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Der Polizei- und Sicherheitsapparat 1940

MICHAEL WILDT

Für den Polizei- und Sicherheitsapparat war das Jahr 1940 ein »Scharnierjahr«. Vier Jahre zuvor – im Juni 1936 – war zum Chef der gesamten deut- schen Polizei ernannt worden und hatte dieser sogleich eine neue Struktur gegeben: und Geheime Staatspolizei fungierten nun unter der Leitung Rein- hard Heydrichs als , die übrige Polizei wurde als unter zusammengefasst.1 1937 setzte Himmler sogenannte Höhere SS- und Polizeiführer (HSSPF) ein, die als seine regionalen Stellvertreter sämtliche SS- und Polizeikräfte befehligten und gerade in den besetzten Gebieten eine zent- rale Rolle sowohl für die Sicherheitspolitik als auch für die Verfolgung und Ermor- dung der Juden einnahmen.2 Am 27. September 1939 wurde schließlich das Reichs- sicherheitshauptamt (RSHA) aus Sicherheitspolizei und der SS (SD) gebildet, das Heydrich bis zu seinem Tod nach einem Attentat im Mai 1942 führte.3 Mit Beginn des Krieges waren SS und Polizei über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus gefordert, in den eroberten Gebieten die Besatzungsherrschaft zu si- chern, mit Terror die Opposition zu bekämpfen, rassistische Vertreibungen und Mas- senmord zu exekutieren. Auf die Besetzung Dänemarks und Norwegens im April 1940 folgte der Westfeldzug gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich. Auch für den geplanten Angriff auf Großbritannien wurden im RSHA am Schreib- tisch aufgestellt. Als Hitler sich entschied, zunächst die Sowjetunion anzugreifen, waren SS und Polizei in die Vorbereitungen für den geplanten Vernichtungskrieg eingebunden.

Polen 1939

Der Krieg gegen Polen war für die Radikalisierung der Gewaltpolitik von SS und Polizei eine entscheidende Phase. Die große Bedeutung, die dieser Einsatz in Polen für die SS- und Polizeiführung besaß, ist nicht zuletzt daran abzulesen, dass mit 21 Leitern von insgesamt 64 Staatspolizeistellen im Reich und Protektorat ein Drittel zu den Einsatzgruppen kommandiert wurde.4 Etliche der Einsatzkommandoführer und der Angehörigen der Einsatzgruppenstäbe erhielten wenige Wochen später führende Funktionen in dem neu geschaffenen RSHA.5

1 Vgl. Dierl u. a. (Hg.): Ordnung und Vernichtung; Schulte: Polizei im NS-Staat; Wilhelm: Polizei im NS-Staat. 2 Vgl. nach wie vor Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. 3 Zum Reichssicherheitshauptamt siehe Wildt: Generation des Unbedingten. 4 Mallmann u. a. (Hg.): Einsatzgruppen in Polen, S. 20. 5 Wildt: Generation des Unbedingten, S. 480-485. 114 Tätigkeitsfelder 1940

Hitler selbst hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass der Krieg gegen Polen als Volkstumskampf geführt werden müsse. Während Außenminister Ribbentrop in Moskau den Pakt schloss, der den Weg zum Krieg freimachte, erläuter- te Hitler den Befehlshabern der auf dem am 22. August 1939 ausführlich seine Vorstellungen zum bevorstehenden Krieg gegen Polen: »Herz ver- schließen gegen Mitleid. Brutales Vorgehen. 80 Mill. Menschen müssen ihr Recht bekommen. Ihre Existenz muß gesichert werden. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte.«6 Von Anbeginn an trachteten Himmler und Heydrich danach, die Befugnisse der Einsatzgruppen auszuweiten, damit sie ohne Einwilligung der Wehrmacht eigene Exekutionen durchführen konnten. Am 3. September wies Himmler per Fernschrei- ben die Einsatzgruppen an, »polnische Aufständische, die auf frischer Tat oder mit der Waffe in der Hand ergriffen« würden, »auf der Stelle« zu erschießen.7 In einer von Heydrichs Stellvertreter geleiteten Amtschefbesprechung am 7. Septem- ber wurde der Auftrag der Einsatzgruppen dahingehend formuliert, dass die »führen- de Bevölkerungsschicht in Polen [...] so gut wie möglich unschädlich gemacht« werden solle.8 In einem Aktenvermerk im Juli 1940 charakterisierte Heydrich die Weisungen für den Einsatz von SS und Polizei als »außerordentlich radikal« und führte als Beispiel den »Liquidierungsbefehl für zahlreiche polnische Führungskreise, der in die Tausen- de ging«, an.9 Ähnlich redete Himmler im September 1940 in Metz vor den Führern der Leibstandarte-SS »« über den Winter 1939/1940 in Polen, »wo wir die Härte haben mussten – Sie sollen das hören und sollen das aber auch gleich wieder vergessen, – Tausende von führenden Polen zu erschiessen«.10 Auch in seiner Rede vor den Oberbefehlshabern des Heeres am 13. März 1940 betonte Himmler: »Exeku- tionen – der führenden Köpfe d. Gegenbewegung. Sehr hart – aber notwendig. Selbst dabei gewesen. keine wilden Angelegenheiten vor Unterführern – ebensowenig von mir. weiß sehr genau, was vorgeht.«11 Der Einsatz in Polen bedeutete zweifellos eine Zäsur – mit ihm wurde »der Grund- stein zu Vernichtungskrieg und Holocaust« gelegt.12 Der Einsatz von Polizei und SS galt ganzen Menschengruppen, die, weil sie von den Nationalsozialisten als minder-

6 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), Serie D, Bd. 7, S. 171 f. Zur Überlieferung dieser Rede siehe Baumgart: Zur Ansprache Hitlers, S. 120-149. 7 Das Fernschreiben Himmlers, P.P. II 1537/39, vom 3.9.1939 ist nicht im Original erhalten, sondern in einem Fernschreiben des Chefs der Ordnungspolizei, Daluege, an den BdO beim AOK 4 vom 16.9.1939 wörtlich wiedergegeben, zitiert nach Krausnick/Wilhelm: Truppe des Weltanschauungs- krieges, S. 44. 8 Protokoll der Amtschefbesprechung vom 7.9.1939, BArch R 58/825, Bl. 1-2. 9 Aktenvermerk Heydrich, 2.7.1940, abgedruckt in Krausnick: Hitler und die Morde in Polen, S. 206-209; siehe 2.7.1940. 10 Rede Himmlers vor dem Offizierskorps der Leibstandarte-SS »Adolf Hitler« in Metz, 7.9.1940, BArch NS 19/4007, Bl. 110-117, abgedruckt in IMG, Bd. 29, Dok. 1918-PS, S. 98-110, Zitat: S. 104; siehe 7.9.1940. 11 Redenotizen Himmlers, BArch NS 19/4007, Bl. 85-90; zur Rede siehe Müller: Vorgeschichte und Inhalt der Rede Himmlers, S. 95-120. Während Müller noch den Gegensatz zwischen SS und Wehr- macht betont, hebt die neuere Forschung die Übereinstimmungen hervor, vgl. Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg; siehe 13.3.1940. 12 Mallmann u. a. (Hg.): Einsatzgruppen in Polen, S. 12.