Zeichentrick-Schauspieler 2013
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Repositorium für die Medienwissenschaft Donald Crafton Zeichentrick-Schauspieler 2013 https://doi.org/10.25969/mediarep/442 Veröffentlichungsversion / published version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Crafton, Donald: Zeichentrick-Schauspieler. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 22 (2013), Nr. 2, S. 151–173. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/442. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: https://www.montage-av.de/pdf/222_2013/222_2013_Donald_Crafton_Zeichentrick-Schauspieler.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine This document is made available under a Deposit License (No Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Redistribution - no modifications). 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Ich hoffe jedoch, sie nicht nur davon überzeugen zu können, dass der Animationsfilm zu den darstellenden Künsten gehört, sondern auch davon, dass seine dramatis personae Dar- steller sind. Eine der erfolgreichsten Zeichentrickfiguren aller Zeiten war Betty Boop, ein Geschöpf des Fleischer-Studios aus den 1930er Jahren. Ob man sie mag oder nicht, man wird kaum bestreiten können, dass Betty eine ausgeprägte Persönlichkeit hat. Ihre Filme üben einen unwider- stehlichen Reiz aus, ganz besonders die der Jahre vor 1934, bevor der Production Code in Kraft trat. Es ist schwer, auf diese gezeichnete Fi- gur nicht wie auf ein quicklebendiges weibliches Wesen zu reagieren, trotz ihres übergroßen Kopfes, ihrer Pausbacken und des absurd klei- nen Kussmündchens. Wenn sie spielt, ist sie geschmeidig und redselig, und sie weiß, wie es in der Welt zugeht. Und doch verkörpert sie die Unschuld der «kleinen Ladenmädchen». Man würde sie gerne besser kennenlernen, mit ihr befreundet sein, vielleicht sogar mehr. Eine klei- ne Olympia. * Der vorliegende Artikel basiert auf dem ersten Kapitel von Donald Craftons Buch Shadow of a Mouse: Performance, Belief, and World-Making in Animation [(c) 2013, by the Regents of the University of California. Eine Veröffentlichung der University of California Press]. Die Redaktion dankt dem Verlag für die freundliche Genehmi- gung zur Übersetzung. 152 montage AV 22 /2 / 2013 Für den Animator, Drehbuchautor und Regisseur Brad Bird (The Incredibles [Die Unglaublichen], USA 2004; Ratatouille, USA 2007) ist es eine ausgemachte Sache, dass Zeichentrickfiguren Rollen verkörpern. «Was typischerweise in Diskussionen über das Animati- onskino übersehen wird, ist die Tatsache, dass man dort schauspieleri- sche Auftritte zu sehen bekommt, die einem der Animator darbietet», so schreibt er (Bird 2000, vi). Trickfiguren (ob Betty oder Mr. Incre- dible) sind Darsteller, die starke Gefühle ausdrücken können, und die Zuschauer reagieren auf ihr Spiel. Wenn eine Trickfigur uns zum Lachen oder Weinen bringt, wenn wir Angst, Ärger, Mitgefühl oder eine Million anderer Emotionen empfinden, so ist dies zum größten Teil Resultat der Arbeit der Animatoren, dieser oft vergessenen Künstler, die viel von sich selbst in die Gestaltung jener unver- gesslichen Momente legen (ibid.). Diese Überlegungen sind leicht zu verstehen, doch die Auftritte der Animationsfiguren sind alles andere als einfach. Die Stars des Trick- films rivalisieren mit menschlichen Stars hinsichtlich ihrer Berühmt- heit und der Begeisterung ihrer Fans. Wie die menschlichen Lein- wandgrößen evozieren auch sie ein Gefühl lebendiger Präsenz, sowohl während als auch nach dem Filmerlebnis. Die Kulissen, Landschaften und Bühnen, die sie bevölkern, sind fiktionale Welten, an deren Exis- tenz wir gerne glauben, auch wenn wir wissen, dass es sich um Fanta- siegebilde handelt. Zugegeben, dass wir Trickfilmgestalten wie Betty, Mickey Mouse, Popeye oder Homer Simpson so umstandslos als Darsteller anerkennen sollen, ist kontraintuitiv. Doch obwohl für sie nichts zu abwegig oder zu unnatürlich ist, erscheinen sie genauso plausibel und normal wie andere Schauspieler. Nur sind sie eben Animationsfiguren. Sobald ich sie sehe, erfasst mich die Freude des Wiedererkennens und ich spüre ihre Präsenz. Sie sind einerseits Zeichnungen, andrerseits jedoch Film- und Fernsehstars, und diese Dissonanz ist grundlegend. Doch wie ist es überhaupt möglich, dass unbelebte Zeichnungen und Objekte zu handeln vermögen und etwas vorführen können? Zunächst ist festzuhalten, dass Brad Birds Bemerkungen sich auf zwei verschiedene Aspekte des Darstellens beziehen. Das Verhalten, das Tun, die Expressivität der Darsteller sowie das dramatische Geschehen, der Erzählfluss, die Intrige und das Ambiente konstituieren die Darstellung innerhalb der Animation. Es handelt sich dabei um all das, was wir bei der Zeichentrick-Schauspieler 153 Vorführung zu sehen bekommen. Betty tritt innerhalb der Animation auf, wenn sie sich bewegt, handelt und Hula-Hoop tanzt. Diese Darstel- lung ist hauptsächlich audiovisuell, die Aufführung eines Ereignisses in einer in sich geschlossenen diegetischen Welt. Im Animationsfilm be- ginnt die Performanz, sobald sich die Zeichnungen, Knetfiguren oder was auch immer bewegen. Bird verweist auf die emotionalen Reaktionen der Zuschauer, wel- che die Performanz der Figuren gewissermaßen in Echtzeit erleben, während sie den Film sehen. Doch er nennt auch die Arbeit der Anima- toren selbst, also das Darstellen der Animation. Es handelt sich um einen sich kontinuierlich entfaltenden Prozess, der schon beginnt, bevor der Film aufgenommen wird, und auch nach der ersten Vorstellung noch anhält. Was nämlich auf der Leinwand geschieht, ist noch nicht alles. Ich möchte daher Birds Definition präzisieren, indem ich von einem kondi- tionalen Darstellen spreche, das nur unter der Bedingung wirksam wird, dass der Film vollendet und den Zuschauern gezeigt wird. Hinsichtlich der Trickfilm-Stars bemerkte Alexander Sesonske zu Recht: [...] [W]eder diese lebhaften Figuren noch ihre Handlungen hat es jemals gegeben, bevor sie auf die Leinwand projiziert wurden. Ihre Welt existiert nur im Jetzt, im Moment der Vorführung, und wenn wir fragen, ob diese Welt sich in irgendeiner Hinsicht von unserer Wirklichkeit unterscheidet, so ist die Antwort: «Ja, in jeder.» [...] Hier gibt es keine Vergangenheit, in der die Ereignisse tatsächlich oder auch nur angeblich stattgefunden haben – auch nicht zu der Zeit, als die Zeichnungen hergestellt und fotografiert wurden. Die Welt, die ich [...] auf der Leinwand sehe, gab es damals noch gar nicht. Sie existiert nur jetzt, während ich sie sehe. Aber ich kann sie nicht betreten, nicht zu den animierten Wesen gelangen, denn die Wahrnehmung ist unser einziger Zugang zu ihrem Raum (Sesonske zit. in Cavell 1979, 167f). In Birds Konzept des Darstellens ist eine grundlegende Ironie, ein doppeltes Verständnis enthalten, und für die traditionelle Schauspie- lertheorie des Theaters ist ja in der Tat die dramatische Ironie Basis jeder Darstellung. Im Spiel sind die Schauspieler nicht sie selbst, sondern Figuren, an deren Existenz man glaubt. Doch der Bühnen-Hamlet ei- ner studentischen Aufführung ist ja zugleich der Schauspielschüler von nebenan. In einem zeitweiligen ästhetischen Vergessen stellen sich die Zuschauer vor, dass sie die Charaktere sehen und nicht die Schauspie- ler, deren Körper hinter ihrer Rolle verschwinden. Das ist zwar wider- sprüchlich, aber weder verwirrend noch beängstigend. Die Zuschauer sind gewissermaßen an zwei Orten zugleich, innerhalb und außerhalb 154 montage AV 22 /2 / 2013 der Fiktion. Wir sehen, dass Betty Boop sich verhält wie ein reales menschliches Wesen und uns verzaubert. Wir wissen aber auch, dass sie anders ist als eine reale Schauspielerin, obwohl ihr selbst nicht bewusst zu sein scheint, dass sie kein Mensch ist. Disneys Animatoren haben Mickey Mouse und andere Figuren oft wie wirkliche Lebewesen beschrieben. Ein Memo aus dem Jahr 1935 stellt eine Frage, die das Studio damals beschäftigte: «Was macht ei-