Musikstunde Mit Katharina Eickhoff Montag, 6
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__________________________________________________________________________ (Svevia, terra di poeti! – Für Volker Kälberer, der das alles mit viel schönen Reden gepriesen hat.) Musikstunde mit Katharina Eickhoff Montag, 6. Dezember 2010 Schwabenstreiche – Ausfahrten in romantischer Seelenlandschaft mit Kerner, Uhland, Mörike und den Freunden Teil I: Der Mann im Turm Indikativ Die spinnen, die Schwaben. Leben da in ihrem Ländle vor sich hin, verwahren sich gegen den Fortschritt in Gestalt zukunftsweisender Verkehrspolitik, sparen, kehren die Gasse, schieben ihre Spätzle vom Brett und sind dabei mit ihrer Kulturgeschichte so liebend verbunden wie kein anderes deutsches Völkchen. Weshalb auch die anderen sich gerade über sie besonders gern lustig machen. Die älteren zumindest unter den Schwaben sind allesamt noch in diesem seltsamen Zauberkreis großgeworden, der von Außenstehenden so misstrauisch beäugt wird, und dessen geistiges Zentrum irgendwo zwischen Ludwigsburg und Tübingen liegt, oder vielleicht auch in Weinsberg bei Kerners unterm Sofa, oder im Wirtshaus Hirsch zu Echterdingen, wo sich alles traf, was dichten konnte,- an der Stuttgarter Weinsteige, wo alle die Dichter gen Süden wanderten, oder auf der rauen Alb, wo einst ein melancholischer Vikar namens Mörike statt Predigten Gedichte von der Kanzel hat regnen lassen. 2 Diese Älteren wissen auch noch, wer Graf Eberhard im Barte war und wieso er sein Haupt jedem Untertanen kühnlich in den Schoß legen konnte, sie finden blind Wilhelm Hauffs Grab auf dem Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof, wissen, dass Ludwig Uhland den Schwabenstreich erfunden hat und kennen jene Silcher-Lieder, von denen unsereins noch nicht mal mehr den Refrain zusammenkriegt. Und so ist auswärts dieses spezifische Bild des Schwaben entstanden: heimatliebend, den Blick nach innen gerichtet, Württemberger trinkend und dabei schwäbische Dichter zitierend. Die natürlich auch wieder nur den Blick nach innen richteten, Württemberger tranken und andere schwäbische Dichter zitierten, all die volkstümelnden Trinklieder und endlosen Balladen und weltfernen Liebreizendheiten. Wer, außer jenen komischen Menschen, die Trollinger für einen Wein halten, liest denn heute noch Kerner, Uhland, oder Mörike? Na – ich zum Beispiel. Seit einer Weile. Und deshalb soll das hier, ohne Anspruch auf irgend einen Anspruch, geschweige denn auf Vollständigkeit, eine Hommage an das romantische Schwaben werden. Ein Schwaben, das wie Orplid, Mörikes erfundenes Traumland, ein bisschen über der Wirklichkeit schwebt und geheimnisvoll leuchtet. Kann ja sein, dass die Schwaben ihr Ländle, ihre Dichter, die Weine, die Linsengerichte und die Landschaften früher ein bisschen zu oft gepriesen und dabei heimlich die Fischer-Chöre gehört haben, und als Nicht-Schwabe um die vierzig hat man allemal eine Distanz zu dieser betonten Heimatliebe, die in der Kindheit doch verdächtig muffig roch – aber dann steht man in den Weinbergen um Hölderlins Geburtsstadt Lauffen oder in Tübingen auf der Brücke, schaut auf den Neckar, in dessen Tälern ihm das Herz aufwachte, auf die „lieblichen Wiesen und Uferweiden―, die ihn immer wieder trösteten, man spürt selber so ein 3 seltsames Ziehen in der Brust und beschließt, das alles kennenlernen zu wollen, ins Herz der schwäbischen Romantik zu reisen. „Attempto!― – Ich wag’s, das war die Devise von Eberhard im Bart, dem aus nicht ganz ersichtlichen Gründen heißgeliebten württembergischen Herzog. Man könnte auch sagen: Jetzedle. CD Disc 1, T. 9 4’42 C.M.v. Weber, Sinfonie Nr.1 C-Dur, Finale New Philharmonia Orchestra, Wilfried Boettcher Philips 462 870-2, LC 0305 ... das Finale aus Carl Maria von Webers Sinfonie Nr.1, entstanden im Jahre 1807 – da war der Sohn einer Schwäbin und eines Badeners gerade geheimer Sekretär und Musiklehrer beim Herzog von Württemberg und wohnte tatsächlich in Stuttgart. Bis er kurz drauf wegen krimineller Umtriebe seines etwas zwielichtigen Vaters des Landes verwiesen wurde. Jener Vater war übrigens der angeheiratete Onkel von Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Frau Constanze ja eine „Weberische― gewesen ist – aber das ist eine andere Geschichte. Weber, also: Carl Maria, ging weg aus Stuttgart, wurde anderswo berühmt und hatte fortan nichts Gutes über Schwaben zu sagen. Wie so viele. Wahrscheinlich ist Heine wieder mal an allem schuld. Natürlich soll man grundsätzlich dem großen Heinrich Heine jedes Wort von den Lippen lesen, und das tut man heutzutage ja zum Glück auch, aber manchmal war er eben auch ein bisschen ungerecht. An dem verbreiteten Misstrauen, das deutsche Intellektuelle gegenüber schwäbischen Dichtern haben, hat er jedenfalls tatkräftig mitgestrickt. 4 Zugegeben, er hatte Grund. Zwei gar nicht so erhebliche Freizeitdichter aus dem Umkreis der schwäbischen Schule hatten in Cottas in Stuttgart und Tübingen erscheinender und viel gelesener Literaturzeitschrift, dem „Morgenblatt für die gebildeten Stände― ein paar miese und zu allem Überfluss auch noch antisemitische Dinge über ihn geschrieben, und sie scheinen ihn damit an empfindlicher Stelle getroffen zu haben. Heine jedenfalls hat dann in seinem „Schwabenspiegel―, wie er den Text nannte, mit Kanonen zurückgeschossen, und zwar nicht bloß auf die zwei heute kaum mehr bekannten Dreckspatzen, sondern gleich auf die ganze südwestdeutsche Dichterschaft: Kerner und Uhland, Gustav Schwab und Mörike und überhaupt alle, die sich da immer bei Justinus Kerner in Weinsberg um den großen Esstisch versammelten. Die „lieben Kleinen von der Schwäbischen Dichterschule―, nennt Heine sie herablassend, „die hübsch patriotisch und gemütlich zu Hause bleiben bei den Gelbveiglein und Metzelsuppen des teuren Schwabenlandes― – und dann kriegt jeder im Einzelnen sein Fett weg: Uhland, der laut Heine auf einem toten Pferd reitet, der Sagenonkel Gustav Schwab, den er einen „Hering unter lauter Sardellen― nennt, und vor allem der „Doktor Justinus Kerner, welcher Geister und vergiftete Blutwürste sieht und einmal dem Publikum aufs Ernsthafteste erzählt hat, dass ein paar Schuhe, ganz allein, ohne menschliche Hilfe, langsam durch das Zimmer gegangen sind...Das fehlt noch―, so Heine, „dass man seine Stiefel des Abends festbinden muss, damit sie einem nicht des Nachts, trapp! trapp! vors Bett kommen und mit lederner Gespensterstimme die Gedichte des Herrn Justinus Kerner vordeklamieren!― Von den Geistern, die Justinus Kerner sah oder auch nicht, wird in dieser Woche noch zu reden sein, und dass er in Sachen vergiftete Blutwürste das Botulinumtoxin entdeckt und damit als erster die Ursprünge der 5 Lebensmittelvergiftung offengelegt hat, war eine medizinische Großtat - aber, lieber, sonst wirklich heiß verehrter Herr Heine, von wegen „Das fehlte noch―: Genau das fehlt heutzutage tatsächlich sehr, dass ab und zu um unser Bett oder sonst wo ein paar gute Geister schweben und Kerner’sche Gedichte sprechen – die sind nämlich bisweilen einfach beglückend schön. CD T. 21 2’30 R. Schumann/Kerner, Alte Laute Christoph Prégardien, Michael Gees RCA 74321 73235 2, LC 00316 Mit den Augen seiner Dichter gesehen, ist Schwaben ein verzaubertes Land – und es war Friedrich Hölderlin, der den Zauber als erster dingfest gemacht hat: In seinen Hymnen, Oden und Elegien ist diese Landschaft plötzlich zu einem zweiten Griechenland geworden, zum „glückseligen Suevien―, nach dessen Apfelbäumen man sich genauso sehnen und hinträumen kann wie nach den Gestaden des Peloponnes. Die erste Ausfahrt heute geht also zu ihm, zu Hölderlin, und zwar nach Tübingen. Wer heute dort auf der Neckarbrücke steht und in Richtung Hölderlinturm schaut, der hat ein Bild des Friedens vor sich, Romantik, wie sie im Baedeker steht: Die alten, nicht zu aufdringlich renovierten, leicht windschiefen Häuser stapeln sich rechts und spiegeln sich im Fluss, am Ufer bei den Weiden sitzen zwei junge Mädchen und reden doch tatsächlich über die Liebe, und die Spätherbstsonne spiegelt sich in den Fenstern des halbrunden Turms, in dem Hölderlin bis zu seinem Tod gewohnt hat. Um diese Zeit im Jahr gibt es wenig Touristen hier, man trifft ein paar versprengte, irgendwie allesamt gelehrt wirkende Tübinger 6 auf dem Weg zum Markt, und in der Pizzeria auf der anderen Seite des Gebäudes, die zum Glück nicht „Trattoria Hölderlin― heißt, werden die Tische fürs Mittagsgeschäft gedeckt. Ein Idyll. Für Hölderlin war Tübingen kein Ort der Idylle. Nicht damals, als er als junger, schöner Träumer mit den Freunden Schelling und Hegel am evangelischen Stift studiert hat, denn in der Zeit ist ihm klar geworden, dass er der Mutter nicht gehorchen, dass er nicht Pfarrer werden konnte, und auch nicht später, als er krank hierher zurückgekommen ist. Die letzten langen Jahre seines Lebens, siebenunddreißig Jahre!, hat Hölderlin hier in geistiger Verwirrung, manche sagen auch: in vorgeschützter Verwirrung, gelebt. Hier, rund um sein Zimmer im Turm beim freundlichen Schreinermeister, der ihn aufgenommen hat, bei den Weiden unten am Neckar und im Häusergewirr der dahinter beginnenden Altstadt, hier fängt alles an mit der schwäbischen Romantik. Denn egal, ob Kerner, Uhland, Gustav Schwab oder Mörike: sie alle waren hier, haben sich mit Hölderlins Gedichten beschäftigt und sie als erste gesammelt. Vor allem aber haben sie den verrückten Dichter persönlich gekannt, und jeder von ihnen hat andere Erfahrungen aus dieser Bekanntschaft mitgenommen. Zum Beispiel, dass sein Wahnsinn oft mehr Methode hatte, als ein Irrer sie gemeinhin so entwickeln kann - Hölderlin wusste sehr genau, wie er die vielen Neugierigen loswerden konnte, die kamen, um den Verrückten