6 Strategien Und Risikofaktoren Der Vereinheitlichung in Der Schienen- Fahrzeugindustrie
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
6 Strategien und Risikofaktoren der Vereinheitlichung in der Schienen- fahrzeugindustrie 6.1 Vereinheitlichung als geeignete Strategie in der Schienenfahrzeugindustrie Nach den theoretischen Überlegungen im vorangegangenen Kapitel, soll der Erfolg der bisherigen Vereinheitlichungsaktivitäten in der Schienenfahrzeugindustrie überprüft werden. Hierzu wird nachfolgend zunächst untersucht, welche Segmente in der Verein- heitlichung als fortgeschrittener eingestuft werden können, um daran anschließend für ausgesuchte Segmente Marktanteilsentwicklungen der Wettbewerber mit und ohne ver- einheitlichtes Produkt zu überprüfen. 6.1.1 Analyse der grenzübergreifenden Produktverkäufe Die Analyse der grenzübergreifenden Produktverkäufe pro Fahrzeugsegment soll Auf- schluss darüber geben, inwiefern spezifische Produkte der Hersteller, die teilweise als modular und vereinheitlicht propagiert werden, auch effektiv an unterschiedliche Kun- den und Kundengruppen verkauft werden. Für die Analyse wurden 980 Projekte heran- gezogen, die in den Jahren 1999 bis 2004 in der Industrie mit einem Gesamtwert von über 61 Mrd. € und 209 unterschiedlichen Produkten vergeben wurden. 463 Abbildung 24 zeigt, dass die Segmente Straßenbahnen und Elektro-Lokomotiven die einzigen Sparten bilden, die mehr als 50 % des Gesamtumsatzes mit Produkten generie- ren konnten, die in mehr als einem Land bzw. an mehr als einen Kunden verkauft wur- den. 464 Dies bestätigt Aussagen von Industrieexperten, dass Vereinheitlichungserfolge bisher primär in diesen beiden Segmenten erzielt worden sind.465 463 Es wurden nur Projekte bewertet, für die auch ein eindeutiger Produktname identifiziert werden konnte. Das größte Projekt der Geschichte der Schienenfahrzeugindustrie, London Underground für Metronet mit einem Bestellvolumen von über 4,5 Mrd. €, wurde im Segment Metros zur Ver- meidung von Unschärfen nicht berücksichtigt. 464 Die Struktur der Industrie lässt den Schluss zu, dass ein Betreiber zumeist national agiert. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass selbst bei den wenigen privaten Betreibern, die in mehre- ren Ländern ihr operatives Geschäft führen (Beispiel Veolia Verkehr oder unterschiedliche private Leasing-Unternehmen), infrastrukturelle Unterschiede länderspezifische Akquisitionen erzwingen. Sie können daher zum Zwecke dieser Arbeit als unterschiedliche Kunden eingeordnet werden. 465 Die qualitative Einschätzung im Rahmen der Experteninterviews lässt einen vergleichbaren Schluss zu. 121 Zwar ergibt die Analyse auch, dass ein Drittel der Fahrzeuge des Segments Regional- fahrzeuge ebenfalls grenzüberschreitend verkauft wurden. Jedoch ist zu berücksichti- gen, dass der Fokus bei über der Hälfte dieser Fälle zu mehr als 80 % auf einem Land liegt. Zwar wurde der Doppelstockwagen-Zug, der ursprünglich von Bombardier Transportation für das Netz der Deutschen Bahn entwickelt wurde, auch in Israel, Dä- nemark und Luxemburg veräußert. Über 80 % der Fahrzeuge wurden jedoch für den deutschen Markt produziert. Gleichwohl besitzen sowohl Bombardier (Talent), Siemens (Desiro 466 ), Alstom (Coradia Lint 41) als auch der Nischenanbieter Stadler (FLIRT) Fahrzeuge, die erfolgreich in unterschiedlichen Ländern verkehren. 467 Ihr Marktanteil am Gesamtmarkt ist jedoch mit insgesamt 13 % verhältnismäßig gering. Abbildung 24: Umsatzanteil der grenzübergreifend verkauften Produkte am Gesamtumsatz des jewei- ligen Produktsegments von 1999 bis 2004 Gesamtwert der Wert der grenzüber- Anzahl der Produkte mit analysierten Bestellungen greifenden Bestellungen grenzübergreifendem Verkauf Straßenbahnen 73% 6.088 Mio. € 4.444 Mio. € 8 Elektro-Loks 53% 6.160 Mio. € 3.264 Mio. € 4 Regionalzüge 33% 19.012 Mio. € 6.274 Mio. € 9 Metros 26% 6.789 Mio. € 1.765 Mio. € 2 Diesel-Loks 21% 2.738 Mio. € 575 Mio. € 5 Hochgeschw. 9% 5.830 Mio. € 525 Mio. € 1 Intercity 6% 7.084 Mio. € 425 Mio. € 1 S-Bahnen 5% 7.575 Mio. € 379 Mio. € 1 0% 50% 100% Umsatzanteil der grenzübergreifenden Produkte Für die Analyse wurden N = 980 Projekte ausgewertet, die zwischen 1999 und 2004 in der Schienenfahrzeugindustrie im Segment „rollendes Material“ vergeben wurden 468 Quelle: Eigene Analyse und Darstellung In den Segmenten Straßenbahnen 469 und Elektro-Lokomotiven ergibt sich ein ande- rer Schluss. So beherrschte die Straßenbahn Combino des Herstellers Siemens allein 466 Die Desiro-Fahrzeuge der Firma Siemens sind in den letzten Jahren an neun Betreiber in fünf eu- ropäische Länder verkauft worden. Vgl. Karch (2002), S. 3. Zwar unterscheiden sich die Fahr- zeugvarianten optisch beträchtlich, Siemens proklamiert hingegen, dass die Fahrzeuge in wesentli- chen Elementen standardisiert sind. Vgl. hierzu Schabert (2001), S. 80. Hinsichtlich der unter- schiedlichen Nutzungsgebiete des Fahrzeugs vgl. auch Langer (2006). Für Details zum Konzept und der Realisierung des Fahrzeugs siehe Möller et al. (2000). 467 Für unterschiedliche Plattformen im Segment Regionalfahrzeuge siehe Gärtner (2000), S. 542. 468 Erstaunen mag auf den ersten Blick der geringe Wert für Diesel-Lokomotiven trotz ihrer größeren Unabhängigkeit von Infrastrukturen im Vergleich zu Elektro-Lokomotiven. Dies liegt primär an der verhältnismäßig geringen Anzahl von Diesel-Fahrzeugen auf dem europäischen Markt. 122 23 % des Marktes. Ein noch größerer Anteil wurde durch die technischen Probleme der Fahrzeuge verhindert, die den Verkauf des Modells in den Jahren 2004 und 2005 fast vollständig gestoppt haben. 470 Das Bild im Segment der Elektro-Lokomotiven ist ähnlich. Hier haben die Standard- produkte der Unternehmen Bombardier (BR185, Markenname TRAXX) und Siemens (Eurosprinter) in den letzten Jahren gemeinsam über 44 % der Projektumsätze gewon- nen. Dabei ist die Siemens-Lokomotive für den Einsatz in 15 Ländern konstruiert 471 , die TRAXX-Familie von Bombardier für Deutschland, Schweiz, Österreich, Luxem- burg, Frankreich, Skandinavien, Italien, die Beneluxländer und einige osteuropäische Länder entwickelt worden 472 . Beide können sowohl für den Personen-, als auch für den Güterverkehr eingesetzt werden und erlauben den Kunden, komplette europäische Kor- ridore zu bedienen. Zudem können sie mit vergleichsweise geringem Aufwand auch mit anderen Spannungs-, Signal- und Sicherungssystemen ausgestattet werden. Der Einsatz vereinheitlichter Multisystemlokomotiven erlaubt dabei eine verbesserte Produktivität, da die Laufleistung pro Lokomotive durch Zeitgewinn an Grenzen maximiert werden kann. 473 Erwartungsgemäß niedrig fallen die Werte für die Segmente Hochgeschwindigkeit und Metros aus. Handelt es sich bei Hochgeschwindigkeitszügen zumeist um nationale Prestigeprojekte 474 , erscheint die Komplexität bei Metro-Fahrzeugen aufgrund der un- einheitlichen Tunnelgrößen in den europäischen Großstädten kaum beherrschbar. Dies liegt insbesondere an der historisch unabhängigen Entwicklung der lokalen Netze. Somit müssen sich Metro-Fahrzeuge an die vorhandene Tunnelinfrastruktur anpassen und so ihre Architektur fortwährend ändern. Bemerkenswert ist der verhältnismäßig geringe Wert vereinheitlichter Produkte bei Regionalfahrzeugen in Verbindung mit der Marktgröße des Segments. Hier wird evi- dent, dass insbesondere in diesem Segment erhebliche Potentiale zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen durch Vereinheitlichung existieren. Als gutes Beispiel in diesem Bereich kann das Fahrzeug des Typs FLIRT der Firma Stadler genannt werden, welches aufgrund des Datenstandes in obiger Analyse kaum einfließen konnte. In jüngster Ver- gangenheit konnte das Unternehmen jedoch mit diesem Fahrzeugtyp diverse Projekte in 469 Die Ähnlichkeit der Fahrzeuge lässt sich teilweise durchaus diskutieren, handelt es sich doch häu- fig auch um eine geschickte Nutzung der Branding -Namen. Für ein Beispiel siehe Hondius (2005), S. 18. Als geeignete Analyse würde sich nur die Anzahl der Konstruktions- und Änderungsstunden bieten. Da es sich hier jedoch um wettbewerbsrelevante Informationen handelt, sind die Daten diesbezüglich kaum verfügbar. So basiert die vorliegende Analyse auch auf qualitativen Informati- onen der Wettbewerber. 470 Siehe hierzu auch Fußnote 403. 471 Vgl. Kießling und Thoma (2002), S. 390: Deutschland, Österreich, Ungarn, Schweiz, Dänemark, Schweden, Norwegen, Italien, Frankreich, Niederlande, Luxemburg, Belgien, Polen, Tschechien und Slowakei. 472 Vgl. Vitins und Spillmann (2005), S. 108. 473 Vgl. X-Rail (2006). 474 Vgl. Leenen et al (2006), S. 108. 123 der Schweiz, Italien, Frankreich, Ungarn, Algerien, Polen, Finnland und Deutschland gewinnen. 475 Legt man zu Grunde, dass das Unternehmen nach eigenen Angaben im Jahr 2005 aus EBIT-Perspektive 476 Marktführer war und diese Ergebnisse fast aus- schließlich mit den beiden Produkten FLIRT und GTW erwirtschaften konnte, sind die Möglichkeiten der Vereinheitlichung offensichtlich viel versprechend. 477 Die Analyse des grenzübergreifenden Verkaufs der Schienenfahrzeuge (siehe Abbildung 24) erlaubt somit die Annahme, dass die Segmente Elektro-Lokomotiven und Straßenbahnen in den Vereinheitlichungsbemühungen weiter fortgeschritten sind als dies in anderen Segmenten des rollenden Materials der Fall ist. 478 Zudem bietet ins- besondere der Fahrzeugtyp FLIRT offensichtlich interessante Ansätze einer erfolgrei- chen Vereinheitlichungsstrategie. Aus zuvor durchgeführter Analyse ergeben sich erhebliche Unterschiede zwischen den Segmenten der Bahntechnik. Im anschließenden Abschnitt sollen hierfür Gründe erörtert werden, um auf dieser Basis die Marktentwicklung näher zu untersuchen. 6.1.2 Ursachenforschung für die Segmentunterschiede Unterschiede zwischen