Rezension Zu: Löw, L. S. (2016). Gottessohn Und Mutter Erde Auf Bronzezeitlichen Felsbildern. Herman Wirth Und Die Völkische S
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Rezension zu: Löw, L. S. (2016). Gottessohn und beflügelt wurde. Wie Löw richtig darstellt, reichte Mutter Erde auf bronzezeitlichen Felsbildern. das Spektrum „von der seriösen Präsentation wissen- Herman Wirth und die völkische Symbolfor- schaftlicher Forschungsergebnisse auf der Basis archäo- schung. Frankfurt a.M.: Peter Lang. 479 Seiten, 75 logischer Funde und Ausgrabungen über Mutmaßungen s/w Abb. ISBN 978-3631593318 und gewagte Interpretationen bis hin zu weit ausgrei- fenden, unglaublichen Spekulationen“ (S. 13), oftmals Uta Halle & Matthias Loeber war die Diskussion mit nationalen und völkischen Ideologemen aufgeladen. Die wenigen Fachwissen- Die Autorin Luitgard Sofie Löw fokussiert in ihrer schaftler kritisierten die Laienforschung heftig und 2016 publizierten, 2007 an der Universität Bamberg versuchten, deren Einfluss auf den wissenschaftli- eingereichten Habilitationsschrift auf die Person chen Diskurs zurückzuweisen. In dieses Konflikt- Herman Wirth (1885–1981). Dieser – je nach Auf- feld stieß Herman Wirth in den 1920er Jahren vor. fassung – als ‚Pseudo-‘ oder Fachwissenschaftler Luitgard Löw versucht, den Leserinnen und Le- angesprochene Niederländer beeinflusste in der sern ein fundiertes Bild und einen vollständigen Le- Spätphase der Weimarer Republik und der Zeit des benslauf zur Person Herman Wirths zu vermitteln. Nationalsozialismus in starkem Ausmaß verschie- Sie beschreibt seinen generationentypischen Kultur- dene Disziplinen; am intensivsten setzte sich die Ur- pessimismus mit der Ablehnung der Moderne, an und Frühgeschichtsforschung mit ihm auseinander. dem er zeitlebens festhielt (S. 34). Indem sie den For- 1935 gehörte Wirth neben Heinrich Himmler und scher sehr klar in der deutschen und skandinavischen Richard Darré zu den Gründern des SS-Ahnenerbes, Ideengeschichte des frühen 20. Jahrhunderts verortet, wo er allerdings bereits 1938 entmachtet wurde. geht sie weit über die bisherigen Beschreibungen Wirth konnte sich nach 1945 erfolgreich – trotz sei- Wirths hinaus, die ihn oftmals nur als isolierten ‚Spin- ner SS-Aktivitäten – als ‚Opfer‘ des Nationalsozia- ner‘ ansprechen. So zeigt sie die deutlichen Über- lismus darstellen. Er spielte in völkisch-esoterischen schneidungen zur Lebensreformbewegung mit deren Kreisen Deutschlands, Skandinaviens und der Nie- Ideen eines „germanischen“ Christentums und Son- derlande bis zu seinem Tod weiterhin eine wichtige nenkults auf und stellt seine Vorstellungen gleichzei- Rolle und wird dort zum Teil bis heute rezipiert. tig in die Tradition des „Nordischen Humanismus“. Die Löws Habilitationsschrift reiht sich in eine Reihe meisten seiner Ideen entsprangen Forschungstradi- von forschungsgeschichtlichen Studien ein, die sich tionen des 19. Jahrhunderts. Sie beschreibt Herman in den letzten 20 Jahren mit der Archäologie in der Wirth als Vertreter einer angenommenen „Kontinui- NS-Zeit befasst haben. Bis zu ihrer Arbeit über den tät der altgermanischen Traditionen“, beruhend auf ei- umstrittenen Forscher Wirth war dessen Einfluss auf ner angeblich „unverfälschte Überlieferung durch eine die Ur- und Frühgeschichtsforschung des 20. Jahr- nordische oder germanische Rasse“ (S. 239). hunderts kaum erforscht, obwohl sich bereits der Im Mittelpunkt der Studie steht Wirths Interpre- erste ordentliche Professor für Vorgeschichte, Gero tation der bronzezeitlichen Felsbilder Skandinaviens. von Merhart, 1929 in einem Gutachten deutlich da- Um hier zu fundierten Ergebnissen zu gelangen, hingehend geäußert hatte, dass Wirth „von einem hat Luitgard Löw nicht nur zahlreiche Archivalien fast heiligen Wahn befallen“ sei (S. 48) und sich auch ausgewertet, sondern sich zudem intensiv mit den andere Fachwissenschaftler verschiedener Diszi- zeitspezifischen Themen „Lebensreform“ und „Wis- plinen 1933 öffentlich gegen Wirth gestellt hatten. senschaftspolitik in der NS-Zeit“ beschäftigt. Sie hat Bisherige Publikationen zum Wirken des Nieder- verstärkt die Sichtweisen skandinavischer Forscher länders beschreiben vor allem die ideologischen auf die Interpretationen der Felsbilder und deren For- Komponenten seiner Arbeiten und entstammen schungsgeschichte mit einbezogen und hebt sich da- zumeist der Wissenschafts- und Zeitgeschichte. durch von anderen Veröffentlichungen ab. Sie stellt Mit Löws Arbeit setzt sich erstmals eine monogra- erstmals vor, wie sich Wirths Kontakte nach Schwe- phische Studie aus der Ur- und Frühgeschichte mit den entwickelten und er dort in deutschfreundlichen dem Wirken des Niederländers auseinander. Ihre Kreisen Aufnahme und Unterstützung fand. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Aufarbeitung der Ar- organisierten Vortragsmöglichkeiten für den um- chäologie im Nationalsozialismus nicht nur den strittenen Forscher in der schwedischen Hauptstadt ZeithistorikerInnen überlassen werden muss, wie und unterstützten Wirths Ahnenerbe-Expeditionen es z. B. Bernhard Hänsel noch 2002 forderte (HÄN- zu den Felsbildern in Bohuslän 1935 und 1936. Löw SEL, 2002, S. 17), sondern sehr wohl gewinnbrin- verdeutlicht, wie der Forscher versuchte, in den Sym- gend aus der eigenen Disziplin kommen kann. bolen und Gravuren einen „Schlüssel für die spirituelle Zu Beginn der Arbeit Herman Wirths erlebte die und religiöse Entwicklungsgeschichte der Menschheit“ Ur- und Frühgeschichte einen ersten Boom, der viel- zu erkennen (S. 234). Sie macht zu Recht darauf auf- fach durch archäologisch nicht ausgebildete Laien merksam, dass Wirths Vorgehen in der Interpretation Eingereicht: 18. Sept. 2017 Archäologische Informationen 41, 2018, 393-394 angenommen: 4. Okt. 2017 CC BY 4.0 online publiziert: 24. Okt. 2017 393 Rezensionen Uta Halle & Matthias Loeber keine Methode erkennen lässt und verweist auf seine den Germanisten Joseph Otto Plassmann als Wirths intuitive und spekulative Arbeitsweise. „Schüler“ (S. 25). Plassmann aber hatte Wirth im Er- In der Studie zeigt Löw auf, wie Wirth durch sten Weltkrieg kennengelernt, sich stark für dessen fi nanzstarke und einfl ussreiche Förderer wie den Ideen eingesetzt und die Ausstellung „Der Heils- Bremer Kaffeeröster Ludwig Roselius in der Um- bringer“ im Rahmen des „Ersten Nordischen Things“ bruchphase zwischen Weimarer Republik und 1933 in Bremen organisiert. Sehr beiläufi g erwähnt Nationalsozialismus unterstützt wurde (S. 38). Das Löw die „Wirtschaftsbetriebe Dachau“ (S. 168), in de- von der nationalsozialistischen Landesregierung in nen die Holzkisten für Wirths Expeditionen nach Mecklenburg 1932 für ihn gegründete „Forschungs- Schweden hergestellt wurden. Dabei lässt die Au- institut für Geistesurgeschichte“ in Bad Doberan löste torin außer Acht, dass es sich hierbei um Zwangs- vehemente Proteste der jungen ausgebildeten Prä- arbeit durch Dachauer KZ-Häftlinge handelte, historiker und Wissenschaftler anderer Disziplinen ein Punkt, der in dieser wissenschaftlichen Arbeit aus. Neue Aspekte zeigt Löw auch zur Gründungs- durchaus erwähnenswert gewesen wäre. geschichte des Deutschen Ahnenerbes innerhalb Es bleibt festzuhalten, dass Wirken und Wer- der SS auf. Die offi zielle Gründung datiert ins Jahr degang Wirths komplex und mitunter diffus sind. 1935, Löw kann aber nachweisen, dass „spätestens Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Schwierig-1b im Winter 1933“ erste Gespräche zwischen den spä- keit, die Analyse seiner Arbeit systematisch aufzu- teren Gründungsmitgliedern stattfanden. bauen. Hier hätten sich die Rezensenten mitunter Zu Wirths Verdrängung aus dem SS-Ahnenerbe eine etwas andere Struktur der Studie vorstellen schildert sie die näheren Umstände und verweist können, beispielsweise, wenn der wichtige Aspekt auf ein Gutachten des Rektors der Münchener Uni- der „Geistesurgeschichte“ – Wirths eigens erdachter versität, Walther Wüst, der im Gespräch mit Hein- Disziplin der vermeintlichen Erforschung prähi- rich Himmler Plagiatsvorwürfe gegen Wirth erhob. storischer Kultur- und Glaubensvorstellungen – Auch verweist sie auf Himmlers Kritik an Wirths etwas isoliert im zweiten Teil der Arbeit steht und eigenwilliger Persönlichkeit, vor allem an dessen un- somit in die Auseinandersetzung mit der Felsbild- steter Lebens- und Arbeitsweise und seinem Finanz- forschung nicht direkt eingebunden ist. gebaren. Zudem geht sie auf den Konfl ikt um die Dennoch – Löws quellenintensive und fundierte völkisch-expressionistische Gestaltung der Bremer Studie trägt das bisher Erarbeitete zum Wirken des Böttcherstraße ein, die nicht Wirths „germanischen“ prominenten Laienforschers kompakt zusammen Vorstellungen entsprach und gegen die Wirth ener- und bringt die Forschung durch die Einbringung neu- gisch, aber erfolglos bei Roselius intervenierte (S. 41). er Perspektiven deutlich voran. Insbesondere in der Neben den Vorgängen innerhalb der nationalso- Auseinandersetzung mit den bisher wenig erforsch- zialistischen Forschungsstrukturen weist die Auto- ten Vorgängen in Schweden, der Fokussierung auf rin erstmals darauf hin, dass der völkisch motivierte die zuvor kaum beachtete Felsbildforschung und der Forscher vor 1933 auch durch jüdische Mäzene wie diachronen Betrachtung des Lebenswerks des um- den Hamburger Reeder Julius Schindler gefördert strittenen Niederländers schafft sie ein vielschichtiges wurde (S. 45). Kurz beschreibt die Autorin auch noch und umfassendes Bild von dessen Wirken. die Lebensumstände Wirths nach 1945, als er sich von Marburg aus dem Thema Externsteine als an- Literatur geblichem „Mutterstein“ widmete und damit in den 1970er Jahren die entstehende Matriarchatsforschung Hänsel, B. (2002). Einführungsworte. In A. Leube & M. beeinfl usste. Hier hätten