Kriegsgefangenschaft in Den Rheinwiesenlagern (1945 Bis 1948)
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B L Ä T T E R Nr. 63 ZUM LAND Kriegsgefangenschaft in den Rhein wiesenlagern (1945 bis 1948) In den letzten Monaten des Zweiten Welt- rischen Lagern am Rhein – den sogenannten kriegs – im März, April und Mai 1945 – gerie- Rheinwiesenlagern – interniert. Während es ten Millionen deutscher Soldaten in Kriegs- an Unterkünften, Nahrung und Medizin für gefangenschaft. Die alliierten Streitkräfte alle Menschen in Deutschland mangelte, waren auf eine solch große Zahl von Kriegs- war auch das Leben der Kriegsgefangenen gefangenen in einer so kurzen Zeitspanne gekennzeichnet von Hunger, Krankheiten und nicht ausreichend vorbereitet. Daher wurden völlig unzureichenden hygienischen Verhält- die Soldaten sowie uniformierte oder ver- nissen. dächtige Zivilisten zunächst in proviso- Heute sind die Rheinwiesenlager, ihre Ursachen und Folgen zumeist nicht mehr bekannt. Nach Kriegsende lag das Interesse der deutschen Bevölkerung verstärkt auf den Kriegsgefangenenlagern in der Sowjetunion, in denen noch bis 1955 deutsche Sol- daten interniert waren. Zu- dem führten insbe- sondere politische Entscheidungen dazu, dass For- schungsergebnis- se der Historiker- Kommission unter Leitung von „Regentag“, Bretzenheim 1945, Zeichnung Wilhelm Götting, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Quelle: Dokumentationszentrum Bretzenheim; Fotografie Remagen, Quelle: Gückelhorn/Kleemann 2013. Prof. Erich Maschke in der Öffentlichkeit der zu diesem Zeitpunkt etwa 300.000 nicht verbreitet wurden. Die Kommission hat- deutschen Männer besser gewährleistet te in den 1960er und 1970er Jahren intensiv werden als im europäischen Kriegsgebiet. Tausende Erlebnisberichte ausgewertet und Insgesamt wurden rund 11 Millionen Deut- dabei erste Hochrechnungen zu den Todes- sche während des Zweiten Weltkriegs und zahlen in den Rheinwiesenlagern gemacht. danach zu Kriegsgefangenen. Davon befan- Die Ergebnisse der Kommission wurden aber den sich etwa 7,7 Millionen in westalliierter nur in der Fachwelt wahrgenommen. Damals Obhut. Ihr Schicksal hing von verschiedenen waren es daher vor allem ehemalige Kriegs- Faktoren ab: wo sie in Gefangenschaft gerie- gefangene, deren Angehörige, der Verband ten, ob sie noch während des Krieges oder der Heimkehrer und engagierte Personen erst nach Kriegsende gefangen genommen aus den Umgebungen der Lager, die sich ver- wurden, wie alt und gesund sie bei der Ge- pflichtet fühlten, die Erinnerung in Gedenk- fangennahme waren, welchen zivilen Beruf veranstaltungen oder durch Mahnmale wach sie angaben, zu welcher Einheit sie gehörten zu halten. oder welchen militärischen Rang sie inne Wenn heute an die Rheinwiesenlager er- hatten. Entscheidend für das weitere Schick- innert wird, entstehen oft stereotype Vor- sal war auch, in welches der Kriegsgefange- stellungen des Leids, die den historischen nenlager in den USA, Kanada, Großbritan- Hintergrund ausblenden. Vertreter der nien, Belgien, Frankreich oder Deutschland extremen Rechten nutzen die Thematik und sie gebracht wurden. Denn die Lager an sich verbreiten falsche, übertriebene oder aus unterschieden sich in erheblichem Maße. dem Zusammenhang gerissene Darstellun- So gab es etwa die Kriegsgefangenenlager gen der Bedingungen in den Kriegsgefan- (POW-Camps) in den USA, in denen ver- genenlagern. Die Rheinwiesenlager müssen gleichsweise gute Bedingungen herrschten. aber mit dem politischen und militärischen In den provisorisch angelegten Rheinwiesen- Geschehen vor 1945 in Verbindung gebracht lagern, die zumeist zwischen sechs und acht werden, denn die Lager sind eine Folge der Wochen bestanden, litten die Gefangenen NS-Diktatur, des von Deutschland ausge- hingegen massiv unter den zeitweise katast- henden Zweiten Weltkriegs sowie der na- rophalen Verhältnissen und es wurden weit- tionalsozialistischen Verbrechen gegen die aus mehr Todesfälle verzeichnet. Menschlichkeit. Alliierte Planungen zu den Kriegsge- fangenenlagern in Deutschland Die Alliierten hatten die Frage der deutschen Kriegsgefangenen bereits im März 1943 und im Dezember 1944 thematisiert. Man vereinbarte zwei wichtige Aspekte: Erstens sollte es Frankreich erlaubt sein, Kriegs- gefangene in sein von deutschen Truppen zerstörtes Land zu bringen, damit diese dort Aufbauarbeiten leisteten. Zweitens wollten sich Großbritannien und die USA die Gefan- genen aufteilen, um die Belastung gleichmä- ßig zu verteilen. Bis August 1944 brachten die Amerikaner ihre Kriegsgefangenen daher über Sammellager in Nordfrankreich und Belgien direkt in die USA oder in Lager in Großbritannien. Dort konnte die Versorgung 2 Kriegs- und völkerrechtliche Aufgrund der plötzlich ansteigenden hohen Grundlagen für den Umgang mit Anzahl der Gefangenen konnten die amerika- Kriegsgefangenen nischen Streitkräfte, trotz der Bemühungen Die Haager Landkriegsordnung von 1907 sowie von offizieller Seite, die Bedingungen der die Genfer Konventionen von 1929 regelten Genfer Konventionen ab März 1945 nicht offiziell den rechtlichen Status von Kriegsge- mehr einhalten. Formal wählte man daher fangenen und ihre Behandlung. So sollten diese für all jene, die nach der bedingungslosen genauso ausreichend mit Lebensmitteln ver- Kapitulation Deutschlands am 8./9. Mai 1945 sorgt werden wie die eigenen Truppen, und ihre in Gefangenschaft gerieten, den Status „Dis- Familien sollten nach der Registrierung beim armed Enemy Forces“ (‚entwaffnete feindli- Internationalen Roten Kreuz über die Gefangen- che Kräfte‘, DEF) statt wie zuvor „Prisoner of nahme informiert werden. Viele der kriegfüh- War“ (‚Kriegsgefangener‘, POW). Die Briten renden Regierungen versuchten, diese Vorgaben bezeichneten diese Gruppe als „Separated einzuhalten. Die Sowjetunion hingegen hatte Enemy Personnel“ (SEP). Dies hatte zur Folge, sich 1929 geweigert, den dritten Genfer Vertrag dass Regelungen, die für Kriegsgefangene über die „Behandlung von Soldaten in Gefan- nach den Genfer Konventionen galten, hier genschaft“ zu unterzeichnen, und hielt sich nicht zur Anwendung kommen mussten. auch nicht an die noch durch den russischen Der Großteil der Gefangenen in den Rhein- Zaren unterzeichnete Haager Landkriegsord- wiesenlagern galt jedoch als POW. Generell nung. Das Deutsche Reich verweigerte seinen war dies ohnehin zumeist eine rein formale Kriegsgefangenen weitgehend die Behandlung Differenzierung und die Behandlung der gemäß den Konventionen während des Zweiten POWs und der DEFs unterschied sich in den Weltkriegs. Dies zeigt insbesondere der Um- Kriegsgefangenenlagern nicht erheblich. Die- gang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen, se Regelung stellte zwar einen Verstoß gegen deren Sterblichkeitsrate in deutscher Kriegsge- die Genfer Konventionen dar, doch wäre eine fangenschaft durch Verhungern, Verwahrlosung regelkonforme Versorgung nur auf Kosten und mangelnde medizinische Hilfe bei über 50 der deutschen Zivilbevölkerung und der Prozent lag. Die Genfer Konventionen wurden Displaced Persons (DPs) – darunter fielen im vor allem auch dadurch missachtet, dass man Sommer 1945 mehr als 10 Millionen befreite viele von ihnen in Konzentrationslager über- Zwangsarbeiter und ehemalige Häftlinge aus stellte, wo die SS sie systematisch und in großer Konzentrationslagern – möglich gewesen, Zahl ermordete. was moralisch nicht vertretbar war. Die Ausgangssituation 1945 Im Frühjahr 1945 machten die Alliierten auf deutschem Boden an allen Fronten Kriegsge- fangene. Zahlreiche Soldaten der Wehrmacht folgten dem Aufruf auf Flugblättern, sich zu ergeben. Laut amerikanischen Quellen stieg die Zahl der Kriegsgefangenen allein in der Woche vom 1. bis zum 8. Mai 1945 um eine Million Soldaten an. Diese Gefangenen mussten nun versorgt werden, sie waren oft verletzt, erschöpft und ausgehungert. Remagen mit deutlich sichtbaren Schlangen der Gefangenen, die für Nahrung oder Wasser anstehen; Quelle: Gückelhorn/Kleemann 2013. 3 Die allgemeine Situation war aus mehreren Soldaten, der DPs und der deutschen Zivilis- Gründen schwierig: Europa war sechs Jahre ten gesichert werden – den Kriegsgefangenen lang Kriegsschauplatz gewesen, Millionen konnten und wollten die US-Truppen keine Menschen litten unter den Folgen des Krieges Sonderrechte einräumen. und hungerten in den zerstörten Städten. Die gescheiterte deutsche Ardennenoffensive, Ebenfalls waren fast überall die Transportwe- die Überquerung des Rheins bei Remagen ge und -mittel, Brücken, Bahnhöfe – kurz: die durch amerikanische Streitkräfte am 7. März ganze Infrastruktur – zerstört worden. Die Al- 1945 und die Kapitulation im sogenannten liierten mussten in kürzester Zeit die Versor- Ruhrkessel ließen die Zahl der deutschen Sol- gung der eigenen Soldaten, der Überlebenden daten in westalliierter Kriegsgefangenschaft aus den befreiten Konzentrationslagern, der explosionsartig ansteigen. Alleine bei der ehemaligen Zwangsarbeiter, der Zivilisten in Kapitulation im Ruhrgebiet gerieten Mitte den zerbombten Städten und der Kriegsge- April 1945 ca. 325.000 deutsche Soldaten in fangenen organisieren, ohne über genügend Gefangenschaft. Als Deutschland schließlich Ressourcen zu verfügen. Es sollte vor allem im Mai 1945 kapitulierte, wuchs diese Zahl zunächst die Ernährung der amerikanischen weiter: Während zu Beginn des Jahres 1945 Übersicht der Rheinwiesenlager mit offizieller amerikanischer Bezeichnung (PWTE = Prisoner of War Temporary Enclosure) 1 Büderich (PWTE A4) 2 Rheinberg (PWTE A1) 1 3 Wickrathberg (PWTE A9) 2 4 Remagen (PWTE A2) 5 Sinzig (PWTE A5) Nordrhein- 6 Siershahn (PWTE A18) 3 Westfalen 7 Andernach (PWTE A11) Rhein 8 Urmitz (PWTE A13) 9 Plaidt/Miesenheim (PWTE A14) 4 Hessen 5 10 Diez (PWTE A19) 7 6 8