gestorben ist, heiratet Crusius im Jahr 1820 erneut, und zwar Anna Elisa Witthauer, die Tochter des Lübecker Organisten Johann Georg Witthauer. Anna Elisa ist die Schwester von Lotte Clodius, einer verheirateten Dame, die Crusius wiederum von mindestens zwei gemeinsamen Singakademie-Auftritten kennt. 3. Henriette Dörrien, die Tochter eines Oberpostkommissars, gehört gemeinsam mit ihrem Bruder Heinrich zu den Gründungsmitgliedern bei der zweiten Gründung der Schicht’schen Singakademie im Jahr 1812. Dort ist ebenfalls der Jurist Carl Einert beteiligt, 77 der seinerseits schon bei der zehn Jahre zuvor erfolgten ersten Gründung mit von der Partie war. Zwei Jahre darauf, bei den Mitwirkenden des Konzerts vom 18.10.1814, ist Henriette verzeichnet als »Frau D. Einert geb. Dörrien«211 (das »D.« steht für »Doktor« und meint den akademischen Grad ihres Mannes) – Carl Einert und sie haben im Jahr 1813 geheiratet. Auch Henriettes Bruder findet seine Ehefrau im weiteren Sinne in Sängerkreisen: Er geht 1816 die Ehe mit Emilie Gehler ein, deren Mutter Emilie Gehler-Duvigneau im Frühjahr 1814 zwar nicht bei dem Hauptkonzert, aber bei dessen Wiederholung mitgesungen hatte. Es ließen sich noch etliche ähnliche Beispiele aus dem Fundus anführen, den die Bio- gramme der Mitglieder bilden. Auch der Fall Wieck/Barghiel, der im nächsten Abschnitt eine Rolle spielen wird, ist ganz ähnlich gelagert. Es soll damit nicht suggeriert werden, dass all diese Ehepaare sich unbedingt über den gemeinsamen Chorgesang kennengelernt haben oder dass sie ohne die Singakademie nicht zueinandergefunden hätten. Belegen lässt sich das im Einzelnen ohnehin nicht. Der Verein ist nur einer von mehreren Zirkeln, in denen sich die Leipziger Gesellschaft trifft. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unter- schied zu den meisten anderen Kreisen, in denen Kontakte geknüpft und gepflegt werden, etwa Lesegesellschaften oder Freimaurerlogen: Die Singakademie ist keine reine Männer- veranstaltung. Sie wird zwar in der Hauptsache von Männern organisiert und dirigiert, aber letztlich singen beide Geschlechter gemeinsam. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass eine Mitgliedschaft in der Singakademie schon eine gewisse Vorauswahl bedeutet, wird doch laut Paragraf 5 der ersten überlieferten Satzung »vorzüglich mit auf moralische Unbescholtenheit gesehen«.212 Eine Verbindung zwischen zwei Mitgliedern der Singakade- mie hat somit von vornherein gute Chancen, auch gesellschaftlich anerkannt zu werden. Bei der Auswertung der Mitgliederlisten fällt ein Aspekt zum Thema Familienbande auf, der gewissermaßen das Gegenstück zum gerade beschriebenen Phänomen bildet: Man geht nicht nur Bindungen ein, weil man gemeinsam einem Chorverein beigetreten

211 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 16. 212 D-LEsa, SingA, fol. 3v. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

ist, man tritt diesem Verein auch bevorzugt gemeinsam mit Menschen bei, denen man familiär verbunden ist. Dass Ehefrau und Ehemann gemeinsam der Freizeitbeschäftigung des Singens nachgehen und dass Geschwister – vor allem Schwestern – sich gerne zusam- men einer der Singakademien anschließen, fällt sofort ins Auge. Als Beispiele seien hier die Ehepaare Limburger, Seyfferth und Wendler sowie die Geschwister Falcke, Gehler und von Wuthenau genannt, wieder gäbe es etliche mehr aufzuzählen. Die Verwandtschaften innerhalb der Singakademien gehen aber wesentlich weiter, als es auf den ersten Blick scheint. Da Nachnamen sich bei Eheschließungen ändern, werden viele Verwandtschafts- verhältnisse erst durch genealogische Recherchen aufgedeckt. Dabei zeigt sich, dass es in manchen Familien schon die Ausnahme darstellt, wenn jemand nicht in einer der Sing- akademien singt. Zwei besonders aktive – und sogar miteinander verschwägerte – Familien seien hier vorgestellt. Der Name Erckel kommt in den Mitgliederlisten selbst nur bei zwei Personen vor, näm- 78 lich bei Emma und Laura Erckel, den Töchtern des Kaufmanns und Ratsherrn Johann Gott- fried Erckel (siehe Abbildung 3). Beide sind von 1812 bis 1815 als Sopranistinnen aktiv, Laura singt auch einmal Alt. Die Geschwister Erckel haben einige Verwandte in der Singakade- mie: Luise Ludewig und die ihre Schwester, die mittlerweile verheiratete Theresia Henriette Haußner, geb. Ludewig, sind ihre Cousinen. Letztere sind Töchter von Johanna Carolina Ludewig, geb. Erckel, einer Schwester des Johann Gottfried Erckel. Damit nicht genug: Zwei Kinder einer weiteren Schwester Johann Gottfried Erckels, Christiana Rosina, sind eben- falls in der Singakademie aktiv, allerdings – anders als die bisher genannten – schon in der ersten Singakademie von 1802. Es handelt sich dabei um Carl Schultze-Küstner und seinen jüngeren Bruder Gustav Schultze. Die sechs Personen (Emma und Laura Erckel, Luise Lu- dewig, Theresia Henriette Haußner, Carl Schultze-Küstner und Gustav Schultze) tragen fünf verschiedene Nachnamen und sind doch alle Cousins und Cousinen. Sie sind Enkel des Leipziger Weinschenks Michael Siegismund Erckel. Der Leipziger Bankier Johann Heinrich Küstner, der auch 1781 bei der Eröffnung des Gewandhauses zu den Gründungsmitgliedern der Konzertdirektion gehörte, hat insgesamt sieben Kinder, von denen fünf entweder selbst Singakademie-Teilnehmer oder mit einem solchen verheiratet sind (siehe Abbildung 4). Selbst zur Sängerschar gehört der später be- rühmte Theaterintendant Carl Theodor Küstner. Mit Singakademie-Mitgliedern sind verhei- ratet der Bankier Felix Ferdinand Heinrich Küstner (Ehemann der von 1812 bis mindestens 1816 aktiven Emilie Küstner, geb. Rode) sowie Julius Küstner (er heiratet 1819 die oben er- wähnte Emma Erckel). Auf zwei von Johann Heinrich Küstners Töchtern trifft sogar beides zu, sie singen selbst und sind mit einem Mitsänger verheiratet: zum einen Jacob Bernhard Limburgers Ehefrau Julie, geb. Küstner, zum anderen Mariane Schultze, geb. Küstner, die mit dem ebenfalls oben erwähnten Carl Schultze-Küstner verheiratet ist. Die beiden Familien Erckel und Küstner sind nicht nur sangesfreudig sowie wirtschaft- lich und politisch einflussreich, sie sind auch mehrfach verschwägert, nämlich durch die im Jahr 1800 eingegangene Ehe zwischen Carl Schultze und Mariane Küstner und durch die Heirat von Emma Erckel mit Julius Küstner. Biografik

Die Namen von 276 Sängerinnen und Sängern von 1802 bis 1821 sind überliefert, nur von elf von ihnen wurde hier beispielhaft der familiäre Hintergrund angedeutet.213 Im biografischen Mitgliederverzeichnis werden engere Verwandtschafts- sowie Schwäger- schaftsverhältnisse durch Querverweise gekennzeichnet (Schwäger von Ehepartnern oder Geschwistern, sogenannte ›Schwippschwäger‹, werden nicht berücksichtigt). Folgt man diesen Querverweisen, so ergibt sich ein Netz aus familiären Beziehungen, das alle Zweige der Singakademie und die gesamten ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts durch- zieht. Die darin vertretenen Familien repräsentieren zu großen Teilen die Kaufmannschaft, sie stehen für Bankhäuser und alteingesessene Handelsbetriebe. Die Häupter dieser Fami- lien finden sich aber auch in Leipziger Behörden und Gerichten, an der Universität oder beim Militär. Es ist in der Literatur über Vereine im 19. Jahrhundert immer wieder bemerkt wor- den, dass verschiedene lokale Beziehungsnetzwerke, von denen die Vereine einer Stadt nur 79 einen Ausschnitt bilden und zu denen selbstverständlich auch familiäre Netzwerke gehö- ren, sich oft stark überschneiden.214 Schon an diesem Punkt kann gesagt werden, dass dies für die familiären Beziehungen in den Leipziger Singakademien ebenfalls gilt. Ob und in welcher Ausprägung es auch für die beruflichen Kontakte und die Verbindungen zu ande- ren Assoziationen bestätigt werden kann, dieser Frage wird noch ausführlicher nachzuge- hen sein. Zunächst sollen jedoch einige besondere Persönlichkeiten unter den Sängerinnen und Sängern genauer vorgestellt werden.

213 Dabei wurden einige Details ausgespart. So sind beispielsweise die Erckels entfernt mit Heinrich Ernst Lincke (Mitglied in der Schulz’schen Singakademie) verwandt und vermutlich auch mit Henriette Hol- berg (1814 als Altistin erwähnt), so sang nicht nur Jacob Bernhard Limburgers Tochter Laura, sondern auch die Pflegetochter seines Bruders, Fanny Herries, in der Singakademie mit. 214 Zum Beispiel bei Michael Sobania, »Vereinsleben. Regeln und Formen bürgerlicher Assoziationen im 19. Jahrhundert«, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, hrsg. von Andreas Schulz u. Dieter Hein, München 1996, S. 170–190, hier S. 170: »Neben den familiären und beruflichen Beziehungsgeflechten, und mit diesen oft auf das engste verbunden, bildete der Verein einen Mittel- punkt bürgerlichen Lebens, bürgerlicher Kultur.« Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Christiana Rosina Gustav Heinrich Erckel Schultze * … * 1781 † … † …

∞ …

Johann Christoph Carl Christoph Schultze Schultze * … * 1777 † … † 1819

∞ 1800

Mariane Küstner 80 * 1776 † …

Michael Siegismund Erckel * … Johanna Carolina Theresia Henriette † … Erckel Ludewig * 1764 * 1791 † 1839 † 1825 ∞ 1782

Johannes Tobias Luise Friederike Ludewig Ludewig * … * 1789 † … † …

Johann Gottfried Laura Wilhelmina Erckel Erckel * 1767 * 1794 † 1833 † 1834 ∞ 1791

Rahel Johanna Emma Augusta Weber Erckel * … * 1798 † … † 1878

∞ 1819

Emil Küstner * 1794 † 1875

Abbildung 3: Ausgewählte Nachfahren des Leipziger Weinschenks Michael Siegismund Erckel. Die grau hinterlegten Personen waren Singakademie-Mitglieder Biografik

Jacob Bernhard Limburger * 1770 † 1847 ∞ Laura Limburger 1795 * 1799 † 1813 Julie Küstner * 1776 † 1865

Carl Theodor ­Küstner * 1784 † 1864

81 Emma Augusta Erckel * 1798 Johann Heinrich † 1878 Küstner * 1752 ∞ † 1816 1819

Emil Küstner * 1794 † 1875

Carl Christoph Schultze * 1777 † 1819 ∞ 1800

Mariane Küstner * 1776 † …

Louise Emilie Rode * 1789 † 1866 ∞ 1807

Felix Ferdinand Heinrich Küstner * 1778 † 1832

Abbildung 4: Ausgewählte Nachfahren des Leipziger Bankiers Johann Heinrich Küstner. Die grau hinterlegten Personen waren Singakademie-Mitglieder Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

4.2.2 Prominente Mitglieder Die Auswahl besonders beachtenswerter Singakademie-Mitglieder geschah anhand eines sicherlich anfechtbaren Kriteriums, nämlich Prominenz. Der Gedanke dahinter ist folgen- der: Bestimmte Menschen werden von ihren Zeitgenossen oder der Nachwelt als so wichtig, ihr Leben und Schaffen als so bedeutend angesehen, dass sie beispielsweise in allgemeinen biografischen Lexika, in der Fachliteratur oder gar in eigenen biografischen Monografien ge- würdigt werden. Nun hat, wie der Historiker Peter Haber treffend bemerkt, die Geschichts- wissenschaft die Perspektive »Große Männer machen große Geschichte« längst ad acta gelegt.215 Das ändert nichts an der Tatsache, dass weiterhin Lebensbilder von Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart verfasst und gelesen werden, und zwar sowohl in der Populär- als auch in der Fachliteratur. Wenn man nun hinnimmt, dass Biografik bei allen bekannten Bedenken – schon allein die Entscheidung, wer eine Biografie verdient und wer nicht! – ein mögliches Mittel zum Zugang zur Geschichte ist und bleiben wird, dann ergibt 82 sich folgerichtig der Anspruch, dass eine Lebensbeschreibung für wissenschaftliche Zwecke möglichst neutral gehalten und möglichst vollständig sein soll. Vollständigkeit kann hier für die Biografien der Singakademie-Mitglieder unmöglich erreicht werden. Aber die Tatsache, dass jemand sich in einem Chorverein engagiert, und das Wissen darüber, wann und wo er oder sie mit diesem auf der Bühne steht, diese Informationen können dazu beitragen, bereits bestehende Biografien vollständiger zu machen. Die folgenden Ausführungen sind in diesem Sinne dazu gedacht, die Lebensläufe einzelner hervorragender (im Wortsinn: prominenter) Menschen jeweils um eine Facette zu bereichern. Leitfragen bei der Auswahl waren: Wer war überregional wirksam oder war innerhalb Leipzigs von herausragender Be- deutung in Politik, Wissenschaft oder Kultur? Wessen bekannte Beziehungen rücken durch gemeinsame Singakademie-Mitgliedschaft eventuell in ein neues Licht? Und nicht zuletzt: Wer ist besonders aus musikhistorischer Perspektive von Interesse? Bei den folgenden Hin- weisen zu einigen prominenten Sängerinnen und Sängern wurde auf detaillierte Angaben zu Einzelquellen und zu weiterführender Literatur verzichtet. Alle Daten stammen, wenn nicht anders angegeben, direkt aus den Einträgen im Mitgliederlexikon im Anhang und aus den hierfür verwendeten Quellen.216 In drei Fällen sind unerwartete Querverbindungen zu sehen zwischen Sängerinnen und Sängern der Singakademie und deutschen Dichtern, die heute zum literarischen Ka- non gehören: 1. Zuerst sei auf die in den Jahren 1814 und 1815 als Altistin aktive Wilhelmine Krug hingewiesen, die Ehefrau des Leipziger Philosophieprofessors, späteren Universitätsrektors und Ehrenbürgers Wilhelm Traugott Krug. Um die Jahrhundertwende lebt sie bei ihrem Va- ter, dem preußischen Generalmajor August Wilhelm Hartmann von Zenge in an der Oder. Dort kommt es im Jahr 1800 zur Verlobung mit Heinrich von Kleist, der damals

215 Zit. nach Die Zeit 3/2011, 12.1.2011, S. 28. 216 Siehe Kapitel 4.1: Quellen und Entstehungsprozess des biografischen Lexikons der Mitglieder, und An- hang 12.3: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821. Biografik in Frankfurt studiert. Sie lernt dort ebenfalls ihren späteren Ehemann kennen, der sieben Jahre älter als Kleist ist und als Professor an der Viadrina wirkt. Die Geschichte ist bekannt: Die Verlobung mit Kleist wird 1802 gelöst, 1803 heiratet Wilhelmine von Zenge Wilhelm Traugott Krug. Sie folgt ihm, als er nach Königsberg berufen wird, und auch, als er 1809 seine Lebensstellung in Leipzig antritt – wo sie in der Singakademie unter anderem die Ge- legenheit hat, Amalie von Levetzow zu treffen. 2. Amalie von Levetzow, sechs Jahre jünger als Wilhelmine Krug, stammt ebenfalls aus adeligem Hause und hat ebenfalls eine gescheiterte Verbindung mit einem Mann hinter sich. Die Ehe mit Joachim Otto Ulrich von Levetzow wurde geschieden, mittlerweile ist sie erneut verheiratet, und zwar mit Friedrich Karl Ludwig von Levetzow. Aus der ersten Ehe hat Amalie von Levetzow eine Tochter, die zum Zeitpunkt von Amalies Auftreten in einem Konzert der Singakademie 1814 bereits zehn Jahre alt ist. Diese Tochter, Ulrike von Levetzow, wird in die Literaturgeschichte eingehen als die Frau, in die sich der über 70-jährige Johann 83 Wolfgang von Goethe während eines Kuraufenthaltes in Marienbad verliebt – eine Episode im Leben des Dichters, die immer wieder Stoff für Sachbücher und Romane lieferte.217 3. Von ganz anderer Art ist die literarische Inspiration, für die Johann Christian August Clarus verantwortlich zeichnet, der als Tenor und Bass 1814 und 1815 gemeinsam mit seiner Frau Julie in den Singakademie-Akten auftaucht. Der Mediziner bekleidet einflussreiche Positionen als Professor an der Universität (1840/41 auch als Rektor), als Oberarzt am Ja- kobsspital und als Stadtphysikus. Er darf sich Hof- und Medizinalrat nennen und wird 1838 zudem zum Leipziger Ehrenbürger ernannt. Bleibenden Eindruck hinterlässt er durch ein psychiatrisches Gutachten mit dem Titel Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Chris- tian Woyzeck nach Grundsätzen der Staatsarzneikunde aktenmäßig erwiesen. Bekanntlich führt der Prozess gegen Johann Christian Woyzeck, in dem Clarus als Gerichtsgutachter auftritt, zur öffentlichen Hinrichtung Woyzecks am 27. August 1824 auf dem Leipziger Markt.218 Das Gutachten wird in einer medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht und wird so, ge- meinsam mit dem Wissen über andere ähnliche Fälle, zur Vorlage für Georg Büchners Fragment gebliebenes Drama Woyzeck. Darüber hinaus ist Clarus in Leipzig der Hausarzt Bartholdys, Mendelssohn besuchte ihn gelegentlich und musizierte ge- meinsam mit seiner Frau.219 Nach diesen drei literarisch bedeutsamen Singakademie-Mitgliedern soll auf einige Männer hingewiesen werden, die auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet Bleiben- des geleistet haben, und auf ihre Singakademie-Verbindungen. Es wäre müßig, hier einfach

217 Zuletzt bei Martin Walser, Ein liebender Mann, Reinbek 2008. 218 Weiteres hierzu und ausführliche Quellenhinweise z. B. bei Sebastian Schmideler/Holger Steinberg, »Der ›Fall Woyzeck‹. Historische Quellen, zeitgenössische Diskurse«, in: Literatur und Recht im Vormärz, hrsg. von Claude D. Conter (Jahrbuch Forum Vormärz Forschung 15, 2009), Bielefeld 2010, S. 41–58. 219 Für den Hinweis hierauf bin ich Benedikt Leßmann und Sebastian Schmideler zu Dank verpflichtet. Vgl. Brief Nr. 1241 sowie die Kommentare zu den Briefen Nr. 1240, Z. 20, und Nr. 1269, Z. 7, in: Felix Men- delssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 4: August 1834 bis Juni 1836, Kassel 2011, S. 339, 627, 640. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

alle Professoren, Stadträte oder Publizisten aus den Singakademie-Akten aufzuzählen, viel- mehr sollen einige wenige Protagonisten als Beispiele angeführt werden: Christian Friedrich Schwägrichen, ein Biologe mit den Schwerpunkten Botanik und Naturgeschichte, absolviert seine gesamte akademische Karriere in Leipzig. Studium, Promotion, Habilitation und Professur reihen sich nahtlos aneinander. Als er 1814 der Schulz’schen Singakademie beitritt, ist er seit acht Jahren Direktor des Botanischen Gartens der Universität Leipzig. Diesen Posten wird er 1837 an den Medizinprofessor Gustav Kunze abtreten – der noch als Student der Schulz’schen Singakademie beigetreten ist, genau eine Woche nach Schwägrichen. Letztgenannter reist für seine Forschung mehrfach über den Atlantik. Er unternimmt Forschungsreisen nach Kuba (1822) und nach Nordamerika (1824), auf denen ihn der gerade frisch promovierte Eduard Pöppig begleitet, der später für lange Jahre als Professor für Zoologie an der Universität Leipzig wirken wird. Eduard Pöppig selbst tut sich zwar nie als Sänger hervor, jedoch ist seine Schwester Emilie ab 1816 in der 84 Schulz’schen Singakademie aktiv. Mit dem gerade erwähnten Gustav Kunze ist die folgende Person, soweit bekannt, nicht verwandt, sie ist aber für einige Jahre gemeinsam mit ihm im Vorstand der Schulz’schen Singakademie aktiv: Wilhelm Friedrich Kunze steht beispielhaft für die Vermittlerrolle zwi- schen Wirtschaft, Politik und Kulturbetrieb, die manche Singakademie-Mitglieder zeit ihres Lebens einnehmen. Ähnlich wie Jacob Bernhard Limburger ist Kunze neben seinem Beruf als Firmenchef (Wachstuchproduktion, Spedition, Kommissionsgeschäfte) auch als Mit- glied der Gewandhaus-Konzertdirektion und als deren Kassierer aktiv, allerdings für einen wesentlich kürzeren Zeitraum als Limburger. Musikalisch muss Kunze ein Mehrfachtalent gewesen sein: Er ist schon zu Riems Zeiten in der Singakademie aktiv, die später von Jo- hann Philipp Christian Schulz übernommen wird, er spielt von 1815 bis 1830 immer wieder bei den ersten Geigen im Gewandhausorchester mit (ohne dafür Geld zu verlangen) und er tritt bei einer von Limburgers Privatakademien sogar als Chorleiter in Erscheinung, als Ver- tretung für den erkrankten Schulz. In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhun- derts ist Wilhelm Friedrich Kunze für insgesamt zehn Jahre als Stadtverordneter im Amt. Als angesehener Kaufmann ist er seit 1829 Mitglied in zwei Leipziger Freimaurerlogen, die Loge Apollo macht ihn 1852 sogar zum Ehrenmitglied. Ähnlich gelagert ist die Biografie des Bankiers Wilhelm Seyfferth, der in allen Zweigen der Singakademie seit 1802 aktiv ist und der ebenfalls Mitglied der Gewandhaus-Konzert- direktion ist. Die Leipziger Wilhelm-Seyfferth-Straße ist jedoch nicht nach ihm, sondern nach seinem Sohn Wilhelm Theodor Seyfferth benannt, der zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls in die Singakademie eintritt.220 Letzterer macht sich unter anderem durch eine großzügige testamentarische Stiftung für das Gewandhaus sowie durch die Schenkung des Johannaparks an die Stadt Leipzig einen Namen.

220 Siehe den Personeneintrag in Anhang 12.4: Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866. Biografik

Überhaupt mutet manche Sängerliste aus der Frühzeit der Singakademie wie ein Stra- ßenverzeichnis des heutigen Leipzigs an: Die Dörrienstraße, Gedikestraße, Leplaystraße und Schwägrichenstraße, um nur wenige Beispiele zu nennen, sind alle nach Menschen be- nannt, deren Stimmen man seinerzeit bei den Konzerten der Singakademie hören konnte. Die vollständigen Verweise zu allen mit Singakademie-Mitgliedern verbundenen Straßen- namen Leipzigs sind im Mitgliederlexikon bei den einzelnen Einträgen zu finden. Bei der Kaufmanns- und Bankiersfamilie Frege sind es ganze drei Straßen in Leip- zig, die Namen von deren Mitgliedern tragen. Der ab 1802 in den Singakademien aktive Christian Ferdinand Frege ist Namenspate für die Fregestraße, sein Vater Christian Gottlob für die Christianstraße und seine Schwägerin Sophia Henriette Frege, geb. Stoll, die 1814 bei einem Konzert der Singakademien mitsingt, ist die Schwiegermutter der berühmten Sängerin Livia Frege, geb. Gerhardt, nach der die Liviastraße benannt ist. Livia Frege, die in Leipzig und Berlin als Konzert- und Opernsängerin Furore macht, wird im Vereinsjahr 85 1848/49 zum Ehrenmitglied der Leipziger Singakademie ernannt.221 Überregionale Bedeutung erlangt auch Carl Theodor Küstner, dessen familiärer Hinter- grund oben schon erläutert wurde. Im Jahr 1802, kurz vor Beginn seines Jurastudiums, be- findet er sich unter den Gründungsmitgliedern der Schicht’schen Singakademie. Nach sei- ner Promotion in Göttingen nach Leipzig zurückgekehrt, tritt er der Zweiten Schicht’schen Singakademie bei. Küstners weitere Karriere ist nicht der Juristerei gewidmet, sondern dem Theater. Unter seiner Leitung wird 1817 das umgebaute Theater am Fleischerplatz unter dem Namen »Theater der Stadt Leipzig« wiedereröffnet – übrigens mit Friedrich Schneider als erstem Musikdirektor, der dafür die Leitung der Schicht’schen Singakademie nieder- legt. Weitere Tätigkeiten als Intendant und Theaterdirektor führen Carl Küstner (bzw. nach seiner Erhebung in den Adelsstand 1837: Carl von Küstner) nach , München und Berlin. Dort ist er 1846 Gründungspräsident einer Einrichtung, die bis heute als Arbeit- geberverband der Theater und Orchester in Deutschland besteht, des Deutschen Bühnen- vereins. Nicht unerwähnt bleiben dürfen einige Personen, die das Musikleben des 19. Jahrhun- derts in Leipzig und darüber hinaus prägten und die aus der einschlägigen musikwissen- schaftlichen Literatur bekannt sind. Sollte ihre Mitwirkung in den Singakademien bisher noch nicht bekannt gewesen sein (das ist allem Anschein nach fast bei allen der Fall), kann zu deren Biografien diese Tätigkeit jetzt als weiterer Baustein hinzugefügt werden. Ausge- klammert bleiben an dieser Stelle die Singakademiedirektoren, die oft selbst in einem Sing- akademie-Zweig singen, bevor sie die Leitung übernehmen, oder die sich an Limburgers Privatakademien beteiligen.222

221 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 27. 222 Ihre Biografien werden gesondert gewürdigt in Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

1. Einer von vielen Studenten, die sich zwar an der Universität immatrikulieren, aber bald eine musikalische Laufbahn einschlagen,223 ist August Ferdinand Anacker. Schon kurz nachdem er sich 1814 an der Universität eingeschrieben hat, singt er Bass in der Schicht’schen Singakademie. Von Schicht erhält er musikalischen Unterricht, ebenso von Friedrich Schneider. Auch in Riems Singakademie beteiligt sich Anacker und übernimmt bei dessen Weggang nach Bremen seine Klavierschüler. Im Jahr 1822 kehrt Anacker in seine Heimatstadt Freiberg zurück, wo er als Kantor und Musiklehrer wirkt und 1835 zum Musikdirektor ernannt wird. Seine Leipziger Zeit hat Anacker offenbar nachhaltig geprägt, organisiert er doch schon 1823 dort eine eigene Singakademie und veranstaltet später mit dem Freiberger Bergmusikkorps Instrumental- und Chorkonzerte nach dem Vorbild des Leipziger Gewandhauses. 2. Ein anderer Singakademie-Sänger ist mit seinen Volks- und Kinderlieddichtungen in das bis heute lebendige Repertoire eingegangen. Auch wenn der Name Ernst Anschütz 86 nicht sehr bekannt ist, seine Lieder »Fuchs, du hast die Gans gestohlen« und »Es klappert die Mühle am rauschenden Bach« oder seine Umdichtung von »O Tannenbaum« zur heute üblichen Fassung erfreuen sich noch immer größter Beliebtheit. Anschütz ist Hilfslehrer, später ordentlicher Lehrer an der Wendler’schen Freischule in Leipzig. Auch er erhält mu- sikalischen Unterricht von Johann Gottfried Schicht und ist von 1812 bis 1815 als Tenor bei mehreren Singakademie-Auftritten nachweisbar, einmal auch gemeinsam mit seiner Frau Maria. Er spielt verschiedene Instrumente und wirkt zudem ab 1818 in Leipzig als Kantor, zuerst an der Georgenkirche, dann an der Neukirche. 3. Ein weiterer Schüler Schichts taucht mehrmals in den Singakademie-Akten auf, be- vor er seine Komponisten- und Kapellmeisterkarriere beginnt: Carl Gottlieb Reißiger singt schon als Thomaner aushilfsweise im Gewandhaus und in der Singakademie. Als er sich 1818 an der Universität einschreibt, tritt er im selben Jahr der Singakademie bei. In den folgenden Jahren erscheint er auch als Geiger und Bratscher im Gewandhausorchester. Im Jahr 1821 verlässt er Leipzig und lässt sich nach mehreren Bildungsreisen, nach Einsätzen als Pianist, Opernkomponist und Musiklehrer, schließlich in Dresden nieder, wo er 1828 als 2. Kapellmeister die Nachfolge Carl Maria von Webers antritt. Später gehört er zu den Wegbereitern der Opern Richard Wagners, er selbst schafft rund 600 Kompositionen aller Genres. 4. Ferner fällt unter den Beteiligten der Ersten Schicht’schen Singakademie der Name von Auguste Wilhelmine Mahlmann ins Auge. Ihr Sohn bringt es zu einiger Bekanntheit: Siegfried August Mahlmann ist als Schriftsteller und Publizist aktiv, er leitet unter anderem die Zeitung für die elegante Welt und ist Pächter und Redakteur der Leipziger Zeitung. Zwar komponiert er nicht selbst, seine Gedichte werden jedoch häufiger vertont. Mahlmann zeigt

223 Vgl. Eszter Fontana/Stephan Greiner, »In Leipzig studieren, Musiker werden … Eine Liste Leipziger Studenten, die Musiker, Komponisten oder Instrumentenbauer geworden sind«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 445–457. Biografik seine musikalische Ader unter anderem als Herausgeber des Liederbuchs der Freimaurer-Loge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig (1822) und als Textverfasser des »Sachsenliedes«, das unter anderem 1815 von der Singakademie gesungen wird. 5. Unter den Sängerinnen der Singakademie ist eine weitere berühmte Mutter: Mari- anne Wieck tritt im September 1816 der Schulz’schen Singakademie bei, ihr Mann Friedrich war schon gut zwei Jahre länger im gleichen Verein aktiv. Marianne Wieck ist offenbar eine sehr gute Sängerin, denn sie wird in der Saison 1821/22 im Gewandhaus engagiert. Wesent- lich berühmter wird jedoch ihre 1819 geborene Tochter Clara. Wie allgemein bekannt, schei- tert die Ehe der Wiecks, und Marianne vermählt sich bald nach der Trennung aufs Neue, und zwar 1824 mit Adolph Barghiel. Letzterer ist, wie Wieck, in Leipzig als Musikpädagoge tätig. Er beteiligt sich zwar nicht direkt an den offiziellen Singakademien, sondern ist nur bei zwei von Limburgers Privatakademien anwesend, aber das Milieu in dem sich Barghiel und die Wiecks gemeinsam bewegen, ist damit doch klar umrissen. Marianne Barghiel, 87 wie sie nun heißt, bringt 1828 einen Sohn zur Welt, der seinerseits Karriere als Musikpä- dagoge und Komponist machen wird: Woldemar Bargiel (nach einer jüngeren Schreibung des Namens ohne h). Während die Barghiels bereits in Berlin wohnen, spielt sich in Leipzig 1839/40 der berühmte Prozess um die angestrebte Ehe zwischen Clara Wieck und ab, wobei wieder jemand beteiligt ist, der zwar nicht aus der Singakademie, jedoch aus dem unmittelbaren Umfeld stammt. Es handelt sich um Wilhelm Einert, den Bruder des bereits vorgestellten langjährigen Singakademie-Mitglieds Carl Einert. Wilhelm Einert ist als Advokat auf der Seite des jungen Paares und setzt sich erfolgreich für die Er- laubnis zur Heirat ein. Was folgt, ist bekannt: Friedrich Wieck verlässt Leipzig und geht nach Dresden, die Schumanns werden das wohl einflussreichste Künstlerpaar des 19. Jahr- hunderts. Die Vorstellung einiger ›bekannter Gesichter‹ aus der Leipziger Singakademie soll mit drei Männern enden, die sich um die Musikpublizistik verdient gemacht haben. Wie bei al- len anderen hier beschriebenen Personen und Beziehungen muss man zugestehen, dass es auch außerhalb der Singakademie genügend Gelegenheiten gab, sich zu treffen und infor- melle Bindungen zu pflegen. Aber gerade bei diesen dreien ist die Vorstellung bestechend, wie sie alle am 17. November 1820 in der Wohnung Jacob Bernhard Limburgers zu einer von dessen Privatakademien zusammenkommen: der 51-jährige Friedrich Rochlitz, sei- nes Zeichens Hofrat, Musikschriftsteller und Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion; der 37-jährige Gottfried Wilhelm Fink, musikinteressierter Leiter einer Erziehungsanstalt, späterer Dozent an der Universität und deren Ehrendoktor; und schließlich der ebenfalls 37-jährige Amadeus Wendt, Philosophieprofessor, Herausgeber des Leipziger Kunstblatts und des Musenalmanachs. Bei der genannten Versammlung sind Rochlitz und Wendt als »Musikgelehrte« eingeladen, Fink singt Tenor. Doch während es eigentlich den »Musikge- lehrten« vorbehalten ist, erklärende Worte zu den gesungenen Stücken zu geben, heißt es bei Limburger auch: »Da zwischen je zwei Sätzen dieses Stückes [»Miserere« von Gregorio Allegri] ein wenig geruht werden mußte, so sprach Hr. Fink in diesen Zwischenräumen et- was Ernstes, wobei er vorzüglich auf die Worte des Textes (eines Buspsalmes [sic]) Rücksicht Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

nahm […].«224 Die drei genannten teilen nicht nur die Fähigkeit, über Musik schreiben und sprechen zu können: Während Rochlitz bereits langjähriges Mitglied der Konzertdirektion ist, wird Wendt im folgenden Jahr erst beitreten. Rochlitz wird vor allem als Mitgründer und erster verantwortlicher Redakteur der Allgemeinen musikalischen Zeitung in die Geschichte eingehen. Zwanzig Jahre, von 1798 bis 1818 hat er diesen Posten inne, von 1828 bis 1841 wird kein geringerer sein Nachfolger sein als Gottfried Wilhelm Fink. Und ein wichtiger Autor für die Allgemeine musikalische Zeitung, der sich um Kunsttheorie und ihre Position in der Philosophie verdient macht, ist – Amadeus Wendt. Zu guter Letzt sind unter den Veranstaltern musikalischer Geselligkeiten in Leipzig im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, auf die Mirjam Gerber in ihrer Dissertation eingeht, ebenfalls einige Singakademie-Mitglieder. Hier wären die Ehepaare Carus (siehe Agnes Küster), Weiße (siehe Henriette Schicht) und die Gebrüder Raymund und Hermann Härtel zu nennen.225 Einige Akteure sind also auf verschiedenen Ebenen des Laienmusizierens 88 aktiv, als Mitglieder eines großen Gesangvereins ebenso wie im privaten Rahmen als Ver- anstalter kleinerer Musikaufführungen vor geladenen Gästen.

4.3 Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur

4.3.1 Zur Methode Um von den Einzelbiografien zu einer soziologischen Analyse zu gelangen, war es nö- tig, die durch die biografischen Recherchen gewonnenen Daten nach bestimmten Regeln in Zahlenwerte zu überführen. Die tabellarischen Übersichten über die so gewonnenen Ergebnisse sind im Anhang abgedruckt.226 Sie gliedern sich in eine ›Vollerhebung‹ aller bekannten Singakademie-Mitglieder über den gesamten Zeitraum 1802 bis 1821 und alle Singakademie-Zweige hinweg sowie eine Reihe von ›Stichproben‹, gegliedert nach den ver- schiedenen Singakademie-Gründungen in enger definierten Zeiträumen. Ein solches Verfahren auf einen Chorverein anzuwenden, stellt in der Musikwissenschaft eine neue Methode dar. In den Sozial- und Geschichtswissenschaften sind vergleichbare Methoden zwar etabliert, wurden aber anscheinend noch nicht auf gemischtgeschlechtliche Gruppen angewandt. Das liegt daran, dass die typischen von der Geschichtswissenschaft untersuchten Assoziationen im 18. und 19. Jahrhundert Männerbünde sind.227 Um die Nachvollziehbarkeit und die Verwendbarkeit für weitere Studien zu erhöhen, auch um die Methode der Kritik zugänglich zu machen, wird sie hier detailliert beschrieben. Es folgen

224 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 25v. 225 Gerber, Zwischen Salon und musikalischer Geselligkeit, S. 147–150, 166–167. 226 Siehe Anhang 12.3.4: Übersichten über die Ergebnisse der Mitgliederstatistik. 227 Zum Beispiel Freimaurerlogen: Robert Beachy, »Club Culture and Social Authority. Freemasonry in Leipzig, 1741–1830«, in: Paradoxes of civil society. New perspectives on modern German and British history, hrsg. von Frank Trentmann, New York 2000, S. 157–175. Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur

Verbalisierungen und Visualisierungen der Ergebnisse, erst im letzten Schritt werden die Daten gedeutet, verglichen und in den historischen Kontext gestellt. Dass die statistische Erhebung ohne größere Probleme durchgeführt werden kann und dass sie tatsächlich repräsentative Ergebnisse produziert, ist der erfreulichen Datenlage zu verdanken. Die insgesamt 276 in den frühen Singakademien aktiven und im angehängten Verzeichnis aufgeführten Personen bilden die Basis einer Gesamtauswertung, der Vollerhe- bung. Von ihnen konnten 226 ausreichend genau identifiziert und charakterisiert werden, um sie bereits zum Zeitpunkt des ersten Auftretens in den Akten einer bestimmten Tätig- keit zuzuordnen. Von über 80 % der Sängerinnen und Sänger ist also der soziale Status zu dem Zeitpunkt bekannt, an dem sie einer der Leipziger Singakademien beitreten bzw. zum ersten Mal in einem Konzert mitwirken. Bei den anschließenden Teilauswertungen, den Stichproben 1 bis 4, liegt der Anteil der ausreichend Identifizierten ähnlich hoch oder noch höher, er erreicht bis zu 96 %. 89 Sowohl bei der Vollerhebung als auch bei den Stichproben wurde neben der Verteilung der Geschlechter auch das Durchschnittsalter der Sängerinnen und Sänger bestimmt. In die Berechnung des Durchschnittsalters konnten natürlich nur diejenigen Personen ein- bezogen werden, deren Geburtsjahr bekannt ist. Diese Gruppe ist nicht identisch mit der Gruppe der ausreichend Identifizierten; es lassen sich z. B. viele Studenten über die Matri- kel der Universität ausreichend identifizieren, ihr Geburtsjahr bleibt dennoch im Dunkeln. So wie im Personenlexikon auf die Wiedergabe des genauen Geburtsdatums mit Monat und Tag verzichtet wurde, wurde auch zur Berechnung des Durchschnittsalters nur das Jahr be- nutzt. Das Alter wurde durch einfache Subtraktion des Geburtsjahres vom Erhebungsjahr bestimmt; das jeweilige Erhebungsjahr wird in den Auswertungstabellen unter dem Stich- wort »Zählprinzip« angeführt. Bei Menschen, deren Geburtsjahr nicht eindeutig bekannt ist, sondern von verschiedenen Quellen abweichend angegeben wird, wurde kurzerhand der Mittelwert zwischen den differierenden Angaben als Geburtsjahr festgesetzt. Abwei- chungen von plus/minus einem Jahr sind also unvermeidlich. Sie können guten Gewissens in Kauf genommen werden, weil wegen des relativ geringen Anteils an Personen mit be- kanntem Geburtsjahr (zwischen 52 % und 74 %) die Zahlen dieser Rubrik ohnehin nur als vorsichtige Annäherung verstanden werden dürfen. Bei der statistischen Auswertung der Biografien wurden zwei Felder unterschieden, nämlich einerseits die Haupttätigkeit der Personen, d. h. der Beruf oder das Studium; und andererseits die Zugehörigkeit zu bestimmten enger definierten Gruppen. Die Kategorien innerhalb dieser Felder ergaben sich durch das vorhandene biografische Wissen. Es sind im Einzelnen:

Haupttätigkeit: Schüler Studenten (mit Untergruppen nach Fächern: Jura; Medizin; Theologie; Fach unbe- stimmt) Kaufleute/Kramer/Bankiers (z. B. Kauf- und Handelsherr, Sensal, Gastwirt) Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Juristen (z. B. Advokat, Richter, Protonotar, Gerichtsbeisitzer) Mediziner (z. B. praktischer Arzt, Pharmazeut, Lehrstuhlinhaber an der medizinischen Fakultät) Kleriker (z. B. Pfarrer, Diakon, Katechet) Philosophen/Philologen (z. B. Professor für Philosophie, Professor für Philologie) höhere Angestellte/Beamte (z. B. Oberpostkommissar, Accise-Einnehmer, Konsul) sonstige Angestellte (z. B. Buchhalter, Stallmeister, Verlagsgehilfe) Lehrer/Privatlehrer/Direktoren (z. B. Schul- oder Akademiedirektor, Hilfslehrer, Sprach­ lehrer) Redakteur/Schriftsteller (diese Kategorie hat nur einen Vertreter: Friedrich Rochlitz) Militärs (z. B. Sous-Lieutenant, Hauptmann) Musiker (z. B. Geiger im Stadtorchester, im Großen Konzert engagierte Sängerin) Handwerker (z. B. Zimmermann, Instrumentenbauer) 90 unbestimmt

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung (mit Untergruppen nach Stellung: angestellt bei Stadt oder Staat; Ratsmitglieder) Universität (mit Untergruppen nach Stellung: Dozenten; Professoren) Gewandhaus (mit Untergruppen nach Funktion: Mitglieder der Konzertdirektion; Or- chestermusiker/Sängerinnen) Adlige Freimaurer Gesellschaften (mit Untergruppen: Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten)

In diese Kategorien lassen sich nun die Mitglieder der Singakademien eines nach dem an- deren einordnen. So entsteht eine numerische Verteilung, die es ermöglicht, ein soziales Profil der Vereine zu erstellen und die Veränderung dieses Profils im Laufe der Zeit zu be- obachten. Allerdings ist das Überführen von geschriebenen Biografien in Daten, mit denen man rechnen kann, nicht ganz unproblematisch. Das Kodieren der Informationen muss nach festen und transparenten Regeln geschehen, damit die Ergebnisse vergleichbar und nachvollziehbar sind. Es folgt eine Übersicht der angewandten Kodierungsregeln mit Be- gründungen und Beispielen: 1. Die beiden Felder »Haupttätigkeit« und »Gruppenzugehörigkeit« werden unter- schiedlich behandelt, insofern im ersten Feld jede Person einer (und nur einer) Kategorie angehören muss. Doppelnennungen sind nicht möglich. Die nicht ausreichend identifizier- ten Personen werden in der Kategorie »unbestimmt« registriert. Die Summe aller Einträge im Feld »Haupttätigkeit« muss also gleich der Gesamtzahl der jeweils erfassten Personen sein. Im Feld »Gruppenzugehörigkeit« ist es hingegen möglich, keine Angabe zu machen oder die Person zu einer oder gar mehreren Kategorien zu zählen, je nachdem, wie vielen Gruppen sie angehört. Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur

2. Der betrachtete Zeitpunkt ist bei jeder Auswertung mit anzugeben. Er bestimmt die Kategorisierung der Person. Eine Person kann zu verschiedenen Zeitpunkten in verschie- dene Kategorien fallen. Wenn man beispielsweise die Mitglieder der Schicht’schen Sing- akademie 1802 mit denen der Schulz’schen Singakademie von 1815 vergleicht, muss Carl Küstner 1802 als Kaufmannssohn kategorisiert werden (nicht als Student, denn er immat- rikuliert sich erst 1803), 1815 ist er schon promovierter Jurist. Er ist zu beiden Zeitpunkten nicht als Gewandhausorchester-Mitglied (er spielt dort nur 1808) und nicht als Freimaurer (das wird er erst 1819) zu führen. 3. Vermutungen fließen nicht in die numerische Auswertung ein. Wo Personen nicht sicher identifiziert sind, werden sie im Bereich »Haupttätigkeit« unter »unbestimmt« er- fasst. Nur wenn aufgrund von Indizien sehr viel für die Identifikation einer bestimmten Person spricht, sind diese Indizien im Personenlexikon dargelegt und die Person wird wie eine sicher identifizierte gezählt. Eine weitere Ausnahme bilden Fälle, bei denen zwar nicht 91 genau gesagt werden kann, um welche Person es sich handelt, der in Frage kommende Personenkreis aber so klein und homogen ist, dass eine sichere Identifizierung an der Kate- gorisierung nichts ändern würde. Z. B. ist es für die Auswertung egal, ob sich hinter »H. Lincke« Heinrich Ernst Lincke II oder dessen Sohn Heinrich Ernst Lincke III verbirgt, weil beide dem Kaufmannsstand zuzurechnen sind. 4. Wie auch beim biografischen Lexikon müssen bei der numerischen Auswertung ge- wisse Zugeständnisse gemacht werden, die teils der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur der damaligen Zeit und teils der nicht immer befriedigenden Datenlage geschuldet sind: Wenn über die Tätigkeit oder Gruppenzugehörigkeit einer Person selbst nichts bekannt ist, sondern nur über andere Personen aus ihrer Familie, so darf die Person auch indirekt kate- gorisiert werden. Dieses indirekte Kategorisieren betrifft vor allem Frauen und geschieht wiederum nur nach definierten Regeln: 4a. Es gilt entsprechend der Gesellschaftsstruktur und der Denkweise der Zeit: Bei un- verheirateten Frauen, von denen kein eigener Beruf bekannt ist, wird der Beruf und die Gruppenzugehörigkeit des Vaters gezählt. Bei verheirateten Frauen gilt gleiches für den Ehemann. 4b. Bei Männern, die noch keinen eigenen Beruf ergriffen und kein Studium aufge- nommen haben, wird der Beruf und die Gruppenzugehörigkeit des Vaters gezählt. 4c. Bei solchen indirekten Zuschreibungen gilt das Prinzip, dass die Kategorisierung zu einem definierten Zeitpunkt immer nur anhand einer Bezugsperson erfolgen darf. Es dürfen nicht die Eigenschaften von zwei Bezugspersonen vermischt werden (etwa Vater und Ehemann), dies würde die Zahlen nur künstlich aufblähen. Zusammen mit Regel 2 ergibt sich hieraus, dass die Bezugsperson zu verschiedenen Zeitpunkten eine unterschied- liche sein kann, weshalb die Kategorien, in eine Person eingeordnet wird, im Laufe der Zeit wechseln können. So ist z. B. Betty Tischbein bei der Gründung der Schicht’schen Singaka- demie 1802 als Tochter des Direktors der Leipziger Kunstakademie, also in der Kategorie »Lehrer/Privatlehrer/Direktoren« einzuordnen. Bei einer Auswertung der Mitgliederstruk- tur von Limburgers Privatakademien (1820/21) ist sie hingegen als Ehefrau von Wilhelm Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Friedrich Kunze, den sie 1807 geheiratet hat, somit als Mitglied einer Kramer-Familie und sogar als Angehörige eines (wenn auch nicht hauptberuflichen) Gewandhaus-Musikers zu kategorisieren. 4d. Bei Gruppen, denen man beitreten und aus denen man austreten kann (d. h. Ge- wandhaus-Konzertdirektion, Freimaurerlogen, Gesellschaften; damit sind nicht die Berufe gemeint), darf das indirekte Zuschreiben von Personen nur anhand von zum betreffen- den Zeitpunkt noch lebenden Bezugspersonen geschehen. So wird etwa Agnes Küster, die Tochter des Harmonie-Mitglieds Christian Gottlob Küster (1760–1818), bei ihrem ersten Mit- wirken in einer Singakademie im Jahr 1815 der Gruppe »Harmonie« zugeordnet. Sie und ihre beiden Geschwister (Vornamen unbekannt), die in den Jahren 1820/21 Mitwirkende in Limburgers Privatakademien sind, werden zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr in den Harmonie-Kontext eingeordnet, da die Harmonie-Bezugsperson, ihr Vater, bereits verstor- ben ist. Soziale Netzwerke werden hier also als Netzwerke zwischen lebenden, interagieren- 92 den Menschen verstanden. In den Singakademien treffen sich Menschen bestimmter Berufs- und Gesellschafts- gruppen. Um dies adäquat abzubilden, muss man der historischen Situation und der Datenlage Rechnung tragen, indem man – wie durch Regel 4 geschehen – Personen als Angehörige eines gewissen Kreises betrachtet, auch wenn über sie selbst nichts Konkretes bekannt ist. Eben weil die Frauen der mittleren bis höheren bürgerlichen Schichten, wie sie sich in den Singakademien treffen, in den seltensten Fällen einen eigenen Beruf ausüben, ist dieses Vorgehen gerechtfertigt. Für die Auswertung hat das die Konsequenz, dass es im Folgenden also nicht »Juristen«, »Kaufmänner« und »Professoren« sind, die gezählt wer- den, sondern dass deren in der Singakademie mitwirkende Töchter, Söhne und Ehefrauen ebenfalls als Angehörige dieser Kreise mitgezählt werden.

4.3.2 Überblick: Mitgliederzahl, Geschlechterverteilung, Durchschnittsalter Die gewonnenen Zahlen erlauben es, relativ genaue Aussagen über die Mitgliederstruktur der verschiedenen Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 zu treffen. Dabei be- stätigt sich manche bekannte These, es treten aber auch einige Überraschungen zu Tage. Die Auswertung ist in die drei Felder der Auswertungstabellen unterteilt: Kennzahlen, Haupttätigkeit und Gruppenzugehörigkeit. M i t g l i e d e r z a h l : Die Schicht’schen Gründungen 1802 und 1812 mit den jeweils in den beiden folgenden Jahren hinzugetretenen Mitgliedern versammeln beide die gleiche Anzahl an Sängerinnen und Sängern, nämlich genau 43 (Stichproben 1 und 2). Hingegen enthält die Stichprobe 3 mehr als drei Mal so viele Personen (153), die im Zeitraum von 1814 bis ca. 1818 in der Schulz’schen Singakademie mitwirken. Weit überschaubarer ist der Kreis von gerade einmal 27 Gästen bei Limburgers drei Privatakademien. Verteilung der Geschlechter: Alle vier Stichproben weisen darauf hin, dass Frauen in den Singakademien leicht in der Unterzahl sind. Der Männeranteil liegt immer zwischen etwa 55 und 60 Prozent. Dass in der Vollerhebung das Geschlechterverhältnis Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur fast ausgeglichen ist (Männeranteil 52,5 %), liegt nicht etwa an einem Rechenfehler: Die Vollerhebung enthält neben den in Limburgers Annalen und in der Akte zur Schulz’schen Singakademie verbrieften Mitgliedern zusätzlich die Personen, die in den genannten Listen nicht als feste Mitglieder auftauchen, aber von Limburger als Sängerinnen und Sänger bei bestimmten Auftritten in den Jahren 1812, 1814 und 1815 genannt werden. Dafür, dass diese Personen nicht als Mitglieder registriert sind, aber als Sänger bei einzelnen Auftritten, sind zwei Erklärungen denkbar. Entweder werden sie als Nichtmitglieder zu den Auftritten her- angezogen (und dabei wird eventuell darauf geachtet, den Mangel an Frauenstimmen aus- zubalancieren). Oder sie treten zwar einer Singakademie bei, fehlen aber aus nicht näher bestimmbaren Gründen trotzdem in den eigentlichen Mitgliederlisten.228 Durchschnittsalter: Die Vollerhebung und die ersten drei Stichproben weisen auf eine weitere für den Chorgesang recht günstige Kenngröße hin: Das durchschnittliche Alter der Sängerinnen und Sänger bei der ersten Erwähnung in den Akten liegt in allen 93 Singakademie-Zweigen zwischen etwa 24 und 28 Jahren. Dafür verantwortlich sind vor allem die vielen sehr jungen Sängerinnen. Die jüngsten sind zu Beginn ihres Singakade- mie-Engagements gerade um die 13 Jahre alt (z. B. Cecilie Falcke und Henriette Schicht). In der Altersgruppe bis etwa 20 Jahre sind Frauen deutlich in der Überzahl. Die jüngsten Männer sind etwa 17 Jahre alt (z. B. Heinrich Ferdinand Kunze als sehr junger Student und Herr Fest als Thomasschüler, falls die Vermutung zutrifft, dass es sich hier um Carl August David Fest handelt). Limburgers Privatakademien fallen mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren aus dem Rahmen. Die Altersspanne liegt dort zwischen 18 (Agnes Küster) und 67 Jahren (Johann Gottfried Schicht). Das liegt daran, dass Stichprobe 4 zeitlich am spätesten angesiedelt ist (1820/21) und viele Beteiligte schon länger in dem einen oder anderen Sing- akademie-Zweig aktiv sind. Limburger rekrutiert seine Sängerinnen, Sänger und Musik- gelehrten aus den Kreisen seiner Bekannten und Kollegen, er heuert keinen Nachwuchs an – was sich im Durchschnittsalter niederschlägt und eventuell auch einen Faktor für das Scheitern von Limburgers Ideen darstellt.

4.3.3 Überblick: Haupttätigkeiten der Sängerinnen und Sänger Die folgenden Diagramme stellen die Verteilungen der Berufs- und Standesgruppen in den verschiedenen Zweigen der Singakademie dar. Sie basieren direkt auf den Zahlen im Be- reich »Haupttätigkeit« aus den Auswertungstabellen.

228 Zum Beispiel singt Demoiselle Mende 1814 und 1815 in zwei Konzerten mit. Sie ist auf der entsprechen- den Sängerliste als Mitglied der Schicht’schen Singakademie markiert, fehlt aber in der eigentlichen Mitgliederliste, wo Limburger die Gründungsmitglieder und die bis 1814 hinzugetretenen Mitglieder erfasst, und ist deshalb auch nicht in Stichprobe 2 enthalten. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Handwerker 3 Musiker 18 unbestimmt 50 Militärs 3 Redakteur/Schriftsteller 1 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 13 sonstige Angestellte 8 höhere Angestellte/Beamte 6 Schüler 1 Philosophen/Philologen 3 Kleriker 3

Mediziner 11

Studenten 56 Juristen 25

94

Kaufleute/Kramer/Bankiers 75

Abbildung 5: Sämtliche Mitglieder der Leipziger Singakademien und Beteiligte an den protokollierten Auftritten 1802–1821, einschließlich Limburgers Privatakademien 1820/21 (Vollerhebung), Haupttätigkeit

unbestimmt 4 Musiker 7

Studenten 3

Lehrer/Privatlehrer/ Direktoren 4

höhere Angestellte/Beamte 1 Kleriker 1

Mediziner 2

Juristen 2 Kaufleute/Kramer Bankiers 19

Abbildung 6: Die Gründungsmitglieder der Schicht’schen Singakademie 1802 und die bis 1804 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins 1802–1804 (Stichprobe 1), Haupttätigkeit Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur

unbestimmt 4 Musiker 3 Militärs 1 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 2

sonstige Angestellte 1 Studenten 6

höhere Angestellte/Beamte 3

Kleriker 1

Mediziner 2

95 Juristen 4

Kaufleute/Kramer Bankiers 16

Abbildung 7: Die Gründungsmitglieder bei der Neugründung der Schicht’schen Singakademie 1812 und die bis 1814 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins (Stichprobe 2), Haupttätigkeit

Musiker 3 Handwerker 3 Militärs 2 unbestimmt 22 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 4 sonstige Angestellte 6 höhere Angestellte/Beamte 3 Philosophen/Philologen 2

Mediziner 9

Juristen 12

Studenten 45

Kaufleute/Kramer/Bankiers 42

Abbildung 8: Die Mitglieder der Schulz’schen Singakademie von ihrer Gründung (1814) bis ca. 1818 (Stichprobe 3), Haupttätigkeit Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

unbestimmt 2

Studenten 1 Musiker 7

Kaufleute/Kramer Bankiers 6

Redakteur/Schriftsteller 1

96 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 2

Philosophen/Philologen 1 Mediziner 1 Juristen 6

Abbildung 9: Die Teilnehmer an Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21 (Stichprobe 4), Haupttätigkeit

Trotz aller Detailunterschiede zwischen den einzelnen Stichproben ergibt sich bei der Haupttätigkeit der Sängerinnen und Sänger ein relativ homogenes Bild. Drei Gruppen prägen die Leipziger Singakademien: Kaufleute, Studenten und Akademiker; quantitativ in dieser Reihenfolge. Die folgenden Überlegungen gelten unter der bereits erläuterten Ein- schränkung, dass z. B. bei einem Kaufmann auch dessen Ehefrau sowie seine Töchter und Söhne zum Kaufmannsstand gezählt werden. Dominierend ist der Anteil der K a u f m a n n s c h a f t , er schwankt zwischen 22,2 % (Limburgers Privatakademien, Stichprobe 4) und 44,2 % (Erste Schicht’sche Singakademie, Stichprobe 1). Hierzu werden Großhändler ebenso wie Bankiers und Inhaber von Einzel- handelsgeschäften gezählt. In Stichprobe 3 (Schulz’sche Singakademie) überwiegen die Studenten leicht gegenüber der Kaufmannschaft, hier stellen beide je ein knappes Drittel der Sängerinnen und Sänger. In den elitären Privatakademien Jacob Bernhard Limburgers spielen die Kaufleute neben den Akademikern und Berufsmusikern nur noch eine gleich- berechtigte Rolle und stellen weniger als ein Viertel der Sänger. Die Kaufleute, Kramer und Bankiers bilden aber insgesamt die weitaus größte Berufsgruppe innerhalb der Singakade- mien, wie die Vollerhebung zeigt, in der sie deutlich mehr als ein Viertel ausmachen. Die stärksten Schwankungen weist die Gruppe der S t u d e n t e n auf. In den Privat- akademien Limburgers ist sie nur durch eine Person vertreten, in den beiden Schicht’schen Gründungen zu 7 % (Stichprobe 1) beziehungsweise 14 % (Stichprobe 2). Die Schulz’sche Singakademie hingegen ist ganz wesentlich studentisch geprägt, hier übertrifft die Gruppe Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur der Studenten sogar die sonst immer dominierende Kaufmannschaft. Fast 30 % der Sänger unter der Ägide von Johann Philipp Christian Schulz sind Studenten. Unter A k a d e m i k e r n werden hier Männer verstanden, die einen Beruf ausüben, für den in der Regel ein abgeschlossenes Studium die Voraussetzung ist. Darunter fallen voll- ständig die Vertreter folgender Kategorien: Juristen, Mediziner, Kleriker und Philosophen/ Philologen. Diese Gruppen sind in den Diagrammen schraffiert. In der Kategorie Lehrer/ Privatlehrer/Direktoren sind ebenfalls einige Graduierte, allerdings finden sich dort auch Männer, die ihr Studium nicht abgeschlossen haben. Die vier zuerst genannten Kategorien zusammengefasst, weisen sowohl die Vollerhebung als auch die Stichproben 1 bis 3 Akade- mikeranteile von etwa 12 bis 17 % auf, während Limburgers Privatakademien (Stichprobe 4) mit knapp 30 % aus dem Rahmen fallen. Die Kategorien »Schüler« und »Redakteur/Schriftsteller« haben insgesamt nur je einen Vertreter, die höheren und sonstigen Angestellten, Militärs und Handwerker sind immer 97 nur durch wenige Personen vertreten, so dass es nicht gerechtfertigt wäre, sie als ausge- prägte eigene Mitgliedsgruppen darzustellen. Die einzige verbleibende Gruppe, die eine anscheinend eine höhere Relevanz hat, ist die der B e r u f s m u s i k e r. Bei der Schicht’schen Singakademien macht sie 16,3 % (Stich- probe 1) beziehungsweise 7 % (Stichprobe 2) aus. In der Schulz’schen Singakademie fällt sie mit 2 % nicht ins Gewicht (Stichprobe 3), während sie bei Limburgers Privatakademien durch sieben Personen vertreten ist und dort mit 25,9 % die größte Gruppe bildet. Innerhalb der Kategorie »Musiker« finden sich vor allem Damen, die als Solosängerinnen bekannt sind (z. B. die Geschwister Campagnoli, Thekla Battka und Chatinka Comet – die meisten von ihnen sind im Laufe ihres Lebens auch für einige Saisons am Gewandhaus engagiert), und renommierte Musikdirektoren wie Johann Gottfried Schicht, Johann Philipp Christian Schulz und Friedrich Schneider. Die drei letztgenannten treten als »Musikgelehrte« in Lim- burgers Privatakademien auf. Dadurch, und überhaupt durch Limburgers hervorragende Kontakte in die Leipziger Musikszene und insbesondere zum Gewandhaus, lässt sich der hohe Musiker-Anteil in Stichprobe 4 erklären. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

4.3.4 Überblick: Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen Das Diagramm (siehe Abbildung 10) zeigt jeweils den Anteil der verschiedenen Gruppen aus dem Feld »Gruppenzugehörigkeit« für alle vier Stichproben:

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Abbildung 10: Anteile von Vertretern verschiedener sozialer Gruppierungen in der Ersten und Zweiten Schicht’schen Singakademie, in der Schulz’schen Singakademie und in Limburgers Privatakademien Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur

Während man bei der Auswertung der Haupttätigkeit im vorangegangenen Abschnitt auch in gewissem Sinne von Gruppen sprechen kann, von Studenten, die gemeinsam die Universität besuchen oder von Kaufleuten, die untereinander Geschäftskontakte pflegen, geht es bei den hier gemeinten Gruppen um enger definierte Zirkel. Hier haben sich ent- weder Menschen zu einem bestimmten Zweck und nach festgelegten Regeln zusammenge- funden (z. B. Gewandhaus-Konzertdirektion, Freimaurerlogen) oder es ist der gemeinsame Arbeitgeber (z. B. die Stadt oder die Universität), der sie zu einer herausgehobenen Gemein- schaft vereint. Nur die Gruppe »Adel« fällt als althergebrachter gesellschaftlicher Stand, dem man nicht ohne Weiteres beitreten oder daraus ausscheiden kann, aus diesem Muster. Sie ist hier aufgeführt, um zu verdeutlichen, dass sich in allen Singakademien (außer der ersten Schicht’schen Gründung 1802, Stichprobe 1) Adlige mit Nichtadligen mischen, wobei der Anteil der Adligen aber nie wesentlich über fünf Prozent beträgt. Nach wie vor gilt das erläuterte Prinzip, dass auch Töchter, Söhne und Ehefrauen eines Vertreters einer Gruppe 99 zu der jeweiligen Gruppe gezählt werden. Politiker und städtische/staatliche Angestellte: Hier sind Ratsmit- glieder und andere Angestellte der Stadt oder einer in Leipzig ansässigen Behörde des Kö- nigreichs Sachsen in einem Wert zusammengefasst. Die Verteilung auf die Untergruppen »angestellt bei Stadt/Staat« und »Ratsmitglieder« lässt sich den Tabellen entnehmen. Wäh- rend bei Schichts erster Singakademie in den Jahren von 1802 bis 1804 noch relativ wenige Vertreter des Rates der Stadt und der städtischen Behörden mit von der Partie sind (3 Per- sonen oder 7 %), steigt deren Anteil in der zweiten Schicht’schen Gründung (Stichprobe 2) auf mehr als das Doppelte (7 Personen, 16,3 %). Auch die Schulz’sche Singakademie weist einen vergleichbaren Anteil städtischer und staatlicher Angestellter auf. In Limburgers Pri- vatakademien (Stichprobe 4) erhöht sich dieser Anteil noch einmal, so dass ein Drittel der Mitglieder zu dieser Gruppe zu zählen sind. Dozenten und Professoren an der Universität: Auch hier wurden für die Auswertung zwei Untergruppen, Dozenten und Professoren, zusammengefasst, deren Einzelwerte den Tabellen zu entnehmen sind. Der Anteil der an der Universität Lehren- den ist in allen vier Stichproben relativ gering. Er erreicht sein Maximum bei 4,6 % in der Schulz’schen Singakademie (Stichprobe 3), während in der Ersten Schicht’schen Singakade- mie (Stichprobe 1) gar kein Mitglied des Lehrkörpers der Leipziger Universität zu finden ist. Gewandhaus-Direktionsmitglieder und -Musiker: Abgesehen von der Schulz’schen Akademie, wo nur ein einziges Direktionsmitglied des Gewandhausor- chesters vertreten ist (Jacob Bernhard Limburger), schwankt der Anteil der Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion und deren Angehöriger zwischen 4,7 % (Stichprobe 2) und 11,1 % (Stichprobe 4). In vergleichbaren Regionen bewegen sich die Prozentsätze bei den Männern, die gleichzeitig zu ihrer Singakademie-Mitgliedschaft im Gewandhausorchester als Musiker tätig sind, und den Damen, die als Sängerinnen im Großen Konzert engagiert sind, so dass der aus beiden Untergruppen zusammengefasste Anteil der Gruppe »Gewand- haus« zwischen 4,6 % in der Schulz’schen Singakademie (Stichprobe 3) und stattlichen 22,2 % in Limburgers Privatakademien (Stichprobe 4) liegt. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Fr e i m a u r e r : Auffällig hoch ist der Freimaurer-Anteil. Während bei den Stichproben 1 bis 3 ungefähr ein Fünftel der Mitglieder selbst Freimaurer oder engste Familienangehö- rige eines Freimaurers sind, so macht dieser Anteil in Jacob Bernhard Limburgers Privat- akademien (Stichprobe 4) sogar 44,4 % aus. G e s e l l s c h a f t e n : Im Gegensatz zu den meisten anderen Kenngrößen der Gruppen- zugehörigkeit, wo im Vergleich der ersten drei Stichproben eine stetige Zunahme oder eine Stagnation der Anteile der relevanten Gruppen zu verzeichnen ist (nur die Gruppe »Ge- wandhaus« verliert an Bedeutung), verändert sich der Anteil im Bereich der Gesellschaften sprunghaft. Vor allem der Unterschied zwischen der Ersten Schicht’schen Singakademie der Jahre 1802 bis 1804 und der Zweiten Schicht’schen Akademie der Jahre 1812 bis 1814 ist auffällig: In der älteren Gründung (Stichprobe 1) sind nur 3 Personen (7 %) Mitglied der Gesellschaft Harmonie oder stammen aus dem engsten Familienkreis eines Mitglieds, wäh- rend in der jüngeren Gründung (Stichprobe 2) ganze 14 Personen (32,6 %) dem Umfeld der 100 Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten zuzurechnen sind. In der mitgliederstarken Schulz’schen Singakademie (Stichprobe 3) machen die 19 Sängerinnen und Sänger aus dem Umfeld der Gesellschaften einen Anteil von 12,4 % aus.

4.4 Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Was sagen die ermittelten Werte über die Zusammensetzung der verschiedenen Singaka- demie-Zweige aus und welche gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen des frühen 19. Jahrhunderts spiegeln sich darin wieder? In welchem Zusammenhang stehen die Chor- vereine mit anderen, älteren Assoziationen, die in Leipzig wirken? Welche tieferen Beweg- gründe gibt es dafür, dass sich zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort plötzlich sehr viele Menschen dafür interessieren, in einem Gesangverein aktiv zu werden? Zur Annäherung an diese Fragen müssen die Mitgliederdaten zusammengefasst, inter- pretiert und in den historischen Kontext eingeordnet werden. Die Felder »Haupttätigkeit« (z. B. »Musiker«) und »Gruppenzugehörigkeit« (z. B. »Gewandhaus«) müssen gemeinsam betrachtet werden, um die Zusammenhänge zu verstehen. Im Bereich »Haupttätigkeit« werden im Folgenden die Gruppen »Juristen«, »Mediziner«, »Kleriker« und »Philosophen/ Philologen« erneut zusammengefasst zu »Akademikern«. Einige Gruppen werden auch weiterhin nicht berücksichtigt, weil sie in den Ergebnissen nur sehr geringe Anteile auf- weisen, die nicht zu einer weitergehenden Interpretation berechtigen. Es handelt sich dabei um die Gruppen »Schüler«, »höhere Angestellte/Beamte«, »sonstige Angestellte«, »Leh- rer/Privatlehrer/Direktoren,« »Redakteur/Schriftsteller«, »Militärs« und »Handwerker«.229

229 Ihre Anteile liegen durchgehend bei 7 % oder weniger, abgesehen von den »Lehrern/Privatlehrern/ Direktoren«. Letztere weisen mitunter höhere Werte auf, gehören aber teilweise ebenfalls zu den »Aka- demikern«, weshalb sie nicht noch einmal eigens behandelt werden. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Ebenfalls wegen des geringen Anteils nicht gesondert gewürdigt wird im Feld »Gruppen- zugehörigkeit« die kleine Gruppe »Adlige«.

4.4.1 Anzahl, Alter und Geschlecht der Mitglieder Die Mitgliederzahlen zeigen, dass Johann Gottfried Schicht sowohl 1802 als auch 1812 eine durchaus solide Mitgliederbasis hat, auf die er aufbauen kann. Er beginnt bei der ers- ten Gründung mit 17 Sängerinnen und Sängern, bei der zweiten mit 20. Beide Male kann er binnen zweier Jahre die Mitgliederzahl mehr als verdoppeln, so dass aus der anfänglichen Kammerchorbesetzung ein stattliches Ensemble von 43 Personen wird. Das spricht für eine erfolgreiche Arbeit Schichts und dafür, dass die Idee der Singakademie den Nerv der Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts getroffen hat. Diese Zahlen verblassen hinter den insgesamt 153 Sängerinnen und Sängern der Singaka- demie von Johann Philipp Christian Schulz zwischen 1814 und 1818 (Stichprobe 3). Es entsteht 101 zunächst der Eindruck, dass die Schulz’sche Singakademie wesentlich stärker besetzt gewe- sen sei. Dabei muss man aber den im Vergleich zu den Schicht’schen Singakademien mehr als doppelt so langen Zeitraum beachten, den die Mitgliederliste in der Akte zur Schulz’schen Singakademie abdeckt (nämlich 1814 bis mindestens 1818). Mit Sicherheit sind nicht alle, die einmal beitreten, bis zum Ende des betrachteten Zeitraums aktiv.230 Außerdem erstreckt sich die Stichprobe 3 im Gegensatz zu den anderen Stichproben über den Zeitpunkt hinaus, an dem beide Singakademien sich zusammenschließen, was 1818 geschehen sein muss. In die- sem Zusammenschluss liegt ein weiterer Grund für die insgesamt höhere Mitgliederzahl unter Schulz. Trotz dieser Einschränkungen bleibt die beeindruckende Tatsache, dass allein 1814, im Jahr der Gründung der Schulz’schen Singakademie schon 70 Sängerinnen und Sän- ger dort beitreten, während gleichzeitig die konkurrierende Schicht’sche Singakademie über rund 40 Mitglieder verfügt. Zwei Jahre später, Ende 1816, tritt mit Friedrich August Borsam das 116. Mitglied der Schulz’schen Akademie bei. Der Mitgliederstand in Schichts Verein zu diesem Zeitpunkt ist zwar nicht exakt überliefert, aber vermutlich ist er deutlich geringer. Die Mehrheit der sangesfreudigen Leipziger hat sich für die Schulz’sche Akademie entschieden und die Menge der dort aktiven Personen zieht immer weitere an. Auch die Person des mu- sikalischen Leiters wird eine Rolle gespielt haben: Schulz feiert 1816 seinen 43. Geburtstag, während Schicht fast genau 20 Jahre älter als sein Konkurrent ist. Zwar sind beide, Schulz als Musikdirektor am Gewandhaus und Schicht als Thomaskantor, seit 1810 in gesellschaftlich hervorgehobenen Positionen, jedoch übt Schulz’ Position wohl die größere Anziehungskraft aus, ist damit doch die Chance auf Auftritte im Gewandhaus verbunden. Dass die Stichprobe 4, die die Beteiligten an Limburgers Privatakademien enthält, eine wesentlich überschaubarere Anzahl von Personen aufweist (27), entspricht dem Charakter dieser Versammlungen als Privatgesellschaften, die in Limburgers Wohnung stattfinden.

230 Von 33 Mitgliedern der Schulz’schen Singakademie ist in der Liste das Datum des Austritts aus dem Verein vermerkt. Es ist aber nicht klar, ob wirklich alle Austritte dort registriert worden sind, zumal die Liste gegen Ende offenbar immer inkonsequenter geführt wurde (dort fehlt auch oft das Beitrittsdatum). Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Tatsächlich hat keine der drei einzelnen Zusammenkünfte mehr als 23 Teilnehmer. Lim- burger selbst beklagt die große Fluktuation der Mitglieder und den unregelmäßigen Pro- benbesuch in der Schulz’schen Singakademie. Auch damit, dass Schulz die Proben vom Klavier aus leitet, ist Limburger unzufrieden.231 So ist sein Versuch, mit einer ausgewählten Gruppe gesondert eingeladener Sängerinnen, Sänger und »Musikgelehrter« eine intensi- vere Probenarbeit zu erreichen, in seinen eigenen Worten als Versuch zu verstehen, »mög- lichste[ ] Vollkommenheit«232 durch kleinere Gruppenstärke, andere Art der Probenleitung und durch musiktheoretische Vorträge zu erreichen. Die Gründe für den insgesamt hohen A n t e i l j u n g e r M e n s c h e n (das Durch- schnittsalter liegt, schließt man Limburgers Privatakademien aus, zwischen 24 und 28 Jahren) lassen sich erahnen, wenn man die Herkunft der Heranwachsenden anschaut: Es sind viele unverheiratete Töchter und Söhne aus gutem Hause, für die es an der Zeit ist, in die Gesell- schaft eingeführt zu werden. Hier spielt die gesellschaftliche Attraktivität der Gesangvereine 102 als außermusikalische Motivation eine Rolle. Während Sängerinnen, die nach heutigem Ver- ständnis fast noch Kinder waren, in den Singakademien mitsingen konnten, liegt das Schwel- lenalter bei männlichen Sängern wesentlich höher. Dafür gibt es einen einfachen praktischen Grund: An Knaben, die Sopran- und Altstimmen mitsingen können, besteht in gemischten Chorvereinen in der Regel kein Bedarf, nur bei Auftritten werden mitunter Thomasschüler zur Verstärkung einzelner Stimmen hinzugezogen.233 Als vollwertige Mitglieder in den Tenor- und Bassstimmen sind junge Männer erst nach dem Stimmbruch zu gebrauchen. Heutigen gemischten Laienchöre mangelt es bekanntlich häufig an Männern, vor al- lem an Tenören. Im Vergleich dazu erscheint die Ve r t e i l u n g d e r M ä n n e r- u n d Fr a u e n s t i m m e n , wie sie die Akten aus allen Zweigen der Singakademie berichten, geradezu ideal. Für den leichten Männerüberschuss in den Singakademien gibt es eine naheliegende Erklärung, nämlich die Verwandtschaft der Singakademie zu anderen Gesell- schaften und Zirkeln, also wiederum die bereits angedeuteten außermusikalischen Beweg- gründe. Dass nicht nur die Freude am Singen, sondern auch die Notwendigkeit der Pflege von informellen Netzwerken ein wesentliches Beitrittsmotiv ist, dass eine Singakademie- Mitgliedschaft demzufolge die Karriereaussichten verbessert, darf hier im Vorgriff auf spä- tere Erläuterungen schon gesagt werden. In einer Gesellschaft, in der es fast ausschließlich Männern vorbehalten ist, Karriere zu machen, sind es selbstredend Männer, die von diesem Faktor angelockt werden.

231 Vgl. D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 23r–23v. 232 Ebd., fol. 23r. 233 Bei der ersten Probe der 1802 gegründeten Schicht’schen Singakademie »wurden einige Thomaner als Hülfe genommen« (ebd., fol. 2v). Beim Konzert der Schicht’schen und der Riem’schen Singakademie am 8.5.1814 (Wiederholung des Konzerts vom 20.4.1814) »beschloß man, jedoch dem Publiko unbe- wusst, zwölf Thomasschüler zuzuziehen, nämlich: Tag, Reisiger, Trainer II und Kimmel zum Alt […]. Ferner die Hrn. Fleck, Wendt, Groh, Trainer I u. Kirsten zum Tenor und die Hrn. Feine, Schwarzenberg, Förtsch und Einert sämtlich von der Thomasschule zum Baß« (ebd., fol. 13r–13v). Auch zum Konzert der Schicht’schen und der Schulz’schen Akademie am 18.10.1814 hatte man »3 Altisten und 2 Tenoristen von der Thomasschule […] eingeladen« (ebd., fol. 15v). Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

4.4.2 Studenten, Lehrende an der Universität, Akademiker Ein bedeutender Teil der Sänger in den frühen Singakademien stammt aus der Leipziger S t u d e n t e n s c h a f t . Besonders die Schulz’sche Singakademie sticht mit einem Studen- ten-Anteil von 29,4 % hervor. Damit ist aufs Neue ein Phänomen bestätigt, dass sich seit der Gründung der Universität wie ein roter Faden durch die Leipziger Musikgeschichte zieht: Studenten sind bis weit ins 19. Jahrhundert hinein aus keiner musikalischen Einrichtung Leipzigs wegzudenken.234 Mal sind sie die treibende Kraft, wie bei den Collegia Musica der Barockzeit, mal stellen sie als Ausführende einen wesentlichen Teil der Mitglieder, wie in der Frühzeit des Großen Konzerts235 oder wie hier bei der Schulz’schen Singakademie der Jahre 1814 bis 1818. Einerseits zeigen die Biografien der studentischen Singakademie-Mit- glieder, dass viele von ihnen ganz gewöhnlich ihr Studium abschließen, um später als Ju- risten, Theologen, Mediziner etc. zu arbeiten. Für sie sind erhoffte gesellschaftliche Vorteile sowie die allgemeine Musik- und Vereinsbegeisterung des beginnenden 19. Jahrhunderts 103 als Motivation zur Teilnahme an den Singakademien hinreichend. Andererseits existiert in den Singakademie auch eine Gruppe späterer Berufsmusiker, die nichtsdestoweniger für ein reguläres, nichtmusikalisches Universitätsstudium eingeschrieben ist.236 Daher muss, um die generell starke Präsenz der Leipziger Studentenschaft in musikalischen Unterneh- mungen aller Art zu klären, die Frage »Warum musizierten die Studenten?« auch umge- kehrt gestellt werden: Warum immatrikulierten sich angehende Musiker an der Universi- tät? Ausgewählte Beispiele für das Phänomen, dass Studenten der Leipziger Universität sich zwar in Theologie oder Jura einschreiben, im späteren Verlauf ihres Lebens jedoch eine musikalische oder musiknahe Laufbahn einschlagen, bilden die folgenden Studenten aus den Reihen der Singakademie: –– der Komponist, Klavierlehrer, spätere Kantor und Musikdirektor August Ferdinand Anacker (immatrikuliert 1814, Mitglied in Schichts zweiter Singakademie sowie in der Schulz’schen Singakademie), –– der Violinist Moritz Gotthold Klengel (immatrikuliert 1814, Mitglied der Schulz’schen Sing­ akademie), –– der Violinist, Pianist und spätere Orgelvirtuose Karl Kloss (immatrikuliert 1813 in Leipzig, vorher in , Mitglied der Schulz’schen Singakademie) sowie –– der Komponist, Violinist und spätere Opernkapellmeister Carl Gottlieb Reißiger (immatri­ kuliert 1818, Mitglied der Schulz’schen Singakademie).

234 Vgl. dazu insgesamt Eszter Fontana (Hrsg.), 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anläss- lich des Jubiläums, Wettin, OT Dößel 2010. 235 »Das [aus 26 Musikern bestehende] Orchester des Großen Konzerts setzte sich drei Jahre nach seiner Gründung aus sieben Berufsmusikern, mindestens elf Studenten und mindestens zwei semiprofessio- nellen Musikern zusammen […].« (Böhm, »Ohne Universität kein Gewandhausorchester«, S. 199.) 236 Diesem Sachverhalt ist eine über 300 Einträge umfassende »Liste Leipziger Studenten, die Musiker, Komponisten oder Instrumentenbauer geworden sind« gewidmet: Fontana/Greiner, »In Leipzig stu- dieren, Musiker werden …«. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass auch die musikalischen Leiter der Leipziger Sing- akademien in der betreffenden Zeit samt und sonders zwar nicht aktive, jedoch ehemalige Studenten der Leipziger Universität sind: Johann Gottfried Schicht hatte sich 1776 für das Jurastudium eingeschrieben, Wilhelm Friedrich Riem 1779 für Theologie (später Jura), Jo- hann Philipp Christian Schulz bezog die Universität 1793, Friedrich Schneider im Jahr 1805. So lange es in Leipzig keine Institution gibt, die konkret professionelle Musiker aus- bildet – und eine solche gibt es mit dem Konservatorium erst ab 1843 –, gehört ein Universi- tätsstudium zur Vita der meisten Musiker. Eine Ausnahme bilden die Stadtpfeifer, die zwar noch nach althergebrachter Weise Musik als zünftiges Handwerk pflegen und tradieren, aber den »steigenden technischen und musikalischen Ansprüchen der Musik an der Wende zum 19. Jahrhundert«237 nicht mehr gerecht werden können. Woher aber der Drang der musi- kalisch begabten und ambitionierten jungen Männer zur Universität? Es gibt darauf keine einfache und endgültige Antwort. Ein Teil der Begründung liegt darin, dass einige typische 104 Musiker-Berufsbilder im frühen 19. Jahrhundert eine breite Bildung auch in anderen Fach- gebieten voraussetzen: Hauslehrer bzw. Hofmeister haben Unterricht in verschiedenen Fä- chern zu erteilen, Kantoren sind in kleineren Gemeinden oft gleichzeitig als Schulmeister verpflichtet, Hofkapellmeister sind häufig auch mit Verwaltungsaufgaben betraut.238 Inso- fern, so die naheliegende These, ist eine juristische, theologische oder naturwissenschaft- liche Ausbildung von Vorteil bei der Stellensuche – auch wenn das Studium nicht ordentlich abgeschlossen wurde. Ein weiterer Aspekt ist die rechtliche Eindeutigkeit, die der Studenten- status bietet, zumal wenn die Eltern eines musikbegabten jungen Mannes eine andere Lauf- bahn für diesen vorgesehen hatten, wie es bekanntlich häufig der Fall war. Der Hauptgrund dafür, warum sich an der Universität einschreibt, wer Musiker werden will, ist aber wohl ein anderer: Dort trifft man Gleichgesinnte, mit denen man musizieren und vorhandene Kennt- nisse und Fähigkeiten vertiefen kann; dort erhält man leicht Kontakt zu Lehrern und vor al- lem: In Studentenkreisen ergibt sich rasch die Möglichkeit, die eigene musikalische Kompe- tenz durch Auftritte und Lehrtätigkeiten zu Geld zu machen.239 Die Herausgeber des Buches 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig ziehen das Resümee: »Es bleibt eine spannende Frage, wo und wie ein Musikstudium in Leipzig vor der Eröffnung des von Felix Mendels- sohn Bartholdy 1843 gegründeten Konservatoriums möglich war. Ein Teil der Antwort muss nach den Erkenntnissen unserer Autoren lauten: Im Umfeld der Universität.«240 Nicht nur in Gestalt der singenden Studenten, auch durch P r o f e s s o r e n u n d D o ­ z e n t e n bzw. deren Angehörige ist die Universität mit den Singakademien verbunden, al- len voran mit der Schulz’schen. Zwar erreichen die Anteile der an der Universität Lehrenden

237 Mitschke, »Musikausbildung in Leipzig«, S. 191. 238 Vgl. Vorwort in: Fontana (Hrsg.), 600 Jahre Musik, S. 14–15. 239 »Es gab zwar nie ein Lehrfach an der Leipziger Universität, das zielgerichtet auf eine Musikerkarriere vorbereitet hätte, jedoch zahlreiche Möglichkeiten für die Praxis: Die Mitwirkung und Aushilfe in den Ensembles der Stadt- und Kirchenmusik sowie das Erteilen und Genießen von privatem Musikunter- richt sind nur wenige, besonders typische dieser Bildungsstationen.« (Ebd., S. 14.) 240 Ebd., S. 16. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten innerhalb der Singakademien nicht annähernd solche Werte wie die der Studenten. Aber ein paar Vertreter der Universität sind fast immer beteiligt. Ausgewählte Beispiele hierfür sind: –– der Bürgerschullehrer und außerordentliche Professor für Philosophie Friedrich Wilhelm Lindner (singt am 20.4.1814 und am 19.3.1815 Tenor bei Singakademie-Auftritten), –– der Professor für Naturgeschichte und Botanik Christian Friedrich Schwägrichen (Mit- glied der Schulz’schen Singakademie), –– der Professor für Anatomie und Chirurgie und spätere Universitäts-Rektor Johann Chris- tian August Clarus (Mitglied der Schulz’schen Singakademie) sowie –– die Professoren-Gattinnen Julie Clarus, Lotte Clodius und Wilhelmine Krug (alle Mitglie- der der Schulz’schen Singakademie), die aufgrund der erläuterten Zählweise ebenfalls als Angehörige der Gruppe »Universität« gezählt werden.

Dass deren Anteil in der Schulz’schen Singakademie (Stichprobe 3) ein Maximum erreicht, 105 könnte damit zusammenhängen, dass Johann Philipp Christian Schulz durch das Amt des Universitätsmusikdirektors, das er seit 1818 bekleidet, eine größere Nähe zur Universität sucht. Zwar ist auch Johann Gottfried Schicht Universitätsmusikdirektor, aber nur von 1809 bis 1810, also in einer Zeit, in der keine Singakademie existiert.241 Nicht zu vernachlässigen sind ferner die A k a d e m i k e r in den Reihen der Singaka- demien, also Männer, die ein Studium absolviert haben und nun in einem akademischen Beruf tätig sind. Ihr summierter Anteil liegt etwa zwischen 12 und 17 %, lässt man die eli- tären Privatakademien Limburgers mit ihrem sehr hohen Akademiker-Anteil außen vor. Der Blick in das biografische Lexikon zeigt, dass sehr viele von ihnen an der Leipziger Uni- versität studiert haben. Offenbar treffen sich innerhalb der Singakademien Akademiker, die sich noch aus Studententagen kennen. Insofern rücken die Singakademien der Frühzeit funktional in die Nähe heutiger Alumnivereine.

4.4.3 Kaufleute, Kramer und Bankiers Die in der Sparte »Kaufleute« zusammengefassten Personen verdienen ihren Lebensunter- halt mit Groß- und Einzelhandel, mit Produktherstellung und -verarbeitung sowie mit Geldgeschäften. Oft gehören sie Familienunternehmen an, die seit Generationen in Leipzig etabliert sind, teilweise stammen sie aus anderen Handelsstädten und haben sich in Leipzig niedergelassen. Nicht immer, aber in den meisten Fällen haben die Männer das Leipziger Bürgerrecht. Die Gründe für das große Interesse dieser Bevölkerungsgruppe an Kunst und Kultur, das sich im Besuch der Singakademien äußert, sind komplex. In der betrachteten Zeit hat sich bereits eine Tradition herausgebildet, derzufolge die Musikkultur Leipzigs in wesentli- chen Teilen von den Stadtbürgern selbst getragen wird, und zwar mehr durch private Initia-

241 Vgl. Christiane Arnhold u. a., »Leipziger Universitätsmusikdirektoren, Universitätsorganisten und Universitätskantoren«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 419–444, hier S. 441–442. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

tiven als durch die Stadtverwaltung. Mit anderen Worten: Es gibt in Leipzig kein Hoftheater, keine Domkapelle oder eine ähnliche Institution, die zum Träger einer nichtbürgerlichen Musiktradition hätte werden können. So sehen sich die Leipziger Bürger, die sich in der Messestadt eben zu großen Teilen aus Kauf- und Handelsleuten rekrutieren, in der Pflicht, außerhalb der Kirchen selbst für Konzerte zu sorgen. Diese gefühlte Pflicht resultiert aber nicht einfach aus dem sonst fehlenden Angebot oder den gesellschaftlichen Vorteilen, die sich durch die Beziehungspflege innerhalb der Bürgerschaft ergeben, sondern sie ist tie- fer begründet in den Werten der Aufklärung, im Ethos des Bürgertums im beginnenden 19. Jahrhundert sowie im zeitspezifischen Verhältnis der Menschen zur Musik – zu diesen Motivationen später mehr.242

4.4.4 Freimaurer Es existieren im Zeitraum, der durch die überlieferten Mitgliederlisten der Singakademie 106 abgedeckt ist, in Leipzig drei Freimaurerlogen: Minerva zu den drei Palmen (gegründet 1747), Balduin zur Linde (1776) und Apollo im Orient (1801).243 Von diesen Logen liegen gedruckte Matrikeln vor,244 so dass die Biografien der Sängerinnen und Sänger in den Leipziger Sing- akademien in Hinblick auf die Logenmitgliedschaft mit einiger Sicherheit vollständig sind. Das Ergebnis: Rund 20 % von ihnen sind selbst Freimaurer oder zählen zu deren engsten Angehörigen. Otto Werner Förster weist wiederholt auf die Bedeutung hin, die Freimaurer im kultu- rellen Leben Leipzigs haben.245 Beispiele für die Wirksamkeit der Leipziger Logenbrüder seien der Bau des Alten Theaters auf der Rannischen Bastei (eröffnet 1766), der Umbau der Nikolaikirche (1784–97), die Einrichtung der Hohental’schen Freischule (1774) und der Ratsfreischule (1792) – sowie nicht zuletzt die Gründung des Großen Konzerts (1743). Bei all diesen Unternehmungen sind die Ideen- und Geldgeber, die leitenden und ausführenden Männer in der Mehrzahl Freimaurer. Der erhebliche Anteil der Freimaurer in den Singaka- demie bestätigt diese Beobachtung grundsätzlich. Försters These, dass Freimaurer ein überdurchschnittliches kulturelles und soziales Engagement zeigen, lässt sich beispielhaft prüfen, wenn man fragt, wer die treibenden Kräfte hinter den ersten Singakademie-Auftritten sind. Zwar sind in den ersten Jahren keine Namen von Vorstandsmitgliedern überliefert, wohl aber verzeichnen Limburgers

242 Siehe Kapitel 4.5: Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens« – Zur Defi- nition von Bürgerlichkeit im musikalischen Kontext. 243 Vgl. Beachy, »Club Culture and Social Authority«, S. 161–162. 244 Otto Werner Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge »Minerva zu den Drei Palmen«. 1741–1932, Leip- zig 2004; Matrikel der gerechten und vollkommenen St. Johannis-Loge Apollo im Orient Leipzig. 1805–1930, [Leipzig] 1930; Matrikel der Loge Balduin zur Linde in Leipzig. 1776–1876, [Leipzig] 1926. 245 Vgl. Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Otto Werner Förster/Günter Martin Hem- pel, Leipzig und die Freimaurer. Eine Kulturgeschichte, hrsg. von Otto Werner Förster, Leipzig 2008; Otto Werner Förster, Die Freimaurerloge Apollo i. O. Leipzig, hrsg. von Peter König, Leipzig 2009. Auch in der von Förster besorgten Ausgabe von Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig ist das Register mit Hinweisen versehen, welche der verzeichneten Personen Freimaurer sind. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Annalen die Männer, die sich jeweils zu einem Organisationskomitee für die logistischen und finanziellen Belange des Auftritts zusammenschließen. Erstmals berichtet Limburger für das Konzert am 20. April 1814 von einem solchen »Committee zur Ausführung dieses Unternehmens«,246 das – in der von Limburger angegebenen Reihenfolge – aus folgenden Personen besteht: –– Heinrich Dörrien: kein Freimaurer247 –– Wilhelm Friedrich Kunze: noch kein Freimaurer (erst ab 1829 Mitglied mehrerer Logen) –– Jacob Bernhard Limburger: Mitglied mehrerer Logen seit 1801 –– Wilhelm Friedrich Riem: Mitglied der Loge Minerva seit 1812 –– Johann Philipp Christian Schulz: Mitglied der Loge Minerva seit 1804 –– Wilhelm Seyfferth: noch kein Freimaurer (Mitglied der Loge Minerva erst ab 1825) –– Adolf Wendler: Mitglied der Logen Apollo und Minerva seit 1810 107 Im Herbst desselben Jahres bildet sich ein neues Komitee, um das Konzert am 18. Oktober 1814 zu organisieren. Es besteht aus:248 –– Johann Christian August Clarus: Mitglied der Loge Minerva seit 1801 (1820 dann auch Mitglied der Loge Balduin) –– Heinrich Dörrien: kein Freimaurer (siehe oben) –– Wilhelm Friedrich Kunze: noch kein Freimaurer (siehe oben) –– Jacob Bernhard Limburger: Mitglied mehrerer Logen seit 1801 (siehe oben) –– Friedrich Rochlitz: kein Freimaurer –– Johann Gottfried Schicht: kein Freimaurer –– Johann Philipp Christian Schulz: Mitglied der Loge Minerva (siehe oben) –– Wilhelm Seyfferth: noch kein Freimaurer (siehe oben)

Das erste Organisationskomitee besteht aus sieben Personen, von denen vier Freimaurer sind. Das zweite Organisationskomitee besteht aus acht Personen, von denen drei Freimau- rer sind. Freimaurer sind also in der Organisation der Singakademie-Konzerte 1814 durch- aus aktiv sind, im ersten Komitee sind sie sogar in der Überzahl. Mit Blick auf das 18. Jahrhundert vertritt Förster die These, dass es die 40 im Jahre 1768 in Leipzig ansässigen Freimaurer gewesen seien, »die Leipzig zur Kulturstadt gemacht ha- ben«.249 Diese Idee fortsetzend ließe sich auch die Gründung der Leipziger Singakademie als eine freimaurerische Tat zur Hebung von Kultur und Bildung deuten. Allerdings hat die These einen entscheidenden Schwachpunkt: Es handelt sich nur um eine Korrelation, nicht um einen bewiesenen Zusammenhang. Freilich ist der Gedanke einleuchtend, dass

246 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 7v. 247 Die Angabe von Förster im Register zu Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 206, dass Dörrien Freimaurer gewesen sei, konnte anhand der drei Logenmatrikeln nicht bestätigt werden. Dörriens Vater war Minerva-Mitglied. 248 Vgl. D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 14v. 249 Förster/Hempel, Leipzig und die Freimaurer, S. 27. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

die freimaurerische Ethik, die besonderen Wert auf Hilfsbereitschaft, Humanität und En- gagement für andere legt, eine starke Triebfeder für tatsächliches soziales und kulturelles Engagement bildet. Kultur und Wohltätigkeit lassen sich durch die Auftritte der Singaka- demien im Jahr 1814 idealtypisch verbinden: Der Ertrag des ersten Konzertes kommt »dem Besten des Männervereins zur Unterstützung von Leipzigs Umgebungen«250 zugute, das zweite Konzert ist »zum Besten der Armen«251 bestimmt. Doch selbst wenn man mit Förs- ter annimmt, dass das Freimaurer-Sein mit einem überdurchschnittlichen Einsatz für das Gemeinwesen einhergeht, bleibt es dabei, dass kein direkter Zusammenhang bewiesen ist. Die vorhandene Korrelation kann genauso gut auf eine gemeinsame dritte Ursache zurück-­ gehen. Diese dritte Ursache könnte in der Konzentration einer bestimmten Elite mit einem ausgeprägten Sinn für das Gemeinwohl liegen. Es handelt sich hier um einen Kreis, in dem sich einige der reichsten und mächtigsten Menschen der Stadt zusammenschließen: In die- 108 ser Elite sind – im Gegensatz zu Residenzstädten252 – Adlige, Höflinge, mächtige Kirchen- männer kaum vertreten, sondern sie setzt sich zusammen aus meist städtischen Politikern und Juristen, aus anderen Akademikern, Bankiers und vor allem Kaufleuten. Innerhalb dieses Kreises gehört es zum Selbstverständnis (und zumindest bei Politikern auch zu den Selbstverständlichkeiten), dass man sich für die Kultur, die Bildung und die Wohlfahrt der Stadt einsetzt. Einige der Menschen, die im frühen 19. Jahrhundert in Leipzig zu dieser Elite gehören, wurden bereits namhaft gemacht. Dieser Personenkreis hat eine ganze Reihe von Treffpunkten: Stadtratssitzungen, Treffen von Gesellschaften wie der Harmonie, Zu- sammenkünfte der Direktion des Großen Konzerts – und eben auch die Freimaurerlogen. Auch aus anderen Städten ist der Befund bekannt, dass unter den kunst- und musikbeflis- senen Dilettanten am Beginn des 19. Jahrhunderts sich vor allem wohlbegüterte und ein- flussreiche Familien hervortun.253 Diese Zirkel der städtischen Oberschicht, zu denen man nach Auswertung des Mitglie- derbestands auch die Singakademie zählen muss – zumindest ihren harten Kern –, haben zweifellos bedeutende Kulturleistungen auf den Weg gebracht. Man darf aber nicht verges- sen, dass das System von sich überlagernden Gesellschaftskreisen auch handfeste Vorteile für diejenigen hat, die ein Teil davon sind. In einer erhellenden Studie über »Club Culture and Social Authority« am Beispiel der Leipziger Freimaurerlogen kommt Robert Beachy zu dem Ergebnis, dass die Logen zwar ihren Ausgangspunkt in aufklärerischen Idealen neh-

250 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 7v–8r. 251 Ebd., fol. 14v. 252 Dass allerdings auch und gerade in Residenzstädten die Musikpflege der Freimaurerlogen ein bedeu- tendes Gegengewicht zur Hof- und Kirchenmusik darstellt, zeigt am Beispiel Dresdens im 18. Jahrhun- dert Kornél Magvas, Für Freimaurerloge und häuslichen Kreis. Johann Gottlieb Naumann und das Dresdner Liedschaffen im 18. Jahrhundert (Ortus Studien 5), 2 Bde., Beeskow 2008. Für den Hinweis hierauf danke ich Friedhelm Brusniak. 253 Darauf weist Andreas Schulz hin und nennt Beispiele aus Bremen und Köln: Andreas Schulz, »Der Künstler im Bürger. Dilettanten im 19. Jahrhundert«, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, hrsg. von Andreas Schulz u. Dieter Hein, München 1996, S. 34–52, hier S. 41. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten men, aber zunehmend Männer anziehen, »who joined less for ideological reasons than for the practical advantages of lodge affiliation«.254 Zu diesen praktischen Vorteilen zählen der Zugang zu informellen Netzwerken, welche die akademische Karriere oder die kaufmänni- schen Geschäftsbeziehungen fördern, ebenso wie die Tatsache, dass Logen-Mitgliedschaft einen Ausweis für geschäftliche Integrität darstellt. Das geht im Umkehrschluss soweit, dass der Bankrott eines Logenmitglieds quasi automatisch zum Ausschluss führt. Erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen der Singakademie und den drei Freimaurer- logen zeigen sich bei der Mitgliederstruktur. Ähnlich wie es hier mit den Singakademie-Mit- gliedern geschehen ist, wertet Beachy die Logenmatrikeln aus und klassifiziert nach Stand und Tätigkeit.255 Als Beispiel seien hier einige Zahlen zur zweitältesten Leipziger Loge, der Loge Balduin, aus dem Jahr 1816 wiedergegeben: Insgesamt 144 Mitglieder, davon ein Stadt- rat, vier Adlige, 56 Kaufleute, 50 Akademiker (Beamte, Juristen, Mediziner, Professoren und Kleriker), rund zehn Musiker bzw. Künstler und einige Militärs.256 Diese Strukturen 109 sind aus den einzelnen Singakademien bekannt; einziger wesentlicher Unterschied ist das Fehlen von Studenten in den Freimaurerlogen. Zwar sind die Zwecke verschieden, doch ähneln sich die Gesellschaften vom soziologischen Standpunkt her stark – sieht man davon ab, dass Freimaurerei in dieser Zeit eine reine Männersache ist.257 Beachy ist zuzustimmen, wenn er die Freimaurerlogen als »model for other voluntary associations«258 bezeichnet, womit er explizit auch die Singakademie und überhaupt die frühen Chorvereine meint. Organisatorische Grundprinzipien der Logen finden sich in der Satzung der Singakademie wieder: Mechanismen zur Bestimmung, wer Mitglied werden darf; verschiedene Ämter in- nerhalb der Institution (auch Logen haben einen Musikdirektor); ethische Grundsätze und überhaupt das Phänomen, dass eine Gruppe von Menschen sich regelmäßig freiwillig mit bestimmtem Zweck trifft und diese Zusammenkünfte schriftlich fixierten Regeln unter- wirft. Das bürgerliche Ethos, das hier eine Rolle spielt, ist unter anderem durch die Werte Bildungsstreben, Rechtschaffenheit und Altruismus charakterisiert. Für die Singakademie wie für andere strukturell ähnliche Verbände gilt: »Though varied by function and structure, voluntary associations played a critical role in the rise of middle-class norms of respectability in nineteenth-century Europe.«259 Ist die ›Ehrbarkeit‹ eines Mitglieds in Frage gestellt, so drohen Sanktionen bis zum Ausschluss. Die Mitgliedschaft in vielen kulturell aktiven und wohltätigen Organisationen hingegen ist Ausweis eines unbescholtenen Rufes und einer integren Persönlichkeit. Wenn also bei den Mitgliedern der frühen Singakademie-Mitglieder ihre Logenmit- gliedschaft verzeichnet ist, so soll damit nicht das Freimaurertum als ›Schlüssel‹ oder als

254 Beachy, »Club Culture and Social Authority«, S. 159. 255 Vgl. Grafik ebd., S. 164. 256 Vgl. ebd., S. 163–165. Den Wert für Künstler/Musiker nennt Beachy nicht direkt, er ist aus dem Dia- gramm auf S. 164 abgelesen. 257 Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es auch Frauenlogen. 258 Beachy, »Club Culture and Social Authority«, S. 161. 259 Ebd., S. 167. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

das Ganze bewegender Hintergrund dargestellt werden. Vielmehr geht es darum, dem Mo- saik der zahlreichen persönlichen Beziehungen der Sänger untereinander eine weitere Fa- cette hinzuzufügen.

4.4.5 Mitglieder der Gesellschaft Harmonie Ähnliches lässt sich über eine weitere Sphäre sagen, in der sich die städtische Oberschicht trifft: die geselligen und wohltätigen Vereine. Um 1805 soll es in Leipzig zehn sogenannte Gesellschaften geben, die in der Messestadt »Hauptstützen der Unterhaltungskultur«260 bil- den, darunter die Société (gegründet 1772), die Harmonie (1776), die Ressource und die Gesell- schaft im Place de Repos.261 In den Räumen der Gesellschaften werden den Mitgliedern vor allem Spiele und Lektüre geboten, auch Bälle, Konzert- und Theateraufführungen gehören in der Regel zum Repertoire. Für den Abgleich mit der Singakademie wurden zwei dieser Gruppierungen ausge- 110 wählt: die Gesellschaft Harmonie als prominentester allgemeiner geselliger Verein Leipzigs in der damaligen Zeit und die kaufmännische Gesellschaft Die Vertrauten als elitärer Verein zu wohltätigen Zwecken. Zur Gesellschaft Harmonie liegt eine ausführliche Festschrift »zum Hundertfünfzigjäh- rigen Bestehen der Gesellschaft« von Ernst Kroker aus dem Jahr 1926 vor. Ihr ist zu entneh- men, dass es schon im Winter 1775/76 zu einem informellen Zusammenschluss von Män- nern »aus dem Kaufmannsstande sowie aus dem Gelehrten-, Beamten- und Künstlerstande Leipzigs zu einer geselligen Vereinigung zur Linderung unverschuldeter Armut« kommt, bevor sich die Gesellschaft im Februar des Jahres 1776 formell konstituiert.262 Der Name Harmonie gehört neben Museum, Erholung und Casino zu »den beliebtesten, aber meist schon früh vergebenen Namen«263 solcher geselliger Vereine im deutschsprachigen Raum. Bei den täglichen Treffen stehen Spiele (Billard, Karten, Brettspiele), Lesen und Gesprä- che im Mittelpunkt. Die Zahl der Mitglieder der Harmonie wird auf 100 beschränkt. Was Michael Sobania allgemein feststellt, trifft auch auf die LeipzigerHarmonie zu: »Von den Aufklärungs- und Lesegesellschaften übernahmen wohl alle geselligen Vereine den Grund- satz ihrer Statuten, wonach Stand, Geburt, Klasse oder Rang für eine Vereinsmitgliedschaft nicht ausschlaggebend sein sollten.«264 Eine Besonderheit der Leipziger Harmonie ist die Teilung der Mitglieder in zwei ›Klassen‹, deren erste von »Gelehrten, Beamten, Künstlern und solchen Personen gebildet [wird], die von ihrem Gelde leben; die andere Klasse be-

260 Thorsten Maentel, »Zwischen weltbürgerlicher Aufklärung und stadtbürgerlicher Emanzipation. Bür- gerliche Geselligkeitskultur um 1800«, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebens- welt, hrsg. von Andreas Schulz u. Dieter Hein, München 1996, S. 140–154, hier S. 144. 261 Vgl. ebd. 262 Vgl. Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 3. 263 Sobania, »Vereinsleben«, S. 171. 264 Ebd. Unter den Mitgliedern der Harmonie soll »ohne Rücksicht auf Stand und Rang die genaueste Gleichheit« herrschen. (Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 4.) Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten steht aus wirklich handelnden Kaufleuten«.265 Mit einer ausführlichen Satzung, einem aus zwölf Mitgliedern bestehenden Vorstand sowie festgelegten Mitgliedsbeiträgen und Auf- nahmeverfahren gibt sich die Harmonie die typische Vereinsform, wie sie später zum Vor- bild spezialisierter Vereine wie der Singakademie werden soll. Diese Organisationsform hat ihrerseits ihre Vorläufer in »den Freimaurerlogen, dem englischen ›coffee house‹ sowie dem französischen Salon«.266 Die Zinsen des Gesellschaftskapitals, nicht für andere Zwecke aufgebrauchte Mitgliedsbeiträge sowie vor allem die Erträge aus freiwilligen Spenden der Mitglieder werden für wohltätige Zwecke verwendet: »Berücksichtigung finden ohne An- sehen der Religion oder des Standes vorzüglich verarmte Kaufleute, bedürftige Studenten, Witwen und Waisen; unbekannte Bettler sollen nicht berücksichtigt werden.«267 Dadurch, dass Mitglieder per Ballotage gewählt werden und nur von bereits aufgenom- menen Mitgliedern vorgeschlagen werden können, entwickelt sich die Harmonie zu einem relativ exklusiven Zirkel Leipziger Kaufmänner, Beamter, Universitäts-Professoren, Schrift- 111 steller, bildender Künstler und nicht zuletzt auch Musiker. Beispielsweise gehören Johann Adam Hiller (von 1779 bis 1785 und erneut von 1792 bis 1795) sowie später der Gewandhaus- Konzertmeister Ferdinand David (von 1856 bis 1862) der Gesellschaft an.268 Bedeutender als die Präsenz von Musikpraktikern in der Harmonie ist jedoch die Tatsache, dass viele Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion gleichzeitig zur Har- monie gehören. Zwei Personen sind hier zentral: Zum einen der Bankier Christian Gott- lob Frege II (1747–1816); er ist im Jahr 1776 Mitgründer der Gesellschaft Harmonie sowie deren erster Kassierer und gehört fünf Jahre später zu den Gründungsmitgliedern der neuen Konzertdirektion für die Gewandhauskonzerte. Sein Sohn Christian Ferdinand und seine Schwiegertochter Sophia Henriette singen später in den Singakademien, ersterer bei beiden Schicht’schen Gründungen, letztere bei einem Konzert 1814. Zum anderen ist bei der Gründung der Harmonie kein geringerer im Amt des Sekretärs als Carl Wilhelm Müller (1728–1801), der später als Leipziger Bürgermeister den Bau des Konzertsaals im Gewandhaus anregt und ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Konzertdirektion ge- hört. Darüber hinaus gehören zu den ersten 12 Vorstehern der Harmonie die folgenden fünf Männer: Ernst Platner (Mitglied der Konzertdirektion 1785–1790), Johann Ehrenfried Pohl (Konzertdirektion 1786–1788), August Friedrich Siegmund Green (Gründungsmit- glied 1781–1788), Jacob Marcus Anton Dufour-Pallard (Gründungsmitglied 1781–1788) und Christian Heinrich Loth (1785–1789).269 Diese personellen Querverbindungen begünstigen die enge Zusammenarbeit zwischen Konzertdirektion und Harmonie bei den sogenannten ›Armenkonzerten‹.270 Die Tradition der Konzerte zum Besten der Armen beginnt 1778 und

265 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 4. 266 Sobania, »Vereinsleben«, S. 170. 267 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 5. 268 Daten ebd., S. 102 u. 89. Alle folgenden Daten zu Mitglieds-Zeiträumen und Ämtern innerhalb der Harmonie ebenfalls nach der dortigen Aufstellung der Mitglieder und Vorsteher, S. 81–154. 269 Vgl. Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 230–231, mit Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 6. 270 Siehe Kapitel 3.6: Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

dauert weit über 100 Jahre lang an. Die Hälfte der Einnahmen wird bis 1884 der Harmonie überwiesen, danach erhält die Harmonie stattdessen pauschal 200 Mark pro Jahr von der Gewandhaus-Konzertdirektion. Auch die Singakademie wirkt in zahlreichen dieser Kon- zerte mit.271 Weitere Verbindungen zwischen Harmonie und Gewandhaus gibt es offenbar auch. So heißt es 1791 beim Bezug eines neuen Vereinsheimes – Hohmanns Hof in der Peters­ straße – im Protokollbuch der Gesellschaft: »Es speisten zu Mittag gegen 70 Personen, wäh- rend daß [sic] die Absingung einer von Herrn Capellmeister Hiller verfertigten Cantate Aller Herzen mit den angenehmsten und rührendsten Empfindungen erfüllte.«272 Die Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Harmonie findet 1826 im Gewandhaus statt, der damalige Sekretär Siegfried August Mahlmann (seine Mutter war Mitglied der Ersten Schicht’schen Singakademie) dichtet zu diesem Anlass einen Festgesang, »wobei einige Mitglieder die So- lopartie vorsangen und die ganze Gesellschaft im Chor einstimmte«.273 Im 19. Jahrhundert 112 ist die Harmonie die mitgliederstärkste Leipziger Gesellschaft. Der Einfluss ihrer Mitglieder beschränkt sich nicht nur auf das Musikleben, sondern ist im gesamten kulturpolitischen Bereich Leipzigs, etwa auch bei Museums- und Theatergründungen, nachweisbar.274 Poli- tisch ist die Harmonie laut Margaret Eleanor Menninger eher nationalliberal einzuordnen, religiös eindeutig protestantisch; Juden wird die Mitgliedschaft erst 1887 erlaubt.275 Die Gesellschaft Harmonie vereinigt sich 1887 mit der Gesellschaft Erholung und wird 1948 »aus politischen Gründen zwangsgelöscht […]. Das Amtsgericht Leipzig hob die Zwangslöschung mit Beschluß vom 26. Mai 1996 auf«.276 Der Verein Gesellschaft Harmonie e. V. existiert noch heute mit Sitz in Leipzig. Mitglieder sind nach wie vor führende Köpfe in Leipzig ansässiger Unternehmen, Anwälte, Universitätsprofessoren, Politiker und auch einige Musiker – fast ausschließlich Männer.277 Der Aspekt des Gemeinwohls ist in der Sat- zung noch vorhanden, wird aber anderen Aspekten nachgeordnet.278

271 Siehe Kapitel 6.3: Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds. 272 Zit. nach Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 9. 273 Ebd., S. 17. 274 »It was the group whose ranks […] made up the majority of men active in political cultural matters in Leipzig throughout nineteenth century.« (Menninger, Art and Civic Patronage, S. 56.) 275 Vgl. ebd., S. 56–57. 276 Präambel in Gesellschaft Harmonie e. V. (Hrsg.), »Satzung der Gesellschaft Harmonie e. V.«, , 11.4.2012. Die Löschung betraf alle Leipziger Kulturvereine, die vor 1945 gegründet worden waren. 277 Vgl. die Liste in Gesellschaft Harmonie e. V. (Hrsg.), »Mitglieder«, , 11.4.2012. 278 § 1 (1) in Gesellschaft Harmonie e. V. (Hrsg.), »Satzung«: »Der Zweck der Gesellschaft ist die Förderung der Begegnung und der Kommunikation unter den Mitgliedern, die Förderung von Kultur, Kunst und Wissenschaft sowie die Unterstützung sozialer Projekte. Der Satzungszweck wird insbesondere erreicht durch die Durchführung von wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen sowie durch den Be- such solcher Veranstaltungen. Im Übrigen ist es Aufgabe der Gesellschaft, Mittel für wissenschaftliche, kulturelle und soziale Einrichtungen und Projekt zu sammeln und zur Verfügung zu stellen.« Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

In der Gesamterhebung zu allen Singakademie-Sängern sowie den Beteiligten an Lim- burgers Privatakademien zwischen 1802 und 1821 gehören die Mitglieder der Gesellschaft Harmonie (und deren enge Angehörige) mit 30 Personen bzw. 10,9 % nach den Freimaurern und den Angestellten in Politik und Verwaltung zu den größten Gruppen. Bei den einzelnen Stichproben schwankt der Anteil der der Harmonie zugeordneten Personen zwischen 7 % und 23,3 %. Eine überragende Bedeutung der Gesellschaft Harmonie in den Reihen der Singaka- demie ist nicht zu erkennen, man kann aber aufgrund der personellen Überschneidungen durchaus von einem guten Verhältnis zwischen dem geselligen Verein und dem Gesangver- ein ausgehen, was nicht zuletzt die Kooperation bei dem Armenkonzerten seit 1814 beweist. Ins Werk gesetzt wird diese Kooperation auf Leitungs- bzw. Vorstandsebene. In den Organisationskomitees der beiden Singakademie-Konzerte im Jahr 1814 ist der Anteil der Harmonie-Mitglieder weit höher als unter den einfachen Sängern: Von den sieben Mitglie- dern des Organisationskomitees für das Konzert am 20. April 1814 sind zwei aktuelle Har- 113 monie-Mitglieder (Limburger und Seyfferth), drei treten ihr zu einem späteren Zeitpunkt bei (Dörrien, Kunze und Wendler) und zwei haben keine nachgewiesene Verbindung zu diesem geselligen Verein (Riem und Schulz). Das achtköpfige Gremium für das Konzert am 18. Oktober 1814 besteht hingegen zur Hälfte aus Harmonie-Mitgliedern (Clarus, Limburger, Rochlitz, Seyfferth), zwei werden später dort Mitglied (Dörrien und Kunze), zwei haben wiederum keine Verbindung zur Harmonie (Schicht und Schulz).

4.4.6 Mitglieder der Gesellschaft Die Vertrauten Die Verbindung zwischen der Singakademie und einer weiteren Vereinigung Leipziger Bür- ger, der Gesellschaft Die Vertrauten, ist weniger offensichtlich und zahlenmäßig schwerer zu belegen. Im Jahr 1814 ist beispielsweise keine einzige Person in den Organisationskomi- tees gleichzeitig Mitglied bei den Vertrauten, nur drei von ihnen werden es im Laufe ihres Lebens noch (Limburger, Seyfferth, Wendler). Dennoch existieren Beziehungen zwischen dieser gemeinwohlorientierten bürgerlichen Vereinigung und der Leipziger Singakademie. Die Gesellschaft Die Vertrauten ist in ihrer Mitgliederstruktur weniger durchmischt, ihre Mitglieder sind ausschließlich Leipziger Kaufleute, die zudem oft auch familiär mitei- nander verbunden sind.279 Zu ihrer Geschichte liegt eine Studie mit biografischem Mitglie- derverzeichnis von Herbert Helbig vor.280 Das Gründungsjahr der Vertrauten ist das Pestjahr 1680, die Gesellschaft gehört damit zu den ältesten ihrer Art in Leipzig.281 Der Zusammen- schluss von 16 bzw. 17 Handelsleuten dient zunächst der gegenseitigen Nothilfe und der Armenfürsorge. Von 1686 an bezeichnet sich die Gruppe als »Kind-Tauffen-Kränzgen«.282 Den ersten überlieferten Satzungen von 1689283 ist der Grund für diese Bezeichnung zu

279 Vgl. Menninger, Art and Civic Patronage, S. 52. 280 Helbig, Die Vertrauten. 281 Vgl. Menninger, Art and Civic Patronage, S. 51. 282 Helbig, Die Vertrauten, S. 21. 283 Abgedruckt ebd., S. 14–16. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

entnehmen: Die Gesellschaft, der ausschließlich verheiratete Männer angehören, kommt immer dann zu Schmäusen zusammen, wenn ein Mitglied ein freudiges oder trauriges Fa- milienereignis zu vermelden hat (z. B. Geburt eines Kindes oder Enkelkindes, keine Geburt eines Kindes binnen drei Jahren Ehe, Totgeburt). Der Schmaus wird von dem betreffenden Mitglied ausgerichtet. »Bei den Schmäusen war es üblich, daß der Gastgeber mit Fami- lienmitgliedern, gelegentlich aber auch mit eigens hierzu verpflichteten Künstlern Darbie- tungen zum besten gab, meist heiterer Natur […].«284 Bei solchen Gelegenheiten sammeln die Mitglieder Geld, das anschließend angelegt wird – aber nicht bei fremden Bankiers, sondern bei den Mitgliedern des Kindtaufkränzchens selbst. Das heißt, ein oder mehrere Mitglieder erhalten eine gewisse Summe Geldes, die sie nach Ablauf eines Jahres verzinst an die Gesellschaft zurückzuzahlen haben. Im Jahr 1700 wird aus dem Kapital der Gesell- schaft zum ersten Mal für gemeinnützige Zwecke gespendet, nämlich für die Errichtung eines Armen- und Waisenhauses, des sogenannten Georgenhauses. 114 Wie auch bei der Gesellschaft Harmonie wird auf gute Kaufmannsehre geachtet. Es soll »keiner, der muthwilliger Weise banquerottieret und fallit worden, bey dieser Compagnie geduldet, viel weniger dergleichen einer als ein Gast eingeladen werden«.285 Durch eine Statutenänderung wird 1797 der Charakter des Kindtaufkränzchens auf- gehoben, man trifft sich nun dreimal jährlich ohne bestimmten Anlass.286 Die Einnahmen setzen sich aus regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen, dem Inhalt der Sammelbüchse sowie den Zinsen des Gesellschaftskapitals zusammen. Viele Vertraute sind gleichzeitig in anderen Leipziger Vereinen aktiv, unter ihnen sind mehrere Kunstsammler und Mäzene sowie auch Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion.287 Im Jahr 1834 stiftet die Gesellschaft mit der »Kleinkinderbewahranstalt«288 den ersten Kindergarten Leipzigs. Unter den Bedingungen der DDR kann die Gesellschaft der Vertrauten in Leipzig nicht weiter existieren, sie verlegt 1958 ihren Sitz nach Wiesbaden und lässt sich dort 1961 unter dem Namen DIE VERTRAU- TEN (früher Leipzig) e. V. ins Vereinsregister eintragen. Am 9. Oktober 1996 kehrt der Ver- ein nach Leipzig zurück und steht seitdem unter dem Namen Die Vertrauten e. V. und der Nr. 2768 im Leipziger Vereinsregister.289 Das Vereinsarchiv lagerte von 1981 bis 2007 in der

284 Ebd., S. 100. 285 Ebd., S. 16. 286 Vgl. ebd., S. 36. 287 Menninger, Art and Civic Patronage, S. 55, präsentiert eine Übersicht der weiteren Mitgliedschaften der Vertrauten zwischen 1776 und 1918: Alle 119 in dieser Zeit aktiven Mitglieder der Vertrauten gehören auch zur Gesellschaft Harmonie, 36 zur Gesellschaft Erholung, 56 zum Leipziger Kunstverein, 10 zum Dilet- tanten-Orchesterverein (als inaktive Mitglieder), 22 zum Verein des Museums für Völkerkunde, 16 zum Verein des Kunstgewerbemuseums Leipzig und 19 zur Gewandhaus-Konzertdirektion. Übersicht der Vertrauten in der Gewandhaus-Konzertdirektion bei Helbig, Die Vertrauten, S. 135, und bei Menninger, Art and Civic Patronage, S. 261. 288 Helbig, Die Vertrauten, S. 50. 289 Auskunft aus Gemeinsames Registerportal der Länder, , 8.2.2012. Die Internetseite, der diese Information entnommen wurde, hat keine statische Adresse, sie ist jedoch unter der angegebenen Domain mit der Suchkombination aus Registerart »VR«, Registernummer »2768« und Registergericht »Leipzig« zu erreichen. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel und befindet sich heute im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.290 Bei der quantitativen Auswertung zur Schnittmenge mit der Leipziger Singakademie darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die Gesellschaft Die Vertrauten die kleinste der hier untersuchten Gruppierungen ist. Im Jahr 1800 besteht der Kreis aus 16 Personen. »Bis 1830 traten noch 23, von 1780–1830 insgesamt 42 neue Mitglieder der Gesellschaft bei.«291 Bei der Auszählung nach den oben geschilderten Prinzipien fallen die Verbindungen zwi- schen den Vertrauten und den Singakademie-Mitgliedern kaum ins Gewicht: Von den 10 in der Vollerhebung gezählten Personen ist keine einzige selbst Mitglied der Vertrauten. Es handelt sich vielmehr um Frauen, die gezählt werden, weil ihr Vater oder Ehemann zum gegebenen Zeitpunkt dort Mitglied ist. Zwei dieser Frauen tauchen in den vier Stichproben nicht mehr auf, weil sie nur bei einzelnen Anlässen singen, nicht aber als Mitglieder ge- führt werden. Die verbleibenden acht verteilen sich auf die Mitglieder der Schicht’schen 115 Singakademie nach der zweiten Gründung 1812 sowie auf die Mitglieder der Schulz’schen Singakademie. Betrachtet man hingegen das Ganze aus der Perspektive der Vertrauten und lockert die strengen Zählkriterien ein wenig, ist das Ergebnis doch beachtlich. Von den 42 Perso- nen, die im erwähnten Zeitraum von 1780 bis 1830 den Vertrauten beitreten,292 sind zwar nur zwei selbst irgendwann Singakademie-Mitglieder, nämlich Jacob Bernhard Limburger und Wilhelm Seyfferth.293 Dreizehn der 42 Männer – also fast ein Drittel! – sind aber Vä- ter294 oder Ehemänner von Personen, die irgendwann im Untersuchungszeitraum einmal als Sänger in einer der Singakademien mitwirken.295 Insofern macht die Gesellschaft der Vertrauten, die mit ihrem Wirken selten an die Öffentlichkeit tritt, auch hier ihrem Namen alle Ehre. Man kann die Singakademien keineswegs als Sammelbecken der Vertrauten be- zeichnen, wohl aber mit einigem Recht als Treffpunkt der Töchter und Söhne der Vertrauten.

290 Vgl. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Hrsg.), Monatsbericht der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, März 2007. 291 Helbig, Die Vertrauten, S. 45. 292 Verzeichnet ebd., S. 109–114. 293 Beide werden jedoch in der Erhebung nicht gezählt, weil sie erst nach dem Untersuchungszeitraum 1802–1821 den Vertrauten beitreten, Limburger 1822 und Seyfferth 1826. 294 Genau genommen: 11 leibliche Väter, 1 Stiefvater, 1 Pflegevater. 295 Dabei ist ausdrücklich nicht die zeitliche Übereinstimmung berücksichtigt, es ist also unerheblich, ob jemand schon Mitglied der Vertrauten ist, als z. B. seine Tochter in einem Konzert mitsingt, oder ob er erst später Mitglied der Vertrauten wird. Es spielt auch keine Rolle, ob die Sängerin oder der Sänger selbst zum Zeitpunkt der Erwähnung in den Singakademie-Akten schon verheiratet ist oder nicht. Da- mit sind die Punkte 2 und 4 der oben erläuterten strengen Zählweise außer Kraft gesetzt. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

4.4.7 Professionelle Musiker, Musiker im Gewandhaus und Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion Die Berufsgruppe der Musiker ist in den Singakademien ebenfalls vertreten, wenn auch nicht in besonders hohen Anteilen. Der Musiker-Anteil schwankt zwischen nahe null (Schulz’sche Singakademie) und über einem Viertel (Limburgers Privatakademien). Auch wenn an dieser Stelle der statistischen Auswertung noch nicht gefragt wurde, ob diese Mu- siker im Kontakt mit dem Gewandhaus stehen, wird beim Blick auf die einzelnen Biogra- fien schnell klar: Bis auf eine einzige Ausnahme, den Opernsänger Friedrich Steinert, ge- hören alle in den Singakademien singenden Berufsmusiker in den Gewandhaus-Kontext: Es handelt sich um Solosängerinnen, die gleichzeitig oder zu einem anderen Zeitpunkt in ihrem Leben am Gewandhaus engagiert sind, und um einige Instrumentalisten (den Flötisten Carl Augustin Grenser, die Violinisten Heinrich August Matthäi und Adolph Barg- hiel). Alle anderen als Berufsmusiker erfassten Personen sind selbst Musikdirektoren des 116 Gewandhauses und/oder einer Singakademie. Insofern findet in den Singakademien eine Vermischung zwischen Berufsmusikern und Laien statt, welche die Attraktivität der Ver- eine für die singenden Dilettanten, die den Großteil der Sängerinnen und Sänger stellen, sicherlich erhöht. Auffällig eng sind die Verflechtungen zwischen den jeweiligen Leitungsgremien, also zwischen der Konzertdirektion, welche die Gewandhauskonzerte organisiert, und den Or- ganisationskomitees der ersten Singakademie-Konzerte. Die folgende Zusammenstellung erfasst nicht nur, wer von den Komitee-Mitgliedern gerade Mitglied der Gewandhaus-Kon- zertdirektion ist, sondern ist in einem allgemeineren Sinne den Beziehungen der Komi- tee-Mitglieder zum Gewandhaus gewidmet. Zunächst wieder die Zusammensetzung des Organisationskomitees für das Konzert am 20. April 1814: –– Heinrich Dörrien: aktuelles Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion (1814 bis zu sei- nem Tod, davon über 30 Jahre als Sekretär), –– Wilhelm Friedrich Kunze: ehemaliges Mitglied der Konzertdirektion (1809–1811, dort 1810–1811 Kassierer), zu seinem Vergnügen unentgeltlich 1815–1830 erster Geiger im Ge- wandhausorchester, –– Jacob Bernhard Limburger: aktuelles Mitglied der Konzertdirektion (1799 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 1819–1833), –– Wilhelm Friedrich Riem: ehemaliger Violoncello-Spieler im Gewandhausorchester (1802/03), trat auch 1810/11 als Klaviersolist in Gewandhauskonzerten auf, –– Johann Philipp Christian Schulz: aktueller Gewandhaus-Musikdirektor (seit 1810), sang bereits als Knabe in Gewandhauskonzerten, –– Wilhelm Seyfferth: keine unmittelbare Beziehung zum Gewandhaus (erst später Mitglied der Konzertdirektion: 1816 bis zu seinem Tod 1832), –– Adolf Wendler: keine unmittelbare Beziehung zum Gewandhaus (erst sein Sohn wird 1849 Mitglied der Konzertdirektion). Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Nun die Mitglieder des Komitees für die Vorbereitung des Konzerts am 18. Oktober 1814: –– Johann Christian August Clarus: keine unmittelbare Beziehung zum Gewandhaus, –– Heinrich Dörrien: aktuelles Mitglied der Konzertdirektion (siehe oben), –– Wilhelm Friedrich Kunze: ehemaliges Mitglied der Konzertdirektion (siehe oben), –– Jacob Bernhard Limburger: aktuelles Mitglied der Konzertdirektion (siehe oben), –– Friedrich Rochlitz: aktuelles Mitglied der Konzertdirektion (1804 bis zu seinem Tod 1842), –– Johann Gottfried Schicht: ehemaliger Gewandhaus-Musikdirektor (1785–1810), –– Johann Philipp Christian Schulz: aktueller Gewandhaus-Musikdirektor (siehe oben), –– Wilhelm Seyfferth: keine unmittelbare Beziehung zum Gewandhaus (siehe oben).

Das erste Organisationskomitee besteht aus sieben Personen: Es handelt sich um den Ge- wandhaus-Musikdirektor, um zwei aktuelle Mitglieder der Konzertdirektion, ein ehema- liges Direktionsmitglied und zwei Männer, die aktuell keine direkte Beziehung zum Ge- 117 wandhaus haben. Der siebte ist der Leiter der zweiten beteiligten Singakademie, Wilhelm Friedrich Riem, er trat schon öfter im Gewandhaus auf. Das zweite Organisationskomitee besteht aus acht Personen, fünf von ihnen waren be- reits im ersten Komitee beteiligt. Die neu Hinzugekommenen sind ein Direktionsmitglied, ein ehemaliger Gewandhaus-Musikdirektor und eine Person ohne direkte Beziehung zum Gewandhaus. Das Komitee besteht nun aus dem aktuellem Gewandhaus-Musikdirektor und seinem Vorgänger, drei aktuellen Mitgliedern der Konzertdirektion, einem ehemaligen Direktionsmitglied und zwei Personen ohne unmittelbare Beziehung zum Gewandhaus. In den Organisationskomitees der beiden Singakademie-Konzerte stellen nicht etwa Freimaurer oder die Mitglieder der Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten die domi- nierende Gruppe dar. Es sind vielmehr die ehemaligen und aktuellen Vertreter des Gewand- hauses, also Musikdirektoren und vor allem Mitglieder der Konzertdirektion, die bei der Organisation dieser Konzerte die Verantwortung tragen: Mit fünf von sieben Personen im ersten Komitee und sechs von acht Personen im zweiten Komitee sind die Gewandhaus-Ver- treter stärker präsent als alle anderen genannten Gruppen. Angesichts der Tatsache, dass bei den betreffenden Konzerten das Gewandhausorchester den Instrumentalpart übernimmt, ist dieser Befund wenig überraschend. Außerdem nehmen die frühen Leipziger Singakade- mien an mehreren von der Gewandhaus-Konzertdirektion veranstalteten Benefizkonzerten zugunsten der Armen Leipzigs und zugunsten des Orchesterpensionsfonds teil. Auch diese Kooperation ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Männer, die in Sing- akademie und Konzertdirektion den Ton angeben, weitgehend dieselben sind.

4.4.8 Politik und Verwaltung. Schnittmengen aller untersuchten Gruppen Bei den Gruppen der Freimaurer, der Mitglieder der Gesellschaften und der Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion gibt es große Schnittmengen. Dass die Assoziationen der Oberschicht Leipzigs sich im 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts stark überschneiden, bemerkt auch Matthias Wießner in seiner Magisterarbeit bei der Auseinandersetzung mit Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

der Mitgliederstruktur der Leipziger Journalgesellschaft. Diese Lesegesellschaft besteht aus- schließlich aus Akademikern.296 Fast drei Viertel der Mitglieder der Journalgesellschaft sind Juristen, viele sind gleichzeitig in Freimaurerlogen, der Gesellschaft Harmonie und anderen Gesellschaften tätig. Insofern ähnelt das Fazit, das Wießner zieht, den Erkenntnissen über die Mitglieder der Singakademie: »Anhand der Berufe, Tätigkeiten, Mehrfachfunktionen innerhalb der Stadt und Mehrfachmitgliedschaften in verschiedenen Assoziationen wird die breite Verankerung etlicher Gesellschaftsmitglieder im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Leipzigs sichtbar.«297 Wießner verweist auch auf Katharina Middells Beitrag über »Leipziger Sozietäten im 18. Jahrhundert«, die ebenfalls feststellt, dass hier »Mehrfachmitgliedschaften die Regel waren«.298 Zu den Assoziationen kommt noch eine weitere ausschlaggebende Gruppe, die in den einzelnen Singakademien mit Werten zwischen 7,0 % (Stichprobe 1) und 33,3 % (Stich- probe 4) vertreten ist – die der Angestellten in Politik und Verwaltung. Gemeint sind da- 118 mit, wie gesagt, sämtliche für städtische oder staatliche Behörden arbeitenden Männer vom Buchhalter bis zum Bürgermeister und deren engste Angehörige. Zur starken Verflechtung zwischen Stadtoberen und Gewandhaus meint Claudius Böhm, die Konzertunternehmung sei bereits 1786 »längst von der Stadtregierung ›unterwandert‹ und in die städtische Reprä- sentation integriert«.299 Auch im hier betrachteten Zeitraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich daran nicht viel geändert, die verschiedenen im Stadtleben bedeutenden Gruppen und Gremien überschneiden sich erheblich. Würde jemand behaupten, dass sich in der Singakademie, im Stadtrat, in den Logen und in der Konzertdirektion überall dieselben Leute treffen, nur zu verschiedenen Zwecken, dann wäre das zwar übertrieben, hätte aber einen wahren Kern. Ein Perspektivwechsel soll dies verdeutlichen. Die folgende Tabelle zeigt die 28 Mitglieder des Leipziger Rates im Jahr 1818, wobei zu jedem Ratsmitglied nachgewiesene Mitglied- schaften in Singakademie, Konzertdirektion, Freimaurerlogen und Gesellschaften vermerkt sind.300

296 Matthias Wiessner, Leipziger Lesegesellschaften um 1800. Das Beispiel der Journalgesellschaft, Magister- arbeit am Historischen Seminar der Universität Leipzig 2003, S. 36. 297 Ebd., S. 42. 298 Ebd., S. 44, mit Bezug auf: Katharina Middell, »Leipziger Sozietäten im 18. Jahrhundert. Die Bedeu- tung der Soziabilität für die kulturelle Integration von Minderheiten«, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 69 (1999), S. 125–158, hier S. 156. 299 Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester, S. 37. 300 Ratsmitglieder nach LAB 1818, S. 64–65. Die Reihenfolge und Angabe akademischer Grade folgt der dortigen Liste. Vornamen, die dort abgekürzt sind, wurden hier nach Möglichkeit aufgelöst. Die Quellen der Informationen in den Spalten 2–5 sind die gleichen, die auch für das Mitgliederlexikon im Anhang 12.3 (Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821) herangezogen wurden. De- taillierte Auflistung siehe dort. Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Tabelle 5: Die Mitglieder des Leipziger Rates 1818 und ihre Beziehungen zu Singakademie, Gewandhaus, Freimaurerlogen und Gesellschaften

Singakademie Gewandhaus- Freimaurer­ Gesellschaften Konzert­ logen direktion Dr. Christian Sohn Carl (siehe 1788–1821 – Mitgründer Harmo- Gottlob Einert unten) ist Mitglied in nie 1776. Ausgetreten beiden Schicht’schen 1788. Wieder einge- Singakademien treten 1813. Dr. Friedrich – 1814–1829 Minerva Harmonie 1789–1828 Huldreich (Ehren­mit­ Carl Sieg- glied) mann seit 1780 Dr. Christoph – – – – 119 Friedrich Wolle Dr. Christian Tochter Therese – Minerva Harmonie seit 1788 Traugott Koch singt im Sing­ seit 1779 akademie-Konzert am 28.11.1812 Dr. Christian – – Balduin Harmonie seit 1785 Friedrich Pohl 1818–1829 Dr. Christian – – Minerva Harmonie 1793–1822 Ludwig seit 1817 Stieglitz Dr. Johann Ehefrau Emilie Geh- 1800–1822 Minerva Harmonie seit 1788 August Otto ler-Duvigneau singt seit 1785 Gehler im Sing­akademie- Konzert am 8.5.1814 Dr. Heinrich – 1802–1839 – Harmonie seit 1795 Blümner Christian ein »Friedrich 1789–1820 Balduin Harmonie seit 1789 Friedrich ­Hänel« singt von 1779–1780 Hänel 1812 bis 1815 in ver- schiedenen Sing­ akademie-Zweigen Dr. Johann – 1824–1829 – Harmonie seit 1795 Conrad Sickel Dr. Johann – – – Harmonie seit 1802 Wilhelm Volkmann Dr. Carl – – Minerva Harmonie seit 1813 August Brehm seit 1791 Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Singakademie Gewandhaus- Freimaurer­ Gesellschaften Konzert­ logen direktion Carl Fried- – 1821–1837 Minerva Harmonie seit 1805, rich Gerhard seit 1818 Die Vertrauten ­Gruner seit 1807 Dr. Hierony­ Nichte Cecilie – – Harmonie seit 1805 mus Gottlieb Kind singt in der Kind Riem’schen, später in der Schulz’schen Singakademie Georg – – – Harmonie 1796–1831, Christian Die Vertrauten Vollsack seit 1800 120 Dr. Gottfried – Vater Chris- Balduin Vater Christian Wilhelm tian Gottfried 1817–1853 Gottfried war Mit- Hermann war Mitglied glied der Harmonie 1785–1813 1795–1813 Johann Gott- Töchter Emma und Sohn Julius Ehren­mit­glied Harmonie 1808–1830, fried Erckel Laura sowie mehrere ist Mitglied Minerva seit wieder eingetreten Neffen und Nichten 1856–1881 1813 1831, sind in den Singaka- Die Vertrauten demien aktiv seit 1810 Dr. Carl Einert Mitglied in beiden Vater – Harmonie 1809–1831 Schicht’schen Sing- Christian akademien Gottlob ist Mitglied 1788–1821 Dr. Johann – 1840–1848 – Harmonie 1811–1832 Carl Groß Jacob Mitglied in allen 1799–1847 Balduin und Harmonie seit 1808, Bernhard Zweigen der Sing- Apollo seit Die Vertrauten Limburger akademie 1801, Ehren­ ab 1822 mit­glied Minerva ab 1820 Dr. Christian – 1822–1839 Apollo Harmonie 1812 Adolph 1817–1826 Deutrich Friedrich – – Balduin Harmonie seit 1807, Adolph Kayser 1799–1810, Die Vertrauten Minerva seit 1811 ab 1821 Auswertung und Deutung der Mitgliederdaten

Singakademie Gewandhaus- Freimaurer­ Gesellschaften Konzert­ logen direktion Dr. Heinrich Gründungsmitglied 1814–1858 – Harmonie seit 1815 Dörrien in Schichts zweiter Singakademie, be­ teiligt bei Limburgers Privatakademien Carl er und seine Ehe­frau 1804–1819 – – Christoph sind Grün­dungs­mit­ Schulze glie­der in Schichts erster Sing­akademie Christian Bruder Ferdinand – – Harmonie seit 1802, Gottlob Frege singt in beiden Die Vertrauten III Schicht’schen Sing- seit 1814 121 akademien, Ehefrau singt Sopran am 20.4.1814. Dr. Friedrich – – – Harmonie 1818–1856 Heinrich Demuth Christian – – – Harmonie 1811–1826 Wilhelm Richter Johann Bruder Christian – – seine Brüder werden August Friedrich ist Mitglied später Harmonie- Schwägrichen der Schulz’schen Mitglieder: Christian Singakademie Gottlieb 1820–1840; Christian Friedrich 1844

Von den 28 Männern, die 1818 im Leipziger Rat sitzen, sind oder waren fünf selbst Sing- akademie-Angehörige,301 von sieben weiteren singen die Ehefrauen oder enge Verwandte in der Singakademie. Von denselben 28 Männern sind acht aktuell auch Mitglieder der Gewandhaus-Konzertdirektion, einer ist es gewesen und vier werden in Zukunft zur Kon- zertdirektion dazustoßen; ferner gibt es zwei, deren Väter zur Konzertdirektion gehörten oder gehören und einen, dessen Sohn in Zukunft dazugehören wird. Zwölf Ratsmitglieder sind Freimaurer, zwei weitere sind Freimaurer gewesen oder werden in Zukunft einer Loge beitreten. Zu guter Letzt lässt sich feststellen, dass ganze 24 der 28 Ratsmitglieder Mit-

301 Diese Zahl impliziert die Vermutung, dass der Friedrich Hänel, der in den Singakademie-Akten ver- zeichnet ist, identisch mit Christian Friedrich Hänel ist. Beweisen oder widerlegen lässt sich das derzeit nicht. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

glieder in der Gesellschaft Harmonie sind, von einem werden die Brüder später Harmonie- Mitglieder, von einem war der Vater Mitglied – nur zwei haben nichts mit der Harmonie zu tun. Fünf Ratsmitglieder sind gleichzeitig Angehörige der Vertrauten, einer wird es erst in Zukunft werden. Es seien hier zwei Arten vorgeschlagen, diese Zahlen zusammenzufassen: eine strenge, punktuelle, und eine offenere Variante. Streng gesprochen gibt es im Leipziger Rat im Jahr 1818 5 Singakademie-Sänger, 8 Mitglieder der Konzertdirektion, 12 Freimaurer, 24 Mitglie- der der Gesellschaft Harmonie und 5 Vertraute. Ein Stück abstrakter betrachtet, wenn man vom Jahr 1818 auch den Blick in Vergangenheit und Zukunft zulässt sowie die engsten Ver- wandten mitzählt, könnte man hingegen sagen: Im Leipziger Rat des Jahres 1818 sitzen zwölf Personen, deren Biografien sich mit der Leipziger Singakademie kreuzen (43 %), sechzehn mit Verbindungen ins Gewandhaus-Direktorium (57 %), vierzehn frühere, derzei- tige und zukünftige Freimaurer (50 %) sowie 26 Männer, die mit der Gesellschaft Harmonie 122 und/oder den Vertrauten in Verbindung zu bringen sind (93 %). Dagegen lässt sich nur ein einziges Mitglied des Rates keiner der vier Gruppen zuordnen. Die Zugehörigkeit der Ratsmitglieder im Jahr 1818 zu den genannten gesellschaftlichen Gruppierungen lässt sich nach der Häufigkeit staffeln. Damit deutet sich die Relevanz des kulturellen und sozialen Engagements der Leipziger Führungsschicht zu diesem Zeitpunkt an, wobei durchaus eine Rangliste der einzelnen Gruppen und ihrer Zwecke entsteht: Es ist 1818 in Leipzig keine Ausnahme, sondern der Normalfall, wenn Ratsmitglieder gleichzeitig dem geselligen Verein Harmonie angehören. Oft bekleiden diese Männer dann nicht nur in der Politik, sondern auch im Vereinsleben leitende Positionen, indem sie etwa Sekretär der Gesellschaft werden. Es ist ferner nicht notwendig, tritt jedoch in fast jedem zweiten Fall auf, dass die Ratsmitglieder auch Freimaurer sind. Weniger häufig, aber noch immer beachtlich, sind die Aktivitäten der Ratsmitglieder im Bereich der Gewandhaus-Konzert- direktion sowie der Singakademien. Es gehört ganz offenbar in der politischen Elite zum guten Ton, in den verschiedenen genannten Kreisen gesellschaftlich und kulturell engagiert aufzutreten – und zwar in mehreren Assoziationen gleichzeitig. Oder, um es wieder aus der Singakademie-Perspektive zu formulieren: In den ersten Singakademien singen Verwandte und Verschwägerte, Schüler und Lehrer, Kollegen und Handelspartner, Dozenten und Studenten. Einige kennen sich aus dem Stadtrat, andere auch aus der Gewandhaus-Konzertdirektion oder aus den Leipziger Freimaurerlogen und Gesellschaften – und ein paar wenige kann man in so gut wie allen dieser Zirkel treffen, so wie den omnipräsenten Jacob Bernhard Limburger.302 Sie teilen die Freude am Gesang, aber sie teilen auch ein Wertesystem. Was sich hier am Beispiel Leipzigs andeutet, wird in der Soziologie seit Georg Simmel als »Kreuzung sozialer Kreise« bezeichnet.303 Simmel unterscheidet zwischen primären Kreisen, in die man hineingeboren wird (z. B. Familien,

302 Siehe Kapitel 3.1: Das Engagement Jacob Bernhard Limburgers. Ein biografischer Abriss. 303 Georg Simmel, »Die Kreuzung sozialer Kreise«, in: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Ver- gesellschaftung, Leipzig 1908, S. 403–453. Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens«

Dorfgemeinschaften), und sekundären Kreisen, die sich durch inhaltliche Beziehungen bil- den. Zu letzteren gehören die beschriebenen Assoziationen und nicht zuletzt auch die Sing- akademie. Die Überschneidung verschiedener Kreise sei aus Sicht der Einzelperson ein Merkmal, das deren Individualität ausmache. Mit Blick auf die Gesamtgesellschaft schreibt Simmel: »Die Zahl der verschiedenen Kreise nun, in denen der Einzelne steht, ist einer der Gradmesser der Kultur.«304 Auch jüngere Ergebnisse der Soziologie, insbesondere der Netz- werkforschung, legen nahe, dass sich überschneidende Kreise für Gesellschaften generell günstig sind. Im Gegensatz zu abgeschlossenen Gemeinschaften ohne Überschneidungen entschärfen sie ökonomische Konfliktlinien und tragen dazu bei, dass soziales Kapital nicht allein den jeweiligen Mitgliedern zugute kommt.305

4.5 Die Singakademien als Musterbeispiele 123 des »bürgerlichen Musiklebens« – Zur Definition von Bürgerlichkeit im musikalischen Kontext

Die Befunde über die Mitglieder der verschiedenen Leipziger Singakademien in den Jahren von 1802 bis 1821, über ihre Berufe und ihre Teilnahme an verschiedenen Assoziationen, von denen die Singakademien nur eine ist, lassen sich schwerlich auf einen einfachen Nenner bringen. Die Faktoren für den Erfolg und die Attraktivität der gemischten Chorvereine zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind so vielfältig wie die Motivationen der Mitglieder. Es über- schneiden sich lokale Besonderheiten mit großflächig wirksamen historischen Prozessen. Ein solcher Prozess ist die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, wie sie Jürgen Habermas für , Frankreich und Deutschland beschreibt.306 Für Deutschland sieht Habermas deren Anfänge bereits in den gelehrten Tischgesellschaften und den Logen des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier liegt der Vergleich zu den 1680 in Leipzig gegründeten Ver- trauten nahe: Auch wenn sich dort nicht Gelehrte, sondern Kaufleute zusammenfinden, wirken die Vertrauten im Stillen und haben somit – wie die Freimaurer – den Charakter einer Geheimgesellschaft: »Der Zusammenschluß der Privatleute zum Publikum wird […] im geheimen, Öffentlichkeit noch weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit antizi- piert.«307 Das ändert sich im späten 18. Jahrhundert, als andere Gesellschaften entstehen, »die, auch auf der Basis der Kooptation, relativ leicht Zugang gewähren. In ihnen hat der bürgerliche Umgangsstil, haben Intimität und eine gegen höfische Konvention ausgespielte Moral Selbstverständlichkeit gewonnen, bedürfen jedenfalls nicht mehr der Veranstaltung

304 Ebd., S. 411. 305 Vgl. Michael Nollert, »Kreuzung sozialer Kreise: Auswirkungen und Wirkungsgeschichte«, in: Hand- buch Netzwerkforschung, hrsg. von Christian Stegbauer und Roger Häußling, Wiesbaden 2010, S. 157–165. 306 Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürger- lichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, Frankfurt a. M. 1990. 307 Ebd., S. 95. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

zeremonieller Brüderlichkeit«.308 Eine solche offenere Gesellschaft ist in Leipzig die Har- monie. Wichtig sind die Gemeinsamkeiten, die Habermas zwischen allen Institutionen der bürgerlichen Öffentlichkeit ausmacht, seien es englische Kaffeehäuser, französische Salons oder deutsche Logen und Gesellschaften: Zunächst das Absehen von Statusunterschieden, zum Zweiten das Erschließen völlig neuer Diskussionsfelder (nämlich Kunst und Kultur, hier wäre auch die Musik anzusiedeln), zum Dritten die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Publikums, also die Tatsache, dass der Diskurs sich nicht nur auf einen engen Zirkel beschränkt, sondern über Vereins- und Stadtgrenzen hinaus eine großes, allgemeines Pu- blikum mit einbezieht.309 Diese drei Merkmale finden sich in den Singakademien wieder. Hinzu kommen dort aber weitere charakteristische Eigenschaften des bürgerlichen Selbst- und Weltverständnis- ses zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die einen Widerhall in der Leipziger Geselligkeits- und Musikkultur finden. Jüngere Studien, besonders sind hier Sammelwerke von Herausgebern 124 wie Reinhart Koselleck (1985–1992), Jürgen Kocka (1995) sowie Andreas Schulz und Die- ter Hein (1996) zu nennen,310 geben dazu wertvolle Hinweise. Immer wieder heben die Autoren die zentrale Rolle des aufklärerischen Kunst- und Bildungsbegriffes dieser Zeit hervor: Thorsten Maentel etwa legt dar, dass an die Stelle religiöser oder aristokratischer Hierarchien ein neuer »ideell verbundene[r] ›persönliche[r]‹ Stand der Gebildeten«311 tritt, zum dem jeder Zugang hat, der über Bildungsgüter verfügt und an dem – nach Habermas prinzipiell unabgeschlossenen – Diskurs teilzunehmen im Stande ist. Innerhalb dieses Dis- kurses spielt die Kunst, und damit nicht zuletzt die Musik, eine Hauptrolle. An dieser Stelle tritt der ›Dilettant‹ auf, der sich dem Schönen und Wahren nicht nur räsonnierend, sondern selbst ausführend nähert. Andreas Schulz weist darauf hin, dass hierbei nicht »das Erreichen der Stufe höchster ästhetischer Vollendung [entscheidend ist], sondern das stete, zielgerichtete Streben nach Entwicklung der individuellen Anlagen und Fähigkeiten, der Genuß des Teilhabens und Sichübens an den Kulturleistungen großer Vor- bilder«.312 Nun findet diese Begeisterung für die Künste ganz unterschiedliche Formen, es gibt bekanntlich dilettierende Dichter, Dramatiker, Schauspieler und Maler. Die Musik aber ist aus zwei Gründen ein besonders reizvolles Metier für Dilettanten: Einerseits wird sie schon damals romantisch als höchste und heiligste aller Künste verklärt, so schreibt etwa Limburger, die Tonkunst sei die »vor ihren Schwestern das Innere des Menschen am tiefsten ergreifende Kunst«313; andererseits verlangt sie in besonderem Maße danach, in

308 Ebd., S. 96. 309 Vgl. ebd., S. 97–99. 310 Reinhart Koselleck (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil II: Bildungsgüter und Bildungswis- sen (Industrielle Welt. Schriften des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 41/II), Stuttgart 1990; Jürgen Kocka (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Eine Aus- wahl, Göttingen 1995; Andreas Schulz/Dieter Hein (Hrsg.), Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996. 311 Maentel, »Zwischen weltbürgerlicher Aufklärung und stadtbürgerlicher Emanzipation«, S. 141. 312 Schulz, »Der Künstler im Bürger«, S. 35. 313 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 1r. Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens«

Gesellschaft produziert und konsumiert zu werden – und die Geselligkeit, so Maentel, »be- stätigte eigentlich erst ein Dasein jenseits der Geschäfte«.314 Die Argumente Maentels und Schulz’ zusammenfassend, lässt sich konstatieren: Der bürgerliche Dilettant will durch seine Übung am hohen Gut der ›wahren‹ Kunst teilhaben, dabei strebt er – gemäß dem aufklärerischen Bildungsideal – danach, seine individuellen Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln; er benötigt zum Darstellen des Erreichten, quasi als Ausweis seines eigenen Bildungsstrebens, eine Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit kann eine kleine Gruppe von Vereinsmitgliedern sein, sie kann auch, wie im öffentlichen Konzert, eine größere Gruppe von potentiellen Zuhörern und Zuschauern umfassen. Institutionen der bürgerlichen Kunst- und Musikpflege, also auch die Singakademien, haben hier eine Scharnierfunktion. Sie verbinden das aufklärerische Kunst- und Menschenbild mit dem konkreten Tun im All- tag; oder, wie Andreas Schulz es formuliert: »Die Dilettantenvereine bildeten die Nahtstelle zwischen Kunst und Gesellschaft, sie verkörperten die kulturelle Alltagspraxis aktiver bür- 125 gerlicher Kunstaneignung.«315 Die genannten Strukturen und Motive auf das Beispiel der Singakademien übertra- gend, lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich hier auf geradezu exemplarische Weise das zeigt, was später als ›bürgerliche Musikkultur‹ oder als ›Musikleben der bürgerlichen Gesellschaft‹316 beschrieben wird. Zwar zeigen die Biografien, dass sehr viele der Singaka- demie-Mitglieder im rechtlichen Sinne Stadtbürger sind bzw. aus Bürgerfamilien stammen. Das ist aber von untergeordneter Bedeutung gegenüber anderen, ›weicheren‹ Faktoren von ›Bürgerlichkeit‹. Bürgerlichkeit muss hier mit Wolfgang Kaschuba als Statusbegriff verstan- den werden, »der sich auf eine Vielzahl unterschiedlichster Kriterien bezieht vom Besitz bis zum Beruf, vom Geschmack bis zur Bildung – und letztlich auf die Umsetzung all die- ser Eigenschaften in eine angemessene Form bürgerlichen Kultur- und Lebensstils«.317 Die Sekundärliteratur identifiziert, neben materiellen Voraussetzungen, folgende Kernfaktoren von Bürgerlichkeit im frühen 19. Jahrhundert: 1. die zentrale Rolle der Bildung, in einem aufklärerischen Sinn als umfassende Menschenbildung zu verstehen, zu der auch die Theo- rie und Praxis der Kunst gehören;318 2. das Vertreten demokratischer Ideen, vor allem die Gleichheit der Mitglieder untereinander betreffend, das aus dem Geist der französischen Revolution gespeist ist;319 3. die Abgrenzung der bürgerlichen Institutionen von der Sphäre

314 Maentel, »Zwischen weltbürgerlicher Aufklärung und stadtbürgerlicher Emanzipation«, S. 140. 315 Schulz, »Der Künstler im Bürger«, S. 47. 316 So zum Beispiel bei Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, S. 34, und direkt im Titel von Friedrich Schmidt, Das Musikleben der bürgerlichen Gesellschaft Leipzigs im Vormärz (1815–1848) (Musikalisches Magazin 47), Diss., Langensalza 1912. 317 Wolfgang Kaschuba, »Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis«, in: Bürger- tum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Eine Auswahl, hrsg. von Jürgen Kocka, Göttingen 1995, S. 92–127, hier S. 93. 318 Vgl. z. B. Maentel, »Zwischen weltbürgerlicher Aufklärung und stadtbürgerlicher Emanzipation«, S. 140. 319 Vgl. z. B. Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, S. 39; Maentel, »Zwischen weltbürgerlicher Auf- klärung und stadtbürgerlicher Emanzipation«, S. 148. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

des Staates, des Hofes oder des Klerus;320 4. die hohe Bedeutung moralischer Kategorien wie Integrität, Rechtschaffenheit und uneigennützigem Einsatz für Andere.321 Diese vier Faktoren lassen sich in der Frühphase der Leipziger Singakademie konkret nachweisen: 1. Fo r t w ä h r e n d e s B i l d u n g s s t r e b e n : Es äußert sich vor allem in den wenigen, aber besonders aussagekräftigen programmatischen Bemerkungen in den Gründungsdo- kumenten der Akademien, etwa bei Limburger zu Beginn seiner Annalen: »Daher scheint es kein undankbares Unternehmen, die merkwürdigsten Dinge aufzuzeichnen, welche die Liebe zu jener schönen Kunst [der Tonkunst] vorzüglich aufregten, sie nährten und den Keim zu fortwährender Vervollkommnung derselben pflanzten.«322 Von dem glei- chen Bildungsstreben und der gleichen Hochachtung gegenüber der Musik ist der Para- graf 1 der Statuten der Schulz’schen Singakademie getragen: »Ueberzeugt, daß Musik, verbunden mit Poesie und Religion für eine der tiefsten Quellen der Geistes Veredlung 126 zu achten sey; – durchdrungen von dem Wunsche, daß dieselbe mehr zu einem Haupt- gegenstande der öffentlichen Bildung möge erhoben werden, […] vereinigen sich eine Anzahl von Freunden und Freundinnen des ernsten Gesanges um durch gesellschaftliche Uebung unter der Leitung eines erfahrenen Lehrers ihre Kunstfertigkeit zu vermehren, ihren Geschmack zu bilden, und […] die Liebe zur Tonkunst überhaupt und zum Gesange insbesondere zu erhalten und immer mehr zu verbreiten.«323 Nicht zuletzt äußert sich das Bestreben, der Musik durch tieferes Verständnis besser gerecht zu werden, in den Auftritten der »Musikgelehrten« bei Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien. 2. Gleichheit der Mitglieder untereinander: Zumindest theoretisch wird von althergebrachten Standesunterschieden abgesehen. Nicht der ererbte oder verliehene Stand öffnet die Tür zur Mitgliedschaft, sondern es sind nun die persönlichen Fähigkei- ten, der gute Ruf – und nicht zuletzt das Geld. So kommt es, dass in den Singakademien einerseits zwar Adlige und Handwerker zusammen singen – Standesschranken existieren nicht im althergebrachten Sinne – und andererseits doch eine relativ homogene Gruppe entsteht. Die Homogenität wird garantiert durch die Mechanismen der Mitgliederwahl (der Vorstand wählt vorab aus, die Mitglieder stimmen per Mehrheitsentscheid über die Zulassung ab) sowie durch die nicht eben niedrigen Mitgliedsbeiträge. So werden die ver- schwundenen alten Standesgrenzen durch neuartige Schranken ersetzt. 3. Unabhängigkeit von staatlichen oder kirchlichen Strukturen: Die Selbstständigkeit der gesamten Organisation, ein Kern-Kennzeichen der bürgerlichen Öffentlichkeit, ist in den Singakademien stark ausgeprägt, und zwar stärker, als es im Bereich der Chormusik in Leipzig zuvor der Fall gewesen ist. Das bürgerliche Selbstbe- wusstsein spricht daraus, dass die Vereine sämtliche Proben, Aufführungen, Materialien,

320 Vgl. z. B. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 89. 321 Vgl. z. B. Sobania, »Vereinsleben«, S. 178; Kaschuba, »Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800«, S. 97. 322 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 1r. 323 D-LEsa, SingA, fol. 1r. Ungekürztes Zitat siehe Tabelle 7, S. 141. Die Singakademien als Musterbeispiele des »bürgerlichen Musiklebens«

sogar die musikalischen Leiter, selbst bestimmen und organisieren. Engagierte Bürger bilden den Vorstand und sind für die Geschicke des Vereins stellvertretend verantwort- lich, sie etablieren eine selbstbestimmte Form der Musikpflege. 4. Standesethos im ›persönlichen‹ Stand der Gebildeten: Es misst sich, neben dem schon erwähnten Willen zur persönlichen Vervollkommnung, noch an weite- ren Werten: Redlichkeit bzw. Rechtschaffenheit (die Satzung fordert »moralische Unbe- scholtenheit«), Leistungsbereitschaft (»Da man jedoch im Streben nach dem Besten nie müde werden muß […].«324) und Altruismus (Benefizcharakter der meisten Aufführungen in der hier besprochenen Zeit). Diese Qualitäten gehen vermutlich auf die anderen, älte- ren Assoziationen, die Gesellschaften und Logen zurück. Auch dort gilt die Mitgliedschaft als Ausweis der eigenen Integrität und die Assoziationen haben es sich in der Regel auf die Fahnen geschrieben, Menschen in Not zu helfen. 127 Freilich darf man das Schlagwort der ›Bürgerlichkeit‹ nicht überstrapazieren: Der Medizin- student und die Buchhändlersfrau, die sich in der Singakademie begegnen, haben sehr unterschiedliche Positionen in der damaligen Gesellschaft. Ihre materiellen Lebensum- stände, ihr Selbstverständnis und ihre Zukunftsperspektiven gleichen sich selbstverständ- lich nicht. Oder, wie es Franz J. Bauer in seinen Überlegungen zum ›langen‹ 19. Jahrhun- dert formuliert:

[D]ie Einheit des Bürgertums ist eine Fiktion. Wir begegnen vielmehr einer Vielfalt von mittleren Gruppierungen und Schichten, […] die aber durch ein in der Subs- tanz von allen geteiltes System moralischer, politischer, weltanschaulicher und äs- thetischer Werte – also gewissermaßen im Medium eines gemeinsamen Diskur- ses – verbunden sind.325

Auch das gemeinsame Musizieren, das Konsumieren von und Sprechen über Musik bildet einen Teil dieses Diskurses. Die Gründe für die Mitwirkung in den Singakademien sind demnach gleichzeitig die Triebfedern des ›bürgerlichen‹ Musiklebens überhaupt: –– Kennenlernen und Aufführen von Musikwerken als Teilhabe an der Kunstreligion Musik, gewissermaßen als ethische Pflicht im Sinne der Menschenbildung, –– Probe und Auftritt als Beweis für sich selbst und andere, dieser Pflicht nachzukommen (gesellschaftliche Repräsentation), –– Einsatz für das Allgemeinwohl (Benefizkonzerte), –– berufliche und gesellige Kontaktpflege, insbesondere Einführung der Töchter in die Ge- sellschaft, –– für einen Teil der Mitglieder mit höheren musikalischen Ambitionen: Ausbildung im Ge- sang als Teil einer umfassenderen Musikausbildung.

324 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 23v. 325 Franz J. Bauer, Das ›lange‹ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche, Stuttgart 2004, S. 66. Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821

Folglich ist durchaus auf Leipzig übertragbar, was Carl Friedrich Zelter über die ersten Jahre der Sing-Akademie zu Berlin – wenn auch sehr idealisiert – schreibt:

Jeder Fremde und jedes hinzutretende Mitglied fand darin etwas, wo die Tugend gern verweilt: […] Mannigfaltigkeit aller Stände, Alter und Gewerbe […]; Ergötzung an einer schönen Kunst […]; die Jugend und das Alter, den Adel und den Mittel- stand; die Freude und die Zucht; den Vater und die Tochter; die Mutter mit dem Sohn und jede Vermischung von Geschlechten [sic] und Ständen, die, gleich einem Blumengarten im Frühling, den feinsten Sinn bildsamer Menschen nur ergötzen kann. Diese Gesellschaft erschuf und erzog sich selber […].326

128

326 Carl Friedrich Zelter, Karl Friedrich Christian Fasch, Berlin 1801, S. 34. Auch zitiert bei Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 39, dort allerdings mit falscher Seitenangabe und abweichender Interpunk- tion. 5 Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

Für weitergehende Fragestellungen ist es wichtig zu wissen, an welchen Konzerten die Singakademie in der Zeit ihres Bestehens beteiligt ist und welche Musik dort gesungen wird. Erst hierdurch werden Untersuchungen zu den Konzerttraditionen, in die die Sing- akademie involviert ist, zur Programmpolitik der einzelnen Musikdirektoren und zur Re- pertoireentwicklung überhaupt ermöglicht. Da die Auftritte der Leipziger Singakademie bisher nirgends zusammengefasst waren, sondern die Quellen weit verstreut lagen, war es unumgänglich, zunächst eine möglichst verlässliche und annähernd vollständige Daten- 129 sammlung anzufertigen. An dieser Stelle soll das Vorgehen erläutert werden, das zu dem als Anhang beigefügten Konzertverzeichnis geführt hat.327 Dieses Verzeichnis ist der Aus- gangspunkt für weitere Überlegungen zu Geschichte, Repertoire und Bedeutung der Leip- ziger Singakademie. Deshalb wird zunächst genau beschrieben, wie es zustande gekom- men ist, was es leistet und wo die Grenzen liegen. Es folgt die Vorstellung und Anwendung verschiedener Methoden, wie dieser Datenbestand ausgewertet werden kann. Auf die hier gegebenen Überblicksdarstellungen zur Auftrittsfrequenz, zum Profil des Repertoires und auch zur Entwicklung des Mitgliederstandes werden spätere Kapitel zurückkommen und sie in den Kontext der jeweils betrachteten Zeit bringen.

5.1 Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen

Der Zeitraum, für den es die Auftritte der Leipziger Singakademie zu sammeln galt, um- fasst über 160 Jahre. Beim Studium der Quellen wurde bald zweierlei klar: Erstens ist das Wissen über die einzelnen Konzerte für eine sehr lange Zeit, nämlich etwa bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, reichlich vorhanden, wenn auch äußerst weit verstreut. Für die Jahr- zehnte ab 1920 ist die Quellenlage schlechter. Zweitens zwingt die schiere Menge des Ma- terials zu Konzessionen, damit die gesammelten Informationen übersichtlich und für eine Analyse handhabbar bleiben. Die Prinzipien, nach denen das Konzertverzeichnis aufgebaut ist, hatten sich eng an den Fragestellungen zu orientieren. Für eine grundsätzliche Repertoireübersicht schien es zweckmäßig zu erheben, wann, wo, von wem und zu welchem Anlass welche Stücke auf- geführt wurden. Daraus ergeben sich die Spalten der tabellarischen Anordnung von links

327 Siehe Anhang 12.5: Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n). Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

nach rechts: Jeder Konzerteintrag besteht aus den Angaben von Datum, Ort, Anlass, Mit- wirkenden, aufgeführten Werken sowie einer oder mehreren Quellenangaben. Für die Spalte »Datum« wurde geprüft, welche Konzertdaten im kirchlichen Festkalen- der zu verorten sind; die Angabe folgt hier und in der gesamten vorliegenden Arbeit dem vom Institut für Katholische Theologie der Universität Bamberg veröffentlichten Kalender der beweglichen Feste 1700 bis 2199.328 Auch weitere besondere Termine stehen im Zusam- menhang mit dem Aufführungsdatum oder dem Inhalt der Programme, etwa Geburts- und Todestage von Komponisten oder Termine der Leipziger Messe. Sie wurden, soweit sie zu eruieren waren, ebenfalls in die Spalte »Datum« mit aufgenommen. In der Spalte »Ort« beziehen sich alle Namen von Auftrittsorten auf Leipzig, wenn nicht anders angegeben. Aus dem »Anlass« ergibt sich, ob das Konzert Teil einer Konzertreihe (etwa Karfrei- tagskonzerte, Abonnementkonzerte) ist, wer es organisiert, ob es zu einem bestimmten 130 Jubiläum veranstaltet wird und ob die Erlöse einem wohltätigen Zweck zugute kommen. Zur besseren Übersicht wurden hier Vereinheitlichungen vorgenommen, die dazu führen, dass die Einträge in der Spalte »Anlass« oft nicht ein exaktes Zitat von den Programm- zetteln darstellen: Bei den Abonnementkonzerten des Gewandhauses, die eigentlich in je- der Spielzeit durchnummeriert sind, wurde diese Nummerierung nicht übernommen; die ›Karfreitagskonzerte‹ werden immer mit diesem Schlagwort bezeichnet, auch wenn es bei den frühen Konzerten dieser Reihe noch keinen stehenden Begriff dafür gibt, sondern die Konzerte anfangs in der Regel als »Musikaufführung in der Universitätskirche«329 annon- ciert werden; Konzerte »zum Besten des Orchesterpensionsfonds« werden ebenfalls ein- heitlich so bezeichnet, auch wenn die Bezeichnung dieses Instituts variiert;330 gleiches gilt für den Orchester-Witwenfonds. In der Rubrik »Mitwirkende« werden zuerst die beteiligten Chöre in alphabetischer Reihenfolge genannt, dann die Instrumental-Ensembles und zuletzt in Klammern eventu- ell der Name des musikalischen Leiters. Auf die Nennung der Namen eventueller Solisten wurde verzichtet. Bei vielen Einträgen fehlt bei den Mitwirkenden der Name des Orchesters, obwohl das Programm Instrumentalisten erfordert. In diesen Fällen wurde auf Spekulatio- nen über mitwirkende Ensembles bewusst verzichtet, d. h. nur in den Quellen eindeutig benannte Mitwirkende werden hier angegeben. Ebenso wurde der Name des musikalischen

328 Institut für Katholische Theologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Hrsg.), »Kalen- der der beweglichen Feste 1700 bis 2199«, , 5.7.2012. Dort sind für jedes Jahr die Daten des Festkalenders der römisch-katholischen Kirche für Aschermittwoch, Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam angegeben. Diese Daten lassen sich (abgesehen von Fronleichnam) problemlos auf das protestantisch geprägte Leipzig anwenden, da die evangelische Kirche diese Feste am gleichen Tag feiert. 329 So z. B. das Konzert am 9.4.1830. Vgl. S. 828 in dem Pdf-Dokument auf der CD-ROM zu Hagels, Kon- zerte in Leipzig. 330 Etwa beim »Konzert zum Besten des Instituts für alte und kranke Musiker« am 19.3.1815, siehe ebd., S. 596. Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen

Leiters nur dort angegeben, wo die Quellen ihn explizit erwähnen, auch wenn sich aus dem Kontext oft mit relativ großer Sicherheit auf einen bestimmten Dirigenten schließen ließe. Die größten Zugeständnisse waren in der Spalte »Werke« nötig. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und im Sinne der hier zu untersuchenden Fragestellungen sind dort nicht die vollständigen Konzertprogramme verzeichnet, sondern nur die Stücke, bei denen tat- sächlich ein gemischter Chor beteiligt ist. Orchesterwerke und andere Instrumentalstücke, Nummern für begleiteten Sologesang oder Solisten-Ensemble sowie Stücke für Männer- chor sind nicht aufgeführt. Frauenchöre sind mit dem Kürzel »FCh« gekennzeichnet. Die Natur der zur Verfügung stehenden Quellen (besonders bei Zeitungsberichten) bedingt außerdem, dass die Reihenfolge der aufgeführten Werke oft nicht mit überliefert ist. Die hier angegebene Reihenfolge ist daher nicht verbindlich. Aus den gleichen Gründen sind mitunter nur unvollständige Angaben zu den aufgeführten Werken überliefert (z. B. ›Zwei Lieder von …‹). Es sind immer die vollständigen Komponistennamen angegeben. Die in den 131 Quellen oft abweichende Schreibung der Werke wurde nach heutigen Werkverzeichnissen angepasst. Die Werktitel sind vereinheitlicht, also wieder nicht als Zitat von den Programm- zetteln zu verstehen. Sie sind möglichst knapp gehalten, aber so verfasst, dass die Werke problemlos in einschlägigen Verzeichnissen aufzufinden sind. Auf die vollständige Angabe etwaiger Opusnummern und Besetzungsangaben wurde in den meisten Fällen verzichtet, es sei denn, die Werke sind über Werkverzeichnisse etc. sonst schwer zu finden. Zur bes- seren Kategorisierung wurden auch die in den Untertiteln oft auftauchenden poetischen Gattungsbezeichnungen (wie z. B. »Biblisches Drama« für Alfred Richters Judith, »Musika- lische Legende« für Gabriel Piernés Kinderkreuzzug) durch allgemeinere Gattungsbezeich- nungen ersetzt (z. B. in den genannten Fällen »Oratorium«). Damit soll keinesfalls die be- deutungstragende Rolle dieser differenzierten Werktitel negiert werden, es kann nur im Rahmen der hier verfolgten Fragestellungen kein Beitrag zu diesem Sonderaspekt geleistet werden, so dass einer klaren, wenn auch verkürzenden Darstellung der Vorzug gegeben wurde. Völlig verzichtet wurde auf die Gattungsbezeichnung »Chorlied«. Es sind also die Werke, die in der Übersicht keine Gattungsbezeichnung tragen, in der Regel als Chorlieder im weitesten Sinne zu verstehen, d. h. als kurze, strophisch aufgebaute Chorstücke a cap- pella oder mit Klavier-, Orgel- oder (seltener) Orchesterbegleitung. Die Spalten »Ort«, »Anlass«, »Mitwirkende« und »Werke« operieren mit spezifischen Abkürzungen, die im Anhang aufgeschlüsselt werden,331 außerdem kommt in der Spalte »Quellen« ein besonders knapper Modus der Kurztitelangabe zum Einsatz, der am Anfang des Konzertverzeichnisses erläutert wird. Die Zusammenstellung des Konzertverzeichnisses erfolgte auf der Basis sehr unter- schiedlicher Quellen, die sich oft gegenseitig ergänzen. Für die ersten Jahrzehnte der Über- sicht waren die bereits beschriebenen Akten im Leipziger Stadtarchiv hilfreich.332 Für den weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts ist vor allem Paul Langers Chronik der Leipziger Sing-

331 Siehe Anhang 12.1.4: Abkürzungen im Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Singakademie(n). 332 Siehe Kapitel 3.4: Neue Quellen zur Gründungszeit. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

akademie zu nennen, die eine Vielzahl von Auftritten anführt, aber leider auch viele ver- schweigt. Vermutlich arbeitete Langer auf der Basis eines vorgefundenen Aktenbestands, ohne weiter nach zusätzlichen Quellen zu suchen. Nur so ist es zu erklären, dass ihm, der danach strebt, vor allem ›wichtige‹ Auftritte hervorzuheben, einige besonders ›wichtige‹ Auftritte entgehen, von denen etwa die Allgemeine musikalische Zeitung berichtet. Beispiels- weise ist bei Langer nichts davon zu lesen, dass die Singakademie, gemeinsam mit den Thomanern, bei der Uraufführung von Friedrich Schneiders Weltgericht am 6. März 1820 in einem Gewandhaus-Extrakonzert mitwirkt.333 Der offenbar werdenden Unvollständigkeit von Langers Chronik steht bei den übrigen Quellen das Problem gegenüber, dass sie sich äußerst selten der Frage widmen, welcher Chor bei welchem Konzert singt. Die in Dörffels Geschichte der Gewandhausconcerte abge- druckten Listen der Konzerte zum Besten der Armen, der Konzerte zum Besten des Orches- terpensionsfonds und der Extrakonzerte334 verzeichnen die Singakademie bei einigen we- 132 nigen Konzerten. Diese Nennungen sind aber, wie sich herausstellte, ebenfalls keineswegs erschöpfend; die Singakademie wirkte an vielen weiteren Konzerten im Gewandhaus mit. Grensers Geschichte der Musik in Leipzig diente als Hinweisgeber zu einzelnen Auftritten, je- doch wegen ihrer Unzuverlässigkeit nie als einzige Quelle. Ein wichtiges Korrektiv war Bert Hagels Statistik Konzerte in Leipzig 1779/80–1847/48. Da Hagels zu den Konzertprogram- men dieses Zeitraums akribisch recherchiert hat, ist in diesen Fällen die Programmfolge (allerdings nur die Stücke mit Chorbeteiligung) direkt von Hagels in die Konzertübersicht übernommen. Die Beteiligung der Singakademie ist bei Hagels zwar nur bei sehr wenigen Einträgen direkt ersichtlich, oft ergibt sie sich aber aus den anderen, von Hagels selbst an- geführten Quellen eindeutig. So verdienstvoll Hagels umfangreiche Statistik auch ist, sie steht ebenso für ein Symptom, das viele Forschungen zum Leipziger Konzertwesen leider auszeichnet: Dem Autor ist zwar daran gelegen, penibel alle Solisten, alle Werke und die meisten Dirigenten zu verzeichnen – die Ensembles, die den Chorgesang ausführen, hält er aber so gut wie nie für erwähnenswert, obwohl die Information darüber ihm vorliegt. Eine besondere Kategorie bilden die Gewandhaus-Abonnementkonzerte, in denen die Singakademie von Ende 1847 bis 1861 regelmäßig mitwirkt. Schon vor dem Jahr 1847 deuten sich Änderungen bei den Chorkonzerten im Gewandhaus an, die teilweise auf den Programmzetteln dokumentiert sind. Aufschluss über diesen Zeitraum gibt die von Clau- dius Böhm und Sven-W. Staps bearbeitete Statistik der Gewandhauskonzerte 1835 bis 1847, ein Werk, das auf den Programmzetteln und Dörffels Chronik fußt. Zwar geben die Zettel dieser Periode keine Auskunft über die Beteiligung bestimmter Chöre, aber sie weisen mit- unter Hinweise auf, dass »eine Anzahl hiesiger Dilettanten« am Konzert mitgewirkt ha- be.335 Die genauen Formulierungen variieren von Fall zu Fall: »Die Ausführung der Chöre

333 Vgl. AmZ 22 (1820), Sp. 173. 334 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 184–229. 335 In diesem Wortlaut z. B. am 21.3.1839 und am 16.12.1840. Claudius Böhm und Sven-W. Staps haben der- artige Angaben von den Programmzetteln in ihrem Buch konsequent wiedergegeben. Wenn sie in dem Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen hat eine Anzahl hiesiger Dilettanten gütigst übernommen.«336 »Den Vortrag der Vokalpart- hie hat eine Anzahl hiesiger Dilettanten und Künstler gütigst übernommen.«337 »Die Soli und Chöre unter gefälliger Mitwirkung einer Anzahl hiesiger Künstler und Dilettanten.«338 Ähnliche Formulierungen werden in manchen Rezensionen der Allgemeinen musikalischen Zeitung und anderer Zeitschriften gebraucht: »Wohl 300 meist jugendliche Stimmen unse- rer städtischen Sänger und Sängerinnen […]; die tüchtigsten unserer Dilettanten.«339 »Die Gesangspartieen [sic], Soli und Chöre wurden von hiesigen Künstlern und Dilettanten vor- getragen.«340 Beim Vorliegen solcher Hinweise wurden die Konzerte in die vorliegende Statistik übernommen, auch wenn kein Mitwirken von Singakademie-Mitgliedern explizit belegt ist. In der Spalte »Mitwirkende« steht in solchen Fällen »Dilettanten«, unabhängig davon, welchen genauen Wortlaut der bald zur eingeschliffenen Phrase werdende ›Dilettan- ten‹-Hinweis im Einzelfall hat.341 Für den direkt anschließenden Zeitraum nach Mendelssohns Tod 1847 bis 1881 wur- 133 den im Jahr 2012 die Programmzettel des Gewandhauses für das Forschungsprojekt Leip- zig und die Internationalisierung der Symphonik. Untersuchungen zu Präsenz und Rezeption ›ausländischer‹ Orchesterwerke im Leipziger Musikleben 1835–1914 ausgewertet und die Daten dankenswerterweise für die vorliegende Arbeit zur Verfügung gestellt.342 Auch in diesem Zeitraum nach 1847, in dem die Singakademie regelmäßig in Gewandhauskonzerten mit- wirkt, zeigt sich, dass die Zuverlässigkeit der Programmzettel als Quelle zur Chorbesetzung starken Schwankungen unterworfen ist. So gibt es nach wie vor zu vielen ›kleineren‹ Chor- nummern gar keinen Hinweis auf das ausführende Ensemble, manchmal sind die mitwir- kenden Chöre auf den Programmzetteln auch nur unvollständig genannt.343 Andererseits konnten die Gewandhaus-Programmzettel dieser Zeit für einzelne Konzerte doch den aus- schlaggebenden Nachweis bringen, dass die Singakademie beteiligt ist. In diesen Fällen steht in der Spalte »Quellen« der Hinweis »Programmzettel«.

Buch nicht abgedruckt sind, fehlen sie also auch auf den Programmzetteln (freundliche Auskunft von Claudius Böhm am 15.8.2012). 336 Am 21.3.1839. Claudius Böhm/Sven-W. Staps (Hrsg.), Statistik der Gewandhauskonzerte 1835 bis 1847. Die Ära Felix Mendelssohn Bartholdy, Leipzig 1997, S. 29. 337 Am 16.12.1840. Ebd., S. 37. 338 Am 11.2.1841. Ebd., S. 39. 339 Am 16.3.1837. AmZ 39 (1837), S. 209–210. 340 Am 3.12.1840. AmZ 42 (1840), S. 1072. 341 Zur Frage, ob es sich bei den genannten ›Dilettanten‹ unter anderem um Mitglieder der Leipziger Sing- akademie gehandelt haben könnte, siehe ausführlich Kapitel 7.1: Chorpraxis in den Gewandhaus-Abon- nementkonzerten vor 1847. 342 Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt wird geleitet von Stefan Keym; die Erhebung der Angaben auf den Programmzetteln übernahm als Studentische Hilfskraft Tim Rade- macher. Beiden sei für die Bereitstellung der Daten herzlich gedankt. 343 Zwei Beispiele hierfür: Der Programmzettel vom 2.12.1847 nennt nur Thomanerchor und ›Dilettanten‹, obwohl nachweislich die Singakademie und der Pauliner-Gesangverein beteiligt sind. Am 11.1.1849 sind Singakademie und Thomanerchor auf dem Zettel angegeben, die ebenfalls mitwirkenden Pauliner al- lerdings verschwiegen. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

Als Dokumentation zu den Gewandhauskonzerten existiert die Statistik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig, die DörffelsGeschichte der Gewandhausconcerte beigefügt ist. Dort werden allerdings die Konzertprogramme nicht chronologisch aufgeführt, sondern sind nur indirekt über ein Werkregister zugänglich. Konnte aus dem Vergleich verschie- dener Quellen zu einem Gewandhauskonzert eindeutig darauf geschlossen werden, dass die Leipziger Singakademie daran beteiligt ist, so wurde das Werkregister herangezogen, um die beim jeweiligen Konzert aufgeführten Stücke zu rekonstruieren oder um Angaben anderer Quellen zu verifizieren und zu ergänzen. Als weitere Quelle zu den Konzerten im Gewandhaus wurde schließlich die Chronik eines Chorvereins konsultiert, der ebenfalls re- gelmäßig dort mitsingt, nämlich Richard Kötzschkes Geschichte der Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli in Leipzig 1822–1922. Weil aber die in den bisher erwähnten Quellen auffindbaren Informationen lückenhaft und nicht immer verlässlich sind, war es unabdingbar für die hier angestrebte Konzertsta- 134 tistik der Leipziger Singakademie, zusätzlich die Meldungen über stattgefundene oder an- gekündigte Konzerte in verschiedenen Zeitschriften auszuwerten. Systematisch durchsucht nach Meldungen über Auftritte der Leipziger Singakademie wurden daher die folgenden Jahrgänge folgender Zeitschriften: –– Allgemeine musikalische Zeitung: Alle Jahrgänge (erste Folge 1799–1848, Neue Folge 1863– 1865, neu gezählte Reihe 1866–1882). –– Neue Zeitschrift für Musik: Erster Jahrgang (1834) bis 110. Jahrgang (1943). Stichproben der Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg (ab 111. Jg., 1950) zeigten, dass in den fünfziger Jahren Konzertberichte aus Leipzig dort keine Rolle mehr spielen. –– Signale für die Musikalische Welt: Erster Jahrgang (1843) bis 79. Jahrgang (1921) – mit we- nigen begründeten Ausnahmen.344 Stichproben der späteren Jahrgänge 1922, 1923, 1925, 1930, 1935 und des letzten vollständig erschienenen Jahrgangs 1940 zeigten, dass die Leip- ziger Singakademie in den Korrespondentenberichten aus Leipzig danach nicht mehr auftaucht. –– Musikalisches Wochenblatt: Alle Jahrgänge (1870–1910, seit Oktober 1906 vereinigt mit der Neuen Zeitschrift für Musik). –– Die Musik: Alle Jahrgänge (1901/02–1942/43). –– Musik und Gesellschaft: Erster Jahrgang (1951) bis 17. Jahrgang (1967). –– Leipziger Konzert-, Theater- und Verkehrsblatt: Alle Jahrgänge (1924/25–1930/31); dessen Nachfolgetitel Leipziger Vorschau: Alle Jahrgänge (1931/32–1933/34); dessen Nachfolgetitel Leipziger Beobachter: Alle Jahrgänge (1934/35–1941/42) mit Ausnahme des 17. Jahrgangs (1940/41).345

344 Einige Jahrgänge der Signale wurden aus Effizienzgründen nicht durchsucht, da über die betreffenden Jahre zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits genügend verifizierte Informationen zu Auftritten der Leipziger Singakademie vorhanden und keine weiteren Funde zu erwarten waren. Es handelt sich dabei um folgende Jahrgänge der Signale: 42 (1884) bis 49 (1891), 54 (1896), 56 (1898), 61 (1903), 62 (1904), 69 (1911), 73 (1915). 345 Dieser Jahrgang des Leipziger Beobachters war leider nirgends verfügbar. Einteilung der Vereinsgeschichte in Phasen

Für die Zeit nach 1900 treten als Quellen andere Akten aus dem Stadtarchiv Leipzig in den Vordergrund, nämlich eine Kapitelakte zur Singakademie sowie der Bestand Leipziger Männerchor.346 Außerdem wurden im Stadtarchiv die Zeitgeschichtliche Sammlung 1830– 1945 und die Zeitgeschichtliche Sammlung 1945–1990 konsultiert. Es konnte nicht das Ziel dieser Zusammenstellung sein, alle existierenden Quellen für ein Konzert ausfindig zu machen; daher sind in der Regel nur die zwei bis drei für die Nen- nung ausschlaggebenden Quellen angegeben. Oft enthält bei zwei Quellen eine die Infor- mation, wann das Konzert stattfindet und welche Stücke gesungen werden (z. B. laut Dörffel oder Hagels), während die andere den Beleg dafür liefert, dass es tatsächlich die Singakade- mie ist, die beim jeweiligen Konzert die Chorstücke singt (typischerweise eine Zeitungsre- zension oder die Auskunft Langers). Wo ein Konzert durch mindestens zwei Quellen belegt ist und alle Eckdaten des Auftritts ohne Widersprüche vorliegen, wurde meist darauf ver- zichtet, nach weiteren Belegen für das jeweilige Konzert zu suchen. 135 Das so entstandene Konzertverzeichnis versammelt nun alle bekannten Auftritte der Leipziger Singakademie, d. h. sowohl von der Singakademie selbst veranstaltete Konzerte als auch Konzerte anderer Veranstalter, an denen die Singakademie mitwirkt. Das erste Konzert ist ein Auftritt der Zweiten Riem’schen Singakademie im Jahr 1812, das letzte findet im Juni 1964 statt. Die Repertoiresammlung umfasst also einen Zeitraum von 152 Jahren. Zusätzlich wurden in die Übersicht wichtige strukturelle Veränderungen in der Singaka- demie mit aufgenommen (Gründungen, Dirigentenwechsel etc.), so dass der insgesamt in der Tabelle umschriebene Zeitraum sogar 165 Jahre umfasst: von der ersten Gründung bis zur Auflösung. Die Übersicht enthält über 400 Konzerte, an denen eine Beteiligung der Singakademie zweifelsfrei erwiesen ist, hinzu kommen noch einige Konzerte, bei denen die Quellen von ausführenden ›Dilettanten‹ berichten und bei denen spätere Forschungen vielleicht genauere Auskunft über die beteiligten Chöre geben können.

5.2 Einteilung der Vereinsgeschichte in Phasen

Die erhobenen Repertoiredaten sprechen nicht für sich. Erst wenn man sie zeitlich struktu- riert, die Daten einzelner Zeitspannen in einen historischen Kontext stellt und miteinander vergleicht, zeigt sich ihr Wert. Bei einem Musikverein bieten sich zur zeitlichen Einteilung zuerst die Amtszeiten der musikalischen Leiter an. Die jeweiligen Musikdirektoren der Singakademie spielen insofern eine große Rolle, als sie mitbestimmend bei der Auswahl des Repertoires wirken, ihr Einsatz im besten Fall für Mitgliederzuwachs und neue Auftrittsgelegenheiten sorgt, im schlimmsten Fall aber ein ungeeigneter Dirigent die Mitglieder vertreibt. Darüber hinaus wirken sich die persön- lichen und institutionellen Kontakte der jeweiligen musikalischen Leiter darauf aus, mit

346 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, und Bestand LMC. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

welchen anderen Ensembles die Singakademie zusammenarbeitet. Das beste Beispiel hierfür ist die enge Verbindung der Schulz’schen Singakademie zum Gewandhaus: Weil der Musikdirektor Schulz auch gleichzeitig Kapellmeister im Gewandhaus ist, verwundert es nicht, dass die Singakademie im kleinen Gewandhaussaal proben darf, dass sie an Ge- wandhauskonzerten beteiligt ist und dass sie auch in die Traditionen der dort beheimateten Benefizkonzerte mit eingebunden wird. Im 20. Jahrhundert ist es, um ein anderes Beispiel zu nennen, der Musikdirektor Gustav Wohlgemuth, dessen Verbindungen zum Leipziger Männerchor und zum Dilettanten-Orchesterverein für eine ganz andere Verortung der Aka- demie im städtischen Musikgefüge sorgen. Die Frage, wann genau die einzelnen musikalischen Leiter ihr Amt antreten, wann sie den Verein verlassen und wie lange eventuelle Interimszeiten zwischen den Amtsträgern dauern, soll hier nicht in der Breite diskutiert werden. Von sehr unterschiedlicher Art sind die Informationen, die hierzu vorliegen: Ernst Friedrich Richters Zeit als Musikdirektor der 136 Leipziger Singakademie ist auf den Tag genau überliefert, bei Julius von Bernuth liegen verschiedene, äußerst ungenaue Angaben zur Amtszeit vor, Gustav Wohlgemuth ist Sing- akademie-Dirigent bis zu seinem Tode, die Amtszeit Walter Knapes lässt sich nur indirekt ungefähr herleiten etc. Im biografischen Verzeichnis der Direktoren, das im Anhang ab- gedruckt ist,347 wird bei jedem einzelnen Musikdirektor versucht, die Dauer seiner Amtszeit möglichst genau anzugeben oder bestehende Unklarheiten zu adressieren. Auch sind die wichtigsten Stationen im Werdegang der einzelnen Chorleiter dort mit Quellenangaben auf- geführt. Für die Einteilung der Geschichte der Leipziger Singakademie nach den Amtszeiten der Direktoren genügt hier eine einfache Zuordnung der Dirigenten zu ganzen Jahren. Jahre mit Dirigentenwechseln wurden dabei kurzerhand dem Dirigenten zugeschlagen, der im entsprechenden Jahr für die längste Zeit die Leitung innehat. So kommt es, dass zum Bei- spiel das Jahr 1843 Ernst Friedrich Richter zugeordnet ist, obwohl im ersten Quartal 1843 noch Christian August Pohlenz dirigiert. Diese Methode hat ferner zur Folge, dass Hermann Kretzschmar, dessen Amtszeit nur knapp drei Monate im Jahr 1875 umfasst, in der Übersicht gar nicht auftaucht, denn im gleichen Jahr leitet sein Vorgänger Carl Claus die Singakademie für mehr als fünf Monate. Als letzter Abstraktionsschritt wurde die komplexe Frühphase, in der es zeitweise mehrere Singakademien parallel gibt und zeitweise gar keine, zu einem Zeit- raum zusammengefasst, der die Jahre 1802 bis 1818 enthält. Die Jahre 1848 bis 1859, in denen sich und Ferdinand David abwechseln, wurden ebenfalls zusammengefasst. Daraus resultiert zunächst eine Aufteilung der 165-jährigen ›Lebenszeit‹ der Leipziger Singakademie in insgesamt 19 Perioden, von denen die kürzesten nur ein Jahr dauern (Rei- necke, Winderstein), die längste jedoch 37 Jahre beträgt (Wohlgemuth). Diese Perioden las- sen sich wiederum teilweise zu längeren ›Phasen‹ zusammenfassen, die durch wechselnde institutionelle Anbindungen der Singakademie, aber auch durch äußere historische Um- stände charakterisiert sind. Es wird unterschieden zwischen Phasen der Unabhängigkeit

347 Siehe Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Einteilung der Vereinsgeschichte in Phasen und Phasen, in den die Singakademie mit anderen Institutionen (etwa dem Gewandhaus oder später dem Leipziger Männerchor) engere Verbindungen eingeht. Über die Rechtfer- tigung dieser Einteilung ließe sich in Einzelheiten gewiss streiten; als theoretisches Kon­ strukt, das helfen soll, den langen Untersuchungszeitraum analytisch zu fassen, hat sie sich jedoch als zweckmäßig erwiesen. Die vorgeschlagene Einteilung schlägt sich auch in den Hauptkapiteln der vorliegenden Arbeit nieder und umfasst sechs Phasen:

Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818) Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847) Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861) Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900) (mit einem Intermezzo: Die Singakade- mie als Gewandhauschor unter Carl Reinecke 1879) Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937) 137 Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Die folgende Übersicht verbindet die Zuordnung von – nach den geschilderten Kriterien gerundeten – Ganzjahreszeiträumen zu den verantwortlichen Musikdirektoren und die Zu- sammenfassung dieser Zeiträume zu sechs Phasen nochmals mit Verweisen auf die ent- sprechenden Kapitel dieser Arbeit, in denen die Phasen näher besprochen werden:

Tabelle 6: Übersicht zu den Phasen der Geschichte der Leipziger Singakademie und den Amtszeiten der Musikdirektoren

Zeitraum, gerundet Name des Musikdirektors Phase und betreffendes Kapitel 1802–1818 Johann Gottfried Schicht/ Erste Phase: Gründungen Wilhelm Friedrich Riem/ mehrerer Singakademien und Friedrich Schneider/Johann Konsolidierung (1802–1818) – Philipp Christian Schulz Kap. 3 1819–1826 Johann Philipp Christian Schulz Zweite Phase: Die Leipziger 1827–1842 Christian August Pohlenz ­Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847) – Kap. 6 1843–1847 Ernst Friedrich Richter 1848–1859 Julius Rietz/Ferdinand David/ Dritte Phase: Feste Zusammen- Julius Rietz arbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861) – Kap. 7 1860–1867 Julius von Bernuth Vierte Phase: Erneute Unabhän- 1868–1875 Carl Claus gigkeit (1861–1900) – Kap. 8 1876–1878 Alfred Richter 1879 Carl Reinecke Intermezzo: Die Singakademie als Gewandhauschor unter Carl Reinecke 1879 – Kap. 8.3 Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

1880–1883 Richard Hofmann Fortsetzung: Vierte Phase: 1884–1892 Richard Müller Erneute Unabhängigkeit (1861–1900) – Kap. 8 1893–1989 Paul Klengel 1899 Hans Winderstein 1900–1936 Gustav Wohlgemuth Fünfte Phase: Die ›Ära Wohl­ gemuth‹ (1900–1937) – Kap. 9 1937–1942 Franz Meyer-Ambros Sechste Phase: NS-Zeit nach 1943–1947 Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967) – Kap. 10 1948–1950 Friedrich Rabenschlag 1951–1957 Walter Knape 1958–1964 Gerhard Richter 1965–1967 Werner Säubert 138

5.3 Die Auftrittsfrequenz im Überblick

Die Bestimmung der Auftrittshäufigkeit pro Jahr ermöglicht eine erste Annäherung an die erhobenen Repertoiredaten in Zusammenhang mit den geschilderten Phasen. Daraus lassen sich zwar keine Schlüsse auf die Qualität oder musikgeschichtliche Bedeutung der Chorleistungen ziehen, es werden jedoch einige Umbrüche in der langen Geschichte der Leipziger Singakademie ablesbar. Die Prinzipien, nach denen die hier vorgelegte Zählung der Auftritte pro Jahr vorgenommen wurde, gelten auch für die Darstellungen zu Reper- toire, Mitgliederzahlen usw. in den folgenden Abschnitten: Es werden nur die definitiv von der Leipziger Singakademie bestrittenen Konzerte berücksichtigt, die Konzerte mit dem ›Dilettanten‹-Hinweis bleiben außen vor. Nicht berücksichtigt werden öffentliche General- proben. Mitgezählt werden allerdings Auftritte, die nur einem eingeschränkten Publikum zugänglich sind, etwa bei Trauungen oder bei Festen der Singakademie, sowie Wiederho- lungen identischer Konzerte im Abstand weniger Tage, wie sie vor allem in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts öfter vorkommen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Jahr als kleinste Einheit der Darstellung dem Gegenstand nicht ganz adäquat ist: Wie auch heute, so wird im Untersuchungszeit- raum eigentlich in Spielzeiten bzw. Saisons gedacht und geplant, wobei eine Saison im Herbst beginnt und im Frühjahr des darauffolgenden Jahres endet. Bei der Bestimmung der Auftrittsfrequenz und ähnlicher Größen, bei denen es eher um langfristige Tendenzen geht, fällt es aber nicht weiter ins Gewicht, ob etwa ein Auftritt im Jahr 1850 der Saison 1849/50 oder der Saison 1850/51 zuzuschlagen ist. Daher wird dieser Anachronismus hier in Kauf genommen und die leichter zugängliche Darstellung im Jahresrhythmus gewählt. In Abbildung 11 ist die Entwicklung der Anzahl der Auftritte pro Jahr für den Zeitraum 1802 bis 1967 dargestellt und in Verbindung mit den oben aufgeführten ›Perioden‹ ge- bracht. Auf den ersten Blick sind mehrere Befunde zu konstatieren: Die Auftrittsfrequenz im Überblick

139

Abbildung 11: Anzahl der Auftritte der Leipziger Singakademie pro Jahr Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

Sowohl am Anfang als auch am Ende des Gesamtzeitraums gibt es Phasen ganz ohne Auftritte. Während für die Zeit vor 1812 eine lückenlose Überlieferung vorliegt und man davon ausgehen kann, dass in diesen Jahren tatsächlich keine weiteren Singakademie-Auf- tritte stattfanden, existiert für die in der Übersicht auftrittslose Zeit von 1965 bis 1967 die Aussage von Werner Säubert, dass noch ein bis zwei Auftritte pro Jahr in einem Altenheim stattfanden. Da es aber hierfür keine weiteren Belege gibt, tauchen sie in der Übersicht nicht auf. Es gibt zwei Hochphasen: Die erste umfasst ca. die Jahre 1847 bis 1861 und korreliert mit der Zeit, als die Singakademie fest im Gewandhaus engagiert ist (dritte Phase). Nach dieser ›Gewandhaus-Phase‹ geht die Auftrittsfrequenz zurück. Eine zweite Häufung be- ginnt mit dem Amtsantritt von Alfred Richter 1876 und zieht sich, unterbrochen durch eine vermutlich kriegsbedingte Pause 1918, bis Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die erste Hochphase ist kürzer und durch eine Höchstzahl von Auftritten pro Jahr bestimmt 140 (maximal 10), die zweite Hochphase erreicht eine geringere Frequenz (maximal 7 pro Jahr), dauert aber länger. Das Maximum der Auftrittsfrequenz wird in den Jahren 1849 und 1853 erreicht. Diese Jahre mit den absolut meisten Auftritten liegen, wie gesagt, in der Gewandhaus-Phase. Wei- tere Maxima liegen bei 8 Auftritten pro Jahr in den Jahren 1847 und 1859, also kurz vor und innerhalb der Gewandhaus-Phase. Hier ist die große Häufigkeit der Auftritte eine direkte Folge des Einsatzes des Chores in den Gewandhauskonzerten. Das Maximum im Jahr 1847 ist durch zwei besondere Todesfälle zu erklären: Am 26. Februar stirbt der Singakademie- Gründer Jacob Bernhard Limburger, am 4. November stirbt Felix Mendelssohn Bartholdy. Beide Verstorbenen werden mehrmals musikalisch gewürdigt. Der langjährige Mittelwert von 1802 bis 1967, einschließlich der Jahre, in denen es keine Auftritte gibt, liegt bei etwa 2,6 Auftritten pro Jahr. Ein Jahr mit 2 Auftritten ist also leicht unterdurchschnittlich, ein Jahr mit 3 Auftritten leicht überdurchschnittlich. Immer wieder gibt es einzelne Jahre, in denen gar keine Singakademie-Auftritte überliefert sind. Eine Korrelation dieser Jahre mit Dirigentenwechseln ist nicht zu erkennen. Die längste Zeit ohne derartige Lücken liegt in der zweiten Hochphase und umfasst die Jahre von 1876 bis einschließlich 1917 (42 Jahre). In dieser Zeit ist das musikalische Wirken der Leipziger Singakademie als besonders stabil zu betrachten.

5.4 Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire

Es sind mehrere Satzungen der Leipziger Singakademie und ihrer Vorläufer vollständig überliefert, manche Satzungsänderungen lassen sich aus den Quellen indirekt ableiten. Im Vergleich verraten die Satzungen zahlreiche Details zum Zustand des Chores. Mitgliedsbei- träge steigen und fallen, die Zahl der Mitglieder wird beschränkt oder ist nach oben offen, die Zusammensetzung des Vorstandes und das Verfahren zur Vorstandswahl ändert sich Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire usw. Die meisten Paragrafen sind für die hier verfolgten musikhistorischen Fragestellungen eher nicht von Belang. Eine Ausnahme bildet der immer im ersten Paragraf der Satzung festgehaltene Zweck des Vereins. An der selbst auferlegten Bestimmung lässt sich ablesen, welche Vorstellungen von ›guter‹ Musik die Mitglieder – oder wenigstens die leitenden Persönlichkeiten – haben und an welchen musikästhetischen Werten sie sich orientieren. Einen solchen Vergleich des in der Satzung festgelegten Vereinszwecks hat für die Sing- akademie bereits Helmut Loos begonnen.348 Er wird hier fortgesetzt. Eine anschließende Überprüfung der in der Satzung formulierten Ideale anhand des tatsächlich gesungenen Repertoires erhellt das Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis. Es folgt zunächst eine Übersicht über alle bekannten Satzungen der Leipziger Singaka- demie mit Zitaten zum Vereinszweck:349

Tabelle 7: Satzungen der Leipziger Singakademie und Auszüge zum Zweck des Vereins 141 Datum und Quelle Vereinszweck 3. September 1814 »§ 1. Ansicht und Zweck des Unternehmens. (Schulz’sche Singakademie) Ueberzeugt, daß Musik, verbunden mit Poesie und Religion D-LEsa, SingA, fol. 1r–5r; mit für eine der tiefsten Quellen der Geistes Veredlung zu achten geringen Abweichungen in sey; – durchdrungen von dem Wunsche, daß dieselbe mehr Statuten der Sing-Academie zu einem Hauptgegenstande der öffentlichen Bildung möge des Musikdirektor’s Schulz, erhoben werden, und aufgemuntert durch das Beyspiel meh- S. 3–4; dort datiert auf den rerer größeren [sic] Städte unsers deutschen Vaterlandes; 1. September 1814. vereinigen sich eine Anzahl von Freunden und Freundinnen des ernsten Gesanges um durch gesellschaftliche Uebung unter der Leitung eines erfahrenen Lehrers ihre Kunstfertig- keit zu vermehren, ihren Geschmack zu bilden, und durch nähere Bekanntschaft mit den klassischen Werken älterer und neuerer Zeit, so wie durch möglichst vollkommene Aus- führung derselben, die Liebe zur Tonkunst überhaupt und zum Gesange insbesondere zu erhalten und immer mehr zu verbreiten.« 1. September 1823 »§ 1. Der Hauptzweck der Singacademie ist die gemein- Langer, Chronik der Leipziger schaftliche Uebung im ernsten Gesange, unter Leitung eines Singakademie, S. 17–18; iden- er­fahrenen Lehrers, zur Ausbildung der Stimme und Kunst­ tisch in Erneuerte Statuten der fertigkeit sowohl, als des Geschmackes für die Tonkunst über- Singacademie zu Leipzig, S. 3. haupt.«

348 Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, S. 156–157. 349 Die ersten vier Satzungen liegen als Individualdrucke in den Universitätsbibliotheken von Leipzig und Dresden vor: Statuten der Sing-Academie des Musikdirektor’s Schulz, 1815; Erneuerte Statuten der Singacade- mie zu Leipzig, Leipzig 1823 (beide unter der Signatur D-LEu, Hist.Sax.2527-y); Statut der Singakademie zu Leipzig, [Leipzig] 1843 (D-Dl, MB.8.9404); Statuten der Leipziger Singakademie, [Leipzig] 1848 (D-LEu, Hist.Sax.2527-z). Das Statut von 1848 ist ebenfalls im Staatsarchiv Leipzig und im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig zu finden: L-LEsta, PP-V 150, fol. 4; D-LEsm, ohne Signatur [GOS-Nr. z0067409]. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

Datum und Quelle Vereinszweck 17. Mai 1843 »§ 1. Zweck der Gesellschaft. Der Zweck der Singakademie Langer, Chronik der Leipziger ist gemeinschaftliche Uebung im ernsten mehrstimmigen Singakademie, S. 20–21. Gesange zu Ausbildung der Stimme und Kunstfertigkeit so- wohl, als zu Erlernung richtigen und seelenvollen Vortrags und Beförderung des guten Geschmackes in der Tonkunst überhaupt. Wenn auch die Ausführung geistlicher Musiken Hauptzweck ist, so soll jedoch der mehrstimmige weltliche Gesang nicht ausgeschlossen sein.« 1848 »§ 1. Die Sing-Akademie ist eine aus Musikfreunden beiderlei Statuten der Leipziger Geschlechts gebildete geschlossene Gesellschaft. Ihr Zweck ist Singakademie, S. 3. gemeinsame Uebung im mehrstimmigen Gesange. Der geist- lichen Musik gebührt dabei eine überwiegende Berücksichti- gung, obwohl auch die weltliche darum nicht ausgeschlossen 142 bleibt.« 1875 »§ 1. Die Singakademie ist eine, aus Musikfreunden beiderlei D-LEst, PP-V 150, fol. 11–18.350 Geschlechts gebildete, gemeinsame Uebung im mehrstimmi- gen Gesange bezweckende Gesellschaft.« 1878 § 1 unverändert Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 68–70. 1926 »§ 1. Die LEIPZIGER SINGAKADEMIE – gegründet im Jahre D-LEst, PP-V 1524, fol. 2–8. 1802 von Thomaskantor Johann Gottfried Schicht – ein aus Damen und Herren bestehender Chorverein, bringt weltliche und geistliche Oratorien in grossem Stile zur Aufführung und pflegt außerdem den unbegleiteten Chorgesang und den Solo- gesang.« 23. März 1934 »§ 1.1. […] [wie § 1 von 1926] D-LEst, PP-V 1524, fol. 13–14. § 1.2 Die Veranstaltungen des Vereins dienen der Förderung deutscher Art und Volksbildung im Sinne der Bestrebungen des Deutschen Sängerbundes.« 30.12.1942 Satzungsänderung betrifft nicht den Zweck, nur die Verwen- Satzungsänderung durch Re- dung des Vereinsvermögens im Falle einer Auflösung. gisterakten und Akten­notiz vom 28.1.1943 belegt: D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1860, fol. 5–6.

350 Die Übersicht zeigt, dass die älteste Definition des Vereinszwecks im Vergleich mit den späteren Fassungen die ausführlichste ist. Es wird nicht nur die praktische Bestimmung des Vereins festgelegt – »gesellschaftliche Uebung unter der Leitung eines erfahrenen Lehrers«,

350 Es liegt außerdem ein Entwurf zu dieser Satzung vor, der anscheinend schon auf das Jahr 1866 zurück- geht: D-LEst, PP-V 150, fol. 6–10. Der Paragraf 1 hat den selben Wortlaut wie in den Statuten von 1875 und 1878. Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire

»möglichst vollkommene Ausführung« von »Musik, verbunden mit Poesie und Religion« –, sondern es werden auch die höheren Ziele dargestellt, die durch dieses Tun erreicht werden sollen. In großer Klarheit ist hier das aufklärerische Ideal einer Menschenbildung durch Kultur formuliert: Singen bildet den Geschmack, es fördert die Liebe zur Musik und zum Gesang, die Beschäftigung mit religiöser Musik führt zur »Geistes Veredlung«. Eine solche Vervollkommnung von Geist und Moral sei prinzipiell jedem Menschen zu wünschen, wes- halb die geistliche Musik »mehr zu einem Hauptgegenstande der öffentlichen Bildung […] erhoben werden« solle. Später in der Satzung wird die Wahl der Werke, die diesem Zweck dient, genauer festgelegt:

Schon die im § 1. angedeutete Tendenz des ganzen Unternehmens bringt es mit sich, daß sich die Auswahl der vorzulegenden Stücke auf die Gattung der ernsten Compositionen: Choräle, Motetten, Cantaten und Oratorien, beschränken muß. 143 […] Es wird übrigens bey dieser Auswahl auf Abwechslung des Styls, des ältern und neueren und auch stufenweises Fortschreiten vom Leichteren zum Schwereren ge- sehen, und hierdurch bey denen, welchen es Ernst um die Sache ist dem Vorwurf der Einförmigkeit genugsam begegnet.351

Zwischen den moralischen Zielen und der Pflege religiöser Musik besteht offenbar ein di- rekter Zusammenhang. Während die Satzungen der Schulz’schen Singakademie von 1814 daher eine rigorose Konzentration auf geistliche Musik vorschreiben, wird dies in der Praxis allerdings weniger streng gehandhabt, wie schon die ersten überlieferten Notenlisten der Zeit von 1814 bis 1817 belegen. Diese Noten, aus denen anscheinend in den Proben der Sing- akademie gesungen wird, enthalten neben vielen »ernsten Compositionen« auch einige weltliche Titel von Haydn, Romberg und Bergt.352 Das Verhältnis zwischen geistlichen und weltlichen Werken in den öffentlichen Auftrit- ten der Leipziger Singakademie ist in Abbildung 12 dargestellt. Neben »geistlich« für Kon- zerte, in denen ausschließlich geistliche Vokalwerke vorkommen, und »weltlich« für das Pendant mit nur weltlicher Musik gibt es zwei weitere Kategorien: »gemischt« für Konzerte, in denen Werke beider Sparten auf dem Programm stehen, und »unklar« für Konzerte, bei denen die aufgeführten Werke nicht oder nur teilweise bekannt sind. Das Balkendiagramm stapelt die Werte der einzelnen Kategorien aufeinander. Als Lesebeispiele seien gegeben: 1814 drei geistliche Konzerte, eines mit unklarer Zusammensetzung; 1815 ein Konzert mit gemischtem Programm und eines mit weltlichem Programm; 1848 fünf geistliche, ein ge- mischtes und zwei weltliche Konzerte. Die Zuordnung zu den Kategorien erfolgte auf Basis des Verzeichnisses der Auftritte, Kriterium für die Einordnung waren die gesungenen Texte. Dabei wurde »geistlich« in einem weiten Sinne verstanden, der nicht nicht auf einzelne Gattungen der Sakralmusik be-

351 D-LEsa, SingA, fol. 4v. 352 Siehe Kapitel 3.5: Das geprobte, aber nicht aufgeführte Repertoire der Anfangszeit. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

schränkt ist, wie etwa Messe, Hymne und Psalm, sondern alle Werke einschließt, deren Text sich hauptsächlich christlich-religiösen Themen zuwendet, also auch geistliche Lieder und vertonte Gebete. Geistliche Parodien weltlicher Musik, etwa die mehrmals vorkommenden Opernparodien, wurden als geistliche Musik eingeordnet, gleiches geschah mit Oratorien mit nicht-biblischen Textquellen, die sich trotzdem mit christlichen Themen befassen. Als »weltlich« wurde im Umkehrschluss alle Musik eingeordnet, in deren Text der christliche Gott und die Kirche keine oder nur eine marginale Rolle spielt. Der Blick auf das Diagramm im Vergleich mit den jeweils geltenden Satzungen zeigt, wie gravierend sich Theorie und Praxis teilweise unterscheiden: In der Zeit bis 1823, als die erste Satzung gilt, die eigentlich »ernste Compositionen« vorschreibt, finden sich kei- neswegs ausschließlich geistliche Werke in den öffentlichen Auftritten der Singakademien. Einen Grenzfall bilden noch die beiden Extrakonzerte am 18.10.1814 und am 13.11.1815, an denen die Zweite Schicht’sche und die Schulz’sche Singakademie beteiligt sind. In beiden 144 erklingen Parodien auf Stücke aus einer Schauspielmusik von Mozart, die mit geistlichen Texten versehen worden sind.353 Die Stücke wurden hier, wie erläutert, als »geistlich« rubri- ziert. Georg Friedrich Händels Kantate Alexanders Fest oder Die Gewalt der Musik ist zwar als Ode der Heiligen Cäcilia gewidmet, der Text John Drydens fällt mit seinen Preisgesängen für antike Helden und griechische Götter jedoch eher in die Sparte »weltlich«. Spätestens mit der Aufführung des lyrischen Dramas Die Vestalin von Gaspare Spontini beim Extrakon- zert am 27.1.1817 ist der Bereich der Kirchenmusik eindeutig verlassen. In den Jahren darauf bleibt der Schwerpunkt des aufgeführten Repertoires bei geistlichen Oratorien und Kanta- ten, es gibt nur wenige Beispiele weltlicher Musik in dieser Zeit. So verwundert es kaum, dass in der Neufassung der Statuten im Jahr 1823 die Passage, dass sich die »Auswahl der vorzulegenden Stücke auf die Gattung der ernsten Compositionen […] beschränken muß«, zwar verschwindet, der Paragraf 1 der zweiten Satzung an der »gemeinschaftliche[n] Ue- bung im ernsten Gesange« als Hauptzweck aber weiterhin festhält. Nur in der Begründung der dahinterliegenden Motivation gibt sich die Satzung weit bescheidener als noch neun Jahre zuvor. Mit dem gemeinschaftlichen Singen soll schlicht die »Ausbildung der Stimme und Kunstfertigkeit […] [sowie] des Geschmackes für die Tonkunst überhaupt« erreicht wer- den. Der gesellschaftliche und moralische Nutzen, den das Singen bringen soll, ist aus der Satzung verschwunden. Erst zwanzig Jahre später, 1843, werden die Statuten erneut überarbeitet. Während der erste Satz des Paragrafen 1 sinngemäß fast unverändert bleibt (nur dass der Gesang jetzt zusätzlich als »mehrstimmig« qualifiziert wird), tritt nun in der dritten Satzung eine Ein- schränkung hinzu: »Wenn auch die Ausführung geistlicher Musiken Hauptzweck ist, so soll jedoch der mehrstimmige weltliche Gesang nicht ausgeschlossen sein.« Das Repertoire vor dieser Satzungsänderung hat unter den Musikdirektoren Schulz und Pohlenz ein eindeutig

353 Die Motette »Ob fürchterlich tobend sich Stürme erheben« ist eine Parodie des Chors »Ihr Kinder des Staubes« aus der Schauspielmusik zu Thamos, König in Ägypten, die Hymne »Gottheit! Dir sei Preis und Ehre« basiert auf dem Chor »Gottheit, über alle mächtig« aus derselben Schauspielmusik. Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire

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Abbildung 12: Anzahl der Auftritte der Leipziger Singakademie pro Jahr, ­differenziert nach geistlichen, weltlichen und gemischten Programmen Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

geistliches Profil. Bis an das Ende der 1830er Jahre lassen sich die Ausnahmen von dieser Regel an einer Hand abzählen: Die preußische Nationalhymne am 15.12.1823, ein Opernaus- zug von Rossini am 13.2.1834 und ein Mozart-Konzert mit mehreren Opernfragmenten am 13.5.1838. Eine Motivation für eine Satzungsänderung der Singakademie lässt sich aus die- sen Konzerten zunächst nicht ableiten. Allerdings geben jene Konzerte eine Richtung vor, die Anfang der 1840er Jahre im Gewandhaus (Abonnementkonzerte, Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds und zum Besten der Armen) und in der Universitätskirche unter der Beteiligung von ›Dilettanten‹ stattfinden: Neben Opernauszügen stehen nun dort erstmals weltliche Werke auf den Programmen, die sich bei Sängern und Publikum einer solchen Beliebtheit erfreuen, dass sie dauerhaft ins Repertoire aufgenommen wer- den, z. B. Beethovens Chorfantasie (erstmals am 3.12.1840), seine Neunte Sinfonie (9.3.1843) und Mendelssohns Kantate Die erste Walpurgisnacht (2.2.1843). Unabhängig davon, welches Verhältnis die Mitglieder der Singakademie zu den dort singenden ›Dilettanten‹ haben: Es 146 scheint dieses neue Repertoire zu sein, das auch in der Singakademie den Wunsch auslöst, weltliche Werke zu singen. So findet im gleichen Jahr, in dem diese dritte Satzung in Kraft tritt, zum ersten Mal seit 1817 wieder ein rein weltliches Konzert mit offizieller Beteiligung der Singakademie statt und ab 1847 steigt der Anteil weltlicher Musik an den Konzerten der Singakademie dann sprunghaft an. In der vierten Satzung, nur fünf Jahre später verabschiedet (1848), unterscheidet sich der Zweck der Singakademie wieder nur in Nuancen von der Formulierung der vorherigen Fassung. Auf die Ausführungen zu Kunstfertigkeit und Geschmacksbildung wird nun voll- ends verzichtet, es heißt nur noch knapp: »Ihr Zweck ist gemeinsame Uebung im mehr- stimmigen Gesange.« Während also die Satzung eine »überwiegende Berücksichtigung« der ernsten Musik vorsieht, beginnt mit dem Einsatz als regelmäßiger Chor der Gewand- hauskonzerte eine Phase, in der die weltliche Musik mehr und mehr an Bedeutung zu- nimmt. In den Vokalkonzerten des Gewandhauses haben in den 1850er Jahren weltliche Kantaten und Oratorien einen relativ hohen Stellenwert. Beispiele hierfür sind Schumanns Paradies und die Peri (von 1850 bis 1859 vier Mal aufgeführt, davon einmal nur der zweite Teil), die Kantaten von Niels Wilhelm Gade (vier Aufführungen verschiedener Werke im genannten Zeitraum) sowie die mit Chören versehenen Schauspielmusiken etwa von Men- delssohn (im genannten Zeitraum drei Mal die Musik zu Athalia, zwei Mal zu Ein Som- mernachtstraum). So kommt es, dass aus Singakademie-Perspektive die weltliche Musik in einzelnen Jahren (1852, 1853, 1859, 1860) deutlich überwiegt. Nach dem Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhauskonzerten kippt das Ver- hältnis wieder leicht zugunsten der geistlichen Werke. Von geistlicher Musik als Regel und weltlichem Gesang als Ausnahme kann allerdings weiterhin nicht die Rede sein. Außerdem gibt es in den 1860er und 1870er Jahren immer wieder Konzertabende, deren Programm aus kürzeren, meist weltlichen Chorstücken besteht oder auch aus geistlichen und welt- lichen Chören gemischt zusammengesetzt ist (so etwa am 4.12.1865, am 7.7.1868 und am 21.2.1876). Die Satzung von 1848 behält ihre Gültigkeit trotzdem für 27 Jahre. Erst 1875, in der fünften Satzung, fällt dann die Hierarchie zwischen geistlicher und weltlicher Musik Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire völlig weg. Die Gründe hierfür sind unter anderem im Ausscheiden der Singakademie aus der Reihe der geistlichen Karfreitagskonzerte (dort wirkt sie letztmals 1865 mit) und der daraufhin einsetzenden Neuorientierung zu suchen. Das Repertoire im letzten Viertel des Jahrhunderts stellt sich als relativ bunte Mischung aus weltlicher und geistlicher Literatur dar, in der sich im Extremfall biblische Oratorien mit romantischen Chorliedern abwech- seln wie in den Konzerten im Jahr 1887. Eine Zuordnung der Singakademie zu einer be- stimmten geistesgeschichtlichen Strömung ist damit zunächst nicht zu erkennen. Auffällig ist, dass mit der Aufhebung eines vorgegebenen Repertoireschwerpunkts auch eine Kon- zentration auf kürzere Werke einhergeht. Es werden von 1880 bis 1889 so gut wie gar keine abendfüllenden Werke mehr aufgeführt. Ausnahmen bilden hier nur Haydns Jahreszeiten am 4.12.1886, Händels Samson am 26.11.1887 und Mendelssohns Elias am 4.11.1889. Der Aufschwung zurück zu ›großen‹, also abendfüllenden Musikwerken, der sich an den letztgenannten Titeln schon andeutet, setzt sich in den 1890er Jahren fort. Nachdem 147 kurz nach der Jahrhundertwende wieder eine Phase mit kürzeren Werken und gemischten Programmen folgt, finden sich danach, verallgemeinernd gesprochen, wieder hauptsäch- lich vokale Großformen, und zwar weltliche wie geistliche in etwa gleichen Anteilen. So folgen beispielsweise in den Jahren 1906 bis 1908 aufeinander: Die Schöpfung, Ernst Her- mann Seyffardts Konzert-Kantate Aus Deutschlands großer Zeit, Mendelssohns Elias, Haydns Jahreszeiten, das Oratorium Der Kinderkreuzzug von Gabriel Pierné, Max Bruchs Lied von der Glocke und Edgar Tinels Oratorium Franciscus. An diesem Prinzip ändert sich auch in den Folgejahren nichts Grundlegendes, obwohl die absolute Zahl an Auftritten Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts abnimmt. Die siebte Satzungsänderung ist erst aus dem Jahr 1926 überliefert. Sie beschreibt treffend den aktuellen Zustand des Repertoires: »Die Singakademie […] bringt weltliche und geistliche Oratorien in grossem Stile zur Aufführung und pflegt außerdem den unbegleiteten Chor- gesang und den Sologesang.« Auffällig an den wenigen Konzerten, die danach noch über- liefert sind – meist nur ein oder zwei Auftritte pro Jahr –, ist dann der lange Verzicht auf geistliche Konzerte. Zwar spielt kirchliche Musik auch während der dreißiger und vierziger Jahre noch eine Rolle im öffentlichen Konzertleben, aber anscheinend öfter im Rahmen gemischter Programme. Im Jahr 1934 erfolgt eine Satzungsänderung im Zuge der national- sozialistischen Gleichschaltung, die jedoch nicht den Zweck des Vereins betrifft. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tritt die Leipziger Singakademie wieder in einigen geistlichen Musikaufführungen unter der Leitung von Hans Stieber und später von Friedrich Rabenschlag an die Öffentlichkeit, was darauf zurückzuführen ist, dass die Mili- tärverwaltung in dieser Zeit nur für geistliche Konzerte Genehmigungen erteilt. Nach der Staatsgründung der DDR verschwindet geistliche Musik aus ideologischen Gründen fast völlig aus dem Repertoire der Leipziger Singakademie. Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

5.5 Mitgliederzahlen

Bei der Mitgliederzahl handelt es sich um einen relativ allgemeinen Indikator für das Wohl- ergehen eines Vereins. Die Anzahl der singenden Mitglieder ist bei einem gemischten Chorverein nur eines von vielen Merkmalen; erst in der Zusammenschau mit dem Alter der Mitglieder, der Verteilung auf die verschiedenen Stimmgruppen, dem Repertoire und den geleisteten Auftritten kann sich ein Gesamtbild ergeben, das Aussagen über die künstleri- sche Qualität und die gesellschaftliche und kulturelle Rolle eines Chores erlaubt. Die Mit- gliederzahlen, die im Folgenden diskutiert werden, sind also als weiterer Beitrag zu einem Gesamtbild zu verstehen. Die Darstellung der Mitgliederzahlen erfolgt hier beginnend beim Jahr 1818, also erst nach Zusammenlegung der beiden Singakademie-Zweige unter der Direktion von Johann Philipp Christian Schulz. Für die Zeit davor und die einzelnen Zweige wurden die Mitglie- 148 derzahlen bereits genannt.354 Die Werte bis zum Jahr 1902 entstammen einer Aufstellung in Paul Langers Chronik der Leipziger Singakademie.355 Die darauf folgenden sporadischen Werte sind aus verschiedenen Quellen des 20. Jahrhunderts kompiliert.356 Die in Abbildung 13 gesammelten Mitgliederzahlen beziehen sich ausschließlich auf die sogenannten ›wirklichen‹ Mitglieder. Gemeint sind damit tatsächlich singende Vereins- angehörige. Langer präsentiert auch Zahlen aus anderen Kategorien, deren Angehörige hier aber nicht mitgezählt wurden,357 weil sie nicht den aktiven Kernbestand des Vereins wider- spiegeln: –– Gäste, auch ›eingeladene Gäste‹ genannt, sind laut der Satzung von 1823 »auswärtige Mu- sicfreunde«,358 denen der Vorstand die Teilnahme an den Singakademie-Übungen gestat- ten kann. Laut der Satzung von 1843 darf jedes Mitglied nach Anmeldung beim Vorstand Gäste zu Übungen mitbringen.359

354 Siehe Kapitel 4.3: Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur. 355 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 123. 356 Und zwar im Einzelnen: D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 179 – Der Mitgliederstand 1927 wird dort mit ca. 200 angegeben. D-LEst, PP-V 1524, fol. 28 – 1939: 52 Mitglieder. Ebd., fol. 31 – 66 Mitglieder sind bei einer Mitgliederversammlung 1942 anwesend. UAL, NA Rabenschlag 3/9974 – 1947: 87 Mitglieder. D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 22, fol. 68v – Die zeitlich nicht präzise Aussage, dass »die ›Leipziger Singaka- demie‹ in Kürze und unter ihrem jetzigen musikalischen Direktor Walter Knape mit alten, neuen und vielen jungen Singlustigen aller Volksschichten zu einem Chor von über 120 Mitgliedern anwuchs«, wurde für die Übersicht auf ein Jahr in der Mitte von Knapes Amtszeit, 1953 angewendet. Gespräch Werner Säuberts mit dem Autor am 19. März 2013 – Er berichtet, dass etwa 10 bis 15 Personen im Chor aktiv sind, als er ihn 1965 übernimmt; die Zahl wird hier durch den gerundeten Mittelwert 13 dargestellt. Archiv Gutenberg – Beim Beitritt zum Gesangverein Gutenberg 1967 zählt die Singakademie 20 Frauen und einen Mann. 357 Anscheinend zählt Langer für manche Jahre kurz vor und einschließlich 1902 die ›nicht singenden Mitglieder‹ mit. Wo das anhand vorliegender Mitgliederlisten festgestellt wurde, nämlich für das Jubilä- umsjahr 1902, wurden die ›nicht singenden Mitglieder‹ aus Langers Zahlen wieder herausgerechnet. 358 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 18. 359 Ebd., S. 20. Mitgliederzahlen

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Abbildung 13: Mitgliederstand der Leipziger Singakademie Das Repertoire der Singakademie. Erhebungsmethode und Überblick

–– Ehrenmitglieder werden anscheinend erstmals 1848 ernannt. Zu den Ehrenmitgliedern der Leipziger Singakademie gehören unter anderem die Sängerin Livia Frege (ernannt 1848), verschiedene Angehörige angesehener Leipziger Familien wie Maria Reclam (1849) und Henriette Leplay (1862, siehe Abbildung 14) sowie einige ehemalige Musikdirektoren der Singakademie.360 –– Sogenannte ›inaktive Mitglieder‹ oder ›nicht singende Mitglieder‹ gibt es in der Sing- akademie seit ca. 1865.361 Sie zahlen den vollen Mitgliedsbeitrag, singen aber nicht (mehr) selbst, sondern erhalten zu Konzerten freien Eintritt. Heute würde man diese Art der Mitgliedschaft wohl ›Fördermitgliedschaft‹ nennen. In den Bereich der Fördermitglieder fallen auch die sogenannten ›Patrone‹, die es ab 1881 gibt.362 Sie singen nicht mit, zahlen aber sogar einen erhöhten Beitrag und bekommen dafür bei den Konzerten besonders gute Plätze. 150 Wie entwickelt sich nun der Mitgliederstand im Laufe der Jahrzehnte? Als sich nach der Gründungs- und Konsolidierungsphase die beiden Singakademien im Jahr 1818 zusam- menschließen, verfügt Johann Philipp Christian Schulz über einen starken Chor, dessen Mitgliederstand in seiner Amtszeit um ca. 70 Personen pendelt. Unter seinem Nachfolger Pohlenz gibt es einen drastischen Einbruch, an dessen Tiefpunkt in der Mitte der 1830er Jahre die Singakademie nur noch etwa 20 Sängerinnen und Sänger zählt. Für die Amts- zeit Ernst Friedrich Richters liegen kaum Daten vor, danach treten Häufungen auf, die mit den beiden oben genannten Zeiten mit besonders vielen Auftritten korrelieren: In der Ge- wandhaus-Phase schwankt der Mitgliederstand zwischen 100 und 120, die 1860er und frü- hen 1870er Jahre stellen einen erneuten Tiefpunkt dar (1872 nur noch 20 Sängerinnen und Sänger). Wie die Zahl der Auftritte weist auch der Mitgliederstand im letzten Viertel des Jahrhunderts eine zweite lange und stabile Hochphase auf. Beginnend mit Alfred Richters Amtsantritt 1876 erholt sich der Stand schnell wieder, durchbricht unter Richard Müller 1887 die 100-Personen-Marke und bleibt bis zum Ende des Jahrhunderts auf einem stabil hohen Niveau. Ein extremer Anstieg auf 222 und schließlich 230 singende Mitglieder ist schließlich in den Jahren 1901 und 1902 zu verzeichnen. Ob dieser Anstieg auf den neuen jungen Dirigenten Gustav Wohlgemuth, auf das anstehende 100-jährige Jubiläum oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die weiteren für das 20. Jahrhundert vorliegenden Daten zum Mitgliederstand stellen nur zufällige Stichpro- ben aus einzelnen Akten dar, eine kontinuierliche Datenreihe liegt nicht vor. Während Ende der 1920er Jahre noch etwa 200 Sängerinnen und Sänger zur Singakademie gehören, sind es ein Jahrzehnt später nur noch um die 50. Nicht mit Zahlen unterlegt und daher nicht in der Grafik repräsentiert ist folgende Aussage aus dem Programmheft 150 Jahre »Leipziger Singakademie 1802«: »So rüttelte auch die letzte Kriegszeit mit ihren Nachwirkungen hart

360 Ebd., S. 52. Die Urkunde für Henriette Leplay ist D-LEsm, Dipl.EI/13. 361 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 53. 362 Vgl. z. B. ebd., S. 77. Mitgliederzahlen am Chorbestand.«363 Eine letzte Erholung des Vereins findet Anfang der 1950er Jahre statt, als ca. 120 Personen mitsingen, bevor der Chor schließlich 1967 mit nur 21 Mitgliedern der Chorgemeinschaft Gutenberg beitritt.

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Abbildung 14: Urkunde zur Ernennung von Henriette Leplay zum Ehrenmitglied der Leipziger ­Singakademie, Juli 1862 (D-LEsm, Dipl.EI/13)

363 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 22, fol. 68. 6 Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Mit dem Zusammenschluss der Schneider’schen (ehemals Schicht’schen) und der Schulz’schen (ehemals Riem’schen) Singakademie im Jahr 1818 endet erste Phase der Ver- einsgeschichte. Erst von diesem Zeitpunkt an ist die Rede von ›der‹ Leipziger Singakademie ohne Verwechslungsgefahr möglich, denn es besteht nur noch eine Singakademie in Leip- zig. Nach der Gründungs- und Konsolidierungsphase beginnt nun die zweite Phase in der Geschichte der Leipziger Singakademie. Sie umfasst die Amtszeiten der Musikdirektoren Johann Philipp Christian Schulz, Christian August Pohlenz und Ernst Friedrich Richter. In 152 diesem ca. 30 Jahre umfassenden Zeitraum ist der Verein insofern unabhängig, als keine Bindung der Singakademie an irgendeine Institution besteht. Zwar sind die von der Ge- wandhaus-Konzertdirektion veranstalteten Konzertreihen für die Singakademie sehr wich- tig und alle drei Singakademie-Dirigenten in dieser Phase sind gleichzeitig Universitätsmu- sikdirektoren. Dennoch schließt sich die Singakademie weder dem Gewandhaus noch der Universität an, sondern sie begreift sich als eigenständig und besteht auch gegenüber ihrem Musikdirektor auf der Entscheidungsgewalt des gewählten Vorstandes.

6.1 Entwicklung des Vereins nach 1818 und Repertoire der Konzerte außerhalb von Konzertreihen

Johann Philipp Christian Schulz, unter dessen Leitung beide Singakademien 1818 zu einer einzigen verschmelzen, leitet diesen Chor bis zu seinem Tod Anfang 1827. Sein Nachfolger Christian August Pohlenz dirigiert die Singakademie anschließend für eine lange Zeit, bis März 1843. Seine Amtszeit endet ebenfalls mit dem Tod. Beide, Schulz und Pohlenz, sind während ihrer Zeit als Dirigenten der Singakademie gleichzeitig Gewandhauskapellmeis- ter, Pohlenz gibt den Kapellmeisterposten allerdings 1835 an Felix Mendelssohn Bartholdy ab. Die Personalunion bei den Dirigenten von Gewandhaus und Singakademie erklärt, ge- meinsam mit der Überschneidung zwischen Konzertdirektion und dem Führungspersonal des Chorvereins, die starke Einbindung der Singakademie in die Benefizkonzerte des Ge- wandhauses. Schulz wird nach dem Konzert am 19. Oktober 1818 zur Nachfeier des 50. Re- gierungsjubiläums des sächsischen Königs Friedrich August außerdem zum Musikdirektor der Leipziger Universität ernannt.364 Bei diesem Konzert spielt das Gewandhausorchester den Instrumentalpart. Von den Eintrittsgeldern werden zum einen die Musiker bezahlt,

364 Zu den Leipziger Universitätsmusikdirektoren im Überblick siehe Arnhold u. a., »Leipziger Universi- tätsmusikdirektoren«. Entwicklung des Vereins nach 1818 zum anderen werden je 50 Taler »der Armenanstalt und […] den Universitätsarmen über- wiesen«.365 Der Titel des Universitätsmusikdirektors geht auch auf die beiden Nachfolger von Schulz bei der Singakademie, Pohlenz und Ernst Friedrich Richter, in direkter Folge über. Sicherlich ist die Verbindung zwischen Singakademie und Universität ein Grund für die häufige Mitwirkung des Chores bei den Karfreitagskonzerten in der Universitätskirche. Im Gegensatz zu Schulz und Pohlenz hat Ernst Friedrich Richter allerdings keine direkte Beziehung zum Gewandhaus. Die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts sind in der Singakademie durch einen stabi- len Mitgliederstand von ungefähr 70 gekennzeichnet, das Maximum unter Schulz’ Leitung liegt bei 87, das Minimum bei 55. Dass ab 1821 die Singakademie und ihr leitendes Personal regelmäßig im Leipziger Adresskalender aufgeführt werden,366 spricht dafür, dass sich der Verein als feste Größe in der Stadt etabliert. Ebenfalls 1821 wird außerdem ein Mitglied, August Ferdinand Anacker, für 100 Taler jährlich für die Klavierbegleitung bei den Proben 153 engagiert. Sein Nachfolger wird 1822 ein Herr Agthe.367 Mit dem Tod des Musikdirektors Johann Philipp Christian Schulz am 31. Januar 1827 scheint eine bei Langer nicht erwähnte Zäsur einherzugehen: Die Allgemeine musikalische Zeitung bedauert im Oktober desselben Jahres, die Singakademie sei »entschlafen«.368 Doch es ist nicht das erste Mal, dass das Blatt das Ende eines Vereins betrauert, der in Wirklichkeit fortexistiert, nur eben länger nicht an die Öffentlichkeit tritt.369 Das Leben der Singakademie ist längst nicht vorbei, der Verein braucht aber anscheinend eine Weile, um einen neuen Dirigenten zu finden und wieder auftrittsfähig zu werden. So heißt es schließlich im März 1828 in derselben Zeitung: »[U]nsere durch den Tod des Musikdirectors C. Schulz einge- gangene Sing-Akademie ist vor einigen Wochen unter Leitung des Hrn. Musikdirectors Pohlenz wieder ins Leben getreten.«370 Zu konstatieren ist allerdings ein Einbruch bei den Mitgliederzahlen unter Pohlenz. Hatte der Verein 1827 noch 73 Mitglieder, sind es 1829 nur noch 49, ein Jahr später sogar nur 26 Mitglieder. Das letzte Jahr in Pohlenz’ Amtszeit, zu dem Mitgliederzahlen vorliegen, ist das Jahr 1840. Damals hat die Singakademie 34 Mitglie- der. Die nächsten Daten sind erst wieder für 1847 vorhanden, also am Ende der Amtszeit Ernst Friedrich Richters. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Mitgliederzahl auf bis dahin un- erreichte 112 Personen gewachsen. Die Auftrittsgelegenheiten der Singakademie folgen in der Phase zwischen 1818 und 1847 einem klaren Muster: Eigene Konzerte werden selten veranstaltet, stattdessen beteiligt

365 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 12. 366 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 143–144. 367 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 15–16. 368 AmZ 29 (1827), Sp. 700. 369 So ergeht es z. B. auch dem Musikverein, von dem es im Januar 1823 heißt: »Nur der vorzugsweise soge- nannte Musikverein, der einzig aus Musikliebhabern der Musik [sic] bestand und grosse Orchester- und Gesangstücke gab, ist entschlafen.« (AmZ 25 (1823), Sp. 24.) Im gleichen Artikel, in dem die Singaka- demie für tot erklärt wird, wird dem Musikverein dann wieder »ein erwünschtes Gedeihen« bescheinigt (AmZ 29 (1827), Sp. 700). 370 AmZ 30 (1828), Sp. 163–164. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

sich der Chor regelmäßig, aber nicht jedes Jahr, an den Benefizkonzerten des Gewandhau- ses371 und an den Karfreitagskonzerten in der Universitätskirche. In dem 30 Jahre umfas- senden Zeitraum von 1818 bis einschließlich 1847 finden nur 26 Auftritte außerhalb dieser Konzertreihen statt. Diese gewissermaßen irregulären Auftritte nach der Vereinigung der beiden Singakademie-Zweige 1818 lassen sich schnell aufzählen:372 –– 1818: Im September und Oktober gibt es in der Universitätskirche zwei Auftritte der Sing- akademie anlässlich des Regierungsjubiläums des Königs Friedrich August: ein Frühgot- tesdienst mit einem Te Deum von Hasse und einem »Salvum fac regem« von Johann Philipp Christian Schulz sowie das bereits erwähnte feierliche Konzert mit Webers Jubel- kantate, Schulz’ »Salvum fac regem« und einer Hymne von Mozart. –– 1820: Bei einem Extrakonzert im Gewandhaus am 6. März bringen Singakademie, Tho- maner und Gewandhausorchester Friedrich Schneiders Oratorium Das Weltgericht unter der Leitung des Komponisten zur Uraufführung. Die Darbietung wird am 13. April in 154 einem von Schneider in der Universitätskirche veranstalteten Konzert wiederholt. –– 1823: Am 19. Februar wirkt die Singakademie bei der Musik zur Beerdigung Johann Gott- fried Schichts mit und führt gemeinsam mit Thomanerchor und Gewandhausorchester Teile aus dessen Oratorium Das Ende des Gerechten auf. Am 1. März desselben Jahres folgt in der Thomaskirche Mozarts Requiem in einem Konzert der Singakademie. –– 1828: Am 1. September beteiligt sich die Singakademie zusammen mit dem Musikverein und dem Gewandhausorchester an einem Konzert zum Besten der Theaterorchestermit- glieder und singt die Hymne »Um Erden wandeln Monde« von Johann Gottlieb Nau- mann. –– 1832 gibt es drei Konzerte, an denen die Singakademie beteiligt ist. Keines davon gehört zu den Konzertreihen, die von der Singakademie üblicherweise mitgestaltet werden: Ein Gewandhaus-Abonnementkonzert mit Händels Oratorium Jephta, ein geistliches Konzert in der Universitätskirche mit Haydns Schöpfung und ein Konzert zum Besten der Abge- brannten in Hainichen373 mit Naumanns »Um Erden wandeln Monde«. –– 1834: Am 1. Juni singen Singakademie, Pauliner und Thomaner begleitet vom Gewand- hausorchester in der Universitätskirche Mozarts Requiem bei der Gedächtnisfeier für den verstorbenen Universitätsrektor. –– 1837: Eine Aufführung des Weltgerichts findet in der Universitätskirche am 31. August in einem Konzert des Singvereins Orpheus zum Besten der Leipziger Sonntagsschule statt,

371 Keinesfalls jedoch generell in allen Konzerten des Gewandhauses, wie Langner, Der Gewandhauschor, S. 21, behauptet. Siehe hierzu auch Kapitel 7.1: Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847. 372 Die Übersicht ist ein Extrakt aus Anhang 12.5: Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n). Es werden dabei nur Konzerte berücksichtigt, an denen die Singakademie laut Aussage der Quellen definitiv be- teiligt ist, keine Auftritte mit ›Dilettanten‹. 373 Am 14. Juli 1832 zerstörte ein Brand fast die gesamte Innenstadt der zwischen und Dresden gelegenen Stadt Hainichen. Vgl. »Die Geschichte«, in: Bürgerportal Hainichen, , 28.1.2013. Entwicklung des Vereins nach 1818

bei dem außer der Singakademie noch der genannte Verein Orpheus, die Pauliner und die Thomaner beteiligt sind. –– 1838: Ein Extrakonzert zum Besten eines Mozart-Denkmals in Salzburg bestreitet die Singakademie am 13. Mai mit mehreren Mozart’schen Opern- und Oratorien-Auszügen. –– 1839: An der Festmusik am Pfingstsonntag in der Nikolaikirche zum 300. Jahrestag der Einführung der Reformation in Leipzig wirkt die Singakademie neben weiteren ›Dilet- tanten‹ und dem Thomanerchor mit, sie singt wieder Naumanns »Um Erden wandeln Monde« sowie ein Te Deum von Friedrich Schneider. –– 1843: Am 27. März veranstaltet das Gewandhaus ein Extrakonzert zum Besten der Hinter- bliebenen von Christian August Pohlenz, in dem die Singakademie unter Mendelssohns Leitung das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart singt. –– 1845: In einem »Konzert zum Besten der Elbüberschwemmten« – also für die von dem extremen Frühjahrshochwasser der Elbe Betroffenen – folgt am 6. April eine Aufführung 155 von Beethovens Missa solemnis mit der Singakademie, dem Thomanerchor und dem Ge- wandhausorchester in der Thomaskirche. Die Leipziger Erstaufführung des vollständigen Werkes hatte erst kurz zuvor im Karfreitagskonzert stattgefunden. –– 1846: In einem Gewandhaus-Abonnementkonzert am 3. Dezember singt die Singakade- mie mit den Paulinern und dem Thomanerchor Mozarts »Ave verum corpus« und Aus- züge aus Glucks Oper Alceste. –– Das Jahr 1847 bringt schließlich zahlreiche besondere Anlässe: Ein Konzert zum Besten der von der Hungersnot im Erzgebirge Betroffenen gemeinsam mit dem Männergesang- verein im Gewandhaus (mit Schumanns Paradies und die Peri), die Gedächtnisfeier für den verstorbenen Singakademie-Gründer Jacob Bernhard Limburger (mit Trauermusik von Bach, Gallus und Cherubini), ein Extrakonzert gemäß der Stiftung Limburgers (Mo- zarts Requiem), ein Konzert bei der Einweihung der katholischen Kirche St. Trinitatis (Werke von Reißiger, Hauptmann, Cherubini, Palestrina und Beethoven), die Trauer- feier für Mendelssohn in der Universitätskirche (Auszüge aus Mendelssohns Paulus und Bachs Matthäuspassion) und schließlich zwei Abonnementkonzerte, von denen eins dem Andenken Mendelssohns gewidmet ist. –– Zu den oben genannten Konzerten kommen noch zwei hinzu, die nicht Teil der Reihe der jährlich von der Konzertdirektion veranstalteten Konzerte zum Besten des Orchester- pensionsfonds sind, deren Erlös aber dennoch diesem Fonds zugute kommt. Diese bei- den irregulären Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds finden an den Messe- Sonntagen 28.4.1833 (ein »Gloria« von Cherubini und das Mozart-Requiem) und 17.5.1835 (Haydns Schöpfung) in der Universitätskirche statt.

Mit der Aufzählung ist, wie gesagt, nur die Konzerttätigkeit der Singakademie außerhalb der regelmäßigen Karfreitagskonzerte, Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds beschrieben. Diese unregelmäßigen Auftritte haben häufig be- sondere wohltätige Zwecke: Wie es sich schon in den ersten Konzerten der verschiedenen Singakademie-Zweige ab 1812 angekündigt hatte, sammelt die Akademie Geld für Bildung Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

und Kultur (Theaterorchester, Sonntagsschule, Mozart-Denkmal) sowie für die Opfer von Katastrophen (Hunger, Feuer, Überschwemmung). Damit ist nochmals die starke Orien- tierung des Chorvereins am Gemeinwohl bestätigt und auch die Beobachtung Margaret Eleanor Menningers untermauert, dass derartige soziale und kulturelle Aufgaben erst nach der Jahrhundertmitte Schritt für Schritt in die Hand der städtischen Verwaltung überge- hen.374 Andere Anlässe für Auftritte geben städtische und universitäre Feierlichkeiten (Re- gierungsjubiläum, Trauerfeier für den Rektor, Reformationsjubiläum) sowie Todesfälle von Menschen, die sich um die Musik in Leipzig oder um die Singakademie besonders verdient gemacht haben (Schicht, Pohlenz, Limburger, Mendelssohn). Bei der Uraufführung von Friedrich Schneiders Weltgericht ist das Engagement der Singakademie wohl darauf zurückzuführen, dass Schneider selbst in seiner Leipziger Zeit in der Akademie von Johann Gottfried Schicht sang und diesen Zweig später selbst diri- gierte. Daneben finden sich einige wenige Auftritte, die in das Schema von Benefizkonzer- 156 ten, städtischen und universitären Festen sowie Trauerfeiern nicht passen, aber auf künftige Entwicklungen des Chores bereits hindeuten. In Richtung zukünftiger eigener Auftritte weist die allem Anschein nach eigenständige Aufführung von Mozarts Requiem 1823, die wohl im Zusammenhang mit dem Tod Johann Gottfried Schichts steht. Zwar bezeichnet Langer nicht dieses, sondern ein Konzert am 28. Oktober 1848 als erste Aufführung der Singakademie »für eigene Casse«.375 Das hier genannte Konzert am 1. März 1823 ist Langer allerdings nicht bekannt. Ob dafür Eintritt verlangt wird und zu wessen Gunsten die Ein- nahmen gehen, konnte nicht ermittelt werden, so dass die Frage nach dem ersten eigen- ständigen Singakademie-Konzert ohne Benefizzweck nicht eindeutig beantwortet werden kann. Die geistliche Musikaufführung, die 1832 vermutlich im Mai in der Universitätskir- che von Pohlenz geleitet wird, könnte ebenfalls ein selbstständiges Konzert sein, könnte aber auch als Ersatz für das Karfreitagskonzert fungieren, das in diesem Jahr anscheinend ausgefallen ist.376 Auf die künftige engere Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus weisen erste vereinzelte Auftritte der Singakademie in den regelmäßigen Gewandhaus-Abonne- mentkonzerten hin. Während der erste dieser Auftritte im Jahr 1832 keine weiteren Folgen hat, gibt es 1846 und 1847 insgesamt drei Abonnementkonzerte im Gewandhaus, an denen die Singakademie mitwirkt. Das letzte dieser Konzerte fällt schon in die dritte Phase der Geschichte der Singakademie, die Gewandhaus-Phase. Das Repertoire der irregulären Konzerte in der zweiten Phase folgt relativ streng der satzungsgemäßen Bestimmung, dass die Singakademie geistliche Musik aufführen soll. Weltliche Werke sind beispielsweise durch den Huldigungszweck beim königlichen Re- gierungsjubiläum 1818 begründet oder durch die Bedeutung Mozarts als Opernkomponist beim bunten Mozart-Programm 1838 legitimiert. Auch bei der Mitwirkung in Abonnement-

374 Vgl. Menninger, Art and Civic Patronage, S. 50–51. 375 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 25. 376 Vgl. Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, S. 40. Siehe hierzu Kapitel 6.4: Karfreitagskon- zerte – in Leipzig und andernorts. Entwicklung des Vereins nach 1818 konzerten des Gewandhauses toleriert der Vorstand der Singakademie offenbar gemischte und weltliche Programme. Im Korpus der aufgeführten geistlichen Werke zeigen sich ei- nige Konstanten. Bereits kanonisiert ist das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart, das bei Traueranlässen die erste Wahl darstellt. Bei den oratorischen Werken deutet sich ein Schwerpunkt auf Händel (z. B. Jephta), Haydn (Schöpfung) und Schneider (Weltgericht) an, der sich in späteren Phasen noch fortsetzen wird. Gleiches gilt für die Vokalwerke von Luigi Cherubini, der allerdings nur mit Auszügen aus größeren Werken repräsentiert ist. Relativ großer Beliebtheit erfreut sich außerdem in den 30er Jahren Johann Gottlieb Naumanns Hymne »Um Erden wandeln Monde«, die Vertonung eines Klopstock-Gedichts mit dem Titel Psalm, das zwischen den Strophen die einzelnen Verse des Vaterunser-Gebets einlegt und sich daher besonders anbietet für eine doppelchörige Komposition, wie sie Naumann umsetzt. Eine Neuigkeit in dieser Phase ist die Kooperation mit anderen Chören. War es in der 157 ersten Phase bis 1818 noch die Regel, dass nur die beiden damals existierenden Singakade- mien sich zu Konzerten zusammentaten, so kommt es danach häufiger vor, dass die nun- mehr vereinigte Singakademie ihrerseits den Anschluss an andere Chöre sucht. Die größte Regelmäßigkeit zeichnet sich hier, wie auch später bei den Gewandhauskonzerten, in der Unterstützung durch den Thomanerchor ab. Schon bei den allerersten Singakademie-Kon- zerten 1812 hatten einzelne Thomaner zur Verstärkung mitgesungen, bei den irregulären Konzerten der zweiten Phase ist die Mitwirkung der Thomaner ungefähr in jedem zweiten Konzert nachgewiesen. Die zweite langfristige Zusammenarbeit beginnt im Jahr 1834. Hier beteiligt sich erstmals der Universitäts-Gesangverein zu St. Pauli, ein 1822 gegründeter stu- dentischer Männerchor, an einem Konzert, an dem auch Singakademie und Thomaner mit- wirken. Dieser Verein wird ebenfalls im Laufe des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle im Gewandhaus spielen und dort regelmäßig auftreten, teils allein, teils mit den Thomanern und der Singakademie. Seine Mitglieder werden von den Zeitgenossen, wie auch in der vorliegenden Arbeit, kurz als ›Pauliner‹ bezeichnet.377 Aber auch weitere Chor- und Orches- tervereine wie der Musikverein, der Gesangverein Orpheus und der Männergesangverein ge- hören zu den Kooperationspartnern der Singakademie. Diese Partnerschaften lassen sich meist durch persönliche Beziehungen erklären: So ist der Singakademiedirektor Pohlenz auch Gründer des Musikvereins, der gemischte Chor Orpheus hingegen steht unter der Lei- tung von Friedrich August Geißler, der zur betreffenden Zeit Universitätsorganist ist, also direkter Kollege des Universitätsmusikdirektors Pohlenz.378

377 Zur Geschichte diese Vereins im Detail siehe Richard Kötzschke, Geschichte der Universitäts-Sänger- schaft zu St. Pauli in Leipzig 1822–1922, Leipzig 1922. 378 Vgl. Arnhold u. a., »Leipziger Universitätsmusikdirektoren«, S. 431. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

6.2 Wandel der Machtverhältnisse zwischen Musikdirektor und Vorstehern (1823)

Ein Merkmal, das die Singakademie von allen bisher dagewesenen Leipziger Chören unter- scheidet, ist die auf diesem Gebiet völlig neuartige Organisation als Verein. Zu einem Verein gehören – nicht anders heute – Regeln, welche die Rechten und Pflichten aller Mitglieder bestimmen. Die Satzung bzw. die Statuten halten den Zweck des Vereins fest, die Voraus- setzungen, unter denen jemand Mitglied werden kann, die Beiträge und einiges mehr. Fest- gelegt wird ferner, wie der Vorstand zusammengesetzt ist und gewählt wird. Der Vorstand als demokratisch legitimiertes Organ zur Vereinsleitung bündelt viele Entscheidungskom- petenzen – und an diese Macht des Vorstandes muss sich der Musikdirektor Johann Philipp Christian Schulz Anfang der 1820er Jahre offenbar erst einmal gewöhnen. Schulz singt be- kanntlich schon in seiner Schulzeit als Diskantist im Singechor Johann Gottfried Schichts 158 für die Konzerte im Gewandhaus und in der Neukirche – übrigens gemeinsam mit dem späteren Singakademie-Mitglied Amadeus Wendt.379 Aus dieser Erfahrung kennt Schulz noch eine andere, ältere Chorkultur, in welcher der musikalische Leiter das alleinige Sagen hat. So kommt es einige Jahre nach der Vereinigung der beiden Singakademien unter seiner Leitung zu beachtlichen Reibereien zwischen ihm und dem Vorstand. Die Episode wirft ein Schlaglicht auf einen sehr selbstbewussten Vorstand, der seine Autorität verteidigt gegen die Ansprüche eines Musikdirektors, der anscheinend seine eigene Wichtigkeit überschätzt. Aufschluss über diese Vorgänge liefern ein Schreiben aus der schon ausführlich be- schriebenen Akte »Der/SING – ACADEMIE/unter dem/Musikdirector Schulz« sowie ein anschließend geschlossener Vertrag. Das Schreiben380 datiert auf den 22. April 1823 und ist unterzeichnet von den Vorstandsmitgliedern Jacob Bernhard Limburger, Wilhelm Härtel, Gustav Kunze, Alexander Platzmann, Wilhelm Friedrich Kunze und Johann Christian Au- gust Clarus (in dieser Reihenfolge). Auslöser des Konflikts ist eine anstehende Neufassung der Statuten.381 Die neuen Statuten enthalten einen Paragrafen über die Notensammlung der Singakademie. Offenbar erhebtSchulz einen Besitzanspruch auf diese Noten und der Vorstand sieht sich nun genötigt, ihm den bisherigen Verlauf der Dinge zu schildern und dabei grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten anzusprechen: »Sie betrachten Sich als den Stifter der jetzt bestehenden Academie, aber Sie haben nur fortgesetzt, was Riem grün- dete, mit Zuziehung neuer Mitglieder allerdings […].«382 – »Dagegen können wir Ihnen nicht bergen, daß Sie auch häufig sich und der Anstalt geschadet haben, durch öfteres sonder- bares Benehmen in und außer der Academie gegen manche Individuen, die dadurch bewo-

379 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 46. 380 D-LEsa, SingA, fol. 14–18. 381 Die neuen Statuten treten zum 1. September 1823 in Kraft, vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakade- mie, S. 17–18. Siehe dazu auch Kapitel 5.4: Geistlich oder weltlich? Die Satzungen im Vergleich mit dem tatsächlich gesungenen Repertoire. 382 D-LEsa, SingA, fol. 14v. Wandel der Machtverhältnisse zwischen Musikdirektor und Vorstehern (1823) gen wurden, entweder von der Academie abzugehen, oder gar nicht beyzutreten.«383 Zum eigentlichen Thema des Briefes zurückkommend, beschreiben die Autoren, dass Schulz bei der Übernahme der Riem’schen Singakademie im Jahr 1814 noch eine weitaus mächtigere Stellung innehatte, als es jetzt der Fall ist: Die Mitglieder hatten Beitragsgelder direkt an ihn zu zahlen, dafür gingen alle Ausgaben der Akademie ebenfalls auf seine Kosten. Insbeson- dere schaffte Schulz Noten für den Verein an. Zwei Jahre später erkennen die Vorsteher der Akademie, dass Sie dadurch in Abhängigkeit von ihrem Musikdirektor geraten sind.384 Also beschließt der Vorstand, ein eigenes Vermögen aufzubauen und Schulz die bisher gesam- melten Noten abzukaufen. Der Vertrag hierüber, der auch vorsieht, dass Schulz nicht mehr alle Mitgliedsbeiträge, sondern nur noch einen festgesetzten Anteil hieran als Honorar er- hält, wird im November 1816 geschlossen. Die letzte Rate für den Ankauf der Noten zahlt der Verein im März 1821 an Schulz. Die Notensammlung der Leipziger Singakademie bleibt von da an bis 1964 in Vereinsbesitz, dann wird sie an die Leipziger Stadtbibliothek übergeben.385 159 Somit ist die Singakademie nun in der Lage, ihrem Musikdirektor jederzeit mit Entlassung drohen zu können, ohne sich in die Gefahr zu begeben, danach ohne Noten und Kapital dazustehen. Ein solcher Anlass zur Drohung ist offenbar nun gekommen:

Durch Unterzeichnung des Contracts aber, und mithin durch Annahme eines Ge- haltes aus der eigenen Cassa der Gesellschaft sind Sie von ihr dependent geworden und jetzt, wo der Musicalien Vorrath von Bedeutung ist, kann die Gesellschaft je- derzeit ruhig und unerschüttert bleiben, wenn Sie, freiwillig oder nicht, die Direc- tion niederlegten, auch ist keine Frage, das müßen Sie sich als vernünftiger Mann selbst gestehen, daß, wenn auch jetzt davon keine Rede ist, der Gesellschaft doch immer das Recht unbezweifelt zustehen muß, durch ihre Vorsteher zu sagen, ob man Sie als Music Director wünscht, oder nicht.386

Und weiter, mit Bezug auf die Noten, die Schulz offenbar für sich beansprucht:

Die Aeußerung aber, daß sie [die Noten] mit Ihrem eigenen Gelde bezahlt worden wären, ist aufs wenigste unbescheiden zu nennen, und wir müßen bitten sich für die Folge solcher Aeußerungen gänzlich gegen uns zu enthalten. Klar und deutlich spricht der Contract das Eigenthums Recht an den Musicalien der Gesellschaft zu.

383 Ebd., fol. 15r. 384 »Sie [waren] alleinig disponirender Herr und die Mitglieder in Ermangelung eines eigenen Besitzthums von Musicalien so lange an Sie gefesselt, bis, wenn wegen Unzufriedenheit (die jedoch nicht Statt fand) der Wunsch einen andern Musik Director zu haben, entstanden wäre, die Mitglieder einen gefunden hätten, der selbst genug Musicalien besaß […].« (Ebd., fol. 15v–16r.) 385 Teile des heutigen Bestands »Leipziger Singakademie« in der Leipziger Stadtbibliothek, Musikbiblio- thek, gehen offenbar bis auf die Notensammlung zurück, über die hier verhandelt wird. Weiteres zur Geschichte des Bestandes und Verzeichnis der vorhandenen Noten siehe Anhang 12.6.5: Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm). 386 D-LEsa, SingA, fol. 16r. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Sie können und werden es uns nicht nehmen und nie werden wir Sie als Besitzer derselben anerkennen.387

Der Brief gipfelt schließlich in der Auflösung des alten Chorleitervertrags seitens der Sing- akademie und der Ankündigung, dass man Schulz bald einen neuen Vertrag anbieten werde. Zusätzlich fordern die Vorsteher, dass die Noten zwar weiter in Schulz’ Verwahrung bleiben, dass sie aber gestempelt werden und Schulz in den Rechnungsbüchern der Sing- akademie nochmals bestätigt, den vereinbarten Betrag tatsächlich erhalten zu haben. Der neue Vertrag, den Schulz im Anschluss, sicherlich zähneknirschend, unterschreibt, ist ebenfalls in der Akte zu finden.388 Er datiert auf den 1. September 1823, tritt also gleichzei- tig mit der neuen Satzung in Kraft. Die Kontrahenten sind auf der einen Seite die vier Vor- steher, der Sekretär und der Kassierer der Singakademie (Johann Christian August Clarus, Wilhelm Härtel, Gustav Kunze, Wilhelm Friedrich Kunze, Jacob Bernhard Limburger und 160 Alexander Platzmann), auf der anderen Seite der Musikdirektor Johann Philipp Christian Schulz. Letzterer übernimmt mit der musikalischen Leitung der Singakademie auch wei- terhin die Pflege des Notenbestandes, darf aber keine Noten eigenmächtig dafür erwerben, sondern kann dem Vorsteher, dem Sekretär und Kassierer nur Vorschläge unterbreiten. Für Ankauf und Abschreiben von Noten ist jährlich ein Etat von 50 Talern vorgesehen. Schulz darf die Noten privat benutzen. Als Honorar für seine Arbeit wird »die Hälfte der von den Mitgliedern der Singacademie geleisteten monatlichen Beiträge«389 vereinbart. Für weitere Kosten der Singakademie »als Heitzung, Erleuchtung, Schreiberlohn, oder wie sie heißen und entstehen könnten«390 ist Schulz nicht verantwortlich, sondern sie werden aus der Kasse der Akademie bestritten. Zu guter Letzt wird Schulz noch das Recht zugestanden, die Mitglieder des Vorstandes zu Beratungen einzuladen. »Sie werden seinen Rath und Vor- schlag gern hören, und dafern er zweckmäßig erscheint, befolgen.«391 Ein Vergleich der ersten Satzung der Schulz’schen Singakademie von 1814392 mit der revidierten Satzung von 1823393 zeigt, welchen Machtverlust der Musikdirektor hinnehmen muss. In der älteren Satzung hieß es noch:

Die Art und die Mittel durch welche der im § 1. bezeichnete Zweck der Academie am vollständigsten erreicht werden kann, wird den Einsichten und der Erfahrung des Directors überlaßen. Dieser bestimmt die Tage und Stunden der Zusammen- künfte, ingleichen die etwa nöthigen Proben und Vorübungen der einzelnen Stim- men. Er sorgt für eine zweckmäßige Anzahl und genugsame Abwechslung der

387 Ebd., fol. 16v. Hervorhebung im Original unterstrichen. 388 Ebd., fol. 11–13. 389 Ebd., fol. 12r. 390 Ebd., fol. 12v. 391 Ebd., fol. 12v–13r. 392 Ebd., fol. 1r–5r. 393 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 17–18. Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds

Stücke […]. Bey den Conferenzen und Wahlen hat er den Vorsitz und Vortrag, und es können, ohne seine Zustimmung in der Einrichtung und in den Statuten der Academie keine Aenderungen gemacht werden.394

Ganz anders nun lesen sich die Statuten 1823. Die Anzahl der Proben wird nicht mehr dem Direktor überlassen, sondern auf wöchentlich zwei festgelegt (Vorübung und Hauptübung). Der Direktor ist nicht mehr der Wortführer in den Sitzungen, sondern er ist nur noch eines von sieben Vorstandsmitgliedern (vier Vorsteher, Musikdirektor, Sekretär, Kassierer). Üb- rigens hatte die ältere Satzung noch eine Parität von vier männlichen und vier weiblichen Vorstehern vorgesehen, auch davon ist in der jüngeren nicht mehr die Rede. Der Wandel der Machtverhältnisse innerhalb der Leipziger Singakademie ist ein Bei- spiel dafür, wie die neue Idee des demokratisch strukturierten Vereins sich zunächst gegen Widerstände durchsetzen muss. Die Vehemenz, mit der die Vorsteher darauf hinweisen 161 müssen, dass sie es sind, die die Weichen stellen, zeigt, wie ungewöhnlich eine solche Kon- stellation Anfang des 19. Jahrhunderts noch ist. Dass die gewählten Vertreter eines Ver- eins darüber entschieden, Dirigenten anzustellen oder zu entlassen, wird im weiteren Ver- lauf der Geschichte zum Normalfall werden, ist aber offenbar zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbstverständlich. Die Vorsteher wissen aber sehr wohl zwischen Amt und Person zu unterscheiden und sehen sich als Amtsträger in der Pflicht, für den höheren Zweck des Ver- eins alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. So formuliert der Vorstand in dem Schreiben an Schulz versöhnlich und um Verständnis werbend:

Wir wollen uns gegenseitig das Leben nicht erschweren, sondern lieber vereint nach Vervollkommnung streben, und dabey werden wir Ihnen immer gerne und freundlich die Hand bieten. Betrachten Sie uns also als Freunde, und das oben gesagte blos als die Sprache der Vorsteher der Academie, welche ihrem Amte nie etwas vergeben dürfen.395

6.3 Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds

Unabhängig von internen Querelen bekommt das öffentliche Wirken der Leipziger Sing- akademie in der zweiten Phase ihrer Geschichte eine gewisse Regelmäßigkeit durch die Beteiligung an bestimmten Konzertreihen. Nachdem schon unter den allerersten Auftritten der Singakademien Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds und zum Besten

394 D-LEsa, SingA, fol. 2r–2v. 395 Ebd., fol. 17r. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

der Armen waren,396 entwickelt sich hieraus eine länger andauernde Kooperation zwischen dem Gewandhausdirektorium, das diese Konzerte veranstaltet, und der Singakademie, die dort anscheinend unentgeltlich mitsingt. Während in den regulären Abonnementkonzerten bis 1847 üblicherweise die Thomaner die Chorpartie singen,397 hat sich schon im Januar 1820 beim Rezensenten der Allgemeinen musikalischen Zeitung die Verbindung zwischen Benefizkonzerten und der Singakademie so eingeprägt, dass er mit Bezug auf das Konzert zum Besten des Orchesterpensionsfonds vom 14. November 1819 schreibt: »[…] es war zum Besten der Armen, wo allein die Singakademie die Aufführungen unterstützt […].«398 Zwar verwechselt der Autor hier Armen- und Orchesterpensionsfonds-Konzerte, aber die Fest- stellung gilt im Grunde für beide Arten von Benefizkonzerten – allerdings in unterschied- lichem Umfang. Zur Übersicht seien hier alle Konzerte beider Reihen zusammengestellt, an denen die Singakademie nachweislich beteiligt ist. Zusätzlich, und anders als bei früheren Listen, sind 162 hier auch die Auftritte integriert, bei denen ›Dilettanten‹ mitwirkten. Die Übersichten ent- halten nicht nur die Konzerte innerhalb der hier vorrangig besprochenen zweiten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie, sondern auch alle früheren und späteren Konzerte, die zu diesen Reihen gehören und an denen die Singakademie beteiligt ist. Die Grenzen zwischen den einzelnen Phasen sind mit doppelten Strichen markiert.

Tabelle 8: Konzerte zum Besten der Armen mit der Leipziger Singakademie oder ›Dilettanten‹

18.10.1814 Zweite Schicht’sche Wolfgang Amadeus Mozart: Motette »Ob fürchter- Jahrestag der und Schulz’sche lich tobend sich Stürme erheben« [Parodie des Chors Völkerschlacht Singakademie; »Ihr Kinder des Staubes« aus der Schauspielmusik zu bei Leipzig GWH-Orch ver- ­Thamos, König in Ägypten] stärkt durch einige Giovanni Pierluigi da Palestrina: Zweichöriger römi- Liebhaber (Schicht scher Kirchengesang »Salvum fac populum tuum, und Schneider) ­Domine, et benedic hereditati tuae!« Georg Friedrich Händel: Chor »Hallelujah« aus dem Oratorium Der Messias Martin Luther: Choral »Erhalt uns Frieden gnädiglich« »Dem Erhalter unsrer Geliebten«, Ode von Klopstock, zur Musik gesprochen von Wilhelm Fink Georg Friedrich Händel: Chöre »Würdig ist das Lamm, das erwürgt ist« und »Alle Gewalt, und Preis und Macht« aus dem Oratorium Der Messias

396 Siehe, auch zum Zweck und der Geschichte dieser Konzertreihen, Kapitel 3.6: Die ersten Auftritte von 1812 bis 1818. 397 Siehe Kapitel 7.1: Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847. 398 AmZ 22 (1820), Sp. 30. Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds

11.5.1817 Schneider’sche und Georg Friedrich Händel: Oratorium Der Messias (in der Schulz’sche Sing- Bearbeitung Wolfgang Amadeus Mozarts, gekürzt) akademie, Thoma- ner, GWH-Orch (Schulz) 23.3.1823 LSA, GHW-Orch Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem Palmsonntag 8.4.1827 LSA, Musikverein, : Oratorium Die letzten Dinge Palmsonntag GWH-Orch 4.4.1830 LSA, GWH-Orch Georg Friedrich Händel: Oratorium Samson Palmsonntag (Pohlenz) 13.2.1834 LSA, Thomaner, Giacchino Rossini: Schluss-Arie mit Chor »Nacqui GWH-Orch all’affanno« aus der Oper La Cenerentola Luigi Cherubini: Missa solemnis Nr. 4 163 8.2.1838 LSA, GWH-Orch Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 115. Psalm »Nicht (Mendelssohn) unserm Namen, Herr« Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 42. Psalm »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser« 2.4.1840 Dilettanten, : Oratorium Die Zerstörung ­Jerusalems GWH-Orch (Ferdinand Hiller) 22.3.1849 LSA, Thomaner, Felix Mendelssohn Bartholdy: Hymne »Lauda Sion« GWH-Orch Joseph Haydn: »Der Sommer« aus dem Oratorium Die Jahreszeiten 10.12.1849 LSA, Pauliner, Robert Schumann: Adventlied (»Dein König kommt in Thomaner, niedern Hüllen«) GWH-Orch Felix Mendelssohn Bartholdy: Elfenlied und Finale aus der Schauspielmusik zu Ein Sommernachtstraum 26.2.1852 LSA, Pauliner, Tho- Felix Mendelssohn Bartholdy: Kantate Die erste maner, GWH-Orch ­Walpurgisnacht 7.5.1853 LSA, Pauliner, Felix Mendelssohn Bartholdy: Kantate Die erste Thomaner, ­Walpurgisnacht GWH-Orch (David) : Sinfonie Nr. 9 6.4.1854 LSA, Pauliner, Tho- Robert Schumann: Oratorium Das Paradies und die Peri maner, GWH-Orch 24.3.1859 LSA, Pauliner, Robert Schumann: Dramatisches Gedicht Manfred Thomaner, Ludwig van Beethoven: Fantasie für Pianoforte, Chor GWH-Orch und Orchester 23.2.1860 LSA, Pauliner, Robert Schumann: Ballade Des Sängers Fluch Thomaner, Felix Mendelssohn Bartholdy: Kantate Die erste GWH-Orch ­Walpurgisnacht Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Alle aufgelisteten Konzerte zum Besten der Armen finden im großen Saal des Gewandhau- ses statt; eine Ausnahme bildet das Konzert vom 11.5.1817, das in der Thomaskirche abge- halten wird. Zu den offiziellen, jährlich stattfindenden Konzerten zum Besten der Armen, die von der Konzertdirektion veranstaltet werden, kommt noch ein weiteres Konzert außer- halb dieser Reihe, dessen Ertrag ebenfalls den Armen Leipzigs zugute kommt, und zwar am 29.10.1853 (Geistliche Musikaufführung von H. Schellenberg zum Besten der hiesigen Armen).

Tabelle 9: Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds mit der Leipziger Singakademie oder ­›Dilettanten‹

19.3.1815 Zweite Schicht’sche Georg Friedrich Händel: Kantate Alexanders Fest oder Palmsonntag und Schulz’sche Die Gewalt der Musik (in der Bearbeitung Wolfgang 164 Singakademie Amadeus Mozarts) (Schulz) 15.12.1816 Schneider’sche Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem und Schulz’sche Singakademie 11.1.1818 Schneider’sche Pietro Generali: Szene und Arie mit Chor »Le sacre und Schulz’sche trombe!« aus der Oper I baccanali di Roma Singakademie, Friedrich Schneider: Messe für fünf Singstimmen und GWH-Orch Chor a cappella Nr. 11 in e-Moll 14.11.1819 LSA, GWH-Orch Georg Friedrich Händel: Oratorium Judas Maccabäus (Schulz) (in der Bearbeitung Wolfgang Amadeus Mozarts) 25.1.1821 LSA, Thoma- Johann Gottfried Schicht: Oratorium Die letzten Stun- ner, GWH-Orch den des Erlösers (Schicht) 15.12.1823 LSA, Thomaner Friedrich Schneider: Kantate Nr. 23: Der 24. Psalm oder Musikverein, ­»Jehovahs ist die Erd’ und ihre Fülle!«, op. 72 GWH-Orch Gaspare Spontini: Festgesang (mit veränderten Wor- ten) »Wo ist das Volk, das kühn von That« [preußische ­Nationalhymne von 1820 bis 1840] 13.12.1824 LSA, GHW-Orch Friedrich Schneider: Oratorium Die Sündfluth 27.11.1826 LSA, Thoma- Friedrich Schneider: Oratorium Das verlorene Paradies ner, GHW-Orch (Schneider) 17.12.1829 LSA, Musikverein, Friedrich Schneider: Oratorium Pharao Thomaner, GWH- Orch (Pohlenz) 7.11.1836 LSA, »alle hiesi- Georg Friedrich Händel: Oratorium Israel in Ägypten ge[n] Singvereine« (Zitat Langer) (Felix Mendelssohn Bartholdy) Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds

3.12.1840 Dilettan- Ludwig van Beethoven: Fantasie für Pianoforte, Chor ten, ­Pauliner, und Orchester ­GWH-Orch Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie-Kantate (Mendelssohn) ­(Sinfonie Nr. 2) Lobgesang 30.10.1843 LSA, Mitglieder Alexei Fjodorowitsch Lwow: Fantasie über russische anderer Vereine Nationallieder für Violine, Chor und Orchester, op. 6 (Hiller) 3.2.1848 Dilettanten, Felix Mendelssohn Bartholdy: Oratorium Elias Geburtstag LSA, Pauliner, ­(Leipziger EA) Mendelssohns Thomaner, GWH-Orch (Gade) 1.2.1849 LSA, Pauliner, Niels Wilhelm Gade: Die Wasserrose Thomaner, Moritz Hauptmann: Sängerfahrt (»Laue Luft kommt GWH-Orch blau«) Felix Mendelssohn Bartholdy: Schauspielmusik zu 165 ­Athalia 5.12.1850 LSA, Pauliner, Robert Schumann: Oratorium Das Paradies und die Peri Thomaner, GWH-Orch (Rietz) 17.1.1853 LSA, Pauliner, Gioachino Rossini: Introduktion »Wie mild erglüht die Thomaner, Maiensonne« aus der Oper Wilhelm Tell GWH-Orch : Dritte Szene des ersten Akts aus der Oper Lohengrin 15.3.1855 LSA, Pauliner, Niels Wilhelm Gade: Kantate Erlkönigs Tochter Thomaner, GWH-Orch (Rietz) 5.3.1860 LSA, Pauliner, Robert Schumann: Oratorium Das Paradies und die Peri GWH-Orch

Alle aufgelisteten Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds finden im Gewand- haus statt, nur am 7.11.1836 veranstaltet die Konzertdirektion die Aufführung nicht im Kon- zertsaal, sondern in der Universitätskirche. Zu den oben genannten Konzerten kommen noch zwei hinzu, die nicht Teil der Reihe der jährlich von der Konzertdirektion veranstal- teten Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds sind, deren Erlös aber dennoch diesem Fonds zugute kommt. Sie wurden an anderer Stelle bereits berücksichtigt.399 In beiden Konzertreihen ist die Singakademie recht regelmäßig vertreten, wenn auch nicht jedes Jahr. Im Zeitraum von 1814 bis einschließlich 1860 singt sie in 14 Konzerten zum Besten der Armen und 17 Konzerten zum Besten des Orchesterpensionsfonds, sie beteiligt sich also grob gesagt in jeder Reihe etwa alle 3 Jahre einmal mit einem Konzert. Größere Lücken tun sich bei den Konzerten zum Besten der Armen in den 40er Jahren auf (acht

399 Konzerte am 28.4.1833 und 17.5.1835, siehe Kapitel 6.1: Entwicklung des Vereins nach 1818 und Repertoire der Konzerte außerhalb von Konzertreihen. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Jahre Pause zwischen 1840 und 1849), bei den Konzerten zum Besten des Orchesterpen- sionsfonds in den 30er Jahren (nur 1836 ein Konzert). Relativ stetig ist die Beteiligung in den 1850er Jahren, als die Singakademie ohnehin fest als Chor im Gewandhaus wirkt. Beide Reihen werden nach 1860 noch weitergeführt, für die Singakademie jedoch endet mit der Gewandhaus-Phase das Engagement bei diesen Benefizkonzerten. Warum die Singakademie bei manchen dieser Konzerte mitwirkt, bei anderen aber nicht, dafür liegen keine klaren Anhaltspunkte vor. Zwar erwähnt Langer beim 35. Kon- zert zum Besten des Orchesterpensionsfonds am 31. März 1822 Streitigkeiten zwischen der Singakademie und den Vertretern des Fonds, derentwegen die Singakademie dem Konzert fernbleibt.400 Allerdings kann der Zwist so verheerend nicht gewesen sein, denn – was Lan- ger verschweigt oder nicht weiß – schon 1823 ist die Singakademie beim entsprechenden Konzert wieder dabei. Die für die jeweiligen Auftritte benötigte Besetzung bietet zunächst keine hinreichende 166 Erklärung dafür, warum die Singakademie nur bei manchen Konzerten mitsingt: In den Konzerten, in denen die Singakademie von 1814 bis einschließlich 1860 n i c h t mitwirkt, stehen nämlich ebenfalls öfter Werke für gemischten Chor auf dem Programm, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Wahrscheinlich tritt hier der Thomanerchor auf, so wie es damals in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten üblich ist.401 Von den 31 Armenkon- zerten des genannten Zeitraums o h n e die Singakademie erfordern 19 einen gemischten Chor. Die 29 Orchesterpensionsfonds-Konzerte ohne die Singakademie kommen dagegen in der Mehrzahl ohne gemischten Chor aus, hier gibt es nur 11 Konzerte, die hohe und tiefe Singstimmen im Chor erfordern.402 Betrachtet man nur die Stücke für gemischten Chor in beiden Reihen von 1814 bis einschließlich 1860 und unterteilt man die jeweiligen Konzert- programme nach dem bereits erläuterten Schema in geistlich, weltlich und gemischt, so ergibt sich folgende Statistik:

400 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 15. 401 Siehe Kapitel 7.1: Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847. 402 Diese Einteilung beruht auf der Übersicht über die Armen- und Orchesterpensionsfonds-Konzerte bei Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 184–192. Die genauen Zahlen für die Konzerte ohne die Singakademie im Zeitraum von 1814 bis einschließlich 1860 sind: 32 Armenkonzerte, davon 7 Konzerte ohne Chormusik (1820, 1842, 1847, 1855, 1856, 1857, 1858), 6 Konzerte mit Männerchor (1816?, 1818, 1836, 1841, 1848, 1851), 19 Konzerte mit gemischtem Chor (1819, 1821, 1822, 1824, 1825, 1826, 1828, 1829, 1831, 1832, 1833, 1835, 1837, 1839, 1840, 1843, 1844, 1845, 1846). 29 Pensionsfondskonzerte, davon 16 Konzerte ohne Chormusik (1823, 1828, 1831, 1832, 1833, 1837, 1839, 1842, 1844, 1846, 1851, 1854, 1855, 1857, 1857, 1859), 2 Konzerte mit Männerchor (1846, 1850), 11 Konzerte mit gemischtem Chor (1814, 1818, 1822, 1826, 1828?, 1830, 1834, 1835, 1839, 1840, 1841). Konzerte mit ›Dilettanten‹-Hinweis werden hier mitgezählt. Dopplungen und Lücken bei den Jahreszahlen entstehen dadurch, dass es in beiden Reihen je ein Kon- zert pro Spielzeit gibt, der Termin innerhalb der Spielzeit aber flexibel ist. So können in einem Jahr mehrere Konzerte stattfinden (am Jahresanfang das Konzert der Ende zu Ende gehenden Spielzeit, am Jahresende das Konzert der neuen, im Herbst begonnenen Spielzeit) oder auch gar keins. Konzerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds

Armenkonzerte mit Werken für gemischten Chor (33): –– mit Singakademie (14) –– geistlich (6): 1814, 1817, 1823, 1827, 1830, 1838 –– gemischt (3): 1834, 1849, 1849 –– weltlich (5): 1852, 1853, 1854, 1859, 1860 –– ohne Singakademie (19) –– geistlich (13): 1819, 1821, 1822, 1824, 1825, 1826, 1828, 1829, 1831, 1839, 1840, 1844, 1845 –– gemischt (1): 1843 –– weltlich (5): 1832, 1833, 1835, 1837, 1846

Pensionsfondskonzerte mit Werken für gemischten Chor (28): –– mit Singakademie (17) –– geistlich (8): 1816, 1819, 1821, 1824, 1826, 1829, 1836, 1848 167 –– gemischt (2): 1818, 1823 –– weltlich (7): 1815, 1843, 1849, 1850, 1853, 1855, 1860 –– ohne Singakademie (11) –– geistlich (3): 1822, 1830, 1841 –– gemischt (1): 1840 –– weltlich (7): 1814, 1818, 1826, 1828?, 1834,1835, 1839

Es besteht zwar aufgrund der lückenhaften Überlieferung die Möglichkeit, dass die Sing- akademie doch an dem einen oder anderen Konzert mitwirkt, das ihr hier mangels Belegen nicht zugeschrieben wird, aber grundsätzlich bleibt der Befund bestehen: Wenn ein ge- mischter Chor gebraucht wird, stellt nur in ungefähr der Hälfte der Fälle die Singakademie diesen Chor (Armenkonzerte: 14-mal mit Singakademie, 19-mal ohne sie; Pensionsfonds- konzerte: 17-mal mit Singakademie, 11-mal ohne sie). Die Konzerte zum Besten der Armen sind aus der Tradition der Concerts spirituels am Palmsonntag hergegangen und begannen schon nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhun- dert langsam zu ›verweltlichen‹, indem nicht mehr ausschließlich Passionsoratorien, sondern Schritt für Schritt auch Sinfonien, Ouvertüren und Instrumentalkonzerte zur Aufführung kamen. Dennoch merkt man ihnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch ihren Ur- sprung aus diesen geistlichen Vokalkonzerten an. Sie enthalten insgesamt mehr Chorwerke als die Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds und die aufgeführten Werke sind öfter geistliche. Da obige Übersicht sich auf Werke für gemischten Chor beschränkt, wird sichtbar, dass die Armenkonzerte in diesem Segment noch die gesamten 1810er und 1820er Jahre hindurch ausschließlich von geistlicher Musik dominiert sind. In den 1830er und 1840er Jahren mischen sich geistliche und weltliche Werke und nach 1847, also zu Beginn der Ge- wandhaus-Phase der Leipziger Singakademie, erfolgt eine schlagartige Säkularisierung der Chormusik dort. Alle Armenkonzerte mit gemischter Chormusik bis 1860 werden dann von der Singakademie bestritten und die aufgeführte Chormusik gehört – abgesehen von zwei ge- mischten Programmen 1849 – immer zur Sparte der weltlichen Kompositionen. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Die Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds unterscheiden sich in ihrem Repertoire von Beginn an weniger von den Abonnementkonzerten im Gewandhaus. Zwar ist auch diese Konzertreihe zunächst lose an die Karwoche oder die Adventszeit gebunden und aus diesem Grund reich an geistlicher Vokalmusik, jedoch erfolgen die Ausnahmen von dieser Regel hier früher und öfter. Die Übersicht zeigt, dass auch im Bereich der Mu- sik für gemischten Chor eher und häufiger weltliche Werke zur Aufführung kommen – darunter fällt im Übrigen die Leipziger Erstaufführung vonBeethovens Chorfantasie am 3. April 1814. Die bei den Armenkonzerten zu beobachtende Tendenz zur Säkularisierung ist hier ebenfalls ausgeprägt und fällt gleichermaßen zusammen mit dem Beginn der Ge- wandhaus-Phase der Singakademie. Abgesehen von der großen Elias-Erstaufführung am 3. Februar 1848 wird in den Pensionsfonds-Konzerten keine geistliche Chormusik mehr gesungen. Wie bei den Armenkonzerten lässt sich hier ebenfalls konstatieren, dass in der Gewandhaus-Phase die Singakademie kein Pensionsfonds-Konzert auslässt, also in beiden 168 Konzertreihen gemeinsam mit den Paulinern und den Thomanern eine feste Größe ist.

6.4 Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts

Neben den Gelegenheitsauftritten und zusätzlich zu den beiden Benefizkonzertreihen des Gewandhauses ist im Wirken der Leipziger Singakademie noch eine weitere Konzertse- rie von Bedeutung: die sogenannten Karfreitagskonzerte. Anders als die Benefizkonzerte des Gewandhauses sind die Konzerte am Karfreitag immer strikt auf geistliche Chorwerke beschränkt. Sie bieten dem Anlass entsprechend vor allem Passions-Oratorien, aber auch Requiems und Psalmen. Zur Geschichte der Leipziger Karfreitagskonzerte liegt eine aus- führliche Artikelserie von Maria Hübner im Gewandhaus-Magazin vor.403 Im Lichte der hier vorgelegten Repertoirestatistik können ihre Ausführungen in einigen Details ergänzt und korrigiert werden. Die Leipziger Karfreitagskonzerte sind laut Hübner als Alternative zur städtischen Kir- chenmusik zu verstehen:

[D]ie regulären Passionsmusiken, wie seit 1766 üblich, [ fanden] am Palmsonntag und am Karfreitag in den beiden Hauptkirchen St. Nikolai und St. Thomas statt. […] Während für die Konzertaufführungen [des Gewandhauses] wohl bald ein größerer Kreis von Musikern zur Verfügung stand, wurde die Kirchenmusik traditionell mit dem kleiner besetzten Kirchenorchester […] ausgeführt […]. Auch der Gesang der

403 Es spielen für diese Arbeit nur die ersten fünf Teile der Artikelserie eine Rolle: Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«; Maria Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 2]«, in: Gewandhaus- Magazin (Sommer 2004), S. 36–39; Dies., »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 3]«, in: Gewandhaus-Ma- gazin (Winter 2004/05), S. 52–54; Dies., »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 4]«, in: Gewandhaus-Maga- zin (Frühjahr 2005), S. 44–47; Dies., »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 5]«, in: Gewandhaus-Magazin (Winter 2005/06), S. 42–45. Die Reihe hat insgesamt sieben Teile. Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts

etwa 55 Thomaner entsprach immer weniger dem zunehmenden Klangideal der Tonfülle.404

In Konkurrenz hierzu begründet der Gewandhauskapellmeister, Universitätsmusikdirektor und Singakademiedirektor Christian August Pohlenz, der diese Ämter in Personalunion seit 1827 innehat, die Karfreitagskonzerte in der Universitätskirche. Laut Hübner geschieht dies »um 1830«; die Liste der »Passionsmusiken am Karfreitag in der Universitätskirche St. Pauli«, die Hübner zusammenstellt, beginnt mit der Aufführung von Friedrich Schnei- ders Oratorium Pharao am 17. April 1829.405 In der Zusammenschau mit der inzwischen von Bert Hagels vorgelegten Statistik Konzerte in Leipzig 1779/80–1847/48 lässt sich die Reihe aber noch weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen. Schon ab 1825 nämlich bringt Poh- lenz mit dem von ihm 1819 gegründeten Musikverein406 am Karfreitag zur Passions- und Osterthematik passende Musikwerke zur Aufführung, und zwar immer in der Universitäts- 169 kirche (nur für 1825 ist der Ort nicht überliefert):407

1. April 1825: Johann Gottfried Schicht: Oratorium Das Ende des Gerechten 24. März 1826: Jacobus Gallus: Motette »Ecce quomodo moritur«; Wolfgang Amadeus Mo- zart: Requiem 13. April 1827: Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem; Josef Eybler: Krönungsmesse 4. April 1828: Sigismund von Neukomm: Kantate Der Ostermorgen; Josef Elsner: Requiem

Auch die von Hübner für Karfreitag 1829 angeführte Pharao-Aufführung ist eine Produk- tion mit dem Musikverein. Im darauffolgenden Jahr – der Musikverein besteht 1830 vermutlich nicht mehr – bedient sich Pohlenz erstmals der Singakademie bei einem Karfreitagskonzert. Die folgende Übersicht ist nach den gleichen Prinzipien wie die obigen Übersichten zu den Armen- und Pensionsfondskonzerten aufgebaut: Sie enthält alle Karfreitagskonzerte, an denen die Singakademie nachweislich beteiligt ist, sowie zusätzlich die Karfreitagskonzerte, bei denen ›Dilettanten‹ mitwirken. Bis einschließlich 1853 finden die Karfreitagskonzerte in der Universitätskirche statt, ab 1854 wechseln sie in die Thomaskirche. Wieder sind nicht nur die Konzerte innerhalb der hier vorrangig besprochenen zweiten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie aufgeführt, sondern auch alle späteren Karfreitagskonzerte, an denen die Singakademie beteiligt ist. Die Grenzen zwischen den Phasen sind mit doppel- ten Strichen markiert. Nicht enthalten sind die Konzerte der Leipziger Singakademie am 2.4.1915 und am 11.4.1952, die zwar auf einen Karfreitag fallen, aber keine direkte Beziehung zur hier dargestellten Tradition der Leipziger Karfreitagskonzerte haben.

404 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, S. 40. Vgl. Langner, Der Gewandhauschor, S. 26. 405 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, S. 40. Auch laut Langner, Der Gewandhauschor, S. 26, wurden die Karfreitagskonzerte 1830 gegründet, eine Aussage, die sich im Licht der folgenden Darstel- lungen nicht mehr halten lässt. 406 Zum Musikverein, der bis ca. 1830 bestand, siehe Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 85–88. 407 S. 758, 774, 790 u. 799 in dem Pdf-Dokument auf der CD-ROM zu Hagels, Konzerte in Leipzig. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

Tabelle 10: Karfreitagskonzerte mit der Leipziger Singakademie oder ›Dilettanten‹

9.4.1830 LSA (Pohlenz) Georg Friedrich Händel: Oratorium Samson 1.4.1831 LSA (Pohlenz) Johann Gottfried Schicht: Oratorium Das Ende des Gerechten 5.4.1833 LSA, Thomaner (Pohlenz) Georg Friedrich Händel: Oratorium Samson 28.3.1834 LSA, Thomaner (Pohlenz) Ludwig van Beethoven: Oratorium Christus am Öl- berg; »Kyrie« und »Gloria« aus der Missa solemnis 17.4.1835 LSA, Thomaner (Pohlenz) Johann Gottfried Schicht: Oratorium Das Ende des Gerechten 1.4.1836 LSA, Thomaner, Georg Friedrich Händel: Oratorium Die Empfin­ GWH-Orch (Pohlenz) dungen am Grabe Jesu Wolfgang Amadeus Mozart: Oratorium Davidde penitente 170 24.3.1837 »Dasselbe Orchesterperso- Sigismund von Neukomm: Oratorium Christi nal und die selben Sänger ­Grablegung [wie am 16.3.], an der Zahl Luigi Cherubini: Requiem Nr. 1 180« (Zitat AmZ), (Pohlenz) 13.4.1838 LSA (Pohlenz) Johann Gottlieb Naumann: Psalm in zwei Chören Das Vaterunser (»Um Erden wandeln Monde«) Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem 29.3.1839 Dilettanten, LSA, Georg Friedrich Händel: Oratorium Samson GWH-Orch (Pohlenz) 17.4.1840 Dilettanten, GWH-Orch Johann Gottlieb Naumann: Pilgergesang (»Le porte (Pohlenz) a noi diserra«) aus dem Oratorium I Pellegrini Friedrich Schneider: Oratorium Gethsemane und Golgatha 9.4.1841 Dilettanten, LSA, »die Luigi Cherubini: Missa solemnis ­besten Gesangkräfte unsers Joseph Haydn: Oratorium Die sieben letzten Worte Theaters« (Zitat NZfM) unseres Erlösers am Kreuze (Pohlenz) 25.3.1842 Dilettanten, LSA, GWH- Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 42. Psalm »Wie Orch (Pohlenz) der Hirsch schreit nach frischem Wasser« Wolfgang Amadeus Mozart: Oratorium Davidde penitente 14.4.1843 LSA (Mendelssohn springt Johann Gottfried Schicht: Oratorium Das Ende des als Dirigent für den verstor- Gerechten benen Pohlenz ein) 5.4.1844 Dilettanten, LSA, Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem Thomaner, GWH-Orch Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 42. Psalm »Wie (E. F. Richter) der Hirsch schreit nach frischem Wasser« 21.3.1845 Dilettanten, LSA, Ludwig van Beethoven: Missa solemnis (Leipziger Thomaner, GWH-Orch EA des vollständigen Werkes) (E. F. Richter) Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts

10.4.1846 Dilettanten, LSA, Ernst Friedrich Richter: Der 116. Psalm »Das ist mir GWH-Orch (E. F. Richter) lieb, dass der Herr meine Stimme« Luigi Cherubini: Requiem Nr. 1 2.4.1847 LSA (Mendelssohn) Felix Mendelssohn Bartholdy: Oratorium Paulus 21.4.1848 Dilettanten, LSA, Felix Mendelssohn Bartholdy: Oratorium Elias Thomaner, GWH-Orch (Rietz) 6.4.1849 LSA, Thomaner Georg Friedrich Händel: Oratorium Der Messias 29.3.1850 LSA, GWH-Orch Felix Mendelssohn Bartholdy: Oratorium Paulus 9.4.1852 LSA, Mitglieder anderer Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion Vereine, Thomaner, GWH-Orch (Rietz) 25.3.1853 Dilettanten, LSA, (Rietz) Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion 14.4.1854 LSA, Pauliner, Thomaner, Georg Friedrich Händel: Oratorium Israel in 171 GWH-Orch (Rietz) ­Ägypten 6.4.1855 Arion, Liedertafel, LSA, Georg Friedrich Händel: Oratorium Der Messias MGV, Orpheus, Pauliner, Thomaner (Rietz) 21.3.1856 Dilettanten, LSA, Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion Thomaner (Rietz) 10.4.1857 LSA (Rietz) Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion 2.4.1858 LSA (Rietz) Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion 22.4.1859 LSA (Rietz) Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion 6.4.1860 LSA, Mitglieder weiterer Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion Gesangvereine, Thomaner, GHW-Orch (David) 29.3.1861 LSA (Carl Reinecke) Felix Mendelssohn Bartholdy: Oratorium Paulus 14.4.1865 LSA, weitere Gesang­ Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion vereine, GWH-Orch ­(Reinecke)

Hübner stellt Daten, Orte und aufgeführte Werke bei den Karfreitagskonzerten bis in die jüngste Vergangenheit zusammen, ohne jedoch die ausführenden Chöre zu nennen. Inso- fern fungiert die obenstehende Tabelle als Ergänzung. Zum letzten Mal singt die Singaka- demie 1865 in einem Karfreitagskonzert. Thomanerchor und Gewandhausorchester führen noch heute am Karfreitag jährlich abwechselnd Bachs Matthäus- und Johannespassion in der Thomaskirche auf. Wenn bisher der Einfachheit halber von den Benefizkonzerten des Gewandhauses auf der einen Seite und dem Karfreitagskonzert als Veranstaltung des Universitätsmusikdirek- tors und Gewandhauskapellmeisters Pohlenz auf der anderen Seite die Rede war, so muss man ab Mitte der 1840er Jahre genauer differenzieren. Auch die Karfreitagskonzerte be- kommen zu diesem Zeitpunkt einen guten Zweck, der in Verbindung mit dem Gewand- Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

hausorchester steht: Ihre Erträge gehen an den Orchester-Witwenfonds. Wie der Name schon sagt, sammelt dieser Fonds Geld, um Hinterbliebene von verstorbenen Orchester- mitgliedern zu unterstützen. »Im Gegensatz zum Orchester-Pensionsfonds, der im Laufe der Jahre einen offiziellen Status bei der Gewandhaus-Konzertdirektion erlangte, wurde der Orchester-Witwenfonds als rein private Unternehmung betrachtet.«408 Offiziell wird dieser Fonds erst am 1. Januar 1846 gegründet,409 jedoch ist die Idee dazu schon älter. Das erste Karfreitagskonzert, dessen »Ertrag zur Errichtung einer Unterstützungscasse für die Witt- wen [sic] der Orchestermitglieder bestimmt war«,410 findet am 5. April 1844 statt. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Tod von Pohlenz schon über ein Jahr zurück und Ernst Friedrich Rich- ter hat die Leitung der Singakademie und den Posten des Universitätsmusikdirektors von ihm übernommen. Im darauffolgenden Jahr, immer noch neun Monate vor der offiziellen Gründung des Fonds, spricht die Allgemeine musikalische Zeitung schon von einer Auffüh- rung »zum Besten des Orchester-Wittwen-Fonds«.411 Auch wenn in den vorhandenen Über- 172 lieferungen zu den einzelnen Karfreitagskonzerten der Folgezeit – und damit auch in der Konzert-Übersicht im Anhang – nicht immer der Zweck vermerkt ist, so ist doch davon auszugehen, dass die Einnahmen aller Karfreitagskonzerte mit der Singakademie seit 1844 an den Orchester-Witwenfonds gehen. Insofern reihen sich die Karfreitagskonzerte in die anderen regelmäßigen Konzerte mit der Singakademie ein, deren Zweck darin besteht, so- ziale und kulturelle Wohltätigkeit zu verbinden. Von 1830 bis einschließlich 1861 ist die Singakademie, von drei Ausnahmen abgesehen, an jedem Karfreitagskonzert beteiligt. Die Ausnahmen betreffen die Jahre 1837, 1840 und 1851: 1. Beim Bericht zum Karfreitagskonzert 1837 bezieht sich die Allgemeine musikalische Zeitung auf die umjubelte Leipziger Erstaufführung von Mendelssohns Oratorium Paulus, die eine Woche zuvor, am 16. März 1837, in der Universitätskirche stattgefunden hat. Sie schreibt, dass am Karfreitag »[d]asselbe Orchesterpersonal und die selben Sänger [wie am 16.3.], an der Zahl 180«412 dort gesungen hätten. Im Bericht über jenes Konzert vom 16. März wiede- rum heißt es zur Besetzung: »Wohl 300 meist jugendliche Stimmen unserer städtischen Sänger und Sängerinnen […]; die tüchtigsten unserer Dilettanten«413 – eine Formulierung, die eine Beteiligung der damals 28 Singakademie-Mitglieder nahelegt, aber nicht beweist. 2. Im Jahr 1840 ist, anders als bei den vorhergehenden und darauffolgenden Karfreitags- konzerten unter Pohlenz nicht genau überliefert, wer die Chöre singt. Im Bericht der Allgemeinen musikalischen Zeitung findet sich nur die übliche Formulierung, dass »hiesige Künstler[,] eine grosse Anzahl geübter Dilettanten und unser Orchester mitwirkten«.414

408 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, S. 41. 409 Ebd. 410 AmZ 46 (1844), Sp. 309. Langner datiert ungenau: »Seit 1845/46 floß der Erlös der Konzerte in den neugegründeten Orchester-Witwenfond [sic].« (Langner, Der Gewandhauschor, S. 26.) 411 AmZ 47 (1845), Sp. 271. 412 AmZ 39 (1837), Sp. 225. 413 Ebd., Sp. 209. 414 AmZ 42 (1840), Sp. 371. Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts

3. Für die Aufführung von Mozarts Requiem und Beethovens C-Dur-Messe am Karfreitag, den 18. April 1851, ist die Chorbesetzung ebenfalls unklar. Die Neue Zeitschrift für Musik urteilt zwar: »Sehr gut gingen im Requiem und in der Messe die Chöre […].«415 Wer aber die Chöre sang, bleibt unerwähnt.

Für die Jahre 1832 und 1833 kann Hübner keine Karfreitagsaufführungen nachweisen,416 jedoch lässt sich diese Lücke schließen: In einem Rückblick auf die Zeit seit dem Ende der Leipziger Gewandhaus-Saison 1831/32 schreibt der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung: »Nicht minder wurde das von unserm Musikdirector Hrn. Pohlenz in der Univer- sitätskirche veranstaltete, meist von der Singakademie und mehren [sic] geehrten Dilettan- ten sehr schön gesungene geistliche Concert mit Freuden aufgenommen und zahlreich be- sucht.«417 Die Rezension hatte mit dem Bericht über das Gewandhauskonzert vom 12. April 1832 begonnen, Karfreitag fiel in diesem Jahr auf den 20. April. Da das aufgeführte Werk, 173 Haydns Schöpfung, nicht zur Passionsthematik passt, wird das Konzert wohl irgendwann nach dem 20. April stattgefunden haben. Die Formulierung in dem Bericht ist zwar un- genau, lässt aber im Kontext doch auf die Reihe der Karfreitagskonzerte schließen. Weitere Quellen liegen zu diesem Konzert allerdings nicht vor.418 Das zweite von Hübner vermisste Konzert ist problemlos nachzuweisen, es findet ganz regulär am Karfreitag 1833 in der Uni- versitätskirche statt, die Singakademie und die Thomaner singen Händels Samson. Es lässt sich festhalten: Die Beteiligung der Singakademie an den Karfreitagskonzer- ten ist über drei Jahrzehnte nahezu lückenlos. Sie fällt zusammen mit den Amtszeiten der Singakademie-Musikdirektoren Pohlenz, Richter, Rietz und David und endet gleichzeitig mit der Gewandhaus-Phase der Singakademie. Während der Gewandhaus-Phase ist Julius Rietz der reguläre Dirigent der Karfreitagskonzerte; das betrifft auch die Jahre 1852 bis 1854, in denen nicht er, sondern Ferdinand David Singakademie-Musikdirektor ist. David kommt erst 1860 zum Zuge, im Jahr nach Rietz’ Weggang aus Leipzig. Zwei Karfreitagskonzerte mit der Singakademie werden von Felix Mendelssohn Bartholdy geleitet: Einmal springt er für den verstorbenen Pohlenz ein (1843), einmal leitet er die Aufführung des von ihm selbst komponierten Oratoriums Paulus (1847), zehn Jahre nach der Leipziger Erstauffüh- rung. Das vorletzte Karfreitagskonzert mit der Singakademie wird 1861 vom eben ernannten Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke dirigiert. Erst im weiteren Jahresverlauf folgt der Bruch zwischen Singakademie und Gewandhaus, so dass bei den folgenden Karfreitagskon- zerten die Singakademie nicht mehr mit von der Partie ist. Nur 1865 tritt sie zusammen mit anderen Leipziger Gesangvereinen ein letztes Mal im Karfreitagskonzert auf. Wie bei den anderen Konzertgelegenheiten in der zweiten Phase, kooperiert die Sing- akademie auch bei den Karfreitagskonzerten regelmäßig mit weiteren Chören. Hübner

415 NZfM 34 (1851/1), S. 180. 416 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 1]«, S. 40. 417 AmZ 34 (1832), Sp. 429. 418 Vgl. S. 856–857 in dem Pdf-Dokument auf der CD-ROM zu Hagels, Konzerte in Leipzig. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

schreibt: »Zu den Mitwirkenden gehörten eine aus mehreren Chören und Gesangvereinen sowie den Thomanern bestehende Chorvereinigung, die Mitglieder des Gewandhausor- chesters und wahrscheinlich weitere Musiker.«419 Dass für eine ganze Reihe von Karfrei- tagskonzerten nur die Mitwirkung der Singakademie belegt ist, darf nicht zu dem Fehl- schluss verleiten, dass tatsächlich nur Singakademie-Mitglieder dort singen. Am häufigsten finden sich Hinweise auf Verstärkung durch den Thomanerchor, mehrfach auch auf nicht namentlich genannte andere Gesangvereine und vor allem auf die ominösen ›Dilettanten‹. Nur die Besetzung des Karfreitagskonzerts von 1855 ist ausnahmsweise genau bekannt: Es singt »die S.-A. im Verein mit den Paulinern, den Thomanern, dem Männer-Gesangverein, dem Orpheus, dem Arion [und] der Leipziger Liedertafel«420 Händels Messias. Es steht zu vermuten, ist aber im Einzelfall schwer zu belegen, dass Kooperationen der genannten Ver- eine zu den großdimensionierten Karfreitags-Aufführungen vor allem in den 1850er Jahren üblich sind. Auf die Frage, wer sich hinter den ›Dilettanten‹ verbirgt, wird am Beispiel der 174 Gewandhaus-Abonnementkonzerte noch einmal zurückzukommen sein.421 Karfreitags-Passionskonzerte außerhalb des Gottesdienstes sind im Übrigen keine Leipziger Spezialität. Schon Ende des 18. Jahrhunderts hat sich in der Singakademie zu Ber- lin beispielsweise die regelmäßige Aufführung von Grauns Der Tod Jesu etabliert.422 Bereits 1803 schreibt der Berliner Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung über ein Konzert am Karfreitag: »Der Inhalt war wie gewöhnlich der Tod Jesu von Ramler und Graun.«423 Von 1801 bis 1858 bestimmt das Werk »fast ausnahmslos«424 die Passionsaufführungen der Sing- akademie zu Berlin und auch anderer Berliner Chorvereine, danach wird es zeitweise durch Bachs Matthäuspassion abgelöst, bevor es von 1866 bis 1884 die Karfreitagsaufführungen der Singakademie zu Berlin erneut dominiert. In anderen Städten steigt die Anzahl der von Gesangvereinen ausgeführten Karfrei- tagskonzerte mit der Zeit im gleichen Maße wie diese Gesangvereine sich verbreiten. Drei Stichproben anhand von Zeitschriftenberichten belegen diese Entwicklung: Im Jahr des ersten Leipziger Karfreitagskonzerts von Pohlenz’ Musikverein, 1825, berichtet die Allgemeine musikalische Zeitung nur von zwei weiteren Karfreitagskonzerten: Neben dem schon obliga- torischen Tod Jesu in der Singakademie zu Berlin bringt in Bremen die dortige Singakade- mie unter Wilhelm Friedrich Riem das Requiem von Abt Vogler zur Aufführung.425 Zwanzig Jahre später, 1845, als Beethovens Missa solemnis ihre erste vollständige Aufführung im Karfreitagskonzert in Leipzig erlebt, ist die Anzahl derartiger Aufführungen, von denen die Zeitungen außerdem berichten, schon angestiegen: In Meißen erklingt Schichts Das

419 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 2]«, S. 37. 420 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 15. 421 Siehe Kapitel 7.2: Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹. 422 Erste Aufführung der Kantate Der Tod Jesu durch die Singakademie zu Berlin gegen Ostern 1796, vgl. Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 32. 423 AmZ 5 (1803), Sp. 554. 424 Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin, S. 51. 425 AmZ (1825), Sp. 313 u. 512. Karfreitagskonzerte – in Leipzig und andernorts

Ende des Gerechten, in Leisnig eine Kantate von Carl Ferdinand Adam, in Coburg Grauns Tod Jesu, in Danzig Teile von Grauns Tod Jesu und Händels Messias, in Kassel Spohrs Des Heilands letzte Stunden.426 Auch die Singakademie zu Berlin singt noch immer den Tod Jesu, in diesem Jahr jedoch am Ostersamstag.427 Weitere zwanzig Jahre später, 1865, ist die An- zahl der in der überregionalen Musikpresse besprochenen Karfreitagskonzerte noch einmal größer geworden. In Leipzig beteiligt sich die Singakademie in jenem Jahr zum letzten Mal an einem Karfreitagskonzert (Matthäuspassion). Weitere Karfreitagskonzerten sind bekannt aus Karlsruhe (Matthäuspassion), aus dem schweizerischen Zofingen (Stabat Mater von Emanuele d’Astorga), aus (Matthäuspassion), Meißen (Das Weltgericht), Salz- burg (Händels Empfindungen am Grabe Jesu), Breslau (Tod Jesu), Bremen (Matthäuspassion) und Frankfurt a. M. (Matthäuspassion).428 Diese – mit Sicherheit nicht vollständige – Zusammenstellung von Karfreitags-Auf- führungen durch Gesangvereine im deutschsprachigen Raum429 weist nicht nur auf einen 175 einen stetigen Anstieg hin (1825: 3 Konzerte; 1845: 6; 1865: 9), sondern auch auf die Zu- spitzung auf ein Werk: Bachs Matthäuspassion. Die ›Wiederentdeckung‹ des Bach’schen Oratoriums beginnt 1829 mit der Aufführung in der Berliner Singakademie unter Felix Mendelssohn Bartholdy, im Laufe der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 19. Jahr- hunderts wird es im Zuge der allgemein einsetzenden vermehrten Bach-Rezeption immer öfter aufgeführt und macht den anderen typischen Karfreitagswerken Konkurrenz. Vieler- orts wird die Matthäuspassion kanonisiert und jährlich wiederkehrend aufgeführt, in Leipzig mit nur wenigen Unterbrechungen seit 1852. Ausgerechnet in Berlin dauert es wesentlich länger, bis sie sich gegen die enorm erfolgreiche Graun-Kantate Der Tod Jesu durchsetzen kann. Symptomatisch hierfür ist die Klage der Berliner Musikzeitung Echo, die die Neue Zeitschrift für Musik 1865 zitiert:

Unsere Gesangvereine scheinen durch die vielfachen Aufführungen von Grauns ›Tod Jesu‹ uns mit Gewalt die Ueberzeugung beibringen zu wollen, mit wie wenig Recht diese Cantate noch neben der Bach’schen ›Passion‹ besteht. Wir wünschen von Herzen, daß es ihnen gelingen möge. Von den fünf Aufführung innerhalb weniger Tage (!) hörten wir die des Schneiderschen Vereins und wir versprechen, es nie mehr ohne Noth zu thun. Diese abgeblaßten Theatereffecte sind doch gar zu

426 NZfM 22 (1845/1), S. 124, 144, 196; NZfM 23 (1845/2), S. 44; AmZ 47 (1845), Sp. 505. 427 NZfM 22 (1845/1), S. 112. 428 AmZ NF 3 (1865), Sp. 137, 239, 302, 303, 349, 396, 427. 429 Dass die Vorstellung von einem einheitlichen ›deutschsprachigen‹ Gebiet besonders in den Randlagen der wirklichen sprachlichen Vielfalt nicht gerecht wird und dass nationalstaatliche Territorien mitunter ebenso unzureichend sind, die Beschreibung kultureller Prozesse einzugrenzen, darauf weist z. B. Grotjahn, Die Sinfonie im deutschen Kulturgebiet, S. 31–38, hin. Sie entscheidet sich angesichts dessen dafür, von einem ›deutschen Kulturgebiet‹ zu sprechen, dessen räumliche Grenzen allerdings ebenfalls unklar bleiben (vgl. ebd., S. 38). Bei hier genannten Städten wie Danzig, Breslau und Zofingen, deren Zuordnung zum ›deutschsprachigen Raum‹ auf den ersten Blick fraglich erscheint, wäre die Zugehörig- keit zu einem ›deutschen Kulturraum‹ zu diskutieren. Zweite Phase: Die Leipziger Singakademie als unabhängiger Verein (1818–1847)

dürftig und verbraucht, als daß sie nicht in ein widerwärtiges Mißverhältniß zu der Gewalt treten müssen, mit der uns die große Heilsthat immer und immer wieder ergreift.430

Erst mehr als zehn Jahre nach der ersten Leipziger Aufführung der Matthäuspassion im 19. Jahrhundert am 4. April 1841 unter Mendelssohn431 wird sie zum Standardwerk der Leip- ziger Karfreitagskonzerte. Die ersten Karfreitags-Aufführungen der Matthäuspassion diri- giert ab 1852 Julius Rietz. Hübner berichtet, dass er sich unter anderem deshalb besonders für das Werk engagiert, weil er als Cellist an der Berliner Aufführung von 1829 beteiligt war. Als Mitglied der Bach-Gesellschaft gibt Rietz außerdem mehrere Werke Bachs heraus, dar- unter die Matthäuspassion. Das Repertoire, das mit der Kanonisierung der Matthäuspassion aus den Leipziger Karfreitagskonzerten verdrängt wird, war durchaus abwechslungsreich: Im Wesentlichen bestand es aus Werken Händels (Samson, Empfindungen am Grabe Jesu, 176 Israel in Ägypten, Messias), Schichts (Das Ende des Gerechten), Beethovens (Christus am Öl- berg, Missa solemnis), Mozarts (Davidde penitente, Requiem), Schneiders (Gethsemane und Golgatha) und Cherubinis (Requiem und Missa solemnis). Ab 1847 waren auch Mendels- sohns Oratorien Paulus und Elias dazugekommen.

430 NZfM 32 (1865), S. 165. 431 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 2]«, S. 36. 7 Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Langer berichtet in seiner Chronik der Leipziger Singakademie, dass am 29. November 1847 erstmals eine Anfrage der Gewandhaus-Konzertdirektion bei der Singakademie eingegan- gen sei, ob der Verein in einem Abonnementkonzert die Chorpartie übernehmen könne. Die anschließende Aufführung vonMendelssohns Erster Walpurgisnacht sei zufriedenstel- lend gewesen. »Von nun an bildet sich ein lange Zeit anhaltendes gutes Verhältniss [sic] zwischen der S.-A. und der ›Concert-Direction‹.«432 Zweifellos ist das Verhältnis zwischen Konzertdirektion und Singakademie auch vorher schon ein gutes gewesen, wie die perso- 177 nellen Verknüpfungen und die regelmäßige Teilnahme der Akademie an den Konzerten zum Besten der Armen und des Orchesterpensionsfonds belegen. Die Neuigkeit, die Lan- ger hier benennt, besteht darin, dass die Singakademie von Ende 1847 auch in den regulä- ren Abonnementkonzerten des Gewandhauses regelmäßig mitwirkt. Eigentlich beginnt die Serie der Abonnementkonzerte mit der Singakademie schon einen Monat früher, nämlich am 11. November 1847, als das Konzert dem gerade verstorbenen Felix Mendelssohn Bar- tholdy gewidmet ist und nur Werke dieses Komponisten enthält. Schon hier wird der Chor von ›Dilettanten‹, Paulinern und der Singakademie gestellt. Zwar hat die Singakademie schon früher in Gewandhaus-Abonnementkonzerten mitgesungen – am 14. Februar 1832, am 20. März 1834 und am 3. Dezember 1846 –, aber das sind immer Ausnahmen gewesen. Ab Ende 1847 hingegen wird der Auftritt der Singakademie dort zum Normalfall. Mit den beiden Konzerten im November und Dezember 1847 beginnt eine Reihe von Konzerten im Gewandhaus mit der Singakademie, die bis 1861 andauert. Das ›gute Ver- hältnis‹ zur Konzertdirektion ist in dieser dritten Phase der Geschichte der Leipziger Sing- akademie wesentlich von zwei Personen getragen, nämlich den musikalischen Leitern der Singakademie Julius Rietz und Ferdinand David. Rietz lässt sich 1847 zunächst als Theater- kapellmeister in Leipzig nieder, übernimmt Anfang 1848 die Leitung der Singakademie und im Herbst desselben Jahres das Kapellmeisteramt am Gewandhaus. Ende 1851 gibt er die Leitung der Singakademie an den Konzertmeister des Gewandhauses Ferdinand David ab. David vertritt ihn sowohl hier als auch am Gewandhaus bis September 1854. Dann über- nimmt Rietz beide Posten erneut und behält sie, bis er 1860 nach Dresden wechselt. Wäh- rend der Gewandhaus-Phase wird die Singakademie also, verallgemeinernd gesprochen, wieder permanent vom Gewandhauskapellmeister geleitet. Das war in der unmittelbar vor- angehenden Zeit unter Ernst Friedrich Richter nicht der Fall, wohl aber bei dessen Vorgän- gern Johann Gottfried Schicht (zeitweise), Johann Philipp Christian Schulz und Christian

432 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 22. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

August Pohlenz (permanent). Nach dieser dritten Phase wird es, abgesehen von einem kur- zen Intermezzo 1879 unter Carl Reinecke, die Personalunion von Singakademie-Musikdi- rektor und Gewandhauskapellmeister nicht mehr geben. Für die Singakademie sind diese rund 14 Jahre von Ende 1847 bis Herbst 1861 in meh- rerer Hinsicht extrem. Sowohl die Mitgliederzahlen als auch die Zahl der Auftritte pro Jahr erreichen bis dahin nicht gekannte Höchststände. Im Durchschnitt liegt der Mitglieder- stand jetzt bei über 110 Personen, während er in der vorhergehenden Phase bei rund 50 ge- legen hatte. Die Auftrittsfrequenz steigt schlagartig von bisher durchschnittlich unter zwei auf nun mehr als sechs Auftritte pro Jahr. Auch der Charakter des Repertoires ändert sich gravierend. Während der satzungsgemäße Hauptzweck nach wie vor die Übung im ernsten Gesang ist, nimmt nicht-kirchliche Vokalmusik jetzt einen mindestens ebenso großen Um- fang ein. 178 7.1 Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847

Wer aber sang vor der Singakademie die Chorpartien in den Gewandhaus-Abonnement- konzerten? Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war die Frage der Chorbesetzung im Gro- ßen Konzert, in der Musikübenden Gesellschaft und im Gewandhaus durch verschiedene Konstellationen gelöst, die aber – mit einer Ausnahme – immer auf Männer- und Knaben- gesang hinausliefen:433 Gerber bezeugt für 1765 den Einsatz des Thomanerchors im Gro- ßen Konzert. Für Hillers Musikübende Gesellschaft, die zwischen 1778 und 1781 öffentliche Abonnementkonzerte anbietet, ist der Einsatz eines gemischten Chores aus Hillers Sing- schule belegt. Bei der Eröffnung des Gewandhauses 1781 werden allerdings 12 männliche Chorsänger angestellt. Der Gewandhauskapellmeister Johann Gottfried Schicht richtet 1785 einen aus Knaben und Männern bestehenden Chor für die Musik im Gewandhaus und in der Neukirche ein, welcher bis 1810 besteht, aber schon 1805 von Thomasschülern verstärkt werden muss. Vom Beginn der vorliegenden Quellen bis zur Gründung des Gewandhauschores 1861 sind die Thomaner derjenige Chor, dessen Zusammenarbeit mit dem Großen Konzert/Ge- wandhaus am dauerhaftesten ist. Die anderen Kooperationen, da ist die Singakademie nicht ausgenommen, halten oft nur über einige Jahre oder Jahrzehnte, während der Thomaner- chor wieder und wieder als Chor für die Gewandhauskonzerte herangezogen wird. Diese Praxis setzt sich auch in den Jahren zwischen der Gründung der Singakademie und dem Beginn der festen Zusammenarbeit zwischen Gewandhaus und Singakademie fort. Der Singechor Schichts für Gewandhaus und Neukirche existiert, wie gesagt, bis 1810. Danach springt offenbar aufs Neue der Thomanerchor ein. Das lässt sich einer Zusammen-

433 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 2.1: Das Große Konzert, Hillers Singschule, die Musikübende Gesell- schaft und das Gewandhaus vor 1802. Chorpraxis in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten vor 1847 stellung des Personals der Gewandhauskonzerte in der Konzertsaison 1812/13 entnehmen, die in der Allgemeinen musikalischen Zeitung erscheint. Dort heißt es unter anderem: »Die Chöre werden durch 52 Thomaner besetzt. Bey besonderen Gelegenheiten werden diese, und auch die Bogeninstrumente, noch verstärkt.«434 Im Februar 1817 bestätigt ein Rezensent diese Pra- xis, wird aber deutlicher in Bezug auf die Verstärkung bei ›besonderen Gelegenheiten‹:

Die Chöre [in den Gewandhauskonzerten] werden, wie sonst, von einer Auswahl geschickter, tüchtiger Thomaner stets gut; bey besonderen Gelegenheiten wol [sic] aber auch von den beyden hiesigen Singvereinen, besetzt, die, unter den Herren Musikdirectoren, Friedr. Schneider und Christ. Schulz, jetzt ohngefähr anderthalb- hundert Mitglieder zählen, und in höherer Ausbildung, wie in Ernst und Beharr- lichkeit ihrer Uebungen, sich bewundernswerth hervorthun.435 179 Die ›besonderen Gelegenheiten‹, bei denen die Singakademien im Gewandhaus um 1817 auftreten, sind Extrakonzerte, Konzerte zum Besten der Armen und des Orchesterpensions- fonds. Die Chöre in den regulären allwinterlichen Abonnementkonzerten hingegen, darauf lassen die Zitate schließen, werden zu dieser Zeit allein vom Thomanerchor, bzw. einer Auswahl aus diesem Chor, getragen. Weitere Quellen bestätigen diese Praxis auch für spätere Jahre. Eine der raren Aussagen über die Chorpraxis im Gewandhaus außerhalb der ›besonderen Gelegenheiten‹ druckt die Allgemeine musikalische Zeitung im Dezember 1834 in einer ohne Autorenangabe erschie- nenen »Musikalischen Topographie Leipzigs«. Dort heißt es zum Chor der Thomasschule: »24 der besten Individuen besorgen die Chöre des Abonnementconcerts.«436 Zwar hatte die Singakademie zu diesem Zeitpunkt schon zwei Mal in regulären Abonnementkonzerten gesungen (am 14. Februar 1832 und am 20. März 1834), aber der Normalfall ist offenbar nach wie vor die Gestaltung der Chorpartien durch den Thomanerchor. Sogar noch 1867, als die Kooperation zwischen Singakademie und Gewandhaus längst gescheitert ist und ein eigener Gewandhauschor zur Verfügung steht, heißt es in einem in den Signalen für die musikalische Welt erschienenen »Adressbuch für die musikalische Welt« über den Tho- manerchor: »Gegen Entgelt singt das Thomanerchor bei Begräbnissen, Trauungen etc., so wie es auch bei Choraufführungen im Gewandhaus mitwirkt.«437 Trotzdem wäre es zu kurz gegriffen, den Thomanerchor als einzigen Chor in den Abonnementkonzerten in der Zeit vor 1847 darzustellen.

434 AmZ 15 (1813), Sp. 455. 435 AmZ 19 (1817), Sp. 159. 436 AmZ 36 (1834), Sp. 853–856, hier Sp. 854. 437 Signale 25 (1867), S. 2–3 (und Fortsetzung in späteren Ausgaben), hier S. 3. Die Rubrik »Adressbuch für die musikalische Welt« in den Signalen ist eine Vorarbeit des Signale-Redakteurs Bartolf Senff für den im Jahr darauf als Buch erscheinenden Führer durch die musikalische Welt. Das aufgeführte Zitat über den Thomanerchor findet sich dort wortgleich wieder: BartholfSenff , Leipzig (Führer durch die musi- kalische Welt. Adreßbuch, Chronik und Statistik aller Städte von Bedeutung 1), Leipzig 1868, S. 4. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Zum einen weisen Langer und auch der spätere Singakademiedirektor Alfred Richter darauf hin, dass schon vor 1847 »sich vereinzelte Mitglieder der Singakademie an den Chor- aufführungen im Gewandhause beteiligt«438 haben. Es liegen allerdings keine zuverlässigen Belege vor, ob dies regelmäßig oder auf Basis einer offiziellen Übereinkunft geschieht. Zwar behauptet Wolfgang Langner mit Bezug auf die Zeit von 1827 bis 1847 ungefähr das Gegen- teil, indem der die Singakademie als Hauptchor des Gewandhauses und den Thomanerchor als Unterstützung darstellt.439 Diese Darstellung ist in ihrer Allgemeinheit aber falsch, sie ist bestenfalls für die Konzerte außerhalb des Abonnements zu vertreten, also für die Kon- zerte zum Besten der Armen und zum Besten des Orchesterpensionsfonds. Der Normalfall in der Zeit nach 1810 und vor 1847 ist, dass eine Auswahl aus Sängern des Thomanerchors die Chorpartien in allen Gewandhaus-Abonnementkonzerten übernimmt. Zum anderen werden in den 1840er Jahren auf Programmzetteln und in Zeitungs- rezensionen öfters ›Dilettanten‹ erwähnt, welche die Chöre in Abonnementkonzerten sin- 180 gen.440 Die Konzertübersicht im Anhang enthält für den Zeitraum von 1835 bis 1861 alle Abonnementkonzerte mit dem ›Dilettanten‹-Hinweis, die ausfindig gemacht werden konn- ten. Grundsätzlich ist es zum Verständnis wichtig, dass die Konzerte mit dem ›Dilettanten‹- Hinweis immer eine Abweichung vom Normalfall darstellen. In jeder Saison gibt es in den betreffenden Jahren eine handvoll Abonnementkonzerte mit Chormusik im Gewandhaus, aber nur bei wenigen davon ist der ›Dilettanten‹-Hinweis überliefert.441 Auch wenn man berücksichtigt, dass die Überlieferung lückenhaft und teils unzuverlässig ist, gibt es doch einen sichtbaren Unterschied in den betreffenden Programmen: Einen Hinweis auf mit- wirkende ›Dilettanten‹ enthalten nur solche Programme, in denen der Chor tatsächlich eine prominente Rolle spielt, also zum Beispiel in Mess- und Psalmvertonungen, Chorliedern und Kantaten, Chorsätzen aus Schauspielmusiken oder in berühmten Opernchören. Dem- gegenüber stehen Werke, in denen der Chor eine untergeordnete Funktion hat und nur sehr kurz zum Einsatz kommt, nämlich meist als Teil von Opern-Ausschnitten, bei deren Aufführung aber die Leistungen der Gesangssolisten im Vordergrund stehen. Im Sprach- gebrauch der Zeitgenossen handelt es sich hier um den Unterschied zwischen ›größeren‹ und ›kleineren‹ Chorauftritten, eine Differenzierung, die auch nach 1847 weiterhin eine Rolle spielt. Die Programme des Gewandhauses tragen bei ›kleineren‹ Chorauftritten in der Regel überhaupt keinen Hinweis auf die Ausführung der Chorpartien und es ist davon aus-

438 Alfred Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit. Erinnerungen eines Musikers, hrsg. von Doris Mun- dus, Leipzig 2004, S. 403. Vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 6. 439 »In den Jahren unter den späteren Leitern der Singakademie Christian August Pohlenz […] und Ernst Friedrich Richter […] sangen deren Mitglieder bei den Gewandhausaufführungen mit, wobei der Tho- manerchor eine wesentliche Stütze blieb.« (Langner, Der Gewandhauschor, S. 21.) 440 Vgl. Langner, Der Gewandhauschor, S. 21; Greiner, »Wer sang denn vorher im Gewandhaus?«, S. 50. Verschiedene gängige Formulierungen, in denen dieser ›Dilettanten‹-Hinweis auftaucht, wurden be- reits genannt, siehe Kapitel 5.1: Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen. 441 Vgl. etwa die Konzertsaison 1842/43: Von 20 Abonnementkonzerten enthalten sieben Chormusik, aber nur bei zweien tragen die Programmzettel den ›Dilettanten‹-Hinweis. (Böhm/Staps (Hrsg.), Statistik der Gewandhauskonzerte, S. 47–52.) Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹ zugehen, dass in diesen Fällen der Thomanerchor allein die Chöre singt. Nur bei ›größeren‹ Chorauftritten tauchen regelmäßig die Hinweise auf ›Dilettanten‹ und andere mitwirkende Gesangvereine auf.

7.2 Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹

Wer verbirgt sich nun hinter den ›Dilettanten‹ in den Abonnementkonzerten des Gewand- hauses? Erstmals findet sich der ›Dilettanten‹-Hinweis in Leipzig bei Konzerten außerhalb des Gewandhauses, nämlich in der Universitätskirche am 17. Mai 1835 und am 16. März 1837. Beim ersten dieser Konzerte weisen die Quellen neben den ›Dilettanten‹ auf die Singaka- demie und den Thomanerchor hin, geleitet von Pohlenz, beim zweiten sind es »[w]ohl 300 meist jugendliche Stimmen unserer städtischen Sänger und Sängerinnen […]; die tüchtigs- 181 ten unserer Dilettanten«,442 geleitet von Mendelssohn. In den außerhalb des Abonnements stattfindenden Benefizkonzerten im Gewandhaus tauchen die ›Dilettanten‹ nur sehr selten auf, nämlich im Armenkonzert am 2. April 1840 und in den Orchesterpensionsfonds-Kon- zerten am 3. Dezember 1840 und am 1. Februar 1848. Bei den Karfreitagskonzerten hin- gegen spielen sie schon ab 1839 immer wieder eine Rolle. Für ein Abonnementkonzert ist der ›Dilettanten‹-Hinweis erstmals am 21. März 1839 auf dem Programmzettel belegt, und zwar bei einer Aufführung mit Mendelssohns Ver- tonung des 42. Psalms und einem Auszug aus Haydns Jahreszeiten. In den Jahren darauf steigt die Häufigkeit dieser Hinweise bei Abonnementkonzerten leicht an: 1840 – 2, 1841 – 2, 1843 – 3, 1844 – 2, 1845 – 4, 1846 – 5, 1847 – 1, 1848 – 2. Danach setzt eine bis 1861 andau- ernde Lücke ein, die mit der Gewandhaus-Phase der Leipziger Singakademie korreliert. In der Zeit, in der die sehr mitgliederstarke Singakademie offiziell an den ›größeren‹ Chorauf- führungen beteiligt ist, werden weitere Choristen also nicht gebraucht. Manchmal steht der ›Dilettanten‹-Hinweis auf dem Programmzettel nicht alleine – es werden zum Beispiel auf dem Programmzettel zum 1. Januar 1848 ›Dilettanten‹ und der Thomanerchor genannt –, oft lässt er sich durch Hinweise aus anderen Quellen ergänzen. Zu vielen Konzerten ist mithin bekannt, dass dort Mitglieder bestimmter Chöre singen, die entweder durch ›Dilet- tanten‹ ergänzt werden oder mit diesen identisch sind. Bei mindestens einem Konzert (am 3. Dezember 1846) trägt der Programmzettel den üblichen unspezifischen ›Dilettanten‹- Hinweis,443 während aus einer Zeitungsrezension klar hervorgeht, dass die Singakademie dort mitwirkt.444

442 AmZ 39 (1837), Sp. 209. 443 »Die Ausführung der Chöre hat eine Anzahl kunstgebildeter Dilettanten in Verbindung mit dem Tho- manerchore gütigst übernommen.« (Böhm/Staps (Hrsg.), Statistik der Gewandhauskonzerte, S. 73.) 444 Vgl. Signale 4 (1846), S. 401–402. Außerdem verschweigen sowohl der Programmzettel als auch die Si- gnale-Rezension, dass im selben Konzert auch der Pauliner-Sängerverein beteiligt ist. (Vgl. Kötzschke, Geschichte der Universitäts-Sängerschaft zu St. Pauli, S. 110.) Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Neben dem Thomanerchor und der Singakademie taucht ein dritter Chor in diesem Zu- sammenhang immer wieder auf: der Universitätsgesangverein zu St. Pauli. Die Mitwirkung der Pauliner in einem Gewandhaus-Abonnementkonzert ist erstmals für den 10. Dezember 1840 nachgewiesen445 und entwickelt sich in den folgenden Jahren zu einer dauerhaften Institution. Es tauchen in der Konzertübersicht im Anhang, die alle aufgefundenen Quel- len kompiliert, bei den Abonnementkonzerten zwischen 1839 und 1848 folgende Kombi- nationen auf: ›Dilettanten‹ allein; ›Dilettanten‹ und Thomaner; ›Dilettanten‹ und Pauliner; ›Dilettanten‹, Thomaner und Pauliner; ›Dilettanten‹, Pauliner und Singakademie; ›Dilet- tanten‹, Thomaner, Pauliner und Singakademie. Aus dem Gesagten lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Unbestritten ist, dass es zwi- schen 1839 und 1848 in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses eine Phase gibt, in der die Chorpartien bestimmter ›größerer‹ Chorwerke nicht (nur) vom Thomanerchor, sondern von Mitgliedern verschiedener Leipziger Gesangvereine gesungen werden. Dafür 182 kommen neben der Singakademie und den Paulinern im Prinzip auch die Mitglieder fol- gender weiterer Gesangvereine in Frage, die zu dieser Zeit in Leipzig bestehen:446 –– Erste (Ältere) Leipziger Liedertafel (Männerchor, besteht 1815–1846) –– Orpheus (gemischter Chor, gegr. 1829) –– Zittauer Sängerverein (akademischer Sängerverein, gegr. in den 1830er Jahren, ver- schmilzt 1850 mit den Paulinern) –– Erster und Zweiter Zöllnerverein (Männerchöre, gegr. 1833 und 1840, schließen sich 1851 zum [Älteren] Zöllnerverein zusammen) –– Akademischer Gesangverein Philharmonie (gegr. ca. 1838, besteht bis in die 1850er Jahre) –– Zweite (Jüngere) Leipziger Liedertafel (gegr. 1838) –– Singakademie des Herrn Nehrlich (besteht nur kurzzeitig 1840) –– Schoch’scher Verein (gegr. 1842) und Quartettverein (gegr. 1843), beide Männerchöre schließen sich 1845 zum Verein Odeon zusammen, der sich seinerseits 1848 in ›Leipziger Liedertafel‹ umbenennt. –– Männergesangverein (gegr. 1843) –– Liederkranz (Männerchor, gegr. 1846) –– Ossian (gemischter Chor, gegr. ca. 1846/47) –– Germania (Männerchor, gegr. 1847)

Damit soll keinesfalls behauptet werden, dass alle diese Vereine ihre Mitglieder ins Ge- wandhaus entsandten, es soll lediglich der Rahmen der Möglichkeiten abgesteckt werden. Direkte Kooperationen der aufgeführten Vereine sind für spätere Jahre vereinzelt nachge- wiesen, nämlich zum Beispiel zwischen Liedertafel, Männergesangverein, Orpheus, den Thomanern, Paulinern und der Singakademie beim Karfreitagskonzert 1855 (hier wirkte

445 Vgl. ebd., S. 84. 446 Zusammengestellt anhand der Tabelle bei Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 108–114. Weitere Quellen zu den einzelnen Vereinen siehe dort. Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹ zusätzlich der erst 1849 gegründete akademische Gesangverein Arion mit) oder zwischen Männergesangverein, Orpheus, Ossian, Paulinern, einem Zöllnerverein, der Singakademie und dem 1854 gegründeten Riedelverein bei dessen Konzert am 19. Juli 1857. Es bleibt leider weitgehend der Spekulation überlassen, welche Personen sich im Ein- zelnen hinter den ›Dilettanten‹ verbergen, die in den Abonnementkonzerten und in den Benefizkonzerten des Gewandhauses sowie in den Karfreitagskonzerten um die Mitte des 19. Jahrhunderts mitsingen, in welchem Verhältnis sich hier die Mitglieder welcher Vereine mischen – und übrigens auch, wer die singenden ›Künstler‹ sind, die im gleichen Atem- zug mit den ›Dilettanten‹ oft genannt werden. Bei allen dahingehenden Überlegungen ist zu bedenken, dass im Gewandhaus maximal 84 Plätze für Chorsängerinnen und -sänger vorgesehen sind, dass also die Zahl der mitwirkenden Sänger dieses Maß nie überschreiten kann.447 Einen zufälligen, aber äußerst interessanten Einblick zur Frage, wer sich hinter den 183 ›Dilettanten‹ verbirgt, gibt ein Brief Felix Mendelssohn Bartholdys, der sich in der Staatsbib- liothek zu Berlin befindet.448 Er datiert auf Gründonnerstag, den 8. April 1841. Mendelssohn bittet darin die Adressaten, bei einem Privatkonzert am 10. April, also am Ostersamstag, mitzuwirken. Dort sollen unter anderem Mendelssohns Lobgesang und sein 114. Psalm auf- geführt werden. Auf das Anschreiben folgt eine Liste mit eigenhändigen Unterschriften von Sängerinnen und Sängern, die an der Aufführung teilnehmen möchten; manche er- gänzen noch »mit Vergnügen«, andere geben an, leider verhindert zu sein. Ein solcher Zirkularbrief kann in Anbetracht der kurzen Zeitspanne zwischen dem Verfassen und dem anvisierten Konzert nur auf einer Chorprobe beziehungsweise vor oder nach einem Auf- tritt herumgereicht worden sein. Diese Chorprobe oder dieser Auftritt wiederum steht mit Sicherheit mit dem Karfreitagskonzert am 9. April 1841 in Zusammenhang. Mendelssohn verfasst also den Brief und lässt ihn noch am selben Tag oder am Karfreitag vor oder nach dem Konzert unter den dort mitwirkenden Sängerinnen und Sängern zirkulieren. Höchst- wahrscheinlich enthält der Brief also die Namen derjenigen Personen, die beim Karfreitags- konzert im Chor singen. Die Neue Zeitschrift für Musik findet für die Mitwirkenden an diesem Karfreitagskonzert eine schmeichelnde Variante der ›Dilettanten‹-Floskel:

Die Ausführung beider Werke [Missa solemnis von Cherubini und Haydns Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze], bei welcher außer der vom Concert- geber [Pohlenz] geleiteten Singakademie, die besten Gesangkräfte unsers Theaters und einige Talente mitwirkten, die, obwohl der Oeffentlichkeit nicht, oder nicht

447 Vgl. Langner, Der Gewandhauschor, S. 25. 448 D-B, Handschriftenabteilung, Nachl. Familie Mendelssohn, Kasten 4,3, Bl. 103. Abgedruckt in Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 8: März 1841 bis August 1842, hrsg. von Susanne Tomko- viç u. a., Kassel etc. 2013, S. 69–70, Kommentar S. 509–510. Für den Hinweis auf diesen Brief und den Einblick in Transkription, Kommentar und Personenregister der Mendelssohn-Briefausgabe noch vor der Veröffentlichung danke ich Susanne Tomkoviç. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

mehr angehörend, durch künstlerische Bildung über den Dilettantismus hinaus, zu wirklicher Künstlerschaft sich erheben, war durchaus gelungen und der dar- gestellten Werke würdig.449

Die Zeitung für die elegante Welt schreibt übrigens zum selben Konzert: »Die würdige Aus- führung war denselben Kräften anvertraut, die wir neulich bei Gelegenheit der Bach’schen Passion namhaft machten.«450 Damit ist die berühmte erste Wiederaufführung der Mat- thäuspassion seit Bachs Zeiten in Leipzig am 4. April 1841 durch Mendelssohn gemeint.451 Es besteht also die Möglichkeit, dass das Chorpersonal bei allen drei Aufführungen – Mat- thäuspassion am Palmsonntag, Konzert am Karfreitag, Privatsoireé am Ostersamstag – im Wesentlichen das gleiche ist. Um die 73 Unterzeichnenden des Briefes besser einordnen zu können, ist es wün- schenswert herauszufinden, ob sie in einem Leipziger Gesangverein aktiv waren, und wenn 184 ja, in welchem. Zwar sind von den weiter oben genannten zu dieser Zeit in Leipzig be- stehenden Vereinen keine Mitgliederlisten bekannt, aber ein Abgleich mit den Sängerinnen und Sängern der Singakademie ist über Umwege möglich. Es liegt für die Singakademie leider kein Mitgliederverzeichnis aus dem Jahr 1841 vor. Die von Langer überlieferten Mit- gliederverzeichnisse von 1823 und 1848 dienen hier als Behelf.452 Die Personen, die den Brief unterschrieben haben, werden in der folgenden Liste un- abhängig davon aufgeführt, ob sie sich an der von Mendelssohn geplanten Privatauffüh- rung beteiligen wollen. Die Namen, die auf Mendelssohns Schreiben nach Damen und Herren getrennt stehen, werden neu in vier Gruppen zusammengefasst. Sie verteilen sich auf Singakademie-Mitglieder, professionelle Sängerinnen und Sänger sowie alle weiteren; unter letzteren lassen sich nochmals Personen ausmachen, die mit Singakademie-Mit- gliedern verwandt oder verschwägert sind. Fehlende Vornamen, wo sie zu eruieren waren, wurden ergänzt. Ergänzende Informationen aus dem Personenregister der Mendelssohn- Briefausgabe wurden herangezogen, um familiäre Beziehungen mancher ›Dilettanten‹ zur Leipziger Singakademie nachzuweisen und um die professionellen Sänger, die sich dar- unter ebenfalls befinden, zu identifizieren. Direkt hinter den Namen vermerkt wurden Hin- weise auf Singakademie-Mitgliedschaft in bestimmten Jahren, auf familiäre Beziehungen zu Singakademie-Mitgliedern und, bei den professionellen Sängerinnen und Sängern, auf ihre künstlerischen Laufbahnen. Mit Pfeilen markiert sind die Personen, zu denen es im Anhang Einträge im Mitgliederlexikon der Leipziger Singakademien von 1802 bis 1821 (↑),

449 NZfM 14 (1841/1), S. 134. 450 ZeW 41 (1841), S. 296. 451 Allerdings ist im eigentlichen Bericht über die Matthäuspassions-Aufführung vom 4. April 1841 in der Zeitung für die elegante Welt wieder nur allgemein die Rede von ausführenden »Dilettanten«. (ZeW 41 (1841), S. 288.) 452 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 17, 22–23. Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹ im Mitgliederlexikon des Jahres 1866 (↓) oder im Verzeichnis der musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie (↗) gibt.453

Singakademie-Mitglieder (19): Es sind die Jahre angegeben, in denen die Person als Sing- akademie-Mitglied geführt ist. –– Altendorff, Cäcilie: 1848; Ehefrau von ↓Julius Altendorff, Schwester von Carl Reclam (siehe unten) –– Carus, Ernst August: 1823?454; Ehemann von ↑Agnes Küster, Vater von Julius Victor Carus (siehe unten) –– Chryselius, Emilie (geb. ↑Wiese): 1812, 1814, 1815, 1848 –– Engelmann, Therese: 1848 –– Haase, Eduard: 1848; Sohn von ↑Juliana Emilie Haase, Bruder von Therese Haase (siehe unten), Onkel von ↓Antonie und ↓Julie Döring 185 –– ↓Härtel, Raymund: 1848, 1866 –– Küstner, Emma (geb. ↑Erckel): 1814 –– Langner, Marie: 1848?455 –– ↑Leplay, Henriette: 1812, 1823, 1848 etc., Ehrenmitglied 1867 –– ↑Limburger, Jacob Bernhard: 1802 etc., 1823 –– ↑Michler, Carl Christian: 1814, 1815 –– ↑Platzmann, Alexander: 1818?, 1823 –– Reclam, Carl: 1848; Bruder von Cäcilie Altendorff (siehe oben) –– ↗Richter, Ernst Friedrich: ab 1843 Direktor der Singakademie –– Schmidt, Therese: 1848 –– ↓Schrey, Carl: 1848, 1866 –– Stechl, Lidi: 1848456 –– Trefftz, Emil: 1848 –– ↓Weber, Theodor: 1848, 1866

Professionelle Sängerinnen und Sänger (6): –– Bünau, Henriette (geb. Grabau): Sopran, wirkt von 1826 bis 1839 in Gewandhauskonzer- ten als Solosängerin mit –– Frege, Livia: Sopran, Konzert- und Opernsängerin, Ehrenmitglied der Singakademie 1849 –– Gebhardt, Friedrich Wilhelm: Tenor, 1835 bis 1839 am Gewandhaus als Solosänger engagiert

453 Siehe Anhänge 12.2 (Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967), 12.3 (Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821) und 12.4 (Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866). 454 In der Singakademie-Mitgliederliste 1823 ist nur »Herr Carus« verzeichnet. 455 In der Singakademie-Mitgliederliste 1848 ist abweichend »Lange, Marie« verzeichnet. 456 In der Singakademie-Mitgliederliste 1848 ist »Steche, Lidy« verzeichnet. Das Personenregister auf der Daten-CD zu Gerber, Zwischen Salon und musikalischer Geselligkeit, informiert: »Steche, Lidy geb. An- germann (1805–1878): Konzertsängerin«. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

–– Schloss, Sophie: Alt, 1839 bis 1848 am Gewandhaus als Solosängerin engagiert, Gesangs- lehrerin –– Weiske, Carl Gottlob: Bass, wirkt 1824/25 und von 1835 bis 1843 in Gewandhauskonzerten als Solosänger mit, ab 1854 Kantor an der Universitätskirche –– Werner, Friedrich: Tenor, Musikdirektor in Leipzig, vorher als Solosänger an Theatern in und Mannheim engagiert

Weitere, ohne familiäre Verbindungen zur Singakademie (35): Baltzer, Heinrich Richard; Beck, Antonie; Clarein [Unrein?], Th.; Coccius, Clara; Crutsch; Franke, Julius; Geist; Goetz, Auguste; Goetz, Laura; Goldhorn, Clara; Gottie, Albertine; Ha- gemann, Edgar; Hagemann, Rodrich; Hebenstreit, Cecilie; Kietz, Mathilde; Kirsten, Richard; Klemm, Ottilie; Marx, Adelgunde; Mertens, Therese; Porsche, Luise; Queißer, Emma; Rein- hardt; Richter, Pauline; Richter, Sidonie; Salomon, Hedwig; Schleinitz, Constanze; Seeburg, 186 Elisabeth; Sorge, Marie; Ulrich, Ottilie; Ulrich, Therese; Voß, Amalie; Voß, Bertha; Weithas, Ottilie; Weithas, Therese; Werner, Emma

Weitere, mit familiären Verbindungen zur Singakademie (13): –– Anschütz, Babette: Tochter von ↑Ernst Anschütz –– Anschütz, Clotilde: Tochter von ↑Ernst Anschütz –– Anschütz, Emmerich: Sohn von ↑Ernst Anschütz –– Anschütz, Jenny: Tochter von ↑Ernst Anschütz –– Anschütz, Wilibald: Sohn von ↑Ernst Anschütz –– Carus, Julius Victor: Sohn von ↑Agnes Küster und Ernst August Carus (siehe oben) –– Clarus, Caroline Mathilde: Tochter von ↑Johann Christian August Clarus –– Günther, Clara: Schwester oder Halbschwester von ↓Hermann Günther (Tochter von Karl Friedrich Günther) –– Haase, Therese: Tochter von ↑Juliana Emilie Haase, Schwester von Eduard Haase (siehe oben), Mutter von ↓Antonie und ↓Julie Döring –– Klengel, Julius: Sohn von ↑Moritz Gotthold Klengel, Vater von ↗Paul Klengel –– Klengel, Nanny: Tochter von ↑Moritz Gotthold Klengel, Tante von ↗Paul Klengel –– Küstner, Jenny: Tochter von Emma Küstner (geb. ↑Erckel) –– Schrey, Sophie: Schwester von ↓Carl Schrey

Als Ausführende beim Karfreitagskonzert nennt die Neue Zeitschrift für Musik, wie zitiert, die Singakademie, die »besten Gesangkräfte unsers Theaters« sowie Künstler bzw. ›Dilet- tanten‹. Finden sich diese Gruppen unter den 73 Unterzeichnern des Briefes wieder? Es sind 19 Personen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Singakademie zu rech- nen, weil sie auf der Mitgliederliste von 1848 oder früheren Listen auftauchen. Sicher ist diese Zuschreibung nicht, da einzelne Sängerinnen und Sänger auch vor 1841 ausgetreten oder erst nach 1841 eingetreten sein können. Unter den sechs identifizierten ›Künstlern‹ ste- chen zwei berühmte Konzertsängerinnen heraus, nämlich Henriette Bünau und Livia Frege. Zum Hintergrund der ›Dilettanten‹

Man hätte angesichts der Formulierung in der Rezension erwarten können, dass auch am Theater engagierte Solisten und Solistinnen dabei sind. Das ist jedoch nicht der Fall.457 Mög- licherweise sind mit den »Gesangkräfte[n] unsers Theaters« Mitglieder des Theaterchors ge- meint. Da diese aber namentlich nicht bekannt sind, sind vielleicht bei den unter »Weitere« subsumierten Personen einige Sängerinnen und Sänger des Theaterchors zu finden. Die verbleibenden »weiteren« Unterzeichner repräsentieren nun die ›Dilettanten‹. Sie verteilen sich auf 35 ohne familiäre Verbindung zur Singakademie und 13, die zu Familien gehören, in denen es Singakademie-Mitglieder gibt oder gab. Eine tiefere Recherche nach den Biografien der einzelnen genannten Frauen und Männer war im Rahmen dieser Arbeit zwar nicht möglich, trotzdem zeigt schon der oberflächliche Blick auf die Namen der ›Dilet- tanten‹: Das schon ausführlich untersuchte Beziehungsgeflecht des Leipziger Musiklebens ist auch hier wirksam.458 Offenbar stammen die ›Dilettanten‹ aus dem gleichen Milieu wie die Singakademie-Mitglieder: Mit Constanze Schleinitz und Elisabeth Seeburg sind zwei 187 Ehefrauen aktueller Gewandhaus-Direktioriumsmitglieder dabei.459 Emil Trefftz wird 1880 in die Gewandhaus-Konzertdirektion gewählt und ist dann auch im Bachverein sowie als Direktoriumsmitglied am Konservatorium aktiv.460 Unter den Mitwirkenden ist der spätere Singakademiedirektor und Thomaskantor Ernst Friedrich Richter ebenso wie einige Söhne und Töchter des ehemaligen Singakademie-Mitglieds und derzeitigen Organisten an der Neukirche Ernst Gebhard Salomon Anschütz. Der hier mitsingende Julius Klengel (1818– 1879) ist Naturkundler, Gesangslehrer, Dichter und Komponist. Er ist der Sohn des Gewand- haus-Geigers und Singakademie-Mitglieds Moritz Gotthold Klengel sowie der Vater des be- rühmten Cellisten Julius Klengel und des späteren Singakademiedirektors Paul Klengel. Das Beispiel aus dem Jahr 1841 vermittelt einen Eindruck davon, welche Struktur das Chorpersonal in einem Karfreitagskonzert hat, wenn in der Presse von der Singakademie, von Künstlern und ›Dilettanten‹ die Rede ist. Im geschilderten Fall verteilen sich die Mitwir- kenden – abgesehen von professionellen Sängerinnen und Sängern – ungefähr zur einen Hälfte auf Mitglieder der Singakademie und deren Angehörige, zur anderen Hälfte auf wei- tere, im Moment nicht näher zuzuordnende Sängerinnen und Sänger. Obgleich die Quel- lenlage zu den ›Dilettanten‹ relativ schwach ist, sei die These gewagt: Die bei ›größeren‹ Choraufführungen im Gewandhaus neben Thomanern und Paulinern immer wieder mit- singenden ›Dilettanten‹ weisen vermutlich eine große Schnittmenge mit den hier namhaft gemachten Personen auf.

457 Die Solistinnen und Solisten des Theaters sind im Leipziger Adressbuch auf das Jahr 1841 namentlich ge- nannt, siehe LAB 1841, S. 58–59. Sie sind auf dem Brief nicht wiederzufinden. 458 Die Quellen zu den in diesem Absatz erwähnten Personen sind die gleichen, die auch für das Mitglie- derlexikon im Anhang verwendet wurden, sowie insbesondere das Leipziger Adressbuch des Jahres 1841. Es wurde allerdings nur selektiv und stichprobenhaft recherchiert. 459 Constanze Schleinitz ist die Ehefrau von Heinrich Conrad Schleinitz, Elisabeth Seeburg ist die Ehefrau von August Moritz Seeburg, zu ihr siehe auch Gerber, Zwischen Salon und musikalischer Geselligkeit, S. 163–165. 460 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 235. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

7.3 Die Singakademie und andere Chöre in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses ab 1847

Nachdem die Einbeziehung von ›Dilettanten‹ für die ›größeren‹ Chorwerke in den Abon- nementkonzerten in den 1840er Jahren zum üblichen Verfahren geworden ist, wird dieses Ende des Jahres 1847 nun durch eine feste Kooperation mit der Singakademie ersetzt. Es liegen keine Hinweise vor, ob es dafür eine offizielle Vereinbarung gab. Der vermutliche Grund für die Änderung in der Chorpraxis liegt auf der Hand: Nach Ernst Friedrich Richters Rücktritt von der Singakademie-Leitung und nach dem Tod des Gewandhauskapellmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy (beides geschieht im November 1847) entsteht im Jahr 1848 eine neue Personalunion von Singakademiedirektor und Gewandhauskapellmeister. Diese Personalunion umfasst die Amtszeiten von Julius Rietz und Ferdinand David und zerbricht erst nach 1860, womit dann auch der Einsatz der Singakademie im Gewandhaus ein Ende 188 findet. Wie schon vor 1847, so gilt auch während der nun einsetzenden dritten Phase der Ge- schichte der Leipziger Singakademie die Trennung zwischen ›größeren‹ und ›kleineren‹ Chorstücken im Gewandhauskonzert. Es rückt nun bei ›größeren‹ Werken, die vorher oft von ›Dilettanten‹ gesungen und teilweise durch Thomaner und Pauliner verstärkt wurden, die Singakademie an die Stelle der ›Dilettanten‹. Sicherlich sind die Quellen nicht immer zuverlässig und es sind in dem Zeitraum auch Ausnahmen überliefert, aber es kristallisiert sich doch eine neue Konstellation heraus, die 14 Jahre lang für die ›größeren‹ Chorwerke in den Abonnementkonzerten verantwortlich ist. Es handelt sich um die Trias aus Singaka- demie, Paulinerverein und Thomanerchor. Die drei Chöre haben erstmals am 1. Juni 1834 bei einer Trauerfeier in der Universitätskirche zusammen gesungen, auch am 3. Dezember 1846 standen sie schon gemeinsam mit weiteren ›Dilettanten‹ auf der Bühne eines Abonne- mentkonzerts im Gewandhaus. Ab Ende 1847 bilden sie nun mit sehr wenigen Ausnahmen bis Herbst 1861 immer den Chor der betreffenden Konzerte. Vor allem die kompilierten Quellen zu den einzelnen Konzerten sowie die Selbstaus- künfte der Chronisten Paul Langer (für die Singakademie) und Richard Kötzschke (für den Paulinerverein) weisen auf die feste Kooperation zwischen Singakademie, Paulinerverein und Thomanerchor in den Gewandhauskonzerten hin. In den musikalischen Zeitschriften finden sich nur vereinzelt Hinweise darauf, und auch das erst zu einer Zeit, da die Zusam- menarbeit in der Praxis längst etabliert ist. Die Signale für die musikalische Welt erwähnen in einem Bericht aus dem Frühjahr 1853 nur in einem Nebensatz, dass es die Singakademie ist, »durch deren bereitwillige Mitwirkung in unsern Gewandhausconcerten die größeren Aufführungen mit Chor möglich werden […]«.461 Diese Stelle ist zugleich ein Beleg dafür, dass es nur die »größeren Aufführungen mit Chor« sind, die von der Singakademie unter- stützt werden, nicht etwa alle Chorauftritte. Ein Blick ins Repertoire des Gewandhauses

461 Signale 11 (1853), S. 78. Die Singakademie und andere Chöre in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses ab 1847 zeigt dementsprechend, dass für die meisten Konzerte im Gewandhaus, in denen ein Chor mitwirkt, auch zwischen 1847 und 1861 die Mitwirkung von Singakademie und Paulinern n i c h t nachgewiesen ist. In diesen Fällen stehen meist Opernfragmente auf dem Pro- gramm, bei denen nur kurz ein Chor singt, während der Auftritt von Gesangssolisten den eigentlichen Schwerpunkt bildet. Wie gesagt, gibt es für diese ›kleineren‹ Chorauftritte nach wie vor eine andere Praxis: Es singt nur der Thomanerchor bzw. eine Auswahl von Thomanern, ohne weitere Verstärkung. Die Signale für die Musikalische Welt bringen als Nachdruck eines Artikels aus der Leip- ziger Illustrierten Zeitung einen Rückblick auf die Gewandhaus-Spielzeit 1857/58, der die mittlerweile gewöhnliche Zusammenarbeit der drei Chöre bestätigt: »Größere Aufführun- gen mit Chören, bei denen die Singacademie, der Pauliner Gesangverein und der Thoma- nerchor betheiligt waren, gab es in vier Concerten.«462 Es folgt die Aufzählung der Werke, die bei diesen Gelegenheiten aufgeführt wurden. Alle vier Konzerte wurden im Verlauf der 189 Saison in den Signalen unter Nennung der drei Chöre rezensiert. Weiter schreibt der Autor des Spielzeitrückblicks: »Nächstdem hörten wir in einem Concert ›Nachtgesang im Walde‹ von , für Männerchor mit Begleitung von vier Hörnern, in einem anderen eine Scene mit Chor und Arie aus ›Orpheus und Euridice‹ von Gluck.«463 Für das Konzert mit Schuberts Nachtgesang im Walde am 10. Dezember 1857 nennen die Signale den Pauli- ner-Gesangverein als Chor. Für das Konzert mit Gluck-Werken am 11. Februar 1858 findet sich dagegen in den Signalen und auch in anderen Blättern kein Hinweis auf den Chor. Es ist symptomatisch für Berichte über die ›kleineren‹ Gesangsauftritte, dass die Rezensenten nur selten die Leistung des Chores am Rande erwähnen und so gut wie nie darauf einge- hen, wie der Chor zusammengesetzt ist. Auch auf den Programmzetteln der Konzerte mit ›kleineren‹ Gesangsaufführungen wird in der Regel kein Chor genannt. Eine Ausnahme von dieser Regel bietet die Rezension des Konzerts vom 24. November 1859, das dem Andenken des gerade verstorbenen Louis Spohr gewidmet ist. Im Programm findet sich ein ›kleinerer‹ Chorauftritt in der Introduktion »Kalt und starr, doch majestä- tisch« zu Spohrs Oper Jessonda. Später im Programm taucht außerdem eine »Ballszene« aus Spohrs Oper Faust auf. Vermutlich sind damit die letzten Nummern des zweiten Akts dieser Oper gemeint, auch dort gibt es kurze Choreinsätze. Zu dem Konzert heißt es in der Besprechung: »Die Nummern aus ›Jessonda‹ und ›Faust‹ gingen sämmtlich [sic] sehr gut […], der Thomanerchor that in den Ensemblestücken seine gute Schuldigkeit […].«464 Damit liegt einer der seltenen Belege dafür vor, dass der meistens verschwiegene Chor in den ›klei- neren‹ Chorauftritten der Thomanerchor ist. Die Singakademie erlebt in den Jahren von 1847 bis 1861 durch die feste Kooperation mit dem Gewandhaus ein nie gekanntes Maß an öffentlicher Präsenz. Trotzdem hat diese Phase, die einen großen Mitgliederzuwachs bringt, auch Nachteile für den Verein und bringt

462 Signale 16 (1858), S. 162–163. 463 Ebd., S. 163. 464 Signale 17 (1859), S. 539. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

ihn an seine Grenzen. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht ein Bericht Franz Brendels in der Neuen Zeitschrift für Musik, der vom ersten öffentlichen Auftreten des Riedelvereins am 25. November 1855 berichtet.465 Brendel lobt das Programm, das Werke von Costanzo Festa, Giovanni Pierluigi da Palestrina, Lodovico da Vittoria, Giovanni Maria Clari, Michael Praetorius, Johannes Eccard und Johann Sebastian Bach enthält. Das »Echte, Gesunde, Ur- sprüngliche dieser Werke« betonend, beklagt er gleichzeitig den Mangel an älterer Kirchen- musik im derzeitigen Leipziger Konzertrepertoire. Neben dem »weltliche[n] Sinn Leipzigs« sei dafür der Umstand verantwortlich, dass

unsere Singakademie, außer in den Abonnement- und Charfreitagsconcerten lei- der mit derartigen Aufführungen, die eigentlich die wichtigste Aufgabe für Gesang- vereine sind, nicht öffentlich hervorzutreten pflegt. Ihre Thätigkeit ist in Anspruch genommen durch die Mitwirkung in den erwähnten Concerten, in den erstgenann- 190 ten aber ist der Kreis der aufgeführten Compositionen ein viel enger gezogener, sowohl was die ältere, als auch was die neueste Zeit betrifft. Nur die mittlere Epo- che ist darin bekanntlich vertreten, das Uebrige scheint bis jetzt grundsätzlich aus- geschlossen.

Brendel beschreibt den Nachteil der Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus: In der Reper- toire-Auswahl ist die Singakademie an das Gewandhaus gebunden, sie kann kein eigenes Profil entwickeln. Das Vokalmusik-Repertoire, für das die Trias aus Singakademie, Thoma- nerchor und Paulinerverein in den Gewandhauskonzerten steht, erkennt Brendel als ein recht enges, das nur Werke der musikalischen Klassik und der Romantik bis Mendelssohn umfasst. Gleichzeitig moniert Brendel den Mangel an geistlicher Musik dort – ein Phäno- men, das bei dem Überblick über die Repertoire-Entwicklung der Singakademie schon auf- fiel. Für eigene, unabhängige Chor-Konzerte der Singakademie bleibt kaum Raum. Zwar tritt die Singakademie auch während der Gewandhaus-Phase in anderen Konzerten auf,466 aber dort bleibt sie dem Repertoireprofil treu, das sie schon innerhalb des Gewandhauses pflegt. Gerade im Klima der verstärkten Barock-Rezeption des 19. Jahrhunderts empfinden Zeitge- nossen wie Brendel eine schmerzhafte Lücke im Leipziger Repertoire. Es ist diese Lücke, die der 1854 gegründete Riedelverein schließen möchte.467 Der Verein entwickelt sich mit diesem Konzept zu einem der größten Konkurrenten der Singakademie. In die gleiche Kerbe wie Brendel schlägt kurz darauf Arrey von Dommer, der in einem langen Artikel die Aufführung mehrerer Bach-Kantaten am 24. Januar 1858 durch den Rie- delverein rezensiert und dabei das Leipziger Chorwesen insgesamt unter die Lupe nimmt.468

465 NZfM 43 (1855/2), S. 250. Alle Zitate in diesem Absatz ebd. 466 Siehe Kapitel 7.6: Weitere Auftritte der Singakademie in der Gewandhaus-Phase. 467 Als Chronik des Riedelvereins liegt vor: Albert Göhler, Der Riedel-Verein zu Leipzig. Eine Denkschrift zur Feier seines fünfzigjährigen Bestehens, Leipzig 1904. 468 Arrey von Dommer, »Der Chorgesang und der Riedel’sche Verein zu Leipzig«, in: NZfM 48 (1858/1), S. 71–74. Das Repertoire der ›größeren‹ Choraufführungen im Gewandhaus 1847–1861

In der Thomaskirche kämen »im Laufe des Jahres allerdings vier- bis fünfmal Bach’sche Motetten zur Ausführung, sonst aber ist das Repertoire der Sonnabends- und Sonntags- Musiken so modern wie möglich gehalten«.469 Das Gewandhaus vermeide größere Chorauf- führungen, eine Mitursache hierfür liege

in dem langsamen und schrittweisen […] Rückschritt der Singakademie, welche im Gewandhause die erste Stelle oder wenigstens die ersten Plätze im Orchester bei Choraufführungen einnimmt; böse Zungen sagen freilich, die Pauliner und Thomaner thäten bei diesen Aufführungen das Meiste. An Bachaufführungen (die Matthäuspassion am Charfreitag ausgenommen) ist hier natürlich nicht zu denken […].470

So erscheine Leipzig in Hinblick auf den Chorgesang, »mit alleiniger Ausnahme des Rie- 191 del’schen Vereines, in keinem sehr strahlenden Lichte«.471 Wie stellt sich das von Brendel und Dommer so negativ beurteilte Repertoire nun genau dar?

7.4 Das Repertoire der ›größeren‹ Choraufführungen im Gewandhaus 1847–1861

Zum besseren Überblick über das Repertoire der ›größeren‹ Choraufführungen in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses folgt hier eine Übersicht der aufgeführten Kom- ponisten und Werke.472 Zu jedem Werk ist das Datum oder die Daten seiner Aufführung im Abonnementkonzert verzeichnet. Die Übersicht erstreckt sich über die gesamte dritte Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie, also von November 1847 bis Oktober 1861, und enthält alle Aufführungen in Abonnementkonzerten, an denen die Singakademie nachgewiesenermaßen beteiligt ist.

Bach, Johann Sebastian: Chor aus dem WeihnachtsOratorium »Jauchzet, frohlocket«: 1.1.1861 –—: Chor und Choral aus der Kantate »Bleib’ bei uns, denn es will Abend werden«: 1.1.1854 –—: Kantate »Ein’ feste Burg ist unser Gott«: 1.1.1851

469 Ebd., S. 72. 470 Ebd. 471 Ebd. 472 Vorbild für diese Art, einen Überblick über zahlreiche musikalische Aufführungen über einen längeren Zeitraum zu gewinnen, ist die Statistik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig, die bei Dörf- fel, Geschichte der Gewandhausconcerte, als umfangreicher Anhang beigefügt ist. Auch weitere Kapitel der vorliegenden Arbeit verwenden diese Methode, um das Repertoire der Singakademie in einer be- stimmten Phase darzustellen. Immer fußen die Einträge in diesen Personen- und Werkregistern auf der Konzertübersicht in Anhang 12.5 und wurden direkt aus dieser extrahiert. Sämtliche Quellen zu den genannten Konzerten lassen sich dort einfach über das Konzertdatum ausfindig machen. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Beethoven, Ludwig van: »Kyrie« aus der Missa solemnis: 1.1.1849 –—: Fantasie für Pianoforte, Chor und Orchester: 4.11.1852 –—: Marsch mit Chor »Schmückt die Altäre« aus der Schauspielmusik Die Ruinen von Athen: 1.1.1853 –—: Sinfonie Nr. 9: 27.3.1851, 1.1.1852, 1.1.1854, 5.2.1857, 11.3.1858, 20.1.1859, 1.1.1860, 1.1.1861 Berlioz, Hector: Die Flucht nach Ägypten: 1.12.1853 –—: Lied des Mephistopheles und Chor der Sylphen (aus den Acht Szenen aus Goethes ›Faust‹): 1.12.1853 Cherubini, Luigi: »Kyrie« und »Gloria« aus der Missa solemnis Nr. 4: 1.1.1848 –—: »Sanctus«, »Benedictus« und »Agnus Dei« aus der Missa solemnis Nr. 2: 1.1.1850 –—: Requiem Nr. 1 (auch Auszüge): 7.11.1850, 25.1.1855 Gade, Niels Wilhelm: Kantate Comala: 2.12.1852 –—: Kantate Erlkönigs Tochter: 20.1.1859 192 –—: Kantate Frühlingsbotschaft: 1.1.1859, 19.1.1860 Gluck, Christoph Willibald: Introduktion und erste Szene aus der Oper Iphigenie in Tauris: 23.3.1854 Händel, Georg Friedrich: Dettinger Te Deum: 1.11.1855 –—: Kantate Alexanders Fest oder Die Gewalt der Musik: 5.3.1857 –—: Oratorium Der Messias (Auszüge): 30.10.1851, 1.1.1858 –—: Oratorium Josua: 31.10.1861 Hauptmann, Moritz: »Kyrie« und »Gloria«: 1.1.1855 –—: Kirchenstücke für Chor und Orchester »Und Gottes Will’ ist dennoch gut«; »Nicht so ganz wirst meiner du vergessen«: 1.1.1859 Haydn, Joseph: »Der Frühling« aus dem Oratorium Die Jahreszeiten: 31.3.1859 –—: Motette »Des Staubes eitle Sorgen«: 1.1.1855 –—: Motette Aus dem Danklied zu Gott (»Du bist’s, dem Ruhm und Ehre gebühret«): 1.1.1848 –—: Oratorium Die Schöpfung (Auszüge): 1.1.1849, 1.1.1850, 21.3.1850, 22.1.1857, 1.1.1860 Hiller, Ferdinand: »O weint um sie« für S-Solo, Chor u. Orch, op. 49: 25.10.1860 Mendelssohn Bartholdy, Felix: »Die Geburt« und »Die Kreuzigung« aus dem unvollendeten Oratorium Christus: 2.11.1854 –—: Der 114. Psalm »Da Israel aus Ägypten zog«: 1.1.1855 –—: Der 42. Psalm »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser«: 1.11.1849, 1.11.1855, 3.11.1859 –—: Der 95. Psalm »Kommt, lasst uns anbeten«: 1.1.1851, 5.11.1857 –—: Der 98. Psalm »Singet dem Herrn ein neues Lied«: 1.1.1850, 1.1.1853, 1.1.1859 –—: Finale des ersten Akts aus der unvollendeten Oper Loreley: 27.3.1851, 2.2.1854, 5.11.1857, 19.1.1860 –—: Gebet »Verleih’ uns Frieden gnädiglich«: 11.11.1847, 1.1.1852, 1.1.1858 –—: Hymne »Hör mein Bitten, Herr«: 23.3.1854, 1.1.1860 –—: Hymne »Lauda Sion«: 2.11.1854 –—: Kantate Die erste Walpurgisnacht: 2.12.1847, 5.2.1857 Das Repertoire der ›größeren‹ Choraufführungen im Gewandhaus 1847–1861

–—: Motette »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren«: 11.11.1847 –—: Nachtlied (»Vergangen ist der lichte Tag«): 11.11.1847 –—: Oratorium Elias (auch Auszüge): 7.11.1850, 17.1.1856 –—: Oratorium Paulus (auch Auszüge): 3.11.1853, 3.2.1859, 1.1.1861 –—: Schauspielmusik zu Athalia: 1.3.1849, 4.11.1852, 4.11.1858 –—: Schauspielmusik zu Ein Sommernachtstraum (auch Auszüge): 3.2.1853, 6.11.1856, 15.11.1860 –—: Sinfonie-Kantate (Sinfonie Nr. 2) Lobgesang: 11.1.1849, 30.10.1851, 22.1.1857 Mozart, Wolfgang Amadeus: Chor »Ave verum corpus«: 22.1.1857 –—: Requiem (auch Auszüge): 2.11.1854, 3.11.1859 Reinthaler, Karl: Oratorium Jephta und seine Tochter: 25.2.1858 Richter, Ernst Friedrich: Der 126. Psalm »Wenn der Herr die Gefangenen Zions«: 21.3.1850 –—: Der 137. Psalm »An den Wassern zu Babel«: 1.1.1858 193 Schneider, Friedrich: Der 23. Psalm »Jehova weidet mich«: 1.1.1854 Schumann, Robert: Adventlied (»Dein König kommt in niedern Hüllen«): 23.10.1856 –—: Dramatisches Gedicht Manfred: 31.3.1859, 25.10.1860 –—: Oratorium Der Rose Pilgerfahrt: 24.1.1861 –—: Requiem für Mignon: 1.1.1852 –—: Zweiter Teil des Oratoriums Das Paradies und die Peri: 23.10.1856 Wagner, Richard: Lohengrin (Auszüge): 20.1.1853, 11.3.1858

Franz Brendel hatte in den Chorkonzerten des Gewandhauses eine Konzentration auf die ›mittlere Epoche‹ und das Fehlen älterer und jüngerer Werke beklagt. Was die ältere Musik anbelangt, ist ihm nach Auswertung des Repertoires zuzustimmen. Vokalmusik der Renais- sancezeit, wie sie Brendel lobt, gibt es im Gewandhaus überhaupt nicht zu hören. Die äl- testen Werke, die Eingang in das Gewandhaus-Repertoire dieser Zeit finden, stammen von Bach und Händel, wobei Händels Werke überhaupt erst ab Ende 1855 auftauchen, also nach Brendels kritischem Artikel. Von diesen beiden Komponisten abgesehen, ist Barockmusik im Gewandhaus die absolute Ausnahme. Erst zu Beginn dessen, was Brendel als die ›mittlere Epoche‹ bezeichnet, und was heute grob unter Klassik und Romantik subsumiert wird, sind Schwerpunkte im Gewandhaus- Repertoire zu erkennen. Auch hier ist die Auswahl sehr eingeschränkt: Beethoven, Haydn, Cherubini und Mozart stehen für den ersten Teil dieses Zeitraums, und zwar in dieser Reihenfolge in absteigender Häufigkeit der Aufführungen ihrer Werke. Beethovens Neunte Sinfonie mit dem berühmten Chorfinale ist das mit Abstand am häufigsten aufgeführte Werk, sie wird acht Mal gebracht, davon vier Mal im Neujahrskonzert. Von Cherubini ist die Kirchenmusik stark vertreten (Messen und Requiem), das beliebteste Werk Haydns ist augenscheinlich die Schöpfung (fünf Aufführungen von Auszügen daraus). Dass Brendel ebenfalls Vokalmusik der jüngsten Zeit auf den Programmen vermisst, lässt sich hingegen weniger klar nachvollziehen. Immerhin enthalten die Konzerte fünf vokalsinfonische Werke von Robert Schumann und drei Kantaten von Niels Wilhelm Gade, Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

die alle aus den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammen und zum Zeitpunkt der Aufführung mitunter nur wenige Jahre alt sind. So komponiert Schumann sein Requiem für Mignon 1849 und es wird 1852 im Gewandhaus aufgeführt, Gades Früh- lingsbotschaft ist beim Gewandhauskonzert 1859 gerade mal ein Jahr alt. Sogar Auszüge aus Wagners Lohengrin sind 1853, drei Jahre nach der Weimarer Uraufführung zu hören. Trotzdem bleibt der Befund einer engen Repertoire-Auswahl in den Chorkonzerten des Gewandhauses. Die fast 100 Chor-Programmpunkte der untersuchten Konzerte ver- teilen sich auf gerade einmal 17 Komponisten. Weit mehr als ein Drittel aller Chor-Auftritte entfällt dabei auf einen einzigen: Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Dekade nach Mendels- sohns Tod ist – zumindest aus Sicht der Vokalmusik in den Abonnementkonzerten – von einem Kult um den berühmten Gewandhauskapellmeister gekennzeichnet. Außer im Jahr 1848 ist jedes Jahr mehrfach Chormusik von Mendelssohn im Gewandhaus zu hören. Gro- ßer Beliebtheit erfreuen sich seine Psalmvertonungen, die Schauspielmusiken zu Athalia 194 und Ein Sommernachtstraum sowie der Lobgesang. Auch weitere geistliche Chorsätze und Auszüge aus den Oratorien Elias und Paulus werden durch die Singakademie, den Pauli- nerverein und den Thomanerchor aufgeführt. Vokalmusik gilt als besonders festlich, Ge- burtstag und Todestag Mendelssohns werden mehrfach im Rahmen der Abonnementkon- zerte feierlich mit Chormusik begangen. So sind die Konzerte am 3. Februar der Jahre 1853 und 1859 dem Geburtstag Mendelssohns gewidmet und bringen Werke von ihm zu Gehör. In anderen Jahren zeigen die Konzerte um dieses Datum herum ebenfalls einen Mendels- sohn-Schwerpunkt. Aber nicht nur die Aufführungen Mendelssohn’scher Kompositionen zeugen von der ungebrochenen Verehrung für den Komponisten. Bei den Konzerten, die in den Jahren 1854 und 1859 kurz vor Mendelssohns Todestag (dem 4. November) stattfin- den, kommt zu Mendelssohns Andenken das Requiem von Mozart bzw. Auszüge daraus zur Aufführung.

7.5 Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhaus- Abonnementkonzerten und Gründung des ­Gewandhauschors

Langer vermutet, es sei ein Platzproblem, das zum Ende des festen Engagements der Sing- akademie im Gewandhaus führt: »Möglich ist, dass eine Streitigkeit die Ursache gewesen ist, welche dadurch entstanden ist, dass in Folge des beschränkten Raumes im Gewand- haus-Saal nur eine Auswahl von Mitgliedern der S.-A. singen sollte.«473 Das Problem ist nicht von der Hand zu weisen, hat die Mitgliederzahl doch einen Höchststand von zeit- weise weit über 100 Personen erreicht, während auf dem Gewandhauspodium nach wie vor

473 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 48–49. Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhaus-Abonnementkonzerten nur 84 Sängerinnen und Sänger Platz finden – einschließlich Pauliner und Thomaner. Der wahre Hintergrund des Bruchs zwischen Singakademie und Gewandhaus ist jedoch allem Anschein nach ein anderer, er hat wieder mit den musikalischen Leitern des Chores und Orchesters zu tun. Was den Zeitpunkt des Endes der Gewandhaus-Phase der Leipziger Singakademie be- trifft, ist Langer erstaunlich ungenau. Einerseits schreibt er nach einem Bericht über das Konzert von Singakademie, Männergesangverein und Dilettanten-Orchesterverein am 8. März 1862: »Um diese Zeit wurde auch das Verhältniss [sic] zur Concert-Direction des Gewandhauses gelöst.«474 An anderer Stelle jedoch hält er fest: »Von 1847–1860 wirkt die S.-A. in allen Chor-Concerten des Gewandhauses mit […].«475 Das tatsächliche Ende der Gewandhaus-Phase liegt zwischen den beiden von Langer genannten Daten, nämlich im Herbst 1861. Im Konzertwinter 1860/61 tritt die Singakademie noch, wie üblich, gemeinsam mit 195 dem Pauliner-Gesangverein und den Thomanern in drei Konzerten mit ›größeren‹ Chor- aufführungen auf, die Damen der Singakademie wirken in einem weiteren Konzert allein mit. Zum Abschluss der Saison beteiligt sich die Akademie am von Carl Reinecke geleiteten Karfreitagskonzert. Für die folgende Spielzeit 1861/62 ist nur ganz am Anfang die Mitwir- kung der Singakademie noch einmal belegt, nämlich im Konzert am Reformationstag. Bei allen weiteren Konzerten dieser Spielzeit schweigen die Quellen über die Chorbesetzung. In den Signalen für die musikalische Welt, die sonst in dieser Zeit zuverlässig über diese Frage informieren, fällt auf, dass der ausführende Chor nun plötzlich nicht mehr genannt wird – obwohl in der laufenden Saison noch mehrere ›größere‹ Choraufführungen folgen, so etwa mehrere Lieder für gemischten Chor von Robert Schumann am 12. Dezember 1861, verschiedene Frauenchöre von Reinecke, Mendelssohn und Heinrich Stiehl am 16. Januar 1862 sowie Reineckes Oratorium Belsazar am 6. Februar 1862. Diese ungewöhnliche Nicht- Erwähnung der Chorbesetzung in den Signalen – die vermutlich direkt auf die Nicht-Er- wähnung auf den Programmzetteln des Gewandhauses zurückgeht – ist ein Indiz für eine Veränderung der Chorsituation im Gewandhaus. Erst zum Ende der Saison 1861/62 be- kennt der Rezensent in einer Rückschau auf die vergangenen zwanzig Abonnementkon- zerte Farbe:

Einen nennenswerthen Fortschritt haben wir darin erblickt, daß man unabhängig von der Singakademie – die etwas renitent zu werden anfing – sich einen eignen Chor heranzubilden begonnen hat, der schon ziemlich nett sich machte, obwohl er noch nicht genügendes Repertoire für größere Vokalwerke hatte. Doch dürfte sich das, bei genügender Fortübung, bis zu nächster Saison schon besser gestalten.476

474 Ebd., S. 48. 475 Ebd., S. 125. 476 Signale 20 (1862), S. 198. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Der hier erwähnte Chor ist die Chorvereinigung des Gewandhauses, die bis heute als Ge- wandhauschor existiert. Die Querelen zwischen der Singakademie und dem neuen Ge- wandhauskapellmeister Carl Reinecke, die schließlich zur Gründung des Gewandhauschors führten, sind schon öfter genau beschrieben worden477 und müssen hier nicht ausführlich referiert werden. Es genügt eine kurze Zusammenfassung. Als Carl Reinecke am 30. September 1860 das Amt als Gewandhauskapellmeister an- tritt, kennt er Leipzig bereits gut. Schon von 1843 bis 1846 hatte er sich, unterstützt durch ein Stipendium des dänischen Königs, in Leipzig aufgehalten und sich einen Namen als Pianist gemacht, war im Gewandhaus unter Felix Mendelssohn Bartholdy und auch in Kon- zerten des Musikvereins Euterpe sowie in privaten Kammermusikabenden aufgetreten.478 Auch die Konzertsaison 1848/49 hatte Reinecke in Leipzig verbracht und dabei vier Mal im Gewandhaus konzertiert. Aus dieser Zeit ist ihm die Personalunion von Gewandhauskapellmeister und Singaka- 196 demiedirektor bekannt – eine Konstellation, die er als günstig erachtet und weiterführen möchte. Allerdings kann sich die Singakademie nach dem Weggang von Julius Rietz schnel- ler auf einen neuen Dirigenten einigen als die Gewandhaus-Konzertdirektion – und wählt Julius von Bernuth. Wann genau Bernuth seinen Posten bei der Singakademie antritt, ist nicht überliefert. Langer legt sich nicht fest, manche Sekundärquellen nennen schon das Jahr 1859,479 doch Belege sind nicht zu finden. Spätestens im Frühjahr 1860 muss die Er- nennung Bernuths geschehen sein. Die Leitung durch Bernuth wird vom Referenten der Signale für die musikalische Welt am 5. April 1860 zunächst als Übergangslösung verstanden: »Herr von Bernuth ist vom Männergesangverein an Rietz’ Stelle als Dirigent erwählt worden, ebenso hat die Singacademie denselben als interimistischen Leiter bis zu Ankunft des neuen Capellmeisters der Gewandhausconcerte gewonnen.«480 Die Neue Zeitschrift für Musik meldet erst in ihrer Ausgabe vom 6. Juli 1860: »v. Bernuth hat, nach Rietz’ Abgange von Leipzig, die Direction der Singakademie und des Männergesangvereines hierselbst übernommen.«481 Noch unklar ist der Stand Bernuths offenbar für Ferdinand David, als er am 18. Mai 1860 an Reinecke schreibt: »Daß die Singakademie Sie zum Dirigenten nimmt, ebenso der Männergesangverein, scheint mir sehr natürlich, aber – es stehen aber auch da, wie hier bei allen Kunstanstalten (inklusive Museum) Dilettanten an der Spitze, und da kann man nie wissen, ob dem würdigsten die Ehre wird.«482 Während sich also die Singakademie

477 Siehe z. B. Langner, Der Gewandhauschor, S. 27–35; Katrin Schmidinger, »›Dass wir keinen ordentli- chen Chor haben‹«, in: Gewandhaus-Magazin (Sonderheft zum 150-jährigen Bestehen des Gewandhaus- Chores 2011), S. 52–56; Katrin Seidel, Carl Reinecke und das Leipziger Gewandhaus (Musikstadt Leipzig 2), Hamburg 1998. Die Informationen der folgenden Absätze fassen, wo nicht anders angegeben, diese Quellen zusammen. 478 Vgl. Carl Reinecke, Erlebnisse und Bekenntnisse. Autobiographie eines Gewandhauskapellmeisters, hrsg. von Doris Mundus, Leipzig 2005, S. 295. 479 Schmidinger, »›Dass wir keinen ordentlichen Chor haben‹«, S. 53. 480 Signale 18 (1860), S. 226. 481 NZfM 53 (1860/2), S. 15. 482 Reinecke, Erlebnisse und Bekenntnisse, S. 196. Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhaus-Abonnementkonzerten anscheinend schon für einen neuen Dirigenten entschieden hat, versucht Reinecke in brief- lichen Verhandlungen in der ersten Hälfte des Jahres 1860, entweder selbst die Direktion der Singakademie zu erhalten oder wenigstens die Singakademie für die Chorkonzerte des Gewandhauses und die dazugehörigen Proben leiten zu dürfen. Hier kollidieren Reineckes Wünsche mit der Selbstständigkeit, die den Vorstandsmitgliedern der Singakademie so viel bedeutet. Das Recht, ihren musikalischen Leiter selbst zu bestimmen, lässt die Singakade- mie sich nicht nehmen und Reinecke kann auch durch mehrmaliges Nachsuchen bei der Konzertdirektion des Gewandhauses nicht erreichen, dass diese den Vorstand der Sing- akademie umstimmt. Reinecke tritt also im Herbst 1860 als Gewandhauskapellmeister an, ohne Dirigent der Singakademie geworden zu sein. Für die ersten ›größeren‹ Chorwerke im Gewandhaus ist er auf die Singakademie noch angewiesen und dirigiert den Verein auch im Karfreitagskonzert 1861. Bei Ferdinand Hiller beklagt er sich im Mai 1861, 197 daß wir keinen ordentlichen Chor haben, und daß der vorhandene nicht unter mei- ner Leitung steht, sondern unter der eines – entre nous soit dit – ziemlich mittel- mäßigen Musikers – sodaß ich in diesem Winter den Chor in der Hauptprobe oft zum ersten Mal unter [den] Händen hatte! Es muss etwas in dieser Beziehung geschehen, aber man scheut sich zu sehr, die Sing-Akademie zu beleidigen […].483

Es ist davon auszugehen, dass Reinecke schon zu dieser Zeit auf Abhilfe sinnt und die Gründung eines eigenen Chores für das Gewandhaus ins Auge fasst, die er schließlich Ende 1861 in die Tat umsetzt. In seiner Autobiografie erwähnt Carl Reinecke weder seine Kontakte zur Leipziger Singakademie noch die Gründung des Gewandhauschores. In seinen 1902 erschienenen »Erinnerungen an den alten Gewandhaussaal zu Leipzig«484 kommt er allerdings kurz auf die Situation zu sprechen, die bei seinem Amtsantritt als Gewandhauskapellmeister 1860 in Leipzig herrscht, und verkündet das Ergebnis:

Altem Herkommen gemäß wirkte bei Choraufführungen die Singakademie mit, welche mich nicht zum Dirigenten gewählt hatte. Da aber der damalige Dirigent derselben mir nicht gestatten wollte, die betreffenden Werke selbst einzustudieren, so standen sich in der Generalprobe Chor und Dirigent zum ersten Male gegen- über. Das waren unhaltbare Zustände, die mich veranlaßten, einen selbständigen Gewandhauschor zu organisieren, der sich mit der Zeit erfreulich entwickelte […].485

483 Zit. nach Langner, Der Gewandhauschor, S. 32. 484 Carl Reinecke, »Erinnerungen an den alten Gewandhaussaal zu Leipzig«, in: Velhagen und Klasings Monatshefte 14 (März 1902), S. 51–56; vollständig abgedruckt in: Reinecke, Erlebnisse und Bekenntnisse, S. 191–203. 485 Reinecke, »Erinnerungen an den alten Gewandhaussaal«, zit. nach Reinecke, Erlebnisse und Bekennt- nisse, S. 199. Hervorhebung im Original. Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Für Wolfgang Langners Vermutung, dass auch ehemalige Mitglieder der Singakademie zu den ersten Mitgliedern des Gewandhauschores gehörten,486 gibt es keine Belege. Die Mit- gliederzahlen der entscheidenden Jahre 1860 bis 1862 liegen leider nicht vor. Im Jahr 1859 hat die Singakademie 95 Mitglieder, im Jahr 1863 sind es 82 – ein größerer Bruch ist also nicht zu erkennen. Erst viel später, nachdem Alfred Richter die Singakademie aus seinen Händen gegeben hat, kommt es im Jahr 1879 wieder zu einer kurzen Annäherung zwischen Carl Reinecke und der Singakademie.487

7.6 Weitere Auftritte der Singakademie in der Gewandhaus-Phase

Während der Zeit der festen Verbindung mit dem Gewandhaus mobilisiert die Leipziger 198 Singakademie ihre Kräfte weiterhin auch für andere Konzerte. Einerseits wären hier die Benefizkonzerte des Gewandhauses zu nennen. Es fallen in die 14 Jahre umfassende dritte Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie sieben Konzerte zum Besten der Armen und sechs Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds, an denen die Akademie nach- weislich mitwirkt. Dazu kommen 13 Karfreitagskonzerte – also eines in jedem Jahr, außer 1851, wo nicht überliefert ist, wer die Chorpartie übernommen hat. Zur starken Auslastung durch die Abonnementkonzerte und die eben genannten Kon- zertreihen kommen allerdings bis zum Sommer 1861 noch weitere einzelne Konzertanlässe hinzu. Die folgende Übersicht stellt, wie gehabt, einen Ausschnitt aus der Konzertübersicht im Anhang dar und umfasst sämtliche außerordentlichen Konzerte des genannten Zeit- raums, an denen die Singakademie definitiv beteiligt ist.

Tabelle 11: Auftritte der Leipziger Singakademie 1847 bis 1861, ohne Gewandhaus-Abonnement­ konzerte, Konzerte zum Besten der Armen, zum Besten des Orchesterpensionsfonds und Karfreitagskonzerte

3.6.1848 GWH Extrakonzert LMC, LSA, Ludwig van Beethoven: Sinfonie zur Unter­ Thomaner Nr. 9 stützung der (Rietz) Notleidenden in den sächsi- schen Fabrik- bezirken 28.10.1848 Thomas- Konzert der LSA, GWH- Georg Friedrich Händel: Oratorium kirche LSA Orch (Rietz) Judas Maccabäus

486 Vgl. Langner, Der Gewandhauschor, S. 34. 487 Siehe Kapitel 8.3: Intermezzo: Die Singakademie als Gewandhauschor unter Carl Reinecke 1879. Weitere Auftritte der Singakademie in der Gewandhaus-Phase

26.11.1848 Thomas- Totenfeier der LSA Luigi Cherubini: Requiem Nr. 1 kirche Stadt Leipzig für Robert Blum 28.8.1849 In einer Konzert zum LSA Robert Schumann: Schluss-Szene Geburts- Aula 100. Geburts- aus dem zweiten Teil der Szenen tag ­(genauer tag Goethes aus Goethes ›Faust‹ (UA gleichzeitig Goethes Ort un- mit Dresden und Weimar) klar) Felix Mendelssohn Bartholdy: ­Kantate Die erste Walpurgisnacht Moritz Hauptmann: Wanderers Nachtlied (»Über allen Wipfeln ist Ruh’«) 29.8.1849 GWH Extrakonzert LSA, GWH- Gleiches Programm wie am 28.8., zur Goethe- Orch (Rietz) jedoch mit zusätzlichen Sololiedern 199 feier 26.1.1850 Europäi- Abendunter- LSA (Rietz) Felix Mendelssohn Bartholdy: sche Bör- haltung der Chöre aus der Schauspielmusik zu senhalle LSA mit Kon- Athalia zert, Souper Robert Schumann: Erster Teil des und Ball Oratoriums Das Paradies und die Peri 4.7.1850 Universi- Konzert zum LSA, Pauliner, Felix Mendelssohn Bartholdy: tätskirche 25-jährigen GWH-Orch Hymne »Hör mein Bitten, Herr« Bestehen des Paulinerver- eins [eigent- lich schon 1822 gegrün- det] 5.8.1851 Thekla Landpartie LSA Felix Mendelssohn Bartholdy: ­Motetten mit Orgelbegleitung 3.3.1852 Central- Soiree LSA (Ferdi- Robert Schumann: Oratorium halle nand David) Der Rose Pilgerfahrt (Leipziger EA) 14.3.1852 GWH Extrakonzert LSA, Pauliner, Robert Schumann: Oratorium von Robert Thomaner, Der Rose Pilgerfahrt und Clara GWH-Orch Schumann 19.2.1853 Central- Abendunter- LSA, GWH- Ernst Friedrich Richter: Das Abend- halle haltung der Orch läuten LSA mit Kon- Moritz Hauptmann: Frühlingsliebe zert und Ball (»Wenn der Frühling kommt und von den Bergen schaut«) Wilhelm Taubert: Der König in Thule Dritte Phase: Feste Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus (1847–1861)

Felix Mendelssohn Bartholdy: Jagd- lied (»Durch schwankende Wipfel«) Wolfgang Amadeus Mozart: Erstes Finale aus der Oper Don Giovanni 10.12.1853 GWH Extrakonzert LSA, Pauliner, Hector Berlioz: Teile 1–4 der Sinfo- von Hector Thomaner, nie Romeo und Julia Berlioz GWH-Orch Hector Berlioz: Die Flucht nach (Berlioz) Ägypten (zweiter Teil der Oratorien- Trilogie Die Kindheit Christi) Hector Berlioz: Erster und zweiter Teil aus dem Oratorium Faust 27.1.1856 Saal der Erinnerungs- LSA Wolfgang Amadeus Mozart: Loge feier zum Hymne »Gottheit! Dir sei Preis Minerva 100. Geburts- und Ehre« [Parodie des Chors 200 tag Mozarts »Gottheit, über alle mächtig« aus der Schauspielmusik zu Thamos, König in Ägypten]; Chor »Ave verum corpus«, Schlusschor aus der Oper Die Zauberflöte 19.7.1857 Thomas- Konzert des LSA, MGV, Giovanni Gabrieli: »Benedictus« kirche Riedelvereins Orpheus, und »Osanna« Ossian, Giovanni Bernardino Nanino: Pauliner, Stabat Mater Riedelverein, Luigi Cherubini: »Et incarnatus Zöllnerverein est« und »Crucifixus« aus dem »Credo« Johannes Eccard: »Übers Gebirg Maria ging« u. »Ich lag in tiefer Todesnacht« Heinrich Schütz: Oratorische Szene »Saul, was verfolgst du mich!« aus dem 3. Teil der Sympho- niae Sacrae Arrey von Dommer: Schlusschor zum 29. Psalm (»Der Herr bleibt König allezeit«) 11.11.1859 GWH Extrakonzert: LSA, Pauliner, Ernst Friedrich Richter: Festkantate Fest-Feier Thomaner, zur Schillerfeier »Schwebt empor, zum Schiller- GWH-Orch ihr Feierklänge« Jubiläum (E. F. Richter Ludwig van Beethoven: Sinfonie die Festkan- Nr. 9 tate, Rietz die Sinfonie) 30.6.1861 Saal der Aufführung LSA Georg Friedrich Händel: Oratorium Loge der LSA Der Messias Minerva Weitere Auftritte der Singakademie in der Gewandhaus-Phase

Das Profil dieser Auftritte unterscheidet sich nicht wesentlich von dem im Gewandhaus aufgeführten Vokalmusik-Repertoire. Die am häufigsten aufgeführten Komponisten sind Mendelssohn und Schumann, auch Beethoven, Händel und der ehemalige Singakademie- Musikdirektor Ernst Friedrich Richter kommen mehrfach vor. Ausnahmen der Repertoire- gestaltung stellen das vielbeachtete Extrakonzert von Hector Berlioz sowie das Konzert des Riedelvereins dar, das dem Interesse dieses Vereins entsprechend auf ältere Musik ausge- richtet ist. Bemerkenswert ist ferner die Uraufführung eines Teils von Robert Schumanns Szenen aus Goethes ›Faust‹ gleichzeitig mit Dresden und Weimar an Goethes 100. Geburts- tag. Helmut Loos hat dazu mit Bezug auf die Aussage Franz Brendels, dass die Faust-Musik die ›Kirchenmusik der Zukunft‹ sei, bemerkt: »Genau dies ist die Richtung, die das Pro- gramm der Singakademie eingeschlagen hat, eine Ergänzung oder Aufweichung der christ- lich geprägten geistlichen Musik hin zu einer säkularisierten Form allgemein religiöser Musik im Sinne der liberalen bürgerlichen Gesellschaft als Kunstreligion.«488 201

488 Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, S. 157. 8 Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Mit der Trennung vom Gewandhaus beginnt für die Singakademie eine Phase der Selbst- ständigkeit, während der sie ein eigenständiges Profil aufbaut. Diese Zeit dauert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und umfasst die Amtszeiten der Dirigenten Julius von Bernuth (1860–1867), Carl Claus (1867–1875), Hermann Kretzschmar (nur kurzzeitig 1875), Alfred Richter (1876–1879), Richard Hofmann (1879–1883), Richard Müller (1883–1893), Paul Klen- gel (1893–1898) und Hans Winderstein (1898–1900). Dazu kommt noch ein ›Intermezzo‹ mit Carl Reinecke als Singakademiedirektor im Jahr 1879, als die Singakademie für einige Monate mit dem Gewandhauschor fusioniert. 202 Der schnelle Wechsel der musikalischen Leiter deutet es schon an: In der vierten Phase stößt die Leipziger Singakademie auf einige Herausforderungen. Sie muss sich außerhalb der Konzerttraditionen, in die sie bisher eingebunden war, einen eigenen Platz im Leipzi- ger Konzertleben erobern. Die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus führt auch dazu, dass der Chor aus den Benefizkonzerten des Gewandhauses aussteigt. Das letzte Armenkonzert und das letzte Konzert zum Besten des Orchesterpensionsfonds mit der Singakademie finden im Frühjahr 1860 statt. Im Karfreitagskonzert singt die Sing- akademie 1861 noch Mendelssohns Paulus, dann gemeinsam mit anderen Vereinen im Jahr 1865 ein letztes Mal die Matthäuspassion, danach ist sie auch an dieser Konzertreihe nie mehr beteiligt. Im Laufe der Zeit übernimmt der Gewandhauschor die Rolle der Singakademie in die- sen Benefiz- und Karfreitagskonzerten. Wie oft in solchen Übergangsphasen – man denke an die ›Dilettanten‹ in Gewandhauskonzerten bis 1847 – scheinen sich für eine kurze Zeit aber auch andere Ensembles und Individuen hier einzumischen. So ist für eine Reihe von Karfreitagskonzerten in den 1870er Jahren, bei denen damals in der Regel die Matthäuspas- sion erklingt und die von der Gewandhaus-Konzertdirektion in der Thomaskirche veranstal- tet werden, nicht ganz klar, wie der Chor zusammengesetzt ist, der hier unter Carl Reinecke singt. Die naheliegende Vermutung, es sich handle sich um den Gewandhauschor, lässt sich nicht belegen. Ein Bericht der Neuen Zeitschrift für Musik aus dem Jahr 1877 legt hin- gegen nahe, dass es kein fester Chor, sondern ein Ad-hoc-Ensemble ist:

Zugegeben selbst, daß die Chorkräfte das ihnen zu leisten Mögliche redlich ge- leistet haben, so sind sie im Durchschnitt numerisch doch viel zu schwach, und weil auf gut Glück aus allen möglichen Vereinsmitgliedern und sonstigen Gesang- esfreunden sich recrutirend, fehlt ihnen überdies der genügende, mit Zuversicht erfüllende Halt.489

489 NZfM 44 (1877), S. 219. Kooperation und Konkurrenz

Demnach ist es möglich, dass hier auch Singakademie-Mitglieder teilnehmen. Diese Ver- mutung gilt zumindest für die Zeit vor dem endgültigen Bruch zwischen Singakademie und Konzertdirektion 1879. Was zunächst wie die Geschichte eines Abstiegs und Bedeutungsverlusts der Leipziger Singakademie klingen mag, hat andererseits positive Effekte: Die Auftrittsfrequenz pen- delt sich nach dem extremen Hoch während der Gewandhaus-Phase nun bei zwei bis drei Auftritten pro Jahr ein. Einen drastischen Einbruch gibt es nur während der Amtszeit von Carl Claus Anfang der 1870er Jahre, als die Zahl der Auftritte pro Jahr auf einen und die Mitgliederzahl auf 20 zurückgeht. Abgesehen hiervon bleibt der Verein auch in Hinblick auf die Mitgliederzahl handlungsfähig und erreicht unter Richard Müllers musikalischer Leitung Ende der 1880er Jahre wieder das Niveau der Gewandhaus-Phase. Dennoch beglei- ten finanzielle Sorgen und der Konkurrenzdruck durch andere Gesangvereine die Leipziger Singakademie von nun an permanent. 203

8.1 Kooperation und Konkurrenz. Musikalische Leiter, Konzertanlässe und beginnende Geldprobleme

Exemplarisch lässt sich in der vierten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie zeigen, wie die persönlichen Beziehungen der Musikdirektoren die Position des Vereins im Geflecht der städtischen Musikszene bestimmen. Nachdem zuvor Gewandhauskapell- meister als Direktoren der Singakademie wirkten, sind es nun Männer mit anderen musi- kalischen Verbindungen.490 Julius von Bernuth etwa ist neben seiner Tätigkeit bei der Singakademie auch Dirigent des Dilettanten-Orchestervereins, den er 1859 selbst gegründet hat, und dirigiert den 1843 gegründeten Männergesangverein. So verfügt die Singakademie für große chorsinfonische Konzerte durch die Zusammenarbeit mit diesen Vereinen nicht nur über Verstärkung in den Männerstimmen, sondern sogar über ein Orchester, wenn auch über kein professio- nelles. Bis 1864 kooperiert die Singakademie mit dem Dilettanten-Orchesterverein, danach bucht sie für einige Konzerte das Gewandhausorchester; ab 1866 ist dann eine Zusam- menarbeit mit dem Musikverein Euterpe nachweisbar. Dieser im Jahr 1824 gegründete Or- chesterverein ist aus Laien und professionellen Musikern gemischt besetzt und veranstaltet ebenfalls eigene Konzertreihen – in Konkurrenz zu denen des Gewandhauses.491 Bernuth leitet die Euterpe in den Jahren 1859/60 sowie von 1864 bis 1867.

490 Im Einzelnen sind die Verbindungen der Musikdirektoren aufgezählt in Anhang 12.2: Die musikali- schen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Die wechselnden Kooperationspartner des Vereins bei Konzerten ergeben sich aus der Spalte »Mitwirkende« in Anhang 12.5: Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n). 491 Vgl. Würzberger, Die Konzerttätigkeit des Musikvereins »Euterpe«, S. 12. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Als Bernuth Leipzig verlässt, übergibt er den Dilettanten-Orchesterverein und die Sing- akademie an Carl Claus, die Euterpe jedoch an Hans von Bronsart. So erklärt sich, weshalb die Singakademie nun wieder öfter mit dem Dilettanten-Orchesterverein zusammen auf- tritt. Für viele Konzerte in den 1870er und 1880er Jahren ist nicht überliefert, wer den Or- chesterpart in den Singakademie-Konzerten übernimmt. Bei manchen Gelegenheiten singt die Akademie auch a cappella oder mit Begleitung von Orgel oder Klavier. Wichtige Koope- rationspartner bilden im letzten Viertel des Jahrhunderts andere professionelle Orchester, offenbar ebenfalls begünstigt durch Vorlieben oder persönliche Kontakte einzelner Sing- akademie-Dirigenten. Das Musikchor von Carl Franz Büchner, auch Büchner’sche Kapelle genannt, spielt Anfang der 1870er Jahre sowie in den 1880er Jahren einige Konzerte mit der Singakademie.492 Unter Richard Müller beginnt 1889 eine Kooperation mit der Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 134, Müllers Nachfolger Klengel dagegen engagiert zunächst regelmäßig die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 107, später bevorzugt er das Winder­ 204 steinorchester. Der Gründer und Leiter dieses Orchesters, Hans Winderstein, wird schließ- lich im Jahr 1898 Direktor der Singakademie und nutzt das Orchester für deren Konzerte. Die Konzertanlässe in der vierten Phase der Singakademie-Geschichte lassen sich einerseits unterscheiden in Benefizkonzerte und Konzerte ohne einen bestimmten wohl- tätigen Zweck, andererseits in selbst organisierte Auftritte, mit Dritten gemeinsam orga- nisierte Auftritte und Auftritte in Konzerten, die gänzlich von Dritten veranstaltet werden. Die Grenzen hierbei sind fließend und Mischformen treten auf. So gibt es Konzerte, die die Singakademie und die Euterpe gemeinsam veranstalten (am 20. Februar 1866) ebenso wie Konzerte der Euterpe, bei denen die Singakademie ›nur‹ mitsingt (am 29. Januar 1867), und Konzerte der Singakademie, bei denen die Euterpe den Orchesterpart übernimmt (am 17. November 1884). Unter Richard Müller setzt eine Verstetigung ein, die besonderen An- lässe und Kooperationen werden weniger, stattdessen werden regelmäßig zwei eigene Kon- zerte pro Saison veranstatet. Erst in der kurzen Amtszeit von Hans Winderstein am Ende der hier besprochenen Phase integriert sich die Singakademie wieder in eine fremde Kon- zertreihe, nämlich in die von Winderstein und seinem Orchester in der Alberthalle des Krystallpalastes veranstalteten Philharmonischen Konzerte. Finanziell durchlebt der Verein nach der Trennung vom Gewandhaus eine schwere Zeit. Sind bisher an Kosten im Wesentlichen nur die Bezahlung des Musikdirektors und des Klavierbegleiters, Miete und Nebenkosten eines Probenlokals sowie der Ankauf von Notenmaterial angefallen, kommen nun bei selbst organisierten Auftritten noch weitere hinzu, etwa Saalmiete, Honorar für Solisten, Instrumentalisten und eventuelle Aushilfen im Chor sowie Lohn für das Abendpersonal. In der vierten Phase bilden selbst ausgerichtete Konzerte das Zentrum der Vereinstätigkeit – mit entsprechenden finanziellen Folgen. Erst-

492 Das Büchner’sche Musikchor ist laut Würzberger unter den fünf konzessionierten Zivilmusikchören dieser Zeit in Leipzig das führende. Vgl. das Kapitel »Die Verhältnisse der Leipziger Zivilmusikchöre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts« in: Würzberger, Die Entwicklung des Orchesterwesens in Leipzig, S. 95–129, hier besonders S. 110–118. Kooperation und Konkurrenz mals erwähnt Langer im Jahr 1863 einen »Cassen-Minderbetrag von 140 Thlr. 1 Gr. 9 Pf.«,493 später häufen sich solche Aussagen, und finanzielle Engpässe führen sogar 1879 zum Rück- tritt des Musikdirektors Alfred Richter. Begehrte Konzerttermine sind die Bußtage, von denen es damals in Sachsen jährlich zwei gibt. Konzerte an diesen Tagen versprechen reiche Einnahmen, setzen allerdings eine ministerielle Erlaubnis voraus. Der Riedelverein bekommt eine solche Erlaubnis. Die Sing- akademie will es ihm nachtun, scheitert aber im Verlauf des Jahres 1864 mit ihrem Gesuch. So bleiben die Bußtagstermine in der Hand des Riedelvereins und die Singakademie muss auf die weniger lukrativen Werktage und Wochenenden ausweichen.494 Die Einführung von Fördermitgliedschaften in der Singakademie ist vor diesem Hintergrund wohl als finan- zielle Konsolidierungsmaßnahme zu verstehen: Ab ca. 1865 gibt es die inaktive Mitglied- schaft, ab 1881 das Patronat.495 Eine humorvolle Darstellung der alltäglichen Probleme bietet der Text zum Tafellied Leiden und Freuden der Singacademie zu Leipzig, das beim Sommerfest 205 am 24. Juni 1868 auf die Melodie »Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus« gesungen wird:496 »Es fehlen viel Bässe und noch mehr Tenör!« – Tatsächlich zeigt eine Mitgliederliste des Jahres 1866 ein Verhältnis von etwa 2:1 zwischen Frauen- und Männerstimmen.497 Weiter im Text: »Viel Herren die hassen die geistlichen Chör’, – allemal!/Sie wollen nur Opern und lust’ges Quartett/und Solopartieen, das scheint ihnen nett.« Schließlich, mit Bezug auf das offenbar finanziell erfolglose Benefizkonzert am 8. Dezember 1867: »Die Kirche und Kasse sie bleiben leer – /Statt Weihnachtsbescheerung [sic] der Schulden noch mehr!« Im Jahr 1875 vergrößert sich die Konkurrenz im Bereich des gemischten Chorgesangs: Zusätzlich zum mittlerweile etablierten Riedelverein tritt nun der Bachverein an. Er gibt sein erstes Konzert am 23. Januar unter der Leitung von Alfred Volkland in der Thomas- kirche. Zum Zweck hat sich der Verein gesetzt, wie der Name schon sagt, »die Joh. Seb. Bach’schen Kirchencantaten – jene Werke, welche mit am unwiderleglichsten die Größe des Meisters darthun – durch Aufführungen der allgemeinen Kentniß näher zu bringen«.498 Sowohl Riedel- als auch Bachverein konzentrieren sich auf ältere Musik, während die Sing- akademie in dieser Zeit ein ganz anderes Repertoire pflegt. Die Vereine stellen also nicht im musikalischen Programm eine Konkurrenz zur Singakademie dar, doch sie konkurrieren um dasselbe Publikum, um Mitglieder, Dirigenten und Konzerttermine. Diese Konkurrenz wird sich vor allem nach der Jahrhundertwende verstärken und für die Singakademie exis- tenzbedrohend werden. Vorerst aber liest sich Langers Chronik für die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wie ein leichtes Auf und Ab ohne größere Krisen. Trotz häufiger Dirigentenwechsel steigt

493 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 51. 494 Ebd. 495 Siehe Kapitel 5.5: Mitgliederzahlen. 496 D-LEsa, [ohne Signatur, GOS-Nr. z0067409]. Alle folgenden Zitate dieses Absatz hieraus. Auch teil- weise abgedruckt bei Langner, Der Gewandhauschor, S. 23. 497 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 55. 498 Signale 33 (1875), S. 133. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

die Mitgliederzahl weiter an, die meisten Konzerte erbringen Gewinne für den Verein und werden positiv rezensiert, nur wenige reißen Löcher in die Kasse. Der einzige gravierende Einschnitt besteht in der sehr kurzen Episode, in der die Singakademie noch einmal als Chor der Gewandhaus-Abonnementkonzerte wirkt bzw. wirken soll.

8.2 Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866

Die Mitgliederstruktur der Leipziger Singakademie bzw. der verschiedenen Singakademien in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde bereits ausführlich diskutiert.499 Nun sind in Langers Chronik zahlreiche Mitgliederlisten abgedruckt, die auch Momentauf- nahmen zur Zusammensetzung des Chorvereins in späteren Jahren ermöglichen. Langer gibt die Listen für insgesamt fünfzehn Jahrgänge wieder: 1814, 1823, 1848, 1851, 1852, 1854, 206 1855, 1865, 1866, 1874, 1876, 1878, 1881, 1885, 1902.500 Darüber hinaus verwahrt das Staats- archiv Leipzig eine handschriftliche Mitgliederliste aus dem Jahr 1853.501 Auf Basis dieser Personennamen wäre es theoretisch möglich, das im Anhang abgedruckte Verzeichnis auf einen Zeitraum von 100 Jahren auszudehnen und die Anzahl der dort erfassten Personen schätzungsweise zu verdreifachen. Wahrscheinlich könnte ein solches Gesamtverzeichnis weitergehende Aufschlüsse über die soziale Struktur eines der wichtigsten Chorvereine in Leipzig geben. Besonders interessant wäre ein Abgleich mit eventuell vorhandenen Mitglie- derdaten der anderen großen Leipziger Chorvereine sowie ebenfalls mit Daten zu vergleich- baren Vereinen in anderen Städten. Hier würden sich weitergehende Fragen anschließen: Wie vollzieht sich angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Gesangvereinen im deutsch- sprachigen Raum die Diversifizierung anhand der sozialen Herkunft der Mitglieder? Inwie- fern ist ein Zusammenhang vorhanden zwischen dem Repertoire, das von Gesangvereinen gesungen wird, und dem sozialen Hintergrund der Menschen, die sich diesen Vereinen anschließen? Spiegelt sich das Wachstum der städtischen Arbeiterschaft nur in Arbeiter- chören oder hat es auch Einfluss auf die Zusammensetzung ›bürgerlicher‹ Gesangvereine? Es ist leicht einzusehen, dass ein solches Forschungsvorhaben den Rahmen der vor- liegenden Untersuchung sprengen würde und andere Methoden des Umgangs mit dem Material erfordern würde – das Mittel der Wahl wäre eher eine Datenbank als eine gedruckte Sammlung von Biogrammen. Um das Potential der späteren Mitgliederlisten der Leipziger Singakademie anzudeuten und einen Einblick in die Entwicklung der Mitgliederstruktur dieses Vereins in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu ermöglichen, soll wenigstens eine der späteren Mitgliederlisten exemplarisch genauer analysiert werden.

499 Siehe Kapitel 4: Die Mitgliederstruktur der Singakademien in Leipzig von 1802 bis 1821. 500 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 7, 17, 22–23, 34–36, 36–37, 43, 45, 52, 55–56, 60, 65, 72, 78–79, 86, 121–122. 501 D-LEsta, PP-V 150, fol. 2–3. Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866

Bei der von Langer für das Jahr 1866 mitgeteilten Aufstellung der Mitglieder der Leipzi- ger Singakademie502 handelt es sich um eine der ersten Listen nach Ende der Gewandhaus- Phase, so dass man überprüfen kann, ob die enge personelle Verbindung zum Gewandhaus aus der Gründungszeit sich gehalten hat, oder ob der Bruch sich in der Mitgliederstruktur nachweisen lässt. Außerdem enthält diese Liste, im Gegensatz zu der von 1865, auch Adres- sen, was die Recherche in den Polizeimeldebüchern erleichtert und viele Personen eindeu- tig zu identifizieren erlaubt, obwohl ihre Namen bei Langer in Einzelfällen falsch geschrie- ben sind. Analog zur Untersuchung der Mitgliederstruktur der Leipziger Singakademie in der Frühzeit wurde auch hier ein Verzeichnis der Biogramme der einzelnen Mitglieder er- stellt. Die Lebensdaten, Berufe und Zugehörigkeiten zu bestimmten Assoziationen wurden statistisch ausgewertet.503 Wieder liegt es nahe, zunächst einige prominente Leipzigerinnen und Leipziger zu erwähnen, deren Biografie nun um das Detail ergänzt werden kann, dass sie im ältesten 207 Chorverein der Stadt mitsingen. Hervorgehoben seien der Kaufmann, Stifter und Namens- geber der Leipziger Fockestraße Adolf Focke, der Musikverleger Raymund Härtel und seine Töchter, der Medizinprofessor Carl Ludwig Merkel sowie die drei Kinder des Namensgebers der Schrebergärten, Daniel Gottlob Moritz Schreber. Wie stellt sich im Jahr 1866 der Chor als Ganzes dar und wie hat er sich im Vergleich mit dem früher untersuchten Zeitraum verändert? Die »Kennzahlen« zeigen zunächst, dass der Chor mit 84 Sängerinnen und Sängern nach wie vor ein mitgliederstarker Verein ist, wenn auch der Mitgliederstand schon einmal höher war und in späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wieder höher sein wird.504 Etwas unausgeglichen ist das Geschlechterver- hältnis: Auf einen Mann kommen in der Singakademie 1866 zwei Frauen. Von den 84 Personen konnten 69 ausreichend identifiziert werden, um sie einer sozialen Gruppe bzw. einem Beruf zuzuordnen, also über 80 %. In den Erhebungen zur Frühzeit der Singakade- mie bewegt sich der Anteil der identifizierten Sängerinnen und Sänger in ähnlichen Grö- ßenordnungen, liegt teilweise sogar höher. Höher als bei den früheren Erhebungen ist der Anteil der Personen, deren Geburtsjahr bzw. Alter bekannt ist. Er liegt bei fast drei Vierteln, das Durchschnittsalter der Sängerinnen und Sänger beträgt 1866 rund 32 Jahre. Das ist für einen Chor ein akzeptabler Altersschnitt, liegt aber sieben Jahre über dem Altersschnitt bei der Vollerhebung aller Mitglieder der frühen Singakademien zwischen 1802 und 1821. Ins- gesamt zeigen die Kennzahlen: Die Singakademie ist zu diesem Zeitpunkt mittelgroß, das

502 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 55–56. 503 Dabei galten dieselben Regeln wie bei der ersten Untersuchung, damit die Ergebnisse direkt vergleich- bar sind. Weil etwa ein halbes Jahrhundert zwischen den Bezugszeiträumen beider Erhebungen liegt, unterscheiden sich aber die Quellen sowie die Reihenfolge ihrer Benutzung in Einzelheiten. Die ge- nauen Quellen, die Biogramme sowie die Tabelle, die die Ergebnisse dieser Auswertung zusammen- fasst, sind abgedruckt in Anhang 12.4: Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866. Alle folgenden Aussagen basieren auf diesem Material. 504 Vgl. Kapitel 5.5: Mitgliederzahlen. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Handwerker 2 Militärs 1 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 5 unbestimmt 15 sonstige Angestellte 3 höhere Angestellte/Beamte 2

Mediziner 6

Juristen 11

208

Kaufleute/ Kramer/Bankiers 39

Abbildung 15: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien 1866, Haupttätigkeit

Durchschnittsalter liegt im Vergleich zu früher höher und das Geschlechterverhältnis hat sich zuungunsten der Männerstimmen geändert. Diese Befunde hängen eng zusammen mit den Ergebnissen im Feld »Haupttätigkeit«, wo nach den bekannten Regeln die Sängerinnen und Sänger anhand ihrer Berufe oder an- hand der Berufe ihrer Väter oder Ehemänner bestimmten Gruppen zugeordnet wurden. Das Ergebnis dieser Auswertung zeigt Abbildung 15, wobei wieder die akademischen Berufe schraffiert sind. Im Vergleich mit den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts fällt sofort auf, dass eine wich- tige Gruppe fehlt, die früher bis zu einem Drittel der Sänger ausmachte, nämlich die Stu- denten. Wesentlich stärker ausgeprägt (rund 46 %) ist hingegen nun der Anteil der Kauf- mannschaft. Auch die Angehörigen akademischer Berufe – in diesem Fall Juristen und Mediziner, keine Kleriker mehr – sind recht stark vertreten (über 20 %), während sie in den früheren Erhebungen nur etwa 12 bis 17 % der Sängerinnen und Sänger stellten (abgesehen von Limburgers Privatakademien). Weiterhin kommen folgende Gruppen 1866 in der Sing- akademie nicht mehr vor: Schüler, Redakteur/Schriftsteller, Musiker. Auf die ›fehlenden‹ Musiker wird zurückzukommen sein, die beiden anderen Gruppen hatte es zwar in der Frühzeit in der Singakademie gegeben, aber sie hatten nie eine sonderlich große Zahl von Sängerinnen und Sängern gestellt. Im Vergleich zu früher ist die Singakademie mithin homogener geworden. Sie besteht fast zur Hälfte aus Kaufleuten und deren Angehörigen sowie zu einem guten Teil aus Vertretern der Akademikerschaft. Weitere Kreise, die in der Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866

Singakademie vertreten sind, sind Angestellte, Lehrer und Handwerker; auch ein Militär- angehöriger ist dabei. Das Feld »Gruppenzugehörigkeit« zeigt im Vergleich mit der Vollerhebung der Sing- akademie-Mitglieder von 1802 bis 1821 ebenfalls eine Homogenisierung. Von den im frühen 19. Jahrhundert noch maßgeblichen Gruppen Universität, Gewandhaus und Adel gibt es 1866 nur noch je einen Vertreter. Nach wie vor von Belang sind dagegen die in Politik bzw. Verwaltung Angestellten (1802–1821: rund 13 %; jetzt rund 10 %) und die Freimaurer (früher 20 %, jetzt 7 %), obwohl ihre Anteile geringer geworden sind. Nur eine Gruppe hat einen Aufstieg erlebt: Gehörten Anfang des 19. Jahrhunderts noch rund 15 % der Singakademie- Sängerinnen und -Sänger den Gesellschaften Harmonie oder Die Vertrauten an bzw. waren enge Familienangehörige eines Mitglieds dieser Gesellschaften, so ist deren Anteil 1866 auf 18 % gestiegen. Hiervon entfallen 5 % auf die Vertrauten und 13 % auf die Harmonie. Die skizzierten Veränderungen lassen sich nicht nach einem einfachen Ursache-Wir- 209 kung-Schema deuten. Dennoch liegen manche Erklärungen auf der Hand, wenn man bedenkt, welche Entwicklungen es zwischen 1802 und 1866 im Bereich des Chorvereins- wesens gegeben hat. Eine große Rolle spielt zweifellos die inzwischen eingetretene Diver- sifizierung in verschiedene Gesangvereine unterschiedlicher Ausrichtung, die nun um Mitglieder konkurrieren. War die Singakademie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als erster Chorverein für singfreudige Dilettanten ohne Alternative, so stehen diese nun vor der Wahl: Für Studenten sind selbstverständlich die beiden großen akademischen Gesangvereine Leipzigs, der Paulus (gegründet 1822) und der Arion (gegründet 1849), die erste Adresse. Beide Vereine verzeichnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast durchgehend Mitgliederzahlen über 50 Personen, der Universitäts-Gesangverein zu St. Pauli durchbricht schon in den 1870er Jahren die 100-Mitglieder-Marke.505 Bekanntlich steigt die Zahl der Ge- sangvereine im deutschsprachigen Raum insgesamt im Laufe des 19. Jahrhunderts stark an,506 auch Leipzig wird von dieser Gründungswelle erfasst und bildet sogar einen beson- deren Schwerpunkt des Chorwesens in dieser Zeit.507 Im Jahr 1866 existieren schon eine ganze Reihe von Männergesangvereinen verschiedenster Ausrichtungen in Leipzig. Hier entsteht eine Konkurrenz, die besonders den geringen Männeranteil in der Singakademie zu erklären vermag: Männer können sich für einen der zahlreichen Männerchöre entschei- den, reine Frauenchöre gibt es zu diesem Zeitpunkt in Leipzig dagegen nicht. Wohl aber existieren neben Singakademie, Gewandhauschor und Riedelverein 1866 noch drei weitere gemischte Chöre, sie heißen Orpheus, Ossian und Aeolus.508

505 Vgl. Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 35. 506 Brusniak/Blankenburg, »Chor und Chormusik«. 507 Vgl. z. B. Hennenberg, »Musikgeschichte der Stadt Leipzig«, S. 263; Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, und Stephan Greiner, »Singende Studenten mit Band und Mütze. Der Akademische Gesang- verein Arion im Kreise der Leipziger Musikverein des 19. und frühen 20. Jahrhunderts«, in: 600 Jahre Musik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 223–237, hier S. 224. 508 Siehe Übersicht bei Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 108–114. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Die Diversifizierung des Chorwesens bedeutet nicht nur eine höhere Zahl an Chor- vereinen, sondern auch, dass es verschiedene Vereins-Angebote für die unterschiedlichen Interessen potentieller Mitglieder gibt. Am Beispiel Leipzigs heißt das: Es gibt nicht nur Chöre für erwachsene Männer generell, auch Studenten und einzelne Berufsgruppen fin- den sich in speziellen Gesangvereinen.509 Nicht zuletzt beginnt Anfang der 1860er Jahre die Bewegung der Arbeitergesangvereine in Leipzig.510 Die Diversifizierung der Vereins- landschaft bewirkt zugleich eine innere Homogenisierung der einzelnen Vereine. Die Mischung verschiedener gesellschaftlicher Zirkel, die am Anfang des 19. Jahrhunderts in der Singakademie so augenfällig war, ist nun weniger stark ausgeprägt. Neben dem voll- ständigen Fehlen einzelner Gruppen sind mehrere weitere Aspekte hierfür symptomatisch. Zum einen ist unter den Freimaurern, die auch 1866 mit der Singakademie in Verbindung stehen, kein einziger Vertreter der Loge Apollo – ob die sangesbegabten Mitglieder dieser Loge sich vielleicht lieber in einem anderen Verein treffen, muss an dieser Stelle offen 210 bleiben. Zum anderen sind unter den zahlreichen Vertretern des Kaufmannsstandes in der Leipziger Singakademie 1866 verhältnismäßig viele Buchhändler und Verleger bzw. deren Angehörige: Mehr als zehn Personen sind in diesem Zusammenhang zu nennen, darunter unter anderem Julius Altendorff, Heinrich Hirzel und Albrecht Wigand sowie die Musikver- leger-Familien Härtel und Kahnt. Nur ein Vergleich mit anderen Leipziger Chören könnte beantworten, ob die Singakademie sich vielleicht zu einem Treffpunkt des Leipziger Buch- gewerbes entwickelt hat. Zu guter Letzt ist, abgesehen von einem Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion (Wilhelm Theodor Seyfferth), die Abwesenheit von professionellen Musikern und von wei- teren Vertretern des Gewandhauses zu beobachten. In der Frühzeit waren mehrere profes- sionelle Sängerinnen, Sänger und Instrumentalisten aus dem Gewandhaus in der Singaka- demie aktiv. Das ist nun nicht mehr der Fall. Zu vermuten ist einerseits, dass der Ausstieg der Singakademie aus den Gewandhaus-Abonnementkonzerten diese personellen Verbin- dungen gelöst hat. Andererseits führen die wachsenden Möglichkeiten der professionellen Musiker, sich andernorts zu betätigen – etwa am inzwischen gegründeten Konservatorium oder im Musikverein Euterpe –, wahrscheinlich dazu, dass diese sich weniger in Dilettanten- vereinen engagieren. Die Mitgliederstruktur der Leipziger Singakademie im Jahr 1866 verrät, dass frühere Verbindungen des Chores – insbesondere zur Studentenschaft und zum Gewandhaus – tatsächlich abgebrochen sind. Der Verein hat dagegen die schon vorhandenen Ansätze als Chor der Kaufleute und Akademiker weiter ausgebaut. Die für die Frühzeit erwiesene Eli- tenkonzentration in der Singakademie ist dennoch weniger stark ausgeprägt. Zwar sind einige Stadtratsmitglieder bzw. deren Angehörige unter den Sängerinnen und Sängern, auch Freimaurer und Gesellschaften sind nach wie vor vertreten, doch insgesamt lässt sich

509 Wie etwa im 1860 gegründeten Gesangverein der vereinigten Cigarrenarbeiter, siehe ebd., S. 110. 510 Ausführlicher hierzu: Kapitel 9.5: Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakade- mie 1918–1945. Intermezzo: Die Singakademie als Gewandhauschor unter Carl Reinecke 1879 keineswegs mehr behaupten, dass die Singakademie ein Haupttreffpunkt der städtischen Elite sei. Die Gründe liegen zum einen im Wachstum der Stadt, in der Popularisierung und Diversifizierung der Gesangvereinsszene insgesamt, zum anderen vielleicht auch im Bruch mit dem Gewandhaus, den die Singakademie 1861 vollzogen hat. Ein Vergleich der hier beschriebenen Mitgliederstruktur der Singakademie in den 1860er Jahren mit der von Gewandhauschor und Riedelverein wäre ein wünschenswerter Ansatz für zukünftige For- schungen, um die angerissenen Fragen präziser zu beantworten.

8.3 Intermezzo: Die Singakademie als Gewandhauschor unter Carl Reinecke 1879

Als die Singakademie 1861 aus den Gewandhaus-Abonnementkonzerten aussteigt, bedeutet 211 das noch nicht den endgültigen Abbruch der Verbindungen zum Gewandhaus. Jahre später, als der Chor längst die Vor- und Nachteile der Unabhängigkeit erlebt hat, kommt es noch einmal zu einer Annäherung. Dieses in der Sekundärliteratur schon weitgehend gewürdig- te511 ›Intermezzo‹ in der vierten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie soll hier nur kurz zusammenfassend referiert werden. Alfred Richter legt Anfang April 1879 sein Amt als Singakademie-Dirigent nieder, weil aus Geldmangel keine größeren öffentlichen Aufführungen mehr stattfinden können.512 Carl Reinecke, der nun seit fast zwei Jahrzehn- ten Gewandhauskapellmeister ist und unter dessen Leitung die Chorvereinigung des Ge- wandhauses gedeiht, soll neuer Musikdirektor der Singakademie werden. Zur Bedingung macht er, »dass die S.-A. wieder, wie es früher schon gewesen war, den Chorpart bei den Ge- wandhaus-Concerten übernehme«.513 Der bestehende Gewandhauschor soll aufgelöst und 19 Sängerinnen dieses Chors sollen in die Singakademie übernommen werden. So werden die Forderungen, die Reinecke 1860 bei seinem Amtsantritt gestellt hatte, doch noch erfüllt. Der Verein benennt sich um in »Leipziger Singakademie (Chorverein für die Gewandhaus- Concerte)«. Die erste Probe unter Carl Reinecke findet am 21. April 1879 statt. Der neue Zwitterverein aus Gewandhauschor und Singakademie hat nur ein kurzes Leben. Zum ersten Mal nach der Fusion steht der Verein am 15. Juni desselben Jahres auf der Bühne des Stadttheaters bei einem Benefizkonzert für die nichtpensionsberechtigten Mitglieder des Stadtorchesters. Am Beginn der nächsten Konzertsaison ist ein einziger Auf- tritt in einem Abonnementkonzert nachgewiesen, es handelt sich um die Aufführung von

511 Siehe z. B. Langner, Der Gewandhauschor, S. 41–42, und Schmidinger, »›Dass wir keinen ordentlichen Chor haben‹«. 512 Vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 73, und Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanz- zeit, S. 449. 513 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 73. Man müsste nach heutigem Wissensstand ergänzen: ›Früher‹, also 1847–1861, war die Singakademie keineswegs an allen Chorauftritten im Gewandhaus beteiligt, sondern nur an den sogenannten ›größeren‹, und auch da nicht alleine, siehe Kapitel 7.3: Die Singakademie und andere Chöre in den Abonnementkonzerten des Gewandhauses ab 1847. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Max Bruchs Lied von der Glocke am 6. November 1879. Schon wenig später kommt es zum erneuten, diesmal endgültigen Bruch zwischen dem Gewandhaus und der Singakademie. Langer berichtet von Streitereien im Vorstand, vom Rücktritt mehrerer Vorstandsmitglie- der und von dem altbekannten Problem, dass immer nur ein Teil der Mitglieder bei den Gewandhauskonzerten mitwirken darf: »Alle Mitglieder dazu aufzufordern war wegen Raummangels nicht angängig, so war es erklärlich, dass die Nichteingeladenen darüber missgestimmt wurden.«514 Der Vorstand bricht also die Beziehungen zur Gewandhaus-Kon- zertdirektion wieder ab und Reinecke legt den Posten als Musikdirektor der Singakademie umgehend nieder. Es scheiden »gegen 50 Mitglieder«515 aus dem Verein aus, der Schwund wird allerdings laut Langers Angaben bald durch Neuzugänge ausgeglichen (1878: 79 Mit- glieder; 1881: 91 Mitglieder). Viele Ausgeschiedene sind vermutlich ehemalige Mitglieder des Gewandhauschors, der künftig, wie auch vorher, als eigenständiger Verein fortexistiert. Nachfolger Reineckes als Musikdirektor der Singakademie wird Richard Hofmann. Die 212 Signale für die musikalische Welt schreiben im März 1880:

Die ›Leipziger Singakademie‹ ist aus dem Abhängigkeitsverhältniß als Chorverein der Gewandhausconcerte wieder in das Stadium der Selbständigkeit getreten und hat in dieser neuen, oder richtiger gesagt alten Gestalt, vorgestern [am 6.3.1880] unter Leitung des neuen Dirigenten Herrn Richard Hofmann seine [sic] erste dies- winterliche Aufführung abgehalten.516

Eine letzte Stimme dazu, wie es unter Reinecke in den Choraufführungen des Gewandhau- ses weitergeht, sei noch erwähnt, und zwar aus den »Kindheitserinnerungen an berühmte Musiker im Gewandhaus« von Franziskus Nagler. Der Kantor und Komponist Nagler (1873– 1957), der übrigens im Juni 1935 selbst die Singakademie und andere Chöre bei einer Auf- führung seiner Kantate Aus Nacht zum Licht! leitet, erinnert sich hier an die 1880er Jahre:

Wenn die Konzertzeit einsetzte und die Chorproben unter Carl Reinecke im Saale des Alten Gewandhauses – jetzt Kaufhaus – begannen, waren wir kleinen Tho- maner dauernd in freudiger Erregung. Zunächst hatten die Proben ihren Reiz, der außer den rein musikalischen Dingen im Zusammenkommen mit den Da- men und Herren des Gewandhauschores lag […]. Die Männerstimmen wurden zu einem großen Teile von den Paulinern gestellt.517

514 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 73. 515 Ebd. 516 Signale 38 (1880), S. 339. 517 Franciscus Nagler, »Kindheitserinnerungen an berühmte Musiker im Gewandhaus«, in: Fest-Schrift. 2. Sächsisches Sängerfest in Leipzig. 28.–30. Juni 1935, Leipzig 1935, S. 50–54, hier S. 50. Das Repertoire 1861–1900

Auch nach 1879 dauert also die Tradition im Gewandhaus an, dass Thomaner und Pauliner gemeinsam mit einem gemischten Laienchor die ›größeren‹ Chorkonzerte im Gewand- haus bestreiten. Die Singakademie ist zweimal dieser Laienchor im Gewandhaus gewesen, für eine längere Phase 1847 bis 1861 und für ein kurzes Intermezzo im Jahr 1879. Erst im Neujahrskonzert 1961 ist sie, gemeinsam mit anderen Chören, ein letztes Mal bei einem Abonnementkonzert des Gewandhauses zu hören.

8.4 Das Repertoire 1861–1900

Weil für die vierte Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie eine dauernde Ein- bindung in fremde Konzerttraditionen nicht mehr vorliegt, erscheint es zweckmäßig, für die Untersuchung des Repertoires alle Auftritte der Singakademie zusammenzufassen, un- 213 abhängig davon, wer im Einzelfall als Veranstalter zeichnet oder welche anderen Orchester und Chöre noch beteiligt sind. Das folgende Register setzt ein mit Der Messias-Aufführung der Singakademie im Juni 1861 und endet mit dem letzten Konzert unter Hans Winderstein im März 1900. Enthalten sind alle Konzerte außer dem Abonnementkonzert im November 1861, das noch der Gewandhaus-Phase zuzurechnen ist, und dem Karfreitagskonzert 1865.

Bach, Johann Christian: Motette »Ich lasse dich nicht«: 4.12.1865 Bach, Johann Sebastian: Kantate »Bleib’ bei uns, denn es will Abend werden«: 17.9.1865 –—: Kantate »Ein feste Burg ist unser Gott«: 9.11.1883, 10.11.1883 –—: Magnificat: 10.3.1878 Bargiel, Woldemar: Frühlingsnacht: 6.3.1880, 1880, 18.12.1880 –—: Vorüber (»O, darum ist der Lenz so schön«): 1880, 6.11.1880, 29.3.1883 Becker, Albert: Reformationskantate zum Luther-Jubiläum, op. 28: 9.11.1883 Becker, Valentin Eduard: Scheiden (»Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar«): 27.3.1887 Beethoven, Ludwig van: Fantasie für Pianoforte, Chor und Orchester: 3.3.1890 –—: Kantate Meeresstille und glückliche Fahrt: 5.12.1887 –—: Oratorium Christus am Ölberg: 4.3.1863, 17.11.1884 –—: Schauspielmusik Die Ruinen von Athen: 18.12.1864, 4.2.1865, 4.3.1889 –—: Sinfonie Nr. 9: 15.6.1879, 20.2.1899, 1.3.1899, 18.12.1899 Berlioz, Hector: Die Flucht nach Ägypten: 26.11.1881, 16.11.1896 Brahms, Johannes: Abschiedslied (Volkslied): 10.4.1876 –—: Der Gärtner, op. 17/3: 18.12.1880, 5.12.1887 –—: Die Wollust in den Mayen (Volkslied): 10.4.1876 –—: Geistliches Lied »Laß dich nur nichts«: 10.7.1869 –—: In stiller Nacht (Volkslied): 10.4.1876 –—: Gesang aus Ossians ›Fingal‹, op. 17/4: 18.12.1880, 5.12.1887 –—: Schicksalslied: 16.11.1896 Braun Mägdelein (Volkslied): 26.11.1881 Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Bruch, Max: Die Flucht der heiligen Familie: 6.11.1880 –—: Oratorium Das Lied von der Glocke: 6.11.1879 –—: Oratorium Gustav Adolf: 19.3.1900 –—: Schön Ellen: 6.3.1880 Cherubini, Luigi: Chöre aus der Oper Blanche de Provence: 6.11.1880, 29.3.1883 –—: Pater noster: 14.6.1866 –—: Requiem Nr. 1 (auch Auszüge): 10.11.1861, 4.3.1863, 1873, 31.10.1882 Dietrich, Albert: Rheinmorgen: 5.12.1885 Franck, César: Oratorium Die Seligpreisungen: 18.11.1895 Gabrieli, Giovanni: »Benedictus« und »Osanna«: 10.7.1869 Gade, Niels Wilhelm: Beim Sonnenuntergang: 6.3.1880,1880, 25.3.1882 –—: Kantate Comala: 3.3.1890 –—: Kantate Frühlingsbotschaft: 20.2.1866, 7.7.1868, 21.2.1876 214 Gouvy, Théodore: Kantate Iphigenie auf Tauris: 22.2.1897 Händel, Georg Friedrich: 100. Psalm »Jubilate«: 14.2.1870 –—: Dettinger Te Deum: 10.11.18611873 –—: Oratorium Der Messias (auch Auszüge): 30.6.1861, 5.6.1864, 11.3.1872, 10.11.1883, 3.11.1890, 18.2.1895 –—: Oratorium Judas Maccabäus: 6.11.1864, 18.1.1872, 9.11.1891 –—: Oratorium Samson: 8.12.1867, 26.11.1887 Hauptmann, Moritz: »Gott, mein Heil«: 21.10.1883 –—: »Ich und mein Haus«: 21.10.1883 –—: Frühlingsliebe (»Wenn der Frühling kommt und von den Bergen schaut«): 4.12.1865 –—: Kantate »Herr, Herr, wende dich zum Gebet«: 30.5.1867 –—: Wanderers Nachtlied (»Über allen Gipfeln ist Ruh’«): 4.12.1865 Hauser, Moritz Heinrich: Drei Chöre a cappella: 7.7.1868 Haydn, Joseph: Madrigal Der Sturm: 18.12.1864, 26.11.1881 –—: Motette »Herr, der du mir das Leben bis diesen Tag gegeben«: 25.10.1868, 12.12.1874 –—: Oratorium Die Jahreszeiten (auch Auszüge): 8.3.1862, 31.5.1862, 10.5.1865, 14.12.1868, 10.4.1876, 4.12.1886, 7.11.1892, 21.2.1898 –—: Oratorium Die Schöpfung (auch Auszüge): 6.12.1863, 4.12.1866, 28.2.1871, 21.2.1876, 13.11.1876, 5.11.1888, 19.2.1894, 17.3.1899 Hofmann, F. Heinrich: Der Pilot: 18.12.1880 Hofmann, Heinrich: Oratorium Prometheus: 14.11.1898 Hofmann, Richard: Soldatenlied: 25.2.1883 Holstein, Franz von: Mailied aus dem Trompeter von Säkkingen: 6.11.1880 Jadassohn, Salomon: 67. Psalm (Verse 2 u. 3): 18.12.1880, 6.3.1881 –—: Morgenlied u. Heidenröslein, op. 67: 4.12.1882 –—: zwei geistliche Gesänge: 30.5.1867 Jensen, Adolf: Acht Lieder, op. 29 oder ein Lied daraus: 25.3.1882 –—: Brautlied für Solo, Chor, zwei Hörner und Pianoforte: 4.12.1865, 4.12.1882 Das Repertoire 1861–1900

–—: Die Liebe saß als Nachtigall: 6.3.1884 –—: Frühmorgens: 13.4.1881 –—: Im Wald, im hellen Sonnenschein: 1880, 18.12.1880, 29.3.1883 –—: Kornblumen flecht’ ich dir zum Kranz: 6.3.1884 –—: Nachtlied: 6.3.1880, 1880 –—: Neue Liebe: 6.3.1880 –—: Unter der Loreley: 6.11.1880 Kliebert, Karl: Waldruhe, op. 3: 26.2.1886 Krause, Anton: Prinzessin Ilse. Eine Rübezahl-Legende: 26.2.1886 Krug, Arnold: Der Abend, op. 15: 13.4.1881 –—: Die Maikönigin: 9.2.1884 Leo, Leonardo: 116. Psalm »Credidi, quia locutus sum«: 25.10.1868 Liszt, Franz: »Kyrie«: 10.7.1869 215 –—: Der 137. Psalm »An den Wassern zu Babylon«: 25.10.1868 –—: Prometheus: 16.11.1896 Lotti, Antonio: 10-stimmiges »Crucifixus«: 30.5.1867 –—: 8-stimmiges »Crucifixus«: 30.5.1867 –—: 8-stimmiges »Qui tollis« für Soloquartett u. Chor: 30.5.1867 Maienlust und Abschied (Volkslied): 26.11.1881 Marschner, Heinrich: Oper Der Holzdieb: 20.2.1881 Meinardus, Ludwig: Rolands Schwanenlied: 4.12.1865, 4.12.1882 Mendelssohn Bartholdy, Felix: Auszüge aus der unvollendeten Oper Loreley: 8.3.1862, 14.12.1868 –—: Chöre aus dem unvollendeten Oratorium Christus: 29.6.1868 –—: geistliches Lied »Lass, o Herr, mich Hülfe finden«: 6.3.1880, 6.3.1881 –—: Hymne »Lauda Sion«: 29.6.1868, 13.4.1881 –—: Kantate Die erste Walpurgisnacht: 16.12.1867, 17.11.1884 –—: Motette »Aus tiefer Noth«: 30.5.1867 –—: Oratorium Elias: 21.2.1864, 13.3.1877, 4.11.1889, 24.2.1896 –—: Oratorium Paulus: 17.11.1877, 20.2.1893 –—: Schauspielmusik zu Athalia: 5.12.1887 –—: Sinfonie-Kantate (Sinfonie Nr. 2) Lobgesang: 11.3.1872 Moscheles, Ignaz: Maifeier: 1870 –—: Schäfers Sonntagslied (»Das ist der Tag des Herrn«): 1870 –—: Winternacht: 1870 Mozart, Wolfgang Amadeus: Chor »Ave verum corpus«: 4.12.1865, 18.12.1880, 6.3.1881, 31.10.1882, 5.12.1887 –—: Requiem: 17.9.1865, 10.3.1878 Müller, Richard: Liebeszauber, op. 8: 26.2.1886 –—: Romanzenkranz Katharina Cornaro, op. 70: 27.3.1887 –—: Scheiden, op. 62/3: 26.2.1886 Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

–—: Tanzliedel: 26.2.1886 »O komm, mein Kind, zum Wald hinein« (altfranzösisches Volkslied): 13.4.1881 Oberreich, Franz: Inniges Verbinden: 27.3.1887 Piutti, Carl: »Das macht das dunkelgrüne Laub«, op. 17/7: 25.2.1883, 29.3.1883 –—: Mein Schatz (»Mein Schatz ist a Reiter«), op. 17/5: 26.11.1881, 25.3.1882? –—: Wiegenlied, op. 17/1 oder op. 17/3: 26.11.1881, 25.3.1882? Praetorius, Michael: »Es ist ein Ros’ entsprungen«: 12.12.1874 Raff, Joachim: Heidelied (»Nacht voller Sterne«): 25.2.1883, 29.3.1883 –—: Im Kahn: 6.11.1880, 25.3.1882 –—: Morgenlied: 9.2.1884 Reinecke, Carl: »O abendliches Schweigen«, op. 156/5: 13.4.1881 –—: »Wie auf dem Feld nur die Frucht gedeiht«, op. 100/9: 6.11.1880 –—: Der Winter treibt keine Blüte: 6.3.1880, 1880 216 –—: Elfen: 6.3.1880 –—: Mädchenlied: 26.11.1881 –—: Märchendichtung Dornröschen: 23.2.1877, 27.3.1885 –—: Offertorium »Felix es, sacra virgo Maria«: 29.3.1883 Rheinberger, Josef Gabriel: Ballade Klärchen auf Eberstein: 5.12.1885 –—: Ballade König Erich, op. 71: 26.2.1886 –—: Der Weidenbaum: 9.2.1884 –—: Die Nacht: 9.2.1884 –—: Die Wasserfee: 13.4.1881 –—: Hymne: 26.11.1881 –—: Oratorium Christophorus: 25.3.1882 –—: Romanzen-Zyklus Toggenburg (auch Auszüge): 12.12.1874, 10.4.1876, 27.3.1885 Richter, Alfred: Oratorium Judith: 7.6.1878 Richter, Ernst Friedrich: Die Elfen (FCh): 21.2.1876 –—: Frühlingsglaube (FCh): 21.2.1876 –—: Weihnachtslied: 18.12.1880 Rossini, Gioachino: Stabat mater (auch Auszüge): 4.12.1865, 20.2.1866 Rubinstein, Anton: Chöre der Semiten, Hamiten und Japhetiten aus der Geistlichen Oper Der Turm zu Babel: 23.4.1894 –—: Requiem für Mignon: 23.4.1894 Scharwenka, Philipp: Dörpertanzweise (»Den Finken des Waldes«): 25.2.1883, 29.3.1883 Schneider, Friedrich: Oratorium Das Weltgericht: 9.3.1870 Schubert, Franz: Chöre aus der Schauspielmusik zu Rosamunde: 18.12.1880, 26.2.1886 –—: Coronach (»Er ist uns geschieden«): 29.3.1883 –—: Der 23. Psalm für weibliche Stimmen »Gott ist mein Hirt«: 31.10.1882, 13.4.1881 –—: Gott im Ungewitter: 27.3.1885 –—: Kantate Mirjams Siegesgesang: 26.11.1881 –—: Messe Nr. 6 in Es-Dur: 14.6.1866 Das Repertoire 1861–1900

Schumacher, Paul: Im Maien: 27.3.1887 Schumann, Robert: Abendlied: 29.3.1883 –—: Adventlied (»Dein König kommt in niedern Hüllen«): 3.3.1890 –—: Zigeunerleben: 8.3.1862, 21.2.1876, 1880 –—: Dramatisches Gedicht Manfred: 29.1.1867 –—: Drei Lieder, op. 29: 4.12.1865 –—: Oratorium Das Paradies und die Peri: 2.4.1869, 22.2.1892, 10.11.1899 –—: Oratorium Der Rose Pilgerfahrt: 1864, 4.3.1889 –—: Requiem für Mignon: 5.12.1885 –—: Romanze vom Gänsebuben, op. 145/5: 4.12.1882 –—: Szenen aus Goethes ›Faust‹: 1.3.1891 –—: Talismane (»Gottes ist der Orient«): 25.10.1868 –—: Vom Pagen und der Königstochter, vier Balladen, op. 140: 9.2.1884 217 Schütz, Heinrich: Kreuzigung (»aus den vier Passionen zusammengestellt«): 10.7.1869 –—: Oratorische Szene »Saul, was verfolgst du mich!« aus dem 3. Teil der Symphoniae Sa- crae: 10.7.1869 »So schön wie sie ist keine« (französisches Volkslied): 6.11.1880 Spohr, Louis: Oratorium Der Fall Babylons: 5.11.1870 Sucher, Joseph: Das Waldfräulein für Chor u. Soli: 15.6.1879 Tinel, Edgar: Oratorium Franciscus (auch Auszüge): 6.11.1893, 12.11.1894, 24.10.1897, 14.11.1897 Vierling, Georg: Frühling: 4.12.1882 Vogel, Bernhard: Abendstille, op. 16: 29.3.1883 Vogel, Moritz: Stiller Abschied: 13.4.1881 Volkmann, Robert: Altdeutsches Weihnachtslied (»Er ist gewaltig und stark«): 10.7.1869 Wagner, Richard: Blumenmädchen-Szene aus der Oper Parsifal: 16.11.1896 –—: Kaisermarsch (»Heil! Heil dem Kaiser!«): 17.1.1899 –—: Marsch und Chor aus der Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg: 7.7.1868 Weinwurm, Rudolf (Arr.): Drei Schottische Lieder: Annie Lanrie, Oft in der stillen Nacht u. Der Pfeifer von Dundee: 27.3.1885 –—: Drei altdeutsche Liebeslieder, op. 36: 9.2.1884 Wüllner, Franz: Abendlied (FCh): 4.12.1882 –—: Agnus Dei: 10.7.1869 –—: Libellen (FCh): 4.12.1882 –—: Trost (FCh): 4.12.1882 Zenger, Max: Der Abend: 26.11.1881 –—: Die Nonne: 6.11.188029.3.1883 –—: Hans und Grete: 18.12.1880

Verglichen mit dem Repertoire, das die Leipziger Singakademie in den Gewandhauskonzer- ten von 1847 bis 1861 gesungen hatte, gibt es in der darauffolgenden Phase von 1861 bis 1900 beides: Kontinuitäten und wesentliche Unterschiede. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

Zu den Kontinuitäten zählt, dass die Musik Johann Sebastian Bachs, seiner Vorläufer und Zeitgenossen, so gut wie keine Rolle spielt. Die Repertoirelücke im Bereich der Re- naissance- und Barockmusik, die schon bei den Gewandhauskonzerten von Zeitgenossen beklagt wird, wird durch die unabhängige Singakademie nicht geschlossen. Sie ermöglicht den Erfolg von Bach- und Riedelverein, die zu großen Konkurrenten der Singakademie werden. Einige Werke älterer Komponisten auf obiger Liste (Gabrieli, Schütz) kommen tatsächlich in einem Konzert des Riedelvereins zur Aufführung, bei dem die Singakade- mie unterstützend teilnimmt. Der Ausflug zu dem weniger bekannten Antonio Lotti bleibt ebenso eine Ausnahme wie die Aufführungen einzelner Kantaten von Johann Sebastian Bach in Konzerten der Singakademie. Der einzige Barockkomponist, der regelmäßig und auch mit großbesetzten abendfüllenden Werken im Repertoire der Singakademie vertreten ist, ist Georg Friedrich Händel. War er in der Gewandhaus-Phase noch nicht besonders häufig vertreten, bilden seine biblischen Oratorien nun einen Kernbestand des Singakade- 218 mie-Repertoires. Von 1861 bis 1900 bringt die Singakademie vier vollständige Aufführungen von Händels Messias, drei von Judas Maccabäus und zwei von Samson. Damit belegt Händel nach Haydn, Mendelssohn und Schumann den vierten Platz auf der Liste der am meisten in dieser Zeit von der Singakademie aufgeführten Komponisten. Mit den drei ›Erstplatzierten‹ ist eine weitere Kontinuität des Repertoires angespro- chen. In der vierten Phase werden 20 Mal Werke von Haydn aufgeführt, 18 Mal Werke von Mendelssohn und 17 Mal Werke von Schumann. Mendelssohn und Haydn waren schon in der Gewandhaus-Phase unter den drei am häufigsten aufgeführten Komponisten, Schu- mann war dort auf Platz vier. Auch wenn die in der Gewandhaus-Phase zu beobachtende extreme Konzentration auf Mendelssohn nun nicht mehr in dieser Stärke zu konstatieren ist, übernimmt die Singakademie doch viele Werke aus der Gewandhaus-Phase mit in ihre Zeit als unabhängiger Chorverein. Dazu gehören vor allem Mendelssohns Oratorien Elias und Paulus, die Kantate Die erste Walpurgisnacht sowie Joseph Haydns Schöpfung und Jahres- zeiten. Die beiden letztgenannten Werke sind die in der vierten Phase am häufigsten auf- geführten Stücke, vollständig wird Die Schöpfung sieben Mal auf die Bühne gebracht, Die Jahreszeiten fünf Mal; hinzu kommen verschiedene Aufführungen von Teilen dieser Werke. Blickt man auf die weiteren häufig aufgeführten Werke – nach den beiden letzterwähnten und dem Messias von Händel folgen unter anderem Mozarts »Ave verum corpus« (5 Mal), Mendelssohns Elias (4 Mal), Beethovens 9. Sinfonie (4 Mal) und Edgar Tinels Franciscus (3 Mal vollständig) – so zeigt sich, dass die Singakademie in den letzten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ihre Bestimmung gefunden hat als ein Oratorienchor mit Schwerpunkt auf bestimmten kanonisierten Werken aus Barock (Händel), Klassik (Haydn, Mozart, Beet- hoven) und Romantik (Mendelssohn). Weitere Besonderheiten des Repertoires bedeuten im Vergleich zur Gewandhaus-Phase wichtige Unterschiede. Zum einen ist der Abwechslungsreichtum an verschiedenen vor allem jüngeren Komponisten nun viel höher: Wurden in den 14 Gewandhaus-Jahren ge- rade Werke 17 verschiedener Komponisten zu Gehör gebracht, sind es in den folgenden 40 Jahren 65 verschiedene Tonsetzer, die sich auf den Programmen finden. Ein Großteil Das Repertoire 1861–1900 steht im Zusammenhang mit Musik, die im Gewandhaus vorher nicht die geringste Rolle spielte: romantische und spätromantische Chorlieder, oft mit Klavierbegleitung, teils auch a cappella, bilden vor allem in den 1880er Jahren einen Programmschwerpunkt der Singaka- demie. Unter den häufiger vertretenen Komponisten dieser Gattung sind vor allem Johan- nes Brahms, Robert Schumann, Adolf Jensen und Josef Rheinberger zu nennen, aber auch Leipziger Persönlichkeiten wie der Gewandhauskapellmeister Reinecke, der Thomaskantor Moritz Hauptmann, der Thomasorganist Carl Piutti und der Singakademie-Musikdirektor Richard Müller spielen keine geringe Rolle. Zum anderen beginnt in der vierten Phase der Geschichte der Singakademie eine Reihe von Ur- und Erstaufführungen, die noch bis in die Zeit nach der Jahrhundertwende hinein- reichen wird. Schon in der Gewandhaus-Phase hatte sich der Chor einer Uraufführung (1849 ein Teil aus Schumanns Szenen aus Goethes ›Faust‹) und mehrerer Leipziger Erst- aufführungen rühmen können, von denen die meisten im Rahmen von Abonnementkon- 219 zerten stattfanden (1852 Schumanns Der Rose Pilgerfahrt, 1858 Karl Reinthalers Oratorium Jephta und seine Tochter, 1859 Niels Wilhelm Gades Frühlingsbotschaft und 1860 Ferdinand Hillers »O weint um sie«). Nun setzt sich diese Serie fort, was insofern bemerkenswert ist, als die Singakademie jetzt stärker auf Einnahmen aus Eintrittsgeldern angewiesen ist und Ur- und Erstaufführungen ein finanzielles Risiko darstellen. Zur Uraufführung bringt sie 1877 Carl Reineckes Dornröschen und 1887 Richard Müllers Katharina Cornaro, für die Leip- ziger Erstaufführungen folgender Werke ist sie außerdem verantwortlich: 1893 Edgar Tinels Oratorium Franciscus, 1895 César Francks Oratorium Die Seligpreisungen, 1896 Franz Liszts Prometheus, 1897 Théodore Gouvys Kantate Iphigenie auf Tauris, 1898 Heinrich Hofmanns Oratorium Prometheus und 1899 schließlich Max Bruchs Oratorium Gustav Adolf. Die Erst- aufführungen häufen sich in den 1890er Jahren und sind hauptsächlich dem Chorleiter Paul Klengel zu verdanken. Sie lassen sich als Strategie verstehen, sich in der Leipziger Chormusikszene, in der mittlerweile ein großer Konkurrenzdruck herrscht, als Chor für aktuelle, vor allem weltliche Musik zu profilieren. Diese Profilbildung geschieht teils aus freien Stücken, teils durch die Konkurrenz von Riedel- und Bachverein. Schon 1875 hatte der damals für kurze Zeit amtierende Singaka- demie-Musikdirektor Hermann Kretzschmar davon abgeraten »kirchliche Musik zu trei- ben, oder gar Kirchenconcerte zu veranstalten, weil diese Art der Vocalmusik durch den Riedel’schen und den neu gegründeten Bach-Verein zu Genüge vertreten sei«.518 Helmut Loos zieht im Vergleich des Repertoires von Riedelverein und Singakademie bis etwa 1890 folgendes Fazit: Es sei

deutlich zu erkennen, daß der Riedel-Verein der Singakademie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den ersten Rang im Musikleben Leipzigs abgelaufen hat, den die Singakademie zuvor eingenommen hatte. Weiterhin ist aber auch eine

518 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 61. Vgl. auch Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, S. 157. Vierte Phase: Erneute Unabhängigkeit (1861–1900)

inhaltlich differierende Ausrichtung zu erkennen. Während die Singakademie mit der Zurückdrängung der geistlichen Werke im Repertoire ein durchaus bürgerlich- liberales Profil aufweist, ist der Riedel-Verein sehr viel dezidierter und konsequen- ter der christlichen Vokalmusik verpflichtetet. […] Nationale Töne, die in der Sing- akademie etwa 1863 zu finden sind, gibt es im Riedel-Verein erst sehr viel später.519

Die Einschätzung ist nach Auswertung des gesamten Singakademie-Repertoires dieses Zeitraums zu differenzieren. Die Singakademie ist zwar mit Sicherheit weniger stark auf geistliche Musik fixiert als der Riedelverein, dennoch macht geistliche Musik einen Kern- bestandteil ihres Repertoires aus, wie die zahlreichen Aufführungen biblischer Oratorien von Händel, Haydn und Mendelssohn zeigen. Die ›nationalen Töne‹, auf die Loos anspielt, beziehen sich mehr auf den Zweck einzelner Konzerte. Im Dezember 1863 singt die Aka- demie bei einem »Konzert zum Besten eines Pensionsfonds für Veteranen aus dem Krieg 220 von 1813«, im Februar 1864 (kurz nach Ausbruch des deutsch-dänischen Kriegs) bei einem »Konzert zum Besten der durch den Krieg in Schleswig-Holstein Geschädigten«. Der Be- fund, dass die Singakademie für einen nationalen Zweck singt, darf nicht darüber hinweg- täuschen, dass die Werke, mit denen dieser Zweck erreicht werden soll, Kirchenwerke sind: Im erstgenannten Konzert singt die Singakademie die Schöpfung, im zweiten Mendelssohns Elias.

519 Loos, »Gesangvereinswesen in Leipzig«, S. 158–159. 9 Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Langers Chronik endet mit der Beschreibung der Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum der Singakademie im Jahr 1902. Die Geschichte der Leipziger Singakademie im 20. Jahrhun- dert war bis dato noch weitgehend unbekannt und wird hier anhand der Quellen erstmals geschildert. Der Darstellungsmodus der vorliegenden Arbeit wechselt an dieser Stelle dem- entsprechend. Konnten die bisherigen Kapitel als wissenschaftliche Ergänzung zu Langers populärer Chronik verstanden werden und fanden sie Anschluss an die reichlich vorhan- dene Sekundärliteratur über Leipzigs Musikgeschichte im 19. Jahrhundert, so muss in den verbleibenden Kapiteln viel Neuland betreten werden. Das Hauptaugenmerk liegt nun auf 221 der weiteren Entwicklung des Chores selbst sowie des Repertoires. Diese Schwerpunktset- zung bedeutet gleichzeitig, dass das Leipziger Musikleben im 20. Jahrhundert insgesamt nur knapp gewürdigt werden kann und die Einordnung in größere musikgeschichtliche Zusammenhänge zukünftigen Forschungen vorbehalten bleiben muss. Weil solche weiter- gehenden Einordnungen nur auf Basis zuverlässiger Vorarbeiten zu leisten sind, verstehen sich die folgenden Kapitel zunächst als eine Materialschau und eine Sammlung von Inter- pretationsansätzen zur Geschichte der Leipziger Singakademie im 20. Jahrhundert. Die hierzu ausgewerteten Akten liegen hauptsächlich im Stadtarchiv sowie im Staats- archiv Leipzig. Im Stadtarchiv existiert neben den Kapitelakten zur Leipziger Singakademie von 1901 bis 1943 der umfangreiche ›Bestand Leipziger Männerchor‹, der ebenfalls viele Hinweise auf die Singakademie enthält.520 Im Staatsarchiv lagern Akten des Leipziger Poli- zeipräsidiums und Registerakten des Amtsgerichts Leipzigs, welche die Zeiträume von 1853 bis 1921 und von 1926 bis 1949 betreffen.521 Außerdem gibt es in beiden Archiven Quellen zur Neuen Leipziger Singakademie, einem Verein, der sich von der Leipziger Singakade- mie abspaltet.522 Sämtliche genannten Quellen zeigen nur bestimmte Ausschnitte aus dem Wirken des Chorvereins, sie sind meist auf wenige Problemkreise und enge Zeiträume begrenzt. Ein eigenes Archiv der Singakademie konnte nicht ausgemacht werden. Obwohl das vorliegende Material gewichtet und in Zusammenhang mit anderen Quellen gebracht wurde, bleibt der grundsätzliche Mangel bestehen: Es handelt sich bei den Quellen um Stückwerk und aus manchen Jahren gibt es gar kein Lebenszeichen der Singakademie. Es besteht ausdrücklich die Gefahr, dass wichtige Ereignisse hier übergangen werden, weil sie nicht dokumentiert sind. Eine wesentliche Grundlage für Aussagen über Repertoire und Auftrittstraditionen der Leipziger Singakademie im 20. Jahrhundert bildet weiterhin das aus verschiedensten Quel-

520 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642 u. 1860; D-LEsa, Bestand LMC. 521 D-LEsta, PP-V 150, PP-V 705/26, PP-V 1524. 522 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1856; D-LEsta, PP-V 705/26. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

len zusammengestellte Verzeichnis der Auftritte im Anhang. Auch hier steigt besonders ab den 1920er Jahren die Gefahr, dass es unvollständig ist. Es gibt mehrere Gründe für mögli- che Lücken. Während im 19. Jahrhundert oft zwei bis drei überregionale Musikzeitschriften parallel über Auftritte der Singakademie berichteten, ist dies nun immer weniger der Fall. Das liegt einerseits daran, dass einige dieser Zeitschriften, wie die Allgemeine musikalische Zeitung und das Musikalische Wochenblatt, nicht mehr erscheinen. Andererseits nehmen die existierenden Zeitschriften, etwa die Signale für die musikalische Welt, die Neue Zeitschrift für Musik und Die Musik fortan weniger Notiz von der Leipziger Singakademie – vermutlich weil sie ihre einstige Ausstrahlung zunehmend verliert und andere Ensembles eine größere Bedeutung erlangen. Einige Singakademie-Auftritte konnten durch das Studium der Leip- ziger Veranstaltungskalender entdeckt werden.523

222 9.1 Gustav Wohlgemuth und die Chormusik in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts

Kein Singakademiedirektor in Leipzig blieb länger im Amt als Gustav Wohlgemuth. Die fast vier Jahrzehnte seiner Amtszeit bilden die fünfte Phase in der Geschichte der Leipziger Singakademie. Der gelernte Lehrer Wohlgemuth, der schon 1891 den Leipziger Männerchor gründete und auch andere Gesangvereine dirigierte, übernimmt im April 1900 als Nachfol- ger von Hans Winderstein die Direktion der Singakademie und wird sie bis zu seinem Tod 1937 behalten. Auf Wohlgemuths Betreiben entschließt sich noch im selben Jahr der von ihm ebenfalls geleitete Leipziger Damenchor, mit 52 Mitgliedern der Singakademie beizu- treten.524 Ebenfalls 1900 beginnt Wohlgemuth ein Studium am Leipziger Konservatorium. In der Folgezeit wird er sich im Leipziger Gausängerbund, im Deutschen Sängerbund und als Herausgeber der Deutschen Sängerbundeszeitung als überregional wirkender Musikfunk- tionär profilieren. Sein Hauptinteresse liegt im Bereich des Männerchorgesangs, er kom- poniert auch zahlreiche Männerchorwerke. Dennoch zeigt er gerade in den ersten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts ein großes Interesse an moderner Literatur für gemischten Chor, die er mit der Singakademie aufführt. Vor dem Ersten Weltkrieg führt die Singakademie unter seiner Leitung die Kooperation mit verschiedenen Orchestern fort, mit denen in der Vergangenheit schon Kontakt bestan- den. Am häufigsten wird das Windersteinorchester engagiert, auch die Kapellen der Infante- rieregimente Nr. 107 und Nr. 134 musizieren öfter zusammen mit der Singakademie. In der Nachkriegszeit kommt es immer wieder zu Konzerten mit dem 1923 gegründeten Leipziger

523 Von einer weiteren Recherchemöglichkeit, dem systematischen Durchgehen der Leipziger Tageszei- tungen, wurde hier Abstand genommen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt im 19. Jahr- hundert, die zeitaufwändige Recherche in Tageszeitungen hätte eine ganz andere Schwerpunktsetzung nötig gemacht. Bei den wenigen Verweisen auf Leipziger Tageszeitungen handelt es sich demnach eher um Zufallsfunde. 524 Vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 103. Gustav Wohlgemuth und die Chormusik in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts

Sinfonieorchester, dem späteren Rundfunkorchester. Auf Seiten der Chöre, mit denen die Singakademie gemeinsam auftritt, ist die erstmals 1904 belegte Zusammenarbeit mit dem ebenfalls von Wohlgemuth bis an sein Lebensende geleiteten Leipziger Männerchor am kontinuierlichsten und am folgenreichsten. Sie wird noch bis in die 1950er Jahre andauern und dann sogar zu einem Zusammenschluss beider Chöre in einer Arbeitsgemeinschaft führen. Andere Kooperationen, die die Singakademie bis in die 1880er Jahre gepflegt hat, werden im 20. Jahrhundert offenbar aufgegeben, obwohl die entsprechenden Chorvereine weiter existieren: Thomaner, Pauliner, Arionen und Bachverein haben im 20. Jahrhundert überhaupt keinen Kontakt mehr zur Singakademie, einzelne Gemeinschaftskonzerte sind nur mit dem Riedelverein und dem Schubertbund (beide 1934) sowie mit dem Gewand- hauschor (erst 1961) nachgewiesen. Während die wenigen überlieferten Mitgliederzahlen aus der fünften Phase der Leip- ziger Singakademie von einem sehr hohen Mitgliederstand berichten – 1902 sind es laut 223 Langer 230 Sängerinnen und Sänger, 1926 laut einem Schreiben des Vorstands an den Rat der Stadt etwa 200525 –, zeigt die Auftrittsfrequenz eine Zweiteilung. Unter der Leitung von Alfred Richter hatte 1876 eine zweite Hochphase mit relativ vielen Auftritten begonnen. Sie wird von Wohlgemuth weitergeführt und zieht sich bis Mitte der 1920er Jahre. Danach sinkt die Zahl der aus den Quellen bekannten Auftritte deutlich. In den Jahren 1930 und 1936 sind gar keine Auftritte überliefert, dazwischen erreicht die Leipziger Singakademie 1933 und 1934 noch einmal kurzzeitig die Frequenz von sechs bzw. fünf Auftritten im Jahr. Seit in den 1860er Jahren ist die Singakademie in die jährlichen Leipziger Konzerttra- ditionen nicht mehr regelmäßig eingebunden. Daran ändert sich auch in der fünften Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie nichts. Die bereits geschilderten Reihen be- stehen aber fort. Für die Abonnementkonzerte im Gewandhaus ist weiterhin der Gewand- hauschor zuständig, der 1920 mit dem Bachverein zur Chorvereinigung des Gewandhauses verschmilzt.526 Trotz dieser Fusion wirken nach wie vor auch die Pauliner, die sich inzwi- schen ›Universitätssängerschaft zu St. Pauli‹ nennen, in den ›größeren‹ Choraufführungen des Gewandhauses mit.527 In den Karfreitagskonzerten bleibt es bei der jährlichen Aufführung von Bachs Mat- thäuspassion. Sie werden nach der Jahrhundertwende unter der Leitung von vom Gewandhauschor und den Thomanern gemeinsam bestritten, bisweilen durch Mitglie- der weiterer Vereine unterstützt.528 Im Jahr 1908 übernimmt erstmals der Bachverein unter der Leitung von Karl Straube das Karfreitagskonzert.529 Straube zieht in den folgenden Jah-

525 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 179. 526 Langner, Der Gewandhauschor, S. 67. 527 Die Paulus-Chronik endet mit dem Jahr 1922. Für die Konzertwinter 1920/21 und 1921/22 dokumentiert der Chronist das Mitwirken seines Chors im Gewandhaus: Kötzschke, Geschichte der Universitäts-Sän- gerschaft zu St. Pauli, S. 526, 533. 528 Aufführung mit Gewandhauschor, Thomanern und »Mitglieder[n] mehrerer hiesiger Chorvereine«: Programmzettel-Abbildung bei Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 4]«, S. 45. Aufführung mit Gewandhauschor und Thomanern 1903: MW 34 (1903), S. 232. 529 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 4]«, S. 47. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

ren neben dem Bachverein weiterhin die Thomaner, sowie mitunter Mitglieder des Lehrer- gesangvereins hinzu.530 Mit der Verschmelzung von Bachverein und Gewandhauschor im Jahr 1920 ist es dann dieses Ensemble, das die Matthäuspassion am Karfreitag regelmäßig darbietet. So schreibt zum Karfreitagskonzert des Jahres 1929 das Leipziger Konzert-, Thea- ter- und Verkehrsblatt: »Traditionsgemäß findet am Karfreitag eine Aufführung vonBachs ›Matthäuspassion‹ in der Thomaskirche statt mit der Gewandhaus-Chorvereinigung und dem Städtischen Orchester unter Leitung von Prof. Dr. Karl Straube.«531 Die Singakademie hingegen veranstaltet eigene Konzerte, manchmal in der Thomas- kirche, meist jedoch in der Alberthalle. Dabei gelingt es ihr in den Jahren 1904 bis 1907 sowie 1910 an einem begehrten Feiertagstermin, nämlich am Reformationstag, Konzerte in der Thomaskirche abzuhalten. Aus dem Februar 1915 ist ein Programm der Aufführung von Max Bruchs Oratorium Gustav Adolf erhalten.532 Es verrät, dass sich die Singakademie mittlerweile auf zwei eigenständige Konzerte pro Saison eingependelt hat und für diese ein 224 Abonnementsystem vorsieht. Das Faltblatt ruft zu »Abonnement, Patronat oder Mitglied- schaft« auf und enthält auf der Rückseite einen auszufüllenden Vordruck zum Vereinsbei- tritt, in dem unter anderem »Stimme«, »Stand bzw. Stand der Eltern« und der Name des Mitglieds abgefragt werden, welches das Neumitglied eingeführt hat. Singende Mitglieder zahlen einen Beitrag von 14 Mark pro Jahr, unterstützende Mitglieder ein Eintrittsgeld von 3 Mark, Abonnements sind für die zwei jährlichen Konzerte zu Preisen von 4,50 bis 8 Mark pro Platz zu haben, Patrone zahlen mindestens 20 Mark pro Jahr und erhalten pro Konzert zwei Karten auf guten Plätzen. In den Jahren von 1921 bis 1925 gibt es bei den eigenen Konzerten der Singakademie eine neue Terminbindung, nämlich an die Leipziger Messe. Es finden in der Regel an zwei aufeinanderfolgenden Tagen während der Frühjahrs- und während der Herbstmesse Konzerte statt. Das Leipziger Konzertleben in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist äußerst reich. Eine umfassende Studie über das Musikleben der Messestadt in der Weimarer Repu- blik steht noch aus. Die Lektüre des ab Herbst 1924 erscheinenden Leipziger Konzert-, Thea- ter- und Verkehrsblattes verdeutlicht immerhin in Ansätzen, welche Ensembles und Termine im Bereich der großen sinfonischen Chorwerke den Konzertkalender Leipzigs prägen und in welchem gewandelten Umfeld sich die Singakademie nun befindet. Sie zeigt aber auch, dass die Singakademie zeitweise den Anschluss verloren hat: In der Regel gibt es im Ge- wandhaus zwei bis drei Chorkonzerte pro Spielzeit, die von Karl Straube dirigiert werden, und in denen sowohl zeitgenössische als auch ältere Werke aufgeführt werden.533 Außerdem bestreitet der Gewandhauschor die jährlichen Aufführungen des WeihnachtsOratoriums und der Matthäuspassion in der Thomaskirche. Regelmäßig und mit großer Resonanz gibt

530 Hübner, »Leipziger Karfreitagskonzerte [Teil 5]«, S. 43. 531 LKTV 5 (1928/29), S. 409. 532 D-LEsm, Gr.K.12/327. 533 Z. B. in der Spielzeit 1924/25 Arnold Mendelssohns Der Paria, ein Te Deum von , ein Abend mit Bach-Kantaten sowie eine Aufführung von Händels OratoriumBelsazar, vgl. LKTV 1 (1924/25), S. 406. Gustav Wohlgemuth und die Chormusik in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts der Riedelverein Anrechtskonzerte mit großen Chorwerken mit dem Leipziger Sinfonieor- chester in der Alberthalle.534 Dazu treten Konzerte mit Chormusik im Konservatorium, wo sowohl Studierende als auch verschiedene Gesangvereine auftreten,535 sowie Auftritte des Universitätskirchenchors, der ebenfalls eigene Anrechtskonzerte veranstaltet,536 und andere mehr. Es besteht anscheinend eine Sättigung des Konzertbetriebes in diesem Bereich und der Singakademie gelingt es nicht, hier eine ›Marktlücke‹ zu finden. Die wenigen Singaka- demie-Auftritte aus der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre sind großteils Beteiligungen an Konzerten anderer von Wohlgemuth geleiteter Chöre. Eine Neuerung für die Singakademie bilden schließlich die Rundfunkkonzerte, an denen der Chor sich erstmals 1929 beteiligt. Auch Anfang der dreißiger Jahre taucht die Singakademie so gut wie nie in der überre- gionalen Musikpresse auf. Anderen Leipziger Chören hingegen gelingt das regelmäßig, so enthalten die Rezensionen der Neuen Zeitschrift für Musik beispielsweise im Jahr 1932: den Thomanerchor (Leitung: Karl Straube), den Riedelverein (Max Ludwig), den Madrigalkreis 225 Leipziger Studenten (Friedrich Rabenschlag), den Universitätskirchenchor zu St. Pauli (Hans Hofmann), die Kantorei des Landeskonservatoriums (Kurt Thomas), den Chor der Johanniskirche (Willy Stark), den Leipziger Lehrergesangverein (Günther Ramin), den Leip- ziger Männerchor (Gustav Wohlgemuth), die Leipziger Volkssingakademie (Otto Didam) und die Licht’schen Chöre (Barnet Licht). Die Singakademie ist in den dreißiger Jahren aus der Reihe der bedeutenden Leipziger Chöre verschwunden. Es ist wohl dieser geringen Bedeutung der Singakademie zu ›verdanken‹, dass der Ver- ein sich in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft relativ wenig an propagandisti- schen Veranstaltungen beteiligt. In Gustav Wohlgemuths Amtszeit fallen zwei Singakade- mie-Auftritte, in denen der Chor sich politisch instrumentalisieren lässt. Dabei handelt es sich zum einen um ein Rundfunkkonzert zur Sendung Stunde der Nation am 25. November 1933, zum anderen singt die Akademie gemeinsam mit dem Leipziger Männerchor, dem Riedelverein und dem Schubertbund bei der pompösen Grundsteinlegung des geplanten Richard-Wagner-Denkmals am Elsterflutbett in Anwesenheit Hitlers unter anderem das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied. Der Befund, dass die Singakademie in den ersten vier Jahren des NS-Regimes nur zwei Mal eindeutig politisch auftritt, ist bemerkenswert, zumal sich Gustav Wohlgemuth sonst klar als Befürworter des Regimes zeigt. Schon vor dem Ersten Weltkrieg verraten die Art der Veranstaltungen, die der Leipziger Männerchor unter Gustav Wohlgemuth bestreitet, und die Formulierung der Jahresberichte des Männerchors eine nationalkonservative Einstellung. Der Chor tritt auf bei Sedanfeiern, bei einer Veranstaltung des Deutschen Patriotenbundes und beim Appell der China- und

534 Z. B. im Februar 1926 Franz Liszts Oratorium Die Legende von der heiligen Elisabeth (vgl. LKTV 2 (1925/26), S. 290–293) und Verdis Requiem (vgl. LKTV 2 (1925/26), S. 322–324), im Dezember desselben Jahres Das hohe Lied, op. 120 von Enrico Bossi und Die Macht des Gesanges von Desiré Thomassin (vgl. LKTV 3 (1926/27), S. 163–165). 535 Im Jahr 1928 z. B. der Gesangverein Liederfreunde (LKTV 4 (1927/28), S. 411), der Notenstecher-Männer- chor (LKTV 5 (1928/29), S. 55), der Männergesangverein Thonberg (ebd.). 536 Siehe z. B. LKTV 4 (1927/28), S. 326–327, mit der Konzertankündigung für den 18.2.1928. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Afrikakrieger.537 Zu Beginn des Jahresberichts 1911 des Leipziger Männerchors heißt es: »[Es] war auch mannigfache Gelegenheit geboten, durch zündende Wiedergabe des deut- schen Liedes helle nationale Begeisterung in den Reihen unserer Zuhörer zu erwecken.«538 Solche Äußerungen gehören allerdings in den 1910er Jahren in den nationalkonservativen Kreisen der deutschen Männergesangvereine mehr oder weniger zum guten Ton und gelten keineswegs als extrem. Während des Ersten Weltkriegs geben sich Wohlgemuths Männer- chor-Kompositionen und andere im Repertoire des Leipziger Männerchors auftauchende Stücke klar nationalistisch und kriegsverherrlichend.539 Ab 1933 schreibt Wohlgemuth weitere Propagandastücke. Die Programmgestaltung und die Konzertanlässe des Leipziger Männerchors sind unzweideutig. So singt beispiels- weise zur »Neuweihe der Fahnen und Banner und Schmückung mit den Farben des neuen Deutschland«540 ein Massenchor auf dem Augustusplatz am 8. Oktober 1933 die Urauffüh- rung eines offenbar für diesen Anlass komponierten Werkes von Wohlgemuth, Deutschland, 226 pack an für einstimmigen Männerchor und Orchester. Textprobe: »Dein Hitler, er führt dich! Deutscher, pack an!«541 Wohlgemuth komponiert außerdem ein Lied der Hitler-Jugend auf einen Text von Richard Fietsch und bringt bei einem Festkonzert am Vorabend seines 70. Geburtstages am 1. Dezember 1933 mit dem Leipziger Männerchor das Stück Feier der neuen Front, komponiert von Richard Trunk auf Worte des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, zur Leipziger Erstaufführung; es besteht aus den Teilen »Hitler«, »Des Führers Wächter«, »O Land« und »Horst Wessel«.542 Es ließen sich weitere Beispiele von Kompo- sitionen Wohlgemuths, Werken aus dem Repertoire des Leipziger Männerchors und Auf- trittsanlässen anführen, die zweifelsfrei zeigen: Gustav Wohlgemuth unterstützt die natio- nalsozialistische Kulturpolitik nach Kräften.543

9.2 Kooperation zwischen Singakademie und Leipziger ­Männerchor. Die Entstehung des Schubertbunds

Gustav Wohlgemuth leitet die Singakademie und den Leipziger Männerchor parallel etwa 37 Jahre lang. Daraus erwächst eine lange Zusammenarbeit beider Vereine, die 1904 be- ginnt. In der ›Ära Wohlgemuth‹ sind 30 gemeinsame Konzerte nachweisbar. Wie aus den Akten des Leipziger Männerchors hervorgeht, verläuft diese Zusammenarbeit keineswegs

537 Vgl. Jahresbericht des Leipziger Männerchors 1911, D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 9, fol. 106–114. 538 Ebd., fol. 107r. 539 Vgl. die genannten Lieder in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 11. 540 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 15, fol. 53. 541 Ebd., fol. 54. 542 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 15, fol. 62 u. 66. Vgl. NZfM 100 (1933), S. 1298. Ausführlicher zu diesem Konzert und dem Werk: Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 314–316. 543 Vgl. z. B. die Auftritte des Leipziger Männerchors im Jahr 1935 bei Schinköth, »Chöre und Chormu- sik«, S. 317–319. Kooperation zwischen Singakademie und Leipziger ­Männerchor immer reibungslos und führt zu einer bedeutenden Parteibildung und Abspaltung von Mit- gliedern beim Leipziger Männerchor. Offenbar gibt es eine Fraktion, die mit der Singakade- mie oder überhaupt mit gemischten Chören nicht zusammen singen will. Der Schriftführer Wilhelm Efer berichtet über das Vereinsjahr 1909/10 im Leipziger Männerchor:

Man war zu jener Zeit [November 1909] durch Zufall Strömungen innerhalb des Vereins begegnet, deren Ziel dahin ging Wohlgemuth in seiner künstlerischen Be- tätigung zu hemmen, indem man ein zeitweises Zusammenwirken des L. M. [Leip- ziger Männerchors] mit der gleichfalls unter seiner Leitung stehenden ›Leipziger Singakademie‹ erschweren, wenn nicht ganz verhindern wollte. Die Art und Weise dieser Vorgänge […] veranlassten unseren Chormeister […] die weiter unten behan- delte Vertrauensfrage zu stellen und davon die fernere künstlerische Zusammen- arbeit abhängig zu machen.544 227

Bei der Hauptversammlung am 6. November 1909 fragt Wohlgemuth:

1. Will man auch mir das Recht geben, was sogar jeder dem Verein ganz fernste- hende Dirigent hat, nämlich: ›Freiwillige‹ aufzufordern, mich bei den Aufführun- gen der Singakademie zu unterstützen und diese freundlichen Helfer in Zukunft nicht mehr als sogenannte ›Wohlgemuthianer‹ belästigen? 2. Will man mir die Zu- sicherung geben, dass man auch in Zukunft von Zeit zu Zeit – also bei besonderen Anlässen – meiner Anregung nachgeben und gemeinschaftliche Aufführungen mit der Leipziger Singakademie veranstalten will?545

Beide Fragen werden mehrheitlich bejaht, allerdings die zweite mit 110 gegen immerhin 41 Stimmen. Der Chronist berichtet, dass daraufhin der 2. und 3. Vorsteher, Franz Weber und Günther Arnold, zurücktreten. Hinzu kommt ein Gerücht:

[U]nser 1. Vorsteher, Herr Kgl. Handelsrichter Wilhelm Brügmann, habe verlangt, dass alle die, die in der oben erwähnten ausserordentlichen Hauptversammlung mit ›Nein‹ gestimmt hätten, ihre Konsequenzen ziehen und aus dem L. M. aus- treten sollten. Trotzdem sofort nach Bekanntwerden diese Unwahrheit auf eine Wortverdrehung zurückgeführt wurde, meldeten eine Anzahl singender Mitglieder ihren Austritt, an ihrer Spitze die Herren Weber und Arnold, an. Man gründete einen neuen Verein, der sich unter der Vorstandschaft der genannten beiden Her- ren den Namen ›Neuer Leipziger Männergesangverein‹ gegeben hat.546

544 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 8, fol. 127v–128r. 545 Ebd., fol. 128r. 546 Ebd., fol. 129r. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Hiermit ist die Gründung eines Vereins skizziert, der später eine ernsthafte Konkurrenz zum Leipziger Männerchor darstellen wird. Er wird bekannter unter dem Namen, den er sich 1928 gibt: Schubertbund.547 Interessant ist, wie Wohlgemuth gegenüber den Mitgliedern des Männerchors die Zu- sammenarbeit mit der Singakademie begründet. Als Herausgeber der Deutschen Sänger- bundeszeitung kennt er sich im deutschen Männerchorwesen bestens aus und weist darauf hin, dass

schon seit längerer Zeit die meisten künstlerisch weiterstrebenden Männergesang- vereine von einer Bewegung ergriffen sind, die dahingeht, sich selbst entweder Frauenchöre anzugliedern, oder sich mit solchen zu grossen gemischten Chorauf- führungen zeitweise zu vereinigen, bzw. schon bestehende gemischte Chöre durch Verstärkung der Männerstimmen zu unterstützen. Als Beweis hierfür nannte er […] 228 unter anderen: Wiener Männergesangverein, Wiener Schubertbund, Münchener Lehrergesangverein, Hannoverscher M. G.-V., Hannoverscher Lehrergesangverein, Dresdener Liedertafel, Regensburger Liederkranz, Stuttgarter Liederkranz, Baseler Liedertafel, Augsburger Liedertafel, Strassburger Männergesangverein […].548

Ein Rundbrief vom 14. Januar 1927 zeigt exemplarisch, wie Wohlgemuth seine Männerchor- Kontakte nutzt, um die Singakademie zu verstärken:

An die verehrten Frauen und Töchter unserer [Männerchor-]Mitglieder […]. Seit d. II. 1900 leite ich neben unserm LMC auch die Leipziger Singakademie […]. Infolge der Inflation und der Veruntreuung von Vereinsgeldern durch verschiedene Ver- einsbeamte ist die ehrwürdige Gesellschaft um ihr ganzes Vermögen gekommen und musste daher die Aufführung von großen Oratorien mit Orchester der Kosten wegen eine Zeit lang ganz unterlassen. Nunmehr soll am 5. und 6. März ›Die Glo- cke‹ (Schiller) in der Komposition von Max Bruch in der Thomaskirche aufgeführt werden […].549

Es folgt die Einladung besonders an die Damen, aber auch an die Herren, dort mitzusingen. Wohlgemuth zeigt sich hier als engagierter Netzwerker, dem viel daran gelegen ist, seine beiden Chöre durch schwierige Zeiten zu bringen. Er ist vom Nutzen der Zusammenarbeit überzeugt und bereit, sich dafür gegen Widerstände durchzusetzen.

547 Vgl. zum Neuen Leipziger Männergesangverein bzw. Schubertbund: 25 Jahre Leipziger Schubertbund (Neuer Leipziger Männergesangverein) 1909–1934 (Mitteilungen. Leipziger Schubertbund Sonderheft), Leipzig 1935; und D-LEsa, Kap. 35, Nr. 973 u. 1843. 548 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 8, fol. 128v. 549 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 13, fol. 65. Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900

9.3 Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900 und Unterstützung durch die Stadt Leipzig

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Konkurrenz zwischen den großen ge- mischten Chorvereinen Leipzigs angewachsen, bei der es sich nicht in erster Linie um eine Konkurrenz im Bereich des gesungenen Repertoires handelt, sondern um ein Ringen um Konzerttermine, zahlendes Publikum und singende Mitglieder. Hatten sich die finanziellen Probleme, die nicht zuletzt aus diesem Wettstreit entstanden, für die Singakademie bisher in Grenzen gehalten, so kommt es während der Amtszeit von Gustav Wohlgemuth zu ernst- haften Schwierigkeiten. Die bestehende Aufgabenteilung zwischen Singakademie, Bachverein und Riedelver- ein wird am Anfang des 20. Jahrhunderts auch in der Leipziger Presse wahrgenommen. So schreiben die Leipziger Neuesten Nachrichten nach der Amtsübernahme von Gustav Wohl- 229 gemuth:

Die Sing-Akademie war dereinst in Leipzig das, was der gleichnamige, weltbe- rühmte Berliner Verein in der Reichshauptstadt ist, ein Factor, mit dem alle Con- cert-Unternehmer zu rechnen hatten. Wir brauchen neben dem, vor Allem geist- liche Musik pflegenden, Riedel-Verein und dem ausschliesslich Bach-Propaganda treibenden Bach-Verein einen grossen Verein, der für weltliche und vor Allem auch moderne Musik eintritt. Diese Lücke wird die Sing-Akademie ausfüllen; sie kann es, wenn ein so kunstbegeisterter, talentvoller Dirigent, wie Wohlgemuth es ist, an die Spitze tritt.550

Einige Jahre später bedauert der Rezensent der Signale für die musikalische Welt eine Konzen- tration der verschiedenen Chorvereine auf die Wahrung ihrer eigenen Interessen:

Infolge eines das hiesige musikalische Leben arg durchsetzenden, auf allerhand Personenkult und Klassenabsonderung gestützten Partikularismus ist es in Leipzig noch immer nicht geglückt, einen gemischten Chor von der grossen Stimmenzahl, der schönen Klangfülligkeit und der Kunstbedeutsamkeit der mehreren grossen Berliner-, Frankfurter- und rheinischen Oratorien-Vereine zusammenzubringen; immerhin aber besitzt Pleisse-Athen in der 1802 gegründeten ›Leipziger Singaka- demie‹, in dem 1854 in’s Leben getretenen ›Riedel-Verein‹ und in dem seit 1875 existierenden ›Bach-Verein‹ Chöre von beträchtlicher Leistungsfähigkeit und vie- len Verdiensten um die Pflege der Oratorienkunst, die insonderheit um die Buss­ tage herum, derenwegen [sic] das Gewandhaus an zwei Mittwochen und zwei Don-

550 LNN, 11.11.1900, zit. nach Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 103–104. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

nerstagen der Saison seine Pforten geschlossen hält, in der Adventszeit und in der Karwoche mit tönenden Weihegaben hervortreten.551

Aus Perspektive der Singakademie betrachtet ist das Nebeneinander dieser drei Chorvereine keineswegs ein gleichberechtigtes. Der Vorstand der Singakademie sieht sich im Mai 1901 zu einem längeren Bittschreiben an den Rat der Stadt genötigt. Die Begründung, warum die Singakademie einer dauernden finanziellen Unterstützung bedürfe, bezieht auch den Gewandhauschor und die Thomaner mit ein:

Wohl bringt auch der Chorverein des Gewandhauses weltliche Werke, doch sind ja diese Concerte schon von vornherein nur einer begrenzten Zuhörerschaft zu- gänglich, weil einmal die Räumlichkeiten zu klein und zum anderen die Eintritts- preise zu hoch sind. Dreifach ist in Leipzig der Circhengesang vertreten: durch 230 die Thomaner, den Riedel- und den Bachverein. Das schöne, aber in mancher Be- ziehung undankbare Gebiet des großen weltlichen Chorgesanges hat man uns al- lein überlassen […]. Nicht unerwähnt wollen wir ferner lassen, daß wir auch der hiesigen Blindenanstalt von jeher zu jedem Concert eine Anzahl Freikarten zur Verfügung stellten und außerdem den Studierenden an der Universität und dem Cöniglichen Conservatorium der Musik und ebenso den Schülern höherer Lehran- stalten besondere Vorzugspreise gewähren. Infolge der vielen und großen Opfer, welche […] nach und nach sämmtliche [sic] Hilfsmittel unserer Casse, Ersparnisse und Vermächtnisse aufzehrten, sind wir schon im vergangenen Jahr in eine Lage gekommen, die uns den Gedanken nahelegte unsere alte, ehrwürdige Gesellschaft aufzulösen.552

Der Vorstand gibt die erheblichen Verluste an, die die Konzerte mit moderner, meist weltli- cher Musik in den letzten Jahren gebracht haben: Bei fünf Aufführungen großer neuer Ora- torien und Kantaten von 1893 bis 1900 – Tinels Franciscus, Francks Seligpreisungen, Gouvys Iphigenie auf Tauris, Hofmanns Prometheus und Bruchs Gustav Adolf – summieren sich die Verluste auf über 4000 Mark.553 Die anderen Konzerte, etwa die Oratorien Händels, Haydns und Mendelssohns, hätten wohl kleine Überschüsse gebracht, könnten aber die Unkosten keineswegs ausgleichen. Zwischenzeitlich habe man die Kasse durch Geldleihgaben einiger Mitglieder aufbessern können und auch Anteilsscheine verkauft, welche die Käufer später gegen Eintrittskarten tauschen können. Die Finanznot sei aber letztlich nicht allein zu be- wältigen, »trotz der größten Sparsamkeit in allen Dingen und trotzdem der Verein einen erneuten Aufschwung unter seinem neuen Dirigenten Herrn Gustav Wohlgemuth genom-

551 Signale 67 (1909), S. 1669–1670. 552 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 1v–2v. 553 Ebd., fol. 3r–3v. Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900 men hat und ihm zahlreiche neue Mitglieder beigetreten sind«.554 Auch wenn man unter- stellt, dass der Vorstand die Situation vielleicht etwas überspitzt darlegt, so muss man den angegebenen Zahlen doch Glauben schenken, zumal die Stadtvertreter Kassenberichte als Belege erhalten. Die Finanzlage kurz vor dem 100. Jubiläum der Singakademie ist prekär. Aus den Folgejahren sind mehrere ähnliche Bittschriften der Singakademie im Stadtar- chiv erhalten, die aufschlussreiche Vergleiche mit anderen Chorvereinen Leipzigs erlauben. Im oben genannten Schreiben heißt es beispielsweise zum Riedelverein, dieser zahle für seine Konzerte in der Thomaskirche nur 50 Mark Miete bei A-cappella-Konzerten und 100 Mark bei Konzerten mit Orchester, die Singakademie hingegen zahle in der Alberthalle »jedesmal mit Probe und Bedienung 450 M«.555 Das Gewandhausorchester, das der Riedel- verein immer in seinen Bußtagskonzerten einsetzt, würde die Singakademie 1000 bis 1200 Mark kosten, weshalb man lieber für 300 Mark eine Militärkapelle buche. Der Dirigent des Riedelvereins verdiene 2400 Mark pro Jahr, der der Singakademie lediglich 900 Mark – ob- 231 wohl man gerne mehr zahlen würde, wenn man könnte. Zu allem Überfluss erhalte der Riedelverein bereits eine laufende Unterstützung von 600 Mark pro Jahr aus dem Kunst- Etat der Stadt Leipzig. Die schwierige Kassenlage zwingt die Singakademie anscheinend, relativ hohe Mitglieds- beiträge zu verlangen. Den Vergleich ermöglicht ein Schreiben an den Bürgermeister Rudolf Dittrich vom Juni 1901: »Es erheben an Mitgliedsbeiträgen:/Riedelverein M. 9.−/Lehrerge- sangverein/M. 10.−/Leipziger Männerchor M. 12.−/Leipziger Singakademie M. 14.− «556 Trotz aller Argumente erreicht die Akademie ihr Ziel nur teilweise. Am 12. Juni 1901 beschließt die städtische Finanzdeputation, der Singakademie keinen ständigen, sondern einen einmaligen Zuschuss von 1000 Mark zum Jubiläum zu geben. Dieser Zuschuss wird erst zwei Tage vor dem Jubiläumskonzert am 14. Februar 1902 endgültig bewilligt.557 Ende November 1903 sieht sich die Akademie erneut veranlasst, sich mit der Bitte um Hilfe an die Stadt zu wenden. Neben dem Verweis auf steigende Kosten werden nun drei neue Konkurrenten um die Gunst des Publikums erwähnt. Diesmal sind es keine Chorver- eine, sondern das

›Leipziger Schauspielhaus‹, das ›Centraltheater‹ und die ›neuen Abonnements- konzerte‹ [die Philharmonischen Konzerte Hans Windersteins in der Alberthalle] […]. Um uns nun dieser neuen Konkurrenzen erwehren zu können, haben wir die verschiedensten Anstrengungen gemacht. Wir haben neue, große Tonschöpfun- gen erstmalig gebracht und haben ältere gediegene Werke wiederholt, wir haben bekannte, hervorragende Solisten engagirt [sic], wir haben das Winderstein-Orches- ter gewonnen, wir haben versucht, Abonnenten neu zu werben, haben sogar zum

554 Ebd., fol. 4r–4v. 555 Ebd., fol. 5r. 556 Ebd., fol. 10r. 557 Ebd., fol. 11–12, 24. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Teil die Eintrittspreise ermäßigt, – leider aber Alles ohne den erhofften materiellen Nutzen, das Streben war vergebens, die Konzerte waren nicht genügend besucht, beim letzten ›Paulus‹-Konzert blieben beispielsweise für rund M. 600.− Karten un- verkauft!558

Man habe beim Kirchenvorstand der Peterskirche darum gebeten, am Bußtag in der Pe- terskirche den Paulus zu ›volkstümlichen‹ Preisen aufführen zu dürfen, wovon man sich einen guten Gewinn versprochen habe. Die Kirchenleitung habe jedoch abgelehnt. Was dem Riedelverein in der Thomaskirche regelmäßig gelingt, nämlich erfolgreiche Bußtags- konzerte, daran scheitert die Singakademie also. Gleichzeitig sinkt ihr Mitgliederstand.559 Nochmals stellt der Vorstand die Unterschiede der finanziellen Verhältnisse beider Vereine dar: Der Riedelverein sei mit seinen Konzerten an den Bußtagen fast konkurrenzlos, er er- halte die Thomaskirche als Auftrittsort sehr günstig, für seinen Probenraum müsse er gar 232 keine Miete zahlen, er könne sich das berühmte und an den Bußtagen billig zu buchende Stadtorchester leisten und erhalte obendrein 600 Mark jährliche Unterstützung. Die Sing- akademie hingegen sei an den Konzerttagen großer Konkurrenz ausgesetzt, zahle für die Alberthalle jedes Mal 570 Mark Miete, für den Probenraum in der Frauenberufsschule 170 bis 200 Mark im Jahr, müsse ein privates Orchester engagieren und erhalte keine laufende Unterstützung.560 Schließlich weisen die Singakademie-Vertreter noch darauf hin, dass in ihren Konzerten der billigste Platz für 50 Pfennig zu haben sei, beim Riedelverein hingegen niemand weniger als 1,50 Mark für eine Karte zahlen müsse. Zum Ende des Briefes droht die Singakademie regelrecht damit, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, und bittet nochmals darum, mit einer laufenden jährlichen Unterstützung bedacht zu werden und den Probenraum kostenfrei nutzen zu dürfen. Der Stadtrat bittet daraufhin, die Abrechnungen der letzten Jahre einzureichen. Die Singakademie kommt dieser Bitte nach und beschreibt im dazugehörigen Anschreiben, das auf den 24. Februar 1904 datiert ist, eine weitere Konkurrenzsituation. Der Vorstand beklagt,

daß die ›volkstümlichen Symphoniekonzerte‹ für den äußerst billigen Preis von 25 Pfg ein großes Publikum auch besserer Kreise absorbiren [sic], denn jene un- bemittelten Kreise, für welche diese Veranstaltungen von Haus aus geplant waren, kommen zu einem großen Prozentsatze nicht mehr in Betracht, denn die Listen werden nicht nur in Fabriken für die Arbeiter ausgelegt, sondern sind auch dem Contorpersonal und dessen Bekannten zugänglich, ja, sie werden sogar an kauf- männische Firmen jetzt gesandt, wie wir durch Beweise erhärten können.561

558 Ebd., fol. 30v–31r. 559 Vgl. ebd., fol. 31v–32r. 560 Ebd., fol. 32r–32v. 561 Ebd., fol. 39r. Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900

Mit den ›volkstümlichen Symphoniekonzerten‹ sind Konzerte des Windersteinorchesters gemeint, die besonders auf ein Arbeiterpublikum zielen. Der Schreiber stört sich keines- wegs an der Tatsache, dass diese billigen Konzerte existieren, sondern daran, dass sie von der oberen Mittelschicht frequentiert werden, anstatt von der Arbeiterschaft. Am 24. Januar 1904 beim Konzert der Dresdener Volkssingakademie – es wird Max Bruchs Lied von der Glocke gegeben, Konzertkarten kosten 50 Pfennig – machen Mitglieder der Leipziger Sing- akademie die Probe aufs Exempel, »ob auch unseren Kreisen der Zutritt gestattet wäre; der Versuch ist uns vollständig gelungen und wir konnten konstatiren [sic], daß ein großer Teil des Publikums besseren Kreisen angehörte«.562 Umgekehrt habe man durchaus versucht, Arbeiter für die Konzerte der Singakademie zu gewinnen, was jedoch erfolglos geblieben sei, da die Arbeiter durch die stark subventionierten Konzert- und Theaterkarten, die sie bei vielen Gelegenheiten nun bekommen, verwöhnt seien und nicht mehr die nur wenig höheren Preise für die Singakademie zahlen wollten. 233 Die Ratsplenarsitzung beschließt am 27. Februar 1904, der Bitte der Singakademie um Unterstützung stattzugeben. Die Singakademie erhält 600 Mark jährlich und bekommt ihren Probenraum in der Schule für Frauenberufe von der Stadt finanziert. Allerdings ist die städtische Hilfe auf drei Jahre begrenzt, danach soll nochmals abgewogen werden: »Falls auch hiermit das Fortbestehen des Vereins nicht ermöglicht werden sollte, würde von weiterer Unterstützung abzusehen sein.«563 Gegen erhebliche Widerstände setzen sich die Stadtvertreter beim Kirchenvorstand der Peterskirche dafür ein, dass am 16. November 1904 der Bußtags-Abendgottesdienst auf 17 Uhr vorverlegt wird, damit die Singakademie danach in der Kirche ein Konzert veranstalten kann.564 Es wird Heinrich Zöllners Oratorium Luther gegeben. Allerdings bleibt es bei diesem einen Bußtagskonzert in der Peterskirche, die Singakademie tritt danach nie wieder dort auf. In der Folgezeit zeigt die Singakademie ihre Dankbarkeit für die städtische Förderung, indem sie regelmäßig Einladungen zu ihren Konzerten an den Rat der Stadt verschickt. Bevor die dreijährige Unterstützung ausläuft, bittet die Singakademie am 5. März 1906 um weitere Gewährung derselben. In einer ausführlichen Begründung wird unter ande- rem hervorgehoben, dass die Kasse ohne die Förderung weit in den roten Zahlen geschlos- sen haben würde. So aber sei man leicht im Plus und habe zudem mehrere deutsche bzw. Leipziger Erstaufführungen bringen und dafür angesehene Solisten gewinnen können: »Zöllner’s ›Luther‹, Hegar’s ›Ahasver’s Erwachen‹, Hutter’s ›Lanzelot‹, Neff’s ›Schmied Schmerz‹ […].«565 Die Stadt scheint mit der Entwicklung des Vereins und mit diesen Argu- menten zufrieden: Die Förderung wird bis auf Weiteres fortgesetzt. Nicht nur die Singakademie, auch andere Musikinstitutionen Leipzigs sind zu dieser Zeit nicht mehr fähig, sich selbstständig zu finanzieren. 1911 erhält der Bachverein einen

562 Ebd., fol. 39v. 563 Ebd., fol. 50r–50v. 564 Vgl. ebd., fol. 58r–58v. 565 Ebd., fol. 72v. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Zuschuss von 5000 Mark.566 Auch das Orchester des ehemaligen Singakademie-Dirigenten Hans Winderstein gerät in Geldnot: Winderstein bittet 1911 die Stadtverwaltung um eine jährliche Förderung von 10 000 Mark und argumentiert, dass das Windersteinorchester eine wichtige Funktion als zweites Orchester neben dem Gewandhausorchester wahrnehme und ein breiteres Publikum als dieses erreiche. Während der Finanzausschuss und der Stadtrat sich von Windersteins Ansinnen überzeugen lassen, votiert die Stadtverordnetenversamm- lung schließlich gegen eine dauerhafte Förderung und entscheidet sich, Winderstein nur mit einem einmaligen Zuschuss von 8000 Mark zu helfen. Als die Singakademie ein großes Festkonzert anlässlich der Einweihung des Völker- schlachtdenkmals am 18. Oktober 1913 plant, bittet sie den Rat der Stadt erfolgreich um die Übernahme eines eventuellen Defizits bis zur Höhe von 2000 Mark. Die Singakademie wolle »zur Beteiligung auch andere größere Chorvereinigungen auffordern und so die Auf- führung zu einer patriotischen Feier der Leipziger Sängerschaft, sowie zu einer Huldigung 234 für die anwesenden Fürstlichkeiten, deren Erscheinen sie erbeten hat, gestalten«.567 Bei der Aufführung von Ernst Hermann Seyffardts Konzert-Kantate Aus Deutschlands großer Zeit durch die Singakademie, den Leipziger Männerchor und das Windersteinorchester in der Alberthalle sitzen 22 Vertreter der Stadt auf besten Plätzen direkt neben der Fürstenloge. Das Konzert ist insgesamt so gut besucht, dass die Singakademie die zugesagte Unterstüt- zung nicht in Anspruch nehmen muss.568 Der kurz darauf ausbrechende Erste Weltkrieg beeinträchtigt auch das Wirken der Sing- akademie. Im Jahr 1915 wird der jährliche Zuschuss gestrichen,569 durch den Krieg sinken die Mitgliederzahlen und damit die Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge. Die drei großen Chorvereine Singakademie, Bachverein und Riedelverein, denen allen die Förderung für 1915 entzogen worden ist, wenden sich deshalb in einem gemeinsamen Schreiben vom 11. November 1915 an den Rat der Stadt und bitten darum, wenigstens die Kosten für die Nutzung der Proberäume in den städtischen Schulen den Vereinen nicht in Rechnung zu stellen. Dem Gesuch wird »in Rücksicht auf die Bedürftigkeit und Bedeutung der Verei- ne«570 stattgegeben. Für das Jahr 1916 wird die Singakademie wieder in der gewohnten Höhe gefördert.571 Um die Kasse aufzubessern, veranstaltet die Singakademie auch Tombolas. Diese müs- sen polizeilich angemeldet werden und sind anhand der Akten des Polizeipräsidiums im Staatsarchiv Leipzig dokumentiert. So werden bereits in den Jahren 1905 und 1907 Tombo- las veranstaltet, »deren Reinertrag der Unterstützungscasse unseres Vereins zu Gute kom-

566 Vgl. hier und für den ganzen Absatz Menninger, Art and Civic Patronage, S. 263–266. 567 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 123r. 568 Vgl. ebd., fol. 128–129. 569 »Dabei wurde ausdrücklich betont, dass diese Streichung keinerlei Unfreundlichkeit gegen Ihren Ver- ein bedeuten solle, sondern dass sie, wie in anderen ähnlichen Fällen, lediglich aus Sparsamkeitsgrün- den während des Krieges erfolgt sei.« (Ebd., fol. 138.) 570 Ebd., fol. 147. 571 Vgl. ebd., fol. 150. Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900 men soll«.572 Nachdem Ende 1920 der Schatzmeister der Singakademie mit »sämtlichen Einnahmen der S. A. Leipzig verlassen [hat,] […] seitdem spurlos verschwunden«573 ist und auch die Konzerte zur Frühjahrsmesse 1921 schlecht besucht waren, meldet Gustav Wohlge- muth erneut eine Tombola an.574 Im Jahr 1926 trifft das nächste Bittschreiben Wohlgemuths beim Rat der Stadt ein. Da- raus geht hervor, dass offenbar in der Nachkriegszeit die laufende städtische Unterstützung wieder gestrichen worden ist. Als Vergleich wählt Wohlgemuth nun nicht – wie in früheren Schreiben – den Riedelverein, sondern den Gewandhauschor: Die Singakademie

führte bis zu Kapellmeister Reineckes Zeiten die Chorkonzerte im Gewandhaus aus, bis Reinecke einen eigenen Gewandhauschor gründete, der sich bekanntlich seit einigen Jahren mit dem Bachverein verschmolzen hat und seit dieser Zeit die Chorkonzerte ›veranstaltet vom Rat der Stadt Leipzig‹ ausführt. D. h. also: Der Rat 235 kauft die Noten, bezahlt das Orchester, deckt die Lustbarkeitssteuer und bezahlt alle übrigen Unkosten z. B den Dirigenten. Die Mitglieder dieser Chorvereinigung zah- len keine Mitgliedsbeiträge, sondern bekommen insofern sogar einen Ausgleich für ihren Probenbesuch, als sie Freikarten für die Proben der Gewandhauskon- zerte erhalten. […] Unsere Mitglieder zahlen jetzt monatlich 1.- M Steuern [d. h. Mit- gliedsbeiträge]. Davon und von den Einnahmen bei Konzerten müssen die Noten bezahlt werden, das Orchester bei Oratorienaufführungen, die Lustbarkeitssteuer, der Schulhausmeister für Proben und auch – der Dirigent, ganz abgesehen von den Solisten.575

Wohlgemuth erwähnt dann, dass er selbst seit Oktober 1924 kein Honorar mehr bekomme. Eine große Last sei die Lustbarkeitssteuer, die bei den letzten Konzerten rund 300 Mark betragen habe. Das Schreiben mündet deshalb in der Bitte, nicht nur die früher gewährten 600 Mark Zuschuss pro Jahr wieder einzuführen, sondern auch »dem Beispiele so vieler anderer deutscher Städte zu folgen und für die ernsten künstlerischen Konzerte (Kirche und Alberthalle) die Gemeinnützigkeit aussprechen zu wollen«.576 In der Sitzung des Fi- nanzausschusses vom 19. März 1926 wird beschlossen, einmalig »300 RM zu bewilligen mit dem Anheimgeben, daß die Leipziger Singakademie für die Zukunft sich des Sym- phonie-Orchesters der Leipziger Orchester-Gesellschaft bedienen soll«.577 Dann könne sie von den Mitteln, die die Stadt für die Leipziger Orchester-Gesellschaft zur Verfügung stellt, profitieren; d. h. die Singakademie könne das Leipziger Sinfonieorchester dann zu einem

572 D-LEsta, PP-V 150, fol. 20. 573 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 170–170v. 574 Vgl. D-LEsta, PP-V 150, fol. 20. 575 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 174. 576 Ebd., fol. 176. 577 Ebd., fol. 177. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

günstigeren Preis buchen.578 Die jährliche Förderung wird aber nicht wieder aufgenommen und die Konzerte werden nicht von der Lustbarkeitssteuer befreit. Ein Auszug aus einer Sitzung der Stadtverordneten vom 26. Februar 1930 zeigt, dass die städtischen Mittel nach wie vor umkämpft sind und dass auch die Fraktionen darum streiten. Anlässlich der Ratsvorlage, das dem Riedelverein für die Aufführung der Achten Sinfonie von Gustav Mahler entstandene Defizit von 1453 Mark zu übernehmen, argumen- tiert der Stadtverordnete »Schmidt II«:

[W]enn von seiten [sic] der Arbeiterschaft Forderungen gestellt werden, zum Bei- spiel vom Arbeitersängerbund, oder wir haben vor kurzem eine Rückantwort be- kommen vom Rat über das Arbeiterkammerorchester, der Rat eine Mittelbewilli- gung ablehnt […]. Und hier in der Drucksache sehen wir klar die Demagogie des Rates, indem er hier bei der Ablehnung der Mittel für das Arbeiterkammerorches- 236 ter den Riedelverein in den Vordergrund schiebt, für den er Mittel übrig hat. Im übrigen sprechen wir dem Rat bei der ganzen Behandlung der Dinge jedes Urteil darüber ab, ob die Aufführungen des Riedelvereins künstlerisch hochwertig sind […]. Abstimmung: Gegen die Stimmen der Kommunisten und der Nationalsozia- listen beschließt das Kollegium der Vorlage gemäß [die Bewilligung der Mittel für den Riedelverein].579

Allerdings wird auch der Riedelverein nicht mehr bedingungslos gefördert. Vielmehr heißt es in einer Stellungnahme des Kulturamts vom 10. August 1934, dass wegen »der schlech- ten Finanzlage in den letzten Jahren« außer Beiträgen für Probenräume und »ausser der Übernahme eines Garantiebetrages und Übernahme eines Fehlbetrages im Jahre 1929 an- lässlich der Aufführung der VIII. Symphonie von Mahler durch den Riedelverein«580 keine weitere dauerhafte Förderung für Riedelverein und Singakademie gewährt worden sei. Schon Ende des 19. Jahrhunderts sind die großen Leipziger Chorvereine allesamt mehr oder weniger stark von städtischer Förderung abhängig. Man kann darin ein Symptom der allgemeinen Tendenz in dieser Zeit erkennen, dass die Kontrolle kultureller Institutionen

578 Die Größenordnung der vergünstigten Nutzung des Leipziger Sinfonieorchesters zeigt die Korrespon- denz vor dem Konzert zum 125. Jubiläum der Singakademie am 6. Dezember 1927, bei dem Friedrich Hegars Oratorium Manasse aufgeführt wird. Die Singakademie bittet den Rat der Stadt darum, das Orchester zu dieser Aufführung kostenlos zur Verfügung zu stellen oder für die Orchesterkosten aufzu- kommen. Aus einer internen Notiz in den städtischen Akten geht hervor, dass eine Hauptprobe und ein Konzert mit dem Leipziger Sinfonieorchester üblicherweise 1700 Mark kosten, mit der gängigen Ver- billigung verbleiben 1200 bis 1300 Mark. Der Rat teilt der Akademie am 4. November 1927 mit, dass er das Orchester nicht kostenlos zur Verfügung stellen könne, da es ein Privatunternehmen sei. Es werde aber ein Sonderbeitrag von 1200 Mark bewilligt, mit dem die Singakademie die Orchesterkosten decken könne. (Vgl. ebd., fol. 179–180v.) 579 Ebd., fol. 182. 580 Ebd., fol. 183v. Konkurrenz im Leipziger Konzertleben nach 1900 von der Eigenverantwortung der Vereine in die Hand der Stadt übergeht.581 Der Überblick über die wechselhaften Beziehungen zwischen der Leipziger Singakademie und dem Leip- ziger Rat in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigt: Diese Abhängigkeit von der Stadt besteht für die Singakademie weiterhin. Wenn sie in Finanznot gerät und sich deshalb an die Stadt wendet, wird sie alles andere als bevorzugt behandelt. Manchmal werden ihre Gesuche abgelehnt, manchmal nur teilweise erfüllt. Immer muss der Verein ausführlich seine Finanzen darlegen und seine eigene kulturelle Bedeutung argumentativ untermau- ern. Während im 19. Jahrhundert enge personelle Querverbindungen zwischen Stadtrat und Singakademie bestanden hatten, gibt es diese Verbindungen nun nicht mehr. Kein Stadtbeamter spricht in den Ausschuss-Sitzungen aus eigener Singakademie-Erfahrung. Der Vorstand der Singakademie besteht in der Mehrzahl aus Kaufleuten; städtische Beamte sind nicht darunter.582 Hätte es Stadtvertreter in der Singakademie gegeben, so wären diese sicherlich auch – wie früher üblich – in den Vorstand gewählt worden. 237 Ein anderes Motiv, das sich durch die Korrespondenz zieht, ist die Klage darüber, »daß die im Interesse der Kunst so dringend notwendigen Aufführungen neuer und neuester hervorragender Schöpfungen vom großen Publikum am wenigsten besucht werden […]«.583 Die Abrechnungen, welche die Singakademie der Stadt vorlegt, zeigen immer wieder große Fehlbeträge bei abendfüllenden, in Leipzig selten oder bisher gar nicht gespielten Werken. Während Konzerte mit beliebten, bereits kanonisierten Werken für den Verein mit Gewinn oder wenigstens ohne Verlust umsetzbar sind, werden Aufführungen moderner Musik und Leipziger Erstaufführungen zum finanziellen Risiko – ein Sachverhalt, der auch heute im 21. Jahrhundert nicht unbekannt erscheint. Das Problem für die Singakademie besteht da- rin, dass sie genau in diesen verlustträchtigen Konzerten ihre Kernaufgabe, gewissermaßen sogar ihre Daseinsberechtigung sieht. Während der Riedelverein sein Repertoire in älteren Kompositionen bereits bekannter Komponisten findet und der Bachverein ganz auf die Aus- strahlung Bachs setzen kann, ist die Singakademie hier im Nachteil. Dieses immer wieder auftauchende Argument reicht als Begründung für die Probleme der Singakademie in der Zeit der Weimarer Republik aber offenkundig nicht aus. Vor allem Arbeiterchöre führen damals sehr erfolgreich zeitgenössische Werke auf. Dass wirklich, wie vom Vorstand der Singakademie beklagt, die billigen Eintrittspreise allein dafür ver- antwortlich sind, erscheint äußerst zweifelhaft. Hier bleibt viel Raum für weitergehende Untersuchungen, die sich z. B. mit Aspekten der Nachwuchsgewinnung und der Öffentlich- keitsarbeit im Chorwesen dieser Zeit auseinandersetzen müssten.

581 Vgl. Menninger, Art and Civic Patronage, S. 50–51. 582 Im Jahr 1908 bilden den Vorstand der Leipziger Singakademie: Erster Vorsitzender: Dr. Walter Lim- burger, Rechtsanwalt; geschäftsführender Vorsitzender und Schatzmeister: Generalagent Carl Peters; Schriftführer: Oberpostassistent Paul Langer; Beisitzer: Verlagsbuchhändler Direktor Georg A. Hainle, Privatmann Hugo Heynold und Kaufmann Friedrich Peters; Notenwart: Kaufmann Hugo Winter. (Vgl. D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 95.) 583 Ebd., fol. 73r. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

9.4 Das Repertoire 1900–1937

Es folgt wiederum eine nach Komponisten und Werken geordnete Aufstellung des Reper- toires der Leipziger Singakademie in der fünften Phase ihrer Geschichte. Enthalten sind alle Auftritte von September 1900 bis Februar 1937, also vom ersten bis zum letzten Konzert der Amtszeit Gustav Wohlgemuths. Es muss erneut auf die mögliche Unvollständigkeit der Auftrittsliste in dieser Phase hingewiesen werden. Ferner ist bei einigen Auftritten das gesungene Repertoire nicht bekannt, so dass sie zwar in der Konzertübersicht im Anhang verzeichnet, in das folgende Register aber nicht eingereiht werden konnten.

Achtélik, Joseph: Türmerlied: 28.8.1922, 29.8.1922, 20.11.1931 Beethoven, Ludwig van: »An die Freude« [Bearbeitung des Schlusschors aus der Sinfonie Nr. 9]: 7.5.1905 238 –—: Fantasie für Pianoforte, Chor und Orchester: 20.2.1903 Berlioz, Hector: Die Flucht nach Ägypten: 5.2.1904 Bizet, Georges: Einleitung u. Chor aus der Oper Carmen: 29.7.1909 Böhme, Walter: Oratorium Die heilige Stadt: Herbst 1924, März 1925 Bose, Fritz von: Der du von dem Himmel bist: 28.8.1922, 29.8.1922 –—: Wanderers Nachtlied: 14.5.1934 Brahms, Johannes: All meine Herzgedanken: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Ave Maria: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Barcarole: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Der Bräutigam: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Frauenchöre und Lieder für gemischten Chor: Dezember 1919 –—: Ich fahr dahin: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: In stiller Nacht: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Schicksalslied: 3.11.1909, 16.11.1909 –—: Spazieren wollt ich reiten: 3.11.1909, 16.11.1909 Bruch, Max: Oratorium Das Lied von der Glocke: 5.2.1908, 8.2.1913, 6.3.1927 –—: Oratorium Gustav Adolf: 31.10.1905, 8.2.1915, 21.2.1915, 8.3.1921, 9.3.1921 –—: Römische Leichenfeier: 5.2.1904 Deutschlandlied: 6.3.1934 Frischen, Joseph: Athenischer Frühlingsreigen: 20.2.1903, 24.2.1905, 29.7.1909 Gade, Niels Wilhelm: Kantate Frühlingsbotschaft: 14.6.1901 Gastoldi, Giovanni Giacomo: Amor im Nachen: 2.9.1900 Hamerik, Asger: Erntetanz: 5.2.1904 Händel, Georg Friedrich: Chor »Halleluja« aus dem Oratorium Der Messias: 6.3.1934 –—: Kantate Alexanders Fest oder Die Gewalt der Musik: 14.2.1902, 18.4.1905, 1935 –—: Kleine Cäcilienode: 25.11.1933 –—: Masque Acis und Galatea: 23.1.1914 Hauptmann, Moritz: Hell ins Fenster: 14.5.1934 Das Repertoire 1900–1937

Haydn, Joseph: Oratorium Die Jahreszeiten: 22.2.1901, 26.2.1907, 7.2.1916, 12.6.1923, 9.5.1933 –—: Oratorium Die Schöpfung: 7.2.1906, 10.3.1912, 12.3.1912, 17.6.1919, 30.8.1921, 31.8.1921 Hegar, Friedrich: Da unten im Tale: 22.1.1901 –—: Konzertszene Ahasvers Erwachen: 24.2.1905 –—: Oratorium Manasse: 6.12.1927 Hofmann, Heinrich: Erwartung: 14.6.1901, 6.7.1926 –—: Sommernacht: 14.6.1901, 6.7.1926 Hollaender, Victor: Operette Primanerliebe: 22.1.1901 Horst-Wessel-Lied: 6.3.1934 Hutter, Herman: Kantate Lanzelot: 24.2.1905 Kaun, Hugo: Requiem, op. 116: 7.11.1926 Klughardt, August: Oratorium Die Zerstörung Jerusalems: 15.11.1901 –—: Oratorium Judith: 2.11.1902 239 Koch, Friedrich Ernst: Oratorium Von den Tageszeiten: 8.3.1911 Koschat, Thomas: Walzeridylle (»Ein Sonntag auf der Alm«): 29.7.1909 Kranz, Albert: Letztes Gebet: 28.8.1922, 29.8.1922 Liszt, Franz: Der 137. Psalm »An den Wassern zu Babylon«: 28.4.1919 Mendelssohn Bartholdy, Felix: Abschied vom Walde (»O Täler weit, o Höhen«): 14.5.1934 –—: Deutschland: 2.9.1900 –—: Die Waldvögelein: 2.9.1900 –—: Drei Volkslieder (Entflieh mit mir; Es fiel ein Reif; Auf ihrem Grab): 9.3.1909, 26.3.1909 –—: Es ist bestimmt in Gottes Rat: 9.3.1909, 26.3.1909 –—: Mitten wir im Leben sind: 9.3.1909, 26.3.1909 –—: Oratorium Elias: 9.11.1900, 31.10.1906, 18.11.1914, 1.3.1920, 15.3.1920 –—: Oratorium Paulus: 13.11.1903, 3.2.1909 –—: Richte mich, Gott: 9.3.1909, 26.3.1909 –—: Ruhetal: 9.3.1909, 26.3.1909 –—: Zwei Scherzchöre (Der weise Diogenes; Musikantenprügelei): 9.3.1909, 26.3.1909 Mojsisovics, Roderich: Der Seligen Furcht: 5.2.1904 –—: Spätsommer: 5.2.1904 Müller, Richard: Wenn die Knospen brechen: 14.6.1901 Nagler, Franziskus: Kantate Aus Nacht zum Licht!: 29.6.1935 Neff, Fritz: Schmied Schmerz: 24.2.1905 Nessler, Victor Ernst: Landsknecht-Chor aus der Oper Der Trompeter von Säkkingen: 22.1.1901 Pierné, Gabriel: Oratorium Der Kinderkreuzzug: 31.10.1907, 17.11.1907, 19.11.1907, 14.11.1911 Raff, Joachim: Im Kahn: 14.6.1901 »Requiem aeternam« (FCh u. Org): 28.8.1922, 29.8.1922 Rheinberger, Josef Gabriel: Oratorium Christophorus: 5.2.1904 Rinckart, Martin: Choral »Nun danket alle Gott«: 16.2.1902 Seyffardt, Ernst Hermann: Konzert-Kantate Aus Deutschlands großer Zeit: 23.4.1904, 20.2.1906, 18.10.1913 Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Schicht, Johann Gottfried: »Credo« aus der e-Moll-Messe: 16.2.1902, 23.2.1902 Schönberg, Arnold: Kantate Gurre-Lieder: 6.5.1914, 6.5.1929 Schubert, Franz: »Sanctus« für MCh u. GCh: 18.11.1928 –—: Chor der Engel: 15.11.1912, 16.11.1912 –—: Der 23. Psalm für weibliche Stimmen »Gott ist mein Hirt«: 18.11.1928 –—: Der Tanz: 15.11.1912, 16.11.1912 –—: Gott meine Zuversicht: 15.11.1912, 16.11.1912 –—: Kantate Mirjams Siegesgesang: 15.11.1912, 16.11.1912, 18.11.1928 Schumann, Georg: Chor-Kantate Sehnsucht: 31.10.1910 –—: Chor-Kantate Totenklage: 31.10.1910 –—: Das Tränenkrüglein: 28.4.1919 –—: Huldigung beim Jesuskinde: 31.10.1910 –—: Mariä Wiegenlied: 31.10.1910 240 Schumann, Robert: Oratorium Das Paradies und die Peri: 9.3.1910 –—: Oratorium Der Rose Pilgerfahrt: 20.2.1903 –—: Soldatenbraut: 28.6.1910 –—: Zigeunerleben: 22.1.1901, 28.6.1910 Sgambati, Giovanni: Messa da Requiem: 12.2.1912, 4.4.1913, 2.4.1915 Silcher, Friedrich: Die drei Röslein: 2.9.1900 –—: Wohin mit der Freud’: 14.6.1901 Thuille, Ludwig: Traumsommernacht: 24.2.1905 Tinel, Edgar: Oratorium Franciscus: 17.11.1908 Tottmann, Albert: Christnacht: 22.1.1901 Volbach, Fritz: Reigen: 22.1.1901 Weber, Carl Maria von: Einsam bin ich: 6.7.1926 –—: Leise, leise: 6.7.1926 Wagner, Franz: Das Märchen vom Glück: 14.6.1901 Wagner, Richard: Apotheose des Hans Sachs aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg: 7.5.1905, 29.7.1909, 10.12.1933, 14.5.1934 –—: Schlusschor »Ehrt Eure deutschen Meister« aus der Oper Die Meistersinger von Nürn- berg: 9.3.1909, 26.3.1909, 22.5.1913 –—: Spinnerlied aus der Oper Der Fliegende Holländer: 6.7.1926, 10.12.1933, 14.5.1934 –—: Szene »Einzug der Gäste« aus der Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg: 14.5.1934 Wohlgemuth, Gustav: Frühlingswalzer: 18.2.1933 –—: Liebesglück: 14.6.1901 Zillinger, Erwin: Liedfolge Der Zoologische Garten: 9.2.1937 Zöllner, Heinrich: Engelgesang: 6.7.1926 –—: Oratorium Luther: 31.10.1904, 16.11.1904, 17.11.1915, 30.10.1917 Zschiegner, Fritz: Requiem für MCh u. FCh: 20.11.1931 Das Repertoire 1900–1937

Im Vergleich zur vorherigen Phase hat sich bei den beliebtesten Komponisten und Werken nicht viel geändert. Unter den am häufigsten aufgeführten Stücken sind nach wie vor Die Schöpfung und Die Jahreszeiten von Joseph Haydn (mit sechs bzw. fünf Aufführungen) so- wie Mendelssohns Elias (fünf). Die Rangliste der am häufigsten aufgeführten Komponisten wird nun allerdings nicht mehr von Haydn angeführt, sondern von Mendelssohn (22 Auf- führungen), von dem sich neben den Oratorien Elias und Paulus mehrere kurze geistliche und weltliche Stücke im Repertoire finden. Einen großen Sprung nach oben gibt es in der Aufführungshäufigkeit der Werke von (17 Aufführungen von Chorlie- dern), darauf folgen mit jeweils 11 Aufführungen Werke von Schubert, Haydn und Wagner. Hier fällt besonders die gestiegene Beliebtheit Wagners auf, von dem die Singakademie am häufigsten Chöre aus denMeistersingern von Nürnberg aufführt. Die zeitliche Aufteilung zwischen den Komponisten Mendelssohn und Wagner ist symptomatisch für die Zeitum- stände, also für den in den zwanziger Jahren in Deutschland ansteigenden Antisemitismus 241 und gleichzeitig für die Wagner-Verehrung der Nationalsozialisten, zu denen Gustav Wohl- gemuth wohl gezählt werden muss. Abgesehen von einer Ausnahme 1934 taucht Mendels- sohn nach 1920 überhaupt nicht mehr auf den Singakademie-Programmen auf. Die Wag- ner-Aufführungen der Singakademie indessen finden gehäuft ab 1933 statt. Die Altersstruktur der Komponisten im Repertoire der Singakademie bestätigt die Konzentration auf moderne Werke jüngerer Komponisten bei gleichzeitiger Pflege einiger ›Klassiker‹. Während mit Georg Friedrich Händel nur noch ein Barock-Komponist im Re- pertoire verblieben ist, sind mehr als die Hälfte der von der Singakademie in dieser Phase aufgeführten Komponisten nach 1840 geboren, viele leben bei der Aufführung ihrer Werke durch die Singakademie noch. Hinzu kommt, dass der Chor viele dieser Werke zum ersten Mal in Leipzig oder Deutschland zu Gehör bringt. In die ›Ära Wohlgemuth‹ fallen mehr Ur- und Erstaufführungen als in jede andere Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie. Sie sind hier chronologisch geordnet:

Uraufführungen: –– 1904 Roderich Mojsisovics: Der Seligen Furcht u. Spätsommer

Deutsche Erstaufführungen: –– 1904 Heinrich Zöllner: Oratorium Luther –– 1905 Friedrich Hegar: Konzertszene Ahasvers Erwachen (Bar-Solo, Chor, Orch) –– 1914 Arnold Schönberg: Kantate Gurre-Lieder

Leipziger Erstaufführungen: –– 1901 Franz Wagner: Das Märchen vom Glück (S, GCh, Orch); August Klughardt: Oratorium Die Zerstörung Jerusalems –– 1902 Georg Friedrich Händel: Kantate Alexanders Fest oder Die Gewalt der Musik (Leipziger EA der Bearbeitung Friedrich Chrysanders); August Klughardt: Oratorium Judith –– 1903 Joseph Frischen: Athenischer Frühlingsreigen Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

–– 1904 Max Bruch: Römische Leichenfeier; Asger Hamerik: Erntetanz (FCh, Orch); Ernst Her- mann Seyffardt: Konzert-Kantate Aus Deutschlands großer Zeit –– 1905 Herman Hutter: Kantate Lanzelot; Fritz Neff: Schmied Schmerz; : Traumsommernacht (FCh, V, Hf) –– 1907 Gabriel Pierné: Oratorium Der Kinderkreuzzug –– 1910 Georg Schumann: Chor-Kantaten Sehnsucht u. Totenklage –– 1911 Friedrich Ernst Koch: Oratorium Von den Tageszeiten –– 1912 Giovanni Sgambati: Messa da Requiem –– 1914 Georg Friedrich Händel: Masque Acis und Galatea

Alle Ur- und Erstaufführungen dieser Phase finden in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg statt. Dieser Befund untermauert die These, dass die Singakademie demgegenüber in den zwanziger und dreißiger Jahren an Wichtigkeit im Leipziger Konzertleben verliert. Von den 242 Erstaufführungen seien nur zwei beispielhaft hervorgehoben. Heinrich Zöllners Oratorium Luther wird am Reformationstag von der Singakademie, unterstützt durch den Knabenchor der II. Realschule und das Windersteinorchester zur deutschen Erstaufführung gebracht, an der Orgel sitzt Paul Homeyer. Die Aufführung wird vom Komponisten selbst geleitet. Zöllner, der Sohn des bekannten Komponisten und Chorleiters Carl Friedrich Zöllner, ist zu diesem Zeitpunkt in Leipzig Universitätsmusikdirektor und -organist. Er hatte am Leipziger Konservatorium studiert und lehrt nach Stationen in Dorpat (heute Tartu, Estland), Köln und New York nun in Leipzig am Konservatorium und leitet außerdem den Paulinerverein.584 Sein Oratorium erzählt die Lebensgeschichte Luthers, der von Alexander von Oettingen zu- sammengestellte Text basiert auf Worten aus der Bibel und von Luther. Auch musikalisch spielen Vorlagen des Reformators eine große Rolle, lutherische Choräle werden effektvoll eingeflochten. Die Aufführung ist, im Gegensatz zu vielen anderen Erstaufführungen der Singakademie, gut besucht und wird wenig später in der Peterskirche wiederholt.585 Gabriel Piernés Oratorium Der Kinderkreuzzug wird ebenfalls an einem Reformations- tag in der Thomaskirche gegeben. Ausführende der Leipziger Erstaufführung sind die Leip- ziger Singakademie, ein Kinderchor und die Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 107 unter der Leitung von Gustav Wohlgemuth. Das Oratorium des französischen Komponisten war im Vorjahr durch den Augsburger Oratorienverein zur deutschen Erstaufführung gebracht worden. Es geht auf eine Textvorlage von Marcel Schwob zurück, die deutsche Übersetzung stammt vom Leiter des Augsburger Oratorienvereins Wilhelm Weber.586 Walter Niemann, der Kritiker für das Musikalische Wochenblatt, lobt die Augsburger Aufführung, kritisiert aber das Werk:

584 Vgl. zu Zöllner: Arnhold u. a., »Leipziger Universitätsmusikdirektoren«, S. 444. 585 MW 35 (1904), S. 822–823. 586 Vgl. MW 38 (1907), S. 912–913. Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945

Die Musik ist ausgesprochen französisch. Von hohem Reiz und bestrickendem Far- benzauber in den zart lyrischen und mystisch-religiösen Partien, den Naturstim- mungen, gibt sie in dem dramatischen letzten Teile meist nur Assimilationsproben aus deutscher Musik von Bach und Händel zu Wagner und Richard Strauss.587

Der Erstaufführung folgen im selben Jahr 1907 noch zwei weitere Darbietungen in Leipzig, auch 1911 steht der Kinderkreuzzug noch einmal auf dem Programm der Singakademie. Die Bedeutung der Aufführung solcher in Leipzig bisher ungekannten Werke kann damit nur angedeutet werden. Die Profilierung als Chorverein für moderne Musik und ei- nige Klassiker, die schon vor der Jahrhundertwende begonnen hatte, wird von Wohlgemuth fortgesetzt. Warum der Ehrgeiz der Leipziger Singakademie, Ur- und Erstaufführungen zu veranstalten, nach dem Ersten Weltkrieg völlig versiegt, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Hieran anschließende Überlegungen zum Chorrepertoire zwischen den 243 Weltkriegen müssten auch die sehr unterschiedliche Qualität und ästhetische Ausrichtung der damals neu komponierten Werke berücksichtigen.

9.5 Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945

Im Jahr 1918 spaltet sich ein Teil der Mitglieder von der Leipziger Singakademie ab und gründet einen neuen Chor mit ähnlichem Namen. Am 1. August 1918 wird der Verein »Neue Leipziger Singakademie e. V.« zur Eintragung ins Vereinsregister angemeldet.588 Seine Sat- zung gibt den 15. August 1918 als Gründungstag an.589 In den Registerakten heißt es:

Die neue Leipziger Singakademie e. V., Sitz Leipzig, ist ein in das Vereinsregister eingetragener Verein, pflegt den kunstgemässen Chorgesang kleinerer und grösse- rer Werke und erstrebt eine vornehme musikalische Geselligkeit, in deren Rahmen auch dem Einzelvortrag (Gesang, Instrument, Dichtung) Gelegenheit zur Betäti- gung geboten wird.590

Als erster Vorsitzender zeichnet Carl Peters, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der ›alten‹ Singakademie. Über die Gründe, die noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs zu dieser Abspaltung führen, ist nichts bekannt. Die Neue Zeitschrift für Musik berichtet über ein Kon- zert vom 30. Mai 1919:

587 MW 38 (1907), S. 912. 588 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1856, fol. 1. 589 D-LEsta, PP-V 705/26, fol. 2. 590 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1856, fol. 1. Nahezu identisch: D-LEsta, PP-V 705/26, fol. 17. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Im Rahmen eines Wohltätigkeitskonzertes (zum Besten des Diakonissenhauses zu Leipzig-Lindenau) trat zum ersten Male die Neue Leipziger Singakademie unter Leitung von Dr. Hans Göpner öffentlich in der Thomaskirche auf. Sie ist im vori- gen Jahre durch Austritt und neuen Zusammenschluß mehrerer Mitglieder aus der alten Singakademie hervorgegangen und zählt z. Z. bereits etwa 150 singende Mitglieder.591

Mit der Neuen Leipziger Singakademie bereichert nun ein weiterer gemischter Chor das Musikleben Leipzigs in der Weimarer Republik. Die Entwicklung dieses neuen Vereins nimmt allerdings eine entscheidende Wendung zur Zeit der nationalsozialistischen Herr- schaft, als ihm die Mitglieder der von den Nationalsozialisten verbotenen Leipziger Volks- singakademie beitreten. Der letztgenannte Chor stammt aus der Tradition der Arbeitermu- sikvereine.592 244 Die Anfänge der Arbeiterchorbewegung in Leipzig sind in der Gründung des Gewerb- lichen Bildungsvereins im Jahr 1861 zu sehen, dem noch im Gründungsjahr auch eine »Ge- sangsabteilung«, also ein Männerchor, eingegliedert wird.593 Bald dürfen dort auch Frauen mitsingen. Arbeiterchöre bilden einen Gegenpol zu ›bürgerlichen‹ Gesangvereinen wie der Singakademie. Ihre Mitglieder stammen hauptsächlich aus der Arbeiterschaft. Das Wirken der Arbeiterchöre zielt darauf, Kultur und Bildung in den unteren Bevölkerungsschichten zu verbreiten. Das soll durch sehr niedrige Mitgliedsbeiträge und Eintrittspreise erreicht werden. Die politisch links einzuordnenden Ziele der Arbeiterchöre schlagen sich nur teil- weise im Repertoire nieder, keineswegs singen sie nur Kampf- und Arbeiterlieder. Viele Arbeiterchöre erarbeiten sich ›größere‹ Chorwerke, durchaus auch von zeitgenössischen Komponisten. Schnittmengen mit dem Repertoire der bürgerlichen Gesangvereine sind nicht unüblich.594 Die in Leipzig bedeutendsten Verbände von Arbeiterchören sind in den 1920er Jahren jeweils nach ihrem Leiter benannt: die Michael’schen Chöre nach Paul Mi- chael, die Licht’schen Chöre nach Barnet Licht und die Arbeitsgemeinschaft Didam’scher Chöre nach Otto Didam. Die AG Didam’scher Chöre entsteht 1925 und benennt sich am 1. April 1930 um in »Volkssingakademie Leipzig e. V.«.595 Schon im Mai 1933, kurz nach der nationalsozialistischen ›Machtergreifung‹, kündigt sich das Ende dieses Vereins an; in einem Schreiben des Polizeipräsidenten wird ihm mitgeteilt:

591 NZfM 86 (1919), S. 149–150. 592 Die Geschichte der Arbeiterchorbewegung in Leipzig ist von verschiedenen Autoren schon ausführlich dargestellt worden: Schinköth, »Chöre und Chormusik«; ders., »Chorkunst in Leipzig«; Pezold, »Zur Geschichte der Leipziger Volkssingakademie«; Monika Lippold, Kunst im Arbeiterleben. Den Traditionen der Arbeiterchorbewegung in Leipzig verpflichtet, Leipzig 1985; Lippold, Die Lichtschen Chöre. 593 Pezold, »Zur Geschichte der Leipziger Volkssingakademie«, S. 164. 594 Vgl. dazu Gunter Mühl, »Das Verhältnis der Arbeiter-Sänger zum bürgerlichen Gesangvereinswesen bis 1933«, in: Illustrierte Geschichte der Arbeiterchöre, hrsg. von Rainer Noltenius, 1992, S. 65–71. 595 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1588, fol. 1. Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945

Auf Grund von § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 wird die Volks-Singakademie e. V. hiermit auf- gelöst. Eine weitere Betätigung für die aufgelöste Vereinigung oder jede andere Unterstützung wird nach § 4 der eingangs erwähnten Verordnung bestraft.596

Durch den Einsatz Otto Didams, der die Gleichschaltung des Vereins beantragt, sowie durch Fürsprachen des Bürgermeisters Oscar Schulze und des Oberbürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler wird die Auflösung zunächst zurückgenommen.597 Erst 1934 folgt das endgültige Verbot der Volkssingakademie.598 Damit kommt die 1918 gegründete Neue Leipziger Singakademie ins Spiel, denn Didam trifft eine Vereinbarung mit diesem Chor: Die einzelnen ehemaligen Mitglieder des aufge- lösten Chors treten der Neuen Leipziger Singakademie bei und Didam wird ihr Dirigent. Im Anschluss an diese Übernahme erarbeitet sich die Neue Leipziger Singakademie unter 245 Otto Didam eine starke Position im Leipziger Konzertleben. Am 1. Mai 1937 tritt Didam in die NSDAP ein.599 Eine Liste der Aufführungen bis 1940 zeigt das Spektrum der Arbeit der Neuen Leipziger Singakademie. Das Zitat ist der Beilage zu einem Schreiben vom 29. Juni 1940 von Paul Starke, dem Vereinsführer der Neuen Leipziger Singakademie, an den Stadt- rat F. A. Hauptmann entnommen. Starke bittet darum, Otto Didam anlässlich dessen 50. Ge- burtstags einen Ehrentitel zu verleihen, und führt zum Beleg folgende Leistungen an:

1934 Uraufführung des Zyklus ›Deutscher Minnesang‹ von WilhelmWeismann; Erstaufführung des Chorwerkes ›Eines Menschen Lied‹ von O.Siegl./1935 Zur Händel-Feier der Stadt Leipzig: Erstaufführung der ›Semele‹ (in der Fassung von Rhalwes [sic, gemeint ist Alfred Rahlwes]) von G. F. Händel./1936 ›Fausts Verdam- mung‹ von Hector Berlioz./1936 bis 1940 Ur- und Erstaufführungen von neuzeit- lichen a-cappella-Chören, sowie Chören mit Instrumenten, u. a. Kantate ›Schnitter Tod‹ von W. Sendt, Zyklus ›Menschenwandern‹ von Hermann Ambrosius, und Zy- klus ›Heitere Weisheit‹ von B. Stürmer. Sätze für gemischten Chor, Männerchor, Kinder- und Jugendchor von H. Lang, Rein, Lemacher, Didam, Lissmann, Moler, Grabner, Höffer und manche andere. 1936 ›Requiem‹ von Cherubini, ›Stabat ma- ter‹ von Verdi./1937 ›Nordische Musik‹: Deutsche Uraufführung des Chorwerkes ›Voluspaa‹ (Edda) von Monrad Johannsen, Werke von Grieg und Sibelius./1938 Erstaufführung des Chorwerkes ›Segen der Erde‹ von Hermann Grabner./1939 Erstaufführung des Chorwerkes ›Carmina burana‹ von C. Orff/1940 Erstauffüh- rung des Chorwerkes ›Der reiche Tag‹ von Paul Höffer.600

596 Ebd., fol. 24. 597 Korrespondenz in D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1588. 598 Pezold, »Zur Geschichte der Leipziger Volkssingakademie«, S. 182, 187. 599 Prieberg, S. 9448. Für den Hinweis hierauf danke ich Thomas Schinköth. 600 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 200. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

Oft wird die Leipziger Erstaufführung vor Carl Orffs Carmina Burana durch die Neue Leip- ziger Singakademie am 5. April 1939 hervorgehoben. Unter der Leitung von Otto Didam singen Hanna Peuckert (Sopran) und Willi Wolff (Bariton) die Soli im Gewandhaus, den Orchesterpart übernimmt das Leipziger Sinfonieorchester.601 Thomas Schinköth hat den Übergang von der Volkssingakademie in die Neue Leipziger Singakademie sowie das Reper- toire dieses Vereins ausführlich beschrieben.602 Er zeigt, wie sehr der Anspruch, zeitgenössi- sche große Chorwerke zur Aufführung zu bringen, von der Neuen Leipziger Singakademie erfüllt wird, während die ›alte‹ Singakademie in ihrer Wirkung verblasst. Nach dem Krieg erfolgt im Jahr 1953 die Um- bzw. Rückbenennung der Neuen Leipziger Singakademie in Leipziger Volkssingakademie. Noch heute existiert der »Kammerchor Leipziger Volkssing- akademie e. V.«, der sich auf diese Tradition beruft.603 So dient die Neue Leipziger Singakademie in der NS-Zeit dazu, dass die Mitglieder eines verbotenen Arbeiterchors – bzw. mehrerer Chöre, denn die Leipziger Volkssingaka- 246 demie hat verschiedene Abteilungen – in einem Verein Unterschlupf finden, der einer Organisation des NS-Staats angehört, in diesem Fall dem Reichsverband der gemischten Chöre.604 Schinköths Darstellungen hierzu, die teilweise auf dem in Privatbesitz befindli- chen Archiv der Neuen Leipziger Singakademie basieren, ist an dieser Stelle nichts hinzu- zufügen. Ergänzende Akten des Polizeiamts der Stadt Leipzig belegen allerdings, dass die Neue Leipziger Singakademie keineswegs vom Radar der Obrigkeit verschwindet, sondern ab 1936 unter strenger Beobachtung steht. Beispielsweise existiert ein interner Bericht über das Konzert der Neuen Leipziger Singakademie am 5. Mai 1936 im Großen Saal des Zoo- logischen Gartens unter der Leitung von Otto Didam, das von etwa 1500 Besuchern mit starkem Beifall gewürdigt wird:

Erwähnt wird jedoch, dass bei dieser Veranstaltung von dem Geist des neuen Deutschlands nichts zu merken war. Eine Begrüssungsrede oder andere Ansprache wurde nicht gehalten. […] Besonders auffällig war, dass der deutsche Gruss nicht angewendet wurde und dass das Symbol des 3. Reiches im Saale nicht zu sehen war. Auch sonst wurde kein Lied zu Gehör gebracht, dass mit der heutigen Zeit und vor allem mit dem nationalsozialistischen Geist hätte in Verbindung gebracht werden können. Das Konzert wurde noch dadurch gekennzeichnet, dass unter den Konzertbesuchern ein grosser Teil von Anhängern der früheren marxistischen Par- teien (SPD.) wiederzuerkennen war. […] Grund zu polizeilichem Einschreiten lag nicht vor.605

601 Vgl. LKTV 15 (1938/39), H. 51, S. IV. 602 Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 294–311. 603 Kammerchor Leipziger Volkssingakademie (Hrsg.), »Unsere Geschichte/Über uns«, , 1.3.2013. 604 Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 292. 605 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1856, fol. 7. Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945

Ein ähnlich ausfallender Überwachungsbericht zum Sommerkonzert mit Tanz am 27. Juni desselben Jahres im Palmengarten wird Anfang Juli an den Präsidenten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Dresden weitergereicht.606 Der Leipziger Polizeipräsident Oscar Knofe schreibt kurz darauf an die Abteilung IV des Polizeipräsidiums Leipzig:

Ich bitte, über den Verein ›Neue Leipziger Singakademie, e. V.‹, insbesondere auch über Ursprung, Entwicklung, Vereinsdirigenten, politische Einstellung der Mitglie- der, usw., kurz an die Kreisleitung der NSDAP. zu berichten und die Bitte beizufü- gen, eigene Beobachtungen anzustellen. Ich hoffe, daß die Kreisleitung auf Grund der eigenen Beobachtungen und unserer Unterlagen zu dem Entschluß kommen wird, bei der Gauleitung das Verbot des Vereins zu beantragen.607

Daraufhin entsteht ein ausführlicher »Bericht über die Gründung und über das Wesen der 247 ›Neuen Leipziger Singakademie e. V.‹«. Er enthält eine erstaunlich treffsichere Beschrei- bung des Vereins und seiner Fähigkeiten:

Die ersten Mitglieder waren abgesplitterte Teile der schon damals bestehenden und unter Prof. Gustav Wohlgemuth (auch heute noch) geleiteten Leipziger Singakade- mie. Der musikalische Leiter […] ist der Kapellmeister Didam […]. Gegen Didam werden hier keine Pol[izeilichen?]. Akt[en]. geführt. In politischer Hinsicht ist er bisher noch nicht offiziell hervorgetreten […]. Didam war schon damals musikali- scher Leiter der im April 1934 aufgelösten sogenannten Didam’schen Arbeiterchöre wie ›Volkssingakademie‹ […]. Die vorstehenden Chöre waren in ihrer Struktur marxistisch eingestellt […]. Als die ›Volkssingakademie‹ und die übrigen Arbei- ter-Gesangvereine nach der nationalen Erhebung aufgelöst wurden, fanden die bisherigen Mitglieder in der ›Neuen Leipziger Singakademie‹ eine willkommene Aufnahme […]. Die musikalischen Leistungen sind das Höchste, was nur Chöre, insbesondere derartige Laienchöre hervorbringen können. Es steht unbestritten fest, daß gerade die N. L. S. A. in ihren musikalischen Leistungen durch die in- tensivste Kleinarbeit und durch den ganz scharfen Drill durch den musikalischen Leiter zu den größten musikalischen Leistungen befähigt ist. […] Wenn der Verein auch nach außen hin sich nichts merken läßt, so kann man wohl sagen, daß man in musikalischer Hinsicht das Liedgut des Neuen Deutschlands verschmäht, zum mindesten der ganzen Sache keinen Geschmack abgewinnen will. […] Vaterlands- lieder sind den Mitgliedern (aber erst recht dem musikalischen Leiter) wegen ihres meist sentimentalen oder wegen ihres übertriebenen patriotischen Inhalts zuwider […]. Der Zusammenhalt und die Disziplin innerhalb des Vereins ist gegenüber an- deren (bürgerlichen) Vereinen nur als mustergültig zu bezeichnen. […] Jeder der

606 Ebd., fol. 13–16. 607 Ebd., fol. 17–18. Fünfte Phase: Die ›Ära Wohlgemuth‹ (1900–1937)

einzelnen Mitglieder fühlt sich wegen der innern politischen Einstellung zum an- deren hingezogen. […] Bei größeren Veranstaltungen setzt unter den Mitgliedern eine äußerst eifrige Werbetätigkeit unter der Arbeiterschaft […] ein. Die Folge ist, daß die […] Gesangsaufführungen immer restlos ausverkauft sind […]. Zusammen- gefaßt kann man nach den bisher gemachten Beobachtungen sehr wohl sagen, daß die Mitglieder einschließlich ihres musikalischen Leiters dem nationalistischen Gedankengut noch sehr weit entfernt stehen.608

Aufgrund dieser Resultate werden das Leipziger Amt der NSDAP sowie die Gestapo Leipzig eingeschaltet. Der NSDAP-Amtsleiter fordert ein Mitgliederverzeichnis, doch es liegt kei- nes vor und es wird auch davon abgesehen, eins zu beschaffen, um kein Aufsehen bei den Mitgliedern der Neuen Leipziger Singakademie zu erregen. Weitere Überwachungen eines Konzerts sowie eines Gesellschafts- und Werbeabends des Jugendchores der Neuen Leip- 248 ziger Singakademie folgen. Auch die Biografie des Vereinsführers Paul Starke wird unter die Lupe genommen, ohne dass sich bis 1938 Ansatzpunkte für ein Vereinsverbot finden lassen.609 Dabei betonen die Überwacher immer wieder die ›politische Unzuverlässigkeit‹ des Vereins, z. B. heißt es im August 1937:

Heute ist die Neue Leipziger Singakademie e. V. dem ›Reichsverband der gemisch- ten Chöre e. V.‹ korporativ angeschlossen. Auf Grund der Tatsache, dass sich im ›Reichsverband der gemischten Chöre e. V.‹ fast ausschliesslich die ehemaligen Arbeitergesangvereine vereinigt haben, wird die Akademie seitens des Deutschen Sängerbundes stark bekämpft. […] In Sängerkreisen und insbesondere in den Krei- sen des Deutschen Sängerbundes vertritt man den Standpunkt, dass durch eine Auflösung der Neuen Leipziger Singakademie e. V. nicht der gewünschte und im Interesse des Deutschen Sangesgutes liegende Erfolg eintreten würde. Man vertritt vielmehr den Standpunkt, dass es zweckmäßiger sei, den gesamten Reichsverband der gemischten Chöre Deutschlands e. V. einschliesslich der ihm angeschlossenen Vereine aufzulösen und in den Deutschen Sängerbund einzugliedern. Dadurch könnte […] die seit langer Zeit gewünschte einheitliche deutsche Sangesorganisation geschaffen werden und zweitens würde durch eine derartige Massnahme die Über- wachung und Ausschliessung der politisch unzuverlässigen Personen erleichtert.610

Ein besonders bezeichnender Vorgang spielt sich im März 1937 ab.611 In einer Scheune bei Röcknitz in der Nähe von Grimma werden von der Polizei drei Jugendliche aufgegriffen: die Lageristin Rosel Friedrich (*1921), der Zurichter Wolfgang Wegner (*1919) und der Tisch-

608 Ebd., fol. 19–28. 609 Ebd., fol. 29–41. 610 Ebd., fol. 42–44. 611 Ebd., fol. 53–113. Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945 lerlehrling Johannes Kind (*1920). Sie geben an, auf der Bergmühle in Röcknitz Quartier bezogen zu haben. Dort stellt sich heraus, dass gleichzeitig eine Bibelfreizeit stattfindet und andere in der Mühle untergekommene Jugendliche schon im Dorf Aufsehen erregt hatten, »denn sie liefen während der Osterfeiertage wie die Zigeuner herum«.612 Da die drei Jugendlichen aus Leipzig stammen, überweist die Amtshauptmannschaft Grimma den Fall dorthin, wo Friedrich, Wegner und Kind Ende Oktober desselben Jahres vernommen werden. Alle drei wirken mit im Jugendchor der Neuen Leipziger Singakademie. Sie be- richten übereinstimmend, dass ihr Ausflug nichts mit dem Chor zu tun hatte. Keiner der drei gehört einer NS-Organisation an, Friedrich und Wegner sind Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Friedrich war früher Mitglied der »Sozialistischen Kinderschar«, Weg- ner bei den der SPD angeschlossenen »Kinderfreunden«. Der Verhörende zieht das Fazit:

Wenn man […] in Betracht zieht, dass zwei von den drei Personen früher sozialis- 249 tischen Jugendorganisationen angehörten, so dürfte feststehen, dass die in diesem Verein [der Neuen Leipziger Singakademie] erfasste Jugend keinesfalls für den Na- tionalsozialismus gewonnen wird. […] Insoweit besteht die Möglichkeit, dass der Weiterbestand derartiger Vereine und vor allem derartiger Jugendgruppen staats- ablehnenden oder gar staatsfeindlichen Auffassungen Vorschub leistet. Diese Tat- sachen lassen klar erkennen, dass es angebracht erscheint, gegen den Verein und in diesem Zusammenhang gegen den Dachverband, den Reichsverband der ge- mischten Chöre, geeignete Massnahmen zu ergreifen.613

Trotz aller Überwachungstätigkeit gelingt es den Leipziger Polizisten und Geheimpolizisten aber nicht, triftige Gründe für ein Verbot der Neuen Leipziger Singakademie zu finden. Der letzte, wieder ergebnislose Überwachungsbericht datiert vom 12. September 1938.614 Im Jahr darauf wird eine andere Kontrollmaßnahme diskutiert: Man erwägt, die Neue und die ›alte‹ Leipziger Singakademie zusammenzuschließen. Davon soll später die Rede sein.

612 Ebd., fol. 54r. 613 Ebd., fol. 64r. 614 Ebd., fol. 52. 10 Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

In der sechsten Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie sind die politischen Rah- menbedingungen äußerst wechselhaft. Franz Meyer-Ambros übernimmt die Chorleitung 1937, zwei Jahre vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auf den Krieg folgt die politi- sche Neuordnung Deutschlands. Zunächst nehmen amerikanische Truppen Leipzig ein, danach wird die Stadt Teil der sowjetischen Besatzungszone und nach Gründung der DDR Bezirksstadt des Bezirks Leipzig. Die ideologische Vereinnahmung aller Lebensbereiche in der Zeit des sogenannten 250 ›Dritten Reichs‹ schließt Kultur und Musik selbstverständlich ein. ›Nicht-arische‹ Musi- ker und Komponisten werden diffamiert, die Strukturen des Musiklebens werden gleich- geschaltet und die Musik dient zur Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes und seines ›Führers‹. Eine ernsthafte Auseinandersetzung hiermit hat in der Musikwissenschaft erst in jüngerer Zeit begonnen. Zwei Publikationen sind für die hier untersuchten Zusam- menhänge besonders wichtig. Fred K. Priebergs Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945 er- möglicht, das Handeln einzelner Personen in der Zeit des Nationalsozialismus nachzu- vollziehen, der von Thomas Schinköth herausgegebene Sammelband Musikstadt Leipzig im NS-Staat beleuchtet erstmals systematisch und materialreich die Institutionen, Personen und Strukturen des damaligen Musiklebens in Leipzig.615 Für die NS-Zeit sowie die Nach- kriegszeit und frühe DDR-Zeit gilt: Es ist im Rahmen dieser Arbeit weder möglich noch sinnvoll, vorliegende Studien ausführlich zu referieren oder gar ein Gesamtbild der Leip- ziger Musikgeschichte dieser Jahrzehnte anzustreben. Allenfalls können umgekehrt die punktuellen Funde zur Singakademie das vorhandene Wissen um einige Aspekte berei- chern. Insofern ist das folgende Kapitel wiederum als Materialquelle für zukünftige Studien zu verstehen, die sich der Chormusik im Zweiten Weltkrieg und in der Zeit der Teilung in zwei deutsche Staaten einmal widmen mögen. Die beiden deutschen Diktaturen werden hier in einer Phase zusammengefasst, weil sie trotz unterschiedlicher politischer Vorzeichen aus Sicht der Singakademie auffällige Ge- meinsamkeiten haben: Zunächst wechseln die Chordirigenten häufig. Franz Meyer-Ambros übergibt nach fünf Jahren an Hans Stieber, dieser nach weiteren fünf Jahren an Friedrich Rabenschlag, letzterer bleibt nur knapp drei Jahre im Amt des Singakademiedirektors. Die letzten drei Chorleiter der Leipziger Singakademie amtieren ebenfalls nur kurz. Walter Knape führt den Chor ungefähr sechs Jahre, Gerhard Richter sieben Jahre, Werner Säubert

615 Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-ROM, Version 1.2, Auprès des Zom- bry 2004; Thomas Schinköth (Hrsg.), Musikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem verdrängten Thema, Altenburg 1997. In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945 schließlich noch reichlich zwei Jahre.616 Ferner hat die Singakademie während der gesam- ten Phase insgesamt nur wenige Auftritte und das Repertoire besteht – von einigen Ausnah- men abgesehen – vorrangig aus weltlicher Musik. In dreißig Jahren tritt die Singakademie nur rund 50 Mal auf; in manchen Jahren dieser sechsten und letzten Phase sind gar keine Auftritte überliefert. Kleinere Höhepunkte mit relativ vielen Konzerten liegen in der Nach- kriegszeit und frühen DDR-Zeit: 1946, 1950 und 1954 sind jeweils vier Singakademie-Auf- tritte bekannt, 1955 und 1956 jeweils fünf. Das Jahr 1949 sticht mit sieben Konzerten hervor, wenn man Rundfunkauftritte mitzählt. Nur in Bezug auf die Zahl der Mitglieder scheint die sechste Phase der Leipziger Singakademie weniger konsistent.617 Für 1939 und 1942 berichten die Quellen von 52 bzw. 66 Mitgliedern, was einen enormen Schwund seit den zwanziger Jahren bedeutet, als der Chor um die 200 Mitglieder aufwies. Nach dem Krieg gibt es hingegen wieder einen Aufschwung, die Chorstärke liegt 1947 bei 87 Personen und in der Amtszeit von Walter Knape bei etwa 120 Mitgliedern. 251

10.1 In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945

Im Vergleich mit den anderen großen Leipziger Chorvereinigungen ist die Singakademie in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes relativ wenig im musikalischen Leben präsent. Nach den schon besprochenen Auftritten unter Gustav Wohlgemuth bis 1937 folgen bis zur historischen Zäsur 1945 nur fünf Auftritte:

616 Möglichst genaue Angaben zu den Amtszeiten sowie Quellenangaben sind nachzulesen in Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Bei den ungenannten Ver- fassern des Textes »150 Jahre Leipziger Singakademie 1802« (D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 22, fol. 67–69) im Programmheft zu den Jubiläumskonzerten 1952 herrschte allerdings offenbar große Unsicherheit selbst über die Musikdirektoren der allerjüngsten Zeit. Neben mehreren Schreibfehlern in den Namen und Berufen der Personen und offensichtlich unrichtigen Jahresangaben finden sich dort auch »1843– 1845 Felix Mendelssohn-Bartholdy« (Ebd., fol. 67v) und »1888–1892 Heinrich Klesse« (Ebd., fol. 68r). Beide Angaben sind falsch, Mendelssohn und Klesse haben die Singakademie zwar bei einzelnen Kon- zerten dirigiert, waren aber nie deren Musikdirektoren. Weiter werden als Musikdirektoren genannt: »1900–1937 Gustav Wohlgemuth/1937–1947 Hans Stieber/1947–1949 Friedrich Rabenschlag/1949–1951 Hans Strohbach [recte: Strobach]/seit 1951 Walter Knape« (Ebd.) Franz Meyer-Ambros wurde in dieser Aufzählung vergessen, die Amtszeiten von Stieber und Rabenschlag sind falsch datiert. Hans Strobach (1908–1980), der von 1934 bis 1946 Organist und Kantor an der Lukaskirche in Leipzig-Volkmarsdorf war, im Mai 1933 in die NSDAP eintrat und ab 1946 als Orgelsachverständiger, Organist und Kantor an der Reformierten Kirche in Leipzig sowie außerdem als Mitarbeiter des Staatlichen Rundfunk-Komitees der DDR wirkte (vgl. Prieberg, S. 7059–7060), wird in keiner anderen Quelle als Singakademiedirektor erwähnt. Wegen der erwiesenen Unzuverlässigkeit dieser Quelle wird er hier auch nicht als solcher ge- führt. Der einzige erwiesene Zusammenhang zwischen Strobach und der Singakademie besteht darin, dass er nach der Kündigung von Friedrich Rabenschlag als neuer Dirigent vom Vorstand eingeladen, von einem nicht unerheblichen Teil des Chores jedoch abgelehnt wurde. Genaueres hierzu siehe Kapitel 10.2: Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950). 617 Zu den einzelnen Quellen der Mitgliederzahlen siehe Kapitel 5.5: Mitgliederzahlen. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Tabelle 12: Auftritte der Leipziger Singakademie von 1938 bis 1944

27.11.1938 UFA- Morgenfeier GWH-Bläser- Werke von Gottfried Reiche, Palast zum fünfjähri- quintett, LSA, ­Johann Christoph Pezel, Johann Astoria gen Bestehen Leipziger Hermann Schein, Georg Philipp der NS-Ge- ­Kammer-Orch Telemann, Johann Adam Hiller, meinschaft (Meyer-Ambros) Johann Gottfried Schicht, Robert Kraft durch Schumann, Albert Lortzing, Freude: »Musi- ­Richard Wagner, Gustav Wohl­ zierendes Leip- gemuth. zig im Wandel der Jahrhun- derte« 26.3.1939 Haus der Gemeinschafts- LSA, Peter- Nationen konzert Rosegger-Bund 252 (Meyer-Ambros) 3.1.1943 GWH Jubiläums­ LMC, LSA, Johannes Brahms: Schicksalslied konzert zum Dresdner Ludwig van Beethoven: Fanta- 140-jährigen Philharmonie sie für Pianoforte, Chor und Bestehen der (Stieber) ­Orchester LSA Hans Stieber: Sinfonische Ode Das Leben – ein Tanz (auf eigene Dichtung für gemischten Chor und Orchester, der Leipziger Singakademie zum 140-jährigen Jubiläum zugeeignet; UA) 10.1.1943 Alte Han- Feier der LSA FCh der LSA, Johann Gottfried Schicht: delsbörse zum 140-jähri- LMC »Credo« aus der c-Moll-Messe gen Bestehen Hans Stieber: Frauenchöre Veile, Rose, Blümelein; Unser Hans hat Hosen an 17.4.1944 Haus Konzert des LMC, LSA, Wilhelm Petersen: Kantate Von Drei LMC und der GWH-Orch edler Art (Leipziger EA) Linden LSA (Stieber)

Da nur von drei der fünf Auftritte das Programm genau überliefert ist, lässt sich zum Reper- toire wenig sagen. Hans Stieber widmet der Leipziger Singakademie zu ihrem 140-jährigen Jubiläum eine Sinfonische Ode namens Das Leben – ein Tanz und bringt diese 1943 mit der Singakademie und der Dresdner Philharmonie zur Uraufführung. In den Leipziger Neuesten Nachrichten schreibt Julius Goetz darüber:

Das 140jährige Bestehen der Leipziger Singakademie war für den Verein Anlaß, in einem Jubiläumskonzert ein kraftvolles Bekenntnis zu edelster deutscher Musik abzulegen und mit künstlerischen Leistungen hervorzutreten, die dieser ehrwür- In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945

digen, in den letzten Jahren wenig genannten Singgemeinschaft neuen Ruhm ver- schaffen.618

Auch in der Neuen Leipziger Tageszeitung wird die Uraufführung vom Rezensenten Her- mann Heyer als sehr gelungen gewürdigt.619 Eine weitere Leipziger Erstaufführung bieten Leipziger Männerchor und Singakademie gemeinsam im April 1944 unter Hans Stieber, nämlich Wilhelm Petersens Kantate Von edler Art. Dieses Konzert ist der erste Auftritt beider Chöre nach dem Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943, bei dem der Leipziger Männerchor sein gesamtes Notenarchiv einbüß- te.620 Es wird in den Leipziger Neuesten Nachrichten vom 14. April 1944 unter der Überschrift »Ein Männerchor verlor seine Noten«621 angekündigt und die Gewinne kommen dem No- tenfonds des Leipziger Männerchors zugute. Auf den ersten Blick wirken die Programme der Singakademie in dieser Zeit vielleicht 253 politisch neutral. Nationalsozialistische Kulturpolitik setzte allerdings keineswegs nur auf plumpe Propaganda, sondern wirkte auch subtil. In Konzertprogrammen lässt sich das nur sehr bedingt ablesen, etwa im völligen Fehlen von Komponisten, die als ›jüdisch‹ galten, oder in einer Konzentration auf Werke deutscher Komponisten. Um die Instrumentalisie- rung von Musik im NS-Staat insgesamt zu verstehen, dürfen weitere Faktoren nicht außer Acht gelassen werden, etwa die ›Arisierung‹ des Musikbetriebes, die zur Abwesenheit jüdi- scher Interpreten führte, oder das öffentliche Sprechen und Schreiben über Musik, durch das Werke mit einer ideologischen Bedeutung aufgeladen wurden. Nur ein Mal ist die Leipziger Singakademie bei einer Veranstaltung einer politischen Organisation beteiligt, nämlich bei einem Konzert der NS-Kulturgemeinde am 27. Novem- ber 1938. Diese nationalsozialistische Kulturorganisation ist 1934 aus dem ›Kampfbund für deutsche Kultur‹ und dem ›Reichsverband Deutsche Bühne‹ hervorgegangen und hat sich 1937 mit der NS-Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹ zusammengeschlossen. Ihre Propa- ganda-Aufgaben erfüllt die NS-Kulturgemeinde unter anderem durch Konzertveranstaltun- gen, Kompositionsaufträge, Gründung eigener Musikensembles und das Herausgeben von Büchern und Noten. Die Leipziger Ortsgruppe der NS-Kulturgemeinde bietet regelmäßig Konzerte im Gohliser Schlösschen an, zusätzlich auch im Gewandhaus, im Städtischen Kaufhaus und an anderen Orten.622 Bei einem Konzert im Kino Astoria zum fünfjährigen Bestehen der NS-Gemeinschaft ›Kraft durch Freude‹ sind neben der Singakademie das Ge- wandhaus-Bläserquintett und das Leipziger Kammerorchester beteiligt, es steht unter dem Titel »Musizierendes Leipzig im Wandel der Jahrhunderte«.

618 LNN, 5.1.1943; Ausschnitt in: D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 34. 619 Vgl. Neue Leipziger Tageszeitung, 5.1.1943; Ausschnitt in: D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 34. 620 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 49–54. 621 LNN, 14.4.1944; Ausschnitt in: D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 66. 622 Vgl. Thomas Schinköth, »Mit Leistung gegen ›jüdischen Einfluß‹: Die NS-Kulturgemeinde«, in: Mu- sikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem verdrängten Thema, hrsg. von Thomas Schinköth, Alten- burg 1997, S. 150–185. Nachweis des Singakademie-Konzerts auf S. 162. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Es ist durchaus fraglich, ob das Repertoire der Singakademie in der NS-Zeit deutlicher politisch geprägt gewesen wäre, falls die Singakademie im öffentlichen Leben Leipzigs noch eine größere Rolle gespielt hätte. Klagen über die mangelnde öffentliche Sicht- und Hörbar- keit durchziehen die Dokumente der 1930er Jahre:

Dem […] Wirken unserer altehrwürdigen Leipziger Singakademie waren wie in den vorangegangenen, so auch im letztverflossenen Jahr [1933] durch die schier unüber- windliche Wirtschaftskrise leider noch immer recht enge Grenzen gezogen. Noch immer mußte größte Sparsamkeit geübt werden, und wir waren gezwungen, auf die Aufführung größerer Chorwerke […] zu verzichten.623

Der Vereinsführer Viktor Jekel teilt dem Amtsgericht am 23. Februar 1939 mit, »daß der Verein nur 52 Mitglieder hat und das Vereinsvermögen sehr gering ist«.624 254 Andere Vereine treten öfter auf als die Singakademie, haben eine größere Ausstrahlung und sind auch offensichtlicher in Aufführungen mit politischer Sendung eingebunden. Der Riedelverein etwa bringt unter der Leitung von Max Ludwig zeitgenössische regimetreue Musik dar, z. B. die Leipziger Erstaufführung von Gottfried Müllers Deutschem Heldenre- quiem – gewidmet – am 21. November 1934 in der Thomaskirche.625 Regelmä- ßige Konzerte, viel häufiger als die Singakademie, geben in den späten 1930er Jahren wei- terhin der Leipziger Lehrergesangverein und der Leipziger Schubertbund. Dass auch der Leipziger Männerchor durch seine Konzerte klar den NS-Staat unterstützt, wurde bereits geschildert.626 Beim ›Deutschen Reichs-Bachfest‹ im Sommer 1935, einer zehntägigen Bach- Huldigung mit 26 Veranstaltungen, wirkt die Singakademie nicht mit – wohl aber finden sich unter den Künstlern die Thomaner mit der Matthäuspassion unter Karl Straube, der Gewandhauschor mit der Johannespassion unter Günther Ramin sowie der Johanniskirchen- chor mit einer Trauerode unter Willy Stark.627 Mit Blick auf die wenigen Auftritte der Singakademie und die häufigeren und stärker ausstrahlenden Konzerte der Neuen Leipziger Singakademie628 ist den Vertretern der Neuen Leipziger Singakademie durchaus zuzustimmen, wenn sie in einem Leserbrief im August 1942 an die Schriftleitung der Leipziger Neuesten Nachrichten feststellen:

623 Jahresbericht der Leipziger Singakademie 1933. D-LEsta, PP-V 1524, fol. 15. 624 Ebd., fol. 28. 625 Vgl. LKTV 11 (1934/35), S. 487. Zum Werk siehe Prieberg, S. 4720–4721. Um einen zu einseitigen Ein- druck zu vermeiden, sei erwähnt, dass derselbe Verein auch weiterhin parallel am klassischen Orato- rien-Repertoire festhält, so z. B. mit einer Aufführung von HaydnsSchöpfung am 24. April 1937 in der Thomaskirche (vgl. LKTV 14 (1937/38), H. 4, S. I). 626 Siehe Kapitel 9.1: Gustav Wohlgemuth und die Chormusik in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts. 627 Vgl. Wilhelm Jung, »Das Reichs-Bachfest in Leipzig«, in: Die Musik 27 (1934/35), S. 834–837. 628 Vgl. Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 294–311. Siehe auch Kapitel 9.5: Die Neue Leipziger Sing- akademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945. In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945

[…] was die alte Leipziger Singakademie sich jetzt zum Ziel setzt, verwirklicht die Neue Leipziger Singakademie unter Otto Didam bereits seit vielen Jahren durch die Tat, nämlich sowohl die Pflege insbesondere der zeitgenössischen Chormusik als auch die Aufführung seltener klassischen [sic] Chorwerke […].629

Wie andere Vereine auch, muss die Singakademie im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung ihre Satzung »zur Durchführung des arischen Prinzips und des Führer- prinzips«630 ändern. Sie wird dem Deutschen Sängerbund angegliedert und verschärft die Voraussetzungen der Mitgliedschaft. Während es in der Satzung von 1926 einfach geheißen hatte: »Wer einen unbescholtenen Ruf geniesst, kann auf seinen Antrag durch den Vor- stand in den Verein als singendes oder nicht singendes Mitglied aufgenommen werden«,631 wird nun in der am 23. März 1934 einstimmig angenommenen Satzung festgehalten: 255 Wer einen unbescholtenen Ruf geniesst und deutschstämmiger (arischer) Ab- stammung ist, kann auf seinen Antrag durch den Vereinsführer in den Verein als singendes (ordentliches) oder nichtsingendes (ausserordentliches) Mitglied auf- genommen werden. […] Patrone und Ehrenmitglieder müssen deutschstämmiger (arischer) Abkunft sein. […] Jedes neu eingetretene Mitglied hat die ihm über seine Abstammung vorgelegten Fragen zu beantworten.632

Zu diesen rassistischen Passagen kommt die Abschaffung der Demokratie und die Einfüh- rung des Führerprinzips innerhalb des Vereins: Allein der Vereinsführer entscheidet über die Zusammensetzung der ›Vereinsführerschaft‹ (Vereinsführer, Schriftführer, Schatz- meister und Chormeister) und des ›Gesamtvorstandes‹ (eine Art erweiterter Vorstand), er kann eigenmächtig Satzungsänderungen beschließen. Seinerseits ist der Vereinsfüh- rer allerdings den übergeordneten Gremien des Deutschen Sängerbunds – Gruppe, Kreis und Gau – rechenschaftspflichtig und kann von diesen jederzeit abberufen werden. Diese Grundsätze werden den Mitgliedsvereinen von der Führung des Deutschen Sängerbundes diktiert. Der zweite große Chorverband im NS-Staat, der als politisch ›unzuverlässiger‹ gel- tende Reichsverband der gemischten Chöre, zwingt seinen Mitgliedsvereinen aber ähnliche Regeln auf.633 Für Chöre, die weiter als Verein existieren wollen, gibt es keine Alternative.

629 Neue Leipziger Singakademie an die Schriftleitung der Leipziger Neuesten Nachrichten, 28.8.1942, Be- stand Neue Leipziger Singakademie 1934–1944. 630 D-LEsta, PP-V 1524, fol. 13. 631 Ebd., fol. 3. 632 Ebd., fol. 17. 633 Die Satzung der Neuen Leipziger Singakademie, die Mitglied im Reichsverband der gemischten Chöre war, enthält 1936 beispielsweise folgende Passagen: »Der Verein bezweckt die Pflege des deutschen Liedes und Chorgesanges im Sinne der Ziele des Reichsverbandes. Er steht im Dienste der deutschen Kulturbewegung und Volksgemeinschaft. Er erstrebt neben der Pflege des Volks- und Kunstliedes be- sonders die Aufführung der grossen Werke alter und neuer Meister der Tonkunst mit und ohne Orches- ter. Der Verein bezweckt darüber hinaus die Förderung deutscher Art, Volksbildung und Geselligkeit Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Anfang 1939, zwei Jahre nach dem Tod Gustav Wohlgemuths, wird erwogen, die Neue Leipziger Singakademie und die ›alte‹ Singakademie zusammenzuschließen. Die Initiative dazu geht offenbar vom Rat der Stadt Leipzig aus. In der Neuen Leipziger Singakademie sehen die Vertreter von Polizei und NSDAP wohl nicht zu Unrecht eine Gruppierung ›poli- tisch unzuverlässiger‹ Personen.634 Die Überwachung der Veranstaltungen der Neuen Leip- ziger Singakademie führt aber bis 1938 nicht zu Beweisen, die eine Auflösung dieses Ver- eins rechtfertigen würden. So mutet der nun folgende Vorschlag, die beiden Singakademien zu verschmelzen, wie ein neuer Versuch an, bessere Kontrolle über die Chormitglieder vor allem der Neuen Leipziger Singakademie zu gewinnen. Der Vereinsführer der Neuen Leipziger Singakademie, Paul Starke, berichtet Anfang 1939 an Stadtrat F. A. Hauptmann:

Herr Didam ist eben bei mir, um Ihrem Vorschlage gemäß mit mir über einige 256 Gesichtspunkte und taktischen Erfolg versprechende nächste Schritte, die zum Zusammenschluß der beiden Chorvereinigungen ›Leipziger Singakademie‹ und ›Neue Leipziger Singakademie‹ führen, zu beraten. Wir sind nach reiflicher Über- legung zu der Überzeugung gekommen, daß es vielleicht noch nicht ratsam ist, zuerst Herrn Dr. Teichmann mit der Sache bekannt zu machen […].635

Max Teichmann ist zu diesem Zeitpunkt Vorsteher des Leipziger Männerchors, vermutlich auch Mitglied in der Singakademie. Er wird 1942 zum Vereinsführer der Singakademie er- nannt.636 Im gleichen Brief schlägt Paul Starke vor, dass sich zunächst der Stadtrat mit ihm und Didam zusammensetzt. »Wir machen diesen Vorschlag vor allem auch deshalb, weil der Zusammenschluß der beiden Chöre für das Leipziger Musikleben so wichtig ist, daß ein Fehlgehen der Verhandlungen auf jeden Fall vermieden werden muß.«637 Für den 13. Februar 1939 wird der Vereinsführer der ›alten‹ Leipziger Singakademie, Stadtrechtsrat Viktor Jekel, zur Besprechung zum Stadtrat Hauptmann geladen.638

seiner Mitglieder. […] Die Vereinsmitgliedschaft können alle deutschen Volksgenossen erwerben, die bestrebt sind, die Zwecke des Vereins zu unterstützen.« (D-LEsta, PP-V 705/26, fol. 32–33.) 634 Siehe Kapitel 9.5: Die Neue Leipziger Singakademie und die Leipziger Volkssingakademie 1918–1945. 635 Paul Starke an Stadtrat Hauptmann, 15.1.1939, D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 194r. 636 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1860, fol. 4. Zur Biografie Max Teichmanns siehe D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 16, fol. 17–18. Dem Faltblatt ist unter anderem zu entnehmen, dass Teichmann (*1886 in Werdau, †1959) an der Leipziger Universität Jura studierte, in die Burschenschaft Arminia eintrat, als Rechtsanwalt und Notar in Leipzig arbeitete und nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg in den Leipziger Männerchor eintrat, wo er ab 1928 als erster Vorsitzender amtierte. Teichmann ist von 1935 bis 1941 Führer des Sän- gerkreises Leipzig im Deutschen Sängerbund. »Für Dr. Teichmann war und ist es eine Selbstverständ- lichkeit, sich mit seinem reichen Können und allen seinen Kräften für unseren Führer Adolf Hitler und das Dritte Reich einzusetzen.« (Ebd., fol. 18v.) 637 Paul Starke an Stadtrat Hauptmann, 15.1.1939, D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 194r–194v. 638 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 642, fol. 195. In der Nebenrolle: Repertoire und Position der Singakademie im Leipziger Chorwesen bis 1945

Herr Stadtrat legt dar, daß der Wunsch des Kulturamtes dahinginge, die beiden Vereine […] möchten sich zu einem Chor vereinigen. Dieser solle, damit der tradi[ti]­onelle Name gewahrt bleibe, dann den Namen ›Leipziger Singakademie‹ tragen. Herr Jekel erscheint zunächst von dem Plan nicht so eingenommen, weist besonders auf die Schwierigkeiten hin, die die Wahl des Dirigenten ergeben würde. Er meint, daß Herr Didam keineswegs in Frage kommen könne, da sie seit zwei Jahren selbst einen Dirigenten hätten, Meyer-Ambros, mit dessen Leistungen sie sehr zufrieden seien. Es erscheine ihm ein Akt der Undankbarkeit, wenn man die- sen jetzt fallen lasse.639

Hauptmann führt dennoch weitere Gesprächen mit Max Teichmann und mit Oskar Hill- mann, dem stellvertretenden Vereinsführer der Leipziger Singakademie. Letzterer 257 erklärt, daß er ein Freund von Herrn Meyer-Ambros sei und daß die gegen die- sen erhobenen Anschuldigungen nicht zu Recht bestünden. […] Er hält die Alte Leipziger Singakademie für durchaus lebensfähig. Er habe seit einigen Monaten die Werbung für diese übernommen und habe dem Verein in dieser Zeit schon 10 junge Damenstimmen dazu geworben.640

Schließlich kommt es am 10. März 1939 in der Probe der Leipziger Singakademie zu einer Aussprache

zu der Frage einer Vereinigung der Leipziger Singakademie von 1802 mit der Neuen Leipziger Singakademie von 1919 unter der musikalischen Leitung von Herrn Otto Didam […]. In der Versammlung sprach sich kein einziges Mitglied für eine Verschmelzung beider Vereine aus, eine solche wurde vielmehr einstimmig abgelehnt […].641

Drei Jahre später ist der gescheiterte Versuch einer Zusammenführung nicht vergessen. In dem bereits zitierten Leserbrief der Neuen Leipziger Singakademie im August 1942 an die Leipziger Neuesten Nachrichten betonen die Verfasser:

Um die seit langen Jahren bedauerlicherweise zur Bedeutungslosigkeit herabge- sunkene alte Leipziger Singakademie wieder dem Musikleben der Stadt nutzbar zu machen, hat s. Zt. mit unserem gern gegebenen Einverständnis das Leipziger Kul- turamt, insbesondere Herr Stadtrat Hauptmann, die alte Leipziger Singakademie zum Zusammenschluß mit der Neuen Leipziger Singakademie zu bewegen ver-

639 Protokoll aus dem Kulturamt vom 13.2.1939, ebd., fol. 196. 640 Ebd., fol. 196v. 641 Ebd., fol. 197. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

sucht. […] Obgleich der Name der alten Leipziger Singakademie behalten werden sollte, scheiterte der Plan an dem nicht recht verständlichen Widerstand der alten Leipziger Singakademie.642

Es bleibt also beim Status quo: Die Neue Leipziger Singakademie, die unter Otto Didam quasi als Deckmantel der ehemaligen Volkssingakademie fungiert, existiert weiterhin als eigenständige Chorvereinigung neben der ›alten‹ Singakademie. Nach dem Kriegsende und der Um- bzw. Rückbenennung der Neuen Leipziger Singakademie in Volkssingakademie (1953) sind zunächst keine Verbindungen der beiden Chöre bekannt. Erst Gerhard Richter, der die ›alte‹ Singakademie 1958 als Chorleiter übernimmt, ist parallel auch zweiter Diri- gent der Volkssingakademie und Stellvertreter Otto Didams.643 Diese Querverbindung führt aber nicht zu gemeinsamen Auftritten, abgesehen vom Gewandhaus-Neujahrskonzert 1961, wo sich unter den sechs mitwirkenden Chören in Beethovens Neunter Sinfonie unter ande- 258 rem auch die Volkssingakademie und die ›alte‹ Leipziger Singakademie finden.

10.2 Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950)

Die unmittelbare Nachkriegszeit bedeutet für die Singakademie einen Aufschwung, es wer- den wieder häufiger Konzerte veranstaltet. In der Kooperation mit dem Leipziger Männer- chor bei diesen Konzerten stellt sich eine gewisse Kontinuität ein. Diese reißt jedoch vor- erst ab, als Hans Stieber, der gemeinsame Leiter von Singakademie und Männerchor, im Jahr 1947 Leipzig verlässt und Friedrich Rabenschlag für drei Jahre die Singakademie über- nimmt. Erst unter dessen Nachfolger Walter Knape wird die unter Stieber eingeschlagene Richtung der Zusammenarbeit mit dem Leipziger Männerchor weitergeführt. Die Ereig- nisse während der kurzen Zusammenarbeit Rabenschlags mit der Singakademie illustrie- ren den wachsenden politischen Druck, dem sich Kulturschaffende schon unmittelbar nach Gründung der DDR ausgesetzt sehen. Mit Rabenschlag wirkt von Herbst 1947 bis Sommer 1950 zum ersten Mal seit Her- mann Kretzschmars kurzer Amtszeit in der Singakademie (1875) wieder ein Leipziger Uni- versitätsmusikdirektor als Dirigent der Singakademie.644 Der Schwerpunkt von Friedrich Rabenschlags Wirken liegt dementsprechend an der Leipziger Universität. Dort gründet er

642 Neue Leipziger Singakademie an die Schriftleitung der Leipziger Neuesten Nachrichten, 28.8.1942, Be- stand Neue Leipziger Singakademie 1934–1944. 643 Siehe Biografie Richters im Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. 644 Einschränkend muss man allerdings hinzufügen, dass Rabenschlag wegen seiner NSDAP-Mitglied- schaft nach Kriegsende von seinen Ämtern suspendiert wurde. Er wird zwar schon 1946 rehabilitiert, aber erst 1949 wieder als Universitätsmusikdirektor und -kantor offiziell eingesetzt. Seinen Aktivitäten als Leiter des Leipziger Universitätschors und des Kammerorchesters der Universität sowie als musi- kalischer Leiter der Universitätskonzerte tut das jedoch keinen Abbruch. Vgl. Bärwald, »Der Leipziger Universitätschor«, S. 355. Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950)

1926 den Madrigalkreis Leipziger Studenten, leitet die Universitätskantorei und den 1938 aus diesen beiden Chören hervorgegangenen Leipziger Universitätschor.645 Im Mai 1947, als Hans Stiebers Weggang nach Halle sich ankündigt, nehmen Stieber und der erste Vor- sitzende der Singakademie, Erich Schinke, Kontakt zu Rabenschlag auf.646 Im Herbst des- selben Jahres unterzeichnet Rabenschlag den Vertrag mit der Singakademie, der offizielle Beginn seiner Tätigkeit wird dort auf den 1. September 1947 festgelegt.647 Das Dokument hält noch am traditionellen Auftrittsturnus der Singakademie fest, von dem sich aber bald zeigen wird, dass der Chor ihn nicht mehr bewältigen kann:

Zweck und Ziel der Probenarbeit ist die Erziehung zum musikalischen Chorge- sang und die damit verbundenen Aufführungen von 2 feststehenden Konzerten grossen Stiles und zwar ein Frühjahrskonzert und ein Herbstkonzert, mit dem die Singakademie traditionell an die Öffentlichkeit tritt.648 259

In Wirklichkeit kommen solche großformatigen Musikaufführungen nur noch 1948 (Judas Maccabäus und Schöpfung) und Anfang 1949 (c-Moll-Messe) zustande, dann ist eine der- artige Regelmäßigkeit nicht mehr zu erkennen. Rabenschlag, so der Vertrag weiter, erhält eine Gage von 100 Reichsmark monatlich sowie zusätzlich 400 Reichsmark für die beiden jährlichen Hauptaufführungen. Etwas pathetisch mutet schließlich die folgende Passage aus dem Vertrag an:

Die Leipziger Singakademie muss gemäss ihrer grossen Tradition, die sie gewahrt wissen will, verlangen, dass der musikalische Leiter, nach dem Studium der ›Chro- nik der LSA‹, ganz in dem Wesen der ›Leipziger Singakademie von 1802 e. V.‹ auf- geht, sie auf ihren heutigen Stand zu halten weiss und noch zu weiteren Höhen zu führen vermag.649

Mit der ›Chronik der LSA‹ ist Paul Langers Buch von 1902 gemeint. Der Passus lässt die Furcht vor einem Bedeutungsverlust und den Willen zur Abgrenzung von anderen ge- mischten Chören Leipzigs erahnen – die Neue Leipziger Singakademie existiert nach wie vor und stellt eine große Konkurrenz dar.

645 Der im Leipziger Universitätsarchiv aufbewahrte Nachlass Friedrich Rabenschlags (UAL, NA Raben- schlag) dokumentiert diese Arbeitsfelder umfangreich. Auch Akten zu Rabenschlags Tätigkeit mit der Singakademie sind dort enthalten, sie bilden die Hauptquellen dieses Abschnitts. 646 Schreiben von Erich Schinke (1. Vorsitzender), Paul Katzer (2. Vorsitzender), Arthur Quasthoff (1. Schriftführer) und Rudolf Eichler (1. Schatzmeister) an Friedrich Rabenschlag, 28.5.1947, UAL, NA Ra- benschlag 3/9962. 647 Vertrag vom 11.9.1947, UAL, NA Rabenschlag 3/9964. 648 Ebd. 649 Ebd. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Für die Nachkriegsjahre sind im Universitätsarchiv die Programmzettel der regelmä- ßigen, von Rabenschlag geleiteten Universitätskonzerte in der Paulinerkirche aufbewahrt. Dort singt der Leipziger Universitätschor (teils auch bezeichnet als »Universitätskantorei«) etwa vier Konzerte pro Semester. Die Instrumentalbegleitung in diesen Konzerten über- nimmt das Kammerorchester der Universität Leipzig. Bemerkenswert ist nun, dass Raben- schlag die Singakademie nicht einsetzt, um diese Universitätskonzerte zu verstärken. Im Gegensatz zu früher, man denke z. B. an die Zeit unter Christian August Pohlenz, führt die Personalunion von Universitätsmusikdirektor und Singakademie-Chorleiter nicht mehr dazu, dass die Singakademie im universitären Kontext auftritt. Im Gegenteil, es sind die selbstständigen Konzerte der Singakademie, die nun vom Universitätschor und vom Uni- versitäts-Kammerorchester unterstützt werden. So wirken während der Amtszeit von Fried- rich Rabenschlag als Direktor der Leipziger Singakademie das Universitäts-Kammeror- chester drei Mal und der Universitätschor fünf Mal bei Auftritten der Singakademie mit.650 260 Mitgezählt sind hier auch Rundfunkaufnahmen, denn Rabenschlag integriert beide Chöre und das Orchester in seine Arbeit beim Mitteldeutschen Rundfunk. Wie bei öffentlichen Konzertauftritten beschäftigt er hier vorrangig den Universitätschor, die Singakademie hin- gegen nur selten – insgesamt drei Mal in zwei Jahren. Mehrmals tritt die Singakademie unter Rabenschlag in den Krankenhäusern St. Jakob und St. Georg auf und singt dort Volks- lieder a cappella, unterbrochen von Solovorträgen auf dem Klavier. Dieses sogenannte Kran- kenhaussingen wird auch unter Rabenschlags Nachfolger bei der Singakademie, Walter Knape, mindestens ein Mal weitergeführt.651 Rabenschlag nutzt seine vielseitigen Kontakte für ehrgeizige Konzertprojekte, dabei verlangt er den Mitgliedern der Singakademie viel ab. So beginnt schon im Oktober 1948 eine intensive Probenphase für die Aufführung von Mo- zarts c-Moll-Messe im Februar des darauffolgenden Jahres. Auf den Plänen für die Proben, die nach Frauen- und Männerstimmen getrennt teils auch mehrmals in der Woche und an Wochenenden stattfinden, vermerkt Rabenschlag: »Der regelmäßige Probenb[e]such aller Chormitglieder ist für eine gewissenhafte Vorbereitung unserer Aufführung unbedingt er- forderlich.«652 Wie das Protokoll einer Mitgliederversammlung zeigt, wird das Konzert ein künstlerischer Erfolg, finanziell aber ein Verlustgeschäft.653 Bei der Versammlung wird klar, dass der Chor nicht einmal die laufenden Kosten für Dirigentengage und Probenraum de- cken kann; über die Verantwortung für die finanzielle Schieflage wird energisch debattiert. In der Zeit danach wagt sich die Singakademie erst einmal nicht an größere Konzerte heran. In dieselbe Zeit fällt die formelle Löschung aller vor 1945 gegründeten Kulturvereine, die die Leipziger Singakademie ebenso betrifft wie beispielsweise auch die Gesellschaft Harmonie und die Neue Leipziger Singakademie. In einer internen Mitteilung des Amts-

650 Davon nur ein Mal gemeinsam, d. h. insgesamt werden sieben Auftritte von diesen Ensembles mitge- staltet. 651 Am 11.4.1952. 652 Probenplan, UAL, NA Rabenschlag 2/685. 653 Protokoll der Mitgliederversammlung der Leipziger Singakademie vom 4.3.1949, UAL, NA Rabenschlag 5/71. Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950) gerichts vom 3. Januar 1949 heißt es, der Leipziger Singakademie und dem Steueramt für Körperschaften solle mitgeteilt werden, dass der Verein »wegen Löschung der Kulturver- eine, vgl. hierzu Schreiben vom Polizeipräsidium Leipzig vom 15. Dezember 1948«654 nicht mehr existiere. Allerdings handelt es sich hier um einen Verwaltungsakt, nicht etwa um die tatsächliche Auflösung des Chors. ›Alte‹ Singakademie und Neue Leipziger Singakade- mie werden »nach der Verordnung der Deutschen Verwaltung des Innern und Deutschen Verwaltung für Volksbildung vom 12.1.49 der Deutschen Volksbühne unterstellt, die allein die Rechtsfähigkeit besitzt und die Belange aller ihr unterstellten Kunstgruppen u. Vereine vertritt«.655 Auch der Leipziger Männerchor wird Mitglied der Deutschen Volksbühne. Während Ra- benschlag als Chorleiter der Singakademie amtiert, kühlt das Verhältnis zwischen Singaka- demie und Männerchor allerdings vorübergehend ab, es sind keine gemeinsamen Auftritte in dieser Zeit bekannt. In den Akten des Leipziger Männerchors ist 1948 sogar von Briefen 261 von Vorstandsmitgliedern der Singakademie die Rede, deren Inhalt »ungeheuerlich« sei oder »schwere, unerhörte beleidigende Anwürfe«656 enthalte. Friedrich Rabenschlag bittet dennoch zwei Jahre später die Männerchor-Mitglieder, die beiden Singakademie-Auftritte am 19. und 21. Juli 1950 durch Teilnahme zu unterstützen.657 Ob es tatsächlich dazu kommt, ist nicht bekannt. Das Ende der kurzen Amtszeit von Friedrich Rabenschlag an der Spitze der Leipziger Singakademie wirft kein günstiges Licht auf den Chorverein. Es ist von persönlichen Feind- schaften geprägt und ein Beispiel dafür, wie die Drohung mit politischer Denunziation ver- wendet werden konnte, um persönliche Interessen durchzusetzen. Die zahlreichen dazu im Nachlass Rabenschlags vorhandenen Schreiben seien hier nur kurz zusammengefasst:658 Im Laufe des Jahres 1950 gerät die Leipziger Singakademie in finanzielle Schwierigkeiten, sie kann ausstehende Vergütungen für Chorverstärkungen, die der Universitätschor inzwi- schen ausgelegt hatte, nicht bezahlen und auch Rabenschlag verzichtet freiwillig auf einen Teil seiner Gage in den Monaten April bis Juni. Im Juli erhalten Universitätschor und Sing- akademie für ihren Auftritt bei einer Rundfunkaufnahme je 200 DM ausgezahlt, von den der Singakademie zustehenden 200 DM zieht Rabenschlag jedoch zunächst den Betrag ab, den die Singakademie dem Universitätschor noch schuldet, und gibt nur den Rest an die Singakademie weiter. Auch sein eigenes Honorar für den Monat Juli behält er direkt ein, als ihm vom Krankenhaus St. Jakob 100 DM für den dortigen Auftritt der Singakademie übergeben werden, und will dem Vorsitzenden Schinke nur eine Quittung übergeben. Je- ner, der ohnehin leicht in Rage gerät, wie aus anderen Briefen hervorgeht, sagt laut einer Notiz: »ich bin doch kein kleiner Junge mehr, ich bin der Vorsitzende der Singakademie

654 D-LEsta, PP-V 1524, fol. 37. 655 Antwort des Amtsgerichts auf den Einspruch der Neuen Leipziger Singakademie gegen die Zwangs- löschung, 21.5.1949, D-LEsta, PP-V 705/26, fol. 46v. 656 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 19, fol. 107 und 109. 657 Vgl. D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 20, fol. 42. 658 Briefe in UAL, NA Rabenschlag 3/9967–9981. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

und habe die Gelder auszuzahlen.«659 Ein Telefongespräch zwischen Schinke und Raben- schlag folgt, in dem sich der letztere vom ersteren beleidigt fühlt. Rabenschlag trifft sich da- raufhin mit einer kleinen Gruppe von Singakademie-Mitgliedern und erklärt, dass er nicht mehr mit Schinke zusammenarbeiten will.660 Dann reist er in den Urlaub ab. Schinke, von den Chormitgliedern darüber unterrichtet, weigert sich, zurückzutreten. In einer Sitzung, von der weder die Mehrzahl der Singakademie-Mitglieder noch die Deutsche Volksbühne etwas weiß, betreibt Schinke in Rabenschlags Abwesenheit die Einsetzung eines neuen Vor- standes, der wiederum Hans Strobach zum musikalischen Leiter der Singakademie beruft. Am 29. August spricht dieser Vorstand Rabenschlag die Kündigung aus, die Begründung lautet: »Sie haben sich herausgenommen, eigenmächtig und hinter dem Rücken des Vor- standes gesetzwidrig eine Versammlung der Damen-Mitglieder des Chores der Leipziger Sing-Akademie von 1802 einzuberufen zu dem offensichtlichen Zwecke, den Vorstand zu stürzen.«661 In einer Probe Anfang September wird Strobach den überraschten Sängerinnen 262 und Sängern als neuer Leiter vorgestellt, er verlässt die Probe aber wieder, ohne dass ein einziger Ton gesungen wurde, weil eine starke Gruppe von Sängerinnen Rabenschlag die Treue hält und das unrechtmäßige Verfahren der Einsetzung Strobachs anprangert. Stro- bach selbst schreibt hierzu:

Die erste ›Probe‹ gewährte mir jedoch einen mehr als seltsamen Einblick in die in- nere Haltung des Chores, der an Disciplinlosigkeit nicht zu wünschen übrig liess. […] Da mir aus meiner eigenen umfangreichen künstlerischen Chorleiterarbeit derartige Zustände völlig unbekannt sind, hielt ich es für angebracht, aus diesen Vorfällen meine Konsequenzen zu ziehen, und meine in Aussicht genommene musikalische Aufbauarbeit in diesem Chore so lange zurück zu stellen, bis eine völlig Klärung der Lage eingetreten ist.662

Ob Hans Strobach je die Singakademie dirigiert und ob er vielleicht sogar das Interim bis zum Amtsantritt von Walter Knape im Sommer des darauffolgenden Jahres überbrückt, darüber ist nichts Genaues bekannt.663 Rabenschlag selbst erklärt Anfang Oktober seine Sicht auf den ganzen Vorgang der Deutschen Volksbühne. Er argumentiert, er habe kei- neswegs eine heimliche Mitgliederversammlung veranstaltet, sondern nur ein informel- les Treffen. Ferner sei die ›Wahl‹ des neuen Vorstandes und die ›Einsetzung‹ des neuen Chorleiters unrechtmäßig, da die Mitglieder des Vereins selbst sowie die Dachorganisation Deutsche Volksbühne darüber hätten informiert werden müssen. Als er wochenlang weder

659 Unsignierte Notiz, 26.7.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9972. 660 Protokoll der Besprechung vom 28.7.1950, UAL, NA Rabenschlag 5/73. 661 Leipziger Singakademie an Friedrich Rabenschlag, 29.8.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9980. 662 Hans Strobach an Friedrich Rabenschlag, 14.10.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9978. 663 Auf die einzige Quelle, die behauptet, Strobach sei daraufhin tatsächlich aktiver Singakademiedirektor gewesen, und auf die Gründe, warum diese nicht als glaubwürdig einzuschätzen ist, wurde bereits hin- gewiesen, siehe Anmerkung 616. Friedrich Rabenschlag und die Singakademie (1947–1950) von der Singakademie noch von der Volksbühne eine Antwort erhält, schreibt er an den Vorsitzenden der Deutschen Volksbühne Leipzig: »Ich ziehe deshalb nunmehr die für mich einzig mögliche Konsequenz aus diesen ganzen unerfreulichen Vorkommnissen und der Art und Weise ihrer Behandlung und stelle hiermit mein Amt als Dirigent der Leipziger Singakademie zu Verfügung.«664 Das letzte, was Rabenschlag von der Singakademie hört, ist ein Schreiben des mittlerweile rechtmäßig neu gewählten Vorstandes der Leipziger Sing- akademie vom 1. November 1950, in dem noch einmal bestätigt wird, dass die Kündigung bestehen bleibt: »Die verschiedenen Vorkommnisse, insbesondere aber die von Ihnen ein- berufene Mitgliederversammlung, an der ca[.] 25 Personen ausser Ihnen teilnahmen, lassen klar und einwandfrei erkennen, dass Sie in die organisatorische Leitung der Singakademie eigenmächtig eingegriffen haben.«665 Hier greift ein vergleichbares Motiv wie in der Zu- rechtweisung von Johann Philipp Christian Schulz durch die damaligen Vorsteher der Sing- akademie im Jahr 1823 – der musikalische Leiter soll sich in organisatorische Belange nicht 263 einmischen. Allerdings scheint dieses Motiv hier eher vorgeschoben worden zu sein, um persönliche Differenzen zu verdecken. Besonders bitter für Rabenschlag ist der im selben Schreiben folgende Passus:

Zur weiteren Begründung aber ist als Hauptsache anzuführen, dass die Singaka- demie eine vollkommen neue Konstituierung erfahren hat und [sich] nunmehr in den Kreis der fortschrittlichen Chöre stellt. Sie wird keinesfalls weiterhin ausge- sprochene Kirchenmusik pflegen, sondern vielmehr auch die weltlichen Chöre zur Darbietung bringen.666

Es scheint also wahr zu werden, was der damalige Vorsitzende Schinke schon Anfang Au- gust 1950 in einer Aussprache mit einigen Chorsängerinnen angedroht hatte:

Meine Damen, seien Sie froh, dass ich kein ›scharfer‹ SED-Mann bin, wenn dies der Fall wäre, würde schon längst ein anderer Wind in der LSA wehen. […] Erregt sagt er, wenn Sie denken, mich an die Wand drücken zu können, dann irren Sie sich, und wenn es so wäre, dann ist mein nächster Schritt zum Kreissekretariat der SED. Auf unsere Frage, was er da will und was dieses Sekretariat mit unserer Sache zu tun habe, sagte er, sehr viel, meine Damen, denn dann würden mit wehenden Fahnen die Blauhemden einziehen und es würden andere Lieder gesungen usw.667

Die großen Aufführungen kirchenmusikalischer Werke (unter Friedrich Rabenschlag Judas Maccabäus und c-Moll-Messe), die in früheren Phasen einen zentralen Bestandteil des Sing-

664 Friedrich Rabenschlag an Beckert, 31.10.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9981. 665 Leipziger Singakademie an Friedrich Rabenschlag, 1.11.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9973. 666 Ebd. 667 Hildegard Müller an Friedrich Rabenschlag, 7.8.1950, UAL, NA Rabenschlag 3/9961. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

akademie-Repertoires ausmachten, werden ihr im politischen Klima der frühen der DDR zum Verhängnis. Dem Chor und seinem Chorleiter wird vorgeworfen, die ›falsche‹ Musik zur Aufführung zu bringen und dieses Argument wird in einer Gemengelage persönlicher Befindlichkeiten zur Drohung. Trotzdem scheint Rabenschlag insgesamt im Rückblick stolz zu sein auf seine Tätigkeit bei der Singakademie und auf die erreichten Chorleistun- gen. Als er 1952, offenbar im Kontext des 150-jährigen Jubiläums, von Walter Knape um ein Foto gebeten wird, antwortet er ihm:

Zugleich erlaube ich mir, noch die Programme, Einladungen und Plakate der 3 Konzerte beizufügen, die die ›Leipziger Singakademie‹ in den Jahren 1948 und 1949 unter meiner Leitung in Leipzig veranstaltete. Diese ›Dokumente‹ vermitteln wohl einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit dieses Chores in den betreffenden Jahren, und können auch dem Bilde meiner einstigen Tätigkeit eine gewisse ergän- 264 zende und vielleicht sogar notwendige Abrundung geben.668

10.3 Die AG Philharmonie und die DDR-Kulturorganisationen (1951–1957)

Die Kooperation von Singakademie und Leipziger Männerchor geht zurück auf Gustav Wohlgemuth, der seit dem Jahr 1900 beide Vereine gleichzeitig leitete. Sie erfährt in den 1950er Jahren eine Intensivierung, die bis zum Zusammenschluss der beiden Chöre zu einer – allerdings sehr kurzlebigen – Arbeitsgemeinschaft führt. Die zentralistische Orga- nisation des Kulturlebens in der DDR führt außerdem zur Anbindung der Singakademie an verschiedene andere Institutionen, von denen die Deutsche Volksbühne schon genannt wurde wurde. Gemeinsame Konzerte von Leipziger Singakademie und Leipziger Männerchor sind seit 1904 nachgewiesen. Auch nach Wohlgemuths Tod bestehen Verbindungen zwischen beiden Chören: Im Dezember 1942 tritt der langjährige Vereinsführer der Singakademie, Viktor Jekel, zurück, um »zwecks möglichst enger organisatorischer Vereinigung der Leip- ziger Singakademie mit dem Leipziger Männerchor«669 den Weg für Max Teichmann frei- zumachen. Teichmann wird anschließend Vereinsführer der Singakademie und des Män- nerchors in Personalunion. Eine Personalunion gibt es zeitweise auch bei den Dirigenten: Hans Stieber, der die Singakademie von 1942 bis 1947 dirigiert, und Walter Knape, der sie von 1951 bis 1956 leitet, sind beide gleichzeitig Musikdirektoren des Leipziger Männerchors. In der Zwischenzeit von 1948 bis 1950 fungiert Walter Knape bereits als Dirigent des Leip- ziger Männerchors, die Singakademie allerdings wird von Friedrich Rabenschlag dirigiert.

668 Friedrich Rabenschlag an Walter Knape, 7.3.1952, UAL, NA Rabenschlag, 3/5984. 669 D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1860, fol. 4. Vgl. auch D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 25–26. Die AG Philharmonie und die DDR-Kulturorganisationen (1951–1957)

Als nun Walter Knape im Jahr 1951, vermutlich ungefähr in der Jahresmitte, auch die Singakademie übernimmt, beginnt eine erneute enge Zusammenarbeit der Chöre. Beide sind zunächst eingegliedert in die Deutsche Volksbühne, Abteilung Laienkunst. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Singakademie heißt es 1952 im Programmheft:

Im Rahmen des Kulturprogramms der Deutschen Volksbühne stellt sich der stattli- che Chor ›Leipziger Singakademie 1802‹ dar als eine beispielgebende Gemeinschaft von Laienkünstlern […], die Zeugnis ablegt vom hohen Stand unserer Volkskunst im Zusammenwirken mit Berufskünstlern. Das förderten denn auch im schnellen Einvernehmen alle Kulturstellen unserer Stadt, des Landes Sachsen und der Zen- tralleitung Berlin der Deutschen Volksbühne, der Mitteldeutsche Rundfunk, der Kulturbund – und alle bezeugen damit sinnvolle Zusammenarbeit für den Aufbau einer dem Frieden dienenden, den Menschen erhebenden Kultur in unserer Stadt 265 Leipzig, ja in der ganzen Deutschen Demokratischen Republik.670

Schon ein Jahr später allerdings, 1953, wird die Deutsche Volksbühne aufgelöst. Die ihr an- gehörenden Ensembles stehen vor der Wahl, sich ebenfalls aufzulösen oder sich einem Be- trieb anzugliedern. Die Singakademie wird daraufhin bis ungefähr Ende 1954 Betriebschor der Deutschen Notenbank.671 Der Leipziger Männerchor hingegen tritt in Verhandlungen mit den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB), um sich dort ebenfalls als Betriebschor anzu- schließen. Die Verhandlungen scheitern allerdings vorerst. Im Jahresbericht des Leipziger Männerchors für das Jahr 1953 ist dann zu lesen:

Unliebsame Differenzen mit einem ausgeschiedenen Sänger und die sich hieraus ergebenden Besprechungen mit den LVB ergaben weiterhin klar und eindeutig, dass wir uns nicht verstehen, dass aber auch nicht das rechte Verständnis für uns vorhanden ist. Aus diesem Grunde suchten wir im Dezember 1953 einmal die Staat- liche Kunstkommission in Berlin auf, um mit dieser die ganze Angelegenheit ein- mal durchzusprechen […]. Aus diesen Besprechungen heraus entstanden die Ge- dankengänge, den LMC und die LSA in einer Arbeitsgemeinschaft zur Aufführung grosser Werke zusammenzuschliessen […].672

Diese Überlegungen münden Anfang 1954 in der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft (AG) der beiden Chöre. Da keine Akten aus der Singakademie vorhanden sind, bilden die Akten des Leipziger Männerchors sowie das ab April 1954 erscheinende Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft die vorrangigen Quellen hierzu. Die erste Ausgabe verkündet:

670 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 22, fol. 69r. 671 Philharmonie, Januar 1955, S. 4. Exemplar in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 2–3. 672 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 23, fol. 131–132. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Leipziger Männerchor – Leipziger Singakademie (1802) sind eine Arbeitsgemein- schaft. Die Mitglieder beider Chöre beschlossen in ihren Hauptversammlungen sich noch enger als früher zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzufinden. Dabei werden die eigenen Aufgabengebiete nicht berührt. […] Sinn ist die Unter- streichung der seit 60 Jahren durch die Personalunion des künstlerischen Leiters bestehenden Freundschaft. Ziel ist das Studium der großen Werke bedeutender Meister der Chormusik alter und neuer Zeit, die in Gesamtaufführungen einer breiten Öffentlichkeit vermittelt werden sollen.673

Die erwähnte Personalunion besteht keineswegs schon 60 Jahre, sondern erst seit dem Amtsantritt Wohlgemuths bei der Singakademie im Jahr 1900, und auch das mit Unter- brechungen. Die internen Sitzungsprotokolle des Männerchors zeigen, dass es zur Arbeits- gemeinschaft der beiden Chöre bis Juni 1954 keinen Mitgliederbeschluss gibt.674 Ab der 266 zweiten Ausgabe im Juli 1954 trägt das Mitteilungsblatt den Titel Philharmonie; das ist zu- gleich der Name, den die Arbeitsgemeinschaft nun trägt. Die Leipziger Zeitungen berichten von der Gründung der AG Philharmonie im August 1954,675 das überregionale Organ des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR, Musik und Gesellschaft, bringt eine entsprechende Notiz erst im November 1954.676 Im September desselben Jahres reisen beide Chöre zum »2. Wartburgtreffen deutscher Sänger«. Die Wartburgtreffen in Eisenach und Umgebung werden von west- und ostdeut- schen Chorvereinen besucht, die sich dort zu Gemeinschaftskonzerten zusammentun, um Einigkeit zu demonstrieren und die Einheit Deutschlands zu fordern. Walter Knape gehört zu den den Initiatoren, am ersten dieser Treffen 1953 hatte der Leipziger Männerchor, ohne die Singakademie, bereits teilgenommen.677 Dieses Engagement ist ein Beispiel für die, wie es Etienne François formuliert,

Instrumentalisierung [der Wartburg] im Rahmen der Deutschlandpolitik der DDR. Bis 1961 diente die Wartburg vor allem als Argument, um die Spaltung in zwei deut- sche Staaten anzuprangern und zu betonen, daß die Politik der DDR im Gegensatz zur Politik der Bundesrepublik ganz und gar darauf ausgerichtet sei, die nationale und kulturelle Einheit Deutschlands wiederherzustellen.678

Den DDR-Politikleitlinien dieser Zeit entsprechen Knapes Äußerungen in einem Text über die Geschichte des Leipziger Männerchors: »Seit der unseligen Spaltung Deutschlands sah

673 Philharmonie, April 1954, S. 3. Exemplar in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 24, fol. 2–3. 674 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 24, fol. 18v. 675 LVZ, 18.8.1954; Sächsische Neueste Nachrichten, 17.8.1954; beide in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 24, fol. 49. 676 MuG 4 (1954), S. 425. 677 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 39. 678 Etienne François, »Die Wartburg«, in: Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 2, hrsg. von Etienne François u. Hagen Schulze, München 2001, S. 154–170, hier S. 168. Die AG Philharmonie und die DDR-Kulturorganisationen (1951–1957) der LMC somit seine wesentliche Aufgabe mit der Liedpflege darin, über die willkürlichen Zonengrenzen hinweg mit den Chören in lebhaftem Programm- und Gedankenaustausch zu bleiben.«679 Ein Konzert beim zweiten Wartburgtreffen, bei dem die AG Philharmonie gemeinsam mit Chören aus Westberlin und Detmold auf der Bühne steht, trägt den pro- grammatischen Titel »Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz«. Dieselbe Stoßrichtung hat auch das Werk, das die AG Philharmonie zu dem Konzert beiträgt: ein Teil aus Georg Böttchers Sinfonie der Brücke.680 Insgesamt finden bis 1956 vier Wartburgtreffen statt. Im Frühjahr 1955 beziehen Singakademie und Leipziger Männerchor einen gemein- samen Probenraum im Grassimuseum,681 aber erst Ende 1955 kommt es tatsächlich zur formellen Gründung der schon fast zwei Jahre informell bestehenden Gemeinschaft. Im Oktober 1955 meldet die Philharmonie, dass beide Chöre von der Pflicht befreit worden sind, als Betriebschöre an ein Unternehmen gebunden zu sein, und nun direkt dem Rat der Stadt Leipzig unterstellt sind.682 Im November 1955 tagt ein »Arbeitsausschuss ›Philharmo- 267 nie‹« und regelt in einem sieben Punkte umfassenden Vertrag die Zusammenarbeit von Singakademie und Leipziger Männerchor. Unter anderem geht es um die Eigenständigkeit beider Chöre, ihre gemeinsame Nutzung des Kapitals, das der Kulturfonds der DDR zur Verfügung gestellt hat, sowie die Leitung durch Knape.683 Damit ist theoretisch die Basis für ein erfolgreiches Wirken und Zusammenwirken beider Chöre gelegt, finanziell sind beide Ensembles anscheinend ebenfalls gut ausgestattet. Doch es kommt anders. Insgesamt sind die Zeitungskritiken, die zu den gemeinsamen Auftritten der AG Phil- harmonie im Jahr 1955 erscheinen, eher schlecht. Obwohl in den Rezensionen lobende Töne über Teile der Chorleistungen nicht fehlen, zeigen die Sitzungsprotokolle des Leipziger Männerchors, dass vor allem die kritischen Passagen im Gedächtnis der Sänger haften blei- ben. So schreibt Werner Wolf in der Leipziger Volkszeitung über das Konzert vom 13. März:

Trotzdem ließ die im ganzen uneinheitliche Aufführung der Beethovenschen Chorfantasie […] erkennen, daß die Singakademie, der Leipziger Männerchor und ihr Dirigent sich Aufgaben stellen, denen sie nicht in jeder Hinsicht gewachsen sind […]. Wenn im letzten Teil des Konzertes […] aus Richard Wagners Oper ›Tann- häuser‹ auch größere solistische Teile wie die schwierige Hallen-Arie und die An- sprache des Landgrafen teilweise sogar von Chormitgliedern gesungen werden, so heißt das die Aufgaben der Volkskunst auf eine falsche Bahn lenken.684

679 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 29, fol. 11v. 680 Mehr zum Werk in Kapitel 10.5: Das Repertoire nach 1945. 681 Philharmonie, Juli 1955, S. 3. Exemplar in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 6–7. 682 Philharmonie, Oktober 1955, S. 3. Exemplar in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 8–9. 683 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 28. 684 LVZ, 20.3.1955, zit. nach D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 43. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Über das Gemeinschaftskonzert mit dem Essener Männerchor Concordia am 6. November 1955 schreibt die Union: »Zwei Werke des Chorleiters Walter Knape, ›Himmlischer Prolog‹ für gemischten Chor, Sopran und Orchester, op. 53, und ›Talismane‹ für Männerchor und Blasinstrumente, vermochten in ihrer pat[h]etischen, epigonal anmutenden Darstellung der göthischen [sic] Texte nicht zu überzeugen.«685 Die Aufführung des Alexanderfests am 24. Februar 1956 erhält ähnlich schlechte Kritiken: »Die Interpretation des Werkes ließ vom Dirigenten her manchen Wunsch offen.«686 – »Bei aller überlieferten Wertschätzung, die man dem Oratorium entgegengebracht hat, war das Ergebnis der genannten Aufführung – in Leipzig übrigens der dritten – vollends unbefriedigend.«687 Die ernsthaften Streitigkeiten, die im Jahresverlauf 1956 innerhalb des Leipziger Män- nerchors auftreten und letztlich zum Ausscheiden Walter Knapes als Dirigent des Männer- chors sowie zur Auflösung der AG Philharmonie führen, sind vielleicht auf diese unbefrie- digenden künstlerischen Leistungen zurückzuführen, werden aber auch von persönlichen 268 Differenzen überlagert. Im Mitteilungsblatt Philharmonie ist 1956 immer wieder von »Aus- sprache-Abenden« die Rede. Zu einem solchen Abend am 23. April liegt eine Erklärung des Vorstandes vor, welche die Gründe für die Trennung des Leipziger Männerchors von Knape erhellt. Knape schlägt eine neue Chorordnung vor. Der Vorstand meint hierzu:

Der im Entwurf Knape vertretene Standpunkt des Dirigenten, ›der Musikalische Leiter bildet den Kern des Chores, ihm zu Seite stehen ›Helfer‹ …‹ verstösst gegen die Gesetze der DDR und verkörpert ein gewisses Führerprinzip, das keinesfalls geduldet werden kann. Es ist nochmals klar herauszustellen […], dass der Dirigent nur Angestellter des Chores ist und die Beschlüsse des Vorstandes […] zu respek- tieren hat.688

Dieses Argument erinnert erneut an die Auseinandersetzung zwischen Johann Philipp Christian Schulz und dem Vorstand der Singakademie im Jahr 1823 sowie auch an die Que- relen zwischen Friedrich Rabenschlag und Erich Schinke 1950. In langen Aussprachen wird nun versucht, die Streitigkeiten zu klären, die sich zwischen Knape und dem Vorsitzenden des Männerchors, einem Herrn Lüchow, abspielen, offenbar nicht ohne persönliche Unter- töne. Knape wehrt sich gegen die Einführung eines zweiten Dirigenten. Dazu kommen Vor- würfe, Knape habe Interna aus der Vorstandssitzung an ein Chormitglied verraten. Darüber hinaus spielt die Zusammenarbeit mit der Singakademie eine Rolle. So schreibt Lüchow in einer Stellungnahme vom 30. August 1956: »In den letzten 10 Jahren gibt es keinen Paral- lel-Fall, dafür, wie ein Mann es fertig bringt, einen Chor so innerlich zu zerreissen, wie dies Herrn Knape gelungen ist. […] Welche Unruhe allein die Angelegenheit ›Philharmonie‹ in

685 Union, 16.11.1955, zit. nach D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 25, fol. 70. 686 Sächsisches Tageblatt, 9.3.1956, zit. nach D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 26, fol. 50. 687 Union, 4.3.1956, S. 5, zit. nach D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 26, fol. 50. 688 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 26, fol. 21. Letzte Jahre und Auflösung (1958–1967) den Chor hineingebracht hat, weiss jeder selbst.«689 Weiter findet sich in einer Reihe von Gründen, die Lüchow gegen Knape anbringt, auch »[d]ass Sänger im Chor herumgehen und Stimmung machen für eine Männer-Abteilung in der LSA«.690 Die Befürchtung, Knape spalte den Leipziger Männerchor, wird sich als durchaus be- gründet erweisen. Knapes Chorleitervertrag läuft Ende September 1956 aus; er weigert sich, einen ihm vorgelegten Anschlussvertrag zu unterschreiben. Neuer Leiter des Leipziger Männerchors wird Heinrich Bergzog, der Chordirektor an der Leipziger Oper. Am Ende des Jahres 1956 muss der Leipziger Männerchor den Abgang von insgesamt 54 Mitgliedern verbuchen (gegenüber nur 6 Neuzugängen). Von den weggehenden Mitgliedern werden 43 unter der Rubrik »zu Herrn Knape«691 geführt – sie sind offenbar in einen der anderen Chöre gewechselt, die Knape leitet und zu denen auch die Singakademie gehört. Die Arbeits- gemeinschaft Philharmonie ist damit an ihr Ende gelangt. Im Oktober 1956 verkündet die Philharmonie, nunmehr bloß noch als Organ des Leipziger Männerchors: »DIE LEIPZIGER 269 SINGAKADEMIE hat von sich aus die Arbeitsgemeinschaft ›Philharmonie‹ aufgehoben. Wir bedauern dies, sehen aber auch von uns aus z. Zt. keine Möglichkeit, diese fortzuset- zen.«692 Fortan erscheint das Blatt weiter unter dem Titel Leipziger Männerchor. Mitteilungen. Knape bricht mit dem Männerchor, leitet die Singakademie jedoch weiter. Die Juni-Ausgabe 1957 der Zeitschrift Musik und Gesellschaft berichtet von weiteren gemeinsamen Plänen: »In der kommenden Spielzeit beabsichtigt die Leipziger Singakademie unter Leitung ihres Dirigenten Walter Knape folgende Werke zeitgenössischer Komponisten aufzuführen: die Faust-Kantate von Hans Stieber, ›Deutsche Libertät‹ von Fritz Reuter, Chorzyklen von Wil- helm Weismann und Hermann Grabner.«693 Doch dazu kommt es nicht: Knape verlässt im Juli 1957 die DDR.694

10.4 Letzte Jahre und Auflösung (1958–1967)

Die Singakademie findet einen neuen Dirigenten in dem Sänger beim Rundfunkchor und studierten Kirchenmusiker Gerhard Richter. Der Chorleitervertrag zwischen ihm und der Singakademie datiert auf den 1. Januar 1958 und sichert dem Dirigenten eine monatliche Vergütung von 120 DM zu. Die Aufgabe des Chorleiters sei es, »eine hohe Zielsetzung zu verfolgen, die einer gegenwärtigen fortschrittlichen Kunstpflege und Musikerziehung

689 Ebd., fol. 36. 690 Ebd., fol. 36. 691 Ebd., fol. 115. 692 Philharmonie, Oktober 1956, S. 3. Exemplar in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 28. 693 MuG 7 (1957), S. 382. 694 Vgl. Biografie Knapes im Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

des Chores entspricht«.695 Die Umstände setzen aber der ›hohen Zielsetzung‹ Grenzen. Schon 1959 berichtet ein Zeitungsartikel, der Chor sei »in den Männerstimmen derzeit etwas schwach besetzt«.696 Im Jahr ihres 160-jährigen Bestehens ist die Singakademie nicht im Stande, ein eigenes Konzert aufzuführen, sondern tritt gemeinsam mit dem Leipziger Männerchor, mit dem sie offenbar inzwischen wieder versöhnt ist, auf die Bühne. Ger- hard Richter vermerkt zu diesem Auftritt in seinen persönlichen Aufzeichnungen: »Ge- meinschaftskonzert als letzter Versuch einer Auftrittsmöglichkeit, nachdem der Plan eines eigenen Konzertes an den Finanzen scheiterte.«697 Der ursprüngliche Plan war gewesen, als Festkonzert zur 160-Jahrfeier Georg Friedrich Händels Oratorium Susanna aufzuführen. Richters Dokumente zeigen, dass er sich sowohl beim Rat des Bezirkes als auch beim Rat der Stadt ergebnislos um finanzielle Unterstützung bemüht. Erfolgreicher als bei der Singakademie ist Richters Chorleiter-Tätigkeit bei einem an- deren Laienchor. Richter hatte schon Ende 1953/Anfang 1954 als Nachfolger Georg Trexlers 270 die Leitung des Männerchors Franz Schubert übernommen – desselben Chores, der sich 1909 vom Leipziger Männerchor abgespaltet und sich später den Namen Schubertbund gegeben hatte. Der Schubertbund fusioniert unter Richters Leitung mit dem Männerchor Merkur und der daraus entstehende Chor schließt sich als eine eigenständige Abteilung der Leipziger Volkssingakademie an – die bis 1953 noch Neue Leipziger Singakademie geheißen hatte. Gerhard Richter wird im Zuge dessen zum Zweiten Dirigenten der Leipziger Volks- singakademie.698 Mit der Singakademie geht es indessen weiter bergab. Für 1963 ist kein Auftritt der Singakademie belegt, im Jahr 1964 absolviert der Chor ein letztes Konzert unter Richters Leitung. Der Dirigent schreibt über das Ende seiner Zeit bei der Singakademie:

Da die Mitgliederzahl immer mehr zurückging, insbesondere die der Männerstim- men (1964 nur noch 1 Tenor), da kein aktiver Vorstand gewählt werden konnte u. auch mein Vorschlag für eine Fusion mit einem anderen Chor abgelehnt wurde, legte ich mit Ablauf des Jahres 1964 mein Amt nieder.699

Der letzte Dirigent der Leipziger Singakademie – der insgesamt vierundzwanzigste in der Geschichte des Chores – wird im Laufe des Jahres 1965 Werner Säubert. Auch er ist ein Sän-

695 Chorleitervertrag in den persönlichen Aufzeichnungen Gerhard Richters. Sämtliche Angaben dieses Absatzes beruhen auf Informationen von Gerhard Richters Witwe, Liane Richter, sowie auf Material aus den persönlichen Aufzeichnungen Gerhard Richters. 696 Zeitungsausschnitt ohne Quellenangabe in den persönlichen Aufzeichnungen Gerhard Richters. 697 Persönliche Aufzeichnungen Gerhard Richters. 698 Belegt wird das durch einen in den persönlichen Aufzeichnungen Gerhard Richters erhaltenen Chor- ausweis, der auf das Jahr 1957 datiert. Richter wird dort als »Chormeister« bezeichnet, sein Name und seine Adresse sind auch im Fußzeilenbereich des Ausweises – nach Otto Didam – unter der Rubrik »Dirigenten« genannt. 699 Handschriftliche Notiz in den persönlichen Aufzeichnungen Gerhard Richters. Letzte Jahre und Auflösung (1958–1967) ger im Leipziger Rundfunkchor. Im persönlichen Gespräch700 berichtet er, wie kurz nach Beginn seiner Tätigkeit im Rundfunkchor sein Bass-Kollege Gerhard Richter ihm die Lei- tung der Singakademie angetragen habe. Der damals 22-jährige Richter habe das Angebot mit Begeisterung angenommen, habe dann jedoch schnell erkennen müssen, dass es um die Lebensfähigkeit des Chores schlecht bestellt war. Der Chor probt damals in der Goethe- schule (heute Sitz des Evangelischen Schulzentrums Leipzig) und besteht aus ca. 10 bis 15 Personen; darunter sind nur drei Männer – und kein Tenor. Etwa ein- bis zweimal pro Jahr veranstaltet der Chor noch kleine Auftritte im Ariowitsch-Altenheim in der Auenstraße 14.701 Der Nachwuchsmangel ist mittlerweile nicht mehr aufzuhalten. Den Ausschlag zur Auf- lösung der Singakademie gibt schließlich die Entscheidung eines der letzten verbliebenen Männer, den Chor zugunsten eines Männerquartetts zu verlassen. Das Ende der Leipziger Singakademie datiert auf den 1. Mai 1967 und ist in den Pro- tokollen der Chorgemeinschaft Gutenberg überliefert. Der Männerchor Gutenberg wurde 271 1891 als ein Chor der Leipziger Buchdruckergehilfen gegründet702 und war Anfang des 20. Jahrhunderts an den mitteldeutschen Buchdrucker-Sängertagen beteiligt. Seit 1935 ge- hörte zu ihm auch ein Frauenchor. Im Jahr 1951 vereinigten sich die Licht’schen Chöre mit dem Gutenberg zur neuen ›Chorgemeinschaft Gutenberg‹. In den Unterlagen dieses Chors heißt es nun über das Jahr 1967:

Am 1. Mai gab es einen großen Aufschwung[.] [Es] traten dem Chor bei die Mit- glieder der Michaelschen Chöre West mit 14 Männern und 17 Frauen [und die] Mit- glieder der Leipziger Singakademie von 1802 mit 1 Mann und 20 Frauen[.] Das brachte dem Chor einen gewaltigen Aufschwung, obwohl nach kurzer Zeit doch eine erklekliche [sic] Anzahl wieder wegblieb.703

Allein das Verhältnis der Männer- und Frauenstimmen verrät, dass die Leipziger Singakade- mie zu diesem Zeitpunkt keine Chance mehr hat, selbstständig als gemischter Chor zu exis- tieren. Daran erinnert sich auch eine Sängerin des Gutenberg-Chors auf der Jahreshaupt- versammlung 1969: »Sfdn. [Sangesfreundin] Steglich stellt im Namen ihrer Sfdn. aus der früheren Singakademie den Antrag noch öfter gemischt zu singen, da ihr Chor daran einge- gangen sei, weil nicht mehr gemischt gesungen werden konnte und sie sich deshalb einem gemischten Chor angeschlossen habe.«704 So wird die ›bürgerliche‹ Singakademie, bzw. das,

700 Die Informationen dieses Absatzes beruhen auf einem Gespräch Werner Säuberts mit dem Autor am 19.3.2013. 701 Heute Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus. Diese Auftritte sind mangels Belegen in der Auftrittsliste im Anhang nicht aufgeführt. 702 Schon 1862 hatte es unter demselben Namen die Gründung eines Chores der Leipziger Buchdrucker gegeben (vgl. D-LEsa, Kap. 35, Nr. 1360). Weitere Angaben zur Geschichte des Chores nach 100 JAHRE Gutenberg Grafische Sänger – Chorgemeinschaft Gutenberg Leipzig. Kurzer Abriß der Geschichte eines Chores, Archiv Gutenberg. 703 Chronik im Archiv Gutenberg, unpaginiert. 704 Archiv Gutenberg, Protokoll der Jahreshauptversammlung 1969, S. 3. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

was von ihr übrig ist, Teil eines ›Arbeiterchores‹. Als Chorgemeinschaft Gutenberg Leipzig e. V. existiert der Chor noch heute und gibt, neben verschiedenen Chorfahrten und Konzerten zu besonderen Anlässen, regelmäßig zwei Mal jährlich Konzerte im Völkerschlachtdenkmal.705

10.5 Das Repertoire nach 1945

Die folgende Übersicht enthält alle nachgewiesenen Werke in den Konzerten der Leipziger Singakademie vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Auflösung des Chores 1967.

All meine Gedanken (Volkslied): 21.2.1953 An hellen Tagen: 19.7.1950 Beethoven, Ludwig van: Fantasie für Pianoforte, Chor und Orchester: 29.3.1952, 13.3.1955 272 –—: Kantate Meeresstille und glückliche Fahrt: 29.3.1952, 6.11.1955 –—: Sinfonie Nr. 9: 4.1.1961, 5.1.1961 Bornefeld, Helmut (Arr.): Weiß mir ein Blümlein blaue: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 Borris, Siegfried: Ich rufe euch alle!: 21.2.1953 Böttcher, Georg: Sinfonie der Brücke (auch Auszüge): 30.9.1951, 24.9.1954, 25.9.1954 Brahms, Johannes (Arr.): All meine Herzgedanken: 2.7.1949, 18.3.1950 –—: (Arr.): Die Wollust in den Maien: 2.7.1949, 18.3.1950 –—: Ave Maria: 4.1.1946 –—: Beherzigung: 2.10.1949 –—: Darthulas Grabesgesang: 2.7.1949 –—: Dein Herzlein mild: 18.3.1950 –—: Der 13. Psalm »Herr, wie lange willst du mein so gar vergessen«: 4.1.1946 –—: Der bucklichte Fiedler: 2.7.1949 –—: Drei Gesänge für FCh, Harfe u. 2 Hörner, op. 17: 6.11.1955 –—: In stiller Nacht: 18.3.1950 –—: Letztes Glück: 2.7.1949 –—: Rosmarin: 18.3.1950 –—: Vergangen ist mir Glück und Heil: 18.3.1950 –—: Von alten Liebesliedern: 2.7.1949, 18.3.1950 –—: Waldesnacht: 13.3.1955, 1.9.1955, 24.6.1956, 21.7.1957, 14.6.1958 Chemin-Petit, Hans (Arr.): Der Mai, der Mai, der lustige Mai: 19.7.1950, 21.7.1950 –—: (Arr.): Ich reit auf einem Rößlein: 21.7.1950 –—: (Arr.): Kein Feuer, keine Kohle: 19.7.1950, 21.7.1950

705 »Chorgemeinschaft Gutenberg e. V.«, in: Leipziger Chorverband, , 8.3.2013; und Chorgemeinschaft Gutenberg e. V., , 8.3.2013. Das Repertoire nach 1945

–—: (Arr.): Und in dem Schneegebirge: 21.7.1950 Dietrich, Fritz (Arr.): Der Mond ist aufgegangen: 23.5.1949, 17.6.1949, 19.7.1950 –—: (Arr.): Der Winter ist vergangen: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 –—: (Arr.): Ein Jäger längs dem Weiher ging: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949, 19.7.1950, 21.7.1950 –—: (Arr.): Nun will der Lenz uns grüßen: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 –—: (Arr.): Wenn alle Brünnlein fließen: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949, 19.7.1950 Ein Blümlein auserlesen (Volkslied): 21.2.1953 Eisler, Hanns: Stücke aus den Neuen deutschen Volksliedern: 14.6.1958, 14.5.1960 Franck, César: Choral a-Moll: 26.8.1945 Gastoldi, Giovanni Giacomo: Amor im Nachen: 21.7.1957 Gerster, Ottmar: Wir lieben das Leben: 14.5.1960 Gneist, Werner (Arr.): Ihr kleinen Vögelein: 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 273 Grusnick, Bruno (Arr.): Der Jäger in dem grünen Wald: 12.6.1949 Händel, Georg Friedrich: Chor »Halleluja« aus dem Oratorium Der Messias: 4.1.1946 –—: Freiheitschor (»Seid froh: Der Freiheit heller Schein«) aus dem Oratorium Joseph und seine Brüder: 12.9.1954, 1.9.1955, 21.7.1957 –—: Kantate Alexanders Fest oder Die Gewalt der Musik (auch Auszüge): 13.3.1955, 24.2.1956, 6.12.1956, 21.7.1957 –—: Largo (»Ombra mai fu«) aus der Oper Xerxes: 24.6.1956 –—: Masque Acis und Galatea: 24.10.1959 –—: Ode für den Geburtstag der Königin Anna (Friedensode): 24.10.1959 –—: Oratorium Judas Maccabäus: 16.2.1948 Hausmann, Valentin (Arr.): Tanz mir nicht mit meiner Jungfrau Käthen: 12.6.1949 Haydn, Joseph: Oratorium Die Schöpfung (auch Auszüge): 15.5.1946, 21.6.1948 Hopsa, Schwabenliese! (Volkslied): 21.2.1953 Isaac, Heinrich: Innsbruck, ich muß dich lassen: 12.6.1949, 14.6.1958 Knape, Walter (Arr.): Sowjetisches Volkslied Mutter Heimat: 21.2.1953, 12.9.1954 –—: Hymnischer Prolog, op. 53 für Chor, S-Solo und Orch: 29.3.1952, 6.11.1955 –—: Musica, salve regina: 12.9.1954 –—: Ruf in den Tag: 1.9.1955 Koch, Helmut: Aus der Enge dieser Tage: 14.5.1960 Lahusen, Christian (Arr.): Komm, Trost der Welt: 23.5.1949, 17.6.1949, 19.7.1950 –— (Arr.): Nacht ist wie ein stilles Meer: 23.5.1949, 17.6.1949, 19.7.1950 Lang, Hans (Arr.): Ein Jäger aus Kurpfalz: 19.7.1950, 21.7.1950 Lohse, Fred: Drei Stücke aus dem Zyklus Land meines Lebens: 17.11.1962 Lortzing, Albert: Freiheitssang: 12.9.1954 Mahler, Gustav: 8. Sinfonie: Mai? 1950 Marx, Karl (Arr.): Die beste Zeit im Jahr ist mein: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 –—: (Arr.): Wie schön blüht uns der Maien: März? 1949, 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 Mendelssohn Bartholdy, Felix: Die Nachtigall: 2.10.1949 Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

–—: Frühzeitiger Frühling: 2.10.1949 –—: Oratorium Paulus: 23.9.1946 Mendelssohn, Arnold: Liebling der Götter, op. 44: 2.10.1949 Meyer, Ernst Hermann: Chor »Heimat, wir lassen dich nicht« aus der Kantate Des Sieges Gewissheit: 21.7.1957 –—: Wenn ich an Deutschland denke: 14.5.1960 Mozart, Wolfgang Amadeus: An die Sonne (»Dir, Seele des Weltalls«): 21.2.1953, 3.5.1953, 6.11.1955, 21.7.1957 –—: c-Moll-Messe: 19.2.1949 –—: Chor »Ave verum corpus«: 15.5.1946 –—: Kanon Auf den Tod einer Nachtigall (»Sie ist dahin«): 13.3.1955 –—: Kanon »Dona nobis pacem«: 21.2.1953, 24.6.1956 –—: Kanon »Lieber Freistädtler«: 21.7.1957 274 Mozart, Wolfgang Amadeus/William Byrd: Kanon »O wunderschön ist Gottes Erde«: 21.7.1957 Naumilkat, Hans: Unsere Heimat: 24.9.1954 Noetel, Konrad Friedrich (Arr.): Hab mein Wage vollgelade: 19.7.1950, 21.7.1950 Pepping, Ernst (Arr.): Auf einem Baum ein Kuckuck saß: 12.6.1949, 19.7.1950, 21.7.1950 –—: (Arr.): Guter Mond: 23.5.1949, 17.6.1949 –—: (Arr.): Ich hab mir mein Weizen: 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949 –—: (Arr.): Schatz verloren: 12.6.1949 –—: (Arr.): Wenn ich ein Vöglein wär: 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949, 19.7.1950, 21.7.1950 –—: (Arr.): Wohlan, die Zeit ist kommen: 23.5.1949, 12.6.1949, 17.6.1949, 19.7.1950, 21.7.1950 Regnart, Jakob: All mein Gedanken, ohn’ alles Wanken: 24.6.1956 Reichardt, Friedrich: Felsen stehen gegründet: 2.10.1949 Salieri, Antonio: Kanon »Steter Tropfen höhlt den Stein«: 21.2.1953 Schicht, Johann Gottfried (Arr. Walter Knape): Teile der Kantate Preis der Dichtkunst: 29.3.1952 Schubert, Franz: Der 23. Psalm für weibliche Stimmen »Gott ist mein Hirt«: 24.11.1953 –—: Messe Nr. 2 in G-Dur: 24.11.1953, 24.6.1956 (nur »Kyrie«) –—: Salve Regina, op. 153: 24.11.1953 Schulz, Johann Abraham Peter: Der Mond ist aufgegangen: 24.6.1956 Schumann, Robert: Das Schifflein: 17.11.1962 –—: Einleitungschor aus dem Oratorium Der Rose Pilgerfahrt: 13.3.1955 –—: Zigeunerleben: 14.5.1960 Simon, Hermann: Beherzigung: 1.9.1955 –—: Kophtisches Lied: 1.9.1955 Stieber, Hans: All mein Gedanken: 28.1.1946 –—: Kantate für Frauenstimmen auf alte Chorsätze mit Instrumentalsätzen: 26.8.1945 –—: Komm, oh komm: 28.1.1946 –—: Lobgesänge alter Meister für FCh mit Instrumentalsätzen: 15.5.1946 Das Repertoire nach 1945

–—: Rose, Veile, Blümelein: 28.1.1946 –—: Unser Hans hat Hosen an: 28.1.1946 Strecke, Gerhard: Vanitas: 2.10.1949 Strube, Adolf (Arr.): Auf, du junger Wandersmann: 21.7.1950 –—: (Arr.): Es wollt ein Jägerlein jagen: 19.7.1950, 21.7.1950 –—: (Arr.): Gesegn dich Laub, gesegn dich Gras: 19.7.1950, 21.7.1950 Trapp, Max: Kantate Vom ewigen Licht: 3.5.1953 Wacht auf, ihr schönen Vögelein: 19.7.1950, 21.7.1950 Wagner, Richard: 1.–4. Szene aus dem 2. Akt der Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg: 13.3.1955 –—: Chöre aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg: 30.9.1951, 21.2.1953 Weismann, Wilhelm: Lebensspruch: 12.9.1954, 24.9.1954 –—: Prooemion: 2.10.1949 275 Werner, Hermann: Heidenröslein: 2.10.1949 Zelter, Carl Friedrich: König in Thule: 2.10.1949 Zoll, Paul: »Schlaflied« aus der Missa sine nomine: 24.6.1956

Beim Vergleich mit den anderen Werkregistern aus verschiedenen Phasen der Geschichte der Leipziger Singakademie darf man sich von der zunächst großen Anzahl an Komponisten und Werken nicht täuschen lassen: Die weitaus meisten der genannten Stücke sind relativ kurze Chorlieder, Kanons und Arrangements von Volksliedern. Abendfüllende Werke wie Oratorien bilden in dieser letzten Phase die große Ausnahme. Gleichzeitig ist eine starke Präsenz von Komponisten der Gegenwart zu bemerken. Dies zeigt besonders der Vergleich des Repertoires der DDR-Zeit mit dem Repertoire der fünften Phase der Geschichte der Leipziger Singakademie, der ›Ära Wohlgemuth‹:706 Betrachtet man die am häufigsten auf- geführten Komponisten bzw. Arrangeure in beiden Phasen, so fällt auf: Alle Komponisten, deren Werke unter Wohlgemuth zehn Mal oder häufiger aufgeführt wurden (Mendelssohn, Brahms, Haydn, Schubert, Wagner), lebten bereits längst nicht mehr. In der DDR-Zeit hin- gegen heißen die am häufigsten aufgeführten Komponisten und Arrangeure Johannes Brahms (22 Aufführungen seiner Werke), Fritz Dietrich (ebenfalls 22), Ernst Pepping (19) und Georg Friedrich Händel (12). Die starke Präsenz von Dietrich (1905–1945) und Pepping (1901–1981) geht ausschließlich auf die kurze Amtszeit von Friedrich Rabenschlag zurück, so wie auch andere um 1900 geborene Komponisten bzw. Arrangeure von Rabenschlag verstärkt auf die Programme gesetzt werden. Hierzu gehören beispielsweise Karl Marx, Hans Chemin-Petit und Adolf Strube, von denen die Singakademie häufig Volkslied-Ar- rangements singt. Als weitere zum Zeitpunkt der Aufführung noch lebende Komponisten tauchen die Singakademiedirektoren Hans Stieber und Walter Knape auf. Zwar gab es auch unter Wohlgemuth eine nicht unerhebliche Zahl von damals zeitgenössischen Komponis-

706 Vgl. Kapitel 9.4: Das Repertoire 1900–1937. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

ten im Repertoire der Singakademie, wie zum Beispiel Heinrich Zöllner, Gabriel Pierné oder Georg Schumann. Allerdings waren die ›Klassiker‹ in Bezug auf die Häufigkeit der Aufführungen weitaus stärker vertreten. Dieses Verhältnis verändert sich nun. Man mag da- rin einen Erfolg der DDR-Kulturpolitik erkennen, die bekanntlich darauf setzte, möglichst viel Musik aufzuführen, die in der DDR komponiert wurde. Eine weitere Folge parteilicher Lenkung deutet sich in der insgesamt niedrigeren Zahl geistlicher Werke an. Geistliche Werke beschränken sich im Prinzip auf die zweite Hälfte der vierziger Jahre und verschwinden nach Gründung der DDR fast völlig aus den Konzerten der Singakademie (mit Ausnahme eines geistlichen Schubert-Programms 1953 und einem einzelnen »Kyrie« von Schubert in einem gemischten Programm 1956). In der unmittelba- ren Nachkriegszeit erteilt die Militärverwaltung ausschließlich Genehmigungen für geist- liche Konzerte.707 Dies ist vielleicht der Hauptgrund dafür, dass die ersten gemeinsamen Nachkriegskonzerte der Singakademie und des Leipziger Männerchors geistlich geprägt 276 sind und in Kirchen stattfinden. Im Jahr 1946 dirigiert Hans Stieber zwei »Sinfonische Abendmusiken« mit der Singakademie, dem Leipziger Männerchor und dem Leipziger Sinfonieorchester. Zu einer vollständigen Oratorien-Aufführung kommt es – das erste Mal seit den Jahreszeiten 1933 – im September 1946 Jahres, als die Singakademie mit demsel- ben Orchester (inzwischen firmiert es wieder unter der Bezeichnung Rundfunkorchester), Mendelssohns Paulus zur Aufführung bringt. Unter der Leitung Friedrich Rabenschlags scheint die Singakademie zunächst an alte Erfolge anknüpfen zu können, indem sie 1948 und 1949 Händels Judas Maccabäus, Haydns Schöpfung und Mozarts c-Moll-Messe mit dem Kammerorchester der Universität in der Thomaskirche in eigenen Konzerten darbietet. Aus den geschilderten persönlichen und politischen Gründen reißt die Pflege geistlicher Musik durch die Singakademie danach ab. Bemerkenswert ist das erste Konzert, das unter Walter Knape im September 1951 zum Weltfriedenstag stattfindet. Beteiligt am Auftritt in der Kongresshalle am Zoo sind die Frau- enchöre Süd und Schleußig, der Leipziger Männerchor, die Singakademie sowie der Pio- nierchor Hanns Eisler und das Gewandhausorchester. Das Ensemble bringt Georg Böttchers Sinfonie der Brücke zur Uraufführung, ein chorsinfonisches Werk, das dem Schubertbund Detmold und seinem Leiter Gustav Adolf Ravenschlag gewidmet ist.708 Das 1950 entstan- dene und dem »Weltfriedensgedanken«709 huldigende Werk hat drei Teile: »Der ferne Ruf«, »Besinnung« und »Das andere Ufer«. Es schildert den Bau einer Brücke als Metapher für das Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland, aber auch für Völkerverständigung und Frieden generell. Der abschließende Hymnus enthält die Worte: »Hoch ragt der Bau weiter über Raum, weit über Zeit, Volk kommt zu Volk in Einigkeit«.710 Das Werk des Reger- Schülers Böttcher trägt Züge des ›sozialistischen Realismus‹, die besonders evident zu Tage

707 Vgl. D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 18, fol. 74. 708 Material zu diesem Werk in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 21, fol. 57–70. 709 Ebd., fol. 58v. 710 Ebd., fol. 59r. Das Repertoire nach 1945 treten, wenn die Arbeiter an der Brücke den Text »Donnert Maschinen, schweißt Eisen zu Eisen«711 singen. Die Berliner National-Zeitung schreibt über die Sinfonie der Brücke:

Dem Dichterkomponisten ist in diesem Werk die Einheit von Wort und Musik überzeugend gelungen. Böttchers Tonsprache trägt moderne Klänge. Dissonanzen klingen nur auf wo sie inhaltlich gerechtfertigt sind. Dazwischen sprechen schöne volkstümliche Melodien (z. B. der ›Sonnenchor‹ der Kinder) den Hörer sofort an.712

Diese Stoßrichtung prädestiniert die Sinfonie der Brücke dafür, auf dem zweiten Wartburg- treffen deutscher Sänger aufgeführt zu werden. An neuen Werken bringt die Singakademie außerdem 1952 die Uraufführung von Wal- ter Knapes Hymnischem Prolog, op. 53 für Chor, Sopran-Solo und Orchester auf einen Text Johann Wolfgang von Goethes (Faust I) sowie 1953 die Leipziger Erstaufführung von Max 277 Trapps Kantate Vom ewigen Licht. Darüber hinaus ist sie 1949 an der Uraufführung von Wilhelm Weismanns Prooemion bei der unter anderem von Otto Didam organisierten Goe­ thefeier der Leipziger Chöre beteiligt. Abgesehen hiervon konzentriert sich die Singakademie unter Walter Knape allerdings auf kürzere Chorstücke und ist dabei in der Programmauswahl durchaus nicht unpolitisch. Dem Zeitgeist entsprechen Volkslieder, auch sowjetische, und andere Stücke, die in das neue politische System passen. Dazu gehören beispielsweise Hans Naumilkats Unsere Hei- mat (gesungen am 24. September 1954) oder die am Reformationstag 1952 dargebrachten »Pionierchöre«. Der Einfluss der sozialistischen Staatsdoktrin auf die Programmgestaltung ist allerdings auch subtiler spürbar. Während geistliche Werke so gut wie vollständig aus dem Repertoire verbannt sind, haben Chorstücke des 18. und 19. Jahrhunderts Konjunk- tur, die sich gut im Sinne des sozialistischen Realismus umdeuten lassen und die um die Schlagworte »Frieden«, »Freiheit«, »Licht/Sonne« und »Heimat« kreisen. Hierzu gehören Mozarts An die Sonne (viermal zu DDR-Zeiten von der Singakademie aufgeführt) und der Kanon »Dona nobis pacem« (zwei Mal) ebenso wie Albert Lortzings Freiheitssang (ein Mal). Als typisches Beispiel von Säkularisierung eigentlich religiöser Musik darf der von der Sing- akademie drei Mal zu DDR-Zeiten dargebotene sogenannte Freiheitschor von Georg Fried- rich Händel gelten. Er stammt aus dem Oratorium Joseph und seine Brüder, wird aber als Einzelstück aus seinem religiösen Kontext herausgelöst. Beileibe nicht alle Werke, die die Singakademie singt, haben diesen mehr oder weniger deutlichen politischen Anstrich. Unter den ›Klassikern‹ halten sich vor allem die Kompo- nisten Johannes Brahms (22 Aufführungen weltlicher Chorstücke), Georg Friedrich Händel (12 Aufführungen, davon zwei Mal das vollständigeAlexanderfest ), Wolfgang Amadeus Mo- zart (11) und Ludwig van Beethoven (6, alles größere Werke wie die Chorfantasie und die 9. Sinfonie) im Repertoire der Leipziger Singakademie.

711 Ebd., fol. 70. 712 National-Zeitung, Nr. 242, 18.10.1951; Ausschnitt in: D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 21, fol. 67. Sechste Phase: NS-Zeit nach Wohlgemuth und DDR-Zeit (1937–1967)

Insgesamt, das können die vorhergehenden Beispiele nur andeuten, weist das Reper- toire der Singakademie in der DDR-Zeit in zwei Richtungen. Einerseits erfolgt eine Orien- tierung an kleineren liedhaften Werken, meist a cappella, die auch für Chöre zu bewältigen sind, denen es an finanziellen Mitteln für eine Orchesterbegleitung und an stimmlichen Mitteln für komplexere Werke fehlt – und das trifft auf die Singakademie am Ende ihrer 165-jährigen Geschichte zu. Andererseits macht sich spätestens mit Amtsantritt von Wal- ter Knape bemerkbar, wie politische Erwägungen das Programm prägen. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Musik, die nicht zur Kultur-Ideologie der neuen Diktatur passt – geistliche Werke, Musik aus dem westlichen Ausland – und solcher, die besonders hono- riert wird – Werke in der DDR lebender Komponisten, Volkslieder im weitesten Sinne und Stücke mit politisch affirmativer Aussage wie die Sinfonie der Brücke. Hier müssen sich die Chorleiter, die Sängerinnen und Sänger positionieren, und diese Spannungen spiegeln sich im Repertoire. 278 11 Fazit. Geschichte und Profil eines Gesangvereins zwischen individuellen Details und übergreifenden Phänomenen

Nach Studien zu 165 Jahren Geschichte der Leipziger Singakademie, zu ihren Mitgliedern und dem Repertoire, zur Chorpraxis in Leipzig und andernorts – welche neuen Erkenntnisse sind zu betonen? Die einzelnen Resultate betreffen ganz unterschiedliche Sachgebiete. Das liegt an der langen untersuchten Zeitspanne, an der Verschiedenheit des Materials und der Vielfalt der sich hieraus ergebenden Methoden. Die Beiträge zur Leipziger Musikgeschichte 279 des 18. bis 20. Jahrhunderts, zur historischen Sozialforschung und zur Repertoireforschung werden zusammengehalten durch den thematischen Leitfaden ›Leipziger Singakademie‹. Kernanliegen waren die sozialhistorische Auswertung der Mitgliederlisten, die Analyse des Repertoires im historischen Wandel und die Darlegung der weiteren Chorgeschichte nach 1900. Um dies zu bewältigen, mussten manch andere Fragen ausgeblendet werden. Es bleibt zu hoffen, dass die nur angerissenen Aspekte, die nur teilweise oder spekulativ be- antworteten Fragen Anlass für zukünftige weitere Überlegungen bieten. Im Idealfall mag die vorliegende Arbeit in ihrer Methodik demonstrieren, was auf dem Gebiet der Forschung zu musikalischen Vereinen möglich ist, und das in langwierigen Recherchen zusammenge- tragene Datenmaterial zu Personen, Institutionen und Aufführungen kann als Basis dienen für neue, vor allem vergleichende Forschungsvorhaben. Das Schlusskapitel fasst in diesem Sinne zunächst die zentralen Ergebnisse der Ausein- andersetzung mit Aspekten von rund 200 Jahren Leipziger Chormusikpflege zusammen – die Vorgeschichte der Singakademie mitgerechnet. Abschließend werden die bislang offen gebliebenen oder nur unzureichend beantworteten Fragen namhaft gemacht und Perspek- tiven für zukünftige Studien skizziert.

11.1 Zusammenfassung

(1) Anders als in der Geschichtswissenschaft spielte in der Musikwissenschaft die For- schung zu Vereinen bisher eine relativ geringe Rolle. Wenn musikalische Ensembles unter- sucht wurden, dann eher Orchester, professionelle Ensembles und solche, die an größere, renommierte Organisationen angegliedert sind. Nur so ist es zu erklären, dass ein selbst- ständiger Laienchor wie die Leipziger Singakademie von Seiten der Musikwissenschaft bis- her weitgehend übergangen worden war – trotz seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung und Repertoireverantwortung und trotz des nachhaltigen Interesses der Fachwelt an der Stadt Leipzig als einem einflussreichen Zentrum des Musiklebens im 19. Jahrhundert. Im Fazit

Rahmen einer überregional und interdisziplinär orientierten musikwissenschaftlichen In- stitutionen-, Sozial- und Repertoireforschung war eine Studie zur Leipziger Singakademie daher ein dringliches Desiderat. (2) Die Leipziger Singakademie ist Leipzigs erster gemischter Chorverein. Nach der 1791 gegründeten Sing-Akademie zu Berlin, die als unmittelbares Vorbild fungiert, ist sie insgesamt der zweite deutsche Verein dieser Art. Ihre Gründungsgeschichte, die hier erst- mals detailliert und widerspruchsfrei dargelegt werden konnte, beginnt im Jahr 1802 mit einer ersten Gründung und führt über Parallelgründungen, Auflösungen und Dirigenten- wechsel schließlich zur Fusion der bis dahin bestehenden Singakademien im Jahr 1818. Von da an existiert der Chor ununterbrochen bis 1967, als er sich der Chorgemeinschaft Guten- berg anschließt. Die Vereinsgeschichte bis 1902 ist durch die zum 100-jährigen Jubiläum er- schienene Chronik bereits länger bekannt, die Entwicklung des Chores im 20. Jahrhundert wurde hier in den wesentlichen Zügen erstmals erörtert. 280 (3) Bis zu den ersten Auftritten verschiedener Singakademie-Zweige im Jahr 1812 ist in Leipzig das gemeinsame Singen von Frauen und Männern im Chor in öffentlichen Kon- zerten eine Ausnahmeerscheinung. Für die gesellschaftliche Akzeptanz von gemischtem Chorgesang spielt die Singakademie mithin eine große Rolle. Neu ist außerdem die Organi- sation im Verein, bei der weite Teile der Verantwortung nicht mehr – wie bei früheren Chö- ren – vom musikalischen Leiter, sondern von einem gewählten Vorstand getragen werden. Das für die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts unbestritten bedeutsame Vereinswesen ist damit in Leipzig von Anfang an auch auf dem Gebiet der Musik vertreten. (4) Für die Frühzeit der Leipziger Singakademien – aus den Quellen ergibt sich, diese Periode bis 1821 anzusetzen – erlauben die Mitgliederlisten der verschieden Singakade- mie-Zweige detaillierte Einblicke in die soziale Struktur der Chöre und ihre Verortung in städtischen Netzwerken. Genealogische und biografische Recherchen sowie Abgleiche mit Daten zu anderen Institutionen und Assoziationen Leipzigs führten zu einer weitgehen- den Charakterisierung der Chöre. Die gewonnenen Ergebnisse und Schlussfolgerungen basieren nicht auf Einzelfällen oder einem allgemeinen Eindruck, sondern wurden anhand klarer Kriterien aus Daten über die Mehrzahl der Sängerinnen und Sänger gewonnen, was schließlich auch das Nachdenken darüber, was ›bürgerliches Musikleben‹ im frühen 19. Jahrhundert ausmacht, auf eine neue empirische Grundlage stellt: (4a) Die frühen Leipziger Singakademien bestehen hauptsächlich aus Kaufleuten, Aka- demikern, Studenten und deren Familienangehörigen. Darunter sind sehr viele junge Men- schen – das Durchschnittsalter liegt unter 30 Jahren – und etwas mehr Männer als Frauen. Auffällig und charakteristisch sind die personellen Querverbindungen zu verschiedenen Kreisen, die für Leipzigs Politik und Kultur im frühen 19. Jahrhundert eine tragende Rolle spielen. Unter den Singakademie-Mitgliedern und ihren Angehörigen sind zahlreiche Mit- glieder der Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten, viele Freimaurer sowie nicht we- nige Personen, die Politik und Verwaltung sowie die Leipziger Universität repräsentieren. Nicht zuletzt fällt besonders im für die ersten Singakademie-Auftritte verantwortlichen Füh- rungspersonal die hohe Dichte an Vertretern der Gewandhaus-Konzertdirektion ins Auge. Zusammenfassung

Mit diesen sozialen Gruppen und Kreisen – Kaufleute, Akademiker und Studenten, Mit- glieder von Gesellschaften und Logen, Ratsmitglieder und Gewandhaus-Direktoren – ist eine städtische Elite identifiziert, deren Vertreter nicht nur das lokale Musikleben gestalten, sondern die sich auch durch gemeinsame ›bürgerliche‹ Werte auszeichnen. Für die tätige Umsetzung dieser Wertvorstellungen, die durchaus mit persönlichen Vorteilen Hand in Hand geht, bieten sich die Singakademien in idealer Weise an: Sie dienen dem im aufkläre- rischen Menschenbild verankerten Bildungsstreben, sie verwirklichen die – zumindest be- hauptete – Gleichheit aller Mitglieder, sie eröffnen beispielhaft Möglichkeiten bürgerlicher Selbstorganisation jenseits staatlicher und kirchlicher Strukturen und sie dienen in Form von Benefizkonzerten dem Gemeinwohl. (4b) Eine spätere Stichprobe zur Mitgliederstruktur aus dem Jahr 1866 zeigt Änderun- gen im Profil der Singakademie. Nach wie vor ist der Chor von Kaufleuten und Akademi- kern dominiert, aber es singen keine Studenten mehr mit. Das Durchschnittsalter ist auf 281 über 30 Jahre gestiegen und im Geschlechterverhältnis überwiegen nun die Frauen. Zwar sind die Vertreter der Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten bzw. deren Angehörige jetzt stärker vertreten als zu Anfang des Jahrhunderts, aber die Beziehungen zur Politik und den Freimaurerlogen sind schwächer geworden; andere Verbindungen, etwa zum Personal der Universität und des Gewandhauses, sind praktisch nicht mehr vorhanden. In diesem Befund spiegeln sich die inzwischen eingetretene Diversifizierung des Musikvereinswesens (Männerchöre, Studentenchöre, Instrumentalmusikvereine) und die Konkurrenz durch andere gemischte Chöre. Auch die Professionalisierung des Musikbetriebs bewirkt eine stärkere Trennung von Berufsmusikern und Laien. Das führt insgesamt zu einer Homo- genisierung der Mitgliederstruktur der einzelnen Vereine. Andererseits spielen Faktoren eine Rolle, die für die Leipziger Singakademie spezifisch sind, etwa die Trennung vom Ge- wandhaus 1861. (5) Wie die Aussagen zu den Mitgliedern fußen auch die Erkenntnisse zum Repertoire der Leipziger Singakademie auf einem eigens erhobenen Datenbestand. Das mit Quellen- vermerken versehene Auftrittsverzeichnis basiert auf einer breiten Auswertung von Archi- valien, Zeitschriften und Sekundärliteratur. Im Gegensatz zu anderen für Leipzig vorlie- genden Repertoirestudien wurde hier erstmals Wert auf die Ermittlung der ausführenden Chöre gelegt, so dass das Verzeichnis auch über andere Chorvereine Auskunft gibt, mit denen die Singakademie kooperiert, etwa den Thomanerchor, den Universitätsgesangver- ein zu St. Pauli, den Leipziger Männerchor und viele mehr. Der Datenbestand umfasst einen Zeitraum von über 150 Jahren und über 400 Auftritte, an denen die Singakademie beteiligt ist. Zu seiner Auswertung wurden einzelne Konzertreihen sowie bestimmte Zeit- räume isoliert betrachtet: (5a) Ganz im Sinne der ›bürgerlichen‹ Wertvorstellungen, für die die Singakademie am Anfang des 19. Jahrhunderts steht, dominieren unter ihren öffentlichen Auftritten zu- nächst Benefizkonzerte. An zwei Benefizkonzertreihen des Gewandhauses ist sie, neben anderen Chören, von 1814/15 bis 1860 regelmäßig beteiligt. Es sind zum einen die Konzerte zum Besten der Armen, eine Tradition, die schon auf Johann Adam Hillers Musikübende Fazit

Gesellschaft und das Jahr 1778 zurückgeht, zum anderen die Konzerte zum Besten des Or- chesterpensionsfonds. An einer dritten Konzertreihe wirkt die Singakademie von 1830 bis 1861 fast ausnahmslos mit: die Karfreitagskonzerte in der Universitätskirche (später in der Thomaskirche), eine von Christian August Pohlenz begründete Reihe von Passionskonzer- ten. Deren Beginn konnte, anders als bisher angenommen, schon für 1825 nachgewiesen werden. (5b) Das von der Singakademie gesungene Repertoire lässt sich nach Kriterien wie geist­lich/weltlich, ›ältere‹/›neuere‹ Musik oder Großform/Kleinform (z. B. Oratorium/ Lied) strukturieren. Die Ergebnisse solcher Analysen, die teils für die gesamte untersuchte Zeit, teils für einzelne Phasen unternommen wurden, verweisen auf eine komplexe Über- schneidung verschiedener das Repertoire beeinflussender Faktoren. Das Datenmaterial der Auftritte lässt hierzu einige Thesen plausibel erscheinen, bietet aber gleichzeitig zu jeder These mindestens ein Gegenbeispiel. Die bisher schon bekannte Darstellung, dass die Sing- 282 akademie im 19. Jahrhundert in Leipzig für die weltliche Musik zuständig sei, konnte zwar generell bestätigt werden, dennoch finden sich zahlreiche Kirchenmusikwerke im Kern- repertoire: Die Kunstreligion Musik bedient sich nicht nur weltlicher Werke. Auch der Be- fund, dass die Vokalmusik des Barock in der Singakademie selten gepflegt wird und dass sich andere Leipziger Chorvereine finden, diese Repertoirelücke zu füllen, darf nicht dar- über hinwegtäuschen, dass die Singakademie trotzdem immer wieder bestimmte Werke Bachs und Händels singt. Die Gründe hierfür liegen teilweise in der Einbettung in die oben beschriebenen Konzerttraditionen (z. B. die Matthäuspassion im Karfreitagskonzert), teil- weise in der Kanonisierung, die Werke wie den Messias – oder zumindest Ausschnitte dar- aus – zum Standardrepertoire aller Oratorienvereine werden lässt. Darüber hinaus erklären sich viele Entwicklungen des Repertoires durch institutionelle Anbindungen, etwa ans Ge- wandhaus, stehen in direktem Zusammenhang mit wirtschaftlichen Erwägungen – beliebte Werke sorgen für hohe Einnahmen an der Konzertkasse – oder sind dem künstlerischen Interesse der jeweiligen Dirigenten zu verdanken. So kommen kurz vor der Gründung der DDR auf Betreiben des Singakademie-Chorleiters Friedrich Rabenschlag noch große Auf- führungen geistlicher chorsinfonischer Werke zustande und die Säkularisierung des Reper- toires setzt erst nach Rabenschlags Weggang ein. (6) Die Rolle der Singakademie als einer von mehreren mitwirkenden Chören in den Gewandhaus-Abonnementkonzerten von 1847 bis 1861 bildete den Anlass, das bisher in der Sekundärliteratur vernachlässigte Thema der Chormusik am Gewandhaus vor der Gründung des Gewandhauschores genauer auszuleuchten. Neue Ergebnisse hierzu sind: Während im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts noch ein von Johann Gottfried Schicht engagierter Chor aus Schülern und Studenten dort zu hören ist, übernimmt in der Fol- gezeit wieder ausschließlich der Thomanerchor die Ausführung aller Chorpartien in den Abonnementkonzerten. In den Extrakonzerten, Armen- und Pensionsfondskonzerten ist eine Verstärkung durch andere Chöre hingegen längst üblich, als in den 1840er Jahren die Praxis beginnt, für ›größere‹ Chorauftritte in den Abonnementkonzerten weitere ›Dilettan- ten‹ hinzuzuziehen. Unter diesen sind, so zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1841, nicht wenige Zusammenfassung

Singakademie-Mitglieder. Verstetigt wird dieses Verfahren schließlich 1847, von da an singt die Singakademie regelmäßig zusammen mit dem Universitäts-Gesangverein zu St. Pauli und den Thomanern in den Abonnementkonzerten mit ›größeren‹ Chorauftritten. (7) Die anschließend ab 1861 einsetzende Unabhängigkeit der Leipziger Singakademie zeigt einerseits die ›Normalität‹ eines städtischen Oratorienvereins in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: regelmäßige Auftritte, Kooperationen mit verschiedenen anderen Chören und Orchestern, Konzentration auf ein bestimmtes Repertoire (im Falle der Sing- akademie Schwerpunkte auf Haydn, Mendelssohn und Schumann). Andererseits begin- nen in dieser Zeit Probleme, die sich bis ins zwanzigste Jahrhundert fortsetzen und zu einem langsamen Bedeutungsverlust des Vereins führen: Die Singakademie geht aus der Konkurrenz mit anderen Leipziger Chören um Sängerinnen und Sänger, um Konzertter- mine und städtische Fördergelder immer öfter als Verlierer hervor. Nach 1910 werden die wirtschaftlichen Probleme akut, was teils an der progressiven Repertoiregestaltung Gustav 283 Wohlgemuths liegt, dessen zahlreiche Aufführungen neuer Werke das Publikum anschei- nend vertreiben. Auswirkungen des Ersten Weltkrieges und neue Konkurrenz durch die in- zwischen äußerst erfolgreichen Arbeiterchöre sowie fortdauernde Geldprobleme schränken in der Nachkriegszeit das Wirken der Singakademie wesentlich ein. Strategien, mit denen der Chor seine Existenz sichert, sind die Kooperation mit dem Leipziger Männerchor, die Einführung neuer Konzerttermine zur Frühjahrs- und Herbstmesse sowie die Akquise von Fördergeldern und Spenden. (8) Auch in den beiden deutschen Diktaturen ändert sich im Prinzip nichts an der marginalen Rolle, welche die Singakademie im lokalen Chorwesen seit den 1920er Jahren spielt. Schnelle Dirigentenwechsel und relativ wenige Auftritte kennzeichnen die Zeit nach dem Tod Gustav Wohlgemuths bis zur Auflösung des Chores 1967 im Allgemeinen. Dass in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Repertoire und Auftrittsgelegenheiten nicht viele regimekonforme Tendenzen ausgemacht werden konnten, spricht nicht etwa für eine widerständige Rolle des Chores, sondern bestätigt eher die geringe Bedeutung der Singakademie in dieser Zeit. Welchen Überwachungen und Repressionen ein Chorverein ausgesetzt war, bei dessen Mitgliedern tatsächlich (und mit Recht) eine oppositionelle Hal- tung vermutet wurde, konnte anhand der Neuen Leipziger Singakademie gezeigt werden. Dieser Chor hatte die ehemaligen Mitglieder eines Arbeiterchores, der Leipziger Volkssing- akademie, aufgenommen. Hervorzuheben ist schließlich der kulturpolitische Druck in der Frühzeit der DDR, der die Singakademie zur immer neuen Anbindungen an verschiedene Dachorganisationen zwingt, der bei der Trennung von den Singakademie-Dirigenten Ra- benschlag und Knape eine Rolle spielt – Rabenschlag wird mit Verweis auf seine nicht aus- reichend ›fortschrittliche‹ Musikauswahl gekündigt, Knape siedelt in die BRD über – und der sich schließlich auch im gesungenen Repertoire niederschlägt. Fazit

11.2 Perspektiven

Es konnten, wie gesagt, eine Reihe von Fragen im Verlauf dieser Arbeit nicht oder nicht aus- reichend geklärt werden. Hier wären Anschlussmöglichkeiten für zukünftige Forschungen. Zunächst seien die im engeren Sinne historiografischen und institutionsgeschicht- lichen Desiderate benannt: Die hier vorgelegte Darstellung der Geschichte der Leipziger Singakademie im 20. Jahrhundert basiert in weiten Teilen auf Material aus zweiter Hand, d. h. auf Akten anderer Vereine und auf veröffentlichten Büchern und Zeitschriften. Die städtischen und staatlichen Akten, die die Leipziger Singakademie betreffen, sind äußerst schmal. Sollte in der Zukunft doch noch das eigene Vereinsarchiv der Singakademie auf- tauchen, das es sicherlich einmal gegeben hat, so wären die bisherigen Ergebnisse auf den Prüfstand zu stellen. Die Auswertung des in der Leipziger Stadtbibliothek verwahrten Notenbestands der 284 Leipziger Singakademie hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Es bietet sich an, diese Notensammlung zu Fragen der Überlieferungsgeschichte und Aufführungspraxis der Leip- ziger Singakademie weiter zu erforschen. Der Bestand ist im Anhang kurz beschrieben und sein Inhalt verzeichnet.713 Zu anderen Leipziger Chorvereinen wären noch weitere Einzelstudien wünschenswert, um einen Vergleich mit der Singakademie und auch überregionale Vergleiche zu ermög- lichen. Die Anfänge sind gemacht beim Akademischen Gesangverein Arion, beim Gewand- hauschor, beim Leipziger Männerchor, bei Otto Didams Chören in der NS-Zeit sowie beim Leipziger Universitätschor.714 Festschriften und Akten sind für viele weitere Chorvereine vorhanden. Sicherlich ist nicht bei jedem Chor eine Detailstudie gerechtfertigt, aber min- destens zum Universitätsgesangverein zu St. Pauli sowie zu Riedel- und Bachverein wären weitere Forschungen lohnend. Auch zur Arbeitersängerbewegung in Leipzig stammt die meiste Literatur aus der DDR und wäre neu zu bewerten.715 Ein Zentrum dieser Arbeit bildeten Überlegungen zur Mitgliederstruktur der Leipzi- ger Singakademie, zu personellen Querverbindungen mit anderen Assoziationen und zu den Mechanismen, durch die sich hier zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine ›bürgerliche‹, städtische Elite konstituiert. Vielversprechend wären hieran anschließende Forschungen zu den Mitgliedern anderer Assoziationen und Zirkel Leipzigs. Hier bieten sich zunächst die weiteren Chor- und Orchestervereine zur Untersuchung an, besonders der Männerchor Liederhalle, der Universitäts-Gesangverein zu St. Pauli und der Orchesterverein Euterpe; in der zweiten Jahrhunderthälfte dann die Konkurrenten der Singakademie: Riedelverein, Ge- wandhauschor und Bachverein. Auf lokaler Ebene ließe sich überprüfen, inwieweit sich

713 Siehe Anhang 12.6.5: Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm). 714 Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion; Langner, Der Gewandhauschor; Schinköth, »Chöre und Chormusik«; Bärwald, »Der Leipziger Universitätschor«. 715 Lippold, Die Lichtschen Chöre; Lippold, Kunst im Arbeiterleben; Pezold, »Zur Geschichte der Leipziger Volkssingakademie«. Perspektiven die Thesen von der Diversifierung des Musikvereinswesens und der Homogenisierung einzelner Vereine auch bei anderen Gruppierungen bestätigen lassen. Es wäre zu fragen, ob auch dort persönliche Beziehungen der Mitglieder und Chorleiter in Zusammenhang stehen mit Auftrittsgelegenheiten, Kooperationspartnern, institutionellen Anbindungen und nicht zuletzt dem Repertoire. So ließe sich das Netzwerk des Leipziger Musiklebens tiefgehender verstehen. Derartige Forschungen sind natürlich nur möglich, wenn auch Mit- gliederlisten vorhanden sind, was zunächst im Einzelfall zu eruieren wäre. Verschiedenste Untersuchungsansätze sind hier denkbar, etwa der Vergleich zweier direkt konkurrierender Vereine über einen längeren Zeitraum oder eine Querschnittstudie durch möglichst viele, auch nichtmusikalische, Vereine zu einem bestimmten Zeitpunkt. Je nach Konzept wäre auch die Form der Dokumentation zu überdenken. Die wachsenden Datenmengen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts – die Anzahl der Vereine, die Mitgliederzahlen und die Stadtbevölkerung überhaupt steigen tendenziell an – sprechen eher für eine Datenbank als 285 für eine Reihe von Biogrammen. In einem nächsten Schritt könnte der überregionale Vergleich der sozialen Zusammen- setzung von Chorvereinen beginnen. Sind die zahlreichen im deutschsprachigen Raum vor- handenen Singakademien alle ähnlich besetzt? Gibt es Muster, die einen Zusammenhang zwischen dem gesungenen Repertoire und der sozialen Herkunft der Mitglieder nahele- gen? Wo liegen die regionalen Unterschiede in der Funktion solcher Chorvereine bei der städtischen Elitenbildung? Wieder gilt, dass zuverlässiges Datenmaterial, auf dessen Basis solche Fragen beantwortet werden könnten, zunächst erst erstellt werden müsste und diese Möglichkeit wiederum vom Vorhandensein von Mitgliederlisten und ausreichenden weite- ren Recherchemöglichkeiten abhängt, um den Mitgliedern wenigstens einen Beruf zuord- nen zu können. Grobe Einschätzungen zur sozialen Herkunft liegen für Musikvereine ver- schiedener Städte zwar vor, etwa von Andreas Schulz über Karlsruhe, Köln und Bremen,716 aber diese beruhen größtenteils auf Zeitzeugenberichten, wären also auf ihre Haltbarkeit zu prüfen. Auf dem Gebiet der Repertoireforschung teilen sich die Desiderate gleichfalls in lo- kale und überregionale. Für das Leipziger Musikleben drängt sich zunächst die Frage nach dem Repertoire der zahlreichen anderen Chöre auf. Die aufschlussreiche Repertoirestudie von Bert Hagels717 endet leider mit der Saison 1847/48, also bevor die Welle an Chorgrün- dungen in Leipzig ihren Höhepunkt erreicht. Bei den Recherchen für das Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Singakademie fiel auf, dass auch Konzerte vieler anderer Leipziger Chöre regelmäßig in den Musikzeitschriften besprochen werden, so dass hier in Zusam- menhang mit den vorhandenen Festschriften und Akten der Vereine vermutlich erfolgreich weitere Repertoiredaten erhoben werden könnten. Zahlreiche produktive Fragestellungen würden sich anschließen. Allgemeine Aussagen über die Repertoire-Aufteilung unter den

716 Schulz, »Der Künstler im Bürger«, S. 40–41. 717 Hagels, Konzerte in Leipzig. Fazit

gemischten Chören Leipzigs718 – der Bachverein singt vor allem Bach, der Riedelverein äl- tere Kirchenmusik, die Singakademie ist für Musik des 19. Jahrhunderts zuständig – ließen sich so belegen oder hinterfragen. Die Positionierung verschiedener Leipziger Konzertver- anstalter in ästhetischen Debatten, wie etwa um die Neudeutsche Schule, ließe sich ebenso an der tatsächlichen Unterstützung bestimmter Werke und Komponisten durch Auffüh- rungen messen. Über das Vereinswesen hinausgehende Untersuchungen zu etwaigen Konkurrenzverhältnissen oder Ergänzungen zu den Programmen des Gewandhauses oder des Thomanerchors böten sich an, um ein historisches Repertoire am Beispiel Leipzigs in seiner ganzen Breite zu verstehen.719 Eine mit ähnlichen Methoden operierende überregionale Repertoireforschung kann sich schließlich nicht nur systematisch der Rezeption verschiedener Gattungen und Werke in Deutschland, Europa und der Welt widmen, sondern könnte ganz konkret die für Leipzig dargelegte Situation mit anderen musikalischen Zentren des 19. Jahrhunderts vergleichen. 286 Um allein den Umfang des Phänomens ›Singakademie‹ in Europa zu skizzieren, sind im Folgenden die gleichnamigen Vereine in einigen Städten und ihre Gründungsdaten zusam- mengestellt. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern basiert auf den in Bibliotheken zugänglichen Festschriften verschiedener Singakademien. Mit Aus- nahme eines Sammelbandes über die Singakademie zu Berlin720 liegen zu den anderen hier genannten Vereinen keine wissenschaftlichen Publikationen vor. Genannt ist jeweils das Gründungsjahr, der Ort und als Referenz die jüngste Festschrift. Nicht alle Vereine hießen von ihrer Gründung an ›Singakademie‹. Das Gründungsdatum ist jeweils der Selbstdarstel- lung der Vereine entnommen, ohne es im Einzelnen zu überprüfen: 1791 Berlin721 1802 Leipzig722 1807 Dresden723 1809 Brandenburg an der Havel724 1815 Frankfurt (Oder)725

718 Etwa bei Loos, »Leipzig, die bürgerliche Musikstadt«, S. 190. 719 Für den Abgleich mit Gewandhausprogrammen bietet sich bekanntermaßen Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, an, für das Repertoire des Thomanerchors eine jüngst begonnene Datenbank, vgl. Loos u. a., »Untersuchungen zum Repertoire«. 720 Gottfried Eberle/Michael Rautenberg (Hrsg.), Die Sing-Akademie zu Berlin und ihre Direktoren, Berlin 1998. 721 Eberle, 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin. 722 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie. 723 Theodor Seemann, Geschichte der Dreyssig’schen Singakademie in Dresden. Zur 75-jährigen Jubelfeier der- selben (6. März 1882), Dresden 1882. 724 Otto Tschirch/Oskar Kalisch, Festschrift zur Jahrhundertfeier der Steinbeckschen Singakademie (24. Febr. 1809–24. Febr. 1909), Brandenburg a. H. 1909. 725 Singakademie Frankfurt (Oder) (Hrsg.), Singakademie Frankfurt (Oder), gegründet 1815, Frankfurt (Oder) 1995. Perspektiven

1817 Chemnitz726 1818 Erfurt,727 Danzig (heute Gdańsk, Polen),728 Rostock729 1821 Dessau730 1825 Breslau (heute Wrocław, Polen)731 1828 Jena732 1831 Mainz733 1833 Halle (Saale)734 1853 Altona (heute zu Hamburg)735 1858 Wien736 1877 Brieg (heute Brzeg, Polen)737 1880 Ratibor (heute Racibórz, Polen)738 1922 Frankfurt am Main739 287 Schon dieser kleine Ausblick deutet an, welche weiteren Singakademien es – je nach lokalen Quellenbeständen – zu untersuchen gäbe. Dazu kämen selbstverständlich weitere Chöre und Musikvereine, die unter anderen Namen firmieren. Im Sinne der vorgestellten Perspektiven versteht sich die vorliegende Arbeit als Bei- trag zu einer auf zuverlässigem Datenmaterial aufgebauten musikalischen Institutionen-, Sozial- und Repertoireforschung.

726 Oscar Tetzner, Festschrift zur 75. Jubelfeier der Singakademie zu Chemnitz am 31. Oktober 1892, Chemnitz 1892. 727 Helga Brück, Viva la musica in Erfordia. 1818–1968. Erfurter Musikverein und Singakademie, Erfurt 1992. 728 Kurt Siebenfreund, Hundert Jahre Danziger Singakademie 1818–1917. Denkschrift zur Feier des 100jähri- gen Bestehens der Danziger Singakademie (E. V.) am 15./16. Dez. 1917, Danzig 1917. 729 Gerd Puls, Gelobet seist du jederzeit, Frau Musika. Die Geschichte der Rostocker Singakademie (Kleine Schriftenreihe des Archivs der Hansestadt Rostock 12), Rostock 2002. 730 Ernst Wickenhagen, Geschichte der Dessauer Singakademie 1821–1921, Dessau 1921. 731 Carl Partsch, Festschrift zur 100 Jahrfeier der Breslauer Singakademie, Breslau 1925. 732 Singakademie (Hrsg.), Singakademie Jena. Zentraler Chor der Gewerkschaft Wissenschaft 1828–1978, Jena 1978. 733 Klaus Damian/Mainzer Singakademie e. V. (Hrsg.), Mainzer Singakademie e. V., ehemals Mainzer Lieder- tafel und Damengesangverein von 1831. Die Jahre 1831–2006. 175 Jahre Geschichte und Arbeit für die Musik und Kultur in Mainz. Ein chronologischer Abriß, Mainz 2006. 734 Robert-Franz-Singakademie (Hrsg.), Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Robert-Franz-Singakade- mie Halle (Saale), Halle (Saale) 1964. 735 Ingrid Samsche-Stehr/Ralph Elzholz, Der Chor. Die Altonaer Singakademie in der Geschichte und auf dem Weg in die Zukunft, Hamburg 2003. 736 Wiener Singakademie (Hrsg.), 100 Jahre Wiener Singakademie 1858–1958, Wien 1958. 737 Paul Busse, Festschrift zum fünfzigjähr. Jubiläum (Geschichte der »Brieger Singakademie« 3), o. O. 1927. 738 Ludwig Jüngst, Festschrift zur 50-Jahrfeier der Singakademie Ratibor, Ratibor 1930. 739 Albert Mohr, Die Frankfurter Singakademie 1922–1972. Eine Chronik, Frankfurt a. M. 1972. Anhang

12 Anhang

12.1 Abkürzungen

12.1.1 Zeitungen und Zeitschriften AmZ Allgemeine musikalische Zeitung, Leipzig, 1–50 (1799–1848); Neue Folge (NF) 1–3 (1863–1865); Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung 1–3 (1866–1868); ab Jg. 4 (1869) wieder: Allgemeine musikalische Zei- tung. Erscheinen eingestellt mit Jg. 17 (1882). 288 LAmZ Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung, siehe AmZ. LKTV Leipziger Konzert-, Theater- und Verkehrsblatt. Mitteilungen des Gewand- hauses, der Städtischen Theater und des Verkehrs-Vereins, Leipzig 1924– 1941; ab Jg. 8 (1931/32): Leipziger Vorschau. Wochenschrift für Verkehr, Kultur und Wirtschaft; ab Jg. 11 (1934/35): Leipziger Beobachter. Wochen- schrift für Verkehr, Kultur und Wirtschaft. LNN Leipziger neueste Nachrichten. Vormals Leipziger Nachrichten; ab 1912: Leipziger neueste Nachrichten und Handelszeitung. Vormals Leipziger Nachrichten, Leipzig 1892–1945. LVZ Leipziger Volkszeitung, 1894–1933 und seit 1946. MW Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Leip- zig 1870–1910 (seit Oktober 1906 vereinigt mit der Neuen Zeitschrift für Musik). MuG Musik und Gesellschaft. Eine Monatsschrift, hrsg. vom Verband Deut- scher Komponisten und Musikwissenschaftler, Berlin (Ost) 1951– 1990. Musik Die Musik. Illustrierte Halbmonatsschrift, Berlin und Leipzig 1901–1943. NZfM Neue Zeitschrift für Musik, seit 1834. Philharmonie Philharmonie. Arbeitsgemeinschaft Leipziger Männerchor/Leipziger Sing- akademie (1802). Mitteilungen, Leipzig, April 1954–Juli 1956 (erste Ausgabe April 1954 noch ohne den Titel Philharmonie, Jahrgänge 1954 und 1955 meist unpaginiert, hier dennoch mit Seitenzahlen von 1 bis 4 zitiert); ab Oktober 1956 fortgesetzt als: Leipziger Männerchor. Mit- teilungen. Signale Signale für die musikalische Welt, anfangs Leipzig, später Berlin 1843– 1941. Union Die Union. Tageszeitung für die Region Leipzig, Halle 1950–1992. ZeW Zeitung für die elegante Welt, Berlin 1801–1844, 1848–1859. Abkürzungen

Bei folgenden Zeitungen und Zeitschriften war die Einführung von Abkürzungen nicht nötig, weil sie nur einmalig referiert werden:

Allgemeine Zeitung Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg Hannoversche Allgemeine Zeitung Historische Sozialforschung Leipziger Kunstblatt für gebildete Kunstfreunde Mitteldeutsche Neueste Nachrichten Musikalisch-kritische Bibliothek National-Zeitung Neue Leipziger Tageszeitung Sächsische Neueste Nachrichten 289 Sächsisches Tageblatt Die Zeit

Die benutzten Zeitungen und Zeitschriften sowie einzelne hieraus zitierte Artikel werden im Literaturverzeichnis nicht nochmals angeführt.

12.1.2 Häufiger zitierte Nachschlagewerke ADB Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wis- senschaften (Hrsg.), Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., Leip- zig 1875–1912. Altmann Wilhelm Altmann (Hrsg.), Kurzgefaßtes Tonkünstlerlexikon. Für Mu- siker und Freunde der Musik, 14., stark erweiterte Aufl., Regensburg 1936. Baker’s Nicolas Slonimsky (Hrsg.), Baker’s Biographical Dictionary of Musici- ans, Seventh Edition, New York 1984. LAB [+Jahreszahl] Leipziger Adressbuch. Als exakte Titel kommen im betreffenden Zeit- raum vor: Leipziger Adreß-, Post- und Reise-Kalender auf das Jahr Christi [1752–1814], in welchem die bey dem Churfürstl. Sächsischen Gouverne- ment, sämmtlichen Collegiis und Expeditionen, Universität, Stadtmagist- rat, geistl. Ministerio, der Kaufmannschaft, Innungen etc. stehende Perso- nen, nebst mehreren Nachrichten befindlich sind; Leipziger Adreßkalender auf d. Jahr [1815–1829] und Leipziger Adreß-Buch für [1866]. MGG1 Friedrich Blume (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. All- gemeine Enzyklopädie der Musik, 17 Bde., Kassel etc. 1949–1979. MGG2 Ludwig Finscher (Hrsg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. Ausgabe, 26 Bde., Kassel etc. 1994–2008. Anhang

Moritzkartei D-LEsta, 21959: Kartei Leipziger Familien. NDB Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wis- senschaften (Hrsg.), Neue Deutsche Biographie, 25 Bde., Berlin 1953– 2013. Polizeimeldebücher D-LEsa, PoA, Nr. 29–114: Verzeichnisse der Bleibenden Einwohner der Stadt Leipzig (Nr. 29–36 für die Jahre 1811–13; Nr. 37–47 für die Jahre 1814–31; Nr. 48–70 für die Jahre 1832–1854; Nr. 71–114 für die Jahre 1855–1875). Prieberg Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-ROM, Version 1.2, Auprès des Zombry 2004. UMD Christiane Arnhold u. a., »Leipziger Universitätsmusikdirektoren, Universitätsorganisten und Universitätskantoren«, in: 600 Jahre Mu- sik an der Universität Leipzig. Studien anlässlich des Jubiläums, hrsg. 290 von Eszter Fontana, Wettin, OT Dößel 2010, S. 419–444.

12.1.3 Querverweise auf Personeneinträge im Anhang Für die drei biografischen Teile des Anhangs gilt folgendes System von Querverweisen:

↗ Personeneintrag in Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakade- mie(n) von 1802 bis 1967.

↑ Personeneintrag in Anhang 12.3: Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwi- schen 1802 und 1821.

↓ Personeneintrag in Anhang 12.4: Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866.

12.1.4 Abkürzungen im Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Singakademie(n) Im Anhang 12.5 (Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n)) werden in den Spalten »Ort«, »Anlass«, »Mitwirkende« und »Werke« die folgenden spezifischen Abkürzungen für einige Institutionen und andere häufiger auftauchende Begriffe eingesetzt:

106er Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 106 107er Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 107 134er Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 134 Arion Akademischer Gesangverein Arion, gegründet 1849 Arr. Arrangement DOV Dilettanten-Orchesterverein, bestand 1858–1890 Euterpe Orchesterverein Euterpe, bestand 1824–1886 Abkürzungen

EA Erstaufführung FCh Frauenchor GCh gemischter Chor GWH Gewandhaus. Steht »GWH« in der Spalte »Ort«, ist immer der große Konzertsaal des Gewandhauses gemeint. »GWH-Orch« steht verall- gemeinernd für das Gewandhausorchester. Auch wenn das Orches- ter sich zu Beginn der hier behandelten Zeitspanne noch nicht so nannte, sondern in den Quellen von »Konzertorchester«, »Theater- orchester« oder später auch »Stadtorchester« die Rede ist, und damit durchaus eine Binnengliederung des Klangkörpers angesprochen ist, wurde der Übersichtlichkeit halber vereinheitlicht. GV [+ Eigenname] Gesangverein Hellas Männergesangverein Hellas, gegründet 1857 291 Klav Klavier LMC Leipziger Männerchor, gegründet 1891 LSA Leipziger Singakademie LUC Leipziger Universitätschor, gegründet 1938 MCh Männerchor Merkur Männergesangverein Merkur, gegründet 1858 MGV Männergesangverein, gegründet 1843 Ossian Gemischter Gesangverein Ossian, gegründet 1846/47 Orch Orchester Orpheus Gemischter Gesangverein Orpheus, gegründet 1829 Pauliner Universitätsgesangverein zu St. Pauli, gegründet 1822 UA Uraufführung Xenia Gemischter Gesangverein Xenia, gegründet 1864 Zoo Gesellschaftshaus des Zoologischen Gartens. Der Große Saal wurde am 29. September 1900 eröffnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zur Kongresshalle umgebaut.740

740 Zur Geschichte des Hauses siehe Mustafa Haikal/Thomas Nabert, Kongreßhalle Leipzig. Die wechsel- volle Geschichte eines traditionsreichen Gesellschaftshauses, hrsg. vom Zoo Leipzig und Pro Leipzig, Leipzig 2011. Anhang

12.2 Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

12.2.1 Vorbemerkung Im folgenden Verzeichnis werden die wesentlichen biografischen Daten zu den Direktoren bzw. musikalischen Leitern der Leipziger Singakademie zusammengefasst. Die 24 Kurz- biografien sind chronologisch nach der Abfolge der Amtszeiten geordnet und über ein Verzeichnis erschlossen. Eine Übersicht der Namen und Amtszeiten bietet auch Tabelle 6 (S. 137). Die einzelnen Einträge sind nach folgendem Schema aufgebaut: Name, Lebens- daten, Zeitraum der Singakademie-Direktion, Kurzbiografie, benutzte Quellen. Die letzte Rubrik enthält ggf. auch Hinweise auf Stellen, wo weitere Literatur, Werke und Quellen ver- zeichnet sind. Quellennachweise werden teilweise abgekürzt wiedergegeben, die verwen- deten Abkürzungen sind in den Anhängen 12.1.1 (Zeitungen und Zeitschriften) und 12.1.2 292 (Häufiger zitierte Nachschlagewerke) aufgeschlüsselt. Bei den Nachweisen wurde auf die Angabe einer Seitenzahl verzichtet, wenn es sich um alphabetisch geordnete oder durch ein Personenregister erschlossene Nachschlagewerke handelt. Der Umfang an Sekundärliteratur zu den hier aufgeführten Personen wird schmaler, je näher man der Gegenwart kommt. Das Leben und Schaffen der ersten Singakademie- Chorleiter im frühen 19. Jahrhundert ist zum Beispiel in der Forschung zum Gewandhaus- orchester und zur Musik an der Thomaskirche gut dokumentiert. Die Biografien von Män- nern wie Johann Gottfried Schicht und Friedrich Schneider müssen hier nicht ausführlich nacherzählt werden, sie finden sich problemlos etwa in MGG2, ADB und NDB. In diesen Nachschlagewerken ist auch reichlich weiterführende Literatur angegeben. Bei den weniger prominenten Chorleitern der Singakademie hingegen, besonders denen des 20. Jahrhun- derts, ist bis jetzt in der Fachliteratur wenig zu finden. Zum Leben und Schaffen dieser Per- sonen wurden für das vorliegende Verzeichnis zumindest grundlegende Informationen aus verschiedenen Quellen zusammengetragen. Die hier zusammengefassten Lebensbeschrei- bungen erheben also keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit. Bei der Auswahl der dargestellten Fakten wurde vor allem Wert auf das Wirken der Personen in Leipzig gelegt sowie auf die Darstellung eventueller Lehrer-Schüler-Verhältnisse und anderer Beziehun- gen zu den weiteren Chorleitern oder Mitgliedern der Singakademie. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

12.2.2 Verzeichnis Schicht, Johann Gottfried 294 Riem, Wilhelm Friedrich [auch: Friedrich Wilhelm] 295 Schneider, Friedrich (Johann Christian Friedrich) 296 Schulz, Johann Philipp Christian 297 Pohlenz, Christian August 298 Richter, Ernst Friedrich (Ernst Friedrich Eduard) 298 Rietz, Julius (Julius Wilhelm August) 299 David, Ferdinand (Ferdinand Ernst Victor Carl) 300 Bernuth, Julius von 301 Claus [Clauss, Klaus], Carl [Karl] 301 Kretzschmar, Hermann (August Ferdinand Hermann) 302 Richter, Alfred (Ernst Friedrich Alfred) 303 293 Reinecke, Carl (Carl Heinrich Carsten) 303 Hofmann, Richard (Richard Eduard) 304 Müller, Richard 305 Klengel, Paul (Paul Friedrich Moritz) 306 Winderstein, Hans (Hans Wilhelm Gustav) 307 Wohlgemuth, Gustav 307 Meyer-Ambros, Franz (Franz Hermann Ambrosius) 309 Stieber, Hans (Hans Albert Oskar) 309 Rabenschlag, Friedrich 310 Knape, Walter 311 Richter, Gerhard 314 Säubert, Werner 314 Anhang

12.2.3 Biogramme

Schicht, Johann Gottfried *29.9.1753 in Reichenau bei Zittau (heute Bogatynia, Polen) †16.2.1823 in Leipzig Mitgründer und Direktor der Ersten Schicht’schen Singakademie vom 16.6.1802 (erste Probe/ Gründung) bis zum 3.3.1804 (letzte Probe/Auflösung) Mitgründer und Direktor der Zweiten Schicht’schen Singakademie vom 6.5.1812 (erste Probe/ Gründung) bis ins Jahr 1816 (Übergabe an Friedrich Schneider vor dem 16. Juni) Johann Gottfried Schicht erhält in Zittau ersten Klavier-, Orgel- und Gesangsunterricht bei dem Bach-Schüler Johann Trier. Im Jahr 1776 bezieht er die Universität Leipzig zum Ju- rastudium, bald darauf beginnt er im Großen Konzert Violine und Cembalo/Fortepiano zu spielen (ab 1781 weiter in dessen Nachfolge-Institution, dem Gewandhausorchester). 294 1785 wird er als Nachfolger Johann Adam Hillers, in dessen Musikübender Gesellschaft er ebenfalls musiziert hatte, zum Gewandhauskapellmeister und Musikdirektor der Neukir- che (Matthäikirche). Schicht gründet im Jahr darauf einen bis 1810 bestehenden Singverein aus Knaben und Studenten für die Aufführung von Chormusik im Gewandhaus und in der Neukirche; dort singen als Schüler ↗Johann Philipp Christian Schulz und ↑Amadeus Wendt.741 Er heiratet am 30.7.1786 Constanza (Constanza Alessandra Ottavia) Valdesturla, Tochter des Haushofmeisters zu Pisa, die von 1785 bis zu ihrem Tode 1809 als Sängerin am Gewandhaus engagiert ist. Das Paar hat vier Kinder, von denen nur eines, ↑Henri- ette Schicht, das Erwachsenenalter erreicht. Johann Gottfried Schicht wird 1809 (nicht, wie in MGG2 angegeben, 1808) zum Nachfolger Johann Georg Häsers (Vater von ↑Charlotte Häser) als Leipziger Universitätsmusikdirektor ernannt. Als er 1810 in Nachfolge August Eduard Müllers zum Thomaskantor berufen wird, gibt er seine Ämter als Universitätsmu- sikdirektor, Gewandhauskapellmeister und Musikdirektor der Neukirche auf. Am Gewand- haus wird ↗Johann Philipp Christian Schulz sein Nachfolger. Johann Gottfried Schicht bleibt Thomaskantor bis zu seinem Tod. Schicht ist Mitglied des Organisationskomitees für das Benefizkonzert beider Singakademien am 18. Oktober 1814. Zu seinen Schülern zählen spätere Kantoren, Komponisten und Kapellmeister wie etwa ↑August Ferdinand Anacker, ↑Ernst Anschütz, , ↑Carl Gottlieb Reißiger, ↗Friedrich Schneider, ↗Johann Philipp Christian Schulz und Carl Friedrich Zöllner. Als Komponist tritt Schicht vor allem mit geistlicher und weltlicher Vokalmusik hervor, die nicht zuletzt durch die Sing- akademie und den Thomanerchor zur Aufführung gebracht wird. Den Text zu seinem er- folgreichsten Werk, dem Oratorium Das Ende des Gerechten, dichtet ↑Friedrich Rochlitz. Quellen: Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester; MGG2 (mit falschen Angaben zur Sing- akademie-Leitung; hier auch weitere Literatur); Moritzkartei; UMD (mit lückenhaften An- gaben zur Singakademie-Leitung).

741 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 46. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Riem, Wilhelm Friedrich [auch: Friedrich Wilhelm] *17.12.1779 in Kölleda †20.4.1857 in Bremen Gründer und Direktor der Ersten Riem’schen Singakademie von 1805 (Gründung) bis Frühjahr 1806 (Auflösung) Gründer und Direktor der Zweiten Riem’schen Singakademie von 1812 (Gründung vor dem 6. Mai) bis zum 9.8.1814 (letzter Auftritt unter Riem, danach erfolgt die Neugründung unter Johann Philipp Christian Schulz) Wilhelm Friedrich Riem wächst in Kölleda, Beichlingen und in Zwätzen bei Jena auf. Er kommt 1796742 »als Alumnus auf die Thomasschule, schon als fertiger Klavierspieler be- kannt«,743 wo er von Johann Adam Hiller unterrichtet wird. Im April 1799 bezieht Riem die Universität und studiert zunächst Theologie, dann Jura. 1801 bricht er das Studium ab, um sich ganz der Musik zu widmen. Er spielt 1802/03 Violoncello im Gewandhausorchester 295 (Konzert- und Theaterorchester). »Zu dieser Zeit gewann er den aus Bremen stammenden Verleger Göschen zum Mäzen und unterrichtete dessen Sohn.«744 Seine ersten Klavierkom- positionen erscheinen 1804 im Druck, im selben Jahr oder später745 wird Riem Organist an der reformierten Kirche. Von Ende 1804 bis Frühjahr 1806 leitet er ein studentisches Dilettanten­orchester. 1810/11 tritt er als Klaviersolist in Abonnementkonzerten auf. Er wird am 13. Oktober 1812 Mitglied der Loge Minerva. Riem und seine Frau Dorothea Elisabeth melden sich im September 1814 nach Bremen ab. Er übergibt seine Leipziger Klavierschüler an ↑August Ferdinand Anacker und seine Singakademie an ↗Johann Philipp Christian Schulz. In Bremen wird er als Domorganist zu einer prägenden Person im Musikleben der Stadt, die ihn 1832 zum Musikdirektor ernennt. Er gründet die Bremer Singakademie. 1856 wird Wilhelm Friedrich Riem Ehrendoktor der Leipziger Universität. Als Komponist tritt er hauptsächlich mit Klavier- und Orgelwerken in Erscheinung, verfasst aber auch ein Orato- rium mit dem Titel Der Erlöser. Quellen: ADB; Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 60, 76, 81, 82, 85, 94; Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 66, 67; Jung/ Böhm, Das Gewandhaus-Orchester (hier auch weitere Literatur); Polizeimeldebücher 1814–31.

742 Angabe nach Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester, S. 57. Bei Grenser, Geschichte der Musik in Leip- zig, S. 60, wird das Jahr 1794 angegeben. 743 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 60. 744 Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester, S. 58. 745 Laut Grenser 1804 (Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 85) oder 1808 (Ebd., S. 94), laut ADB dagegen 1807. Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 81, hat ebenfalls die Jahreszahl 1807. Anhang

Schneider, Friedrich (Johann Christian Friedrich) *3.1.1786 in Altwaltersdorf (heute Waltersdorf) in der Oberlausitz †23.11.1853 in Dessau Direktor der vormals Schicht’schen Singakademie von 1816 (vor dem 16. Juni) bis 1818 (danach, vermutlich zwischen April und Oktober 1818, übernimmt Johann Philipp Christian Schulz die Leitung und beide Singakademien verschmelzen) Nach erstem Musikunterricht bei seinem Vater, einem Schullehrer und Organisten, absol- viert Friedrich Schneider das Gymnasium in Zwickau. Schon dort singt er im Chor und komponiert. Er immatrikuliert sich anschließend, im Jahr 1805, an der Leipziger Univer- sität, vertieft seine musikalischen Kenntnisse bei ↗Johann Gottfried Schicht und wird ge- fördert von ↑Friedrich Rochlitz. Schon im Jahr darauf wirkt er als Gesangslehrer an der Ratsfreischule und wird 1807 Organist an der Universitätskirche. Anders als in der Sekun- därliteratur oft angegeben, ist er allerdings nie Universitätsmusikdirektor. Die Stelle als 296 Universitätsorganist gibt er 1811 an seinen Bruder Johann Gottlob Schneider ab, spielt aber von 1815 bis 1817 vertretungsweise erneut die Orgel in der Universitätskirche. Schneider ist von 1810 bis 1812 Theaterkapellmeister für die Seconda’sche Schauspielgesellschaft (als Nachfolger von ↗Johann Philipp Christian Schulz) und von 1813 bis 1821 Organist an der Thomaskirche. Ab 1817 wirkt Schneider gleichzeitig als Musikdirektor am neueröffneten Stadttheater unter der Direktion von ↑Carl Küstner. Er ist Mitglied der Freimaurerloge Bal- duin von 1807 bis zu seinem Tod, dort Musikdirektor von 1815 bis 1821. In erster Ehe heiratet Schneider im Jahr 1812 die Sängerin Elisa Geibel, eine Tochter des Tapezierers und Sattlers zu Wetzlar Carl Philipp Geibel, die schon 1813 stirbt. Am 3. Januar 1815 heiratet er erneut, und zwar deren Schwester Maria Katharina. Das Paar hat drei Kinder (Elise, *1816; Augusta, *1817; Bernhard, *1819). Friedrich Schneider verlässt Leipzig 1821 nach Dessau, wo er Hof- kapellmeister wird und sich als Komponist, Dirigent, Organist, Lehrer und Organisator um die städtische Musikpflege verdient macht. Unter anderem gründet er selbst in Dessau eine Singakademie. Im Zeitraum von 1819 bis 1847 leitet er eine Reihe großer Musikfeste, unter anderem ab 1826 die Elb-Musikfeste, wo nicht zuletzt seine eigenen Oratorien aufgeführt werden. Insgesamt komponiert Friedrich Schneider 17 Oratorien, der Text für das erfolg- reichste, Das Weltgericht, stammt von August Apel (Ehemann von ↑Emilie Apel). Außer- dem komponiert er Opern, Sinfonien, Sonaten, Kantaten, etwa 400 Chorlieder und 200 Klavierlieder. Das erste von drei Heften der 1828 erscheinenden Sechs religiösen Gesänge für Sopran, Alt, Tenor und Bass widmet Friedrich Schneider der Leipziger Singakademie.746 Die Universitäten Halle und Leipzig verleihen ihm 1830 die Ehrendoktorwürde. Quellen: Förster/Hempel, Leipzig und die Freimaurer, S. 131; Jung/Böhm, Das Gewand- haus-Orchester; Matrikel der Loge Balduin; MGG2 (hier auch weitere Literatur); Moritzkartei; UMD; Vollhardt, Geschichte der Cantoren und Organisten, S. 186.

746 AmZ 30 (1828), Sp. 452. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Schulz, Johann Philipp Christian *24.9.1773 in Langensalza †30.1.1827 in Leipzig Mitgründer und Direktor der Schulz’schen Singakademie (Fortsetzung der Riem’schen Singakade- mie) ab dem 3.9.1814 (Datum der Gründungssatzung) Direktor der vereinigten Singakademie, die im Jahr 1818 aus der Schulz’schen (vormals Riem’schen) und der Schneider’schen (vormals Schicht’schen) Singakademie entsteht, bis zu seinem Tod. Johann Philipp Christian Schulz zieht 1783 mit seinen Eltern nach Leipzig und besucht die Thomasschule. Schon als Vierzehnjähriger singt er gemeinsam mit ↑Amadeus Wendt Diskant in Schichts Singechor für die Gewandhauskonzerte und die Neukirche.747 Er imma- trikuliert sich 1793 zum Theologiestudium an der Leipziger Universität, wendet sich aber bald ganz der Musik zu. Schulz genießt musikalischen Unterricht bei ↗Johann Gottfried Schicht, wird Mitglied in dessen zwischen 1802 und 1804 bestehender Singakademie und 297 macht sich als vorzüglicher Sänger einen Namen. Er gibt selbst Gesangsunterricht. Im Ok- tober 1804 tritt er der Freimaurerloge Minerva zu den drei Palmen bei.748 Von 1800 bis 1810 wirkt Schulz als Theaterkapellmeister und Komponist bei der Seconda’schen Schauspiel- gesellschaft (als Vorgänger von ↗Friedrich Schneider). Im Jahr 1810 wird er als Nachfolger von ↗Johann Gottfried Schicht Musikdirektor der Gewandhauskonzerte. Zum Regierungs- jubiläum des Königs erklingt 1818 in der Universitätskirche ein von Schulz komponiertes »Salvum fac regem« bei einem Konzert mit der Leipziger Singakademie. Als Auszeichnung hierfür wird Schulz zum Leipziger Universitätsmusikdirektor ernannt. Den Titel behält er bis zu seinem Tod. Schulz dirigiert außerdem die von ↑Jacob Bernhard Limburger initi- ierte (ältere) Leipziger Liedertafel, den ersten Männergesangverein Leipzigs. Johann Phil- ipp Christian Schulz ist Mitglied der Organisationskomitees für die Benefizkonzerte beider Singakademien am 20. April 1814 und am 18. Oktober 1814. Er komponiert in seiner Zeit als Theaterkapellmeister mehrere Schauspielmusiken, hauptsächlich aber Chöre und Lieder. Er stirbt ledig. ↑Friedrich Rochlitz verfasst einen Nekrolog auf ihn. Quellen: Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Jung/Böhm, Das Gewand- haus-Orchester; MGG2 (mit teilweise falschen Angaben zur Singakademie-Leitung; hier auch weitere Literatur); Moritzkartei; Friedrich Rochlitz, »Nekrolog. Christian (Johann Philipp) Schulz«, in: AmZ 29 (1827), Sp. 101–104 (mit falschen Angaben zur Singakademie- Leitung); UMD (mit teilweise falschen Angaben zur Singakademie-Leitung).

747 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 46. 748 In Otto Werner Försters Edition der Minerva-Matrikel ist er als »Schult [sic], Johann Philipp Christian« verzeichnet. Die übrigen Angaben (übereinstimmende Lebensdaten, Stand: »Musikus«), lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich hier um Schulz handelt. Vgl. Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurer- loge Minerva, S. 30. Anhang

Pohlenz, Christian August *19.8.1790 in Sallgast in der Niederlausitz †10.3.1843 in Leipzig Direktor der Leipziger Singakademie von 1827 bis zu seinem Tod Christian August Pohlenz ist ein Sohn des Kramers und Musikanten Christian Pohlenz aus Sallgast. Er besucht ab 1802 die Kreuzschule in Dresden und bezieht 1811 die Universität Leipzig zum Jurastudium. Schon zu dieser Zeit spielt er vertretungsweise die Orgel in der Universitätskirche, von 1817 bis 1820 ist er offiziell Universitätsorganist. Danach (1821) tritt er die Stellung als Organist an der Thomaskirche an, die er bis zu seinem Tod innehat. Pohlenz gründet 1819 den Musikverein, in dem Dilettanten Instrumental- und Vokalmusik üben und der eigene Konzerte (teils auch zusammen mit der Singakademie) veranstaltet.749 Im selben Jahr, in dem er die Direktion der Singakademie übernimmt (1827), wird Pohlenz Kapellmeister der Gewandhauskonzerte und Universitätsmusikdirektor, beides als Nach- 298 folger von ↗Johann Philipp Christian Schulz. Die Direktion der Gewandhauskonzerte be- hält er bis 1835, den Posten als Universitätsmusikdirektor bis zu seinem Tod. Zudem ist er als Gesangslehrer am Leipziger Konservatorium vorgesehen, stirbt jedoch kurz vor dessen Gründung. Unter seinen Schülern ist die Sängerin Livia Gerhardt (Schwiegertochter von ↑Sophia Henriette Frege). Christian August Pohlenz heiratet am 13. August 1823 in Ma- chern Emilie Carolina Pfretzschner. Das Paar hat fünf Kinder (August Theodor, *1830; Eli- sabeth Maria, *1831; Christian Emil, *1832; Anna Christiana Auguste, *1833, und Christian Peter Ferdinand, *1841). Pohlenz ist Mitglied der Freimaurerloge Apollo im Orient ab 1820 und Ehrenmitglied der Loge Minerva zu den drei Palmen ab 1827. Als Komponist ist er vor allem mit Liedkompositionen erfolgreich. Quellen: Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Jung/Böhm, Das Gewand- haus-Orchester; Matrikel der Loge Apollo; Moritzkartei; Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 35–36; UMD (hier auch weitere Literatur); Vollhardt, Geschichte der Cantoren und Organisten, S. 186.

Richter, Ernst Friedrich (Ernst Friedrich Eduard) *24.10.1808 in Großschönau bei Zittau †9.4.1879 in Leipzig Direktor der Leipziger Singakademie vom 1.4.1843 bis zum 28.11.1847 Ernst Friedrich Richter, Sohn eines Schullehrers aus Großschönau, absolviert das Gym- nasium in Zittau, wo er bereits den dortigen Chor leitet. Er immatrikuliert sich 1831 zum Theologiestudium an der Leipziger Universität und dirigiert hier den Zittauer Studenten- gesangverein. Als er 1843 die Direktion der Leipziger Singakademie übernimmt, wird er auch Nachfolger von ↗Christian August Pohlenz als Universitätsmusikdirektor. Er soll sich aber weder für die Musik im Universitätsgottesdienst, noch für akademische Feierlichkei-

749 Zum Musikverein, der bis ca. 1830 bestand, siehe Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 85–88. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967 ten engagiert haben, sondern diese Aufgaben dem Universitätsorganisten Hermann Langer überlassen haben. Richters Tätigkeitsschwerpunkt liegt zu dieser Zeit am Leipziger Kon- servatorium, wo er im Herbst 1843, im zweiten Semester nach der Gründung, eine Stelle als Lehrer für Kontrapunkt und Harmonielehre antritt. Später unterrichtet er am Konser- vatorium auch Orgelspiel. 1868 wird er dort zum Professor ernannt. Ferner wirkt Richter als Organist nacheinander an mehreren Leipziger Kirchen (ab 1851 Peterskirche, im Jahr 1862 Neukirche, 1862–1868 Nikolaikirche). Im Jahr 1868 wird Ernst Friedrich Richter zum Thomaskantor berufen. Er komponiert zahlreiche, vor allem geistliche, Lieder und Chöre, mehrere Psalmvertonungen und im Bereich der Instrumentalmusik hauptsächlich Werke für Klavier bzw. Orgel. Sehr einflussreich bis Mitte des 20. Jahrhunderts sind seine Lehr- bücher, die er für den Unterricht am Konservatorium unter anderem zu Harmonie, Fuge, Kontrapunkt und Formenlehre verfasst. Er ist der Vater von ↗Alfred Richter. Quellen: MGG2 (hier auch weitere Literatur); Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanz- 299 zeit, S. 294–305; UMD; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 13; Voll- hardt, Geschichte der Cantoren und Organisten, S. 180, 182.

Rietz, Julius (Julius Wilhelm August) *28.12.1812 in Berlin †12.9.1877 in Dresden Direktor der Leipziger Singakademie vom 1.1.1848 bis Ende September 1851 und vom 1.9.1854 bis November 1859 Julius Rietz ist der Sohn eines Bratschers in der Königlichen Kapelle in Berlin. Er wird als Sechzehnjähriger Cellist im Königstädtischen Orchester in Berlin, wo er ↗Ferdinand David kennenlernt und wo auch seine ersten Werke aufgeführt werden. Rietz wechselt 1834 als Theaterdirigent und Cellist ans Düsseldorfer Opernhaus, dort wird er im Jahr darauf Nach- folger Felix Mendelssohn Bartholdys als städtischer Musikdirektor. Im Jahr 1847 zieht Rietz nach Leipzig und ist dort bis 1854 als Theaterkapellmeister tätig. Außerdem dirigiert er von 1848 bis 1852 und von 1854 bis 1860 die Gewandhauskonzerte. Von 1848 bis 1854 ist er Kom- positionslehrer am Leipziger Konservatorium, wo unter anderem Woldemar Bargiel (Sohn von ↑Adolph Barghiel und ↑Marianne Wieck, geb. Tromlitz) zu seinen Schülern zählt. Als Mitglied und Schriftführer der Bachgesellschaft gibt er die h-Moll-Messe und die Matthäus- passion heraus, außerdem ediert er 1874 bis 1877 die Werkausgabe von Felix Mendelssohn Bartholdy bei Breitkopf & Härtel. Beim Festkonzert zur Schillerfeier am 11. November 1859 wird Rietz von der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig mit dem Ehrendoktor- titel ausgezeichnet.750 Im Jahr 1860 geht Rietz als Nachfolger ↑Carl Gottlieb Reißigers als Hofkapellmeister nach Dresden, wo er 1874 zum Generalmusikdirektor ernannt wird. Sein Nachfolger am Gewandhaus wird ↗Carl Reinecke. 1877, wenige Monate vor seinem Tod, wird Julius Rietz in Dresden pensioniert. Er ist verheiratet mit Maria Theresia Kindermann,

750 Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte, S. 156. Die Universität begeht in jenem Jahr ihr 450. Grün- dungsjubiläum. Anhang

von ihren drei Kindern erlebt keines das Erwachsenenalter. Rietz komponiert unter ande- rem mehrere Opern (ungedruckt), Sinfonien, Konzerte und Klavierlieder. Im Bereich der Vokalmusik schreibt er verschiedene geistliche Werke sowie mehrere großangelegte Stücke für Männerchor und Orchester (etwa Altdeutscher Schlachtgesang, op. 12, und Dithyrambe, op. 20). Sein Schaffen ist stark von Mendelssohn beeinflusst, die Musik der Neudeutschen Schule, insbesondere Wagner, lehnt er strikt ab. Quellen: Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester; MGG2 (hier auch weitere Literatur); Moritzkartei; Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 105–110; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 24.

David, Ferdinand (Ferdinand Ernst Victor Carl) *19.1.1810 in Hamburg †19.7.1873 am Silvrettagletscher bei Klosters (Schweiz), begraben in Leipzig 300 Direktor der Leipziger Singakademie von Ende September 1851 bis Ende Juni 1854 Der Kaufmannssohn Ferdinand David ist von 1823 bis 1824 Schüler von Louis Spohr (Vio- line) und Moritz Hauptmann (Musiktheorie) in Kassel. Bereits 1825 gastiert er als Geiger im Gewandhaus. Er wird 1827 Mitglied des Königstädtischen Orchesters in Berlin, wo er ↗Julius Rietz kennenlernt, und geht 1829 nach Dorpat (heute Tartu, Estland) als Primarius im Privatquartett des Gutsbesitzers und Mäzens Karl von Liphardt, dessen Tochter später seine Ehefrau wird. David gibt von dort aus Konzerte unter anderem in Riga, St. Petersburg und Moskau. Von 1836 bis zu seinem Tod wirkt David als Konzertmeister im Gewandhaus- orchester, sein Freund Felix Mendelssohn Bartholdy hat ihn für diese Stelle vorgeschla- gen. Gleichzeitig wird er Primarius im Gewandhaus-Quartett. Auf beiden Posten ist er der Nachfolger von ↑Heinrich August Matthäi. Er spielt den Solopart bei der Uraufführung von Mendelssohns Violinkonzert am 13. März 1845. In der Saison 1841/42, im Herbst 1852 sowie 1853/54 wirkt er vertretungsweise als Musikdirektor der Gewandhauskonzerte. Mit der Gründung des Leipziger Konservatoriums beginnt er dort eine Lehrtätigkeit und macht Leipzig zu einem Zentrum des Geigenstudiums. Zur seinen zahlreichen Schülern zählt auch ↗Paul Klengel. Ferdinand David ist Mitglied der Loge Minerva seit 1836. Er veröffent- licht eine einflussreiche Violinschule und gibt Solowerke und Kammermusik heraus. Von seinen zahlreichen Eigenkompositionen, darunter mehrere Violinkonzerte und Sinfonien, hat sich nur das Posaunenkonzert bis heute im Repertoire gehalten. Quellen: Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Jung/Böhm, Das Gewand- haus-Orchester; MGG2 (hier auch weitere Literatur); Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 214–230; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 16. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Bernuth, Julius von *8.8.1830 in Rees (am Rhein) †24.12.1902 in Hamburg Direktor der Leipziger Singakademie von ca. Anfang 1860 bis zum 30.5.1867 (letzter Auftritt unter seiner Leitung) Julius von Bernuth studiert in und Berlin zunächst Jura. Schon in Berlin nimmt er Klavier- und Theorieunterricht, dann arbeitet er von 1852 bis 1854 als Referendar in Wesel. Er wird 1854 am Leipziger Konservatorium aufgenommen, wo er bis 1856 Theorie und Ge- sang studiert. In Leipzig gründet er 1857 den Kammermusikverein Aufschwung und 1859 den Dilettanten-Orchesterverein. Außerdem dirigiert er den Männergesangverein (gegr. 1843) sowie in den Jahren 1859/60 und 1864–1867 den Musikverein Euterpe (gegr. 1824). Im Jahr 1867 wechselt er als Dirigent der Philharmonischen Konzerte und der dortigen Singakademie nach Hamburg. 1873 gründet er das (bis 1922 bestehende) Hamburger Kon- 301 servatorium, 1878 erhält er den Professorentitel. 1895 gibt er seine Dirigentenämter auf, bleibt aber Leiter des Konservatoriums. Von Bernuth komponiert Werke für Orchester und Gesangswerke und gilt als Gegner der Neudeutschen Schule. Quellen: Altmann; Baker’s; Musik 2 (1902/03), 2. Q., S. 129; Richter, Aus Leipzigs musi- kalischer Glanzzeit, S. 145, 394–395; Würzberger, Die Konzerttätigkeit des Musikvereins »Eu- terpe«, S. [22]; Würzberger, Die Entwicklung des Orchesterwesens in Leipzig, S. 59.

Claus [Clauss, Klaus], Carl [Karl] * 14.10.1837 in Dorpat (heute Tartu, Estland) † 14.11.1882 in St. Petersburg Direktor der Leipziger Singakademie von 1867 (frühestens Ende August)751 bis zum 17.6.1875 (letzte Probe unter seiner Leitung) Der aus dem damaligen russischen Gouvernement Livland stammende Carl Claus besucht das Leipziger Konservatorium. Von 1867 bis Ende 1877 dirigiert er als Nachfolger ↗Julius von Bernuths den Dilettanten-Orchesterverein, von 1870 bis 1878 ist er Organist an der Leip- ziger Johanniskirche. Als Claus 1875 die Leitung der Leipziger Singakademie abgibt, wird er Dirigent der Leipziger Liedertafel, die den gleichen Probentermin hat. Vermutlich 1878 wechselt er als Organist an die deutsch-evangelische Katharinenkirche in St. Petersburg. Der Verbundkatalog Nachlässe und Autographen führt ihn als Kapellmeister, Komponist und Professor, er soll unter anderem auch in Moskau gewirkt haben. Quellen: Würzberger, Die Entwicklung des Orchesterwesens in Leipzig, S. 89; Datensatz »Claus, Karl«, in: Kalliope; MW 13 (1883), S. 578; Vollhardt, Geschichte der Cantoren und Organisten, S. 181.

751 Die NZfM 34 (1867), S. 307, meldet in ihrer Ausgabe vom 23. August 1867: »Als Dirigent der Singaka- demie in Leipzig wird ein früherer Schüler des Leipziger Conservatoriums, Hr. Claus aus Lievland [sic], fungieren.« Anhang

Kretzschmar, Hermann (August Ferdinand Hermann) *19.1.1848 in Olbernhau (Erzgebirge) †10.5.1924 in Berlin Direktor der Leipziger Singakademie vom 6.9.1875 bis zum 30.11.1875 Hermann Kretzschmar ist der Sohn des städtischen Kantors zu Olbernhau C. D. Kretzsch- mar (1795–1868). Von ihm erhält er ersten Unterricht, bevor er von 1862 bis 1867 als Alum- nus die Dresdner Kreuzschule besucht und im Kreuzchor singt, wo er auch Präfekt ist. Er immatrikuliert sich 1868 an der Leipziger Universität für Musikwissenschaft (bei Oscar Paul), Klassische Philologie und Geschichte. Zu Studienbeginn tritt er dem Universitäts- gesangverein zu St. Pauli bei. Er promoviert 1871 mit einer Arbeit De signis musicis quae scriptores per primam medii aevi partem usque ad Guidonis Aretini tempora florentes tradiderint. Parallel zu seinem Universitätsstudium studiert er 1869 und 1870 am Leipziger Konserva- torium Musiktheorie und -geschichte bei ↗Carl Reinecke, ↗Ernst Friedrich Richter, Benja- 302 min Robert Papperitz und Oscar Paul. Er wirkt von 1871 bis 1875 als Lehrer für Theorie und Komposition sowie für Klavier- und Orgelspiel am Konservatorium. Er verlässt Leipzig, um 1876 eine Kapellmeisterstelle in Metz (damals Elsass-Lothringen, heute Frankreich) anzu- treten, und wirkt anschließend von 1877 bis 1886 als Universitätsmusikdirektor in Rostock. Dort heiratet er 1880 seine Schülerin Clara Meller (1855–1903) und wird 1884 zum Professor ernannt. 1887 kehrt er nach Leipzig zurück, wo er bis 1898 als Nachfolger Hermann Langers in Doppelfunktion die Ämter des Universitätsmusikdirektors und Universitätsorganisten bekleidet. Damit ist auch die Leitung des damals etwa 200 Mann starken Universitäts-Ge- sangvereins zu St. Pauli verbunden. Als Lektor an der Universität (ab 1891 außerordentli- cher Professor für Musikwissenschaft) ist Kretzschmar unter anderem für die liturgischen Kurse der Theologiestudenten verantwortlich. Außerdem lehrt er erneut am Konservato- rium. Darüber hinaus leitet er den Musikverein Euterpe, den Bachverein (beide – wie die Singakademie – nur kurzzeitig 1875), den Gesangverein Ossian und den Riedelverein (letzte- ren 1888–1898). Er organisiert und leitet die ›Akademischen Concerte‹ (1890–1895) und ist Vorsitzender der Bach-Gesellschaft sowie der Sektion für Oper und Lied bei den Denkmälern Deutscher Tonkunst. Auch an der Gründung der Neuen Bach-Gesellschaft im Jahr 1900 ist er beteiligt. Hermann Kretzschmar wird 1904 auf den neugegründeten Lehrstuhl für Musik- wissenschaft an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) berufen, 1909 übernimmt er zusätzlich die kommissarische Leitung des Königlichen Aka- demischen Instituts für Kirchenmusik und der Königlichen Akademischen Hochschule für Musik. Hinzu kommen mehrere Ämter in musikalischen Gesellschaften und Kommissio- nen. Nach dem Ersten Weltkrieg nehmen sein Einfluss und seine Ämterfülle ab. Neben einigen wenigen Kompositionen sind es vor allem Kretzschmars musikwissenschaftliche und musikschriftstellerische Publikationen, die seine Wirkung ausmachen. Er gilt als einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler seiner Zeit. Auch außerhalb von Fachkreisen be- sonders populär ist sein Führer durch den Konzertsaal in drei Bänden. Quellen: MGG2 (hier auch weitere Literatur); Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanz- zeit, S. 376–377; UMD; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 26. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Richter, Alfred (Ernst Friedrich Alfred) *1.4.1846 in Leipzig †1.3.1919 in Berlin Direktor der Leipziger Singakademie von Januar 1876 bis zum 1.4.1879 Er ist der ältere Sohn von ↗Ernst Friedrich Richter. Alfred Richter besucht in Leipzig die Thomas- sowie die Nikolaischule. Als Externer an der Thomasschule erhält er Gesangs- unterricht bei Carl Friedrich Zöllner und ↗Richard Müller. Richter studiert von 1866 bis 1869 am Konservatorium u. a. bei seinem Vater, bei ↗Ferdinand David und bei ↗Carl Rei- necke. Die Zeit nach dem Studium verbringt er in Schottland, Chicago und New York. Nach einer kurzen Episode als Lehrer am Stern’schen Konservatorium in Berlin kommt Richter 1873 wieder nach Leipzig und wird am dortigen Konservatorium Lehrer für Theorie und Klavierspiel (tatsächlich bis 1879, formal ist er Angehöriger des Konservatoriums bis 1884). Von 1884 bis 1897 lebt er in London als Musiklehrer an der Guildhall School of Music, 303 dann kehrt er nach Leipzig zurück. Er bewirbt sich, wie auch ↗Paul Klengel, 1892 erfolglos um den Posten des . Von 1899 bis 1900 ist er Liedermeister, d. h. Chorlei- ter, beim Akademischen Gesangverein Arion als Nachfolger ↗Paul Klengels. Richter ver- lässt Leipzig 1903 und ist ab 1918 in Berlin nachweisbar. Dort stirbt er, unverheiratet und kinderlos, bei einem Verkehrsunfall. Alfred Richter komponiert zahlreiche Klavierwerke, Chor- und Sololieder. Er überarbeitet die Neuauflagen der Lehrbücher seines Vaters ↗Ernst Friedrich Richter, veröffentlicht dazu passende Aufgabenbücher sowie eigene Lehrwerke zur Musiktheorie und zum Klavierspiel. Alfred Richters jüngerer Bruder Bernhard Fried- rich Richter (1850–1931) ist Organist und Gesangslehrer an der Thomasschule und wird 1917 zum Professor an der Leipziger Universität ernannt. Alfred Richters Memoiren werden 2004 veröffentlicht. Quellen: Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 38; MGG2; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 27; ausführliche Biografie siehe Richter, Aus Leip- zigs musikalischer Glanzzeit, S. 444–453.

Reinecke, Carl (Carl Heinrich Carsten) *23.6.1824 in Altona (heute Stadtteil von Hamburg, damals zu Dänemark) †10.3.1910 in Leipzig Direktor der Leipziger Singakademie vom 21.4.1879 bis November 1879 Carl Reinecke wird von seinem Vater, dem Musikpädagogen Peter Rudolf Reinecke (1795– 1883), in Klavier, Violine, Theorie und Komposition unterrichtet. Schon als Elfjähriger tritt Carl Reinecke öffentlich als Pianist auf. Mit einem Stipendium des dänischen Königs hält er sich von November 1843 bis Februar 1846 in Leipzig auf, wo er Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann kennenlernt; ein weiterer Leipzig-Aufenthalt folgt 1848 bis 1849 auf Einladung von ↗Julius Rietz. Beide Male tritt er als Klaviersolist in Gewandhauskonzerten auf. Von 1846 bis 1848 ist er Hofpianist des dänischen Königs, danach wohnt er in Bremen, wo gleichzeitig ↗Wilhelm Friedrich Riem als Domorganist wirkt. Im Jahr 1851 wird er Leh- rer am Kölner Konservatorium, 1852 heiratet er Betty Hansen (†1860). Es folgen Anstellun- Anhang

gen als Musikdirektor in Barmen (1854 bis 1859) sowie in Breslau (1859 bis 1860), wo er als Universitätsmusikdirektor die Breslauer Singakademie dirigiert. Carl Reinecke wird 1860 Kapellmeister der Gewandhauskonzerte als Nachfolger von ↗Julius Rietz. Seine vor Amts- antritt erhobene Forderung, gleichzeitig die Leitung der Singakademie und der Liedertafel zu übernehmen, wird nicht erfüllt. Er tritt im selben Jahr in das Lehrerkollegium des Leipziger Konservatoriums ein, wo er Komposition, Klavierspiel, Chorgesang sowie Solo- und Ensem- blespiel unterrichtet. Im Jahr 1861 gründet er den Gewandhauschor. Reinecke heiratet 1862 Charlotte Scharnke (†1868) und 1872 Margarethe Schifflin. Den Posten als Gewandhaus- kapellmeister behält er bis ins Jahr 1895, so lange wie niemand vor und (bisher) nach ihm. Er wird zum Mitglied der Berliner Akademie (1875), zum Dr. h. c. (1884) und zum Professor (1885) ernannt. 1897 wird er Studiendirektor am Konservatorium, 1902 geht er in den Ruhe- stand. Er komponiert Werke in zahlreichen Gattungen, darunter Opern, Sinfonien, Solokon- zerte und Oratorien. Außerdem veröffentlicht er musikpädagogische und -historische Lite- 304 ratur, etwa über Beethovens Klaviersonaten und über Klavierkonzerte. Er ist beteiligt an den Gesamtausgaben der Werke Mozarts, Beethovens und Mendelssohns und ist Herausgeber sämtlicher Klavierwerke von Bach und Händel. Zu seinen zahlreichen Schülern zählen unter anderem ↗Paul Klengel, ↗Hermann Kretzschmar und ↗Alfred Richter. Quellen: Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester; MGG2 (hier auch weitere Literatur); Vo- gel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 33–35.

Hofmann, Richard (Richard Eduard) *30.4.1844 in Delitzsch †11.11.1918 in Leipzig Direktor der Leipziger Singakademie von November 1879 bis 1883 (vor dem 14.9.) Richard Hofmann ist der Sohn des Stadtmusikdirektors zu Delitzsch. Er studiert am Leip- ziger Konservatorium bei Raimund Dreyschock (Violine) und Salomon Jadassohn (Kom- position). Er wirkt ab 1866 in Leipzig als Musiklehrer und Komponist »instruktiver Werke, besonders solcher für die Violine, wie auch viele brauchbare Klavierauszüge von ihm her- rühren«.752 Er schreibt eine weitverbreitete Instrumentationslehre in sieben Bänden und einen Katechismus der Instrumente, der mehrere Auflagen erlebt. Am 4. November 1873 wird er Mitglied der Loge Minerva. Das Leipziger Konservatorium, wo er seit 1904 als Kompo- sitions- und Instrumentationslehrer wirkt, verleiht ihm den Professorentitel. Zu seinen Schülern zählen – neben dem späteren Singakademiedirektor ↗Franz Meyer-Ambros – der Musikwissenschaftler Moritz Max Bauer (1875–1932) sowie die Komponisten Stevan Hristić (1885–1958), Wilhelm Rettich (1892–1988) und George Templeton Strong (1856–1948). Quellen: Altmann; Baker’s; Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; MGG2 (Art. Moritz Max Bauer, Stevan Hristić, Wilhelm Rettich, George Templeton Strong); Rich- ter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 406.

752 Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 406. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Müller, Richard *25.2.1830 in Leipzig †1.10.1904 ebd. Direktor der Leipziger Singakademie vom 14.9.1883 (erste Probe unter seiner Leitung) bis 1893 (vor dem 10.3.) Richard Müller ist der Sohn von Christian Gottlieb Müller (1800–1863). Dieser ist Geiger im Gewandhausorchester von 1825 bis 1838, Dirigent des Musikvereins Euterpe von 1831 bis 1838, schließlich Stadtmusikdirektor in Altenburg von 1838 bis zu seinem Tod, Lehrer Ri- chard Wagners, Mitglied der Freimaurerloge Balduin zur Linde von 1829 bis zu seinem Tod, dort Musikdirektor 1837–38. Richard Müller wird Alumnus auf der Leipziger Thomasschule und Präfekt des Thomanerchors. Er gründet, noch als Schüler, im Jahr 1849 den Gesangver- ein Arion (später: Akademischer Gesangverein Arion) und leitet diesen Verein bis 1893. Am 17. April 1850 immatrikuliert sich Richard Müller an der Leipziger Universität für Theologie. 305 Er dirigiert neben der Singakademie und dem Arion außerdem den Richard-Müller-Ver- ein, die Männergesangvereine Ossian, Liederhalle sowie die (jüngere) Liedertafel und ist für lange Jahre zweiter Musikdirektor des Leipziger Gausängerbundes. Hauptberuflich arbeitet Richard Müller als Gesangslehrer an der Nikolai-, Real- und Ersten Bürgerschule. Ferner gibt er von 1861 bis 1878 Gesangsunterricht für die Externen an der Thomasschule (die Alumnen werden vom Thomaskantor unterrichtet).753 In dieser Position ist er der Nach- folger von Carl Friedrich Zöllner, unter seinen Schülern ist auch ↗Alfred Richter. Als 1868 das Amt des Thomaskantors neu besetzt werden soll, ist Richard Müller unter den Bewer- bern, von denen sich schließlich ↗Ernst Friedrich Richter durchsetzt. Richard Müller wird am 9. September 1873 Mitglied der Loge Minerva und wird 1889 zum Professor der Musik ernannt. Er ist verheiratet mit Christiane Henriette Luchsinger. Er komponiert zahlreiche Chor- und Sololieder, von denen die weltlichen eher auf den Konzerten der von ihm ge- leiteten Gesangvereine erklingen, die geistlichen hingegen öfter auf den Programmen der Motetten in der Thomaskirche zu finden sind. Für seine Lehrtätigkeit gibt Müller ein Lieder- buch für Bürgerschulen heraus. Begraben wird Müller auf dem Neuen Johannisfriedhof, 1991 wird sein Grabmal auf dem Alten Johannisfriedhof wieder aufgestellt. Quellen: Blecher/Wiemers (Hrsg.), Die Jahre 1832 bis 1863; Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 26–29 (hier auch weitere Literatur); Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester (Art. Christian Gottlieb Müller); Matrikel der Loge Balduin.

753 Vgl. ebd. Anhang

Klengel, Paul (Paul Friedrich Moritz) *13.5.1854 in Leipzig †24.4.1935 ebd. Direktor der Leipziger Singakademie vom 10.3.1893 (erste Probe unter seiner Leitung) bis zum 9.9.1898 (letzte Probe unter seiner Leitung) Paul Klengel ist ein Enkel von ↑Moritz Gotthold Klengel und ein Sohn des Philologen, Naturkundlers und Gesangslehrers Dr. Julius Klengel (d. Ä., 1818–1879). Letzterer ist lang- jähriges Vorstandsmitglied und 1878/79 auch Vorsitzender der Bach-Gesellschaft. Paul Klengels jüngerer Bruder ist der einflussreiche Gewandhaus-Solocellist und Lehrer am Konservatorium Julius Klengel (d. J., 1859–1933). Paul Klengel selbst studiert von 1868 bis 1872 am Leipziger Konservatorium bei ↗Ferdinand David und Engelbert Röntgen (Vio- line), ↗Ernst Friedrich Richter (Musiktheorie, Komposition, Orgel), ↗Carl Reinecke (Kla- vier, Gesang, Komposition) und Oscar Paul (Musikgeschichte). Anschließend legt er an der 306 Thomasschule das Abitur ab und studiert an der Leipziger Universität Philosophie, Kunst- geschichte und Philologie (immatrikuliert am 24. Oktober 1873). Er promoviert 1876 mit einer Dissertation Zur Ästhetik der Tonkunst. Paul Klengel spielt von 1873 bis 1879 Violine im Gewandhausorchester. Er dirigiert den Orchesterverein Euterpe von 1881 bis zu dessen Auflösung 1886 und wirkt von 1883 bis Ende 1886 als Lehrer für Theorie und Komposition am Leipziger Konservatorium. Im Jahr 1887 wechselt er nach Stuttgart, zunächst als Musik- direktor, später als Kapellmeister am Hoftheater. Im Jahr 1891 kehrt er nach Leipzig zurück, bewirbt sich im Jahr darauf, wie auch ↗Alfred Richter, erfolglos als Thomaskantor und übernimmt 1893 gleichzeitig mit der Leitung der Singakademie auch das Liedermeisteramt beim Akademischen Gesangverein Arion von ↗Richard Müller. Die Leitung beider Vereine gibt er ab, als er im Jahr 1898 nach New York zieht und dort Dirigent des Deutschen Lieder- kranzes wird, der damals größten Chorvereinigung der Stadt. Sein Nachfolger beim Arion wird ↗Alfred Richter. Nach seiner Rückkehr übernimmt er 1903 erneut die Leitung des Arion (nicht jedoch die der Singakademie) und behält sie bis 1921. Am Leipziger Konserva- torium wird er 1907 erneut als Lehrer angestellt und 1908 zum Professor berufen. Er leitet dort den Hochschulchor. 1934 wird er emeritiert. Klengel komponiert Kammermusik, Kla- vierstücke, Lieder sowie Chorwerke und gibt Bearbeitungen zahlreicher klassischer Werke sowie Konzertführer heraus. Quellen: Blecher/Wiemers (Hrsg.), Die Jahre 1863 bis 1876; Greiner, Der Akademische Gesangverein Arion, S. 37–38 (hier auch weitere Literatur); Jung/Böhm, Das Gewandhaus- Orchester; MGG2; Vogel/Klipke, Das Königliche Conservatorium der Musik, S. 27. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Winderstein, Hans (Hans Wilhelm Gustav) *29.10.1856 in Lüneburg †23.6.1925 in Gießen Direktor der Leipziger Singakademie vom 16.9.1898 (erste Probe unter seiner Leitung) bis 1900 (vor dem 20.4.) Hans Winderstein studiert von 1877 bis 1880 am Leipziger Konservatorium Violine bei Henry Schradieck und Friedrich Hermann sowie Musiktheorie bei ↗Ernst Friedrich Richter und Wilhelm Rust. Während des Studiums spielt er Violine im Gewandhausorchester. Nach Stu- dienabschluss geht er als Konzertmeister im Privatorchester des Barons von Derwies nach Nizza. Ab 1884 ist er Kapellmeister des Stadtorchesters und Musikschullehrer in Winterthur. Im Jahr 1887 wechselt er nach Nürnberg und gründet dort den Philharmonischen Verein. Außerdem ist er Konzertmeister der ehemals Lenk’schen Kapelle und veranstaltet mit ihr Konzerte auf eigene Rechnung. Ab 1893 ist er Dirigent des Kaim-Orchesters in München. 307 Im Sommer 1896 gründet er schließlich in Leipzig ein eigenes Orchester, welches er bis 1919 leitet. Das Windersteinorchester entwickelt sich zu einem der bedeutendsten Orchester Leipzigs neben dem Gewandhausorchester und den ortsansässigen Militärkapellen. Es kon- zertiert immer wieder außerhalb Leipzigs, auch im Ausland. Es gastiert ab 1905 regelmäßig jeden Sommer in Bad Nauheim, zu Beginn des Ersten Weltkriegs auch im Winter. Ab 1920, nach Auflösung des Windersteinorchesters, wirkt Winderstein weiter als Dirigent des Staat- lichen Kurorchesters in Bad Nauheim. Winderstein wird zum Professor ernannt (wann und von welcher Hochschule, ist nicht bekannt). Neben verschiedenen Orchesterwerken kompo- niert er Violin- und Klavierstücke. Hans Windersteins Sohn C. W. Winderstein, geboren 1900 in Leipzig, leitet später in München eine eigene Konzertdirektion. Quellen: Altmann; Baker’s; Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit, S. 386–387; Würzberger, Die Konzerttätigkeit des Musikvereins »Euterpe«, S. [30]; Würzberger, Die Ent- wicklung des Orchesterwesens in Leipzig, S. 131.

Wohlgemuth, Gustav *2.12.1863 in Leipzig †2.3.1937 ebd. Direktor der Leipziger Singakademie vom 20.4.1900 (erste Probe unter seiner Leitung) bis zu seinem Tod Gustav Wohlgemuth ist Sohn eines Schuhmachermeisters. Er besucht die Zweite Bürger- schule in Leipzig und wechselt im 15. Lebensjahr auf das Lehrerseminar in Grimma, wo er Unterricht in Klavier, Violine und Harmonielehre erhält und im Seminarchor mitwirkt, den er als Präfekt auch zeitweise dirigiert. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitet er als Lehrer in Anger-Crottendorf (heute Stadtteil von Leipzig) und leitet dort die Vereine Liederfels und Liederhain. Durch Verschmelzung beider Vereine gründet er 1891, nach einem Aufenthalt auf dem Sängerfest des Deutschen Sängerbundes in Wien (1890), den Leipziger Männer- chor, den er bis zu seinem Tod leitet. Wohlgemuth gibt im Jahr 1900 seine Stellung als Lehrer auf und beginnt ein Studium in den Fächern Orgel, Klavier, Tonsatz und Gesangs- Anhang

methodik am Leipziger Konservatorium,754 wo er Schüler von Carl Piutti (Organist an der Thomaskirche), Gustav Schreck (Thomaskantor) und Paul Homeyer (Orgelvirtuose) wird. Neben dem Leipziger Männerchor und der Singakademie dirigiert er den Gesangverein Merkur, den Damenchor, der im Oktober 1900 geschlossen der Singakademie beitritt, so- wie den Sängerbund Teutonia, einen Verband aus mehreren Vereinen, dem er als Bundes- musikdirektor vorsteht. Weiterhin bekleidet Wohlgemuth im Laufe seines Lebens mehrere musikpolitische und publizistische Funktionen: Er tritt 1898 als Musiksachverständiger in den Leipziger Gausängerbund und gleichzeitig in den Gesamtausschuss des Deutschen Sängerbundes ein, dem er bis 1932 angehört. Er wirkt an der Ausgestaltung des Liederbuchs des Deutschen Sängerbundes mit. Im Jahr 1906 übernimmt er die Schriftleitung der Zeit- schrift Sängerhalle und wirkt an deren Umgestaltung zur Deutschen Sängerbundeszeitung mit, deren Erscheinen er von 1907 bis 1926 als Herausgeber verantwortet. Anschließend ist er bis 1934 Herausgeber der Sächsischen Sängerbundeszeitung. Gustav Wohlgemuth wird 308 1918 zum königlichen Professor und 1933 zum Bundesehrenchormeister des Sächsischen Sängerbundes ernannt,755 1935 zum Bundesehrenchormeister des Deutschen Sängerbun- des. Bei den Sängerfesten des Deutschen Sängerbundes in Graz (1902), Breslau (1907), Nürnberg (1912), Hannover (1924), Wien (1928) und Frankfurt a. M. (1932) gehört Wohlge- muth zu den Festdirigenten. Richard Strauss widmet Wohlgemuth sein Werk Bardengesang, op. 55. Wohlgemuths Schwerpunkt als Komponist liegt auf Werken für Männerchor, von denen er über 100 publiziert. Viele seine Chorwerke, besonders die im Ersten Weltkrieg und nach 1933 entstandenen, sind nationalistisch, kriegsverherrlichend und werben für den Nationalsozialismus. Auch die Arten der Veranstaltungen, die er durch seine Organisation und Mitwirkung als Dirigent unterstützt – etwa regelmäßige Sedanfeste mit dem Leipziger Männerchor, Konzerte zum »Heldengedenken« wie 1922, Grundsteinlegung des Wagner- Denkmals 1934 – zeigen seine Unterstützung von nationalkonservativem und nationalso- zialistischem Gedankengut. Quellen: Altmann (mit der falschen Angabe, er habe 1900 die Singakademie gegründet); Baker’s; Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 103; MGG1; Nagler u. a., Gustav Wohlgemuth; NZfM 104 (1937), S. 462 (Todesnachricht); Prieberg; Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 311–319; Wohlgemuth, »[Grußwort]«.

754 Die Angabe, Wohlgemuth habe das Studium 1900 begonnen, stammt aus Franciscus Nagler u. a., Gus- tav Wohlgemuth, sein Leben und Wirken (Deutsche Männerchor-Komponisten und -Dirigenten 1), Leipzig 1934. Laut MGG1 soll er allerdings von 1898 bis 1900 studiert haben. 755 Vgl. Gustav Wohlgemuth, »Der Sängergau XX (Sachsen) im DSB«, in: Fest-Schrift. 2. Sächsisches Sän- gerfest in Leipzig. 28.–30. Juni 1935, Leipzig 1935, S. 91–107, hier S. 99. Mit der Umstrukturierung des Deutschen Sängerbundes in Gaue im Jahr 1934 änderte sich dieser Titel in »Gauehrenchormeister«. Vgl. Gustav Wohlgemuth, »[Grußwort]«, in: Fest-Schrift. 2. Sächsisches Sängerfest in Leipzig. 28.–30. Juni 1935, Leipzig 1935, S. 109. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Meyer-Ambros, Franz (Franz Hermann Ambrosius) *17.5.1882 in Leipzig †2.5.1957 Direktor der Leipziger Singakademie von 1937 (nach dem Tod Gustav Wohlgemuths) bis Herbst 1942 Franz Meyer-Ambros ist Sohn des Buchhändlers Hermann Meyer. Sein Doppelname geht offenbar auf auf seinen dritten Vornamen »Ambrosius« zurück und dient dazu, ihn von anderen Trägern des Namens »Meyer« zu unterscheiden. Franz Meyer-Ambros besucht das Lehrerseminar in Grimma und studiert anschließend von 1909 bis 1911 am Leipziger Konservatorium. Seine Lehrer sind (Komposition), ↗Richard Hofmann (Ins- trumentation), Karl Heynsen (Orgel) und Oswin Keller (Klavier). Danach arbeitet er als Musikpädagoge, Komponist und Chorleiter in Leipzig. Franz Meyer-Ambros dirigiert beim 2. Sächsischen Sängerfest 1935 in Leipzig den von ihm komponierten Chor »Das hohe Lied 309 der deutschen Seele« und wird in diesem Zusammenhang in der Presse als »Oberlehrer und Dirigent, Kreisfachberater für Musikunterricht im NSLB, Kreis Leipzig«756 bezeichnet. Er tritt im Mai 1937 der NSDAP bei. Meyer-Ambros komponiert unter anderem eine Oper Juana, Orgel- und Orchesterwerke, Kammermusik, geistliche Vokalmusik, Lieder für ge- mischten Chor und Männerchor; die Gesangswerke sind teils nationalsozialistische Propa- gandamusik. Quellen: 2. Sächs. Sängerfest [Pressestimmen], S. 11; Altmann; Mueller von Asow (Hrsg.), Kürschners Deutscher Musiker-Kalender 1954 (hier auch Werkauswahl); MuG 2 (1952), S. 240; MuG 7 (1957), S. 447; Prieberg (hier auch Werkauswahl).

Stieber, Hans (Hans Albert Oskar) *1.3.1886 in Naumburg †18.10.1969 in Halle (Saale) Direktor der Leipziger Singakademie von Herbst 1942 bis Sommer 1947 Hans Stieber ist der Sohn eines Juristen und besucht das Stadtgymnasium in Halle. Er stu- diert ab 1904 am Leipziger Konservatorium und setzt von 1906 bis 1909 das Studium am Konservatorium in Sondershausen fort. Seine Lehrer sind unter anderem Heinrich Zöllner, Stephan Krehl, Arthur Nikisch und Arno Hilf. Anschließend arbeitet er bis 1915 als Geiger in der Hofkapelle in Dessau sowie als Chordirektor und Korrepetitor am dortigen Hofthea- ter. Es folgen Engagements als Dirigent an den Theatern bzw. Opernhäusern in Koblenz, München, Kiel und Halle. Stieber nimmt 1922 eine Stelle als Dirigent des Hannover’schen Männergesangvereins und der dortigen Singakademie an, wo er außerdem den Hanno- ver’schen Konzertchor gründet. Im Jahr 1937 wechselt er nach Leipzig und übernimmt als Nachfolger ↗Gustav Wohlgemuths die Leitung des Leipziger Männerchors. Er wird 1938 Dramaturg und Kapellmeister am Leipziger Stadttheater. Der Leipziger Männerchor bringt

756 2. Sächs. Sängerfest in Leipzig. 26.–30. Juni 1935 [Pressestimmen], Leipzig 1935, S. 11. Die Abkürzung NSLB steht für »Nationalsozialistischer Lehrerbund«. Anhang

einige von Stiebers Werken zur Uraufführung, beispielsweise die Bauernregeln und die Kantate Gutenberg-Legende (1940). Nachfolger von Stieber beim Leipziger Männerchor wird ↗Walter Knape. Hans Stieber komponiert zahlreiche Chorwerke und Werke für das Musik- theater, unter letzteren etwa die Opern Der Sonnenstürmer (UA 1921 in Chemnitz) und Der Eulenspiegel (UA Leipzig 1936), beide auf selbst verfasste Texte. Hans Stieber ist in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgreich tätig. Sehr im Sinne der NS-Kulturpolitik ist seine Neu- fassung der Schauspielmusik zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum, die er 1937 im Auf- trag der Städtischen Theater Leipzig als ›Ersatz‹ für das berühmte Mendelssohn’sche Werk schreibt.757 Weitere erfolgreiche Leipziger Uraufführungen aus dieser Zeit sind politisch weniger klar einzuordnen.758 Nach Kriegsende ist Hans Stieber Mitgründer der Musikhoch- schule Halle und von 1947 bis 1948 auch deren erster Direktor. Ab 1948 wirkt er weiter als Professor für Komposition, Dirigieren und Operndramaturgie an der Hochschule, die 1955 in ein Schulmusik-Institut umgewandelt wird, und als Direktor der Robert-Franz-Singaka- 310 demie, die er bis 1953 leitet. Zu den Kompositionen Stiebers in der DDR-Zeit zählen z. B. die Kantate Überwinde (1951, Hannover) und das Orchesterwerk Sinfonischer Aufbruch (1952, Leipzig). Quellen: Horst Büttner, »Hans Stieber 50 Jahre«, in: NZfM 103 (1936), S. 332–333; Kauba, »Von Herausforderung bis Bekenntnis«; Mueller von Asow (Hrsg.), Kürschners Deutscher Musiker-Kalender 1954; MuG 6 (1956), S. 87; Prieberg; Schinköth, »Mendelssohn im NS- Staat«; Schinköth, »Chöre und Chormusik«, S. 319 (mit falscher Angabe zum Beginn der Tätigkeit in Hannover); Schneider, »Hans Stieber« (mit falscher Angabe zur Singakade- mie-Leitung; hier auch weitere Literatur); »Stieber, Hans«.

Rabenschlag, Friedrich *2.7.1902 in Herford †7.8.1973 in Leipzig Chorleiter der Leipziger Singakademie vom 1.9.1947 (Datum im Chorleitervertrag) bis zum 29. August 1950 (Datum der Kündigung seitens der Singakademie) Friedrich Rabenschlag studiert Germanistik, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Phi- losophie in Tübingen, Köln und Leipzig (hier 1925 bis 1928). Am Leipziger Konservato- rium belegt er zudem die Fächer Klavier, Orgel, Chor- und Orchesterleitung. Er gründet mit Studierenden der Universität und des Konservatoriums im Jahr 1926 den Madrigalkreis

757 Dabei handelt es sich nicht um eine Neukomposition im eigentlichen Sinne, sondern eine Zusammen- stellung und Bearbeitung von Musik aus Henry Purcells The Fairy Queen. Vgl. Thomas Schinköth, »Mendelssohn im NS-Staat«, in: Musikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem verdrängten Thema, hrsg. von Thomas Schinköth, Altenburg 1997, S. 103–126, hier S. 124. 758 Dazu zählen etwa die Symphonischen Aphorismen, die am 7. April 1940 durch den Gewandhaus-Kam- merchor uraufgeführt werden, oder die Sinfonische Trilogie für großes Orchester, die am 23. Oktober 1941 das Gewandhausorchester im Rahmen eines Anrechtskonzertes unter zur Urauf- führung bringt. Vgl. Thomas Kauba, »Von Herausforderung bis Bekenntnis: Ausgewählte Leipziger Uraufführungen im Nationalsozialismus«, in: Musikstadt Leipzig im NS-Staat. Beiträge zu einem ver- drängten Thema, hrsg. von Thomas Schinköth, Altenburg 1997, S. 320–341, hier S. 337–338. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

Leipziger Studenten. Im Jahr 1933 wird Rabenschlag Nachfolger Hans Hofmanns als Uni- versitätskantor. Damit übernimmt Rabenschlag den Universitätskirchenchor zu St. Pauli, der sich fortan Universitätskantorei und ab 1935 Heinrich-Schütz-Kantorei nennt, sowie das Studentenorchester bzw. Universitäts-Kammerorchester. Beide Chöre, Madrigalkreis und Kantorei, gehen in dem 1938 neu gegründeten Universitätschor auf (außerdem werden auch die Mitglieder der 1936 aufgelösten Sängerschaften zu St. Pauli und Arion zum Beitritt aufgefordert). Im Jahr 1939 wird Rabenschlag als Nachfolger Hermann Grabners zum Uni- versitätsmusikdirektor ernannt. Er wird 1941 zur Wehrmacht einberufen, aber in Leipzig verwendet, kann also weiter in der Stadt tätig sein. Von allen Ämtern wird er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suspendiert, weil er seit 1933 NSDAP-Mitglied war. Im Jahr 1946 er- folgt die Rehabilitation, 1949 die offizielle Wiedereinsetzung in seine Ämter an der Univer- sität. In Anerkennung seiner künstlerischen Verdienste verleiht ihm die Universität Leipzig 1954 den Professorentitel, die theologische Fakultät ernennt ihn 1963 zum Ehrendoktor. 311 1965 gibt Rabenschlag die Leitung des Universitätschors an Hans-Joachim Rotzsch ab, 1966 wird er offiziell von seinen Pflichten als Universitätsmusikdirektor und -kantor entbunden. Quellen: Prieberg (mit falscher Angabe zur Singakademie-Leitung); UAL, NA Raben- schlag; UMD (hier auch weitere Literatur).

Knape, Walter *14.1.1906 in Bernburg/Saale †14.11.2000 Cuxhaven Chorleiter der Leipziger Singakademie von 1951 (ca. Juni) bis Juli 1957 Die Eltern Walter Knapes ziehen mit ihm 1909 nach Magdeburg. Schon während seiner dor- tigen Schulzeit (Abitur 1925) erhält Knape musikalischen Unterricht bei dem Opernkapell- meister Walter Rabl, dem Komponisten Fritz Theil sowie dem Konservatoriums-Direktor Johannes Quaritsch und sammelt Erfahrungen als Pianist, Orchesterleiter und Komponist. Von 1927 bis 1928 studiert er am Leipziger Konservatorium u. a. bei Johann Merkel (Theo- rie, Komposition), Hans Grisch (Klavier), Hermann Ernst Koch (Chorleitung) und Günther Raphael (Tonsatz, Gehörbildung, Harmonielehre). An der Universität Leipzig schreibt er sich 1928 ein und studiert vor allem Musikwissenschaft und Pädagogik, belegt aber auch Veranstaltungen anderer Fächer.759 Er legt 1930 das Staatsexamen für akademische Musik- lehrer ab. Von 1929 an ist er zudem freier Mitarbeiter beim Rundfunk (MIRAG). In den Jahren 1930 bis 1934 wirkt Knape als Assistent am Lehrstuhl für Vortragskunst und Stimm- bildung sowie am Institut für Musikwissenschaft und Instrumentenmuseum der Universi- tät Leipzig. Am Museum leitet er gemeinsam mit Hermann Zenck das Collegium Musicum vocale. Er reicht 1934 eine Dissertation über Karl Friedrich Abels Sinfonien ein, die auch ange-

759 Laut eigenen Angaben besucht er auch Lehrveranstaltungen in Germanistik, Philosophie und Theo- logie (vgl. D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 24, fol. 24, und Autobiografie im Besitz von Gudrun Märker). Anhang

nommen wird, aber er wird nicht promoviert.760 1936 legt er in Dresden die Kapellmeister- prüfung ab, es folgen weitere Universitätsstudien in Halle. Im Mai 1937 tritt er der NSDAP bei. Im Jahr 1939 lehrt Walter Knape Musik am Dessauer Friedrichsgymnasium, bevor er im September desselben Jahres bis 1945 zum Kriegsdienst eingezogen wird. Eigenen Angaben zufolge erklärt er 1940 bei der 278. Infanterie-Division seinen Austritt aus der NSDAP.761 Nach Kriegsende arbeitet er erneut als Musiklehrer in Dessau, diesmal an der Goethe-Ober- schule (Philantropinum). Als Nachfolger ↗Hans Stiebers dirigiert Knape von 1947 bis 1956 den Leipziger Männerchor. Unter den weiteren Chören, die er zeitweise leitet, sind (neben der Singakademie) unter anderem der Männerchor der Landkraftwerke Leipzig AG in Kulk- witz, der Männer- und gemischte Chor Goldene Höhe in Leipzig-Gohlis, der Betriebschor des VEB-Kombinats Otto Grotewohl Böhlen, der Chor der Deutschen Notenbank und der Pe- ter-Rosegger-Handwerker-Chor in Leipzig.762 In der DDR-Zeit ist Knape Mitglied der Natio- nal-Demokratischen Partei Deutschlands (seit 1954) und des Kulturbunds.763 In den Jahren 312 1954 und 1955 reist er nach London um Werke Abels zu sichten. Von 1954 bis 1956 unterrich- tet er Harmonielehre, Chorsatz und Partiturspiel an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin (Ost). Er gehört zu den Initiatoren der Wartburgfeste, bei denen sich Chöre aus West- und Ostdeutschland von 1953 bis 1956 treffen. Im Anschluss an das Wartburgtreffen

760 In Universitätsarchiv Leipzig (Hrsg.), Promotionen aller Fakultäten von 1810 bis 1991, , 6.3.2013, fehlt sein Name. Forner schreibt, eine Veröffentlichung der Dissertation habe »das NS-Regime verhindert«. (Johannes Forner, »Walter Knape – Musiker und Gelehrter. Zum 100. Geburtstag am 14. Januar«, in: Zeitung aus dem Musikviertel (März 2006), S. 2–3, hier S. 3.) Gudrun Märker berichtet hierzu, dass die Themen, die Knape zur Doktorprüfung vorschlug, nicht akzeptiert worden seien: Christentum und Erziehung als pädagogisches Thema, Gottfried Wilhelm Leibniz als philosophisches. 761 Vgl. Unterlagen zur Entnazifizierung, Dessau 1946, Kopien im Besitz von Gudrun Märker. Die Deut- sche Nationalbibliothek in Leipzig bewahrt ein vierseitiges Faltblatt Musikerzieher im Aufbruch! auf, das 1938 in Leipzig als Manuskript gedruckt wurde. Es trägt keine Autorenangabe, nennt aber Knape als »verantwortlich«. Der Text wendet sich in einem Ton, der die NS-Herrschaft verherrlicht und von Anti- semitismus nicht frei ist, gegen die schlechte Führungsarbeit der Reichsmusikkammer und den von ihr propagierten musikalischen Gruppenunterricht. In einem Schreiben an die DNB vom Mai 1999 (Kopie im Besitz von Gudrun Märker) verlangt Knape, ihn nicht länger als Autor dieses Blattes zu führen. Nicht er habe es verfasst, sondern die Druckerei habe irrtümlich seinen Namen eingefügt, da seine Vortrags- reihe »Musikerziehung im Aufbau« dort bekannt war. 762 In einigen Quellen über Walter Knape heißt es, er habe auch den »Philharmonischen Chor« in Leip- zig geleitet (vgl. z. B. »Knape, Walter«, in: Stadtwiki Cuxhaven, , 6.3.2013). Dabei handelt es sich um die aus Singakademie und Leipziger Männerchor bestehende Arbeitsgemeinschaft Philharmonie, nicht um einen selbstständigen Chor. Siehe Kapitel 10.3: Die AG Philharmonie und die DDR-Kulturorganisationen (1951–1957). 763 Ein Artikel in den von der NDPD herausgegebenen Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten (23.2.1956, S. 3) bezeichnet Knape mehrfach als »Parteifreund« (vgl. Zeitungsausschnitt in D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 29, fol. 14, dort ohne Quellenangabe; Kopie des gleichen Artikels mit Kopfzeile der Zeitung im Besitz Gudrun Märkers). »Parteifreunde« sind im damaligen Sprachgebrauch Mitglieder der Blockpar- teien. SED-Mitglieder wurden im Unterschied dazu als »Genossen« angesprochen. Vgl. Art. »Genosse«, in: Birgit Wolf, Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch, Berlin-New York 2000, S. 82. Für den Hinweis hierauf danke ich Christian Wünsche. Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967

1956 wird er zum Musikdirektor ernannt. Er wird noch 1957 Musiklehrer am Musischen Gymnasium Markkleeberg, siedelt jedoch im Juli desselben Jahres nach Westdeutschland über und lässt sich in Cuxhaven nieder. Er wirkt als akademischer Musiklehrer an den Gym- nasien in Hannover und Cuxhaven und leitet von 1957 bis 1960 das Collegium Musicum an der Universität Hamburg. In Cuxhaven dirigiert er die Liedertafel und den Frauenchor, die sich bei gemischten Konzerten zur Chorvereinigung Cuxhaven zusammenschließen. 1968 übernimmt Knape den Posten des Theater-Musikleiters dortselbst. Walter Knape sammelt und ediert über viele Jahre die Werke Karl Friedrich Abels. Von 1958 bis 1974 gibt er die Karl-Friedrich-Abel-Gesamtausgabe in 16 Bänden im eigenen Verlag »Ad Portam« heraus. Er veröffentlicht 1973 die Monografie Karl Friedrich Abel. Leben und Werk eines frühklassischen Komponisten. Ihm werden verschiedene Auszeichnungen verliehen, zuletzt 1990 der Ver- dienstorden am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2006 wird an Knapes Geburtshaus in Bernburg eine Tafel zur Erinnerung an ihn enthüllt. Als Komponist hin- 313 terlässt Knape über 100 Werke, darunter Orchesterstücke, Werke für Chor und Orchester, Sololieder, Männer- und gemischte Chöre (teils auch geistlich), Kammermusik, Klavier- und Orgelwerke. Manche textgebundenen Werke tragen Spuren der Zeitumstände: Als Leiter eines Soldatenchors im Weltkrieg vertont Knape einzelne Soldaten- und Kriegslieder,764 in der DDR wendet er sich mehr Volksliedern und Goethe-Texten zu, arrangiert auch drei Lieder der frühen Arbeiterbewegung. Seine bekanntesten Instrumentalkompositionen sind Musik für zwei, op. 10, die Sinfonietta preclassica, op. 13 (1932), das Klaviertrio op. 18 und ein Orchestervorspiel zu Aischylos’ Die Perser, op. 36 (1947). Knape selbst bezeichnet sich 1980 als »Neo-Expressionisten«.765 Quellen: Baker’s (mit falschen Angaben zur Singakademie-Leitung); D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 29 u. Nr. 54; Forner, »Walter Knape«; Forner, »Ars et scientia«, »Knape, Walter« (mit falschen Angaben zur Singakademie-Leitung); Prieberg (mit falschen Angaben zur Singakademie-Leitung); Material zu Leben und Werk Walter Knapes im Besitz von Gudrun Märker, Leipzig; Gespräche Gudrun Märkers mit dem Autor am 22.4., 22.5. und 16.6.2014.

764 Vgl. Prieberg, S. 3753. Das ebd. ohne Quellenangabe gebrachte Zitat, Knapes Höllenfahrt, op. 4, sei »dem Gedächtnis der gefallenen braunen Kameraden« gewidmet, stammt aus der NZfM 103 (1936), S. 367. Die Partitur im Besitz von Gudrun Märker bestätigt das nicht, sondern trägt eine Widmung an den Musikschriftsteller Arthur Seidl (1863–1928). 765 D-LEsa, Bestand LMC, Nr. 54, fol. 9. Anhang

Richter, Gerhard *30.10.1920 in Frankenberg/Sachsen † 8.11.2008 in Dresden Chorleiter der Leipziger Singakademie vom 1. Januar 1958 bis Ende 1964 Gerhard Richter ist von 1931 bis 1940 Mitglied des Thomanerchors und im letzten Schuljahr dort Erster Präfekt unter der Leitung von Thomaskantor Karl Straube. Nach Arbeitsdienst, Kriegsdienst (1940–1943) und Kriegsgefangenschaft (1943–1948) studiert Gerhard Richter von 1948 bis 1952 evangelische Kirchenmusik an der Leipziger Musikhochschule. Anschlie- ßend tritt er als erster Bass in den Rundfunkchor Leipzig ein, dem er von 1953 bis zum Ren- teneintritt 1986 angehört. ↗Werner Säubert wird dort 1965 sein Kollege. Neben der Singaka- demie leitet Richter seit Ende 1953/Anfang 1954 den Männerchor Franz Schubert (ehemals Schubertbund) als Nachfolger von Georg Trexler. Dieser Chor fusioniert ca. 1955 mit dem Männerchor Merkur, welcher zum Dachverband Leipziger Volkssingakademie gehört. Damit 314 wird Richter zum zweiten Dirigenten der Volkssingakademie und Stellvertreter Otto Didams. Er spielt mehrfach die Orgel bei Auftritten der Volkssingakademie. Beim Rundfunkchor am- tiert Richter zeitweise als stellvertretender Chorleiter. In dieser Funktion studiert er chorsin- fonische Werke für Konzerte und Schallplattenaufnahmen ein und leitet den Männerchor des Rundfunkchors und den Gesamtchor bei A-cappella-Konzerten und -Aufnahmen. In den Jahren 1978 bis 1980, in denen der Rundfunkchor keinen festen Chorleiter hat, überbrückt er gemeinsam mit Gert Frischmuth und Jochen Wehner die Vakanz. Den Ruhestand verbringt Gerhard Richter in der Nähe seiner Kinder in Dresden-Kleinzschachwitz. Quellen: Informationen von Rüdiger Koch und Liane Richter, persönliche Aufzeichnun- gen von Gerhard Richter.

Säubert, Werner *6.1.1943 in Zschopau Chorleiter der Leipziger Singakademie von 1965 bis zu deren Auflösung 1967 Werner Säubert besucht die Oberschule in Erfurt und singt bereits dort im Chor unter Gert Frischmuth. Er tritt 1960 in den Extrachor des Theaters Erfurt ein und nimmt parallel Ge- sangsunterricht bei Bernhard Pöhlmann und Georg Friedrich Händel in Weimar. Nach dem Abitur 1961 absolviert er eine Lehre als Fotograf. Im Jahr 1963 wird Säubert als Chorsänger am Theater Nordhausen engagiert und nimmt parallel eine Ausbildung als Chor- und En- sembleleiter in Sondershausen auf. Er legt 1964 die staatliche Bühnenreifeprüfung in Ber- lin ab. Im August 1965 tritt Werner Säubert als zweiter Bass in den Rundfunkchor Leipzig ein, dem er bis 2008 angehört. Unter seinen Kollegen beim Rundfunkchor ist ↗Gerhard Richter. Werner Säubert wird Gründungsmitglied des Männer-Ensembles Die Fröhlichen Sänger, das regelmäßig in der beliebten Sendung Alte Liebe rostet nicht im DDR-Rundfunk auftritt. Er fotografiert während seiner Zeit beim Rundfunkchor immer wieder Dirigenten, die Porträtfotos werden zum 20-jährigen Chorjubiläum 1966 und zum 25-jährigen Jubi- läum 1971 ausgestellt. Werner Säubert lebt heute in Leipzig-Rückmarsdorf. Quelle: Gespräch Werner Säuberts mit dem Autor am 19. März 2013. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

12.3 Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

12.3.1 Vorbemerkung Das Personenlexikon enthält alle bekannten Mitglieder der verschiedenen Zweige und Gründungen von Singakademien in Leipzig während der ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Die Personennamen gehen aus zwei Hauptquellen hervor: 1. Jacob Bernhard Limburger: Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig angefangen im Jahre 1814 (Manuskript, D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2). 2. Die Mitgliedertabelle in der Akte zu »Der SING-ACADEMIE unter dem Musikdirector Schulz« (D-LEsa, SingA), fol. 5–10.

Zum Abgleich wurde die bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 7, abgedruckte 315 Mitgliederliste aus dem Jahr 1814 herangezogen. Dabei stellte sich heraus, dass alle von Langer verzeichneten Sängerinnen und Sänger auch in den Originalquellen 1 und 2 geführt werden (mit einer Abweichung, die jedoch vermutlich auf einen Lesefehler Langers zurückzuführen ist, siehe ↑Gustav Hartwig) und dass die Quellen 1 und 2 beide jeweils wesentlich mehr Per- sonen aufführen als Langer. Daraus ergibt sich, dass Paul Langer die beiden Quellen 1 und 2 beim Schreiben seiner Chronik im Jahr 1902 nicht vorlagen. Ihm diente offenbar ein drittes Dokument als Vorlage, das heute verschollen ist; nach eigener Angabe ein Kassenbuch. In den Einträgen des vorliegenden Personenlexikons wurden biografische und genea- logische Informationen aus verschiedenen Quellen kompiliert. A l l e Namen wurden an folgenden Stellen nachgeschlagen: –– ADB. –– Arbeitsgruppe Professorenkatalog Leipzig am Historischen Seminar der Universi- tät Leipzig (Hrsg.), »Professorenkatalog der Universität Leipzig«. –– Biogramme der Mitglieder der Journalgesellschaft von 1786 bis 1818 und Liste aller Mit- glieder dieser Gesellschaft in Wiessner, Leipziger Lesegesellschaften um 1800, S. 149–173. –– D-LEsa, Elektronische Biografie-Datenbank. –– Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte. –– Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V. (Hrsg.), »Sächsische Bio- grafie«. –– Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester. –– Klank/Griebsch, Lexikon Leipziger Straßennamen. –– LAB 1804 und LAB 1818 vollständig, stichprobenartig auch andere Jahrgänge. –– Matrikeln der drei damals existierenden Leipziger Freimaurerlogen: Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Matrikel der Loge Apollo; Matrikel der Loge Balduin. Zusätzlich die Personenliste in Förster/Hempel, Leipzig und die Freimaurer, S. 125–132. –– Matrikel der Universität Leipzig 1709–1809: Erler (Hrsg.), Die Immatrikulationen WS 1709 bis SS 1809; Blecher/Wiemers (Hrsg.), Die Jahre 1809 bis 1832. –– Moritzkartei. Anhang

–– NDB. –– Publizierte Mitgliederlisten der Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten: Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 81–137; Helbig, Die Vertrauten.

Um die nach Auswertung dieser Quellen noch verbleibenden Lücken zu ergänzen, wurde ferner zu e i n z e l n e n Personen recherchiert in: –– D-LEsa, Tit. XXXIV Nr. 14i: Alphabetisches Bürger-Verzeichnis. –– Hamberger u. a. (Hrsg.), Das gelehrte Teutschland. –– Herrero Mediavilla (Hrsg.), Deutscher Biographischer Index. –– Hohlfeld, Leipziger Geschlechter, Bd. 3. –– KAL, Taufkartei 1751–1850. –– Kneschke (Hrsg.), Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexikon. –– Personenregister in Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Bd. 8: März 1841 bis August 1842. 316 –– Polizeimeldebücher 1811–13, 1814–31, 1832–1854.

Die zusätzlichen Informationen zu Ortsnamen (heutige Gebietszugehörigkeit bei kleineren Orten, heute gebräuchliche Namen bei Orten, die nicht in Deutschland liegen) wurden mit Hilfe der Internet-Enzyklopädie Wikipedia bzw. der eigenen Internetpräsenzen der jeweili- gen Städte und Gemeinden ergänzt. Das Entstehen des Lexikons sowie die Ziele und Grenzen der Recherche werden im Hauptteil der vorliegenden Arbeit genau erläutert und begründet.766 Über die dort genann- ten Grundsätze hinaus gelten für die einzelnen Einträge zwei weitere Einschränkungen: –– Genaue Geburts-, Heirats- und Todestage werden nicht genannt, es genügt die Angabe des Jahres. Eine Ausnahme bilden manche Ereignisse, die während der Singakademie- Mitgliedschaft eintreten und zur Identifikation wichtig sind oder Einfluss auf die Na- mensform haben, wie z. B. Heirat oder der Erwerb akademischer Grade und Titel. –– Auf detaillierte Quellenangaben bei den einzelnen Personeneinträgen wird verzichtet, die zu Rate gezogenen Quellen sind oben global angegeben. Lediglich wenn verschiedene Quellen einander widersprechen, wird dies aufgezeigt. Abgesehen davon finden sich Quellenangaben dann, wenn zu einer Person zusätzliche, spezielle Literatur herangezo- gen wurde.

Vier Personen in diesem Lexikon waren im Laufe ihres Lebens selbst Direktoren der Leip- ziger Singakademie: ↗Christian August Pohlenz, ↗Johann Gottfried Schicht, ↗Friedrich Schneider und ↗Johann Philipp Christian Schulz. Die entsprechenden Einträge enthalten hier außer den Daten zur Mitwirkung in den Singakademien keine Informationen. Ihre ausführlichen Biografien sind in einem anderen Teil des Anhangs nachzulesen.767

766 Siehe Kapitel 4.1: Quellen und Entstehungsprozess des biografischen Lexikons der Mitglieder. 767 Siehe Anhang 12.2: Die musikalischen Leiter der Leipziger Singakademie(n) von 1802 bis 1967. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

12.3.2 Aufbau der Einträge Die Personeneinträge sind nach folgendem Schema aufgebaut:

Name, Vorname(n) (Taufnamen oder Namenszusätze, ggf. Geburtsname) [alter- native Namensformen], Geburts- und/oder Sterbejahr Daten zur Mitwirkung in den Singakademien in Kurzform Biografische Anmerkungen.

Dabei gelten die folgenden Grundsätze: 1. Namensbestandteile –– Bei Frauen, die durch Heirat andere Familiennamen angenommen haben, gilt: Der Hauptname im vorliegenden Lexikon ist derjenige beim ersten Auftreten in den Akten zur Leipziger Singakademie. Der Geburtsname folgt in Klammern nach dem Vorna- 317 men. Namensänderungen, die während oder nach der Mitgliedschaft in der Singaka- demie auftreten, werden, soweit ermittelt, nicht in der Überschrift erwähnt, sondern in den biografischen Anmerkungen. –– Bei den Vornamen kann es sich um aus den Mitgliederlisten hervorgehende Rufnamen oder um in den Sekundärquellen ermittelte Ruf- bzw. Taufnamen handeln. –– Wenn nur der Nachname sicher überliefert ist, so wird zusätzlich die in den Quellen überlieferte Anrede mit angegeben, die bei Frauen auch etwas über den Familienstand aussagt, etwa beim Unterschied zwischen »Demoiselle« (Fräulein) und »Madame« (Frau). Wenn die Person jedoch durch Abgleich verschiedener Quellen eindeutig iden- tifiziert werden konnte, wird auf die Nennung von Anreden und Titeln verzichte. Bei- spiel: »Herr Hohlfeldt« wurde nicht eindeutig identifiziert, wird daher wie in den Quel- len wiedergegeben. »Madame Frege geb. Stoll« wurde identifiziert als »Frege, Sophia Henriette (geb. Stoll)«. –– Unterscheidende Namenszusätze, wie sie in den Akten gebraucht werden (»sen.« und »jun.« oder »I« und »II«) folgen in Klammern nach dem Vornamen. –– Alternative Schreibungen oder Varianten von Namen werden in eckigen Klammern angezeigt. Davon ausgeschlossen sind die sehr häufigen Schreibvarianten ck=k, c=k, th=t, ss=ß sowie die Auflösung der Umlaute in ae, oe und ue. Wenn in verschiedenen Quellen z. B. die Varianten »Wiek« und »Wieck« oder »Bärwinkel« und »Baerwinkel« vorliegen, wird darauf also nicht hingewiesen. In der betreffenden Zeit wurden Schreib- varianten oftmals parallel mit gleicher Gültigkeit behandelt.

2. Mitwirkung in den Singakademien Die vorhandenen Akten geben sehr detailliert wieder, wer zu welcher Zeit in welcher der Singakademien Mitglied ist und wer bei welchem Auftritt in welcher Stimmgruppe singt – sogar mitunter, wer zwar Mitglied ist, aber bei bei einem Auftritt verhindert ist. Manche Singakademie-Mitglieder spielen bei einem Auftritt (am 19.3.1815) Instrumente im Orches- ter, einige Personen treten nicht als Sänger in Erscheinung, sondern als »Musikgelehrte« Anhang

in Limburgers Privatakademien.768 Diese Informationen werden hier komprimiert wieder- gegeben: –– Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, [Stimmgruppe]: Person ist Mitglied bei der ersten Gründung der Leipziger Singakademie unter Johann Gottfried Schicht und nimmt an der ersten Übung am 16. Juni 1802 in der angegebenen Stimmgruppe teil.769 –– Mitglied (Schicht I) 1802–1804: Person tritt nach der am 16. Juni 1802 erfolgten Grün- dung der Leipziger Singakademie unter Johann Gottfried Schicht bei, bevor diese sich 1804 auflöst.770 –– Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, [Stimmgruppe]: Person ist Mitglied bei der zweiten Gründung der Leipziger Singakademie unter Johann Gottfried Schicht und nimmt an der ersten Übung am 5. Mai 1812 in der angegebenen Stimmgruppe teil.771 –– Mitglied (Schicht II) 1812–1814: Person tritt zwischen der am 5. Mai 1812 erfolgten zwei- ten Gründung und dem Ende des Jahres 1814 der Leipziger Singakademie unter Johann 318 Gottfried Schicht bei.772 –– [Stimmgruppe] am 28.11.1812: Person nimmt an der Aufführung am 28. November 1812 im großen Saal des Gewandhauses teil, zu der sich »Mitglieder beider Singinstitute [die Singakademien von Schicht und Riem, beide gegründet 1812] nebst noch mehrern Lieb- habern des Gesanges« vereinigen.773 Die Quelle verrät nicht, wer zu welcher der beiden Singakademien gehört. –– [Stimmgruppe] am 20.4.1814: Person nimmt an der Aufführung am 20. April 1814 in der Nikolaikirche teil, zu der sich die beiden Singakademien von Schicht und Riem (beide gegründet 1812) zusammenschließen.774 Die Quelle verrät nicht, wer zu welcher der beiden Singakademien gehört. –– [Stimmgruppe] (Schicht II/Schulz) am 18.10.1814: Person nimmt an der Aufführung am 18. Oktober 1814 im großen Saal des Gewandhauses teil, zu der sich die beiden Singaka- demien von Schicht (gegr. 1812) und Johann Philipp Christian Schulz (gegründet 1814 vornehmlich aus Mitgliedern der kurz zuvor aufgelösten Riem’schen Singakademie) zusammenschließen.775 Welcher der beiden Singakademien die Person angehört, ist in Klammern nach dem Stimmfach angegeben. –– [Stimmgruppe, Instrument oder »verhindert«] (Schicht II/Schulz) am 19.3.1815: Person nimmt an der Aufführung am 19. März 1815 teil, zu der sich die beiden Singakademien

768 Zur Geschichte der verschiedenen Zweige und Teilgründungen der Leipziger Singakademie sowie zum Kontext der einzelnen Konzerte siehe Kapitel 3: Erste Phase: Gründungen mehrerer Singakademien und Konsolidierung (1802–1818). Zusätzliche Angaben zu den genannten Konzerten (Programm, Diri- gent, weitere Quellen etc.) sind zu finden in Anhang 12.5: Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n). 769 Personenliste in D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2–2v. 770 Personenliste ebd., fol. 2v–3. 771 Personenliste ebd., fol. 3v–4. 772 Personenliste ebd., fol. 4–4v. 773 Zitat ebd., fol. 5; Personenliste ebd., fol. 5v–6v. 774 Personenliste ebd., fol. 9v–11. 775 Personenliste ebd., fol. 15v–17. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

von Schicht (gegr. 1812) und Schulz (gegr. 1814) zusammenschließen.776 Welcher der beiden Singakademien die Person angehört, ist in Klammern nach dem Stimmfach an- gegeben. Einige Mitglieder spielen bei dieser Gelegenheit im Orchester, bei ihnen wird das Instrument genannt. »Verhindert« heißt, dass die Person zwar als Mitglied geführt wird, jedoch am genannten Auftritt nicht teilnehmen kann. –– [Stimmgruppe oder »Musikgelehrter«] in Limburgers Privatakademie am [Datum/Daten]: Person nimmt an einer oder mehrerer der insgesamt vier Zusammenkünfte in der Wohnung von Jacob Bernhard Limburger teil, die im Oktober und November 1820 so- wie im März 1821 stattfinden und bei denen Chorstücke von »Musikgelehrten« bespro- chen und von einem kleinen Chor geübt werden.777 –– Bei Langer als Mitglied 1814 genannt: Person findet sich in der Mitgliederliste für das Jahr 1814, die in der Chronik der Leipziger Singakademie abgedruckt ist.778 Es ist nicht klar, auf welche Singakademie sich diese Liste bezieht: Die Singakademie von Schicht (gegr. 319 1812) existiert das ganze Jahr hindurch, die von Riem (gegr. 1812) löst sich nach ihrem letzten Auftritt am 9.8.1814 auf, die von Schulz wird im Anschluss vornehmlich aus den Mitgliedern der Riem’schen Singakademie gegründet. –– Mitglied (Schulz) [Eintritts- u. evtl. Austrittsdatum oder »bereits unter Riem«]: Die Person ist Mitglied der von Johann Philipp Christian Schulz am 3.9.1814 gegründeten Singaka- demie.779 »Bereits unter Riem« bedeutet, dass die Person zuvor bereits Mitglied in der unter Wilhelm Friedrich Riem von 1812 bis August 1814 bestehenden Singakademie war. Am Ende der Personenliste fehlt bei einigen Personen das Beitrittsdatum, aber da die Liste chronologisch angelegt ist und die zuletzt genannten Daten im Jahr 1818 liegen, wird das Datum bei diesen Personen mit »1818?« angegeben.

Es wird versucht, die einzelnen Einträge zur Mitwirkungen in den Singakademien bei jeder Sängerin und jedem Sänger in eine zeitlich logische Reihenfolge zu bringen. Nicht immer ergibt sich eine eindeutige Reihenfolge, weil manche Angaben in den Quellen zeitlich un- spezifisch sind, etwa in den Gruppen Mitglied (Schicht I) 1802–1804 und Mitglied (Schicht II) 1812–1814. Folgen bei einer Person mehrere ähnlich lautende Einträge aufeinander, werden sie zusammengefasst, z. B. wird aus Alt (Schulz) am 18.10.1814 und Alt (Schulz) am 19.3.1815 kurz: Alt (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815.

3. Biografische Anmerkungen –– Beruf und Stand beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf den Zeitpunkt des Eintritts in die Singakademie.

776 Personenliste ebd., fol. 19–21. 777 Personenlisten ebd., fol. 24–24v, 25, 26v. 778 Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 7. 779 Personenliste mit eigenhändigen Unterschriften: D-LEsa, SingA, fol. 5–10. Anhang

–– Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich Orts- und Institutionsangaben immer auf Leipzig, z. B. bei Kirchen, Stadtteilen und der Universität. –– Angaben zur Konfession, die sich in den Sekundärquellen vereinzelt finden, wurden mit aufgenommen. Es ist davon auszugehen, dass die Konfession z. B. in den Kirchen- büchern nur dann vermerkt wurde, wenn sie von der in Leipzig vorherrschenden evan- gelisch-lutherischen abwich. –– Bei familiären Beziehungen wird neben direkter Blutsverwandtschaft auf Ehepartner und auf Schwäger im engen Sinne verwiesen, nicht aber auf sogenannte ›Schwipp- schwäger‹ (Schwäger von Ehepartnern oder Geschwistern). –– Bei Daten zur Mitgliedschaft in der Gewandhaus-Konzertdirektion, den Freimaurerlo- gen, den Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten gilt folgende Kurzform: Auf den Namen der Institution, in der jemand Mitglied ist, folgt direkt das Eintrittsjahr und, falls bekannt, das Austrittsjahr. Die drei Freimaurerlogen werden in ihrer kurzen Na- 320 mensform benannt: Minerva = Minerva zu den drei Palmen, Balduin = Balduin zur Linde, Apollo = Apollo im Orient. Von den zahlreichen Ämtern, die ein Mann innerhalb einer Freimaurerloge einnehmen konnte, sind hier nur angegeben: Meister vom Stuhle, de- putierter Meister vom Stuhle, Musikdirektor.

12.3.3 Biogramme

Anacker, August Ferdinand, 1790–1854 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Bass (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Er stammt aus Freiberg (Sachsen) und immatrikuliert sich 1814 an der Universität. Gleich- zeitig erhält er musikalischen Unterricht von ↗Johann Gottfried Schicht und ↗Friedrich Schneider. Als ↗Wilhelm Friedrich Riem Leipzig im September 1814 verlässt, übernimmt Anacker dessen Klavierschüler. Loge Apollo 1816–1822. Ab 1822 ist er Kantor und Musik- lehrer am Lehrerseminar in Freiberg und gründet dort 1823 selbst eine Singakademie. 1827 übernimmt er das Freiberger Bergmusikkorps, »mit welchem er regelmäßig vierzehntägig Concerte nach dem Muster des Leipziger Gewandhauses gab, worin die besten Instrumen- talwerke und mit Hinzuziehung eines Chores auch Oratorien etc. aufgeführt wurden.«780 1835 erhält er vom Freiberger Magistrat den Titel Musikdirektor. Er komponiert hauptsäch- lich Vokalmusik (Kantaten und zahlreiche Lieder), am erfolgreichsten ist seine Kantate Der Bergmannsgruß.

780 Arrey von Dommer, »Anacker, August Ferdinand«, in: ADB 1 (1875), S. 419, , 24.4.2013. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

André [Andreé], Karl Maximilian, 1780–1827 Tenor am 20.4.1814 Mediziner, Absolvent der Universität. Er immatrikuliert sich 1801 und wird 1809 zum Dr. med. promoviert. Loge Minerva 1812. 1814 wird er als »Lehrer der Entbindungskunst in Dres- den«781 genannt, 1818 als Professor in Breslau.

Anschütz, Ernst (Ernst Gebhard Salomon), 1780–1861 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Tenor (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Der Absolvent der Universität (immatrikuliert 1798, Magister und Dr. phil. 1802) stammt aus Goldlauter (heute Ortsteil von Suhl, Thüringen) und ist Lehrer. Schon als Student hat er 321 ab 1799 als Hilfslehrer an der Wendler’schen Freischule gearbeitet, seit 1806 ist er Hilfsleh- rer, 1836 wird er schließlich fest angestellter Klassenlehrer an der 1. Bürgerschule. Er heira- tet 1812 ↑Maria, geb. Sorge; aus der Ehe gehen sieben Kinder hervor. Der Multiinstrumen- talist Anschütz (Klavier, Orgel, Violine, Cello, Klarinette) erhielt musikalischen Unterricht von ↗Johann Gottfried Schicht. Er wird 1818 Kantor und Organist an der Georgenkirche, 1820 dann Organist an der Neukirche. Er gibt das Musikalische Schulgesangbuch (Leipzig 1824/1828/1830) heraus und wird bekannt als Volks- und Kinderlieddichter (z. B. »Fuchs, du hast die Gans gestohlen«, »Es klappert die Mühle am rauschenden Bach«, Umdichtung von »O Tannenbaum« zur heute üblichen Fassung). Loge Apollo 1809, Ehrenmitglied Loge Balduin 1851, Loge Minerva 1859.

Anschütz, Maria (Amalie Maria Magdalena, geb. Sorge) Sopran am 20.4.1814 Frau des ↑Ernst Anschütz (Heirat 1812).

Apel, Emilie (Johanna Emilie, geb. Hindenburg), *1792 Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter von Carl Friedrich Hindenburg (1741–1808, Professor für Philosophie und Physik an der Universität, Harmonie 1783). Schwester von ↑Carl Hindenburg. In erster Ehe ist sie seit 1808 verheiratet mit Dr. iur. Johann August Apel (1771–1816, Jurist und Dichter, Ratsherr, Textdichter zu ↗Friedrich Schneiders Oratorium Das Weltgericht). Nach der Familie Apel sind Apels Garten in Leipzig-Zentrum-West und die Apelstraße in Eutritzsch benannt. In

781 LAB 1814, S. 47. Anhang

zweiter Ehe heiratet Emilie Apel 1818 Dr. iur. Christoph Friedrich Schreckenberger (1786– 1867, promoviert 1812, Beisitzer des Schöppenstuhls, Appellationsrat, Stadtverordneter 1831–34 und 1836–39, Loge Minerva 1808, Ehrenmitglied Loge Balduin 1858 bis zu seinem Tod, Harmonie 1819–1857, Mitglied der Journalgesellschaft), einen Bruder der zu diesem Zeitpunkt schon verstorbenen ↑Emilie Zürn, geb. Schreckenberger. Der aus dieser zweiten Ehe hervorgehende Sohn Gustav Schreckenberger (*1820) promoviert ebenfalls als Jurist und arbeitet als Advokat. Er heiratet 1852 eine Fanny Therese Henriette Ploß, die möglicher- weise mit den hier aufgeführten Mitgliedern der Familie ↑Ploss verwandt ist.

Auerbach, Therese (Maria Theresia, geb. La Roche) Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 15.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 322 Tochter des Polizeiinspektors zu Berlin August Ludwig La Roche. Sie ist seit 1812 verheiratet mit dem jüdischen Bürger und Kaufmann Carl Christian Auerbach (†1839 mit 60 Jahren, Warensensal aus Driesen/Neumark, heute Drezdenko, Polen).

Balthasar, Emilie (Emilie Auguste), *1800 Mitglied (Schulz) ab 17.5.1817 Tochter des Tapezierers Samuel Friedrich Balthasar (1755–1821). Sie heiratet 1843 Dr. phil. Heinrich Moritz Humann.

Bärbalk, Emilie (Johanna Emilie) Bärbalk, Henriette Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Alt am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Alt (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Zwei Töchter des Bürgers und Kaufmanns August Friedrich [Friedrich August] Bärbalk (1753–1832, reformiert, Kauf- und Handelsherr, Teilhaber der Firma Gabain und Bärbalk, die mit roher Seide und Garn handelt, Loge Minerva 1785). Die Schwestern werden 1820 Schwä- gerinnen von ↑Friederike Dorothea Willhöfft. Emilie Bärbalk heiratet reformiert im glei- chen Jahr Georg Voß (Buchhändler, Harmonie 1798–1807). Bei Henriette Bärbalk handelt es sich entweder um Bärbalks älteste Tochter Henriette Carolina (die 1816 Johann Bernhard Ludwig Koch heiratet) oder – wahrscheinlicher – um die zweitälteste Tochter Henriette (die 1819 Friedrich Wilhelm Simon Seiff heiratet). Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Barghiel [Bargiel], Adolph (August Adolph), 1783–1841 Bass in Limburgers Privatakademie am 17.11.1820 Tenor in Limburgers Privatakademie am 4.3.1821 Ehemaliger Student an der Universität (immatrikuliert 1809). 1810–1819 erster Geiger im Gewandhausorchester. Klavierlehrer. Er gründet 1818 eine Gesangsbildungsanstalt in Leip- zig. Loge Balduin 1813–1835, dort Musikdirektor 1822–26. Er heiratet 1824 ↑Marianne Wieck, geb. Tromlitz. 1826 Weggang als Musiklehrer nach Berlin, Vater des Komponisten u. Dirigenten Woldemar Bargiel.

Bärwinkel, Carl August (sen./I) Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt 323 Mitglied (Schulz) September 1814 bis 16.3.1816 Tenor (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Student aus Voigtstedt (heute im Kyffhäuserkreis, Thüringen), immatrikuliert 1813. Sicher- lich der ältere Bruder von ↑Johann Christian Bärwinkel.

Bärwinkel, Johann Christian (jun./II) Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Bass (Schulz) am 19.3.1815 Student aus Voigtstedt (heute im Kyffhäuserkreis, Thüringen), immatrikuliert 1814. Sicher- lich der jüngere Bruder von ↑Carl August Bärwinkel.

Battka, Thekla (geb. Podleska), 1764–1852 Sopran in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 4.3.1821 Stammt aus Beraun in Böhmen (heute Beroun, Tschechien) und kommt bereits 1776 erst- mals mit ihren drei Schwestern nach Leipzig, wo sie Schülerin an Johann Adam Hillers Singschule wird. Gemeinsam mit ihrer Schwester Marianne wird sie 1781 als ständige Sän- gerin am Gewandhaus verpflichtet.782 Sie vermählt sich 1791 mit dem Flötisten Battka. 1800 ist sie für zwei Konzerte als Sängerin im Gewandhaus engagiert. Seit 1802 lebt sie in Prag. Sie besucht 1820/21 mit ihrer Nichte und Schülerin ↑Chatinka Comet Leipzig. Mehrmals stiftet sie dem Gewandhausorchester bzw. dem Orchesterpensionsfonds Geld.

782 Vgl. Schering, Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs, S. 480. Anhang

Baumgartner [Baumgärtner], Julius Alexander, *1797 Mitglied (Schulz) ab 30.10.1817 Buchhändler, sein Vater Friedrich Gotthelf Baumgärtner ist ebenfalls Buchhändler. Julius Alexander Baumgärtner wird 1823 als Preußischer General-Consul erwähnt. Seine Toch- ter Olga Bertha Josephine heiratet 1859 den Kaufmann Heinrich Albert Lücke (1834–1890, Die Vertrauten 1880), seine Tochter Anna Julie Melitta heiratet 1861 den Bankier Friedrich Gustav Schulz (1831–1877, Die Vertrauten 1868, Witwer von Johanna Natalie Seyfferth, einer Tochter von Wilhelm Theodor Seyfferth, zu ihm siehe ↑Wilhelm Seyfferth), seine Tochter Therese Alexandrine heiratet 1866 den Bankier Ferdinand Edmund Becker (1835–1894, Die Vertrauten 1878).

Bäumler, Ernst Friedrich (Andreas Ernst Friedrich), *1789 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 324 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Student aus Lützensömmern (heute im Unstrut-Hainich-Kreis, Thüringen), immatrikuliert 1811. Er wird 1818 als Magister und Mitglied des montägigen Predigerkollegiums erwähnt und heiratet 1819 ↑Emilie Fleischer. Loge Apollo 1817–1819. Später Dr. phil., Pfarrer und Superintendent in Eisleben.

Berger, Friedrich August Mitglied (Schulz) ab September 1814 Tenor (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Zwar gab es in Leipzig zur betreffenden Zeit mehrere gleichnamige Personen (u. a. einen Wollarbeiter, einen Sohn eines Lohnbediensteten, einen Sohn eines Gärtners), doch spre- chen die Indizien für den Studenten Friedrich August Berger aus Pulsnitz (heute Kreis Bautzen, Sachsen), immatrikuliert 1814.

Bernhard [Bernhardt], Ludwig (Ludwig Carl Philipp), 1762–1810 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Textilunternehmer. Kauf- und Handelsherr. Betreibt 1804 das Geschäft Gebr. Bernhardt mit seinem Bruder Carl Friedrich. Gewandhaus-Konzertdirektion 1798–1804, Loge Balduin 1799–1809.

Bertoldy, Johann Friedrich Mitglied (Schulz) ab 25.10.1817 Student aus Dresden, immatrikuliert im September 1817. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Beyer, Mariane [Marianna], *1800 Mitglied (Schulz) ab 17.1.1818 Tochter des Wollhändlers Heinrich Gottlob Beyer (1756–1832, Harmonie 1813–1827). Sie hei- ratet 1823 ↑Theodor Alexander Platzmann.

Madame Bierey Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Ist in Leipzig nicht aktenkundig. Allerdings legt Limburgers Hinweis »jetzt in Breslau«783 nahe, dass es sich um ein Familienmitglied von Gottlob Benedict Bierey (1772–1840, Operet- tenkomponist und Kapellmeister, 1794–1806 Musikdirektor bei der Seconda’schen Theater- gesellschaft in Leipzig, 1807–28 Kapellmeister an der Oper in Breslau) handelt, wahrschein- lich um seine Ehefrau. 325 Bischoff, Henriette Mitglied (Schulz) ab 17.5.1817 Der Name ist nicht einmalig, aber wahrscheinlich handelt es sich um Johanna Henriette Friederike Bischoff, die 1802 geborene Tochter von Johann Gottlob Bischoff (1749–1814). Er und Christian Friedrich Fürchtegott Bischoff (*1772) sind 1804 Samtfabrikanten.

Mademoiselle Böheim Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Im Januar 1803 als Sängerin im Großen Konzert engagiert. Limburger notiert zu ihr: »jetzt verehl. Graff in Frankfurt a/m«.784

Borsam, Friedrich August, 1796–1850 Mitglied (Schulz) ab 8.11.1816 Bürger und Kaufmann. Er ist der zweite Sohn von Johann Andreas Borsam, Bürger und Kramer, und Carolina Wilhelmina, geb. Kayßer. Seine Mutter heiratet 1801 in zweiter Ehe Gottfried Andreas David Holberg, den Schwager von ↑Henriette Holberg (siehe dort unter 3.). Die Herren Borsam, Holberg und Comp. betreiben 1818 eine Zitz- und Kattunhand- lung.785 Friedrich August Borsam ist Mitglied der Loge Balduin von 1819 bis zu seinem Tod.

Bräunlich, Wilhelm (Karl Wilhelm) Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 12.11.1814 bis 14.1.1815 Student aus Raußlitz (heute Landkreis Meißen, Sachsen), immatrikuliert 1811.

783 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2v. 784 Ebd., fol. 3. 785 Kattun ist leinwandartiger Baumwollstoff, zum Bedrucken bestimmt; Zitz ist eine feinere Art von Kat- tun. Anhang

Breyer [Breuer], Johann David, 1790–1863 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Pauken (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Student aus Wurzen, immatrikuliert 1812. Er kam 1803 als Thomasschüler nach Leipzig und spielte mehrmals Pauke im Gewandhausorchester (1809 als Schüler, 1814 als Student). Von 1820 bis zu seinem Tod ist er Kantor und Lehrer am Gymnasium in Torgau.

Herr Büttner Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Nicht sicher identifiziert. Mehrere Leipziger Familien dieses Namens und auch mindestens 326 ein damaliger Student sind nachweisbar.

Herr Buzer Bass am 28.11.1812 Nicht sicher identifiziert. Nachgewiesen ist ein Johann Karl Buzer, Hauptmann zu Halle, der 1832 einen Sohn namens Georg Adam Richard bekommt, welcher später Bauunter- nehmer zu Duisburg wird. Bekannt ist auch der Magister und Diakon zu Geithain (heute Landkreis Leipziger Land) Christian Friedrich Bucerus (†1813), Autor eines 1792 in Leipzig erschienenen Werkes Das Geheimniß der Dreyeinigkeit in seiner gefährlichen Lage. Ob der Singakademie-Sänger mit einem der genannten in Verbindung steht oder identisch ist, war ohne Weiteres nicht zu klären.

Campagnoli, Albertina, 1795–1848 Campagnoli, Gianetta [Giannina] Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Sopran am 20.4.1814 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Zwei Töchter von Bartolomeo Campagnoli (1751–1827, Gewandhaus-Konzertmeister 1797– 1816 als Vorgänger von ↑Heinrich August Matthäi, Loge Minerva 1808, katholisch). Beide waren Schülerinnen von Ceccarelli in Dresden, Albertina genoss auch Unterricht bei ↗Jo- hann Gottfried Schicht in Leipzig. Die Schwestern sind mehrmals als Sängerinnen im Gro- ßen Konzert engagiert (Albertina zwischen 1808 und 1818, Gianetta ab 1810). Von Mai 1816 bis Ostern 1818 ist die Familie von Leipzig abwesend, 1819 verlassen Albertina, Gianetta und ihr Vater Leipzig endgültig. Sie sind zunächst in Frankfurt a. M. am Theater engagiert, dann bis 1821 in Hannover, später in Neustrelitz. Dort wird Gianetta 1826 erste Sängerin am Hoftheater, Albertina ist jedoch kein Erfolg beschieden. 1829, zwei Jahre nach dem Tod des Vaters, ziehen die Schwestern nach Berlin, später wieder nach Hannover. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Clarus, Johann Christian August, 1774–1854 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Tenor (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Anatom, Chirurg, Hof- und Medizinalrat. Absolvent der Universität (immatrikuliert 1795, Promotion 1798, Habilitation 1799). 1799–1803 Privatdozent für Medizin, 1803–1820 außer- ordentlicher Professor für Anatomie und Chirurgie, 1820–1848 ordentlicher Professor für medizinische Klinik und gleichzeitig Oberarzt am Jakobsspital. 1840/41 Rektor der Uni- versität Leipzig, mehrfach Dekan der medizinischen Fakultät. Heiratet 1805 ↑Julie Träger. Evangelisch-lutherisch. Ehrenbürger Leipzigs am 20.12.1838 wegen seiner 25-jährigen Tä- tigkeit als Stadtphysikus. Verfasser des psychiatrischen Gutachtens über Johann Christian Woyzeck, das Georg Büchner zu seinem Drama Woyzeck inspirierte. Hausarzt von Felix 327 Mendelssohn Bartholdy in Leipzig. Sekretär der Schulz’schen Singakademie 1814, Mitglied des Organisationskomitees für das Benefizkonzert beider Singakademien am 18.10.1814, Vorstandsmitglied der Singakademie im Jahr 1823. Loge Minerva 1801, Loge Balduin 1820 bis zu seinem Tod. Harmonie 1809.

Clarus, Julie (Juliana Friederike Augusta, geb. Träger), 1786–1852 Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Kaufmanns Johann August Träger, Ehefrau von ↑Johann Christian August Cla- rus (Heirat 1805). Vorsteherin der Schulz’schen Singakademie 1814.

Clodius, Lotte (Maria Dorothea Charlotte, geb. Witthauer), †1828 mit 39 Jahren Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Sopran (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Lübecker Werkmeisters und Organisten zu St. Jakobi Johann Georg Witt- hauer (1750–1802). Sie heiratet 1811 Christian August Heinrich Clodius (1772–1836, Philo- soph, Dichter, Absolvent der Universität, Magister 1792, seit 1800 Professor für praktische Philosophie, mehrfach Dekan der philosophischen Fakultät, evangelisch-lutherisch). Ihre Schwester Anna Elisa heiratet 1820 ↑Wilhelm Crusius.

Comet, Chatinka Sopran in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 4.3.1821 Die aus Prag stammende Sängerin ist im Winter 1820/21 im Großen Konzert engagiert. Bei ihrem Aufenthalt in Leipzig wird sie begleitet von ihrer Tante und Lehrerin ↑Thekla Battka. Anhang

Crusius, Julia Charlotte (geb. Hillig), 1789–1816 Sopran am 20.4.1814 Die Tochter des Handlungsdeputierten und Erbherrn auf Tiefensee Christian Gottlob Hillig (Harmonie 1793–1795) ist seit dem 2.2.1814 verheiratet mit ↑Wilhelm Crusius.

Crusius, Wilhelm (Heinrich Wilhelm Leberecht), 1790–1858 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt »war von einem Mitgliede [am 12.11.1814] wider seinen Willen vorgeschlagen worden, besuchte da- her die [Schulz’sche] Academie nicht«786 Nahm als »Liebhaber« [Nichtmitglied] an der Aufführung am 19.3.1815 teil. Sohn des Buchhändlers Siegfried Leberecht Crusius (Harmonie 1789, †1824). Absolvent der Universität (immatrikuliert 1806, Dr. iur. 1813), später Mitglied des Landtags, Landwirt, Na- 328 tionalökonom. 1835 Direktoriumsmitglied der Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie. Er heiratet am 2.2.1814 ↑Julia Charlotte Hillig und in zweiter Ehe 1820 in Lübeck Anna Elisa Witthauer (†1871), die Schwester von ↑Lotte Clodius. Harmonie 1815.

Dallera, Johann Joseph, 1762–1816 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Kaufmann, katholisch, 1804 erwähnt als Geschäftsführer der Handlung für italienische Wa- ren und Wein »Peter Anton Dallera«. Loge Minerva 1795. Harmonie 1801–1811. Er leistet 1810 den Leipziger Bürgereid.

Devrient, Johanna (Johanna Christiana, geb. Loth), 1784–1857 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.4.1815 Sopran (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Ratsherrn und Bankiers Christian Heinrich Loth (1735–1817, Mitgründer der Ge- sellschaft Harmonie 1776, Die Vertrauten 1791), Ehefrau des Bürgers und Kaufmanns Johann Immanuel [Emanuel] Devrient (Heirat 1805, reformiert). Er führt zusammen mit Philipp Devrient 1804 die Kurzwarenhandlung Devrient Söhne. Die Unternehmer betreiben eine eigene Fabrik in Berlin.

Dienemann, Augustina (Johanna Christiana Augustina, geb. Oelsner), †1820 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Einzige Tochter des Oberschöppenschreibers Augustin Christian Oelsner, Ehefrau von Georg August Wilhelm Dienemann, Diakon in Nebra (Heirat 1806).

786 D-LEsa, SingA, fol. 7. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Döring, Friedrich Christian Adam, †1824 mit 52 Jahren Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Tenor Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Student bzw. Absolvent der Universität (immatrikuliert 1793, promoviert zum Dr. med. 1804), Mediziner. Er heiratet 1804 Amalia Wilhelmine Hofmann, die Tochter des Thomas- schullehrers Johann Gottlob Hofmann.

Dörrien, Heinrich, 1786–1858 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass Bass am 28.11.1812 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 329 Bass in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Sohn des Oberpostkommissars und Geheimen Kammerrats August Gottlieb Dörrien (1746– 1813, Loge Minerva 1772, Harmonie 1783). Absolvent der Universität (immatrikuliert 1803, Dr. iur. 1809), Advokat und Notar, 1811 Assessor, 1816 Ratsmitglied, 1833–1835 Stadtverordne- ter, 1835–46 Regierungsrat in Leipzig. 1832–52 einer der drei Vorsteher der Wendler’schen Freischule. Gewandhaus-Konzertdirektion 1814 bis zu seinem Tod, davon über 30 Jahre als Sekretär. Harmonie 1815. Bruder von ↑Henriette Dörrien. Er heiratet im April 1816 Emilie Gehler, die Tochter von ↑Emilie Gehler-Duvigneau. Mitglied der Organisationskomitees für die Benefizkonzerte beider Singakademien am 20.4.1814 und am 18.10.1814. Nach ihm ist die Dörrienstraße in Leipzig-Zentrum-Ost benannt.

Dörrien, Henriette (Henriette Wilhelmine), 1791–1860 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Alt Alt am 28.11.1812 Alt (Schicht II) am 18.10.1814 Verhindert (Schicht II) am 19.3.1815 Schwester von ↑Heinrich Dörrien (zum Vater August Gottlieb Dörrien siehe dort). Sie hei- ratet im Juli 1813 ↑Carl Einert.

Eckhardt, Johann Eduard, 1795/97–1830 Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 Sohn des Bürgers und Handelsmannes Georg Gottlob Eckhardt (1767–1826, Kramermeis- ter, Inhaber einer Materialwaren- [d. h. Lebensmittel-] und Tabakhandlung, Harmonie 1817– 1824).

Eckhardt [Ekhard], Luise [Louise], *1800 Mitglied (Schulz) ab 1818 Tochter von Friedrich Damian Eckhardt (*1757, Buchhalter). Anhang

Einert, Carl, 1777–1855 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Bass Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Verhindert (Schicht II) am 19.3.1815 Sohn des Leipziger Bürgermeisters und Gewandhaus-Konzertdirektionsmitglieds Dr. iur. Christian Gottlob Einert (1747–1823, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, dort aus- getreten 1788, wiedereingetreten 1813). Student und Absolvent der Universität (immatriku- liert 1794, Dr. iur. 1807), Advokat in Leipzig 1802–1817. Im Juli 1813 Heirat mit ↑Henriette Dörrien, damit wird er Schwager von ↑Heinrich Dörrien. 1818 gemeinsam mit dem Vater Mitglied des Leipziger Ratskollegiums. 1821–30 Privatdozent an der Universität, Harmonie 1809–1831, Mitglied der Journalgesellschaft. Ab 1831 wirkt Einert in Dresden am Landesjus- tizkollegium, ab 1835 am Justizministerium. Carl Einerts Bruder (?)787 Wilhelm (1794–1868, 330 Loge Minerva 1817, lutherisch) ist ebenfalls Advokat und führt 1839/40 erfolgreich den Pro- zess gegen ↑Friedrich Wieck, der die Hochzeit seiner Tochter Clara mit Robert Schumann verhindern will.

Erckel, Emma (Emma Augusta), 1798–1878 Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Tochter von Johann Gottfried Erckel (1767–1833). Ihr Vater, ein Sohn des Bürgers und Weinschenks Michael Siegismund [Sigmund] Erckel, ist Bürger und Kaufmann, Wein- großhändler. Er heiratet 1791 die Tochter des Magisters Christian Heinrich Gottlieb Weber (Gründungsmitglied der Gesellschaft Harmonie 1776, †1798), Rahel Johanna Weber. Er ist Ratsmitglied ab 1805, Die Vertrauten 1810, Harmonie 1808–1830, dort 1831 wiedereingetreten, Ehrenmitglied der Loge Minerva 1813 und wird 1818 als Baumeister, Vorsteher des Johannis- hospitals und Mitglied des Ratskollegiums erwähnt. Emma Erckel ist die Schwester von ↑Laura Erckel. Sie ist eine Cousine von ↑Theresia Henriette Haußner, ↑Luise Ludewig, ↑Carl Schultze-Küstner und ↑Gustav Schultze. Ihr Onkel Carl Adolph Erckel ist verheira- tet mit einer Schwester von Heinrich Ernst Lincke II (siehe ↑H. Lincke). Bei ↑Henriette Holberg handelt es sich wahrscheinlich um ihre Tante oder deren Tochter (siehe dort unter 1. und 2.). Emma Erckel heiratet 1819 Emil Küstner (1794–1875), einen Bruder von ↑Carl Küstner. Sie wird damit außerdem Schwägerin von ↑Julie Limburger und ↑Mariane Schultze. Emmas Bruder, der Kaufmann Julius Erckel (1807–1881, Harmonie 1845, Gewand-

787 Als Bruder Carls ist Wilhelm Einert in den Polizeimeldebüchern geführt. Im Gegensatz dazu verzeich- net die Moritzkartei, wohl fälschlich, einen Johann Daniel Einert als Vater von Wilhelm Einert. Zwar gab es diesen Johann Daniel Einert tatsächlich, Kinder von ihm sind allerdings sonst nicht belegt. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 haus-Konzertdirektion 1856 bis zu seinem Tod), tritt 1829 ein in das väterliche Wechsel- und Weingeschäft, Firma Gebrüder Erckel.

Erckel, Laura (Laura Wilhelmina), 1794–1834 Alt am 28.11.1812 Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Schwester von ↑Emma Erckel (weiteres zur Familie siehe dort). Sie ist eine Cousine von ↑Theresia Henriette Haußner, ↑Luise Ludewig, ↑Carl Schultze-Küstner und ↑Gustav Schultze. Ihr Onkel Carl Adolph Erckel ist verheiratet mit einer Schwester von Heinrich 331 Ernst Lincke II (siehe ↑H. Lincke). Bei ↑Henriette Holberg handelt es sich wahrscheinlich um ihre Tante oder deren Tochter (siehe dort unter 1. und 2.).

Falcke, Cecilie (Agnes Cäcilie) (II), *1799 Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.8.1816 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Kaufmanns Johann Christoph Falcke (1755–1820, Die Vertrauten 1797, Loge Mi- nerva 1789, Harmonie 1799, lutherisch, verheiratet mit Christiane Friederike Landgraff. Er und sein Bruder Carl August Falke [Harmonie 1802] führen 1804 und 1818 die Leder- und Garnhandlung Gebrüder Falke in der Reichsstraße). Schwester von ↑Therese und ↑Frie- derike Falcke. Cecilie heiratet 1816 den Kaufmann Eduard van der Beeck aus Elberfeld.

Falcke, Friederike (Luise Friederike) (I?), *1792 Sopran am 20.4.1814 Sie oder Therese Falcke singt Alt (Schulz) am 19.3.1815. Schwester von ↑Therese und ↑Cecilie Falcke (zur Familie siehe dort).

Falcke, Therese (Clara Theresia) (I?), *1793 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 3.12.1814 Sie oder Friederike Falcke singt Alt (Schulz) am 19.3.1815. Schwester von ↑Friederike und ↑Cecilie Falcke (zur Familie siehe dort). Sie heiratet 1830 Carl Wilhelm Gätzschmann. Anhang

Fehtzsch [Fetsch], Leopold Carl Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 18.11.1814 Bass (Schulz) am 19.3.1815 Student aus Crimmitschau, immatrikuliert 1814. Später, bereits als Dr. med., heiratet er Jo- hanna Rahel Köhler, der aus der Ehe hervorgehende Sohn Karl Adolf wird ebenfalls Dr. med. (in Dresden).

Herr Fest Tenor am 28.11.1812 Wahrscheinlich handelt es sich um Carl August David Fest (1795–1831) aus Leipzig. Er ist zunächst Thomasschüler, dann Student an der Universität (immatrikuliert 1814), schließlich Dr. med., Buchdrucker und Buchhändler, Loge Apollo 1826. 332

Ficker/Fuxen?, Christiane Mitglied (Schulz) ab 25.10.1817 Lesung des Nachnamens sehr unsicher (siehe Abbildung 16). Nicht identifiziert.

Abbildung 16: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von Christiane Ficker/Fuxen? (D-LEsa, SingA, fol. 9r)

Fink, Gottfried Wilhelm, 1783–1846 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor in Limburgers Privatakademie am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Ehemaliger Student an der Universität (immatrikuliert 1804), 1812–27 Gründer und Lei- ter einer Erziehungsanstalt, 1828–1841 Redakteur der Allgemeinen musikalischen Zeitung als Nachfolger von ↑Friedrich Rochlitz und Gottfried Christoph Härtel (Harmonie 1807, Onkel von ↑Wilhelm Härtel), 1838 Ehrenpromotion zum Dr. phil., 1838–1843 Lehrauftrag an der philosophischen Fakultät der Universität, Mitarbeiter diverser Lexika. Loge Balduin 1811 bis zu seinem Tod. Obwohl in der Sekundärliteratur immer wieder kolportiert, war Gottfried Wilhelm Fink nie Musikdirektor an der Leipziger Universität.788

788 Vgl. Arnhold u. a., »Leipziger Universitätsmusikdirektoren«, S. 419. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Madame Fischer Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Sängerin aus Berlin, Schülerin Vincenzo Righinis, Mutter von ↑Therese Fischer. Sie ist von Januar bis April 1804 sowie für ein Konzert in der Saison 1811/12 im Großen Konzert engagiert.

Fischer, Therese Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Tochter von ↑Madame Fischer. Heiratet später einen Herrn Vernier und wird nach ihrer Hochzeit Fischer-Vernier genannt. Sie ist 1814/15 als Sängerin im Großen Konzert engagiert.

Fleischer, Emilie (Carolina Emilie) Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt 333 Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Kaufmanns und Wechselsensals Christian Friedrich Fleischer (1756–1831, Loge Minerva 1793, lutherisch). Sie heiratet 1819 ↑Ernst Friedrich Bäumler.

Focke, Henriette (Henriette Carolina, geb. Wendler), *1788 Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Alt (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Dr. iur. Adolph Christian Wendler. Halbschwester von ↑Adolf Wendler. Sie hei- ratet 1808 den Bürger und Kramer August Wilhelm Focke (†1822). Dieser führt eine Hand- lung, die sich auf italienische Seidenwaren spezialisiert hat. ↓Adolf Focke ist ein Sohn dieses Paares.

Förster, Carl Albert Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 5.11.1814 bis 17.8.1815 Verhindert (Schicht II u. Schulz) am 19.3.1815 Student aus Naumburg, immatrikuliert im Oktober 1814.

Franke, Christian Wilhelm, 1765–1831 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Tenor Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Absolvent der Universität (immatrikuliert 1782, Bakkalaureus beider Rechte 1788), Bürger und Advokat (als solcher 1804 und 1818 erwähnt). Er heiratet 1807 die Pfarrerstochter Hen- riette Renata Härtel. Anhang

Frege, Ferdinand (Christian Ferdinand), 1780–1821 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Violine (Schicht II) am 19.3.1815 Kaufmann und Bankier für die Firma Frege und Comp. (vgl. dazu auch ↑Friederike Ploss). Nach ihm ist die Fregestraße in Leipzig-Zentrum-Nordost benannt. Harmonie 1807. Er ist ein Sohn von Christian Gottlob Frege II (1747–1816, Bankier, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, Gründungsmitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion 1781–1785, Loge Mi- nerva 1772, Die Vertrauten 1784, lutherisch; nach ihm ist die Christianstraße in Leipzig-Zen- trum-Nordwest benannt).789 Er heiratet 1808 Johanna Henriette Friederike Carolina Rode. Ferdinands Bruder Christian Gottlob III (gleichen Namens wie Vater und Großvater) heira- tet 1804 ↑Sophia Henriette Stoll (zu ihm siehe dort). 334

Frege, Sophia Henriette (geb. Stoll), 1786–1868 Sopran am 20.4.1814 Tochter des Bürgers und Kaufmanns Johann Heinrich Stoll (1750–1810, Harmonie 1786, Die Vertrauten 1797, 1799 Ratsherr, Inhaber eines Geschäfts für englische Wollwaren in der Pe- tersstraße). Sie heiratet 1804 den Kaufmann Christian Gottlob Frege III (1778–1855, Teilha- ber des väterlichen Bankgeschäfts seit 1801, Harmonie 1802, Die Vertrauten 1814, Ratsmitglied bis 1831) und wird damit Schwägerin von ↑Ferdinand Frege. Sophia Henriette ist die Mutter von Richard Woldemar Frege (1811–1890), der 1836 Livia Virginia Gerhardt (1818–1891) heira- tet. Nach der berühmten Sängerin Livia Frege, die selbst 1849 Ehrenmitglied der Leipziger Singakademie wird,790 ist die Liviastraße in Leipzig-Zentrum-Nordwest benannt.

Friesen, Friedrich Freiherr von, 1796–1871 Mitglied (Schulz) ab 1818? Student an der Universität (immatrikuliert 1816). Später Jurist, Geheimer Rat und Landtags- präsident, konservativer Politiker. Aus Altersgründen weniger wahrscheinlich, aber auch denkbar, wäre, dass es sich um (seinen Vater?) Johann Georg Friedrich Freiherr von Friesen handelt (1757–1824, Loge Minerva 1781, lutherisch).

789 Zur Biografie von Christian Gottlob Frege II ausführlich: Doris Mundus, »Und nebenbei Gewandhaus- direktor [Christian Gottlob Frege]«, in: Gewandhaus-Magazin (Winter 2010/11), S. 30–31. 790 Vgl. Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 27. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Gedike, Auguste (Auguste Luise), *1799 Mitglied (Schulz) ab 1818 Alt in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Tochter des von 1804 bis 1832 amtierenden ersten Direktors der Bürgerschule Ludwig Fried- rich Gottlob Ernst Gedike (1761–1838, Harmonie 1803–1832, nach ihm ist die Gedikestraße in Leipzig-Eutritzsch benannt).

Gehler-Duvigneau, Emilie, *1766 Wurde durch eine Reise von der Teilnahme am Konzert am 20.4.1814 abgehalten, wirkte aber bei dessen Wiederholung am 8.5.1814 mit. Tochter des Kaufmanns Gabriel Philippe Duvigneau (1740–1823, reformiert, führt das Ge- schäft Gebr. Duvigneau, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, Loge Minerva 1781). Sie heiratet 1791 den Dr. iur. et phil. Johann August Otto Gehler (1762–1822, Neffe von Johann 335 Samuel Traugott Gehler [zu diesem siehe ↑Auguste und ↑Julie Gehler], Immatrikula- tion an der Universität 1778, Promotion 1786, Ratsherr 1792, Stadtrichter 1802, Baumeister 1806, Königlich Sächsischer Hofrat 1811, Gewandhaus-Konzertdirektion 1800 bis zu seinem Tod, Loge Minerva 1785, Harmonie 1788, Mitglied der Journalgesellschaft, zusammen mit ↑Wilhelm Seyfferth und Siegfried August Mahlmann [siehe ↑Auguste Wilhelmine Mahl- mann] Mitglied des Inspektionsausschusses des 1817 gegründeten, von ↑Carl Küstner ge- pachteten Leipziger Stadttheaters;791 Kunstsammler, lutherisch). Ihre Tochter Emilie Gehler (1793–1857) heiratet 1816 ↑Heinrich Dörrien. Sowohl bei Emilie Gehler-Duvigneau als auch bei ihrer Tochter besteht Verwechslungsgefahr mit ↑Emilie Gehler, verheiratete Wolff. Es handelt sich um drei verschiedene Frauen.

Gehler, Auguste (Amalie Auguste), *1792/94? Gehler, Julie, 1794/96?–1843 Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Sopran am 20.4.1814 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 1818 Zwei der sechs Töchter von Dr. iur. Johann Samuel Traugott Gehler (1751–1795, 1783 Rats- mitglied, 1786 Beisitzer des Oberhofgerichts, Mathematiker, Physiker, Übersetzer, Schrift- steller; Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, Gründungsmitglied der Gewandhaus- Konzertdirektion 1781–1786)792 und Maria Rahel Christiane, geb. Marschall (*1760, Heirat 1777). Sie sind Geschwister von ↑Emilie Gehler.

791 Vgl. Küstner, Rückblick auf das Leipziger Stadttheater, S. 12. 792 Zur Biografie von Johann Samuel Traugott Gehler ausführlich: DorisMundus, »Und nebenbei Gewand- hausdirektor [Johann Samuel Traugott Gehler]«, in: Gewandhaus-Magazin (Herbst 2010), S. 42–43. Anhang

Gehler, Emilie (Luise Emilie), *1791 Alt am 28.11.1812 Sopran am 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Schwester von ↑Auguste und ↑Julie Gehler (zu den Eltern siehe dort). Sie heiratet 1814 den Dr. theol. und Pfarrer Friedrich August Wolff [Wolf] (*1784, 1804 in Leipzig zum Magister graduiert, 1818 an der Peterskirche Frühprediger und Oberkatechet). Es besteht Verwechs- lungsgefahr mit ↑Emilie Gehler-Duvigneau und mit deren Tochter Emilie Gehler (der spä- teren Ehefrau von ↑Heinrich Dörrien). Es handelt sich um drei verschiedene Frauen.

Geibel [Gaibel], Juliane Sopran (Schicht II) am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 28.10.1815 336 Limburger schreibt deutlich »Gaibel«, sie unterzeichnet selbst klar leserlich »Geibel«. In beiden Schreibungen in Leipzig nicht nachweisbar. Möglicherweise eine Verwandte der Ge- schwister Elisa und Maria Katharina Geibel (Elisa war ↗Friedrich Schneiders erste Ehefrau, Maria Katharina die zweite).

Geßwein, Laura (Mathilde Laura), †1823 mit 21 Jahren Mitglied (Schulz) ab 1818 Tochter des Bürgers und Kaffeeschenks Johann Christian Geßwein (er betreibt 1818 seine Gastwirtschaft im Salzgässchen).

Grabau, Henriette Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Nicht identifiziert.793

Graner, Albertine, *1800 Mitglied (Schulz) ab 28.2.1816 Geboren in Bayreuth. Pflegetochter des aus Cassendorf (heute Kasendorf, nahe Kulmbach in Bayern) stammenden Buchhändlers Friedrich Christian Wilhelm Vogel (1776–1842, führt seit 1804 die Buchhandlung von Siegfried Leberecht Crusius, übernimmt das Geschäft 1808, richtet 1811 eine Druckerei ein. Harmonie 1824, Die Vertrauten 1829, 1831–34 Stadtver-

793 Die einzige bekannte Person dieses Namens ist die später berühmte Sängerin Henriette (Henriette Eleonore) Grabau, später verheiratete Bünau (1805–1852). Sie ist ab 1826 regelmäßig als Sängerin am Gewandhaus engagiert und hat 2 Schwestern (Adelheid und Marie), die auch Sängerinnen am Gewand- haus sind. Ihr jüngerer Bruder, Johann Andreas Grabau (1808–1884), spielt am Gewandhaus Violon- cello. Nicht nur das Alter (sieben Jahre beim ersten Singakademie-Auftritt), sondern auch ihre Biografie (sie stammt aus Bremen, geht 1824 nach Dresden und erst später nach Leipzig) sprechen jedoch da- gegen, sie mit dem hier aufgeführten Singakademie-Mitglied zu identifizieren. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 ordneter. Seine Tochter Wilhelmine Victorie heiratet 1831 Carl Lampe, den Stiefsohn von ↑Friederike Lampe, geb. Lorenz). Vgl. auch ↑Wilhelmine Vogel.

Herr Grassi Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Mehrere aus Italien stammende Kaufmänner dieses Namens kommen in Frage. Nahelie- gend wäre Franz Joseph Grassi (ca. 1770/75–1847). Er ist ab 1803 als Kaufmann (Farben- händler) in Leipzig ansässig und spielt ca. 1819–1825 unentgeltlich im Konzert- und Thea- terorchester Violine. Er ist der Vater von Franz Dominic Grassi (1801–1880, Kaufmann, Gesellschaft Erholung 1826, Harmonie 1852, großzügiger Stifter, vermachte sein gesamtes Vermögen der Stadt Leipzig; nach ihm sind die Grassistraße in Leipzig-Zentrum-Süd und das Grassimuseum benannt). Ebenfalls denkbar wären der 1804 erwähnte Joseph Grassi, der 1818 erwähnte Likörfabrikant F. H. Grassi oder der Handelsmann Johann (?) Aloys 337 Grassi (1775–1818).

Grenser, Carl Augustin [Carl August], 1794–1864 Mitglied (Schulz) ab 3.9.1816 Sohn des gleichnamigen Dresdner Blasinstrumentenmachers. Trat gemeinsam mit seinem Vater bereits im Alter von sechs Jahren als Flötist auf. Gab 1806 bis 1808 Konzerte im Kur- ort Teplitz (heute Teplice, Tschechien), war 1810 bis 1813 Orchestermitglied beim Dresdener Stadtmusikus Krebs. Danach tritt er seine Lebensstellung als Erster Flötist im Gewandhaus- orchester an (1814–1855). Er ist Sekretär des Orchesterpensionsfonds, Archivar der Gewand- haus-Konzertdirektion, verfasst eine wichtige Chronik zur Leipziger Musikgeschichte794 sowie einige Zeitschriften- und Lexikonartikel zur Flöte. Ab 1843 Inspektor am Konserva- torium. Er komponiert auch, unter anderem Flötenduette. Loge Apollo 1815, Ehrenmitglied Loge Minerva 1851.

Herr Grimmer Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Mehrere Männer dieses Familiennamens sind nachweisbar, darunter der Tagelöhner und Stadtsoldat Carl Gottlieb Grimmer (†1837 mit 60 Jahren, seine Söhne, geboren zwischen 1804 und 1811, werden Buchdruckergesellen und Schriftsetzer). Zwei Studenten namens Friedrich August Grimmer kommen zudem in Frage, der eine aus Maxen (heute Ortsteil von Müglitztal, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge), immatrikuliert 1799, der an- dere aus Naumburg, immatrikuliert 1798.

794 Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig. Anhang

Groh, Ferdinand (Julius Ferdinand) Mitglied (Schulz) ab 10.9.1816 Student aus Oelsnitz (es gibt zwei gleichnamige Städte, die eine im Sächsischen Vogtland, die andere am Erzgebirge), immatrikuliert im April 1816.

Groß, Caroline, *1800 Groß, Emilie, *1798 Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 Zwar sind auch andere Frauen namens Emilie Groß bekannt, aber da es sich bei Caroline und Emilie Groß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (wegen des Beitrittes zur Singakademie am gleichen Tag) um Geschwister handelt, kann es sich nur um die bei- den Töchter des Steuerbuchhalters Johann Christoph Groß (†1830 mit 71 Jahren) handeln, 338 deren Geburtsjahre oben angegeben sind.

Grund, Johann Carl Mitglied (Schulz) ab 8.10.1818 Student aus Kummerow (heute Ortsteil von Friedland, Niederlausitz), immatrikuliert im Mai 1815.

Herr Dr. Günther Bass am 20.4.1814 Nicht identifiziert. Zur fraglichen Zeit sind mehrere Doktoren dieses Namens nachgewie- sen. Aus der Verwandtschaft von ↑Adolphine und ↑Henriette Günther sind allerdings keine Promovierten bekannt.

Günther, Adolphine (Adolphine Tugendreich) (II), *1795 Mitglied (Schulz) ab 25.2.1815 Sopran (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Land-Accis-Obereinnehmers Christian Friedrich Günther (*1757/58 in Ditters- dorf). Sie ist eine Schwester von ↑Henriette Günther und heiratet später einen Dr. phil. Thienemann in Dresden.

Günther, Henriette (Henriette Tugendreich) (I), *1792/3 Mitglied (Schulz) ab 25.2.1815 Alt (Schulz) am 19.3.1815 Zwar gibt es in der fraglichen Zeit mehrere Frauen mit dem Namen Henriette Günther in Leipzig, allerdings lässt die gleichzeitige Anwesenheit von ↑Adolphine Günther (zum Vater Christian Friedrich Günther siehe dort) in der Singakademie auf deren Schwester Henriette Tugendreich Günther schließen. Sie ist geboren in Dresden und verlässt Leipzig zusammen mit ihren Eltern 1834 wieder in Richtung Dresden. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Herr Haase Tenor am 20.4.1814 Der Name Haase ist häufig, naheliegend wäre allerdings Prof. Dr. Wilhelm Andreas Haase, der Ehemann des Singakademie-Mitglieds ↑Juliana Emilie Haase (genauere Informatio- nen zu ihm siehe dort). Allerdings nennt die Quelle keinen Doktortitel (was sonst bei Titel- trägern penibel der Fall ist), weshalb Zweifel an dieser Zuordnung bestehen.

Haase, Juliana Emilie (geb. Wenck), 1789–1841 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Ehefrau (Heirat 1811) von Prof. Dr. med. Wilhelm Andreas Haase (1784–1837, Absolvent der Universität, immatrikuliert 1801, Habilitation 1804, Promotion 1807, 1812–1837 Professor für Therapie und Arzneimittellehre, 1833–35 Rektor der Universität, mehrmals Dekan der medi- zinischen Fakultät, Harmonie 1823, Mitglied der Journalgesellschaft). Ihr Sohn Eduard Haase 339 (1811/12–1864, Jurist in Leipzig) ist 1848 Singakademie-Mitglied. Großmutter von ↓Antonie und ↓Julie Döring. Schwiegermutter des Vaters von ↓Gustav Schreber. Siehe ↑Herr Haase.

Herr Hänel (d. J.) Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass Er oder Friedrich Hänel singt Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Er oder Friedrich Hänel singt Bass (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Ein häufiger Familienname, unter dem in der fraglichen Zeit auch mehrere Studenten nachgewiesen sind. Es ist nicht auszuschließen dass er identisch ist mit ↑Friedrich Hänel (zu weiteren Personen, die möglicherweise hier gemeint sind, siehe dort Nr. 2–5).

Hänel, Friedrich Bass am 28.11.1812 Er oder der andere Herr Hänel singt Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.7.1815 Er oder der andere Herr Hänel singt Bass (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Unter dieser Kombination von Vor- und Nachname kommen fünf Personen in Frage: Zum einen (1.) der Ratsherr Christian Friedrich Hänel (1743–1820, Seidengroßhändler, Sena- tor, Leipziger Bürgermeister, Gewandhaus-Konzertdirektion 1789 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 1790–1794, Loge Balduin 1779–1780, Harmonie 1789). Zum anderen drei seiner Söhne: (2.) Carl Friedrich Hänel von Cronenthal (1788/89–1849, Kaufmann, Stadtverord- neter 1831–1840, Loge Minerva 1819), (3.) Gustav Friedrich (*1792, 1810–1815 Jurastudium in Leipzig und Göttingen, 1816 Promotion in Leipzig, 1817 Habilitation; Dozent, später Profes- sor für Römisches Recht, 1853/54 Rektor der Universität, mehrfach Dekan der Juristenfa- kultät, Loge Minerva 1819) oder (4.) Friedrich Wilhelm Hänel (*1786, Kaufmann, Harmonie 1816–1831). Ferner ist (5.) der Student Johann Friedrich Hänel aus Bratislava (immatrikuliert 1808) bekannt. Alle außer 1. könnten auch mit ↑Herrn Hänel d. J. gemeint sein. Anhang

Hansen, Ernestine (Ernestine Henriette Friederike, geb. Schmidt) Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.3.1815 Tochter des Dresdener Hofmalers Johann Heinrich Schmidt (1749–1829). Sie heiratet 1804 den Kaufmann Ludolph Wilhelm Hansen (1778–1813), einen Sohn von Friedrich Ludolph Hansen (1738–1803, Kauf- und Handelsherr, Stadtfähnrich, Gründungsmitglied der Ge- wandhaus-Konzertdirektion 1781–1787, dort 1781–83 Kassierer, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776–1801; er wurde 1789 Ratsmitglied, 1798 Baumeister, 1792 Vorsteher des Georgenhauses, Begründer des dortigen Arbeitshauses [1792] und der damit verbundenen Schule [1793], Loge Minerva 1760)795. Ludolph Wilhelm Hansens Schwester Henriette Frie- derike heiratet zunächst Friedrich Daniel Winckler (zu ihm siehe ↑Mademoiselle Winkler) und 1810 in zweiter Ehe ↑Friedrich Rochlitz. Ludolph Wilhelms Cousin Dr. iur. Carl Lu- dolph Hansen (1777–1841, Sohn von Justus Heinrich, dem älteren Bruder von Friedrich Lu- 340 dolph, Advokat, Loge Balduin 1808–1841) heiratet 1803 Susanna Juliana [Juliana Susanna] Lincke, eine Schwester von ↑Heinrich Ernst Lincke II. Über Ernestine Hansen wird 1817 im Polizeimeldebuch vermerkt, sie befinde sich »jetzt in Russland, verheirathet«.

Härtel, Ernst (Ernst Christoph), *1790 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Nahm als »Liebhaber« [Nichtmitglied] an der Aufführung am 19.3.1815 teil. Student aus Annaberg. Er immatrikuliert sich im Juni 1813 an der Universität. Im Jahr 1827 wird er in den Polizeimeldebüchern als »Buchhalter im Leihhause« geführt. Er meldet sich am selben Tag und wohnt im selben Haus wie ↑Wilhelm Härtel, wahrscheinlich ist er dessen Bruder.

Härtel, Wilhelm (Wilhelm Christoph/Christoph Wilhelm), 1787–1849 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 10.9.1816 Sohn des Annaberger Mediziners Traugott Christoph Härtel, Neffe des Leipziger Musikver- legers Gottfried Christoph Härtel (1763–1827, Harmonie 1807), Cousin von ↓Raymund Här- tel. Wilhelm Härtel lernt und arbeitet bei Breitkopf & Härtel, macht sich 1824 selbstständig als Buch- und Musikalienhändler in Leipzig. Er meldet sich am selben Tag beim Polizeiamt und wohnt im selben Haus wie ↑Ernst Härtel, wahrscheinlich ist er dessen Bruder. Vor- standsmitglied der Singakademie im Jahr 1823. Gewandhaus-Konzertdirektion 1830 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 1833–1842. Harmonie 1827. Mitglied der älteren Liedertafel.

795 Zur Biografie von Friedrich Ludolph Hansen ausführlich: Leibbrandt, »Friedrich Ludolph Hansen«. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Hartnaer?, August Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 Nachname schwer lesbar (siehe Abbildung 17). Nicht identifiziert.

Abbildung 17: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von August Hartnaer? (D-LEsa, SingA, fol. 8v)

Hartwig, Gustav (Gustav Eduard Friedrich Joseph), *1793 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt796 341 Mitglied (Schulz) ab September 1814 bis 1.9.1815 Tenor (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Evangelisch-lutherischer Kaufmann, geboren in Hannover. Loge Minerva 1815. Vor 1818 hei- ratet er Henriette Auguste Lehmann.

Herr Hasenritter Tenor am 28.11.1812 Es handelt sich entweder um Johann Adolph Hasenritter (1752–1818), 1804 Accisschreiber am Ranstädter Tor, 1815 Accis-Einnehmer ebendort, oder um einen von dessen drei Söhnen (geboren 1789, 1795 und 1798).

Häser, Charlotte (Charlotte Henriette), 1784–1871 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Tochter von Johann Georg Häser (1729–1809, Geiger und Bratscher im Großen Konzert, Universitätsmusikdirektor in Leipzig 1785 bis zu seinem Tod). Sie ist 1803 als Sängerin im Großen Konzert angestellt, setzt ihre Karriere dann in Dresden, Neapel, München und Wien fort. 1814 lebt sie, nachdem sie einen Herrn Vera geheiratet hat, von der Öffentlichkeit zurückgezogen in Rom.

796 Bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 7, wird ein »Gustav Hartung« angeführt. Ein Mann dieses Namens ist in Leipzig in dieser Zeit nicht nachgewiesen, so dass von einem Fehler Langers oder des Schriftsetzers auszugehen ist, der versehentlich »Hartung« statt »Hartwig« liest. Anhang

Hasper, Carl Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Nicht identifiziert. Er steht eventuell in Verbindung mit dem Stadtrichter und Baumeister zu Marienberg, Carl Gottlob Friedrich Hasper (*1754), der selbst in Leipzig studiert hatte (immatrikuliert 1774).

Haußherr, Wilhelmine (Friederike Wilhelmina, geb. Weber), *1796 Mitglied (Schulz) ab 4.1.1816 Ehefrau von Johann Christian Heinrich Haußherr (*1777, Sous-Lieutenant bei der Armee und Steueramts-Buchhalter). 342 Haußner, Theresia Henriette [Henriette Theresia] (geb. Ludewig), 1791–1825 Alt am 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 19.3.1815 Tochter des Bürgers und Kaufmanns Johann[es] Tobias Lud[e]wig und der Johanna Carolina, geb. Erckel (1764–1839, Heirat 1782, Tochter des Bürgers und Weinschenks Michael Siegis- mund Erckel, zu diesem siehe ↑Emma Erckel). Sie ist die Schwester von ↑Luise Ludewig und Cousine von ↑Carl Schultze-Küstner, ↑Gustav Schultze sowie ↑Emma und ↑Laura Erckel. Ihr Onkel Carl Adolph Erckel ist verheiratet mit einer Schwester von Heinrich Ernst Lincke II (siehe ↑H. Lincke). Bei ↑Henriette Holberg handelt es sich wahrscheinlich um ihre Tante oder deren Tochter (siehe dort unter 1. und 2.). Theresia Henriette ist seit Februar 1810 mit dem Kaufmann Christian Wilhelm Haußner verheiratet. Im Februar 1816 heiratet sie erneut, und zwar Dr. med. Heinrich August Sonntag zu Gera.

Haza-Radlitz, Albert von, 1798–1872 Mitglied (Schulz) ab 1818? Geboren auf dem Gut Lewitz bei Meseritz (heute Międzyrzecz, Polen), stammt aus dem im Großherzogtum Posen ansässigen Adelsgeschlecht derer von Haza bzw. Haza-Radlicz. Soll in Leipzig und Berlin studiert haben,797 wurde aber in der Leipziger Matrikel nicht gefun- den. Wird 1820 Auscultator des königlichen Kammergerichts Berlin, 1821 selbe Position am Oberlandesgericht Naumburg, 1825 Kabinetts-Sekretär des Herzogs Friedrich Ferdinand von Anhalt-Köthen, 1826 Herzoglich Anhaltinischer Kammerherr zu Köthen. Tritt 1825 in Paris zur katholischen Konfession über.

797 Vgl. Ronald Roggen, »Restauration« – Kampfruf und Schimpfwort. Eine Kommunikationsanalyse zum Hauptwerk des Staatstheoretikers Karl Ludwig von Haller (1768–1854) (Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 24), Diss., Freiburg, Schweiz 1999, S. 108. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Hellwig, Friedrich Mitglied (Schulz) 1.4.1815 bis 1.9.1816 Möglicherweise Carl Friedrich Hellwig aus Merseburg, der sich 1806 an der Universität im- matrikuliert, unter den bleibenden Einwohnern jedoch nicht nachgewiesen ist.

Hempel, Traugott Immanuel [Emanuel] Mitglied (Schulz) ab 8.10.1818 Student aus Zöberitz (heute Ortsteil von Peißen, Stadt Landsberg, Sachsen-Anhalt), imma- trikuliert im April 1818.

Herries, Fanny (Fanny Julie), *1798 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 343 Sopran (Schicht II) am 19.3.1815 Geboren in Torgau. Pflegetochter von ↑Jacob Bernhard Limburgers Bruder Christian Gott- lieb Limburger (1765–1834, Sohn des Kaufmanns Gottfried [Gottlieb?] Ehrenfried Limbur- ger [Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776], Kauf- und Handelsherr, 1804–1808 Rats- mitglied, Inhaber einer Tabakgroßhandlung, die er 1816 seinem Bruder überlässt, Königlich Sächsischer Kammerrat; heiratet am 26. Mai 1789 in Annaberg Johanna Eleonore Eisen- stuck, eine Tochter des Annaberger Kaufmanns Johann Gottlob Eisenstuck.798 Am 16. Juni 1810 als »Edler von Limburger« in den Adelsstand erhoben, am 19. August 1815 als »Edler von Limburger, Freiherr von Ehrenfels« in den Freiherrenstand versetzt;799 Loge Balduin 1800–1821, dort deputierter Meister vom Stuhle 1804 und 1808, Meister vom Stuhle 1809– 10. Die Vertrauten 1800, Harmonie 1781–1817. »Vermachte bei seinem Tode 1834 der Harmo- nie 500 Taler.«800).

Herrmann, Johann Karl (Johann Karl Gottlieb) Mitglied (Schulz) ab 8.11.1817 Student aus Weigsdorf (Es kommen zwei Orte dieses Namens in Frage: 1. Weigsdorf in Sachsen, heute als Weigsdorf-Köblitz ein Ortsteil von Cunewalde. 2. Wigancice Żytawskie, heute Polen, Powiat Zgorzelecki, wurde im Jahr 2000 zugunsten eines Tagebaues aufgege-

798 Trauregister der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde St. Annen, Annaberg (Sachsen), Jg. 1789, S. 10. Freundliche Auskunft der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz, Rebekka Freitag, vom 16.10.2010. Helbig, Die Vertrauten, S. 111, nennt den 22. Mai als Tag der Eheschließung. 799 »Der Mannsstamm ist nicht fortgesetzt worden, wohl aber erhielten die Nichten und Adoptivtöchter des Kammerraths Edlen v. Limburger, Freiherrn v. Ehrenfels: die drei Schwestern Tölpe in Leipzig, Johanna Theodore Emilie Tölpe, Johanna Theodore Luise Tölpe, und Johanna Theodore Julie Tölpe, im März 1818 ein königliches Anerkennungsdiplom als Edle v. Limburger, Freiinnen v. Ehrenfels.« (Ernst Heinrich Kneschke, Die Wappen der deutschen freiherrlichen und adeligen Familien in genauer, vollständiger und all- gemein verständlicher Beschreibung, Bd. 3, Leipzig 1856, S. 301–302.) 800 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 110. Anhang

ben), immatrikuliert 1814. Er ist 1818 Ehrenmitglied der Lausitzer Predigergesellschaft an der Universitätskirche.

Herrnsdorf, Gottlob Mitglied (Schulz) ab 27.1.1816 Student aus Kaufbach (heute Ortsteil von Wilsdruff, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz- gebirge), immatrikuliert 1808. Er ist wahrscheinlich identisch mit dem Magister Gottlob »Hermsdorf«, der 1818 im Leipziger Adressbuch als Mitglied des montägigen Predigerkolle- giums an der Universitätskirche genannt wird.

Herr Hiersche Tenor am 20.4.1814 Nicht eindeutig identifiziert, es kommen vier Personen in Frage: Zwei Lehrer an der Bürger- 344 schule, die beide in Merseburg geboren sind: Carl Hiersche (*1787) und Christian Ernst Hir- sche [sic] (*1788). Ebenfalls aus Merseburg stammt der Student Johann Christian Hiersche, der sich 1807 an der Universität immatrikuliert. Schließlich ist ein Pfarrer namens Johann Carl Hiersche (*1777) Mitglied in der Loge Apollo 1815–1835.

Hindenburg, Carl (Carl August), 1795–1813 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Student an der Universität, immatrikuliert 1812. Sohn von Carl Friedrich Hindenburg (1741– 1808, Professor für Philosophie und Physik an der Universität, Harmonie 1783). Bruder von ↑Emilie Apel.

Hoffmann, Christian, 1794–1871 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 7.10.1814 bis 24.5.1816 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Bass (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Zwar sind zahlreiche Träger dieses Namens nachgewiesen, doch lässt die Mitgliedschaft von ↑Rahel Amalie Hoffmann in der Singakademie auf ihren Bruder Christian Hoffmann schließen (zum Vater Johann Christian Hoffmann siehe dort). Er ist Kaufmann, Mechani- ker und von 1834 bis 1836 Stadtverordneter. Loge Minerva 1828, lutherisch.

Hoffmann, Rahel Amalie Mitglied (Schulz) ab 12.10.1815 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Sie ist die Tochter des Bürgers, Kaufmanns, Mechanikers und Optikers Johann Christian Hoff- mann (1757–1826, Ehrenmitglied der Ökonomischen Gesellschaft). Im Jahr 1818 heiratet sie ↑Heinrich Ploss. Bei ↑Christian Hoffmann handelt es sich wahrscheinlich um ihren Bruder. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Herr Hohlfeldt Bass am 20.4.1814 Unter diesem Namen sind unter anderem bekannt: Der Privatlehrer Johann Christoph Hohlfeld (*1780), 1807 in Wittenberg zum Magister graduiert, wird 1818 als Mathematikleh- rer an der Thomasschule erwähnt. Der Student Johann Christian Hohlfeld aus Lichtenhain, immatrikuliert 1812.

Herr Hohmuth Tenor am 20.4.1814 Der seltene Nachname lässt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf den Connewitzer Einwoh- ner Johann Gottlob Hohmuth schließen. Lebensdaten und Beruf sind nicht bekannt. Er ist verheiratet mit Eva Rosina, geb. Schulmann, das Paar bekommt 1826 einen Sohn. 345 Holberg, Henriette Alt am 20.4.1814 Unter diesem Namen kommen drei Personen in Frage: 1. Maria Henriette Holberg, geb. Erckel (*1769). Sie ist eine Tochter von Michael Siegismund Erckel (zu ihm siehe ↑Emma Erckel), damit Tante von ↑Emma und ↑Laura Erckel sowie von ↑Theresia Henriette Haußner und ↑Luise Ludewig. Maria Henriette heiratet 1791 den Kaufmann Christian Sa- muel David Holberg (1759–1837, Harmonie 1825). Die erste aus dieser Ehe hervorgehende Tochter ist (2.) Henriette Amalia (*1793), sie heiratet 1821. Schließlich wäre möglich, dass es sich um (3.) Henriette Sophia Holberg (*1770), geb. Felix, handelt. Sie ist die Tochter des Bürgers und Kaufmanns Jakob [Jaques] Felix (Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, ausgetreten 1800) und heiratet 1801 den Bürger und Kaufmann Carl Heinrich Andreas Hol- berg. Ihr Schwager, der Kaufmann Gottfried Andreas David Holberg, heiratet 1801 Carolina Wilhelmina Kayßer (*1772), die Mutter von ↑Friedrich August Borsam. Gemeinsam sind Gottfried Holberg und Friedrich August Borsam beteiligt an der Firma Borsam, Holberg und Comp., einer Zitz- und Kattunhandlung.801

Jahn, Carl (Carl Christian), 1777–1854 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Hauslehrer in Leipzig, geboren in Oelsnitz (Vogtland), hatte 1796 bis 1801 an der Universität Philologie studiert (ohne Abschluss). 1805 wird er nach Bern an die neu errichtete Akade- mie für Literatur und Theorie der schönen Künste und Wissenschaften berufen. Er unter- richtet auch am dortigen Gymnasium. Bei der Umgestaltung der Akademie zur Universität Bern wird er 1834 zum außerordentlichen Professor für Philologie und neuere Literatur

801 Alle genannten Männer der Familie Holberg stammen aus Osterwieck (Landkreis Harz, Sachsen-An- halt), sind also sicherlich verwandt, auch wenn die Art der Verwandtschaft zwischen Christian Samuel David (unter 1. und 2.) und den beiden unter 3. genannten nicht ohne Weiteres geklärt werden konnte. Anhang

ernannt, diese Stellung wird er bis zu seinem Tod behalten. Pianist und Mitglied der 1815 gegründeten Musikgesellschaft von Bern, reformiert.802

Karthaus, Clementine (Amalie Friederike Clementine) (II), 1795–1863 Sopran am 28.11.1812 Alt am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 7.10.1814 Alt (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Alt in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 17.11.1820 Tochter des Protonotars Christian August Karthaus [Karthauß] (*1752, Advokat, Loge Mi- nerva 1779, Harmonie 1788–1808, Mitglied der Journalgesellschaft, lutherisch). Schwester von ↑Pauline und ↑Therese Karthaus. Sie heiratet nach 1820 den Musikverleger Friedrich 346 Kistner, wird damit Schwägerin der hier verzeichneten Geschwister ↑Kistner.

Karthaus, Pauline (Paulina Henriette Luisa) (III), 1800–1859 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 Sopran in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 17.11.1820 Schwester von ↑Therese und ↑Clementine Karthaus (zum Vater Christian August Kart- haus siehe dort). Sie heiratet 1822 den Bürger und Bankier Hermann [auch: Heinrich] Ro- bert Melly.

Karthaus, Therese (Theresia Augusta Sophia) (I), *1793 Alt am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 7.10.1814 bis 1.3.1816 Alt (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Schwester von ↑Pauline und ↑Clementine Karthaus (zum Vater Christian August Kart- haus siehe dort).

Käufer [Käuffer], Johann Ernst Rudolf [Rudolph] Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 4.3.1815 Er ist 1818 als Magister unter den Nachmittagspredigern an der Universitätskirche erwähnt.

802 Christoph Zürcher, »Jahn, Carl Christian«, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), , 5.1.2011. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Keil, Henriette (Juliana Henriette, geb. Löhr), 1794–1848 Sopran am 20.4.1814 Tochter des Bankiers Carl Eberhard Löhr († 1813, Harmonie 1791). Sie heiratet 1814 Dr. Jo- hann Georg Keil (1871–1857, Hofrat, Gewandhaus-Konzertdirektion 1831 bis zu seinem Tod, Harmonie 1835, Mitgründer des Konservatoriums, anfangs Mitglied in dessen Direktorium).

Keller, Carl Gottlob Mitglied (Schulz) ab 4.2.1815 Tenor (Schulz) am 19.3.1815 Student aus Wüsthetzdorf (heute Hetzdorf, Ortsteil von Halsbrücke, Landkreis Mittelsa- chen), immatrikuliert 1814.

Keller, Pauline (Pauline Lucia, geb. Lacarriere), *1778 347 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 5.11.1814 Alt (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Kaufmanns Johann Heinrich [Jean Henri] Lacarriere (1776–1827, Ritter des Russisch-Kaiserl.-St.-Wladimirordens vierter Klasse, Loge Minerva 1811, Die Vertrauten 1817, Harmonie 1817, lutherisch; er führt 1818 die Seidenhandlung S. G. Schletter). Pauline heiratet am 15.1.1815 den Kaufmann Erich Philipp Theodor Keller.

Kind, Caroline Sopran am 28.11.1812 Entweder (1.) Emilia Caroline Kind (*1795), Tochter des Dr. iur. Johann Daniel Kind (1760– 1814, Immatrikulation 1780, Promotion 1786, Beisitzer des Oberhofgerichts und Senior des Schöppenstuhls, Harmonie 1791, Mitglied der Journalgesellschaft) oder (2.) Christina Ca- roline Kind (*1784), Tochter von Johann Daniel Kinds Bruder Prof. Dr. iur. Johann Adam Gottlieb Kind (1747–1826, Loge Minerva 1772, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, ausgetreten 1789, evangelisch) und seiner Frau Rahel Christiane, geb. Frege, einer Schwes- ter von ↑Christian Ferdinand Frege.

Kind, Cecilie [Cécile] (Maria Auguste Cäcilie), *1796 Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Advokaten beim Oberhofgericht Dr. iur. Carl Christoph Kind (1769–1813, Im- matrikulation an der Universität 1786, promoviert 1790, später Privatdozent, Professor und Ratsherr, Loge Minerva 1793, Harmonie 1802, Mitglied der Journalgesellschaft, lutherisch). Eine Verwandtschaft von Carl Christoph mit den Brüdern Johann Daniel und Johann Adam Kind (siehe ↑Caroline Kind) ist wahrscheinlich, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Anhang

Kistner, Luise (Amalia Louise), *1801 Demoiselle Kistner Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Sopran in Limburgers Privatakademie am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Limburger berichtet von zwei Demoiselles Kistner (d. Ä. und d. J.), verrät aber nur den Vor- namen der einen: Luise. Es muss offen bleiben, welche von Luise Kistners vier Schwestern es ist, die mit ihr in Limburgers Privatakademien sang, und wer von beiden die Jüngere bzw. die Ältere ist. Zur Familie: Der Hotelier Johann Vitus Kistner (1761–1829, Loge Minerva 1798, evangelisch) hat insgesamt 3 Söhne und 5 Töchter. Unter den Söhnen sind der Musik- verleger Carl Friedrich Kistner (1796–1844, Stadtverordneter 1831–1835, Gewandhaus-Kon- zertdirektion 1835 bis zu seinem Tod, Mitgründer des Konservatoriums, Loge Minerva 1815, Harmonie 1835, evangelisch-lutherisch; er heiratet 1823 ↑Clementine Karthaus) und Julius Kistner (1805–1868, Gewandhaus-Konzertdirektion 1846 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 348 1852–1868, Loge Minerva 1824, lutherisch), der die Musikalienhandlung nach Carl Friedrich Kistners Tod als Prokurist weiterführt.

Kittan, Friedrich (Johann Karl Friedrich), *1796 Mitglied (Schulz) ab 17.5.1817 Student aus Caulau (Niederlausitz), immatrikuliert 1817. Er tritt 1823 als cand. theol. der Loge Minerva bei und wird 1844 ehrenhaft aus dieser entlassen.

Klengel, Moritz Gotthold, 1794–1870 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Violine (Schulz) am 19.3.1815 Sohn des Kantors und Lehrers in Stolpen bei Dresden Johann Gottlieb Klengel (1761–1848). Bruder des Opernsängers August Gottlieb Klengel (1787–1860). Violinist im Gewandhaus- orchester 1814–1868, Violinschüler von ↑Heinrich August Matthäi, Student an der Uni- versität (1814 für Theologie immatrikuliert), Loge Balduin 1818–1834, dort Musikdirektor 1829–32. Später Lehrer am Konservatorium, Großvater der Gewandhaus-Musiker Julius und ↗Paul Klengel.

Herr Klose Violine (Schulz) am 19.3.1815 Mehrere Familien namens Klose leben zur in Frage kommenden Zeit in Leipzig, so dass eine Zuordnung nicht erfolgen kann. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Kloss, Karl (Carl Johann Christian), 1792–1853 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem, bis 1.5.1815 Student, bis 1813 in Halle, ab November 1813 an der Leipziger Universität immatrikuliert. Violinschüler von ↑Heinrich August Matthäi, Violinist im Gewandhausorchester von 1814 bis 1818, verlässt Ende April 1815 zwischenzeitlich die Stadt (nach Königsberg). 1833 gründet er eine Pianolehranstalt in Leipzig. Reisender Orgelvirtuose, unter anderem 1839 als Orga- nist in Kronstadt tätig (heute Brasov, Rumänien).

Klug [Kluge], Carl Friedrich Gustav, 1774–1830 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 349 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Tenor (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Tenor in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Praktischer Arzt. Absolvent der Universität (immatrikuliert 1794, Dr. med. 1803). Heiratet 1804 ↑Mariane Klug, damit Schwager von ↑Gustav Richter. Vorsteher der Schulz’schen Singakademie 1814. Loge Minerva 1804, lutherisch.

Klug [Kluge], Mariane (Marianna Antonia, geb. Richter), †1846 mit 59 Jahren Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.5.1816 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Schwester von von ↑Gustav Richter, Ehefrau von ↑Carl Friedrich Gustav Klug (Heirat 1804). Vorsteherin der Schulz’schen Singakademie 1814.

Kob, Carl (Carl Christian/Christian Carl), 1754–1814 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Bürger, Kauf- und Handelsherr, schon 1757 von seinem Vater als Depositus an der Uni- versität eingeschrieben, später jedoch nicht immatrikuliert. Gewandhaus-Konzertdirektion 1790–96. Loge Minerva 1787. Nach seinem Tod führt die Witwe sein Geschäft weiter. Nicht identisch mit ↑Herrn Kob; ob die beiden eventuell verwandt sind, konnte nicht geklärt werden. Anhang

Herr Kob Bass in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Wahrscheinlich handelt es sich um den Bürger und Kaufmann Carl Heinrich Kob, der 1820 Amalie Theresia Weber heiratet, eine Tochter des Bürgers und Kaufmanns Johann Friedrich Ernst Weber. Der Sohn des Paares, Albert Moritz Kob (*1834), wird Leutnant zu Dresden. Im Dezember 1836 wird gemeldet, dass Carl Heinrich Kob aus dem Ausschuss der Lebensver- sicherungs-Gesellschaft zu Leipzig ausgeschieden ist.803 Nicht identisch mit ↑Carl Kob; ob die beiden eventuell verwandt sind, konnte nicht geklärt werden.

Koch, Therese (Agnes Theresia), 1798–1813 Sopran am 28.11.1812 Tochter des Ratsherrn Dr. iur. Christian Traugott Koch (1752–1826, immatrikuliert an der Universität 1771, Bakkalaureus 1773, Promotion 1776, Stadtrat 1781, Stadtrichter 1795, Bau- 350 meister 1800, Loge Minerva 1779, Harmonie 1788, Mitglied der Journalgesellschaft).

Herr Kotzer Tenor am 20.4.1814 Wegen des seltenen Nachnamens kommen nur zwei Personen in Frage: Der Privatlehrer Christian Heinrich Kotzer (1756–1825, immatrikuliert 1776, 1804 und 1818 als Privatlehrer verzeichnet) und der Student Friedrich Wilhelm Kotzer, immatrikuliert 1811.

Kriebitsch [Kriebitzsch], Carl Leberecht Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem, bis 30.12.1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 Student aus Düben, immatrikuliert 1808. Im März 1813 zum Magister graduiert.

Krug, Wilhelmine (Charlotte Wilhelmine, geb. von Zenge), 1782–1852 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 18.11.1814 bis 1.7.1815 Alt am 19.3.1815 Tochter des preußischen Generalmajors August Wilhelm Hartmann von Zenge (1736–1817). Sicherlich Schwester oder Tochter von ↑Louise von Zenge. 1800–1802 verlobt mit dem Dichter Heinrich von Kleist, 1803 Eheschließung mit Wilhelm Traugott Krug (1770–1842, Philosoph, evangelisch, studierte in Wittenberg, Jena und Göttingen, 1796–1801 Privatdo- zent für Philosophie in Wittenberg, 1801–1805 Professor für Philosophie und Theologie in Frankfurt [Oder], Professor für Philosophie 1805–1809 in Königsberg und von 1809 bis zu

803 Vgl. Allgemeine Zeitung Nr. 11, Außerordentliche Beilage Nr. 16 u. 17, 11.1.1837, S. 65. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 seinem Tod in Leipzig, 1813/14 und 1830/31 Rektor der Universität Leipzig, mehrfach Dekan der philosophischen Fakultät, Ehrenbürger am 17.10.1841 aus Anlass seines 50-jährigen Ma- gisterjubiläums. Harmonie 1831).

Krütli, Anton Rudolph, †1825 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Tenor (Schulz) am 18.10.1814 Kaufmann aus Hildesheim, katholisch. Er heiratet 1809 die Kaufmannstochter Emilie Mat- hilde Röder. Loge Balduin 1810 bis zu seinem Tod.

Kümmel, Karl Friedrich Ernst Mitglied (Schulz) ab 8.10.1818 351 Student aus Altranstädt (heute Ortsteil von Markranstädt bei Leipzig), immatrikuliert 1817.

Kummer, Emilie, *1796 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Sopran am 20.4.1814 Tochter des Bürgers und Buchhändlers Paul Gotthelf Kummer (†1835 mit 84 Jahren, Har- monie 1799), sie heiratet 1814 Carl Schultze, Bürger und Kaufmann zu Magdeburg (nicht identisch mit ↑Carl Schultze-Küstner).

Kunze, Gustav (I oder II?)804, 1793–1851 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 12.11.1814 Bass (Schicht II oder Schulz) am 19.3.1815 Absolvent der Thomasschule, Student an der Universität (immatrikuliert 1813, Dr. med. 1819). Gründungsmitglied der Naturforschenden Gesellschaft Leipzig seit 1818, 1822–1835 Professor für Medizin, 1835 bis zu seinem Tod Professor der Botanik. 1837 bis zu seinem Tod Leiter des Botanischen Gartens Leipzig als Nachfolger von ↑Christian Friedrich Schwäg­ richen, bei dem er auch studiert hatte. Vorstandsmitglied der Singakademie im Jahr 1823. Harmonie 1824. Er stirbt ledig. »Vermachte der Harmonie fast 800 Taler.«805

804 In Limburgers Annalen (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2) sind Gustav, Wilhelm Friedrich und Heinrich Fer- dinand Kunze nicht mit letzter Sicherheit auseinanderzuhalten, weil Limburger die Vornamen meist nicht angibt, sondern die Sänger mit I–III durchnummeriert. Die Vermutung, dass Wilhelm Friedrich Kunze identisch mit Kunze III ist, stützt sich allein auf die Tatsache, dass er einmal explizit als Tenor erwähnt wird und Kunze III immer Tenor singt. Gustav und Heinrich Ferdinand Kunze sangen beide Bass, so dass nicht auseinanderzuhalten ist, wer sich hinter I bzw. II verbirgt. 805 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 108. Anhang

Kunze [Kuntze], Heinrich Ferdinand (Heinrich August Ferdinand) (I oder II?), *1797 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 15.10.1814 Bass (Schicht II oder Schulz) am 19.3.1815 Student an der Universität, immatrikuliert im April 1814. Geboren in Leipzig als Sohn des herrschaftlichen Bediensteten, Bürgers und Hausbesitzers Johann August Kuntze (†1836 mit 73 Jahren). Bruder von ↑Henriette Kunze. Die Polizeimeldebücher führen ihn erst als Lehrling, dann als Gesellen. Später ist er Bürger und Kammmacher zu Bitterfeld und heira- tet 1829 die Tochter des dortigen Bürgermeisters, Amalie Anders.

Kunze, Henriette (Christiana Henriette), *1799 352 Alt am 20.4.1814 Zwar sind mehrere Frauen namens Henriette Kunze in der fraglichen Zeit bekannt, doch lässt die gleichzeitige Anwesenheit von ↑Heinrich Ferdinand Kunze auf dessen Schwester schließen (zum Vater Johann August Kuntze siehe dort).

Kunze, Wilhelm Friedrich (III?), 1784–1862 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Tenor (Schulz) am 19.3.1815 Tenor in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 Chorleiter in Limburgers Privatakademie am 4.3.1821 Stadtleutnant, Kramer (Firma W. F. Kunze und Comp., Wachstuchfabrik, Speditionen- und Kommissionen-Geschäfte). Er heiratet 1807 ↑Betty Tischbein und wird damit Schwieger- sohn von ↑Sophie Tischbein. Stadtverordneter 1833–1835 und 1837–1845, ab 1837 Bevoll- mächtigter bei der Leipziger Feuerversicherungs-Anstalt. Gewandhaus-Konzertdirektion 1809–1811, dort 1810–1811 Kassierer. Zu seinem Vergnügen unentgeltlich 1815–1830 erster Geiger im Gewandhausorchester. Kassierer der Schulz’schen Singakademie 1814; Mitglied der Organisationskomitees für die Benefizkonzerte beider Singakademien am 20.4.1814 und am 18.10.1814; Vorstandsmitglied der Singakademie im Jahr 1823. Loge Apollo 1829, dort Ehrenmitglied 1852, Loge Minerva 1829. Harmonie 1845–1848. Lutherisch.

Kürsten, Ernst Wilhelm Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Tenor (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Er ist der Sohn von Johann Wilhelm Kürsten, Advokat zu Langensalza. 1815 leistet er den Leipziger Bürgereid und heiratet die Kaufmannstochter Friederike Wilhelmina Stöltzner. Im Jahr 1818 wird er als Kramer, Inhaber einer Modewaren-, Band- und Garnhandlung, ge- führt.

Demoiselle Küster (d. J.) Alt in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Eine der insgesamt fünf Töchter des Dr. iur. Christian Gottlob Küster (1760–1818, promo- viert 1783, Kommerzienrat, Accise-Inspektor. Loge Balduin 1790–1806, dort 1801–1802 de- putierter Meister vom Stuhle, Loge Minerva 1818, Harmonie 1813). Schwester von ↑Agnes Küster und ↑Herrn Küster.

Herr Küster 353 Bass in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Einer der insgesamt vier Söhne des Christian Gottlob Küster. Bruder von ↑Agnes Küster und ↑Demoiselle Küster (zum Vater siehe dort).

Küster, Agnes (Charlotte Agnes Florentina) (d. Ä.), *1802 Sopran (Schicht II) am 19.3.1815 Sopran in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Eine der insgesamt fünf Töchter des Christian Gottlob Küster. Schwester von ↑Herrn Küster und ↑Demoiselle Küster (zum Vater siehe dort). Agnes Küster heiratet 1822 den Medizi- ner Ernst August Carus (1797–1854, Studium von Philosophie, schönen Künsten, Musik und Medizin in Leipzig 1815–1822, 1822 Promotion zum Dr. med., 1823 Habilitation, 1829–1844 außerordentlicher Professor für Chirurgie, Augenheilkunde und Orthopädie an der Univer- sität Leipzig, seit 1829 Leiter der Chirurgischen Poliklinik und Oberwundarzt des Georgen- spitals, 1844–1853 Professor für Chirurgie an der Universität Dorpat, anschließend in Berlin; Loge Apollo 1821–1844, Harmonie 1836–1844, vermutlich Singakademie-Mitglied 1823806).

Küstner, Carl (Karl Theodor), 1784–1864 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Bass Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Bass (Schicht II) am 19.3.1815 Sohn von Johann Heinrich Küstner (1752–1816, Kaufmann, Bankier, Gründungsmitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion 1781–1788, Loge Minerva 1780, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, dort ausgetreten 1787, wieder eingetreten 1793–1812).807 Nachdem er die Tho-

806 In der Mitgliederliste bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 17, ist er nur als »Herr Carus« verzeichnet. 807 Ausführlich zur Biografie von Johann Heinrich Küstner: Doris Mundus, »Und nebenbei Gewandhaus- direktor [Johann Heinrich Küstner]«, in: Gewandhaus-Magazin (Sommer 2010), S. 50–51. Anhang

masschule absolviert hat, immatrikuliert sich Carl 1803 an der Leipziger Universität, 1810 promoviert er in Göttingen zum Dr. iur. Bei dem Herrn Küstner, der im Jahr 1808 als Gei- ger im Gewandhausorchester erscheint, handelt es sich möglicherweise ebenfalls um ihn. Küstner leitet das »Liebhabertheater im im Hause des Oberhofgerichtsrats Blümner«.808 Er setzt sich für die Wiedereröffnung des Theaters in Leipzig ein, das 1817 als Stadttheater eröffnet wird, und leitet es 1817–1828. Am Theater ist ↗Friedrich Schneider der erste Musik- direktor, Mitglieder des Inspektionsausschusses sind u. a. Johann August Otto Gehler (siehe ↑Emilie Gehler-Duvigneau), ↑Wilhelm Seyfferth und Siegfried August Mahlmann (siehe ↑Auguste Wilhelmine Mahlmann).809 Später wirkt Küstner als Theaterdirektor bzw. -inten- dant in Darmstadt, München und Berlin. 1837 wird er in Bayern in den Adelsstand erhoben. 1846–1852 ist Karl Theodor von Küstner erster Präsident des neu gegründeten Deutschen Bühnenvereins. Er ist ein Bruder von ↑Julie Limburger und ↑Mariane Schultze, er wird im Laufe der Zeit Schwager von ↑Jacob Bernhard Limburger (1795), ↑Carl Schultze-Küst- 354 ner (1800), ↑Emilie Küstner (1807) und ↑Emma Erckel (1819). Loge Minerva 1819. Außer- ordentliches Mitglied der Gesellschaft Harmonie 1860.

Küstner, Emilie (Louise Emilie, geb. Rode), 1789–1866 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Alt am 20.4.1814 Mitglied (Schulz) ab 3.9.1816 Tochter des Kammerrats Carl Rode zu Dessau, heiratet 1807 Felix Ferdinand Heinrich Küst- ner (1778–1832, Bürger und Bankier, Harmonie 1817), einen Sohn von Johann Heinrich Küst- ner (zu ihm siehe ↑Carl Küstner). Sie wird damit Schwägerin von ↑Carl Küstner, ↑Julie Limburger und ↑Mariane Schultze.

Lampe, Friederike (Friederike Maria Luise, geb. Lorenz) Mitglied (Schulz) ab 1818? Tochter des Merseburger Domvikars Johann Gottfried Lorenz, zweite Ehefrau des Kauf- manns Johann Caspar Lampe (1766–1817, Harmonie 1802, Die Vertrauten 1811). Nach ihrem Stiefsohn, Johann Caspar Lampes Sohn aus erster Ehe, Carl Lampe (1804–1889, Kaufmann, Dr. phil. et med. h. c., Teilhaber des Drogeriegroßhandels Brückner, Lampe & Co., vgl. dazu ↑Friederike Ploss; Ratsherr, 1878 Ehrenbürger Leipzigs, Mitgründer von Kunstverein und Konservatorium, Harmonie 1829, Loge Minerva 1832, Die Vertrauten 1834, reformiert) ist die Lampestraße in Leipzig-Zentrum-Süd benannt. Carl Lampe heiratet 1831 Wilhelmine Victo- rie Vogel (vgl. ↑Albertine Graner und ↑Wilhelmine Vogel).

808 Ebd., S. 51. 809 Vgl. Küstner, Rückblick auf das Leipziger Stadttheater, S. 12. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Lehmann, Friedrich Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 12.11.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Es kommen drei zur fraglichen Zeit immatrikulierte Studenten dieses Namens in Frage, auch außerhalb der Studentenschaft existierten mehrere Namensträger. Eine eindeutige Zuordnung ist nicht möglich.

Leplay, Emilie, *1792 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tochter des französischen Kaufmanns Philipp Leplay (1755–1809, Harmonie 1794), Schwes- ter von ↑Henriette Leplay. Sie heiratet 1824 den Professor beim Kadettencorps zu Dresden, Friedrich Franz Xaver von Villers. 355

Leplay, Henriette, 1789–1873 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Alt Alt am 28.11.1812 und 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 18.10.1814 und 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 1818 Alt in Limburgers Privatakademie am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Schwester von ↑Emilie Leplay (zum Vater Philipp Leplay siehe dort). Nach ihr ist die Le- playstraße in Leipzig-Zentrum-Südost benannt. Sie wird 1867 als »ältestes und treuestes Mitglied«810 zum Ehrenmitglied der Leipziger Singakademie ernannt.

Levetzow [Levezov], Amalie von (Amalie Theodore Caroline, geb. von Brösigke), 1788–1868 Sopran am 20.4.1814 Tochter des Friedrich Leberecht von Brösigke auf Löbnitz und der Ulrike von Löwenklau. In zweiter Ehe seit 1807 verheiratet mit Friedrich Karl Ludwig von Levetzow (†1815).811 Sie war in erster Ehe (Heirat 1802) mit dem mecklenburg-schwerinischen Kammerherrn und späteren Hofmarschall Joachim Otto Ulrich von Levetzow (1777–1843) verheiratet. Die aus dieser Ehe hervorgegangene Tochter Ulrike von Levetzow (1804–1899) ist als »letzte Liebe« Johann Wolfgang von Goethes bekannt.

810 Urkunde der Ehrenmitgliedschaft: D-LEsm, Dipl.EI/13. 811 Vgl. K. Schubert, »Walter Hunger und seine Sammlung«, in: Informationen zum Archivwesen in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens 9 (1/2006; Beilage zum Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landes- kirche Sachsens, Nr. 24/2006), S. 5–9, hier S. 7. Anhang

Herr Liebeskind Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Möglicherweise handelt es sich um Carl August Liebeskind, 1795 an der Universität imma- trikuliert, 1798 als Flügelspieler und 1799 als Musikdirektor im Leipziger Theater genannt. Er wirkt als Hauslehrer sowie Organist an der reformierten Kirche und verlässt Leipzig 1804. Von 1808 bis 1823 ist er Pfarrer in Reinsdorf bei Nebra, danach in Lodersleben (heute Ortsteil von Querfurt).812 Limburgers Notiz, er sei »jetzt Landpfarrer in Liefland«813, könnte sich auf die Zeit zwischen 1804 und 1808 beziehen. Vgl. auch ↑Herrn Starke, zu dem Lim- burger dasselbe anmerkt.

Limburger, Jacob Bernhard, 1770–1847 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Bass Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass 356 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 14.3.1818 bis zu seinem Tod814 Bass in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Kaufmann, geboren in Leipzig als Sohn des aus Liegnitz stammenden Kaufmanns Gottfried [oder Gottlieb] Ehrenfried Limburger (†1799, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776). Nach seiner Lehrzeit in Annaberg bei der Firma Eisenstuck und Comp. und der Rückkehr ins väterliche Geschäft ab 1805 alleiniger Eigentümer der Seiden- und Garngroßhandlung »J. B. Limburger jun.«, sowie von 1816 bis 1820 auch Inhaber einer Tabakgroßhandlung, die er von seinem Bruder übernimmt. Ratsmitglied (1808–1831) und Baumeister, Vorsteher des Georgenhauses (Waisen- und Armenhaus) 1814–1831, Stadtverordneter 1831–1835, luthe- risch. Er heiratet 1795 ↑Julie Küstner, das Paar hat (mindestens) zwei Töchter: ↑Laura (1799–1813) und Luise (sie heiratet 1817 den Bankier Philipp Martin Beckmann [Harmonie 1816]). Gewandhaus-Konzertdirektion 1799 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 1819–33. Mit- gründer und Vorsteher der Leipziger Singakademie, Mitglied der Organisationskomitees für die Benefizkonzerte beider Singakademien am 20.4.1814 und am 18.10.1814. 1815 Stif- ter der (älteren) Leipziger Liedertafel, Ehrenmitglied der jüngeren Liedertafel (gegr. 1838). Loge Balduin 1801 bis zu seinem Tod, dort 1811–1815 Meister vom Stuhle und danach Eh- renmeister, Loge Apollo 1801, dort Ehrenmitglied 1830, Ehrenmitglied Loge Minerva 1820. Harmonie 1808, Die Vertrauten 1822: »Er sang einen wohltemperierten, volltönenden Baß, komponierte selbst Lieder und hat […] gern die Zusammenkünfte der Vertrauten mit sei- ner Stimme erfreut […].«815 Jacob Bernhard Limburger ist Schwager von ↑Carl Küstner

812 Vgl. Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Merseburg, 13. Stück, 27.3.1824, S. 108. 813 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2v. Gemeint ist das ehemalige russische Herzogtum Livland, das Teile der heutigen Staaten Lettland und Estland umfasste. 814 Vgl. Nekrolog, in: AmZ 49 (1847), Sp. 261–264, hier Sp. 263. 815 Helbig, Die Vertrauten, S. 55. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821 und ↑Mariane Schultze. Zu Jacob Bernhard Limburgers Bruder Christian Gottlieb siehe ↑Fanny Herries. Nach seinem Enkel, dem Kaufmann Paul Bernhard Limburger (1826– 1891) ist die Limburgerstraße in Leipzig-Plagwitz benannt. Letztgenannter war ebenfalls Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion (1868–1891), der Gesellschaft Harmonie (er trat 1884 in die Gesellschaft Erholung ein, die sich 1887 mit der Harmonie vereinigte) sowie Di- rektoriumsmitglied des Konservatoriums.

Limburger, Julie (Juliana Henriette, geb. Küstner), 1776–1865 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Sopran Zweite Tochter von Johann Heinrich Küstner (zu ihm siehe ↑Carl Küstner), Ehefrau von ↑Jacob Bernhard Limburger (Hochzeit 1795). Sie ist die Mutter von ↑Laura Limburger, die Schwester von ↑Carl Küstner und ↑Mariane Schultze sowie Schwägerin von ↑Carl Schultze-Küstner, ↑Emilie Küstner und ↑Emma Erckel. 357

Limburger, Laura, 1799–1813 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Sopran am 28.11.1812 Tochter von ↑Jacob Bernhard und ↑Julie Limburger. Der Vater notiert, sie sei »ein Opfer des verhängnisvollen Jahres 1813«816 geworden. Nicht identisch mit ↑Laura Limburger, geb. Eisenstuck.

Limburger, Laura (geb. Eisenstuck) Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Sopran Nicht identifiziert.817 Nicht identisch mit ↑Jacob Bernhard Limburgers Tochter ↑Laura Lim- burger. Zwei mit dem Familiennamen Eisenstuck geborene Frauen, die einen Mann der Fami- lie Limburger heirateten, kämen in Frage, wobei jedoch zu unterstellen wäre, dass die betref- fende nicht einen ihrer Taufnamen als Rufname benutzte, sondern sich »Laura« nennen ließ, oder dass Limburger sich beim Vornamen in der Mitgliederliste verschrieb: 1. Christina Doro- thea Limburger, geb. Eisenstuck (1745–1804), die Mutter von ↑Jacob Bernhard Limburger. 2. Johanna Eleonora Limburger, geb. Eisenstuck (1772–1831), die Ehefrau von ↑Jacob Bernhard Limburgers Bruder Christian Gottlieb und Pflegemutter von ↑Fanny Herries.

Lincke, H. Mitglied (Schulz) ab 1818? Höchstwahrscheinlich handelt es sich um den Bürger und Kaufmann Heinrich Ernst Lin- cke II, *1773. Sein Vater Heinrich Ernst Lincke [Linke] [I] (†1799, Kauf- und Handelsherr,

816 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 4. 817 Es wurde im Umfeld der Leipziger Familie Limburger und der Annaberger Familie Eisenstuck gesucht. Eine Recherche nach Laura Limburger in den Tauf- und Trauregistern der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz brachte keinen Erfolg (Auskunft von Rebekka Freitag, 29.3.2011). Anhang

Tabakhändler, Harmonie 1788), war Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion von 1789 bis zu seinem Tod. Heinrich Ernst Lincke II ist 1804 zusammen mit den Kaufmännern T. C. und W. G. Linke für das Geschäft Heinrich Ernst Linke und Comp. verzeichnet. Er heiratet 1797 Dorothea Friederike Schrepfer, im gleichen Jahr heiratet seine Schwester Jo- hanna Christiana Wilhelmina (*1771) Carl Adolph Erckel, einen Onkel von ↑Emma und ↑Laura Erckel sowie von ↑Theresia Henriette Haußner und ↑Luise Ludewig. Eine andere Schwester, Susanna Juliana [Juliana Susanna] Lincke, heiratet 1803 Carl Ludolph Hansen (vgl. ↑Ernestine Hansen). Heinrich Ernst Linckes II gleichnamiger Sohn Heinrich Ernst Lincke III, *1802, käme theoretisch auch als der hier verzeichnete Sänger in Frage.

Herr Lindemann Tenor (Schicht II) am 19.3.1815 Vielleicht der Student Carl Gotthelf Lindemann aus Weißenfels, immatrikuliert 1807. Der 358 Nachname kommt aber auch außerhalb der Studentenschaft mehrfach vor.

Lindner, Friedrich Wilhelm, 1779–1864 Tenor am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 19.3.1815 Absolvent der Universität Leipzig (immatrikuliert 1801, Magister 1806, 1808 Promotion zum Dr. phil. in Wittenberg und Habilitation für Philosophie in Leipzig, 1826 Promotion zum Dr. theol. in Leipzig). Seit 1803 war er Hilfslehrer an der neuen Bürgerschule, von 1805–1844 ist er ordentlicher Lehrer daselbst. Seit 1815 bis zu seinem Tod außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Leipzig, 1825 bis zu seinem Tod Honorarprofessor für Katechetik und Pädagogik an der theologischen Fakultät. 1826 Ernennung zum Dr. theol. h. c. durch die theologische Fakultät der Universität Königsberg. Loge Apollo 1808–1818.

Demoiselle Linke Sopran (Schicht II) am 19.3.1815 Nicht sicher identifiziert, da mehrere Familien dieses Namens in Leipzig nachgewiesen sind. Naheliegend wäre ein Mitglied der Familie Heinrich Ernst Linckes (vgl. ↑H. Lincke), dort kommen drei Frauen in Frage: 1. Heinrich Ernst Linckes I Witwe Johanna Susanna Baumgarten (*1747, Heirat 1770; die aus dieser Ehe hervorgegangenen Töchter können hier nicht gemeint sein, sie sind 1815 schon unter anderen Namen verheiratet). 2. Die Ehefrau von Heinrich Ernst Lincke II, Friederike Dorothea, geb. Schrepfer (*1775). 3. Die Tochter von Heinrich Ernst Lincke II, Charlotte Henriette (*1803). Die Anrede »Demoiselle« spricht für die letztgenannte. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Liskow [Liscov, Liscovius], Carl Friedrich Salomon, 1780–1844 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem, bis zur ersten Probe unter Schulz Bass (Schulz) am 18.10.1814 Mediziner. Er besucht die Thomasschule und singt unter Johann Adam Hiller im Thomaner- chor.818 An der Universität immatrikuliert 1802, promoviert im Dezember 1812. Harmonie 1824.

Loehn [Löhne], Wilhelmine (Caroline Wilhelmina), *1800 Mitglied (Schulz) 31.8.1815 bis 1.10.1815 Tochter des Medizinstudenten Carl Wilhelm Löhne (er ist in der Leipziger Matrikel nicht auffindbar, studierte wohl woanders). 359 Löwe, Maximilian Leopold Mitglied (Schulz) ab 1818 Student aus Dresden, immatrikuliert 1817.

Ludewig, Friedrich Wilhelm, *1798 Mitglied (Schulz) ab 5.7.1815 Student aus Leipzig, immatrikuliert im Mai 1815. Seine Mutter Maria Christiane wird im Polizeimeldebuch als »Bürgers Wittwe u. Hausbesitzerin« bezeichnet. Mit der Leipziger Familie Ludewig (siehe ↑Emma und ↑Laura Erckel, ↑Theresia Henriette Haußner und ↑Luise Ludewig) konnte keine Verwandtschaft nachgewiesen werden.

Ludewig, Luise (Luise Friederike), *1789 Sopran am 20.4.1814 Schwester von ↑Theresia Henriette Haußner (zu den Eltern siehe dort). Cousine von ↑Carl Schultze-Küstner, ↑Gustav Schultze sowie ↑Emma und ↑Laura Erckel. Ihr Onkel Carl Adolph Erckel ist verheiratet mit einer Schwester von Heinrich Ernst Lincke II (siehe ↑H. Lincke). Bei ↑Henriette Holberg handelt es sich wahrscheinlich um ihre Tante oder deren Tochter (siehe dort unter 1. und 2.). Luise Ludewig heiratet im August 1814 Christian Jakob Weiß [Weis, Weise], Pfarrer zu Lockwitz bei Dresden und Sohn des Archidiakons bei St. Nikolai in Leipzig Christian Samuel Weiß.

818 »Ein Zug aus dem Leben Johann Adam Hiller’s. Von einem seiner Schüler, Dr. K. F. S. Liskovius«, in: AmZ 33 (1831), Nr. 36, Sp. 600. Anhang

Mahlmann, Auguste Wilhelmine [Wilhelmine Augusta] (geb. Müller), 1746–1804819 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Pfarrerstochter aus Wurzen. Sie wurde 1770 die zweite Ehefrau des Tuch- u. Tabakhänd- lers Siegfried Martin Mahlmann (1705–1780). Mutter von Siegfried August Mahlmann (1771–1826, lutherisch, Privatlehrer, Schriftsteller, Journalist, Leiter der Zeitung für die ele- gante Welt, Pächter und Redakteur der Leipziger Zeitung; nach ihm ist die Mahlmannstraße in Leipzig-Zentrum-Süd/Südvorstadt benannt. Harmonie 1808, Loge Balduin 1820 bis zu seinem Tod. Zusammen mit ↑Wilhelm Seyfferth und Johann August Otto Gehler [siehe ↑Emilie Gehler-Duvigneau] Mitglied des Inspektionsausschusses des 1817 gegründeten, von ↑Carl Küstner gepachteten Leipziger Stadttheaters.820 Er ist der Herausgeber des Lie- derbuches der Freimaurerloge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig [1822], Mitglied dieser Loge seit 1796, dort Meister vom Stuhle 1813 bis zu seinem Tod. Die Singakademie singt 1815 das »Sachsenlied« zur Melodie God save the King auf einen Text von ihm.). 360

Martini, Moritz Gustav, 1794–1875 Mitglied (Schulz) ab 25.11.1815 Student an der Universität, immatrikuliert 1811. Später Mediziner (Dr. med. 1822, Dr. phil. 1823). 1830–1872 Leiter der Irrenanstalt in Leubus (heute Lubiąż, Polen). Loge Minerva 1817, lutherisch.

Matthäi, Heinrich August, 1781–1835 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Violine (Schulz) am 19.3.1815 Er ist von 1803 bis zu seinem Tod Geiger im Gewandhausorchester, erster Primarius des 1808 gegründeten Gewandhaus-Quartetts, ab 1816 als Nachfolger von ↑Bartolomeo Cam- pagnoli Konzertmeister im Gewandhaus. Lehrer von ↑Moritz Gotthold Klengel und ↑Karl Kloss.

Demoiselle Mende Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Sicherlich ein Mitglied der Kaufmannsfamilie Mende, etwa Louise Friederike (*1794) oder Emilie Julia Carolina (auch: Julie Emilie Caroline, *1795), die zwei Schwestern des Kauf- manns Ferdinand Wilhelm Mende (zu ihm und seiner Frau siehe ↑Henriette Thieriot).

819 Die Angabe aus NDB, Art. Siegfried August Mahlmann, nach der sie bereits 1782 gestorben sei, muss durch den Eintrag »Madame Mahlmann geb. Müller, starb im Jahr 1804« (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2v) als widerlegt gelten. Limburger irrte sich bei Lebensdaten zwar manches Mal um wenige Jahre, aber dass er eine Frau als Teilnehmerin aufzählen würde, die seit 20 Jahren tot ist, ist ihm nicht zuzu- trauen. 820 Vgl. Küstner, Rückblick auf das Leipziger Stadttheater, S. 12. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Metsch, Christian Mitglied (Schulz) ab 1818? Es kommen zwei Studenten in Frage: Johann Christian Metsch, immatrikuliert 1816, und Stephan Christian Metsch, immatrikuliert 1813. Beide geben als Vaterstadt Suhl an, wahr- scheinlich sind es Brüder.

Metzner, Wilhelm (Friedrich Wilhelm August), 1781–1854 Mitglied (Schulz) 1.4.1815 bis 1.6.1815 Die Polizeimeldebücher führen ihn als »Factor bey Brockhaus, Schutzverwandter«.821

Meyer, Eduard Franz Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 12.11.1814 361 Bass (Schulz) am 19.3.1815 Student aus Annaburg (heute Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt), immatrikuliert im November 1813. Er oder ein Namensvetter wird um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Leipzig als Zigarrenfabrikant geführt.

Meyr, Julie Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 In dieser Schreibung nicht nachgewiesen. Bei der Lesung »Meyer« kämen wiederum zahl- reiche Personen in Frage.

Michler, Carl Christian, 1792–1869 Bass am 20.4.1814 Bass (Schicht II) am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 12.10.1815 Student aus Elstra (heute Landkreis Bautzen, Sachsen), immatrikuliert im Juni 1813. Er wirkt später als Gesangslehrer in Leipzig, die Adresskalender erwähnen ihn als solchen ab 1825 am Waisenhaus und ab 1830 an der Nikolaischule.

Herr Moldau, †1813 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 28.11.1812 Vielleicht der Student Friedrich Wilhelm Moldau aus Camenz, immatrikuliert 1809. Lim- burger notiert zu ihm: »nachmals Actuarius in Brandis/[…] ein Opfer des verhängnisvollen Jahres 1813«.822

821 »Factor« kann Disponent, aber auch Druckereivorsteher bedeuten, als Schutzverwandter durfte er in Leip- zig wohnen und Gewerbe treiben (wofür ein Schutzgeld fällig war), war aber kein vollberechtigter Bürger. 822 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 4. Anhang

Müller, Henriette Alt am 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 19.3.1815 Mehrere Frauen dieses Namens sind bekannt. Wenn es zutrifft, dass sich hinter↑ J. G. Siegismund tatsächlich Johann Gottlieb Siegismund verbirgt, dann wäre die Vermutung naheliegend, dass es sich bei der hier verzeichneten Henriette Müller um dessen zukünf- tige Schwiegertochter handelt, also die spätere Ehefrau seines Sohnes Friedrich Wilhelm Siegismund.

Munsch, Henriette (geb. Detring) Mitglied (Schulz) ab 2.2.1818 Ehefrau von Friedrich August Munsch (*1789, Magister und Dr. der Pharmazie, Loge Mi- nerva 1817–1841). 362

Nagel, August Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 Drei Personen dieses Namens sind zur fraglichen Zeit nachgewiesen: 1. Der Herrendiener Wilhelm August Nagel, er heiratet 1790. 2. Der aus Zwenkau stammende Korbmachermeis- ter Johann August Nagel (*1792). 3. Der Bürger und Viktualienhändler August Samuel Na- gel, er bekommt 1849 einen Sohn Carl August.

Noack, Friedrich (Johann Friedrich Christian), *1782 Tenor am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Tenor (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Immatrikuliert sich 1801 in Leipzig als Johann Christian Noack und heiratet 1808 als Magis- ter und Sprachmeister Marianna Elisabeth Lang.

Mademoiselle Olivier Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Nicht identifiziert. Eventuell gehört sie zur Familie des Jacob Anton Olivier, der 1804 als Tanzmeister an der Universität gemeldet ist.

Otto, Christian Wilhelm Mitglied (Schulz) 27.7.1815 bis 1.9.1816 Student aus Taucha bei Leipzig, immatrikuliert 1813. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Otto, Johann Friedrich Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 18.11.1814 Bass (Schulz) am 19.3.1815 Mehrere Träger dieses Namens sind nachgewiesen, darunter mindestens zwei Studenten. Eine eindeutige Zuordnung ist nicht möglich.

Herr Pfand Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Wahrscheinlich der Student Johann Heinrich Samuel Pfand aus Osterode am Harz, im- matrikuliert 1809. 363

Platzmann, Theodor Alexander, 1795–1872 Mitglied (Schulz) ab 1818? Tenor in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Student an der Universität, immatrikuliert 1815. Er ist der Sohn des Kaufmanns Heinrich Carl Platzmann (1760–1843, Inhaber einer Seidenwarenhandlung in der Reichsstraße seit 1784. Harmonie 1817: »Vermachte der Harmonie 500 Taler.«823 Die Vertrauten 1820). Theodor Alexander Platzmann promoviert später zum Dr. iur. und wird Ratsherr. Vorstandsmitglied der Singakademie im Jahr 1823. Gesellschaft Erholung 1819, Harmonie 1823, Mitglied der Journalgesellschaft. Er heiratet 1823 ↑Marianna Beyer.

Ploss, Friederike (Friederike Henriette), 1791–5.12.1815824 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812 Alt am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter von Christoph Heinrich Ploss (1757–1838, Bürger, Kaufmann, Bankier und Kam- merrat, Harmonie 1887, Die Vertrauten 1797; arbeitet 1804 und 1818 für Frege und Comp., vgl. dazu ↑Ferdinand Frege). Schwester von ↑Heinrich Ploss und ↑Henriette Ploss. Sie hei- ratet im Januar 1815 Christian Augustin Lorenz (1783–1854, Kramermeister, Harmonie 1816, Die Vertrauten 1831, Teilhaber des Drogeriegroßhandels Brückner, Lampe & Co., vgl. dazu ↑Carl Lampe; Stadtverordneter 1831–33) und stirbt kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Agnes Friederike. Der Witwer heiratet 1818 ihre Schwester ↑Louise Henriette. Nach deren Tod 1819 heiratet er 1822 schließlich Louise Henriette Löwe.

823 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 117. 824 Limburger irrt, wenn er als Todesjahr 1818 angibt. Anhang

Ploss, Heinrich (Carl Heinrich), 1789–1837 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Bass Bass am 28.11.1812 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 27.1.1816 Bruder von ↑Henriette und ↑Friederike Ploss (zum Vater Christoph Heinrich Ploss siehe dort). Er ist Bürger und Kaufmann, Lieutenant, Loge Minerva 1814. Harmonie 1823. Er heira- tet 1818 ↑Rahel Amalie Hoffmann und führt im selben Jahr die Firma Ploß und Kläbisch.

Ploss, Henriette (Louise Henriette), 1795–7.4.1819 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 364 Schwester von ↑Heinrich und ↑Friederike Ploss (zum Vater Christoph Heinrich Ploss siehe dort). Die insgesamt vier Schwestern tragen alle den Namen Henriette als einen ihrer Vorna- men, doch wenn das von Limburger angegebene Todesjahr 1819 richtig ist, ist die Zuordnung eindeutig: Luise Henriette heiratet am 29.4.1818 Christian Augustin Lorenz, den Witwer ihrer verstorbenen Schwester ↑Friederike Henriette (zu ihm siehe dort). Sie teilt deren Schicksal und stirbt kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Augustina Henriette.

↗ Pohlenz, Christian August, 1790–1843 Tenor in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820

Pöppig, Emilie (Emilia Augusta), *1799 Mitglied (Schulz) ab 27.8.1816 Schwester des Eduard Friedrich Pöppig (1798–1868, evangelisch, Absolvent der Universi- tät, 1822 Promotion zum Dr. med., 1833 Habilitation für Botanik, 1834 bis zu seinem Tod Professor für Zoologie, bedeutender Naturwissenschaftler, Direktor des zoologischen Mu- seums, unternahm mehrere Forschungsreisen, unter anderem 1822 und 1824 mit ↑Fried- rich Schwäg­richen).

Pournes/Pourens?, Amalie Mitglied (Schulz) ab 10.9.1816 Lesung des Nachnamens unsicher (siehe Abbildung 18). Nicht identifiziert.

Abbildung 18: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von Amalie Pournes/Pourens? (D-LEsa, SingA, fol. 9r) Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Promnitz, Wilhelmine Alt am 20.4.1814 Mitglied (Schulz) 25.2.1815 bis 1.3.1816 Nicht identifiziert. Möglicherweise aus dem böhmischen Grafenstand derer von Promnitz.

Puttrich, Ludwig, 1783–1856 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Bass (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Absolvent der Universität (immatrikuliert 1801, promoviert zum Dr. iur. 1807), Kunsthistori- ker, Advokat und Notar. 1807 Mitvorsteher der Singakademie. 365 Ranft, Johann Gottfried Mitglied (Schulz) ab 11.5.1815 Student an der Universität, immatrikuliert im Mai 1815.

Ravené, Friederike, *1803 Mitglied (Schulz) ab 1818 Geboren in Gera als Tochter des Bürgers und Sensals Jacques [Jakob] Ravené (1751/53–1827), reformiert.

Rein, Julie (Julie Wilhelmine), *1800 Rein, Minna (Minna Charlotte), *1801 Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Mitglied (Schulz) ab 22.11.1817 Zwei Töchter des Bürgers und Buchhändlers Carl Wilhelm Georg Rein (*1767 in Berlin).

Reißiger, Carl Gottlieb, 1798–1859 Mitglied (Schulz) ab 3.9.1818 Student an der Universität, immatrikuliert 1818 für Theologie. Bereits als Thomasschüler hatte er Altus im Gewandhaus gesungen. Er gehörte auch zu denjenigen Thomanern, die zu den Singakademie-Konzerten am 28.11.1812 und am 8.5.1814 (bei der Wiederholung des Konzerts vom 20.4.1814) zur Verstärkung herangezogen wurden.825 Klavierschüler ↗Jo- hann Gottfried Schichts. 1818–1820 zweiter Geiger und Bratscher im Gewandhausorchester. Verlässt Leipzig 1821, wird 1828 Opern-Musikdirektor und Hofkapellmeister in Dresden. Loge Balduin 1821–1843. Komponist.

825 Vgl. D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 6r u. 13r. Anhang

Richter, Carl Ernst (Carl Christian Ernst), †1863 Mitglied (Schulz) ab 10.9.1816 Student an der Universität, immatrikuliert 1813. Er tritt 1829 als Magister und Redakteur zu Zwickau der Leipziger Loge Balduin bei.

Richter, Carl Friedrich Enoch, 1778–1831 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Tenor Tenor am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 Violoncello (Schicht II) am 19.3.1815 Sohn des Bürgers und Weinschenks Georg Wilhelm Richter, Enkel des Bürgers, Kramers und Kaffeschenks Enoch Richter. Die beiden genannten Vorfahren Carl Friedrich Enoch 366 Richters hatten zwischen 1751 und 1792 in ihrem Etablissement ein eigenes Konzertunter- nehmen betrieben, das aus dem vormals von Johann Sebastian Bach geleiteten Collegium Musicum hervorgegangen war. Carl Friedrich Enoch Richter ist Kaufmann und Buchhänd- ler. Er heiratet 1804, ist 1805–1830 in Leipzig als Verleger tätig und siedelt dann nach Ham- burg um. Harmonie 1813–1821.

Richter, Gustav (Friedrich Gustav), *1780 Bass am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Bass (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Geboren in Dresden, Sohn des Universitäts-Stallmeisters zu Leipzig Gottlieb Benjamin Traugott Richter (1746–1815), Bruder von ↑Mariane Klug, ↑Schwager von Carl Friedrich Gustav Klug. Wie sein Vater ist Gustav Richter Leipziger Universitäts-Stallmeister und Kö- niglich Sächsischer Bereiter.

Richter, Henriette Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem, bis 1.3.1815 Mehrere Frauen dieses Namens sind in der entsprechenden Zeit nachgewiesen, jedoch nicht in der Verwandtschaft der anderen hier genannten Familien namens Richter. Da ihre sonstigen Namensgenossinnen eher aus Handwerksberufen stammen, spricht vieles für: Amalie Henriette Charlotte Richter (1783–1832), Ehefrau des Kaufmanns und Bürgers Christian Wilhelm Richter (1783–1852, Harmonie 1811–1826). Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Herr Ritter Mitglied (Schicht II) 1812–1814 »Königl. Preuß. Pendant bei der Armee«.826 In Frage kommen drei Personen: 1. Johann Noa Ritter (1759–1831), der im Polizeimeldebuch als verabschiedeter Soldat nach 15 Jahren Dienst geführt wird. 2. Johann Christoph Ritter, preußischer Unteroffizier, der 1761 geheiratet hat. 3. Christian Ritter, Soldat zu Schafstädt, der 1816 heiratet.

Herr Roch Bass (Schicht II) am 19.3.1815 Ein sowohl in der Universitätsmatrikel als auch unter den Leipziger Einwohnern mehrfach vorkommender Familienname. Keine eindeutige Zuordnung möglich.

Rochlitz, Friedrich (Johann Friedrich), 1769–1842 367 Musikgelehrter in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Hofrat, studierte in Leipzig Theologie und Philosophie (immatrikuliert 1788). Musikschrift- steller, 1798–1818 Mitgründer und Redakteur der Allgemeinen musikalischen Zeitung, die da- nach von Gottfried Christoph Härtel (dem Onkel von ↑Wilhelm Härtel) und von ↑Gott- fried Wilhelm Fink weitergeführt wird. In der Zeit nach 1805 Förderer von ↗Friedrich Schneider. Textdichter von ↗Johann Gottfried Schichts Oratorium Das Ende des Gerechten. Gewandhaus-Konzertdirektion 1804 bis zu seinem Tod, Mitglied des Organisationskomi- tees für das Benefizkonzert beider Singakademien am 18.10.1814. Er heiratet am 23.2.1810 Friederike Henriette Winkler, geb. Hansen, eine Schwester von Ludolph Wilhelm Hansen (zu ihm siehe ↑Ernestine Hansen), die möglicherweise auch mit der hier verzeichneten ↑Mademoiselle Winkler verwandt ist. Nach ihm ist die Rochlitzstraße in Leipzig-Schleußig benannt. Harmonie 1810–1814.

Roese [Röhse], August (Andreas Wilhelm August), 1777/9– 1843 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Aus Greifswald stammender Kaufmann, sicherlich steht er in Verbindung mit dem Ge- schäft »Anton Wilhelm August Roese«, das 1818 Kommissionen- und Speditionengeschäfte anbietet. Die späteren Polizeimeldebücher (ab 1832) verzeichnen ihn als Bürger und Woll- Sensal. Loge Minerva 1811, lutherisch.

826 Ebd., fol. 4v. Anhang

Demoiselle Röhler Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 In Leipzig konnte nur eine Familie dieses Namens ausfindig gemacht werden: die des Bä- ckers Johann Gottfried Röhler. Seine Frau heißt Johanna Christiana. Deren gemeinsame Tochter Christiana Henriette wird 1801 geboren.

Römer, Wilhelmine von [Minette de Roemer], *1797 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.11.1815 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter von Carl Wilhelm von Römer (1763–1815, 1804 als Hauptmann und Kompanieführer im Kurfürstlichen Gouvernement erwähnt, im Polizeimeldebuch 1814 als »Major auser [sic] Dienst« geführt). Sie heiratet 1820. 368

Rostosky, Carl, *1769 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Bürger und Kaufmann, 1800 Mitbesitzer der Wollhandlung Valz & Rostosky, die er nach 1810 übernimmt und bis 1848 führt. Er heiratet 1801 Christiana Florentina Charitas Lefer. Von 1831 bis 1833 ist er in Leipzig Stadtverordneter und im September 1850 meldet er sich nach Schlema bei Schneeberg (heute Bad Schlema, Erzgebirgskreis) ab.

Scherer, Friedrich Carl August Ludwig Mitglied (Schulz) ab 1818? Student an der Universität, immatrikuliert im Oktober 1818.

Schetelich, Charlotte Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 1.12.1814 bis 1.4.1815 Sopran (Schulz) am 19.3.1815 Nicht identifiziert. Vielleicht steht sie in Beziehung zu dem Magister Christian Adolph Schedlich, Pastor in Dornreichenbach, der 1804 und 1814 auswärtiges Mitglied des montägi- gen Predigerkollegiums an der Universitätskirche ist. Bekannt ist ferner die vogtländische Geigenbauer-Dynastie Schetelig. In deren näherem Umfeld sind jedoch keine Frauen mit dem Namen Charlotte bekannt.827

827 Vgl. Bernhard Zoebisch, Vogtländischer Geigenbau. Biographien und Erklärungen bis 1850, hrsg. vom Ver- ein der Freunde und Förderer des Musikinstrumenten-Museums e. V. Markneukirchen, Horb am Ne- ckar 2000. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Schicht, Henriette (Henriette Wilhelmina), 1791–1831 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 Die einzige die Eltern überlebende Tochter von ↗Johann Gottfried Schicht (Näheres, auch zur Mutter, siehe dort). Henriette Schicht ist von 1806 bis 1810 als Sängerin am Gewandhaus engagiert und heiratet am 16.5.1813 den auch in Berlin und Hamburg tätigen Kaufmann und Bevollmächtigten der Leipziger Feuer-Versicherungsbank Carl Friedrich Ernst Weise [Weiss, Weisse].

↗ Schicht, Johann Gottfried, 1753–1823 Musikgelehrter in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 369 Schlemm, Constantine Johanna Louise, 1786–1808 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Tochter des Kaufmanns Adrian August Schlemm (*1753 in Wernigerode, lutherisch, Loge Minerva 1780, Harmonie 1784–1793) und der Henriette Wilhelmine Luise, geb. Kornmann. Schwester von ↑Mariane Schlemm und ↑Julie Schlemm. Sie heiratet 1807 den Witwer ihrer älteren Schwester (Amalia Johanna Wilhelmina, *1784, verheiratet 1804, † vor Juni 1807), den Bürger und Kaufmann Carl Ferdinand Platner (1777–1813, Harmonie 1809). Sie stirbt kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter.828

Schlemm, Julie (Julia Friederike Henriette), *1790 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Verhindert (Schicht II) am 19.3.1815 Schwester von ↑Mariane Schlemm und ↑Constantine Johanna Louise Schlemm (zu den Eltern siehe dort). Sie heiratet am 7.2.1818 den Kaufmann Johann Wilhelm Groß (1779–1852, seit 1807 Inhaber der väterlichen Eisenhandlung Groß & Co., Ratsmitglied 1830–1831, Har- monie 1812, Die Vertrauten 1831).

828 Diese Tochter wird am 7.7.1808 geboren und trägt den Namen Theresia. Daraus erklärt sich Limbur- gers Irrtum, wenn er für die Sängerin einen falschen Vornamen angibt: »Mademoiselle Therese [sic] Schlemm nachmals verehl. Platner starb anno 1808« (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2v). Die einmalige Kombination von Geburtsname, Familienname und Sterbejahr lässt aber für die Singakademie-Sänge- rin eindeutig auf Constantine Johanna Louise Schlemm schließen. Untermauert wird die Schlussfolge- rung durch folgenden Eintrag im Leichenbuch unter dem 15.7.1808: »Eine Wöchnerin 22. Jahre, Louise Constanze Wilhelmine [sic], geb. Schlemm, H. Carl Ferdinand Platners, Bürgers und Handelmannes Eheliebste« (D-LEsa, Leischr, Nr. 34, fol. 610). Anhang

Schlemm, Mariane (Marianna Augusta), *1793 Sopran am 20.4.1814 Verhindert (Schicht II) am 19.3.1815 Schwester von ↑Julie Schlemm und ↑Constantine Johanna Louise Schlemm (zu den El- tern siehe dort). Sie heiratet 1819 Heinrich Gottlieb Tzschirner (†1828, Dr. theol., Superin- tendent, Harmonie 1817).

Madame Schlesinger Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Hier handelt es sich entweder um ↑Adolph Schlesingers Ehefrau Rosalie (*1791 in Braun- schweig) oder um seine Schwester Rosalie Louise (*1789 in Frankfurt [Oder]). 370

Schlesinger, Adolph, *1779 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Tenor Tenor am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Mitglied (Schulz) ab 21.10.1815 Bankier aus Frankfurt (Oder). ↑Madame Schlesinger ist seine Frau oder Schwester.

Schliebner, Ernst Mitglied (Schulz) 4.2.1815 bis 18.6.1815 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Nicht identifiziert.

Mademoiselle Schlipalius Sopran am 20.4.1814 Ein in Dresden und Senftenberg vorkommender Name, in Leipzig nicht nachgewiesen.

Schmidt, Carl Christian, *1793 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Student an der Universität, immatrikuliert 1811. Später Dr. iur., Aktuarius, Advokat, Ge- richtsdirektor. Er heiratet 1828 Alwine Eckhardt. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

↗ Schneider, Friedrich (Johann Christian Friedrich), 1786–1853 Tenor (Schicht II) am 18.10.1814 Klavier (Schicht II) am 19.3.1815 Musikgelehrter in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 Tenor in Limburgers Privatakademie am 17.11.1820

Schnell, Ernst August Mitglied (Schulz) ab 28.10.1815 Student aus Zittau, immatrikuliert 1815. Wird 1818 als Mitglied der Lausitzer Predigergesell- schaft genannt.

Schnorr, Ottilie Alt am 28.11.1812 und am 20.4.1814 371 Alt (Schicht II) am 19.3.1815 Tochter von Veit Hans Schnorr von Carolsfeld (1764–1841, Maler, Grafiker; Direktor der Leip- ziger Kunstakademie; Ehrenbürger Leipzigs; nach ihm ist die Schnorrstraße in Leipzig- Schleußig benannt). Sie heiratet später einen Herrn Blochmann.

Schomburgk [Schomburg], Julie (Juliana Henriette, geb. Sporwald), 1791–1873 Alt am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem–1.11.1815 Alt (Schulz) am 18.10.1814 Verhindert (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Bürgers und Bierschenks Leonhard Sporwald, Ehefrau des Bürgers und Kra- mermeisters Johann Heinrich Christian Schomburgk (1785–1855, Heirat am 11.4.1814, Har- monie 1843).

Schreckenberger, Maria Friederike, 1784–1815829 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 Verhindert (Schicht II) am 19.3.1815 Eine Tochter von Carl Friedrich Schreckenberger (†1832 mit 84 Jahren, Ober-Acciseinneh- mer). Sie heiratet im Februar 1814 Carl Friedrich Gottwald Zürn (1782–1842, Tuchhändler und Agent der Lebensversicherungs-Gesellschaft, Stadtverordneter 1835–1842, Sohn von Adam Heinrich Zürn). Sie wird damit Schwägerin von ↑Johanna Wilhelmina Wilgenroth.

829 Irrtümliche Angabe bei Limburger: »†1817« (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 3v). Anhang

Am 18.7.1815 stirbt sie im Kindbett. Ihr Bruder Christoph Friedrich Schreckenberger heiratet im Mai 1818 Johanna ↑Emilie Apel, geb. Hindenburg (zu ihm siehe dort).

Schröder, Carl Friedrich Mitglied (Schulz) 1.5.1815 bis 13.8.1815 Student aus Naumburg, immatrikuliert 1811.

Schultze, Gustav (Gustav Heinrich), *1781 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Sohn des Kaufmanns und Bankiers Johann Christoph Schultze und der Christiana Rosina Erckel (Tochter von Michael Siegismund Erckel, zu ihm siehe ↑Emma Erckel). Bruder von ↑Carl Christoph Schultze-Küstner, Cousin von ↑Theresia Henriette Haußner, ↑Luise Ludewig sowie ↑Emma und Laura Erckel. Schwager von ↑Mariane Schultze. Lässt sich 372 später als Kaufmann in Dresden nieder.

Schultze, Mariane (Marianna Wilhelmina, geb. Küstner), *1776 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Sopran Tochter von Johann Heinrich Küstner (zu ihm siehe ↑Carl Küstner), Ehefrau von ↑Carl Schultze-Küstner (Heirat 1800), Schwester von ↑Julie Limburger und ↑Carl Theodor Küstner, Schwägerin von ↑Emma Erckel, ↑Emilie Küstner, ↑Jacob Bernhard Limburger und ↑Gustav Schultze.

Schultze-Küstner, Carl (Carl Christoph), 1777–1819 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Kauf- und Handelsherr, Stadthauptmann, Gewandhaus-Konzertdirektion 1804 bis zu sei- nem Tod, dort als Kassierer 1811–1819 Vorgänger von ↑Jacob Bernhard Limburger. Bruder von ↑Gustav Schultze (zu den Eltern siehe dort), Cousin von ↑Theresia Henriette Hauß- ner, ↑Luise Ludewig sowie ↑Emma und Laura Erckel. Er heiratet 1800 ↑Mariane Küstner und wird damit Schwager von ↑Julie Limburger und ↑Carl Küstner.

↗ Schulz [Schulze], Johann Philipp Christian, 1773–1827 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Musikgelehrter in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 17.11.1820 Von Limburgers Privatakademie am 4.3.1821 durch Krankheit abgehalten

Schulze, Heinrich Carl Elias, 1772–1813 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Bass am 28.11.1812 Advokat, geboren in Langensalza, ehemaliger Student an der Universität (immatrikuliert 1788). Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Schwägrichen, Christian Friedrich, 1775–1853 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab 5.11.1814 Bass (Schulz) am 19.3.1815 Botaniker, Naturhistoriker, Absolvent der Universität (immatrikuliert 1793, 1799 Habilita- tion und Promotion zum Dr. med.), 1801–1803 Privatdozent für Botanik, 1803–1852 Professor für Naturgeschichte an der philosophischen Fakultät, akademischer Lehrer von ↑Gustav Kunze, 1806–1837 dessen Vorgänger als Direktor des Botanischen Gartens der Universität, 1807–1852 außerordentlicher Professor für Botanik an der medizinischen Fakultät. 1822 und 1824 Forschungsreisen mit Eduard Pöppig, dem Bruder von ↑Emilie Pöppig. Er heiratet 1816 Friederike Henriette Lange. Nach ihm ist die Schwägrichenstraße in Leipzig-Zentrum- Süd benannt. Loge Minerva 1803–1844, Harmonie 1844, Mitglied der Journalgesellschaft und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. 373

Schwarz, Johannes, †1818/1819 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Russischer Konsul in Leipzig, Hofrat, korrespondierendes Mitglied der Universitäten zu Moskau und Charkow. Gemeinsam mit ↑Jacob Bernhard Limburger beteiligt an der Or- ganisation der ersten Singakademie-Gründung 1802. Harmonie 1802, Loge Minerva 1809.

Seyfferth [Seifferth], Friederike Eleonora Dorothea (geb. Burchard [Burchardi/Bur- kardi]), 1780–1847 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Tochter des Stadtwachtmeisters Friedrich August Burchardi. Nach dem Tod des Vaters hei- ratet ihre Mutter, Martha Dorothee, im Jahr 1791 den Kaufmann und Gutsbesitzer Christian Gottlob Vetter (1749–1822, Harmonie 1796: »Vermachte der Harmonie 1000 Taler.«830 Die Vertrauten 1797). Sie ist seit 1803 verheiratet mit ↑Wilhelm Seyfferth.

Seyfferth, Wilhelm (Wilhelm Gotthelf Ernst), 1774–1832 Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Tenor Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Bass am 20.4.1814 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Verhindert (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Kaufmann, Bankier. Er wird 1803 Teilhaber bei Vetter & Co., dem Waren- und Wechsel- geschäft seines Schwiegervaters Christian Gottlob Vetter, von dem er 1815 auch Vetters Hof

830 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 132. Anhang

in der Hainstraße übernimmt. Gewandhaus-Konzertdirektion 1816 bis zu seinem Tod, 1817 Deputierter beim Orchesterpensionsfonds. Verwahrt die Kasse des Fonds und entwirft 1817 dessen neue Satzung. Er ist zusammen mit Johann August Otto Gehler (siehe ↑Emilie Gehler-Duvigneau) und Siegfried August Mahlmann (siehe ↑Auguste Wilhelmine Mahl- mann) Mitglied des Inspektionsausschusses des 1817 gegründeten, von ↑Carl Küstner gepachteten Leipziger Stadttheaters.831 Mitglied der Organisationskomitees für die Bene- fizkonzerte beider Singakademien am 20.4.1814 und am 18.10.1814. Verheiratet mit ↑Frie- derike Eleonora Dorothea, geb. Burchardi. Harmonie 1812, Loge Minerva 1825. Die Vertrauten 1826. Stadtverordneter 1831–32. Vater von ↓Wilhelm Theodor Seyfferth.

Siegismund, J. G. Mitglied (Schulz) ab 1818? Wahrscheinlich handelt es sich um den Bürger und Zimmermann Johann Gottlieb Sie- 374 gismund. Er ist der Vater des 1805 geborenen Bürgers und Buchbindermeisters Friedrich Wilhelm Siegismund, der später mit einer ↑Henriette Müller verheiratet ist.

Siegmayer [Siegmeyer], Johann Gottlieb Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Student aus Pehritzsch (heute Ortsteil von Jesewitz, Landkreis Nordsachsen), immatriku- liert 1801. Er wird 1804 als Postschreiber beim Oberpostamt genannt. Im selben Jahr heira- tet er Auguste Wilhelmina Marianna Richter (*1788), die Tochter des praktizierenden Juris- ten und Rechtskonsulenten Georg Christoph Richter.

Söffner [Soefner], Johann August, 1785–1859 Bass am 20.4.1814 Katechet an der Peterskirche, später Prediger an der Neukirche und Oberdiakon. Erlangte 1810 in Wittenberg den Magistergrad. Er wird 1818 als Sonnabendsprediger an der Thomas- kirche erwähnt. Loge Balduin 1817–1839.

Herr Starke Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Limburger notiert zu ihm (wie auch zu ↑Herrn Liebeskind), er sei »jetzt Landpfarrer in Liefland«.832 In der Matrikel taucht der Name Starke häufig auf, ohne dass Indizien für einen bestimmten Studenten sprechen. Ob es sich bei ihm vielleicht um Johann Gottlob Starke handelt (1773–1834, immatrikuliert an der Universität 1798, Streicher im Gewand- hausorchester 1808–1822, Universitätsorganist 1812–1814, Organist an der reformierten Kir- che 1814 bis zu seinem Tod), lässt sich im Moment weder bestätigen noch widerlegen.

831 Vgl. Hagels, Konzerte in Leipzig, S. 94, dort Anm. 301. 832 D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. 2v. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Steinert, Friedrich Tenor am 28.11.1812 Mitglied (Schulz) ab 15.8.1817 Es sind mehrere Träger dieses Namens nachweisbar, darunter ein Student und ein Kauf- mann. Am naheliegendsten ist jedoch der Opernsänger Friedrich Steinert, der sich laut Polizeimeldebuch am 4.11.1819 nach Sondershausen abmeldet. Weitere Daten zum ihm ver- rät das Buch leider nicht.833

Stimmel, Erdmuthe, (Erdmuthe Charlotte Maria) *1802 Mitglied (Schulz) ab 1818 Tochter des Korrektors, Privatgelehrten und Agenten Dr. phil. Johann Gottlob Stimmel (1766–1836, Loge Apollo 1799–1813). Sie heiratet 1832 Heinrich August Gößel. 375 Stoeckhardt, Ernst Albert Heinrich Christian Bass am 20.4.1814 Student aus Wien, immatrikuliert 1813.

Strauch, Samuel Friedrich Mitglied (Schulz) ab 27.7.1815 Student aus Mittelbach (heute Stadtteil von Chemnitz), immatrikuliert 1815.

Herr Thielmann Tenor am 20.4.1814 Limburger schreibt deutlich »Thielmann«, der Name ist so in Leipzig aber nicht nachgewie- sen. Häufig kommt hingegen der Name Thielemann vor.

Thieriot, Henriette (geb. Melly), *1782 Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Geboren in Leipzig als Tochter des Genfer Handelsmannes Anton [Antoine] Melly (1749– 1784, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776). Sie heiratet 1803 Jakob Heinrich [Jacques Henry] Thieriot (1778–1849, Bürger und Kaufmann, Inhaber der Handlung für italienische und französische Seidenwaren Thieriot und Bassenge, Harmonie 1807–1830, Die Vertrau- ten 1824). Ihre Tochter Marianne Pauline heiratet 1828 den Kaufmann Ferdinand Wilhelm Mende (1799–1857, Gesellschaft Erholung 1821, Loge Minerva 1826, Harmonie 1836; die hier verzeichnete ↑Demoiselle Mende ist sicherlich eine seiner Schwestern). Sie stiftete dem Gewandhausorchester testamentarisch Geld für neue Blasinstrumente und ist auch die Stif- terin des Mendebrunnens auf dem Augustusplatz.

833 Küstner, Rückblick auf das Leipziger Stadttheater, führt ihn 1819 als Gastsolist (S. 60) und 1820 als »Ab- gegangen« (S. 75). Anhang

Thomas, Ernst Dienegott (Ernst Dienegott Erdmann) Mitglied (Schulz) ab 1.5.1815 Student aus Pausa im Vogtland, immatrikuliert 1814.

Thümmel, Johann Christian Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Bass am 20.4.1814 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Mitglied (Schulz) ab 11.2.1815 Bass (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Nicht identifiziert. Zwar ist ein Johann Christoph Thümmel aus Leubsdorf in mehreren Quellen belegt (*1786, an der Universität immatrikuliert 1808, später Hofgerichtsaktuar, Loge Apollo 1813–1830, drei Söhne: Carl Theodor, *1818; Robert, *1830; Eduard, *1831, letzte- 376 rer wurde Opernsänger). Eine Fehllesung des Namens ist aber ausgeschlossen, das Sing- akademie-Mitglied unterzeichnet selbst deutlich als Johann Christian.834

Tischbein, Betty (Friederike Louise Augusta Elisabeth) Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Sopran Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Sopran in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Tochter von ↑Sophie Tischbein (zum Vater Johann Friedrich August Tischbein siehe dort), Schwester von ↑Caroline Tischbein. Sie heiratet 1807 ↑Wilhelm Friedrich Kunze. Vorste- herin der Schulz’schen Singakademie 1814.

Tischbein, Caroline (Caroline Wilhelmine Henriette Dorothea) Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Sopran Tochter von ↑Sophie Tischbein (zum Vater Johann Friedrich August Tischbein siehe dort), Schwester von ↑Betty Tischbein. Sie heiratet im September 1806 den Professor der Ge- schichte zu Heidelberg Friedrich Wilken.

Tischbein, Sophie (Sophia Friederike, geb. Müller), †1840 mit 78 Jahren Gründungsmitglied (Schicht I) 1802, Alt Mutter von ↑Betty und ↑Caroline Tischbein. Sie ist die Ehefrau von Johann Friedrich August Tischbein (1750–1812, Harmonie 1800), dem Porträtmaler und ab 1800 Direktor der Leipziger Kunstakademie, nach dem die Tischbeinstraße in Leipzig-Schleußig benannt ist.

834 Vgl. D-LEsa, SingA, fol. 7v. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Tölpe, Luise (Johanna Theodore Luise), *5.1.1794 Gründungsmitglied (Schicht II) 1812, Sopran Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Sopran (Schicht II) am 18.10.1814 Mitglied (Schulz) ab 1818? Geboren in Annaberg als Tochter des Kurfürstlichen Bergkommissionsrats Johann Eh- renfried Tölpe und seiner Frau Johanna Theodora, geb. Eisenstuck. Zu ihren Taufpaten gehören ihr Großvater Johann Gottlob Eisenstuck, dessen Schwiegersohn Christian Gott- lieb Limburger (zu ihm siehe ↑Fanny Herries) sowie Gottfried Ehrenfried Limburger, der Vater von ↑Jacob Bernhard und Christian Gottlieb Limburger.835 Gemeinsam mit ihren Schwestern Johanna Theodore Emilie und Johanna Theodore Julie wird sie im März 1818 als »Edle von Limburger, Freiin von Ehrenfels« in den Adelsstand versetzt (vgl. Fußnote 799 bei ↑Fanny Herries). 377

Herr Trautmann Tenor am 20.4.1814 Träger dieses Namens sind unter anderem der spätere Dr. med. Carl Gottlieb Trautmann (1789–1849, immatrikuliert an der Universität 1807, Loge Balduin 1836 bis zu seinem Tod) und der Generalaccis-Einnehmer Ephraim Gottlieb Trautmann (*1757). Eine eindeutige Zu- ordnung ist nicht möglich.

Treitschke, Leonore (Johanna Eleonora, geb. Müller) Sopran am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) 15.10.1814 bis 1.4.1816 Sopran (Schulz) am 19.3.1815 Tochter des Handelsgerichtsaktuars Johann Christoph Müller (*1786). Seit 1810 ist sie die Ehefrau von Dr. iur. Georg Carl Treitschke (Accise-Inspektor, Geheimer Justizrat zu Dres- den, promoviert 1813, Harmonie 1825–1835).

Virchaux, Theodor (Heinrich Nicolas Theodor) Mitglied (Schicht I) 1802–1804 Kaufmann aus Hamburg, wird im November 1805 Leipziger Bürger.

835 Taufregister der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde St. Annen, Annaberg (Sachsen), Jg. 1794, S. 140, Nr. 2. Freundliche Auskunft der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz, Rebekka Freitag, vom 15.11.2010. Anhang

Vogel, Wilhelmine Mitglied (Schulz) ab 31.7.1817 Es gibt in Leipzig in der fraglichen Zeit zwei Buchhändler bzw. Verleger mit dem Familien- namen Vogel, deren Töchter alle als einen ihrer Vornamen den Namen Wilhelmine tragen. Der Verleger Paul Friedrich Vogel (†1840 mit 78 Jahren) hat die Töchter Christiana Carolina Wilhelmina (*1795) und Wilhelmina Laura (*1802). Der Buchhändler Friedrich Christian Wilhelm Vogel (1776–1842, weiteres zu ihm unter seiner Pflegetochter ↑Albertine Graner) hat die leibliche Tochter Wilhelmine Victorie (↑Friederike Lampe wird 1831 deren Schwieger- mutter).

Voit, Luise (Henriette Louise Wilhelmina), *1802 Mitglied (Schulz) ab 1818 Tochter des Orgel- und Instrumentenmachers Wilhelm Philipp Voit aus Schweinfurt (*1776). 378 Sie heiratet 1827 den Handlungskommissar und Schutzverwandten Carl Wilhelm Nagel.

Wagner, Carl August Mitglied (Schulz) 11.2.1815 bis 1.10.1815 Bass (Schulz) am 19.3.1815 Student aus Bautzen, immatrikuliert im Mai 1805.

Demoiselle Weber Alt (Schicht II) am 19.3.1815 Der Familienname kommt unter den Leipziger Einwohnern sehr häufig vor, was eine se- riöse Zuordnung unmöglich macht.

Wendler [Wendler-Ernesti], Adolf (Christian Adolph), 1783–1862 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Bass (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Praktischer Arzt, Königlich Sächsischer Medizinalrat, Lehrer am Königlich Klinischen Ins- titut. Kreisamts- und Landphysikus. Halbbruder von ↑Henriette Focke. Noch im Geburts- jahr als Depositus von seinem Vater, Dr. iur. Adolph Christian Wendler, an der Universität eingeschrieben, immatrikuliert 1801, 1804 Promotion zum Dr. phil., 1805 Promotion zum Dr. med., 1805–1815 Privatdozent für Medizin, 1815 bis zu seinem Tod Professor an der me- dizinischen Fakultät, dort mehrfach Dekan. Loge Apollo 1810, dort Ehrenmitglied 1837, Loge Minerva 1810, dort Meister vom Stuhle, Ehrenmitglied Loge Balduin 1829 bis zu seinem Tod, Harmonie 1822, Mitglied der Journalgesellschaft, lutherisch. »Nachdem er lange Gast der Vertrauten gewesen war und die Gesellschaft durch seine Tafellieder erfreut hatte, wurde er [1837] zum Ehrenmitglied ernannt, wogegen er sich erbot, an der Kinderbewahranstalt als Arzt zu wirken. Die 1841 von F. A. Brockhaus verlegte Schrift ›Ausgewählte Gesänge der Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Vertrauten Gesellschaft‹ enthält 24 Tafellieder, davon 18 aus der Feder Wendlers.«836 Vor- steher der Schulz’schen Singakademie 1814. Mitglied des Organisationskomitees des Bene- fizkonzertes beider Singakademien am 20.4.1814. Er ist seit 1806 verheiratet mit ↑Julie Ernesti. Der gemeinsame Sohn Adolph Emil Wendler (1809–1892, Dr. iur., Advokat und Notar, Domprobst zu Wurzen, Loge Apollo 1830, dort Ehrenmitglied 1880, auch Mitglied der Loge Minerva) ist ab 1849 Mitglied der Gewandhaus-Konzertdirektion.

Wendler, Julie (Juliana Henriette, geb. Ernesti), 1786–1846 Sopran am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) ab September 1814 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Dr. phil. Johann Christian Friedrich Ernesti. Sie ist seit 1806 verheiratet mit 379 ↑Adolf Wendler. Vorsteherin der Schulz’schen Singakademie 1814.

Wendt, Amadeus (Johann Amadeus), 1783–1836 Musikgelehrter in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820 und am 17.11.1820 Von Limburgers Privatakademie am 4.3.1821 durch Krankheit abgehalten Ehemaliger Schüler ↗Johann Gottfried Schichts, sang schon als Thomasschüler gemein- sam mit ↗Johann Philipp Christian Schulz Diskant in Schichts Singechor für die Ge- wandhauskonzerte und die Neukirche.837 Absolvent der Universität (immatrikuliert 1801, Promotion zum Dr. phil. 1804), seit 1811 Professor für Philosophie, Kustos der Universitäts- bibliothek. Gewandhaus-Konzertdirektion 1821–29, Harmonie 1821–1829. Er wird 1829 an die Universität Göttingen berufen. Als Publizist zu Themen von Musik und bildender Kunst gibt er unter anderem das Leipziger Kunstblatt und den Musenalmanach heraus und schreibt für die Zeitung für die Elegante Welt (herausgegeben vom Sohn ↑Auguste Wilhelmine Mahl- manns) sowie für die Allgemeine musikalische Zeitung (deren Herausgeber ↑Friedrich Roch- litz und ↑Gottfried Wilhelm Fink ebenfalls an Limburgers Privatakademien beteiligt sind). Loge Minerva 1815, evangelisch-lutherisch.

Herr Werner (II) Bass am 20.4.1814 Der Familienname kommt unter den Leipziger Einwohnern und Studenten sehr häufig vor, was eine seriöse Zuordnung unmöglich macht.

836 Helbig, Die Vertrauten, S. 116–117. 837 Vgl. Schering, Johann Sebastian Bach und das Musikleben Leipzigs, S. 495, und Grenser, Geschichte der Musik in Leipzig, S. 46. Anhang

Werner, Carl Ferdinand (I) Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Bass am 28.11.1812 und am 20.4.1814 Bass (Schicht II) am 18.10.1814 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem, bis 22.1.1816 Tenor (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Zwei gleichnamige Studenten kommen in Frage: Der eine aus Lauban (heute Lubań, Polen), immatrikuliert im Mai 1812; der andere aus Oelsnitz (es gibt zwei gleichnamige Städte, eine im Sächsischen Vogtland, die andere am Erzgebirge), immatrikuliert im November 1811.

Wieck, Friedrich (Johann Gottlob Friedrich), 1785–1873 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt 380 Mitglied (Schulz) ab 5.11.1814 Tenor (Schicht II und Schulz) am 19.3.1815 Kaufmannssohn aus Pretzsch bei Wittenberg. Studiert zunächst Theologie in Wittenberg und immatrikuliert sich im Mai 1816 an der Leipziger Universität. Im selben Jahr heiratet er ↑Marianne Tromlitz. Aus der Ehe geht die Tochter Clara hervor, die 1840 Robert Schumann heiratet (nach einem Rechtsstreit mit dem Vater, in dem das Paar durch den Bruder ↑Carl Einerts vertreten wird). Friedrich Wieck gründet um 1817 in Leipzig eine Pianofortefabrik und Leihanstalt für Musikalien und Instrumente.838 Er verlässt Leipzig 1840 nach Dresden und wirkt dort als Klavier- und Gesangslehrer. In zweiter Ehe ist er mit Clementine Fechner verheiratet, die gemeinsame Tochter Marie wird ebenfalls Pianistin.

Wieck, Marianne [Mariane, Mariana] (geb. Tromlitz), 1797–1872 Mitglied (Schulz) ab 10.9.1816 Enkelin des Flötisten im Großen Konzert Johann George Tromlitz, Tochter des Plauener Lehrers und Kantors Georg Christian Gotthold Tromlitz. In erster Ehe 1816 verheiratet mit ↑Friedrich Wieck. Sie tritt in der Saison 1821/22 als Sängerin im Gewandhaus auf. In zwei- ter Ehe heiratet sie 1824 ↑Adolph Barghiel. Sie ist die Mutter der Pianistin und Komponis- tin Clara Wieck, verh. Schumann (aus erster Ehe), sowie des Komponisten und Dirigenten Woldemar Bargiel (aus zweiter Ehe).

838 Vgl. Hubert Henkel, Lexikon deutscher Klavierbauer (Fachbuchreihe Das Musikinstrument 73), Frank- furt a. M. 2000, S. 704. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Wiese, Emilie (Emilie Wilhelmina), 1797–1866 Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Alt am 20.4.1814 Alt (Schicht II) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Magisters und Zeichners Christian Friedrich Wiese (1763–1834) und der Jo- hanna Juliana Wilhelmina, geb. Götze. Sie heiratet 1817 den Bürger und Kaufmann (Likör- fabrikanten) Carl Chryselius (1784–1847) und ist noch 1848 Mitglied der Singakademie.

Mademoiselle Wilde Sopran am 20.4.1814 Ein mehrfach vorkommender Nachname, keine eindeutige Zuordnung möglich.

Wilgenroth, Johanna Wilhelmina (geb. Zürn), *1787 381 Sopran (Schicht II) am 19.3.1815 Tochter des Bürgers und Kramers Adam Heinrich Zürn, Schwägerin von ↑Maria Friede- rike Zürn, geb. Schreckenberger. Sie war seit 1808 die zweite Ehefrau von Friedrich Rein- hold Wilgenroth (1772–1813, Advokat, Dr. iur. und Canonicus, Loge Minerva 1798, Loge Bal- duin 1810 bis zu seinem Tod, Mitglied der Journalgesellschaft) und ist jetzt verwitwet. Sie heiratet in zweiter Ehe am 27.9.1815 Gottlob August Schwerdtfeger, Kantor zu Sorau (heute Żary, Polen).

Willhöfft, Friederike Dorothea, *1800 Willhöfft, Johanna Sophia, *1790 Angaben zur Mitwirkung gelten für beide: Mitglied (Schulz) ab 12.10.1815 Zwei Töchter des aus Hamburg stammenden Kaufmannes Joachim Friedrich Willhöfft (1766–1816, Loge Apollo 1815). Friederike Dorothea ist geboren in Othmarschen (heute Stadt- teil von Hamburg) und heiratet 1820 (reformiert) den Bürger und Kaufmann Johann Fried- rich Bärbalk (1793–1874, Bruder von ↑Emilie und Henriette Bärbalk, Harmonie 1845–1873). Johanna Sophia ist in Hamburg geboren und heiratet 1824 Gottlieb Wilhelm Müller.

Willing, Christian Mitglied (Schulz) ab 17.1.1818 Student aus Waltershausen bei Gotha, immatrikuliert im Mai 1817.

Mademoiselle Winkler Sopran am 20.4.1814 Ein sehr häufiger Familienname, der eine seriöse Zuordnung unmöglich macht. Möglicher- weise ein Mitglied der Familie von Johann Gottfried Winckler (1731–1795, Stadthauptmann, Ratsmitglied, Baumeister, Kunstsammler, Die Vertrauten 1764, Mitgründer der Gesellschaft Harmonie 1776, Gewandhaus-Konzertdirektion 1781–1784) bzw. dessen Sohn Friedrich Da- Anhang

niel Winckler (1760–1809, Bankier, Kauf- und Handelsherr, Gewandhaus-Konzertdirektion 1788 bis zu seinem Tod, dort Kassierer 1794–1800, Harmonie 1790, Die Vertrauten 1790). Die Witwe des letztgenannten, Henriette Friederike Hansen (1770–1834, Tochter von Friedrich Ludolph Hansen, zu ihm siehe ↑Ernestine Hansen), heiratet 1810 ↑Friedrich Rochlitz.

Wuthenau, Maximiliana von [Maximilia] (II), *1793 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.6.1815 Sopran (Schulz) am 18.10.1814 und am 19.3.1815 Tochter des Oberhofrichters Adam Ludwig Christian von Wuthenau. Schwester von ↑Su- sette von Wuthenau.

Wuthenau, Susette von (Susanna Christina) (I), *1789 382 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz) September 1814 bis 1.10.1814 Alt (Schulz) am 18.10.1814 Schwester von ↑Maximiliana von Wuthenau (zum Vater siehe dort). Sie heiratet am 25.11.1814 Franz Ludwig Poppo von Hartmann.

Zenge, Louise von, *1781/82/84? Alt am 28.11.1812 Bei Langer als Mitglied 1814 genannt Mitglied (Schulz), bereits unter Riem Alt in Limburgers Privatakademie am 22.10.1820, am 17.11.1820 und am 4.3.1821 Zum familiären Hintergrund nichts gefunden, möglicherweise ist sie eine Schwester von ↑Wilhelmine Krug.

Herr Zieger Mitglied (Schicht II) 1812–1814 Tenor am 20.4.1814 Möglicherweise einer der beiden folgenden Studenten: Ernst Heinrich Zieger aus Meißen, immatrikuliert 1809, oder Friedrich August Zieger aus Wörblitz (heute Ortsteil von Dom- mitzsch, Landkreis Nordsachsen), immatrikuliert im Mai 1812. Träger dieses Familienna- mens sind sonst vor allem in Handwerksberufen nachgewiesen.

Zucker, Emilie Alt am 20.4.1814 Mitglied (Schulz) ab September 1814 In Leipzig nicht nachgewiesen. Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

12.3.4 Übersichten über die Ergebnisse der Mitgliederstatistik Die folgenden Tabellen enthalten die Daten, auf denen die Aussagen über die soziale Zu- sammensetzung der verschiedenen Zweige der Leipziger Singakademie im Hauptteil der vorliegenden Arbeit basieren.839 Die Struktur der Tabellen und die Regeln, nach denen die Zahlenwerte entstanden sind, sind ebenfalls dort erläutert.840 Alle Werte sind auf eine Stelle nach dem Komma gerundet. Überschüsse oder Fehlmengen zu 100 % bzw. zu den Zwi- schensummen sind dem Runden geschuldet.

Tabelle 13: Ergebnisübersicht zur Vollerhebung: Sämtliche Mitglieder der Leipziger Singakademien und Beteiligte an den protokollierten Auftritten, einschließlich Limburgers Privatakademien 1820/21

Zeitraum 1802–1821 Zählprinzip Status bei der ersten Nennung in den Akten 383

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 276 100,0 % weiblich 131 47,5 % männlich 145 52,5 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 145 52,5 % deren Durchschnittsalter 25,0 Jahre – Ausreichend identifizierte Personen 226 81,9 %

Haupttätigkeit Schüler 1 0,4 % Studenten 56 20,3 % davon Jura 6 2,2 % Medizin 5 1,8 % Theologie 8 2,9 % Fach unbestimmt 37 13,4 % Kaufleute/Kramer/Bankiers 75 27,2 % Juristen 25 9,1 % Mediziner 11 4,0 % Kleriker 3 1,1 % Philosophen/Philologen 3 1,1 % höhere Angestellte/Beamte 6 2,2 % sonstige Angestellte 8 2,9 % Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 13 4,7 %

839 Siehe Kapitel 4.3: Statistische Erhebung zur Mitgliederstruktur, und Kapitel 4.4: Auswertung und Deu- tung der Mitgliederdaten. 840 Siehe Kapitel 4.3.1: Zur Methode. Anhang

Redakteur/Schriftsteller 1 0,4 % Militärs 3 1,1 % Musiker 18 6,5 % Handwerker 3 1,1 % unbestimmt 50 18,1 %

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 37 13,4 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 28 10,1 % Ratsmitglieder 9 3,3 % Universität 9 3,3 % davon Dozenten 2 0,7 % Professoren 7 2,5 % 384 Gewandhaus 16 5,8 % davon Mitglieder der Konzert­ 6 2,2 % direktion Orchestermusiker/ 10 3,6 % Sängerinnen Adlige 9 3,3 % Freimaurer 55 19,9 % Gesellschaften 41 14,9 % davon Die Vertrauten 11 4,0 % Harmonie 30 10,9 %

Tabelle 14: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 1: Die Gründungsmitglieder der Schicht’schen Singakade- mie 1802 und die bis 1804 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins

Zeitraum 16.6.1802– Jahresverlauf 1804 Zählprinzip Bei Gründungsmitgliedern: Status am 16.6.1802; bei später Hinzugetretenen: Status im Jahr 1804

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 43 100,0 % weiblich 17 39,5 % männlich 26 60,5 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 26 60,5 % deren Durchschnittsalter 28,5 Jahre – Ausreichend identifizierte Personen 39 90,7 % Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Haupttätigkeit841 Studenten 3 7,0 % davon Jura 1 2,3 % Theologie 1 2,3 % Fach unbestimmt 1 2,3 % Kaufleute/Kramer/Bankiers 19 44,2 % Juristen 2 4,7 % Mediziner 2 4,7 % Kleriker 1 2,3 % höhere Angestellte/Beamte 1 2,3 % Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 4 9,3 % Musiker 7 16,3 % unbestimmt 4 9,3 % 385

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 3 7,0 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 1 2,3 % Ratsmitglieder 2 4,7 % Gewandhaus 5 11,6 % davon Mitglieder der Konzertdirektion 3 7,0 % Orchestermusiker/Sängerinnen 2 4,7 % Freimaurer 10 23,3 % Gesellschaften 3 7,0 % davon Harmonie 3 7,0 % 841

Tabelle 15: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 2: Die Gründungsmitglieder bei der Neugründung der Schicht’schen Singakademie 1812 und die bis 1814 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins

Zeitraum 6.5.1812–Jahresverlauf 1814 Zählprinzip Bei Gründungsmitgliedern: Status am 6.5.1812; bei später Hinzugetretenen: ­Status im Jahr 1814

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 43 100,0 % weiblich 19 44,2 % männlich 24 55,8 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 31 72,1 %

841 Bei den Übersichten zu den Stichproben werden die Kategorien gestrichen, in die keine Personen fallen (hier z. B. »Schüler«). Anhang

deren Durchschnittsalter 26,1 Jahre – Ausreichend identifizierte Personen 39 90,7 %

Haupttätigkeit Studenten 6 14,0 % davon Jura 1 2,3 % Fach unbestimmt 5 11,6 % Kaufleute/Kramer/Bankiers 16 37,2 % Juristen 4 9,3 % Mediziner 2 4,7 % Kleriker 1 2,3 % höhere Angestellte/Beamte 3 7,0 % sonstige Angestellte 1 2,3 % 386 Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 2 4,7 % Militärs 1 2,3 % Musiker 3 7,0 % unbestimmt 4 9,3 %

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 7 16,3 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 5 11,6 % Ratsmitglieder 2 4,7 % Universität 1 2,3 % davon Professoren 1 2,3 % Gewandhaus 4 9,3 % davon Mitglieder der Konzertdirektion 2 4,7 % Orchestermusiker/Sängerinnen 2 4,7 % Adlige 2 4,7 % Freimaurer 10 23,3 % Gesellschaften 14 32,6 % davon Die Vertrauten 4 9,3 % Harmonie 10 23,3 % Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Tabelle 16: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 3: Die Mitglieder der Schulz’schen Singakademie von ihrer Gründung (1814) bis ca. 1818 842

Zeitraum 29.9.1814–ca. 1818 Zählprinzip Status zur Zeit des Beitritts. Wenn ­Beitrittsdatum fehlt: Status 1818842; bei Sängern, die »bereits unter Riem« sangen: Status 1814.

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 153 100,0 % weiblich 68 44,4 % männlich 85 55,6 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 81 52,9 % deren Durchschnittsalter 24,5 Jahre – 387 Ausreichend identifizierte Personen 131 85,6 %

Haupttätigkeit Studenten 45 29,4 % davon Jura 3 2,0 % Medizin 4 2,6 % Theologie 7 4,6 % Fach unbestimmt 31 20,3 % Kaufleute/Kramer/Bankiers 42 27,5 % Juristen 12 7,8 % Mediziner 9 5,9 % Philosophen/Philologen 2 1,3 % höhere Angestellte/Beamte 3 2,0 % sonstige Angestellte 6 3,9 % Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 4 2,6 % Militärs 2 1,3 % Musiker 3 2,0 % Handwerker 3 2,0 % unbestimmt 22 14,4 %

842 Am Ende der Personenliste in D-LEsa, SingA, fol. 5–10, fehlt bei einigen Personen das Beitrittsdatum, aber da die Liste chronologisch angelegt ist und die zuletzt genannten Daten im Jahr 1818 liegen, wird bei diesen Personen das Jahr 1818 als Beitrittsjahr angenommen. Anhang

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 23 15,0 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 19 12,4 % Ratsmitglieder 4 2,6 % Universität 7 4,6 % davon Dozenten 2 1,3 % Professoren 5 3,3 % Gewandhaus 7 4,6 % davon Mitglieder der Konzertdirektion 1 0,7 % Orchestermusiker/Sängerinnen 6 3,9 % Adlige 7 4,6 % 388 Freimaurer 30 19,6 % Gesellschaften 19 12,4 % davon Die Vertrauten 5 3,3 % Harmonie 14 9,2 % Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821

Tabelle 17: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 4: Die Teilnehmer an Jacob Bernhard Limburgers Privat- akademien in den Jahren 1820/21

Zeitraum 22.10.1820–4.3.1821 Zählprinzip Status zum Zeitpunkt der ersten Teilnahme

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 27 100,0 % weiblich 12 44,4 % männlich 15 55,6 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 20 74,1 % deren Durchschnittsalter 37,0 Jahre – Ausreichend identifizierte Personen 25 92,6 %

Haupttätigkeit 389 Studenten 1 3,7 % davon Jura 1 3,7 % Kaufleute/Kramer/Bankiers 6 22,2 % Juristen 6 22,2 % Mediziner 1 3,7 % Philosophen/Philologen 1 3,7 % Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 2 7,4 % Redakteur/Schriftsteller 1 3,7 % Musiker 7 25,9 % unbestimmt 2 7,4 %

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 9 33,3 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 8 29,6 % Ratsmitglieder 1 3,7 % Universität 1 3,7 % davon Professoren 1 3,7 % Gewandhaus 6 22,2 % davon Mitglieder der Konzertdirektion 3 11,1 % Orchestermusiker/Sängerinnen 3 11,1 % Adlige 1 3,7 % Freimaurer 12 44,4 % Gesellschaften 5 18,5 % davon Die Vertrauten 1 3,7 % Harmonie 4 14,8 % Anhang

12.4 Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

12.4.1 Vorbemerkung Das folgende Personenlexikon gibt die Mitglieder der Leipziger Singakademie im Jahr 1866 nach der bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 55, abgedruckten Liste wieder. Zur Auflösung einiger dort abgekürzter Vornamen wurde die Mitgliederliste des Jahres 1865 (ebd., S. 52) mit herangezogen. In den Einträgen des vorliegenden Personenlexikons wurden biografische und genealogische Informationen aus verschiedenen Quellen kompi- liert. Dabei unterscheiden sich die herangezogenen Quellen von denen im vorhergehenden Abschnitt 12.3 (Die Mitglieder der Leipziger Singakademien zwischen 1802 und 1821) hin- sichtlich der Anzahl und auch der Reihenfolge, in der vorgegangen wurde. A l l e Namen wurden an folgenden Stellen nachgeschlagen: –– ADB. 390 –– Arbeitsgruppe Professorenkatalog Leipzig am Historischen Seminar der Universi- tät Leipzig (Hrsg.), »Professorenkatalog der Universität Leipzig«. –– D-LEsa, Elektronische Biografie-Datenbank. –– Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte. –– Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V. (Hrsg.), »Sächsische Bio- grafie«. –– Jung/Böhm, Das Gewandhaus-Orchester. –– Klank/Griebsch, Lexikon Leipziger Straßennamen. –– LAB 1866. –– Matrikeln der drei damals existierenden Leipziger Freimaurerlogen: Förster (Hrsg.), Matrikel der Freimaurerloge Minerva; Matrikel der Loge Apollo; Matrikel der Loge Balduin. Zusätzlich die Personenliste in Förster/Hempel, Leipzig und die Freimaurer, S. 125–132. –– NDB. –– Publizierte Mitgliederlisten der Gesellschaften Harmonie und Die Vertrauten: Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 81–137; Helbig, Die Vertrauten. –– Polizeimeldebücher 1855–1875.

Um die nach Auswertung dieser Quellen noch verbleibenden Lücken zu ergänzen, wurde ferner zu e i n z e l n e n Personen recherchiert in: –– Hohlfeld, Leipziger Geschlechter, Bd. 1, und Hohlfeld, Leipziger Geschlechter, Bd. 3. –– Personenregister in Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Bd. 8: März 1841 bis August 1842. –– Matrikel der Universität Leipzig 1709–1863: Erler (Hrsg.), Die Immatrikulationen WS 1709 bis SS 1809; Blecher/Wiemers (Hrsg.), Die Jahre 1809 bis 1832; Blecher/Wiemers (Hrsg.), Die Jahre 1832 bis 1863. –– Moritzkartei.

Die Hinweise zum Inhalt und Aufbau der Einträge aus dem vorhergehenden Abschnitt gel- ten unverändert weiter, mit einer Ausnahme: Da es sich hier nur um den Mitgliederbestand Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866 e i n e s Chores zu e i n e m Zeitpunkt handelt, können die Angaben zur »Mitwirkung in den Singakademien« bei den einzelnen Einträgen entfallen. Für alle gilt nun: Die Personen sind im Jahr 1866 aktive Mitglieder der Leipziger Singakademie.

12.4.2 Biogramme

Altendorff [Altendorf], Julius (Julius Friedrich), 1811–1872 Buchhändler, stammt aus Stralsund. Er ist verheiratet mit Cäcilie Wilhelmine Altendorff, geb. Reclam (*1811, Singakademie-Mitglied 1848), einer Tochter von Carl Heinrich [Charles Henri] Reclam (1776–1844, Loge Minerva 1805), der 1802 die gleichnamige Verlags- und Sor- timentsbuchhandlung in Leipzig gegründet hatte. Altendorff übernimmt nach Reclams Tod die Firma, erst nach Altendorffs Tod geht sie wieder in den Besitz der Familie Reclam über. 391 Bärwinkel, Clara (Clara Henriette), *1830 Tochter des Apothekers Friedrich Gottlob Bärwinkel (1786–1841, Stadtverordneter 1831–1841, Besitzer der Salomons-Apotheke, Harmonie 1827) und dessen Frau Amalie Henriette Bär- winkel.

Bauschke, Frl. Anna Bauschke, Frl. Marie Nicht sicher identifiziert. Beide wohnen in Reudnitz, Leipziger Gasse 39. Das Adressbuch verzeichnet in Reudnitz die Buchhändlerswitwe Josephine Rosine Bauschke. Möglicher- weise sind Anna und Marie ihre Töchter. Ebenfalls bekannt und vielleicht zu dieser Familie gehörend ist der Buchhändler Gustav Bauschke, der im Verlag »Literarisches Museum« arbeitet.

Beckmann-Platzmann, Elise [Clara Ernestine?] Konnte nicht direkt ausfindig gemacht werden, ist aber wegen des Doppelnamens mit großer Wahrscheinlichkeit einzuordnen: Sie gehört zur Familie des Kaufmanns Hermann Beckmann (1819–1901, Sardinischer Konsul, Teilhaber der Seiden- und Garngroßhandlung seines Großvaters ↑Jacob Bernhard Limburger, Loge Balduin 1856, Harmonie 1852–1899, Die Vertrauten 1869, dort später auch Subsenior und Senior, Ehrenmitglied Loge Minerva 1876) und dessen Frau Luise Viktoria, geb. Platzmann (*1820, Tochter des Kaufmanns Karl Viktor Platzmann [*1788, Loge Minerva 1821–1859] und seiner Frau Ernestine Luise, geb. Preußer). Wahrscheinlich ist sie eine Tochter dieses Paares. Die Eltern heiraten 1844. Unter den bei Hohlfeld843 aufgezählten gemeinsamen Kindern kommt allerdings nur Clara Ernes- tine Beckmann (*1847) in Frage, so dass mit einem Druckfehler bei Langer zu rechnen ist.

843 Johannes Hohlfeld, Leipziger Geschlechter, Bd. 3: Die reformierte Bevölkerung Leipzigs 1700–1875 (Stamm- und Ahnentafelwerk der Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte XIX), Leipzig 1939, S. 56. Anhang

Bendix, Coelestine, *1850 Tochter des Seifenfabrikanten Louis Bendix (1811–1876, im Wintersemester 1836/36 einge- schrieben an der philosophischen Fakultät der Universität, kein Studienabschluss, Stadtver- ordneter im Jahr 1857, jüdisch, Gründungsmitglied der israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig) und seiner Frau Charlotte Sophia Friederike. Sie heiratet 1877 Dr. med. Siegismund Goldschmidt in Berlin.

Beygang, Hedwig, *1848 Tochter von Gottlob Julius Beygang (1815–1889, war Nikolaischüler, immatrikuliert für Jura an der Universität 1835, Stadtgerichts-Aktuar, später Bezirksgerichtsrat) und seiner Frau Wilhelmine Laura, geb. Leideritz. Sie heiratet 1867 den Lehrer Dr. phil. Georg Gottwald Ulrici in Elberfeld. In ihrem Elternhaus wohnt auch ↓Frau A. Golz. 392 Bucher, Robert (Carl Robert), 1822–1896 Kaufmann und Bankier, Inhaber der Firma Bucher u. Co. für Kommissions-, Speditions- und Wechselgeschäfte. Sohn des Kaufmanns Carl Friedrich Bucher (1785–1861) und seiner Frau Caroline, geb. Biener. Loge Minerva 1843–1879.

Döring, Antonie, *1842 Döring, Julie, *1845 Zwei Töchter des bereits verstorbenen Dr. med. Robert Emil Döring (1810–1849) und dessen Ehefrau Therese Wilhelmine, geb. Haase (*1817, Tochter von ↑Juliana Emilie Haase). Julie heiratet 1871 den Kaufmann und Fabrikbesitzer Ernst Traugott Friedrich in Dresden.

Ebert, Frl. Hedwig Nicht identifiziert. Wohnt in derselben Adresse wie der Bürger und Hausbesitzer Chr. Au- gust Ebert (Grimmaischer Steinweg, Goldenes Einhorn). Vielleicht dessen Tochter.

Egerland, Frl. Maria Nicht identifiziert. Wohnt in der Weststraße 28.

Eisenreich, Sidonie (Auguste Sidonie), 1839–1875 Ehefrau des Kaufmanns Bernhard Eisenreich (*1832, Firma Adam und Eisenreich für Ma- nufaktur-, Modewaren und Herrenartikel).

Fähndrich, Anna Luise, *1850 Eine Tochter des Kaufmanns Adalbert Louis Fähndrich (1822–1872) und seiner ersten Ehe- frau Emma Benigna, geb. Plato. Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

Focke, Adolf (August Adolf), 1817–1885 Sohn von ↑Henriette Focke. Kaufmann in der Firma Bermann u. Co., einer Seiden- und Garnhandlung. Vorstandsmitglied der Singakademie 1866. Mehrere städtische Stiftungen gehen auf sein Kapital zurück, unter anderem die Focke-Stiftung. Nach ihm ist die Focke­ straße in Leipzig-Süd benannt. Harmonie 1859–1885.

Fricke, Marie (Marie Christiane Henriette), geb. vor 18455844 Tochter des Kaufmanns und Spediteurs Friedrich Otto Fricke (1811–1879, Loge Minerva 1852) und seiner ersten Ehefrau Christiana Carolina Amalia, geb. Dürr.

Friederici, Clara (Marie Clara Wilhelmine), 1846–1908 Friederici, Eduard (Florentin Eduard Louis), *1817 Hier handelt es sich um Tochter und Vater aus der Nachkommenschaft des Geraer Orgel- 393 bauers Christian Gottlob Friederici. Clara Friederici ist die Tochter des Kaufmanns Eduard Friederici, dessen Firma Agentur- und Kommissionsgeschäfte anbietet. Sie heiratet später Dr. phil. Carl Victor Ryssel in Zürich.

Golz, Frau A. Nicht identifiziert. Sie wohnt im zusammen mit↓ Hedwig Beygang im Haus von Julius Gottlob Beygang. Nachgewiesen ist eine Anna Golz, Tochter des Ober-Postkommissars Gus- tav Golz und seiner zweiten Ehefrau Caroline Wilhelmina, geb. Ziegenbalg. Sie wird 1847 geboren und müsste 1866 als unverheiratete 19-Jährige eigentlich als »Fräulein« tituliert werden. Deshalb ist diese Zuordnung zweifelhaft.

Grobe, Johanna (Johanna Emilie Elisabeth), *1848 Tochter des Schneidermeisters Ernst Friedrich Gottfried Grobe (*1820).

Großschupf, Emma,845 *1835 Großschupf, Christiane Amalie (geb. Berger), 1800–14.10.1866 Tochter und Mutter. Emma Großschupf ist die Tochter des aus Hamburg kommenden Handlungsbuchhalters Friedrich Carl Großschupf (1793–1856, Loge Balduin 1857). Sie hei- ratet später einen Kaufmann. Christiane Amalie Großschupf ist Emmas verwitwete Mutter, Tochter des Rathausvaters Johann Gottlob Berger.

844 Das Geburtsdatum ist auf dem Mikrofilm der Polizeimeldebücher 1855–1875 nicht lesbar. Lesbar ist nur das Geburtsdatum ihres später geborenen Bruders im Jahr 1845. In der Moritzkartei ist Marie Fricke nicht geführt. 845 Der zweite Vorname von Emma Großschupf ist in den Polizeimeldebüchern 1855–1875 unleserlich, er beginnt mit »A«. In der Moritzkartei ist Emma Großschupf nicht aufgeführt. Anhang

Guericke [Gericke], Frl. Marie Nicht identifiziert. Wohnt am Brühl 23 beim Handlungskommis Carl Friedrich Adolf Ge- ricke (1812–1871). Dieser ist unverheiratet, Kinder von ihm sind nicht bekannt. Eventuell ist Marie seine Schwester.

Günther, Hermann (Franz Hermann), *1824 Dr. med. und praktizierender Arzt. Sohn des Domherren und Ordinarius an der Juristenfa- kultät Karl Friedrich Günther (1786–1864, ordentlicher Professor für Rechtswissenschaften seit 1829, mehrfach Dekan der Juristenfakultät und Rektor der Universität, Harmonie 1829, dort mehrfach Sekretär und Vizesekretär, »Vermachte der Harmonie 200 Taler.«846) und dessen zweiter Ehefrau Christiana Henriette Barthel. Immatrikuliert für Medizin an der Universität 1842. 394 Härtel, Maria, *1848 Härtel, Therese (Therese Louise), *1844 Härtel, Raymund [Raimund], 1810–1888 Raymund Härtel, ein Sohn von Gottfried Christoph Härtel und Cousin von ↑Wilhelm Här- tel, ist Buch- und Musikalienhändler. Therese und Maria sind seine beiden Töchter aus ers- ter Ehe. Raymund Härtel immatrikuliert sich 1828 für Philosophie an der Universität. Er ist Stadtverordneter von 1843 bis 1851, anschließend unbesoldeter Stadtrat bis 1865. Harmonie 1854. Die Vertrauten 1854. Seit 1833 ist er Teilhaber der Firma Breitkopf und Härtel, die er seit 1835 gemeinsam mit seinem Bruder Dr. iur. Hermann Härtel (1803–1875, immatrikuliert an der Universität 1819, Gewandhaus-Konzertdirektion 1834 bis zu seinem Tod, Harmonie 1835, nach ihm ist die Härtelstraße in Leipzig Zentrum-Süd benannt) führt. Unter der Leitung der Brüder bringt der Verlag Werke von Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Frédéric Chopin heraus. Therese heiratet später den Kaufmann Emil Thomsen.

Haugk, Anna,847 1844–1870 Tochter von Johann August Haugk (1798–1862, Leinewebermeister, Stadtverordneter 1845 bis 1847) und seiner Frau Wilhelmine Juliane Caroline, geb. Seyffert (*1808, Tochter von Christian Gottfried Benjamin Seyffert).

Helbig, Elise (Friederike Elise), *1847 Tochter des Restaurateurs (d. h. Inhabers einer Speisewirtschaft, eines Restaurants) Johann Friedrich Helbig (1818–1872).

846 Kroker, Die Gesellschaft Harmonie, S. 98. 847 Der zweite Vorname von Anna Haugk ist in den Polizeimeldebüchern 1855–1875 unleserlich. In der Moritzkartei ist Anna Haugk nicht aufgeführt. Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

Hentschel, Frau Sidonie (geb. Naumann) Nicht sicher identifiziert. Wohnt in der sogenannten kleinen Funkenburg am Ranstädter Steinweg. Die Kombination aus Geburtsname und Familienname ist aus folgendem Zu- sammenhang bekannt, wobei aber der Vorname nicht passt und ein Schreibfehler Langers zu unterstellen wäre: Friedrich Gustav Ernst Hentschel (*1829, Sohn des Privatmanns zu Crossen [Oder] Friedrich Wilhelm Leopold Hentschel) ist Bürger und Kaufmann aus Stettin. Er heiratet 1858 Johanna Friederike Rosalie Naumann (*1836, Tochter des Brauereibesitzers Carl Wilhelm Naumann).

Hering, Frl. Marie Nicht identifiziert. Wohnt in der Centralstraße 13. Mehrere Personen dieses Namens sind zur entsprechenden Zeit in Leipzig bekannt, Anhaltspunkte für eine genauere Zuordnung liegen nicht vor. 395

Hirsch, Pauline (Pauline Sophie Emilie), 1845–1874 Tochter des Buch- und Musikalienhändlers August Hermann Hirsch (*1810) und seiner Frau Pauline Emilie Christiane, geb. Puttrich.

Hirzel, Heinrich (Georg Heinrich Salomon), 1836–1894 Buchhändler, Sohn des aus Zürich stammenden Buchhändlers und Goethe-Sammlers Sa- lomon Hirzel (1804–1877, in Leipzig zunächst Mitinhaber der Weidmann’schen Buchhand- lung, seit 1853 Inhaber eines eigenen Verlages, übergab seine Goethe-Bibliothek der Uni- versität Leipzig, Dr. h. c. der Universität 1865, Harmonie 1836 bis zu seinem Tod, nach ihm ist die Hirzelstraße in Leipzig-Kleinzschocher benannt). Georg Heinrich Salomon Hirzel ist Stadtverordneter von 1868 bis 1870 und von 1876 bis 1878. Er arbeitet im väterlichen Verlagsunternehmen, seit 1866 als Teilhaber, und erbt nach dem Tod des Vaters den Verlag. Harmonie 1875.

Jung, Anna (geb. Schreber), *1848 Jung, Carl Heinrich Ferdinand, *1839 Ehepaar. Anna Jung ist eine Schwester von ↓Daniel Gustav Schreber und ↓Sidonie Schre- ber. Sie heiratet 1839 Carl Heinrich Ferdinand Jung, den Sohn von Friedrich Jung (Loge Balduin 1844). Letzterer ist Bürger und Hausbesitzer sowie Inhaber der Firma Friedrich Jung u. Co. für Parfümerie- und Toilettenartikel. Carl Heinrich Ferdinand Jung arbeitet dort als Prokurist. Loge Balduin 1862.

Junne, Herr C. Schreiblehrer an der Ersten Bürgerschule. Anhang

Kahnt, Anna Pauline (geb. Seidel), *1825 Ehefrau des Musikalienhändlers und Verlegers Christian Friedrich Kahnt (1823–1897, Stadt- verordneter 1880 bis 1882, seit 1852 mit eigenem Geschäft am Neumarkt).

Katter, Max Nicht identifiziert.

Klauwell, Marie, *1851 Tochter des Lehrers an der 4. Bürgerschule Adolph Klauwell (*1818) und seiner Frau Emilie Friederike, geb. Sieber. Sie heiratet später den Fabrikanten Franz Hermann Lang in Plauen.

Krappe, Elisabeth (Thecla Elisabeth), *1843 Tochter des Buchhändlers Christian Ferdinand Krappe (*1802). Sie heiratet später den Kauf- 396 mann Carl Ludwig Bodin in Filehne (heute Wieleń, Polen).

Krätzschmer, Friedrich (Franz Friedrich Adolf) Sohn des Eilenburger Musikers Johann Christoph Friedrich Krätzschmer. Er ist Kaufmann und Inhaber einer Lithografischen Anstalt. Seit 1838 ist er verheiratet mit Henriette Friede- rike, geb. Wagner (*1817, Tochter des Maurers Christian August Wagner). Das Paar hat einen Sohn, Felix Alwin Friedrich (*1842).

Krebs, Selma (Ida Selma Sidonie), *1842 Tochter des Bürgers und Privatgelehrten Carl Traugott Krebs (*1815). Sie heiratet später den Militärarzt Oscar Eduard Lindner in Dresden.

Kümmel, Clara, *1831 Tochter des Inspektors am Stadttheater Carl Friedrich Heinrich Kümmel (*1798) und seiner Frau Friederike Erdmuthe Louise, geb. Braun (1794–1864).

Lampe-Bender, Amalie (Louise Amalie/Amalie Luise, geb. Bender), *1835 Lampe-Bender, Georg (Georg Victor), 1833–1884 Eheleute, verheiratet seit 1859. Amalie Lampe-Bender ist Tochter von Carl Bender aus Wein- heim. Georg Lampe-Bender ist Sohn des Kaufmanns Carl Lampe (zu ihm siehe ↑Friede- rike Lampe). Er immatrikuliert sich 1854 für Naturwissenschaften an der Universität und studiert dort für zwei Semester. Er arbeitet im väterlichen Drogeriegroßhandel Brückner, Lampe & Co. und wird dort später Teilhaber. Stadtverordneter im Jahr 1866 und 1874–1875. Vorstandsmitglied der Singakademie 1866. Harmonie 1867, Die Vertrauten 1874.

Lochmann, Frl. Nicht identifiziert. Ein mehrfach vorkommender Familienname. Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

Loebe, Frl. Bertha Nicht identifiziert.

Löwe, Carl Julius, 1835–1886 Kaufmann. Sohn des Kaufmanns Daniel Julius Ehrenfried Löwe, dem eine Firma für engli- sche Manufakturwaren gehört. Loge Minerva 1874.

Merkel, Carl Ludwig, 1812–1876 Medizinprofessor. Merkel ist in Stötteritz bei Leipzig geboren, besucht die Nikolaischule und studiert in Leipzig ab 1831 Medizin. Er legt 1838 Promotion und Habilitation ab, ist an- schließend bis 1863 als Privatdozent für Medizin, danach als außerordentlicher Professor für Medizin an der Universität Leipzig tätig. Er ist praktizierender Arzt und Spezialarzt für Krankheiten der Gehör- und Stimmorgane. Seine Publikationen beschäftigen sich vor allem 397 mit dem menschlichen Stimmapparat. 1862 gründet er die Poliklinik für Kehlkopf- und Rachenkranke in Leipzig. Vorstandsmitglied und Bibliothekar der Singakademie 1866.

Neumann-Strehlen, Frau Dr. Nicht identifiziert. Wohnt in Reudnitz, Chausseestraße 74.

Oldenburg, Frau Marie Nicht identifiziert. Die von ihr angegebene Adresse Weststraße 33 ist 1866 eine Baustelle.

Orthaus, Maria (Maria Amalie), *1842 Tochter des Buchhändlers Günther Christoph Orthaus (*1802) und seiner Frau Friederike Ernestine Amalie, geb. Caspari.

Pietzsch, Mathilde (Amalie Mathilde/Mathilde Amalie), *1826 Pietzsch, Therese (Henriette Therese), *1824 Zwei unverheiratete Töchter des aus Schönberg in der Oberlausitz stammenden Steuer- inspektors Carl Friedrich Pietsch [Pietzsch] (1790–1862) und seiner Frau Luise Marianna, geb. Klassig (Tochter von Christian Gottlieb Klassig, 1790–1847, Bürger und Kaffeeschenk, Inhaber von Klassigs Kaffeehaus, Loge Balduin 1814 bis zu seinem Tod).

Piorkowska, Ida, *1842 Tochter des jüdischen Kaufmanns Heinrich Piorkowski [Piorkowsky] und seiner Frau Emi- lie Friederike, geb. Hofmann (*1817, Tochter des Notars Gotthilf Hofmann). Die Firma Pior- kowskis handelt mit Leinenstoffen aus Irland. Anhang

Ritscher,848 Carl Wilhelm Rudolph, *1834 oder 1835 Ratsaktuar. Stammt aus Oßling bei Kamenz. Immatrikuliert für Jura an der Universität 1855 mit 21 Jahren.

Rüder, Agnes (Agnes Marie), *1842 Rüder, Thekla (Thecla Marie), *1844 Zwei Töchter des Advokaten Dr. iur. Christian Friedrich Rudolph Rüder (1809–1890, Tho- masschüler, studiert 1830 bis 1833 Rechtswissenschaften an der Universität, promoviert 1837 in Jena, seit 1849 Stadtrat, ab 1867 Polizeidirektor, 1881 pensioniert) und seiner Frau Maria Elisabeth, geb. Tittmann. Thekla Rüder heiratet später den Pastor Philipp Theodor Julius Freund.

Rüder, Thekla (Hedwig Thecla), *1840 398 Uneheliche Tochter von Anna Caroline Gerlach, geb. Tittmann (*1816), welche mittlerweile mit dem Kaufmann und Handlunsagenten Georg August Wilhelm Gerlach (*1816, Harmo- nie 1859–1870 und erneut 1874) verheiratet ist. Thekla Rüder wohnt bei ihrer Mutter und ihrem (Stief-?)Vater.

Schomburgk, Henry (Heinrich Georg), 1843–1928 Großkaufmann und Fabrikant. Sohn des Kaufmanns und Inhabers eines Geschäfts für Kolonial- und Tabakwaren Julius Heinrich Moritz Schomburgk (1815–1881, Harmonie 1851). Er heiratet 1867 Doris Eugenie Heine (*1847). Stadtverordneter 1887 bis 1889. Vorstands- mitglied der Singakademie 1866. Harmonie 1887, dort Ehrenmitglied 1924. Er fördert als Vorstand der 1888 von seinem Schwiegervater Carl Heine gegründeten Leipziger Westend- Baugesellschaft den Ausbau der Leipziger Westvorstadt und den Kanalbau. Nach ihm ist die Schomburgkstraße in Leipzig-Schönau und -Neulindenau benannt.

Schreber, Gustav (Daniel Gustav), 1839–1877 Schreber, Sidonie, *1846 Geschwister. Gustav Schreber ist ein Sohn des Orthopäden und Erziehers Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861, praktizierender Arzt, Schwiegersohn von ↑Juliana Emilie Haase, Namensgeber der Schrebergartenbewegung, nach ihm sind das Schrebergäßchen und die Schreberstraße in Leipzig Zentrum-West benannt, Harmonie 1845). Sidonie Schre- ber und ↓Anna Jung sind Gustav Schrebers Schwestern. Er immatrikuliert sich 1857 für Naturwissenschaften an der Universität. Gustav Schreber ist Jurist, außerdem Dr. phil. und Inhaber der Firma Gustav Schreber und Comp. für chemische Fabrikate. Er ist Vor- standsmitglied der Singakademie 1866 und später Königlicher Gerichtsrat in Bautzen. Gus- tav Schreber nimmt sich 1877 das Leben. Sein Bruder, der Jurist Dr. Daniel Paul Schreber

848 Bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 55, falsch geschrieben als »Kitscher«. Korrekter Name konnte über die angegebene Adresse gefunden werden. Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

(1842–1911, Harmonie 1877–1889), ist der Autor der Autobiografie Denkwürdigkeiten eines Ner- venkranken, in der er seine Erfahrungen als Insasse psychiatrischer Anstalten beschreibt.

Schrey, Carl, 1809–1896 Nach Besuch der Nikolaischule immatrikuliert für Jura an der Universität 1827. Advokat, Lotterie-Notar und Sekretär der Advokatenkammer. Stadtverordneter 1856–1864 und 1866– 1869. Harmonie 1858.

Schröter, Frl. Therese Nicht identifiziert. Sie wohnt in der Mühlgasse 6. Sehr häufiger Vor- und Nachname.

Schwabe, Pauline (Emilie Pauline), *1837 Tochter des Bürgers und ehemaligen Kramers Carl Friedrich Bernhard Schwabe (1787–1875, 399 Loge Balduin 1816 bis zu seinem Tod, seit 1866 dort Senior, Harmonie 1850, Ehrenmitglied Loge Minerva 1866) und dessen zweiter Ehefrau Amalie Therese, geb. Lübeck (*1805, Heirat 1829). Ihr Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters mit Henriette Wilhelmina, geb. Lü- beck, verw. Käferstein (†1828), Carl Wilhelm Bernhard Schwabe (1823–1898, Loge Balduin 1841, Harmonie 1855, Die Vertrauten 1878) ist Konsul der Freien und Hansestadt Bremen und Inhaber der elterlichen Firma Friedrich Bernhard Schwabe für Tabakprodukte.

Schwarz,849 Herr A. Dr. phil. und Lehrer an der Ersten Bürgerschule. Möglicherweise korrespondierende Ein- träge in der Matrikel der Universität sind: Albert Schwarz, immatrikuliert für Theologie an der Universität 1860 mit 19 Jahren, oder Ferdinand Albert Schwarz, immatrikuliert für Theologie an der Universität 1837 mit 21 Jahren.

Seyffert, Lina (Lina Johanna), *1850 Tochter des aus Zwenkau stammenden Wundarztes Wilhelm (Johann Benjamin Wilhelm) Seyffert (1808–1875, immatrikuliert für Chirurgie an der Universität 1833) und dessen Frau Johann Christiane, geb. Jacob (*1819). Sie heiratet später den Kaufmann E. Mannsfeld.

Seyfferth, Wilhelm (Wilhelm Theodor), 1807–1881 Sohn von ↑Wilhelm Gotthelf Ernst Seyfferth. Bankier und Stadtrat. Er tritt nach dem Tod des Vaters in dessen Geschäft ein, ist von 1852 bis zu seinem Tod, wie schon der Vater, Mit- glied der Gewandhaus-Konzertdirektion und hinterlässt der Konzertdirektion 20 000 Mark. Gesellschaft Erholung 1830, Die Vertrauten 1843, Harmonie 1845. Wilhelm Theodor Seyfferth ist Stifter des Johanna-Parks in Leipzig-Zentrum-West und Ehrenbürger Leipzigs. Nach ihm ist die Wilhelm-Seyfferth-Straße in Leipzig-Zentrum-Süd benannt.

849 Ebd. falsch geschrieben als »Schwan«. Korrekter Name konnte über die angegebene Adresse gefunden werden. Anhang

Skelton, Henry (Henry Parker), 1830–1868 Stammt aus Bideford in England und arbeitet als Lehrer, Übersetzer und Korrektor der eng- lischen deutschen, französischen, italienischen und spanischen Sprache. Er ist verheiratet mit der Leipzigerin Pauline Theodore, geb. Schubert (1837–1912).

Sonnenkalb, Antonie (Antonie Clara), *1824 Tochter des bereits verstorbenen praktizierenden Arztes Christian August Sonnenkalb (1782–1860, immatrikuliert an der Universität 1801, Loge Minerva 1810). Sie wohnt bei ihrer Mutter Elisabeth.

Spann, Thekla (geb. Weber), *1837 Tochter von ↓Theodor Weber, Schwester von ↓Amélie und ↓Alfons Weber. Sie hat 1860 in der Thomaskirche einen Oberleutnant Spann geheiratet. 400

Storme, Adolf (Friedrich Wilhelm Adolf) Prokurist bei dem Tuch-Großhändler Theodor (Christoph Theodor) Storme. Vermutlich dessen Sohn.

Stübel, Eugenie (Eugenie Auguste, geb. Träger), *1807 Stübel, Elisabeth,850 *1836 Mutter und Tochter. Eugenie Stübel ist eine Tochter des Kaufmanns Johann Adolf Träger und die Ehefrau des Advokaten und Notars Dr. iur. Karl Bruno Stübel (*1806, immatriku- liert für Jura an der Universität 1825, Harmonie 1845). Die gemeinsame Tochter Elisabeth heiratet später den Professor Georg Carl Wilhelm Adolf Ebert.

Sulkowska, Frl. Ariadne von Nicht sicher identifiziert. Sie stammt aus einer polnischen Adelsfamilie und ist wahrschein- lich verwandt mit dem Rechtsgelehrten Cäsar Angelion Sulima Graf von Sulkowski, ge- nannt Lösch (*1810, immatrikuliert für Jura an der Universität 1830).

Wappler [Wapler], Julius (Julius Heinrich) Julius Heinrich Wappler ist der Sohn des Erbherrs an Heiligenkreuz Karl Heinrich Wapler. Er ist Handlungskommis und Kaufmann und heiratet 1843 in Bärenwalde (heute Ortsteil der Gemeinde Crinitzberg, Landkreis Zwickau) Sidonie Juliane Wapler, eine Tochter des Kaufmanns Karl August Wapler aus Bärenwalde.

850 Der zweite Vorname von Elisabeth Stübel ist in den Polizeimeldebüchern 1855–1875 schlecht leserlich, er könnte »Auguste« lauten. In der Moritzkartei ist sie nicht aufgeführt. Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

Weber, Amélie (Marie Amelie), *1835 Weber, Alfons (Heinrich Alfons), *1839 Weber, Theodor (Heinrich Theodor), 1804–1870 Theodor Weber ist Kramer und Teilhaber der Firma Schömberg, Weber & Co. für Kommis- sions- und Speditionsgeschäfte. Amélie und Alfons Weber sowie ↓Thekla Spann sind seine Kinder.

Wieck, Laura Wahrscheinlich eine Tochter des Technikers und Agenten Heinrich Wieck (beide wohnen unter der gleichen Adresse). Nicht direkt verwandt mit ↑Friedrich Wieck.

Wigand, Albrecht, *1837 Wigand, Helene (geb. Härtel), *1844 401 Eheleute. Albrecht Wigand ist ein Sohn des aus Göttingen stammenden Buchhändlers Georg Wigand (1808–1858, Mitinhaber der Wigand’schen Buchhandlung, die u. a. die Werke von Karl Marx verlegt, Harmonie 1844, nach ihm und seinem Bruder Otto Friedrich Wigand [1795–1870, Loge Minerva 1829–1848] ist die Wigandstraße in Leipzig-Kleinzschocher be- nannt). Albrecht Wigand arbeitet in der Firma seines Vaters. Anfang 1867 übernimmt er die Firma für kurze Zeit als alleiniger Inhaber, dann übergibt er die Leitung an seine Mutter. Die Ehe mit seiner Frau Helene wird später geschieden und sie heiratet daraufhin den Ge- heimrat Richard Theophilus Carl Schöne in Berlin.

Winter, Therese (Therese Sophie), *1834 Tochter des schon verstorbenen Stadtrichters Dr. iur. Johann August Adolph Winter (†1849, Harmonie 1813). Sie wohnt bei ihrer Mutter, dessen zweiter Ehefrau, Henriette Juliane Win- ter, geb. Meschke (1796–1874).

Zenker, Julius Oscar, 1837–1895 Advokat und Justizrat. Sohn eines Stadtrats in Leipzig. Immatrikuliert für Jura an der Uni- versität 1857. Promoviert in Leipzig 1864. Harmonie 1876–1895. Stadtverordneter 1877 bis 1895.

12.4.3 Ergebnisübersicht der Mitgliederstatistik Analog zu den bereits für die Frühzeit der Leipziger Singakademien präsentierten Tabel- len851 enthält die folgende Übersicht das Zahlenmaterial, das aus den obenstehenden Bio- grammen der Mitglieder der Leipziger Singakademie im Jahr 1866 gewonnen wurde und auf dem die Aussagen im entsprechenden Kapitel im Hauptteil dieser Arbeit basieren.852

851 Siehe Anhang 12.3.4: Übersichten über die Ergebnisse der Mitgliederstatistik. 852 Zur Struktur der Tabellen und zu den Regeln der Erhebung siehe nochmals Kapitel 4.3.1: Zur Methode. Zur Auswertung siehe Kapitel 8.2: Die Mitgliederstruktur der Singakademie im Jahr 1866. Anhang

Alle Werte sind auf eine Stelle nach dem Komma gerundet. Überschüsse oder Fehlmengen zu 100 % bzw. zu den Zwischensummen sind dem Runden geschuldet.

Tabelle 18: Ergebnisübersicht: Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866

Zeitraum 1866 Zählprinzip Status im Jahr 1866

Kennzahlen numerisch prozentual Anzahl Personen insgesamt 84 100,0 % weiblich 57 67,9 % männlich 27 32,1 % Personen mit bekanntem Geburtsjahr 61 72,6 % 402 deren Durchschnittsalter 31,9 Jahre – Ausreichend identifizierte Personen 69 82,1 %

Haupttätigkeit Kaufleute/Kramer/Bankiers 39 46,4 % Juristen 11 13,1 % Mediziner 6 7,1 % höhere Angestellte/Beamte 2 2,4 % sonstige Angestellte 3 3,6 % Lehrer/Privatlehrer/Direktoren 5 6,0 % Militärs 1 1,2 % Handwerker 2 2,4 % unbestimmt 15 17,9 %

Gruppenzugehörigkeit Politik/Verwaltung 8 9,5 % davon angestellt bei Stadt oder Staat 2 2,4 % Ratsmitglieder 6 7,1 % Universität (Professoren) 1 1,2 % Gewandhaus (Konzertdirektion) 1 1,2 % Adlige 1 1,2 % Freimaurer 6 7,1 % Gesellschaften 15 17,9 % davon Die Vertrauten 4 4,8 % Harmonie 11 13,1 % Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n)

12.5 Die Auftritte der Leipziger Singakademie(n)

Das Konzertverzeichnis der Leipziger Singakademie(n) steht unter folgender Internetad- resse zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa-154316

Bei eventuellen Problemen mit dem Zugang zu dieser Datei wenden Sie sich bitte an den Autor und/oder den Verlag dieses Buches. Die Übersicht versammelt alle bekannten Auftritte der Leipziger Singakademie, d. h. sowohl von der Singakademie selbst veranstaltete Musikveranstaltungen und Konzerte als auch Konzerte anderer Veranstalter, an denen die Singakademie mitwirkte. Verzeichnet sind dabei nicht die vollständigen Konzertprogramme, sondern nur die Stücke, bei denen 403 tatsächlich ein Chor beteiligt ist. Weitere wichtige Hinweise zum Zustandekommen des Verzeichnisses, zu den Darstellungsprinzipien und den Grenzen dieser Übersicht finden sich im Hauptteil der vorliegenden Arbeit.853 Die hier verwendeten spezifischen Abkür- zungen für einige Institutionen und andere häufiger auftauchende Begriffe sind aufge- schlüsselt in Anhang 12.1.4: Abkürzungen im Verzeichnis der Auftritte der Leipziger Sing- akademie(n). Jeder Eintrag ist in der letzten Spalte mit einem Quellenvermerk in Kurzform versehen. Dieser Kurznachweis weicht vom sonst in dieser Arbeit verwendeten Zitationsstil folgen- dermaßen ab: Generell wurde auf die Abkürzungen »S.« (Seite), »Sp.« (Spalte) und »fol.« (folio) verzichtet, so dass die Seiten- oder Spaltennummer als einzeln stehende letzte Zahl am Ende jedes Nachweises steht. Mehrere Nachweise für ein Konzert sind durch Semi- kolon getrennt. Außerdem besteht der Nachweis bei Monografien nur aus dem Nachna- men des Autors (oder dem Titel, falls kein Autor vorhanden ist) sowie der Seitenzahl. Die Auflösung der Kurznachweise ist über die Abkürzungsverzeichnisse und das Literaturver- zeichnis schnell möglich, folgende Hinweise sind jedoch nötig, um Doppeldeutigkeiten zu vermeiden: –– Seitenzahlen aus Hagels, Konzerte in Leipzig (Kurztitel »Hagels«) beziehen sich auf das Pdf-Dokument mit der Konzertstatistik, das dem Buch auf CD-ROM beiliegt. –– Seitenzahlen aus Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte werden folgendermaßen differenziert: »DörffelC« meint den ersten Teil des Buches (»Chronik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig«), »DörffelS« steht für den zweiten, separat paginier- ten Teil (»Statistik der Concerte im Saale des Gewandhauses zu Leipzig«). –– Der Kurztitel »BSStat« steht für Böhm/Staps (Hrsg.), Statistik der Gewandhauskonzerte. –– Der Kurztitel »Richter« steht für Richter, Aus Leipzigs musikalischer Glanzzeit.

853 Siehe Kapitel 5.1: Das Auftrittsverzeichnis. Aufbau und Quellen. Anhang

–– Die NZfM erschien bis zum 30. Jahrgang (1863) in zwei Bänden pro Jahr mit separater Seitenzählung. Im Gegensatz zur Zitierweise bei allen anderen Zeitschriften ist hier nach der Abkürzung NZfM die Nummer des Bandes, nicht des Jahrgangs, angegeben. Erst ab dem 31. Jahrgang (1864) sind die Jahrgänge der NZfM durchgehend paginiert und die Zitierweise folgt dem üblichen Schema. Auf NZfM 59 (1863/2) folgt also NZfM 31 (1864). –– Für die Zeit, in der die NZfM und das MW in einer Zeitschrift vereinigt waren (1906– 1910), sind hier die Daten des MW angegeben. –– Die Zeitschrift Die Musik erschien in vier separat paginierten Quartalsbänden pro Jahr. Die Nummer des referierten Quartalsbands steht jeweils vor der Abkürzung »Q.« Die Jahrgänge beginnen immer im Oktober, d. h. 1. Q.: Oktober bis Dezember, 2. Q.: Januar bis März, 3. Q.: April bis Juni, 4. Q.: Juli bis September. –– Beim LKTV war mitunter die Angabe von Heftnummern nötig. Hierfür steht die Abkür- zung »H.«. 404 Verzeichnis benutzter Archivalien

12.6 Verzeichnis benutzter Archivalien

Von den Direktoren der Leipziger Singakademie existieren zahlreiche Autografen und ganze personenbezogene Bestände, verstreut über diverse Sammlungen. Die in Deutsch- land lagernden Dokumente sind zum großen Teil über den Verbundkatalog Nachlässe und Autographen sowie die Zentrale Datenbank Nachlässe auffindbar.854 Im Folgenden werden nur die Archivalien verzeichnet, die tatsächlich für diese Arbeit ausgewertet wurden. Eine Ausnahme bildet der Anhang 12.6.5: Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm). Er ist nach dem dortigen Standortkatalog gearbeitet, ohne dass die einzelnen Werke dieses Be- standes gesichtet wurden.

12.6.1 Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz Taufregister der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde St. Annen, Annaberg (Sachsen), 405 Jg. 1794 Trauregister der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde St. Annen, Annaberg (Sachsen), Jg. 1789

12.6.2 Kirchliches Archiv Leipzig (KAL) Taufkartei 1751–1850

12.6.3 Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig (D-LEsta) Bestand 20031 (Polizeipräsidium Leipzig) PP-V 150: Leipziger Singakademie (1853–1921). Akten des Polizeipräsidiums Leipzig PP-V 705/26: Neue Leipziger Singakademie (1918–1948). Vereinsregister. Registerakten des Amtsgerichts Leipzig PP-V 1524: Leipziger Singakademie (1926–1949). Vereinsregister. Registerakten des Amtsge- richts Leipzig

Signatur 21959: Kartei Leipziger Familien (sogenannte Moritzkartei)

12.6.4 Stadtarchiv Leipzig (D-LEsa) Bestand Leipziger Männerchor e. V. 1813 [Bestand LMC] Nr. 6: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1896 bis 1900 Nr. 7: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1901 bis 1905 Nr. 8: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1906 bis 1909 Nr. 9: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1910 bis 1911 Nr. 10: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1912 bis 1913 Nr. 11: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1914 bis 1918

854 Kalliope. Verbundkatalog Nachlässe und Autographen, , 12.9.2012, und Bundesarchiv (Hrsg.), Zentrale Datenbank Nachlässe, , 24.4.2013. Anhang

Nr. 12: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1919–1924 Nr. 13: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1925–27 Nr. 14: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1928–31 Nr. 15: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1932–35 Nr. 16: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1936–38 Nr. 17: Dokumentation der Vereinstätigkeit für die Jahre 1939–41 Nr. 18: Vereinsarchiv 1942–1945 Nr. 19: Chorarchiv 1946 bis 1948 Nr. 20: Vereinsarchiv für das Jahr 1950 Nr. 21: Dokumentation der Vereinstätigkeit für das Jahr 1951 Nr. 22: Vereinsarchiv für das Jahr 1952 Nr. 23: Dokumentation der Vereinstätigkeit für das Jahr 1953 Nr. 24: Dokumentation der Vereinstätigkeit für das Jahr 1954 406 Nr. 25: Dokumentation der Vereinstätigkeit für das Jahr 1955 Nr. 26: Dokumentation der Vereinstätigkeit für das Jahr 1956 Nr. 28: Mitteilungsblätter des Leipziger Männerchores, April 1954–Januar 1960 Nr. 29: Walter Knape Nr. 39: I–IV Wartburgtreffen deutscher Sänger Nr. 54: Walter Knape

Elektronische Biografie-Datenbank

Gewandhausdirektorium und Gewandhaus zu Leipzig [Gewhaus] Nr. 2: Jacob Bernhard Limburger, Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig angefangen im Jahre 1814, Manuskript Nr. D 329: Programmzettel 1814/15 und 1815/16 Nr. D 437: Nachrichten und Programme der Musikübenden Gesellschaft Nr. D 445: Benefiz- und Extrakonzerte von 1810 bis 1814

Kapitelakten [Kap.], Kapitel 35 Nr. 642: Leipziger Singakademie [Rat der Stadt Leipzig, Verkehrsamt: ACTA, die Leipziger Sing- akademie betr.] 1901–1941 Nr. 1588: Volkssingakademie Leipzig e. V. [Rat der Stadt Leipzig, Verkehrsamt: Akten, die Volks- singakademie Leipzig, e. V., betr., Ergangen 1930] 1930–1933 Nr. 1593: Arbeiter-Kammerorchester [Rat der Stadt Leipzig, Verkehrsamt: Akten, das Arbeiter- Kammerorchester betr.] 1929–1934 Nr. 1594: Junger Chor der Volkssingakademie [Rat der Stadt Leipzig, Verkehrsamt: Akten, den Leipziger Jugendchor, jetzt: Junger Chor der Volkssingakademie Leipzig betr.] 1929–1933 Nr. 1856: Neue Leipziger Singakademie [Akten des Polizeiamts der Stadt Leipzig, betreffend die Neue Leipziger Singakademie e. V., ergangen im Jahre 1918–1937] Verzeichnis benutzter Archivalien

Nr. 1860: Leipziger Singakademie [Akten des Polizeiamts der Stadt Leipzig, betreffend Leipziger Singakademie (gegr. 1802), ergangen im Jahre 1920–1943]

Leichenschreiberei [Leischr] Nr. 34: Leichenbuch 1804–1808 [»36ster Band des Leichen-Verzeichnisses«]

Polizeiamt der Stadt Leipzig [PoA] Nr. 29–36: Verzeichnis der Bleibenden Einwohner der Stadt Leipzig (Polizeimeldebücher) 1811–1813 Nr. 37–47: Verzeichnis der Bleibenden Einwohner der Stadt Leipzig (Polizeimeldebücher) 1814–1831 Nr. 48–70: Verzeichnis der Bleibenden Einwohner der Stadt Leipzig (Polizeimeldebücher) 1832– 1854 Nr. 71–114: Verzeichnis der Bleibenden Einwohner der Stadt Leipzig (Polizeimeldebücher) 1855–1875 407 Singakademie zu Leipzig [SingA] 1814–1823 [»Der SING-ACADEMIE unter dem Musikdirec- tor Schulz«]

Tit. XXXIV, Nr. 14i: Alphabetisches Bürger-Verzeichnis (Register zum Bürgerverzeichnis 1750–1805)

Zeitgeschichtliche Sammlung [ZGS] 1830–1945 Nr. 189: Programmheft vom 3.11.1890 (Der Messias) Nr. 190: Programmheft vom 21.2.1898 (Die Jahreszeiten) Nr. 191: Programmheft vom 7.2.1916 (Die Jahreszeiten) Nr. 237: Programmheft vom 26.11.1887 (Samson) Nr. 673: Programmheft vom 3.1.1943 (Jubiläums-Konzert zum 140-jährigen Bestehen)

Zeitgeschichtliche Sammlung [ZGS] 1945–1990 Nr. 1540: Philharmonie. Arbeitsgemeinschaft Leipziger Männerchor, Leipziger Singakademie (1802), Mitteilungen im April 1955 Nr. 3143: Programmheft zum Konzert am 16.2.1948 (Judas Maccabäus)

12.6.5 Stadtbibliothek Leipzig, Musikbibliothek (D-LEm) Die Musikbibliothek in der Leipziger Stadtbibliothek beherbergt einen Teilbestand »Leipziger Singakademie«. Er besteht aus teils handschriftlichen, teils gedruckten Noten und geht bis auf die Notensammlung von Johann Philipp Christian Schulz zurück, die zwischen 1816 und 1821 sukzessive von der Leipziger Singakademie angekauft wurde.855 Bei mehreren Abschriften ist bekannt, dass sie von Johann Philipp Christian Schulz selbst angefertigt wurden, so z. B. bei der Missa von Friedrich Schneider (PM 6899, Angabe laut alphabetischem Katalog). Der

855 Siehe hierzu Kapitel 6.2 Wandel der Machtverhältnisse zwischen Musikdirektor und Vorstehern (1823). Anhang

Bestand umfasst heute 302 Titel mit den Signaturen PM 6898 bis 7199.856 Zu Aspekten der Geschichte dieser Notenbibliothek und zu einigen ausgewählten Werken darin äußert sich Annegret Rosenmüller in ihrem Artikel »Naumann und Leipzig – eine Spurensuche. Quellen und Rezeption«.857 Den Karteikarten des Standortkataloges ist zu entnehmen, dass der gesamte Bestand im Jahr 1964 der Bibliothek übereignet wurde.858 Noch im Januar 1956 hatte die Zeit- schrift Musik und Gesellschaft gemeldet: »Die Chorbibliothek der 1802 gegründeten Singaka- demie, deren Bände während des letzten Krieges überall verstreut waren, konnte nach langer Arbeit in ihrem Bestand wieder zusammengestellt werden.«859 Was nur acht Jahre später zur Übergabe an die Stadtbibliothek führte und unter welchen Bedingungen dies geschah, darüber liegen keine gesicherten Informationen vor. Es folgt ein Verzeichnis des Bestands nach den Karteikarten des Standortkatalogs der Musikbibliothek in der Leipziger Stadtbibliothek. Die teilweise inkonsistente Schreibung von Namen und Werktiteln wurde von den Karteikarten übernommen. Für genauere Informationen zu den einzelnen Werken wie Besetzung, Um- 408 fang, Entstehungsjahr usw. wäre der ausführlichere alphabetische Katalog zu konsultieren.

PM 6898 Schicht, Johann Gottfried, Stunden, 2 Bde., Ms. PM 6899 Schneider, Friedrich, Missa, Ms. PM 6900 Schuster, Josef, Stabat Mater, Ms. PM 6901 Himmel, Friedrich Heinrich, Der 146. Psalm, Ms. PM 6902 Hasse, Johann Adolf, Miserere, Ms. PM 6903 Jommelli, Niccolo, Te Deum, Ms. PM 6904 Haydn, Josef, Messe Es-Dur, Ms. PM 6905 Haydn, Josef, Offertorio »Non nobis«, Ms. PM 6906 Schneider, Friedrich, 9. Missa g-Moll, Ms. PM 6907 Schicht, Johann Gottfried, Feier der Christen, Ms. PM 6908 Neukomm, Sigismund, Missa pro defunctis, Ms. PM 6909 Roesler, Franz Anton, Jesus, Ms. PM 6910 Sarti, Giuseppe, Miserere, Ms. PM 6911 Mozart, Wolfgang Amadeus, Litania KV 109, Ms. PM 6912 Danzi, Franz, Te Deum, Ms. PM 6913 Graun, Carl Heinrich, Tod Jesu, Ms. PM 6914 Rolle, Johann Heinrich, Tod Abels, Ms. PM 6915 Graun, Carl Heinrich, Tod Jesu, Ms. PM 6916 Vogler, Georg Josef, Miserere, Ms.

856 In Deutsches Bibliotheksinstitut (Hrsg.), Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland, Berlin 2000, S. 155, sind zwei Signaturen mehr angegeben, nämlich auch PM 6896 und PM 6897. Diese Noten stam- men aber laut Standortkatalog nicht von der Leipziger Singakademie. 857 Rosenmüller, »Naumann und Leipzig«, S. 368–374. 858 Das Jahr 1964 als Erwerbsjahr ist auch angegeben in Friedhild Krause (Hrsg.), Handbuch der histori- schen Buchbestände in Deutschland, Bd. 18: Sachsen. L–Z, Hildesheim 1997, S. 174. 859 MuG 6 (1956), S. 40. Verzeichnis benutzter Archivalien

PM 6917 Gaensbacher, Johann, Requiem, Ms. PM 6918 Vogler, Georg Josef, Missa, Ms. PM 6919 Schneider, Friedrich, Paradies, op. 74, 3 Bde., Ms. PM 6920 Chorgesänge Gebrauch, Ms. PM 6921 Leo, Leonardo, Salmo 51 »Miserere«, Ms. PM 6922 Schuster, Josef, 2 Misericordias domini, Ms. PM 6923 Rolle, Johann Heinrich, 14 Motetten, Ms. PM 6924 Ristori, Giovanni Alberto, Missa, Ms. PM 6925 Righini, Vincenzo, Messa solenne, op. 59, Ms. PM 6926 Leo, Leonardo, Psalm 110, Ms. PM 6927 Naumann, Johann Gottlieb, Te Deum, Ms. PM 6928 Händel, Georg Friedrich, 100. Psalm PM 6929 Händel, Georg Friedrich, Jephta 409 PM 6930 Händel, Georg Friedrich, Messias PM 6931 Händel, Georg Friedrich, Josua PM 6932 Händel, Georg Friedrich, Alexanderfest PM 6933 Himmel, Friedrich Heinrich, Vater unser PM 6934 Hegar, Friedrich, Manasse, op. 16 PM 6935 Hauptmann, Moritz, Messe, op. 30 PM 6936 Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Lobgesang, op. 52 PM 6937 Haydn, Michael, Litaniae PM 6938 Haydn, Josef, Gesänge PM 6939 Weber, Karl Maria von, Messe, op. 76 PM 6940 Böhme, Walther, Stadt, op. 30 PM 6941 Gouvy, Theodor, Iphigenie, op. 76 PM 6942 Schumann, Robert, Gesänge, op. 141 PM 6943 Reichardt, Johann Friedrich, Morgengesang PM 6944 Schicht, Johann Gottfried, Te Deum PM 6945 Stadler, Maximilian, Glaube PM 6946 Krufft, Niklas Freiherr von, Hymnen, op. 50, 3 Bde. PM 6947 Himmel, Friedrich Heinrich, Vater unser PM 6948 Florschütz, Eucharius, Auferstehungsgesang PM 6949 Eybler, Josef, Messe PM 6950 Stadler, Maximilian, Versöhnung PM 6951 Haydn, Josef, Gesänge PM 6952 Mozart, Wolfgang Amadeus, Missa KV 317 PM 6953 Pergolesi, Giovanni Battista, Missa PM 6954 Mozart, Wolfgang Amadeus, Messa KV 192 PM 6955 Vogler, Georg Joseph, Laudate PM 6956 Winter, Peter, Erlösung PM 6957 Wolf, Ernst Wilhelm, Ostercantate Anhang

PM 6958 Himmel, Friedrich Heinrich, Betrübte PM 6959 Schumann, Robert, Paradies, op. 50 PM 6960 Mozart, Wolfgang Amadeus, Heiliger, KV 125 PM 6961 Schumann, Robert, Pilgerfahrt, op. 112 PM 6962 Schumann, Robert, Pilgerfahrt, op. 112 PM 6963 Schneider, Friedrich, Weltgericht PM 6964 Sarti, Giuseppe, Fuga PM 6965 Riem, Wilhelm Friedrich, Chorgesänge, op. 30 PM 6966 Riem, Wilhelm Friedrich, Du liebliche, op. 29 PM 6967 Bach, Johann Sebastian, Passionsmusik BWV 244 PM 6968 Romberg, Andreas, Harmonie, op. 45 PM 6969 Schumann, Georg, Tränenkrüglein, op. 57 PM 6970 La Trobe, Johann Friedrich de, Stabat mater 410 PM 6971 Danzi, Franz, Missa PM 6972 Mendelssohn-Bartholdy, Felix, 42. Psalm, op. 42 PM 6973 Beethoven, Ludwig van, Christus, op. 85 PM 6974 Böhme, Walther, Abendmahl, op. 52 PM 6975 Schumann, Robert, Vom Pagen, op. 140 PM 6976 Naumann, Johann Gottlieb, Missa PM 6977 Morlacchi, Francesco, Agnus Dei PM 6978 Morlacchi, Francesco, Agnus Dei PM 6979 Winter, Peter, Erlösung PM 6980 Diabelli, Anton, Vokal-Messe PM 6981 Mozart, Wolfgang Amadeus, Missa KV 626 PM 6982 Righini, Vincenzo, Gerusalemme PM 6983 Lindpaintner, Peter, »Herr Gott«, op. 27 PM 6984 Grosheim, Georg Christoph, Psalmen PM 6985 Naumann, Johann Gottlieb, 96. Psalm PM 6986 Spohr, Louis, Stunden PM 6987 Fesca, Friedrich Ernst, 9. Psalm, op. 21 PM 6988 Fesca, Friedrich Ernst, Gesänge, op. 16 PM 6989 Romberg, Andreas, Psalmus, op. 61 PM 6990 Hauptmann, Moritz, Salve, op. 13 PM 6991 Hauptmann, Moritz, 1. Motette, op. 36 PM 6992 Danzi, Franz, Preis Gottes PM 6993 Danzi, Franz, Missa PM 6994 Marx, Adolf Bernhard, Mose PM 6995 Naumann, Johann Gottlieb, 96. Psalm PM 6996 Weber, Gottfried, Messe, op. 27 PM 6997 Vogler, Georg Josef, Postquam PM 6998 Haydn, Josef, Messe Verzeichnis benutzter Archivalien

PM 6999 Cherubini, Luigi, 3. Messe PM 7000 Cherubini, Luigi, Confirma PM 7001 Cherubini, Luigi, Adoremus PM 7002 Cherubini, Luigi, O fons PM 7003 Cherubini, Luigi, Inclina PM 7004 Cherubini, Luigi, Adjutor PM 7005 Cherubini, Luigi, Regina coeli PM 7006 Eberwein, Max, Gesang der Engel PM 7007 Meyerbeer, Jakob, Gesang PM 7008 Rovetta, Giovanni, Salve Regina PM 7009 Schneider, Wilhelm, Hymne PM 7010 Kunzen, Friedrich Ludwig Aemilius, Eropolis PM 7011 Eberwein, Max, Gesang der Engel 411 PM 7012 Schneider, Friedrich, Ave Maria PM 7013 Häser, Ferdinand, Ecce quomodo PM 7014 Mozart, Wolfgang Amadeus, Missa KV 626 PM 7015 Richter, Ernst Friedrich, 137. Psalm, op. 17 PM 7016 Richter, Ernst Friedrich, 137. Psalm, op. 17 PM 7017 Richter, Ernst Friedrich, 126. Psalm, op. 10 PM 7018 Richter, Ernst Friedrich, 126. Psalm, op. 10 PM 7019 Jommelli, Niccolo, Offertorio PM 7020 Cherubini, Luigi, Offertorium PM 7021 Florschütz, Eucharius, Auferstehungsgesang PM 7022 Schneider, Friedrich, Absalon PM 7023 Wagner, Richard, Lohengrin PM 7024 Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Kirchen-Musik, op. 23 PM 7025 Gade, Niels W., 5 Gesänge, op. 13 PM 7026 Sgambati, Giovanni, Messa da Requiem PM 7027 Gade, Niels W., Comala, op. 12 PM 7028 Zöllner, Heinrich, Luther, op. 24, Ms. PM 7029 Zöllner, Heinrich, Luther, op. 24, Ms. PM 7030 Bruch, Max, Odysseus, op. 41 PM 7031 Grieg, Edvard, Psalmen, op. 74 PM 7032 Tinel, Edgar, Franziscus, op. 36 PM 7033 Graun, Karl Heinrich, Tod Jesu PM 7034 Haydn, Josef, Der Sturm PM 7035 Goetz, Hermann, Nenie, op. 10 PM 7036 Frischen, Josef, Frühlingsreigen, op. 11 PM 7037 Frischen, Josef, Frühlingsreigen, op. 11 PM 7038 Frischen, Josef, Frühlingsreigen, op. 11 PM 7039 Hofmann, Heinrich, Prometheus, op. 110 Anhang

PM 7040 Gade, Niels W., Sonnenuntergang, op. 46 PM 7041 Schumann, Robert, Adventlied, op. 71 PM 7042 Schumann, Georg, Totenklage, op. 33 PM 7043 Schumann, Georg, Totenklage, op. 33 PM 7044 Hegar, Friedrich, Erwachen, op. 34 PM 7045 Gernsheim, Friedrich, Salve Regina, op. 11 PM 7046 Goetz, Hermann, Nenie, op. 10 PM 7047 Haydn, Josef, Salve Regina PM 7048 Musica sacra quae cantatur PM 7049 Rinck, Johann Christian Heinrich, Vater unser, op. 59 PM 7050 Rinck, Johann Christian Heinrich, Befiehl, op. 85 PM 7051 Musica sacra quae cantatur PM 7052 Reissiger, Karl Gottlieb, Es ist ein Ros’ 412 PM 7053 Hegar, Friedrich, Erwachen, op. 34 PM 7054 Hegar, Friedrich, Erwachen, op. 34 PM 7055 Hauptmann, Moritz, 3 Kirchenstücke, op. 43 PM 7056 Beethoven, Ludwig van, Christus, op. 85 PM 7057 Mendelssohn-Bartholdy, Felix, 114. Psalm, op. 51 PM 7058 Berlioz, Hector, Flucht, op. 25 PM 7059 Berlioz, Hector, Flucht, op. 25 PM 7060 Vogler, Georg Joseph, Kirchen-Hymnen PM 7061 Gaensbacher, Johann Baptist, Requiem, op. 15 PM 7062 Schubert, Franz, Widerspruch, op. 105/1 PM 7063 Schubert, Franz, Widerspruch, op. 105/1 PM 7064 Händel, Georg Friedrich, Acis PM 7065 Fasch, Karl Christian Friedrich, Sämtliche Werke, 2 Bde. PM 7066 Haydn, Josef, Worte PM 7067 Elsner, Josef, Veni sancte Spiritus PM 7068 Elsner, Josef, Hymnus Ambrosianus PM 7069 Schubert, Franz, Graf von Gleichen PM 7070 Gade, Niels W., Frühlingsbotschaft, op. 35 PM 7071 Marcello, Benedetto, Estro, 6 Bde. PM 7072 Mozart, Wolfgang Amadeus, Litaniae KV 243, Ms. PM 7073 Naumann, Johann Gottlieb, 103. Psalm, Ms. PM 7074 Haydn, Johann Michael, Litaniae, Ms. PM 7075 Prachenský, Jan, Missa, Ms. PM 7076 Jommelli, Niccolo, Missa pro defunctis, Ms. PM 7077 Durante, Francesco, Requiem, Ms. PM 7078 Diabelli, Anton, Messe G-Dur, Ms. PM 7079 Sarti, Giuseppe, Miserere, Ms. PM 7080 Schneider, Friedrich, Missa, Ms. Verzeichnis benutzter Archivalien

PM 7081 Naumann, Johann Gottlieb, 111. Psalm, Ms. PM 7082 Kozeluh, Jan Antonin, Missa, Ms. PM 7083 Händel, Georg Friedrich, 100. Psalm, Ms. PM 7084 Zelenka, Jan Dismas, Responsorio »Tenebrae«, Ms. PM 7085 Zelenka, Jan Dismas, Responsorio »Tenebrae«, Ms. PM 7086 Gluck, Christoph Willibald, Orfeo, Ms. PM 7087 Fink, Gottfried Wilhelm, Missa, Ms. PM 7088 Fink, Gottfried Wilhelm, Geliebte, Ms. PM 7089 Fasch, Karl Friedrich, 3 Versetten, Ms. PM 7090 Durante, Francesco, Tantum ergo, Ms. PM 7091 Durante, Francesco, Tantum ergo, Ms. PM 7092 Jommelli, Niccolo, Kyrie et Gloria, Ms. PM 7093 Jommelli, Niccolo, Miserere, Ms. 413 PM 7094 Porpora, Nicola, Madrigale, Ms. PM 7095 Durante, Francesco, Litanei, Ms. PM 7096 Poissl, Johann Nepomuk, Stabat mater, Ms. PM 7097 Poissl, Johann Nepomuk, Stabat mater, Ms. PM 7098 Haydn, Joseph, Missa D-Dur, Ms. PM 7099 Weber, Karl Maria von, Offertorium, Ms. PM 7100 Weber, Karl Maria von, Offertorium, Ms. PM 7101 Haydn, Joseph, Missa C-Dur, Ms. PM 7102 Bernabei, Giuseppe Antonio, Psalmus brevis, Ms. PM 7103 Haydn, Josef, Salve Regina, Ms. PM 7104 Kirnberger, Johann Philipp, Motetto, Ms. PM 7105 Gallus (Handl), Jacobus, Motetto »Turbabor«, Ms. PM 7106 Naumann, Johann Gottlieb, 103. Psalm, Ms. PM 7107 Acht achtstimmige Motetten, Ms. PM 7108 Schneider, Friedrich, Ave Maria, Ms. PM 7109 Schneider, Friedrich, Ave Maria, Ms. PM 7110 Schneider, Friedrich, 1. Messe, Ms. PM 7111 Schneider, Friedrich, 1. Messe, Ms. PM 7112 Lotti, Antonio, Motetto »Gaude Maria«, Ms. PM 7113 Lotti, Antonio, Offertorium »In omni tribulatione«, Ms. PM 7114 Handl, Jacobus, Motette »Ecce quomodo«, Ms. PM 7115 Haydn, Johann Michael, Responsoria, Ms. PM 7116 Josephson, Jacob Axel, »Quando corpus«, op. 20 PM 7117 Righini, Vincenzo, Miserere, Ms. PM 7118 Righini, Vincenzo, Miserere, Ms. PM 7119 Himmel, Friedrich Heinrich, Gesänge Urania, Ms. PM 7120 Kusý, Ondřej, O salutaris hostia, Ms. PM 7121 Gründling, Christian, Gottlob, Motetto mit Choral, Ms. Anhang

PM 7122 Mayr, Johannes Simon, Adelasia, Ms. PM 7123 Seidel, Friedrich Ludwig, Missa pro defunctis, Ms. PM 7124 Weinlig, Christian Ehregott, Magnificat, Ms. PM 7125 Haydn, Josef, Missa Es-Dur, Ms. PM 7126 Vallotti, Francesco Antonio, Salve Regiana, Ms. PM 7127 Hammerschmidt, Andreas, Kyrie u. Gloria, Ms. PM 7128 Jommelli, Niccolo, Graduale, Ms. PM 7129 Sarti, Guiseppe, Lob sei dem allerhöchsten Gott, Ms. PM 7130 Himmel, Friedrich Heinrich, Gesänge, Ms. PM 7131 Lotti, Antonio, Miserere, Ms. PM 7132 Lotti, Antonio, Miserere, Ms. PM 7133 Schicht, Johann Gottfried, 2 ungedruckte Motetten, Ms. PM 7134 Bergt, Christian Gottlob August, Göttliche, Ms. 414 PM 7135 Lachner, Franz, Morgenhymne, op. 23, Ms. PM 7136 Leo, Leonardo, Miserere, Ms. PM 7137 Leo, Leonardo, St. Elenena, Ms. PM 7138 Wagner, Franz, Märchen, op. 8, Ms. PM 7139 Lasso, Orlando di, Psalmi poenitentiales, Ms. PM 7140 Naumann, Johann Gottlieb, Pellegrini, Ms. PM 7141 Naumann, Johann Gottlieb, Messe G-Dur, Ms. PM 7142 Richter, Ernst Friedrich, Hymne, op. 8, Ms. PM 7143 Richter, Ernst Friedrich, Psalm 86, Ms. PM 7144 Naumann, Johann Gottlieb, Pellegrini, Ms. PM 7145 Richter, Ernst Friedrich, Psalm 57, Ms. PM 7146 Richter, Ernst Friedrich, Ecce quomodo, op. 57, Ms. PM 7147 Schuster, Josef, Salve Regina, Ms. PM 7148 Schulz, Joh. Abraham Peter, Hymne »Von dir«, Ms. PM 7149 Elsner, Josef, Hymnus Ambrosianus, Ms. PM 7150 Elsner, Josef, Veni sancte Spiritus, Ms. PM 7151 Schicht, Johann Gottfried, Epitalamio, Ms. PM 7152 Schicht, Johann Gottfried, 2 Hymnen, Ms. PM 7153 Schicht, Johann Gottfried, 2 Motetten, Ms. PM 7154 Rolle, Johann Heinrich, Motette »Der Herr ist König«, Ms. PM 7155 Rolle, Johann Heinrich, Motette »Der Herr ist König«, Ms. PM 7156 Bergt, Christian Gottlob August, Motette »Gott ist nicht ferne«, Ms. PM 7157 Bergt, Christian Gottlob August, Motetto »Liebet eure Feinde«, Ms. PM 7158 Rolle, Johann Heinrich, Motette »Nun danket alle Gott«, Ms. PM 7159 Rolle, Johann Heinrich, Motette »Der Friede Gottes«, Ms. PM 7160 Rolle, Johann Heinrich, Motette »Herr, du hast vom Anfang«, Ms. PM 7161 Bernabei, Giuseppe Antonio, 3 Motetten, Ms. PM 7162 Bernabei, Giuseppe Antonio, 6 Motetten, Ms. Verzeichnis benutzter Archivalien

PM 7163 Handl, Jakob, 9 Mottetti, Ms. PM 7164 Vogler, Georg Josef, 12 Kirchenhymnen, Ms. PM 7165 Haeser, August Ferdinand, Salve Regina, op. 9, Ms. PM 7166 Haeser, August Ferdinand, Salve Regina, op. 7, Ms. PM 7167 Haeser, August Ferdinand, Vater unser, op. 2, Ms. PM 7168 Haeser, August Ferdinand, Ecce quomodo, op. 3, Ms. PM 7169 Haeser, August Ferdinand, Motette, Ms. PM 7170 Bodenschatz, Erhard, Florilegium, Ms. PM 7171 Haydn, Johann Michael, Litaniae, Ms. PM 7172 Hammerschmidt, Andreas, Gespräche, Ms. PM 7173 Hammerschmidt, Andreas, Gespräche, Ms. PM 7174 Hammerschmidt, Andreas, Andachten, Ms. PM 7175 Hiller, Johann Adam, 4-stimmige Motetten, Ms. 415 PM 7176 Hiller, Johann Adam, Motetto, Ms. PM 7177 Rosenmüller, Johann, Motette, Ms. PM 7178 Naumann, Johann Gottlieb, 96. Psalm, Ms. PM 7179 Schicht, Johann Gottfried, 3 Motetten, Ms. PM 7180 Bergt, Christian Gottlob August, Motette, Ms. PM 7181 Bergt, Christian Gottlob August, Motette, Ms. PM 7182 Reichardt, Johann Friedrich, Morgengesang, Ms. PM 7183 Schneider, Friedrich, Missa, op. 39, Ms. PM 7184 Schneider, Friedrich, Missa, op. 39, Ms. PM 7185 Bergt, Christian Gottlob August, Deutsche Messe, Ms. PM 7186 Bergt, Christian Gottlob August, Cantatine, Ms. PM 7187 Bergt, Christian Gottlob August, Motette, Ms. PM 7188 Zelter, Karl Friedrich, Choral »Wie soll ich dich empfangen«, Ms. PM 7189 Tuma, Franz Ignaz Anton, Stabat mater, Ms. PM 7190 Fink, Gottfried Wilhelm, Choräle, Ms. PM 7191 Schulz, Johann Abraham Peter, Hymne, Ms. PM 7192 Homilius, Gottfried August, Motetto, Ms. PM 7193 Danzi, Franz, Salve Regina, Ms. PM 7194 Hiller, Johann Adam, Missa brevis, Ms. PM 7195 Schneider, Friedrich, Choral, Ms. PM 7196 Schuster, Josef, Salve Regina, Ms. PM 7197 Rinck, Christian Heinrich, Motette, op. 85 PM 7198 Fesca, Friedrich Ernst, Gesänge, op. 16/1 PM 7199 Cherubini, Luigi, Hymnes

12.6.6 Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (D-LEsm) A/234/2007: Programm zum Extrakonzert am 11.11.1859 A/276/2007: Ehrenkarte mit Programm zur volkstümlichen Schillerfeier am 7.5.1905 Anhang

A/2865/2005: Brief Paul Klengels an Merkel, bittet um Mitwirkung bei Konzert mit der Sing- akademie am 18.11.1895. A/4175/2005: Visitenkarte Richard Müllers, 6.9.1885 [Mit eigenhändiger Mitteilung Müllers auf der Rückseite ohne Bezug auf die Singakademie, Aufdruck auf der Vorderseite: »Musikdir. des akad. Ges-Ver. Arion, der Leipz. Liedertafel u. der Leipz. Singakademie«] A/4176/2005: Visitenkarte Richard Müllers, 3.2.1888 [Mit eigenhändiger Mitteilung Müllers auf der Rückseite ohne Bezug auf die Singakademie, Aufdruck auf der Vorderseite: »Musikdir. des akad. Ges.-Ver. ›Arion‹, der ›Leipziger Liedertafel‹ und der ›Leipziger Singakademie‹«] A/4555/2005: Brief Alfred Richters an das Orchester des Konservatoriums [teilt Besetzung mit für das am 12.11.1977 geplante Konzert (musste wg. Landestrauer verschoben werden, fand statt am 17.11.1877)] A/5087/2005: Manuskript von Carl Friedrich Zöllner, Bericht über das Konzert des Riedelvereins am 19.7.1857 [abgedruckt in NZfM 47 (1857/2), S. 58]. 416 A/9235/2006: Vortragsordnung zur Volkstümlichen Schillerfeier Sonntag, den 7. Mai 1905

Bl.K.C1/177: Programm zum Konzertabend der Gesellschaft Klapperkasten zur Erinnerung an Professor Ignaz Moscheles, 1870 Dipl.EI/13: Urkunde der Singakademie zu Leipzig über die Ernennung Henriette Leplays zum Ehrenmitglied, Juli 1862 Gr.K.12/327: Programm zum Konzert am 8.2.1915 Jost 403: Fotografie: Mitglieder der Singakademie unter Alfred Richter? [Fotomontage mit 15 Männer-Porträts, darunter Alfred Richter; Beschriftung: »Winterfest Sing-Akademie«], um 1880

MT/143/2003: Programm zum Abonnementkonzert am 7.11.1850. MT/466/2006: Text zum Sachsenlied, gesungen beim Konzert am 13.11.1815 MT/553/2006: Programm zum Konzert zum Besten des Orchesterpensionsfonds am 11.1.1818 MT/1463/2007: Programm für das Konzert am 23.9.1946 in der Thomaskirche.

MusIIG58a/16: Programm zum Konzert zum Besten der Armen am 7.5.1853 MusIIG59,14: Programm zum Extrakonzert am 10.12.1853 MusIIG59,16: Programm zum Abonnementkonzert am 1.1.1854 MusIIG59,26: Programm zum Abonnementkonzert am 23.3.1854 [Dublette: MusIIG59a/19] MusIIG59,28: Programm zum Konzert zum Besten der Armen am 6.4.1854. MusIIG59a/3: Programm zum Abonnementkonzert am 1.12.1853 MusIIG59a/12: Programm zum Abonnementkonzert am 2.2.1854 MusIIG59a/19: siehe MusIIG59,26 MusIIG61/16: Programm zum Abonnementkonzert am 17.1.1856 MusIIG130/24: Programm zum Abonnementkonzert am 20.1.1853 MusIIG130/26: Programm zum Konzert zum Besten des Orchesterpensionsfonds am 17.1.1853 [2 Bögen, der dritte Bogen fehlt] Verzeichnis benutzter Archivalien

PL 46/660: Plakat zum Konzert am 23.9.1946 PL 48/142: Plakat zum Konzert am 21.6.1948 [identisch mit UAL, NA Rabenschlag, 2/679] PL 49/141: Plakat zum Konzert am 19.2.1949 ohne Signatur [GOS-Nr. z0067409]: Statuten der Leipziger Singakademie, 1848; Mitglieder- verzeichnisse der Leipziger Singakademie vom 1.1.1848860 und vom Oktober 1849; Texte der Gesänge zum Konzert am 29.6.1868; Text zum Tafellied beim Sommerfest am 24.6.1868.

12.6.7 Universitätsarchiv Leipzig (UAL) Nachlass Friedrich Rabenschlag [NA Rabenschlag] 2/89: Konzertprogramm zum 19.2.1949 [identisch mit 2/677] 2/554: Programmvorschlag vom 12.3.1949 für eine Rundfunk-Aufnahme (Aufnahme- und Sende- termin unklar, siehe Auftrittsliste unter März? 1949) 417 2/557: Programmvorschlag für eine Rundfunk-Aufnahme (Aufnahmetermin unklar, Sendeter- min 2.7.1949) 2/566: Programmvorschlag für die Rundfunk-Aufnahme am 21.7.1950 (Sendetermin 12.8.) 2/675: Einladung und Programmheft für Konzert am 16.2.1948 2/676: Einladung und Programmheft für Konzert am 21.6.1948 2/677: Konzertprogramm zum 19.2.1949 [identisch mit 2/89] 2/678: Konzertplakat zum 16.2.1948 2/679: Konzertplakat zum 21.6.1948 [identisch mit D-LEsm, PL 48/142] 2/680: Mschr. Programme zu den Auftritten am 23.5.1849 und am 19.7.1950, Chorbesetzungs-Ta- belle für den 23.5.1949 (Singakademie: Sopran: 20, Alt: 21, Tenor: 4, Bass: 8; enthält auch die Stärke der Stimmgruppen des Leipziger Universitätschores, der an diesem Auftritt schließlich aber nicht mitwirkte) 2/681: Mschr. Programm zum Auftritt am 17.6.1949 2/682: Mschr. Programm zum Auftritt am 12.6.1949 2/683: Mschr. Programm und von der LSA ausgefüllter Fragebogen zur Ermittlung des vorhan- denen oder benötigten Chornoten-Materials für das Konzert am 2.10.1949 [ursprüngliches, gestrichenes Datum: 1.9.] 2/684: Programmvorschlag für eine Rundfunk-Aufnahme (Aufnahmetermin unklar, Sendeter- min 18.3.1950) 2/685: Probenpläne für das Konzert am 19.2.1949, beginnend im Oktober 1948 3/5984: Brief Friedrich Rabenschlags an Walter Knape vom 7.3.1952 3/9960–9981: Briefe von und an Friedrich Rabenschlag, die Leipziger Singakademie betreffend, darin auch der Chorleitervertrag (3/9964) und die Kündigung (3/9980)

860 Die Personennamen sind identisch mit der bei Langer, Chronik der Leipziger Singakademie, S. 22–23, abgedruckten Liste, nur anders geordnet. Anhang

4/126: Zeitungsausschnitte: Ankündigung zum Konzert am 16.2.1948 und Kritiken zu den Kon- zerten am 16.2.1948 (LVZ vom 19.2.1948) und am 21.6.1948 (LVZ vom 2.7.1948) 5/69–73: Protokolle von Versammlungen der Leipziger Singakademie 1949 und 1950

12.6.8 Nichtöffentliche Akten Archiv der Chorgemeinschaft Gutenberg zu Leipzig: Drei Kisten Material zur Vereinsge- schichte von 1891 bis in die Gegenwart. Darunter Teilbestände zum Nietner-Michael-Chor und zu den Michael’schen Chören. Nur ansatzweise geordnet, nicht katalogisiert.

Bestand Neue Leipziger Singakademie 1934–1944 im Besitz des Kammerchors Leipzig (Leipziger Volkssingakademie): Ein Ordner Dokumentation der Vereinstätigkeit (Brief- wechsel, u. a. zwischen Otto Didam und Paul Starke (Vereinsführer), Schreiben an und von Carl Orff, Hermann Grabner, Gewandhausdirektion; Sitzungsprotokolle, Zeitungsaus- 418 schnitte etc.). Chronologisch geordnet, nicht katalogisiert.

Material zu Leben und Werk Walter Knapes im Besitz von Gudrun Märker, Leipzig: Autobio- grafie, Briefe, Noten, Programmzettel, Rezensionen und weitere Dokumente.

Persönliche Aufzeichnungen Gerhard Richters im Besitz von Liane Richter, Dresden: Sammlung von Programmzetteln und Zeitungsartikeln, mit handschriftlichen Kommenta- ren von Gerhard Richter versehen. Literaturverzeichnis

12.7 Literaturverzeichnis

Das Verzeichnis enthält die gesamte für diese Arbeit herangezogene Literatur außer Zei- tungsartikel und häufiger verwendete Nachschlagewerke. Eine Übersicht der benutzten Zeitungen/Zeitschriften befindet sich in Anhang 12.1.1: Zeitungen und Zeitschriften. Die Nachschlagewerke sind aufgeführt in Anhang 12.1.2: Häufiger zitierte Nachschlagewerke.

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430 Abbildungsverzeichnis

12.8 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1, S. 52: Titelblatt der von Jacob Bernhard Limburger verfassten Annalen großer Musik-Aufführungen zu Leipzig (D-LEsa, Gewhaus, Nr. 2, fol. II) Abbildung 2, S. 54: Ende der Gründungssatzung der Schulz’schen Singakademie von 1814 und Beginn der Mitgliederliste mit Unterschriften von August Ferdinand Anacker, Ernst An- schütz, Emilie Apel, Henriette Bärbalk und Emilie Bärbalk (D-LEsa, SingA, fol. 5) Abbildung 3, S. 80: Ausgewählte Nachfahren des Leipziger Weinschenks Michael Siegismund Erckel. Die grau hinterlegten Personen waren Singakademie-Mitglieder Abbildung 4, S. 81: Ausgewählte Nachfahren des Leipziger Bankiers Johann Heinrich Küstner. Die grau hinterlegten Personen waren Singakademie-Mitglieder Abbildung 5, S. 94: Sämtliche Mitglieder der Leipziger Singakademien und Beteiligte an den protokollierten Auftritten 1802–1821, einschließlich Limburgers Privatakademien 1820/21 431 (Vollerhebung), Haupttätigkeit Abbildung 6, S. 94: Die Gründungsmitglieder der Schicht’schen Singakademie 1802 und die bis 1804 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins 1802–1804 (Stichprobe 1), Haupttätigkeit Abbildung 7, S. 95: Die Gründungsmitglieder bei der Neugründung der Schicht’schen Sing- akademie 1812 und die bis 1814 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins (Stichprobe 2), Haupttätigkeit Abbildung 8, S. 95: Die Mitglieder der Schulz’schen Singakademie von ihrer Gründung (1814) bis ca. 1818 (Stichprobe 3), Haupttätigkeit Abbildung 9, S. 96: Die Teilnehmer an Jacob Bernhard Limburgers Privatakademien 1820/21 (Stichprobe 4), Haupttätigkeit Abbildung 10, S. 98: Anteile von Vertretern verschiedener sozialer Gruppierungen in der Ers- ten und Zweiten Schicht’schen Singakademie, in der Schulz’schen Singakademie und in Limburgers Privatakademien Abbildung 11, S. 139: Anzahl der Auftritte der Leipziger Singakademie pro Jahr Abbildung 12, S. 145: Anzahl der Auftritte der Leipziger Singakademie pro Jahr, differenziert nach geistlichen, weltlichen und gemischten Programmen Abbildung 13, S. 149: Mitgliederstand der Leipziger Singakademie Abbildung 14, S. 151: Urkunde zur Ernennung von Henriette Leplay zum Ehrenmitglied der Leipziger Singakademie, Juli 1862 (D-LEsm, Dipl.EI/13) Abbildung 15, S. 208: Die Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866, Haupttätigkeit Abbildung 16, S. 332: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von Christiane Ficker/Fuxen? (D-LEsa, SingA, fol. 9r) Abbildung 17, S. 341: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von August Hartnaer? (D-LEsa, SingA, fol. 8v) Abbildung 18, S. 364: Nicht eindeutig entzifferte Unterschrift von Amalie Pournes/Pourens? (D-LEsa, SingA, fol. 9r) Anhang

12.9 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1, S. 48: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie nach Paul Langer Tabelle 2, S. 50: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie nach Annegret Rosenmüller Tabelle 3, S. 60: Übersicht zur Gründungsphase der Leipziger Singakademie, revidiert nach Auswertung aller bekannten Quellen Tabelle 4, S. 63: Die ersten öffentlichen Auftritte der verschiedenen Zweige der Leipziger Sing- akademie von 1812 bis 1818 Tabelle 5, S. 119: Die Mitglieder des Leipziger Rates 1818 und ihre Beziehungen zu Singakade- mie, Gewandhaus, Freimaurerlogen und Gesellschaften Tabelle 6, S. 137: Übersicht zu den Phasen der Geschichte der Leipziger Singakademie und den Amtszeiten der Musikdirektoren 432 Tabelle 7, S. 141: Satzungen der Leipziger Singakademie und Auszüge zum Zweck des Vereins Tabelle 8, S. 162: Konzerte zum Besten der Armen mit der Leipziger Singakademie oder ›Dilet- tanten‹ Tabelle 9, S. 164: Konzerte zum Besten des Orchesterpensionsfonds mit der Leipziger Singaka- demie oder ›Dilettanten‹ Tabelle 10, S. 170: Karfreitagskonzerte mit der Leipziger Singakademie oder ›Dilettanten‹ Tabelle 11, S. 198: Auftritte der Leipziger Singakademie 1847 bis 1861, ohne Gewandhaus-Abon- nementkonzerte, Konzerte zum Besten der Armen, zum Besten des Orchesterpensionsfonds und Karfreitagskonzerte Tabelle 12, S. 252: Auftritte der Leipziger Singakademie von 1938 bis 1944 Tabelle 13, S. 383: Ergebnisübersicht zur Vollerhebung: Sämtliche Mitglieder der Leipziger Singakademien und Beteiligte an den protokollierten Auftritten, einschließlich Limburgers Privatakademien 1820/21 Tabelle 14, S. 384: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 1: Die Gründungsmitglieder der Schicht’­ schen Singakademie 1802 und die bis 1804 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins Tabelle 15, S. 385: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 2: Die Gründungsmitglieder bei der Neu- gründung der Schicht’schen Singakademie 1812 und die bis 1814 hinzugetretenen Mitglieder dieses Vereins Tabelle 16, S. 387: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 3: Die Mitglieder der Schulz’schen Singaka- demie von ihrer Gründung (1814) bis ca. 1818 Tabelle 17, S. 389: Ergebnisübersicht zu Stichprobe 4: Die Teilnehmer an Jacob Bernhard Lim- burgers Privatakademien in den Jahren 1820/21 Tabelle 18, S. 402: Ergebnisübersicht: Mitglieder der Leipziger Singakademie 1866 Personenregister

12.10 Personenregister

Das Register verzeichnet alle im Haupttext genannten Personen. Es erfasst nicht die Fuß- noten und den Anhang.

A Berlioz, Hector 192, 200 f., 213, 238, 245 Achtélik, Joseph 238 Bernuth, Julius von 136, 137, 196, 202–204 Adam, Carl Ferdinand 175 Bizet, Georges 238 Agthe (Herr) 153 Blümner, Heinrich 119 Allegri, Gregorio 71, 87 Blum, Robert 199 Altendorff, Cäcilie 185 Böhm, Claudius 19, 31, 118, 132 Altendorff, Julius 185, 210 Böhme, Walter 238 Alvensleben, Frau von 26 Bornefeld, Helmut 272 Ambrosius, Hermann 245 Borris, Siegfried 272 Anacker, August Ferdinand 47, 54, 86, 103, 153 Borsam, Friedrich August 101 433 Anschütz, Babette 186 Bose, Fritz von 238 Anschütz, Clotilde 186 Böttcher, Georg 267, 272, 276 f. Anschütz, Emmerich 186 Brahms, Johannes 213, 219, 238, 241, 252, 272, 275, Anschütz, Ernst 54, 86, 186 f. 277 Anschütz, Jenny 186 Brehm, Carl August 119 Anschütz, Maria 86 Brendel, Franz 190 f., 193, 201 Anschütz, Wilibald 186 Bronsart, Hans von 204 Apel, Emilie 54 Bruch, Max 147, 212, 214, 219, 224, 228, 230, 233, Arnold, Günther 227 238, 242 Astorga, Emanuele d’ 71, 175 Brügmann, Wilhelm 227 Brusniak, Friedhelm 12 B Büchner, Carl Franz 204 Bach, Carl Philipp Emanuel 29 Büchner, Georg 83 Bach, Johann Christian 213 Bünau, Henriette (geb. Grabau) 185 f. Bach, Johann Sebastian 43, 62, 155, 171, 174–176, 184, Byrd, William 274 190, 193, 205, 213, 218, 223 f., 237, 243, 254, 282 Baltzer, Heinrich Richard 186 C Bärbalk, Emilie 54 Campagnoli (Geschwister) 97 Bärbalk, Henriette 54 Carus, Ernst August 185 f. Bargiel (Barghiel), Adolph 70, 75, 77, 87, 116 Carus, Julius Victor 185 f. Bargiel, Woldemar 87, 213 Chemin-Petit, Hans 272, 275 Battka, Thekla 70, 97 Cherubini, Luigi 155, 157, 163, 170 f., 176, 183, 192 f., Bauer, Franz J. 127 199 f., 214, 245 Bäumler, Ernst Friedrich 76 Chrysander, Friedrich 241 Beachy, Robert 108, 109 Chryselius, Emilie (geb. Wiese) 185 Beck, Antonie 186 Clarein, Th. (Sänger/in) 186 Becker, Albert 213 Clari, Giovanni Maria 190 Becker, Valentin Eduard 213 Clarus, Caroline Mathilde 186 Beethoven, Ludwig van 68, 146, 155, 163, 165, 168, Clarus, Johann Christian August 83, 105, 107, 113, 170, 173 f., 176, 192 f., 198, 200 f., 213, 218, 238, 252, 117, 158, 160, 186 258, 267, 272, 277 Clarus, Julie 83, 105 Bergt, Christian Gottlob August 62, 65 Claus, Carl 136, 202–204 Bergzog, Heinrich 269 Clemen, Jörg 49 Anhang

Clodius, Lotte 77, 105 Fesca, Friedrich Ernst 72 Coccius, Clara 186 Festa, Costanzo 190 Comet, Chatinka 70, 97 Fietsch, Richard 226 Crusius, Julia Charlotte 77 Fink, Gottfried Wilhelm 56, 64, 87 f., 162 Crusius, Wilhelm 77 Fleischer, Emilie 76 Crutsch 186 Focke, Adolf 207 Forkel, Johann Nikolaus 26 D Förster, Otto Werner 45, 107 f. Danzi, Franz 34 Franck, César 214, 219, 230, 273 David, Ferdinand 111, 136 f., 163, 171, 173, 177, 188, 196, François, Etienne 266 199 Franke, Julius 186 Demuth, Friedrich Heinrich 121 Frege, Christian Ferdinand 85, 111, 121 Deutrich, Christian Adolph 120 Frege, Christian Gottlob II (1747–1816) 85, 111 Didam, Otto 225, 244–247, 255–258, 277, 284 Frege, Christian Gottlob III (1778–1855) 40, 121 Dietrich, Albert 214 Frege (Familie) 85 434 Dietrich, Fritz 273, 275 Frege, Livia 85, 150, 185 f. Dittrich, Rudolf 231 Frege, Sophia Henriette 75, 85, 111 Dommer, Arrey von 190 f., 200 Friedrich August I. (König von Sachsen) 154 Dörffel, Alfred 67, 69, 132, 134 f. Friedrich, Rosel 248 f Döring, Antonie 185 f. Frischen, Joseph 238, 241 Döring, Julie 185 f. Frosch (Mademoiselle) 26 Dörrien, Heinrich 77, 113 Dörrien, Henriette 77 G Dryden, John 144 Gabrieli, Giovanni 200, 214, 218 Dufour-Pallard, Jacob Marcus Anton 111 Gade, Niels Wilhelm 146, 165, 192–194, 214, 219, 238 Dyck, Johann Gottfried 63 Gallus, Jacobus (Jacob Handl) 155, 169 Gastoldi, Giovanni Giacomo 238, 273 E Gebhardt, Friedrich Wilhelm 185 Eberle, Gottfried 42 Gehler-Duvigneau, Emilie 77, 119 Eccard, Johannes 190, 200 Gehler, Emilie 77 Efer, Wilhelm 227 Gehler (Geschwister) 78 Einert, Carl 77, 87, 119 f. Gehler, Johann August Otto 119 Einert, Christian Gottlob 119 f. Geißler, Friedrich August 157 Einert, Wilhelm 87 Geist (Sänger/in) 186 Eisler, Hanns 273 Generali, Pietro 65, 164 Elsner, Joseph 62, 169 Gerber, Ernst Ludwig 24, 178 Engelmann, Therese 185 Gerber, Mirjam 20 Erckel, Christiana Rosina 78 Gerster, Ottmar 273 Erckel, Emma 78, 120, 185 f. Gluck, Christoph Willibald 68, 155, 189, 192 Erckel (Familie) 78 Gneist, Werner 273 Erckel, Johann Gottfried 39, 78, 120 Goerdeler, Carl Friedrich 245 Erckel, Julius 120 Goethe, Johann Wolfgang von 83, 192, 199, 201, 217, Erckel, Laura 78, 120 219, 277 Erckel, Michael Siegismund 78 Goetz, Auguste 186 Eybler, Josef 169 Goetz, Julius 252 Goetz, Laura 186 F Goldhorn, Clara 186 Falcke (Geschwister) 78 Göpner, Hans 244 Fasch, Carl Friedrich 41–43 Gottie, Albertine 186 Fasch, Johann Friedrich 71 Gouvy, Théodore 214, 219, 230 Personenregister Personenregister Grabner, Hermann 245, 269 Herder, Johann Gottfried 64 Graun, Carl Heinrich 29, 43, 62 f., 66, 174 f. Hermann, Christian Gottfried 120 Green, August Friedrich Siegmund 111 Hermann, Gottfried Wilhelm 120 Grenser, Carl Augustin 32, 34, 44–46, 48 f., 56 f., Heyer, Hermann 253 116, 132 Hiller, Ferdinand 163, 165, 192, 197, 219 Grieg, Edvard 245 Hiller, Johann Adam 23–27, 30–32, 35 f., 42, 46, 67, Groß, Johann Carl 120 111 f., 178, 252, 281 Grotjahn, Rebecca 19 f. Hillmann, Oskar 257 Gründling, Christian Gottlob 62 Hilmer (Mademoiselle) 26 Gruner, Carl Friedrich Gerhard 120 Himmel, Friedrich Heinrich 61 Grusnick, Bruno 273 Hirzel, Heinrich 210 Günther, Clara 186 Hitler, Adolf 225 f., 254 Günther, Hermann 186 Höffer, Paul 245 Günther, Karl Friedrich 186 Hofmann, F. Heinrich 214 Hofmann, Hans 225 H Hofmann, Heinrich 214, 219, 230, 239 435 Haase, Eduard 185 f. Hofmann, Richard 138, 202, 212, 214 Haase, Juliana Emilie 185 f. Hollaender, Victor 239 Haase, Therese 185 f. Holstein, Franz von 214 Habermas, Jürgen 123 f Homeyer, Paul 242 Hagels, Bert 59, 132, 135, 169, 285 Homilius, Gottfried August 62 Hagemann, Edgar 186 Hübner, Maria 67, 168 f., 171, 173, 176 Hagemann, Rodrich 186 Hutter, Herman 233, 239, 242 Hamerik, Asger 238, 242 Händel, Georg Friedrich 43, 47, 64–66, 144, 147, I 154, 157, 162–164, 170 f., 173–176, 192 f., 198, 200 f., Isaac, Heinrich 273 214, 218, 220, 230, 238, 241–243, 245, 270, 273, 275–277, 282 J Hänel, Christian Friedrich 119 Jadassohn, Salomon 214 Härtel (Familie) 210 Jekel, Viktor 254, 256 f., 264 Härtel, Raymund 185, 207 Jensen, Adolf 214, 219 Härtel, Wilhelm 158, 160 Johannsen, Monrad 245 Hasenritter (Herr) 76 Jomelli, Niccolò 61 Hasse, Johann Adolph 29, 62, 154 Hauptmann, F. A. 245, 256 f. K Hauptmann, Moritz 155, 165, 192, 199, 214, 219, 238 Kahnt (Familie) 210 Hauser, Moritz Heinrich 214 Kaschuba, Wolfgang 125 Hausmann, Valentin 273 Kaun, Hugo 239 Haußner, Theresia Henriette 78 Kayser, Friedrich Adolph 120 Haydn, Joseph 41, 57, 61–64, 66, 147, 154 f., 157, 163, Kietz, Mathilde 186 170, 173, 181, 183, 192 f., 214, 218, 220, 230, 239, Kind, Cecilie 120 241, 273, 275 f., 283 Kind, Hieronymus Gottlieb 120 Haydn, Michael 61 Kind, Johannes 249 Hayne, Gottlieb 42 Kirsten, Richard 186 Hebenstreit, Cecilie 186 Kistner, Carl Friedrich 39 f. Hegar, Friedrich 233, 239, 241 Kleist, Heinrich von 82 f. Heimthal, Mademoiselle von 26 Klemm, Ottilie 186 Hein, Dieter 124 Klengel, Julius (1818–1879) 186 f. Heine, Claudia 19 Klengel, Julius (1859–1933) 187 Helbig, Herbert 113 Klengel, Moritz Gotthold 103, 186 f. Anhang

Klengel, Nanny 186 Lessing, Gotthold Ephraim 63 Klengel, Paul 138, 186 f., 202, 204, 219 Levetzow, Amalie von 83 Klenke, Dietmar 12 Levetzow, Friedrich Karl Ludwig von 83 Kliebert, Karl 215 Levetzow, Joachim Otto Ulrich von 83 Klopstock, Friedrich Gottlieb 64, 157, 162 Levetzow, Ulrike von 83 Kloss, Karl 103 Licht, Barnet 225, 244 Klug, Carl Friedrich Gustav 40 Limburger (Ehepaar) 78 Klughardt, August 239, 241 Limburger, Jacob Bernhard 38–43, 45, 48, 52 f., Knape, Walter 136, 138, 250, 251, 258, 260, 262, 55–58, 60 f., 69–73, 78, 84, 87, 96 f., 99–102, 264–269, 273–278, 283 106 f., 113, 115, 120, 122, 124, 126, 140, 155, 156, 158, Knofe, Oscar 247 160, 185 Koch, Christian Traugott 119 Limburger, Julie 40, 78 Koch, Friedrich Ernst 239, 242 Lindner, Friedrich Wilhelm 105 Koch, Helmut 273 Lissmann, Kurt 245 Koch, Therese 119 Liszt, Franz 215, 219, 239 Kocka, Jürgen 124 Lohse, Fred 273 436 Koschat, Thomas 239 Loos, Helmut 20, 141, 201, 219, 220 Koselleck, Reinhart 124 Lortzing, Albert 252, 273, 277 Kotzebue, August von 33, 35 Loth, Christian Heinrich 111 Kotzer (Herr) 76 Lotti, Antonio 215, 218 Kötzschke, Richard 134, 188 Lüchow (Herr) 268 f. Kranz, Albert 239 Ludewig, Johanna Carolina 78 Kranz, Johann Friedrich 34 Ludewig, Luise 78 Krause, Anton 215 Ludwig, Max 225, 254 Kretzschmar, Hermann 136, 202, 219, 258 Luther, Martin 64, 162, 213, 233, 240–242 Kroker, Ernst 67, 110 Lwow, Alexei Fjodorowitsch 165 Krug, Arnold 215 Krug, Wilhelmine 82 f., 105 M Krug, Wilhelm Traugott 82 f. Maentel, Thorsten 124 f. Kunze, Gustav 84, 158, 160 Mahler, Gustav 236, 273 Kunze, Wilhelm Friedrich 45, 84, 113, 158, 160 Mahlmann, Auguste Wilhelmine 86 Küster, Agnes 185 f. Mahlmann, Siegfried August 39, 47, 65, 86, 112 Küstner, Emilie 78 Mara, Elisabeth (geb. Schmeling) 23 Küstner, Felix Ferdinand Heinrich 78 Marschner, Heinrich 215 Küstner, Jenny 186 Marx, Adelgunde 186 Küstner, Johann Heinrich 40, 78 Marx, Karl 273, 275 Küstner, Julius 78 Matthäi, Heinrich August 116 Küstner, Karl Theodor 34, 40, 78, 85 Meinardus, Ludwig 215 Mendelssohn, Arnold 274 L Mendelssohn Bartholdy, Felix 83, 104, 133, 140, Lacarriere, Jean Henri 40 146 f., 152, 155 f., 163–165, 170–173, 175–177, 181, Lahusen, Christian 273 183 f., 188, 190, 192, 194–196, 199–202, 215, 218, Langer, Paul 18, 44, 46, 48 f., 56–59, 61, 74, 131 f., 220, 230, 239, 241, 273, 275 f., 283 135, 148, 153, 156, 164, 166, 177, 180, 184, 188, 195 f., Menninger, Margaret Eleanor 19, 112, 156 205–207, 212, 221, 223, 259 Merkel, Carl Ludwig 207 Lang, Hans 245, 273 Mertens, Therese 186 Langner, Wolfgang 31, 180, 198 Meyer-Ambros, Franz 138, 250, 252, 257 Lemacher, Heinrich 245 Meyerbeer, Giacomo 62 Leo, Leonardo 215 Meyer, Ernst Hermann 274 Leplay, Henriette 150, 185 Michael, Paul 244 Personenregister

Michler, Carl Christian 185 Podleska, Thekla 28 Middell, Katharina 118 Pohl, Christian Friedrich 119 Mojsisovics, Roderich 239, 241 Pohlenz, Christian August 40, 70, 136 f., 146, 150, Moler (Komponist) 245 152 f., 155–157, 163 f., 169–174, 178, 181, 183, 260, 282 Moritz, Helga 75 Pohl, Johann Ehrenfried 111 Moscheles, Ignaz 215 Pöppig, Eduard 84 Mozart, Wolfgang Amadeus 41, 47, 63–66, 144, 146, Pöppig, Emilie 84 154–157, 162–164, 169 f., 173, 176, 193 f., 200, 215, Porsche, Luise 186 218, 260, 274, 276 f. Praetorius, Michael 190, 216 Müller, Carl Wilhelm 111 Prieberg, Fred K. 250 Müller, Gottfried 254 Müller, Henriette 76 Q Müller, Richard 138, 150, 202–204, 215, 219, 239 Queißer, Emma 186

N R Nagler, Franziskus 212, 239 Rabenschlag, Friedrich 138, 147, 225, 250, 258–264, 437 Nanino, Giovanni Bernardino 200 268, 275 f., 282 f. Naumann, Johann Gottlieb 50, 154 f., 157, 170 Raff, Joachim 216, 239 Naumilkat, Hans 274, 277 Rahlwes, Alfred 245 Neff, Fritz 39, 120, 233, 239, 242 Ramin, Günther 225, 254 Nessler, Victor Ernst 239 Ramler, Karl Wilhelm 174 Neukomm, Sigismund von 169 f. Ravenschlag, Gustav Adolf 276 Neumann-Sessi, Anna Maria 47 Reclam, Carl 185 Nicolai, Friedrich 25 Reclam, Maria 150 Niemann, Walter 242 Reger, Max 276 Nikisch, Arthur 223 Regnart, Jakob 274 Noetel, Konrad Friedrich 274 Reichardt, Friedrich 274 Novalis (Friedrich Freiherr von Hardenberg) 64 Reichardt, Johann Friedrich 34, 43 Reiche, Gottfried 252 O Reinecke, Carl 136 f., 171, 173, 178, 195–198, 202, 211 f., Obermann (Mademoiselle) 26 216, 219, 235 Oberreich, Franz 216 Reinhard, Franz Volkmar 63 Oettingen, Alexander von 242 Reinhardt (Sänger/in) 186 Orff, Carl 245 f. Reinthaler, Karl 193, 219 Rein, Walter 245 P Reißiger, Carl Gottlieb 86, 103, 155 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 64 f., 155, 162, 190 Rellstab, Johann Friedrich 42 Peiser, Karl 26 Rellstab, Ludwig 42 Pepping, Ernst 274 f. Reuter, Fritz 269 Peters, Carl 243 Rheinberger, Josef Gabriel 216, 219, 239 Petersen, Wilhelm 252 f. Richter, Alfred 131, 137, 140, 150, 180, 198, 202, 205, Peuckert, Hanna 246 216, 223 Pezel, Johann Christoph 252 Richter, Christian Wilhelm 121 Pierné, Gabriel 131, 147, 239, 242, 276 Richter, Ernst Friedrich 121, 131, 136–138, 140, 150, Piutti, Carl 216, 219 152 f., 170–173, 177, 185, 187 f., 193, 199–201, 216 Platner, Ernst 111 Richter, Gerhard 250, 258, 269, 270, 271 Platon 43 Richter, Pauline 186 Platzmann, Alexander 158, 160, 185 Richter, Sidonie 186 Platzmann, Carl Heinrich 40 Riem, Wilhelm Friedrich 46–50, 55–58, 60, 63 f., Podleska, Marianne 28 76, 84, 86, 104, 107, 113, 116 f., 137, 158, 174 Anhang

Rietz, Julius 136, 137, 165, 171, 173, 176 f., 188, 196, 137, 141, 146, 148, 150, 152 f., 154, 158–161, 163 f., 177, 198–200 179, 263, 268 Righini, Vincenzo 41 Schumacher, Paul 217 Rinckart, Martin 239 Schumann, Clara 87, 199 Rochlitz, Johann Friedrich 56, 59, 62, 71 f., 87 f., 107, Schumann, Georg 240, 242, 276 113, 117 Schumann, Robert 87, 146, 155, 163, 165, 193–195, Romberg, Andreas 62 199, 201, 217–219, 240, 252, 274, 283 Rosenmüller, Annegret 50, 58 Schuster, Joseph 34 Rossini, Gioachino 146, 163, 165, 216 Schütz, Heinrich 200, 217 f. Rubinstein, Anton 216 Schwägrichen, Christian Friedrich 84, 105, 121 Schwägrichen, Christian Gottlieb 121 S Schwägrichen, Johann August 121 Sack, Philipp 42 Schwarz, Johannes 53, 55, 60 Salieri, Antonio 274 Schwob, Marcel 242 Salomon, Hedwig 186 Seconda, Franz 33 Säubert, Werner 138, 140, 250, 270 Seconda, Joseph 33 438 Scharwenka, Philipp 216 Seeburg, Elisabeth 186 f. Schein, Johann Hermann 252 Seelig (Mademoiselle) 26 Schellenberg, H. 164 Sendt, Willy 245 Schering, Arnold 26 Seyffardt, Ernst Hermann 147, 234, 239, 242 Schicht, Johann Gottfried 23, 32 f., 36, 40 f., 43 f., Seyfferth (Ehepaar) 78 46–48, 50, 55–60, 63 f., 71, 86, 97, 99, 101, 103– Seyfferth, Wilhelm 45, 84, 113, 115 105, 113, 121, 137, 142, 154, 156, 158, 162, 164, 169 f., Seyfferth, Wilhelm Theodor 84, 210 174, 176–178, 240, 252, 274, 282 Sgambati, Giovanni 240, 242 Schiller, Friedrich 63, 200, 228 Sibelius, Jean 245 Schinke, Erich 259, 261–263, 268 Sickel, Johann Conrad 119 Schinköth, Thomas 246, 250 Siegl, Otto 245 Schirach, Baldur von 226 Siegmann, Friedrich Huldreich Carl 119 Schleinitz, Constanze 186 f. Silcher, Friedrich 240 Schloss, Sophie 186 Simmel, Georg 122 f. Schmidt (Stadtverordneter) 236 Sobania, Michael 110 Schmidt, Therese 185 Sorge, Marie 186 Schneider, Friedrich 34, 47–50, 56–60, 62, 64, 65, Spohr, Louis 163, 175, 189, 217 71, 85 f., 97, 104, 132, 137, 154–157, 162, 164, 169 f., Spontini, Gaspare 65, 144, 164 179, 193, 216 Staps, Sven-W. 132 Schönberg, Arnold 240 f. Starke, Paul 245, 248, 256 Schreber, Daniel Gottlob Moritz 207 Stark, Willy 225, 254 Schrey, Carl 185 f. Steglich (Frau) 271 Schrey, Sophie 186 Steinert, Friedrich 116 Schröter, Corona 23 Stieber, Hans 138, 147, 250, 252 f., 258 f., 264, 269, Schubert, Franz 189, 216, 226, 240 f., 254, 270, 275 f. 274–276 Stieglitz, Christian Ludwig 119 Schultze, Gustav 78 Stiehl, Heinrich 195 Schultze-Küstner, Carl 40, 78, 121 Straube, Karl 223–225, 254 Schultze, Mariane 78 Strauss, Richard 243 Schulz, Andreas 124 f., 285 Strobach, Hans 262 Schulze, Oscar 245 Strube, Adolf 275 Schulz, Johann Abraham Peter 43, 274 Stürmer, Bruno 245 Schulz, Johann Philipp Christian 32, 34, 40, 46–48, Sucher, Joseph 217 50, 55–57, 59–65, 70 f., 84, 97, 101 f., 104 f., 113, 136, Personenregister

T Weber, Wilhelm 242 Taubert, Wilhelm 199 Wegner, Wolfgang 248 f. Teichmann, Max 256 f., 264 Weinwurm, Rudolf 217 Telemann, Georg Philipp 252 Weiske, Carl Gottlob 186 Thomas, Kurt 225 Weismann, Wilhelm 245, 269, 275, 277 Thuille, Ludwig 240, 242 Weithas, Ottilie 186 Tinel, Edgar 147, 217–219, 230, 240 Weithas, Therese 186 Tischbein, Betty (verh. Kunze) 45 Wendler, Adolf 113 Tottmann, Albert 240 Wendler (Ehepaar) 78 Trapp, Max 275, 277 Wendt, Amadeus 46, 56, 71, 87 f., 158 Trefftz, Emil 185, 187 Werner, Emma 186 Trexler, Georg 270 Werner, Friedrich 186 Trunk, Richard 226 Werner, Hermann 275 Werner (Herr) 76 U Wessel, Horst 225 f., 239 Ulrich, Ottilie 186 Wieck (Familie) 77, 87 439 Ulrich, Therese 186 Wieck, Friedrich 75, 87 Wieck, Marianne 75, 87 V Wießner, Matthias 117 f. Verdi, Giuseppe 245 Wigand, Albrecht 210 Vierling, Georg 217 Winderstein, Hans 136, 138, 202, 204, 213, 222, 231, Vittoria, Lodovico da 190 233 f., 242 Vogel, Bernhard 217 Winter, Peter 68 Vogel, Moritz 217 Witthauer, Anna Elisa 77 Vogler, Georg Joseph (Abt) 34, 61 f., 174 Witthauer, Johann Georg 77 Voigt, Henriette 71 Wohlgemuth, Gustav 136, 138, 150, 221–223, 225– Volbach, Fritz 240 230, 235, 238, 240–243, 247, 250–252, 256, 264, Volkland, Alfred 205 266, 275, 283 Volkmann, Johann Wilhelm 119 Wolff, Willi 246 Volkmann, Robert 217 Wolf, Werner 267 Vollsack, Georg Christian 120 Wolle, Christoph Friedrich 119 Voß, Amalie 186 Woyzeck, Johann Christian 83 Voß, Bertha 186 Wüllner, Franz 217 Wuthenau, von (Geschwister) 78 W Wagner, Franz 240, 241 Z Wagner, Richard 86, 193 f., 217, 225, 240 f., 243, 252, Zelter, Carl Friedrich 12, 42 f., 128, 275 267, 275 Zenge, August Wilhelm Hartmann von 82 Walter, Ignaz 34 Zenger, Max 217 Weber, Alphons 44 Zillinger, Erwin 240 Weber, Bernhard Anselm 33 Zöllner, Carl Friedrich 242 Weber, Carl Maria von 86, 154, 240 Zöllner, Heinrich 233, 240–242, 276 Weber, Franz 227 Zoll, Paul 275 Weber, Theodor 185 Zschiegner, Fritz 240