SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde „Georg Philipp Telemann - eine musikalische Begegnung“ (1-5) V. „...da ich in voller Arbeit sitze“ - Musikdirektor in Hamburg Mit Antonie von Schönfeld Sendung: 23. Juni 2017 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld 19. Juni – 23. Juni 2017 „Georg Philipp Telemann - eine musikalische Begegnung“ (1-5) V. „...da ich in voller Arbeit sitze“ - Musikdirektor in Hamburg Signet und zu diesem letzten Abschnitt unserer Lebensreise mit diesem vielseitigen Barockkomponisten, dessen Todestag sich am kommenden Sonntag zum 250. Mal jährt, begrüßt Sie - AvS Im Herbst des Jahres 1721 tritt Georg Philipp Telemann in Hamburg seine Stelle als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen und Kantor am Johanneum an. Als er einige Jahre später, 1728, den ersten Teil des „Getreuen Music-Meisters“ herausgibt, eine Sammlung von Instrumentalwerken, kennt er die Stadt also bereits - und weiß sie zu schätzen. Im Vorwort schreibt er über seinen Standort Hamburg, dass er sich „... an einem Orte befinde, wo die Music gleichsam ihr Vaterland zu haben scheint/ wo die ansehnlichsten Personen die Ton=Kunst ihrer Aufmerksamkeit würdigen (...) und wo so mancher geschickter Lehrling/der Music die Hoffnung machet, daß sie hier beständig wohnen werde(...)“ Ein Kompliment an Hamburg - Telemann ist wirklich angekommen und hier bleibt er für den Rest seines Lebens, 46 produktive Jahre lang. - Wir sind also in Hamburg, und in Hamburg gibt es viel Wasser und am Wasser gibt es Wind - da stürmt dann auch schon mal „Aeolus“, der griechische Gott der Winde: 2 ___________________________________________________________________ Musik 1 Georg Philipp Telemann 2´05 <7> 7.Satz : „Der stürmende Aeolus“ aus: „Ouvertüre C-dur - Hamburger Ebb und Flut“ TWV 55:C3 Musica Antiqua Köln Ltg. Reinhard Goebel ARCHIV 413788-9, LC 0113 ___________________________________________________________________ Kein Zweifel, Hamburg ist ein guter Standort für Telemann, er ist gerade vierzig als er 1721 in die Hansestadt kommt und hier wird er seine zweite Lebenshälfte verbringen, bis zu seinem Tod 1767. Wieder ist es ein Wechsel ohne Not: Frankfurt ist sehr zufrieden mit Telemann als Städtischem Musikdirektor und will ihn halten. Als der Hamburger Stadtrat an den Frankfurter herantritt mit der Bitte, Telemann aus Frankfurter Diensten zu entlassen, da versichert der Musiker seinen hessischen Dienstherren zunächst einmal, dass er nicht von sich aus aktiv geworden sei und den Kontakt mit Hamburg nicht gesucht habe. Vermutlich sind es zwei wichtige Hamburger Bürger, die seinen Namen ins Spiel gebracht haben, als die Nachfolge des verstorbenen Musikdirektors Gerstenbüttel geregelt werden soll, und zwar Pastor Erdmann Neumeister und Senator Barthold Hinrich Brockes. Unter Gerstenbüttel hat das Musikleben der Hansestadt ziemlich brachgelegen, jetzt wollen die Hamburger dieses renommierte Amt unbedingt wieder jemandem in die Hände legen, der einen internationalen Ruf genießt - einen wie Georg Philipp Telemann. Dieser Amtswechsel erinnert von Ferne an die Ablösung heutzutage von hochdotierten Fußballern zwischen zwei Clubs, hier ist es ein Musiker, um den man sich bemüht, und nach der gelungenen Übernahme malt der in Hamburg dann auch bald die dortigen Besonderheiten in Musik - ‚hanseatisches Lokalkolorit für Orchester’: 3 Das Publikum wird sicherlich sofort die herannahenden Wellen in der Ouvertüren- Suite „Hamburger Ebb und Flut“ erkannt haben und den derben Gesang von Bootsleuten, den kennt man auch im hohen Norden: ___________________________________________________________________ Musik 2 Georg Philipp Telemann ca. 2´25 <7> 9.Satz: „Gigue. Ebbe und Flut“ 10.Satz: „Canarie. Die lustigen Bootsleute“ aus: „Ouvertüre C-dur - Hamburger Ebb und Flut“ TWV 55:C3 Musica Antiqua Köln Ltg. Reinhard Goebel ARCHIV 413788-9, LC 0113 __________________________________________________________________ „Ebbe und Flut“ und „Die lustigen Bootsleute“ - Musica Antiqua Köln mit den letzten beiden Sätzen aus der Ouvertüren-Suite „Hamburger Ebb und Flut“ von Georg Philipp Telemann. Die Aufnahme stammt übrigens von 1984, in meinen Ohren hat bis heute nichts eingebüßt von ihrer Frische und sicheren Phrasierungskunst und zählt immer noch zu den besten. Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel gehört zu den ersten Ensembles, die sich auf hohem Niveau für den lange unterschätzten Komponisten Telemann eingesetzt haben. Der Möglichkeit, in Musik zu malen, kann Telemann kaum je widerstehen, Bewegungen, Stimmungen, Gefühle sind für ihn immer eine Einladung, sie darzustellen und musikalisch umzusetzen. - Musikhistoriker haben ihm das später gerne als oberflächlich vorgeworfen, der Schriftsteller und Journalist Eckard Kleßmann setzt treffend dagegen, dass Telemann ein ‚Meister der Oberfläche’ sei, dass das in Deutschland jedoch gerne verwechselt wird mit ‚Oberflächlichkeit’. Der spielerische Umgang dieses Könners mit der barocken Musiksprache, mit Ton- und Satzlehre seiner Zeit und immer wieder dem bewussten Verlassen dieser 4 Regeln, - all das erschließt sich einem häufig erst, wenn man sich Telemanns Partituren vornimmt und die Stücke selbst einstudiert: Da gibt es manche rhythmische Struktur, manche Phrasen-Verschiebung und harmonische Abwandlung, bei der man zwei mal hinschauen oder -hören muss, um sie zu begreifen. Und doch steht bei diesem Komponisten selten das rein Intellektuelle im Vordergrund - Telemann will anrühren, unterhalten und anregen. Ein „Meister der Oberfläche“, die der Hörer versteht - und ein Meister des Inhalts, des Gehalts - und der lohnt den zweiten Blick. Wenn ihm übrigens im Frankfurter Musikleben ein Genre gefehlt haben mag, dann ist das die Oper und die kann Hamburg ihm bieten. -Vielleicht sind die Hamburger Ratsherren im Februar 1721 in die Oper am Gänsemarkt gegangen und haben die Uraufführung von Telemanns „Der geduldige Sokrates“ erlebt und sich an diesem Abend letztlich von seiner Kunst überzeugen lassen. Ein paar Jahre später feiert Telemann mit der Oper „Emma und Eginhard“ große Erfolge in Hamburg. Sie erzählt von der Liebe von einer Kaisertochter zu einem Schreiber, also von einer Mesalliance. In der Arie der Hildegard „Meine Tränen werden Wellen“ hören wir beides: Die Bewegung von Wellen und den Ausdruck von Schmerz in der Musik. Das zentrale Motiv in dieser Arie ist die chromatische Abwärtsbewegung, die durch die verschiedenen Stimmen des Orchesters läuft und die dann auch die Singstimme aufgreift. - Damalige Hörer verstehen diesen „passus duriusculus“ als musikalische Vokabel aus der Affektenlehre sofort: er steht für Schmerz und Leid - und unter diesen schmerzlichen Tränen lässt Telemann leise die Wellen murmeln: ___________________________________________________________________ Musik 3 Georg Philipp Telemann 6´05 <15> Arie der Hildegard: „Meine Tränen werden Wellen“ aus: „Emma und Eginhard“ (1728) Nuria Rial, Sopran Kammerorchester Basel Sony/dhm 88697922562, LC 0761 __________________________________________________________________ 5 ...und bei dem Wort „Hoffnung“ wendet sich die Trauer ins Gegenteil und die Melodie steigt in Halbtonschritten auf. Nuria Rial und das Kammerorchester Basel mit der Arie „Meine Tränen werden Wellen“ aus der Oper „Emma und Eginhardt“ von Georg Philipp Telemann. Bei einem Blick auf die Stellen- und Ortswechsel, die Telemann im Laufe seines langen Lebens erlebt, fällt auf, dass er fast immer, wenn er weggezogen ist, mit Menschen an seinem früheren Wohnort in Verbindung bleibt: sicherlich mit Freunden, aber auch mit seinen Dienstherren, dieses ‚in-Verbindung-bleiben’ hat auch etwas von einem Geschäftsmodell: In Sorau komponiert Telemann noch für Leipzig, in Eisenach für Sorau, in Frankfurt legt er es gleich so fest, dass er seine Kantaten für Frankfurt und für den Eisenacher Hof schreibt und genauso macht er es jetzt von Hamburg aus: Telemann darf das Frankfurter Bürgerrecht behalten und sichert gleichzeitig dem Frankfurter Stadtrat zu, dass die Stadt seine Kantaten- Jahrgänge ‚immerforth, so lange er lebe’ - den Jahrgang für 50 Reichstaler oder 75 Gulden -kaufen und aufführen könne. Das ist geschickt, Telemann verdient mit den für Eisenach und Frankfurt komponierten Kantaten auch in Hamburg Geld. Hamburg ist die größte der Freien Reichsstädte und hier ist Telemann jetzt verantwortlich für die Musik an den fünf Hauptkirchen. Eigentlich stand nach der lutherischen Kirchenordnung jeder Hamburger Hauptkirche ein eigener Kantor zu, der war dann zuständig für die Musik - vokal und instrumental - während des Hauptgottesdienstes an den Sonntagen und in den Vespern am Samstag und am Sonntagnachmittag. In Hamburg hat die Stadt zu Telemanns Zeit das Kantorenamt jedoch erweitert - vermutlich aus finanziellen Gründen: Jetzt ist ein Kantor für alle fünf Kirchen zuständig, in der Praxis