DAS PHÄNOMEN DER PSYCHISCHEN ERKRANKUNG BEI KUNSTHISTORIKERN.

Versuch einer Typologie an Hand der bekannten Beispiele

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzen-Universität Graz

vorgelegt von

Julia RATH

am Institut für Kunstgeschichte

Begutachter Univ.-Prof. Dr.phil. Johann Konrad Eberlein

Graz, 2014

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommene Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Diese Diplomarbeit wurde von Frau Dr. Claudia Caesar Korrektur gelesen, inhaltliche Veränderungen wurden jedoch nicht vorgenommen. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, 2014

INHALT

1. Einleitung ...... 3 2. Aby Moritz Warburg (1866–1929) ...... 7 Skizze seines Lebens ...... 7 Warburgs psychische Erkrankung ...... 12 3. Die Renaissance als Konfliktpotenzial ...... 15 Henry Thode (1857–1920): Person und Werk ...... 15 Henry Thodes Renaissancebegriff ...... 19 Eine Neuinterpretation der Renaissance durch Warburg ...... 20 Zusammenfassung: Renaissance und Neurose ...... 21 4. Die Suche nach dem Genie ...... 23 Carl Justi (1832–1912): Person und Werk ...... 24 Justis Geniebegriff ...... 28 Thodes Faszination für das Genie ...... 29 Zusammenfassung: Die Beschäftigung mit dem Genialen als Verarbeitungsstrategie ...... 32 5. Interdisziplinäre Forschung als Weg in die Einsamkeit ...... 34 Franz Theodor Kugler (1808–1858): Person und Werk ...... 34 Interdisziplinarität bei Kugler ...... 36 Josef Strzygowski (1862–1941): Person und Werk ...... 38 Interdisziplinarität bei Strzygowski ...... 43 Interdisziplinarität bei Warburg ...... 45 Max Raphael (1889–1952): Person und Werk ...... 47 Interdisziplinarität bei Raphael ...... 49 Zusammenfassung: Interdisziplinarität als Sonderweg ...... 53 6. Die Sprache der Wissenschaft ...... 55 Justi als Künstler-Biograf ...... 55 Warburgs kreative Sprache ...... 57 Wilhelm Vöge (1868–1952): Person und Werk ...... 58 Die Hölderlinsche Sprache bei Vöge ...... 61 Zusammenfassung ...... 63

7. Krieg und Emigration – fünf Skizzen von Kunsthistorikern auf der Flucht ...... 64 Werner Weisbach (1873–1953) ...... 64 Leo Balet (1878–1965) ...... 67 Max Raphael im Exil ...... 68 Robert Freyhan (geb. 1901) ...... 70 Dorothea Klein (1903–1951) ...... 71 Zusammenfassung ...... 72 8. Der „primitive Mensch“ und der Mythos ...... 74 und der Schlangentanz ...... 74 Max Raphael: Steinzeit und Höhlenmalerei ...... 79 Zusammenfassung: Selbstfindung im Fremden ...... 81 9. ZUSAMMENFASSUNG ...... 82 LITERATURVERZEICHNIS ...... 86 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...... 93

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1. EINLEITUNG

Ich möchte dieses Thema mit einer fiktiven Geschichte über die Begegnung zwischen Hippokrates und Demokrit bei den Abderiten einleiten, die im Rahmen der pseudohippokratischen Epistolae im Corpus hippocraticum überliefert ist.1

Die Bürger von Abdera holen aus Sorge um ihren Mitbürger Demokrit den Arzt Hippokrates von der Insel Kos. Sie vermuten, er sei verrückt geworden, nachdem er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und sich ganz auf seine Forschung konzentriert hatte.

Als Hippokrates zu dem vermeintlich Kranken gelangt, findet er ihn mit der Vorbereitung einer Schrift über den Wahnsinn beschäftigt. Hippokrates beginnt ein Gespräch mit Demokrit und erkennt dessen Lachen als Ausdruck der Weltanschauung Demokrits, die er im Laufe des Gesprächs schätzen lernt. Hippokrates ist überzeugt, nicht einen Kranken, sondern einen Weisen vor sich zu haben und bezeichnet im Gegenzug die Abderiten als krank, da sie die Weisheit Demokrits für Wahnsinn hielten.

Stuart Hampshire beschäftigte sich in seinem Aufsatz, der in dem von Max Black herausgegebenen Buch The morality of scholarship von 1967 veröffentlicht wurde, mit dem Thema des seelischen Konflikts bei Gelehrten in Bezug auf die Entstehung bedeutender Werke. Laut Hampshire entsteht die Bedeutung eines Werkes aus dem inneren Konflikt des Schriftstellers/Wissenschaftlers bei seiner Schöpfung. Mythenbildung und spekulative Hypothesen erscheinen dabei einem späteren Beobachter oft als eine Art von Wahnsinn bzw. als Hang zur Selbsttäuschung. Es ist zu hinterfragen, warum ein Material, das zunächst oft marginal wirkt, einen Konflikt verursachte und schließlich weitreichende Bedeutung entfaltete.2

Das in dieser Arbeit gewählte Themengebiet ist stark umstritten. Ich möchte hier jedoch weder psychologisierende Schlüsse ziehen, noch zur Bildung von Vorurteilen beitragen oder diese bestätigen. Im Gegenteil, es sollen Fakten zusammengestellt werden. Die wissenschaftlichen Leistungen von Kunsthistorikern, deren Krankheit bzw. Lebenskrise

1 Rütten 1992, 214. 2 Gombrich 1992, 23. 3

belegt ist, werden vorgestellt und in Zusammenhang mit ihren Forschungen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte gesetzt.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Kunsthistoriker Aby Moritz Warburg. Der Kunst- und Kulturwissenschaftler, bekannt durch Begriffe wie „Ikonographie“ oder „Pathosformel“, kämpfte Zeit seines Lebens mit starken seelischen Konflikten. Neben seiner außerordentlichen Leistung für das kunsthistorische Fach, wird in seinen Biografien auch immer wieder seine persönliche Krise beschrieben. Seine psychische Erkrankung beeinflusste nicht nur sein privates Leben, sondern auch seine kunst- und kulturhistorischen Forschungen.

Von Warburg ausgehend wird ein Faden zu anderen bekannten Gelehrten gesponnen, die in Bezug auf ihre wissenschaftliche Arbeit in unterschiedlicher Weise und aus differenten Motiven in einen Zustand des inneren Konflikts und der Krise gerieten. Die Zusammenschau soll Gemeinsamkeiten zwischen diesen Wissenschaftlern aufzeigen, vor allem in der Art, wie sie innerhalb des Faches rezipiert wurden und dieses beeinflussten. Ausgangspunkt ist dabei die These, dass es sich bei diesen Wissenschaftlern häufig um Pioniere, Vorreiter und Wegbereiter ihres Faches handelte und dass ihre innovativen Gedanken von ihren Zeitgenossen häufig nicht verstanden wurden. Unverständnis und fehlender Zuspruch könnten auch Auslöser für den emotionalen Rückzug dieser Forscher in ihre eigene Welt gewesen sein.

Um dieser These nachzugehen, werden die Kunsthistoriker unter folgenden Aspekten vorgestellt, die jeweils für ihre persönliche Krise in gewisser Weise ausschlaggebend gewesen zu sein scheinen: der Umgang mit dem Begriff der Renaissance und dem Geniebegriff, der Rückgriff auf interdisziplinäre Ansätze, die Verwendung einer sehr persönlichen wissenschaftlichen Sprache, Erfahrungen mit Flucht und Emigration sowie die Beschäftigung mit dem „primitiven Menschen“ und seinem Verhältnis zur Kunst. Interessanterweise findet sich Warburg unter den meisten dieser Punkte wieder, er war also in mehrfacher Hinsicht innovativ und dadurch auch in mehrfacher Hinsicht gefährdet.

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Die in dieser Arbeit herangezogene Literatur ist von und über die hier angeführten Kunsthistoriker. Einen wichtigen Stellenwert nehmen vor allem die eigenen Werke ein, die einen umfangreichen Einblick in die Denk- und Vorgangsweise der Historiker vermitteln.

Die Überblicksliteratur, wie Eine Einführung in die Kunstgeschichte von Belting u.a. oder Kultermanns Geschichte der Kunstgeschichte , wurde zum Verständnis über die Situation der Kunstgeschichte und ihre Vertreter herangezogen. Um im Speziellen auf die Themengebiete der einzelnen Kapitel bezugzunehmen, wurde spezifische Literatur verwendet. Für den psychologischen Bereich gebrauchte ich Auszüge von Jüttemann Wegbereiter der historischen Psychologie , Saturn und Melancholie von Klibansky, Panofsky und Saxl oder Melancholie , herausgegeben von Jean Clair 2005.

In Bezug auf die einzelnen Kunsthistoriker, ist bei Aby Warburg vor allem Ernst H. Gombrich zu erwähnen, auf dessen Werk Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie ich des Öfteren Bezug nehme.

Die Berichte über Warburgs Krankheit und seinen Aufenthalt in unterschiedlichen Sanatorien ist vor allem für die Grundlage seiner psychischen Erkrankung wichtig und dient der Beweisführung. Die Integration des Aufsatzes über das Schlangenritual von Aby Warburg bildet einen wesentlichen Teil und hilft bei dem Verständnis zur Überwindung seines Zustandes und trägt zu seiner Selbstheilung bei.

Bei Henry Thode sind neben den Überblickswerken, wie jenes von Anna Maria Szylin, vor allem seine Abhandlungen über Michelangelo und Franz von Assisi wichtig, die Aufschluss über seinen Bezug zum Genie und seine Ansichten über die Renaissance wiederspiegeln. Ähnlich ist es auch bei Carl Justi, der mit seiner Trilogie über Winckelmann , Michelangelo und Velázquez , den Geniebegriff für sich definierte. Sein Bezug zur Sprache ist wichtig für seine Interpretation. Auf diesen Punkt nimmt vor allem Johannes Rößler in seiner Poetik der Kunstgeschichte Bezug, auf den ich in meiner Arbeit eingehen werde.

Die Rezeption der Werke Josef Strzygowskis der unter dem Kapitel der Interdisziplinarität eingegliedert wurde, stellte sich in Bezug auf die Lesbarkeit als enorm schwierig heraus. Seine Gedankengänge waren oft schwer zu entwirren und die Rezeption legte so manche Steine in den Weg.

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Max Raphaels Texte gliedern sich auch in das Kapitel der Interdisziplinarität ein. Werke wie jene von Heinrichs herausgegebenen Max Raphael. Lebens-Erinnerungen oder „Wir lassen uns die Welt nicht zerbrechen“ waren oft hilfreich um Gedankengänge Raphaels zu entwirren, beziehungsweise von einem anderen Blickwinkel zu sehen.

In dem Kapitel Krieg und Emigration war vor allem Wendlands Biographisches Handbuch Deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil hilfreich.

Überleitend in das erste Kapitel, möchte ich folgendes Zitat aus Ernst Gombrichs Biografie über Aby Warburg voran stellen, in der er schreibt, „daß die Intensität dessen, was den Gelehrten ganz persönlich beschäftigt, den Wert seines Werkes nicht im Geringsten schmälert“ 3 – im Gegenteil kann es auch immer eine Bereicherung sein.

3 Gombrich 1992, 22. 6

2. ABY MORITZ WARBURG (1866–1929)

Skizze seines Lebens

Aby Moritz Warburg galt auf dem Gebiet der Mythografie und Astrologie sowie in der kunsthistorischen Forschung im Bereich der Florentiner Studien als Fachmann. Seine Theorien und Forschungen sind durch Notizen und Aufzeichnungen umfassend belegt, da jedoch das Schreiben selbst für ihn mehr Qual als Vergnügen war, publizierte er zu Lebzeiten nur wenig. 4

Sein Schüler Carl Georg Heise beschrieb Warburg als „klein von Statur, zierlich“ in der Erscheinung, aber voller Lebendigkeit und mit einer starken Neigung zu „unberechenbaren Temperamentsausbrüchen“. Seine Augen waren „abwechselnd sprühend und von Schwermut verdunkelt, von buschigen Brauen beschattet“ und Heise bemerkte insbesondere Warburgs rasche, knappe Aussprache und seinen persönlich geformten Wortschatz sowie die eindrucksvolle Sprechweise.5 Nach seiner Krankheit beeindruckten laut Ernst Gombrich sein intensiver Blick und die tiefe Melancholie, die sich darin spiegelte und an die Zeit der seelischen Probleme erinnerte. 6

Aby Moritz Warburg kam am 13. Juni 1866 am Grindelhof im Hamburger Stadtteil Rotherbaum als erstes Kind des Ehepaars Moritz M. Warburg und Charlotte Warburg, geborene Oppenheim, zur Welt. 7 Es folgten noch sechs Geschwister, Max, Paul, Felix, Olga, Fritz und Loni. Der Vater war erfolgreicher Bankier, die Familie besaß ein

4 Gombrich 1992, 21. 5 Heise, zit. n. Kultermann 1990, 204f. 6 Gombrich. 1992, 20. 7 Roeck 1997, S. 9. 7

Bankhaus, und strenggläubiger Jude. Die Erziehung der Warburg-Kinder fand unter einem strengen Regime stand, neben der Einführung in das jüdische Brauchtum unter der Leitung des Vaters achtete die Mutter auf die Vermittlung von Bildung, insbesondere auf dem Gebiet der Kunst und Kultur. Ihre Liebe zum Musischen gab sie an ihren Erstgeborenen weiter. Aby Warburgs Brüder machten hingegen durchweg Karriere im Bank- und Wirtschaftswesen und folgten damit den Wünschen und Vorstellungen ihres Vaters. Aby entschied sich schon früh für die Künste und trat bereits im Alter von 13 Jahren sein Erstgeborenenrecht hinsichtlich der Übernahme der Bank an seinen ältesten Bruder Max ab.

Nach Abschluss der Realschule belegte Aby Warburg einen Griechischkurs und holte sein Abitur nach. Er wollte Archäologie studieren. Die Kultur des Altertums, insbesondere die Antike und ihre Rezeption im Humanismus der Renaissance, faszinierte ihn von Beginn an.

1886 begann Aby Warburg sein Studium der Kunstgeschichte und Archäologie an der Bonner Universität.8 Anschließend studierte er in München, Florenz und schließlich in Straßburg, wo er mit dem Thema Sandro Botticellis ‚Geburt der Venus’ und ‚Frühling’. Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance promoviert wurde. Er genoss seine Studienzeit und nahm an unterschiedlichen akademischen Vergnügungen teil.

Weder die Studienwahl noch sein freies Studentenleben entsprachen den Vorstellungen seiner konservativ jüdischen Verwandtschaft. Es war suspekt, dass ein Junge aus einem angesehenen jüdischen Bankiershaus sich gänzlich einer Bildwelt heidnischen und christlichen Ursprungs widmete. 9

Aby Warburg war ein fleißiger und besonders begabter Student, der bei wichtigen Professoren studierte. Namen wie Carl Justi, Henry Thode oder Karl Lamprecht sind hier zu nennen. Diese Wissenschaftler trugen zu der Orientierung seiner künftigen Forschung bei. Die Vorlesungen des Historikers Lamprecht in Bonn verfolgte der junge Warburg mit großer Aufmerksamkeit, da Lamprecht einen neuen Ansatz entwickelt hatte, indem er Kunstwerke nicht nach ihrer ästhetischen Wirkung, sondern als historische Dokumente analysierte. In seiner 1905 herausgegebenen Modernen

8 Michels 2007, 25ff. 9 Gombrich 1992, 40. 8

Geschichtswissenschaft versteht Lamprecht die Geschichte als „angewandte Soziologie“. Die „alte Geschichtsschreibung“ wird von ihm als unwissenschaftlich deklariert, da sie auf die Erforschung „sozialer Zustände“ in Kombination mit „psychischen Gesetzen“ basiere.10 Warburgs späteres Interesse für die Symbiose von Kunst, Gebärde und Ausdruck scheint durch Lamprecht beeinflusst.11

Warburgs beruflicher Werdegang vollzog sich als Privatgelehrter. Trotz mehrerer Angebote, einen Lehrstuhl an einer Universität zu übernehmen, zog er es stets vor, unabhängig zu bleiben.

1895/96 unternahm Warburg eine Amerikareise. Nach seiner Hochzeit mit Mary Hertz 1897 lebte die Familie für längere Zeit in Florenz. Obwohl Warburg bereits damals wiederkehrende Depressionen hatte, nahm das Ehepaar am gesellschaftlichen Leben und intellektuellen Austausch teil.

Immer wieder bezog Warburg Stellung zu dem ihm so verhassten schwärmerischen Ästhetizismus. Mit Ablehnung stand er den sogenannten Bildungsreisenden gegenüber, die die italienische Renaissance grenzenlos verherrlichten.

1902 kehrte die Familie nach zurück und Warburg präsentierte seine Forschungsergebnisse in einer Reihe von Vorträgen. Im Jahr 1919, als es zu der von ihm und seinem Bruder Max unterstützten Gründung einer Universität in Hamburg kam, übernahm Warburg dort eine Professur. Damals machten sich aber bereits deutliche Anzeichen seiner psychischen Krankheit bemerkbar, die seine Forschungs- und Lehrtätigkeit zunehmend beeinflusste (siehe unten). Nach dem Ersten Weltkrieg verbrachte Warburg aufgrund seiner psychischen Erkrankung mehrere Jahre in Sanatorien. Als Aby Warburg schließlich entlassen wurde, begann er, an seinem Bilderatlas Mnemosyne zu arbeiten.

Mit dem Begriff Mnemosyne bezeichnete Warburg auch die von ihm mitbegründete und geleitete Bibliothek. Schon 1901 hatte er mit Unterstützung seiner Familie begonnen, Bücher zu sammeln und nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich diese Bibliothek in Kooperation mit der Hamburger Universität in eine öffentliche Institution. Nach seiner Gesundung kümmerte sich Warburg um einen Bibliotheksneubau. Die Bibliothek, die

10 Sieglerschmidt/Wirtz 1988, 107f. 11 Raulff 1988, 126. 9

seit 1933 ihren Sitz in London hat, fasst heute über 150.000 Bände; als Warburg starb, waren es bereits 65.000. 12

Der Bestand war sehr breit angelegt, darin den Forschungsinteressen Warburgs folgend, und enthielt neben Büchern über Philologie, Dichtung und Volkskunde auch eine eigene Abteilung über Luftschifffahrt. Selbst Atlanten und Adressbücher wurden gesammelt. 13 Nicht ohne Grund erhielt sie den inoffiziellen Namen „Institut für methodologische Grenzüberschreitung“. 14

Aby Warburg starb am 26. Oktober 1929 in Hamburg.

Warburg war es wichtig, Bildinhalte historisch zu deuten. Seine neue Herangehensweise ist heute unter dem Begriff der Ikonologie bekannt. Es ging ihm „um die Deutung zunächst minimal erscheinender Formveränderungen, in deren Gesamtheit Warburg Anzeichen für den allgemeinen Wandel psychischer Affekte erkannte“.15 1912 sprach Warburg in seinem Vortrag über die Fresken des Palazzo Schifanoia in , den er in Rom hielt, das erste Mal von einer „ikonologischen Methode“. 16 Ikonologie ist für ihn die „Wechselwirkung von Form und Inhalt im Konflikt der Traditionen“ 17 .

In seiner Dissertation, welche 1893 in Druck ging, beschäftigte er sich mit der Möglichkeit, in den Geisteswissenschaften naturwissenschaftliche Methoden anzuwenden, und führte schließlich die Ikonologie in das Fach ein. Seine Vorstellung sah eine Wissenschaft vor, die neue Bereiche einbezieht und die Grenzen zu anderen Disziplinen auflöst.18 Der große Erfolg seiner Arbeit führte ihn dazu, zwei Semester Medizin und Psychologie zu studieren sowie mehrere Reisen nach Florenz zu unternehmen.

Basierend auf seinem interdisziplinären Ansatz entwickelte Warburg auch den Begriff der „Pathosformel“. Er sah Übereinstimmungen in der Gebärdensprache auf Bildern aus Italien und anderen Gebieten, die er auf den regen Geschäftshandel der Florentiner

12 Kultermann 1990, 201. 13 Kultermann 1990, 202. 14 Sierek 2007, 177. 15 Dilly 2008, 14. 16 Eberlein 2008, 184. 17 Gombrich 1992, 419. 18 Kultermann 1990, 201. 10

zurückführte. Schließlich erkannte er in der tänzerisch bewegten Dienerin (Nympha) den Zusammenhang mit antiken Darstellungen von Tänzerinnen und damit das, was er später als „Pathos“ bezeichnete.19 Die leidenschaftlich bewegte Gebärde, die er vor allem bei Personen aus einer „primitiven Schicht“ (Dienerin) entdeckte, interpretierte Warburg als zeitüberdauernden formelhaften Ausdruck einer Befreiung von gesellschaftlichen bzw. religiös geprägten Zwängen hin zu einem Zustand der Leidenschaft. Dieser besänftige den melancholischen Zustand, stelle aber gleichzeitig eine Bedrohung dar, die beherrscht werden müsse.20

Die Ausführungen in Lessings Laokoon (1766) waren für Warburgs Denken seit seiner Schulzeit richtungsweisend. Der kritische Denkansatz Lessings, der die intellektuellen Probleme seiner Zeit aufgeworfen hatte, beschäftigten Warburg, was beispielsweise in seiner Frage nach dem Wesen des Bildes zutage tritt.21 Lessing fragt im Laokoon nach den Grenzen von Literatur und bildender Kunst. Der Dichter darf laut Lessing den Schmerz beschreiben, der Bildhauer jedoch darf ihn nur andeuten. Schon Horaz befasste sich mit diesem Gegensatzpaar in seinem bekannten Werk Ars poetica . Darin tauchte die später bekannte Formel „ut pictura poesis“ auf, also „wie in der Malerei, so in der Dichtung“, was seit der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert als Gleichsetzung beider Künstler verstanden wurde und zur Grundlage akademischer Malerei wurde, die einem Text folgen und eine ideale Schöpfung vor Augen führen sollte. Lessing stellte nun grundsätzliche Unterschiede zwischen Malerei und Dichtung fest. Er unterschied die „Zeit des Dichters“ und den „Raum des Malers“. Dabei sah er einen Vorzug der Malerei darin, dass der Betrachter dort eine Einheit erfassen könne, in der Dichtung müsse der Inhalt hingegen sukzessive wahrgenommen werden. Daraus ergab sich aber nach Lessing auch, dass starke Gefühle (Pathos) in der bildenden Kunst nicht erlaubt seien, „weil visuelle Zeichen statisch sind und Bewegung nur andeuten können“, und durch sie das Schöne der Kunst dauerhaft zerstört würde. 22

Der Laokoon war insofern ein wichtiger Impuls dafür, dass Warburg sich intensiv mit Ausdruck und Gebärde in den bildenden Künsten auseinandersetzte. Allerdings kann auch im Bild nicht alles augenblicklich erfasst werden, und Lessings scharfe

19 Cerbe-Farajian 2001, 179. 20 Gombrich 1992, 407. 21 Gombrich 1992, 41. 22 Gombrich 1992, 41. 11

Grenzziehung zwischen den beiden Bereichen künstlerischer Gestaltung wurde später häufig in Frage gestellt.

Warburgs psychische Erkrankung

Ernst H. Gombrich sah die seelischen Konflikte Warburgs als Inspiration für seine intellektuelle Entwicklung. 23

Sein ganzes Leben litt Warburg an Angstzuständen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschütterte den Kunsthistoriker schwer. Sein Freund und Mitarbeiter Fritz Saxl wurde zum Kriegsdienst eingezogen und die Lebens- und Forschungssituation war bedroht. Nach Kriegsende und kurz nach Abschluss seiner Arbeit über heidnische Prophezeiungen zurzeit Luthers, erkrankt er an einem schweren Nervenleiden. 24

Im November 1918 eskalierte die Situation und Warburg drohte, seine Familie und sich mit einem Revolver zu ermorden. Von November 1918 bis Juli 1919 wurde er in der Klinik in Hamburg aufgenommen, bis er im Oktober 1920 in die Heilklinik in Jena unter der ärztlichen Leitung von Professor Berger gebracht wurde. Nachdem sein Zustand über zwei Jahre hinweg unverändert blieb und eine Besserung nicht in Sicht schien, wurde er am 16. April 1921 als Patient in das Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen überwiesen. In den Überweisungspapieren wurde eine „Restutio ad integrum“ ausgeschlossen. Es schien im Sinne der Jenaer Klinik, sich eines Störenfriedes zu entledigen, der den Klinikablauf und die anderen Patienten störte.25

Nach sechsmonatigem Aufenthalt bestätigte auch Professor Binswanger das Urteil seines Kollegen, so sagte er in einer Unterhaltung mit Freud:

„Ich glaube, dass im Laufe der Zeit die psychomotorische Erregung weiter langsam abnehmen, glaube aber nicht, dass eine Wiederherstellung des Zustandes quo ante der akuten Psychose und eine Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Tätigkeit möglich sein wird.“ 26

Bei Warburg wurde Schizophrenie diagnostiziert, eine Krankheit, die als nicht heilbar galt.

23 Gombrich 1992, 23. 24 Kultermann 1990, 202. 25 Binswanger 2007, 7. 26 Binswanger 2007, 7. 12

Immer wieder kam es im Krankheitsverlauf zu minimalen Verbesserungen, welche aber, so befürchtete der Arzt, einer Konfrontation mit der Wirklichkeit nicht standhalten würden.

Im Dezember 1923 wurde der Patient zu einem Vortrag über seine Amerikareise angeregt, um sich abzulenken. Als sich eine Woche später sein Zustand neuerdings verschlechterte, wurde der Termin immer wieder hinausgezögert. Da keine Besserung in Sicht war, beschloss die Familie, einen weiteren Spezialisten mit internationalem Ruf auf dem Gebiet der Psychologie zu Rate zu ziehen, Professor Kraepelin.

Dieser diagnostizierte einen „manisch-depressiven Mischzustand“ und lehnte die Schizophrenie-Diagnose seiner Kollegen ab. Mit der neuen Erkenntnis bestand auch wieder neue Hoffnung auf eine Genesung, obwohl eine sofortige Entlassung noch nicht empfohlen wurde.

Warburg nahm die Arbeit an seinem Vortrag über die Hopi-Indianer und das Schlangenritual wieder auf. Es kam zu einer gewissen Stabilisierung seines Zustandes. Am 21. April 1923 hielt Warburg seinen Vortrag vor seinen Mitpatienten in Kreuzlingen. Dies war der Beginn seiner Heilung, und er konnte in ein normales Leben nach Hamburg zurückkehren und sich in den folgenden Jahren dem Ausbau seiner Bibliothek widmen.

Für den Ausbruch seiner Krankheit gab Warburg sich stets selbst die Schuld, so sprach er davon, dass er sich mit Sternenkunde, Magie und Aberglauben beschäftigt habe, dessen Auswirkungen er jetzt erleiden müsse. 27

Warburgs Tagebuchaufzeichnungen, die er stets mit Bleistift schrieb und die teilweise schwer zu entziffern sind, geben Auskunft über seine psychische Situation. Sie zeigen häufig Angst und Erregung. 28 In einem Eintrag aus dem Jahr 1929 verglich er seine Gemütszustände mit der bewegten Nymphe im manischen Zustand und mit dem trauernden Flussgott in der Depression.29

27 Kultermann 1990, 204. 28 Gombrich 1992, 23. 29 Gombrich 1992, 406. 13

Sein Schüler Carl Georg Heise sprach über die von den frühen Warburg-Biografen so gemiedene Erkrankung, die seiner Ansicht nach nur zeige, wie Warburg seine Forschung mit vollem Einsatz und Intensität betrieben habe.30

Warburg war in seinen Forschungsansätzen seiner Zeit voraus. Auch deswegen stießen sie damals auf wenig Akzeptanz. So blieben seine Schriften der Öffentlichkeit lange verborgen. Eine Rezeption wurde auch durch die schwere Lesbarkeit seiner Texte und ihren fragmentarischen Charakter erschwert. Die Erforschung der psychologischen und sozialen Bedingungen für die Entstehung eines Kunstwerks ist heute ein wichtiger Bestandteil kunsthistorischer Forschung. Die Einbeziehung trivialen Bildwerks, die detaillierte Forschungsarbeit und Warburgs Interesse für andere, neue Bildträger und Techniken der Darstellung, wie zum Beispiel Bildteppiche oder die Fotografie, weisen auf seine Fortschrittlichkeit hin. 31

Das Elend der Kriegsjahre, seine persönlichen Konflikte, die nicht zuletzt auch aus dem Widerspruch zwischen seinem strenggläubigen jüdischen Elternhaus und seiner persönlichen Entwicklung entstanden waren, trugen zu seiner persönlichen Krise bei.

Vielleicht hatten auch die gewaltigen technischen Umwälzungen des beginnenden 20. Jahrhunderts ihren Anteil an der Empfindung des Krisenhaften, die ja auch bei vielen Zeitgenossen Warburgs zutage trat: Dieselmotor, Autos, elektrische Schwebebahnen, Fernreisen, Massentourismus, Bilderflut etc. – all diese Eindrücke trafen auf einen wissbegierigen Geist wie jenen Aby Warburgs. 32

30 Kultermann 1990, 204. 31 Raulff 1988, 129. 32 Sierek 2007, 184f. 14

3. DIE RENAISSANCE ALS KONFLIKTPOTENZIAL

Im späten 19. Jahrhundert vollzog sich eine Neuinterpretation der Renaissance, die für die vorherigen Generationen unangefochtenes Idealbild gewesen war. Laut Gombrich wurde die Renaissance bei Warburg zum Schauplatz des Konflikts zwischen Rationalität und Irrationalität, 33 womit er sie auch in die Konflikte seiner eigenen Persönlichkeit integrierte. Auch Henry Thodes Geist entzündete sich an der Kunst der Renaissance. Im Folgenden soll skizziert werden, welche Berührungspunkte die persönliche Krise dieser beiden Forscher und ihr wissenschaftlicher Umgang mit der Renaissance haben. Zunächst wird aber die Persönlichkeit Thodes kurz vorgestellt.

Henry Thode (1857–1920): Person und Werk

Henry Thodes Lebenswerk als Kunsthistoriker ist unter den Begriffen Assisi, Bayreuth/Wagner und Hans Thoma zu fassen. Für ihn war die Erforschung der Kunst geheimnisvoll und nur durch das Gefühl ergründbar. 34 Diese Einstellung führte in Kollegenkreisen zu immenser Kritik, bescherte ihm aber auch große populärwissenschaftliche Erfolge.

Henry, eigentlich Heinrich, Thode, geboren 1857 in Dresden, gestorben 1920 in Kopenhagen, wuchs als drittes von vier Kindern in einer angesehenen Familie auf. Seinem Vater, Robert Thode, gehörte das Dresdner Bankhaus Robert Thode & Co.

33 Gombrich 1992, 26f. 34 Betthausen/Feist/Fork 1999, 413. 15

Heinrichs Mutter, Adolfine, geborenen Dzondi, kam aus einem lutherischen Familienhaus im sächsischen Großschirma.

Seine Ausbildung führte ihn von der Universität Wien, weiter nach und München. 1880 promovierte Thode an der Universität Wien bei Moritz Thausing über Die Antike in den Stichen Marcantons, Agostino Venezianos und Marco Dentes.35 Es folgten Studienreisen nach Italien, Frankreich und England.

Auf einer seiner Reisen nach Italien lernte der junge Thode Richard Wagner kennen, zu dem er eine schwärmerische Verehrung hegte.36 Diese Hingabe offenbarte sich in vielen von Thodes Vorträgen, womit er aber auch auf viel Kritik stieß. Seine Schwärmerei führte zu schwerwiegenden Folgen in Bezug auf sein berufliches sowie gesellschaftliches Ansehen. Die Kunst Wagners stellte für Thode eine universelle Verbindung von zeitgenössischer Kunst und Philosophie her. 37

Richard Wagner beeinflusste nicht nur Thodes wissenschaftliche Karriere. 1886 heiratete Thode Wagners Stieftochter, Daniela von Bülow, Tochter von Cosima Wagner aus der ersten Ehe mit Hans von Bülow. Thode gelangte so in den inneren Kreis um Wagner.

Die Beziehung zwischen Thode und seiner Frau war rein platonisch. Die Vermählung schien sowohl für Henry als auch für die Familie Wagner von Nutzen gewesen zu sein. Thode pflegte enge, wohl auch erotische Kontakte zu anderen Frauen. So verband ihn ein enger Kontakt mit Isadora Duncan, und es wurde von Orgien in seinem Haus berichtet. Später lernte er die dänische Violinistin Hertha Tegner kennen, die er nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete.

1885 erschien Thodes Buch Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien und sechs Jahre später eine Studie über die altdeutsche Kunst, Die Malerschule von Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert.38

1889 wurde Thode Direktor am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main, wo er den Maler Hans Thoma kennenlernte. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge, von starken gegenseitigen Einflüssen geprägte Freundschaft. Die ablehnende Haltung

35 Betthausen/Feist/Fork 1999, 413. 36 Kultermann 1990, 130. 37 Szylin 1993, 30. 38 Paatz 1956, 54. 16

gegenüber den impressionistischen Kunstströmungen verfestigte sich durch die Beziehung Thodes zu Thoma. Aufgrund seiner Wagner-Verehrung und der Erschwernis, als theoretisch-philosophischer Gelehrter seine Leistungen erbringen zu können, kam es zu starken Zerwürfnissen mit der Verwaltung des Kunstinstituts. 39 1894 verließ er Frankfurt und folgte einem Ruf als Ordinarius an die Heidelberger Universität.40

In Thomas Kunst fand Thode sein persönliches Kunstideal. Die negativen Reaktionen aus der Fachwelt trieben ihn zu verbitterten Konfrontationen mit namhaften Kunsthistorikern, sodass selbst sein Freund, Hugo von Tschudi, von der Arroganz seiner Äußerungen schockiert war. Daneben hat Thode aber auch das Verdienst, als einer der ersten Monografien über Giotto und Tintoretto verfasst zu haben, und gilt als Begründer der Mantegna-Forschung. 41

Durch seine Arbeiten zieht sich ein Zwiespalt: Einerseits unternahm er detaillierte kulturhistorische Untersuchungen, andererseits ging er davon aus, dass Kunst nur gefühlt werden könne. Er erweiterte das Werk Albrecht Dürers um drei Zuschreibungen, von denen immerhin eines, Das Bildnis eines Unbekannten mit der roten Schaube , dem Meister noch heute zugeschrieben wird.42

Von den Universitäten regelrecht verschmäht, flüchtete er in die Welt der Kunst und Literatur und verfasste unter anderem die Schrift Der Ring des Frangipani . Mit diesem Werk verließ er die Kunstgeschichtsschreibung und begab sich in das Genre des Romans. Der Erzähler erhält einen Ring und berichtet von der Geschichte dieses Ringes, die im Italien des 16. Jahrhunderts spielt, von der Familie Frangipani und von einer Liebesgeschichte, die mit dem Ring verknüpft ist. Schon die Wortwahl zeigt den Enthusiasmus des Verfassers und entfernt das Buch von einem wissenschaftlichen Anspruch. In Thodes literarischen Werken tritt in der Folge immer stärker der geistige Zusammenbruch in den Vordergrund, sowohl stilistisch wie in der sich steigernder Mystik.

39 Betthausen/Feist/Fork 1999, 414. 40 Kultermann 1990, S. 131. 41 Szylin 1993, 60ff. 42 Szylin 1993, 75. 17

1903 hielt Thode einen Vortrag über die tragischen Bühnen von Bayreuth in mehreren deutschen Städten. 43 Zwischen 1906 und 1911 legte er sein wissenschaftliches Augenmerk auf die ethisch-ästhetische Betrachtung und fasste seine Thesen unter dem Titel Kunst und Sittlichkeit zusammen. Die Selbsterziehung sollte sich an dem Sittlichen und Edlen orientieren, das man vornehmlich in der Vergangenheit suchen sollte. Da er die Universität als Hindernis betrachtete und seine Vorlesungen wenig Zustrom verzeichneten, wandte er sich von der Lehre ab und beschäftigte sich hauptsächlich mit Vorträgen. 44 1911 verließ er von sich aus sein Heidelberger Lehramt.

Nach seinem Rückzug aus dem Lehrbetrieb nutzte Thode die Zeit, um seine politisch- kulturellen Thesen auszuarbeiten. Den größten Teil seiner Zeit verbrachte er in seiner Villa am Gardasee, bis es im Ersten Weltkrieg zur Enteignung seines Besitzes kam und er zu einem Wanderleben gezwungen wurde, das ihm gesundheitlich schwer zusetzte. Die Villa beherbergte seine umfangreiche Bibliothek und Kunstsammlung. Durch die Enteignung gingen unter anderem auch unveröffentlichte Manuskripte verloren. Dieser Verlust führte zu einem Bruch im Leben Thodes, der seine Arbeitskraft und Gesundheit schwächte.

Schon geschwächt von seiner Krankheit, befasste er sich 1919 intensiver mit Paul Thiem, einem Künstler und Kunsttheoretiker, der einen dämonischen Schaffensdrang besaß, sowohl in der bildlichen Darstellung als auch in der Ton- und Wortdichtung. 45 Nach längerem Wanderleben durch Deutschland siedelte Thode im selben Jahr nach Kopenhagen über, wo er schließlich 1920 in tiefer Depression starb.

Sein letztes Manuskript ist ein Gedicht, in dem er von „Krankheit und Heimatlosigkeit zermürbt […] moralisch noch einmal seine idealistische Botschaft“ darstellte. 46

Zu seinen wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten zählen folgende Werke: Die Knackfuß-Künstler-Monographien über Mantegna (1897), Corregio (1898), Giotto (1899), Tintoretto (1901), Michelangelo und das Ende der Renaissance (1902 bis 1912; sowie kritische Untersuchungen über Michelangelos Werke, 1908 bis 1913), Schriften über Hans Thoma (1899 bis 1909) und Böcklin und Thoma (1905). Letztere entstand als eine Reaktion auf die berühmte Schrift Meier-Graefes von 1915 Der Fall Böcklin .

43 Szylin 1993, 125. 44 Szylin 1993, 161ff. 45 Szylin 1993, 256f. 46 Szylin 1993, 263. 18

Thode bekannte sich darin zum Idealismus und gegen die von Meier-Graefe propagierte Kunst der Moderne.47

Henry Thode war ein wortgewandter Redner, eine schillernde Persönlichkeit. Seine philosophisch-dichterische Ader hinterließ auch in seiner Tätigkeit als Gelehrter Spuren. Novellen und Gedichte geben Auskunft über Thodes Fühlen und Denken. Irrationalität und Metaphysik trüben das Bild des Wissenschaftlers jedoch. Zudem war er Antisemit. Obwohl seine Ausführungen über Michelangelo bis heute Gültigkeit haben, fand er bei Zeitgenossen wenig Anerkennung.

Henry Thodes Renaissancebegriff

Vor allem in Bezug auf die italienische Renaissance beeinflusste Thode das Verständnis seiner Zeitgenossen. Nach Thodes Ansicht hätte sich der Realismus des Nordens auch ohne den Einfluss der Antike entwickelt. Thode lehnte außerdem die Vorstellung ab, dass die Renaissance aus der Wiederbelebung der Antike hervorgegangen sei.48 Er sah Kunst und Leben der Renaissance als selbstständig und unabhängig von der Antike bestehend.

In seinem Werk über Michelangelo griff Henry Thode das „Problem der Renaissance“ auf und sah in dieser Periode den inneren Konflikt der damals lebenden Menschen, der für ihn aus der Gegenüberstellung von „genialer Erkenntnis“ und banaler Realität entstand. Für ihn rief dieser Konflikt Schwermut hervor. 49

Über die Darstellung der Künstlerpersönlichkeit Michelangelos hatte Thode die Möglichkeit, einen Einblick in die Renaissance und ihre Konflikte zu geben. Der Konflikt zwischen dem antiken Ideal und der Gefühlsmacht spiegelt sich laut Thode in der Person Michelangelos wider. So beherrschte die menschliche, plastische Schönheit Michelangelos Phantasie auf der einen Seite, auf der anderen Seite wurde er von dem Empfinden beherrscht, seiner Seele im Sinne der christlichen Gefühlsmacht Ausdruck zu verleihen. 50

47 Betthausen/Feist/Fork 1999, 414. 48 Thode 1903-1912, Bd. 2, 12. 49 Thode 1903–1912, Bd. 1, 7. 50 Thode 1903-1912, Bd. 1, 7ff. 19

„Mitten in einer Zeit, die in blinder Selbstvergötterung die Versöhnung zwischen der Antike und dem Christenthum geschlossen zu haben glaubte, offenbaren die beiden Welten ihren unversöhnlichen Gegensatz in dem Genius, welcher der Abschluss aller auf die Vereinigung gerichteten Bestrebungen erschien.“ 51

Nach Thode beherrschten die Begriffe der Schönheit und der Liebe die Renaissance. Der aufkommende Konflikt lag vor allem in dem Widerspruch zwischen dem Schönheitsideal der Antike und dem Ausdrucksbedürfnis der christlichen Seele.52

Damit scheint er auch seinen eigenen seelischen Konflikt in diesem für ihn wichtigen Forschungsgebiet gespiegelt zu haben: Sowohl die Differenz von Genialität und Banalität wie auch der Kampf zwischen Gefühl und Ration bestimmten seine Forschungen wie sein Leben grundsätzlich.

Eine Neuinterpretation der Renaissance durch Warburg

1895/96 unternahm Warburg eine Amerikareise, die auch Auswirkungen auf seine Sicht auf die italienische Renaissance, seinen wichtigsten Forschungsschwerpunkt, hatte und ihm half, die Antike und die Wiederaufnahme dieser Kunstepoche neu zu verstehen. 53

Nicht nur für Warburg war die Kultur der Renaissance ein zentraler Bezugspunkt:

„Seit dem späten achtzehnten Jahrhundert galt die Einstellung eines Menschen gegenüber diesem bedeutenden Zeitalter als ein Prüfstein seiner Einstellung zu den Problemen seiner eigenen Zeit.“ 54

Ernst Gombrich beobachtete in seiner Warburg-Biografie, dass jene Menschen, die selbst einen durch Eingrenzungen ausgelösten Konflikt durchlebten, besonders empfänglich waren für die Vision der Renaissance als einer Zeit der Emanzipation und der Loslösung aus den Zwängen von Kirche und Staat. 55 Der Renaissancekult im Florentiner Quattrocento, hatte eine Befreiung aus mittelalterlichen Vorstellungen zur Folge, denen Warburg geteilt gegenüber stand.

Die Befreiung von den Zwängen des Mittelalters sah Warburg gemäß Gombrich aber nicht als rein positive Entwicklung, sondern auch als schmerzhaft, teilweise ausgelöst

51 Thode, 1903-1912, Bd. 1, 10. 52 Thode, 1903-1912, Bd. 1, 11. 53 Warburg 1988, 187. 54 Gombrich1992, 24. 55 Gombrich 1992, 24. 20

durch seine persönliche Emanzipation aus seinem strenggläubigen jüdischen Elternhaus und durch die Konflikte, die sich daraus ergeben hatten.56

Allerdings darf laut Gombrich nicht nur Warburgs psychische Labilität für sein besonderes Interesse an der Renaissance und seiner neuen Herangehensweise an dieses Zeitalter herangezogen werden, sondern seine Haltung entwickelte sich auch aus der Neuinterpretation des späten 19. Jahrhunderts, die die Antike in Abgrenzung etwa zum Idealbild der deutschen Klassik anders verstanden hatte und die antike und die primitive Welt miteinander verwob: 57

„Überall wurde die Macht des Irrationalen hervorgehoben, und die Rolle, die Magie und Aberglauben im Gewebe der Kultur spielten, drängte sich der Aufmerksamkeit der Historiker immer mehr auf.“ 58

In Warburgs Vorstellung wurde die Renaissance zu einem Ort des Konflikts zwischen Vernunft und Unvernunft. Vielleicht erwuchs in ihm auch dadurch das Bedürfnis, eine Bibliothek für die nächste Generation zu errichten. Eine Einrichtung, die vor der Dunkelheit schützen und die Zerstörung der Rationalität verhindern sollte.

Warburgs Neuinterpretation beruhte jedoch nicht nur auf der These des Konfliktausdrucks, sondern er sah sie parallel zur Neuinterpretation der Antike des späten 19. Jahrhunderts. Der Grieche als Idealbild, unbeeinflusst von dem Christentum, das für das Konfliktpotenzial des Menschen verantwortlich ist. Dieses Bild wurde jedoch später von Gelehrten wie Burckhardt, Nietzsche oder Usener widerlegt. 59 Das Idealbild begann zu bröckeln.

Zusammenfassung: Renaissance und Neurose

Gombrich stellte in seiner Warburg-Biografie fest, dass nicht wenige besonders sensible Zeitgenossen eine spezifische Vision der Kultur der Renaissance entwickelt hätten und führte weiter an, dass etwa Emile Zola diesen „Zusammenhang zwischen Renaissancekult und Neurose klar erkannt“ habe.60 Viele „Suchende“ waren überzeugt in der Stadt Florenz zu den Ursprüngen ihrer Kultur zu finden. Die Auseinandersetzung

56 Gombrich 1992, 26. 57 Gombrich 1992, 26f. 58 Gombrich 1992, 27. 59 Gombrich 1992, 26. 60 Gombrich 1992, 24f., Zit. 25. 21

mit der Renaissance als Suche nach dem eigenen inneren Zustand findet sich bei Warburg ähnlich wie bei Thode.

Anders als bei Henry Thode war aber für Aby Warburg die Darstellung der Renaissance als eine Zeit der „sinnlichen Übermenschen“ eine Vereinfachung der Thematik, der er ablehnend gegenüberstand – jegliche Verherrlichung war seiner Wissenschaftsüberzeugung zuwider. Thode, der Michelangelo als das Genie der Renaissance vergötterte und dessen inneren Konflikt auf das Umfeld der italienischen Renaissance zurückführte, ging wesentlich emotionaler vor. Für ihn entstand der Konflikt individuell aus der Genialität Michelangelos, die an die Banalität seiner Umwelt gebunden war, während der Konflikt für Warburg wesentlich komplexere, gesellschaftliche Wurzeln hatte.

22

4. DIE SUCHE NACH DEM GENIE

Der Begriff „Genie“ kommt ursprünglich vom lateinischen „genius“, das übersetzt so viel wie „erzeugende Kraft“ heißt. In der Psychologie werden Menschen damit in Zusammenhang gebracht, die besonders gut empfänglich für Sinnesreize aus der Umwelt sind. Wilhelm von Humboldt erweiterte den Begriff in Richtung der Wissenschaften. Die Verknüpfung von „Genie und Wahnsinn“ ist wissenschaftlich belegbar, so leiden Genies häufiger an Neurosen oder Gemütsschwankungen. In der Antike bestand die These, dass alle bedeutenden Männer Melancholiker seien; überragende Menschen, die zwischen inspirierten Höhen und depressiven Tiefen hin- und hergerissen sind. Platon hingegen setzte mit dem Melancholie-Begriff einen die Vernunft trübenden moralischen Wahn gleich; die Ekstase eines Dichters damit gleichzusetzten lag ihm fern. 61 Die vier Temperamente Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker, repräsentieren Wesenszüge, wobei jener des Melancholikers immer schon negativ belastet war. Der Ausdruck steht in Zusammenhang mit einem Zustand, der durch Angst und Depression bis hin zu Lebensüberdrüssigkeit gekennzeichnet ist und zwischen Depression und Nostalgie ein breites Spektrum an Seelenzuständen offeriert.

Schon in der frühmittelalterlichen Naturphilosophie beschäftigte man sich mit dem Charakter eines Menschen. Die „quattuor humores“, sind die vier Säfte, „schwarzer“, „gelber“ und „roter Galle“ und Blut, die durch ihre Mischung den menschlichen Charakter bestimmen. 62 Das Wort „Melancholie“ stammt von dem lateinischen „melancholia“ ab. Cholé (Galle) und cholos (Wut oder Zorn) sind im Griechischen miteinander verwandt. „Melas“ wiederum bezeichnet die Farbe Schwarz. Die Verbindung der beiden Worte beschreibt eine Gemütsverfassung. 63 Bei den Pythagoräern entwickelte man den Gedanke weiter und gliederte die Säfte nach den vier Jahreszeiten, die wiederum mit den Stufen des menschlichen Lebens verglichen wurden. 64

61 Klibansky/Panofsky/Saxl 1990, 56ff. 62 Klibansky/Panofsky/Saxl 1990, 37ff. 63 Melancholie 2005, 34. 64 Klibansky/Panofsky/Saxl 1990, 37ff. 23

In den Künsten spielte der Geniebegriff seit der Romantik eine besondere Rolle, um 1900 wurde er vorrangig in der Psychologie diskutiert. Dabei geht der moderne Geniebegriff davon aus, dass ein Genie überragende geistige Leistungen tatsächlich erbringen muss. Aus psychologischer Sicht wird auch oft die enorme Intensität, also der Hang zu intensiven Gefühlsregungen, als Merkmal des Hochbegabten beschrieben. Doch der geniale Mensch und seine Arbeit wird erst durch seine Anhängerschaft im öffentlichen Bewusstsein existent. Da aber zwischen der erbrachten Leistung des Genies und deren Anerkennung oftmals ein langer Zeitabschnitt liegt, kommt es bei dem genialen Menschen häufig zu sozialen und gesundheitlichen Belastungen, da er sich von der Gesellschaft nicht verstanden fühlt – der Typus des verkannten Genies. Sowohl Carl Justi als auch Henry Thode setzten sich mit dem Geniebegriff auseinander. Beide Kunsthistoriker beschäftigten sich in Hauptwerken mit Michelangelo, dem genialen Renaissancekünstler par excellence. Die Sicht der beiden Gelehrten auf dieses Thema wird im Folgenden dargestellt, nachdem zunächst die Person Justis kurz vorgestellt wurde.

Carl Justi (1832–1912): Person und Werk

Carl Justi, Porträt von Reinhold Lepsius (1912)

Carl Justi wurde 1832 in Marburg geboren. Er entstammte einer Familie von Gelehrten. Sein Vater war protestantischer Theologe, der Onkel Professor der Schönen Künste in Engelschall. 65 Seine Schulzeit verbrachte Justi auf dem Gymnasium in Marburg. Seinem Lehrer Vilmars und der Liebe zu Büchern verdankte er den Grundstein seiner

65 Waetzoldt 1924, 242. 24

geistigen Bildung. 66 Diese Leidenschaft zur Literatur prägte auch seine Forschung, stets fällte er seine Urteile aus seinem literarisch erworbenen Wissen. In seiner Ausbildung sah er sich schon in jungen Jahren mit lateinischen und griechischen Texten konfrontiert, die die Grundlage seiner kunsthistorischen Arbeit bildeten. 67

Nach dem Studium der Theologie in Berlin, wechselte er zur Philosophie und promovierte 1859 über das Thema Über die ästhetischen Elemente in der platonischen Philosophie . 68 Seine Studien verhalfen ihm zu einem umfassenden Einblick in die Kunsttheorie. Seine Entscheidung für Theologie als Studienfach erklärte Justi unter anderem damit, dass er sich zum Prophetischen hingezogen fühle. Diese Neigung mag auch seine Faszination für die großen Künstlerpersönlichkeiten teilweise erklären. 69

Nach seinen Jahren als Privatdozent, wurde er 1869 zum Ordinarius der Philosophie in Marburg ernannt; den Ansprüchen nicht gerecht werden zu können, belastete den jungen Gelehrten. Er war kein großer Redner, deshalb war es ihm mehr Mühsal als Vergnügen, Vorlesungen und Seminare abzuhalten. Seine Liebe galt dem Lesen und Schreiben, stundenlang widmete er sich seinen Werken.

Dank seiner Bekanntschaft mit Wilhelm Dilthey wurde er 1871 auf dessen Lehrstuhl in berufen. Ein Jahr später, 1872, konnte er sich voll seiner Leidenschaft, der Kunstgeschichte, widmen, da er als Nachfolger Anton Springers auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte nach Bonn berufen wurde. Er behielt seine Professur in Bonn bis zu seinem Tod 1912.

Als Lehrer an der Universität umstritten, erwies sich Justis Talent vor allem in seiner Kritik an der zeitgenössischen Kunst sowie im Verfassen seiner Künstlerbiografien. Seine Monografien über Winckelmann , Velázquez und Michelangelo sowie der Aufsatz zu El Greco haben einen bleibenden Platz in der Kunstgeschichte eingenommen.

Die viel gerühmten Künstlermonografien brachten ihm aber gleichzeitig den Vorwurf des Geniekults ein, vor allem aufgrund seiner beharrlichen Fixierung auf die „Autonomie des künstlerischen Subjekts“. 70

66 Waetzoldt 1924, 241. 67 Waetzoldt 1924, 259. 68 Kultermann 1990, 124. 69 Waetzoldt 1924, 256. 70 Rößler 2009, 184. 25

Durch die intensive Auseinandersetzung mit Kunst entdeckte Justi die Arbeiten von Winckelmann, dies bewegte ihn zu einer dreibändigen Abhandlung über das Leben und die Arbeit des Antikenforschers ( Winckelmann und seine Zeitgenossen ). Diese erste große Arbeit kennzeichnet die Loslösung von seinen bisherigen Interessen und den Beginn seiner neuen Lebensaufgabe. Auch die mit seiner Arbeit am Winckelmann-Epos verknüpften Reisen nach Italien, die dem aus dem Norden kommenden Einblicke in eine Welt voller Lebendigkeit und Freiheit gewährten, ließen ihn aufblühen.

Während seiner Italienreisen entdeckte er so das Werk des spanischen Künstlers Velázquez im Palazzo Doria Pamfili. Auch hier arbeitete er sich akribisch in das Werk, Leben und Umfeld von Velázquez, die spanische Kunst des Siglo de Oro, ein. Seine 1888 erschienene Arbeit Diego Velázquez und sein Jahrhundert ist bis heute eine in der Kunstgeschichte etablierte Schrift. Sein Interesse für Velázquez, der bis dato mehr in Künstler- als in Gelehrtenkreisen bekannt war, zeigt seine intuitive Gabe, seiner Zeit vorauszueilen.

Carl Justi bildete seine Gelehrtensprache in der Auseinandersetzung mit der deutschen Kunstsprache, im Umgang mit Werken der Weltliteratur aus. Durch die Verknüpfung von Wissenschaft und Literatur entwickelte er eine Form der Wissenschaftsprosa. Die Wertschätzung durch seine Leser war ihm wichtig, und zwar für die wissenschaftlichen Forschungen und die sprachliche Gestaltung. Seine literarische Neigung zu balladenartigen Episoden, hatte ihren Ursprung in der Auseinandersetzung mit der englischen Literatur. Die Kunst der Aphorismen entnahm er den Texten Goethes. Justis Bildbeschreibungen beziehen den seelischen Zustand der Dargestellten ein. Er fügte außerdem häufig Zitate aus der Weltliteratur in seine Texte ein. Dies war Teil seiner Sprachauffassung und bildete etwas, was man als den dekorativen Rahmen seiner Werke bezeichnen kann. 71 Fachwissen, Forschung und Interpretation verbinden sich so in seinen Publikationen miteinander. Justi integrierte außerdem häufig seine persönliche Lebenserfahrung in seine Reflexionen und identifizierte sich so mit dem Objekt seiner Forschungen.

Sein Buch über Winckelmann zeigt noch viele Einflüsse aus Justis philosophischer und theologischer Ausbildung. Sein Velázquez entstand hingegen zum Zeitpunkt seiner Berufung nach Bonn. An diesem Werk arbeitete er insgesamt 15 Jahre und nicht nur

71 Rößler 2009, 185. 26

weil er keinen Verleger fand. Immer wieder überarbeitete er den Text, vor allem die Bildbetrachtungen gelangen nie zu seiner Zufriedenheit, außerdem forschte er ständig weiter und passte den Text entsprechend an.

Bei der Beschäftigung mit Velázquez, der als Wegbereiter für die sich entwickelnde neue Kunst in Spanien des 17. Jahrhunderts galt, verarbeitete Justi seine Erfahrungen mit der zeitgenössischen Kunst, die er insgesamt negativ beurteilte. In seinem Vortrag Amorphismus in der Kunst , den Justi 1902 in Bonn hielt, legte er seine ablehnende Haltung gegenüber der zeitgenössischen Kunst dar. Diese Kritik, die sich insbesondere am Impressionismus entzündete, hatte er bereits vorher in Randbemerkungen formuliert – in dem anonym herausgegebenen Manuskript seines Bonner Vortrags wurde seine Sprache aber deutlicher. Ihm fehlte in der Moderne vorrangig die Vollendung, was er in der Befriedigung eines Massenpublikums motiviert sah. Ebenso kritisierte er die formale Gestaltung und den ästhetischen Ausdruck und führte zur Charakterisierung der Moderne Begriffe wie „Brechung der Perspektive“ und „Ironisierung“ ein.

In seiner 1881 publizierten Schrift Kunstgeschichte der Zukunft befasste sich Justi satirisch mit der Vorstellung einer von Industrie und Technik beeinflussten Zukunftsperspektive, die den menschlichen Geist bedrohe. Schon fotografische Abbildungen galten ihm als Bedrohung der Bildbeschreibung und eine unzulängliche Form der Reproduktion von Kunst. In dem damals virulenten Naturalismus sah er eine Gefahr für die Interpretation und Betrachtung von Kunst. Das Geistige zu sehen und es in die Bildbeschreibung zu integrieren, war für ihn essenziell. Seine durch den Klassizismus geprägte Haltung erwies sich auch in Bezug auf den Naturalismus als veraltet, vor allem seine idealistische Schönheitslehre.

Diese fortschrittsfeindliche Einstellung entwickelte sich jedoch mehr aus Gefühlen und Ängsten als aufgrund wissenschaftlich fundierter Fakten und Analysen. Justi als strukturiertem, organisiertem Charakter, scheint das Zufällige, Formlose und Chaotische der neuen Kunst zuwider gewesen zu sein. Er selbst aus der „Harmonie“ des 18. Jahrhunderts kommend, machte das „Ringen nach materiellen Erfolgen“ 72 für die Entwicklung in der Kunst verantwortlich.

72 Waetzoldt 1924, 269. 27

Johannes Rößler brachte die Resignation und Verunsicherung, die Justis persönliche Haltung ausdrücken, in Zusammenhang mit dessen Auseinandersetzung mit der protestantischen Theologie. Der Zusammenbruch der Theorien und die „verlorene Glaubensgewissheit“ führen zu einem Verzicht auf Systematik und wissenschaftlicher Stringenz: 73

„… Justis als schwere persönliche Krise empfundener Zusammenbruch von theologischen und philosophischen Systementwürfen kann erklären, weshalb seine Leistungen auf methodologischem Gebiet denkbar schwach sind und er im Gegensatz zu Springer keine Schule begründet hat.“ 74

Justis Wesen brachte ihn dazu, zurückgezogen zu leben und sich vorrangig der Kunstgeschichte zu widmen. Von anderen als schwierig bezeichnet, berichtete er selbst, dass er zu Studentenzeiten häufiger in eine Stimmung verfiel, die in der Temperamentslehre als Melancholie bezeichnet wird.

Justis Geniebegriff

Justis drittes Hauptwerk handelte von Michelangelo, und er begab sich damit wiederum in den Bannkreis des Genialen. Justi präsentierte sich hier als einfühlender Psychologe und Analyst. Er demonstrierte die Vertrautheit des Gelehrten mit dem Schicksal des Künstlers; er zeigte nicht nur die Sonnenseiten des Genies, sondern auch dessen dunklen Gegenpol. Auf der einen Seite war Michelangelo der von seinen Auftraggebern abhängige, aber gefeierte Künstler; andererseits der Einzelgänger und Sonderling. Ein Zerrissener, der zwischen Hochgefühl und Depression seine gespaltene Persönlichkeit offenbarte. In der Renaissance bezeichnete man den von Justi an Michelangelo entwickelten Wesenskontrast als „terribilità“. Das in Michelangelos Figuren enthaltene Heroisch-Tragische und der Einsatz des Werkstoffes Marmor.75

In seinen drei umfangreichen Monografien über Winckelmann, Velázquez und Michelangelo richtete Justi sein Augenmerk auf die Biografie großer Männer; Ausnahmeerscheinungen ihrer Zeit, Genies. Er ging dabei so akribisch und gründlich vor, dass er im Werk über Winckelmann sogar den Zeitgenossen Winckelmanns eigene Biografien widmete.

73 Rößler 2009, 184f. 74 Rößler 2009, 185. 75 Waetzoldt 1924, 257. 28

In der Auseinandersetzung mit den Eigenschaften, die dem Genie zugeschrieben werden, versuchte Justi einen Weg zu finden, es zu erklären. Mit seinen Schriften erstellte er eine Phänomenologie des Genialen.

Justi ging in Bezug auf den Geniebegriff davon aus, dass die Basis der Schöpferkraft und der Vollkommenheit der Werke die Stärke des Genies sei.

„Niemand der Charakter und Werdegang großer Künstler beobachtet hat, wird sich angesichts der Werke des Velazquez dem Eindruck verschließen, daß ihre Art tief in Temperament und Individualität des Mannes wurzelt.“76

Für ihn ist der Charakter des Genies schon vorgeformt und die äußeren Umstände beziehungsweise seine Umgebung tragen nur dazu bei, dass dieser Charakter in Erscheinung tritt. Das Genie wird also nicht „erworben“, sondern es ist schon immer Teil des Individuums und wartet nur darauf hervorgebracht zu werden. 77

Um sich in die großen Künstlerpersönlichkeiten hineinzuversetzen, erforschte Justi zunächst genauestens ihre Lebensumstände, ihre Umgebung und ihre Zeit und widmete sich schließlich dem Individuum. Dadurch erkannte er, dass das Wesen des Genies stets mit einer Disharmonie zwischen innerer und äußerer Welt einhergeht. Da er eine ähnliche Disharmonie in seinem persönlichen Leben spürte, war dies sicherlich ein wichtiger Anknüpfungspunkt für ihn.

Thodes Faszination für das Genie

Der Geniebegriff beschäftigte auch Henry Thode intensiv. Thodes Faszination für das Genie zeigte sich schon in seiner grenzenlosen Bewunderung für Wagner, die ihn sogar dazu führte, seine wissenschaftliche Karriere aufs Spiel zu setzen. Außerdem spielte insbesondere in seinem Werk Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien sowie in seinem Epos über Michelangelo die Konzentration auf das Genie und die Genialität im Allgemeinen eine erhebliche Rolle.

76 Justi 1922/23, Bd. 1, 132. 77 Rößler 2009, 227f. 29

Thode sah Michelangelo als einen genialen Geist, der von seiner Umgebung nicht verstanden wurde. Damit knüpfte er an einen modernen, psychologischen Geniebegriff an, nämlich an das verkannte Genie.

Wie schon für Justi, so war auch für Thode Michelangelo eine Schicksalsgestalt der Renaissance. Auch Thode unterlag damit dem gründerzeitlichen Interesse am Genie. Er sah seine Aufgabe bei diesem Buch vor allem darin, zu zeigen, durch welche Umstände sich ein Menschheitsgenie entfalten kann: Eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die durch sein Wesen wiederum seine Umwelt nach seinem Bild prägte. 78 In seiner Untersuchung zu Michelangelo bemühte sich Thode in erster Linie darum, das Gefühl und das Denken Michelangelos herauszuarbeiten.

Der erste Band der Monografie wurde 1902 unter dem Titel Das Genie und die Welt veröffentlicht. Das Konzept, das Thode dem Werk zugrundelegte, war eine Art psychologische Studie, die vor allem das Leiden in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt und den Leser auffordert, „nur indem wir es selbst nachfühlen, werden wir den Grossen verstehen“. 79 Ausgehend von den Texten Schopenhauers, sah Thode in Michelangelo den aufgrund seines Genius vom Leiden geprägten Menschen.

„Lässt sich doch fast jede seiner [Schopenhauer] Äusserungen über die Seele, Geist und Leben schöpferischer Geister auf die Betrachtung des grossen Florentiners anwenden …“ 80

Thode erkannte in Michelangelo das melancholische Genie, dessen innerer Konflikt in Bezug auf seine bildhauerische Tätigkeit, die Darstellung des körperlichen und des seelischen Zustandes in der Plastik, Michelangelo zum Opfer seiner eigenen Kunst machte.81 Michelangelos schwieriges Verhältnis zu anderen Menschen, das bei anderen Biografen häufig hervorgehoben wurde, erklärte Thode durch den Widerspruch zwischen dem gewöhnlichen und dem genialen Individuum.

Dieser Widerspruch folgt jedoch nach Thode nicht etwa aus dem intellektuellen Gefälle zwischen Genie und Normalmensch, sondern aus der differenten Gewichtung von Arbeit und Leben, die beim Genie als natürlich notwendig vorausgesetzt wird, nicht aber beim Durchschnittsmenschen. Darin schlummert das Konfliktpotenzial. Dadurch wird das Genie, anders als der „Alltagsmensch“, mit ständigen Enttäuschungen

78 Betthausen/Feist/Fork 1999, 413. 79 Thode 1903–1912, Bd. 1, 6. 80 Thode 1903–1912, Bd. 1, 4. 81 Thode 1903–1912, Bd. 1, 3ff. 30

konfrontiert, die einen Zustand ständiger Verunsicherung hervorrufen. Die Überspannung der Kräfte führt zur Schwermut. 82

So kam Thode schließlich zu seiner Schlussfolgerung, dass die Sinneswahrnehmungen eines genialen Menschen, eines Künstlers oder ganz konkret Michelangelos, sich darin vom Durchschnittsmenschen unterscheiden, dass sie die Welt nicht nach Ursache und Wirkung verständlich aufgliedern, sondern die Fantasie des Genies beflügeln. 83 Für Thode ist Michelangelo der unverstandene Künstler, der von Angstzuständen befallen war – ein typischer Sanguiniker. 84 Die ihm versagte „Schöpferlust“ beim Juliusdenkmal, der Fassade von S. Lorenzo und der Medicikapelle sind über die Briefe Michelangelos in Thodes Publikation präsent.85

Die im ersten Band ausgebreitete Charakterstudie über Michelangelo ist derart komplex konzipiert, dass ihre Schlüssigkeit dem Leser erst im den zweiten Band deutlich vor Augen steht. Die drei Abschnitte des ersten Bandes betitelte Thode: „Die Kräfte des Gemütes“, „Die Phantasie und die Wirklichkeit“ und „Das Temperament und das Schicksal“. Der zweite Band handelt von den nach Thode beherrschenden Ideen der Renaissance: Schönheit und Liebe. Im dritten Band geht es schließlich um Michelangelos Schöpfungen.

In dem Cosima Wagner gewidmeten Erbauungsbuch schrieb Thode über das Genie eines Michelangelo, der durch sein Leiden Erkenntnis erlangte. Thode sah im Arbeitseifer des Michelangelo auch gleichzeitig sein Martyrium und seinen Zwiespalt zwischen Antikendarstellung und christlichen Glaubenssätzen. 86

Auch in dem Werk über Franz von Assisi bezog Thode Stellung zum Geniebegriff. Im Vorwort der ersten Auflage dieses Werkes von 1885 beschrieb Thode, wie tief ergriffen er in seinem Innersten von Assisi war, „der Heimat jenes großen Mannes, in dem wie in keinem anderen der tiefste, geheimnisvollste Geist des Christentums sich seiner selbst bewusst geworden und leuchtend in die Erscheinung getreten“ sei.87

82 Thode 1903–1912, Bd. 1, 6. 83 Thode 1903–1912, Bd. 1, 131. 84 Szylin 1993, 211 85 Thode 1903–1912, Bd. 1, 8. 86 Betthausen/Feist/Fork 1999, 414. 87 Thode 1934, 5. 31

Der enorme Stoff, der dabei auf ihn zukam, musste geordnet, Kenntnisse aus italienischer Literatur und aktuelle kritische Forschungsberichte eingearbeitet werden. Im Vorwort zur zweiten Auflage klagte der Kunsthistoriker die Ignoranz und das „Totschweigen“ seines Buches an, das sich mühsam behaupten müsse.88 Der Forscher, der sich mit den Fragen und Rätseln der Geschichte der Menschheit beschäftigt, müsse Wandlungen annehmen, das Schwere daran sei jedoch, so Thode, „daß er sich der allgemeinen Verständlichkeit zuliebe zu einer systematischen Gliederung verstehen muß, daß er gezwungen wird, Abschnitte zu machen, die das organische Ganze grausam in einzelne Teile zerlegen“.89 Durch diese Gliederung konzentriere sich der Forscher auf das Detail, wodurch ihm der Rückschluss auf das Ganze verstellt wird.

Für seine Auseinandersetzung mit Franz von Assisi benötigte Thode reiches Wissen über die Zeit des Franz, um die Auswirkungen der historischen Situation auf die Kunst aufzeigen zu können. 90 Das Buch ist in folgende Abschnitte gegliedert: Ordensentstehung, Darstellung und Architektur (von Giotto bis Cimabue) sowie Predigt und Dichtung der Franziskaner im Allgemeinen. Wie bei seinen Michelangelo-Bänden hob Thode auch in der Charakteristik des Franz das Genie und seine Auswirkungen hervor. 91

Zusammenfassung: Die Beschäftigung mit dem Genialen als Verarbeitungsstrategie

Sowohl Thode als auch Justi setzten sich intensiv mit dem Geniebegriff auseinander. Beide gingen davon aus, dass das Genie in einem inneren Zwiespalt mit seiner Umgebung lebt. Für Thode war das Genie ein von seiner Umwelt unverstandener Mensch, der deswegen in Schwermut verfiel. Justi sah im Genie den vorgeformten Charakter, der sich in bestimmten äußeren Umständen ausleben kann.

Beide Wissenschaftler waren vom künstlerischen Genie fasziniert und widmeten den größten Teil ihres Arbeitslebens unterschiedlichen genialen Künstlerpersönlichkeiten.. Dabei bezogen sie beide die Lebenssituation des betrachteten Künstlers intensiv in ihre Arbeit ein. Justi wie Thode forschten akribisch zu den Einzelpersönlichkeiten, um auf

88 Thode 1934, 7. 89 Thode 1934, 13. 90 Thode 1934, 15. 91 Thode 1934, 69ff. 32

einer übergeordneten Ebene zu der Erkenntnis zu gelangen, welche Zeitumstände ein Genie hervorbrachten und welche individuellen Veranlagungen hinzukommen mussten.

Justi verschanzte sich hinter seinen Büchern und zog sich aus der Realität zurück, da er im Lehrberuf und damit in seiner eigenen Lebensrealität große Probleme hatte. Seine Welt wurden die genialen Einzelnen der Vergangenheit, deren Existenz so in der Gegenwart nicht möglich war. Hier wird auch eine fortschrittsfeindliche und gegenwartskritische Position deutlich. Thode, der ebenfalls seine Umgebung als feindlich wahrnahm, da er nicht die Anerkennung bekam, die ihm aus seiner Sicht zustand, suchte nach Identifikationsfiguren bei den verkannten Genies der Vergangenheit. Für beide Forscher scheint die Beschäftigung mit den genialen Künstlern einen Weg eröffnet zu haben, die Schwierigkeiten und Enttäuschungen ihrer eigenen Lebenssituation zu sublimieren.

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5. INTERDISZIPLINÄRE FORSCHUNG ALS WEG IN DIE EINSAMKEIT

Interdisziplinarität, also der Versuch die Perspektive auszuweiten und nicht nur strikt kunsthistorische Daten und Fakten in die Betrachtung von Kunst einzubeziehen, war um 1900 ein innovatives Vorgehen und ein Vorgehen, das in der Fachwissenschaft, die sich gerade erfolgreich als eigene Disziplin etabliert hatte, nicht gerne gesehen wurde. Kunsthistoriker, die interdisziplinär forschten, sahen sich deswegen häufig von der Fachwissenschaft ausgegrenzt.

Im Folgenden soll dies anhand von drei Fallbeispielen dargestellt werden: Franz Theodor Kugler, dessen Schriften sich noch an dem enzyklopädischen Ansatz des 18. Jahrhunderts orientierten, Josef Strzygowski, der mit seinem kunstlandschaftlichen Ansatz eine breite interdisziplinäre Forschung zusammenschloss, sowie Aby Warburg mit seinen multidisziplinären Ansätzen und Max Raphael.

Franz Theodor Kugler (1808–1858): Person und Werk

Gedenktafel auf der Rudelsburg

Franz Theodor Kugler wurde im Januar 1808 in Stettin als Sohn eines Kaufmannes und späteren Stadtrats geboren. 92 Schon sehr früh zeigte sich Kuglers künstlerische Ader in Gedichten, die 1830 unter dem Titel Skizzenbuch erschienen. Nach dem Besuch des

92 Waetzold 1924, 143f. 34

Gymnasiums begann Kugler sein Studium der Literaturwissenschaften in Berlin. 1827 nach einem kurzen Aufenthalt an der Universität in Heidelberg entdeckte er seine Leidenschaft für die Baukunst. Die mittelalterlicher Kunst beeindruckte ihn so stark, dass er sich, „um sich vor sich selbst zu retten“, in das Studium der Architektur stürzte. 93 Sein Interesse war breit gestreut, sodass er sich kaum mit einem Fach zufrieden gab.

1831 promovierte er über Werinher vom Tegernsee und die Bilder seines Gedichtes vom Leben der Maria und unternahm anschließend Studienreisen nach Italien. Schließlich wurde er 1843 ins Kultusministerium Preußens berufen. Hier konnte er starken Einfluss auf die preußische Kulturpolitik nehmen und seine Vorstellungen über die Kunst und ihre Stellung in der Gesellschaft verwirklichen. Sein Ziel bestand darin, die Bedingungen des Kunstschaffens, die Anliegen der Künstler und der Bürger gegeneinander abzuwägen und an einer für alle befriedigende Ordnung der Verhältnisse mitzuwirken.

Kugler fügte seinen theoretischen Ausführungen häufig Zeichnungen bei. Er malte schon in seiner Studienzeit ein Porträt seines Lehrers Hegel, wie er am Katheder steht. 94 Kuglers Arbeitseifer ist durch ca. 400 Briefe und mehreren Boxen voll mit Notizen und Skizzen über Reisen sowie Manuskripte und Exzerpte belegt die sich heute einerseits in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (private Korrespondenz) und der Kunstbibliothek der staatlichen Museen Berlin (wissenschaftlicher Nachlass) befinden.95 Vieles davon enthält schwer erschließbare persönliche Notizen. Selbst im Anhang seiner Dissertation befinden sich ein Holzschnitt und eine Umrisszeichnung.96 Oft sind die Zeichnungen in den Text hineingesetzt und reißen zusammengehörige Textteile auseinander. Zu Recht fragte Heinrich Dilly in seiner Analyse von Kuglers Zeichnungen, ob die Darstellungen aus der Feder Kuglers all das ersetzten, was den Texten an „wissenschaftlicher Bestimmtheit“ fehle.97

Kuglers Denkweise nahm auch Einfluss auf die junge Dichtergeneration und gab Anstoß zum poetischen Realismus. Die im März 1848 aufkommenden revolutionären Aktivitäten und der politisch bedrohliche Zustand, der die Menschen nach Sinnerfüllung

93 Waetzold 1924, 144f. 94 Prange 2007, 85. 95 Dilly 2010, 47. 96 Dilly 2010, 45ff. 97 Dilly 2010, 56. 35

suchen ließ, sollte mit Poesie gedämpft werden und den ideologisch gefährlichen Schlagwörtern dieser Zeit entgegenwirken. 98 Sein poetisches Schaffen, seine Tätigkeit als Kulturpolitiker und sein gesamtes Weltbild beruhten auf dem positiv Realen, das auf uns selbst und auf unser Dasein nachhaltig wirken sollte. 99 Durch Kuglers optimistische Natur und weil er nach Aussage seiner Freunde und Verwandten eine durch seine Position entwickelte „geheimrätliche“ Zurückhaltung besaß, wog er stets seine Worte und Taten gegeneinander ab. 100

Seine Arbeit im Ministerium überlagerte Kuglers poetische Ader. Bald zeigte sich aber auch, dass die großen Reformziele, die er vorbereitet hatte und durchzusetzen versuchte, zum Stillstand gekommen waren. Dies führte den Menschen Kugler in die Resignation. Eine tragische Entwicklung, die auch viele seiner Vorgänger im Amt durchmachen mussten. 101 Die Ernüchterung seiner Amtszeit tritt auch in seiner persönlichen Beziehung zur Kunst, vor allem jener der Moderne, zu Tage. Auf die schwärmerische Hingabe der Jugend folgte die Unzufriedenheit mit der Entwicklung.

Der Konflikt zwischen dem Verwaltungsreformer und dem Gelehrten wurde für ihn zu einer Gewissensfrage; was ihn dazu brachte um seine Entlassung aus dem Staatsdienst zu bitten. Die Entscheidung gegen die aktive Politik belastete ihn stark. Deshalb war es für ihn umso wichtiger, den jungen Jacob Burckhardt als Gehilfen für die Arbeit an seinen Handbüchern zu gewinnen, um durch diese Tätigkeit einen Ausweg aus seiner inneren wie äußeren Krise zu finden.102

Interdisziplinarität bei Kugler

Franz Theodor Kugler ist dafür bekannt, dass er danach strebte, seine Forschungen interdisziplinär durchzuführen. Als Kunsthistoriker verfolgte er eine Vielzahl von Tätigkeiten in Wissenschaft wie Kunst.

Kugler verfasste Werke wie das Handbuch der Geschichte der Malerei (1837) und das Handbuch der Kunstgeschichte (1842), die einen damals einmaligen Überblick über die

98 Hillenbrand 2010, 224ff. 99 Hillenbrand 2010, 227f. 100 Waetzold 1924, 146f. 101 Waetzold 1924, 154. 102 Waetzold 1924, 167f. 36

Geschichte der Kunststile auf der Grundlage der Lehre Hegels gaben und zu wichtigen Standardwerken der Kunstgeschichte, die als Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckte, wurden. Die Handbücher ergänzte er zum Teil mit eigenen Bildatlanten, wofür er auch moderne, fotografische Bildreproduktionen verwendete.103 Er präsentierte sie einem gebildeten Laienpublikum, das sie begeistert aufnahm.

Es ist Kugler hoch anzurechnen, dass er die Grenzen von Zeiten und geografischen Räumen überwand und wie sein Freund Alexander von Humboldt ein Entdecker des Universalen wurde mit der Fähigkeit zur Versenkung in das Detail. 104 Über die europäische Kunst hinaus bezog er auch die sogenannte „primitive“, indische und altmexikanische Kunst ein und erstellte so eine empirische Dokumentation menschlichen Kunstschaffens. 105 Er wollte eine Kategorisierung und Klassifizierung des Materials erreichen: Durch kritische Sichtweise versuchte er, Gruppen zu bilden, die sich gegenseitig ergänzen und beispielhaft erläutert werden.106

Kugler arbeitete auch an zwei Bänden der Geschichte der Baukunst , die von seinem Schüler Burckhardt vollendet wurden. Sein Augenmerk richtete sich hierbei auf die künstlerische und kulturgeschichtliche Entwicklung der Architektur und weniger auf die technischen Voraussetzungen.

Kuglers Wissen erstreckte sich weit über den Kunstbereich hinaus. Er befasste sich intensiv mit Literatur und betätigte sich auch selbst als Schriftsteller: Er verfasste Lieder, Theaterstücke und Geschichten, welche die Zeit merklich überdauerten.

Aufgrund seiner Tätigkeit als Verwaltungsbeamter, der Kunst und Kultur von staatlicher Seite betreute, kam er mit einer großen Bandbreite an künstlerischer Gestaltung in Berührung, von der Gartenkunst bis zur Schauspielkunst, die er schriftlich aufbereitete. Erfahrungen von Reisen prägten ihn ebenso wie seine Einsicht in die Notwendigkeit künstlerischen Schaffens. Er reflektierte das Verhältnis zwischen Schöpfung und Reproduktion und setzte die Künste auch in Beziehung zu wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gegebenheiten.107

103 Belting u.a. 2008, 12. 104 Hillenbrand 2010, 229. 105 Prange 2007, 85. 106 Waetzold 1924, 162. 107 Waetzold 1924, 152. 37

Seine Einstellung zu öffentlichen Bildungsanstalten und der Kunsterziehung war geprägt durch den Wunsch, nicht nur technische Voraussetzungen zu lehren, sondern auch die „richtige“ Weltanschauung zu vermitteln. Vielleicht war es der Tatendrang und seine optimistische Weltanschauung, die ihn trotz eines schon früh einsetzenden „Kopfleidens“, unerschrocken weiter seiner Arbeit nachgehen ließen.108

Josef Strzygowski (1862–1941): Person und Werk

Auch Josef Strzygowski reiht sich in die Liga der großen Kunsthistoriker und in Zusammenhang mit dem interdisziplinären Begriff.

Seine Forschertätigkeit auf dem Gebiet der Kunstgeschichte, wird durch 40 Monografien und hunderte von Aufsätzen und Tagesartikeln sowie durch Auszeichnungen und Ehrungen belegt. 109 Außerdem prägen weite Reisen und die Aufopferung für die Erhaltung von Kunstwerken seinen Lebenslauf.

Geboren am 7. März 1862 in Biala bei Bielitz im österreichischen Schlesien (heute Polen), absolvierte er 1880 die Reifeprüfung an der deutschen Staatsrealschule mit Auszeichnung. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1873 erlernte Strzygowski zunächst das Weberhandwerk und begann in der väterlichen Fabrik. 110 1882 gab er den erlernten Beruf auf und schrieb sich an der Wiener Universität für Archäologie und Kunstgeschichte ein.111 Ab 1883 besuchte er Vorlesungen bei Eitelberger und Thausing

108 Waetzold 1924, 153. 109 Ginhart 1932, 83. 110 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400. 111 Karasek-Langer 1933, 5. 38

in Wien sowie bei Grimm in Berlin. 112 Schon in den Studienjahren zeigten sich sein starkes Durchsetzungsvermögen und seine ausgesprochen energische Kraft, einen Plan zu verfolgen. Ostern 1885 wurde er in München promoviert, das Thema seiner Doktorarbeit lautete Die Ikonographie der Taufe Christi . 113 1887 habilitierte sich Strzygowski in Wien. Seine Habilitationsschrift Cimabue und Rom wurde von Alois Riegl und Georg Dehio stark kritisiert. 114 Damals verbrachte Strzygowski die meiste Zeit in Rom. 115

Seine Berufung zum ersten Professor der Kunstgeschichte in Graz erreichte ihn 1892. 1909 wurde er zum Ordinarius an der Wiener Universität als Nachfolger Wickhoffs ernannt.116

Die Tatsache, dass Strzygowski ein „Zugezogener“ war, machte sich vor allem am Wiener Institut bemerkbar. Die Emigration mag zwar keinen ausreichenden Grund für seine nach und nach einsetzende Zerrüttung darstellen, es war aber sicherlich ein Mitgrund dafür, dass er sich am Institut als Außenseiter fühlte. Seine Reifeprüfung in dem später tschechischen Troppau erlangte er nicht auf einem humanistischen Gymnasium und teilte deswegen nicht die Sozialisation seiner Kollegen. Nach und nach entfernte er sich von der am Wiener Institut vorherrschenden historischen und quellenorientierten Arbeit.

Von 1909 bis 1933 leitete Josef Strzygowski das 1. Kunsthistorische Institut in Wien. Diese Zeit bewertete er selbst folgendermaßen:

„Der Wert dessen, was ich am 1. Kunsthistorischen Institute durchzuführen suchte, liegt im wesentlichen darin, daß ich bei aller Genauigkeit der Herausarbeitung und Ergänzung der philologisch-historischen Tatsachen den Oberbau meiner Fachwissenschaft ebenso kritisch genau nehme und über die Bestandtatsache hinaus Tatsachen höherer Ordnung, Werte und Kräfte herauszuarbeiten suche und zur Grundlage des für alle Wissenschaft notwendigen sachlichen Vergleiches mache.“ 117

112 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400. 113 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400. 114 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400. 115 Ginhart 1932, 83. 116 Karasek-Langer 1933, 5. 117 Strzygowski 1933, 6. 39

Aufgrund seiner Ansichten, machte sich Strzygowski auch Feinde; dies hatte Intrigen seiner Kollegenschaft zur Folge und die Eröffnung eines 2. Kunsthistorischen Institutes unter der Leitung von Max Dvo řák 1922.118

Neben seiner universitären Laufbahn, begann Strzygowski schon früh und in großem Umfang, Studienreisen von Belgien über Frankreich bis Italien zu unternehmen. Häufiger bereiste er Griechenland, machte Station in Russland und Ägypten sowie in England, Konstantinopel und Armenien. Er befasste sich um 1914 mit den östlichen Ländern wie Serbien und Bulgarien, hielt Vorträge in Schweden, Polen, Holland und Schottland. In Nordamerika war er 1922 sogar Gastprofessor an mehreren Universitäten. Von 1922 bis 1925 hielt er Gastvorträge an der schwedischen Akademie in Abo. 119

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es bei Josef Strzygowski nach und nach zu einem intellektuellen Verfall und zu einer Persönlichkeitsveränderung, die für die Rezeption seiner Werke bis heute ausschlaggebend blieb. Eine geistige Verwirrung wird erstmals in seinem 1918 erschienenen Werk Baukunst der Armenier greifbar. Das Buch ist nicht nach historischen Prinzipien unterteilt, sondern nach dem Typus des Grundrisses eines Bauwerks. Angaben von Jahreszahlen und andere Daten in dieser Arbeit erscheinen mehr als fragwürdig.

Ausgehend von der Frage, ob sich die spätrömische Kunst auch aus anderen Kulturen als der römischen inspiriert habe, errichtete Strzygowski ein Denkgebäude, das ihn zu einer stetigen geografischen Ausdehnung seines Forschungsfeldes, weit in den Osten und Norden hinein, führte. Die in diesen Publikationen verwendete Wortwahl näherte sich dem Vokabular nationalsozialistischer Propaganda an: „Nordisch“, „mystisch“, „Blut und Boden“, „Macht“ waren Begrifflichkeiten, deren er sich gerne bediente. Zwar löste die klerikal-deutschnationale österreichische Regierung sein Institut in Wien 1933 auf, 120 dennoch wurde ihm in den 1930er Jahren Anerkennung von Seiten des Nationalsozialismus zuteil. Seine rassistisch geprägten Ausführungen sind vor allem an den Titeln der veröffentlichten Werke zur Zeit des Nationalsozialismus offensichtlich. Werke wie Das indogermanische Ahnenerbe des deutschen Volkes und die Kunstgeschichte der Zukunft von 1941 oder Aufgang des Nordens von 1936 belegen

118 Betthausen/Feist/Fork 1999, 401. 119 Strzygowski 1933, 6. 120 Betthausen/Feist/Fork 1999, 401. 40

diese Tendenz. Diese Nähe zum Nationalsozialismus wurde ihm später immer wieder vorgeworfen. Grundsätzlich strebte Strzygowski aber nach dem Schutz der Kunst aller Völker und Kulturen gleichermaßen und er verachtete die Kampagne der „entarteten“ Kunst.

Dennoch sind seine Schriften bis heute aufgrund der Diktion und rassistischer Tendenzen kaum rezipierbar und auch wissenschaftlich angreifbar:

„Sein polemischer Stil, die spekulativ-unhistorische Dogmatik der Methode, der unsägliche Rassismus seines indogermanischen „Nordstandpunkts“ machen seine Schriften, vor allem die späteren, heute nur mehr schwer lesbar.“ 121

Trotz seiner zahlreichen Arbeiten an Universitäten von Indien bis Warschau, von bis Bryn Mawr (USA), blieb er Österreich immer treu. 122

Josef Strzygowski starb am 2. Januar 1941 in Wien. 123

Strzygowskis Forschungstätigkeit lässt sich in wesentliche Abschnitte untergliedern: Den Anfang macht die Beschäftigung mit der europäischen, abendländischen Kultur mit seiner Promotions- und Habilitationsschrift, die sich mit der italienischen Kunstgeschichte auseinandersetzten; dann erfolgte als Antwort auf die Frage nach den Wurzeln der spätantiken und der altchristlichen Kunst die Hinwendung zur vorderasiatischen Kunst mit den Gebieten Armenien, Kleinasien, Ägypten und Syrien. 124 Diese Forschungen führten Strzygowski zu der Erkenntnis, dass auch in Vorderasien Keime einer abendländischen Kunst des ersten christlichen Jahrtausends vorhanden sind und dass diese westwärts wirkten.

Bei Strzygowskis 1901 erschienener Abhandlung Orient oder Rom , mit der er die Kunst des Orients in die Wissenschaft einführte, leiteten ihn folgende Fragestellungen:

„Die Entstehung des Kuppelbaues und der Basilika: das sind die Fragen, deren Lösung der Forscher auf dem Gebiete der christlichen Kunst des Orients von Nachgrabungen auf dem Boden hellenistischer Städte erwartet. Freilich darf dann nicht, wie bisher, der antike Tempel im Vordergrunde des Interesses bleiben.“ 125

121 Aurenhammer 2002, 5. 122 Strzygowski 1933, 6. 123 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400. 124 Karasek-Langer 1933, 3. 125 Strzygowski 1901, 10. 41

Diese Schrift sowie seine Überlegungen zu einer Neuorganisation des Faches veränderten die Kunstgeschichte und brachten Strzygowski internationale Anerkennung. 126

Die letzten zehn Lebensjahre widmete der Wissenschaftler seinen Forschungen zum Norden. 127 Strzygowski betonte vor allem den Unterschied zwischen Nord und Süd, sowohl auf asiatischer als auch auf europäischer Seite. Aus dieser Differenz stilisierte er einen Konflikt, dass nämlich seit dem frühen Mittelalter der Norden vom Süden vereinnahmt worden sei, eine These, die er in seinen letzten Lebensjahren nachzuweisen versuchte.128

In seinem posthum erschienenen Werk Europas Machtkunst im Rahmen des Erdkreises führte er bereits im Titel den Begriff der „Machtkunst“ ein, worunter er Werke von Künstlern subsumierte, deren Berufung durch Gott gestützt ist, die aber auch ihr Volk und ihre Natur vergessen. Der „Machtmensch“ ist Strzygowski zuwider. Machtkunst ist immer nur die Kunst einer bestimmenden Klasse, die aber nichts über die Gesellschaft, das soziale Leben und die Zeit aussagt. Dabei ist ihm eine geografisch umfassende Betrachtung seines Gegenstandes sehr wichtig. Es gehe nicht darum, „ob ich gleich das Richtige treffe, im ganzen wie im einzelnen, sondern daß man endlich erkennt, wie sehr die Machtkunst, wenn auch völlig getrennt zunächst, im Rahmen von Nord und Süd betrachtet werden muß.“ 129 Gleichzeitig gab er offen zu, dass er nicht alle seine Thesen beweisen könne.130

Strzygowski starb einige Tage nach der Fertigstellung dieses Buches, das zu seinem Bekenntnis am Ende eines reichen Arbeitslebens wurde:

„Ich kann nur bringen, was mir zur Hand ist, habe auf meine alten Tage kein Institut mehr zur Verfügung, nicht einmal einen Arbeitsplatz, wie ihn mir abgeseimte Grausamkeit verweigert hat. […] Sollte ich, von der bildenden Kunst aus kommend und ganz auf meinen eigenen Füßen stehend, mich täuschen, so war doch mein Leben in all dem Elend der Zeit, die ich durchlebte (1862–1940), reich und schön.“ 131

Josef Strzygowski war ein ewig suchender Forscher und Wissenschaftler, der sich schnell für Dinge begeistern konnte, von seiner Natur aus ein streitbarer Zeitgenosse. Er

126 Betthausen/Feist/Fork 1999, 400f. 127 Sproß 1989, 188. 128 Karasek-Langer 1933, 4. 129 Strzygowski 1941, 18. 130 Strzygowski 1941, 42. 131 Strzygowski 1941, 19. 42

war ein Kritiker des Systems und stets bedacht, es zu verbessern. Seine interdisziplinäre Forschung blieb oft unverstanden.132 Dabei war er ständig auf der Suche nach neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte. Stefan Zweig beschreibt in seinem Werk Der Kampf mit dem Dämon die Don-Juan-Natur und das Wesen jener, die diese Natur in sich tragen, als triebhafte, nicht sesshafte und sich ständig wandelnde Persönlichkeiten. Eine treffende Beschreibung, die auch den Charakter Strzygowskis sehr gut wiederspiegelt. Nie verweilte er an einem Ort, ständig suchte er neue Aufgaben und Herausforderungen. Es scheint, als hätte er nichts seine Heimat nennen können und sei rastlos seinem Wissensdrang ausgeliefert gewesen.

Interdisziplinarität bei Strzygowski

Für Strzygowski war Interdisziplinarität in der Forschung grundlegend. Er entwickelte Interessen an naturwissenschaftlichen Ansätzen, eine Annäherung, mit der seine wissenschaftlichen Kollegen keinesfalls konform gingen.

Um diese Ansätze auch in der Lehre zu verwirklichen, entwickelte er ein regelrechtes Ausbildungskonzept, das sukzessive die Grenzwissenschaften, wie Soziologie und Wirtschaftsgeschichte oder Psychologie und Pädagogik in die Kunstgeschichtslehre integrieren sollte. Dieses fächerübergreifende Konzept ließ sich jedoch nicht realisieren.

Wichtig für die Fähigkeit Strzygowskis, seinen Blick zu erweitern, war sicherlich auch, dass er eine andere Sozialisation erfahren hatte als viele seiner Kollegen. Auch seine Faszination für den asiatischen Raum, die sich in seinen späteren Werken, vor allem in Orient oder Rom zeigte, 133 scheint schon in seiner Jugend mit seiner Ausbildung zum Weber und seiner Tätigkeit in der Fabrik des Vaters, die vor allem Fez produzierte, angelegt. Fez, auch Fes oder Tarbusch genannt, ist eine im Orient und auf dem Balkan getragene Kopfbedeckung aus rotem Filz. Im 19. Jahrhundert verlagerte sich die Fertigung nach Europa (Frankreich, Deutschland und Österreich), was beispielsweise den wirtschaftlichen Erfolg der Fabrik der Familie Strzygowski begründete.

Im Folgenden soll das methodische Vorgehen Strzygowskis skizziert werden, um seinem interdisziplinären Ansatz zu verdeutlichen.

132 Betthausen/Feist/Fork 1999, 401. 133 Eberlein 2010, 83. 43

Strzygowski teilte die Welt in folgende drei sogenannte Kunstgürtel ein:

Süden Gebiet am Mittelmeer Norden (um den Äquator) (Gebiet vom Nordpol bis zu den Alpen) Naturauffassung „Machtkunst“ Naturauffassung Keine Häuser Stein Holz Tiere- und Naturdarstellungen Menschendarstellungen Tiere- und Naturdarstellungen

Außerdem entwickelte Strzygowski ein planmäßiges Verfahren zur Kunstbeschreibung, das von der reinen Quellenkunde wegstrebte. Er unterteilte das wissenschaftliche Vorgehen in die beiden Übergruppen der Sachforschung und der Beschauerforschung und anschließend in folgende Unterkategorien:

1.) Die Kunde : Der Kunsthistoriker muss hier eine genaue Beschreibung nach Zeit, Ort und Gesellschaft vornehmen. Die Beschreibung erfolgt über das äußere Erscheinungsbild eines Kunstwerks im Vergleich mit Werken des gesamten Erdkreises und sollte auf Basis von historischen und beschreibenden Tatsachen, ohne jegliches Werturteil getroffen werden.

2.) Das Wesen : Als nächstes muss die Bedeutung und Erscheinung des Werks, also das sogenannte Innere, untersucht werden. Die rohstofflichen und technischen Voraussetzungen stehen hier im Mittelpunkt einer objektiven Betrachtung.

3.) Die Entwicklung : Hier wirken die Kräfte der „Beharrung“, gemeint sind damit bestimmende Kräfte wie beispielsweise Lage, Boden und Blut die auf die Entwicklung eines Werkes Einfluss nehmen. Diese „Nationalismen“ bezeichnen die Herkunft bzw. den Entstehungsort eines Kunstwerkes. Im Weiteren sieht er den Willen der herrschenden Macht, sowohl in Hinsicht auf Politik, Religion, als auch Wissenschaft und die „Bewegung“ (Zeitablauf) als ausschlaggebend. Es kommt zur kausalen Erklärung des Werks.

4.) Der Beschauer : Dieser Punkt bezieht sich auf den Rezipienten, der in den Augen Strzygowskis „unfachmännisch“ und unsystematisch vorgeht. 134

134 Karasek-Lange 1933, 5. 44

Am Ende seines Lebens scheinen Strzygowskis Schriften immer stärker von interdisziplinären Ansätzen geprägt. Gleichzeitig entfernten sie sich von wissenschaftlicher Nachprüfbarkeit – hemmungslos machte er Äußerungen ganz nach seinem Belieben. 135 Er entwarf eigenwillige Thesen, die auch sprachlich immer schwerer lesbar wurden und teilweise einfach unverständlich waren. Alles, was bis dato Gültigkeit hatte, wurde von Strzygowski in Frage gestellt. Die Dominanz des Südens, Italiens, Roms, verkehrte er in eine Dominanz des Nordens. Kunstwerke oder Künstler des Südens, deren Leistungen er nicht schmälern konnte oder wollte, vereinnahmte er für den Norden, sodass aus einem römischen Künstler ein Künstler aus dem Norden von Rom wurde. Diese Tendenzen zeigen sich vor allem in seinem Werk Europas Machtkunst im Rahmen des Erdkreises 1941. So bezeichnet er namhafte italienische Künstler wie Michelangelo oder Giorgione als von ihrem eigenen Volk unverstandene „Nordmenschen“.

Sein innerer Kampf floss in seinem Spätwerk in die Vision einer Weltkunstgeschichte ein. Verfolgungswahn, dem er mit Polemik begegnete, führte ihn auch in Hinblick auf seine Kunstbeschreibungen zu irrationalen Schlüssen, die darauf zielten, eine transkontinentale Kulturzone nachzuweisen.136

Letztlich hielt er trotz der Innovationskraft seiner interdisziplinären Forschung seiner wissenschaftlichen Außenseiterposition nicht stand und diskreditierte sich am Ende selbst.

Interdisziplinarität bei Warburg

Kaum ein Kunsthistoriker hat sich so für die trivialen und alltäglichen Wurzeln eines Bildwerkes interessiert wie Warburg – er wollte weg von den klassischen Stilfragen, hin zu einer allumfassenden Hinterfragung von Kunst:

„Analog dem ‚Engramm‘ im Zentralnervensystem des Individuums galten ihm Bilder, Symbole, Metaphern und gestische Ausdrücke, kurz sämtliche kulturell geprägten Formen als Aufzeichnungen oder Einschreibungen von Energien, die, im kollektiven Gedächtnis gespeichert, wieder abrufbar, aber auch neuer Besetzung und Umprägung fähig waren.“ 137

135 Eberlein 2010, 88. 136 Betthausen/Feist/Fork 1999, 402. 137 Raulff 1988, 128. 45

Während seiner Zeit in Florenz erweiterte Warburg sein Forschungsinteresse sukzessive um mehrere Gebiete: Er befasste sich mit wirtschaftlichen und privaten Gegebenheiten der Künstler und Auftraggeber im Italien der Renaissance, aber auch etwa mit dem Übergang vom Mittelalter zur Frührenaissance. Neben literarischen Quellen widmete er sich auch anderen Quellen, um so sein Verständnis für die Zeit und ihre Kunst zu maximieren, so bezog er beispielsweise Randgebiete wie die Zauberei und Astrologie sowie die Kostümkunde in seine Forschungen ein. 138 Durch diese breite interdisziplinäre Streuung seiner Interessen und Forschungen konnten seine Ansätze sogar im Bereich des Kinos als Kulturtechnik impulsgebend wirken.139

In der Bildwelt Botticellis stieß Warburg auf die Darstellungen von Bewegung und antiker Kleidung, die ihn intensiv beschäftigen sollten. Er entdeckte in der bewegten Gewandung auf bildlichen Darstellungen aus der Zeit zwischen 1400 und 1450 „ein psychologisch erweitertes Charakteristikum“ und einen Zusammenhang zwischen Psyche, Gestus, bewegtem Körper und Gewand. 140 Über das Thema der weiblichen Kleidung und Mode forschte Warburg intensiv. In Ghirlandaios Fresko in Santa Maria Novella in Florenz, stellte er die nordisch/mittelalterliche Beeinflussung der südlich/antiken gegenüber. Der Aufsatz scheint überaus aktuell, wenn man ihn innerhalb der um 1900 aufflackernden Diskussion über die angemessene Kleidung der Frau, im Spannungsfeld zwischen Korsett und Reformkleidung, betrachtet.

In dieser Zeit befasste Warburg sich auch mit Ausdruck und Mimik und erkannte eine Erweiterung des Ausdrucks von Figuren in Zugaben wie Schmuck, Kleidung und Insignien. 141

In den 1920er Jahre begann Warburg mit der Arbeit an seinem Lebenswerk, dem Mnemosyne -Atlas. „Mnemosyne“ kommt aus dem Griechischen und bezeichnet die Schutzgöttin des Gedächtnisses und der Erinnerungskunst. In seinem Mnemosyne -Atlas rekapitulierte Warburg in Bildersammlungen seine Forschungen von Dürer über die Mediceischen Feste bis zu den Ovid-Themen bei Rubens und Rembrandt sowie seine Erkenntnisse über den Gemütsausdruck und die Gebärde. Er stellte auf Tafeln unterschiedlichste Abbildungen zu gewissen Themenkomplexen nebeneinander – nicht

138 Kultermann 1990, 201. 139 Sierek 2007, 14. 140 Cerbe-Farajian 2001, 95, 126. 141 Cerbe-Farajian 2001, 165. 46

nur Kunstwerke, sondern auch populäre Bilderzeugnisse, Zeitungsfotos, Plakate, Briefmarken etc. Die erste Tafel beschäftigte sich mit der Geschichte des Sternenglaubens und der Sternkunde. Ein wichtiges Ziel des Bilderatlas war es, die Spuren der Antike in den Werken der europäischen Kunst zu zeigen. Die Tafeln zog er schließlich auch zur Bebilderung von Vorträgen und in Ausstellungen heran. Er trat dafür ein, dass die Beziehungen unterschiedlicher Gebiete wie Religion, Poesie oder Drama im Bild deutlich werden könnten. Die Bilder traten durch ihr räumliches Beieinandersein in eine Kommunikation ein – hier zeigt sich Warburgs „energetische Auffassung“. 142 Angesichts des plötzlichen Todes Warburgs im Jahr 1929 blieb Mnemosyne unvollendet .

In seinem Mnemosyne -Atlas wird bildlich vor Augen geführt, dass Warburg von der Kunstgeschichte ausgehend eine Bildwissenschaft entwickelt hatte, die auf eine umfassende visuelle Deutung der Welt abzielte.

Die Vielseitigkeit seiner Arbeit und seine sehr eigenartigen Ansatzpunkte stellten ihn außerhalb des damaligen Lehrbetriebes. Sie waren nur möglich aufgrund seiner hohen Sensibilität, die ihn gleichzeitig für seine psychische Krise empfänglich machte.

Max Raphael (1889–1952): Person und Werk

Auch für Max Raphael war eine fächerübergreifende Sicht auf Kunst und Kultur charakteristisch.

Max Raphael wurde am 17. August 1889 in Schönlanke in Posen als Sohn eines Schneiders geboren. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1900 zog er zu seinen

142 Raulff 1988, 128. 47

Großeltern nach Berlin. Er studierte zunächst Jura und Nationalökonomie in Berlin und München und wechselte dann auf Philosophie sowie Kunstgeschichte, was er in Paris und München studierte. Sein Interesse lag vor allem in dem Verhältnis zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Zu seinen Lehrern zählten Georg Simmel und Henri Bergson sowie Heinrich Wölfflin und Emil Mâle auf dem Gebiet der Kunstgeschichte.

Seine 1913 fertiggestellte Dissertation Von Monet zu Picasso wurde von seinem Betreuer Wölfflin abgelehnt, da er sich darin mit zeitgenössischen Künstlern beschäftigte. Zudem wurde kritisiert, dass er die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens nicht beachtet habe und dass insbesondere Zitate fehlten. 143 Diese Zurückweisung bedeutete eine herbe Niederlage für Raphael, dem dadurch eine universitäre Laufbahn verwehrt blieb.

Anders als andere Kunsthistoriker wurde Raphael durch seine Beziehung zu zeitgenössischen Künstlern stark in die Kunstproduktion mit einbezogen. Schon mit 22 hielt er sich in den Ateliers wichtiger Künstler auf und entdeckte für sich eine große persönliche Freiheit.144

1914 arbeitete Raphael als freier Schriftsteller in Bodman am Bodensee, da durch den fehlenden Abschluss eine akademische Laufbahn nicht möglich war. 1915 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Raphael begann schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs mit Tagebucheintragungen und schilderte dort auch seine Gemütszustände und die Angst vor dem Krieg. Er veröffentlichte sein Kriegstagebuch Geist wider Macht , in dem seine Ablehnung von Kampf und Militär zum Ausdruck kam. 1917 desertierte er und setzte sich in die Schweiz ab. Damals entstand sein 1921 veröffentlichtes Buch Idee und Gestalt .

Von 1924 bis 1932 arbeitete Raphael als Dozent an der Berliner Volkshochschule für die Fächer Philosophie und Kunstgeschichte. Unter anderem hielt er während dieser Zeit auch Museumsführungen und unternahm Reisen nach Italien, Frankreich und Deutschland. Tendenzen zum Marxismus zeigen sich schon jetzt. Aus politischen Gründen wurden seine Themen dann auch an der Volkshochschule abgelehnt und ihm wurde gekündigt. Er zog wieder nach Paris und führte dort seine wissenschaftliche Arbeit, er arbeitete an dem Entwurf einer empirischen Kunstwissenschaft, fort. Er

143 Eberlein 1989, 174f. 144 Paffenholz 1988, 22. 48

versuchte, seinen Lebensunterhalt durch Führungen und Vorträge zu finanzieren, was ihm mehr schlecht als recht gelang.

Nach Kriegsbeginn wurde er 1940 als deutscher Staatsangehöriger im südfranzösischen Internierungslager von Gurs unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert und 1941 in das Lager Les Milles verlegt. Schließlich gelang ihm die Flucht über Barcelona und Lissabon in die USA. Seine Frau, Emma Dietz, mit der Raphael seit 1941 verheiratet war, folgte ihm erst 1945 in die USA.

Isoliert und voller Angst vor der Gesellschaft, wurde er zu einem Gefangenen seines Körpers. Am 14.7.1952 nahm er sich schließlich das Leben.

Raphael verbrachte sein Leben in einer Welt der Ideen in äußerster Unruhe; Unglück, Krieg und Einsamkeit zeichneten seinen Lebensweg. 145 Er war stets auf der Suche nach Wahrheit, jedoch gebremst durch existentielle Nöte und dem Zwang zur Systematisierung. 146

Interdisziplinarität bei Raphael

Ziel von Raphaels Forschungen war es, eine Kunstwissenschaft zu entwickeln, die den marxistischen Prinzipien entsprach. Zu diesem Zweck behandelte er ein weites Themenfeld von Höhlenmalereien über dorische Tempel bis hin zu romanischen und gotischen Kirchen, der Malerei Picassos und der Soziologie der Kunst. Insbesondere faszinierte ihn die Kunsttheorie des dialektischen Materialismus.

Raphaels unermüdliche und gedanklich weit ausgreifende Arbeitskraft ist durch zahlreiche Manuskripte belegt. Er widmete sich der Anthropologie, der Architektur, der Stadtplanung, der Literaturtheorie und Ästhetik und verfasste sogar eigene Dramen, die er jedoch vernichtete.

Außerdem erlangte er Einsicht in naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik und Physik und versuchte, das „Raster“ dieser strengen Wissenschaften auf die Kunstwissenschaft zu applizieren. Zwar schien ihm zwischen mathematischer Formel

145 Raphael 1989 Natur, 20. 146 Heinrichs 1985, 7. 49

und den Erzeugnissen der Kunst eine unüberbrückbare Kluft, 147 aber durch die Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen, Mathematik, Geologie und Biologie, versuchte er mehr Objektivität in seine Betrachtungen über die Kunst zu bringen.148 Sein Studium der Volkswirtschaft und seine naturwissenschaftlichen Interessen brachten ihm auch Erkenntnisse über die stoffliche Seite des Kunstwerks und zudem erhoffte er sich, mit diesem Wissen die Kunstgeschichte innerhalb der übrigen Wissenschaften besser positionieren zu können. 149 Er war ein durch und durch interdisziplinärer Forscher.

Raphael gilt als Vorreiter in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Moderne. Sein Interesse an der zeitgenössischen Kunst wurde geprägt durch Kontakte mit berühmten französischen Künstlern der Moderne wie Pablo Picasso, Auguste Rodin und Henri Matisse. Bekannt sind daneben auch seine Schriften über Magie und Riten.

Seine kunstgeschichtlichen Untersuchungen waren jedoch zurzeit ihrer Entstehung stark umstritten. Aufgrund seines Versuchs, die vorherrschenden Wissenschaftskonventionen zu hinterfragen und einer kritischen Sicht zu unterwerfen, begegneten andere Wissenschaftler seiner Arbeit mit Kritik und Ablehnung. 150

In seiner Publikation Zur Erkenntnistheorie der konkreten Dialektik von 1934 beschäftigte sich Raphael mit der sinnlichen Wahrnehmung und der Erkenntnis von Kunst. Dazu verglich er die Kunstwissenschaft mit der Naturwissenschaft. In seiner Ausarbeitung kam er gleichzeitig auch in Bezug zur Mathematik zu dem Schluss, dass sich in der Geisteswissenschaft alle anderen Gebiete vereinen.

In seiner zwischen 1939 und 1941 verfassten Studie zu einer Empirischen Kunstwissenschaft entwarf Raphael eine Wissenschaft, die sich auf die Kunstwerke aller Zeiten und Völker bezieht. 151 Eine gelungene Werkbeschreibung umreißt nach Raphael die Leistung des Auges; das Sehen ist nach ihm ein produktiver Akt zwischen Subjekt und Objekt, indem das Äußere über den Prozess des Sehens in das Subjekt eindringt und dort verarbeitet wird, sodass Gefühle, Wünsche, vorgefasstes Wissen darin

147 Drewes 1993, 198. 148 Solomon 1989, 68. 149 Dröge/Nievers 1989, 125. 150 Raphael 1989 Kunstwerk, 369. 151 Drewes 1993, 197. 50

aufgehen. 152 Raphael rief dazu auf, dass der Betrachter sich den Vorstellungen des Künstlers, dargestellt in dessen Werk, unterwirft und sinnlich aufnimmt, was er sieht, um es in einem weiteren Schritt schließlich in Worte zu fassen. Dieses „Sehen“ und „Beschreiben“ waren Grundprinzipien in Raphaels Kunstrezeption.

Sein interdisziplinäres Vorgehen verdeutlichen außerdem einige Aufsätze, die auf seine Vorträge an der Berliner Volkshochschule in den 1920er Jahren zurückgehen, aber erst posthum 1968 in den USA unter dem Titel The demands of art (deutsch: Wie will ein Kunstwerk gesehen sein ) veröffentlicht wurden. 153 Die Aufsatzsammlung fasst Analysen von fünf Werken unterschiedlicher Künstler, von Cézanne, Degas, Giotto, Rembrandt und Picasso, zusammen und verdeutlicht, dass Sehen für Raphael seelische Leistung und Ausgangspunkt der Kunstbetrachtung war.

In diesen Aufsätzen drängt Raphael auf eine Grenzüberschreitung hin zwischen Philosophie und Kunstgeschichte, wie beispielsweise das physikalische Sehen. Der Prozess des Sehens stellt für Raphael das Fundament jeglicher Kunsterfahrung da, durch Anschauen bekommt der Rezipient einen Überblick über die Bildproduktion. 154 Raphaels zentrale Theoreme seiner Bildanalyse die er unterteilt in das Sehen, das das Fundament aller Kunsterfahrung ist, eine „aktive Kunstbetrachtung“, sowie die Konzentration auf die Analyse einzelner Werke in der Kunstbetrachtung. Diese kunsttheoretischen Vorstellungen wurden durch Raphaels Auseinandersetzung mit der Moderne gefördert. Durch den Akt des Sehens wird der Betrachter selbst zum Bildproduzenten. Weg von Erklärungsmustern und Stilbegriffen, hin zu der Frage des „künstlerischen Schaffensprozesses“ und dadurch gelangt Raphael „direkt“ zur Kunst. 155

Diese sinnliche Erschließung des Kunstobjektes entwickelte Raphael aus seinen Erfahrungen mit der modernen Kunst, die sich nicht mehr in die bis dato gültigen Vorstellungen des Kunstverständnisses integrieren ließ. Der Weg hin zu Raphaels „künstlerischem Schaffensprozess“ liegt begründet in der veränderten Kunstform und

152 Paffenholz 1988, 9f. 153 Raphael 1989 Kunstwerk, 363, 366. 154 Raphael 1989 Kunstwerk, 371f. 155 Raphael 1989 Kunstwerk, 370f. 51

der Krise des Werkbegriffs. Im Werk von Rembrandt geht Raphael intensiv auf die einzelnen Figuren ein und differenziert die Darstellungen von Sinnesorganen .156

Auch wenn Raphaels Betrachtungen insgesamt nachvollziehbar sind und heute als fortschrittlich angesehen werden, ernteten seine Studien nach der Veröffentlichung viel Kritik. Vor allem die von ihm behauptete Einflussnahme des Rahmens auf die Gemäldestruktur ist umstritten. 157

Problematisch ist auch etwa seine Beurteilung von Picassos Guernica:

„All das zeigt, inwiefern Guernica ein schlechtes Stück Propaganda ist und ein zweifelhaftes Kunstwerk. An Picasso, dem größten Künstler unserer Zeit, zeigt sich auch, daß der Künstler in der heutigen Gesellschaft eine zugleich tragische wie komische Erscheinung ist, denn er wurzelt in der Welt, deren Untergang er wünschen muß, und er kann diejenige nicht gestalten, deren Aufgang er mit angstvoller Bewunderung zuschaut.“ 158

Er kommt zu dem Schluss, dass Picassos Emotionen das eigentliche Thema von Guernica darstellen, was einen guten Einblick in seine Argumentationsweise gibt:

„Die inhaltliche Analyse von Guernica hat uns gezeigt, daß nicht das historische Geschehen und nicht die dingliche Gegenstände der Umwelt, sondern die Emotionen des Künstlers das eigentliche Thema des Bildes darstellten…“ 159 Raphaels Absicht, alles im Bild Sichtbare sprachlich umzusetzen, führt oftmals zu Unklarheit, die umständlich und weitschweifig wirkt. 160 Auch dies erschwerte die Rezeption seiner Texte.

Die Aufsätze dieses Sammelbandes stellen sehr unterschiedliche Bilder und Künstlerpersönlichkeiten nebeneinander und führen sie dem Leser in ihrer Modellhaftigkeit vor Augen.161 So stellt Raphael die Frage nach der Bedeutung und Wertigkeit der Kunst im Allgemeinen in den Raum und rückte seiner eigentlichen Frage näher, warum das Kunstwerk so ist, wie es eben ist.162

156 Solomon 1989, 65. 157 Raphael 1989 Kunstwerk, 379. 158 Raphael 1989 Kunstwerk, 299. 159 Raphael 1989 Kunstwerk, 270. 160 Raphael 1989 Kunstwerk, 387. 161 Paffenholz 1988, 19. 162 Dröge/Nievers 1989, 133. 52

Zusammenfassung: Interdisziplinarität als Sonderweg

Interdisziplinarität ist bei der Betrachtung von Kunst ein sehr wichtiger Ansatz, da das Kunstwerk sich aus nahezu allen Quellen menschlichen Lebens speist. Insbesondere Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich die Kunstgeschichte gerade als Fachwissenschaft etabliert und sich auf die Stilgeschichte eingeschworen hatte, war aber eine interdisziplinäre Forschung nur an den Rändern des Faches möglich. Dies zeigt die Darstellung der Lebensläufe der hier vorgestellten Forscher, deren innovative Kraft nicht in berufliche Anerkennung mündete, sondern das Gegenteil, die persönliche Ausgrenzung zur Folge hatte, die dann auch zumeist in persönliche Krisen mündete.

In den Forschungen Franz Theodor Kuglers ist noch der enzyklopädische Ansatz des 18. Jahrhundert zu erkennen, der ihn zu einer grundlegenden Systematisierung des sehr breit gewählten Materials führte. Kugler sah seine Aufgabe darin, ein umfassendes allgemeines Kunstverständnis zu unterstützen und bewies dies in seinen universell angelegten literarischen Werken, die sich über kulturelle sowie zeitliche Grenzen hinwegbewegten. Darin erwies er sich als zukunftsweisend und sicherte seinen Werken einen bleibenden Stellenwert. Persönlich scheint ihn aber seine umfassende Sicht, für die er sich auch politisch engagierte, kein Glück gebracht zu haben. Er starb einsam und verbittert an einem Kopfleiden. Sein interdisziplinärer Ansatz brachte ihm Anerkennung in der Fachwissenschaft, was darauf hindeutet, dass das Fach sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so stark abgegrenzt wurde als später bei Strzygowski, Warburg und Raphael.

Strzygowskis Thesen über einen Kunstgürtel haben hingegen heute den bitteren Nachgeschmack nationalsozialistischer Propaganda. Er verrannte sich so sehr in seinen kunstlandschaftlich agierenden interdisziplinären Ansatz, dass seinen Thesen jegliche Überprüfbarkeit verloren ging. Seine sehr eigenwilligen Argumentationsstränge und seine fächerübergreifenden Theorien, die zunächst interessante Ansätze boten, mündeten schließlich, verstärkt oder ausgelöst durch seine persönliche Krise, in abstruse und wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Thesen einer Weltkunstgeschichte. An dieser Entwicklung scheint auch seine von seinen Kollegen betriebene Ausgrenzung aus dem Fach Kunstgeschichte beteiligt gewesen zu sein.

Warburgs interdisziplinärer Ansatz wurzelt in seiner Konzentration auf Bildsprache, die ihren Ursprung in Florenz hatte. Als Ausdruck seiner Interdisziplinarität sind seine umfangreiche und reich gegliederte Bibliothek und der Mnemosyne -Atlas anzuführen. 53

Die Zusammenstellung von Bildern aus unterschiedlichsten Zusammenhängen und das Erkennen ihrer inneren Zusammenhänge im Mnemosyne-Atlas war ein grundlegender Aspekt der Forschungen Warburgs, welcher auch ausschlaggebend für seine persönliche Krise gewesen zu sein scheint.

Auch Max Raphael fand durch seine Beschäftigung mit einem unbekannten, neuen Bereich, bei ihm war es sein Interesse an der Moderne und seine Beschäftigung damit zu einem neuen Weg, Kunst zu „begreifen“. Sein Interesse an den Naturwissenschaften, wie jene der Mathematik und Biologie, unterstützte ihn aus seiner Sicht darin, die Kunst objektiver zu betrachten. In der Geisteswissenschaft sah er eine Möglichkeit, alle wissenschaftlichen Fächer zu vereinigen. Damit traf er allerdings in der Welt der Forschung keineswegs auf Gegenliebe. Sein Vorgehen wurde so wenig ernst genommen, dass ihm bereits der universitäre Abschluss verweigert wurde.

Jeder dieser Kunsthistoriker greift auf ganz unterschiedliche Wissenschaftsstränge zurück und findet zu völlig anderen Thesen und doch haben sie alle ihr innovatives Vorgehen und ihre Ablehnung durch die universitäre Kunstgeschichte gemein. In ihrem Denken, das nicht den Konventionen entspricht, stellten sie eine Bedrohung für die Fachwissenschaft dar. Auch diese Ablehnung scheint Mitschuld an der persönlichen Krise zu sein, die sich bei jedem dieser Menschen unterschiedlich ausformte.

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6. DIE SPRACHE DER WISSENSCHAFT

Schon Herder erkannte Begriffe als die Abbilder unserer Seele und weitete seine Überlegungen dahingehend aus, dass alle Phänomene, sowohl die inneren als auch die äußeren, nach dem System der Sprache oder Schrift geordnet wären. Ludwig Wittgenstein stellte die Theorie auf, dass die Sprache ein „Labyrinth“ sei. 163

In diesem Kapitel sollen drei Forscher vorgestellt werden, die alle drei eine sehr eigenwillige Wissenschaftssprache entwickelten, die aber jeweils den darzustellenden Problemen perfekt entsprach. Dennoch sind sie auch aufgrund dieser Abweichungen von der wissenschaftlichen Norm weniger rezipiert worden. Ist die Sprache gleichzeitig innerster Ausdruck der Persönlichkeit des Schreibenden, so scheint sie hier auch zum Mitauslöser für Ausgrenzung und persönliche Krise geworden zu sein.

Justi als Künstler-Biograf

In seinen Biografien setzte Justi seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Kunst- und Kulturhistorik in romanhafte Texte um. Er verknüpfte die Werkanalyse jeweils mit der Lebensgeschichte des Künstlers und dem Zeithintergrund. 164 Seine ausführlichen Werkbeschreibungen integrieren Quellenkunde sowie ikonografische und kulturhistorische Forschung in einer literarischen Inszenierung.

Der Romanist Dietrich Briesemeister legte dar, dass Justi den humanistischen Kunstdiskurs des 16. und 17. Jahrhunderts in Spanien so verinnerlicht hatte, dass er den dort allgegenwärtigen „ut pictura poesis“-Gedanken in seinem Velázquez -Buch realisierte, um das Objekt seiner Forschungen gleichsam mit seiner Darstellung verschmelzen zu lassen. Daraus ließe sich auch erklären, dass Justi im Velázquez ganze Passagen frei erfunden habe. 165

Briesemeister bezieht sich hier auf den sogenannten Brief des Velázquez sowie den Dialog über die Malerei in Justis Buch über Velázquez. Justi knüpfte mit diesen

163 Engfer 1988, 29ff. 164 Prange 2007, 164f. 165 Briesemeister 2007, 73ff. 55

Erfindungen an eine Technik an, die im 16. und 17. Jahrhundert üblich war und die innerhalb der Atmosphäre des Bonner Seminars um 1888 auf Verständnis getroffen zu sein scheint.

Erste Anfeindungen wurden erst nach dem Erscheinen der zweiten Auflage des Buches laut. Ihm wurde der Vorwurf der Dokumentenfälschung gemacht, und er musste in der Kunstchronik die erfundenen Passagen als solche kennzeichnen. Aus der Erklärung in der Kunstchronik von 1905/6 geht hervor, dass er durch den erfundenen Brief nur plastisch vor Augen führen wollte, wie die römische Stadt auf den spanischen Künstler gewirkt habe. Er verteidigte sich, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, den Brief als ein Original darzustellen, und dass er nicht angenommen habe, dass seine Leser dies glauben würden. Vor allem da beide Texte nicht im Quellenverzeichnis aufgeführt worden seien und vorab erwähnt wurde, dass es nur ein erhaltenes Dokument von Velázquez gebe. Justi äußerte auch, dass seine Leser um 1888 dies so, wie es gemeint war, verstanden hätten: als einen amüsanten Scherz.166 Die Rechtfertigung offenbart Sarkasmus und gleichzeitig eine große Enttäuschung des Autors.

Die Argumentation Briesemeisters wird von Johannes Rößler aufgegriffen und erweitert, indem er schon im Winckelmann und nicht erst in Anlehnung an die spanische Literatur des Siglo de Oro ein ähnliches Vorgehen in Justis Zitierweise bemerkt.167 Zitate dienen in der Prosa Justis weniger als Belege und mehr als ästhetische Vervollständigung des Textkörpers. Sie offenbaren sein breites literarisches Wissen.

In den Texten von Justi wird insgesamt ein besonderer Umgang mit Sprache deutlich: Er bemühte sich, das Kunstwerke in Sprache zu transponieren. Vor allem Beschreibungen von Kunstwerken waren für ihn problematisch, da er sie nicht visuell darstellen konnte, versuchte er durch Polemik etwaige theoretische Defizite auszugleichen. Seine Indexlisten, die unter anderem Begriffe enthielt in Bezug auf die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, mit dem Ziel seine Schriften von „weltanschaulichen belastenden Terminologien“ frei zu halten.168

Durch seine Identifikation mit dem zu beschreibenden Subjekt reihte Justi sich bewusst in die Tradition eines Goethe oder Humboldt ein. Dabei war sich aber Justi, anders als

166 Justi 1922/23, Bd. 1, 91ff. 167 Rößler 2009, 188. 168 Rößler 2009, 191f. 56

Goethe und Humboldt, seiner eigenen Gegenwart nicht mehr sicher – 1888 in Rom, das damals starken Modernisierungstendenzen unterworfen war, verstärkte sich diese Unsicherheit zunehmend.169

Mit dem 19. Jahrhundert löste sich die Kunstwissenschaft langsam aus einem übergeordneten interdisziplinären Kontext und konkretisierte ihre Methodik. Ironie wurde als Darstellungsmittel in wissenschaftlichen Texten, und auch in kunsthistorischen, deutlich seltener eingesetzt. Justis fiktiven Textausschnitten wurde somit immer weniger Verständnis entgegengebracht: 170

„Beide Textstellen sind nicht ohne Brisanz: mit dem Rückgriff auf die rhetorische Tradition in der antiken Geschichtsschreibung, die das Fingieren von Quellen nachdem Wahrscheinlichkeitsgebot erlaubte, hatte Justi gegen einen zentralen Leitsatz der historischen Schule verstoßen, der spätestens mit der Etablierung von historisch-kritischen Standards durch Niebuhr und seit Rankes Verdikt gegen das „Erdichten, auch nicht im kleinsten“, Konsens geworden war.“ 171

Justis erfundene Quellen sind aus der zeitgenössische Situation zu verstehen: Er nahm diese Geschichtsfiktionen als polemische Impulse auf, um seine Ablehnung gegenüber der Kritik kundzutun. Da die Texte ohne Belang für die kunsthistorische Forschung sind, wollte Justi wahrscheinlich dadurch seine Leistungen gegenüber Unbefugten absichern sowie eine Kontingenzbewältigung hervorrufen. Gleichzeitig verwies er ironisch auf das historische Prinzip der Quellenkritik. 172 In der Fiktion gibt er seinem Wissenschaftsskeptizismus Ausdruck.

Warburgs kreative Sprache

Nicht minder spannend ist auch Warburgs Bezug zur Sprache. Warburg entwickelte eine kreative Sprache, um seinen Ideen einen besseren Ausdruck verleihen zu können. Er extrahierte Wörter aus ihrem gewöhnlichen Gebrauch und entwickelte neue Terminologien. In seinen Notizen fallen Stichwörter, Abkürzungen und unfertige Sätze auf sowie beigefügte Zeichnungen und Tabellen.

169 Rößler 2009, 241f. 170 Rößler 2009, 236f. 171 Rößler 2009, 233. 172 Rößler 2009, 254. 57

Dass Warburg seine Gedanken meist assoziativ formulierte und sie weder sortierte noch inhaltlich zusammenfasste, erschwert es dem Leser, den Sinnzusammenhang zu verstehen:

„Hinzu kommt die komplexe Denkart Warburgs, die schwierigen sprachlichen Formulierungen, die von anderen Wissenschaften entlehnten Begriffe, die er für die Benennung seiner Erkenntnisse umwandelte.“ 173

Das Bedürfnis, alles auf einmal sagen zu wollen, führte zu einem vielschichtigen Stil. Durch seine Forschungen in den Archiven entwickelte er ein „Miterleben“, er versetzte sich in Situationen und je tiefer das Problem war, desto eher verschwammen die Grenzen zwischen dem Dichterischen und dem Begrifflichen. In der deutschen Kunstgeschichtsschreibung besaß zwar Prosa Gültigkeit, Burckhardt und Grimm sind nur zwei bekannte Beispiele, jedoch war Warburgs Temperament zu widerstrebend.

Wilhelm Vöge (1868–1952): Person und Werk

Wilhelm Vöge, Pionier auf dem Gebiet der gotischen Skulptur Frankreichs und Lehrer Erwin Panofskys, wurde am 16. Februar 1868 in Bremen geboren. Sein Vater, Georg Ludwig Vöge, war ein erfolgreicher Kaufmann und schon früh in Amerika tätig, weshalb Vöge seinen Vater sehr wenig sah.174 Zunächst lebten seine Mutter und er bei seinem Großvater mütterlicherseits, bis sie, zusammen mit ihren beiden Schwestern, 1877 nach Hannover zogen. Vöge verbrachte seine Gymnasialzeit in Hannover und fühlte sich dieser Stadt stets stark verbunden. Nach Abschluss seines Abiturs besuchte Vöge Vorlesungen in Leipzig bei Anton Springer, anschließend zog er nach Bonn. Hier scheint ihn vor allem Carl Justi geprägt zu haben. Seine Kommilitonen in Bonn waren

173 Cerbe-Farajian 2001, 181. 174 Heise 1968, 6. 58

unter anderem Paul Clemen und Aby Warburg, mit denen ihn lebenslange Freundschaften verbinden sollten.175

Schon mit 23 Jahren wurde Wilhelm Vöge in Straßburg bei Hubert Janitscheck promoviert. Sein Thema aus der ottonischen Buchmalerei lautete: Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends . Nach seinem Militärdienst folgten unruhige Reisejahre, die ihm zu einem umfassenden kunsthistorischen Wissen verhalfen. Kurz nach seiner Habilitation über Raffael und Donatello in Straßburg 1895 wurde Vöge Kustos der Berliner Museen in der Abteilung für Skulpturen unter Wilhelm von Bode (1897-1910), welcher nach Aussage Panofskys für Vöge prägend wurde.176

Bode und Vöge waren stark gegensätzliche Naturen, so fühlte sich Vöge stets von Bode verkannt. Er arbeitete unermüdlich und produzierte zwei grundlegende Katalogwerke über die Berliner Sammlungen. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Kustos wurde ihm dennoch Karl Koetschau vorgezogen; eine Wahl, die Vöge schwer traf und für die er sich selbst die Schuld gab.177

1909 nahm er die Berufung auf den Lehrstuhl an der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg an, und wurde zum Begründer der Freiburger Kunstgeschichte.178

Die Lehrtätigkeit an der Universität von Freiburg beanspruchte ihn so stark, dass er deutlich weniger publizierte.179 Seine Studenten betonten immer wieder, er habe seine Vorlesungen und Übungen stets bis ins Detail ausgearbeitet. 180 Die Arbeit drohte ihn zu überlasten.

In einem im Dezember 1897 verfassten Kondolenzbrief an Goldschmidt anlässlich des Todes von dessen Vater, fällt seine unruhige und fahrig erregte Schrift auf. Seinem schweren späteren Gemütsleiden ging eine ernste Erkrankung voraus. Vöges Mutter wies Besucher zurück, um ihn gemäß dem Rat des Arztes keinem zusätzlichen Stress auszusetzen. 181

175 Heise 1968, 6f. 176 Heise 1968, 7ff. 177 Heise 1968, 9f. 178 Schlink 2004, 13. 179 Heise 1968, 10. 180 Jantzen 1953, 107. 181 Heise 1968, 25. 59

Nach Kriegsausbruch belastete dieser sein empfindliches Nervenkorsett zunehmend. Ein ehemaliger Student beschrieb seine psychische Labilität folgendermaßen: „Perioden schwerer Depression und geistiger Ermüdung haben ihn schon früh geplagt“.182 1915 kam es schließlich zum Zusammenbruch, und Vöge sah sich gezwungen, frühzeitig (mit 48 Jahren) in Pension zu gehen. 183 Ein Jahr vor seinem Rücktritt aus dem Lehramt, wurden die Probleme sichtbar. Immer häufiger musste er Vorträge verschieben oder absagen, weil er durch die Überarbeitung krank wurde.

Sein letzter Vortrag an der Universität im Wintersemester 1914/15 handelte von der Kathedrale von Reims. Anschließend ließ er sich in den Ruhestand versetzen. 184 Dass es Vöge damals nicht mehr gelang, seinen inneren Zwiespalt zu beherrschen, scheint auch in seinem Entsetzen über den Beschuss und die teilweise Zerstörung der Reimser Kathedrale durch deutsche Truppen im September 1914 begründet gewesen zu sein.

Seinen weiteren Lebensweg fristete Vöge seit 1916 in Ballenstadt im Harz. Dort standen ihm wenig Mittel für seine Arbeit zur Verfügung. Dennoch bemühte er sich um die Darstellung spätgotischer Bildhauer und insbesondere um die deutsche Holzbildhauerei des 15. und 16. Jahrhunderts. 185 Auch während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs arbeitete Vöge in seiner selbst gewählten Einsamkeit weiter und behielt ein hohes wissenschaftliches Niveau bei.

Eine enge Freundschaft verband ihn mit , von der der intensive Briefwechsel, den die beiden Wissenschaftler zwischen 1892 und 1938 führten, zeugt.

Wilhelm Vöge starb am 30. Dezember 1952.

Heise schrieb in seiner Gedenkschrift für Vöge, dass dieser „den unruhigen Geist, das Unkonventionelle, vielleicht auch die Neugier des Forschens ererbt“ hatte,186 und in dem von Hans Jantzen verfassten Nachruf heißt es:

„Ein Gelehrtentum wie dasjenige Vöges, einer mit empfindlichen Nerven ausgestatteten Natur, wurzelte in freien Lebensumständen, die durch keine Kriegs- und Friedensnöte beeinträchtigt waren. Der Krieg, dessen Kanonendonner man am Freiburger Schloßberg vom Elsaß herüber vernahm, erschütterte die sensible Natur Vöges aufs tiefste.“ 187

182 Heise 1968, 10. 183 Heise 1968, 10. 184 Jantzen 1953, 107. 185 Jantzen 1953, 107. 186 Heise 1968, 6. 187 Jantzen 1953, 107. 60

Vöge beschrieb sich selbst als schwer verständlich und oft verwirrt. 188 Er sprach von sich selbst meist in der dritten Person und oft wiederholte er wichtige Satzteile.

Vöges wissenschaftlicher Schwerpunkt lag von Beginn an auf dem Gebiet der mittelalterlichen Kunstgeschichte. Die von ihm zusammengestellte ottonische Handschriftengruppe wurde in der Forschung lange als „Vögeschule“ bezeichnet, obwohl er selbst den Begriff der „Liuthargruppe“ bevorzugte, welcher heute als Terminologie gültig ist. Anschließend setzte er sich intensiv mit dem Gebiet der französischen Plastik des Mittelalters auseinander, die damals noch wenig erforscht war. Vöge gelang ein neuer Zugang zum Wesen dieser Kunst, deren Bedeutung er erschloss. In Berlin beschäftigte er sich mit der Monumentalskulptur des 13. Jahrhunderts und insbesondere mit den Bildwerken des Bamberger Doms im Vergleich mit jenen der Kathedrale von Reims. 189

Alles, woran Vöge arbeitete, verfolgte er mit äußerster Konzentration. Vöges Arbeitsmethode war gezeichnet von einer Ehrfurcht gegenüber dem Kunstwerk und geprägt durch das Verlangen, das Werk für sich selbst sprechen zu lassen.

In den größten Werken der Kunst sah Vöge einen Spiegel der historischen Entwicklung.

Warburg schätzte Vöge als einen der bedeutendsten Lehrer der Kunstgeschichte in Deutschland. 190

Die Hölderlinsche Sprache bei Vöge

Hans Jantzen erwähnte in seinem Nachruf Vöges Nähe zur Hölderlinschen Sprache. Die häufige Verwendung von Begriffen wie „zart“ oder „Zartheit“ zeigt laut Jantzen den einfühlenden Beobachter und dessen liebevolle Versenkung in das zu beschreibende Werk. Auch in Vöges Briefen entdeckte Jantzen eine eigenwillige, gelegentlich preziöse Sprache. 191

188 Heise 1968, 14. 189 Jantzen 1953, 104ff. 190 Heise 1968, 18. 191 Jantzen 1953, 108. 61

Ein Beispiel dieser besonderen sprachlichen Gewandtheit findet sich in dem Werk Das Museum VIII . In diesem Text verwendet er immer wieder Begriffe wie „zart“, „sanft“, „weich“, teilweise setzt er sie direkt hintereinander.192 Es scheint, als würde es für Vöge nicht genug Wörter geben, um seinem Empfinden Ausdruck zu verleihen und sein Erlebnis an den Leser weiterzugeben. Aus der Sicht Jantzens beeinflusste sein Werk weniger das Urteil und die Einsicht der Kunstfreunde als die Forschung selbst.

In der Wissenschaft zeigt sich insbesondere um 1900 immer wieder das Phänomen, dass zwischen Wissenschaft und Kunst Brücken gebaut werden und der Wissenschaftler zum Künstler wird und umgekehrt. Dies kann als Reaktion auf die Problematik der historischen Disziplinen und der methodischen Krise gesehen werden, die in kunstgeschichtlichen Novellen oder „Professorenromanen“, also historischen Romanen auf der Grundlage von Forschungsmaterial, ihren Ausdruck fand. 193

Einer der ersten Forscher, bei denen eine solche methodologische Krise zu bemerken war, war Wilhelm Vöge. Mehr als 350 Gedichte die heute im Vöge-Archiv im Kunsthistorischen Institut der Albert-Ludwig-Universität Freiburg verwahrt werden, wurden von ihm verfasst. 194 Der Sprachstil Vöges spiegelte sich auch in seinen wissenschaftlichen Werken. Schon Panofsky erkannte, dass die Resignation seines Lehrers auch in dessen literarischen Stil begründet liege, da seine Texte aufgrund ihrer poetischen Tendenzen teilweise schwer lesbar und rezipierbar waren. 195

Seit seiner Schulzeit hatte sich Vöge leidenschaftlich mit Gedichten beschäftigt und auch selber Gedichte verfasst. Die meisten seiner eigenen dichterischen Arbeiten entstanden jedoch nach seiner akademischen Laufbahn. Dominant erweist sich darin das Genre des „Zeitgedichts“. Sonette und Distichons waren Vöges besondere Vorliebe. 196 Ein Gedicht wie Vöges Zu einer Biographie der Zersplitterung zeigt beispielhaft die Krise der Kulturwissenschaften um 1900, sowie die Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst und ist auch aufschlussreich für sein eigenes Leben. Das Gedicht handelt von Vöges Flucht vom Gelehrten zum Dichter und er beschreibt diese Wandlung als Abstieg

192 Jantzen 1953, 108. 193 Aurnhammer 2004, 117. 194 Aurnhammer 2004, 118. 195 Aurnhammer 2004, 119. 196 Aurnhammer 2004, 120. 62

von der „gewichtigen“ Position des Professors zum Dichter mit „graugemischtem Haar“ das von Gelächter seitens des Volkes begleitet wird.197

Zusammenfassung

Die Sprache als Ausdrucksmittel zur Darstellung der Gedanken ist die Grundvoraussetzung für einen wissenschaftlich arbeitenden Menschen. Wie in den oben genannten Beispielen kann die Sprache aber auch innere Prozesse ausdrücken. Alle drei hier vorgestellten Forscher verlieren sich selbst in einem Konzept der Sprache: Warburg verändert und erneuert Begrifflichkeiten, um möglichst viele und neue Informationen in ihnen unterzubringen, Vöge verliert sich in seiner dichterischen Sprache und Justi taucht so tief in die vergangenen Welten ein, dass er bereit ist, nicht vorhandenes Datenmaterial nachzuschöpfen.

Insbesondere Warburg und Justi waren dabei von dem Bedürfnis getrieben, alle Eindrücke, die ihnen in Bezug auf ihre Forschungsobjekte zugänglich waren, weiterzugeben, um den Künstler bzw. die Kunst vollständig vor den Augen ihrer Leser erstehen zu lassen. Ein Überangebot an Information und das Bedürfnis, alles sagen und ausdrücken zu wollen, scheint dabei alle drei Forscher geleitet zu haben. Die umfangreiche Bildung wird in der sprachlichen Komplexität immer wieder unter Beweis gestellt, macht die Texte aber alle schwer rezipierbar.

197 Aurnhammer 2004, 135f. 63

7. KRIEG UND EMIGRATION – FÜNF SKIZZEN VON KUNSTHISTORIKERN AUF DER FLUCHT

In diesem Kapitel sollen die Lebenswege von fünf Kunsthistorikern beschrieben werden, deren psychische Krise ausgelöst wurde, weil sie von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und emigrieren mussten bzw. im Fall von Dorothea Klein innerhalb Deutschlands der Verfolgung ausgesetzt waren. Dieser besondere Lebensumstand machte sie zu Isolierten nicht nur in Hinsicht auf ihre Person, sondern auch im Sinne ihrer Forschung. Neurologische oder psychische Zerrüttung sind eine Folge dieser Ausnahmesituation.

Werner Weisbach (1873–1953)

Werner Weisbach wurde am 01.09.1873 in Berlin als Sohn eines Börsenmaklers geboren und besuchte dort das Wilhelmsgymnasium bis 1891. Anschließend studierte er Kunstgeschichte und Archäologie und schloss sein Studium 1894 mit der Promotion bei August Schmarsow ab. Seine Doktorarbeit hatte das Thema: Meister der Bergmannschen Offizin. Ein Beitrag zur Geschichte der Basler Buchillustration .198

Nach ausgiebigen Studienreisen durch ganz Europa, die ihm eine ausführliche Denkmalkenntnis verschafften, habilitierte sich Weisbach 1902 mit einer Arbeit über Francesco Pesellino und die Romantik der Renaissance . Von 1903 bis 1933 war er Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Die Berliner Studenten

198 Schudt 1953, 290. 64

empfanden ihn als schwer zugänglich und nicht gerade liebenswürdig, zudem galt er als streng und oftmals ungeduldig.199

1933 wurde er von den Nationalsozialisten aus dem Dienst entlassen, weil er Jude war. Obwohl er stark in Berlin verwurzelt war, entschloss er sich 1935 zur Emigration nach Basel. Er lebte dort als Privatgelehrter bis zu seinem Tod am 9. April 1953.

Werner Weisbach war bekannt für seinen außerordentlichen Fleiß. Sein Tag war strikt eingeteilt, den meisten Teil des Tages arbeitete er, und zwar „an einem Schreibpult stehend, nicht am Schreibtisch sitzend“,200 etwaige Pausen wurden akribisch genau eingehalten. Auffällig an Weisbachs Arbeit war die enorme Strenge und die kritische Haltung sich selbst gegenüber. Seine Arbeitsweise beruhte auf einem genau durchgearbeiteten Stoff, der „sehr sachlich, bedächtig und einigermaßen trocken vorgetragen, gewiß nicht jedem“ lag. 201

In seinen Forschungen konzentrierte sich Weisbach zunächst auf die Kunst Italiens. Er leistete Beiträge zum Verständnis der Kunst der Renaissance, des Barock und des frühen und hohen Mittelalters. In seinen letzten Lebensjahren im Exil in der Schweiz beschäftigte sich Weisbach intensiv mit der altchristlichen und mittelalterlichen Kunst. Außerdem entstand ein zweibändiges Werk über Vincent van Gogh.202

Sein weitgespanntes Interessensfeld zeigt sich in zahlreichen Publikationen sowie Aufsätzen.

In seinem Buch Ausdrucksgestaltung in der mittelalterlichen Kunst scheint er seine eigene Tätigkeit zu reflektieren, indem er schrieb:

„Bei Gestalten wie diesen beruht ihr Handeln nicht auf einem eigenen inneren Impuls, sondern sie stehen unter der Wirkung oder unter dem Zwange einer von außen auf sie eindringenden überweltlichen Macht, die ihnen ihr Handeln – und das ist hier die Arbeit des Schreibens – auferlegt, und dadurch wird auch das Unwahrscheinliche begründet und ermöglicht: daß der Johannes des Ebo-Evangeliars gleichsam mechanisch, die Hand geführt von der magischen Kraft des inspirierenden Logos, ohne auf das Pergament zu blicken, der Beschäftigung des Schreibens obliegen kann.“ 203

199 Schudt 1953, 291. 200 Weisbach 1957, 10. 201 Weisbach 1957, 10. 202 Schudt 1953, 191. 203 Weisbach 1948, 21. 65

Interessant in Bezug auf Weisbachs psychische Situation ist vor allem sein Werk Geist und Gewalt , das während des Zweiten Weltkriegs entstand und worin er unter anderem über den Eingriff der Weltgeschichte in sein Schicksal berichtete.204 Die Möglichkeiten, wissenschaftlich zu arbeiten, waren während des Krieges stark erschwert (Literatur wurde zensiert und teilweise aus Bibliotheken entfernt). Auch die eigenen Veröffentlichungen standen Weisbach teilweise nicht zur Verfügung. Der erschwerte Rückgriff auf Fachliteratur nötigte dazu, Verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Gedächtnis zu zitieren.

Er litt unter der Zerstörung von Kunst durch Krieg und Diktatur und unter der Machtlosigkeit jener, die ihr Lebenswerk der bildenden Kunst gewidmet hatten. Die Ungewissheit seiner persönlichen Zukunft hinterließ eine große Hoffnungslosigkeit Alles, was blieb, war „der Glaube an die Unzerstörbarkeit und Unvergänglichkeit des Geistes.“ 205

Leidend unter seinem Emigrantenschicksal neigte Weisbach zu Depressionen und war sein ganzes Leben lang durch ein Nervenleiden gehemmt. Auch das Klima in Basel setzte ihm zu:

„Mit großen Schwierigkeiten hatte ich zu kämpfen, um mich körperlich und seelisch an das Basler Klima zu gewöhnen, das mit seiner milden, schlaffen und feuchten Luft, mit seinen Föhntagen und starkem Wetterwechsel meinem Befinden arg zusetzte.“ 206

Den sensiblen Gelehrten kennzeichnete ein „pessimistisches und melancholisches Wesen“. 207 Gleichzeitig wurde er aber auch aufgrund seines pädagogischen Vermögens geschätzt:

„Die Dinge genau ansehen und das Gesehene klar beschreiben: darin lag seine Methode beschlossen.“ 208

Seine Stimmungsschwankungen ließen ihn oft abweisend wirken, was für seine Berufslaufbahn vielleicht nicht von Vorteil war. Trotzdem war er bestrebt seinen Schülern zu helfen und die die ihn besser kannten wussten das zu schätzen. 209

204 Weisbach 1956, 5ff. 205 Weisbach 1956, 7. 206 Weisbach 1956, 392. 207 Weisbach 1957, 11. 208 Schudt 1953, 291. 209 Weisbach 1957, 11. 66

Leo Balet (1878–1965)

Geboren am 29.06.1878 in Rotterdam wuchs Leo Balet in einer katholischen Familie auf. Vor 1903 studierte Balet Theologie in Leiden, Musik in Den Haag mit dem Schwerpunkt Flöte und vier Jahre Philosophie am Institut in Warmond bei Leiden.

Später studierte er Kunstgeschichte in Amsterdam, Paris und anschließend in München und Freiburg bei den Professoren Riehl, Vogelsang und Leitschuh.

Seine Doktorarbeit schrieb er über Geertgen tot Sint Jans, Der Frühholländer Geertgen tot Sint Jans . Schon seine Dissertation war laut Vorwort „ein mehr psychologischer als biographischer, ein mehr psychokritischer als stilkritischer Versuch, dem Problem Geertgen näher zu kommen“, ohne dabei auf die Methode der Stilkritik zu verzichten. 210

Nach seinem Abschluss war er von etwa 1910 bis 1911 Assistent an der königlichen Staatssammlung Vaterländischer Altertümer in Stuttgart und von 1911 bis 1912 am königlichen Landesmuseum in Stuttgart. Danach belegte er ca. zwei Jahre lang den Posten als Direktor des Kunstgewerbemuseums in Bremen und hielt nebenbei auch Vorlesungen an der staatlichen Kunstschule. Anschließend wurde er als deutscher Soldat eingezogen und kämpfte im Ersten Weltkrieg.

1920 übersiedelte Balet schließlich nach Berlin, wo er freiberuflichen und schriftstellerischen Tätigkeiten nachging. Zu dieser Zeit entwickelte er ein starkes Interesse an den aktuellen Kunstströmungen und beteiligte sich an mehreren linken Künstlerorganisationen. Ende der 1920er Jahre trat der der KPD bei.

Im Februar 1933 nach dem Reichstagsbrand floh er nach Holland. Dort widmete er sich ganz seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und seine Frau verdiente als Krankenschwester den Lebensunterhalt. Im Jahr 1934 schloss er die begonnen Untersuchungen zur Verbürgerlichung ab.

Balets Hauptwerk, Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert , wurde 1936 veröffentlicht. Darin entfernte sich Balet von der herkömmlichen gesonderten Betrachtung der bildenden Kunst und verknüpfte seine Fachgebiete Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert.

210 Wendland 1999, 26. 67

1937 nahm Balet am zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris teil.

1938 emigrierte er nach New York. Es gelang ihm zunächst in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen. 1938 bis 1948 hatte er einen Lehrauftrag für Kunstgeschichte und Philosophie am Brooklyn College und von 1949 bis 1952 an der New School for Social Research.211 Danach ist nicht bekannt, ob er weiterhin arbeitete. Leo Balet zog sich von der Gesellschaft zurück und lebte in menschlicher und wissenschaftlicher Isolation:

„Ständige finanzielle Sorgen und das Unverständnis für seine außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen in einer vom Geist des McCarthyismus geprägten Umgebung ließen ihn im Laufe der fünfziger Jahre völlig vereinsamen.“ 212

Am 21.06.1965 starb Leo Balet in einer psychiatrischen Klinik in New York.

Es war stets Balets Ziel die „Isolation der einzelwissenschaftlichen Kunsthistoriographie zu durchbrechen und größere Zusammenhänge aufzudecken“.213 Die Synthese der Gebiete der Kunst-, Literatur- und Musikwissenschaften lag ihm insbesondere am Herzen und darin vor allem die Erforschung der Kunst des 18. Jahrhunderts.

Max Raphael im Exil

Die Jahre, die Max Raphael bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1952 im amerikanischen Exil verbrachte, waren von großen finanziellen Problemen und einer stetigen gesellschaftlichen Isolation geprägt. In seinen autobiografischen Schriften äußerte er damals immer wieder, er habe sein Berufsfeld verfehlt. Die Heimatlosigkeit und das Gefühl, im Leben nur eine Gastrolle zu besetzen, quälten ihn.214 Im Exil verlor er jeglichen für ihn so wichtigen Kontakt zu zeitgenössischen Künstlern.

Was Raphael schwer zu schaffen machte, war vor allem die Einsamkeit sowie die Bewältigung des Alltags auch aufgrund der ständigen Geldnot. Er litt insbesondere unter der langen Trennung von seiner Frau, die erst 1945 in die USA nachkommen konnte. Die Beziehung zu ihr war für ihn und sein Leben prägend. Im Allgemeinen sah

211 Wendland 1999, 25. 212 Wendland 1999, 27. 213 Wendland 1999, 26. 214 Paffenholz 1988, 17. 68

er die menschliche Beziehung, im Speziellen die Erotik zwischen zwei Partnern, stets als den „Lohn“ für die Arbeit und das Denken.215

Das durch den Krieg auferlegte Exil sowie die Verkennung als Wissenschaftler prägten nicht nur seine Lebenssituation, sondern auch seine Psyche. Er selbst sprach immer wieder von seinen schlechten Gemütszuständen, die sich aus dem Körperlichen, dem Geistigen und dem Seelischen zusammensetzten. 216

Dennoch war Raphael auch in dieser Zeit unermüdlich in seinem Schaffen. So arbeitete er gleichzeitig an seiner Kunsttheorie, am Griechenbuch , parallel dazu an Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit sowie an unterschiedlichen Studien, Kritiken und Überarbeitungen. 217

Raphael ist vor allem nach seiner Emigration in die USA nervös in Gegenwart anderer Menschen und tut sich schwer in Gesellschaften,218 konnte aber genauso wenig in der Isolation leben. Dies war für ihn in der Emigration besonders gefährlich, er fand sich nicht in die Kreise der deutschen Flüchtlinge ein, aber auch keinen Anschluss an Intellektuellen- und Künstlerkreise in seiner neuen Heimat.

Eine Art Wohlgefühl kam bei ihm nur in Situationen des Studierens auf. Er konnte stundenlang in Bibliotheken sitzen und in Büchern schmökern, komplett vertieft in seine Wissenschaft. Deswegen ließ er sich immer mehr in seine Arbeit fallen, schaltete seine Umwelt aus, um der für ihn unerträglichen Wirklichkeit zu entfliehen und dadurch zu überleben. Seine Isolation, die ihm schwer zusetzte, versuchte er durch seine Arbeit zu verdrängen und auch die damit verbundenen Selbstmordgedanken bzw. Depressionen. 219

Neben seiner Flucht aus der Realität in die Wissenschaft, war für ihn in seiner inneren Krise das Verfassen von Briefen oder Tagebucheintragungen hilfreich. Manie, als Zustand hoher Schaffenskraft und innerer Getriebenheit, ausgedrückt in dem Zwang sich allen Themen zu bemächtigen .

Schließlich blieb ihm nur noch der Selbstmord.

215 Heinrichs 1985, 16. 216 Paffenholz 1988, 17. 217 Drewes 1993, 223. 218 Heinrichs 1985, 29. 219 Heinrichs 1985, 16. 69

Robert Freyhan (geb. 1901 220 )

Robert Freyhan, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatgelehrter auf dem Gebiet der Kunstgeschichte, wurde am 29.10.1901 in Berlin als Sohn eines Arztes jüdischer Herkunft geboren. 221

Robert Freyhan studierte von 1920 bis 1924 die Fächer Kunstgeschichte, Philosophie, Romanistik und Archäologie unter den Professoren Hamann, Wölfflin, Frankl und Goldschmidt. Von 1925 bis 1928 war er anfangs als Stipendiat, später als Assistent an der Bibliotheca Hertziana in Rom tätig. Anschließend war er zwischen 1930 und 33 Assistent Richard Hamanns. 222

Freyhan konzentrierte sich in seinen Forschungen auf die mittelalterlichen Malerei und die Handschriften Nordeuropas (vor allem die angelsächsischer Buchmalerei im 13. und 14. Jahrhundert). 223

Aufgrund seiner jüdischen Herkunft, wurde er vom Marburger Institut entlassen und emigrierte 1933 nach England. In London fand er ein Auskommen mit Vorträgen und wissenschaftlichen Arbeiten am Courtauld Institute. Seine Arbeit reichte allerdings nicht, um sich finanziell über Wasser zu halten; immer wieder sah er sich gezwungen, auf die Hilfe anderer zurückzugreifen. Diese Zwangslage belastete ihn stark. 1935 war seine finanzielle Lage schließlich so schlecht, dass er zeitweise kurz vor dem Verhungern stand. Er fiel in eine physische und psychische Erkrankung, zumal sich Konflikte mit seinem einzigen Gönner, Prof. Constable vom Courtauld Institute, ergaben. 1938 kam es zum endgültigen Bruch mit dem Institut; seine Vorträge galten „als inhaltlich und methodisch zu eigenwillig“.224

Nach Kriegsbeginn meldete sich Freyhan freiwillig zur britischen Armee. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs heiratete er und zog auf eine Farm in Sussex.

220 Der Todeszeitpunkt ist nicht bekannt. 221 Wendland 1999, 160. 222 Wendland 1999, 161. 223 Wendland 1999, 161. 224 Wendland 1999, 161. 70

Dorothea Klein (1903–1951)

Dorothea Klein wurde am 30.10.1903 in Berlin geboren. Den Zugang zur bildenden Kunst fand sie durch ihre Mutter, die Malerin und eine Schülerin Liebermanns war. Durch Oskar Fischel, der dem Elternhaus freundschaftlich nahestand, näherte sie sich schon früh der wissenschaftliche Arbeit.

Im Alter von 20 Jahren begann Klein mit dem Studium der Philosophie und später auch der Kunstgeschichte. Anfangs belegte sie Kurse bei Wertheimer und Goldschmidt in Berlin, 1926 bei Jasper in Heidelberg. In Bezug auf die Kunstgeschichte fand sie im Warburg-Institut in Hamburg eine für sie interessante wissenschaftliche Basis für ihre Arbeit. 1931 beendete Klein Ihre Studienzeit mit ihrer Doktorarbeit über St. Lukas als Maler der Maria (Ikonographie der Lukas-Madonna) in Hamburg bei Erwin Panofsky.

Nach Abschluss ihrer Promotion nahm Klein Jobs im Bereich der Kunstgeschichte an. So war sie von 1931 bis 1933 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin, unbezahlt, an den Staatlichen Museen Berlin tätig. Dort organisierte sie 1932/33 eine Ausstellung mit dem Titel Meisterwerke der Webekunst , wo sie neben der praktischen Ausführung auch den dazugehörigen Katalog verfasste. Am 1.4.1933 wurde sie als Jüdin im Zuge des von den Nationalsozialisten erlassenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen.

Anschließend gab sie Privatstunden. Sie wollte nicht emigrieren, da sie 1935 bei einem Kurzaufenthalt in London die Trostlosigkeit des Emigrantendaseins erlebt hatte. 1941 wurde sie zur Zwangsarbeit in einer Stanzerei in Berlin verpflichtet. 1943 wurde sie in einem Sammellager in Berlin interniert, aber kurz darauf zur Zwangsarbeit zurückbeordert. Daraufhin erkrankte sie schwer. 1943 floh sie zu Freunden. Sie änderte ihren Namen und lebte von da an ständig auf der Flucht und mit falschen Papieren, konnte aber so einer Internierung entgehen.

Nach Kriegsende litt Klein an einer chronischen Erkrankung als Folge der physischen und psychischen Strapazen. Die eigene Lebenssituation während der nationalsozialistischen Herrschaft, aber auch das Schicksal ihrer Familie – beide Eltern waren 1942 deportiert und später im KZ ermordet worden –, führten zu einer dauerhaften physischen und psychischen Erkrankung. Der folgende Lebensweg

71

zeichnete sich durch Kur- und Sanatoriums-Aufenthalte aus; jedoch war es Dorothea Klein nicht mehr möglich ihre wissenschaftliche Tätigkeit jemals wieder aufzunehmen.

Dorothea Klein verstarb am 12.12.1951 im Sanatorium Burghalde in Unterlegenhardt an den Folgen ihres Leidens.225

Im Nachruf von 1952 heißt es:

„Der Tag der Freiheit fand sie mit zerrütteter Gesundheit, außerstande, in den geliebten Beruf und zur wissenschaftlichen Arbeit zurückzukehren. Die wachsenden Schatten der Krankheit reifen ihre seelischen Kräfte zu letzter Wachheit auf. Güte und Überwindung aller Bitterkeit waren ihre Antwort auf das Übermaß dessen, was ihr auferlegt war.“ 226

Robert Oertel erinnerte in seinem Nachruf an den „Ernst ihres Wesens“ und die „Tiefe ihrer Veranlagung“. 227

Leider war es Dorothea Klein nie wirklich möglich, ihrer wissenschaftlichen Arbeit in einem professionellen Rahmen nachzugehen. Durch ihre Arbeit bei den Staatlichen Museen Berlin konnte sie sich in das Fachgebiet der Seidenweberei Ostasiens einarbeiten. Ihr diesbezüglich erworbenes Wissen floss in diverse Publikationen ein. Ihr letzter Aufsatz stellte Ricarda Huch und Käthe Kollwitz beispielhaft einander gegenüber.228

Zusammenfassung

Die Kriegsjahre und der Zwang zur Emigration prägten die Entwicklung der hier vorgestellten fünf Kunsthistoriker.

Sie lebten über Jahre hinweg ständig in Angst, zogen von einer Stadt in die nächste, immer in der Gefahr, gefangengenommen oder ermordet zu werden. Hinzu kam die Einsamkeit und die Furcht um geliebte Angehörige.

Außerdem konnten sie ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit zumeist nicht weiter nachgehen und wenn es ihnen gelang, eine Arbeit fertigzustellen, konnten sie diese nur selten veröffentlichen. Sie hatten nur eingeschränkten Zugriff auf wissenschaftliche

225 Oertel 1952, 270. 226 Oertel 1952, 270. 227 Oertel 1952, 270. 228 Oertel 1952, 270. 72

Literatur, sie mussten in Fremdsprachen schreiben oder ihre Texte übersetzen lassen, sie konnten sich selten direkt mit ihren Forschungsobjekten auseinandersetzen – all diese Schwierigkeiten, die ein Leben im Exil prägen, führten dazu, dass die hier vorgestellten fünf Kunsthistoriker, die beispielhaft für andere stehen können, zumindest in Teilen ihre wissenschaftliche Kreativität einbüßten und eine persönliche Krise erlitten .

Bei Max Raphael wird dies ganz besonders offensichtlich. Er litt unter der Isolation, sein Umfeld war weggebrochen, Anregungen von Künstlern und befreundeten Intellektuellen fehlten ihm.. Seine wissenschaftliche Arbeit litt darunter, dass ihm viel Literatur in seinem amerikanischen Exil nicht zugänglich war und dass er zudem nicht vor Ort forschen konnte. Ein zermürbender Zustand, der zu depressiven Zuständen führte und Max Raphael schließlich in den Selbstmord trieb.

Bereits für Warburg war der Krieg einer der Auslöser für seine nervliche Erkrankung gewesen. Krieg und Exil müssen so als Einflüsse genannt werden, die bei vielen Zeitgenossen krisenhaft wirkten, dies selbstverständlich nicht nur bei Kunsthistorikern.

Als Kunsthistoriker, deren Beruf es ist, sich mit der Kultur der Vergangenheit auseinanderzusetzen, litten diese Menschen allerdings insbesondere unter der Zerstörung und Vernichtung des von Deutschland angezettelten Krieges. Sie mussten machtlos mit ansehen, wie bedeutende Werke der Kunstgeschichte dem Zerstörungswahn ausgeliefert waren – die Zerstörung der Kathedrale von Reims im Ersten Weltkrieg war, dies wurde oben gesagt, einer der Gründe für Vöges Zusammenbruch. Gleichzeitig wurde im Krieg aber nicht nur der Gegenstand ihrer Forschungen zerstört, sondern durch die nationalsozialistische Barbarei schien auch eine ganze Kultur, auf der diese Menschen ihr Leben aufgebaut hatten, in Trümmern gelegt. In der allgemeinen und persönlichen Krise scheint der Zusammenbruch dieser Menschen eine logische Konsequenz.

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8. DER „PRIMITIVE MENSCH “ UND DER MYTHOS

Die Zurückwendung auf „primitive“ Schöpfungen findet sich bei Aby Warburg und Max Raphael jeweils in einer krisenhaften Situation. Der Wunsch nach dem Ursprünglichen in der Kunst wird Ausdruck ihrer wohl bekanntesten kunsthistorischen Werke.

Warburgs Wunsch, sich von dem Ästhetizismus seiner Zeit zu entfernen und dem ursprünglichen Wesen der Kunst wieder auf den Grund zu kommen, war schon vor seiner Erkrankung ein Thema in seiner Forschung.

Auch Max Raphael griff nach jahrelanger Forschung auf den verschiedensten kunsthistorischen Gebieten auf die ursprünglichen Formen menschlicher Darstellung zurück. Eine interessante Entwicklung, die es nun näher zu betrachten gilt.

Aby Warburg und der Schlangentanz

Tito Vignoli, ein Wissenschaftler, den Warburg schon während seines Studiums intensiv rezipierte, erklärte die Mythologie mit dem Bedürfnis des Menschen „die Umwelt mit einem eigenen Leben zu beseelen“, woraus er auch den „Hang des Menschen zu Personifizierung in Religion und Dichtung“ erklärte. 229 Wichtig für Warburgs Vorstellung vom Mythos war auch der Philologe Hermann Usener, der in seinen Vorlesungen über Mythologie die Bedeutung der Mythen in der menschlichen Entwicklung erörterte und die Entstehung von Mythen als psychologisches Problem einordnete.

Die Wiederaufnahme der wissenschaftliche Forschung Aby Warburgs über die Mythen fand zu einem Zeitpunkt seines Lebens (1923) statt, der auch einen wichtigen Wendepunkt darstellte. In dieser schwierigen Zeit findet man Notizen und Entwürfe Warburgs, in denen er auf frühere Gedanken über das „Wesen des primitiven Menschen“ und die Erkenntnisse von Tito Vignoli zurückgreift. So sah er den

229 Gombrich 1992, 96. 74

menschlichen Urzustand geprägt von Angstzuständen, die laut Vignoli zur Entwicklung von Mythologien und später der Wissenschaft führten. Gombrich fasste dies in seiner Warburg-Biografie folgendermaßen zusammen:

„Insofern bereitet die phobische Reaktion den Weg zur Beherrschung der Welt durch den Akt des Benennens und von dort zur Vorherrschaft logischen Denkens.“ 230

Gerade die Auseinandersetzung mit Magie war es, die Warburg aus seinen depressiven Phasen half. Ihn faszinierten schon während seiner Studienzeit die Lehren von Vignoli und Usener, da es dort um die Loslösung des Menschen aus magischen Furchtzuständen ging. Er glaubte, dass seine Krankheit ihm einen besonderen Zugang zu den primitiven Völkern und ihren Riten verschaffen konnte. Gleichzeitig gab ihm die intensive Beschäftigung mit diesem Themengebiet die Möglichkeit, sein eigenes seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen. 231

Sein innerer Konflikt scheint sich so in der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit widerzuspiegeln. Seine schwere psychische Krankheit prägte nicht nur seine letzten Lebensjahre, sondern auch seine Forschung. Seine Forschungen zu Astrologie und Dämonenglauben führten ihn in Bereiche jenseits der Kunstgeschichte. Mit der Freilegung „geistig-seelischer Spannungsfelder“ reihte sich Warburg unter die Vorläufer einer historischen Psychologie ein. 232

1895/96 reiste Aby Warburg anlässlich der Hochzeit seines Bruders Paul in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort trat er in Kontakt mit dem Smithsonian Institute. Diese Kontaktaufnahme beweist bereits, dass er sich zunehmend vom Ästhetizismus der Kunst weg- und zu kulturhistorischen Fragen hinbewegte. 233 Zu diesem Zweck führte er Feldstudien in New Mexico bei den Hopi-Indianern durch. Warburgs Studien behandelten sowohl das Kunsthandwerk (Töpferei), wie auch kultische und religiöse Gebräuche der Indianer, und dabei insbesondere den Schlangentanz.

Bei dem Schlangentanz handelt es sich um ein über mehrere Tage hinweg vollzogenes Ritual, das bei Warburg grundlegend für seine Sicht auf die Verbindung zwischen Kunst und Religion wurde.

230 Gombrich 1992, 296. 231 Gombrich 1992, 295. 232 Raulff 1988, 125. 233 Gombrich 1992, 118. 75

Als Warburg nach Europa zurückgekehrt war, übergab er die mitgebrachten Objekte sowie Kinderzeichnungen dem Hamburger Völkerkundemuseum und hielt Lichtbildervorträge. Seine Dokumentation über das Schlangenritual jedoch blieb über viele Jahre unbearbeitet.

Erst nach seiner psychischen Erkrankung beschäftigte er sich in Kreuzlingen wieder mit dem Material und hielt am 21. April 1923 in der Heilanstalt Bellevue seinen heute berühmten Vortrag über den Schlangentanz. Sein Vortrag war hinterlegt mit von ihm selbst erstellten Fotografien, hatte er doch während seiner Reise eine umfassende Dokumentation über die Siedlungen und Häuser der Pueblo-Indianer, die Menschen und ihre Kleidung, Alltagsbräuche und Rituale angefertigt.

Die Pueblo-Indianer oder die Pueblo-Kultur bezeichnet nordamerikanische Indianer- Völker, die in sogenannten „Pueblos“ (spanisch: „Dorf“), also Siedlungsformen leben. Dieser Kulturform gehören unteranderem die Hopi, früher auch als „Moki“ bezeichnet, im nordöstlichen Arizona an. Walpi und Oraibi sind zwei Dörfer, in denen die Hopi- Indianer leben.

Bei Warburgs Reise zu den Indianern wurde er selbst Zeuge des rituellen Tanzes der Einwohner mit Tiermasken. Im Tanz verwandelte sich der Mensch in ein Tier, indem er eine Tiermaske trug, was Warburg als Akt des Selbstverlustes an ein fremdes Wesen charakterisierte.234

In seinem Vortrag schreibt er:

„Ich will zufrieden sein, wenn Ihnen diese Bilder aus dem täglichen und festlichen Leben der Pueblo-Indianer gezeigt haben, daß ihre Maskentänze keine Spielerei sind, sondern die primäre heidnische Form der Beantwortung der großen quälenden Frage nach dem Warum der Dinge …“.235

Die Indianer wurden in Warburgs Denken zum Verbindungsstück zwischen fantastischer Magie, Logos und Zivilisation. Am Grenzweg zwischen Rationalität und Irrationalität sah Warburg sich selbst während seiner Krise und der Gegensatz zwischen den beiden Polen seines Daseins schien ihm innerhalb seiner Welt unvereinbar. Die Hopi hingegen befanden sich ständig in diesem Übergangsstadium und ihre Beziehung

234 Warburg 1988, 26f. 235 Warburg 1988, 54. 76

zu ihrer Umwelt war davon geprägt. Der Schlangentanz ermöglichte ihnen in dieser Hinsicht ein befreiendes Erlebnis. 236

Der Zaubertanz oder Schlangentanz ist eine Zeremonie der Warburg zu seinem eigenen Bedauern nie bewohnen konnte.

Im Zaubertanz der Indianer wird laut Warburg die höchste Steigerung eines magischen Annäherungsversuchs an die Natur über die Tierwelt gesucht – im dem sogenannten Schlangentanz in Oraibi und Walpi mit lebenden Schlangen, dem Warburg selbst nie beiwohnen konnte, wird dies sublimiert. 237

Das Symbol der Schlange interpretierte Warburg in diesem Zusammenhang folgendermaßen:

„Sie kann hineinschlüpfen in die Erde und wieder herauskommen. Die Rückkehr aus der Erde, wo die Toten ruhen, macht sie – verbunden mit der Fähigkeit zur Erneuerung der Hülle – zum natürlichsten Symbol der Unsterblichkeit und der Wiedergeburt aus Krankheit und Todesnot.“ 238

Die Schlange wurde für Warburg zum Symbol dafür, „was der Mensch äußerlich und innerlich an dämonischen Naturkräften zu überwinden hat“.239

Dieses Ritual wird üblicherweise im August abgehalten und bittet die Gottheit um Regen und eine gute Ernte. Der Ritus ist gewaltlos und bedient sich des Tieres, in diesem Fall der Klapperschlange, die Tänzer verwandeln sich hier aber nicht in das Tier.240 Die Schlange ist hier kein Opfer, sondern ein Botschafter, was Warburg auf die kosmologische Abstammungssage zurückführt. Am Höhepunkt des Rituals wird die Schlange auf ein am Boden in den Sand gezeichnetes Bild geworfen, die Zeichnung wird zerstört und die Schlange verbindet sich mit der Zeichnung im Sand. Durch diesen magischen Wurf soll die Schlange als Blitzerreger oder Wassererzeuger wirken. 241 Das Bild am Boden verschwindet und ein neues entsteht. Die Schlange übernimmt die Spuren des Bildes als direkten Abdruck auf ihre Haut. In dieser Darstellung findet Warburg erneut die Gegensatzpaare Bewegung und Erstarrung, was auf seine Konzeption des energetischen Bildes verweist.

236 Warburg 1988, 10ff. 237 Warburg 1988, 40. 238 Warburg 1988, 48. 239 Warburg 1988, 57. 240 Warburg 1988, 40f. 241 Warburg 1988, 42. 77

In der Mythologie, so Warburg, wird für die Fassbarkeit rätselhafter Geschehnisse ein mit dämonischer Kraft ausgestattetes Wesen eingesetzt, „wo rastloses Menschenleid nach Erlösung sucht, ist die Schlange als erklärende bildhafte Ursache in der Nähe zu finden“.242 Er sah im Mythos die Ursache von Ängsten und ihre Rationalisierung. 243 Und in der Angst erkannte er die Ursache für das „Außerkraftsetzen des Denkens“. 244

Das Symbol sah Warburg als ihre Orientierungshilfe im Verhältnis von Magie und Logos.

Für Warburg wurde die Kultur immer mehr zum Medium des Ausgleichs zwischen Vernunft und Unvernunft. Unvernunft bedeutete für ihn Aberglauben und Magie und seine Aufgabe sah er in der Befreiung der Ratio vom Irrationalen. 245

Warburg verglich in seinem Vortrag die Bräuche der Hopi mit den kultischen Handlungen im Griechenland vor 2000 Jahren und kam zu dem Schluss, dass die „Erlösung vom blutigen Opfer […] als innerstes Reinigungsideal die religiöse Entwicklungsgeschichte vom Orient zum Okzident“ durchziehe. 246 In der Kirche in Kreuzlingen, an der Decke der Ölbergkapelle entdeckte Warburg das Symbol der Schlange wieder. Er interpretierte die Schlange alttestamentarisch als Geist des Bösen und der Verführung, als satanische Macht. Schließlich kommt er auf die antiken Darstellungen der Schlange, einerseits Laokoon, dessen Kampf mit der Schlange das höchste Menschenleid symbolisiert, und andererseits Asklepios, der Gott der Heilkunst, der die positiven Kräfte der Schlange mobilisiert.247

Warburg ist überzeugt, dass der Fund der Statue des Laokoon in dem kulturellen Wandel der damaligen Zeit begründet lag. Für Warburg verkörpert Laokoon den Wunsch nach dramatischer Darstellung der Bewegung, innerlich und äußerlich. 248

In der 1988 von Ulrich Raulff herausgegebenen Veröffentlichung von Warburgs Vortrag über den Schlangentanz findet sich im Anhang ein Brief Warburgs an Fritz Saxl, in dem er zu seinen Ausführungen Stellung bezieht. Als formlos, philologisch

242 Warburg 1988, 55. 243 Cerbe-Farajian 2001, 178. 244 Raulff 1988, 128. 245 Raulff 1988, 127. 246 Warburg 1988, 44. 247 Warburg 1988, 45f. 248 Sierek 2007, 83. 78

schlecht fundiert und von fragwürdigem Wert sieht er selbst seine Ausarbeitung und wünschte, dass nichts von diesem „Zeug“ gedruckt werde:

„Gezeigt werden darf diese gräuliche Zuckung eines enthaupteten Forschers nur meiner lieben Frau, mit Auswahl Dr. Embden und meinem Bruder Max, und Professor Cassirer.“ 249

Mit diesem Vortrag kann Warburg zeigen, dass trotz jeglicher Bemühung in Bezug auf die Aufklärung des menschlichen Wesens, das Rationale immer wieder durch das Irrationale und im engeren Sinne, die Vernunft durch die Angst des Menschen immer wieder gefährdet ist. 250

Max Raphael: Steinzeit und Höhlenmalerei

Der Bezug zu ursprünglicher Kunst wird auch im Werk Raphaels aufgegriffen. Raphael sah die Kunstwissenschaft als empirische Wissenschaft, weil sie die Kunstwerke aller Zeiten und Völker umfasste. Indem er sich mit der prähistorischen Höhlenmalerei und der neolithischen Töpferei Ägyptens beschäftigte, fand er am Beginn der Kulturschöpfung die Bestätigung, dass seine beschreibende Methode auch hier funktionierte. Außerdem konnte er dem von ihm kritisierten Zwang der Abhängigkeit von anderen Büchern, anstatt der Erforschung an den Originalen, entgehen.251

Raphael entdeckte auch Parallelen zwischen seinen neuen Forschungsgebieten und der Moderne, die ihn möglicherweise durch ihr Interesse an „primitiven“ Kulturen auch dazu angeregt hatte, sich gerade der vorzeitlichen Kunst zu widmen:

„Solche höchsten Energieladungen zeigen z. B. die altsteinzeitlichen Höhlenmalerei und die ägyptische Skulptur in ihren besten Werken – in beiden Fällen hatten sie einen objektiven, überpersönlichen Charakter, während sie bei Picasso in persönlichen Emotionen wurzeln. […] Ist eine solche höchste Energieladung erreicht, so kann man entweder versuchen, sie dauernd festzuhalten, sei es durch die Daseinssteigerung des Gegenstandes (Altsteinzeit), durch die magische Aktion des Dargestellten gegen das Unendliche (Ägypten), sei es durch den Glauben der Gruppe an die magischen Zeichen (Neolithikum); oder aber man kann die gesammelte Ladung mit der größten Kraft explodieren lassen und zerstören, wie es Picasso in Guernica tut.“ 252

249 Warburg 1988, 60. 250 Michels 2007, 52. 251 Drewes 1993, 197ff. 252 Raphael 1989 Kunstwerk, 287f. 79

Die Veröffentlichung seiner Arbeiten zur vorgeschichtlichen künstlerischen Gestaltung stellte sich allerdings als problematisch heraus. Es ergaben sich vor allem aufgrund der Übersetzung Konflikte mit dem Verlag. Raphael kritisierte, dass sein Stil bei der Übersetzung verloren ginge. 253

Raphael beachtete in Bezug auf die Höhlenmalerei die gesamte Raumgestaltung, wobei er auch Vergleiche zwischen unterschiedlichen Höhlenbildern zog. So hob er beispielsweise hervor, dass der Goldene Schnitt fast immer gewahrt bliebe.

Am Ende seines Lebens befasste sich Raphael außerdem mit der Altsteinzeit. Die Publikation Wiedergeburtsmagie in der Altsteinzeit wurde zu Raphaels bekanntestem Werk im deutschsprachigen Raum. Basismaterial seiner Untersuchungen waren die Befunde des Prähistorikers Henri Breuil, der seine Zeichnungen nach Höhlenmalereien frei gruppiert hatte. 254 So beruhten Raphaels Interpretationen der Bilder zum Teil auf den Bildern im Buch Breuils. Aber er war einer der Ersten, der in der Forschung zur prähistorischen Kunst die Isolierung von Bildteilen kritisierte. 255 Aufgrund des Krieges konnte Raphael seine Forschungen nicht vor Ort überprüfen. Er widmete viele Lebensjahre dieser Arbeit und machte noch Skriptrevisionen kurz vor seinem Tod.

An der Höhlenmalerei dürfte Raphael vor allem fasziniert haben, dass er eine Verbindung über die Zeit hinweg bemerkte. 256 In der Auseinandersetzung mit der Höhlenmalerei erkannte Raphael den Moment der Befreiung von der Strenge. Seine Argumentation zielte meist auf polemische Angriffen gegen Autoritäten, die sich auf dem Gebiet der Vorgeschichte etabliert hatten. Raphael argumentierte, indem er sich auf spätere Kulturen bezog.

Raphael deutete künstlerische Symbole und Zeichen und verknüpfte sie mit dem Wiedergeburtsgedanken, so zum Beispiel über das Zeichen X.

„Es setzt sich zusammen aus /\ Mann (Phallus), Tod (Speerspitze), Erde und aus \/ Weib (Geschlechtsglied), Gebären (Leben), Himmel und demzufolge bedeutet X im Neolithikum Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Weib wie zwischen Himmel und Erde, d.h. Wiedergeburt des Menschen wie der Natur.“ 257

253 Drewes 1993, 221f. 254 Biedermann 1989, 193. 255 Raphael 1979, 9f. 256 Raphael 1979, 13f. 257 Raphael 1979, 141. 80

Wie Warburg, so suchte auch Raphael in kulturellen Äußerungen anderer, „primitiverer“ Kulturen einen Gegenpart und gleichzeitig Parallelen zu seiner eigenen Kultur, um dem allgemein Menschlichen näher zu rücken und die eigenen konfliktgeladene Situation besser beherrschen zu können.

Zusammenfassung: Selbstfindung im Fremden

Raphael und Warburg griffen in ihrer Beschäftigung mit den ursprünglichen Kulturen auf Zeiten zurück, in denen Kunst erst im Entstehen begriffen war.

Warburg wollte den Ästhetizismus seiner Zeit hinter sich lassen und zurück zu den Wurzeln der Kunst. Diese Suche verwob sich mit seiner persönlichen psychischen Situation und er fand über den anderen Zugriff auf das Irrationale, den er in der Kultur der Hopi-Indianer erkannte, für sich persönlich einen Weg, das Irrationale in den Griff zu bekommen und seine Krise zu überwinden.

Auch für Raphael stellte die Beschäftigung mit Höhlenmalerei und prähistorischer Kultur einen Rettungsanker in einer krisengeschüttelten Zeit dar.

Die Rückbesinnung auf die Urformen künstlerischer Gestaltung diente bei diesen beiden Forschern auch einer Rückbesinnung auf das eigene Ich, einem Versuch der Selbstfindung, wie dies auch schon in Bezug auf die Renaissance dargestellt wurde.

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9. ZUSAMMENFASSUNG

„Aus den Lebensgeschichten der großen Kunsthistoriker ist man versucht, die Lehre zu ziehen, daß als Vorbereitung für den Kunstgeschichtsschreiber im Grunde jedes ernsthafte Studium gut ist, nur nicht das der Kunstgeschichte!“ 258

Eine Krise oder ein Konflikt entsteht nach Klaus F. Riegels durch die Störung der Synchronie. Meist scheint uns eine Krise als negatives Ereignis, jedoch kann eine Krise auch immer auch eine Erneuerung bedeuten, sofern man sich konstruktiv damit auseinandersetzt. 259

Die Betrachtung der Kunst erfordert neben der Kunstwissenschaft selbst die Integration anderer Wissenschaftszweige. Viele der hier vorgestellten Gelehrten zeigten den Drang nach einer alle Zeiten und Länder umgreifenden Wissenschaft, die die Kunstgeschichte in einen erweiterten Wissenschaftsbegriff aufgehen lässt. Nicht nur Kugler und Strzygowski, auch Warburg und Raphael beanspruchten diese allumfassende Wissenschaft, die den eigenen Forschungsergebnissen erst ihre Gültigkeit verleiht.

Natürlich sollte auch berücksichtigt werden, dass die hier besprochenen Kunsthistoriker in einer Zeit lebten, die gekennzeichnet war durch die Industrialisierung sowie zwei Weltkriege. Neue technische Errungenschaften und veränderte Bildwelten machten eine sich ständig wandelnde Sicht der Dinge notwendig.

Markantes Zeichen der aufkommenden Krise war in erster Linie in der unverständlichen Sprache bemerkbar; das Problem der Transformation von der bildlichen Darstellung in die wörtliche Beschreibung setzte vielen Kunsthistorikern zu. Ganz offensichtlich stellt sich dieses Problem bei Josef Strzygowski, aber auch bei Aby Warburg, Carl Justi und Max Raphael.

Raphael schrieb dazu:

„Das Verhältnis von bildender Kunst und Sprache gehört seit je zu den zentralen Problemen der Kunsttheorie. Ging die ältere Kunsttheorie mit der horazischen Formel ut pictura poesis von der Überlegenheit der Sprache und insbesondere von einer restlosen Substituierbarkeit des Bildes durch das Wort aus, so ist mit der Entstehung der Moderne die Selbstverständlichkeit sprachlicher ‚Übersetzung‘ von Bilderscheinungen auf das nachdrücklichste problematisiert.“ 260

258 Waetzoldt 1924, 243 259 Prange 2007, 334. 260 Raphael 1989 Kunstwerk, 381. 82

Aus der sprachlichen „Entfernung“ entwickelte sich allmählich ein „nachlässiger“ Umgang mit Wissenschaft. Kunstwerke konnten falsch datiert werden oder willkürlich Künstlern und Regionen zugeordnet. Vor allem bei Strzygowski wird eindeutig, dass er zwanghaft versuchte, seine Vorstellungen auf die Kunstwerke zu projizieren.

Eine Auseinandersetzung mit der erkannten Problematik führte beispielsweise bei Warburg und bei Raphael schließlich zur Beschäftigung mit Themen, die den ursprünglichen Menschen in den Mittelpunkt des Interesses stellten. Schon Hegel erkannte in dem „subjektiven Geist“ den Gegenstandsbereich der Anthropologie. Dort sah er die Seele in Beziehung zu natürlichen, ethnischen und nationalen Eigenarten. 261 Warburgs Auseinandersetzung mit Mythen half ihm bei seiner Selbstheilung – hinterließ aber auch ihre Spuren. Raphael schützte sie nicht vor dem Selbstmord.

„Die Kunstgeschichte als Schlüssel zu vergangenen Kulturen“ zu betrachten, war gemäß Gombrich eine Tradition, die auch Warburg pflegte. 262 Warburg erkannte in seinen letzten Lebensjahren das wachsende Unbehagen unter Kunsthistorikern, und er war überzeugt, dass, wenn das Fach seinen Zugang zum Kunstwerk inhaltlich erweitern und in der Betrachtungsweise detaillierter und vielfältiger würde, dann würde das Interesse an der Kunstgeschichte wieder zunehmen. 263 Jeder Literatur- und Kunsthistoriker sollte die Grenze der akademischen Fächer überschreiten und sich mit dem Wesen der Reaktionen in Sprache und Kunst befassen, die Warburg als Richtlinie des primitiven Menschen ansah, was in Religion, Wissenschaft und Philosophie vorhanden ist. 264

In Aby Warburgs Seminaren von 1927/28 verglich er Burckhardt und Nietzsche und verarbeitete so auch seinen eigenen Zusammenbruch. Als „Auffänger“ „mnemischer Wellen“ sah Warburg die beiden Gelehrten, als „empfindliche Seismographen“. Wobei jedoch Burckhardt sein Schicksal kontrollieren lernte, Nietzsche hingegen brach unter der „Tragödie des Historikers“ zusammen.

Warburg war überzeugt, dass Burckhardt die Gefahr des Berufes und seinen Zusammenbruch voraussah. Er sah in Burckhardt den Nekromant; der von den

261 Prange 2007, 385. 262 Gombrich 1992, 28. 263 Gombrich 1992, 430. 264 Gombrich 1992, 431. 83

Gestalten, die ihm kamen, „bedroht“ wurde und denen er nur durch sein luchsäugiges Sehertum entrinnen konnte. Ein Aufklärer und „Erleider“ seines Berufes mit dem Wunsch einfach nur Lehrer zu sein. 265

Warburgs eigene Erkenntnis über die „Gefährlichkeit“ seines Berufes, war für ihn ein weiterer Beitrag, um der Frage auf den Grund zu gehen, warum der schöpferische Mensch immer im Konflikt mit einer inneren Unruhe steht.

Und auch Carl Justi schrieb in seiner autobiografischen Studie von 1854 über seine Verschlossenheit gegenüber anderer Menschen und der „Verteilung der seelisch- sinnlichen Gewichte“ im Charakter des Kunsthistorikers, dass diese im Vergleich zu anderen Wissenschaftlern unfreundlich mache. 266

Das Fach Kunstgeschichte selbst deckt ein breites Spektrum an Gebieten von der Malerei zur Plastik, über die Architektur und zum Kunstgewerbe ab. Eine wissenschaftlich fundierte Beurteilung setzt hierbei auch Kenntnisse über Techniken und Methoden voraus. Schon Hans Belting und Wolfgang Kemp sahen in der Gegenstandsdeutung das Interessante; es ist Aufgabe des Kunsthistorikers, die Idee hinter dem Werk wiederzuentdecken und das hervorzuheben, was der Künstler mit seiner Arbeit vermitteln wollte. 267

Vielleicht ist es diese Abhängigkeit des Kunstgelehrten von dem Objekt Kunst, dass in einer modernen Lebenswelt auf wackligem Boden steht. Harald Justins schreibt in seinem Aufsatz Die Sphinxfrage des Schöpferischen , dass derjenige, der „die Geschichte der Kunst verstehen will, der lerne die Kunsthistoriker zu verstehen“.268

Denn jede wissenschaftliche Auseinandersetzung ist verknüpft mit dem Inneren des Gelehrten. So wird der Rezipient eines Kunstwerks auch stets eigenen inneren Anteil nehmen, denn, wie schon Gombrich feststellte, „kein ernst zu nehmender Historiker wird sich sein Leben lang mit all seiner Energie einer Sache widmen, an der er, ob bewußt oder unbewußt, keinen inneren Anteil nimmt“.269 Sowohl die Produktion, als

265 Gombrich 1992, 344f. 266 Waetzoldt 1924, 247ff. 267 Belting/Kemp 2008, 155. 268 Justin 1989, 31. 269 Gombrich 1992, 408. 84

auch die Rezeption von Kunst sind verknüpft mit persönlichen Erfahrungen, auf dieser Basis fügt sich das Werk wieder in die historische Entwicklung ein. 270

270 Prange 2007, 10. 85

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Abb. aus: Wikipedia (englisch), http://en.wikipedia.org/wiki/Josef_Strzygowski , Rev. 9.3.2014

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Wilhelm Vöge :

Abb. aus: Schlink 2004, 9

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