SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

- eine musikalische Begegnung“ (1-5) V. „...da ich in voller Arbeit sitze“ - Musikdirektor in

Mit Antonie von Schönfeld

Sendung: 23. Juni 2017 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2017

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SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld 19. Juni – 23. Juni 2017 „Georg Philipp Telemann - eine musikalische Begegnung“ (1-5) V. „...da ich in voller Arbeit sitze“ - Musikdirektor in Hamburg

Signet und zu diesem letzten Abschnitt unserer Lebensreise mit diesem vielseitigen Barockkomponisten, dessen Todestag sich am kommenden Sonntag zum 250. Mal jährt, begrüßt Sie - AvS

Im Herbst des Jahres 1721 tritt Georg Philipp Telemann in Hamburg seine Stelle als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen und Kantor am Johanneum an. Als er einige Jahre später, 1728, den ersten Teil des „Getreuen Music-Meisters“ herausgibt, eine Sammlung von Instrumentalwerken, kennt er die Stadt also bereits - und weiß sie zu schätzen.

Im Vorwort schreibt er über seinen Standort Hamburg, dass er sich „... an einem Orte befinde, wo die Music gleichsam ihr Vaterland zu haben scheint/ wo die ansehnlichsten Personen die Ton=Kunst ihrer Aufmerksamkeit würdigen (...) und wo so mancher geschickter Lehrling/der Music die Hoffnung machet, daß sie hier beständig wohnen werde(...)“

Ein Kompliment an Hamburg - Telemann ist wirklich angekommen und hier bleibt er für den Rest seines Lebens, 46 produktive Jahre lang.

- Wir sind also in Hamburg, und in Hamburg gibt es viel Wasser und am Wasser gibt es Wind - da stürmt dann auch schon mal „Aeolus“, der griechische Gott der Winde:

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______Musik 1 Georg Philipp Telemann 2´05 <7> 7.Satz : „Der stürmende Aeolus“ aus: „Ouvertüre C-dur - Hamburger Ebb und Flut“ TWV 55:C3 Musica Antiqua Köln Ltg. Reinhard Goebel ARCHIV 413788-9, LC 0113 ______

Kein Zweifel, Hamburg ist ein guter Standort für Telemann, er ist gerade vierzig als er 1721 in die Hansestadt kommt und hier wird er seine zweite Lebenshälfte verbringen, bis zu seinem Tod 1767. Wieder ist es ein Wechsel ohne Not: Frankfurt ist sehr zufrieden mit Telemann als Städtischem Musikdirektor und will ihn halten. Als der Hamburger Stadtrat an den Frankfurter herantritt mit der Bitte, Telemann aus Frankfurter Diensten zu entlassen, da versichert der Musiker seinen hessischen Dienstherren zunächst einmal, dass er nicht von sich aus aktiv geworden sei und den Kontakt mit Hamburg nicht gesucht habe.

Vermutlich sind es zwei wichtige Hamburger Bürger, die seinen Namen ins Spiel gebracht haben, als die Nachfolge des verstorbenen Musikdirektors Gerstenbüttel geregelt werden soll, und zwar Pastor Erdmann Neumeister und Senator Barthold Hinrich Brockes. Unter Gerstenbüttel hat das Musikleben der Hansestadt ziemlich brachgelegen, jetzt wollen die Hamburger dieses renommierte Amt unbedingt wieder jemandem in die Hände legen, der einen internationalen Ruf genießt - einen wie Georg Philipp Telemann.

Dieser Amtswechsel erinnert von Ferne an die Ablösung heutzutage von hochdotierten Fußballern zwischen zwei Clubs, hier ist es ein Musiker, um den man sich bemüht, und nach der gelungenen Übernahme malt der in Hamburg dann auch bald die dortigen Besonderheiten in Musik - ‚hanseatisches Lokalkolorit für Orchester’:

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Das Publikum wird sicherlich sofort die herannahenden Wellen in der Ouvertüren- Suite „Hamburger Ebb und Flut“ erkannt haben und den derben Gesang von Bootsleuten, den kennt man auch im hohen Norden:

______Musik 2 Georg Philipp Telemann ca. 2´25 <7> 9.Satz: „Gigue. Ebbe und Flut“ 10.Satz: „Canarie. Die lustigen Bootsleute“ aus: „Ouvertüre C-dur - Hamburger Ebb und Flut“ TWV 55:C3 Musica Antiqua Köln Ltg. Reinhard Goebel ARCHIV 413788-9, LC 0113 ______

„Ebbe und Flut“ und „Die lustigen Bootsleute“ - Musica Antiqua Köln mit den letzten beiden Sätzen aus der Ouvertüren-Suite „Hamburger Ebb und Flut“ von Georg Philipp Telemann. Die Aufnahme stammt übrigens von 1984, in meinen Ohren hat bis heute nichts eingebüßt von ihrer Frische und sicheren Phrasierungskunst und zählt immer noch zu den besten. Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel gehört zu den ersten Ensembles, die sich auf hohem Niveau für den lange unterschätzten Komponisten Telemann eingesetzt haben.

Der Möglichkeit, in Musik zu malen, kann Telemann kaum je widerstehen, Bewegungen, Stimmungen, Gefühle sind für ihn immer eine Einladung, sie darzustellen und musikalisch umzusetzen. - Musikhistoriker haben ihm das später gerne als oberflächlich vorgeworfen, der Schriftsteller und Journalist Eckard Kleßmann setzt treffend dagegen, dass Telemann ein ‚Meister der Oberfläche’ sei, dass das in Deutschland jedoch gerne verwechselt wird mit ‚Oberflächlichkeit’.

Der spielerische Umgang dieses Könners mit der barocken Musiksprache, mit Ton- und Satzlehre seiner Zeit und immer wieder dem bewussten Verlassen dieser

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Regeln, - all das erschließt sich einem häufig erst, wenn man sich Telemanns Partituren vornimmt und die Stücke selbst einstudiert: Da gibt es manche rhythmische Struktur, manche Phrasen-Verschiebung und harmonische Abwandlung, bei der man zwei mal hinschauen oder -hören muss, um sie zu begreifen. Und doch steht bei diesem Komponisten selten das rein Intellektuelle im Vordergrund - Telemann will anrühren, unterhalten und anregen. Ein „Meister der Oberfläche“, die der Hörer versteht - und ein Meister des Inhalts, des Gehalts - und der lohnt den zweiten Blick.

Wenn ihm übrigens im Frankfurter Musikleben ein Genre gefehlt haben mag, dann ist das die Oper und die kann Hamburg ihm bieten. -Vielleicht sind die Hamburger Ratsherren im Februar 1721 in die Oper am Gänsemarkt gegangen und haben die Uraufführung von Telemanns „Der geduldige Sokrates“ erlebt und sich an diesem Abend letztlich von seiner Kunst überzeugen lassen.

Ein paar Jahre später feiert Telemann mit der Oper „“ große Erfolge in Hamburg. Sie erzählt von der Liebe von einer Kaisertochter zu einem Schreiber, also von einer Mesalliance. In der Arie der Hildegard „Meine Tränen werden Wellen“ hören wir beides: Die Bewegung von Wellen und den Ausdruck von Schmerz in der Musik. Das zentrale Motiv in dieser Arie ist die chromatische Abwärtsbewegung, die durch die verschiedenen Stimmen des Orchesters läuft und die dann auch die Singstimme aufgreift. - Damalige Hörer verstehen diesen „passus duriusculus“ als musikalische Vokabel aus der Affektenlehre sofort: er steht für Schmerz und Leid - und unter diesen schmerzlichen Tränen lässt Telemann leise die Wellen murmeln:

______Musik 3 Georg Philipp Telemann 6´05 <15> Arie der Hildegard: „Meine Tränen werden Wellen“ aus: „Emma und Eginhard“ (1728) Nuria Rial, Sopran Kammerorchester Basel Sony/dhm 88697922562, LC 0761 ______

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...und bei dem Wort „Hoffnung“ wendet sich die Trauer ins Gegenteil und die Melodie steigt in Halbtonschritten auf. Nuria Rial und das Kammerorchester Basel mit der Arie „Meine Tränen werden Wellen“ aus der Oper „Emma und Eginhardt“ von Georg Philipp Telemann.

Bei einem Blick auf die Stellen- und Ortswechsel, die Telemann im Laufe seines langen Lebens erlebt, fällt auf, dass er fast immer, wenn er weggezogen ist, mit Menschen an seinem früheren Wohnort in Verbindung bleibt: sicherlich mit Freunden, aber auch mit seinen Dienstherren, dieses ‚in-Verbindung-bleiben’ hat auch etwas von einem Geschäftsmodell: In Sorau komponiert Telemann noch für Leipzig, in Eisenach für Sorau, in Frankfurt legt er es gleich so fest, dass er seine Kantaten für Frankfurt und für den Eisenacher Hof schreibt und genauso macht er es jetzt von Hamburg aus: Telemann darf das Frankfurter Bürgerrecht behalten und sichert gleichzeitig dem Frankfurter Stadtrat zu, dass die Stadt seine Kantaten- Jahrgänge ‚immerforth, so lange er lebe’ - den Jahrgang für 50 Reichstaler oder 75 Gulden -kaufen und aufführen könne. Das ist geschickt, Telemann verdient mit den für Eisenach und Frankfurt komponierten Kantaten auch in Hamburg Geld.

Hamburg ist die größte der Freien Reichsstädte und hier ist Telemann jetzt verantwortlich für die Musik an den fünf Hauptkirchen. Eigentlich stand nach der lutherischen Kirchenordnung jeder Hamburger Hauptkirche ein eigener Kantor zu, der war dann zuständig für die Musik - vokal und instrumental - während des Hauptgottesdienstes an den Sonntagen und in den Vespern am Samstag und am Sonntagnachmittag. In Hamburg hat die Stadt zu Telemanns Zeit das Kantorenamt jedoch erweitert - vermutlich aus finanziellen Gründen: Jetzt ist ein Kantor für alle fünf Kirchen zuständig, in der Praxis bedeutet das, dass ein einziger Kantor mit seinen Musikern nacheinander in allen fünf Hauptkirchen für die Musik sorgt, die Kirche also Wochenende für Wochenende wechselt. In den anderen vier Wochen übernimmt dann der jeweilige Organist vor Ort die musikalische Begleitung im Gottesdienst. Der gesamtstädtische Kantor ist darüber hinaus auch noch verantwortlich für den Musikunterricht am Johanneum, einem städtischen Gymnasium, das bis heute existiert. Und Musikunterricht bedeutet damals vor allem die praktische Ausbildung der Schüler. - Das ist heutzutage anders - auch wenn am Johanneum in diesem Sommer viel Telemann aufgeführt wird!

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______Musik 4 Georg Philipp Telemann 2´42 <1> Sinfonia aus: „Sey tausendmal willkommen“ TVWV13:9a Concerto Melante Ltg. u.Vl. Raimar Orlovsky dhm 88985347982, LC 0761 ______

Die einleitende Sinfonia zu Georg Philipp Telemanns Kantate „Sey tausendmal willkommen“ mit dem Concerto Melante. „Melante“ ist das alte Pseudonym von Telemann, gebildet als Anagram aus den Buchstaben seines Nachnamens, das er seit seiner Frankfurter Zeit für einige Jahre verwendet.

Im 18. Jahrhundert steht dem Hamburger Kantor und Kapellmeister für seine Musik ein durchaus großes Barockorchester zur Verfügung: Acht Ratsmusiker mit immer zwei „Expectanten“, also Aushilfen (so genannt, weil ihnen die nächsten frei werdenden Stellen zustanden) dazu zehn Chormusikanten und ein Cembalist. Im Juni 1730 aber ist die Situation anders: Der 200. Jahrestag der Augsburger Konfession wird gefeiert, des grundsätzlichen Bekenntnisses der lutherischen Reichsstände zu ihrem Glauben, - und die Feier findet zeitgleich in allen fünf Hauptkirchen statt. - Telemann muss sich da notgedrungen mit weniger Musikern zufriedengegeben und schreibt die Kantate „Sey tausendmal willkommen“ entsprechend für eine kleinere Besetzung. Die Gesamtzahl der Musiker aber, mit denen Telemann im Vorfeld dieser Feier probt, muss bei über hundert gelegen haben, zu diesem Ereignis werden etliche zusätzliche Musiker engagiert! Seine „Jubel-Musick“, wie sie auch genannt wird, kommt gut an. In der Schlussarie „Frohlocket und jauchzet“ lässt Telemann die Singstimme nach Tönen frohlocken und jauchzende Sprünge vollziehen. Ein Hamburger Zeitgenosse beschreibt die Stimmung des damaligen Tages: „Die Leute liefen hier (...) bei schönem Wetter auf den Wall, und machten ein Jubel Geschrey daselbst, welches biß an den Himmel erthönete.“

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______Musik 5 Georg Philipp Telemann 3´44 <6> Aria: „Frohlocket und jauchzet“ aus: „Sey tausendmal willkommen“ TVWV13:9a Robin Johannsen, Sopran Concerto Melante Ltg. u. Vl. Raimar Orlovsky sony/dhm 88985347982, LC 0761 ______

„Frohlocket und jauchzet“ - Robin Johannsen und das Concerto Melante mit der Schluss-Arie aus der Kantate „Sey tausendmal willkommen“ von Georg Philipp Telemann.

Die Kirchenmusik, die Telemann in Frankfurt und Hamburg für seinen Dienst benötigt, den Großteil der Kantaten schreibt er selbst, Werke von anderen Komponisten führt er nur ausnahmsweise auf. -Das scheint sein Anspruch zu sein und das Schreiben, Komponieren geht Telemann leicht von der Hand und obendrein ist er ungemein fleißig! Telemann vertont immer wieder auch Dichtungen von den beiden Ratsherren, die seine Berufung in Hamburg mit gefördert haben, Texte von Pastor Erdmann Neumeister und von Barthold Hinrich Brockes, - der damals bekanntesten Dichterpersönlichkeit in Hamburg. Vor allem die -Dichtung von Brockes zieht in der Musik weite Kreise: Reinhard Keiser vertont sie, Händel, Telemann, , , Gottfried Heinrich Stölzel und verwendet Teile dieser „Brockes-Passion“, wie sie heute genannt wird, in seiner Johannespassion.

In Hamburg leben und wirken damals viele Dichter und Musiker von Rang und nicht immer ist das ‚Nebeneinander’ ganz einfach: Gerade zwischen Johann Mattheson und Telemann besteht ein besonderes und durchaus ambivalentes Verhältnis. Mattheson ist gebürtiger Hamburger und - wie Telemann - ein hochbegabter und vielseitiger Musiker und dazu er ist ein exzellenter Musikschriftsteller. Seit 1718 wirkt er als Musikdirektor am Hamburger Mariendom, im Amt also das Pendant zu

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Telemann. Mattheson veröffentlicht Abhandlungen, schreibt Musikkritiken und gibt auch Instrumentalsammlungen und Lehrwerke heraus: Seine „Grosse General-Baß- Schule“ zählt zu den bedeutendsten Abhandlungen über den Generalbass im deutschsprachigen Raum und enthält „48 Prob-Stücke“ für Cembalo:

______Musik 6 Johann Mattheson 3´52 <10> 5th. Practice piece C-dur aus: „ Grosse General-Baß-Schule “ (1731) Jean-Christophe Dijoux, Cembalo GEN 16420, LC 12029 ______

Das 5. Übe-Stück in C-Dur aus der „Grossen General-Baß Schule“ von Johann Mattheson, Jean-Christophe Dijoux hat dieses ‚Stück für Fortgeschrittene’ gespielt.

Johann Mattheson verdanken wir zwei der vier autobiographischen Schriften von Georg Philipp Telemann, er gibt sie bei dem Komponisten in Auftrag für sein Projekt „Musicalische Ehrenpforte“ von 1718 und bittet Telemann Ende der 1730er Jahre um eine Aktualisierung. An das Ende der früheren Lebensbeschreibung setzt Mattheson noch die Worte: Ein Lulli wird gerühmt; Corelli lässt sich loben; Nur Telemann ist über’s Lob erhoben.“ Daraus spricht uneingeschränkte Anerkennung.

Mit Telemanns Ankunft in Hamburg jedoch ist der hochgelobte Kollege jetzt auf Matthesons eigenem Terrain und wird damit zum Konkurrenten: Neben Telemanns schwachem Vorgänger Gerstenbüttel war Mattheson die zentrale Figur im Hamburger Musikleben, doch der Neue übernimmt jetzt nicht nur das Amt des Städtischen Musikdirektors, nein, er stürzt sich mit Verve in das Hamburger Musikleben und übernimmt letztlich die gesamte Organisation: Telemann ist hier unterwegs, organisiert da eine neue Konzertreihe, versorgt natürlich seine fünf Hauptkirchen mit Musik, schreibt Kapitänsmusiken, Triosonaten und Opern, baut ein

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neues Collegium Musicum auf und mischt überall mit. - Im Musiklexikon ist die Rede von der „unübersichtlichen Vielfalt von Telemanns Tätigkeiten in Hamburg“. Mattheson jedenfalls muss zuschauen, wie Telemann ihm den Rang abläuft und nach kurzer Zeit die unangefochtene Nr. 1 in der Musikwelt Hamburgs ist. Ihm bleibt letztlich der Platz des Musikschriftstellers, - mit seiner Feder aber ist er nicht zu schlagen. Kurz nach Telemanns Ankunft in Hamburg gibt es einen öffentlichen Briefwechsel oder besser „Kritiken“-Wechsel zwischen den beiden: Mattheson kritisiert eine Oper von Telemann, Telemann revanchiert sich, Mattheson schiebt noch eine Kritik nach - doch letztlich machen sie ihren Burgfrieden miteinander und es ist nur souverän, wie Mattheson Jahrzehnte später folgende Zeilen auf seinen Rivalen veröffentlicht:

„Ist jemand groß in dem, was unsre Kunst verspricht, Melante ist noch größer. Die Harmonie hat mir’s ins Herz geschrieben: Du sollst ihn lieben. Ihn zu besingen aber wag ich nicht; Er kann das alles besser.“

Soweit Mattheson. Und Telemann „besingt“ nicht nur in ernsthaften Kantaten und feierlichen Lobliedern seinen Herrn und Schöpfer, Telemann schreibt auch weltliche Kantaten, drastisch-satirisch wie seine „“, die Geschichte einer ungleichen Heirat, oder eine Trauerkantate auf den Tod eines...Kanarienvogels:

______Musik 7 Georg Philipp Telemann 2´58 <25> „Mein Canarin gute Nacht!“ (0´44) aus: „Cantate oder Trauer-Music eines kunsterfahrenen Canarien-Vogels“ TVWV 20:37 , Sopran Bach Concentus Ltg. Ewald Demeyere ACC 24199, LC 6618 ______

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„Mein Canarin, gute Nacht!“ - das Lamento aus der„Cantate oder Trauer-Music eines kunsterfahrenen Canarien-Vogels“ von Georg Philipp Telemann. Kunstvoll geklagt hat hier Dorothee Mields, das Ensemble Bach Concentus hat sie angemessen unterstützt, die Leitung hatte Ewald Demeyere.

Wenn es überhaupt möglich ist, dann steigert Telemann seine Produktivität noch einmal während seiner Hamburger Jahre: Neben seiner immensen Leistung als Komponist verlegt er auch etliche Werke: Schon 1725 gründet Telemann in Hamburg seinen eigenen Musikalienverlag und gibt hier über fast 15 Jahre Editionen mit eigenen Werken heraus, insgesamt 46 Titel. Zu den bekanntesten Ausgaben gehören der „Der getreue Musikmeister“, die „“ mit ihren vielen Sonaten und Concerti, die „Singe-, Spiel- und Generalbaßübungen“. Mit diesen Veröffentlichungen verdient Telemann noch einige Reichstaler zusätzlich und sie dienen auch der Verbreitung seiner Werke und damit auch der Verbreitung seines Rénommées in ganz Europa.

Die finanzielle Aufbesserung seines Gehalts braucht der Komponist - und das berührt eine Schattenseite in seinem Leben: das Drama seiner zweiten Ehe. Schon bald nach dem Umzug nach Hamburg muss sich das Verhältnis der Eheleute Telemann, das von Anfang an nicht unkompliziert war, drastisch verschlechtert haben. Maria Catharina hat ein Verhältnis mit einem anderen Mann und sie gibt Unmengen von Geld aus, weit über ihre Verhältnisse. Vermutlich 1735 wird die Ehe geschieden - und Georg Philipp Telemann scheint seine intensive Verlagstätigkeit mit aller Arbeit, die dazu gehört, genauso lange zu betreiben bis er seine, bzw. ihre Schulden abbezahlt hat. Dann verkauft er seine Druckplatten und zieht einen Strich unter dieses Kapitel. Irgendwann in diesen Jahren schreibt er einmal die Zeile: „Du weißt, es wohnt in mir kein sauertöpfisch’ Herz.“ Seine positive Grundhaltung zum Leben wird ihm geholfen haben.

Und dann, im September 1737, macht er sich auf die einzige große Reise in seinem Leben, nach Paris: Nach Hamburg zurückkehren wird er erst acht Monate später.

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______Musik 8 Georg Philipp Telemann 2´20 <3> “Gai” aus: Quartett Nr.4 TWV 43:h2 The Age of Passions Sony/dhm 88883717672, LC 0761 ______

Telemann ist einer der besten Kenner der französischen Musik seiner Zeit. - Viele seiner deutschen Kollegen gehen nach Italien und sind dort zum Teil erfolgreich: Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse, Johann David Heinichen, doch Telemann hält zeitlebens eine gewisse Distanz zum italienischen „stile concertante“: Virtuosität um ihrer selbst willen ist seine Sache nicht, er ist der französischen Tonkunst zugeneigt und versteht es, diese Eleganz auch seiner Musik zu geben.

In Paris wiederum hält man vom deutschen Stil und der Vortragsweise im Allgemeinen wenig, Telemanns Musik aber - wie beispielsweise die „Sechs Quartette für Geige, Flöte, Viole oder Violoncello und Basso Continuo“ - wird hier hochgeschätzt und einige der französischen Virtuosen fordern ihn immer wieder auf, seine Werke auch in Paris vorzustellen, in den heiligen „Concert spirituels“. - Das ist ein Ritterschlag für einen deutschen Komponisten!

Tatsächlich wird Telemann während des halben Jahrs, das er über den Jahreswechsel 1737/38 hier verbringt, weitere Quartette schreiben und diese „Nouveaux Quatours en Six Suites“ dann mit Kollegen wie Blavet und Guignon, mit dem Gambisten Forqueray und dem Cellisten Edouard in den „Concerts spirituels“ aufführen, vermutlich mit ihm selbst am Cembalo. Und er berichtet stolz, dass seine Kompositionen „die Ohren des Hofes und der Stadt ungewöhnlich aufmercksam“ machten: „Sie erwarben mir in kurtzer Zeit eine fast allgemeine Ehre“. Auch in diesen Quartetten gelingt ihm dieser kompositorische Spagat: Sie sind gleichzeitig anspruchsvoll und komplex, dabei in der Melodieführung von großer Natürlichkeit, es ist Musik voller Leichtigkeit und Eleganz. Und dass die Interpretation ausgesprochen Freude machen kann, das lässt das Ensemble „Age of Passions“ deutlich hören.

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______Musik 9 Georg Philipp Telemann 1´40 <4> “Vite” aus: Quartett Nr.4 TWV 43:h2 The Age of Passions Sony/dhm 88883717672, LC 0761 ______

The Age of Passions mit zwei Sätzen aus dem Quartett Nr. 4 aus den „Nouveaux Quatours“, den Pariser Quartetten von Georg Philipp Telemann.

Telemann hat immer gleichermaßen für Profimusiker wie für das musizierende Bürgertum komponiert, - auch das gehört zu seinem Anspruch als Komponist. Im Vorwort zur „Kleinen Kammermusik“ von 1716, die er in Hamburg neu auflegt als „Petite Musique de Chambre“ formuliert er das explizit „...damit ein Anfänger sich darinnen üben und ein Virtuose damit hören lassen kann“.

Als Komponist zeigt Telemann eine aufklärerische den Menschen zugewandte Haltung, das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben und Werk, und das ist wirklich immens mit seinen mehr als dreieinhalbtausend Kompositionen: „... wie wäre es möglich, mich alles dessen zu erinnern, was ich zum Geigen und Blasen erfunden?“ sagt er einmal.

Spätestens seit den 1750er Jahren pflegt er Kontakte zu jüngeren Kollegen, zu Carl Heinrich Graun, , Franz Benda, Friedrich Wilhelm Marpurg und natürlich zu seinem Patensohn Carl Philipp Emanuel Bach, der längst selber ein Musiker und Komponist von Rang ist. Carl Philipp Emanuel wird 1767 sein Nachfolger als Hamburger Musikdirektor.

Stilistisch wird Telemann in seinem reichen, langen Musikerleben Anregungen seiner Zeit aufnehmen und verarbeiten bis zuletzt, der Übergang vom hochbarocken zum Empfindsamen Stil ist in seiner Musik schon fast angelegt.

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Dass Telemann seinen Humor bis ins hohe Alter nicht verliert zeigt ein Kommentar, lapidar auf einer seine späten Partituren notiert: Mit Dinte, deren Fluß zu stark, Mit Federn, die nur pappicht Quark Bey blöden Augen, finsterm Wetter Bey einer Lampe, schwach von Licht, Verfasst’ ich diese saubern Blätter. man schelte mich deswegen nicht!

Und zwischen all den Sonaten, Trios, Kantaten, Kapitänsmusiken, Kanarienvögeln, zwischen Kirchendienst und Hofmusik, französischen Kollegen und der nächsten Komponistengeneration geht 1767 am 25. Juni, am kommenden Sonntag vor 250 Jahren, ein großes Leben zu Ende. Seine späte Leidenschaft ist die Flora, sein Garten. Vielleicht gehen ihm da bei der Arbeit im Grünen Zeilen durch den Kopf, die er selber Jahre vorher notiert hat: (aus: Cantata „Tönet, schallet, klingt, ihr Saiten“ 1712) Allen Kummer, alles Leid Kann die Harmonie begraben. Wie das Meer bey sanfter Stille Seine Flut, als wiegend, reg’t: Also wird des Menschen Wille Durch der Töne Kraft beweg’t, Daß ihn, frey vom Sorgen=Streit, Sanfte Ruh‘ und Stille laben.

Musik 10 Georg Philipp Telemann 6´25 CD3 <16> V. Conclusion in D-dur f. Oboe, Trompete, Str. u. Bc aus: „Tafelmusik“ Teil II Willliam Wroth, Trompete - Frank de Bruine, Oboe Rémy Baudet und Franc Polman, Vl Musica Amphion Ltg. Pieter-Jan Belder Brillant 92177/3, LC 9421

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„Conclusion“ in D-Dur für Oboe, Trompete, Streicher und Basso continuo aus dem II. Teil der „Tafelmusik“ von Georg Philipp Telemann, Jan Pieter Belder leitete das Ensemble Musica Amphion. Ein festlicher Abschluss unserer SWR2-Musikstunden- Begegnung mit diesem vielseitigen Komponisten, der am kommenden Sonntag vor 250 Jahren in Hamburg gestorben ist.

Die Manuskripte finden Sie wie immer im Internet unter www.swr2.de/ Musikstunde, und da stehen die Mitschnitte der Sendungen auch jeweils eine Woche zum Nachhören. Und das Studio verlässt jetzt, mit einer leichten Verneigung noch einmal vor dem leise lächelnden Telemann, in leicht punktiertem Schritt - AvS

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