Ein Jahr nach dem Anschlag auf „“ Sonderausgabe mit 12 Extraseiten und 44 Karikaturen im ganzen Blatt ▶ Seite 1–12 und Seite 17

AUSGABE BERLIN | NR. 10911 | 1. WOCHE | 38. JAHRGANG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND

HEUTE IN DER TAZ KÖLN Die Gewalt gegen Frauen in der Silves- ternacht: Neue Ermitt- Witz, komm raus, lungsergebnisse und Reaktionen ▶ SEITE 13 NORDKOREA Kim du bist umzingelt macht bum: Wirklich die erste Wasserstoffbombe oder ein Propaganda- trick? ▶ SEITE 16, 17

FERNSEHEN Olli Dittrich heißt jetzt Sandro Zah- lemann und wartet auf den König von Bhutan ▶ SEITE 18

BERLIN Schlafplätze für Flüchtlinge: Warum ein Jugendclub in Charlot- tenburg nicht helfen darf ▶ SEITE 21

Karikatur: Nadia Khiari

VERBOTEN

Guten Tag, meine Damen und Herren!

Geht das noch? Geht das zu weit? Könnte sich irgendje- mand zu sehr beleidigt fühlen? Von dieser oder jener Zeich- nung oder gar vom herzhaf- ten Schinkenkrustenbraten am Mittwoch im taz-Café? Kann man’s, darf man’s, muss man’s trotzdem machen? Gedanken, die in diesen Tagen verstärkt aufploppen, aber für verboten normales Tagesgeschäft sind. An alle Ängstlichen deshalb der gute Rat:

„Es ist immer eine Möglich- keit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft.“

TAZ MUSS SEIN

Die tageszeitung wird ermöglicht durch 15.555 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected]

oder 030 | 25 90 22 13 Mathias Hühn Karikatur: Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 Auf das Leben, schlag auf die Presse- und Mei- Arbeit verändert im vergange- sie oft dieser ausgeprägte Krän- Das Lachen der Aufklärung ist fax 030 | 251 06 94 nungsfreiheit durchzuführen. nen Jahr? kungsfetischismus um? und bleibt die einzige Waffe, die [email protected] auf das Lachen! Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 Wäre der Anlass nicht so trau- Die heutige Karikataz ist eine Neben nachdenklichen und Karikaturisten gegen den düs- tazShop: 030 | 25 90 21 38 rig, wäre es die beste aller Nach- Ausgabe mit vielen Fragen, die analytischen Texten sollen aber teren Irrsinn brutaler Attentä- Redaktion: 030 | 259 02-0 Charlie Hebdo lebt! Das ist die richten: Auch die taz erscheint wir zu beantworten versuchen vor allem die Karikaturisten zu ter aufbieten können. Oder wie fax 030 | 251 51 30, [email protected] gute Nachricht. Die schlechte heute als Sonderausgabe mit werden: Was darf die Satire Wort kommen – in Interviews es die Schlagzeile von Charlie taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin ist, dass der Verantwortliche zwölf Seiten über Humor und heute? Was die Karikatur nach und Porträts, vor allem aber mit Hebdo nach den Anschlägen taz im Internet: www.taz.de für das Attentat noch immer Satire – und vor allem nur mit „Charlie Hebdo“? Was ist die ihren Witzbildchen. Und damit vom Freitag, dem 13. November twitter.com/tazgezwitscher auf der Flucht ist, wie das Titel- Karikaturen statt Fotos. Endlich Vorgeschichte der Anschläge? soll ein wenig der Spaß zurück- 2015, trotzig in die Welt hinaus facebook.com/taz.kommune bild der neuesten Ausgabe zeigt, einmal rückt das kleine Sub­ Wie geht es einer traumatisier- kehren, der bei aller Trauer über rief: „Sie haben die Waffen. Aber, die soeben in einer Auflage von genre der komischen Zeichnung ten Redaktion? Haben Muslime die schrecklichen Ereignisse im scheiß drauf, wir den Champag- 40601 einer Million Exemplaren zum vom Rand des Journalismus in Humor? Gerade die letzte Frage vergangenen Jahr immer noch ner!“ In diesem Sinne soll auch Jahrestag des Anschlags auf die den Mittelpunkt. Endlich kom- bitte nicht zu ernst nehmen das Wesensmerkmal jeder Kari- die heutige Karikataz das Leben, Satirezeitschrift erschienen ist: men die Spottzeichner selbst zu – und nicht sofort empören! katur ist: Sie will den Leser zum den Spaß und den Humor fei- ein Gott, der sich mörderische Wort und beantworten uns zum Selbstverständlich haben Mus- Lachen bringen und auf diesem ern: „À votre santé!“ 4 190254 801600 Verbrecher sucht, um einen An- Beispiel eine Frage: Hat sich die lime Humor, aber warum treibt Weg etwas entlarven. MICHAEL RINGEL UND ISABEL LOTT 02 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Selfie

Kittihawk Coco Nadia Khiari „Meine Arbeit als Karikaturistin „Nicht mehr zu zeichnen, nach „Am Tag des Anschlags habe ich ist dieselbe geblieben. Aber et- dem was unserem Blatt wider- eine E-Mail geschrie- was ist anders geworden: Wenn fahren ist? Das kommt für mich ben, um sicherzugehen, dass es ich sage, ich sei Karikaturistin, nicht infrage. Zeichnen ist die ihm gutgeht. Er war schon tot. Es wird das auch so verstanden, Essenz für mich. Und wird es war ein Albtraum. Mein Zeich- früher gab es manchmal Gegen- immer bleiben.“ nen hat sich nicht verändert. fragen: Was bist du? Gitarristin?“ ■■Coco lebt in , ist Jahrgang Aber ich habe jetzt umso mehr ■■Kittihawk ist Jahrgang 1972, 1982 und arbeitet Vollzeit für Gründe, weiterzuzeichnen.“ wurde geboren in Recklinghau- Charlie Hebdo sowie als Illus­tra­ ■■Nadia Khiari wurde 1973 in sen, studierte Grafikdesign an der torin. Außerdem veranstaltet Tunis geboren, während der Hochschule für Künste Bremen, sie Comicworkshops, zeichnet Revolution 2011 entwickelte sie lebt in Berlin und zeichnet unter im Fernsehen auf Arte („28 Mi- ihre populäre Cartoonfigur Willis anderem für die taz, die Zitty, die nuten“) und in vielen anderen from Tunis, die das gesellschaftli- Titanic und den Spiegel. französischen Medien. che Geschehen kommentiert.

Andreas Prüstel Kriki „Ich zeichne nach wie vor das, „Wie genau sich für mich et- was ich für richtig halte und ver- was geändert hat, weiß ich noch treten kann. Erst einmal habe Eine Frage nicht. Die dunkle Wolke ist wohl ich Mohammed gezeichnet und eher zu einem diffusen Nebel würde auch wieder diese Reizfi- geworden. Damals dachte ich gur abbilden. Aber nicht, um zu bei jedem Klingeln an der Tür provozieren, sondern nur, wenn an die darüber nach, wer wohl davor es der Anlass hergibt.“ stehen könnte, dieses bange Ge- ■■Andreas Prüstel wurde 1951 in fühl ist lange verschwunden.“ Leipzig geboren, veröffentlichte ■■Kriki wurde 1959 im nieder- nach dem Ende der DDR erste Karikaturisten sächsischen Lamstedt geboren, Zeichnungen und lebt heute in lebt seit Langem in Berlin und Berlin, wo er zum Beispiel für den veröffentlicht seine Collagen in Eulenspiegel zeichnet. 22 Zeichner waren an der Karikataz allerlei Medien wie auch der taz. 2016 beteiligt. Für diese Sonderausgabe sollten sie sich auch Klaus Stuttmann selbst porträtieren. Und sie sollten Delucq „Meine Arbeit hat sich seitdem „Meine Art zu zeichnen hat sich eigentlich nicht verändert. Ich uns eine Antwort geben auf die nach den Attentaten null verän- bin schon vorher etwas vor- Frage: „Hat sich für dich und deine dert, ich habe auch keine Angst sichtiger geworden und achte vor Übergriffen. Mir ist aber be- mehr drauf, dass eine Zeich- Arbeit nach den Anschlägen auf wusst geworden, dass ich eine nung eindeutig ist und nicht ‚Charlie Hebdo‘ im vorigen Jahr Lebensart verteidige. Eine Le- missverstanden werden kann. bensart, die den Humor und Die Morde an den Kollegen ver- etwas verändert?“ das Recht auf Abseitigkeit res- deutlichten nur noch mal dras- pektiert.“ tisch, dass es tatsächlich so bru- ■■Xavier Delucq ist Jahrgang tal kommen kann.“ 1970 und lebt bei Paris als ■■Klaus Stuttmann wurde 1949 Zeichner, Musiker und Lehrer. Als geboren, lebt in Berlin und arbei- Delucq veröffentlicht er u. a. in tet für viele, viele Medien. Satire Hebdo und Huffington Post.

Nel Michael Holtschulte Burkhard Fritsche „Meine Arbeit hat sich nicht ge- „Das Bewusstsein um eine akute „Meine Arbeit hat sich nicht ver- ändert. Die Welt aber hat sich Bedrohungslage ist größer ge- ändert. Nur ab und zu bin ich auf weiter und schneller in eine worden, da die Anschläge so die besonderen Gefahren des Richtung bewegt, die mir nichts nah gekommen sind. Dadurch Karikaturistendaseins in allge- Gutes verspricht. Rassismus, Na- macht man sich zum Beispiel meinen Unterhaltungen ange- tionalismus, Hass, Intoleranz, sehr viele Gedanken über Ver- sprochen worden. Niemand hat blinde Wut, keine Stimme der anstaltungen, die früher selbst- mich bedroht oder fiese Mails Vernunft weit und breit. Darf verständlich waren, aber die oder so etwas geschickt.“ die Satire das ignorieren? Also reine Arbeit als Karikaturist hat ■■Burkhard Fritsche wurde 1952 weitermachen, noch geht was.“ sich nicht verändert.“ in Mölln geboren, er wuchs in ■■Nel wurde 1953 im rumäni- ■■Michael Holtschulte wurde Mönchengladbach auf, studierte schen Cluj-Napoca geboren, er 1979 in Herne geboren, lebt in Bildende Kunst in Münster und lebt und arbeitet in Erfurt als Herten und zeichnet quer durch lebt als weltgrößter Nasenzeich- Cartoonist für diverse Medien. den Garten der deutschen Presse. ner für allerlei Medien in Köln.

Ari Plikat Mario Lars Mathias Hühn „Meine Arbeit als Zeichner hat „Ich saß, wie wahrscheinlich „Die Arbeit hat sich für mich sich im vorigen Jahr nicht we- alle anderen, am Tag des An- nicht verändert. Ich habe schon sentlich geändert, auch wenn schlags auch am Zeichentisch. vor Charlie Hebdo keinen Sinn das Thema im Denken etwas Erst wollte ich gar nicht zeich- darin gesehen, einfach nur Mo- mehr präsent ist. Seit ich den- nen. Dann habe ich aber doch hammeds zu zeichnen, sondern ken kann, weiß ich, dass die den Stift in die Hand genom- ich arbeite eher an Karikaturen, Menschenwelt arschlochhaft men. Nur Farbe, die ging nicht die sich direkt mit den Islamis- sein kann. Ich weiß nur oft nicht, an diesem Tag. Meine Farbfi- ten beschäftigen.“ wie ich das mit meinen Mitteln, BU guren waren grau. Nein, meine ■■Mathias Hühn wurde 1968 in meinem Humor darstellen soll.“ Arbeit als Karikaturist hat sich Hanau am Main geboren, kam ■■Ari Plikat wurde 1958 in Lü- sonst nicht verändert.“ nach einem universitären Um- denscheid geboren, ausgebildet ■■Mario Lars wurde 1964 in weg über Freiburg nach Berlin, in Leeds und Dortmund und gilt Mecklenburg-Vorpommern gebo- von wo aus er die Medienwelt als Meister des groben Klotzes. ren, wo er noch immer gern lebt. mit Karikaturen beliefert.

Rattelschneck Beck ©Tom „Ich habe mehr Aufträge gehabt, „Nein.“ „Meine Arbeit hat sich durch die und die Satirezeitschrift Tita- ■■Beck wurde 1958 in Leipzig Anschläge im vergangenen Jahr nic, für die ich auch arbeite, hat geboren, wohin er zu Beginn des nicht verändert. Ich mache sehr mehr Abonnenten. Meine Zeich- 21. Jahrhunderts zurückgekehrt wenig Politkaris. Eher Unterhal- nungen sind besser geworden. ist. Aus der großen weiten Welt tung. Und die Spinner, über die Mein Humor ist noch immer mit zurückgebracht hat er seinen ich mich da lustig mache, sind sehr gut, inhaltlich kamen für sehr speziellen Blick auf die keine eingebildeten Killerarsch- mich neue Aspekte hinzu.“ Eigenheiten des Menschen, der löcher.“ ■■Rattelschneck sind Marcus in seinen feinen Strich einfließt. ■■©Tom wurde 1960 in Säckin- Weimer und Olav Westphalen, Und selbstverständlich seine gen geboren, wuchs in Lörrach beide wurden geboren 1963 in Lakonie, mit der auf unnachahm- auf und lebt in Berlin als Witz- München bzw. Hamburg und liche Weise auch die ihm hier bildchenzeichner des täglichen veröffentlichen vielerorts. gestellte Frage beantwortete. „Touché“ auf der Wahrheit-Seite. Satire DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 03 Alles und noch viel mehr BILANZ Was darf die Satire heute? Was die Karikatur nach „Charlie Hebdo“? Und wo sind eigentlich die ganzen Unterstützer geblieben?

VON HEIKO WERNING allzeitige Lieblingskonjunktion Respekt verdienen und wann sie schen, die in Restaurants saßen Natürlich können satirische Ganz egal. Nur eines geht eben UND VOLKER SURMANN, BERLIN in Großbuchstaben in die Feuil­ nur vorgeschützt sind, um in oder auf ein Konzert gingen. Mittel auch in entgegengesetz­ absolut nicht: mit dem Messer letons zu pressen: aber. Natür­ ihrem Namen zu morden und Müsste man dann nicht auch ter Richtung eingesetzt wer­ oder der Maschinenpistole zu ären sie zu dem Zeit­ lich dürfe Satire alles, aber … mundtot zu machen. Wie will hier nach der Mitschuld der den. Man achte nur auf ent­ antworten. punkt schon be­ muss man denn Witze machen, man einer brutalen Gefühls- Opfer fragen? Müssen die sich sprechende rhetorische Figuren Wenn dies dann aber wie in erdigt gewesen, die die religiöse Gefühle verletzen? travestie wehren, wenn man sie denn unbedingt öffentlich amü­ etwa im Umfeld von Pegida. Die jenem Januar 2015 in Paris doch W Satiriker von Char- Muss man denn immer so pro­ mit zu Recht verletzten Gefüh­ sieren vor den Augen religiöser allerdings stets das Ziel verfol­ geschieht, dann lautet die Frage lie Hebdo hätten sich im Grabe vozieren? len über einen Kamm schert?“ Miesepeter? gen, gegen Schwächere zu tre­ eben nicht, ob die Opfer die Tä­ umgedreht, wenn sie gesehen Selbstverständlich wolle man Selbstverständlich ist nicht ten, und die daher eben keine ter vielleicht provoziert haben hätten, wer da im Januar plötz­ den Anschlag auf Charlie Hebdo Ignorante Vorkämpfer jede Satire oder jede Karika­ Satire im Sinne Tucholskys oder die Satire ihren diskursi­ lich alles „Charlie“ sein wollte. damit nicht rechtfertigen, aber für den Gefühlsrespekt tur gelungen oder künstlerisch sind, sondern schlicht Hetze. ven Charakter durch vorausei­ Dabei war schon der große So­ … – und schon ist sie geschehen, Das sind halt so Fragen. Man wertvoll. Das allerdings hat Es ist eben etwas grundlegend lende Selbstzensur verleugnen lidaritätsmarsch in Paris eine die teilweise Rechtfertigung. Ir­ könnte sie ergänzen um diese: auch nie jemand behauptet, anderes, ob man gegen musli­ solle. Vielmehr lautet die Frage, einzige Spitzenpointe. Da hak­ gendwie haben die Satiriker ja Wer will denn eigentlich ent­ am allerwenigsten tun dies Sa­ mische Flüchtlinge hetzt oder was eigentlich schiefgelaufen ten sich unter dem Banner „“ allen Ernstes die Vertreter etwa Saudi-Arabiens, Russlands und der Türkei unter, um gegen das Attentat auf die Satirezeitung zu protestieren. Zugegeben, in deren Ländern hätte es solche Anschläge auf Kunstschaffende niemals gege­ ben. Weil die schon vorher er­ mordet, von Amts wegen hinge­ richtet oder in irgendein modri­ ges Kerkerloch gesteckt worden wären. Es geht halt nichts über eine umsichtige Prävention.

Sonst chronisch beleidigte Leberwurst übt Solidarität Auch in Deutschland war das Entsetzen groß. Dass sich dabei Politiker und Gruppierungen solidarisch äußerten, die sonst kaum eine Gelegenheit auslas­ sen, gegen Satire zu schimpfen oder zu klagen, muss man viel­ leicht gar nicht so hoch hängen. Natürlich, ein bisschen lustig war das schon, aber man kann eben auch als chronisch belei­ digte Leberwurst, die sonst keine Gelegenheit auslässt, darüber zu jammern, wie gemein hie­ sige Satiriker mit einem selbst, dem Papst oder Nachbars Katze umspringen, dagegen sein, dass diese Leute abgeschlachtet wer­ den. Und selbstverständlich kann man mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen Satire vorgehen, wenn man denn meint, dass das unbedingt nötig ist, und trotz­ dem dagegen sein, dass andere Spaßbremsen versuchen, das­ selbe Ziel mittels Maschinen­ gewehr zu erreichen. Trotzdem ist es unappetitlich, dass die Dresdner Spaziervögel der Pegida sogleich den Terror propagandistisch zur Rechtfer­ tigung ihres Islamhasses ein­ setzten, um die Solidarität mit einer Zeitung zu behaupten, die sie sonst ganz selbstverständ­ lich als Lügenpresse beschrien hätten. Aber andererseits: Dass Deppen sich wie Deppen beneh­ men, ist ja nun mal auch keine Überraschung. Doch auch im Feuilleton müf­ felt es. „Mit dem Islam hättet ihr euch das nicht getraut!“, fleisch­ hauert es traditionsgemäß als Antwort auf jede Satire, die ei­

nen Nerv trifft und dabei skan­ Fritzsche Burkhard Karikatur: dalöserweise nicht den Islam zum Ziel hat. Dass der Vorwurf doch selbst Schuld, wenn der scheiden, welche Gefühle zu tiriker, die im Regelfall ja noch sich über islamofaschistische ist, dass Leute dermaßen fana­ dabei oft schlicht Unsinn ist, Mann mit dem Sturmgewehr Recht und welche zu Unrecht viel mehr Satire doof finden als Tendenzen oder religiöse Dog­ tisiert sind, dass sie nicht nur ihr weil viele der so Angegriffenen plötzlich vor dem Schreibtisch verletzt werden? Christian der gemeine Leser. Satire kann men lustig macht. eigenes Leben für irgendwelche durchaus enem auch schon isla­ steht. Oder, wie FAZ-Mann Chris­ Geyer höchstselbst? Der Mann langweilig und unlustig sein Um sich gegen solche Zu­ ideologischen Wahnvorstellun­ mische Umtriebe zum Ziel ihres tian Geyer es formulierte: „Im hat doch auch so viel anderes zu (schauen Sie mal in die Süddeut- mutungen zu wehren, darf Sa­ gen wegzuwerfen bereit sind, Spotts gemacht haben, sei nur ‚aber‘ zeigt sich der kulturelle tun! Oder umständehalber halt sche Zeitung!). Und schon Kurt tire eben – alles. Nach dem 8. Ja­ sondern auch noch das Dut­ am Rande vermerkt. Doch wäre Vorsprung. Im ‚aber‘ steckt die doch die Autoritäten, die in der Tucholsky beschrieb sie als „ih­ nuar 2015 genauso wie vorher. zender anderer Menschen. Dass es schlimm, wenn ein Satiriker Fähigkeit zur Empathie: das Zu­ Vorstellungswelt der kulturellen rem tiefsten Wesen nach unge­ Das Einzige, was sie wirklich die Gründe hierfür vermutlich sich auf Katholiken, Hundebe­ rückschrecken davor, Gefühle Vorsprungsbewahrer dafür zu­ recht“ (und zwar im selben Text, nicht darf, ist aus Rücksicht auf einiges mit gesellschaftlichen sitzer oder Briefmarkensamm­ zu verletzen. Wer solche Sensi­ ständig sind? Die Kirchen, die dessen berühmte Synthese nach irgendwelche Befindlichkeiten wie globalen Machtstrukturen ler spezialisierte? Macht das den bilität von vornherein unter den Professoren, die FAZ-Redaktion? dem 8. Januar 2015 rauf- und auf gute Witze zu verzichten. zu tun haben, gegen die gerade einzelnen Witz weniger lustig? Verdacht der Feigheit, des Kus­ Dabei ignorieren die Vor­ runterzitiert wurde), denn: „Es jene Satire anspöttelt, von der Darf man erst frei spotten, wenn chens und Wegduckens stellt, kämpfer für den Gefühlsres­ leiden die Gerechten mit den Wehren durch Ignorieren dann gesagt wird, sie verletze man mit einer Mohammed-Ka­ wird es schwer haben, einem pekt geflissentlich, dass die Sa­ Ungerechten.“ oder Internetpetitionen aber respektgebietende Gefühle rikatur seine Lizenz zum Witzeln Aggressor der Freiheitsrechte tiriker keineswegs die einzigen Weil Satire in die Breite zielt, Sprich: Über Satire kann man – das kann man mit einiger Be­ erworben hat? Und gilt die erst, die Stirn zu bieten.“ Opfer der Anschläge vom Ja­ trifft sie immer mehr, als getrof­ streiten. Ganz wunderbar. rechtigung wohl annehmen. wenn sie mit mindestens einer Weshalb es selbstverständ­ nuar waren. Ganz nebenbei hat fen gehören, damit auch ja die Oder man kann sich gegen sie Fatwa belegt wurde? lich viel vernünftiger ist, sich es ja auch noch einige Juden er­ Richtigen darunter sind. Dabei wehren, durch Ignorieren (be­ ■■Volker Surmann und Heiko Mit pietätbedingtem Abstand vorher zu überlegen, welche Ge­ wischt, die in einem koscheren verfolgt sie zudem eine Rich­ währtes Hausrezept!) oder da­ Werning sind Herausgeber des von einigen Wochen krochen fühle Aggressoren der Freiheits­ Supermarkt einkaufen gingen. tung. Sie zielt von unten nach durch, dass man seine gegen­ kürzlich erschienenen Sammel- die großen Relativierer aus ih­ rechte denn so umtreiben, um Und dann gab es ja auch noch oben, sie hinterfragt Gewisshei­ teilige Meinung zum Ausdruck bands: „Ist das jetzt Satire oder ren Löchern (Frankfurter Allge- sie dann ganz sensibel zu um­ am selben Ort von einer glei­ ten und Dogmen, sie bekämpft bringt, mit eigenen Satiren, mit was? Beiträge zur humoristischen meine, Süddeutsche Zeitung, Ta- schiffen. Geyer plädiert für eine chen Tätergruppe im Novem­ heiligen Ernst mit Unernst im wütenden Predigten oder ganz Lage der Nation“ (Satyr Verlag, gesspiegel), um des Deutschen Unterscheidung, „wann Gefühle ber die Anschläge gegen Men­ Dienste der Aufklärung. trendy mit Internetpetitionen. 192 Seiten, 13,90 Euro) 04 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Histoire

VON RUDOLF BALMER, PARIS

harlie Hebdo war nie eine Zeitung wie andere. We- der zu Beginn in den fre- C chen Gründerjahren als satirische Verlängerung der anti­autoritären Revolte des Pa- riser Mai 68 und erst recht nicht nach dem mörderischen An- schlag auf die Freiheit der Ka- rikatur vor einem Jahr am 7. Ja- nuar 2015. Wer das Grundrecht der freien kritischen und spöt- tischen Meinungsäußerung bis an den Rand, und mitunter da- rüber hinaus, auf satirische Art verteidigen will, macht sich Feinde. Die Geschichte von Char- lie Hebdo ist ein permanentes Ringen um die Existenz dieser Konzeption der gesellschafts- kritischen Satire. Wer aber mit solcher an Sadomasochismus grenzenden Vorliebe den fran- zösischen Spießer mit seinen re- aktionären Ideen und seiner se- xuellen Verklemmtheit anpran- gert, muss sich über gehässige Reaktionen nicht wundern.

Die Vorgeschichte Im konservativen Frankreich der sechziger Jahre mutete eine solche publizistische Hal- tung fast suizidär an: Nicht zu- fällig hieß die zunächst mo- natlich gedachte satirische Zei- tung zuerst Hara-Kiri, die von sich selbst behauptete, sie sei „dumm und böse“. 1961 wurde sie erstmals verboten, bei einem zweiten Anlauf 1966 erneut. Doch dann fegte die Jugendbe- wegung des Mai 68 durch das Land, und das Zeichner- und Redaktionsteam um François Cavanna und Choron gründete „Charlie“ als Sprachrohr der se- xuellen Befreiung, des Feminis- mus, des Kampfs gegen die kapi- talistische Konsumgesellschaft mit ihren bürgerlichen Konven- tionen. Die erste Nummer von Charlie Hebdo erschien dann im November 1970, nachdem Hara-Kiri ein letztes Mal wegen eines allzu geschmacklosen Ti- telblatts anlässlich des Todes von General de Gaulle verbo- ten worden war. Delucq Karikatur: Charlie machte im selben Stil weiter. Vor allem nach dem 11. September 2001 geriet nicht nur der islamistische Terroris- mus, sondern darüber hinaus Mit Kalaschnikows gegen Bleistifte der religiöse Fundamentalis- mus vermehrt ins Zentrum sei- 7. JANUAR 2015 Was geschah am Tag des Anschlags auf „Charlie Hebdo“? Was in den Tagen danach? Und was ner bissigen Satire. Es war selbst- verständlich, dass aus provokati- ist die Vorgeschichte des mörderischen Attentats auf die Meinungsfreiheit? Eine Chronologie der Ereignisse ver Solidarität die umstrittenen dänischen Mohammed-Karika- nuar wie jeden Mittwochmor- stoisch sitzen bleiben, während töten. Diese Szenen sind von ei- Noch während der Flucht von Frankreichs und der Welt Men- turen von Jyllands-Posten zu- gen die Redaktionskonferenz sie exekutiert werden. nem gegenüber liegenden Ge- Saïd und Chérif Kouachi verübte schen auf die Straße, um un- sammen mit eigenen Zeichnun- angesetzt, zudem hat der Kari- Besonders abgesehen haben bäude gefilmt worden, wo eine ein dritter Terrorist einen bluti- ter dem Slogan „Je suis Char- gen im selben Stil abgedruckt katurist Geburtstag. es die Terroristen auf den Chef- Fernsehfirma untergebracht ist. gen Abschlag in dem jüdischen lie“ die Freiheit der Satire und wurden. Das trug den Heraus­ Das sind Informationen, redakteur „“ (Stéphane Später rammen die Flüchten- Geschäft Hyper Casher am süd- der Presse zu verteidigen. Zahl- gebern eine Klage des Vorste- über die die beiden Attentäter Charbonnier), den sie am Bo- den ein Fahrzeug, sie lassen ih- östlichen Stadtrand von Paris. reiche ausländische Staats- und hers der Großen Moschee von Chérif und Saïd Kouachi ver- den liegend töten. Außer ihm ren Citroën stehen und zwingen kennt die Brü- Regierungschefs, unter ihnen Paris und der Integristen der fügen. Doch unten beim Haus- sind die Zeichner George Wolin- einen Autofahrer, ihnen seinen der Kouachi und stand in Kon- Bundeskanzlerin Angela Mer- Union des Organisations Isla- eingang gibt ihnen kein Schild ski, (Jean Cabut) Tignous Renault Clio zu überlassen. Ihre takt mit ihnen bei der Vorbe- kel, reisen nach Paris. Nicht alle miques de France (UOIF) ein, einen Hinweis auf den richti- (Bernard Verlhac) und Philippe Flucht ist überstürzt. Die Polizei reitung, er gibt in einem Anruf in Frankreich wollen sich jedoch die 2007 vor Gericht mit einem gen Eingang. Zuerst gehen sie, Honoré und als weitere Redak- ist ihnen auf den Fersen. beim Sender BFMTV aber auch so vorbehaltlos solidarisieren. Freispruch zugunsten der Pres- vermummt und mit ihren Ka- tionsmitglieder der Ökonom Am nächsten Tag tauchen sie an, im Namen der Terrormiliz Eine gewisse Malaise ist spürbar sefreiheit endete. In der Nacht laschnikows schwer bewaffnet, , die Psychoana- bei einer Tankstelle im Norden „Islamischer Staat“ zu handeln. bei einem Teil der Muslime, die zum 2. November 2011, am Tag ins falsche Treppenhaus. Ein tra- lytikerin , der Korrek- von Paris auf, wo sie mit vorge- Charlie Hebdo die spöttischen vor dem Erscheinen einer Son- gischer Zufall will, dass in die- tor Mustapha Ourrad und der haltener Waffe Benzin und et- Mobilisierung der Massen Seitenhiebe auf ihren Prophe- dernummer mit dem spötti- sem Moment die Zeichnerin Journalist Michel Renaud sowie was Essen stehlen. Die ganze Coulibaly hat gleich zu Beginn ten nicht verziehen haben. schen Wortspiel „Charia Hebdo“ Coco eintrifft. Unter Waffen- der Hauswart Frédéric Boisseau Gegend wird bereits abgesperrt. seiner Aktion vier Männer er- Charlie Hebdo ist ein Märty­ als Titel, wurde die Redaktion drohung wird sie von den bei- und der Leibwächter Brinsolaro Noch einmal gelingt es ihnen, schossen; als die Polizei schließ- rer­symbol der freien Mei- durch einen Brandanschlag den Französisch sprechenden tot. Der Kolumnist Patrick Pel- sich zu verstecken. Am Freitag lich das Geschäft stürmt, in dem nungsäußerung geworden. verwüstet. Gleichzeitig gab es Männern gezwungen, den Zah- loux, der kurz nach der Schie- rauben sie erneut einer Auto- er das Personal und zahlreiche Eine Woche nach dem Atten- Hackerangriffe aus der Türkei. lencode zur Türöffnung einzu- ßerei eintrifft, versucht erfolg- fahrerin den Wagen, schließ- Kunden als Geiseln hält, wird tat erscheint eine Sondernum- Neue Drohungen kamen, als ein geben. Sie wird verschont. Auf los mehrere seiner Kollegen zu lich endet ihre ziellose Flucht er ebenfalls getötet. Erst da- mer in einer Großauflage von Spezialheft mit einer Comic-Bio- ihrem Weg in die Charlie-Re- retten. Trotz seiner beruflichen in einer Druckerei in Dammar- nach stellt sich heraus, dass er sieben Millionen Exemplaren. grafie des Propheten Moham- daktion schießen die Terroris- Erfahrung als Notfallarzt ist er tin-en-Goële, wo sie den Inha- am Tag vor der blutigen Gei- Das Cover zeigt die Karikatur med publiziert wurde. ten den Hauswart nieder. nachhaltig geschockt. ber als Geisel nehmen. Nach ei- selnahme im Hyper Casher im eines weinenden Mohammed Niemand hindert sie daran, nem ersten Schusswechsel am Vorort Mont­rouge auf zwei Po- unter der Überschrift „Tout est Der Anschlag am 7. Januar ins Haus einzudringen. Die An- Blutbad im Supermarkt Vormittag stürmt eine Sonder- lizeibeamte geschossen und da- pardonné“ (“Alles ist vergeben“). Die Risiken waren bekannt, wesenden sind überrascht, als Auf ihrer Flucht eröffnen die einheit der Polizei das Gebäude, bei eine Verkehrspolizistin ge- Intern wird heftig über die Linie die Redaktion stand seit dem die ersten Schüsse fallen, auch Attentäter zuerst das Feuer auf die Brüder Kouachi, die versu- tötet hatte. Es wird vermutet, debattiert. Eine Welle von Spen- Brandanschlag (mehr oder we- der Leibwächter Franck Brinso- einen Streifenwagen der Poli- chen, sich den Weg frei zu schie- dass Coulibaly ursprünglich ei- den und der sprunghafte An- niger permanent) unter Polizei- laro kann nichts mehr ausrich- zei, die bereits alarmiert wor- ßen, werden getötet. Später be- nen Anschlag auf eine jüdische stieg der Abonnements garan- schutz. Trotzdem war es nicht ten, die Brüder Kouachi rufen den war, danach schießen sie kennt sich der jemenitische Schule geplant hatte und sich tieren der Zeitung, die vorher kompliziert, die neue Adresse „Allahu akbar“ und schießen auf den Polizisten Ahmed Me- Zweig der Terrororganisation al- verfolgt fühlte. Die Polizistin am Rande des Bankrotts stand, von Charlie Hebdo in einer ru- systematisch auf die Anwesen- rabet, der auf dem Fahrrad ein- Qaida zum Anschlag auf Charlie und ihr Kollege waren zufällig auf Jahre hinaus das Erscheinen. higen Straße im 11. Arrondisse- den, die meist vergeblich unter trifft. Einer der beiden Kouachi- Hebdo, der von der Weltöffent- wegen eines Unfalls dort. ment ausfindig zu machen. Im dem Tisch oder im angrenzen- Brüder steigt aus dem Auto aus, lichkeit als Angriff auf die Pres- Am folgenden Sonntag ­gehen ■■Rudolf Balmer ist Frankreich- zweiten Stock ist an diesem 7. Ja- den Raum Schutz suchen oder um den verletzten Beamten zu sefreiheit verurteilt wird. in Paris und in vielen Städten Korrespondent der taz. Visite DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 05

VON HARRIET WOLFF, PARIS noch so piefige Einkaufsstraße zelte jüngst der amtierende suis Charlie“ produziert (siehe trotzig knallbunt leuchtet und Chefredakteur Gérard Biard. Kritik S. 12). Sie waren die Einzi- enn man Coco per verwegen blinkt. Zahlen aller- „Aber es haut einfach nicht hin.“ gen, die kurz nach dem Attentat Mail eine Frage dings gibt es – und Anzeichen Wie wird sich also die Mach- in den temporären Redaktions- stellt, antwortet sie dafür, dass die Stimmung in der art des Magazins entwickeln? räumen bei der Tageszeitung W mit einer Zeich- Redaktion momentan nicht die „Charlie wird durch diese Tra- Libération drehen durften. Im nung. Auf die erste Frage am beste ist. Lag die verkaufte Auf- gödie definitiv weiblicher“, sagt stärksten Filmmoment kommt Telefon antwortet Delucq: „Tref- lage Ende 2014 bei zirka 30.000 Catherine Beaunez, 61, eine zier- eine Menschengruppe fünf Tage fen wir uns bei McDonald’s am Stück, so meldet der Verlag liche Grande Dame der franzö- nach dem Attentat zusammen, Stade de France. Ein guter Ort, zur Zeit eine Verbreitung von sischen, feministischen Karika- arbeitet weiter und mittendrin um über Charlie zu reden. Über 250.000, was aber nichts über tur. Ihre wachen Augen umspielt macht einer den Kasper. Anschläge und ihre Folgen.“ den tatsächlichen Erlös aus- ein gescheites Lächeln. „Frank- Zurück zu Delucq, dem Zeich- Coco und Delucq. Beide zeich- sagt. Rund 12 Millionen Euro reich ist seit eh und je ein Land ner. Er schaut erneut auf die nen Cartoons und Comics in Überschuss kamen durch die Meeresblick mit des Katholizismus und des Ma- Straße, hier bei McDonald’s Paris. Die eine als Redakteu- weltweit verkaufte Nummer chismus. Und Charlie, das war nahe dem Stade de France, er hat rin bei Charlie Hebdo, der an- nach dem Attentat zusammen, oft Machismus pur. Jetzt haben sich noch einen Kaffee schwarz dere ist hauptberuflich Lehrer. dazu noch etwa 4,3 Millionen Frauen dort mehr Raum, sich geholt. Delucq hat keine Trä- „Zeichnen heißt für mich Ab- Euro, die 36.000 Menschen aus Sehschlitzen auszudrücken.“ nen in den Augen, aber sein stand nehmen“, sagt Delucq. 84 Ländern für die Hinterblie- Richtig viele Frauen sind es Blick ist nahe am Wasser gebaut. Er ist wortkarg, unprätentiös, benen spendeten. Welche Hin- aber immer noch nicht: die ex- „Die Mörder von Charlie haben leise. Delucq rührt seinen Kaf- terbliebenen? Einige Angehö- Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ trem produktive Coco und die ganze Arbeit geleistet. Sie haben fee um, dann schaut er durch die rige der Charlie-Opfer wollen, Zeichnerin Catherine Meurisse, nicht nur die überall in Frank- Scheibe auf jene graue Durch- dass das Geld nur unter ihnen hat ein neues Haus bezogen und 35, die bis zur Ermordung der reich bekannten, anarchischen gangsstraße in der Pariser Vor- aufgeteilt wird und nicht unter schottet sich von der Außenwelt ab. Psychologin und Charlie-Mitar- Senior-Stars der Zeichnung er- stadt von Saint-Denis. Draußen allen, die Nahestehende in der beiterin Elsa Cayat auch deren ledigt. Sie haben auch auf einen wirbt Lancôme für einen Duft Anschlagsserie verloren haben. Auf der Suche nach dem Innenleben Kolumnen dort illustriert hatte. Schlag ein historisch geprägtes namens „La vie est belle“. Mittlerweile ist vom Justizmi- Nicht zu vergessen Zineb El Rha- Gefühl von Laisser-faire umge- Delucq, 45, ist ein guter Be- nisterium in der Angelegenheit einer traumatisierten Satirezeitung zoui, 33, die über religiöse The- bracht. Der Mai 1968 von Paris kannter von Coco. Er hat sie ein Weisenrat einberufen wor- men schreibt, aber im Clinch ist im Januar 2015 ebendort bru- seit dem Anschlag auf Char- den, die Auszahlung kann sich mit der Direktion liegt. Beau- tal zu Ende gegangen.“ lie fast nicht mehr gesehen, ei- hinziehen. nez selbst veröffentlicht hin und Maryse Wolinski, 72, nickt. nige Male haben sie kurz tele- Auch über die Verfasstheit wieder in Charlie: „Früher ging Sie ist gerade umgezogen, in foniert. „Coco war immer schon der Redaktion gibt es Diffe- es mir meist zu brachial zu. Ich eine lichte, moderne Wohnung umtriebig. Jetzt frage ich mich, renzen. Derzeit hält , der hab’s einfach nicht so mit gewal- „mit ganz viel Himmelblick“. wann sie schläft.“ Coco, 33, hat 49-jährige Redaktionsdirektor tiger Egozentrik.“ Madame ist filigran und zer- eine kleine Tochter, am 7. Januar und Zeichner, 70 Prozent An- Neue Kreative zu finden war brechlich, traurig und unver- 2015 will sie zum Kindergarten, teile der Zeitung. Finanzdirek- schwierig in den letzten Mona- zagt zugleich. Fast 50 Jahre war als sie von den Kouachi-Brüdern tor Eric Portheault gehören 30 ten. Nur wenige wollen noch für die Pariserin mit dem Zeich- im Treppenhaus mit Kalasch- Prozent. Davor erwarben die Charlie zeichnen oder schrei- ner Wolinski, oder kurz Wolin, nikows bedroht wird. Coco gibt beiden von den Hinterbliebe- ben. Riss drückt es in wie sie ihn bei Charlie nannten, den Code für die damalige Re- nen des Chefredakteurs Charb so aus: „Nachwuchskräfte fra- verheiratet. „Ich weiß gar nicht, daktionsetage ein. 40 Prozent. Der Zeichner Luz, gen jetzt: Muss ich auf die Re- ob ich ihm an diesem Morgen Heute gleichen die neuen, der zu spät am 7. Januar kam, daktionskonferenz? Kann ich einen Abschiedskuss gegeben fast 400 Quadratmeter großen hatte abgewunken, Charbs An- unter Pseudonym veröffentli- habe.“ Heute erscheint von ihr Räume im 13. Arrondissement, teil zu übernehmen. Luz plä- chen? Oder sie meinen gleich: „Chérie, je vais à Charlie“ (Edi- die die Stadt Paris vermietet, diert, wie auch der Exkolumnist Schauen wir mal in einem hal- tions Seuil). Es waren Georges einem Hochsicherheitsgefäng- oder die Journa- ben Jahr.“ Doch nicht nur Ha- letzte Worte, die ihr im Gedächt- nis, einem Bunker über Tage. listin , für we- senfüßigkeit ist ein Grund für nis haften geblieben sind. Ap- Seit Ende September produziert niger Hierarchie in der Redak- die schleppende Rekrutierung – ropos haften: Maryse Wolinski Charlie dort. Wie es sich an je- tion: Charlie als Kooperative, in es gibt schlicht nicht mehr viele hat aus der alten Wohnung am nem Ort arbeitet, wie man in ei- der das Team eine Aktionärsge- gute und willige Pressezeich- Boulevard Saint-Germain auch nem solchen Zwangsbau kreativ meinschaft bildet und nicht wie ner in Frankreich. Die meisten eine kleine Kiste voll zitronen- sein kann? Es gibt einen Cartoon jetzt, da das Blatt im Besitz von Künstler machen lieber besser gelber Haftzettelchen mitge- von Coco, in dem just jenes Ge- wenigen Männern ist, die eng bezahlte und planbare BD, ban- nommen, Hunderte persönliche bäude aussieht wie eine Burka mit ihm verbunden sind. des dessinées, oft opulente Co- Posties von Wolinski, die meis- mit Sehschlitzen. Darüber steht Luz hat sein facettenreiches micbände, die im Land hohen ten voller Zugetanheit. „Als ich „Vue sur mer“. Trauma in dem anrührenden Stellenwert besitzen. in die neuen, leeren Räume kam, Derzeit lässt sich der „Meer- Comicbuch „Katharsis“ (S. Fi- „Es war ein Scheißjahr für dachte ich, wenn ich die Zettel blick“ nicht vor Ort beurteilen scher Verlag) aufgezeichnet. die Überlebenden“, sagt Em- an die Wand klebe, bin ich wie- – Externe dürfen das Gebäude Er ist weggegangen von Char- manuel Leconte. „Doch sind sie der zu Hause. Aber das ist vor- nicht betreten, Mitarbeiter sol- lie, Pelloux ebenso. Der hatte starke Persönlichkeiten. Oder bei. Es gibt kein Zuhause mehr.“ len eigentlich keinen Kontakt zu schon bald nach dem Verkaufs- sie sind es geworden.“ Emma- Journalisten aufnehmen. Coco erfolg gewarnt: „Die Millionen nuel hat zusammen mit sei- ■■Harriet Wolff ist Wahrheit- schreibt in einer Mail an die sind ein Albtraum – die kön- nem Vater Daniel, die Doku „Je Redakteurin der taz taz: „Sagt mir einfach, was ich nen uns töten.“ Ob die Aktie zeichnen soll, dann mache ich Charlie auch dauerhaft ihren das. Ansonsten habe ich keine hohen Kurs hält, wird zu beob- Zeit und keine Ruhe.“ Was sie achten sein. Bleiben die jünge- gezeichnet hat, steht auf dieser ren Leser, die vor dem Anschlag Schluss mit Laisser-faire Seite, und es ist ganz anders ge- das Blatt kaum mehr wahrnah- worden als vorgeschlagen. Es ist men? Bleiben sich solidarisch „Die Mörder von ,Charlie‘ haben ein Fries aus Paris. Ein Fries zum zeigende Intellektuelle und was ganze Arbeit geleistet. Der Mai 1968 Weinen. Zum Lachen auch. dafür durchgeht, als Abonnen- Die Spurensuche nach dem ten erhalten? Sicherlich bleiben von Paris ist im Januar 2015 Innenleben von Charlie, sie ist wird Charlie der Islamismus – mühsam an jenen jours des „wir hatten schon überlegt, nur ebendort brutal zu Ende gegangen“ fêtes, an welchen in Paris jede noch Sarkozy zu machen“, wit- ZEICHNER XAVIER DELUCQ Karikatur: Coco Karikatur: 06 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Heimbesuch „Wir Cartoonisten sind auch Profiteure des Anschlags“ TIL METTE Der „Stern“-Cartoonist und Mitgründer der taz.bremen über Pressefreiheit, religiöse Provokationen und türkische Fans

INTERVIEW JAN KAHLCKE das oder darf man das nicht? Wir eine Zeit, in der man dachte: Ist eine Sprengkraft in einer Zeich- zu Islamthemen bei Facebook niger bei den Christen; die Ka- sind wichtiger geworden. die Karikatur so ein bisschen alt- nung liegen kann. Blöderweise poste, posten viele Türken sie tholiken berufen sich gelegent- taz: Til Mette, wie erinnerst du Der Terror hat den Cartoonis- backen, von gestern? Macht man liegt diese Sprengkraft in erster weiter. Die finden das witzig. lich darauf – aber die Muslime dich an den 7. Januar 2015? ten geholfen? das heute nicht anders? Linie bei denen, die nicht viel im Ich vermute, die haben sich haben das Wort hoffähig ge- Til Mette: Ich weiß noch genau, Wir sind nicht nur Opfer, son- Ab wann hat sich das geändert? Kopf haben. Sehr aufgeregt ha- gefreut, dass wir ihre Themen macht. Das ist eine Forderung wie ich am Morgen von dem An- dern auch Profiteure des An- 2005, als die dänischen Bot- ben sich ja Leute, die nicht lesen ernst nehmen – also muslimi- an uns, dass wir Rücksicht neh- schlag auf Charlie Hebdo hörte. schlags. Die Karikatur hatte eine schaften wegen der Moham- und schreiben können und nur sche Alltagsthemen wie Schäch- men müssten auf religiöse Ge- Ich war total geschockt. Ich habe schwere Zeit ab den 90er Jahren, med-Karikaturen angegriffen das Bild gesehen haben. ten, Kopftuch, türkische Frauen- fühle. Das halte ich für eine dann eine Zeichnung mit Mo- weil viele Leute mit komischem wurden, gab es wieder einen Zum Thema deiner Karikatu- karrieren uns so was. Die wer- Maßlosigkeit, auf die wir uns hammed gemacht, als Rache. Talent damals zum Fernsehen medialen Fokus auf uns. Da ha- ren ist der Islam erst durch den den oft sogar ins Türkische aus Prinzip nicht einlassen dür- Aber man merkte, dass die mit abgewandert sind. Da gab es ben viele Leute gesehen, was für Terror geworden. übersetzt. fen. Dem müssen wir entgegen- Gift gemacht war. Solche Zeich- Bei mir war diese Lust an der re- Warum kann die Karikatur so treten und sagen: Nein, du bist nungen funktionieren einfach ligiösen Provokation mit dem Is- furchtbar wehtun, viel mehr nicht im Recht. Das ist kein Be- nicht. Ich mache ja keine Agit- lam nicht da, weil ich die als Le- als ein Text? griff, der im Presserecht oder propzeichnungen. Meine Zeich- sergruppe ja gar nicht hatte. Bei Der Text wird nur über das Ko- im bürgerlichen Recht existiert. nungen sollen unterhalten, sie jeder Zeichnung muss ich daran gnitive wahrgenommen, die Das gibt’s nicht. Das zu lernen sollen komisch sein – und sie denken, dass die Stern-Leser das Zeichnung auch sinnlich, weil ja gehört meiner Ansicht nach zur sollen Themen behandeln, die verstehen müssen. Die religiö- eine Stimmung dargestellt wird. Integration. Das muss man den man schwer besprechen kann, sen Themen des Islam haben Ich erreiche einen Menschen da- Leuten klar sagen: Wir haben ein weil sie zu komplex sind. Aber ja lange in den normalen Le- mit auf einer viel größeren An- Verständnis von Pressefreiheit, jetzt Mohammed zu karikieren sehaushalten gar keine Rolle griffsfläche. Das geht direkt un- das wir verteidigen werden. – ich weiß nicht. gespielt. Mittlerweile sind diese ter die Haut. Ich spreche ihn ja Das klingt, als wärst du persön- Überlegst du zweimal, wie weit Themen natürlich da. nicht rational an, sondern emo- lich angefasst … du gehen kannst? Erst seit dem Anschlag auf tional. Ich lache ja nicht, weil ich Ich bin ja in den achtziger Jahren Nein. Ich weiß nicht, ob das Charlie Hebdo? was verstanden habe, sondern Mitgründer der taz in Bremen eine unterbewusste Schere im Nein, das kam schon durch 9/11. weil es ein Reflex ist, den ich gewesen. In meiner Biografie Kopf ist, aber mir ist dazu nie Ich habe das sehr unmittelbar gar nicht steuern kann, wenn es spielt das Engagement für eine was Komisches eingefallen. mitbekommen, weil ich damals wirklich witzig ist. Am Schöns- freie Presse eine zentrale Rolle. Manche Leute haben dazu ja in New York gelebt habe. Vorher ten ist es, wenn ich mich selber Ich weiß noch, wie trutschig großartig komische Sachen ge- war der Islam gar kein Thema. beim Lachen ertappe, obwohl die Presse in den siebziger Jah- macht. Was hatte man damit zu tun? ich gar nicht lachen darf. ren war, wie sie im Deutschen Und sind die Redaktionen mit Und dann kam diese Pervertie- Wenn man sich hinterher da- Herbst Gewehr bei Fuß gestan- Karikaturen vorsichtiger ge- rung der Religion. Hatte ich vor- für schämt … den hat, als Schmidt die Ge- worden? her von 72 Jungfrauen gehört? Das ist die Königsdisziplin, schütze gegen die RAF auffuhr. Nein. Ich habe in meiner ganzen Hatte ich gehört, bevor man ins wenn du Leute da abholst, dass In der Zeit ist ja das Interesse Karriere überhaupt nie Zensur Paradies kommt, muss man die sie über was lachen, worüber sie entstanden, eine andere Presse erlebt. Aber ich weiß von Debat- Körperhaare abrasieren? Das gar nicht lachen dürfen. Das ir- zu machen, eine Presse von un- ten über andere Zeichner, wo die hätte ich doch alles für einen ritiert sie, und da reagieren sie ten. Dass die heute etabliert ist, Chefredaktion lange diskutiert Witz gehalten. Das sind Sachen, natürlich dann auch nicht ra­tio­ ist eine andere Sache, aber ich und die Zeichnungen schließ- die habe ich zum ersten Mal nal, sondern emotional. betrachte das für meine Genera- lich zugelassen hat. Das wäre nach 9/11 gehört. Das gehört Das funktioniert mit der Re- tion als Lebensleistung, dass wir früher handstreichartig abge- noch zur jüngsten Geschichte. ligion immer besonders gut, es geschafft haben, uns eman- lehnt worden, ohne Diskussion. Was für Reaktionen kennst du, oder? zipatorisch einzumischen – per Das ist auch eine Form des Re- wenn du Muslime karikierst? Ja, das ist eigentlich traditionel- Gegenöffentlichkeit; dazu ge- spekts, den der Anschlag auf Ich bin nur einmal auf Face- les Handwerk. Die aktuelle Dy- hören für mich auch der Stern Charlie Hebdo auf eine tragisch- book angepöbelt worden, von namik entsteht erst durch die und der Spiegel. Diese Errungen- komische Art erzeugt hat – dass einem türkischstämmigen Ro- relativ neue Denkfigur der Ver- schaft werde ich zeitlebens ver-

man darüber redet: Darf man : Till Mette Karikatur cker. Wenn ich Zeichnungen letzung religiöser Gefühle. We- teidigen. „Ich fahre eine Art Menschheitsekel“ RALF KÖNIG Der prominente Kölner Zeichner erinnert sich an seine Reaktion auf den Pariser Anschlag vor einem Jahr – und an die Berichte darüber taz: Herr König, was haben Sie nicht, dass es sich um das Sati- auch gedruckt. Ich kann leider Nur einen von diesen zehn Sie haben auch zum Islam ge- wenn’s um Religion geht. Ich vor einem Jahr bei dem Atten- reblatt handelte. kein Französisch, darum war Jahre alten Cartoons. Mein zeichnet. habe mich fünf Jahre mit Gott tat auf Charlie Hebdo empfun- Sie hatten ja selbst schon für mir zehn Jahre später „Charlie Agent drehte daraufhin am Ja, diese Cartoons und vor al- beschäftigt, aber nun hab ich den? diese Zeitschrift gezeichnet. Hebdo“ erst mal kein Begriff. Rad und verlangte von mir, dass lem in dem Buch „Dschinn keine Lust mehr. Ich war nie Ralf König: Ich war erschüttert, Ja, aber das war zehn Jahre her, Und was passierte dann? ich das Posting lösche. Wir ha- Dschinn“, das war auch 2005. gläubig, so wichtig ist es mir wie immer bei Terror. Ich war als die dänischen Mohammed- Es dauerte nicht lange, bis das ben uns am Telefon regelrecht ‚Den Islam‘ hatte ich aber gar ohnehin nicht. mit einem Kollegen in der Mit- Karikaturen für Aufregung sorg- Telefon klingelte. Bei mir di- angebrüllt, sehr stressig, und nicht gemeint. Damals stand Af- In den USA hieß es nach den tagspause in einem Lokal, und ten. Da hatte ich ein paar Car- rekt waren’s der WDR, also Ra- schließlich drückte ich ent- ghanistan im Visier der Medien, Morden an Charlie-Hebdo-Kol- da liefen diese Bilder über einen toons zum Thema Satirefrei- dio, und eine bayrische Tages- nervt die Löschtaste. Dadurch ich sah nur immer diese bärti- legen, diese hätten auch ein Monitor. Ich begriff zunächst heit gezeichnet, die wurden da zeitung. Bei meinem Agenten war die Aufmerksamkeit natür- gen Taliban und ihre absurden bisschen selbst schuld gehabt. allerdings stand das Telefon lich noch viel höher. Prompt ti- Gesetze, keine Musik, kein Fuß- Was sagen Sie? nicht still, zwei Dutzend Anfra- telte der Berliner Tagesspiegel: ball, Frauen unter der Burka, das Nicht nur in den USA, das hörte gen von allen Medien, Fernse- „Ralf König zieht kontroversen hatte für mich damals noch ko- man hier auch. Erbärmliches Ar- hen, Bild-Zeitung, Talkshows, Cartoon zurück!“, was in den Ta- misches Potenzial, heute nicht gument. Damals bei den däni- alle wollten mit mir reden. Das gen, als alle mutig Charlie wa- mehr wirklich. schen Karikaturen gab es diese hat mich sehr überrumpelt. ren, natürlich fatal rüberkam. Wer macht Ihnen mehr Angst: Debatten sehr schnell. Weshalb? Was hat Ihren Agenten bewegt? Terroristen, die sich auf den Is- Nach „Charlie Hebdo“ war das Ich war wohl der religionskriti- Na ja, er hatte Angst vor Nachah- lam berufen, oder die, die jetzt zunächst nicht so. Erst nach sche Zeichner im Land, weil ich mungstätern. Er meinte, wenn vorsichtig werden und selbst der großen Solidaritätswelle ein paar Bücher zum Thema ge- ich jetzt als Karikaturist in allen Kritik an Talibanischem ge- ging es um die Schuldfrage. zeichnet habe. Aber mein Agent Blättern präsent bin, könnte ir- mieden haben möchten. Aber mit den neuen Anschlä- Morgen in der taz kannte einige der Pariser Opfer gendein Irrer auf Gedanken Beide, beide. Ich vermisse die gen in Paris hat sich das erle- persönlich und war verständ- kommen … Das ist ja leider auch religiöse Gelassenheit der 80er digt. Die Leute, die diesmal er- licherweise sehr aufgeregt. Er nicht so ganz von der Hand zu Jahre. Inzwischen hab auch ich schossen wurden, haben keine Frieden und Wahrheit für Kolumbien beschwor mich quasi, dass ich weisen. Er wollte, dass ich mich ein beklommenes Gefühl, wenn Mohammeds gezeich- Maurice Lemoine über den Dialog mit Südamerikas mich jetzt nicht in die erste da jetzt bedeckt halte und mal ich die viele Flücht- net. Es kann jeden ältester Guerilla Reihe stelle und allen Medien die anderen machen lasse. Da- linge sehe, die zu uns treffen. Und nun? Interviews gebe. bei hatte ich gar keine Idee zu kommen, und Sorge, Ich bewundere die Eine finanzpolitische Zeitbombe Vor zehn Jahren nahmen Sie einem neuen Cartoon, ich war wie sich das womög- wenigen, die wei- Frédéric Lemaire und Dominique Plihon über die geplante aber Stellung zu der wüsten viel zu niedergeschlagen. Ich lich auswirkt. Ande- ter zu dem Thema Kapitalmarktunion der EU Kritik an den dänischen Mo- hab mich dann ein paar Tage rerseits kann man die zeichnen, Bücher Aufruhr in Südkorea hammed-Karikaturen. komplett zurückgezogen. Menschen nicht vor den schreiben, Filme dre- Ja, mit Karikaturen, nicht mit In- Hat es sich gelohnt? Grenzen erfrieren las- hen. Wie Kurt Westerg- Sung Ilkwon über gute Gründe, auf die Straße terviews. In Deutschland war ich Ich bekam immerhin mit, wie sen, da finde ich Merkels aard, der dänische Zeich- zu gehen damals so ziemlich der einzige die Medien drauf sind, das hat Politik richtig. Es ist schwer, ner, der Jahre nach den Diplomatie in Zeiten des Krieges Zeichner, der das tat. Ich sah im mir als Schnupperkurs gereicht. sich eindeutig zu positio- Unruhen um die Mo- Iwan Maiskis Aufzeichnungen aus den Jahren 1937 bis 1943 TV, wie der Mob tobte und Bot- Bei Zeit Online in der Quizab- nieren, ich will das auch hammed-Bilder fast schaften brannten und Men- teilung stand die Frage: „Wer gar nicht. mit einer Axt in seinem Isle de Jean Charles, Louisiana schen starben, wegen Karikatu- zog nach dem Terroranschlag Wofür plädieren Sie? Haus gekillt wurde! Im Elizabeth Rush über ein Feuchtgebiet im Klimawandel ren! Da fühlte ich quasi meine auf Charlie Hebdo seinen Car- Nicht sofort für jede Moment sage ich: Lasst Zunft getroffen. Ich war sehr toon zur Pressefreiheit zurück?“ Meinungsäußerung mich alle in Ruhe. Re- wütend damals, setzte mich Und darunter gab es drei Namen als extrem rechts ligion, Politik, Medien, spontan hin und zeichnete. zum Ankreuzen: Ernst Kahl, Wal- oder links abge- König : Ralf Karikatur ich fahre seitdem so Unbedingt hören unter Diesmal, nach „Charlie Hebdo“, ter Moers, Ralf König. Da wur- stempelt zu wer- eine Art Menschheits- war ich nicht wütend, ich war den zwei Tage vorher in Paris den. Mehr Ge- ekel! Für einen Hu- nur entsetzt und traurig. Zeichner erschossen, und schon lassenheit. Man moristen ist das monde-diplomatique.de Bei Facebook posteten sie dar- ist man eine blöde Quizfrage! ist ja schnell im nicht lustig. INTERVIEW aufhin eine Zeichnung … Widerlich. ­Shitstorm, gerade JAN FEDDERSEN Heimbesuch DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 07 Tun und lassen, was sie will NADIA KHIARI Die tunesische Zeichnerin hat Wahlen. Er sagt: „Ich habe euch heute noch, die Wahlen seien verstanden.“ Es glaubt ihm kei- Ende 2011 zu früh gekommen. in der Arabischen Revolution ihre Figur ner. Am nächsten Tag wird er Willis from Tunis ist aus der Willis von Tunis gefunden – und beim nach Saudi-Arabien flüchten. tunesischen Revolution gebo- Nadia Khiari schaut sich die ren. Im Internet und in Magazi- Anschlag auf Charlie Hebdo mit Tignous Rede im Fernsehen an. Es ist nen kommentiert die Katze seit beides: beängstigend und zum fünf Jahren den sozialen und einen guten Freund verloren Totlachen. Diese Situation in- politischen Alltag der jungen spiriert sie. Ihre Katze Willis Demokratie. Nadia kritisiert die AUS TUNIS SANDRO LUTYENSS in La Marsa. Sie ist seit ein paar macht es sich in ihrem Atelier Islamisten und die neue Regie- Jahren wieder in Tunesien. Sie gemütlich. Sie zeichnet Ben rung gleichermaßen und hält Es ist das Jahr 1973. Tahar Khi- lehrt wieder Kunst und ist mei- Ali als Katze, die einer Menge sich von Politikern und Parteien Rapé Karikatur: ari hat etwas Wertvolles verlo- lenweit vom Erfolg entfernt. Als Mäuse sagt: „Ich habe euch ver- fern. Als die Weltbank sie für ein ren, und weil er abergläubisch sie einem Verlag ihre Zeichnun- standen.“ Nadia signiert „Willis Marketingprojekt unter Vertrag ist, sucht er eine Hellseherin auf. gen vorgeschlagen hat, meinte from Tunis“, weil es sich reimt nehmen möchte, sagt sie ab. Sie Auf seine einfache Frage gibt sie der Verantwortliche, „das in- und veröffentlicht ihre Zeich- arbeitet weiter als Lehrerin, um Pass auf dich auf! ihm die Antwort, die er sich er- teressiert niemanden in Tu- nung im Netz. Für Ben Ali ist es als Karikaturistin finanziell un- hoffte. Doch als er gerade zu- nesien“. Sie könnte aber „et- das Ende. Für Willis from Tunis abhängig zu bleiben. RAPÉ Der mexikanische hat Pineda in einem psychisch frieden gehen will, ruft sie ihm was mit Fußball zeichnen, das ist es erst der Anfang. labilen Zustand durchlebt. Den- nach: „Sie werden bald Großva- würde gehen“. Gegen Mittag in Plötzlich ist für Willis, aka Na- Fatalistischer Humor Karikaturist Rafael noch lautet sein unermüdliches ter. Ihre Enkelin wird Künstlerin Sidi Bouzid, 200 Kilometer süd- dia Khiari, die Hölle los. Fast je- Von Fatalismus geprägt ist ihr Pineda alias „Rapé“ Credo: Weitermachen. Es zieht werden. Lassen Sie sie machen.“ lich, setzt sich Mohamed Boua- den Tag veröffentlicht sie neue Humor – typisch tunesisch. über Verfolgung, sich durch seine Erzählungen, Acht Monate später wird Na- zizi selbst in Brand. Die Revolu- Zeichnungen. Ausländische Zei- Nadia gibt nichts auf gute Ma- wie die senkrechte Falte sich dia Khiari in La Marsa, einem tion beginnt. tungen bitten sie um Karikatu- nieren. Wenn jemand hinfällt, Exil und die über seine Stirn zieht: Ein tiefer Vorort von Tunis, geboren. Der Fast einen Monat später, am ren. Die Katze Willis from Tunis lacht sie sich schlapp. Und wenn Notwendigkeit, Schmerz ist darin zu lesen und „aufgeklärte Diktator“ Habib 13. Januar 2011, spielt Ben Ali taucht in Frankreich, Italien, Me- etwas Schreckliches passiert, gleichzeitig eine unerschütterli- Bourguiba ist seit 18 Jahren seinen letzten Trumpf aus. Er xiko und Brasilien auf. 2011 ist zeichnet sie, um die Angst zu nicht aufzugeben che Kraft. Mithilfe von Reporter an der Macht. Künstler dürfen hält eine Rede im Fernsehen. das beste Jahr in Nadias Leben: bewältigen. Sie will Menschen ohne Grenzen wird Pineda in Pa- Kunst schaffen, solange sie der Zum ersten Mal seit 23 Jahren Es herrscht Chaos, jeder kann zum Lachen bringen, und noch „Eine Karikatur verletzt mehr ris unter anderem an die Redak- politischen Sache fernbleiben. spricht er tunesischen Dialekt tun und lassen, was er will. Ein besser ist es, wenn sie dabei als Worte, denn wir schauen tion von Charlie Hebdo vermit- Als Kind flüchtet Nadia re- anstatt Hocharabisch. Er ver- Traum für Nadia, die Autorität auch nachdenken. Beides zu- dabei in einen Spiegel, der uns telt, in deren Büros er manch- gelmäßig zu ihrem Großva- spricht Reformen, er verspricht so tief verabscheut. Sie findet sammen zu erreichen, ist aber entblößt.“ Rafael Pineda spricht mal arbeitet und mit deren ter. Er ist Polizist und ein „sauschwierig“. mit einer gewissen Leichtigkeit Zeichnern er sich austauscht – strenger Mann, aber er 2012 stellt Nadia auf ihrem in der Stimme, egal, wovon er namentlich mit Charb. Zusam- befolgt den Rat der Hell- ersten großen Festival aus, in redet. Sogar, wenn er sich an men arbeiten sie an Themen, seherin. Nadia zeichnet der französischen Stadt Dax. Schreckliches erinnert: An die die Frankreich und Mexiko ver- auf den Boden, auf die Sie ist „die Neue“, fühlt sich klein befreundete Journalistin Regina binden. Pineda zeichnet weiter, Wände, in seine Märchen- neben diesen großen Karikatu- Martinez etwa, die 2012 in ih- auch im Exil. bücher. Wenn ihre Eltern risten, die sie vergöttert. Sie ver- rer Wohnung ermordet wurde, sie tadeln, sagt er einfach: steckt sogar ihre Zeichnungen nachdem sie kritische Artikel Beileid auf Totenköpfen „Lasst sie machen.“ vor ihren Blicken. Dort trifft veröffentlicht hatte. Pinedas Drei Jahre später trifft der An- Nadia ist 14 Jahre alt, als sie zum ersten Mal Tignous. leichte Stimme ist durch eine schlag auf Charlie Hebdo den der Premierminister Zine Sein echter Name ist Bernard tiefe Falte kontrastiert, die sich Mexikaner hart. „Ja, leider ist El Abidine Ben Ali am 7. Verlhac, er ist 55 Jahre alt, und senkrecht über seine Stirn zieht. das etwas, was bei uns jeden November 1987 den Präsi- er zeichnet für Charlie Hebdo. Den Spiegel hat der mexika- Tag vorkommt“, bemerkt er. Zu denten Bourguiba stürzt. Tig­nous ist „ein toller Typ“, sie nische Karikaturist vor allem dieser Zeit zeichnet er den me- Die Jugendliche Nadia be- freunden sich schnell an, trin- dem Gouverneur des Bundes- xikanischen Präsidenten Peña trifft das wenig. Sie zeich- ken viel Wein und reden endlos staats Veracruz, Xavier Duarte, Nieto, wie er auf einem Hau- net weiter. Sie liest „Der miteinander. Er macht sich Sor- in zahlreichen Zeichnungen fen Totenköpfe steht und dem Ekel“ von Jean-Paul Sartre gen, weil sie in Tunis von Sala- vorgehalten. Da sieht man Du- französischen Volk scheinhei- und fühlt sich drei Tage lang fisten bedroht wird. Die beiden arte als Schwein, das sich mit lig sein Beileid wünscht. „Be- übel. Sie entdeckt die Punkbewe- werden sich oft wiedersehen. dem Gesetzbuch im Dreck su- sonders hart hat es mich getrof- gung. Sie fühlt sich anders, wie Der Anschlag auf Charlie delt. Auf einem anderen Bild fen, dass so etwas in Frankreich „eine Mutantin“. In der Schule Hebdo bedeutet für Nadia „ein thront der Gouverneur mit passiert, weil das ein Ort ist, wo wird sie bestraft. Sie lebt das Le- Freund, der mit einer Kalaschni- breitem Grinsen auf den Grab- es garantiert Pressefreiheit gibt ben durch und durch. Im Fernse- kow umgebracht wurde. Punkt“. steinen ermordeter Journalis- und wo diese seit Jahrhunderten Karikatur: Nadia Khiari Karikatur: hen verspricht Ben Ali mehr De- Sie ist erschüttert und will ten. Eine Zeichnung zeigt eine aufs Äußerste verteidigt wird.“ mokratie. Das Versprechen hält nichts von der Debatte um die Schreibmaschine in einer Blut- Mit Charb verliert Pineda zum nur ein paar Jahre. Mohammed-Karikaturen hö- lache, die nur die Buchstaben wiederholten Male einen ge- Unter seinem autoritären ren. Sie glaubt zwar, dass man „Drogendealer“ als Tastatur hat. schätzten Kollegen. Die Iro- Regime macht Nadia die Schule als Zeichner eine Verantwor- Als Rafael Pineda, der un- nie: „Pass auf dich auf!“, waren fertig, lernt Kunst, lehrt Kunst. tung hat. Aber auch, dass man ter dem Kürzel „Rapé“ arbeitet, Charbs letzte Worte an Pineda, Und hält es nicht mehr aus, als nicht dafür verantwortlich ist, 2011 und 2012 diese Karikatu- bevor dieser zurück in sein Hei- sie 30 wird. Sie hat das Gefühl, wenn Menschen Zeichnungen ren veröffentlichte, und gleich- matland flog. ihr Leben zu verpassen. In Tune- benutzen, um Hass zu schüren. zeitig verfolgte Kollegen bei Die Situation in Mexiko ist sien ist Pressefreiheit undenk- Ihre größte Freude ist es, ih- sich zu Hause versteckte, er- nicht besser geworden. Von me- bar. Um es endlich als Comic­ ren Karikaturen auf der Straße hielt auch er Drohungen. Auf die dialer Aufmerksamkeit – der zeichnerin zu probieren, zieht zu begegnen. Wenn ihre Zeich- Rückscheibe seines Autos hatte einzigen wirksamen Hilfe – kön- sie nach Frankreich. Ein totaler nungen nicht mehr ihre Zeich- jemand die Worte „Halt den nen mexikanische Journalisten Fehlschlag. nungen sind, sondern andere Mund“ mit dem Finger in den nur träumen, meint Pineda. sie sich aneignen. Vor zwei Mo- Staub gemalt. In Mexiko kann Kein Staatsoberhaupt nimmt Fehlschlag in Frankreich naten ist sie zu einer Demo ge- man solche Nachrichten als eine Anteil, selten geht jemand auf Jahrelang stellt sie dort über- gangen. In der Menge sah sie handfeste Morddrohung verste- die Straße. Die Opfer der mör- all ihre Arbeit vor, doch sie be- einen jungen Mann, der ein T- hen, vor der es keinen Schutz derischen Zensur sterben und kommt keine einzige Antwort. Shirt mit einer ihrer Karikatu- gibt. Denn Regierung und Dro- verschwinden im Stillen. Stattdessen lehrt sie Techni- ren trug. Sie hat ihm nicht ver- genkartelle sind in dem zerrüt- Wie kann man sich nach dem sches Zeichnen in einem Bil- raten, wer sie ist. Aber ein Foto teten Land längst nicht mehr un- Exil zurück in so ein Land wa- dungszentrum für gescheiterte mit ihm gemacht. Weil das ein- terscheidbar: Die Polizei arbeitet gen? Pinedas Antwort ist be- Schüler, „große Kinder, die ein- zig Wichtige für sie ist, Autorität oft im Auftrag krimineller Ban- stimmt: „Mir ist irgendwann fach Liebe brauchten“. Dort hat immer in Frage zu stellen. den; Justiz und Strafverfolgung klar geworden, dass ich zurück sie mehr Probleme mit der Als Nadia vier Jahre alt war, gibt es nicht. Unbequeme Jour- musste. Ich durfte nicht fliehen, Schulleitung und den anderen versohlte ihre Mutter ihr den nalisten und Aktivisten werden sondern wollte mich dem Pro- Lehrkräften als mit dem Hau- Hintern. Sie schlug zurück. „Du in diesem Chaos einfach besei- blem stellen.“ Journalismus ist fen 16-jähriger Jungs. Auch als schlägst deine Mama?“, wütete tigt. Da wird schon mal ein abge- für Pineda eine Lebenseinstel- Erwachsene empfindet Nadia die Mutter. „Du schlägst deine hackter Kopf zur Abschreckung lung: Entlarven, was nicht in weiterhin denselben Hass ge- Tochter?“, antwortete Nadia. vor eine Redaktion gelegt oder Ordnung ist, und eine Mentali- genüber Autorität. eine Radiosendung live mit tät verantwortlicher Zivilbürger Am 17 Dezember 2010 sitzt Schüssen unterbrochen. erreichen. „Es geht nicht, dass Nadia Khiari zu Hause „Du weißt nicht mehr, was man den Mund hält!“ du mit deinem Leben anfan- Heute lebt der 43-Jährige in gen sollst. Es ist ein ständiger Mexiko-Stadt und leitet die Sa- Angstzustand“, beschreibt Rapé tirezeitschrift El Chamuco, in die Situation, in der man nie- der er weiter seine provokan- mandem seine Telefonnum- ten Karikaturen veröffentlicht. mer geben darf und misstrau- Von der Regierung wird die Zeit- isch gegen alle sein muss. „Und schrift durch überhöhte Steuern wenn ich sage ‚alle‘ dann meine und an den Haaren herbeigezo- ich alle“, unterstreicht der Ka- genen Strafzahlungen schika- rikaturist mit Nachdruck. So niert. Drohungen gehören wei- kam es 2012 zu der Entschei- terhin zum Alltag. Dennoch dung eines kurzfristigen Exils. lebt Pineda das, was so viele „Als eine Freundin eines Tages nach den Anschlägen auf Char- zu mir sagte: Guck mal, es gibt lie Hebdo forderten: „Wir dürfen da einen billigen Flug nach Pa- uns keine Angst machen lassen“, ris, da habe ich nicht lange ge- sagt er mit seiner leichten, auf- zögert.“ Die drei Monate in Paris geweckten Stimme. LEA FAUTH 08 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Museum

VON JENS UTHOFF, BERLIN

ie soll man bloß re- agieren? Diese Frage hat unmittelbar W nach den Anschlä- gen von Paris viele beschäftigt – besonders aber die, die sich be- ruflich mit komischer Kunst be- schäftigen. Achim Frenz, Leiter des caricatura museums frank- furt, sagt, es sei kaum möglich gewesen, adäquat zu reagieren: „Wie man es macht, ist es falsch.“ Bereits kurz nach den Attacken seien Forderungen an seine In- stitution herangetragen wor- den, sie sollten doch jetzt un- bedingt eine Mohammed-Aus- stellung zeigen. „Das haben wir natürlich abgelehnt. Wir wollten keine Quote auf Kosten von Kol- legen machen“, sagt Frenz. Der 58-Jährige ist Mitheraus- geber des Satiremagazins Tita- nic, das von ihm geführte Mu- seum für Komische Kunst ist eng verbunden mit dem Werk der Neuen Frankfurter Schule. Unmittelbar nach dem 7. Januar 2015 war man noch im Schock- zustand. Mit dem Zeichner war auch ein Kollege ermordet worden, mit dem man früher zusammen- gearbeitet hatte. Die Fragen aber blieben: Was müssen wir jetzt zeigen? Was dürfen wir (noch) zeigen? Schwierige Fragen, die sich ne- ben den Museen auch Medien und öffentliche Einrichtungen stellten – und die eigentlich schon seit Beginn des Karikatu- renstreits 2006 nicht mehr nur nach medienethischen, son- dern auch nach sicherheitspo- litischen Gesichtspunkten ent- schieden werden. „Die Angriffe auf die legendäre französische Satirezeitung hatten nun aber eine ganz andere Qualität“, sagt Frenz, „es wurden schließlich Prüstel Andreas Karikatur: Redakteure und Zeichner wegen ihrer Meinungsäußerung in ih- ren Büros gezielt hingerichtet.“ Erst einmal haben die Frank- furter gemeinsam mit drei wei- Netz ohne Notfallknopf teren Museen – der Caricatura Galerie für Komische Kunst Kas- sel, dem Cartoonmuseum Basel Vier Museen für komische Kunst haben ein virtuelles Museum für Karikaturen von „Charlie Hebdo“ installiert und dem Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst Im Juli 2015 haben die vier klicken und sieht eine nackte sich hauptsächlich mit dem Is- einige Ereignisse. Im Museum 2012 gab es wieder Aufregung Wilhelm Busch in Hannover – Museen die Website „Museen Marine Le Pen mit Hitler-In- lam beschäftigen würden“, sagt Frankfurt ist auch nichts wie um Jesus, als der Karikaturist entschieden, was sie inhaltlich für Satire“ gelauncht. Es ist eine timfrisur, knutschende Imame Frenz im Gespräch, „sie sind Teil vor den Anschlägen – das Haus Mario Lars ausstellte: Das Pla- machen wollten: informieren. schlicht gestaltete Seite, die aus- oder böse Cartoons zur Flücht- einer laizistischen Gesellschaft wird polizeilich überwacht; ei- kat zur Schau zeigte einen ans Über Charlie Hebdo. Über fran- gewählte Cartoons und Karika- lingskrise. – ihre Satire wendet sich gegen nen Notfallknopf gibt es auch. Kreuz genagelten Jesus, dem zösische Karikaturgeschichte. turen von Charlie Hebdo aus den Die Geschichte Charlie Heb- jede religiöse Autorität.“ Vom kurzfristigen Reflex, eine Stimme aus dem Himmel „Die meisten waren vor einem Jahren 2010 bis 2015 – mit deut- dos und dessen Vorgängerhef- Warum das Projekt „nur“ on- nach der man „jetzt erst recht“ zuflüstert: „Ey … du … ich hab Jahr ‚Charlie‘, aber die Wenigs- scher Übersetzung – zeigt. Man tes Hara-Kiri (bis 1970) wird line stattfindet? Warum keine Mohammed-Karikaturen aus- deine Mutter gefickt.“ Zahlrei- ten kannten Charlie, erklärt kann sich durch die Bereiche Re- nacherzählt, ein ganzer Rei- Gemeinschaftsschau aller Mu- stellen müsse, hält Martin Sonn- che christliche Verbände be- Frenz, „das wollten wir ändern.“ ligion, Gesellschaft und Politik ter ist dem Thema „Laizismus seen? „Es war recht schnell klar, tag wenig. Kunst, die „provoziere schwerten sich. Gegen Martin in Frankreich“ gewidmet. „Die dass das eine Online-Geschichte um des Provozierens willen“, sei Sonntag und Mario Lars sind französische Art von Satire werden soll“, sagt Martin Sonn- für ihn nicht interessant, sagt acht Anzeigen wegen Blasphe- wäre in Deutschland gar nicht tag von der Kasseler Caricatura. der 47-Jährige. Im Gegenteil, er mie gestellt worden. Die Ver- denkbar, sie ist um einiges ra- „Im Netz haben wir den größten halte satirische Kunst, die nur fahren wurden jedoch gar nicht dikaler“, sagt Frenz, „als ich das Verbreitungsgrad. Und es spra- aus solchen Motiven heraus ent- erst eröffnet, da der Richter den erste Mal ein Hara-Kiri-Heft chen auch einige pragmatische stehe, für fragwürdig: „Wenn die Straftatbestand nicht erfüllt sah. Ziehen Sie mit! in der Hand hatte, dachte ich: Gründe gegen eine Ausstellung: Karikaturen ausschließlich dar- Ich glaube nicht, was ich sehe.“ Alle beteiligten Museen haben auf aus sind, Tabus zu brechen, Neue religiöse Gefühle Französische Zeichner waren es, Jahrespläne, die man nicht mal so spricht das nicht für sie“, „Schlimm wird’s, sobald es um die die Karikatur der Moderne eben umschmeißen kann.“ Be- meint Sonntag, „die Zeichnun- Dogmatismus, Fanatismus, Al- erst möglich machten, mit Ho- sonders am Anfang sei die Re- gen müssen immer begründbar leingeltungsanspruch geht“, noré Daumier als Pionier der sonanz groß gewesen. Die Re- sein, es muss Haltung dahinter- sagt Sonntag. Im Zuge des Kari- heutigen Satire wurde sie im aktionen: fast nur positiv. Kei- stecken, es muss so etwas wie katurenstreits, so glaubt er, hat 19. Jahrhundert als wirkmäch- nerlei Drohungen. Nun überlegt ‚Hinterland‘ vorhanden sein.“ auch die Empörung in anderen tige Kunstform etabliert. man, wie die Website weiterent- Ob die Tabus und Grenzen religiösen Gruppen wieder zu- Es geht den Seitenbetreibern wickelt werden kann. von Satire sich verschieben nach genommen. Seit in diesem Dis- aber auch um Aufklärung. Denn Ereignissen wie in Paris, fragen kurs das Kriterium „religiöse Ge- wer die Charlie-Hebdo-Zeichner Das Problem Sicherheit wir ihn. „Es gibt die klassischen fühle“ eine Rolle spiele, hätten für einen Haufen islamophober Zum Problem, so darf man mut- Tabubereiche wie Religion und sich offenbar auch die Christen Karikaturisten hält und so das maßen, wäre bei einer Ausstel- Sex“, sagt Sonntag, dann aber kä- erinnert, dass sie solche hegten. Morden relativiert, der kann auf lung in einem der Häuser der men schon die nächsten: „Män- Es stellt sich also für die Ins- dieser Website etwa eine von Le Sicherheitsaspekt geworden. ner, Frauen, Häuser, Kinder, Au- titutionen der komischen Kunst Monde erhobene Auswertung Mehrere Schauen mussten 2015 tos, Bäume, Straßen, Gebäude weniger die Frage, was man nun UlrikeHermann, aller Titelblätter des wöchent- abgesagt werden: Das Musée … wenn man alles abhängt, was anders machen muss, als viel- taz-Wirtschaftskorrespondentin lich erscheinenden Heftes zwi- Hergé im belgischen Louvain- irgendeiner doof findet, dann mehr, wie man genau so wei- schen 2005 und 2015 nachlesen. la-Neuve hat im Januar 2015 hängt nichts mehr.“ termachen kann. Ohne die be- Mehr als drei Viertel widmeten eine Tribute-Schau für Char- In Kassel, wo der Verein Ca- rühmte „Schere im Kopf“, aber sich den Themenspektren Poli- lie Hebdo gecancelt, im August ricatura bereits seit 1984 be- mit klarem „gesellschaftspoliti- Mehr als 15.500Menschen sichern die publizistische tik, Wirtschaft und Soziales. Nur 2015 fiel eine in London geplante steht, hat man auch schon so schen Auftrag“, wie Achim Frenz und ökonomische Unabhängigkeit der taz. 38 Titelblätter hatten Religion „Draw Mohammed“-Schau aus. seine Erfahrungen mit religiö- es sagt. Man solle sich ganz auf Ab 500€*könnenauchSie GenossIn werden. zum Thema, überwiegend ging Eine Kölner Schule wurde An- sen Fundamentalisten gemacht das konzentrieren, was die Sa- Vertrauen Sie der solidarischen Methode. es um die christlichen Religio- fang Februar vom konservati- – allerdings mit jenen christli- tire stark mache: Parodie, Über- nen. Ganze sieben Cover setzten ven islamischen Dachverband chen Glaubens. Im Jahr 2002 zeichnung und Komik. Denn Werden Sie taz GenossIn! sich mit dem Islam auseinander Ditib allein dafür angefeindet, ging eine Bombendrohung bei wenn sie gut sei, dann dürfe die – beziehungsweise eher mit isla- dass in einer Schülerausstel- einer Ausstellung des österrei- Satire tatsächlich alles. [email protected] |T(030) 25 90 22 13 |taz.de/genossenschaft mistischen Extremisten. „Es ist lung das erste Charlie-Hebdo- chischen Künstlers Gerhard Ha- *auchin20Raten zahlbar falsch, wenn man glaubt, dass Titelbild nach den Anschlägen derer ein. Grund: Bilder aus sei- ■■Der Link zum virtuellen Muse- die Satiriker von Charlie Hebdo gezeigt wurde. Und dies sind nur nem Buch „Das Leben des Jesus“. um: „museen-fuer-satire.com“ Rechtfertigung DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 09 Mohammed und andere Komiker GLAUBENSFRAGEN Haben Muslime eigentlich Humor? Ihr führender Prophet konnte im Gegensatz zu Jesus jedenfalls lachen

VON ARNO FRANK An Mohammed also kann’s geblichen Erhabenheit des All­ schen in einer freien Welt aus­ bigen kränkt, die zu einem Be­ vorzuschreiben, wie sie sich zu nicht liegen, dass die Gemüter mächtigen gibt es in jeder Reli­ nahmslos alles verspotten dür­ wusstsein der Überlegenheit äußern haben, damit ich mich iner der aktuell beliebtes­ mancher Muslime durch Lite­ gion. Je jünger und vitaler eine fen. Und doch stand noch nach ihrer eigenen Religion erzogen nicht beleidigt fühle. ten Witze der islamischen ratur („Die satanischen Verse“) Religion, umso weniger ist sie jedem islamistischen Anschlag worden sind. Fundamentalisten Sofern bewaffnete Schwach­ Welt handelt von einem oder Satire so leicht zu entzün­ bereit, diese Reserve innerhalb immer ein Geistlicher oder In­ werde sich von einer gleichgül­ köpfe das Recht nicht in die ei­ E Mann, der beim Spazie­ den sind. In Lessings frommer – oder außerhalb – ihrer Reihen tellektueller auf, um öffentlich tigen Wirklichkeit immer zu­ gene Hand nehmen, wird es ren im Central Park ein kleines Ringparabel steht der Vater zu dulden. Und das ist ein Um­ die Ausgrenzung und Diskrimi­ rückgesetzt fühlen – überfor­ vor Gericht ermittelt. Häufigs­ Mädchen vor einem Pitbull ret­ (Gott) vor dem Problem, unmög­ stand, der offensichtlich gerade nierung der Muslime zu bekla­ dert schon von der einfachen ter Prozessgegner von Charlie tet. Er kämpft mit dem Hund lich jedem seiner drei Söhne (Ju­ die pluralistischen und laizisti­ gen – verbunden mit dem sal­ Frage, wie stark eigentlich ein Hebdo war die katholische Kir­ und tötet ihn. Ein Polizist kommt dentum, Christentum, Islam) schen Demokratien des Westens bungsvollen Bedauern, es würde Glaube sein kann, der nicht ein­ che in Frankreich, gefolgt von hinzu und verkündet: „Sie sind den „echten“ Ring (die Wahrheit) unter Spannung setzt. Prinzi­ ihrem kostbaren Glauben nicht mal satirische Kritzeleien auf ei­ Marine Le Pen. 2006 fühlten ein Held! Morgen wird in der schenken zu können – also be­ piell ist in unseren Gesellschaf­ genug Respekt erwiesen. gene Kosten duldet. Hier verliert sich muslimische Organisa­tio­ Zeitung stehen: ‚Tapferer New kommt jeder einen Ring, sodass ten kein Kunstwerk, keine Über­ Zwar ist nicht jeder Mensch die Religion als nützliche Fiktion nen von einer Charlie Hebdo- Yorker rettet kleinem Mädchen der „echte“ nicht mehr erkenn­ zeugung, keine Ideologie, keine der Zumutung gewachsen, nach ihre Funktion, steht die Schizo­ Karikatur beleidigt, in der ein das Leben!‘ “ – „Aber ich bin kein bar ist und alle sich so edel ver­ Philosophie und auch kein Glau­ individueller Fasson selig zu phrenie in voller Blüte. verzweifelter Mohammed be­ New Yorker“, sagt der Mann. Da­ halten müssen, wie es sich für benssystem dagegen immun, werden. Wer es in einer Gesell­ Ich habe das Recht, an orien­ kundete: „Es ist hart, von Idio­ rauf der Polizist: „Oh, dann wird den Träger des Erbstücks ge­ kritisch überprüft und beizei­ schaft aushalten will, die ihre talische Märchen zu glauben. ten verehrt zu werden.“ Die An­ es heißen: ‚Tapferer Amerika­ hört. So weit, so humanistisch. ten ins Lächerliche gezogen zu ehrwürdigsten Grundsätze ge- Aber ich habe kein Recht, ande­ klage lautete auf Rassismus und ner rettet kleines Mädchen!‘ “ – Aus satirischer Sicht haben wir werden. Nichts macht hier mehr gen den einhegenden Einspruch ren Menschen die Regeln und Missbrauch der Pressefreiheit. „Aber ich bin kein Amerikaner! es schlicht mit einem väterli­ „allein selig“, alles Absolute ist der Religionen durchgesetzt Gesetze aufzuzwingen, die ich Sieben der damals angeklag­ Ich bin Saudi.“ Die Schlagzeile chen Trickbetrüger zu tun, der bestenfalls da, wo es hingehört hat, wird diese Freiheit aushal­ aus diesen Märchen ableite. Ich ten Satiriker, damals in allen am nächsten Tag lautet: „Islamis­ gefährliche Fälschungen eines – auf dem Rückzug ins Obskure ten müssen. Metaphysische Ob­ habe das Recht, mich angegrif­ Punkten freigesprochen, fielen tischer Extremist tötet unschul­ „echten“ Rings in Umlauf bringt, oder Private, wo es sich dem Zu­ dachlosigkeit? Frische Luft! Kol­ fen zu fühlen, wenn jemand 2015 der „Selbstjustiz“ islamisti­ digen amerikanischen Hund!“ den es niemals gab. griff der Vernunft entzieht. lektive Halluzinationen sind meinen Glauben als blühen­ scher Extremisten zum Opfer. Mohammed selbst war viel­ Eine solche skeptische Re­ Der offenbar schwer verständ­ schwer einklagbar. Was zwangs­ den Unsinn bezeichnet. Aber leicht nicht der allergrößte serve des Einzelnen vor der an­ liche Witz ist, dass säkulare Men­ läufig den Narzissmus von Gläu­ ich habe kein Recht, anderen ■■Arno Frank ist freier taz-Autor Clown unter der Sonne Ara­ biens. Über diesen modernen Witz aber hätte vielleicht doch gelacht. Manche Zeitgenossen behaupten, er habe beim La­ chen sogar die Zähne gezeigt – was beinahe als ausgelasse­ nes Wiehern zu interpretieren wäre. Seine Frau Aischa dagegen erklärte, niemals habe er so sehr gelacht, „dass ich sein Gaumen­ zäpfchen sehen konnte. Er hat nur gelächelt.“ Als gesichert gilt, dass Mo­ hammed durchaus einen ge­ wissen Humor besaß. Einmal beispielsweise bat er einen Ge­ fährten in sein sehr kleines Zelt mit den Worten, er könne ge­ trost „ganz hereinkommen“. Je­ sus hingegen muss im ganzen Neuen Testament nie auch nur ein einziges Mal kichern – herz­ lich bis höhnisch lachen darf er nur im apokryphen Evangelium des Judas. Im Koran freilich hört der Spaß schon in Sure 9 (Verse 64 bis 66) auf: „Macht euch nur lus­ tig. Allah wird herausbringen, was ihr fürchtet. Und wenn du sie fragst, werden sie gewiss sa­ gen: Wir haben nur … gescherzt. Sag: Habt ihr euch denn über Al­ lah und seine Zeichen und sei­ nen Gesandten lustig gemacht? Entschuldigt euch nicht! Ihr seid ja ungläubig geworden … Wenn wir auch einem Teil von euch verzeihen, so strafen wir einen anderen Teil dafür, dass sie Übeltäter waren.“ Von den entsprechenden Poltereien im Alten Testament unterscheidet sich das nur graduell, und selbst in der Bergpredigt droht Jesus: „Wehe, die ihr jetzt lacht, ihr wer­

det weinen und klagen“. Nel Ioan Cozacu Karikatur: Warum wir alle „Charlie“ wurden

Ein Jahr nach dem Anschlag Gesellschaften erinnern ser Gedächtnis haben, beschäf­ Erinnerungen wie die von Zeit­ Bei jüngeren islamistischen Austausch wurde die Solidari­ auf seine Redaktionsräume tigt die Erinnerungsforschung, zeugen verbreitet und wieder­ Terroranschlägen kristallisie­ tätsbekundung „Je suis Char­ steht bereits der Titel der Satire­ sich an Ereignisse mit die WissenschaftlerInnen ver­ gegeben werden und damit kol­ ren sich kaum noch eindeutige lie“ zur Ikone des Attentats am zeitschrift Charlie Hebdo für ei­ Hilfe griffiger Bilder schiedener Disziplinen zusam­ lektive Bedeutung erlangen. Bilder heraus, anhand derer sich 7. Januar 2015. Der Tweet des nen bis dahin beispiellosen An­ menbringt. Terrorangriffe wie der auf die Menschen an das Ereignis erin­ Designers und Journalisten griff auf ein journalistisches und prägnanter Sätze Einer ihrer Begründer ist der Redaktion von Charlie Hebdo nern, meint der Medienwissen­ Joa­chim Roncin mit dem wei­ Haus und seine MitarbeiterIn­ – so eine Ikone ist Soziologe Maurice Halbwachs, sind heute globale Mediener­ schaftler Jens Ruchatz. „Viel­ ßen Schriftzug auf schwarzem nen. Seine Nennung löst in vie­ „Je suis Charlie“ der in den zwanziger Jahren eignisse. Als Initial-Event nennt leicht geben diese Ereignisse Grund wurde tausendfach ge­ len Menschen Gefühle, Erinne­ den Begriff des kollektiven Ge­ die Literatur- und Kulturwis­ weniger Bilder her“, vermutet er. teilt, verwendet und abgewan­ rungen und Assoziationen aus. dächtnisses prägte. Als dessen senschaftlerin Astrid Erll hier­ Andererseits könne auch der delt – weit über die Landesgren­ Jeder hat nach seinen Erfah­ zentrale Funktion machte er bei die Terroranschläge vom Medienwandel seinen Anteil zen Frankreichs hinaus. rungen ganz persönliche Erin­ die Identitätsbildung aus. Erin­ 11. September 2001. Nach einem daran haben. Durch die mas­ Ob die Solidarität und die Er­ nerungen an diesen Tag und nert wird demzufolge, was dem solchen Ereignis sucht sich eine sive Verbreitung des Internets innerung an diesen Tag inter­ dieses Ereignis, doch darüber Selbstbild und den Bedürfnis­ Gesellschaft relativ schnell Bil­ sei die Situation Ruchatz zu­ national ihren Platz im kollek­ hinaus gibt es auch Bilder, Be­ sen einer Gruppe entspricht. der, Begriffe und Erzählungen, folge unübersichtlicher gewor­ tiven Gedächtnis behalten wer­ griffe und Erzählungen, die sich Der Angriff auf die Redaktion die sie mit dem Ereignis ver­ den. Es ströme eine derartige den, lässt sich laut Ruchatz erst ins Gedächtnis einer nationalen von Charlie Hebdo traf die west­ bindet. „Das erste Jahr ist dabei Flut an Bildern auf die Men­ in ein paar Jahren sagen. Es sei Gesellschaft oder sogar über liche Gesellschaft an einem ent­ entscheidend“, sagt Erll. Bei den schen ein, dass schwierig zu sa­ jedoch wahrscheinlich, weil an Landesgrenzen hinaus einprä­ scheidenden Punkt ihres Selbst­ Angriffen am 11. September ist gen sei, welche von ihnen erhal­ dem Tag der Journalismus selbst gen. Warum das so ist und wel­ bilds: der Pressefreiheit. Jedoch: das Datum selbst zur festen For­ ten bleiben. „Dadurch rückt der getroffen wurde und die Dis­ che Auswirkungen Ereignisse Kollektives Gedächtnis ist ohne mel geworden, die rauchenden Austausch der Menschen mehr kussion um Pressefreiheit und wie der Angriff auf die Redak­ Medien nicht denkbar. Erst sie Türme des World Trade Centers in den Mittelpunkt“, schlussfol­ mögliche Grenzen der Satire be­ tion von Charlie Hebdo auf un­ sorgen dafür, dass persönliche wurden zur Ikone. gert der Forscher. Über diesen stehen bleiben. RONNY MÜLLER 10 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Folgen Feine Freunde von der Straße SOLIDARITÄT Arm in Arm demonstrierten am 11. Januar 2015 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt ihre tiefe Verbundenheit mit den Anschlagsopfern. Wer aber waren diese Streiter für die Satire? Und wie ist es um die Pressefreiheit in ihren Ländern bestellt?

n diesem kalten Sonn- dien jedoch beständig einge- tag im Januar 2015 ver- schränkt, die israelischen Si- sammelten sich in Paris cherheitsbehörden schrecken A Staats- und Regierungs- auch nicht vor Festnahmen und chefs aus 44 Ländern zu einem Gewalt gegen Journalisten oder Schweigemarsch. Sie alle wa- Angriffe auf Redaktionsräume ren „Charlie“ und standen mit zurück. Vor allem Hamas-nahe dem französischen Staatsprä- Medien verdienten, so die Pres- sidenten François Hollande in sesprecherin der israelischen der Winterkälte, um gegen den Streitkräfte, Avital Leibovich, Terror und für Toleranz und in einem Leserbrief an die Meinungsfreiheit zu demons­ New York Times 2012, nicht die trieren. Der französische Prä- Rechte, die legitimen Journalis- sident ernannte an diesem Tag ten völkerrechtlich zustünden. Paris zur „Hauptstadt der Welt“ und verkündete, dass „Frank- Mali, Präsident reich für seine Werte aufstehen Ibrahim Boubacar Keïta werde“. Nicht wenige der teil- Mali galt wegen seiner plura- nehmenden Regierungsvertre- listischen Radio- und Zeitungs- ter standen dann auch tapfer landschaft viele Jahre als ein auf, um Werte zu verteidigen – Vorreiter der Pressefreiheit in allerdings nicht unbedingt die Afrika. Sie wird seit mehreren französischen und die der Frei- Jahren nicht nur von radikalen heit schon gar nicht. Denn was Islamisten bedroht, sondern an diesem Tag in Paris vertei- auch vom Geheimdienst und digt wird, muss in ihren Län- vom Militär, das sich im Anti- dern nicht gelten. Schauen wir terrorkampf ebenfalls nicht um uns deshalb die wackeren Gesel- Menschenrechte schert. Entfüh- len und ihre Staaten, für die sie rungen und gewalttätige Über- stehen, einmal genauer an. griffe auf Journalisten häuften sich nicht nur im Norden, son- Algerien, Außenminister dern auch im Einflussbereich Ramtane Lamamra der Regierung in Bamako. Die Presse- und Meinungsfrei- heit ist in Algerien zwar ver- Ukraine, Staatspräsident fassungsmäßig garantiert, Petro Poroschenko aber vor allem seit der Wieder- Auch nach dem Sturz der Re-

wahl des Präsidenten Abdelaziz Marian Kamensky Karikatur: gierung Janukowitsch stehen Bouteflika 2014 nehmen staat- die Medien in der Ukraine wei- liche Repressions- und Zensur- ter unter Druck. Viele Fernseh- maßnahmen gegen Journalis- des Islam zu 1.000 Stockhieben Türkei, Ministerpräsident verbrechen, das Verstöße gegen tiert Presse- und Redefreiheit, stationen wurden von Oligar- ten zu. Im Februar 2014 wird und 10 Jahren Haft verurteilt. Ahmet Davutoğlu „soziale Normen“ und die Ver- eine äußerst weit gefasste Defi- chen aufgekauft, die die Inhalte der Karikaturist Djamel Gha- 50 Hiebe erhält er öffentlich Die Türkei hat 2015 prozentual breitung von „unrichtigen Nach- nition von Extremismus erlaubt der Berichterstattung vorgeben. nem wegen Präsdidentenbelei- in Dschidda am 9. Januar 2015. die meisten Journalisten welt- richten“, die die öffentliche Ord- es den staatlichen Behörden je- Journalisten, die kritisch berich- dung angeklagt, Grund: ein Car- Zwei Tage später demonstriert weit verhaftet (11 Prozent), Be- nung oder nationale Sicherheit doch, Regierungskritiker und ten, müssen mit Gewalt und An- toon, der sich über Bouteflika der saudische Botschafter in leg der drastischen Zunahme gefährden könnten, mit hohen Journalisten zum Schweigen schlägen rechnen, die nur selten lustig macht. Um einer mögli- Paris für die Meinungsfreiheit. staatlicher Repressionen gegen Gefängnisstrafen belegt. zu bringen. Neue Internetge- strafrechtlich verfolgt werden. chen 18-monatigen Haftstrafe regierungskritische Berichter- setze ermöglichen das schnelle Seit Beginn des Konflikts mit zu entkommen, beantragt Gha- Vereinigte Arabische stattung. Die aktuellsten Ver- Bahrain, Außenminister Sperren unliebsamer Websei- Russland versuchen sowohl pro- nem Asyl in Frankreich. Emirate, Außenminister haftungen trafen am 26. Novem- Scheich Chalid bin Ahmad ten. Knapp zwei Jahre nach der russische Rebellen als auch uk- Scheich Abdullah bin Zayed ber 2015 den Chefredakteur der al-Chalifa Annexion der Krim gibt es auch rainische Sicherheitskräfte Me- Saudi-Arabien, Botschafter al-Nahyan Tageszeitung Cumhuriyet, Can Im Königreich Bahrain wird seit dort so gut wie keine unabhän- dienvertreter mit Gewalt bei Mohammed Ismail Die Medien- und Pressegesetze Dündar, und den Büroleiter in den Pro-Demokratie-Demonst- gigen Medien mehr. ihrer Arbeit zu behindern. Im al-Scheich in den Emiraten zählen zu den Ankara, Erdem Gül. Die Zeitung rationen von 2011 jede unabhän- Propagandakrieg mit Russland Medien gelten in Saudi-Ara- restriktivsten in der arabischen hatte im Mai über Waffenliefe- gige Berichterstattung unter- Bulgarien, Ministerpräsi- greift auch die Ukraine verstärkt bien als Propaganda- und Er- Welt. Kritik an der Regierung, ih- rungen des türkischen Geheim- bunden. Ein vage formuliertes dent Bojko Borissow zu restriktiven Maßnahmen. Im ziehungsinstrument. Kritik an ren Verbündeten und am Islam dienstes MIT nach Syrien berich- Pressegesetz von 2002 krimi- Bulgarien ist das EU-Schluss- September 2015 veröffentlichte Religionsführern und am Herr- sind verboten. Blogs und Inter- tet. Ihnen wird nun die Mitglied- nalisiert Kritik am Königshaus licht im Pressefreiheitsranking die Regierung ein Dekret, das scherhaus sind verboten, bei netangebote werden umfassend schaft in einer terroristischen und am Islam, Majestätsbelei- von Reporter ohne Grenzen. Das für rund 400 Medienvertreter Gotteslästerung droht die To- überwacht und bei Bedarf ge- Organisation, Spionage und Ge- digung kann seit 2014 mit ho- liegt weniger an rechtlichen Res- ein Einreiseverbot verhängte. desstrafe. Nach kritischen Äu- sperrt. All dies führt zu umfas- heimisverrat vorgeworfen. hen Geldstrafen und Gefängnis triktionen als am korrupten Zu- ßerungen auf seiner Website sender Selbstzensur, bei Verstö- geahndet werden. Journalisten stand, in dem sich die Medien- Frankreich, Staatspräsident wird der Blogger Raif Badawi ßen gegen die Gesetze drohen Ägypten, Außenminister und Online-Aktivisten, die über branche befindet. Ein Großteil François Hollande im Mai 2014 wegen Beleidigung Haft oder Abschiebung. Samih Shoukry Demonstrationen, Menschen- der Medien liegt in der Hand Unter dem Eindruck der An- Nach dem Sturz der islamisti- rechtsverletzungen und Macht- weniger Oligarchen, die kaum schläge auf Charlie Hebdo ver- schen Mursi-Regierung hat un- missbrauch berichten, werden Wert auf unabhängige Bericht- abschiedete der französische ter General Abdel Fattah al-Sisi systematisch verfolgt und will- erstattung legen, sondern mit- Senat 2015 im Schnellverfah- die Repression längst wieder kürlich verhaftet. Dreizehn sit- hilfe dieser Medien ihre eige- ren ein Geheimdienstgesetz, das das Level der Mubarak-Zeit er- zen derzeit im Gefängnis. nen Interessen durchzusetzen sich hinter dem Überwachungs- reicht. Die neue Verfassung von und die öffentliche Meinung zu regime der NSA nicht verstecken Die taz.akademie 2014 garantiert auf dem Papier Ungarn, Ministerpräsident manipulieren versuchen. Viele muss. Im Namen von Terrorab- mehr Presse- und Meinungs- Viktor Orbán Medien sind auf Fördermittel wehr und nationaler Sicherheit fördert junge kriti- freiheit und hat den Einfluss Seit seiner Wahl zum Minister- aus der Politik angewiesen, was wird nun ein weitgehender Zu- sche JournalistInnen der Religion zugunsten staat- präsidenten 2010 hat Viktor Or- ebenfalls zur Selbstzensur führt. griff auf die Privatsphäre ohne licher Macht zurückgedrängt. bán die Kontrolle über die Me- richterliche Anordnung mög- im In- und Ausland. Kritische Stimmen in den Me- dien systematisch ausgeweitet. Palästina, Präsident lich. Erlaubt ist unter anderem dien werden aber mit Verweis Dem neuen Mediengesetz von Mahmud Abbas die Ortung und Überwachung Der taz.panterpreis auf Sicherheitsgründe und An- 2011 folgend, sollen Journalisten Palästinensische Medien gera- von Mobiltelefonen, Verfolgung titerrorgesetze systematisch „ausgewogen“ berichten und ten nicht nur kriegsbedingt im- von Autos mit Peilsendern, das bietet HeldInnen des zum Schweigen gebracht, will- weder „öffentliche Moral“ noch mer wieder ins Visier der paläs- Ausspionieren von Wohnun- Alltags eine öffent- kürliche Festnahmen und Folter „menschliche Würde“ verletzen. tinensischen Sicherheitsbehör- gen mit Mikrofonen und die sind an der Tagesordnung und Eine Medienaufsichtsbehörde den (wie auch der israelischen Sichtung von Metadaten in so- liche und partizipa- Militärprozesse gegen Journa- kann bei Verletzung der Vorga- Armee). Die Sicherheitskräfte genannten Black Boxes, die bei tive Plattform. listen weiterhin möglich. Ge- ben Strafen verhängen und Li- gehen aber auch gegen Blogger Internetprovidern installiert genwärtig sind 23 Journalisten zenzen entziehen. Die Mitglie- vor – wie zum Beispiel gegen werden. AUF IHRE im Gefängnis, 6 davon wurden der der Behörde werden von der den Atheisten Waleed al-Hus- zu lebenslanger Haft verurteilt. Regierung ernannt. Viele Me- seini, der 2010 wegen seiner sa- Deutschland, Bundes­ SPENDE dienhäuser werden nun von tirischen Facebook-Seite verhaf- kanzlerin Angela Merkel Katar, Scheich Hamad Fidesz-nahen Mitarbeitern ge- tet wurde und daraufhin zehn Auch in Deutschland liegt eini- SIND WIR ANGEWIESEN! bin Chalifa al-Thani führt, die Verstrickung von me- Monate im Gefängnis saß. ges im Argen, was die Themen Medien dürfen im Emirat nur dienwirtschaftlichen und poli- Pressekonzentration, Monopo- taz Panter Stiftung mit staatlicher Lizenz arbeiten. tischen Interessen schreitet vo- Israel, Ministerpräsident lismus oder Abhören durch Ge- GLS-Bank Bochum Journalisten, die Kritik an der ran. Benjamin Netanjahu heimdienste angeht. Wir verfol- IBAN: DE97 4306 0967 1103 7159 00 herrschenden Familie, der Re- Israel besitzt eine vielfältige gen das täglich weiter . . . BIC: GENODEM1GLS gierung oder am Islam üben, Russland, Außenminister Medienlandschaft, Regierungs- DOKUMENTATION EVA BERGER www.taz.de/spenden werden strafrechtlich verfolgt Sergei Lawrow und Behördenkritik ist gefahr- oder aus dem Land gewiesen. Seit der Wahl Wladimir Putins los möglich, doch Themen na- ■■Quellen: Reporters without Der Entwurf eines neuen Pres- zum russischen Präsidenten im tionaler Sicherheit unterliegen Borders und Reporter ohne www.taz.de/stiftung segesetzes, das mehr Freihei- Jahr 2000 hat der Kreml die lan- der Militärzensur und gelegent- Grenzen, freedomhouse.org, Telefon 030 – 25 90 22 13 ten vorsieht, liegt seit 2011 auf desweiten Fernsehsender weit- lichen Nachrichtensperren. In Committee to protect Journalists, [email protected] Eis. Verabschiedet wurde dafür gehend unter seine Kontrolle ge- den Palästinensergebieten ist Cpj (cpj.org) und Daniel Wickham 2014 ein Gesetz über Internet- bracht. Die Verfassung garan- die Bewegungsfreiheit der Me- (London School of Economics) Folgen DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 11 Sie lachen noch, aber es klingt etwas bitter CHARLIE HEBDO Zum Jahrestag des Anschlags erscheint eine Sondernummer des Satireblatts – und erntet wieder mal Empörung

AUS PARIS RUDOLF BALMER In einem langen Text wird Anklagend schreibt der zu verstoßen. Seit den Anfängen jedoch zuerst minutiös der Ab­ (neue) Chefredaktor Riss dazu: habe man bei Charlie Hebdo ge­ as war Charlie Hebdo lauf des Attentats vom 7. Januar „Ein Jahr später: Der Mörder ist wusst, dass mit jeder Nummer sich selbst und vor al­ 2015 an der Rue Nicolas-Appert noch auf freiem Fuße.“ Diese Ka­ die Existenz der Publikation und lem den vor einem Jahr geschildert. Denn viele haben rikatur genügte, um noch vor womöglich auch die der Zei­ D ermordeten elf Mit­ seither darüber geschrieben, dem Erscheinen dieser Groß­ tungsmacher aufs Spiel gesetzt arbeitern schuldig: Zum ers­ doch die subjektive Version der auflage von mehr als einer Mil­ werde: „Ja, viele wünschten un­ ten Jahrestag des Attentats hat direkt Betroffenen war weniger lion Exemplare auf dem Inter­ seren Tod. Unter ihnen die vom das Pariser Satireblatt eine be­ bekannt. Auch die weniger pro­ Koran verblödeten Fanatiker, sonders freche und provozie­ minenten Opfer der anderen auch die Frömmler anderer Re­ rende Sondernummer heraus­ Anschläge vor einem Jahr, der ligionen, die uns in ihre Hölle gebracht. Die Absicht ist klar: Hauswart, zwei Polizisten und Alles wird aufs Korn schicken wollen, weil wir uns Es geht darum zu zeigen, dass die Toten im Geschäft „Hyper erkühnen, über das Religiöse­ Charlie lebt und sich weder vom Casher“ werden nicht vergessen. genommen: die zu ­lachen.“ mörderischen islamistischen Religionen, Spießer Statt in Konkurs zu gehen, ist Terror einschüchtern noch von Es geht ums Recht, gegen und Reaktionäre, Charlie Hebdo über Frankreich den gut gemeinten Ratschlägen Konventionen zu verstoßen hinaus eine Institution und ein zur Mäßigung bis zur Selbstver­ Das Lachen ist den Zeichnern Sex und Gewalt Symbol der Pressefreiheit ge­ leugnung beeinflussen lässt. und Autoren von Charlie Hebdo worden. Darum steuern zum Im Gegenteil, ein erster Blick nicht vergangen, es tönt vor al­ net bereits eine neue Polemik Jahrestag der versuchten Ver­ in diese am Mittwoch erschie­ lem in dieser Nummer aber et­ über die Blasphemie von Char- nichtung der Satirezeitung ver­ nene Ausgabe genügt, um zu was bitter oder vielleicht auch lie Hebdo zu entfachen. schiedene internationale Per­ ­sehen, dass da dieselben The­ rachsüchtig aus den Karikatu­ Neben Muslimen empören sönlichkeiten wie Taslima Nas­ men in der gewohnt exzes­ ren, in denen die Islamisten ver­ sich auch Christen auf Twitter, reen oder Russel Banks Texte siv spöttischen Weise behan­ höhnt werden. dass da gegen monotheistische bei. Die Schauspielerin Isabelle delt werden: die Religionen, die Schon das Titelblatt gibt den Religionen ein Generalverdacht Adjani würdigt die Freiheit von Spießer und Reaktionäre, Sex Ton an: Eine Art „Gottvater“ mit wegen terroristischer Gewalt er­ Charlie in einem schönen Ge­ und Gewalt. In der Mitte des weißem Bart und einem Dreiei­ hoben wird. dicht. Hefts sind entsprechende Kari­ nigkeitssymbol über dem Kopf In seinem Leitartikel pocht katuren der Terroropfer Charb, rennt in einem blutverschmier­ Riss, der selbst schwer verletzt ■■Die Sondernummer von Charlie Cabu, Wolinski, Tignous und Ho­ ten Gewand mit einer umge­ worden war, auf dieses Recht der Hebdo ist ab Donnerstag auch in

noré abgebildet. Charlie Hebdo Cover: hängten Kalaschnikow davon. Satire, gegen alle Konventionen Deutschland erhältlich Provokation ja, aber bitte mit Respekt JUAN ZERO Der syrische Karikaturist wurde als „Che“ bekannt. Nun lebt er im türkischen Exil. Er vermisst die interkulturelle Kommunikation

Juan Zero stammt aus Damas­ fühlte er sich vom Konflikt ent­ des Propheten Mohammeds in kus. Kritisch verfolgt er die Ge­ fremdet, er konnte nicht mehr islamischen Gesellschaften. Die schehnisse in seiner syrischen zeichnen. Aufgabe des Karikaturisten sei Heimat, aber auch die Reaktio­ Zero zog in die Türkei. Hier es, diese Grenzen zu berühren, nen der internationalen Staa­ gründete er vor rund vier Jah­ ja zu testen – allerdings stets auf tengemeinschaft und die Rolle ren den Verein „Yasmin Baladi“ respektvolle Weise. der sogenannten Aufnahmelän­ – zu Deutsch „Jasmin meines Zeros Kritik richtet sich so­ der, in die seine Landsleute ge­ Landes“. Dieser organisiert ein mit nicht nur an die Attentäter flüchtet sind. vielfältiges Angebot für mehr vom 7. Januar 2015. Das größte Juan Zeros Karikaturen tref­ als 1.000 Kinder in Flüchtlings­ Problem, so der 39-Jährige, be­ fen, fordern heraus – und sind lagern und Krankenhäusern in­ steht in der fehlenden interkul­ oft unangenehm. Der Künstler nerhalb Nordsyriens, des Liba­ turellen Kommunikation. An­ möchte sich dabei keiner politi­ nons und der Türkei. statt offener Provokation seitens schen, ethnischen oder religiö­­ Dabei sollen die Musik-, Charlie Hebdo sowie der gewalt­ sen Strömung zuordnen. Viel­ Sport- und Theater-Workshops tätigen Antwort der Attentäter mehr orientiere er sich an der den Kindern helfen, ihre Erleb­ wünscht sich Zero einen kons­ humanitären Seite, wie er be­ nisse im syrischen Bürgerkrieg truktiven Diskurs. Provokation tont. zu verarbeiten. Außerdem ist ja, aber bitte mit Respekt. Zero an der Publikation eines Heute lebt Zero im Istanbu­ So lange wie möglich Magazins im Gedenken an den ler Exil. Hier möchte er bleiben, blieb er in seiner Heimat in Gefangenschaft verstorbenen trotz stetiger Bedrohung. Oft er­ Unter dem Pseudonym „Che“ syrischen Karikaturisten Akram hält der Künstler Warnungen, versuchte Zero auch nach Be­ Raslan beteiligt. die ihm eine säkulare Haltung ginn der syrischen Revolution Auch den Tod seiner Kollegen vorwerfen. Das Risiko einer kri­

2011 so lange wie möglich in des französischen Satiremaga­ Juan Zero Karikatur: tischen Stimme zeigte erst kürz­ seinem Land zu arbeiten. Als die zins Charlie Hebdo verurteilte lich der Mord am syrischen Fil­ Regierung den Stil seiner Kari­ Zero selbstverständlich. Den­ memacher Nadschi al-Dscherf katuren wiedererkannte, verließ noch war das Attentat für ihn in der südtürkischen Stadt Ga­ der Künstler Syrien. Sicherheit keine Überraschung. Er meint: ziantep. Aufgeben möchte Zero fand er in Chicago. Dort hielt es Jede Gesellschaft setzt ihrem jedoch nicht – seine Karikaturen ihn allerdings nur drei Monate Diskurs bestimmte Grenzen. sind es ihm wert. – durch die geografische Distanz Eine solche ist die Darstellung ULLA MUNDINGER

Weniger wird mehr

Wirtschaftswachstum gilt als Allheilmittelgegen Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und andere Risiken im modernen Kapitalismus. Dochauf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Wirahnen schon lange, dass es so nicht weitergehen kann. Aber was dann? Der Postwachstumsatlas

gibt Antworten. erlin 9B

Mit Beiträgen von UlrikeHerrmann,Stephan Lessenich,Hartmut Rosa, Juliet Schor,Hilal Sezgin und anderen. 096 •1 23 aße Str e- hk sc ut -D

len udi

Bestel •R

jetzt! mbH

Sie sG rtrieb Ve

[email protected] •T030 25 90 21 38 und 16 €* s- mit Download, broschiert, 176Seiten, über 300 Karten undGrafiken, ag ISBN978-3-937683-57-7 erl zV

*Versandkostenfrei im Inland, wenn Sie direkt beiLeMonde diplomatiquebestellen. monde-diplomatique.de ta 12 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Kultur + Gesellschaft

VON TIM CASPAR BOEHME

chon bevor das erste Bild zu sehen ist, kann man sie hören: die Demons- S tranten. „Liberté! Char- lie!“, rufen sie aus dem Off. Man schreibt den 11. Januar 2015, in ganz Frankreich haben sich 4 Millionen Bürger auf die Straße begeben, um gegen die Anschläge vom 7., 8. und 9. Ja- nuar zu protestieren, um Soli- darität mit den Opfern zu zei- gen, mit den Toten der Redak- tion des Magazins Charlie Hebdo und den Toten des jüdischen Supermarkts Hyper Cacher. Im Bild erkennt man Überlebende der Zeitschrift, ansonsten hält die Kamera auf die übrige an- wesende – anonyme – Bevölke- rung. Ans Ohr drängt patheti- sche Orchestermusik. Mit dieser Eingangsszene ver- rät der Dokumentarfilm „Je suis Charlie“ von Daniel und Emma- nuel Leconte schon einen Groß- teil dessen, worum es ihm geht: Der Film will Dokument eines Augenblicks sein, einer Erschüt- terung, die die Morde in Frank- reich auslösten, ein Dokument der Fassungslosigkeit und der landesweiten Empörung, die folgte. Im weiteren Verlauf wer- den die beiden Filmemacher im- mer wieder zu den Demonst- ranten zurückkehren, auch die pathetische Musik wird die Zu- schauer weiter begleiten. Eine Kitty Hawk Karikatur: Emphase, auf die man gut hätte verzichten können.

Betriebsausflug im Bus Denn „Je suis Charlie“ würdigt die ermordeten Karikaturisten mit Bildern, die auf viel stil- Zum Abschied die „Internationale“ lere Weise ergreifen. So sieht man Cabu und Charb, wie sie DOKUMENTARFILM „Je suis Charlie“ von Daniel und Emmanuel Leconte würdigt die Toten des Magazins bei einem Karaoke ihre unter- schiedlich gut ausgeprägten „Charlie Hebdo“ mit beeindruckendem Archivmaterial. Gelegentlich auch mit etwas viel Pathos Gesangstalente erproben. Eine Art Betriebsausflug der Redak- zunächst noch fassungslos, spä- womöglich als Symptom der nen Dokumentarfilm über Char- ANZEIGE tion im Bus mit Albereien. Und ter kommen die Tränen, die im- Lage Frankreichs oder wie lie Hebdo gedreht, in dem er den man sieht die Überlebenden mer heftiger fließen. Man weiß „Je suis Charlie“ man sie überhaupt verstehen Prozess verfolgte, den französi- von Charlie Hebdo, wie sie in in diesen Momenten nicht recht, wagt sich auch über könnte. Die Philosophin Élisa- sche Islamverbände 2007 ge- den Räumen der Zeitung Libé- wohin als Betrachter: Wohnt Grenzen des Zumut- beth Badinter äußert sich kurz gen das Magazin geführt hat- ration ihre nächste Ausgabe man einer öffentlichen Trauma- zu den Anschlägen auf den jü- ten, nachdem Charlie Hebdo dä- vorbereiten, Redaktionskonfe- bewältigung bei, oder wird die baren hinaus. dischen Supermarkt mit einem nische Mohammed-Karikaturen renzen abhalten, Titelentwürfe Schaulust in solchen Momen- ­Insbesondere dann, Hinweis auf die Angst vor an- abgedruckt hatte und der Zeich- diskutieren, nicht, als sei nichts ten schon auf obszöne Weise tisemitischen Anschlägen, die ner Cabu eine eigene Moham- gewesen, sondern weil die Ka- bedient? wenn die Karikaturis- schon zuvor geherrscht habe, med-Zeichnung für die Titel- tastrophe gewesen ist, die auch Andererseits sind die Be- tin Coco berichtet, doch vor allzu vielen Fragen seite beigesteuert hatte. Diese sie hätte vernichten sollen. Ge- richte der Überlebenden in ih- wie sie am schrecken Daniel Leconte und frühere Arbeit ermöglichte erst gen die sie sich nachträglich zur rer Nüchternheit so bewegend, sein Sohn Emmanuel zurück. das Filmen in der Redaktion un- Wehr setzen, indem sie ihre Ar- dass man sich mit einem Ur- 7. Januar 2015 im Andererseits bilden die Fil- mittelbar nach den Morden. beit fortsetzen. teil schwertut. Der Buchhalter Treppenhaus auf memacher die nachträglichen Ab 31.12.2015 im Kino Für diese Bilder allein schon „Je suis Charlie“ wagt sich Eric Portheault etwa war wäh- Attacken auf das Magazin ab, lohnt sich der Film. Oder für auch über Grenzen des Zumut- rend des Anschlags im Neben- die Attentäter traf die den Zeichnern obszöner- Szenen wie die Beerdigung der baren hinaus. Insbesondere raum, wo er die Schüsse hörte weise indirekt vorwarfen, selbst Charlie-Opfer, zu der für den er- dann, wenn die Karikaturistin und sich auf den Boden legte. schuld an ihrem Tod gewesen zu mordeten Chefredakteur Charb Coco berichtet, wie sie am 7. Ja- Sein Hund, der die Todesschüsse sein. Da der Film im Frühjahr die „Internationale“ erklingt. nuar 2015 im Treppenhaus auf als Augenzeuge miterlebt habe, schon fertiggestellt war, kom- Und für die klare Zurückwei- die Attentäter traf, die sie an- sei irgendwann sehr ruhig her- men die Pariser Anschläge vom sung jedes selbstgefälligen „Ja, schließend zwangen, den Zah- übergekommen und habe sich 13. November darin nicht vor. aber“. lencode für die Tür der Redak- auf sein Gesicht gelegt. Daniel Leconte hatte 2008 tion einzugeben, während sie Über diese Betroffenheit hi- schon mit „C’est dur d’être aimé ■■„Je suis Charlie“. Regie: Daniel ihr eine Kalaschnikow in den naus fragt der Film nicht da- par des cons“ („Es ist hart, von und Emmanuel Leconte. Frank- Rücken bohrten. Coco erzählt nach, wie man die Anschläge Idioten geliebt zu werden“), ei- reich 2015, 90 Min.

ANZEIGE Wiegeht Ein Poet der strengen Konstruktion es dir, NACHRUF Gern gescholtener Pionier der Nachkriegsmoderne: Der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez ist tot Er wollte einst alle Opernhäu- prinzip der Musik verhaftet: der et d’intensités“ von 1949 als die troakustische Musik – eine be- Mama?* ser in die Luft sprengen. Aller- mathematischen Konstruktion. erste streng serielle Komposi- merkenswerte Karriere als Diri- dings ohne Menschen zu verlet- Im Anschluss an die Zwölfton- tion gilt. Boulez sollte seinen gent absolviert, in der er sich als zen und streng genommen wohl methode des Komponisten Ar- Lehrer und seine Mitstreiter al- herausragender, um Transpa- auch ohne Sachschäden zu ver- nold Schönberg, vor allem aber lerdings bald an Konsequenz renz bemühter Interpret zeitge- ursachen. Lediglich die Institu- inspiriert von Schönbergs Schü- übertreffen. Kritiker sahen in nössischer Musik, aber ebenso tionen sollten fort. Auch ansons- ler Anton Webern, radikalisier- ihm daher oft einen Baukasten- der romantischen Tradition be- ten war der französische Kom- ten sie das Komponieren nach tonsetzer, der mangelnde Inspi- währt hat. ponist Pierre Boulez in jungen dem Reihenverfahren. Wo bei ration durch kompositionsge- Nachdem sich die Wogen um Jahren selten um große Worte Schönberg lediglich die Töne bende Verfahren überspielen die Avantgarde-Debatten ge- verlegen. Es war die Frühphase der Tonleiter nach festgelegten wollte. So bemerkte der Pianist legt hatten, wurde der Kompo- der Nachkriegsmoderne, es galt, Regeln aufeinanderfolgen soll- Glenn Gould über Boulez einst nist Boulez wieder unter weni- einen Zivilisationsbruch auch ten, weiteten die seriellen Kom- hämisch, Letzterer habe sich ger ideologischen Vorbehalten ästhetisch zu bewältigen, einen ponisten diesen Ansatz auf an- als Dirigent mehr bewährt als gehört. Und Werke wie „Le mar- besseren Entwurf von Welt in Pierre Boulez Foto: dpa dere musikalische Parameter durch seine Kompositionen. teau sans maître“ (1952–1955) zu der Kunst zu ermöglichen. Das wie Lautstärke, Tondauer oder Tatsächlich hat Boulez zu- Gedichten des Surrealisten René Bild von detonierenden Kultur- heinz Stockhausen zu den drei Rhythmus aus. sätzlich zu seinem Schaffen als Char offenbaren bei aller Regel- *aus: »Die Mutter« von Bertolt Brecht institutionen mag da gleichwohl Hauptvertretern der Avant- Der 1925 in Montbrison gebo- Komponist – oder als Gründer haftigkeit eine streng-filigrane Regie: Peter Kleinert etwas schräg in der Landschaft garde. Beim Erkunden anderer rene Boulez stand dabei stark des Pariser Institute de Recher- Poesie. Am Dienstag ist Boulez Premiere am 13. Januar Weitere Vorstellungen am 15., 16., 17.1. gestanden haben. Ausdrucksmöglichkeiten blieb unter dem Einfluss seines Leh- che et de Coordination Acous- im Alter von 90 Jahren in Baden- Karten: 030 890023 Pierre Boulez gehörte nach das Trio dabei zunächst einem rers Olivier Messiaen, dessen tique-Musique (Ircam), einem Baden gestorben. www.schaubuehne.de 1945 mit Luigi Nono und Karl- ganz klassischen Organisations- Klavierstück „Mode de valeurs der führenden Institute für elek- TIM CASPAR BOEHME Der Tag DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 13

PORTRAIT NACHRICHTEN

WERTVOLLSTER KONZERN DER WELT NORDMALI GROSSES KINO BILLIGSCHWIMMWESTEN Apple fährt Produktion von iPhones zurück Regierung beschließt Bei Razzia in Türkei Bundeswehreinsatz Große Kinostreifen, kleine Perlen, beschlagnahmt TOKIO | Apple fährt einem Me- 2,5 Prozent nach unten gegan- Flops und Oscar-Kandidaten dienbericht zufolge als Reaktion gen. Seit dem Rekordhoch im BERLIN | Die Bundeswehr soll sowie Interviews mit Regisseuren ANKARA | Die türkische Polizei auf eine geringere Nachfrage im April hat die Aktie rund ein Vier- noch stärker für den Kampf ge- und Schauspielern: hat bei einer Razzia in Izmir Anschluss an das Weihnachts- tel ihres damaligen Werts einge- gen islamistische Terrorgrup- Alles nachzulesen auf taz.de/film mehr als 1.200 billig gemachte geschäft die Produktion seiner büßt. Der US-Konzern hatte im pen eingesetzt werden. Das Ka- Schwimmwesten beschlag- iPhones zurück. Wegen stei- September das iPhone 6S und binett beschloss gestern die Ent- nahmt, die für Flüchtlinge bei gender Lagerbestände werde 6S Plus auf den Markt gebracht sendung von 550 zusätzlichen ihrer Flucht von der Türkei über Apple von Januar bis März die und im Weihnachtsgeschäft ei- Soldaten ins westafrikanische die Ägäis nach Griechenland be- Unter Beschuss: Kölns Polizeipräsi- Herstellung seiner beiden neu- nen Verkaufsrekord angepeilt. Mali und in den Irak. Im Nor- Rezensionen stimmt waren. Der Betrieb in Iz- dent Wolfgang Albers Foto: dpa esten Modelle 6S und 6S Plus In den Sog gerieten auch die den Malis soll sich die Bundes- mir hatte die Rettungswesten il- um 30 Prozent zurückschrau- meist in Asien ansässigen Zulie- wehr dann mit bis zu 650 Sol- legal hergestellt. Keine der Wes- ben, berichtete die japanische ferfirmen. Die Papiere von Lar- daten an der UN-Friedenstruppe Filmtipps ten habe die vorgeschriebenen Der Polizeichef Zeitung Nikkei. An der Börse gan, Zhen Ding, Japan Display, Minusma beteiligen. Die Deut- Sicherheitsnormen erfüllt. So sorgte die Nachricht am Mitt- Murata, TDK, AAC und TPK ver- schen sollen auch zur Umset- Interviews ermöglichten die Schwimm- auf Abruf woch für eine Verkaufswelle. Die loren bis zu 9,5 Prozent. Die An- zung eines Friedensabkommens westen es ihren Nutzern nicht, in Frankfurt notierte Apple-Ak- teilsscheine des deutschen Lie- beitragen. Seit Beginn der Mis- den Kopf über Wasser zu halten. Für Wolfgang Albers wird die tie gab um 3,5 Prozent nach. An feranten Dialog Semiconductor sion 2013 sind 72 Blauhelmsol- www.taz.de Gegen die Inhaber des Betriebs Luft dünn. Wie lange sich der der Wall Street war es zuvor um fielen um 2,6 ­Prozent. (rtr) daten getötet worden. (dpa) wurde Strafantrag gestellt. (afp) 60-jährige Sozialdemokrat noch als Polizeipräsident Kölns halten kann, ist ungewiss. Er selbst lehnt einen Rücktritt ka- tegorisch ab. Nach den Exzessen in der Silvesternacht vor dem Über 100 Anzeigen gegen Gewalttäter Hauptbahnhof und seinem – freundlich formuliert – un- KÖLN Ein Großteil der betroffenen Frauen in der Silvesternacht meldet Sexualdelikte, darunter zwei glücklichen Auftreten danach steht er massiv in der Kritik. Vergewaltigungen. Augenzeugen schildern Gewalt durch Männergruppen. Täter im Bahnhof offenbar bekannt Das „ziemlich hilflose Agie- ren der Polizei“ mache „fas- VON ASTRID EHRENHAUSER von stehen in Kombination mit mehrere Opfer. Bisher gebe es platz: Raketen am Bahnhof. Ra- den Böller in Richtung Haupt- sungslos“, kritisieren die Köl- UND CLAUDIA HENNEN irgendeiner Form des Eigen- drei Verdächtige, noch sei nie- keten und Böller wurden unkon- eingang geworfen. Neben mir ner Grünen. Von „einem ekla- tumsdelikts. Ein Teil hat nur se- mand festgenommen worden. trolliert in die Menge geworfen, stand ein Typ, der mir immer tanten Fall von Polizeiversagen“ KÖLN/BERLIN taz | Deutlich über xuellen Hintergrund.“ Bis zum Die Polizei sichte aktuell die Be- junge Männer liefen im Zick- näher kam. Ich bin dann in den spricht die Linkspartei-Bundes- 100 Anzeigen lagen am Mitt- Mittwoch wurden zwei Verge- weismittel. Bundesjustizminis- zackkurs mit Feuerwerkskör- Bahnhof gegangen und kam tagsabgeordnete Ulla Jelpke. woch dem Polizeipräsidium waltigungen angezeigt. ter Heiko Maas (SPD) vermutete: pern in Richtung Haupteingang, nicht weiter. Da standen so Und Bundesinnenminister Tho- Köln nach den Angriffen auf Wie viele Menschen – darun- „Das Ganze scheint abgespro- Passanten ergriffen die Flucht. viele Männer, das war wie eine mas de Maizière (CDU) konsta- Frauen in der Silvesternacht vor. ter auch Männer – zu Schaden chen gewesen zu sein.“ Eine 23-jährige Bochumerin, Mauer. Zwei Typen mit dunk- tiert: „So kann die Polizei nicht Etwa drei Viertel beträfen auch gekommen sind, sei bisher un- Handyvideos dokumentieren die gegen 19 Uhr den Bahnhof lem Haar, offensichtlich aus arbeiten.“ Seine Kölner Partei- Sexualdelikte, sagte eine Poli- klar, sagte die Sprecherin. Oft bereits vor Mitternacht die Zu- betrat, schildert der taz ihre Ein- dem arabischen Raum, folgten freunde fordern inzwischen zeisprecherin der taz. „Viele da- beziehen sich die Anzeigen auf stände auf dem Bahnhofsvor- drücke: „Auf dem Vorplatz wur- mir und machten sich an mei- offen den Rücktritt: „Ein ah- nem Rollkoffer zu schaffen. Ich nungsloser Polizeipräsident ist bin dann zur U-Bahn gerannt. genauso untragbar wie einer, Nirgendwo waren Sicherheits- der schlimme Ereignisse unter beamte der Bahn zu sehen.“ den Teppich kehren will“, sagte Die Bochumerin hatte Glück Partei- und Ratsfraktionschef – anderen erging es schlimmer. Bernd Petelkau. Zum „wieder- Ein Kölner, der mit seiner Le- holten Mal“ habe Albers „eine bensgefährtin und seinen zwei Lage völlig falsch eingeschätzt“. Kindern gegen 23 Uhr die Bahn- Das spielt auf den letzten hofshalle durchquerte, wurde Skandal an, den der seit 2011 eingekesselt: Eine „Gruppe Aus- amtierende Albers auch schon länder“ habe sich in die Menge nur mit Ach und Krach über- gedrängt, „es gab kein Entkom- standen hat: den HoGeSa-Auf- men.“ Seiner 15-jährigen Tochter marsch 2014. Damals standen und seiner Lebensgefährtin sei 4.800 gewaltbereiten Hooligans an die Brust und zwischen die und Neonazis nur 1.300 völlig Beine gegriffen worden, seinem überforderte Polizisten gegen- Sohn wurde das Handy gestoh- über. Bei den Krawallen wurden len, so der Mann zum Kölner etwa 50 Beamte verletzt und Po- Stadtanzeiger. lizeiautos demoliert. Trotzdem Der Mitarbeiter eines angren- behauptete die Kölner Polizei, zenden Restaurants sagte der taz „angemessen und gut aufge- über die Täter: „Ich bezweifle, stellt“ gewesen zu sein. dass die meisten von außerhalb Auch diesmal will Albers kamen. Diese Typen hängen tag- keine Fehler an dem polizeili- täglich hier rum.“ chen Einsatz in der Silvester- Diese Einschätzung deckt nacht einräumen. „Wir waren sich mit jener des Flüchtlings- nicht überfordert“, weist er jeg- helfers Alexander Schoen, der liche Kritik zurück. Einzig die in der Silvesternacht Flüchtlinge Pressemitteilung am Morgen im Bahnhof betreute: „Uns wur- danach bezeichnet er mittler- den rund 250 Euro aus der Spen- weile als „falsch“. Darin hatte denkasse gestohlen“, berichtete seine Behörde eine positive Bi- der 40-Jährige der Kölnischen lanz gezogen: „Ausgelassene Rundschau. Einige der Diebe, die Stimmung – Feiern weitgehend meist in zehnköpfigen Gruppen friedlich“. Auch vor dem Haupt- arbeiteten, kenne er aus dem bahnhof habe sich „die Einsatz- Alltag. „Viele von ihnen kommen lage entspannt“ gestaltet. Ver- Karikatur: Beck aus Marokko.“ Schon mehrfach antwortlich für diese exklusive hätten sie Flüchtlinge bestohlen. Darstellung macht Albers „in- terne Kommunikationsfehler“. Dabei kennt sich der gebür- tige Münchner mit Massenver- „Die Banden gibt es seit Jahren am Bahnhof“ anstaltungen eigentlich bestens aus. Als Jurastudent an der Uni GEWALT Die Täter von Silvester seien bekannt, sagt Opferschützerin Weich. Das Ausmaß und die sexuelle Gewalt aber seien neu Bonn organisierte er Anfang der 1980er Jahre – damals noch Mit- taz: Frau Weich, der Bundes- schiedenen Leuten gehört, dass organisiert zum Bahnhof bege- Erste Verdächtige wurden iden- Karneval eröffnet wird, stehen glied der Jungdemokraten und innenminister hat den Kölner die Polizisten auch abgedrängt ben haben, das ist neu. Genauso tifiziert. Glauben Sie, die Poli- die Menschen dicht gedrängt. der FDP – die legendären Bonner Einsatz kritisiert: So darf Poli- wurden von den Tätern, teils bis wie die sexuelle Gewalt. zei wird viele Täter schnappen? Wie wollen Sie da Abstand hal- Friedensdemonstra­tio­nen mit. zei nicht arbeiten. Hat er recht? hinter den Dom. Die Taten waren organisiert? Die Bundespolizei hat eine Kar- ten? Man sollte vorsichtig sein, Das seien allerdings „Latsch- Marianne Weich: Zu dem Ein- Gibt es wirklich eine neue Di- Diese Zahl, 1.000 Beteiligte, be- tei über die Nordafrikaner am Wertgegenstände nicht offen Demos“ gewesen und er sei „nie satz kann ich nichts sagen, ich mension der Gewalt? deutet, dass Täter auch aus an- Hauptbahnhof. Wenn die Opfer tragen. Wenn Sie einer anfasst, in gewalttätige Konflikte verwi- war nicht vor Ort. Die Polizei ist Ja. Es gibt seit Jahren diese nord- deren Orten gekommen sein die Täter gut beschreiben kön- schreien Sie ganz laut. Die Tä- ckelt“ gewesen, betonte er vor bei Großlagen in Köln normaler- afrikanischen Banden am Bahn- müssen. So viele treffen sich nen, bekommt man vielleicht ter scheuen Öffentlichkeit. Man zwei Jahren im taz-Interview. weise sehr gut. Mit so einer Di- hof, die dort Straftaten bege- sonst nicht am Bahnhof. Daher den ein oder anderen. Aber ich kann sich vor Verbrechen aber Über seine Herangehensweise mension wie zu Silvester aber hen, auch indem sie Menschen glaube ich, dass das organisiert glaube, das wird ganz schwer. nie zu 100 Prozent schützen. an Großereignisse sagte er da- konnte niemand rechnen. antanzen, um sie dabei zu be- war: Wir machen da mal Remmi- Gerade weil viele Täter ja von INTERVIEW KONRAD LITSCHKO mals: „Wenn man unvorberei- Die Polizei hatte den Bahnhofs- stehlen. Die tun sich zu fünf bis demmi, um Frauen anzugehen. auswärts kamen. tet ist, gibt es Konflikte. Wenn vorplatz wegen des Abfeuerns acht Personen zusammen, das Wer sind diese „Banden“? Was kann man tun? Oberbür- Marianne Weich man sich auf die Lage einstellt, von Böllern geräumt, nicht Diebesgut wechselt sofort von Nordafrikaner, überwiegend germeisterin Reker gab den klappt es besser.“ Viel spricht da- aber die Übergriffe verhindert. einem zum anderen. Die sind Algerier, die schon lange in Tipp, in Menschenmengen Ab- ■■ 70, seit 28 Jahren beim für, dass Albers an Silvester sei- Wie konnte das passieren? ganz schwer zu kriegen. Diese Deutschland leben. Jedenfalls stand zu Fremden zu halten. Weißen Ring Köln. Vor ihrer Pen­ ner eigenen Maxime untreu ge- Das ist sicher eine schreckliche Vielzahl der Täter aber zu Sil- sind es keine Flüchtlinge, wie Ich glaube nicht, dass sich das sionierung­­ war sie bei der Kölner worden ist. PASCAL BEUCKER Panne. Ich habe aber von ver- vester, die sich vorher offenbar es jetzt heißt, um Gottes willen. realisieren lässt. Wenn hier der Kripo zuständig für Opferschutz. 14 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Inland

NACHRICHTEN

VERFASSUNGSSCHUTZ MIGRATION WAHL RHEINLAND-PFALZ STREIT UM UNTERHALT DAS WETTER SPD will AfD beobachten lassen Zuwanderung nimmt Auch NPD und Dritter Ex-SPDler unter Zweiteilung besteht kräftig zu Weg treten an Verdacht stur weiter BERLIN | In der SPD-Bundestags- und Gruppen wie Pegida vom fraktion gibt es laut einem Me- Verfassungsschutz beobachtet BERLIN | Die Zuwanderung ist MAINZ | Bei der Landtagswahl BERLIN | Gegen den Ex-SPD-Ab- Heute können die Rutschpar- dienbericht Überlegungen, die werden“, zitierte Spiegel Online auf Rekordniveau. „Für 2015 wer- am 13. März in Rheinland-Pfalz geordneten Ilkin Özisik wird tien auf Glatteis noch weiter- rechtspopulistische AfD sowie aus dem Positionspapier. den wir die höchsten Zuwande- treten 14 Parteien an. Der Lan- ermittelt, weil er den Unterhalt gehen. Vom trüben Westen her die fremdenfeindliche Pegida- „Ausschreitungen gegen rungszahlen seit 1950 verzeich- deswahlausschuss ließ ges- für seine drei Kinder nicht ge- schickt das neue Tief „Britta“ Re- Bewegung vom Verfassungs- Flüchtlinge, Flüchtlingsheime, nen“, sagte Innenminister Tho- tern alle eingereichten Wahl- zahlt haben soll. Das berich- gen bis zur Mitte. Oberhalb von schutz beobachten zu lassen. Helferinnen und Helfer sowie mas de Maizière (CDU) gestern. vorschläge zu. Zehn Parteien tete der RBB-Sender radioBer- 800 bis 1200 m fällt Schnee, im Das gehe aus einem Positions- Politikerinnen und Politiker Die Entwicklung geht unter an- mussten mindestens 2.040 Un- lin 88,8 gestern. Özisik war am Norden ist auch gefrierender papier für die Fraktionsklausur durch rechtsextreme Gewalt- derem auf die enorm wachsende terschriften von Unterstützern Dienstag ohne Begründung aus Regen möglich. Im Osten und Ende der Woche in Berlin her- täterinnen und Gewalttäter ha- Zahl an Flüchtlingen zurück, die vorlegen. Diese Voraussetzung der SPD und aus der SPD-Frak- Nordosten bleibt es noch tro- vor, hieß es gestern in Spiegel ben ein besorgniserregendes ins Land kommen. 2015 wurden wurde von allen erfüllt, wie es in tion im Berliner Abgeordne- cken, dort kann es etwas auflo- Online. Ein Schwerpunkt der Ausmaß angenommen“, heißt fast 1,1 Millionen Asylsuchende Mainz hieß. Unter den Zugelas- tenhaus ausgetreten. „Das ist ckern. Es wird etwas wärmer, die heute beginnenden Beratungen es in dem Papier demnach wei- in Deutschland registriert – so senen sind neben den drei bis- noch ein reiner Verdacht“, sagte Temperaturen steigen soll das Thema „Öffentliche Si- ter. „Braune Hetzer“ versuchten, viele wie nie zuvor. Aber auch her im Landtag vertretenen Par- der Sprecher der Staatsanwalt- am Oberrhein auf 11, cherheit“ sein. „Sorgen und Ängste der Men- die übrige Migration in die Bun- teien CDU, SPD und Grüne auch schaft, Martin Steltner, gestern im Nordosten auf –3 Es müssten „künftig auch die schen aufzugreifen und Hass desrepublik – etwa zum Studie- FDP, Linke, AfD und Alfa sowie auf Anfrage in Berlin. Der Abge- Grad. Der Wind gefährlichen rechtsextremen zu schüren“. Das dürfe nicht zu- ren oder Arbeiten – nimmt seit die beiden rechtsextremen Par- ordnete sei von der Mutter der weht zwischen- Tendenzen in der Partei AfD gelassen werden. (afp) Längerem zu. (dpa) teien NPD und Dritter Weg. (dpa) Kinder angezeigt worden. (dpa) durch böig. Wir sind wieder wer DEAD AND ALIVE Beim Dreikönigstreffen zeigt die FDP liberales Profil. Parteichef Lindner erteilt Ampelkoalitionen eine Absage

AUS STUTTGART BENNO STIEBER merksamkeit. So erstrahlen nister Schäuble und forderte, auf der Bühne des Stuttgarter es müsse endlich ein Zuwande- Das Hambacher Fest, die Zu- Opernhauses Wahlplakate im rungsgesetz geben. stimmung zum Ermächtigungs- Pop-Art-Stil mit knalligen Wort- Sie wollten nicht um jeden gesetz, den Ritterkreuzträger spielen wie „Angstgegner“. Preis mitregieren, sagt der ba- Mende, den klugen Dahrendorf, Schon Tage vorher hatte der den-württembergische Spit- den gerissenen Möllemann und Spitzenkandidat der Südwest- zenkandidat Rülke. Auch Lind- zuletzt 4,8 Prozent bei der Bun- Liberalen, Hans-Ulrich Rülke, ner kann der Opposition im destagswahl: Was hat der Libera- als Vorbereitung auf das Libe- Bund gewisse Vorteile zugeste- lismus nicht schon alles durch- ralentreffen auf Instagram ein hen, „wenn sie nicht zu lange gemacht seit dem ersten Drei- Jugendfoto geteilt, das ihn als dauert.“ Deshalb geht die FDP königstreffen in Stuttgart vor 19-Jährigen bekleidet mit ei- in keinem der drei Bundeslän- 150 Jahren. Ein flotter Image- ner knappen Badehose in den der mit einer offiziellen Koaliti- film sollte in diesem Jahr die neuen Parteifarben zeigt – in onsaussage ins Rennen. Die Süd- Parteimitglieder im Stuttgarter Gelb, Blau und knalligem Ma- west-Liberalen verabschiedeten Opernhaus an einige der ruhm- genta. auf ihrem Parteitag am Vortag reicheren Stationen in der Ge- sogar sogenannte Prüfsteine, an schichte erinnern. denen sie mögliche Koalitions- Doch die Liberalen wollen Nicht mehr nur partner messen wollen. wieder hoffen. Nachdem sie fast Doch für die Bundespartei totgesagt waren, konnten sie Mehrheitsbeschaffer scheint der Trend klar Rich- 2015 in Bremen und Hamburg sein ist das Ziel tung Union zu gehen. Partei- wieder Wahlerfolge verzeich- chef Christian Lindner erteilte nen. Darauf setzen sie nun auch der Liberalen schon vor dem FDP-Treffen in in Rheinland-Pfalz und Baden- Stuttgart Ampelkoalitionen Württemberg. Ein Hoffnungs- Im festlichen Ambiente des eine Absage, und zwar über die schimmer: Zuletzt waren einige Stuttgarter Opernhauses ging Köpfe der Landesverbände hin- Karikatur: Rattelschneck Wirtschaftsführer wie der ehe- es aber vor allem um Program- weg. „Die FDP will einen Politik- malige Industrieverbands-Chef matik. Nicht mehr nur Mehr- wechsel. Ich sehe nicht, dass SPD Michael Rogowski oder Trumpf- heitsbeschaffer der Union sein, und Grüne sich von ihrer bishe- Chef Berthold Leibinger der Par- das ist das Ziel der Liberalen. So rigen Politik verabschieden und tei beigetreten. verwendete Parteichef Chris- das mit uns angehen wollen“, Messerattacke auf linken Aktivisten In Baden-Württemberg wie tian Lindner große Teile seiner sagte er der Rheinischen Post. WISMAR Aktivist: Nazis attackierten ihn mit Messer. Nun sucht ihn die Polizei auch in Rheinland-Pfalz liegt fast zweistündigen Rede darauf, Einig sind sich Kandidaten die FDP nach aktuellen Umfra- der Partei ihren liberalen Kern und der Bundesvorsitzende in BERLIN taz | Sie beschimpften tal angegriffen. Die Geschichte am Mittwoch. Die Linkspartei gen bei 5 Prozent. In dieser Si- in Erinnerung zu rufen. Er gei- ihrer Position zur rechtspopulis- ihn als „schwule Kommunis- sorgt bundesweit für Empörung. Schwerin forderte harte Ermitt- tuation gilt es auf dem Dreikö- ßelte die „Verteilungspolitik“ tischen AfD. Die hielt, begleitet tensau“, stachen mit dem Mes- Erst am Montag war in Hessen lungen der Polizei. Leichter ge- nigstreffen nun, das eigene libe- der Großen Koalition in Berlin von Protesten, nur wenige Kilo- ser auf ihn ein. So schildert Ju- auf ein bewohntes Flüchtlings- sagt als getan: Kinzel ist bislang rale Profil zu stärken. Die letzten genauso wie die Vorratsdaten- meter weiter ihr eigenes „Alter- lian Kinzel, Sprecher der Links- heim geschossen worden. Thü- die einzige Quelle. Er hatte erst zwei Jahre hat Parteichef Chris- speicherung. Die Partei will ge- natives Dreikönigstreffen“ ab. jugend Solid in Schwerin, die ringens Minsterpräsident Ra- Dienstag Strafanzeige übers In- tian Lindner daran gearbeitet, gen das Gesetz der Großen Ko- Lindner nannte seine Partei den Vorfälle vom Montag bei Face- melow (Linkspartei) und der ternet gestellt und war für die dieses wieder mehr in den Vor- alition vor dem Verfassungsge- „schärfsten Kontrast“ zu Natio- book. Demnach wurde er in Wis- grüne Bundestagsabgeordnete Polizei bis Mittwochnachmit- dergrund zu rücken. Und dann richt klagen. Er kritisierte die nalismus und einer „Politik der mar von Rechtsextremen bru- Volker Beck verurteilten die Tat tag nicht erreichbar. MARTIN KAUL geht es ein bisschen um Auf- Erbschaftsteuer von Finanzmi- Angst“, wie sie die AfD vertrete. Wirtschaft + Umwelt DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 15

NACHRICHTEN

VERBRAUCHERSCHÜTZER SCHLECHTE LUFT IN BERGEN WIRTSCHAFT IN CHINA MESSE LAS VEGAS ZAHL DES TAGES Google wegen Datenschutz abgemahnt Jedes zweite Auto Neuer Schub durch VW zeigt Bulli mit Die deutschen muss stehen bleiben dickes Bahnprojekt Elektroantrieb Kartoffelchefs BERLIN | Verbraucherschützer nach drohe eine Unterlassungs- werfen Google die systemati- klage vor dem Landgericht Ber- BERGEN | Wegen hoher Luft- PEKING | Die chinesische Re- LAS VEGAS | Der skandalgeschüt- Beliebter Spitzname für uns im sche Auswertung persönlicher lin. Google, die weltweit füh- verschmutzung ist im norwe- gierung will umgerechnet fast telte Autobauer Volkswagen hat Ausland: Kartoffel! Die deut- Daten seiner Nutzer vor und rende Suchmaschine, die auch gischen Bergen ein teilweises 5 Milliarden Euro in die Infra- auf der Consumer Electronics schen Kartoffelchefs: die Nie- haben deswegen den US-Kon- soziale Netzwerke und E-Mail- Fahrverbot für private Autos struktur investieren und damit Show (CES) in Las Vegas einen dersachsen. 2015 haben Land- zern abgemahnt. Google nutze Dienste anbietet, ist die Tochter verhängt worden. Am Montag die schwächelnde Konjunktur neuen Kleinbus mit Elektroan- wirte zwischen Harz und Nord- personenbezogene Daten ohne des Mutterkonzerns Alphabet. durften in der Stadt nur Autos in Schwung bringen. Die Wirt- trieb vorgestellt. Das BUDD-e ge- see 5 Millionen Tonnen Knollen ausdrückliches Einverständnis Die Verbraucherschützer mit Nummernschildern fahren, schaftsplaner gaben gestern nannte Konzeptfahrzeug könne eingefahren, etwa die Hälfte der und verstoße damit gegen den räumen zwar ein, Google weise die auf eine gerade Zahl enden, grünes Licht für den Bau von Ende des Jahrzehnts Realität gesamtdeutschen Ernte. Knapp Datenschutz, teilte der Bundes- in seiner allgemeinen Daten­ heute sind die ungeraden Num- zwei Hochgeschwindigkeits- werden, sagte der Vorstand der ein Fünftel davon wurde in 135 verband der Verbraucherzentra- schutz­erklärung auf diese Pra- mern dran. Auch das Heizen Trassen im Nordosten des Lan- Marke VW, Herbert Diess, in Las Länder exportiert. Am nieder- len (vzbv) gestern mit. Demnach xis hin. Die Nutzer müssten mit Holz soll vermieden wer- des. Die Eisenbahnverbindung Vegas. Im Dezember verkaufte sächsischen Kartof- analysiert Google beispiels- diese Erklärung auch billigen. In den. Zum 1. Januar hat Norwe- zwischen Städten in der Inne- VW nach eigenen Angaben in felwesen gene- weise die Inhalte von E-Mails, den Richtlinien würden die Ver- gen die Grenzwerte für Schwe- ren Mongolei und der Provinz den USA 9 Prozent Autos weni- sen vor allem um personalisierte Werbung braucher aber nicht um Zustim- felstoffe in der Luft angehoben. Liaoning solle ausgebaut wer- ger als vor einem Jahr. Bereits die Nieder- zu platzieren. Google habe nun mung zur konkreten Datenerhe- Das Land war zuvor scharf kriti- den, teilte die Behörde mit. Chi- im November waren die Aus- lande, Däne- 135 bis zum 25. Januar Zeit, auf die bung und Datennutzung gebe- siert worden, weil es die EU-Luft- nas Wirtschaft war zuletzt deut- lieferungen um ein Viertel ein- mark und Ita- Abmahnung zu reagieren. Da- ten, moniert der vzbv. (rtr) direktiven nicht einhielt. (dpa) lich ins Stocken geraten. (rtr) gebrochen. (afp) lien.

Genossenschaften erstmals erfolgreich ENERGIE Bei 3. Solar-Ausschreibung kommen auch Bürgerprojekte zum Zug

BERLIN taz | Bei der Ausschrei- dert. Stattdessen wird eine be- genen Jahr sahen sich die Kriti- bung von Freiflächen-Solaranla- stimmte Leistung ausgeschrie- ker bestätigt: Damals kam kein gen sind erstmals auch Bürger- ben, um die sich potenzielle Be- einziges Bürgerprojekt zum Zug. projekte zum Zuge gekommen. treiber bewerben müssen. Den In der dritten Runde hat sich Wie die Bundesnetzagentur am Auftrag bekommt, wer die ge- das nun geändert. „Erfreulich Mittwoch mitteilte, bekamen ringste Vergütung für den ein- ist, dass sehr unterschiedliche von vier Genossenschaften, die gespeisten Strom fordert. Akteure einen Zuschlag erhal- sich beworben hatten, zwei ei- Die Umstellung hatte für viel ten haben“, sagte der Präsident nen Zuschlag; daneben waren Kritik gesorgt. Die Grünen und der Bundesnetzagentur, Jochen auch alle vier Gebote von Pri- das Bündnis Bürgerenergie be- Homann. vatpersonen erfolgreich. Insge- fürchteten, dass Genossenschaf- Auch René Mono vom Bünd- samt erhalten 43 Bieter die Mög- ten und Privatpersonen von nis Bürgerenergie bewertet das lichkeit, Solaranlagen auf Frei- vornherein chancenlos sind, Ergebnis der aktuellen Runde flächen zu bauen, die Vergütung weil für sie das Risiko zu groß als „positive Entwicklung“. An für den eingespeisten Strom be- ist, dass sie auf Planungskosten der grundsätzlichen Kritik, trägt 8 Cent pro Kilowattstunde. sitzenbleiben, wenn das Projekt dass Ausschreibungen Bürger- Solaranlagen im Gelände keinen Zuschlag bekommt. projekte strukturell benachtei- werden seit 2015 nicht mehr Durch die ersten beiden Aus- ligen, hält er aber fest. über feste Einspeisetarife geför- schreibungsrunden im vergan- MALTE KREUTZFELDT

ANZEIGE

Karikatur: Ari Plikat Greenpeace ist Kopf los BEWEGUNG Kumi Naidoo war das Aushängeschild von Greenpeace. Jetzt ist er weg. Die Organisation steht ohne Gesicht da

VON MARTIN KAUL jähriger Amtszeit verkündet, rial verfügt, kam hierbei eine zum Jahresende aus dem Amt besondere Bedeutung zu. BERLIN taz | Als Kumi Naidoo an zu scheiden. Seitdem sucht die Naidoo haftete immer das diesem Herbsttag 2013 auf dem Organisation nach jemandem, Image des authentischen Basis­ Dach seiner Kommandozentrale der oder die geeignet ist, ihm aktivisten an, der sich nicht zu in der Ottho Heldringstraat 5 in nachzufolgen. schade war, selbst an Blockade- Amsterdam steht, hat er sie alle Diese Suche ist ein Politikum. und Ankettaktionen teilzuneh- wieder um sich. 102 Greenpeace- Denn Greenpeace ist mit 28 Re- men. Mitarbeiter. Es ist Krisenzeit bei gionalbüros in 40 Ländern der Den Auftrag, einen Nachfol- Greenpeace: Aktivisten sitzen in Welt aktiv und eine der wichtigs- ger zu beschaffen, hat seit April russischer Haft, und nun will ten Umweltorganisationen der die Headhunting-Firma Perrett die Organisation ihr Zeichen Erde. Naidoo, gebürtig im süd- Laver. Sie sucht in einem vierstu- der Geschlossenheit in die Welt afrikanischen Durban, hatte die figen Verfahren. Vorgesehen war senden. Fast schafft Naidoo es Internationalisierung der Orga- ursprünglich, bis Anfang August nicht mehr pünktlich zum Fo- nisation in den letzten Jahren eine engere Auswahl an Kandi- totermin. Aber dann steht er da stark vorangetrieben. datInnen festzulegen. Ende Au- in der Mitte, die Hände geballt So wurde etwa die Aufgaben- gust sollten dann die Verhand- und schaut herausfordernd in verteilung unter den verschie- lungen mit den Topkandidaten die Kamera. Kumi mal wieder, denen nationalen Greenpeace- beginnen. Ein Nachfolger hätte der Kämpfer, der Gewinner. Einheiten neu gestaltet – we- somit Ende 2015, etwa zum Welt- Naidoo gehörte als Geschäfts- niger nationale Eigenprojekte, klimagipfel in Paris, präsentiert führer von Greenpeace Interna- mehr grenzübergreifende Kam- werden können. tional zu den charismatischsten pagnen. Das Ziel: Die Organisa- Überraschend ist, dass Green- Führungsfiguren der Nichtre- tion, die in den Industrielän- peace nicht nur diesen Termin gierungsszene. Nun hat er sich dern eine starke Basis hat, soll verstreichen ließ, sondern auch zurückgezogen, ist weg. Ein ein- vor allem in besonders umwelt- bis jetzt noch niemanden vor- facher Ehrenamtlicher in Südaf- kritischen Ländern wie China zeigen kann. Auf Nachfrage rika, heißt es bei Greenpeace. Ei- oder Indien gestärkt werden, heißt es, der Nachfolger stehe nen Nachfolger gibt es bislang wo die rasche Industrialisie- fest und werde innerhalb der nicht. So steht der schlagkräf- rung zu besonders massiven nächsten zwei Wochen vorge- tigste Umweltverband der Welt Umweltbelastungen führt. Der stellt. Die Info stammt von dem seit Anfang Januar ohne Chef da. großen und mächtigen deut- Greenpeace-Sprecher und Nai- Große Geschichten Derzeit führt der bisherige Stell- schen Greenpeace-Zentrale mit doo-Vertrauten Mike Towns- JetztimHandel. Das Reporter-Magazin vertreter Mads Christensen die Sitz in Hamburg, die beispiels- ley, einem wunderbaren Schot- Geschäfte. weise über besondere Kapazi- ten. Bei Greenpeace trägt er den Bereits im März letzten Jahres täten im Hinblick auf Strategie- offiziellen Titel: Head of Story­ hatte Naidoo nach über sechs- planung, Recherche und Mate- telling. 16 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Ausland

NACHRICHTEN

JORDANIEN GAMBIA UN-BLAUHELME TÜRKEI AFGHANISTAN 12.000 Syrer an der Grenze gestrandet Regierung ordnet Neue Vorwürfe Prozess gegen Wegen Facebook- Kopftuch an wegen Missbrauchs Erdoğan-Gegner Post entlassen AMMAN | Mehr als 12.000 syri- sich dort verschlechternden sche Flüchtlinge haben sich an Bedingungen. Anfang Dezem- BANJUL | Nach der Ausrufung GENF/BANGUI | Die Vereinten ISTANBUL | In Istanbul hat am KABUL | Nach einem dramati- der Grenze zu Jordanien ver- ber hatten die UNO die jordani- eines „islamischen Staats“ in Nationen gehen neuen Vorwür- Mittwoch der Prozess gegen schen Hilferuf über Facebook ist sammelt und warten auf Ein- sche Regierung aufgefordert, die Gambia sind in dem westafri- fen des sexuellen Missbrauchs den in den USA lebenden mus- der stellvertretende Gouverneur lass. Das bestätigte die jorda- Flüchtlinge einzulassen. Auch kanischen Land seit Jahresbe- durch Blauhelmsoldaten in der limischen Geistlichen Fethullah der umkämpften afghanischen nische Regierung am Diens- die Menschenrechtsorganisa- ginn Frauen im öffentlichen Zentralafrikanischen Republik Gülen und 68 weitere Personen Provinz Helmand entlassen wor- tagabend. Die Zahl sei sogar tion Human Rights Watch hatte Dienst zum Tragen eines Kopf- nach. Der Chef der UN-Mission begonnen. Gülen wird vorge- den. Ein Mitglied des Provinz- steigend. Zuvor hatte das Land die Regierung aufgefordert, die tuchs verpflichtet. „Dem weib- in dem Land, Parfait Onanga- worfen, versucht zu haben, die rats bestätigte am Mittwoch, eine ähnliche Schätzung der syrischen Flüchtlinge einreisen lichen Personal in Ministerien, Anyanga, kündigte am Mitt- Regierung zu stürzen. Er wird dass Mohammad Jan Rassuliar­ UNO als übertrieben zurückge- zu lassen. Ämtern und Regierungsbehör- woch eine rückhaltlose Aufklä- beschuldigt, Korruptionsvor- am Dienstag seines Postens ent- wiesen. Ein Regierungssprecher den ist es ab 31. Dezember 2015 rung an. Seit Frühjahr 2014 sind würfe gegen Personen aus dem hoben wurde. Am 20. Dezember Die Flüchtlinge sind in einer sag­te, täglich dürften 50 bis nicht mehr erlaubt, während der in der Zentralafrikanischen Re- Umfeld des türkischen Präsi- hatte Rassuliar Präsident Asch- abgelegenen Wüstengegend 100 Flüchtlinge ins Land kom- Bürozeiten die Haare zu zeigen“, publik mehr als 20 Fälle sexuel- denten Recep Tayyip Erdoğan raf Ghani aufgefordert, schnell an der syrisch-jordanischen men. Priorität hätten Frauen, heißt es in der entsprechenden len Missbrauchs durch Soldaten gestreut zu haben. Das Verfah- zu handeln, weil die Provinz Grenze gestrandet. Oft verbrin- Kinder, ältere und kranke Men- Anweisung. „Das weibliche Per- fremder Länder bekanntgewor- ren gegen ihn findet in seiner kurz an die Taliban zu fallen gen sie dort Wochen oder so- schen. Aus Sicherheitsbedenken sonal ist angewiesen, die Haare den. Bei den Opfern handelte es Abwesenheit statt. Gülen be- drohe. Der Eintrag hatte Kritik gar Monate. Menschenrechts- könne es keinen massenhaften zusammenzubinden und zu be- sich oft um Schutzbefohlene in streitet die Vorwürfe. Erlebt im an der afghanischen Regierung organisationen sprechen von Einlass gewähren. (ap) decken“, hieß es weiter. (afp) Flüchtlingslagern. (epd) Exil in Pennsylvannia. (ap) hervorgerufen. (dpa) Turbulent im Parlament VENEZUELA Die Opposition will binnen sechs Monaten die chavistische Regierung Maduro austauschen

AUS CARACAS JÜRGEN VOGT bäude ab und schloss die umlie- men. Endlich sei der Tag ge- genden Metrostationen. Große kommen, an dem die Opposi- Mit einer klaren Kampfan- Aufmärsche fanden jedoch tion wieder auf einer wichtigen sage an Präsident Nicolás Ma- nicht statt, beide Gruppierun- Bühne reden kann. duro begann am Dienstag die gen blieben überschaubar und Fähnchen schwingend skan- erste Sitzung der neuen Na­tio­ getrennt. Wer konnte, mied die- diert der Student mit seiner nal­versammlung: „Innerhalb sen Teil der Stadt. Gruppe „Se acabó, la dictadura von sechs Monaten werden wir Etwas verwundert rieb sich se acabó – die Diktatur ist zu eine Methode vorschlagen, um denn auch Andreína Zorilla die Ende“. 2014 sei er wie viele sei- die Regierung auf dem Verfas- Augen. Pünktlich um neun war ner KommilitonInnen für ei- sungsweg auszutauschen“, sagte die 45-jährige Staatsangestellte nen Regierungswechsel auf die Venezuelas neuer Parlaments- zur Plaza Venezuela gekommen, Straße gegangen. Der Versuch, präsident Henry Ramos Allup suchte den Sammelpunkt der die Regierung mit dem Druck in seiner Antrittsrede. rot gedressten Chavistas, fand der Straße aus dem Amt zu he- Erstmals nach 16 Jahren stellt aber nur hier und da kleine beln sei damals nicht gelungen. die Opposition im Parlament Grüppchen, die auf der großen „Noch heute sitzen über 30 von wieder die Mehrheit. Die cha- Plaza verloren wirkten. Warum uns im Gefängnis, 2.000 sind vistische Regierungspartei ist in so wenige gekommen seien, ver- nur unter Auflagen auf freiem der ungewohnten Rolle der Min- stehe sie auch nicht. „Wenn sich Fuß“, sagt Juan Pablo. Für ihn derheit. Nichtsdestotrotz nahm die Konterrevolution heute des sind es politische Gefangene, Karikatur: Michael Holtschulte der chavistische Fraktionsfüh- Parlaments bemächtigt, dann deren sofortige Freilassung er rer Héctor Rodríguez den Feh- geht es doch schließlich um die fordert. Für die Regierung und dehandschuh auf. Endlich habe Verteidigung des Vermächtnis- die von ihr kontrollierte Jus- die Opposition ihre Maskerade tiz sind sie verantwortlich für fallen gelassen und ihr wahre gewaltsame Proteste, an deren Angebliche H-Bombe getestet Absicht gezeigt, so Rodríguez. Ende 43 Menschen getötet und „Ramos Allup hat beschlossen Tausende verletzt wurden. NORDKOREA Das Regime will erfolgreich eine Wasserstoffbombe getestet die Regierung von Präsident Im Parlament trat unterdes- haben. Das wäre eine neue Dimension. Doch daran gibt es Zweifel Nicolás Maduro innerhalb von sen der Fraktionsführer der Op- sechs Monaten zu beerdigen.“ position, Julio Borges, ans Red- AUS PEKING FELIX LEE Sollten Nordkoreas Angaben lung einer solchen Wasserstoff- Das werde seine Fraktion und nerpult. Während sich hinter stimmen, hätte das Atomwaffen- bombe ist jedoch groß. Außer das Volk zu verhindern wissen. seinem Rücken sein Amtskol- Für ein Erdbeben war es ein programm des diktatorischen den USA ist es bislang nur Rus- Was folgte war ein heftiger lege Rodríguez von der chavis- ungewöhnlicher Ausschlag auf Regimes eine neue Dimension sen und Chinesen gelungen, verbaler Schlagabtausch meh- tischen Fraktion heftig mit dem dem Seismografen. Normaler- erreicht. In den vergangenen eine so gefährliche Bombe zu rerer Redner, der für einen kur- Parlamentspräsidenten stritt, weise zeichnet die Nadel bei ei- zehn Jahren führte Pjöngjang zünden. zen Moment in eine Keilerei nannte Borges die Reihenfolge nem natürlichen Beben meh- drei Atomtests durch, zuletzt Internationale Experten he- auszuarten drohte. Dabei hatte der Gesetzesvorhaben, die in rere Schwingungen auf. Doch im Februar 2013. Die Staatenge- gen denn auch Zweifel, ob das selbst Präsident Maduro am Vor- ses unseres Comandante Hugo den kommenden Tagen von was die Seismografen in dem meinschaft antwortete stets mit finanziell völlig ruinierte Nord- abend zu einem friedlichen Par- Chávez, der sozialistischen Revo- der Parlamentsmehrheit einge- nordchinesischen Erdbeben- Sanktionen. korea am Mittwochmorgen lamentsauftakt aufgerufen. Und lution und um unser Vaterland“, bracht werden sollen. An erster zentrum in der zu Nordkorea Was die H-Bombe so beson- wirklich eine H-Bombe testete. Verteidigungsminister Gene- sagt sie etwas trotzig und setzt Stelle steht das Gesetz für Am- benachbarten Provinz Jilin Mitt- ders spektakulär macht: Bei Die am Mittwoch künstlich er- ral Vladimir Padrino twitterte, sich in Richtung Präsidentenpa- nestie und nationale Versöh- wochmorgen registrierten, war herkömmlichen ­Atomwaffen zeugte Bebenstärke von 4,9 nach dass sich die Armee nicht ein- last Miraflores in Bewegung. nung. Aus Protest verließen die stattdessen ein einzelner hefti- aus Plutonium oder Uran wer- chinesischen Angaben ist iden- mischen und die Verfassung re- Dass die Opposition we- Chavistas geschlossen den Ple- ger Ausschlag. Der Erdstoß er- den Kerne gespalten. Das setzt tisch mit den Werten des letzten spektieren werde. nige Menschen auf die Straße narsaal. reichte eine Stärke von 4,9. So- Energie als Hitze, Druck und Atomtests Nordkoreas. Viele Caraceños befürchte- brachte, überraschte hingegen Von alldem bekamen die we- fort dämmerte es den Mitarbei- Auch Vertreter Südkoreas äu- ten trotzdem gewaltsame Zu- nicht. Für viele ihrer Anhänger nigsten VenezolanerInnen et- tern: Das war kein Erdbeben, ßern den Verdacht, dass Nordko- sammenstöße. Opposition und aus der Ober- und gut betuchten was mit. Keiner der zahlreichen sondern ein Atomtest. „Wir haben den Rang reas Regime einen Wasserstoff- Regierung hatten für Dienstag Mittelschicht ist das Regierungs- Fernseh- und Rundfunkkanäle Wenig später bestätigte Nord- bombentest nur vortäuscht. Um Demonstrationen angekündigt. viertel noch immer eine chavis- übertrug die erste Plenarsit- koreas Führung diesen Test. Und eines fortgeschritte- was für eine Bombe es sich wirk- Schon am frühen Morgen kon­ tische Tabuzone. Der 26-jährige zung live, dafür zeichnete die für die Weltgemeinschaft noch nen Atomstaats“ lich handelt, könne bei Untersu- trol­lierte die Polizei weiträumig Juan Pablo Eira ist dennoch bis Regierung verantwortlich. Die sehr viel erschreckender: Dieses chungen der Radioaktivität fest- das Stadtgebiet, sperrte die Stra- auf den kleinen Platz vor die Opposition installierte einen NORDKOREANISCHE ERKLÄRUNG Mal soll es sich um den Test ei- gestellt werden, heißt es vom ßenzüge um das Parlamentsge- Nationalversammlung gekom- Livestream auf YouTube. ner Wasserstoffbombe gehan- südkoreanischen Wetteramt. delt haben – der sogenannten Strahlung frei. Die unmittel- Das könne aber Tage dauern. H-Bombe. baren Schäden und die ge- Das hält die Regierungen Auch wenn es sich nur um sundheitlichen Langzeitschä- von Südkorea, Japan und den eine „verkleinerte“ Bombe han- den sind bereits immens. Bei USA nicht davon ab, lautstark Diskriminierung der Extraklasse dele – „mit dem perfekten Er- der Wasserstoffbombe jedoch gegen Nordkorea zu protes- folg unserer historischen Was- werden Kerne fusioniert, in- tieren. Südkoreas Präsidentin LUFTFAHRT Zwei Araber werden von Israelis genötigt, ein Flugzeug zu verlassen serstoffbombe haben wir den dem bei ihrer Zündung die Ele- Park Geun Hye kündigte bei ei- Rang eines fortgeschrittenen mente Deuterium und Tritium, nem Krisentreffen an, Nordko- ATHEN afp | Vehemente Pro- späten Sonntag und sorgte für zeugs zu verweisen. An den Pa- Atomstaats erreicht“, verkün- zwei besonders schwere Isotope rea habe einen entsprechen- teste israelischer Passagiere eine 90-minütige Verspätung pieren hatte die Polizei nichts zu dete die Nachrichtensprecherin des Wasserstoffs, zu Helium ver- den Preis für seinen Atomtest haben zwei arabische Flug- des Flugs nach Tel Aviv. beanstanden. von Nordkoreas Staatsfernse- schmolzen werden. Die freige- zu zahlen habe. Auch Russland gäste zum Verlassen einer Ma- Bei den Passagieren handelte Der Pilot habe daraufhin ver- hens am Morgen. Zugleich ver- setzte Menge an Energie ist viel und China, offiziell nach wie vor schine der griechischen Ge- es sich um israelische Araber. kündet, dass jeder, der sich nicht sicherte sie in der von ihr ver- größer. Im Prinzip imitiert die Verbündete Pjöngjangs, kriti- sellschaft Aegean­ Airlines ver- Aegean gab an, einer der Flug- sicher fühle, ohne Anspruch auf lesenen Erklärung, die Bombe Wasserstoffbombe die Vorgänge sierten den mutmaßlichen Was- anlasst. „Eine zunächst kleine gäste habe einen israelischen Entschädigung das Flugzeug diene lediglich Verteidigungs- in der Sonne. Die erste 1952 von serstoffbombentest für ihre Ver- Gruppe von Fluggästen forderte Pass, der andere eine Aufent- verlassen könne, erklärte Ae- zwecken, fügte jedoch hinzu: den USA auf einem Atoll im Pazi- hältnisse ungewöhnlich scharf. sehr lautstark und eindringlich, haltsgenehmigung gehabt. Als gean. Die beiden Männer hät- „Solange die USA ihre bös­ fik getestete Wasserstoffbombe China bestellte den Nordkoreas dass zwei andere israelische Pas- die Polizei zur Überprüfung der ten dann aber selbst den Rück- arti­ge Anti-Nordkorea-Politik war mehr als 700-mal so stark Botschafter ein. Noch am Mitt- sagiere aus Sicherheitsgründen Papiere eingetroffen sei, hätten zug angetreten. Aegean stellte fort­setzen, so lange werden wir wie die Hiroshima-Bombe. woch soll der UN-Sicherheitsrat überprüft werden“, erklärte Ae- nach anfänglich „drei bis vier“ ihnen eine Unterkunft und ei- nicht aufhören, unser Atompro- Der technische und finan- zusammentreten. gean am Dienstag. Der Vor- schon „60 bis 70 Passagiere“ nen Ersatzflug mit der israeli- gramm weiterzuentwickeln.“ zielle Aufwand der Entwick- Meinung + Diskussion SEITE 17 fall ereignete sich bereits am gefordert, die Männer des Flug- schen Linie El Al am Montag. Meinung + Diskussion DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 17

BLASPHEMISCHE GEDANKEN ZUM JAHRESTAG VON DANIEL BAX Je ne suis pas Charlie

ber Tote nur Gutes. Dieses wei- Sarkozy 2009 zum Chef des staatli- hevolle Leitmotiv schwebt über chen Radiosenders France Inter beru- Ü vielen Beiträgen zum Jahrestag fen. Sein Nachfolger Stéphane Char- des Massakers an den Mitarbeitern des bonnier („Charb“) setzte den antimus- Satiremagazins Charlie Hebdo. Vom limischen Kurs fort, der – das gehört Springer-Verlag bis zur taz – alle wol- zur historischen Wahrheit dazu – sich len „Charlie“ sein, immer noch. Doch finanziell lohnte. Nur die ständigen so sympathisch jede Hommage an die Kontroversen um Mohammed-Kari- ermordeten Zeichner ist, so fragwür- katuren hielten das Blatt, das seine dig ist ihre Verklärung. Die Sakralisie- besten Zeiten längst hinter sich hatte, rung des Gedenkens zeigt sich schon noch im Gespräch und brachten es fi- in der Sprache, wenn sie zu „Märty- nanziell über die Runden. rern der Meinungsfreiheit“ verklärt Doch man kann sich fragen, ob werden. Vom Vorwurf des Rassismus, das noch Satire war und ist. Denn der dem Blatt bis zum Attentat vor ei- im Sinne Tucholskys ist eine Satire nem Jahr noch gemacht wurde, wollen keine Satire, wenn sie gegen Schwä- viele nichts wissen und reagieren be- chere tritt. Mohammed-Karikaturen troffen und pikiert bis empört, wenn aber sind keine Kritik an religiösem ihn jemand zur Sprache bringt. Fundamentalismus – sie machen sich Dass die Fans eines Blatts, das sich über den Glauben religiöser Muslime angeblich die Respektlosigkeit ge- lustig, die in Frankreich nun mal eine genüber allem, was heilig ist, auf die diskriminierte Minderheit sind. Das Druckfahnen geschrieben hat, auf Pi- ist ein kleiner, aber elementarer Un- etät pochen, ist paradox. Mit autoritä- terschied. Der Grat zwischen Humor rer Pose erklären sie gläubigen Mus- und Hetze ist manchmal schmal. Der limen, man könne auf ihre religiösen ermordete Herausgeber Charb aber Gefühle leider keine Rücksicht neh- drehte den Vorwurf sogar um und men – aber wenn man ihre eigenen behauptete, all jene, die sein Blatt Idole kritisiert, reagieren sie so dünn- kritisierten, seien die wahren Rassis- häutig, als habe man ihren Propheten ten. Denn es sei Rassismus, eine Min- beleidigt. Charlie Hebdo wird zu ei- derheit vor Spott schützen zu wollen. nem Symbol der „Meinungsfreiheit“ Nach dieser wirren Logik müsste Char- In der 10-Prozent-Nische stilisiert. Aber alle, die nicht in den all- lie Hebdo antisemitisch gewesen sein, gemeinen „Je suis Charlie“-Chor ein- denn Witze über Juden hat sich das GRÜNE Die Ökopartei buhlt seit gut zwei Jahren um die Gunst konservativer stimmen wollen, werden an den Rand Blatt weitgehend verkniffen. Wähler, trotzdem stagniert sie in den Umfragen. Warum ist das so? gedrängt und verdächtigt, mit Terro- Antijüdische Karikaturen sind in risten zu sympathisieren. Der Sozio- der europäischen Presse ein Tabu, ie Grünen sind unglücklich sellschaftsentwurf vertreten sollten, die Grünen gerade kultivieren, nicht loge Emmanuel Todd musste das leid- nicht zuletzt aus Respekt vor den Ge- verliebt. Sie werben um die der die Bedürfnisse Unterprivilegier- funktioniert. Özdemir und Kretsch- voll erleben. Wie er in Frankreich an- fühlen der Opfer des Holocausts. Zu Gunst des konservativen Bür- ter mitdenkt. Die neuen Grünen er- mann loben Merkel bei jeder Gele- gefeindet wird, weil er es wagte, den Recht. Aber mit welchem Argument D gertums, sie flirten auf Teufel sparen sich solche Debatten, weil genheit für ihre Haltung in der Flücht- nationalen Konsens in Frage zu stel- kritisiert man antisemitische Kari- komm raus, aber die Gutbürgerlichen sie vermuten, dass das Interesse der lingskrise. Sie tun das in der Hoffnung, len, gibt seiner These, dass der post- katuren etwa in arabischen Medien, zeigen ihnen die kalte Schulter. Mittelschicht an ehrlichen Antwor- auf der richtigen, weil: weltoffenen hume Kult um Charlie totalitäre Züge wenn man antimuslimische Karika- Nur 9 bis 10 Prozent der Deutschen ten überschaubar ist. Sie schweigen, Seite zu stehen. Dabei löst Merkel das trägt, eindrücklich recht. turen vehement mit Verweis auf die würden die Grünen wählen. Wenn am weil sie die Wiederwahl von Kretsch- Problem längst auf ihre eigene, dia- Natürlich war das Attentat ein ab- „Meinungsfreiheit“ verteidigt? Gilt Sonntag Bundestagswahl wäre, wür- mann im März nicht gefährden wol- lektische Art. Ihre Wir-schaffen-das- scheuliches Verbrechen. Aber vieles, die Meinungsfreiheit nur für Euro- den die Grünen fast so schlecht ab- len. Jede linke Konturierung im Bund, Rhetorik klingt liberal, aber faktisch was dem Heft seitdem nachgesagt päer, die sich über den Islam lustig schneiden wie bei ihrem Wahldeba- so die Befürchtung, könnte dem Regie- gibt sich die Kanzlerin Mühe, Europas wird, ist ein Mythos. Eine fromme machen? Oder warum hat keine deut- kel 2013, das vom Veggieday, der Pä- rungschef in Stuttgart schaden. Außengrenzen abzuschotten. Es wäre Lüge ist etwa die Behauptung, es sche Zeitung die berüchtigten Holo- dophilie-Debatte und linksgrüner Wenn einer Oppositionspartei die die Aufgabe der Opposition, diesen habe nach allen Seiten gleichermaßen caust-Karikaturen aus dem Iran nach- Steuerpolitik geprägt war. Die Um- Angriffslust abhandenkommt, tut ihr Widerspruch offenzulegen. Stattdes- ausgeteilt. Nein, auch Charlie Hebdo gedruckt, wenn es doch angeblich da- fragewerte der Bundesgrünen wir- das meist nicht gut. Der Auftritt der sen machen sich die Grünen zu Kron- kannte Tabus. Der langjährige Zeich- rum geht, alles verspotten zu dürfen? ken seither wie festgefroren, die Par- Grünen hat etwas beflissen Kontur- zeugen von Merkels Scheinliberalität. ner Siné musste 2008 gehen, weil ihm Auch die taz hat das nicht gemacht, tei sitzt seit zwei Jahren in der 10-Pro- loses. Sie wirken wie ein Mensch, der vorgeworfen wurde, eine Karikatur aus gutem Grund. Aber wie schon zent-Nische. In der Politik ist das eine es sich mit keinem verscherzen will, Die Nähe zur Kanzlerin über Nicolas Sarkozys Sohn sei „anti- nach dem Mord an dem niederländi- halbe Ewigkeit. was oft nicht besonders sympathisch Und die Wähler? Die, die Merkels semitisch“ gewesen. Karikaturen von schen Regisseur Theo van Gogh 2004, ist. Interessanter aber ist die Frage, wa- Willkommenskultur für echt halten, Schwarzen und Muslimen, die man der Muslime gerne als „Ziegenficker“ Versöhnung versus Angriff rum ihnen die Umarmung der Mitte wählen Merkel. Die, die ihre Dialek- eindeutig als rassistisch bezeichnen bezeichnete, zeigen sich Teile der Die Stagnation ist bemerkenswert, keine Prozentpunkte beschert. Viele tik gut finden, wählen Merkel. Und kann, waren dagegen okay. Linken unfähig, dem antimuslimi- weil sie eine beliebte Theorie wider- von Merkels Wählern pflegen ja längst die, die sich einen ganz anderen An- Unter seinem Herausgeber Phi­ schen Rassismus in den eigenen Rei- legt: Die Grünen könnten stark wach- einen grünen Lebensstil mit Biofood, satz wünschen, finden ihn jedenfalls lippe Val hatte das Blatt nach 2004 hen ins Auge zu sehen und sich da- sen, vielleicht eine kleine Volkspartei Ökostromvertrag oder Lastenfahrrad. nicht mehr bei den Grünen. Winfried einen stramm neokonservativen von zu distanzieren. Das Ergebnis ist werden, wenn sie in CDU-Milieus aus- Ein Grund für das 10-Prozent-Di- Kretschmann kopiert Merkels Politik- und antimuslimischen Kurs einge- eine Zwangssolidarität, die keine Zwi- greifen. Die dominierenden Figuren lemma ist, dass urgrüne Themen im stil in Baden-Württemberg übrigens schlagen. Zum Dank wurde Val von schentöne mehr zulässt. der Grünen im Bund, Cem Özdemir Moment keine Rolle spielen. Der Kli- sehr erfolgreich, indem er regiert, wie und Katrin Göring-Eckardt, haben mawandel, die Energiewende oder es ein moderner Christdemokrat tun sich diesem Ziel verschrieben. Auch Bioessen, ja, alles wichtig. Aber ange- würde. Er setzt auf eine behutsame Die Sakralisierung des Gedenkens zeigt sich, Winfried Kretschmann, der Baden- sichts von Großkrisen in Europa und Modernisierung des Landes, vor al- wenn man die Zeichner zu Märtyrern verklärt Württemberger, ist davon überzeugt der Welt, angesichts von Millionen lem aber auf den Erhalt des Status – und sehr erfolgreich. Wie passt das Flüchtlingen und anstehenden Ver- quo. Kretschmann kämpft für die In- zusammen? Warum funktioniert grü- teilungsfragen wirkt das doch arg ne- teressen von Konzernen wie Daimler, ner Konservatismus in Stuttgart, aber bensächlich. Wenn das Elend vor der er schützt die Finanzeliten bei der Erb- SVEN HANSEN ÜBER NORDKOREAS VERKÜNDETEN WASSERSTOFFBOMBENTEST nicht im Bund? Haben Angela Mer- Haustür steht, denkt die bürgerliche schaftsteuer. Er lässt die Finger von Ta- kels Wähler einfach nicht verstanden, Mitte pragmatisch. Darum soll sich bus für die Mittelschicht, siehe Gym- dass die Grünen den Kommunismus jemand kümmern, bitte schnell. Im nasium. Und er hat verstanden, dass Kim wird damit davonkommen nicht einführen werden, ja nicht mal Bund sind die Volksparteien die Küm- das Bürgertum bei allem Wohlwol- das vorgestrige Ehegattensplitting ab- merer, aber sicher nicht die Grünen. len auch Angst vor zu vielen Flücht- uch, da war ja noch was. Mit dem kann sich Pjöngjang sogar bestätigt schaffen würden? Das Dauertief liefert auch einen lingen hat. selbsterklärten Test einer Was- fühlen. Im Unterschied zu anderen au- Was haben die Grünen seit 2013 Hinweis darauf, dass die rückhalt- Diese Strategie geht auf – in einem H serstoffbombe ruft sich Nordko- toritären Regimen waren die Kims so nicht alles versucht, um neue Wähle- lose Bewunderung der Kanzlerin, die konservativ grundierten, reichen Bun- reas Regime der Welt in Erinnerung. wenig bereit, sich die Atomwaffen ab- rInnen zu locken. Sie sagten sich per desland und gegen eine gestrig wir- Zwar gibt es weder einen Beweis für handeln zu lassen, wie die USA nicht Parteitagsbeschluss vom Veggieday kende CDU mit einem blassen Kan- die Existenz einer solchen Bombe bereit waren, dem Regime den Be- los, einem Nonsens-Thema, das sei- didaten. Manch Bundesgrüner würde noch für das Gelingen des Tests. Aber stand zu garantieren. So wird der seit nerzeit die Bild-Zeitung hochgezogen Im Bund sind die Volks- dieses Modell gerne auf Berlin über- es wurde zumindest eine erdbeben- dem Koreakrieg anhaltende Konflikt hatte, die Springer-Leute dürften sehr parteien die Kümmerer, tragen, erste Versuche sind zu besich- ähnliche Erschütterung beim Testge- konserviert, was auch zu Pjöngjangs gelacht haben. Die Grünen zettelten tigen. Doch hier sieht das Setting völ- lände registriert. Dieses Pokerspiel innenpolitischer Logik passt. Metadebatten über Freiheit an, um aber sicher nicht die lig anders aus. Die Grünen sind in der passt zum Regime, das ohne (gemut- Nordkorea kann es sich leisten, in der Erbmasse der FDP zu wildern. Grünen Opposition, ihre Wählermilieus unter- maßte) Existenz seiner Atomwaffen mit Atomtests sein Regime zu stär- Sie wollten die neue Wirtschaftspartei scheiden sich stärker voneinander, die kaum internationales Gewicht hätte. ken, weil es um die strategische Kon- Deutschlands werden, wahlweise auch Inhalte müssen fürs ganze Bundes- Auch der Zeitpunkt passt: Während kurrenz zwischen China und den USA die neue Mittelstandspartei. gebiet taugen. Vor allem aber ist der sich die Welt sorgt, ob es zwischen in der Region weiß. China, von dem Inhaltlich zoomten die Grünen an Ulrich Schulte Platz der modern wirkenden Konser- Saudi-Arabien und Iran Krieg geben Nordkorea wirtschaftlich abhängig die Interessen des gut situierten Bür- ■■leitet das Parlamentsbüro der taz. Er vativen schon lange besetzt. Merkel wird, hat niemand Interesse daran, ist, äußert zwar deutliches Missfal- gertums heran, indem sie sich auf gu- berichtet über Bundespolitik, Schwer- macht in der Hinsicht keiner was vor. dass zudem der Konflikt mit Nordko- len, braucht aber Nordkorea als Puf- tes Essen, faire Landwirtschaft und punkt: Sozialdemokratie und Grüne. Anders gesagt kann Kretschmann rea eskaliert. Die Chancen stehen also ferstaat zu den US-Truppen in Südko- eine okaye Work-Life-Balance konzent- Schulte hat schon vor der Bundestags- Merkel gut finden, weil das auf sei- gut, dass das Regime bis auf hilflose rea und Japan. Peking wird sich hüten, rierten. Auf alles also, was den gut ver- wahl 2013 über die Ökopartei geschrie- nem Konto einzahlt. Die Bundesgrü- Sanktionsverschärfungen wieder da- mit Sanktionen einen unkalkulierba- dienenden Rechtsanwalt in Freiburg ben. Die Unterschiede zwischen damals nen aber dürfen sich bei ihrem Wer- vonkommt. ren Zusammenbruch Nordkoreas her- interessiert. Fragen, die den Grünen und heute findet er immer wieder ben um die Mitte nicht in den Schat- Nordkoreas Regime baut seine beizuführen. Auch für die USA und bis 2013 wichtig waren, tauchen bei erfrischend. ten der Kanzlerin ducken. Sie laufen Atomwaffenfähigkeit aus, weil es da- Südkorea, die wegen China schon den Kretschmann, Özdemir und Göring- Gefahr, links Wähler zu verlieren, wäh- rin eine Bestandsgarantie sieht. Vom Koreakrieg nicht gewonnen haben, ist Eckardt nicht mehr auf. Ob der Staat rend Merkels Wähler dann doch lieber früheren US-Präsidenten George W. eine weitergehende Konfliktverschär- Reiche stärker belasten muss, um die beim Original bleiben. Die 10 Prozent Bush auf der „Achse des Bösen“ veror- fung zu riskant. sozialökologische Wende zu bezahlen, belegen, wie groß dieses Risiko ist. tet und mit „regime change“ bedroht, Ausland SEITE 16 zum Beispiel. Oder ob Grüne einen Ge- ULRICH SCHULTE 18 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Flimmern + Rauschen

DAS SOLLTEN SIE SEHEN MEDIENTICKER Fass dich lang „I will always love you“ 131 TAGE IN TÜRKISCHER HAFT BERICHTERSTATTUNG ZU KÖLN ■■20.15 Uhr, Kabel 1, „Body- Vice-Journalist ist frei ZDF entschuldigt sich SOZIALE NETZWERKE Twitter guard“, Thrillerromanze, USA 1992, R: Mick Jackson, D: Kevin ISTANBUL | Nach 131 Tagen ist Mo- MAINZ | Das ZDF hat eine zu will die 140-Zeichen- Costner, Whitney Houston, Gary hammed Rasul, Mitarbeiter von zögerliche Berichterstattung Beschränkung kippen Kemp, Bill Cobbs Vice News, am Dienstag in der über die Übergriffe auf Frauen Eigentlich hat Leibwächter Türkei aus dem Gefängnis frei- in der Silvesternacht in Köln Der Nachrichtendienst Twitter – Frank Farmer zwei Grundsätze: gekommen. Der Iraker war mit eingeräumt. „Die Nachrichten- das sind 140 Zeichen Platz, um Nie Promis beschützen und sich zwei britischen Kollegen Ende lage war klar genug. Es war ein zu sagen, was man zu sagen hat. nie mit Klientinnen einlassen. August festgenommen worden. Versäumnis, dass die 19-Uhr- Eine Begrenzung, die zwingt, Doch als Diva Rachel seinen Den Journalisten wurde Unter- ‚heute‘-Sendung die Vorfälle sich aufs Wesentliche zu kon- Schutz vor einen Psychopathen stützung einer Terrororgani- nicht wenigstens gemeldet hat“, zentrieren. Ein Alleinstellungs- sucht, bricht er mit seinen Re- sation vorgeworfen. Sie hatten erklärte Vizechefredakteur El- merkmal. Genau an diesem al- geln. Bei der Oscar-Verleihung aus der Region um Diyarbakır mar Theveßen. Die Redaktion lerdings scheint das Unter- kommt es zum Showdown. berichtet, wo es zu Zusammen- habe entschieden, den Beitrag nehmen selbst jetzt rütteln zu Vor allem wegen der Filmmu- stößen zwischen Sicherheits- auf Dienstag zu schieben. „Dies wollen: Binnen drei Monaten sik wurde „Bodyguard“ weltbe- Karikatur: Nel Ioan Cozacu kräften und PKK-Kämpfern ge- war jedoch eine klare Fehlein- sollen Tweets bis zu 10.000 Zei- rühmt. kommen war. (dpa) schätzung“, so Theveßen. (dpa) chen lang sein dürfen, berichten mehrere US-Medien unter Beru- fung auf Quellen aus dem Twit- ter-Umfeld. Genauer erklärt der Medien- dienst Re/Code: An der Time- „Irgendwann passiert ja immer was“ line-Ansicht der Nutzer solle sich kaum etwas ändern, hier KUNST Im vierten Teil seiner TV-Persiflage mimt Olli Dittrich Lokalreporter Sandro Zahlemann (22.45 Uhr, ARD) sollen die Tweets weiterhin 140 Zeichen kurz angezeigt wer- VON JÜRN KRUSE Dieser Satz deutet darauf hin, Gespräch“, in dem Dittrich alle zusammen mit Wirtschaftsmi- Bahn: „Fahrschein? Wofür brau- den. Erst mit einem weiteren dass Olli Dittrich seinen Fern- Gäste selbst spielte. Wieder mit nister Gabriel und Verkehrsmi- chen wir einen Fahrschein? Wir Klick solle die Gesamtlänge er- Sandro Zahlemann wartet am sehzyklus fortsetzt. Im Mai 2013 dabei: Sandro Zahlemann. Sein nister Dobrindt jeden Moment sind vom Fernsehen.“ Ein biss- scheinen. Gleis 16 des Leipziger Haupt- hatte er mit „Frühstücksfernse- stärkster Satz: „Irgendwann pas- im neuen ICE 4 hier eintreffen chen was über den neuen ICE 4: Berichte, die Twitter-Chef bahnhofs. Gleich wird er ein- hen“ angefangen: aufgesetzte siert ja immer was.“ Im dritten muss. Doch dann: Telefon. Zah- „Es handelt sich um einen Zug, Jack Dorsey nicht dementierte treffen, der König von Bhutan. Fröhlichkeit, dumme Gewinn- Teil nahm sich Dittrich die Do- lemanns Informant ist dran. der innen eine Resopalbeschich- – in einem sehr langen Text, Hinter ihm Rednerpulte, Staats- spiele, sinnlose Beiträge, da- kumentationen vor und mimte „Ach du lieber Himmel, 20 bis tung hat, die sich sozusagen il- der einem Tweet als Bild ange- flaggen, Dutzende Journalisten zwischen Nachrichten mit einer „Schorsch Aigner – der Mann, 30 Minuten, letzter Waggon.“ luminierenderweise ändert, je hängt war, erklärte er einerseits und das „Heeresblasorchester Liveschalte zum sächsischen Au- der Franz Beckenbauer war“. Der König hat Verspätung. Der wärmer oder kälter es ist.“ seine Liebe zum kurzen Tweet, der Finkenherder Berufsfeuer- ßenreporter Sandro Zahlemann, Nun ist Zahlemann dran. Er Zug steckt in Jesewitz fest. Doch Die halbe Stunde hat Dittrich argumentierte anderseits aber wehr“. „Alles das, liebe Zuschau- der seit zwei Tagen in Budenow steht im Mittelpunkt des vierten das ist für Zahlemann selbstver- in nur einer Kameraeinstellung auch, welche Vorzüge längere erinnen und Zuschauer, deutet vor Ort war, weil im dortigen Parts der Fernsehgenre-Persifla- ständlich kein Problem. Er ist gedreht. Keine Schnitte, immer Texte hätten. darauf hin, dass der Begriff Gro- Chemiewerk „eine mögliche gen: „Der Sandro-Report – Zah- schließlich ein Reporterfuchs. nur draufgehalten. So wie es All das bestätigt Gerüchte, die ßer Bahnhof selten besser pas- Verpuffung nicht mehr ausge- lemann live.“ „Bau ab den Hobel“, sagt er sei- sich für einen Livereport gehört. schon seit vergangenem Herbst sender war, denn je als heute ge- schlossen werden konnte“. Im Und so wartet er im Bahnhof nem Kameramann. Zahlemann 80 Komparsen waren im Ein- herumwabern – und polarisie- wesen sein könnte.“ Dezember 2014 folgte „Das Talk- auf den König von Bhutan, der will dem Ehrengast entgegen- satz. Alles wurde x-fach geprobt. ren: Während ein Teil der Twit- fahren und das erste Interview Und dann war beim ersten Take ter-Nutzer fast schon religiös an mit dem König führen. das Ganze doch zwei Minuten zu der Zeichenbegrenzung hängt, Dittrich ist in seiner Über- lang geraten. Also alles – wirk- mosern andere, dass inhaltli- zeichnung der Person Zahle- lich alles – nochmal. Denn kein che Debatten oder das Ausfüh- mann wieder so nah dran am Schnitt bedeutet auch: keine ren komplizierterer Argumente Original, dass man erst durch Korrekturmöglichkeit. Beim auf 140 Zeichen praktisch un- seinen bewussten Einsatz der zweiten Versuch saß es dann: möglich sind. (zumeist verdrehten) Redensar- 30 Minuten und zehn Sekunden Der Wegfall der 140-Zeichen- ten merkt, wie viel dieser von al- Zahlemann live. Herausgekom- Grenze bedeutet aber auch: ler Sinnhaftigkeit befreiten Re- men ist große Fernsehkunst und Twitter hat sich genau ange- porterfloskeln wir ZuschauerIn- -unterhaltung. Oder wie Zahle- schaut, wie etwa Facebook ver- nen eigentlich über uns ergehen mann es ausdrückt: „Besondere sucht, Inhalte auf die eigene lassen. Wer viel furzt, lässt halt Ereignisse erfordern besondere Seite zu ziehen. Bislang passt viel heiße Luft ab. Eine halbe Ereignisse.“ in Tweets nicht mehr als der Stunde labert sich Zahlemann Link zu Inhalten, die anderswo erst durch den Bahnhof, als er im Netz veröffentlicht wurden. nach einem Abfahrtsplan sucht, Ist es möglich, auch auf Twitter dann labert er weiter, während längere Texte zu posten, moti- er zur Regionalbahn rennt, er la- viert man Nutzer, Inhalte bei ih- bert, wenn er einsteigt, er labert, nen zu posten. Ganz so, wie Face- wenn er durch den Zug läuft, er book dies mit seiner Instant-Ar- labert, wenn er im Zug Pause ticles-Strategie anstrebt. macht und eine Stulle isst. Ob dies nun der Befreiungs- Mal ein bisschen was über schlag für Twitter sein wird – Bhutan: Erbmonarchie, am ein Unternehmen, dessen ak- Fuße des Himalaja, exotische tive Nutzerzahlen stagnieren Tierwelt, „Sie können dort auch und das bis heute keine schwar- mit der indischen Rupie bezah- zen Zahlen schreibt –, darf hef- Karikatur: Mario Lars len, allerdings nicht bei der Tier- tig bezweifelt werden. MLA welt“. Ein bisschen was über die

TIL SCHWEIGER ENTSCHULDIGT SICH LEISE FÜR SEINE KRITIK AN NÖRGLERN („TROTTEL“). PAH, EIN CHUCK NORRIS SAGT NIEMALS SORRY!

20.15 Der Bergdoktor 21.15 Criminal Minds: Die Ander- 10.50 Franklin & Freunde 19.10 ARTE Journal 18.50 Service: Gesundheit ARD 21.45 heute-journal sons. USA 2014 11.15 Wickie und die starken 19.30 Die Alpen von oben BAYERN 19.15 Alle Wetter! RBB 12.00 Tagesschau 22.15 17.000 Kilometer Kanada 22.10 Criminal Minds: Das ge- Männer 20.15 Schönefeld Boulevard. Tra- 18.00 Abendschau 19.30 hessenschau 18.00 rbb um 6 12.15 ARD-Buffet 23.00 James Bond 007 – Leben schenkte Leben. USA 2006 11.40 Peter Pan – Neue Aben­ gikomödie, D 2014. Regie: 18.45 Rundschau 20.00 Tagesschau 18.30 zibb 13.00 ZDF-Mittagsmagazin und sterben lassen. Agen- 23.15 Criminal Minds: Wander- teuer Sylke Enders. Mit Julia Jen- 19.00 Geld und Leben 20.15 Das große Wunschkonzert 19.30 Abendschau 14.00 Tagesschau tenthriller, GB 1973. Regie: lust. USA 2008 12.05 Pinocchio droßek, Daniel Sträßer 19.45 Dahoam is Dahoam 21.45 Mord mit Aussicht: Terror in 20.00 Tagesschau 14.10 Rote Rosen Guy Hamilton. Mit Roger 0.10 Criminal Minds: Pulcinella. 12.25 Garfield 21.50 Untergetaucht (1/3): Die 20.15 Wie viel Heimat steckt in Hengasch. D 2012 20.15 Polizeiruf 110: Tod in der 15.00 Tagesschau Moore, Yaphet Kotto USA 2015 12.55 Die fantastische Welt von Untergegangenen. F 2014 einem Haus? 22.35 hessenschau kompakt Bank. D 2007 15.10 Sturm der Liebe 0.55 heute+ Gumball 22.40 Untergetaucht (2/3): Nar- 21.00 Willy Astor live auf der Büh- 22.50 Die unglaublichsten Jobs 21.45 rbb aktuell 16.00 Tagesschau 1.10 Ray Donovan 13.15 4 ½ Freunde kose. F 2014 ne! der Hessen 22.15 Liebling, wir haben geerbt! 16.10 Nashorn, Zebra & Co. 1.55 George Gently – Der Unbe- PRO 7 13.40 Die Pfefferkörner 23.25 Untergetaucht (3/3): De 21.45 Rundschau Magazin 23.35 Die Firma Hesselbach 23.45 Sound of Heimat – 17.00 Tagesschau stechliche: Entführt. 12.20 How I Met Your Mother 14.10 Schloss Einstein profundis – Aus der Tiefe. F 22.00 Greenberg. Komödie, USA 0.20 Anderson – Anatomie des Deutschland singt 17.15 Brisant GB 2012 12.45 Two and a Half Men 14.35 Schloss Einstein 2014 2010. Regie: Noah Baum- Verrats 1.15 Abendschau 18.00 Gefragt – Gejagt 14.40 2 Broke Girls 15.00 Emmas Chatroom 0.10 Tatis Schützenfest. Komö- bach 18.50 In aller Freundschaft – RTL 15.35 The Big Bang Theory 15.25 Horseland, die Pferderanch die, F 1949. Regie: Jacques 23.40 Rundschau Nacht WDR Die jungen Ärzte 17.00 taff 15.45 Hexe Lilli Tati. Mit Jacques Tati, Guy 23.50 Haus aus Sand und Nebel. MDR 20.00 Tagesschau 12.00 Punkt 12 18.00 Newstime 16.15 Garfield Decomble Gesellschaftsdrama, USA 18.00 WDR aktuell / Lokalzeit 18.10 Brisant 20.15 Gefragt – Gejagt XXL 14.00 Der Blaulicht-Report 18.10 Die Simpsons 16.50 Pound Puppies – Der 1.35 Left Foot Right Foot. So- 2003. Regie: Vadim Perel- 18.15 Servicezeit 19.00 MDR Regional man. 21.45 Panorama 16.00 Verdachtsfälle 19.05 Galileo Pfotenclub­ zialdrama, CH/F 2012. 18.45 Aktuelle Stunde 19.30 MDR aktuell 17.10 Peter Pan – Neue Aben­ 1.55 Wie viel Heimat steckt in 22.15 Tagesthemen 17.00 Betrugsfälle 20.15 21 Jump Street. Actionko- Regie: Germinal Roaux. 19.30 Lokalzeit 19.50 Der Kreuzchor teuer einem Haus? 22.45 Der Sandro-Report – Zahle- 17.30 Unter uns mödie, USA 2012. Regie: Mit Nahuel Perez Biscayart, 20.00 Tagesschau 20.15 Lebensretter 17.35 Mia and me – Abenteuer in mann Live 18.00 Explosiv – Das Magazin Phil Lord, Chris Miller. Mit Agathe Schlencker 20.15 Tatort: Familienbande. 21.00 Hauptsache gesund extra 23.15 Die Wiwaldi Show 18.30 Exclusiv – Das Star-Magazin Jonah Hill, Channing Tatum Centopia D 2010 21.45 MDR aktuell 23.45 Nachtmagazin 18.45 RTL aktuell 22.30 Planet der Affen: Prevolu- 18.00 Mascha und der Bär SWR 21.45 WDR aktuell 22.05 artour 0.05 Gefragt – Gejagt XXL 19.05 Alles was zählt tion. Science-Fiction-Film, 18.15 Q Pootle 5 3SAT 18.00 SWR Landesschau aktuell 22.10 Menschen hautnah 22.35 Wintermärchen St. Peters- 1.40 Kalter Schweiß. Gangster- 19.40 Gute Zeiten, USA 2011. Regie: Rupert 18.40 Maulwurfgeschichten 18.15 Echt gut! Klink & Nett 22.55 #fluechtlinge – Was sind burg film, I/F 1970 schlechte Zeiten Wyatt. Mit James Franco, 18.50 Unser Sandmännchen 18.30 Die Herz-Docs (4/5) 18.45 SWR Landesschau Rhein- wir für ein Land? 23.05 Lebensläufe 20.15 Der Lehrer Andy Serkis 19.00 Wickie und die starken 19.00 heute land-Pfalz 23.40 Schnee von gestern 23.35 Jungbrunnen der Welt 22.15 Anwälte der Toten – Rechts- 0.35 Sirens Männer 19.20 Rock the Classic (4/6) 19.30 SWR Landesschau aktuell 1.15 Eifelgeschichten ZDF mediziner decken auf 19.25 Wissen macht Ah! 20.00 Tagesschau 20.00 Tagesschau 12.00 heute 0.00 RTL Nachtjournal 19.50 logo! Die Welt und ich 20.15 Nichts zu verzollen. Komö- 20.15 Das Weltkulturerbe im Süd- PHOENIX 12.10 drehscheibe 0.30 Der Lehrer KI.KA 20.00 Ki.Ka Live die, F/B 2010. Regie: Dany westen NDR 17.30 Vor Ort 13.00 ZDF-Mittagsmagazin 8.00 Sesamstraße 20.10 Die Jungs-WG Boon. Mit Benoît Poelvoor- 21.45 SWR Landesschau aktuell 18.00 Ländermagazine 18.00 Vorsicht Kreditfalle! 14.00 heute – in Deutschland 8.25 Lulu Zapadu 20.35 Dienstags ein Held sein de, Dany Boon 22.00 Odysso 18.15 Typisch! 18.30 Aldi, Lidl & Co. – Wie gut 14.15 Die Küchenschlacht SAT.1 8.50 Löwenzähnchen – Eine 22.00 ZIB 2 22.45 Kunscht! 18.45 DAS! sind Discounter-Lebensmit- 15.05 Bares für Rares 12.00 Richter Alexander Hold Schnüffelnase auf Entde- 22.25 Vorsicht Sehnsucht. Komö- 23.15 lesenswert 19.30 Ländermagazine tel? 16.00 heute – in Europa 14.00 Auf Streife ckungstour ARTE die, I/F 2009. Regie: Alain 23.45 Up in the Air. Tragikomödie, 20.00 Tagesschau 19.15 Der Ikea-Check 16.10 SOKO Wien: In bester 16.00 Anwälte im Einsatz 9.00 Kleine Prinzessin 11.30 360° – Geo Reportage Resnais. Mit Sabine Azéma, USA 2009. Regie: Jason 20.15 mareTV 20.00 Tagesschau ­Gesellschaft. D/A 2010 17.00 Mein dunkles Geheimnis 9.25 Doozers 13.20 ARTE Journal André Dussollier Reitman. Mit George Cloo- 21.00 mareTV 20.15 Oman 17.00 heute 17.30 Schicksale – und plötzlich ist 9.45 Abby‘s fliegende Feen­ 13.45 Mein Onkel. Komödie, F/I 0.04 10vor10 ney, Vera Farmiga 21.45 NDR//aktuell 21.00 Dubai 17.10 hallo deutschland alles anders schule 1958. Regie: Jacques Tati 0.30 Rundschau 1.25 Nachtcafé 22.00 Der Tatortreiniger 21.45 heute journal 17.45 Leute heute 18.00 In Gefahr – Ein verhängnis- 9.55 Au Schwarte! – Die Aben- 15.35 Iran im Herzen 1.15 Reporter 23.00 Heimat ist kein Ort 22.15 Der Fall Charlie Hebdo 18.05 SOKO Stuttgart: Mord mit voller Moment teuer von Ringel, Entje und 16.05 X:enius 1.40 Hessen-Reporter 0.30 Der englische Patient. 23.55 Von Charlie Hebdo bis Stil. D 2015 19.55 Sat.1 Nachrichten Hörnchen 16.35 Biblische Detektivgeschich- 2.10 Darwins neue Welt HESSEN Liebesdrama,­ USA/GB Bataclan­ 19.00 heute 20.15 Criminal Minds: Pulcinella. 10.30 Babar und die Abenteuer ten 2.50 Darwins neue Welt 18.00 Maintower 1996. Regie: Anthony 0.45 Oman 19.25 Notruf Hafenkante USA 2015 von Badou 18.25 Die Alpen von oben 3.35 Darwins neue Welt 18.20 Brisant Minghella 1.30 Dubai Leibesübungen DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 TAZ.DIE TAGESZEITUNG 19

OLYMPISCHE WIMMELEI Wie sich die alle freuen!

Es ist da! Das große Wimmel- KULTURBEUTEL buch, das den ganz Kleinen den olympischen Sport nahe- VON bringen soll. „Meine Deutsche ANDREAS RÜTTENAUER Olympiamannschaft“ heißt das von Heiko Wrusch gezeichnete Werk, ist im Bachem Verlag er- schienen und wird vom Deut- braucht er nicht mehr. Die Som- schen Olympischen Sportbund merspiele, die sind ja im Som- kräftig beworben. Gar nicht so mer. Dem war einfach heiß und einfach, damit bei einem Drei- dann hat er das zerrissen. Aber jährigen für Olympia zu wer- nicht nachmachen! ben. Wir haben es versucht. Ja, in einem Dorf stehen nor- malerweise keine Hochhäuser. ein, der ist doch nicht Im olympischen Dorf ist das dick. Der hat einen gro- anders. Da wohnen alle Sport- N ßen Kopf. Sonst ist er top- ler aus der ganzen Welt. Schau, fit. Er ist ein bisschen klein, das wie die alle lachen. Für die ist es stimmt schon, aber sonst. Das das Größte im Leben, mal in ei- ist Trimmy, das Maskottchen nem olympischen Dorf wohnen des DOSB. Das ist der oberste zu dürfen. Da gibt es alles. Da Sportverein in Deutschland. kann man Tischtennis spielen DOSB, das ist eine Abkürzung, so oder was essen und schlafen na- wie VW oder Kita. Dachorganisa- türlich. Den da hinten kennst du tion der Sports in der Bundes- aber. Das ist der Usain Bolt, der republik heißt das. Oder, nein: so schnell laufen kann. Und da Deutscher Oberster Sportbund. ist einer gerade beim Arzt. Nein, Nein, halt, genau: Deutscher der ist nicht krank. Vielleicht ist Olympiamedaillensammler- es ein Russe. Aber das musst du bund. Egal, DOSB eben. Schau: noch nicht verstehen. Karikatur: ©TOM Das steht auch auf dem T-Shirt Ja, das kennst du natürlich. von Trimmy. Das ist das Logo der Sparkasse. Wie sich der freut, wie er Und das sind die vier olympi- da so steht – mitten im Olym- schen Ringe von Audi. Die Fir- piastadion. Da schwenken die men zahlen dem DOSB Geld, da- Leute Fahnen. Der mit der grü- mit er ein Haus mieten kann, wo Der Norwegencup nen Sonnenbrille ist für Irland. sich dann alle treffen: das Deut- Ukraine, Ghana, Italien. Und da sche Haus. Schau, da unten sitzt SKILANGLAUF Die Dominanz der Skandinavier im Weltcup sorgt für Langeweile. Weil die hinten, die grün-gelbe Fahne. Boris Becker. Das war mal ein Vatikan, bin ich mir aber nicht Tennisspieler. Tennis? Wir ha- interne Rivalität so kräftezehrend ist, dürfen die anderen Nationen aber noch hoffen sicher. Und daneben die Fans ben doch so ein Federballspiel. aus Liechtenstein. Richtig, das ist So ähnlich. Als Papa und Mama VON REINHARD WOLFF Northug, erfolgreichster Lang- auf brennen, selbst ähnlich er- sei. Es habe sich nämlich erwie- blau und das ist orange. Irgend- jünger waren, hat jeder gewusst, läufer bei Nordischen Weltmeis- folgreich zu werden, ist auch sen, dass früher besser trainiert was mit Holland, glaube ich. was das ist – Tennis. Und der da Keine Überraschung, dass terschaften, glaubte die herum- kein Geheimnis. Er habe in der wurde und sich zwischenzeit- Warum der da im Wassergra- mit dem Schlüssel für das Haus, das Mutterland des Skilang- mäkelnden schwedischen Kon- Schweiz, Deutschland und Ka- lich viel nicht mehr hinterfragte ben einfach stehen geblieben das ist der Chef von dem DOSB. laufsports an der Weltspitze kurrenten vor einigen Wochen nada als Trainer gearbeitet, be- Routine eingeschlichen hatte. ist? Das weiß ich nicht. Und das Neumann, heißt der, oder Hof- führend mitmischt. Aber wie mit einem ähnlichen Rat ärgern richtete der mehrfache Welt- da, nein, das ist kein Basketbal- mann. Oder irgendwas dazwi- die norwegischen SportlerInnen zu müssen: „Auf dem Sofa sitzen meister Tor-Arne Hetland kürz- Die norwegische ler. Das ist ein Kugelstoßer. Wa- schen. Genau. Hermann. Das bislang in dieser Saison domi- und Süßigkeiten futtern reicht lich in der Aftenposten: Auf die Trainingsbibel rum der das macht? Das ist eine ist der wichtigste Mann im deut- niert haben – 23 von 27 mögli- nicht.“ ökonomischen Ressourcen, die Der Verband habe daraufhin Kernsportart, weißt du. Da wa- schen Sport. Den Namen musst chen Siegen und 57 von 81 Po- Dabei fängt das Geheimnis Norwegen hatte, sei er da nie neue Trainingsrichtlinien ent- ren wir immer gut. Nein, nicht du dir merken. Hermann. destplätzen –, kommt auch nicht der norwegischen Erfolge aber neidisch gewesen. „Ich habe wickelt, diese in einer umfas- Mama und ich. Wir Deutschen Die deutschen Sportler haben in jedem Winter vor. Gestern wa- nicht erst beim Training der das Gefühl, wir hatten insoweit senden Seminartätigkeit nicht konnten immer schon gut Ku- sogar ein eigenes Flugzeug. Und ren wieder vier Norwegerinnen Spitzensportler an. Sondern wie wirklich gleiche Voraussetzun- nur auf Eliteniveau, sondern bis gelstoßen. Und Diskuswerfen. wer eine Medaille gewonnen vorn, als im Rahmen der Tour de bei Northug auf einem Bauern- gen.“ hin zum kleinsten Verein weiter Das ist was Ähnliches wie Kugel- hat, der darf mitfliegen. Und Ski 10 km im klassischen Stil ge- hof, wo der Vater dem fünfjäh- „Und eigentlich ist es sowieso vermittelt, mehrfach den aktu- stoßen, bloß dass die Kugel flach wenn das Flugzeug gelandet laufen wurden. Es dominierte rigen Petter im Schuppen die immer eine Wellenbegung”, ellen Gegebenheiten angepasst ist und nicht geworfen, sondern ist, dann steht dieser Mann da wieder einmal Therese Johaug. ersten Skier wachste, damit der sagt Anders Aukland. Der Staf- und über die Jahre hinweg fest geschleudert wird. Und außer- und gratuliert. Den kennst du. Bei den Männern, die gestern auf einer selbst gebauten klei- felolympiasieger von Salt Lake verankert. Nun habe man lan- dem fliegt die flache Kugel dann Das ist dein Präsident, genau, 15 km in Oberstdorf zurückleg- nen Schanze Skispringen üben City 2002 hat selbst das Wel- desweit eine einheitliche Coa- viel weiter. Schau, da unten steht der an Weihnachten das Mär- ten, wurde der beste Norweger konnte. Wächst im Zweifel je- chingkultur. Heimlich sei an Robert Harting. Der ist Olympia- chen im Fernsehen vorgelesen zwar nur Vierter, dennoch domi- des Kind, sobald es laufen kann, Trainingsprogramm und -phi- sieger im Diskuswerfen. Siehst hat. Und? Willst du auch mal zu niert Martin Johnsrud Sundby auch auf Skiern auf, setzt sich losophie gar nichts, die vom Ski- du, wie sich der freut? Das Trikot Olympia? Bestimmt. in diesem Winter. „Wir haben die sportliche Förderung erst in „Auf dem Sofa sitzen verband 2013 herausgegebene die Konkurrenz k. o. geschlagen“, den Schulen und dann in spe- „Trainingsbibel“ gebe es mittler- frohlockte die Osloer Tageszei- ziellen Spitzensportgymnasien und Süßigkeiten weile auch in deutscher Überset- tung Aftenposten dieser Tage. Ei- („Toppidrettsgymnas“) fort. Hat futtern reicht nicht“ zung. „Das Buch ist Pflichtpen- WAS ALLES NICHT FEHLT tel Freude herrscht darüber al- man die absolviert, winken Ta- sum in jedem norwegischen NORWEGENS SPITZENLÄUFER lerdings nicht einmal in Norwe- lent-Stipendien der einzelnen PETTER NORTHUG Trainerkurs und sollte es viel- Ein Reformplan: Der angeschla- Eine Absage: Der deutsche Ten- gen selbst. „Wir nähern uns dem Sportverbände oder des natio- leicht in anderen Ländern auch gene Leichtathletik-Weltver- nisprofi Tommy Haas wird nicht Punkt, wo Langlauf wegen der nalen Olympischen Komitees, sein“, empfiehlt Kroksæter. band IAAF will in diesem Jahr an den Australian Open in Mel- norwegischen Dominanz lang- die es ermöglichen, ohne Ar- lental miterlebt, in das Norwe- Bleibt bis zum Beweis des Ge- seinen Anti-Doping-Etat ver- bourne, die am 18, Januar begin- weilig wird“, befürchtet Morten beit oder Studium Spitzensport gens Skilanglaufsport ab Mitte genteils also als Erklärung des doppeln und eine eigene Ermitt- nen, teilnehmen. Eine erneute Aa Djupvik, bis 2011 Trainer der zu betreiben. Goldmedaillen- der 2000er Jahre zeitweise ab- norwegischen Höhenflugs die lungseinheit zur Bekämpfung Schulterverletzung zwingt den norwegischen Langlaufmänner gewinnerInnen und Weltmeis- gerutscht war. 2001 und 2002 fest verankerte Langlaufkultur, von Doping, Korruption und an- 37-jährigen Hamburger zu einer und seit 2014 Sportchef beim Bi- ter wie Ole Einar Bjørndalen, Liv sei Norwegen ähnlich domi- eine Skisporttradition mit dem deren Vergehen gründen. Spielpause. athlonverband. Grete Poirée oder Martin Johns- nant gewesen wie in dieser Sai- geografischen Vorteil langer So eine Dominanz ist fürs das rud Sundby durchliefen solche son. Und er erinnert an die le- schneereicher Winter und Loi- Business nicht gut. Auch wenn Talentschmieden. gendären Pressefotos, die bei pen gleich vor jeder Haustür, nun die NorwegerInnen jedes der Weltcup-Premiere 2001 im ein nahezu unerschöpfliches Re- Rennen an der Mattscheibe ver- Erfolge kommen finnischen Kuopio acht Norwe- servoir an jungen Talenten und folgen, sind sie vor allem in Po- in Wellenbewegungen ger auf den ersten acht Plätzen besseres Training? „Das Rezept len und Deutschland abgestürzt. Im Skilanglauf sei Norwegen zeigten. In Salt Lake City stärkste gegen einseitige Wettkämpfe „Die Leute wollen einen Weltcup Kapitalismus, bei den meisten Nation, sei man vier Jahre später ist jedenfalls nicht, dass die ©TOM-Fußmatte sehen und keinen Norwegen- Konkurrenten nur Idealismus bei der Turin-Olympiade regel- Norweger schlechter werden“, cup“, beklagte Filip Grabowski, und Enthusiasmus, meinte recht im Keller gelandet: „Und so versicherte Fis-Renndirektor Damit Menschen, die keine Ironie verstehen, draußen der beim internationalen Ski- Inge Bråten, mittlerweile ver- etwas hat nichts mit dem Wach- Pierre Mignerey im norwegi- bleiben. Die Matte bestehtaus strapazierfähigemKokos und verband Fis die Fernsehrechte storbener Skilanglauftrainer sen zu tun.“ schen Rundfunk NRK: „Die an- ist rutschfest. Maße:60x40x1,5 cm. verwaltet. und der Mann hinter den Er- Es waren diese Krisenjahre, deren Nationen müssen besser Aber warum sind sie so über- folgen bei der Winterolympi- deren direktes Resultat die jet- werden.“ legen, die NorwegerInnen? ade in Lillehammer im Jahre zigen Erfolge sind, glaubt Kjetil Und bis zum Saisonende tut Selbstverständlich spielen die 1994, vor einigen Jahren in ei- Kroksæter, Sportkommentator sich vielleicht noch was, glaubt Breite dieser Sportart und die nem Interview. Das stimmt so bei der in Trondheim erschei- Aukland. Dann werde Norwe- deshalb große Rekrutierungsba- sicher nicht mehr. Aber natür- nenden Tageszeitung Adresse- gen nicht mehr so glänzend da- sis eine wesentliche Rolle, um zu lich spielt es eine Rolle, wenn avisen: „Krise führt nämlich stehen wie vorm Jahreswechsel: einer gut besetzten Elite zu kom- sich ein Land auf einige we- zur Entwicklung.” Damals sei „Die Konkurrenz untereinan- men, sagt Odd-Bjørn Hjelmeset, nige Sportarten konzentriert der Skiverband zu einem Neu- der ist so mörderisch, dass un- € 00 ehemaliger Spitzenläufer. Viel- und sich dort auch die meisten anfang gezwungen gewesen. In sere Läufer schon sehr zeitig in 27 leicht noch wichtiger sei aber: Sponsoren sammeln, wie in Nor- dessen Zentrum stand ein For- Topform sein müssen, um eine taz Shop |taz Verlags- und Vertriebs GmbH „In Norwegen wird ganz ein- wegen beim Langlaufsport. Und schungsprojekt über Trainings- Chance zu haben, berücksichtigt , 10 %Rabatt für Rudi-Dutschke-Straße23|10969 Berlin fach auch besser trainiert. Da dass sich im Schatten erfolgrei- methoden, „dessen Ergebnis zu werden. Je länger die Saison taz-AbonnentInnen T(030) 25902138 |F(030) 25902538 können andere Nationen noch cher Vorbilder neue Talente bes- für das damalige Trainerkorps dauert, desto besser die Aussicht &taz-GenossInnen [email protected] |www.taz.de/shop etwas lernen.” Und auch Petter ser entwickeln können, die dar- recht unbehaglich“ gewesen für andere Nationen.“ 20 TAZ.DIE TAGESZEITUNG DONNERSTAG, 7. JANUAR 2016 Die Wahrheit

WINTER IS COMING: NORDDEUTSCHE SCHNAPSIDEEN GEGEN DIE LANGEWEILE DAS WETTER: ZU KLEIN

Die Winter sind lang und öde 99 Pfund leichten Schneider ge- und springen von der höchsten „Der Hort ist zu klein für uns kommen war, wie seine restli- an den vereisten Fjorden Nord- lingt, mit einem heißen Bügel- Erhebung der Insel, einer Litfaß- beide, Fremder“, knurrte Finn- chen Vornamen lauteten und deutschlands. Kein Wunder, eisen die Weser zu überqueren. säule. In Verden wiederum wird Tizian und ließ das rote Schäu- ob er nachts Windeln trug. Doch dass sich die Fischköppe in ih- Auf Borkum dagegen schmü- weder dem Suizidversuch noch felchen in seiner Hand kreisen. der Fremde lachte nur verächt- ren Walknochenhütten vor Lan- cken sich die jungen Männer der häuslichen Gewalt gefrönt, Schon manchen Übeltäter hatte lich, spuckte Finn-Tizian einen geweile ein Brauchtum zusam- beim Klaasohm mit Vogelfe- sondern die jahrhundertelange das Schäufelchen seiner gerech- Schwall Möhrchenbrei vor die menfantasiert haben, das hef- dern und Tierfellen und ziehen Tradition der Bestechung gefei- ten Strafe zugeführt, denn in der Füße und scharrte ungerührt tigen Drogentrips verdächtig lärmend durch die Straßen. Da ert. In aller Öffentlichkeit lässt Pinguingruppe war Finn-Tizian mit seinen Noppensöckchen ähnelt. Wie dpa gestern meldete, dies bei eineinhalb Sträßlein man dort einen verurteilten das Gesetz. So war es schon im- im Sandkasten, wenngleich fiebern die Ureinwohner bei der nicht eben abendfüllend ist, Schwerstkriminellen namens mer gewesen, und doch wusste dort Barfußpflicht herrschte. schwer psychedelischen Bremer verkloppen sie anschließend Störtebeker kurz nach dem Lä- keines der anderen Kinder, wo „Zounds!“, dachte Finn-Tizian.

Eiswette jährlich, ob es einem Ari Plikat Zeichnung: ihre Frauen mit einem Kuhhorn tare-Sonntag Gaben verteilen. Finn-Tizian eigentlich herge- „Ein echter Outlaw!“

Großhirn schützt vor Blödheit nicht

Wie gern mögen Rindviecher Ironie Und Ochsen das komische Sprechen! Esel und Pimpf: Wie versiert wissen die Durch Kenntnis zu be- und zu stechen!

Nonsens, Satire, Uneigentlichkeit, Überspitzen und Parodieren: Auch Hennen und Schafe sind gern bereit, Dies kraft ihres Hirns zu goutieren.

Kamele, die Zahlen von eins bis zehn, Das Brot und der Brat und die Pfanne: Kriki Illustration: Sie alle tun voll auf Satire stehn. Nur Menschen sind oftmals zu panne.

THOMAS GSELLA

NIEDERLAGE FÜR DIE LUFTFAHRT, ETAPPENSIEG FÜR DAS INSEKT GURKE DES TAGES Der Flügelschlag einer Biene JAKARTA/BERLIN dpa/taz | Da Bildungsreise an Bord eines Flie- Weil ihr die Pizzabrötchen nicht sieht man als indonesische Flug- gers der Airline Garuda Indone- geschmeckt hatten, rief eine hafenbiene Tag für Tag die riesi- sia. Um dem mächtigen Zauber 50-Jährige aus Oberhausen die gen Stahlmonster abheben, die der stählernen Konkurrentin Notfallnummer der Polizei sich unter mächtigem Gebrüll auf die Schliche zu kommen, und ließ die Beamten unter ei- in die Lüfte erheben, um dann krabbelte das Tier in ebenjenes nem Vorwand antanzen, mel- pfeilschnell in den Wolken zu Gerät, mit dem die Geschwin- dete dpa gestern. Nicht einmal verschwinden, während man digkeit gemessen wird – und die Anzeige wegen missbräuch- selbst nur in Bodennähe von legte durch seine bloße Anwe- licher Nutzung des Notrufs, die Blüte zu Blüte fleucht, angetrie- senheit den ganzen Jet lahm. Ge- ihr aufgebrummt wurde, sorgte ben allein vom eigenen Flügel- schlagene vier Stunden brauch- bei der Dame für Einsicht. Feh- schlag. „Wie machen diese Flug- ten Techniker, um das Insekt lerhaftes Backwerk will sie künf- zeuge das bloß?“, dachte sich zum Abzug zu überreden, und tig nicht nur der Polizei, sondern jüngst eine Biene aus Medan auf konnten erst dann ihrerseits die auch der Nato und dem Bundes- der Insel Sumatra und ging auf Maschinen anwerfen. präsidenten melden.

erscheint tägl. Montag bis Samstag, Herausgeb.: TAGEBUCH EINER WÜSTENENTHUSIASTIN: BRÜLLENDE AUTORITÄTEN VON PIA FRANKENBERG  taz.die tageszeitung taz.die tageszeitung. Verlagsgenossenschaft eG

Hausanschrift: Fax: 030 | 2 59 02 444 | E-Mail: [email protected] Wie jedes Jahr erweckt auch Bord ungern gesehen, was bei nicht halb so exotisch wie ihre den gar nicht auffallen zwischen Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin taz Shop | Telefon: 030 | 25 902 138 Postanschrift: Postf. 610229, 10923 Berlin Anzeigenverkauf: Überregional und Berlin diesmal Weihnachten wenig den Chinesen, die bekanntlich eigenen. „Hi, I’m wanted!“ stellt den Wanteds und Ballacks und Telefon: 030 | 25 902-0 | Internet: www.taz.de taz-Anzeigenabteilung, Rudi-Dutschke-Straße 23 Vorfreude auf rituelle Kauf- und alles essen und ausbeinen, das sich einer strahlend vor. Ge- ein paar übriggebliebenen Kai- Fingerprint: 96:78:2F:71:74:A5:4E:A8:A2:39: Tel.: 030 | 25 902 238 |-290 |-289 B5:98:46:B4:4F:D0:E7:8B:63:9D Fax: 030 | 25 106 94 | E-Mail: [email protected] Fressorgien, sondern traditio- nicht an die Wand genagelt ist, rade noch kann man sich ein ser-Wilhelm-Denkmälern. Chefredaktion: Georg Löwisch nell den Wunsch, das Weitest- auf Unverständnis stößt. Der Be- wenig originelles „Wie hoch ist Nach zwölf Tagen Aben- Chefreporter: Peter Unfried Lokalteil Hamburg | taz Entwicklungs GmbH & Co Lokalredaktionen: Stresemannstraße 23, 22769 Hamburg, mögliche zu suchen. Also, auf amte entdeckt derweil neue Ge- das Kopfgeld?“ verkneifen, als teuer treten wir widerstrebend Nord-Hamburg: Stresemannstraße 23, Tel. 040 | 38 90 17 12 nach Namibia, wo auf Tausen- fahr und fuchtelt aufgeregt mit der Blick aufs Schildchen am die Rückreise an. Erster Weih- 22769 Hamburg, 040 | 38 90 17-0 Lokalteil Bremen taz Entwicklungs GmbH & Co | den Quadratkilometern Sand einem Stück folienverschweiß- Tropenhemd fällt, von dem es nachtsfeiertag, ein verödeter Bremen: Pieperstraße 7, Pieperstraße 7, 28195 Bremen, 0421 | 9 60 26 10 28195 Bremen, 0421 | 96026 0 Verlag: taz Verlags- und Vertriebs GmbH nicht die kleinste Tanne wächst! tem Hartkäse, diversen Compu- deutlich „Wanted“ grüßt. Sein Flughafen, das Leben entschleu- Berlin: Rudi-Dutschke-Straße 23, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin Vorher aber landen wir beim terkabeln und einer Tastatur vor Kumpel hört auf „Ballack“. Wir nigt. Die Reisenden entledi- 10969 Berlin, 030 | 2 5 902 0 Geschäftsführer: Karl-Heinz Ruch Verantwortlich i.S. des Pressegesetzes: Gesellschafter | 99,96%: taz festlichen Sicherheitscheck auf den verstörten Reisenden. Dann lernen, dass Stammesnamen gen sich metallischer Gegen- Georg Löwisch Verlagsgenossenschaft eG, Berlin dem Frankfurter Flughafen. Bei bohrt er ein Kabelende durch die schlecht buchstabierbar sind stände und durchschreiten die LeserInnenbriefseite: Gabriele v. Thun Anzeigen Gesamtausgabe: Margit Jöhnk Vorstand: Andreas Bull, Kaufmann | der Gepäckkontrolle bildet sich Plastikhaut in den Käse und das und der Trend zum Zweitnamen Sicherheitskontrollschranke. Berliner Lokalteil: Bert Schulz | alle Berlin Jörg Kohn, Abteilungsleiter Technik | um ein chinesisches Paar in Se- andere ins Keyboard. „Bumm!“, geht. Und die Auswahlkriterien? „Tröööhhht...!“ macht eine auf Regionalteil Nord: Jan Kahlcke | Hamburg Isabel Lott, Fotoredakteurin | Anzeigen: Andrea Bodirsky | Bremen Tania Martini, Redakteurin | kundenschnelle ein waffen- führt er begeistert den Beweis. Klangvolles Wort, super Fußbal- gleicher Höhe lässig neben ei- Manfred Frenz | Hamburg Karl-Heinz Ruch, Kaufmann | alle Berlin starrender Wall Uniformier- „This looks very dangerous!“ Das ler. So einleuchtend. nem Kollegen am Durchleuch- LeserInnenbriefe E-Mail: [email protected] Aufsichtsrat: Stefanie Urbach, Kommunikations- ter, flankiert von einer finster finden wir auch und sind froh, Das Land ist dreimal so groß tungsapparat lehnende unifor- Fax: 030 | 25 902 516 beraterin, Berlin | Johannes Rauschenberger, Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unver- Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Stuttgart | blickenden Grenzschutz-Ama- dass der Käse konfisziert wird. wie Deutschland und besteht zu mierte Schöne. Die Reisenden langt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustra- Hermann-Josef Tenhagen, Journalist, Berlin zone. Maschinengewehre zie- So beschützt fliegen wir in 90 Prozent aus Wüste, in der sich suchen überrumpelt nach ver- tionen. Die taz und alle in ihr enthaltenen Beiträge Druck: A. Beig Druckerei und Verlag GmbH & Co. sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der KG, 25421 Pinneberg | prima Rotationsdruck Nord len auf weihnachtlich Verpack- die Wüste, wo uns fantastische 2,5 Millionen Menschen verlau- gessenem Geschmeide, wäh- gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung GmbH+Co. KG, 19243 Wittenburg | MDV GmbH & tes, aus dem ein todesmutiger Dünenlandschaften, muckelige fen. Ein kurzer Traum befällt rend sich die Autoritäten vor La- ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos und Illustrationen Co. KG, 35390 Gießen Beamter ein Profi-Fleischmes- 45 Grad und tolle Führer erwar- einen, man könnte in gewis- chen brüllend High Five geben. stimmen der Nutzung in den taz-Ausgaben im Abo-Service: 030 | 25 902 590 ser pult. Den Besitzern wird höf- ten, die in Elefantenkacke lesen sen Momenten mal eben ganz Herrliches Afrika. Käse ha- Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu. 9.00 – 1 6.30 Uhr | Mo. – Fr. Kleinanzeigen: Überregional und Berlin Fax: 2 59 02-680 E-Mail: [email protected] lich mitgeteilt, Utensilien zum und jedes Tier beim Namen nen- Berlin da entleeren. Die Schul- ben wir aber vorsichtshalber taz-Kleinanzeigen, Rudi-Dutschke-Straße 23 Abo-Nummer nicht vergessen! Ausbeinen toter Tiere seien an nen können. Die sind allerdings zes, Hardtkes und Yilmaz wür- gar nicht erst dabei. telefonisch: Mo.–Fr. 9–15 Uhr 030 | 25 902 222 Mtl. Mindestpreis regulär 25,90 €