Brahms & Gernsheim
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Brahms & Gernsheim Piano Quartets Vol. 1 Mariani Klavierquartett Philipp Bohnen – violin Barbara Buntrock – viola Peter-Philipp Staemmler – cello Gerhard Vielhaber – piano Johannes Brahms (1833–1897) Piano Quartet in G Minor, Op. 25 1 Allegro 13:32 2 Intermezzo. Allegro (ma non troppo) 07:24 3 Andante con moto 09:23 4 Rondo alla Zingarese. Presto 08:29 Friedrich Gernsheim (1839–1916) Piano Quartet in C Minor, Op. 20 5 Allegro molto moderato 09:44 6 Adagio cantabile 07:10 7 Rondo. Allegro 05:58 4 Deutsch Liebe Freundinnen und Freunde der Kammermusik, als wir vier Mitglieder vom Mariani Klavierquartett uns im Januar 2020 im Aufnahmestudio des SWR in Stuttgart trafen, um diese faszinierende Reise in die Welt der Klavierquartette von Johannes Brahms und Friedrich Gernsheim zu beginnen, ahnten wir noch nicht, dass sich binnen einiger Wochen unser aller Leben und unsere Kulturwelt so drastisch ändern würden. Dass wir ausgerechnet im Jahr der Kontaktbeschränkungen, des Abstands, des „Social Distancing“ damit beginnen würden, eine Freundschaft zwischen zwei Komponisten näher zu beleuchten, fühlte sich wie ein bitterer Zufall an. Bitter, weil Freundschaften generell schwer zu pflegen sind in einer Zeit, in der man sich nicht sehen darf und in der man anfangs gar nicht und später nur unter schwierigen Bedingungen gemeinsam musizieren konnte. Vorausschauend auf dieses lang angelegte Projekt, alle Klavierquartette von Johannes Brahms und Friedrich Gernsheim aufzunehmen, waren wir Anfang Januar 2020 voller Tatendrang und neugieriger Vorfreude, was die Musik dieser beiden Komponisten uns wohl über gegenseitige Inspirationen und über ihre Freundschaft verraten würde. Als dann klar war, dass wir unsere Veröffentlichung um ein Jahr nach hinten schieben mussten, warteten unsere verschiedenen bereits eingespielten Takes einsam und lange auf einer Festplatte bei unserer Tonmeisterin Marie-Josefin Melchior und wurden immer mal wieder von uns allen bearbeitet, um dann wieder liegen gelassen zu werden. Jede neue Nachricht von erneuten Verlängerungen der Kontaktbeschränkungen ließ uns ein bisschen ohnmächtiger zurück. Andererseits haben wir wahrscheinlich noch nie über die Bedeutung von menschlicher Nähe so viel nachgedacht wie im Jahr 2020. Dass man sich dann ausgerechnet in einem solchen Jahr einer heute fast vergessenen Freundschaft widmen EINFÜHRUNG – Deutsch 6 darf, hatte also auch positive Seiten. Positiv deswegen, weil wir lernen und erfahren konnten, dass menschliche Beziehungen in jeder Zeit den Regeln ihrer Umstände folgen mussten. Wenn sich die Herren Brahms und Gernsheim gegenseitig Briefe schrieben, so warteten sie mitunter mehrere Wochen auf eine Antwort. Nicht nur, weil sich beide selber als schreibfaul bezeichneten, sondern auch, weil es seine Zeit dauerte, bis Briefe zwischen Wien und Köln zugestellt werden konnten. Johannes Brahms begegnete Friedrich Gernsheim zum ersten Mal im Jahr 1862 beim Kölner Musikfest. Einige Zeit später, im Jahr 1868, hatten beide Komponisten die Möglichkeit, einander besser kennenzulernen: Brahms verbrachte jenen Sommer in Bonn und Gernsheim war zu dieser Zeit Lehrer am Konservatorium in Köln und Dirigent verschiedener Chorvereine. Da die geographische Nähe nun auch des Öfteren den persönlichen Austausch erlaubte, war es für beide Komponisten Anlass, sich gegenseitig zu besuchen, um über ihre neuesten Werke zu diskutieren. So lernte Gernsheim im Sommer 1868 das Deutsche Requiem von Brahms kennen. Dieses Werk sollte zu einem wichtigen Bestandteil der Freundschaft der beiden, zu Lebzeiten gleichermaßen geschätzten Komponisten werden. So war es Gernsheim, der es als Dirigent immer wieder zur Aufführung brachte. Im November 1870 schreibt Brahms schließlich einen Dankesbrief an Gernsheim. Er fragt nach einem Andenken in Form eines Programms und bittet ihn, allen Mitwirkenden in seinem Namen dafür zu danken, dass sie sich „mit dem schweren Werk so viel Mühe“ gegeben haben. Außerdem fügt Brahms hinzu: „Da haben Sie nun natürlich an Sich die längste Rede zu halten! Denn Ihnen verdanke ich ja vor Allem, dass die Aufführung entschieden besser und zweifelsohner war als es leider das Werk selbst ist.“ Als frisch formiertes, festes Klavierquartett, gehörten die Werke von Johannes Brahms natürlich von Anfang an zu unserem Repertoire. So oft es ging integrierten wir diese Meisterwerke unserer Gattung in Konzertprogramme, lernten jedes Mal auf der EINFÜHRUNG – Deutsch 7 Bühne mehr über das jeweilige Werk und kamen bald an den Punkt, an dem wir sagten: Wir wollen diese drei Meilensteine der Kammermusikliteratur unseres mittlerweile guten Freundes Johannes Brahms unbedingt aufnehmen. Aber die Frage war natürlich in welcher Form, wann und auch: Warum? Nur, um sich mit diesen Werken einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren, reichte uns als Argument nicht. Wir wollten versuchen, diesen auch bei Kammermusikfestivals so oft gespielten Stücken neue Facetten mit auf den Weg zu geben und suchten nicht nur in der Partitur nach neuen Anhaltspunkten, sondern eben auch in Brahms’ Leben und in seinem Umfeld nach Inspiration. Schon bald stießen wir bei dieser Suche auf den Komponisten Friedrich Gernsheim. 1839 in Worms geboren, wuchs er in einer Welt voller Musik heran. Als Schüler und junger Mann sollte es ihn nicht nur nach Mainz und Frankfurt führen, sondern gar nach Paris, wo er unter anderem Édouard Lalo und Camille Saint-Saëns kennen und schätzen lernte. Friedrich Gernsheim war aber nicht nur Komponist, sondern wie anfangs schon erwähnt, auch Dirigent und Pianist – und er wurde von der Musikwelt insgesamt, besonders jedoch von Johannes Brahms, sehr geschätzt. Den Jahreswechsel 1870/71 verbrachte Gernsheim in Wien, weil er eingeladen war, dort mit den Philharmonikern sein Klavierkonzert in c-Moll zu spielen. Brahms sorgte dafür, dass Gernsheim in Wien herzlich empfangen wurde. Er kümmerte sich persönlich um ein passendes Hotelzimmer im „Kronprinzen an der Aspernbrücke“ und ebenso um das Instrument: „Wie ist’s denn mit dem Klavier? Auch dies könnte ich Ihnen bestellen, wenn ich wüßte, ob Sie Streicher oder Bösendorfer kennen und Einem den Vorzug geben. Fr. Schumann, Hiller und meine Wenigkeit spielen Streicher.“ Für uns vier war die Musik von Friedrich Gernsheim eine wunderbare Entdeckung. In herrlich romantischem Stil komponiert, verbindet sie lange Phrasen mit wohl durchdachtem Kontrapunkt und schwelgt sinnlich in schönsten Melodien, EINFÜHRUNG – Deutsch 8 wie beispielsweise im zweiten Satz des c-Moll-Quartetts, op. 20. Im letzten Satz des gleichen Werkes hören wir die erfrischende Laune eines Rondos, welches aber nie oberflächlich wird, sondern durch seine kluge Instrumentierung immer eine gute Balance zwischen Frische und Tiefe wahrt. Durch eine sehr klare Instrumentierung schafft es Gernsheim, den Zuhörer immer wunderbar, meist der Hauptstimme lauschend, mitzunehmen. Johannes Brahms begann sein hier präsentiertes erstes Klavierquartett in g-Moll op. 25 in den 1850er Jahren. Fertig wurde es 1861. Gleich ein Jahr später, im November 1862, wählte Brahms unter anderem dieses Werk aus, um als Pianist und Komponist in Wien zu debütieren. Dieses Quartett ist in vielerlei Hinsicht besonders. Der erste Satz beginnt mit einer im Klavier vorgestellten Melodie, die hoffnungsvoll, aber dennoch dramatisch wie ein kleiner, viertaktiger Prolog klingt. Wenn im fünften Takt dann das Cello dasselbe Thema aufgreift, scheint das Drama unaufhaltsam seinen Lauf zu nehmen. Zuhörer und Musiker werden gleichermaßen von diesen Anfangstakten in den Bann gezogen und in musikalische Dimensionen hineingesogen, die vielleicht nur Brahms zu komponieren vermochte. Das Intermezzo, der zweite Satz, ist ein unaufhaltsames Suchen. Untermalt vom Perpetuum mobile durchgehender Achtel im Violoncello entwickelt sich ein Dialog zwischen Violine und Viola auf der einen und dem Klavier auf der anderen Seite. Es erscheint wie eine Diskussion darüber, welchen Weg man denn nun einschlagen wolle und lässt somit den Eindruck des Zeit- und Rastlosen entstehen. Der dritte Satz ist ein wundervolles „Andante con moto“, in dem sich alle vier Musiker gemeinsam den langen, wundervollen Phrasen von Brahms mit endlosem Atem hingeben. Gerade das erste Thema dieses Satzes klingt gleichzeitig wie ein weiser Rückblick, wie im Moment wahrhaftig erlebter Schmerz und dann wieder wie erst vorsichtige, dann überschwängliche Hoffnung. EINFÜHRUNG – Deutsch 9 Besonders hervorzuheben ist der Mittelteil dieses Andante: Er klingt wie eine Siegesfanfare einer Militärkapelle. Einem langen Aufbau im pianissimo folgt ein fulminantes fortissimo mit eigentlich der gleichen Musik – so als wäre dieser Siegeszug der Armee erst weit weg und schließlich aber ganz nah und greifbar. Doch dieser Siegeszug endet abrupt – und Brahms versteht es, binnen sechs Takten durch bezaubernd überleitende Motive in Viola und Klavier wieder an den romantisch emotionalen Andante-Anfang anzuknüpfen. Der letzte Satz ist sicherlich der bekannteste dieses Werkes und vielleicht sogar der berühmteste Satz der Gattung Klavierquartett. Das Rondo alla Zingarese wusste damals wie heute seine Zuhörer in den Bann zu ziehen. Durch seine ungarische kraftvolle Rhythmik, seine atemberaubende Virtuosität, seine unermüdliche Energie und seinen fulminanten Schluss mit einem mitreißenden Stretto bis hin zum Molto Presto versteht es dieser Satz immer wieder aufs Neue zu begeistern und Feuer zu entfachen. Für unsere Interpretation der hier eingespielten Werke war es uns wichtig, die Musik von Gernsheim nicht zu pauschal mit der Musik von